Das Selbstbestimmungsrecht indigener Völker: Eine völkerrechtliche Bestandsaufnahme am Beispiel der Native Americans in den USA [1 ed.] 9783428517404, 9783428117406

Die Indianer in den USA sind hierzulande in erster Linie ein romantischer Mythos. Dass diese jedoch ein Beispiel für die

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German Pages 676 Year 2009

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Das Selbstbestimmungsrecht indigener Völker: Eine völkerrechtliche Bestandsaufnahme am Beispiel der Native Americans in den USA [1 ed.]
 9783428517404, 9783428117406

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Schriften zum Völkerrecht Band 188

Das Selbstbestimmungsrecht indigener Völker Eine völkerrechtliche Bestandsaufnahme am Beispiel der Native Americans in den USA

Von

Mark D. Cole

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

MARK D. COLE

Das Selbstbestimmungsrecht indigener Völker

Schriften zum Völkerrecht Band 188

Das Selbstbestimmungsrecht indigener Völker Eine völkerrechtliche Bestandsaufnahme am Beispiel der Native Americans in den USA

Von

Mark D. Cole

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz hat diese Arbeit im Jahre 2003 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 978-3-428-11740-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

For those who believe(d)… and foremost my dear Natali

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist in meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz entstanden und beleuchtet aus der Perspektive des Völkerrechts und des Rechts der USA die Rechtsstellung indigener Völker. Anspruch war es, möglichst umfassend und am Beispiel der Native Americans die Anwendbarkeit des Selbstbestimmungsrechts zu prüfen und seine konkreten Ausgestaltung für die „Indianer“ darzulegen. Ein solcher Ansatz berücksichtigt neben der Analyse des Völkerrechts auch die historische Entwicklung und die weiter bestehende Benachteiligung indigener Bevölkerungsgruppen, die eben nicht nur eine Tatsache, sondern auch eine aus Sicht der Rechtswissenschaft relevante Feststellung ist. Meine Hoffnung ist es, mit dem Ergebnis nicht nur dem Völkerrechtler, sondern den darüber hinaus an der Thematik Interessierten eine Abhandlung vorlegen zu können, die einen kleinen Beitrag zur Klarstellung in weiter schwelenden Konflikten liefern kann. Die Arbeit ist deshalb auch für diejenigen geschrieben, die an die Möglichkeit einer gerechteren Ausgestaltung des Umgangs der dominanten Bevölkerungen mit den Indigenen geglaubt haben und weiter glauben. Zu diesem Zweck enthält die Arbeit auch eine englische Zusammenfassung. Die Arbeit wurde vom Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Universität Mainz im Wintersemester 2003/04 als Dissertation angenommen. Die Veröffentlichung sollte einhergehen mit dem Ende des ersten UN-Jahrzehnts der indigenen Völker 2004, bis zu dem die Generalversammlung die UN-Deklaration über die Rechte indigener Völker verabschiedet haben wollte. Aufgrund von Widerständen kam es zunächst nicht dazu, aber die Vereinten Nationen beschlossen ein weiteres Jahrzehnt der indigenen Völker, an dessen Beginn dann der erfolgreiche Abschluss der Deklarationsarbeiten absehbar war. Weil die Deklaration ein Kern der Arbeit ist, beschloss ich dieses Ereignis noch abzuwarten. Berufliche Projekte, die mit meiner verstärkten Ausrichtung auf das Medienrecht und meinen Wechsel an die Universität Luxemburg zusammenhingen, haben die umfassende Überarbeitung und Anpassung des Textes an die erfolgte Verabschiedung der UN-Deklaration im September 2007 weiter verzögert. Die Deklaration ist zwar nicht einstimmig, aber mit breiter Zustimmung angenommen worden und verstärkt daher den hier dargestellten Ansatz eines Selbstbestimmungsrechts indigener Völker. Der Entstehungsprozess der Deklaration über fast zwei Jahrzehnte bis hin zur Verabschiedung ist nunmehr vollständig hier abgebildet.

VIII

Vorwort

Ferner sind Literatur und Rechtsentwicklung in den USA und in anderen Staaten mit indigener Bevölkerung, soweit dem Umfang nach vertretbar, an den Stand von 2008 angepasst worden, wobei keine umfassende Einarbeitung neuer Beiträge mehr erfolgen konnte. Der endgültige Abschluss eines solchen Projekts ist zugleich Gelegenheit für ausführlichen Dank, denn eine Arbeit wie diese entsteht nie „alleine“. Zuerst gilt der Dank meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Dieter Dörr, der mir an seinem Lehrstuhl eine „akademische Heimat“ im besten Sinne eröffnet hat. Nicht nur hat er mein Interesse für diese Thematik geweckt, er ist es, der meinen Pfad in die Wissenschaft gefördert und ermöglicht hat. Für die vielen interessanten gemeinsamen Projekte im Völker-, Europa-, Verfassungs- und vor allem Medienrecht, aber am meisten für die motivierende und kollegiale Atmosphäre, aus der seither eine wertvolle Freundschaft erwachsen ist, werde ich ihm immer dankbar sein. Dank gilt weiter Herrn Professor Dr. Udo Fink für seine Beteiligung als Zweitgutachter und die intensive Auseinandersetzung mit meiner Arbeit. Auch mit ihm habe ich seither mit Freude an mehreren gemeinsamen Veröffentlichungsprojekten arbeiten können. Zu danken habe ich ferner der Vereinigung „Freunde der Universität Mainz e.V.“, über deren Auszeichnung der Arbeit mit dem Forschungsförderpreis 2004 ich mich sehr gefreut habe und der die Drucklegung erleichtert hat, sowie den Dekanatsmitarbeitern des Fachbereichs für den angenehmen Ablauf des Promotionsverfahrens. Es ist aber nicht nur die akademische Seite der Begleitung eines Dissertationsprojekts, es ist insbesondere das private Umfeld, das einen zum Ziel trägt. Mein herzlicher Dank gilt daher meinen Eltern, ohne die ich nicht zu dem Menschen geworden wäre, der diese Arbeit gesucht und verfasst hätte. Sie haben mir alle Freiheiten gegeben, um mich selbst zu entwickeln, haben aber immer meine Schritte eng begleitet und mir ebenso wie die übrige Familie jede nötige Hilfe gewährt. Alle übrigen Unterstützungen werden jedoch übertroffen von der Geduld, dem Antrieb, dem Ausgleich und der wunderbaren Zeit, die mir meine Frau Natali Cole-Solar gewährt hat. Sie hat die Dissertation von den ersten Schritten bis zur Veröffentlichung miterlebt und dementsprechend oft auch in der knappen freien Zeit zurückstehen müssen. Ihr vor allem ist diese Arbeit gewidmet in großer Vorfreude auf die nächsten gemeinsamen Schritte, die die Zukunft bringen wird. Wiesbaden, im Dezember 2008

Mark D. Cole

Inhaltsübersicht Einleitung….............................................................................................................

1

Kapitel 1 Das Selbstbestimmungsrecht der Völker A. Historische Entwicklung und grundlegende Dokumente ..................................

13

B. Rechtliche Qualität .. .........................................................................................

37

C. Rechtlicher Gehalt … ........................................................................................

86

D. Aktuelle Anwendungsfälle ...............................................................................

167

E. Ausblick: Wandel des Völkerrechts ..................................................................

173

Kapitel 2 Indigene Völker im Völkerrecht A. Begriffsbestimmungen ......................................................................................

187

B. Indigene Völker als eigenständige Rechtskategorie: Vom Subjekt zum Objekt zum Subjekt des internationalen Rechts ..................

224

C. Ausgewählte Rechtspositionen indigener Völker .............................................

304

Kapitel 3 Die Indianer Nordamerikas – Geschichte und Rechtsstatus A. Begriffsbestimmung für die indigene Bevölkerung der USA ...........................

383

B. Historischer Überblick und politisch-soziale Situation .....................................

384

C. Inneramerikanischer Rechtsstatus .....................................................................

427

D. Historische und moderne Problemfelder ...........................................................

459

Kapitel 4 Anwendbarkeit des Selbstbestimmungsrechts auf die Native Americans und Wege zur innerstaatlichen Umsetzung A. Völkerrecht als innerstaatliches Recht der USA und Besonderheiten beim Menschenrechtspakt ................................................

474

B. Native Americans und das Selbstbestimmungsrecht .........................................

495

C. Konkrete Umsetzung und Lösungsmöglichkeiten für die Native Americans ..................................................................................

514

Kapitel 5 Schlusswort und Zusammenfassung English Summary ....................................................................................................

561

X

Inhaltsübersicht

Verzeichnis offizieller Dokumente .........................................................................

584

Zeitungsverzeichnis ................................................................................................

591

Literaturverzeichnis ................................................................................................

600

Sach- und Personenverzeichnis ...............................................................................

628

Inhaltsverzeichnis Einleitung .............................................................................................................. I.

1

Materie und Forschungsstand.....................................................................

1

II. Erkenntnisinteresse.....................................................................................

5

III. Gang der Untersuchung..............................................................................

9

Kapitel 1 Das Selbstbestimmungsrecht der Völker A. Historische Entwicklung und grundlegende Dokumente............................... I.

13

Die Basis: Ideen der philosophischen Vordenker.......................................

13

1. Revolutionäre Bestrebungen am Ende des 18. Jahrhunderts .................

14

2. Das Aufkommen des Nationen-Verständnisses.....................................

15

II. Die Entwicklung bis zum Ersten Weltkrieg ...............................................

16

1. Frühe Theoretiker des staatlichen Selbstbestimmungsrechts.................

16

2. Die sozialistische Auffassung................................................................

16

III. Von der Völkerbundära bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges ..............

18

1. Das Konzept des US-Präsidenten Wilson..............................................

18

2. Ausgestaltung in der Völkerbundära .....................................................

19

a) Fehlende Umsetzung in der Völkerbundsatzung ..............................

19

b) Der Åland-Inseln-Fall.......................................................................

20

3. Weitere Entwicklung.............................................................................

21

IV. Die Gründung der UN als Neubeginn ........................................................

22

1. Verankerung in der UN-Charta .............................................................

22

2. Bewertung… .........................................................................................

23

V. Die Dekolonisierungsphase ........................................................................

24

1. Der koloniale Zusammenhang...............................................................

24

2. Die Dekolonisierungs-Deklarationen ....................................................

25

VI. Über die Dekolonisierung hinaus: Selbstbestimmungsrecht im modernen Gewand…… ........................................................................

26

XII

Inhaltsverzeichnis 1. Artikel 1 der Menschenrechtspakte .......................................................

27

2. Die Friendly Relations-Deklaration.......................................................

28

3. Neuere Aktivitäten innerhalb des UN-Systems .....................................

31

a) Überblick..........................................................................................

31

b) Die Wiener Menschenrechtskonferenz 1993 und Folgedeklarationen ....................................................................

32

c) Die Bezugnahme auf indigene Völker..............................................

33

4. Die KSZE-Schlussakte von Helsinki und Folgekonferenzen in der OSZE .............................................................

34

5. Andere regionale Entwicklungen: Die Banjul-Charta ...........................

35

VII. Zusammenfassung......................................................................................

36

B. Rechtliche Qualität ..........................................................................................

37

I.

Allgemeines……........................................................................................

37

II. Völkervertragsrecht....................................................................................

38

1. Vorbemerkung.......................................................................................

38

2. Vertragsrecht im Zusammenhang mit dem Selbstbestimmungsrecht ...

39

3. Die UN-Charta ......................................................................................

40

4. Die Menschenrechtspakte......................................................................

42

a) Der gemeinsame Artikel 1 der Pakte ................................................

42

b) Vorbehalte und Zweifel an der Rechtsqualität .................................

43

c) Das Verhältnis zur UN-Charta .........................................................

46

d) Stellung und Praxis des Menschenrechtsausschusses.......................

46

aa) Der Menschenrechtsausschuss und das „treaty monitoring“.....

47

(1) Die Staatenberichte............................................................

48

(2) Die Allgemeinen Bemerkungen ........................................

49

(3) Die Mitteilungen von Individuen ......................................

50

bb) Die Haltung zum Selbstbestimmungsrecht ...............................

51

5. Konkretisierung des Vertragsrechts durch Gewohnheitsrecht...............

54

III. Völkergewohnheitsrecht.............................................................................

54

1. Systematische Vorüberlegungen zum Völkergewohnheitsrecht............

54

a) Allgemeines......................................................................................

54

b) Möglichkeiten der Entstehung von Gewohnheitsrecht .....................

55

aa) Nachweisbares Staatenverhalten...............................................

56

bb) Relevante Staatenpraxis ............................................................

57

cc) Die subjektive Überzeugung.....................................................

58

Inhaltsverzeichnis

XIII

dd) Praktisch wichtige Fallgruppen zum Nachweis von Gewohnheitsrecht ......................................

59

(1) Verträge als Bezugspunkt..................................................

60

(2) Rechtlich nicht verbindliche Übereinkünfte als Bezugspunkt.................................................................

61

(3) Sonstige Bezugspunkte......................................................

62

ee) Verhinderungstatbestände.........................................................

62

ff) Zwischenergebnis .....................................................................

63

2. Gewohnheitsrechtliches Selbstbestimmungsrecht .................................

64

a) Selbstbestimmungsrecht als besonderer Fall ....................................

64

b) Rechtsüberzeugung der Staaten........................................................

65

c) Praxis der Staaten .............................................................................

66

d) Relevante Verträge und Resolutionen zum Selbstbestimmungsrecht

67

aa) Menschenrechtspakte................................................................

67

bb) Friendly Relations-Deklaration.................................................

67

cc) Sonstige Dokumente .................................................................

69

dd) Neuere Entwicklungen..............................................................

71

3. Verhältnis von Gewohnheitsrecht und Vertragsrecht ............................

72

IV. Die Rechtsprechung des IGH .....................................................................

73

1. Allgemeines...........................................................................................

73

2. Die relevanten Fälle ..............................................................................

74

a) Vorbereitende Entscheidungen.........................................................

74

b) Das Gutachten zu Namibia 1971 ......................................................

75

c) Das Gutachten zur West-Sahara 1975 ..............................................

76

d) Das Urteil im Grenzstreit zwischen Burkina Faso und Mali 1986 ............................................................

77

e) Das Urteil im Nicaragua-Fall 1986 ..................................................

78

f) Der Ost-Timor-Fall 1995..................................................................

78

3. Schlussfolgerung ...................................................................................

80

V. Selbstbestimmungsrecht als zwingendes Völkerrecht ................................

80

1. Die Kategorie des ius cogens ................................................................

80

2. Das Anwendungsbeispiel Selbstbestimmungsrecht...............................

81

VI. Ergebnis………..........................................................................................

84

C. Rechtlicher Gehalt ........................................................................................... I.

Allgemeines………....................................................................................

86 86

XIV

Inhaltsverzeichnis

II. Das Subjekt des Selbstbestimmungsrechts: Die „Völker“ als Träger........

87

1. Der Begriff des „Volkes“ ......................................................................

87

a) Der Sprach- und Rechtsgebrauch .....................................................

87

b) Objektive und subjektive Subsumtionskriterien ...............................

89

2. Volk als Staatsvolk: Die „Nation“.........................................................

90

3. Sogenannte „Kolonialvölker“................................................................

92

a) Völker im Rahmen der Dekolonisierung..........................................

92

b) Das uti possidetis-Prinzip .................................................................

92

4. Ethnische „Gruppen“ als potentielle Völker..........................................

97

a) Abgrenzbare Teile des Staatsvolkes als Volk...................................

97

b) Definitionsansätze ............................................................................

98

c) Die Minderheiten-Definitionen ........................................................

100

d) Völker im ethnischen Sinne: Der territoriale Bezug als Differenzierungskriterium...........................................................

105

5. Zusammenfassung: Die verschiedenen Arten von Völkern...................

109

III. Das Objekt des Selbstbestimmungsrechts: Der Inhalt der Selbstbestimmung ...............................................................

110

1. Die verschiedenen Kategorien der Selbstbestimmung ..........................

110

2. Offensives Selbstbestimmungsrecht der Völker....................................

112

a) Inhalte

...........................................................................................

112

b) Die Problematik eines Rechts zur Sezession ....................................

113

aa) Der Sondertatbestand in der Dekolonisierung...........................

113

bb) „Echte“ Sezession .....................................................................

114

(1) Positionen in der Literatur .................................................

115

(2) Staatenpraxis und Rechtsüberzeugung ..............................

117

(3) Das Gutachten zur Sezessionsmöglichkeit Quebecs..........

119

cc) Zusammenhang mit dem uti possidetis-Prinzip ........................

121

c) Sezession als ultima ratio: Selbstbestimmungsrecht als Notwehrrecht.......................................

124

3. Defensives Selbstbestimmungsrecht der Völker ...................................

128

a) Inhalte und Konzeptionen ................................................................

128

b) Das Konzept der Autonomie ............................................................

131

aa) Autonomie als moderner Rechtsbegriff ....................................

131

bb) Herleitung und konkrete Inhalte................................................

134

(1) Historische Herleitung.......................................................

134

Inhaltsverzeichnis

XV

(2) Gruppen als Träger............................................................

134

(3) Territoriale Autonomie......................................................

135

(4) Personale Autonomie ........................................................

136

(5) Kombinierte Autonomieformen ........................................

138

cc) Beispielsfälle für Autonomielösungen ......................................

140

dd) Schlussfolgerung: Autonomie und Selbstbestimmungsrecht ....

143

c) Das Konzept des föderalen Selbstbestimmungsrechts......................

146

d) Selbstbestimmungsrecht und Demokratie ........................................

149

IV. Das moderne Selbstbestimmungsrecht als hierarchisches Recht................

151

1. Allgemeines...........................................................................................

151

2. Selbstbestimmungsrecht im Spannungsfeld mit anderen Völkerrechtsprinzipien ......................................................

152

a) Die Sicherung des Weltfriedens .......................................................

152

b) Das Gewaltverbot als wichtigste Schranke und mögliche Ausnahmen ................................................................

153

c) Weitere begrenzende Prinzipien.......................................................

155

3. Ausübung und Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts der Völker ..............................................

155

a) Das Plebiszit als Regelfall der Ausübung.........................................

155

b) Durchsetzung mit militärischen Mitteln ...........................................

157

c) Mechanismen der Staatengemeinschaft bei Selbstbestimmungsforderungen..................................................

158

d) Humanitäre Intervention als Sonderfall............................................

159

e) Legitime Vertretungsorgane für das zur Selbstbestimmung berechtigte Volk .................................................

160

4. Das Selbstbestimmungsrecht als dauerhaftes Recht ..............................

162

5. Lösungsmodell: Selbstbestimmungsrecht der Völker als hierarchisches Recht ........................................................................

163

D. Aktuelle Anwendungsfälle ..............................................................................

167

I.

Beispiele für Berufungen auf das Selbstbestimmungsrecht........................

167

II. Ethnische Konflikte als wichtigste Fallgruppe ...........................................

170

E. Ausblick: Wandel des Völkerrechts ...............................................................

173

I.

Menschenrechtsschutz durch gewaltsame Intervention..............................

174

II. „Peaceful change“ als Völkerrechtsprinzip ................................................

178

III. Die zunehmende Relativierung staatlicher Souveränität ............................

181

IV. Der beschleunigte Wandel im dynamischen Völkerrecht...........................

184

XVI

Inhaltsverzeichnis Kapitel 2 Indigene Völker im Völkerrecht

A. Begriffsbestimmungen..................................................................................... I.

187

Begriffsverwendung in der vorliegenden Untersuchung ............................

187

1. Ethnische Gruppen und der „Rasse“-Begriff.........................................

187

2. Ethnische Gruppen: Territorium und Geschichte ..................................

189

3. Die Verwendung des Begriffs „indigene Völker“ .................................

192

II. Definition: „Indigene Völker“....................................................................

193

1. Definitionsversuche durch internationale Organisationen.....................

194

a) Die Definition von Cobo ..................................................................

195

b) Die International Labour Organization.............................................

196

c) Die Weltbank ...................................................................................

197

d) Die Positionen innerhalb der UN Working Group on Indigenous Populations und ihrem Umfeld .................................

201

aa) Ansatz in der Draft Declaration ................................................

201

bb) Die offene Herangehensweise der Working Group...................

202

cc) Die unterschiedlichen Ansätze in der Menschenrechtskommission ...........................................

203

dd) Bestätigung im Menschenrechtsrat und der UN-Generalversammlung ............................................

204

e) Die Arbeiten an der Interamerikanischen Deklaration .....................

205

f) Definitionsversuche anderer Institutionen........................................

207

2. Positionen in der Literatur.....................................................................

209

a) Die Studie von Anaya.......................................................................

209

b) Identität als Kriterium in der Literatur..............................................

210

c) Die Ergebnisse von Simon ...............................................................

211

d) Selbstidentifikation als entscheidendes Kriterium............................

212

e) Abweichende Positionen in der Literatur .........................................

212

f) Die Lösung von Kingsbury ..............................................................

214

3. Eigene zusammenfassende Stellungnahme ...........................................

215

III. Abgrenzung gegenüber Minderheiten ........................................................

219

1. Notwendigkeit einer Abgrenzung..........................................................

219

2. Möglichkeit einer Unterscheidung ........................................................

221

IV. Zwischenergebnis.......................................................................................

223

Inhaltsverzeichnis B. Indigene Völker als eigenständige Rechtskategorie: Vom Subjekt zum Objekt zum Subjekt des internationalen Rechts .......... I.

XVII

224

Indigene als Völkerrechtssubjekte: Die Zeit der europäischen Expansion .

225

1. Geschichtlicher Hintergrund .................................................................

225

2. Die Sichtweise der Expansionsstaaten...................................................

228

a) Expansion aufgrund päpstlicher Bullen............................................

228

b) Expansion durch Eroberung oder Okkupation..................................

230

3. Die Sichtweise der „Völkerrechtslehre“................................................

231

a) Ein frühes „Völkerrecht“..................................................................

231

b) Die Vertreter der verschiedenen „Schulen“......................................

233

aa) Vitoria und Suárez ....................................................................

233

bb) Las Casas ..................................................................................

235

cc) Grotius ......................................................................................

236

dd) Wolff gegenüber de Vattel........................................................

237

c) Das „Konzept“ der „Wilden“ im Völkerrecht damaliger Zeit .........

238

II. Indigene als Objekt: Vernichtung, Unterdrückung und Assimilation........

241

1. Ausrottung als Folge der kriegerischen Expansion ...............................

241

2. Kombattanten: Der Vertragsschluss zur Koalitionsbildung oder Befriedung .................................................

242

3. Sonderstatus: Indigene Völker als Beteiligte ohne eigenen Rechtsstatus.....................................................................

244

a) Die „domestication“ der indigenen Frage.........................................

244

b) Schiedssprüche zum Rechtsstatus im frühen 20. Jahrhundert .........

245

III. Indigene im 20. Jahrhundert: Zwischen Assimilation und Rückbesinnung ..............................................

247

1. Zwangsweise Assimilation als „goldener Weg“....................................

248

2. Die Dekolonisierung als neue Phase .....................................................

249

3. Erwachendes Selbstbewusstsein: Indigene und die Rückbesinnung auf das Indigene ...............................

250

IV. Die Rechtsstellung indigener Völker nach Völkervertragsrecht................

252

1. Allgemeines...........................................................................................

252

2. Die Rechtsstellung indigener Völker nach dem Menschenrechtspakt..............................................................

252

a) Die relevanten Vorschriften .............................................................

252

b) Die Entscheidungen des Menschenrechtsausschusses......................

254

aa) Das Zulässigkeits-Problem .......................................................

254

XVIII

Inhaltsverzeichnis (1) A.D. v. Canada und die Vertretungsbefugnis ....................

254

(2) Ominayak v. Canada und die Beschränkung auf Individualrechte ...................................

255

(3) Mikmaq Tribal Society v. Canada und die kollektive Beschwerde.......................................................

256

(4) Weitere Versuche der Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht........................................

257

bb) Die materiellen Rechte..............................................................

258

(1) Lovelace v. Canada und die Einschlägigkeit von Artikel 27 IPbpR ...............................

258

(2) Kitok v. Sweden: Indigenes Individuum gegen indigene Gruppe......................................................

259

(3) Ominayak v. Canada: Individualrecht mit Gruppenschutzrichtung ...............................................

260

(4) Länsman v. Finland: Abwägungkriterien für wirtschaftliche Landnutzung........................................

261

(5) Mikmaq v. Canada und politische Beteiligungsrechte.......

262

(6) Hopu v. France: Landrechte auch in anderen Paktvorschriften.......................................

264

3. Die Rechtsstellung indigener Völker nach der Anti-Rassismus-Konvention ...................................................

264

a) Das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung............................................

264

b) Sichtweise des Ausschusses zu indigenen Völkern ..........................

265

V. Indigene an der Jahrtausendwende: Renaissance eines Völkerrechtssubjekts.....................................................

266

1. Allgemeines...........................................................................................

266

2. Die Stellung der indigenen Völker in der UN .......................................

267

a) Die Frühphase der UN und die ILO .................................................

267

b) Indigene Völker als menschenrechtliches Thema.............................

268

aa) Die Organe der UN ...................................................................

268

bb) Die Diskriminierungs-Studie ....................................................

269

cc) Die Working Group on Indigenous Populations .......................

270

(1) Aufbau der WGIP..............................................................

270

(2) Mitwirkung indigener Völker............................................

270

(3) Erarbeitung einer Draft Declaration ..................................

272

dd) Die Rolle der Menschenrechtskommission...............................

273

Inhaltsverzeichnis

XIX

(1) Die Einrichtung einer neuen Working Group on the Draft Declaration ..........................

273

(2) Verhältnis der WGDD zur WGIP......................................

275

ee) Der neu geschaffene Menschenrechtsrat und die UN-Generalversammlung ............................................

276

c) Das UN-Jahr und -Jahrzehnt der indigenen Völker..........................

278

d) Die Studien und Konferenzen der WGIP .........................................

279

e) Die Einrichtung des Permanent Forum on Indigenous Issues .........

282

f) Gegenwart und Zukunft indigener Völker im Menschenrechtsschutzsystem der UN .........................................

283

aa) Signalwirkung der WGIP..........................................................

283

bb) Reform des Menschenrechtsschutzes in der UN .......................

284

3. Andere Abteilungen der UN und indigene Völker ................................

285

a) Indigene Völker und Umweltschutz .................................................

285

aa) Die Rio-Deklaration und die Agenda 21...................................

285

bb) Die Konvention über biologische Vielfalt ................................

286

cc) Das United Nations Development Programme .........................

286

b) Die World Conference against Racism.............................................

287

4. Indigene Völker in anderen internationalen Organisationen ................

290

a) Die Organization of American States ...............................................

290

aa) Politische Haltung gegenüber den indigenen Bevölkerungen...................................................

290

bb) Die Rolle der Inter-Amerikanischen Menschenrechtskommission .....................................................

291

cc) Der Inter-Amerikanische Gerichtshof für Menschenrechte ......

292

(1) Der Awas Tingni-Fall........................................................

292

(2) Die Entwicklung der Rechtsprechung seit dem Awas Tingni-Fall ................................................

294

dd) Der Entwurf einer Deklaration über Rechte indigener Völker..

296

(1) Die Erarbeitung des Entwurfs............................................

296

(2) Inhaltlicher Überblick........................................................

296

b) Initiativen in Südamerika .................................................................

299

aa) Bedeutung der ILO-Konvention Nr. 169 ..................................

299

bb) Die Andean Community ...........................................................

299

c) Die Entwicklung in Afrika ...............................................................

300

XX

Inhaltsverzeichnis 5. Indigene Völker zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Ein „neues, altes“ Rechtssubjekt im Werden.........................................

301

C. Ausgewählte Rechtspositionen indigener Völker ..........................................

304

I.

Allgemeines…............................................................................................

304

II. Völkerrechtliche Rechtspositionen am Beispiel der UN-Deklaration .......

306

1. Anwendbarkeit der Menschenrechte .....................................................

306

2. Die UN Deklaration ..............................................................................

306

a) Die Bedeutung und potentielle Auswirkungen der Deklaration .......

307

b) Die Struktur der Deklaration im Überblick ......................................

312

c) Die zentralen Kategorien der Deklaration ........................................

314

3. „Land Rights“........................................................................................

315

a) Die Wegnahme des Territoriums indigener Völker..........................

316

b) Enteignung durch Ausbeutung in moderner Zeit..............................

316

c) Vertraglich zugesicherte Rechte am Land und Landnutzungsvereinbarungen....................................................

318

d) Die Rückübereignung von Land.......................................................

319

e) Völkerrechtlicher Status der „land rights“........................................

321

4. Rechte aus weitergeltenden Verträgen ..................................................

323

a) Historischer Hintergrund..................................................................

323

b) Rechtliche Qualifikation der Verträge in damaliger Zeit..................

325

c) Auslegungsgrundsätze bei der Bestimmung von Vertragsinhalten ........................................................................

327

d) Pflichten zur Beachtung der Verträge...............................................

329

e) Heutiger Status der Verträge ............................................................

330

5. Kollektives Recht auf kulturelle Identität..............................................

334

a) Notwendigkeit kollektiver Ausrichtung ...........................................

334

b) Elemente der kulturellen Identität ....................................................

335

c) Das kulturelle Erbe indigener Völker ...............................................

336

d) Umsetzung der Schutzpflicht ...........................................................

337

III. Insbesondere: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker als Selbstbestimmungsrecht indigener Völker............................................

338

1. Bedeutung des Rechts für indigene Völker ...........................................

338

2. Formulierung eines Selbstbestimmungsrechts indigener Völker...........

340

a) Die Bedeutung des Menschenrechtspaktes.......................................

340

b) Entwicklung in der WGIP und WGDD ............................................

341

Inhaltsverzeichnis

XXI

aa) Positionen der UN-Experten .....................................................

341

bb) Positionen der Staatenvertreter .................................................

342

c) Schlussfolgerung: Selbstbestimmung indigener Völker als Rechtsposition.................................................

345

aa) Positionen in der völkerrechtlichen Literatur............................

345

bb) Politische Zweckmäßigkeit versus rechtlicher Anspruch..........

347

cc) Das Selbstbestimmungsrecht indigener Völker ........................

348

3. Umsetzung und zuständige Organe .......................................................

350

a) Verwirklichung durch weitestmögliche Autonomie .........................

350

b) Einhaltung der Selbstbestimmungsverpflichtung als internationale Angelegenheit ......................................................

352

IV. Einzelstaatliche Beispiele für die Ausgestaltung der Rechte indigener Völker.......................................................................

354

1. Kanada……….......................................................................................

354

a) Allgemeines......................................................................................

354

b) Wandel der Rechtsprechung.............................................................

355

c) Das neue Territorium Nunavut .........................................................

358

d) Politische Entwicklungen .................................................................

359

2. Australien……. .....................................................................................

362

a) Allgemeines......................................................................................

362

b) Gründung Australiens und die neuen Territorien .............................

363

c) Die Besonderheit des Northern Territory .........................................

364

d) Die Mabo-Entscheidung und ihre Folgen.........................................

364

e) Selbstregierungskonzepte .................................................................

366

f) Der Prozess der „Reconciliation“ .....................................................

367

3. Neuseeland…. .......................................................................................

370

a) Der Treaty of Waitangi von 1840.....................................................

370

b) Völkerrechtliche Bewertung des Vertrages ......................................

372

c) Das Waitangi-Tribunal und jüngere Entwicklungen ........................

373

4. Südamerika und Mexico........................................................................

375

a) Renaissance der Indio-Bewegung Südamerikas ...............................

375

b) Die Situation in Mexico ...................................................................

377

aa) Die Verfassungsreform im Jahre 2001......................................

377

bb) Politische Entwicklungen in jüngerer Zeit ................................

378

5. Andere Länderbeispiele.........................................................................

379

XXII

Inhaltsverzeichnis a) Der „Indigenous Peoples Rights Act“ auf den Philippinen .............

379

b) Die Sami in den skandinavischen Staaten ........................................

379

Kapitel 3 Die Indianer Nordamerikas – Geschichte und Rechtsstatus A. Begriffsbestimmung für die indigene Bevölkerung der USA ...................... B. Historischer Überblick und politisch-soziale Situation................................. I.

383 384

Geschichte der Indianer von der Frühzeit bis 1871 ....................................

384

1. Die Zeit bis zur Ankunft von Kolumbus ...............................................

384

2. Die „Eroberung“ des amerikanischen Kontinents .................................

385

a) Die Zeit bis zur Gründung der USA .................................................

386

b) Die „Expansion“ der neu gegründeten USA.....................................

388

3. Die Zeit der Vertragsschlüsse auf dem Weg nach Westen ....................

391

4. Die Verdrängung in die Reservate: Der „Indian Removal Act“ ............

394

5. Die letzten „Indianerkriege“..................................................................

396

6. Der letzte Vertragsschluss: Der „Indian Appropriations Act“...............

397

II. Politik und Gesetzgebung im späten 19. und 20. Jahrhundert ...................

398

1. Parzellierung von Land und Assimilationsdruck...................................

399

2. Die „Reorganization Era“ im „New Deal“ ............................................

402

3. „Termination“ .......................................................................................

403

4. Die sog. „Self-Determination Era“ und die „Red Power“-Bewegung...........................................................

405

III. Leben als Indianer heute.............................................................................

409

1. Rolle der Legislative und Exekutive .....................................................

409

a) Allgemeines......................................................................................

409

b) Das „Bureau of Indian Affairs“ ........................................................

410

2. Volks- und Staatsangehörigkeit der Indianer.........................................

413

a) „Federally Recognized Tribes“ ........................................................

413

b) Zugehörigkeit individueller Indianer................................................

414

3. Sozialdaten ...........................................................................................

416

a) Bevölkerung .....................................................................................

416

aa) Entwicklung der Bevölkerungszahl ..........................................

416

bb) Die Erhebung aus dem Jahr 2000..............................................

418

b) Besiedlung........................................................................................

419

Inhaltsverzeichnis

XXIII

c) Lebensumstände ...............................................................................

421

4. „Lebensweise“.......................................................................................

424

C. Inneramerikanischer Rechtsstatus.................................................................

427

I.

Rechtsgeschichtlich: Vom amerikanischen Kontinent zur USA ...............

427

II. Der US Supreme Court als (ein) Hauptakteur ...........................................

429

1. Allgemeines...........................................................................................

429

2. Die „Marshall-Trilogie“ ........................................................................

429

a) Zur Bedeutung von Chief Justice Marshall und den Urteilen...........

429

b) Sachverhalte und Urteilsgründe........................................................

430

aa) Johnson v. McIntosh (1823)......................................................

430

bb) Cherokee Nation v. Georgia (1831) ..........................................

432

cc) Worcester v. Georgia (1832).....................................................

433

c) Bewertung und Kritik.......................................................................

434

3. Weitere zentrale Entscheidungen des US Supreme Court .....................

437

a) Zur Souveränitätsfrage und dem Status der Indian Nations sowie ihrer Mitglieder ......................................................................

438

b) Zur Frage der Verträge .....................................................................

443

c) Zur Souveränitätsausübung über das Land und die Ressourcen...........................................................................

446

d) Zur Frage des Schutzes der Religionsausübung ...............................

449

e) Zum Verhältnis zwischen Indian Nations, Staaten und Bundesebene.................................................................

451

4. Kritik an der Rolle des US Supreme Court ...........................................

453

a) „Judicial restraint“ und „political question“-Doktrin.......................

453

b) Grundprinzipien der Rechtsprechung in Indianerangelegenheiten...............................................................

455

c) Fehlendes Gesamtkonzept des Supreme Court.................................

457

D. Historische und moderne Problemfelder .......................................................

459

I.

Der Versuch einer „Extinction“ und die Genozid-Konvention..................

460

II. Die Wegnahme der Black Hills im Sioux-Reservat ..................................

462

III. Der Kampf der Western Shoshone und der Schwestern Dann in Nevada.................................................................

466

IV. Fischerei und Walfang-Rechte für die Makah-Indianer ............................

468

V. Der lange Streit der Cayuga Indian Nation.................................................

469

VI. Der langsame Wandel der Politik...............................................................

470

XXIV

Inhaltsverzeichnis Kapitel 4 Anwendbarkeit des Selbstbestimmungsrechts auf die Native Americans und Wege zur innerstaatlichen Umsetzung

A. Völkerrecht als innerstaatliches Recht der USA und Besonderheiten beim Menschenrechtspakt............................................ I.

Die Haltung der USA zu den Menschenrechten.........................................

474 474

II. Innerstaatliche Geltung von Völkerrecht in den USA ................................

476

1. Verfassungsrechtliche Grundlagen........................................................

476

2. Abschluss- und Ausgestaltungskompetenz............................................

477

3. Bindungswirkung und Umsetzung ........................................................

478

4. Das Problem der „non-self-executing treaties“ .....................................

481

III. Geltung des Menschenrechtspaktes............................................................

483

1. Umsetzung und Vorbehalte ...................................................................

483

2. Bedeutung der Vorbehalte.....................................................................

484

a) Position der Regierung der USA ......................................................

484

b) Kritik in der Literatur .......................................................................

485

c) Position des Menschenrechtsausschusses.........................................

487

3. Schlussfolgerung für die Gerichtsbarkeit ..............................................

490

IV. Wirksamkeit des Selbstbestimmungsrechts im innerstaatlichen Recht der USA ............................................................

492

B. Native Americans und das Selbstbestimmungsrecht ....................................

495

I.

Allgemeines…............................................................................................

495

II. Native Americans als Subjekt des Selbstbestimmungsrechts ....................

496

III. Umfang des Selbstbestimmungsrechts der Native Americans....................

499

1. Allgemeines...........................................................................................

499

2. Native Americans und „interner Kolonialismus“ ..................................

500

3. Einschätzung durch die USA.................................................................

502

a) Der Helsinki-Report .........................................................................

502

b) Die Haltung der Präsidenten.............................................................

503

c) Die Staatenvertreter der USA bei der UN ........................................

504

aa) Die Staatenberichte vor dem Menschenrechtsausschuss...........

504

bb) Die Beteiligung in den Working Groups...................................

507

d) Die neue Haltung zum Selbstbestimmungsrecht und die interamerikanische Draft Declaration...............................................

510

Inhaltsverzeichnis

XXV

4. Das Objekt des Selbstbestimmungsrechts der Native Americans.........

512

C. Konkrete Umsetzung und Lösungsmöglichkeiten für die Native Americans ................................................................................

514

I.

Die Souveränität der Native American Nations .........................................

515

1. Anspruch auf Territorium und Ressourcen............................................

516

a) Rückgabe rechtswidrig enteigneten Landes .....................................

516

b) Der Sonderfall Alaska und andere Ansätze von Landrückgabe........

518

c) Das Konzept des „Co-Management“................................................

520

2. Anspruch auf Selbstregierung und das „Tribal Self-Governance Project“ .........................................................

521

a) Umfang der Selbstregierungsrechte..................................................

521

b) Die Einrichtung der Tribal Councils und das Bureau of Indian Affairs .....................................................

522

c) Das Tribal Self-Governance-Project.................................................

524

d) Die Anerkennung des Rechtssystems der indigenen Bevölkerung...............................................................

526

3. Befugnis zu internationalen Kontakten .................................................

527

II. Kulturelle Selbstbestimmung .....................................................................

529

III. Anspruch auf Wiedergutmachung ..............................................................

533

1. Die Entschuldigung als symbolische Wiedergutmachung.....................

533

a) Beispiele für Gesten der Entschuldigung .........................................

533

b) Systematische Erwägungen ..............................................................

536

c) Die Situation in der USA..................................................................

536

2. Entschädigungszahlungen .....................................................................

538

IV. Unterwerfung unter eine internationale Streitschlichtung .........................

541

Kapitel 5 Schlusswort und Zusammenfassung Schlusswort: Ein Ausblick am Beginn einer neuen Völkerrechtsära.........

544

II. Zusammenfassung (in Thesenform) ...........................................................

I.

548

English Summary……….......................................................................................

561

Verzeichnis offizieller Dokumente........................................................................

584

Zeitungsverzeichnis

...........................................................................................

591

Literaturverzeichnis

...........................................................................................

600

Sach- und Personenverzeichnis.............................................................................

628

Abkürzungsverzeichnis abgedr. ACHPR AJIL Allg. Am. Ind. L. Rev. Am. Soc’y. Int’l. L. Proc. Am. U. Int’l. L. Rev. Am. U. L. Rev. Anglo-Am. L. R. APuZ Ariz. J. Int’l & Comp. L. Ariz. L. Rev. Ariz. St. L. J. Arkansas L. Rev. Art. AU Ausf. AVR B.C. Int’l. & Comp. L. Rev. Bd. Berkeley J. Int’l L. BGBl BIA bspw. BVerfGE BYIL CCPR CERD

Abgedruckt African Commission on Human and Peoples’ Rights American Journal of International Law Allgemein American Indian Law Review American Society of International Law Proceedings American University International Law Review American University Law Review Anglo-American Law Review Aus Politik und Zeitgeschichte (Beilage zu „Das Parlament“) Arizona Journal of International and Comparative Law Arizona Law Review Arizona State Law Journal Arkansas Law Review Artikel African Union Ausführlich Archiv des Völkerrechts Boston College International and Comparative Law Review Band Berkeley Journal of International Law Bundesgesetzblatt (Bundesrepublik Deutschland) Bureau of Indian Affairs Beispielsweise Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts British Yearbook of International Law International Covenant on Civil and Political Rights →IPbpR Committee on the Elimination of Racial Discrimination / Ausschuss zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung UN

Abkürzungsverzeichnis Chi. J. Int’l. L. Clev. St. L. Rev. Colum. Hum. Rts. L. Rev. Conn. J. Int’l L. DePaul L. Rev. ders. Doc. Duke L. J. ebda. ECOSOC EG Eig. Herv. EPIL EU EuZW f./ff. FAZ Fn. FR GA Ga. J. Int’l. & Comp. L. Ga. L. Rev. GAOR Great Plains Nat. Resources J. Hamline L. Rev. Harv. Civil Rts. Civil Liberties L. Rev. Harv. Hum. Rts. J. Harv. J. of Legislation Harv. L. R. HRC H.R. Doc. HRLJ hrsg. Hum. Rts. L. Rev. IACHR

XXVII

Chicago Journal of International Law Cleveland State Law Review Columbia Human Rights Law Review Connecticut Journal of International Law DePaul Law Review Derselbe Document / Dokument Duke Law Journal Ebenda / gleichenorts Economic and Social Council / Wirtschafts- und Sozialausschuss Europäische Gemeinschaft Eigene Hervorhebung Encyclopedia of Public International Law Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Folgende Frankfurter Allgemeine Zeitung Fußnote Frankfurter Rundschau General Assembly / Generalversammlung UN Georgia Journal of International and Comparative Law Georgia Law Review General Assembly Official Records Great Plains Natural Resources Journal Hamline Law Review Harvard Civil Rights – Civil Liberties Law Review Harvard Human Rights Journal Harvard Journal of Legislation Harvard Law Review Human Rights Committee (Menschenrechtsausschuss) UN House of Representatives Document Human Rights Law Journal Herausgegeben von Human Rights Law Review Inter-American Commission on Human Rights

XXVIII

Abkürzungsverzeichnis

IACtHR IAGMR

Inter-American Court of Human Rights Inter-Amerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte (IACtHR) International Company and Commercial Law Review International Court of Justice →IGH ICJ Reports International and Comparative Law Quarterly Internationaler Gerichtshof International Journal of Minority and Group Rights (bis 1995 unter International Journal on Group Rights) International Labour Organization ILSA (International Law Students Association) Journal of International and Comparative Law Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte UN Journal of International Legal Studies John Marshall Law Review Jahrbuch für Öffentliches Recht (Neue Folge) Juristische Schulung Juristische Zeitung Kansas Journal of Law and Public Policy Kapitel Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Internationales Jahrbuch für Rechtsanthropologie Law and Inequality: A Journal of Theory & Practice Lexikon des Rechts Melbourne University Law Review Michigan Journal of International Law MenschenRechtsMagazin Mit weiteren Nachweisen North Dakota Law Review New England International and Comparative Law Annual (nur elektronische Ausgabe unter www.nesl. edu/annual/index.htm) Nordic Journal of International Law Numero/Number/Nummer Nummer New York International Law Review

ICCLR ICJ ICJ Rep. I.C.L.Q. IGH IJGMR/IJGR ILO ILSA J. Int’l. & Comp. L. IPbpR J. Int’l. Legal Stud. J. Marshall L. Rev. JöR n.F. JuS JZ Kan. J. L. & Pub. Pol’y Kap. KSZE Law & Anthropology Law & Ineq. LdR Melb. U.L.Rev. Mich. J. Int’l. L. MRM m.w.N. N.D. L. Rev. NEICLA

NJIL No. Nr. N.Y. Int’l. L. Rev.

Abkürzungsverzeichnis NYT N.Y.U. Rev. L. & Soc. Change NZZ OAS OAU Okla. City U. L. Rev. Oreg. L. Rev. OSZE Rdnr. Res. Rutgers L. Rev. S. Sart. S.C.R. SMH sog. Suffolk Transnat’l L. Rev. Syracuse J. Int’l L. & Com SZ Temp. Pol. & Civ. L. Rev. Tulsa J. Comp. & Int’l. Law Tulsa L. J. U. Chi. L. Rev. U. Det. Mercy L. Rev. U. Mich. J. L. Ref. UN UNESCO UNYB U. Pa. L. Rev. US/USA U.S.C. Utah L. Rev. Va. J. Int’l. L. Vand. J. Transnat’l. L. vgl.

XXIX

New York Times New York University Review of Law and Social Change Neue Zürcher Zeitung Organization of American States Organisation African Unity Oklahoma City University Law Review Oregon Law Review Organisation über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Randnummer Resolution Rutgers Law Review Seite Sartorius D Supreme Court Reporter (Canada) The Sydney Morning Herald so genannte(r) Suffolk Transnational Law Review Syracuse Journal of International Law and Commerce Süddeutsche Zeitung Temple Politics and Civil Rights Law Review Tulsa Journal of Comparative & International Law Tulsa Law Journal University of Chicago Law Review University of Detroit Law Review University of Michigan Journal of Law Reform United Nations / Vereinte Nationen United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization United Nations Yearbook University of Pennsylvania Law Review United States of America / Vereinigte Staaten von Amerika United States Code Utah Law Review Virginia Journal of International Law Vanderbilt Journal of Transnational Law Vergleiche

XXX

Abkürzungsverzeichnis

VN VRÜ Weekly Comp. Pres. Doc. WGDD

Vereinte Nationen Verfassung in Recht und Übersee Weekly Compilation of Presidential Documents UN-Working Group on the Draft Declaration on the Rights of Indigenous Peoples UN-Working Group on Indigenous Populations Wisconsin International Law Journal Wiesbadener Kurier Wiener Vertragsrechtskonvention Yale Journal of International Law Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zum Beispiel Ziffer Zitiert Zeitschrift für öffentliches Recht – Austrian Journal of Public and International Law Zusatzprotokoll

WGIP Wis. Int’l. L. J. WK WVK Yale J. Int’l. L. ZaöRV z.B. Ziff. zit. ZÖR ZP

Einleitung Das „Selbstbestimmungsrecht indigener Völker“ – dieses Begriffspaar bezeichnet zwei der modernsten und umstrittensten Bereiche des Völkerrechts, die zudem in einem ganz besonderen Spannungsverhältnis zueinander stehen. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker hat erst in den letzten Jahrzehnten seine differenzierte Kontur gewonnen und ist heute ein viel beschriebenes Instrument zur Organisation des Zusammenlebens von Völkern in Staaten. Indigene Völker hingegen waren jahrhundertelang und bis vor kurzem ein von der Völkerrechtswissenschaft nur marginal behandeltes Subjekt und mehr noch eine von den herrschenden Gesellschaften unterdrückte oder schlicht ignorierte Tatsache. Dass auch indigenen Völkern ein gleichberechtigter Rang mit existierenden Staatsvölkern und dominierenden Gesellschaften zukommen und daraus ein Anspruch zu selbstbestimmter Lebensform erwachsen könnte, gehört zu den erst spät erkannten Wahrheiten, die noch immer breiter Zustimmung harren. Die vorliegende Arbeit will einen weiteren Beitrag zur Anerkennung dieser Wahrheit leisten.

I. Materie und Forschungsstand Dazu müssen im Rahmen dieser Untersuchung mehrere Aspekte umfassend behandelt werden. Um die konkrete Frage nach der Inanspruchnahme des Selbstbestimmungsrechts durch eine bestimmte Kategorie – die indigenen Völker – beantworten zu können, ist zunächst eine Bestandsaufnahme zum Geltungsbereich des Selbstbestimmungsrechts der Völker vorzunehmen. Beim Selbstbestimmungsrecht handelt es sich um ein schon oft und in Schüben wiederkehrend behandeltes Thema, das auch in seinen verschiedenen Facetten beleuchtet worden ist. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker als innerhalb der UN vorangebrachtes Instrument, um die Dekolonisierung einzuleiten und damit eine grundlegende Neugestaltung der Weltkarte zu erreichen, hat seinen Platz in der Geschichte erhalten. Auch in jüngerer Zeit stand das Selbstbestimmungsrecht wieder im Zentrum zahlreicher Konflikte: der Drang nach einem eigenen Staat Palästina oder die Schaffung des unabhängigen Ost-Timor, die Befriedung Nord-Irlands, die Behandlung der Kurden und viele andere Fälle sind Zeugnis davon. Dabei wird es als völkerrechtliches Instrument herangezogen, um ein vermeintliches oder tatsächliches, meist historisch bedingtes Ungleichgewicht bei der Macht-

2

Einleitung

verteilung innerhalb eines Staates zwischen verschiedenen Volksgruppen zu beseitigen oder schlicht das Überleben bestimmter Völker zu sichern bzw. dies wenigstens zu versuchen. Auch im Zusammenhang mit der „deutschen Frage“ und der Wiedervereinigung ebenso wie mit dem Auseinanderbrechen bestehender Staaten insbesondere im Ostblock zu Beginn der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts erfuhr das Selbstbestimmungsrecht in der deutschen Wissenschaft und Öffentlichkeit Aufmerksamkeit. Entsprechend gibt es zum Selbstbestimmungsrecht auch eine unüberschaubare Anzahl von Veröffentlichungen. Das Selbstbestimmungsrecht erwuchs aus einer Zeit in den 1980er Jahren, in der es fast schon in Vergessenheit geraten war, zu einem geradezu als „Modethema“ zu bezeichnenden Forschungsgegenstand. Dies spiegelt sich nicht zuletzt auch an den (deutschsprachigen) Völkerrechtslehrbüchern, die in älteren Auflagen zu Unrecht nur äußerst knapp und dürftig auf dieses Rechtsinstitut eingingen, aber in aktuellen Auflagen teilweise ganze Kapitel – in manchen Fällen auch im Zusammenhang mit indigenen Völkern wie hier – darauf verwenden.1 Zahlreiche Monografien beschäftigen sich entweder mit der historischen Genese des Selbstbestimmungsrechts oder untersuchen mögliche Träger und Rechtsinhalte.2 Zudem sind gerade in den letzten Jahren zahlreiche Arbeiten erschienen, die als Fallstudien mögliche Anwendungen untersuchen. Dies erstreckt sich mehr oder minder über den ganzen Globus, von den bereits erwähnten Beispielen Palästina und Ost-Timor über das viel beleuchtete Tibet bis hin zur Schweizer Jura-Frage.3 Diese beschäftigen sich – zu Recht – ausführlich auch mit der jeweiligen spezifischen historischen und soziologischen Situation ihrer Fallbeispiele, wenngleich einige der Arbeiten dem Selbstbestimmungsrecht selbst auch größeren Platz einräumen. Der fortdauernden Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts entsprechend werden zahlreiche Aufsätze und Monografien als Ergebnis laufender Studien ___________ 1 Vgl. z.B. Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rdnr. 1549 ff. gegenüber der beispielsweise 6. Aufl. von 1987, als der Alleinautor Seidl-Hohenveldern es als „politisches Schlagwort“ (Rdnr. 1162) abtat; vgl. ferner Doehring, Völkerrecht, § 15 Rdnr. 778 ff.; zum Selbstbestimmungsrecht und indigenen Völkern z.B. Heintze, in: Völkerrecht, § 28 Rdnr. 8 ff., 12 ff. 2 Vgl. als Beispiel die grundlegenden Studien von Cassese, Self-Determination of Peoples; Musgrave, Self-Determination; Thürer, Selbstbestimmungsrecht der Völker; zum Volksbegriff ferner Elsner, Bedeutung des Volkes; vgl. auch Sammelwerke von Tomuschat (Hrsg.), Modern Law of Self-Determination; Alston (Hrsg.), Peoples’ Rights; Crawford (Hrsg.), The Rights of Peoples. 3 Zu Palästina: Murlakov, Das Recht der Völker auf Selbstbestimmung im israelischarabischen Konflikt, S. 97 ff., 105 ff., 120 f., 157 ff.; zu Ost-Timor: Drew, 12 EJIL [2001], 651 ff. und Hilpold, 53 ZÖR [1998], 263 ff.; zu Tibet: Schmitz, Tibet und das Selbstbestimmungsrecht und Klein, in: Perspektiven für Tibet, S. 60 ff.; zum Schweizer Jura: Brühl-Moser, Die Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts, S. 307 ff.

I. Materie und Forschungsstand

3

veröffentlicht, die – ähnlich der Bedeutung beispielsweise der humanitären Intervention – dazu beitragen, eine zukunftsfeste und handhabbare Dogmatik zu diesem nur auf den ersten Blick einfach zu formulierenden Recht zu entwickeln.4 Die indigenen Völker sind mittlerweile, bildlich gesprochen, ebenfalls aus ihrem Schattendasein getreten. Gerade die Indianer Nordamerikas, aber nicht nur diese, haben in den letzten Jahren eine – nicht immer unproblematische – kulturelle Renaissance erlebt, die auch zu einer verstärkten Rückbesinnung auf eigene Traditionen geführt hat. Daraus erwuchs in vielen Ländern auch handfester Protest gegen die Marginalisierung dieser Völker, was im Ergebnis vielerorts zu einer gesellschaftlichen Veränderung geführt hat. Interessanterweise bedienten sich viele Aktivisten weniger dem „Protest der Straße“ als gerichtlichen Möglichkeiten, um entstandenes Unrecht anzuprangern. Der „Gang nach Genf“, die versinnbildlichte Inanspruchnahme völker- und menschenrechtlicher Foren, ergänzte die entsprechenden innerstaatlichen Bemühungen. Spektakuläre Bilder aus Nachrichtensendungen, die über unkontrolliert verlaufende ethnische Konflikte berichtet haben – Beispiele sind der Aufruhr in Ost-Timor oder der Kampf der Chiapas in den Wäldern Mexikos so wie es in den frühen Siebzigern die Red Power-Proteste in den USA waren –, brachten diese „Welt“ ebenso nach Europa wie eine zunehmend differenzierte Hintergrundberichterstattung über vergessen geglaubte Völker. Gab es früher oft nur „die Japaner“ oder „die Finnen“, kann man heute auch von den Ainu oder den Sami, aber auch von den Papua in der Provinz Irian Jai in Indonesien oder den Huaorani in Equador lesen.5 Die autochthone Bevölkerung existierender Staaten ist nicht nur bei der UN ein zentrales Thema der Agenda, der Status indigener Völker im Völkerrecht ist vielmehr „eine der bedeutsamsten rechtspolitischen Vorgänge der Gegenwart“.6 Im Zentrum steht dabei die Frage, ob mit „Volk“ tatsächlich ein Volk im völkerrechtlichen Sinne auf möglicherweise gleichberechtigter Stufe mit dem Staatsvolk gemeint ist oder ob es sich bei diesen nur um Minderheiten handelt, die neben gewissen Mindestschutzstandards aus dem Völkerrecht auf den innerstaatlichen Rechtsstatus angewiesen sind. Auch unter dem Stichwort „indigene Völker“ sind in den vergangenen Jahren eine Flut von Publikationen erschienen. Neben einem prominenten Platz in ___________ 4

Beispielhaft Murswiek, Der Staat 1984, 523 ff.; Brilmayer, 16 Yale J. Int’l. L. [1991], 177 ff.; Heintze, Autonomie und Völkerrecht; Fisch, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 11 ff.; Hannikainen, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 79 ff.; Ermacora, AVR 2000, 285 ff.; Crawford, in: Peoples’ Rights, S. 7 ff. 5 Vgl. beispielhaft die in Scheuch, Atlas zur Zeitgeschichte, S. 12 ff. wiedergegebenen Zeitungsartikel. Zu den Irian Jaya in Westpapua aus jüngerer Zeit auch Diggelmann, NZZ Nr. 125 v. 31.05./01.06.2008, S. 5. 6 Gündling/Seelig, LdR, Indigene Völker, 4/463, S. 2.

4

Einleitung

der Belletristik7 und dem gehäuften Erscheinen populärwissenschaftlicher Lexika über beispielsweise Indianer8 haben diese auch in den Wissenschaften Hochkonjunktur. Dabei sind es vor allem sozialwissenschaftliche Fächer wie die Ethnologie, die Politikwissenschaft (mit der Untersuchung ethnischer Spannungen als Ursache für Konflikte), die Soziologie und die Sprachwissenschaften, die sich mit Aspekten indigener Lebensweise und -wirklichkeit auseinandersetzen. Doch auch in der Rechtswissenschaft, wenngleich in deutlich bescheidenerem Umfang, erfahren diese Bevölkerungsgruppen verstärkte Aufmerksamkeit. Haben frühere völkerrechtsgeschichtliche Untersuchungen die Behandlung dieser Völker im Rahmen der Expansion nur unzureichend beleuchtet, gibt es heute sowohl historisch geprägte Untersuchungen9 wie auch Arbeiten, die insbesondere Minderheitenschutzrechte indigener Völker umfassend analysieren.10 Darüber hinaus behandeln zahlreiche Schriften die spezifische Situation und Rechtsstellung einzelner indigener Völker oder einzelne Rechtsfragen nach innerstaatlichem Recht.11 Sowohl die völkerrechtlich als auch an innerstaatlichem Recht orientierten Arbeiten behandeln neben Minderheitenschutzfragen nur selten in umfassender Weise den darüber hinausgehenden Aspekt der Anwendbarkeit des Selbstbestimmungsrechts.12 Mit der vorliegenden Arbeit soll nun gezeigt werden, warum in naher Zukunft die Gruppe der indigenen Völker der vielleicht wichtigste Anwendungsfall für das Selbstbestimmungsrecht sein wird. Dieser Zusammenhang wird meines Erachtens in bestehenden Untersuchungen nicht ausreichend nachgewiesen. Jedenfalls bietet es sich an, diesen Aspekt vor dem Hintergrund eines konkreten Anspruchstellers und dessen Besonderheiten zu verfolgen. Die Indianer in den USA sind aus mehrerlei Gründen ein besonders interessantes Untersuchungssubjekt für eine Arbeit, die nach der möglichen Anwend___________ 7

Genannt seien nur beispielhaft Marlo Morgan, Traumpfade; Dee Brown, Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses; Lame Deer/Erdoes, Tahca Ushte; Crow Dog, Lakota Woman und Ohitika Woman. 8 Z.B. Zimmerman/Molyneaux, Indianer; Thomas u.a. (Hrsg.), Die Welt der Indianer. Geschichte, Kunst, Kultur von den Anfängen bis zur Gegenwart. 9 Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht; Dörr, 24 VRÜ [1991], 372 ff. Ein vor kurzem erschienener Reader fasst wichtige Beiträge aus diesem Bereich in gekürzter Form zusammen: Porter, Sovereignty, Colonialism and the Indigenous Nations: A Reader. 10 Wolfrum, 59 ZaöRV [1999], 369 ff.; Brölmann/Zieck, in: Peoples and Minorities in International Law, S. 187 ff.; Alfredsson, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 125 ff.; eingeschränkter auch Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen. 11 Vgl. etwa Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France; Tiemann, Rechte der Ureinwohner Neuseelands. 12 Eine Ausnahme stellen z.B. Anaya, Indigenous Peoples in International Law; Lâm, At the Edge of State, dar.

II. Erkenntnisinteresse

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barkeit auf und Implikationen des Selbstbestimmungsrechts für eine noch immer benachteiligte Bevölkerungsgruppe oder eben ein „Volk im (Staats-)Volk“ fragt. So gibt es neben der völkerrechtlich interessanten Behandlung der Indian Nations in den frühen Jahrhunderten der europäischen Expansion, die gewisse Unterschiede zu den Erfahrungen andernorts aufweist, eine mittlerweile über zweihundertjährige Rechtsgeschichte innerstaatlicher Versuche, mittels Recht und Gesetz den Status der Indianer zu regeln. Der Anteil indianischer Fälle an der amerikanischen Rechtsprechung auf Bundesebene ist dabei weit überproportional gemessen am Bevölkerungsanteil. Zwar können die Rechtsprechung und auch das Federal Indian Law hier nicht im Einzelnen behandelt werden, es kann jedoch an Einzelfragen der Maßstab sein, um die Entsprechung mit völkerrechtlichen Mindestanforderungen zu überprüfen.13 Zudem – und das macht die USA zu einem idealen Untersuchungsgegenstand und unterscheidet diese auch von der Situation in Kanada14 – hat schon früh der US Supreme Court einen Zusammenhang des innerstaatlichen Rechtsstatus der indigenen Völker zum Völkerrecht hergestellt. Bis heute entbrennt um diesen Zusammenhang und die Einordnung der Rechtsprechung ein Konflikt, was angesichts der skeptischen Zurückhaltung der USA gegenüber völkerrechtlichen Einflüssen und vertraglichen Bindungen nicht überrascht. Diese tatsächliche Ausgangslage macht es noch interessanter, die amerikanische Literatur zum Selbstbestimmungsrecht einzubeziehen und insbesondere auch indianische Autoren auf dem Gebiet des Rechts und deren Interpretation dieses völkerrechtlichen Instruments darzustellen.

II. Erkenntnisinteresse Die oben beschriebene umfangreiche Literaturlage ergibt nur scheinbar eine zufriedenstellende oder erschöpfende Behandlung des Themenkomplexes „Selbstbestimmungsrecht und indigene Völker“. Tatsächlich tragen die erwähnten Fallstudien nur streckenweise dazu bei, die Anwendbarkeit des Selbstbestimmungsrechts auf „neue Fälle“ genauer zu beleuchten. Andererseits zeichnen sich viele der Analysen des Rechtsinstituts selbst dadurch aus, dass sie nur zurückhaltend den gesicherten Bestand zu diesem Recht festhalten. Eine Anpassung des Selbstbestimmungsrechts, um dieses auch für die Anwendungsfälle indigener Völker fruchtbar zu machen, findet sich nur vereinzelt. ___________ 13 Eine hervorragende Übersicht zu aktueller Rechtsprechung und Literatur zum Federal Indian Law findet sich für die vergangenen Jahren und regelmäßig aktualisiert unter www.narf.org/nill/bulletins/ilb.htm. 14 Ausführlich zur rechtlichen Situation der sog. First Nations in Kanada z.B. Kersey, 11 Ariz. J. Int’l & Comp. L. [1994], 429 ff. und hier unter Kap. 2 C. IV. 1.

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Einleitung

Die vorliegende Arbeit unternimmt daher den Versuch, die beiden Pole Selbstbestimmungsrecht und indigene Völker zusammenzuführen und ihr Spannungsverhältnis auszuloten. Dies soll zum Einen die wissenschaftliche Durchdringung des Selbstbestimmungsrechts voranbringen und dieses modern ausgestalten. Die Frage nach einem Sezessionsrecht ist dabei ebenso zu behandeln wie Autonomielösungen; im Ergebnis ist zu zeigen, dass es sich beim Selbstbestimmungsrecht um ein „hierarchisches Recht“ handelt. Zum anderen kann und soll damit der völkerrechtliche Einfluss auf innerstaatliche Beziehungen verschiedener Volksgruppen aufgezeigt und seine befriedende Funktion unterstrichen werden. Zu diesem Ziel haben auch schon andere Autoren beigetragen, es bleibt jedoch meines Erachtens noch genügend Raum auszufüllen. Insbesondere werden deshalb die Indianer der USA als Folie über die Untersuchung gehalten, weil zu diesen eine ebenfalls schon unüberschaubare Literaturlage besteht. Das Federal Indian Law als eigenständiges Rechtsgebiet der USA ist hierzulande – und auch in den USA jedenfalls außerhalb der Vertreter dieser Disziplin15 – viel zu wenig bekannt. Dies liegt wohl daran, dass seine besondere Bedeutung für das Völkerrecht verkannt wird. So wie das Völkerrecht auf die inneramerikanische Situation einwirkt und gewisse Mindeststandards bei der Behandlung dieser indigenen Bevölkerungsgruppe verlangt, so kann umgekehrt die Sondersituation der Indianer einen Beitrag zur genaueren Differenzierung des Völkerrechts im Bereich des Selbstbestimmungsrechts und der Autonomie leisten.16 Die wichtige Rolle, die die UN und dort vertretene Nichtregierungsorganisationen in diesem Prozess gespielt haben, ist ein zentraler Bestandteil dieser Arbeit. Die Erarbeitung einer „Declaration on the Rights of Indigenous Peoples“ (Deklaration über die Rechte indigener Völker) ist dabei nur ein, wenngleich das wichtigste Element. Die Arbeit will dem Defizit in der deutschen Völkerrechtswissenschaft hinsichtlich der Bedeutung indigener Völker in Bezug auf das Selbstbestimmungsrecht abhelfen. Um diesem Anspruch zu genügen, ist auf eine umfangreiche Berücksichtigung der amerikanischen Literatur zum vorliegenden Thema geachtet worden. Damit soll dem Leser aus der hiesigen Forschungswelt der – im Völkerrecht unabdingbare – Blick auf die Ansätze der Disziplin im Ausland ermöglicht werden. Zudem soll klar gemacht werden, dass die Beschäftigung mit indigenen Völkern keine Angelegenheit für Exzentriker ist, sondern an___________ 15 Dies gilt auch für die allgemeine Bevölkerung, denn der „average American citizen is not likely to give much attention to the legal status of Native people“, Kickingbird, in: The Human Rights of Indigenous Peoples, S. 357. 16 Die Arbeit von Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, geht zwar in diesem Sinne an manchen Stellen auf die Wechselwirkung ein, behandelt jedoch gerade das besonders relevante Selbstbestimmungsrecht nur am Rande.

II. Erkenntnisinteresse

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derswo nicht nur Fakultäten, sondern sogar ganze Universitäten damit befasst sind.17 Es stellt sich nun noch die Frage nach dem eigenen Forschungsinteresse und insbesondere warum ein „weißer Nicht-Indianer“ sich eingehend mit durchaus schicksalsträchtigen Fragen – wenn die Antworten zukünftig zumindest ansatzweise berücksichtigt würden – für die Indianernationen beschäftigt. Die Stärke und zugleich Schwäche des Völkerrechts – seine von der Zustimmung und Unterstützung der Staatengemeinschaft abhängige Wirksamkeit – macht dies zu einem spannenden Forschungsfeld. Das Völkerrecht regelt mehr als „nur“ einen zivilrechtlichen Austausch im Alltag und ist zugleich erheblich mehr (Rechts-)Politik als strikt dogmatische Rechtsregel. In einer zusammenwachsenden Welt werden dem Völkerrecht mehr und neue Aufgaben zuteil, als es im vergangenen Jahrhundert schultern durfte. Dieses spannende, weil nicht statische Rechtsgebiet gewinnt noch an Faszination durch sein Potential, mehr Gerechtigkeit herzustellen. Ganz allgemein gesprochen waren und bleiben die Menschenrechte – und damit auch kollektive Rechte wie das Selbstbestimmungsrecht – das schwerste Pfund, mit dem das Völkerrecht wuchern kann. Die grenzüberschreitende Dimension dieses Rechtsgebietes macht es bei einer zumindest europäisch geprägten eigenen Biografie noch mehr zu einem natürlichen Interessenfeld. Nach der (im hiesigen Kulturkreis generell vielleicht am weitesten verbreiteten) auch auf den Autor wirkenden Faszination für den Mythos „Indianer“ – in seiner ganzen verfälschenden Romantik – war die erste juristische Beschäftigung mit dem vorliegenden Untersuchungsgegenstand die Übersetzung einer völkerrechtlichen Studie über die Zulässigkeit von Ölbohrvorhaben auf einem Gebiet, das den Indianern heilig ist.18 Eine Konferenz im Zusammenhang mit dieser Studie besiegelte meine Absicht, der Frage nach dem völkerrechtlichen Rechtsstatus indigener Völker nachzugehen. Glücklicherweise konnte ich an einem Projekt zur vorliegenden Frage mitarbeiten, aus dem eine – englischsprachige – Studie mit einem amerikanischen CoAutor entstand, der Mueller-Wilson Report.19 Die Forschungsaufenthalte bei indianischen Stämmen, die Gespräche mit dem Co-Autor West, die darauffolgenden Diskussionen mit Freunden und Kollegen und nicht zuletzt das weit ___________ 17 Vgl. z.B. die Programme des Native American Law Center am University of Tulsa College of Law, www.utulsa.edu/law/indianlaw, das Indigenous Peoples Law and Policy Program am James E. Rogers College of Law der University of Arizona, www.law.arizona.edu/depts/triballaw/aboutus/aboutus.html oder das Tribal Law and Government Center, www.law.ku.edu/tribal/. 18 Dörr, The Controversy about the Oil Drilling in the Badger-Two Medicine Area, 30 VRÜ [1997], 7 ff. 19 Cole/West, The Right of Self-Determination and its Application to Indigenous Peoples in the USA. The Mueller-Wilson Report.

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Einleitung

verbreitete Interesse und zugleich die Unkenntnis bei Kollegen ausländischer Universitäten an diesem Thema zeigten, dass eine weitere umfassende Studie seine Berechtigung hat. Mit dieser Arbeit soll die Möglichkeit geschaffen werden, dass sowohl die hiesige Völkerrechtswissenschaft als auch interessierte Personen außerhalb der Universitäten die Dimension des Themas erfassen können, womit das sich bereits abzeichnende Anerkennen einer Wahrnehmungslücke noch untermauert werden soll. Da sowohl das Selbstbestimmungsrecht als auch die Indianer der USA wie erwähnt Gegenstand zahlreicher Veröffentlichungen sind, erforderte diese Arbeit eine umfangreiche Literaturrecherche und -auswertung. Manches Mal erkennt man dabei, durchaus frustriert, dass nicht jede Publikation dem Fortschritt der Arbeit hilft, weshalb sie sich auch nicht alle hier widerspiegeln. Dennoch gebührt der Respekt vor bereits Erarbeitetem, dass dieses – soweit nur irgend möglich und dem Umfange nach vertretbar – auch berücksichtigt wird. Die wissenschaftliche Gründlichkeit erfordert gerade bei diesem Thema auch den Einschluss der englischsprachigen Literatur, die sonst hierzulande häufig vernachlässigt wird. Abschließend ist hinsichtlich der erwähnten Motivation zur Beschäftigung mit „unterdrückten“, also lobbyistisch nicht gut vertretenen Bevölkerungsgruppen, noch auf Folgendes hinzuweisen: Natürlich beschäftigt sich eine Arbeit wie die vorliegende zumindest implizit auch mit der Frage nach der Beziehung von Recht und Gerechtigkeit.20 Es wird darum gehen zu zeigen, wie Recht einen Zustand schaffen kann, der „gerechter“ ist als der bestehende. Dabei wird „gerechter“ verstanden als Ausgleich zu den – mit rechtlichen Mitteln begangenen – Unrechtstaten vergangener Jahrhunderte. So lässt sich durchaus zu Recht fragen, ob Bestrebungen indigener Völker nach einer Loslösung aus bestehenden Staaten überhaupt als Sezession gewertet werden könnten: „to characterize indigenous expression of self-determination as secession, it first 21 must be conceded that a nation has been legitimately integrated into a state“.

Dennoch wird der Versuch unternommen, soweit möglich ohne moralische Vorentscheidungen den Weg zu Lösungen zu weisen, die im Interesse aller Beteiligten und dem überragenden Interesse an einem friedlichen Zusammenleben in der Welt stehen.

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Ähnlich zur Problematik indigener Völker und ihrem heutigen Status Alfredsson, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 125, 135. 21 Morris, International Law and Politics toward a right to self-determination for indigenous peoples, www.halcyon.com [eig. Herv.].

III. Gang der Untersuchung

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III. Gang der Untersuchung Aus dem dargestellten Forschungsstand in den Bereichen Selbstbestimmungsrecht und indigene Völker sowie dem beschriebenen Erkenntnisinteresse ergibt sich folgender Aufbau für diese Arbeit.22 Zunächst ist im 1. Kapitel das Selbstbestimmungsrecht umfassend zu analysieren. Es kann zwar in diesem Teil vielfach auf bestehende Untersuchungen aufgebaut werden, eine eigene Positionsbestimmung hinsichtlich der Geltungskraft und des -umfangs ist aber unabdingbar. Insoweit wird nach einem kurzen historischen Abriss die Rechtsqualität als Völkervertrags- und -gewohnheitsrecht untersucht und anschließend die möglichen Träger und der Gehalt dargestellt. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf der Frage ob neben den anerkannten Trägern weitere Anspruchsinhaber in Betracht kommen. Die verschiedenen Rechtsfolgen aus der Anwendbarkeit des Selbstbestimmungsrechts müssen differenziert werden. Es gilt insbesondere die Frage nach einem Sezessionsrecht als Bestandteil des Selbstbestimmungsrechts zu beantworten und dies in eine Beziehung zu den Alternativen, wie zum Beispiel Automielösungen zu setzen. Das 2. Kapitel behandelt den möglichen Selbstbestimmungsrechtsträger „indigenes Volk“. Einer Begriffsbestimmung und Festlegung als eigenständige Rechtskategorie folgt der Blick auf den heutigen Rechtsstatus indigener Völker, wie er sich aus innerstaatlichem und Völkerrecht ergibt. Im 3. Kapitel werden als konkretes Beispiel für indigene Völker die Indianer in den USA behandelt. Zum besseren Verständnis des status quo wird ein geschichtlicher Überblick zur Bevölkerungssituation sowie der politischen und rechtlichen Behandlung gegeben. Daraus folgt der heutige inneramerikanische Rechtsstatus, anhand dessen einige Problemfelder aufgezeigt werden können. Die Anwendung des Selbstbestimmungsrechts auf den konkreten Fall erfolgt im 4. Kapitel. Nach einer Analyse der Geltung des Völkerrechts im Recht der USA, wird dort gezeigt, wie die USA die Anwendbarkeit des Selbstbestimmungsrechts beurteilen. Anschließend wird nachgewiesen, dass die Indianernationen einen bestimmten rechtlichen Status aus der Anwendbarkeit fordern können. Exemplarisch werden mögliche Beispiele für eine Änderung des Status aufgezeigt. Dies erfolgt mit dem Blick auf das Selbstbestimmungsrecht als hierarchisches Recht, das einem Volk das Recht gibt, angemessen und selbst bestimmt am Leben eines Staates teilzuhaben, bevor es bei Missachtung möglicherweise weitergehende Abspaltungsrechte hat. ___________ 22 Hinweis: Aus Gründen der Einheitlichkeit wurden auch bei englischen Zitaten die grafischen Anführungsstriche („“) verwendet. Alle Übersetzungen sind, soweit nicht amtlich, in den erforderlichen Fällen durch den Autor vorgenommen worden. OnlineFundstellen sind letztmals, wenn nicht gesondert angegeben, Ende 2008 geprüft worden.

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Einleitung

Nach einem abschließenden Ausblick sind im 5. Kapitel die wichtigsten Ergebnisse in Thesen gefasst. Es schließt sich eine englische Zusammenfassung der Arbeit an. Der Gegenstand dieser Untersuchung erfordert es, disziplinenübergreifend zu denken und das Völkerrecht auch zukunftsorientiert zu untersuchen. Gerade im Bereich des Selbstbestimmungsrechts ist eine Tendenz zu einer weiteren Anwendung unverkennbar. Diese bewegt sich zwar völkerrechtlich (noch) ein Stück weit unterhalb rechtlicher Verbindlichkeit, ist aber vor dem Hintergrund politischer Entwicklungen bereits heute zu berücksichtigen. Die Materie führt auch dazu, dass – anders als bei der Auseinandersetzung mit einem konkret formulierten Grundrecht und entsprechender Judikatur – ein gewisses Maß an Unbestimmtheit verbleiben muss. Das Selbstbestimmungsrecht ist kein Instrument alltäglicher Anwendung und es fällt daher schwer, die völkerrechtlich notwendige Staatenpraxis hier an einer Vielzahl von Beispielen klarzumachen. Insoweit muss die Arbeit stellenweise, wenngleich dies streng dogmatisch nicht zu befriedigen vermag, zu einem gewissen Grade spekulativ vorgehen. Eine schablonenhaftes Anwendungsmuster für zukünftige Fälle ist nicht möglich. Dennoch kann – so soll diese Arbeit zumindest zeigen – bereits heute die Anwendbarkeit und die Konsequenzen des Selbstbestimmungsrechts für indigene Völker dargestellt werden. Erst der weitere Verlauf der Geschichte wird über die Richtigkeit dieser Schlüsse ein Urteil erlauben. Wenngleich die ersten Kapitel der Arbeit über den Fall der US-amerikanischen Indianer hinaus Geltung beanspruchen, wird im Interesse des konkreten Anwendungsfalles die Position der USA soweit notwendig gesondert berücksichtigt. Im 4. Kapitel der Arbeit können dennoch nur ausschnitthaft die möglichen Rechtsfolgen für den spezifischen Anwendungsfall untersucht werden, wobei versucht wird, die völkerrechtlichen Schlüsse mit den in der amerikanischen Literatur gemachten Vorschlägen zu verbinden und auch die Einsichten zu berücksichtigen, die aus der Zusammenarbeit mit betroffenen Personen vor Ort und den dazugehörigen Reiseeindrücken entstanden sind. Schließlich kann diese Arbeit nicht für einzelne Indianerstämme in ihrer heutigen Gestalt die Anwendbarkeit und die möglichen Schlussfolgerungen im spezifischen Fall beleuchten. Solche Arbeit gehört zum Betätigungsfeld von Ethnologen und Soziologen, die dem Völkerrechtler die Basis liefern können, um die hier vertretenen rechtlichen Folgen anzuwenden. Die von mir aufgezeigten Lösungswege beanspruchen keine Endgültigkeit, mögen aber eine Richtung aufzeigen, in der nationale souveräne Staaten historische Probleme auf völkerrechtlich verträgliche Weise angehen und einer Lösung zuführen können. Dies fordert die Verantwortung unserer Staatenwelt nicht nur zukünftigen Generationen gegenüber, sondern auch der Respekt vor der „Menschlichkeit“ vergangener Generationen. Dieser Prozess hat in nicht

III. Gang der Untersuchung

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unerheblichem Umfang in den letzten Jahren an Fahrt gewonnen und im Jahr 2000 ist nicht nur das Permanente Forum für indigene Völker bei der UN geschaffen worden. Es ist auch Teil des Jahrzehnts der indigenen Völker, hat in Australien im Zusammenhang mit den Olympischen Sommerspielen zu einer Art „Entschuldigung“ für vergangenes Unrecht an den Aborigines durch die Regierung geführt, wenngleich Entschädigungsforderungen weitgehend erfolglos blieben. Sogar in den USA, die diesbezüglich bisher strengste Zurückhaltung geübt hat, wurde durch den Assistant Secretary des Bureau of Indian Affairs (BIA), Kevin Gover, selbst indianischer Herkunft, zum – soweit ersichtlich – ersten Mal in der Geschichte durch einen offiziellen Regierungsbeamten bei den Feierlichkeiten zum 175. Jahrestag des BIA eine Entschuldigung im Namen dieser Nation ausgesprochen und zumindest angetanes Unrecht zugegeben.23 Mit der Jahrtausendwende ist damit vielleicht der erste Schritt hin zu einem „healing treaty“ zwischen der amerikanischen Mehrheitsbevölkerung und der indigenen Bevölkerung getan, der bereits ansatzweise in verschiedenen Abkommen zwischen einzelnen Indianerstämmen und der Regierung verwirklicht und in der Literatur, so z.B. von West,24 vorgeschlagen worden ist.

___________ 23 Vgl. Gover, 25 Am. Indian L. Rev. [2001], 161 ff., wobei er ausdrücklich im Namen der BIA, nicht der USA insgesamt sprach, vgl. S. 162. 24 West, in: The Right of Self-Determination, S. 67, 88 ff.

Kapitel 1

Das Selbstbestimmungsrecht der Völker Zum Selbstbestimmungsrecht der Völker existiert eine Myriade von Texten und Literatur. Im modernen Völkerrecht gehört dieses Rechtsinstitut zu den am meisten in unterschiedlichster Anwendungsweise in Bezug genommene. Dementsprechend liegen zahlreiche Untersuchungen zum Selbstbestimmungsrecht als Rechtsfigur und einzelnen konkreten Fallbeispielen vor. Dabei ist aber festzustellen, dass wenig Einigkeit über den Umfang des Rechts und seine möglichen Träger besteht. Daher ist es unerlässlich, dass im Rahmen dieser Arbeit das eigene Verständnis dieses Rechts dargestellt wird, was wiederum nur möglich ist, wenn eine eingehende Analyse der relevanten Völkerrechtsinstrumente und auch eine intensive Auseinandersetzung mit den bereits vorliegenden Untersuchungen, jedenfalls soweit sie um eine eigene Diskussion des Rechts und nicht nur eine schlichte Bezugnahme auf Bestehendes bemüht sind, vorgenommen wird. In einem ersten Schritt sind die historischen Grundzüge darzustellen, wozu auch der Wandel des Rechts von seiner ursprünglichen philosophischen Grundlage bis zur modernen Vielgestaltigkeit zählt. Entscheidend ist es herauszuarbeiten, ob das Selbstbestimmungsrecht der Völker heute ein verbindlicher Rechtssatz ist oder lediglich eine politische Idealvorstellung, aus der die potentiellen Träger keine Ansprüche herleiten können. Neben den in Frage kommenden Trägern wird auch untersucht, welchen konkreten Gehalt das Recht hat, also welche möglichen Rechtsfolgen bei einer Anwendbarkeit in Betracht kommen. Um diese Darstellung abzurunden, wird das Spannungsfeld dargestellt, in dem sich das Selbstbestimmungsrecht im Verhältnis zu anderen grundlegenden völkerrechtlichen Regeln bewegt und auch anhand einiger jüngerer Anwendungsbeispiele illustriert. Schließlich kann bereits in diesem Kapitel aufgezeigt werden, welche Handlungsoptionen zur Erfüllung eines Selbstbestimmungsanspruchs bestehen und welche eine friedliche Erfüllung innerhalb bestehender Staatensysteme ermöglichen. Innerhalb der rechtlichen Analyse des Geltungsumfangs spielt für das Völkergewohnheitsrecht neben der nur in Ansätzen vorhandenen Staatenpraxis insbesondere die opinio juris eine bedeutsame Rolle. Beim Völkervertragsrecht lässt sich anhand der Umsetzung von Vorschriften, die auf das Selbstbestim-

A. Historische Entwicklung und grundlegende Dokumente

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mungsrecht bezogen sind, sehr genau die Geltung nachweisen. Da es sich beim Selbstbestimmungsrecht um ein dynamisches Rechtsinstitut handelt, wird in einem Ausblick dieses Abschnitts anhand einiger Parallelbeispiele gezeigt, welchen Wandel das Völkerrecht durchläuft und wie sich dies auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker auswirken kann. Mit diesem Vergleich lässt sich die noch relativ neue Befassung des Völkerrechts mit den indigenen Völkern, die Gegenstand der folgenden Kapitel der Arbeit ist, besser nachvollziehen.

A. Historische Entwicklung und grundlegende Dokumente Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist ein sehr komplexes Gebilde, dessen heutiger Inhalt und rechtliche Bedeutung nur vor dem geschichtlichen Hintergrund vollständig verständlich werden.1 Deshalb wird im Folgenden in der gebotenen Kürze auf die philosophischen und politischen Wurzeln eingegangen, um anschließend die Entwicklung bis zum heutigen Tag nachzuzeichnen. Auf dieser Grundlage kann dann eine rechtliche Analyse des status quo stattfinden.

I. Die Basis: Ideen der philosophischen Vordenker Die Grundlage für ein System der Selbstbestimmung liegt in der Vorstellung der Gleichheit von Menschen, weil nur diese eine Begründung gegen Fremdbestimmung durch einen Ungleichen, d.h. beispielsweise gesellschaftlich oder in der Autoritätsstufe höher anzusiedelnden Menschen, liefern kann. Dabei liegt es nahe – ohne dies näher ausführen zu können – auf die westlich geprägte Denkschule der Gleichheit zurückzugreifen. Das „Herzstück“ des hier besprochenen Selbstbestimmungsprinzips, die Vorstellung der Gleichheit der Menschen, hat zwei verschiedene Ursprünge und Strömungen, aus denen es sich entwickelt hat: zum einen die griechisch-römische Philosophie,2 zum anderen aber auch eine asiatisch-afrikanisch geprägte Idee.3 Auf die Ausprägungen der Philosophie der Gleichheit muss nicht näher eingegangen werden, es genügt ein ___________ 1

So auch z.B. Thürer, AVR 1984, 113, 114. Zu antiken Erscheinungsformen von Selbstbestimmung vgl. Chou-Young, Das Selbstbestimmungsrecht als eine Vorbedingung, S. 45 ff., der auch davon ausgeht, dass in den meisten kleinen politischen Gemeinschaften der Frühzeit wie den griechischen Stadtstaaten bereits ein Selbstbestimmungsrecht zur Geltung kam. 3 Dies ist interessant im Zusammenhang mit der Anwendung des Selbstbestimmungsrechts auf indigene Völker, vgl. zustimmendes Votum des Richters Ammoun in ICJ Rep. 1971, 16, 77 f. – Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970), Advisory Opinion. 2

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Kapitel 1: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker

Ansetzen am Ende des 18. Jahrhunderts, als sich dieses Prinzip revolutionär bemerkbar machte. 1. Revolutionäre Bestrebungen am Ende des 18. Jahrhunderts Das Selbstbestimmungsrecht kam – ohne dass es explizit oder im heutigen Verständnis genannt wurde – zum ersten Mal während der amerikanischen Unabhängigkeitsbestrebung und der französischen Revolution am Ende des 18. Jahrhunderts zum Tragen. In der Ideenwelt der Aufklärung verankert, die zum ersten Mal Gruppenrechte wie z.B. die Religionsfreiheit formulierte, äußerte sich das Selbstbestimmungsrecht hier in seiner demokratischen Variante. Es stellt das „internationale Korrelat zum Prinzip der Volkssouveränität“ dar, wonach jedes Volk das Recht hat, über sein Schicksal zu entscheiden, also auch die entstehende amerikanische Nation nach außen gegen das englische Mutterland.4 Die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 formulierte das Recht des Volkes auf Befreiung von einem Regime, das nicht mehr vom „consent of the governed“ getragen sei.5 Da sich diese Befreiung zugleich im Bestreben nach Loslösung von England äußerte, kann darin der „Prototyp des Selbstbestimmungsrechts im Sinne der Sezession“6 gesehen werden.7 Auch die französische Revolution8 war hauptsächlich getragen vom Bestehen auf eine Regierung, die dem Volk gegenüber verantwortlich ist.9 Hier äußert sich also ebenfalls der Aspekt der Volkssouveränität, wobei insbeson-

___________ 4

Thürer, AVR 1984, 113, 115. Vgl. bei Decker, Das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, S. 76 f. und Thürer, Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 15. 6 Thürer, Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 16; ebenso Fink, JZ 1998, 330, 335. 7 Beachte aber den richtigen Hinweis von Müller, Der „2+4“-Vertrag und das Selbstbestimmungsrecht, S. 93 f., wonach „right of self-determination“ im Zusammenhang mit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung noch nicht auftaucht, der aber selbst zu dem – wohl überwiegend anerkannten – Schluss kommt, dass sich in den Deklarationen zur Zeit der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung (Virginia Bill of Rights, danach in der Unabhängigkeitserklärung) und der Vorphase der Französischen Revolution die zugrunde liegende Idee der „Freiheit von fremder Herrschaft“ zum ersten Mal im Sinne eines Ursprungs des modernen Verständnisses vom Selbstbestimmungsrecht verdichtet. 8 Klein, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 12 u. v.a. S. 15 sieht hauptsächlich die Ereignisse im Zusammenhang mit der Französischen Revolution als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts, die amerikanische Unabhängigkeitsbestrebung hingegen sieht er eher als Widerstandsrecht. 9 Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 11: „The core of the principle lies in the American and French insistence that the government be responsible to the people“. 5

A. Historische Entwicklung und grundlegende Dokumente

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dere auch territoriale Fragen nur durch Zustimmung des Volkes in Form von Plebisziten gelöst werden sollten.10 2. Das Aufkommen des Nationen-Verständnisses Im Mittelalter war das Volk noch keine politische Größe und erst im 19. Jahrhundert ändert sich diese Sichtweise, als im Nachgang zu den revolutionären Ereignissen der vorigen Jahrhundertwende sich ab 1848 ein politischer Volksbegriff im Zusammenhang mit dem Nationalitätsprinzip durchsetzt: Nach Mancini sollte jede Nation einen eigenen Staat bilden und jeder Staat eine Nation umfassen.11 In diesem „nationalen“ Selbstbestimmungsrecht, das noch nicht so genannt wurde, entwickelte sich das jeweilige Volk als „ethnischkulturelle Individualität“.12 In welchem Umfang bei diesem sich durchsetzenden Prinzip auch das internationale Verständnis einer wie auch immer gearteten Selbstbestimmung für Völker enthalten war, zeigt sich an der Definition Lasalles, der auch den Bezug zur Demokratie herstellt: „Wie sehr man auch über den speziellen Inhalt des Begriffs der Demokratie auseinandergehen möge, [...] auf einen allgemeinsten Begriff reduziert, nichts anderes bedeutet als: Autonomie, Selbstgesetzgebung des Volkes nach innen. Woher aber sollte diese Recht auf Autonomie nach innen kommen, wie sollte es nur gedacht werden können, wenn ihm nicht zuvor das Recht auf Autonomie nach außen, auf freie, vom Ausland unabhängige Selbstgestaltung seines Volkslebens vorausginge! Das Prinzip der freien unabhängigen Nationalität ist also die Basis und Quelle, die Mutter und Wurzel des Begriffs der Demokratie überhaupt“.13

___________ 10 Dass diese Plebiszite keinesfalls in einem freiheitlichen Sinne durchgeführt wurden, darauf weist Thürer, Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 16 ff m.w.N., aber auch hin. 11 So Mancini in seiner Antrittsvorlesung von 1851, „Della nationalita come fondamento del diritto della genti“ (zit. nach Decker, Das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, S. 70, Fn. 15). Dass sich bei dieser Gleichsetzung von Staat und Nation (i.S.e. Volkes) nur die jeweils stärkere „Nation“ eines Staates würde durchsetzen können, lag auf der Hand; ähnlich: Leder, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 6. 12 Thürer, AVR 1984, 113, 116. Eine weitere Definition aus dieser Zeit stammt von Bluntschli, Allgemeine Staatslehre, S. 107: „Jede Nation ist berufen und berechtigt, einen Staat zu bilden. Wie die Menschheit in eine Anzahl von Nationen geteilt ist, soll die Welt in ebenso viele Staaten zerlegt werden. Jede Nation ist ein Staat. Jeder Staat eine Nation.“ Dabei bedeutete nach Thürer, Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 21 Fn. 8, Nation nicht Staat oder Staatsvolk, „sondern eine vom Staat verschiedene kulturellvölkische Gemeinschaft“. 13 Lasalle, „Der italienische Krieg“, 1859, in: Gesammelte Reden und Schriften, 1. Bd., S. 31 (zit. nach Leder, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 6 [eig. Herv.]).

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Kapitel 1: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker

1865 schließlich, in der Ersten Sozialistischen Internationale, taucht der Begriff „Selbstbestimmungsrecht“ in einem internationalen Dokument auf.14 In seiner heutigen Bedeutung gewinnt es aber wohl erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts und vor allem mit Beendigung des Ersten Weltkriegs Gestalt.

II. Die Entwicklung bis zum Ersten Weltkrieg 1. Frühe Theoretiker des staatlichen Selbstbestimmungsrechts Anfang des Jahrhunderts wurde auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Rechtsfigur geboren und als „erster Theoretiker“ kann der Österreicher Karl Renner gelten.15 Doch bei ihm und vielen seiner Zeitgenossen hat die Problematik vor allem eine innerstaatliche Dimension in Vielvölkerstaaten. Ein weiterer früher Theoretiker, der auch die zentralen Probleme der Frage nach Rechtsträger und Inhalt bereits erkannte, war Walther Burckhardt, der 1919 schrieb: „Wenn in einem Staate das Volk zur politischen Reife gelangt und sich fähig fühlt, seine Angelegenheiten selbst zu verwalten, entledigt es sich seiner Vormünder und 16 nimmt die Leitung der Staatsgeschäfte in die eigene Hand und regiert sich selbst“.

2. Die sozialistische Auffassung Umfassend diskutiert und ausgearbeitet wurde das Selbstbestimmungsrecht der Völker als „sozialistisches Selbstbestimmungsrecht der Völker“.17 Das Selbstbestimmungsrecht der Völker der Nationen in einer anderen Hinsicht war theoretisch v.a. von Lenin und Stalin verwendet worden. Daraus entwickelte ___________ 14 Vgl. Artikel 9 des Programms vom 27.09.1865 der Ersten Internationalen: „[...] Polen das Selbstbestimmungsrecht gesichert wird, das jeder Nation gehört“ (zit. nach Decker, Das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, S. 153; auch in Thürer, Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 23, Fn. 15). 15 So Kimminich/Hobe, Völkerrecht, S. 112 und ebda., Fn. 85, mit Hinweis auf dessen Werk „Das Selbstbestimmungsrecht der Nationen“ (1. Aufl. von 1902, erst 1918 unter eigenem Namen in 2. Aufl.), welches sie als erstes wissenschaftliches Werk über das Selbstbestimmungsrecht qualifizieren. 16 Burckhardt, „Über das Selbstbestimmungsrecht der Völker“, 1919 (zit. nach Thürer, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 34, 36 f.). 17 Auf die marxistisch-leninistische Auffassung des Selbstbestimmungsrechts wird in der vorliegenden Arbeit nicht weiter eingegangen, da dieser Bereich im heutigen Verständnis nur noch historische Bedeutung hat. Es wird auf die entsprechende Literatur verwiesen, einen guten Überblick zum Thema bietet z.B. Meissner, in: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die deutsche Frage, S. 89 ff. und in Bezug auf die Politik gegenüber Deutschland Meissner, in: FS Schiedermair, S. 953 ff.

A. Historische Entwicklung und grundlegende Dokumente

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sich dann eine eigene kommunistische Doktrin, die mittlerweile – auch in ihren Bezügen zum Völkerrecht – als überholt und historisch angesehen werden kann. Dennoch soll sie erwähnt werden, da sie zumindest für eine Übergangszeit rechtliche Bedeutung hatte.18 Das von Lenin 1917 entworfene Dekret über den Frieden enthielt ein Annexionsverbot und Sezessionsrecht. Die von Stalin und Lenin erarbeitete Deklaration der Rechte der Völker Russlands von 1917 enthielt ausdrücklich das Recht auf freie Selbstbestimmung bis zur Lostrennung und Bildung eines unabhängigen Staates. Diese Bestimmung fand sich auch später in Art. 17 der Sowjetischen Unionsverfassung von 1936, obgleich sie praktisch nie wirklich durchsetzbar war. Schon 1913 hatte Stalin die Nation als Trägerin des Selbstbestimmungsrechts identifiziert und das „Recht auf Selbstbestimmung“ folgendermaßen definiert: „Die Nation kann sich nach eigenem Gutdünken einrichten. Sie hat das Recht, ihr Leben nach den Grundsätze der Autonomie einzurichten [...]“.19

In seiner Sicht wurde aber, wie in der gesamten sowjetischen Konzeption, dieses Recht eingeschränkt durch die Interessen des Proletariats, d.h. es sollte nationale Selbstbestimmung nur soweit geben, wie sie der Verwirklichung des Weltkommunismus diente. Dass später in der Sowjetunion beispielsweise durch den Einmarsch in Afghanistan auch die leninistische Konzeption des Selbstbestimmungsrechts fallengelassen wurde, sei hier nur am Rande erwähnt.20 Dennoch sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass das „sozialistische“ Selbstbestimmungsrecht in seiner frühen Ausformung in der „Oktoberrevolution die bisher umfassendste Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts ... [war, und es für die damalige Zeit] in den Rang eines allgemeinen Prinzips des Völkerrechts gehoben“ hat.21 Außerdem kann schon hier darauf hingewiesen werden, dass das Selbstbestimmungsrecht als Prinzip auf Drängen der damaligen Sowjetunion in die UN-Charta Eingang gefunden hat und sich von dort zu einem Rechtsinstitut des Völkerrechts weiterentwickeln konnte.22 ___________ 18

So auch Klein, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 21; ähnlich BrühlMoser, Die Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts, S. 22: „In diesem Konnex [Friedensverträge zwischen RSFSR und den neugegründeten Staaten im Westen, v.a. im Baltikum, Anm. des Autors] muß wohl dem Selbstbestimmungsrecht der Völker der Status einer partikulären Völkerrechtsnorm zugebilligt werden“, kritisch dennoch ebda. zur weiteren Anwendung in der Sowjetunion als „außenpolitisches Kampfinstrument“. 19 So Stalin in seiner Schrift „Der Marxismus und die nationale Frage“ (zit. nach Thürer, Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 25); vgl. dazu auch Meissner, in: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die deutsche Frage, S. 89, 91. 20 Vgl. dazu z.B. Meissner, in: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die deutsche Frage, S. 89, 105 f. 21 Thürer, AVR 1984, 113, 116 f. 22 Zur fördernden Rolle der Sowjetunion zur Einbeziehung des Rechts, obwohl sie es selbst regelmäßig missachtete, vgl. Meissner, in: FS Schiedermair, S. 953, 955.

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Kapitel 1: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker

III. Von der Völkerbundära bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges 1. Das Konzept des US-Präsidenten Wilson Der US-amerikanische Präsident Woodrow Wilson entwickelte gegen Ende des Ersten Weltkrieges eine eigene Selbstbestimmungsdoktrin als Ausdruck westlich-liberaldemokratischer Ideale.23 Diese stand im Gegensatz zur sozialistisch geprägten Konzeption Lenins, obgleich Wilson von der Russischen Revolution und den damit zusammenhängenden Ereignissen beeinflußt war.24 Wilson leitet Selbstbestimmungsrecht im Sinne des „self-government“ ein,25 ergänzt dies aber durch eine externe Komponente, als er es im Zusammenhang mit dem absehbaren Ende des Ersten Weltkriegs weiterentwickelt. Bereits in der Friedensbotschaft vom 22.1.1917 an den Senat umschreibt er das Selbstbestimmungsrecht ohne es explizit zu nennen,26 später am 8.1.1918 in einer Botschaft an den Kongress nennt er 14 Punkte als Symbol des „moral climax of this final war for human liberty“, in denen verschiedene Ausformungen des Selbstbestimmungsrechts als Grundlage der staatlichen Neuordnung in Europa nach Ende des Krieges zu finden sind.27 Die Vorstellung Wilsons verwässerte schnell und in den endgültigen Friedensverträgen28 blieb davon „nicht mehr viel übrig“29, dennoch hatte sein Konzept vereinzelte Auswirkungen, insbesondere in Form von Minderheitenschutzbestimmungen, die sich in der Völkerbundära nach dem Ersten Weltkrieg entwickelten.30 In dieser Phase nach dem Weltkrieg wurde in einigen Verträgen festgelegt, dass durch Volksabstimmun___________ 23

Ausf. dazu Pomerance, 70 AJIL [1976], 1 ff. Vgl. Thürer, Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 27. 25 Vgl. Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 19. 26 Wilson benutzt die Formulierung, dass „jedes Volk die Freiheit besitzen sollte, seine eigene politische Ordnung, seine eigene Art der Entwicklung zu bestimmen [...]“ (zit. nach Decker, Das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, S. 109). 27 Dazu Thürer, Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 28; Decker, Das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, S. 110. 28 Allgemein kritisch zur Anwendung des Selbstbestimmungsrechts nach Kriegen: Fisch, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 11, 21: „Wer sich auf einen Krieg einlässt, muss sich auch auf dessen Folgen einlassen“, weshalb ein unterlegener Staat, „verlorene“ Gebiete nicht per Volksabstimmung zurückerhalten könne. Diese Argumentation leuchtet zwar auf den ersten Blick ein, verkennt aber, dass andersartige Friedensregelungen (mit entsprechenden Grenzverschiebungen) die Gefahr unterdrückten Aufbegehrens verursachen, das sich später im offenen Widerstand entlädt (ein Beispiel hierfür sind gerade die Entwicklungen in der Folgezeit des Ersten Weltkrieges, in dessen Zusammenhang Fisch seine These bringt). 29 Thürer, Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 31. 30 Pomerance, 70 AJIL [1976], 1, 24 ff. 24

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gen die staatliche Zugehörigkeit zu einem staatlichen Gemeinwesen festzulegen sei. Es lässt sich gut vertreten, dass in dieser Zeit eine Funktion des Selbstbestimmungsrechts als partikuläres Völkerrecht in Form eines „jus seccessionis“ anerkannt war, das die Funktion hatte, Territorien dem einen oder anderen Staat zuzuweisen.31 Die hauptsächliche Kritik gegen die Konzeption Wilsons jedoch, der mit bedeutungsvollen Worten das Selbstbestimmungsrecht international einführte, liegt in der vagen Ausgestaltung seiner Idee32 und der fehlenden Überlegung zur Anwendung im europäischen Kontext vor dem Hintergrund auseinanderbrechender Großreiche.33 2. Ausgestaltung in der Völkerbundära a) Fehlende Umsetzung in der Völkerbundsatzung Wilsons ursprüngliche Idee, das Selbstbestimmungsrecht in die Völkerbundsatzung aufzunehmen, scheiterte am Widerstand der meisten anderen Staaten, so dass er von dieser Vorstellung Abstand nahm.34 Aber noch im zweiten Entwurf der Satzung hatte Wilson einen Vorbehalt beim Prinzip der territorialen Integrität vorgesehen, wonach möglicherweise Territoriumsverschiebungen auf der Grundlage des „Principle of self-determination“ nötig werden könnten.35 Letztlich scheiterte auch dieser Versuch wegen der Weigerung der Siegermächte, das Prinzip auf ihre eigenen Gebiete anzuwenden.36 Die Satzung enthielt in der verabschiedeten Fassung lediglich in Art. 22 ein Mandatssystem für türkische und deutsche Überseegebiete, was implizit auf die Vorstellung einer Selbstbestimmung für die Bevölkerung dieser Gebiete hinweist.37 ___________ 31

Ermacora, in: Menschenrechte und Selbstbestimmung unter Berücksichtigung der Ostdeutschen, S. 9, 11. 32 Vgl. dazu nur Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 22 und dessen Hinweis auf Wilsons Secretary of State Lansing, der selbst davon sprach, dass „the phrase is simply loaded with dynamite“ (zit. nach Cassese, ebda., Fn. 32); Kimminich, in: The living law of nations, S. 249, 252 weist dagegen darauf hin, dass Lansings Ansicht, Wilsons Idee werde nach dem Krieg zu viel Blutvergießen führen, überholt sei. Vielmehr sei im Rückblick klar, dass die Unterdrückung oder Verfälschung dieses Rechts zur folgenden Tragödie geführt habe. 33 Vgl. zu dieser Kritik auch Decker, Das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, S. 113 f. 34 Pomerance, 70 AJIL [1976], 1, 22 ff.; Musgrave, Self-Determination and National Minorities, S. 29. 35 Partsch, in: United Nations: Law, Policies and Practice, Rdnr. 6. 36 Musgrave, Self-Determination and National Minorities, S. 30. 37 Vgl. dazu Musgrave, Self-Determination and National Minorities, S. 31.

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b) Der Åland-Inseln-Fall Ein für die Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts ganz zentrales Ereignis während der Völkerbundära bedarf einer näheren Betrachtung: der Streit um die Åland-Inseln,38 der als erster von einem Schiedsgericht bearbeiteter Fall ausführliche Überlegungen zum Selbstbestimmungsrecht enthält. Die ursprünglich zu Schweden gehörende Inselgruppe war zusammen mit dem restlichen Finnland 1809 an Russland abgetreten worden. Mit der Unabhängigkeit Finnlands 1917 strebte die Bevölkerung der Inselgruppe wieder nach Schweden und zwei Referenden ergaben ein deutliches Votum. Finnland hingegen beanspruchte die Inselgruppe als Teil seines Staatsterritoriums. Nachdem die Angelegenheit vor dem Völkerbundrat erörtert wurde, beauftragte dieser zur friedlichen Klärung der Frage eine Kommission, um darüber zu entscheiden, ob es sich um eine innerstaatliche Angelegenheit handle oder sich die Bevölkerung der Åland-Inseln auf das Völkerrecht berufen könne. Unter dem Vorsitz Max Hubers erstellte 1920 die dreiköpfige Juristenkommission ein Gutachten, in dem das Selbstbestimmungsrecht als ein „Prinzip“ bezeichnet wird, das in bestimmten Situationen Anwendung finde, aber nicht zu echten Rechtsansprüchen führen könne, weil die Völkerbundsatzung das Selbstbestimmungsrecht noch nicht als einen völkerrechtlichen allgemeingültigen Rechtssatz anerkannt habe.39 Andererseits gebe es jedoch Fälle, in denen dieses Anwendung finde, so auch wenn ein Staat wie im vorliegenden Falle (nach der Unabhängigkeit) noch keine souveräne Territorialgewalt über ein bestimmtes Gebiet erlangt habe. Im Ergebnis bejahte die Kommission eine Zuständigkeit vor dem Hintergrund des Selbstbestimmungsprinzips. Die daraufhin eingesetzte Berichterstatterkommission sollte für den Völkerbundrat die konkreten Folgen für den Streit entscheiden.40 Diese Kommission bewertete die staatliche Souveränität Finnlands anders und billigte diesem Staat daher die Entscheidungskompetenz über den Status der Inseln zu. Dies gelte jedoch nur, wenn ein effektiver Minderheitenstatus für die Inselbevölkerung eingerichtet werde, weil dieser andernfalls ein Sezessionsrecht zustehe. Der so gefundene Kompromiss wurde vom Völkerbundrat im Juni 1921 gut geheißen und in der Folge erließ Finnland für die ÅlandInseln ein Autonomiestatut, das vertraglich mit Schweden festgelegt wurde.41 ___________ 38 Zum Sachverhalt ausführlich Musgrave, Self-Determination and National Minorities, S. 32 ff. 39 Gutachten abgedr. bei Steiner/Alston, International Human Rights, S. 1257 ff. 40 Bericht der Kommission abgedr. bei Steiner/Alston, International Human Rights, S. 1260 ff. 41 Vgl. dazu Brühl-Moser, Die Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts, S. 34, wonach der Völkerbundsrat am 24.6.1921 im Sinne der Kommission entschied: „So hatte Finnland sein externes Selbstbestimmungsrecht bewahren können [indem es die Åland-Inseln trotz anderslauternder Plebisizite behalten durfte; Anm. d. Autors], wäh-

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Eine differenzierte Auseinandersetzung mit den beiden Gutachten und der darin bereits angelegten Vermutung, dass sich Ergebnis bezüglich des Selbstbestimmungsrechts als Recht in Zukunft sehr wahrscheinlich etwas ändere, findet sich bei Cassese42, der unter anderem feststellt: „[...] that the two bodies of the league of Nations [...] clearly perceived and emphasized the political importance of self-determination. Furthermore, they envisaged the possible resort to self-determination in cases where the alternative solution to its implementation, namely protection of minorities, should prove absolutely unworkable because of the oppressive attitude of a State towards minority groups“.43

3. Weitere Entwicklung Bis zum Zweiten Weltkrieg wurde zwar in Einzelfällen durch Plebiszite dem Willen bestimmter Territorialbevölkerungen bei ihrer Zuordnung zu einem Staat entsprochen. Die ambitionierte Vorstellung einer Umsetzung des Selbstbestimmungsgrundsatzes wurde aber vor allem in der Nachkriegszeit der Jahre 1919/20 fortwährend „vom Machtprinzip durchkreuzt und durchbrochen“44. Damit konnte das Selbstbestimmungsrecht nicht zu einer allgemeinen Völkerrechtsregel werden.45 Die Zeit des Zweiten Weltkrieges selbst bringt bezüglich des Selbstbestimmungsrechts keine neuen Erkenntnisse, da es in jenen Jahren keine Anwendung fand. Auch die Verwendung des Begriffs durch die Nationalsozialisten im Dritten Reich war nur eine missbräuchliche Etikettierung menschenverachtender Politik.46 Während des Zweiten Weltkriegs entwarfen jedoch der US-Präsident Roosevelt und der britische Premier Churchill 1941 die Atlantik-Charta, die schon erste Überlegungen zur Neuordnung der Staatenwelt in der Nachkriegszeit enthielt. So wurde unter anderem angedeutet, dass nach dem Ende des Krieges beim Erstellen einer Friedensordnung nach den Prinzipien des Selbstbestimmungsrechts verfahren werden sollte.47 Obwohl über 50 ___________ rend sein internes Selbstbestimmungsrecht u.a. in der Ausgestaltung eines Autonmiestatuts für die Aaländer bestand“. 42 Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 27 ff. 43 Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 33; vgl. auch Klein, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 26 ff. 44 So Ermacora, in: Inhalt, Wesen und gegenwärtige praktische Bedeutung, S. 50, 68. Zum Scheitern der Idee im Völkerbund aus Machterhaltungsgründen vgl. Oeter, 52 ZaöRV [1992], 741, 746 f. 45 So auch Brühl-Moser, Die Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts, S. 31: Das Selbstbestimmungsrecht habe „lediglich als partikuläres Völkervertragsrecht“ in wenigen Einzelfällen Anwendung gefunden. 46 Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 88. 47 Vgl. Partsch, in: United Nations: Law, Policies and Practice, Rdnr. 7; so sollten u.a. nur plebiszitär befürwortete Gebietsveränderungen durchgeführt werden; Kiss, HRLJ 1986, 165, 166.

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Kapitel 1: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker

Nationen bis zum Kriegsende Zustimmung zu dieser Charta und den darin enthaltenen Prinzipien signalisierten, wurde das Selbstbestimmungsrecht tatsächlich in keinem Fall nach Kriegsende verwirklicht oder ausdrücklich angeführt. Dies lag nicht zuletzt wiederum an der Weigerung der Siegermächte zur Anwendung auf eigenes Territorium; so hatte Churchill von Anfang an ausgeschlossen, dass das Prinzip auf Kolonialvölker Anwendung finden könnte.48

IV. Die Gründung der UN als Neubeginn Wie für das Völkerrecht im Allgemeinen, so gilt auch für das Selbstbestimmungsrecht im Besonderen, dass das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Gründungsphase der Vereinten Nationen eine neue Zeitrechnung einläutete. Im Rahmen der Verhandlungen zur UN-Charta spielte auch das Selbstbestimmungsrecht als Prinzip eine große Rolle. 1. Verankerung in der UN-Charta Bei der Vorbereitung der verschiedenen Charta-Bestimmungen gab es zum Teil heftige Kontroversen und Uneinigkeit zwischen den Staaten, auf die hier jedoch nicht weiter eingegangen zu werden braucht.49 Im Ergebnis setzten sich die Befürworter der Aufnahme des Selbstbestimmungsrechts durch und so enthält die Satzung der UN als erstes bedeutendes Völkerrechtsübereinkommen das Selbstbestimmungsrecht ausdrücklich in Art. 1 Abs. 2 UN-Charta. Diese Bestimmung wird wortgleich wiederholt in Art. 55 UN-Charta, der im Kapitel über die „Internationale Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet“ enthalten ist.50 Im englischen Original der „Charter of the United Nations“ heißt es in Art. 1: „The Purposes of the United Nations are: [...] 2. To develop friendly relations among nations based on respect for the principle of equal rights and self-determination of peoples, and to take other appropriate measures to strengthen universal peace; [...]“.

Die – nicht als Originalsprache gültige – deutsche Übersetzung lautet: „Die Vereinten Nationen setzen sich folgende Ziele: [...] 2. freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen

___________ 48

Vgl. dazu Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 37. Vgl. dazu z.B. Brühl-Moser, Die Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts, S. 42 ff. 50 Vgl. zur Bedeutung dieser Vorschrift Fink, Kollektive Friedenssicherung, S. 886 ff. 49

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den Nationen zu entwickeln und andere geeignete Maßnahmen zur Festigung des Weltfriedens zu treffen; [...]“.51

Neben diesen ausdrücklichen Erwähnungen liegt das Selbstbestimmungsrecht auch weiteren Regelungen der Charta zugrunde. So steht die Vorstellung des Selbstbestimmungsrechts der Völker auch hinter dem System für Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung nach Art. 73 UN-Charta und dem Treuhandsystem nach Art. 76 UN-Charta, wie die dort genannten Prinzipien und Ziele der beiden Systeme deutlich machen.52 So sollte z.B. das Treuhandsystem den Fortschritt der Einwohner der Treuhandgebiete so ermöglichen, wie es dem frei geäußerten Wunsch der dortigen Bevölkerung entsprach. Die mehrfache Nennung des Selbstbestimmungsrechts in der Charta und seine Verbindung mit Menschenrechten und dem Prozess der Entwicklung der bis dahin abhängigen Gebiete und Bevölkerungen haben das Institut dauerhaft verankert. Wenngleich diese Bezugnahme aus den vorhandenen Querverweisen nicht auf den ersten Blick herauszulesen ist, hat die Art der Verankerung des Selbstbestimmungsrechts und die politische Agenda der Nachkriegsjahrzehnte dazu geführt, dass es zunächst auf die Kolonialgebiete Anwendung fand.53 2. Bewertung Trotz der Aufnahme in die UN-Charta blieb unklar, wie diese Bestimmungen zum Zeitpunkt der Aufnahme zu verstehen waren und auch wie sie heute zu verstehen sind.54 Deshalb ist die ursprünglich in der Charta aufgenommene Bestimmung zum Selbstbestimmungsrecht eher restriktiv zu verstehen: „the principle enshrined in the UN Charter boils down to very little; it is only a principle suggesting that States should grant self-government as much as possible to the communities over which they exercise jurisdiction“.55

___________ 51 Übersetzung zu finden beispielsweise in Sart. II, Nr. ; Tomuschat (Hrsg.), Völkerrecht, Nr. 1. 52 Dazu Brühl-Moser, Die Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts, S. 40 ff., Thürer, in: EPIL, S. 470, 471; Partsch, in: United Nations: Law, Policies and Practice, Rdnr. 8.; beachte auch Doehring, in: Charta der Vereinten Nationen, nach Art. 1 Rdnr. 13, wonach das Kap. XI der Charta „nur noch historische Bedeutung hat“. 53 Thornberry, in: Modern Law of Self-Determination, S. 101, 108 f. 54 Vgl. dazu unten Kap. 1 B. II. 3. und eingehend Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 38 ff., der für seine Studie auch Zugriff auf die nicht veröffentlichten Protokolle der vorbereitenden Sitzungen genommen hat; zustimmend Fink, Kollektive Friedenssicherung, S. 891 f. 55 Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 42.

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Trotz der Schwächen der Aufnahme des Selbstbestimmungsrechts in die Charta56 war dies ein „Wendepunkt“57, weil es zum ersten Mal in einem wichtigen Vertrag explizit enthalten war und damit das Heranreifen von einem politischen Postulat zu einem rechtlichen Verhaltensmaßstab ermöglichte.58 Es soll bereits hier darauf hingewiesen werden, dass sich die westlichen Staaten zunächst gegen eine Anwendbarkeit des Rechts direkt auf Staaten gewehrt haben. Als aber ein Kompromiss um die grundsätzliche Aufnahme der Bestimmung gefunden war, legte sie diese offensiv aus im Sinne eines „freedom to choose“.59 Die kommunistische Sichtweise hingegen und später auch die der meisten „Dritte Welt“-Staaten verstand hingegen das Selbstbestimmungsrecht im Sinne von Antikolonialismus, aber nicht „Freiheit nach innen“.60

V. Die Dekolonisierungsphase 1. Der koloniale Zusammenhang Mit der Gründung der Vereinten Nationen verstärkte sich auch der Druck auf die Kolonialreiche wie z.B. das britische Empire und andere europäische Kolonialmächte, die von ihnen beherrschten überseeischen Territorien in noch größerem Umfang aus der Abhängigkeit zu entlassen, als dies bereits im Umfeld des Kriegsgeschehens begonnen hatte. So wurde die Konzeption der Entkolonialisierung auch in der UN-Charta als Ziel anvisiert, indem insbesondere mit den Kapiteln XI und XII Wege zur Herausführung abhängiger Gebiete gefunden werden sollten. Nach dem darin enthaltenen neuen Verständnis standen die Kolonien nunmehr unter dem Schutz der Kolonialmächte und sollten von diesen allmählich zu einem Zustand geführt werden, in dem sie selbst Verantwortung übernehmen könnten. Dieses Konzept veränderte sich rasch und entwickelte eine Eigendynamik, die als Ziel der Dekolonisierung die sofortige und unbedingte Entlassung der ___________ 56 Musgrave, Self-Determination and National Minorities and National Minorities, S. 66 („an unusual mix of explicit and implicit references to self-determination“) und S.69. 57 Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 43. 58 So auch Thürer, AVR 1984, 113, 120: „[...] damit die Entstehung eines Selbstbestimmungs‚rechts’ [...] erst ermöglichten“. 59 Vgl. dazu Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 46. 60 Zum letzteren z.B. Musgrave, Self-Determination and National Minorities, S. 64, mit Hinweis auf die Worte des sowjetischen Außenministers Molotov: „We must first of alle see to it that dependent countries are enabled as soon as possible to take the path of national independence“.

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Kolonialgebiete in die Unabhängigkeit hatte.61 Als Kolonialreiche wurden jedoch zunächst nur die europäischen Mächte aufgefasst, weil nach der sog. „salt water theory“ nur solche Territorien als Kolonien gelten konnten, die durch ein Meer vom Kolonialstaat getrennt waren. 2. Die Dekolonisierungs-Deklarationen Wesentlicher Impulsgeber für den Prozess der Dekolonisierung war die UNGeneralversammlung. Diese erließ eine Reihe von Deklarationen, die schrittweise den in der Charta angelegten Prozess beschleunigten. Von grundlegender Bedeutung für die Dekolonisierung sind die Deklaration 1514 (XV) vom 14.12.1960 (Declaration on the Granting of Independence of Colonial Countries and Peoples) und die am Folgetag verabschiedete Resolution 1541 (XV).62 In deren Anhang legen die „Principles which should guide Members in determining whether or not an obligation exists to transmit the information called for in Art. 73 e) of the Charter of the UN“ fest, unter welchen Umständen ein Staat über ein bestimmtes Territorium eine Berichtspflicht an den Generalsekretär der UN hat. Diese beiden Kernresolutionen wurden im Anschluss für bestimmte Sachverhalte konkretisiert.63 Ohne dass dieser Aspekt hier bereits zu vertiefen wäre, kann schon darauf hingewiesen werden, dass die in den Kolonialgebieten verwirklichten Selbstbestimmungsansprüche territorial beschränkt waren. Es wurde den Bewohnern bestimmter Gebiete, die innerhalb dieser meist willkürlich gezogenen ehemaligen Koloniegrenzen lebten, die Möglichkeit zum „nation-building“ auf dem durch diese Grenzen vorgegebenen Territorium gegeben.64 Vereinzelte kritische Literaturstimmen verneinen daher im Zusammenhang mit dem Entkolonialisierungsprozess die Anwendung des Selbstbestimmungsrechts vollständig, weil es sich (lediglich) um ein „Recht auf Unabhängigkeit in den Kolonialgrenzen“ gehandelt habe.65 Ganz überwiegend wird jedoch davon ausgegangen, dass mit ___________ 61

Thürer, AVR 1984, 113, 117: „Inhaltlich gesehen manifestiert sie sich in ihrer ursprünglichen Form in der Verantwortung (‚Sacred trust’) der Verwaltungsmächte, die Kolonialvölker zur Selbstbestimmungsfähigkeit zu führen; sie trägt also insofern einen evolutiven Charakter, der allerding im Laufe der Entwicklung einem emanzipativen Verständnis gewichen ist“. Ebenso Musgrave, Self-Determination and National Minorities, S. 73. 62 Ausf. dazu: Musgrave, Self-Determination and National Minorities, S. 69 ff. 63 Zu letzterem Cassese, Self-Determination of Peoples, S.71 ff. und 74 ff. 64 Thürer, Diss. S. 39, Fn. 8, wobei er auf die Ausnahmen Palästina und Zypern hinweist. 65 Fisch, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 11, 23 f. Das zur Anwendung gekommene uti possidetis-Prinzip, dazu näher hier in Kap. 1 C. II. 3. b), bezeichnet er

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dieser Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der erste breite Anwendungsfall gegeben war.66 Es bleibt zur Bedeutung der Entkolonisierung festzuhalten, dass dabei „in einem so frühen Zeitpunkt auf die Entstehung neuer Staaten eingewirkt [wurde] wie noch nie zuvor“ und das Selbstbestimmungsrecht deshalb einen „wesentlichen und unersetzbaren Beitrag zum friedlichen Verlauf“ dieses Prozesses geleistet hat.67 Im Zusammenhang mit der Dekolonisierung wurde außerdem dem Selbstbestimmungsrecht auch eine neue, wirtschaftliche Dimension beigegeben, als mit der Resolution 1803 (XVII) der Generalversammlung allen Staaten und ehemaligen Kolonien „Permanent sovereignty over natural resources“ garantiert wurde.68 Dennoch ist das Sonderrecht der Dekolonisierung und die damit zusammenhängenden Aspekte des Selbstbestimmungsrechts insofern für die heutige Analyse nur noch bedingt relevant, weil das historische Kapitel der Entlassung ehemaliger Kolonialvölker in die Unabhängigkeit als abgeschlossen zu betrachten ist.69

VI. Über die Dekolonisierung hinaus: Selbstbestimmungsrecht im modernen Gewand Noch während des Prozesses der Dekolonisierung wurde deutlich, dass das Selbstbestimmungsrecht mit dem Abschluss dieser Phase nicht seine Erledigung finden würde. Die vor dem Hintergrund der durch die Dekolonisierung neu entstandenden Staaten verabschiedete, bis heute bedeutsame Friendly Relations-Deklaration der UN-Generalversammlung, und die überragend wichtigen Verträge der Internationalen Menschenrechtspakte waren die entscheidende Weichenstellung. Dabei soll zunächst auf die zeitlich vorhergehenden Pakte von 1966 eingegangen werden. ___________ als „Prinzip der Heiligkeit der Kolonialgrenzen“, die zu den Grenzen der unabhängig gewordenen Staaten gemacht worden seien, ohne ihre Berechtigung zu hinterfragen. 66 Einhellige Auffassung der Literatur, vgl. nur die Festlegung von Thürer, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 34, 47. 67 Thürer, AVR 1984, 113, 121. 68 Dazu Kiss, HRLJ 1986, 165, 167. Vgl. zur Rechtsfigur auch Daes, Indigenous peoples’ permanent sovereignty over natural resources, Final Report. 69 Tomuschat, Modern Law of Self-Determination, S. vii, mit dem Hinweis auf Namibia als letzten richtigen Fall von Dekolonisierung. Vgl. auch Cassese, International Law, S. 285 zur erfolgreichen Rolle der UN in der Dekolonisierung, wonach bei den Gründungsberatungen davon ausgegangen wurde, dass eine allgemeine militärische Abrüstung in einem Jahrzehnt, eine vollständige Dekolonisierung dagegen erst nach einem Jahrhundert erreicht werden könnte. Delbrück, VN 1977, 6, 9 f. gibt einen Überblick über den bis zu diesem Zeitpunkt weitgehend durchgeführten Dekolonisierungsprozess und die daraus entstandenen unabhängigen Staaten.

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1. Artikel 1 der Menschenrechtspakte Im englischen Original des International Covenant on Civil and Political Rights70 heißt es in Art. 1: „1. All peoples have the right of self-determination. By virtue of that right they freely determine their political status and freely pursue their economic, social and cultural development. 2. All peoples may, for their own ends, freely dispose of their natural wealth and resources without prejudice to any obligations [...] 3. The States Parties to the present Covenant, including those having responsibility for the administration of Non-Self-Governing and Trust Territories, shall promote the realization of the right of self-determination, and shall respect that right, in conformity with the provisions of the Charter of the United Nations.“

In der – wiederum ohne rechtliche Bindungswirkung gefassten – deutschen Übersetzung des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte:71 „(1) Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung. (2) Alle Völker können für ihre eigenen Zwecke frei über ihre natürlichen Reichtümer und Mittel verfügen, unbeschadet aller Verpflichtungen [...] (3) Die Vertragsstaaten, einschließlich der Staaten, die für die Verwaltung von Gebieten ohne Selbstregierung und von Treuhandgebieten verantwortlich sind, haben entsprechend den Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen die Verwirklichung des Rechts auf Selbstbestimmung zu fördern und dieses Recht zu achten.“

Da zum Gründungszeitpunkt der Vereinten Nationen zwischen den Staaten keine Einigung darüber erzielt wurde, ob eine internationale „bill of rights“ in Form einer Resolution der Generalversammlung oder eines vertraglichen Paktes erlassen werden sollte, entschied sich die Staatengemeinschaft für beides. Nach der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ___________ 70

Diese Bestimmung ist wortgleich enthalten als Art. 1 des „International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights“. Beide lagen ab 19. Dezember 1966 zur Ratifikation aus, mit Beitritt des 35. Staates trat der wirtschaftliche Pakt am 3.1.1976 in Kraft, der politische am 23.3.1976. 71 BGBl. 1973 II, S. 1534 = Sart. II Nr. 20 = Tomuschat (Hrsg.), Völkerrecht, Nr. 15; beachte zur Übersetzung von Abs. 1 den Einwand von Veiter, Nationalitätenkonflikt und Volksgruppenrecht, S. 260, wonach es richtigerweise „in Freiheit“ und nicht „frei“ heißen müsse, da jeglicher Zwang oder Manipulation bei der Bestimmung des politischen Status ausgeschlossen sein müsse. Deshalb sei auch die richtige (damals strittige) Übersetzung auch „kein Spiel mit Worten“ (S. 261).

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Kapitel 1: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker

1948 als Resolution 217A (III) der Generalversammlung72 wurden die Arbeiten an einem Pakt eingeleitet. Ab 1951 wurde auf die Entstehung zweier unterschiedlicher Pakte hingearbeitet, weil sich herausgestellt hatte, dass die Aufnahme bürgerlich-politischer und wirtschaftlich-kultureller Rechte in ein Vertragswerk nicht mehrheitsfähig sein würde.73 Es ist wiederum beachtenswert, dass die westlichen Staaten zunächst im Gros gegen die Aufnahme des Selbstbestimmungsrechts in die Pakte waren. Nachdem sie aber gegen die stimmenmäßige Übermacht der sozialistischen Staaten und Entwicklungsländer unterlegen waren, haben sie das Recht insofern noch weiter voran gebracht, indem sie darauf bestanden, es nicht auf koloniale Sachverhalte zu beschränken.74 Die Pakte stellen – gemessen am Datum der Verabschiedung 1966 – die ersten multilateralen Verträge dar, in denen das Selbstbestimmungsrecht rechtsverbindliche Aufnahme gefunden hat. Zudem sind mittlerweile über 15075 Staaten der Welt Vertragsstaaten geworden, so dass hierin eine universelle Anerkennung dieses Rechts zu sehen ist, wobei damit über die rechtliche Qualität und den Inhalt noch nichts Näheres gesagt ist (dazu unten Kap. 1 B.II.4.). 2. Die Friendly Relations-Deklaration Eine besondere Stellung nimmt die sog. Friendly Relations-Deklaration von 1970 ein.76 Deren Prinzip V des Anhangs enthält eine nach damaligem Verständnis gültige Definition des Selbstbestimmungsrechts. Obgleich diese Reso___________ 72

Trotz eines Bemühens der Sowjetunion um Aufnahme des Selbstbestimmungsrechts blieb dieses aus der AEMR heraus, weshalb die UdSSR und andere sozialistische Staaten sich bei der Abstimmung über die Resolution der Stimme enthielten, vgl. Musgrave, Self-Determination and National Minorities, S. 67. 73 Dazu Nowak, CCPR-Kommentar, Einführung Rdnr. 7 f. Ausf. zu den Vorarbeiten zu den Pakten und insbesondere des Art. 1 IPbpR vgl. Heidelmeyer, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 229 ff. Demnach war die USA gegen eine Einbeziehung des Selbstbestimmungsrechts wegen der wirtschaftlichen Selbstbestimmung, die mit garantiert werden sollte. 74 Zu alledem Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 49 ff. Der Beschluss über die Einbeziehung des Selbstbestimmungsrechts in die Pakte wurde von der UNGeneralversammlung am 05.02.1952 mit 42 gegen 7 Stimmen bei 5 Enthaltungen angenommen, vgl. Chou-Young, Das Selbstbestimmungsrecht als eine Vorbedingung, S. 74; ferner Spiry, 9 GYIL [1995], 129, 132. 75 Ratifikationsstand am 26.09.2008 gemäß Office of the UN High Commissioner for Human Rights, www2.ohchr.org/english/bodies/ratification/4.htm IPbpR: 162 Staaten bzw. www2.ohchr.org/english/bodies/ratification/3.htm; IPwksR: 159 Staaten. 76 UN GA Res. 2625 (XXV) vom 24.10.1970, Annex, Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in accordance with the Charter of the United Nations. Abgedr. z.B. in Sart. II Nr. 4 (deutsche Übersetzung) = Tomuschat (Hrsg.), Völkerrecht, Nr. 6 (Englisch).

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lution auch im Rahmen der Dekolonisierung entworfen wurde,77 erhält sie eine Sonderstellung über diesen Prozess hinaus. Dies gilt insbesondere wegen der Art ihrer Verabschiedung: sie wurde im Konsensverfahren ohne ausdrückliche Stimmabgabe angenommen und erhielt damit eine „Quasi-Zustimmung“ der gesamten vertretenen Staatenwelt.78 Das englische Original der Deklaration enthält unter anderem folgende Passagen: „The principle of equal rights and self-determination of peoples By virtue of the principle of equal rights and self-determination of peoples enshrined in the Charter of the United Nations, all peoples have the right freely to determine without external interference their political status and to pursue their economic, social and cultural development, and every State has the duty to respect this right in accordance with the provisions of the Charter. Every State has the duty to promote, through joint and separate action, realization of the principle of equal rights and self-determination of peoples, in accordance with the provisions of the Charter, and to render assistance to the United Nations in carrying out the responsibilites entrusted to it by the Charter regarding the implementation of the principle [...]. The establishment of a sovereign and independent State, the free association or integration with an independent State or the emergence into any other political status freely determined by a people constitute modes of implementing the right of selfdetermination by that people. Every State has the duty to refrain from any forcible action which deprives peoples referred to above in the elaboration of the present principle of their right to selfdetermination and freedom and independence. In their actions against, and resistance to, such forcible action in pursuit of the exercise of their right to self-determination, such peoples are entitled to seek and to receive support in accordance with the purposes and principles of the Charter. The territory of a colony [...] has, under the Charter, a status separate and distinct from the territory of the State administering it, [...] shall exist until the peoples of the colony [...] have exercised their right of self-determination [...]. Nothing in the foregoing paragraphs shall be construed as authorizing or encouraging any action which would dismember or impair, totally or in part, the territorial integrity or political unity of sovereign and independent States conducting themselves in

___________ 77 Der Abschnitt zum Selbstbestimmungsrecht enthält – im Gegensatz zu praktisch allen anderen Resolutionen dieser Zeit keinen Verweis auf die DekolonisierungsResolution 1514, obwohl in Absatz 2 auch Bezug zur Beendigung des Kolonialzustandes genommen wird, vgl. dazu Musgrave, Self-Determination and National Minorities, S. 75. 78 Musgrave, Self-Determination and National Minorities, S. 74 f.; Brühl-Moser, Die Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts, S. 70 und 71: „[...] geht sie doch in ihren Ausführungen über den Rahmen der Dekolonisierung hinaus und deklariert ein universelles Selbstbestimmungsrecht“.

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Kapitel 1: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker compliance with the priniciple of equal rights and self-determination of peoples as described above and thus possessed of a government representing the whole people belonging to the territory without distinction as to race, creed or colour. Every State shall refrain from any action aimed at the partial or total disruption of the national unity and territorial integrity of any other State or country.“

In der deutschen Übersetzung79 heißt es unter anderem: „Der Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker Auf Grund des in der Charta der Vereinten Nationen verankerten Grundsatzes der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker haben alle Völker das Recht, frei und ohne Einmischung von außen über ihren politischen Status zu entscheiden und ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung zu gestalten, und jeder Staat ist verpflichtet, dieses Recht im Einklang mit den Bestimmungen der Charta zu achten. Jeder Staat hat die Pflicht, sowohl gemeinsam mit anderen Staaten als auch allein die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker im Einklang mit den Bestimmungen der Charta zu fördern und die Vereinten Nationen dabei zu unterstützen, die ihnen von der Charta auferlegten Verpflichtungen hinsichtlich der Verwirklichung dieses Grundsatzes zu erfüllen [...]. Die Gründung eines souveränen und unabhängigen Staates, die freie Vereinigung mit einem unabhängigen Staat oder die freie Eingliederung in einen solchen Staat oder das Entstehen eines anderen, durch ein Volk frei bestimmten politischen Status stellen Möglichkeiten der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts durch das Volk dar. Jeder Staat hat die Pflicht, jede Gewaltmaßnahme zu unterlassen, die den in der Erläuterung dieses Grundsatzes erwähnten Völkern ihr Recht auf Selbstbestimmung, Freiheit und Unabhängigkeit entzieht. Bei ihren Maßnahmen und ihrem Widerstand gegen solche Gewaltmaßnahmen im Bemühen um die Ausübung ihres Selbstbestimmungsrecht sind diese Völker berechtigt, im Einklang mit den Zielen und Grundsätzen der Charta Unterstützung zu erbitten und zu erhalten. Das Gebiet einer Kolonie [...] besitzt nach der Charta einen vom Hoheitsgebiet des Staates, von dem es verwaltet wird, deutlich getrennten und verschiedenen Status; [...] bleibt [...] bestehen, bis das Volk der Kolonie [...] sein Recht auf Selbstbestimmung [...] ausgeübt hat. Die vorstehenden Absätze sind nicht als Ermächtigung oder Ermunterung zu Maßnahmen aufzufassen, welche die territoriale Unversehrtheit oder die politische Einheit souveräner und unabhängiger Staaten teilweise oder vollständig auflösen oder beeinträchtigen würden, die sich in ihrem Verhalten von dem oben erwähnten Grundsatz [...] leiten lassen und daher eine Regierung besitzen, welche die gesamte Bevölkerung des Gebiets ohne Unterschied der Rasse, des Glaubens oder der Hautfarbe vertritt.

___________ 79

Erklärung über völkerrechtliche Grundsätze für freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten im Sinne der Charta der Vereinten Nationen, abgedr. in Sart. II Nr. 4 [eig. Herv. im Text].

A. Historische Entwicklung und grundlegende Dokumente

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Alle Staaten unterlassen jede Handlung, die auf die teilweise oder vollständige Zerstörung der nationalen Einheit und der territorialen Unversehrtheit eines anderen Staates oder Landes gerichtet ist.“

Die Besonderheit dieser Erklärung liegt in der Ausführlichkeit, mit der sie das Selbstbestimmungsrecht in seinen Ausprägungen beschreibt und damit zugleich über den kolonialen Kontext hinaushebt.80 Dies gilt vor allem für den vorletzten Abschnitt, in dem eine Form der Regierung gefordert wird, die die gesamte Bevölkerung vertritt.81 3. Neuere Aktivitäten innerhalb des UN-Systems Auch nach diesen beiden grundlegenden Entwicklungsschritten hat sich die UN im Rahmen zahlreicher Arbeitsgebiete und in verschiedenen Gremien mit dem Selbstbestimmungsrecht befasst und auch heute steht es im Zentrum der Menschenrechtsbestrebungen. a) Überblick Bevor einige wichtige Dokumente aus jüngerer Zeit genauer hervorgehoben werden, soll kurz auf sonstige relevante Äußerungen im Rahmen der Vereinten Nationen eingegangen werden. Nach der Etablierung der politisch-bürgerlichen und wirtschaftlich-sozial-kulturellen Menschenrechte begannen sich viele Staaten der sog. „unterentwickelten Welt“ Gruppenrechten zuzuwenden, die unter dem Begriff der „Menschenrechte der dritten Generation“ bekannt wurden.82 So forderten sie insbesondere ein Recht auf Entwicklung und auf menschenwürdige Umwelt. 1986 verabschiedete die Generalversammlung dann sogar eine Deklaration zum Recht auf Entwicklung.83 ___________ 80

Vgl. dazu Kap. 1 B. III. 2. d) bb). Dass dieser (oben im Text hervorgehobene) Absatz (als „saving clause“ bezeichnet) aber nurmehr eine Ausnahme zum ansonsten von der Erklärung ausschließlich als externes Selbstbestimmungsrecht verstandenen Prinzip darstelle, wird von Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 109, Fn. 14 argumentiert. Crawford, in: Peoples’ Rights, S. 7, 57 weist darauf hin, dass Kanada hinsichtlich der Abspaltungsbestrebung Quebecs argumentiert hat, dass die ‚safeguard clause‘ „was a safeguard against secession for those states which complied with it“ [womit die Übereinstimmung mit dem Selbstbestimmungsrecht selbst gemeint ist]. 82 Dazu Dicke, in: Handwörterbuch Internationale Politik, S. 240, 244 f., der aber dem Begriff skeptisch gegenüber steht. Jones, 21 HRQ 80 [1999], 95 f. plädiert für eine Charakterisierung als „common objectives for humanity“. 83 Zur Entstehung und Überblick grundlegend Rich, in: The rights of Peoples, S. 39 ff.; Steiner/Alston, International Human Rights, S. 1319 ff.; Deklaration abgedr. ebda. auf S. 1420 ff. 81

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Kapitel 1: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker

Über die weitere Begleitung von Dekolonisierungsprozessen hinaus hielt die Generalversammlung das Selbstbestimmungsrecht in der Diskussion. Neben der regelmäßigen Verurteilung Südafrikas wegen der Apartheidpolitik, die eine Verletzung auch dieses Rechts darstelle, war es vor allem der Status des von Palästinensern bewohnten Gebietes in Israel, der zu jährlichen Selbstbestimmungsrecht-bezogenen Resolutionen geführt hat.84 Verschiedentlich vorgebrachte Vorschläge, den Gehalt des Selbstbestimmungsrechts durch eine Deklaration oder gar eine eigene Konvention über den Einzelfall hinaus genau festzulegen, führten zu keinen greifbaren Ergebnissen.85 b) Die Wiener Menschenrechtskonferenz 1993 und Folgedeklarationen Im Jahre 1993 versammelte die UN die Staatengemeinschaft zu einer „World Conference on Human Rights“ in Wien. Als Abschlusserklärung verabschiedete diese die „Vienna Declaration and Programme of Action“.86 Darin wird bekräftigt, dass die Respektierung der Menschenrechte und grundlegenden Freiheiten ohne jegliche Diskriminierung eine fundamentale Regel des internationalen Menschenrechtsschutzes sei, den die Staaten zu beachten und Verstöße dagegen abzustellen hätten.87 Auch die Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts wurde in der Formulierung der Friendly Relations-Declaration wiederholt, wobei jetzt weitergehend klargestellt wurde, dass alle Regierungen dieses Recht effektiv nach innen umsetzen, wenn sie ein System etabliert haben „representing the whole people belonging to the territory without distinction of any kind“.88 Die Anforderung an das repräsentative Regierungssystem ist also noch weitergehend als bei der Friendly Relations-Deklaration von 1970. ___________ 84 Im Zusammenhang mit dem Status Palästinas ist von mehrfacher Seite bestätigt worden, dass zum Selbstbestimmungsrecht – auch außerhalb des Dekolonisierungskontextes – die Option der staatlichen Unabhängigkeit zählt, vgl. beispielhaft nur GA Res. A/Res./53/136 vom 09.12.1998 oder die Entschließung der EU auf ihrem Gipfel in Berlin am 25.03.1999, als die Staats- und Regierungschefs ausdrücklich die Option eines Staates für die Palästinenser bekräftigten. 85 Vgl. dazu Chou-Young, Das Selbstbestimmungsrecht als eine Vorbedingung, S. 275 f. 86 United Nations World Conference on Human Rights: Vienna Declaration and Programme of Action, vom 25.06.1993, U.N. GAOR, World Conference on Human Rights, pt. 1 §§ 20-46, U.N. Doc. A/CONF.157/24 (1993) = 32 I.L.M. 1661 (1993). 87 Einzelheiten dazu und Kritik bei Weisburd, 25 Ga. J. Int’l. & Comp. L. [1996], 99, 137 f. 88 Eig. Herv. Diese Neuerung stellt zu Recht Skurbaty, As if Peoples Mattered, S. 398, heraus.

A. Historische Entwicklung und grundlegende Dokumente

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In der Deklaration zum fünfzigjährigen Bestehen der UN 199589 bestätigte die Generalversammlung den Abschnitt zum Selbstbestimmungsrecht aus der Vienna Declaration. Skeptiker sehen darin zwar einen „narrow approach“, weil keine ausdrückliche Ausdehnung der Anwendungsfälle festgehalten wurde. Andererseits ist die erneute Betonung des Repräsentationsprinzips unabhängig von jeder Differenzierung eine zusätzliche Stärkung des erweiterten Verständnisses des Selbstbestimmungsrechts.90 c) Die Bezugnahme auf indigene Völker Eine signifikante Erweiterung hat die Einbeziehung des Selbstbestimmungsrechts bei der Diskussion von Rechten indigener Völker erfahren. Da die Frage der Anwendung dieses Rechts auf sog. indigene Völker ausführlich Gegenstand folgender Abschnitte dieser Arbeit ist, genügt es hier kurz auf das Vorhandensein relevanter Dokumente zu verweisen. Zunächst befasste sich innerhalb der UN die Spezialorganisation „International Labour Organisation“ (ILO) mit Interessen der ursprünglichen Bevölkerung von Staaten dieser Welt, die ein benachteiligtes Leben führen. Im Rahmen der ILO wurde schon 1957 die Konvention Nr. 10791 verabschiedet, die sich ausschließlich mit dem Schutz indigener Bevölkerungen auseinandersetzte. Weil diese Konvention vom Gedanken der Assimilation bestimmt war, wurde sie vollständig revidiert und 1989 durch die ILO-Konvention Nr. 16992 ersetzt. Diese erwähnt zwar nicht das Selbstbestimmungsrecht ausdrücklich, enthält aber implizit zumindest den inneren Aspekt des Selbstbestimmungsrechts.93 Es ist jedoch zu beachten, dass die neue Konvention bislang wegen der geringen Anzahl an Ratifikationen keinen großen Wirkungsgrad besitzt. Seit Anfang der 1990er Jahre wurde innerhalb der Menschenrechtsabteilung der UN über eine grundlegende Deklaration zu den Rechten indigener Völker beraten. Die sog. UN „Draft Declaration on the Rights of Indigenous Peoples“94 ___________ 89

GA Res. 50/6 (1995). Zu beidem Scheffer, in: International law and ethnic conflict, S. 147, 151 f. 91 Convention (No. 107) Concerning the Protection and Integration of Indigenous and Other Tribal and Semi-Tribal Populations in Independent Countries; die Konvention trat in Kraft am 02.06.1959. Kurze Auszüge bei Anaya, Indigenous Peoples in International Law, S. 45. 92 Convention (No. 169) Concerning Indigenous and Tribal Peoples in Independent Countries; die Konvention ist in Kraft getreten am 05.09.1991. Zum Wortlaut vgl. z.B. Annex, in: Tomuschat, Modern Law of Self-Determination, S. 305 ff.; Appendix, in: Anaya, Indigenous Peoples in International Law, S. 193 ff. 93 So auch Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 49 f. 94 Draft United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1994/56 (angenommen durch die Subcommission als UN Doc. 90

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Kapitel 1: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker

war ab 1994 im Beratungsstadium im UN-System und enthielt in Art. 3 ausdrücklich das Selbstbestimmungsrecht für „Indigenous peoples“: „Indigenous peoples have the right to self-determination. By virtue of that right they freely determine their political status and freely pursue their economic, social and 95 cultural development.“

Die dort schon im ersten Entwurf eingebrachte Formulierung entspricht also bezüglich des Selbstbestimmungsrechts der Formulierung aus den Menschenrechtspakten, wobei „all“ durch „indigenous“ ersetzt wurde. Der Entwurf wurde, soweit der hier relevante Art. 3 betroffen ist, unverändert von der Generalversammlung als Deklaration 2007 verabschiedet, worauf noch ausführlich einzugehen ist.96 4. Die KSZE-Schlussakte von Helsinki und Folgekonferenzen in der OSZE Das Selbstbestimmungsrecht spielte auch außerhalb des UN-Rahmens eine bedeutsame Rolle. Die zunehmend globale Bedeutung des Rechts einhergehend mit dem Versuch einer Erweiterung seines Bedeutungsgehalts lässt sich durch die Arbeit der „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (KSZE) dokumentieren. 1975 verabschiedeten die in der Konferenz zusammengefassten 33 europäischen Staaten, die westlichen sowie die sozialistischen Staaten, ergänzt durch die USA und Kanada die sog. „Schlussakte von Helsinki“. Bei dieser Vereinbarung handelt es sich zwar lediglich um eine politische Absichtserklärung ohne direkte rechtliche Verbindlichkeit.97 Ihre politische Bedeutung und Auswirkung auf das Rechtsinstitut Selbstbestimmungsrecht sind jedoch nicht zu unterschätzen. Im „Final Act of the Conference on Security and Co-operation in Europe“98 heißt es im sog. Korb I „Questions relating to security in Europe“: ___________ E/CN.4/1995/2 am 26.08.1994); abgedr. bei Appendix, in: Anaya, Indigenous Peoples in International Law, S. 207 ff. und in Auszügen in: Steiner/Alston, International Human Rights, S. 1302 ff. 95 Frei übersetzt besagt Art. 3: „Indigene Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Nach Maßgabe dieses Rechts bestimmen sie frei über ihren politischen Status und verfolgen in freier Weise ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung“. 96 GA Res. A/Res/61/295 v. 13.09.2007 – United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples. Zum Entstehungsprozess und den Inhalten ausf. unten in Kap. 2 B. V. 2. b) und f) sowie C. II. und III. 97 Vgl. dazu auch Bloed, From Helsinki to Vienna, S. 11 f. 98 Verabschiedet in Helsinki am 01.08.1975 durch 35 Staats- und Regierungschefs; Dokument vollständig abgedr. in: Bloed, From Helsinki to Vienna, S. 43 ff.

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„VIII. Equal rights and self-determination of peoples The participating States will respect the equal rights of peoples and their right to selfdetermination, acting at all times in conformity with the purposes and principles of the Charter of the United Nations and with the relevant norms of international law, including those relating to territorial integrity of States. By virtue of the principle of equal rights and self-determination of peoples, all peoples always have the right, in full freedom, to determine, when and as they wish, their internal and external political status, without external interference, and to pursue as they wish their political, economic, social and cultural development. The participating States reaffirm the universal significance of respect for and effective exercise of equal rights and self-detemination of peoples for the development of friendly relations among themselves as among all States; they also recall the importance of the elimination of any form of violation of this principle.“

Die Erklärung gewinnt vor allem deshalb Bedeutung, weil sie von Staaten für ein Gebiet (Europa) unterzeichnet wurde, auf dem koloniale Einheiten im klassischen Sinne nicht existierten. Die beteiligten Staaten wollten damit bewusst und definitiv den Anwendungsbereich des Selbstbestimmungsrechts über den bestehenden kolonialen Kontext hinaus erweitern.99 Im weiteren Verlauf des KSZE-Prozesses wurden auf verschiedenen Folgekonferenzen die Absichten von Helsinki bekräftigt. Nach dem Zusammenbrechen des Ostblocks und der Überführung der KSZE in eine permanente „Organisation über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (OSZE) wurde der demokratische Aspekt des Selbstbestimmungsrechts mehr und mehr betont.100 5. Andere regionale Entwicklungen: Die Banjul-Charta Ohne dass darauf näher eingegangen werden muss, kann noch kurz die „African Charter on Human and Peoples’ Rights“101 – die sog. Banjul-Charta – der „Organization of African Unity“ (OAU)102 erwähnt werden, in deren Art. 20 es u.a. heißt: ___________ 99 So auch Klein, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 33. Die Initiative zur Aufnahme des Selbstbestimmungsrechts in das Schlussdokument wurde durch die Bundesrepublik Deutschland – im Hinblick auf die mögliche Wiedervereinigung – eingebracht, vgl. Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 279. 100 Dieser Aspekt kann an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden, vgl. aber das Dokument von Kopenhagen vom 29.06.1990 und die Charta von Paris für ein neues Europa vom 21.11.1990 (abgedr. bei Tomuschat (Hrsg.), Völkerrecht, Nr. 8), die kurz bei Musgrave, Self-Determination and National Minorities, S. 100 erläutert werden. 101 Charta vom 27.6.1981, in Kraft getreten am 21.10.1986. 102 Die Organisation Afrikanische Einheit (OAU) hat sich 2002 umbenannt zu „African Union“ (AU), vgl. Meldung in NZZ Nr. 157 v. 10.07.2002, S. 1.

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Kapitel 1: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker „1. All peoples shall have right to existence. They shall have the unquestionable and inalienable right to self-determination. They shall freely determine their political status and shall pursue their economic and social development according to the policy they have freely chosen. [...]“

Damit bildet diese Charta die bislang einzige regionale Menschenrechtskonvention, die explizit das Selbstbestimmungsrecht enthält.103 Wenngleich diese Verankerung des Rechts noch keine weitreichende Bedeutung entfalten konnte, gibt es Fälle vor der „African Commission on Human and Peoples’ Rights“, die den Art. 20 betreffen.104 So rügte im Fall „Katangese Peoples’ Congress v. Zaire“ der Präsident des Katangesischen Volkskongresses als Repräsentant dieses Volkes eine Verletzung des Selbstbestimmungsartikels der Charta durch den zairischen Staat.105 Im Ergebnis wurde eine Verletzung durch die Kommission zwar abgelehnt, sie hielt die Eingabe aber für zulässig.106 Das Selbstbestimmungsrecht der Banjul-Charta ist also ein Recht, das einen Anspruch verleiht.

VII. Zusammenfassung Das Selbstbestimmungsrecht hat zwar schon frühe philosophische Vorläufer und ist auch schon vor 200 Jahren zugrunde liegendes Prinzip von Revolutionen gewesen. Seine moderne Ausprägung hat es aber erst nach dem Ersten Weltkrieg, mehr noch mit Einrichtung der Vereinten Nationen erhalten. Die noch zu zeigende umfassende Bedeutung von Inhalt und Gewicht des Selbstbestimmungsrechts ist eine Entwicklung der letzten etwa fünfundzwanzig Jahre. Ging es über Jahrhunderte im Völkerrecht vor allem um den Souverän „Staat“, ist heute „international law increasingly [...] concerned with upholding rights deemed to inher in human beings individually as well as collectively“107. Dies gilt auch und vor allem für das Selbstbestimmungsrecht der Völker, das „eine feste Rolle als Kampfbegriff in der Auseinandersetzung der Gesellschaftssysteme“108 hatte, aber seit dem Ende des Kalten Krieges von dieser Fessel befreit neue Bedeutungen entfalten kann. Bevor auf diese eingegangen wird, soll im folgenden Abschnitt untersucht werden, ob das Selbstbestimmungsrecht nur begrifflich oder auch tatsächlich ein Recht und nicht nur ein Prinzip darstellt. ___________ 103

Vgl. dazu Kiss, HRLJ 1986, 165, 169. Zum System der Afrikanischen Kommission für Menschenrechte und Rechte der Völker Steiner/Alston, International Human Rights, S. 921 ff. 105 ACHPR, Katangese Peoples’ Congress v. Zaire, Communication No. 75/92, 3 International Human Rights Reports [1996], 136. 106 Vgl. dazu auch Drew, 12 EJIL [2001], 651, 669. 107 Anaya, Indigenous Peoples in International Law, S. 72. 108 Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 257. 104

B. Rechtliche Qualität

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B. Rechtliche Qualität I. Allgemeines Die Untersuchung der Rechtsqualität des so genannten „Selbstbestimmungsrechts der Völker“ hängt auch davon ab, ob es nur „das“ Selbstbestimmungsrecht oder mehrere unterschiedliche gibt. So könnte es unterschiedliche Rechte für unterschiedliche Träger geben oder eine völkervertragsrechtliche Norm könnte einen anderen Umfang als begrifflich entsprechendes Gewohnheitsrecht haben. Bevor im Hinblick auf die Träger und unterschiedlichen Aspekte des Rechts differenziert wird, soll in diesem Abschnitt analysiert werden, ob überhaupt von einem Selbstbestimmungsrecht ausgegangen werden kann. Die Frage, ob das Selbstbestimmungsrecht als nur allgemein politisches Leitprinzip oder eine Rechtsregel einzuordnen ist, stellte sich seit Verabschiedung der UN-Charta und führte zu jahrzehntelanger Kontroverse. Dort heißt es in Art. 1 Ziff. 2 im englischen Originaltext „principle of self-determination“, in der französischen Fassung ist dagegen vom „droit à disposer d'eux-mêmes“ die Rede.109 Zwar ist, wie sogleich gezeigt wird, der Wortlaut nicht isoliert zu betrachten, es deutet sich aber schon darin eine gewisse Uneinigkeit an. Zudem kann ein Recht nur existieren, wenn es einen möglichen Rechtsträger gibt. Ohne diesen jetzt schon definieren zu müssen, ist beim Begriff „Volk“ an der potentiellen Rechtsfähigkeit im Völkerrecht zumindest zu zweifeln. Entgegen dem eigentlich eindeutigen Wortlaut ist „Völkerrecht kein Recht der Völker, sondern [...] ein Recht der souveränen Staaten“110. Auch findet sich die Bezugnahme auf Völker bei völkerrechtlichen Normen außerhalb des Selbstbestimmungsrechts so gut wie nicht. Jedoch bedarf es für eine Rechtsträgerschaft nicht der Anerkennung als uneingeschränktem Rechtssubjekt des Völkerrechts.111 Eine Teilrechtsfähigkeit bezogen auf dieses Recht ist aber für Menschengruppen, die ein Volk konstituieren, denkbar und – dies kann hier bereits vorweg genommen werden – auch anerkannt.112 Im Folgenden ist also zu untersuchen, ob durch die vertragsrechtliche Erwähnung eines Selbstbestimmungsrechts der Völker ein konkretes Recht für ___________ 109

Zur Bedeutung der Erwähnung in der UN-Charta Kap. 1 B. II. 3. Kimminich/Hobe, Völkerrecht, S. 111. 111 Kimminich/Hobe, Völkerrecht, S. 111. 112 Frey, Selbstbestimmungsrecht, Sezession und Gewaltverbot, S. 37 und 74; ähnlich Graf Vitzthum, in: Völkerrecht, I Rdnr. 18. Vgl. außerdem Kimminich, in: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die deutsche Frage, S. 37, 39, der dort aufzeigt, dass eine Ablehnung der Zulässigkeit einer insoweit gegebenen Völkerrechtssubjektivität, im Bezug auf das Selbstbestimmungsrecht einem „Zirkelschluss“ gleichkäme und deshalb abzulehnen sei. 110

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Kapitel 1: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker

Völker geschaffen werden sollte und ob es ein solches auch gewohnheitsrechtlich gibt. Bei Bejahung dieser Frage erübrigt sich die Auseinandersetzung mit der eher rechtsphilosophischen Überlegung, ob das Selbstbestimmungsrecht ein von vornherein naturrechtlich vorgegebenes Recht ist.113

II. Völkervertragsrecht 1. Vorbemerkung Eine der wesentlichen Quellen zur Ermittlung von Völkerrecht sind völkerrechtliche Verträge zwischen Staaten als den klassischen Subjekten des Völkerrechts, häufig unter Beteiligung internationaler Organisationen. Abzugrenzen sind diese Verträge von Vereinbarungen zwischen Subjekten, die lediglich Absichterklärungen ohne Rechtsverbindlichkeit darstellen sollen.114 Vertragsrecht ist verhältnismäßig präzise zu ermitteln, da der Wortlaut der Verträge die rechtlich verbindlichen Passagen festlegt oder zumindest der Auslegung zugänglich ist.115 Da die für den vorliegenden Kontext relevanten Verträge eindeutige und unbestrittene Geltung besitzen, ist auf die weiteren Voraussetzungen wie Vertragsabschlusskompetenz und Rechtswirkungen von Verträgen, wie sie sich weitgehend aus dem nunmehr auch vertragsrechtlich im Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge festgehaltenen Gewohnheitsrecht ergeben (z.B. die Regel pacta sunt servanda) zumindest bezüglich dieser Menschenrechtsverträge nicht einzugehen.116 Generell ist die Tendenz zu beobachten, dass Staaten – soweit zwischen ihnen eine Übereinkunft und damit möglicherweise bereits Gewohnheitsrecht besteht – ihre gegenseitigen Verpflichtungen vertraglich regeln und auch bei Uneinigkeit diese Fragen im Wege des Kompromisses, der letztlich zu einem diese Frage regelnden Vertrag führt, lösen.117 Dennoch ist nach der Untersuchung des Vertragsrechts auch das Gewohnheitsrecht bezüglich des Selbstbestimmungsrechts zu beleuchten.

___________ 113

So Ermacora, in: Inhalt, Wesen und gegenwärtige praktische Bedeutung, S. 50, 72: „Das Selbstbestimmungsrecht ist demnach das die Existenz einer Gemeinschaft bedingende Naturrecht.“ Dagegen Dahm, Völkerrecht, S. 390 f., der das Bestehen eines allgemein im Naturrecht wurzelnden Rechts jeder sozialen Gruppe auf Selbstbestimmung bestreitet. 114 Z.B. sog. „gentlemen’s agreements“, vgl. zu der oft schwierigen Abgrenzung Herdegen, Völkerrecht, § 15 Rdnr. 2. 115 Herdegen, Völkerrecht, § 15 Rdnr. 28 ff. 116 Vgl. dazu nur Herdegen, Völkerrecht, § 15 Rdnr. 4 ff. oder Heintschel von Heinegg, in: Völkerrecht, § 10 Rdnr. 1 ff. 117 Malanczuk, International Law, S. 37.

B. Rechtliche Qualität

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2. Vertragsrecht im Zusammenhang mit dem Selbstbestimmungsrecht Aus der obigen Darstellung ergibt sich, dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker auch in mehreren für die Unterzeichnerstaaten rechtsverbindlichen Texten Erwähnung gefunden hat, was eine Verankerung im positiven Völkerrecht indiziert. Die alleinige Erwähnung in einem Vertrag führt aber nicht zwangsläufig zur Verrechtlichung der erwähnten Materie, da auch z.B. Zielvorgaben ohne Verbindlichkeit in Verträge mit ansonsten rechtlich verbindlichen Normen aufgenommen werden können.118 Eine rechtliche Verbindlichkeit könnte auch daran scheitern, dass der normative Gehalt wegen fehlender inhaltlicher Bestimmtheit nicht festgelegt werden kann.119 Andererseits ist ein pauschaler Hinweis auf eine Unbestimmtheit des Rechtsinsituts, weil seine Bestandteile nicht auf den ersten Blick erkenntlich sind, nicht weiterführend. Fehlende Definitionen und konkretisierungsbedürftige Normen sind auch in völkerrechtlichen Verträgen keine Seltenheit und genügen (alleine) nicht, um das Vorliegen einer Rechtsregel zu verneinen.120 Es sollte aber als Beleg für die rechtliche Verbindlichkeit auch nicht lediglich auf die weit verbreitete Ansicht über das Vorliegen einer Rechtsregel verwiesen werden,121 weil sich gerade aus einer genaueren Analyse Schlussfolgerungen für die Feststellung des Rechtsumfangs und konkreten -trägers ziehen lassen. Es ist also im Folgenden vor allem zu untersuchen, ob sich die einzelnen Bestandteile des Selbstbestimmungsrechts mit – jedenfalls hinreichender – Bestimmtheit aus den vertragsrechtlichen Normen herauslesen lassen, damit eine verbindliche Rechtsnorm vorliegt.122 Dazu sind zunächst die UN-Charta und dann die Menschenrechtspakte zu untersuchen.

___________ 118

Klein, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 34. So auch Programmsätze im innerstaatlichen Recht. 119 Klein, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 34 spricht in diesem Zusammenhang davon, dass die Annahme einer Verbindlichkeit in einem solche Falle „bloße subjektive Willkür“ wäre. 120 Ansonsten müßte, so Klein, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 35, „die Normativität des Völkerrechts insgesamt“ in Zweifel gezogen werden. 121 So aber z.B. Heintze, Selbstbestimmungsrecht und Minderheitenrechte, S. 21, nach dem die „Existenz einer völkerrechtlichen Norm [...] heute nicht mehr in Frage gestellt wird“; anders vorher Pomerance, Self-Determination in Law and Practice, S. 70 und insgesamt auf S. 63 ff., die sich ausführlich mit den Argumenten der Gegenseite auseinandersetzt. 122 Dazu bzgl. UN-Charta Thürer, AVR 1984, 113, 119; allgemein Harhoff, in: The living law of nations, S. 169.

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Kapitel 1: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker

3. Die UN-Charta Wie bereits oben erwähnt, stellt die UN-Charta das erste bedeutende Völkervertragswerk dar, in das das Selbstbestimmungsrecht Aufnahme gefunden hat. Noch heute ist die UN-Charta das Dokument, an das weltweit die größte Zahl123 von Staaten gebunden ist und kann damit als „Lex Völkerrecht“ qualifiziert werden.124 Daher ist es nicht nur wichtig, welche Bedeutung die Selbstbestimmungsrechts-Passagen bei Inkrafttreten der Charta hatten, sondern auch wie sie heute einzuordnen sind und ob möglicherweise ein Bedeutungswandel stattgefunden hat. Explizit findet sich das Prinzip der Selbstbestimmung nach der obigen Darstellung in Art. 1 Abs. 2 und Art. 55 der UN-Charta, zudem ist es indirekt in Art. 73 und Art. 76 enthalten.125 Eine Heranziehung der travaux préparatoires zu diesen Formulierungen ergibt bereits, dass bei der Verabschiedung der UN-Charta davon ausgegangen wurde, dass das Selbstbestimmungsrecht nicht eine „legal rule but only a political or moral guideline“ konstituiere.126 Dies ergebe sich sowohl aus dem Wortlaut wie auch dem engen systematischen Zusammenhang zur Souveränität von Staaten, die durch das Selbstbestimmungsrecht als Anspruchsgrundlage gefährdet wäre.127 Die Selbstbestimmungsformel in der Satzung sei also „Ausdruck der Philosophie der Gründer der V.N. oder besser als ein sich an die Organe richtendes politisches Leitprinzip“128 zu verstehen und entbehre daher noch immer einer rechtlichen Verbindlichkeit. Dieser Sichtweise kann für die Phase bis zur Dekolonisierung zugestimmt werden. Bei der Auslegung internationaler Übereinkommen ist jedoch nicht nur die Sichtweise der Autoren dieser Übereinkommen, sondern auch die Auslegung nach objektiven Gesichtspunkten entscheidend. Dazu gehört vor allem späteres Verhalten der Vertragsstaaten und der von dem Abkommen betroffenen Organe, weil dieses Verhalten sozusagen als Indiz für das Verständnis der Vorschrift dienen kann.129 Im Zusam___________ 123 Weitere kommen noch immer hinzu, vgl. z.B. die Aufnahme der Schweiz im Herbst 2002, dazu von Senger, NZZ Nr. 247 v. 24.10.2002, S. 27, oder zuletzt Montenegro 2006, vgl. www.un.org/members/growth.shtml. 124 Ähnlich auch Fassbender, EuGRZ 2003, 1, 8 m.w.N. Begriff erstmals sinngemäß bei Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, Einleitung S. VII f., S. 72. 125 Zum Wortlaut der Vorschriften siehe Kap. 1 A.IV.1. 126 Vgl. eingehend Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 39 ff., der unter Berufung auf die vorbereitenden Arbeiten zum Schluss kommt, dass „the Charter did not impose direct and immediate legal obligations on Member States in this area“ (S. 43). 127 Vgl. z.B. Partsch, in: United Nations: Law, Policies and Practice, Rdnr. 11, von dem auch das vorstehende Zitat stammt. 128 Thürer, AVR 1984, 113, 119. 129 So z.B. Doehring, in: Charta der Vereinten Nationen, nach Art. 1 Rdnr. 1 und 12; so auch Frey, Selbstbestimmungsrecht, Sezession und Gewaltverbot, S. 33; vgl. zu die-

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menhang mit dem Selbstbestimmungsrecht sind die Phase der Dekolonisierung und vor allem die Ausarbeitung und Ratifikation der Menschenrechtspakte von Bedeutung.130 Eine detaillierte Auslegung der Satzungsbestimmung zu einem früheren Zeitpunkt ist daher für die Frage nach der Rechtsqualität dieser Vorschrift verzichtbar und nur von historischem Interesse.131 Es ist vielmehr darauf abzustellen, ob das Selbstbestimmungsprinzip der Charta im Lichte späterer Entwicklungen eine neue Bedeutung gewonnen hat.132 Als eines der im Rahmen der internationalen wirtschaftlichen und sozialen Zusammenarbeit zu verfolgenden Ziele nennt Art. 55 in der gleichen Formulierung wie Art. 1 Ziff. 2 UN-Charta das Selbstbestimmungsrecht. Aus der Vorschrift lässt sich ersehen, wie in einem bestimmten Bereich Maßnahmen zur Verwirklichung der am Anfang der Charta angesprochenen Ziele aussehen können. Dies gilt auch für Maßnahmen zur Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts. Da diese Vorschrift jedoch lediglich die Existenz eines solchen Konzepts voraussetzt, das dann entsprechend umzusetzen ist, lässt sich aus ihr über die Rechtsqualität dieses Konzepts kein Rückschluss ziehen.133 Ähnliches gilt für die Kapitel XI-XIII UN-Charta. Diesen liegt das Konzept ebenfalls zugrunde und wird sogar implizit in Art. 73 lit. b und Art. 76 lit. b UN-Charta erwähnt, indem auf die Bedeutung des „self-government“ eingegangen wird.134 Ob das dazu erforderliche Selbstbestimmungsrecht jedoch ein rechtlich verbindliches oder lediglich politisches Konzept ist, kann daraus nicht entnommen werden. Obwohl sich aus heutiger Sicht als unbestritten darstellt, dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker im Kontext des Unabhängigkeitsprozesses der ehemaligen Kolonien eine unumstößliche Rechtsregel war,135 kann das aus der vertraglichen Fixierung in der Charta noch nicht geschlossen werden. Vielmehr war eine Dekolonisierung in der UN-Charta gar nicht vorgesehen. ___________ ser Auslegungsmethode auch Art. 31 III lit a und b WVK, weshalb auch die rechtlich nicht bindenden Resolutionen der Generalversammlung im Zusammenhang mit der Frage der Rechtsqualität von Bedeutung sind, dazu näher unten in Kap. 1 B. III. 2. d). 130 Nowak, CCPR-Kommentar, Art. 1, Rdnr. 7; Thürer, Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 107 131 Vgl. dazu jedoch z.B. Brühl-Moser, Die Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts, S. 42 ff. 132 Dazu näher in Kap. 1 B.III.2.d). 133 So auch Doehring, in: Charta der Vereinten Nationen, nach Art. 1 Rdnr. 2, der Art. 55 insoweit nur eine „deklaratorische Bedeutung“ gibt; vgl. auch Thürer, Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 73 f. 134 Dazu Brühl-Moser, Die Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts, S. 40 f. 135 Vgl. nur Partsch, in: United Nations: Law, Policies and Practice, Rdnr. 19, nach dem im Zusammenhang mit der Dekolonisierung folgendes gilt: „In this way the former principle of self-determination was transformed into a legal rule of colonial selfdetermination“ [eig. Herv.]; er beschränkt das Ergebnis also explizit auf den kolonialen Kontext.

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Stattdessen hat die Generalversammlung schon sehr früh in ihren Resolutionen ein „unveräußerliches Recht der Kolonialvölker auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit“ festgehalten und entsprechende Schritte zur Loslösung der (ehemaligen) Kolonien von den Kolonialmächten gefordert.136 Diese Resolutionen sind kein verbindliches Vertragsrecht, aber ein deutlicher Beleg einer (der Charta nachfolgenden) Staatenpraxis. Dies wird insbesondere im Zusammenhang mit der Analyse des gewohnheitsrechtlichen Selbstbestimmungsrechts aufgegriffen werden, weil die entsprechenden Resolutionen die weitere vertragliche Umschreibung des Selbstbestimmungsrechts der Völker vorangetrieben und zugleich ein erweitertes Verständnis des Rechts vorbereitet haben.137 4. Die Menschenrechtspakte a) Der gemeinsame Artikel 1 der Pakte Wie bei der historischen Entwicklung dargelegt, enthalten die beiden Menschenrechtspakte eine gleichlautende Bestimmung zum Selbstbestimmungsrecht der Völker in Art. 1. Dieses Recht ist inhaltlich und auch durch die Kapiteleinteilung von den übrigen Rechten abgegrenzt. Es stellt sich daher die Frage, welche Stellung die Vorschrift im Verhältnis zu den übrigen, ganz zweifelsfrei die Ratifikationsstaaten als Vertragsrecht bindenden Menschenrechtsnormen innehat. Insbesondere ist fraglich, ob auch Art. 1 eine Rechtsqualität durch Aufnahme in die Pakte erhalten sollte. Falls dies zu bejahen ist, stellt sich die Anschlussfrage, ob das Recht möglicherweise nur in eingeschränktem Umfang enthalten ist. Die Betrachtung kann im Folgenden auf Art. 1 IPbpR beschränkt werden, da keine Unterschiede zum Pakt über soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte bestehen. Im Gegenteil ist die Untersuchung des IPbpR insofern ergiebiger, als hier eine Spruchtätigkeit des Menschenrechtsausschusses besteht, aus der sich weitergehende Folgerungen ableiten lassen. Die Menschenrechtspakte bilden die Fortsetzung der „Katalogisierung“ von Menschenrechten in der Allgemeinen Erklärung von 1948, die als Resolution der Generalversammlung zunächst keine Bindungswirkung entfalten konnte.138 ___________ 136 Vgl. Brühl-Moser, Die Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts, S. 45 mit Hinweis auf Thürer, Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 77 f. 137 Thürer, AVR 1984, 113, 121 weist in diesem Zusammenhang z.B. auf die friedenserhaltende Funktion des Selbstbestimmungsrechts bei der „grundlegenden Umgestaltung“ und der „Entstehung neuer Staaten“ hin. 138 Obgleich allgemein anerkannt ist, dass die AEMR schon bald nach der Verabschiedung und bis in die heutige Zeit eine unerwartet hohe Ausstrahlungswirkung als politischer und moralischer Pflichtenkatalog entfaltet hat, Haratsch, in: 50 Jahre AEMR, S. 23, 30; ders., Die Geschichte der Menschenrechte, S. 50.

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Als Konkretisierung und Vertragsvorbereitung sind die Pakte ebenfalls als Resolution 2200 (XXI) am 16.12.1966 von der UN-Generalversammlung angenommen, dann aber zur anschließenden Ratifizierung durch die Staaten geöffnet worden. Durch Aufnahme des Selbstbestimmungsrechts in einen rechtsverbindlichen Vertrag liegt es nahe anzunehmen, dass „kein Zweifel mehr am rechtlichen Charakter“139 bleibt und es einen „new legal status, that of a formally mandatory rule of international law“140 erhalten hat.141 Wenngleich dies aus heutiger Sicht uneingeschränkt zutrifft und sogar zum Zeitpunkt des Inkrafttretens kein Gegenstand großer Kontroversen war, gab es wegen der kollektiven Zielrichtung des Rechts dennoch Zweifel. Denn ob tatsächlich ein Recht, das im Gegensatz zu allen anderen Bestimmungen im IPbpR einen kollektiven Charakter hat, in jedem Fall ein „subjektives Recht im völkerrechtlichen Sinn“142 ist, scheint im Blick auf die Umsetzung eines solchermaßen gegebenen Rechtsanspruchs fraglich.143 Dennoch betrifft diese Überlegung nur die Umsetzung des Rechts, für die hier interessierende Frage nach der Rechtsqualität ist die Aufnahme in den Pakt ein deutlicher Hinweis auf die Akzeptanz einer rechtlich relevanten Bestimmung, die mehr ist als nur ein Programmsatz.144 b) Vorbehalte und Zweifel an der Rechtsqualität Bei der Ratifikation der Vorschrift hat Indien einen sehr grundsätzlichen Vorbehalt gegen die Auslegung des Art. 1 vorgebracht, nach dem dieser in seiner Anwendung auf Völker unter Fremdherrschaft beschränkt sein sollte.145 Dieser Vorbehalt wurde als mit den Zielen des Vertrages unvereinbar angese___________ 139

So Frey, Selbstbestimmungsrecht, Sezession und Gewaltverbot, S. 34 f. Kiss, HRLJ 1986, 165, 174. 141 Ebenso Heintze, Selbstbestimmungsrecht und Minderheitenrechte, S. 23: „Spätestens mit der Verankerung des Selbstbestimmungsrechts in [...] Menschenrechtspakte wurde der Rechtscharakter [...] durch die völkerrechtliche Vertragsform dokumentiert“. 142 Nowak, CCPR-Kommentar, Art. 1 Rdnr. 14. 143 Nowak, CCPR-Kommentar, Art. 1 Rdnr. 15 ff.; obwohl es sich nach Nowak um ein „ausschließlich kollektives Recht der Völker“ handelt, kann es gleich wie die anderen Rechte angewandt werden, womit also auch ein Individualbeschwerde nach dem Fakultativprotokoll gestützt auf Art. 1 zumindest denkbar ist. 144 Für die damalige Bundesrepublik Deutschland stellt dies Blumenwitz, in: Menschenrechte und Selbstbestimmung unter Berücksichtigung der Ostdeutschen, S. 21, 29 klar, indem er auf eine entsprechende Große Anfrage im Bundestag vorab antwortet, dass sich „aus Art. 1 [ergebe], dass das Selbstbestimmungsrecht – trotz aller Schwierigkeiten bei seiner Anwendung und Verwirklichung – als echter Völkerrechtsatz zu gelten hat“. 145 Vgl. dazu auch Frey, Selbstbestimmungsrecht, Sezession und Gewaltverbot, S. 41. 140

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hen, weshalb zahlreiche Vertragsstaaten dem widersprochen haben.146 Ungeachtet dieses Vorbehalts hat sogar der skeptische Signatarstaat Indien an der Qualität dieser Vorschrift als Rechtsregel nicht gezweifelt, da ansonsten der Vorbehalt unnötig gewesen wäre.147 Der Menschenrechtsausschuss betrachtet die Bestimmung ebenfalls als rechtlich verbindlich, weshalb die Staaten in den obligatorischen Staatenberichten auch über die Maßnahmen zur Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts Stellung nehmen müssen.148 Die sowohl im Vorfeld der Verabschiedung als auch danach geäußerten Zweifel über den normativen Gehalt des Selbstbestimmungsrechts waren rechtspolitisch motiviert, weil insbesondere westliche Staaten mit der Veränderung von primär personenbezogenen Menschenrechten zu einem zusätzlichen Schwerpunkt auf eine territoriale und gruppenbezogene Dimension nicht einverstanden waren.149 Der konstruierte angebliche Widerspruch zu Art. 55 UNCharta, in dem von einer Förderung der Menschenrechte zur Ermöglichung des Selbstbestimmungsrechts und nicht etwa wie in Art. 1 IPbpR vom Selbstbestimmungsrecht als Voraussetzung für die Verwirklichung der Menschenrechte ausgegangen werde, trägt nicht.150 Zwar hat das Selbstbestimmungsrecht in den Menschenrechtspakten eine „Sonderstellung“, dennoch ist damit die Rechtsqualität nicht verneint.151 Der Art. 1 IPbpR ist eine „Brückennorm sui generis zwischen Präambel und Hauptteil [...] [und hat eine] stärkere Bindungskraft als die Präambel, aber ein ‚abgestuftes Weniger’ gegenüber den Individualrechten“.152 Damit ist das Selbstbestimmungsrecht der Völker nicht selbst ein fundamentales Menschenrecht, aber unverzichtbare und unbedingte Vorbedingung

___________ 146

Diese Staaten beriefen sich dabei auf den eindeutigen Wortlaut des Art. 1, der eine solche Einschränkung nicht zulasse, vgl. ausführlich Heintze, Selbstbestimmungsrecht und Minderheitenrechte, S. 24 f.; Crawford, in: Peoples’ Rights, S. 7, 28. 147 Vgl. zu einem ähnlichen Vorbehalt von Bangladesh (BGBl 1999 II S. 784 ff.) den Einspruch von Deutschland, Frankreich, Finnland, Niederlande und Schweden (BGBl 2001 II S. 294 ff.): „[...] Bedingungen unterwirft, die im Völkerrecht nicht vorgesehen sind“. 148 Vgl. Nowak, CCPR-Kommentar, Art. 1 Rdnr. 22; kritisch zur tatsächlichen Praxis Brühl-Moser, Die Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts, S. 229 mit dem Hinweis, dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker in diesem Verfahren von den Staaten entweder übergangen oder nur auf die externe Sicht bezogen werde. Ähnlich im Hinblick auf die DDR und die Sowjetunion, die aber ebenfalls auf das Recht eingegangen sind, Blumenwitz, in: Menschenrechte und Selbstbestimmung unter Berücksichtigung der Ostdeutschen, S. 21, 28 ff. Dazu näher auch Kap. 1 B. II. 4. d) bb). 149 Vgl. Riedel, in: Aktuelle Probleme des Menschenrechtsschutzes, S. 49, 57. 150 Thürer, Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 37, Fn. 1 und dazugehöriger Text. 151 Heintze, in: Völkerrecht, § 27 Rdnr. 8. 152 Kotzur, Theorieelemente des internationalen Menschenrechtsschutzes, S. 327.

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zur Verwirklichung der übrigen im Pakt genannten Rechte.153 Als solche hat es eine positive Rechtsnormqualität.154 Ohne im Einzelnen auf den Inhalt des Selbstbestimmungsrechts der Völker schon einzugehen, ist zu prüfen, ob diese Rechtsnormqualität nur einem bestimmten, eingeschränkten Teil des Rechts zukommt. Es wird behauptet, dass der Inhalt des Rechts in Art. 1 IPbpR beschränkt sei auf bestimmte Zusammenhänge.155 Es ist aber gezeigt worden, dass sich die Paktfassung des Selbstbestimmungsrechts eindeutig nicht mehr nur auf den kolonialen Zusammenhang bezieht, sondern darüber hinausweist.156 Es wurde durch die Formulierung in den Pakten zu einem – nicht nur dem Wortlaut nach – Prinzip von geographisch und politisch unbeschränkter Geltung, da sich Art. 1 Ziff. 3 als Sonderbestimmung nicht nur an Kolonialmächte richtete. Zudem enthielt Art. 1 Ziff. 2 eine neu verstandene wirtschaftliche Dimension des Selbstbestimmungsrechts.157 Noch darüber hinausgehend gibt es eine Erweiterung auf den internen Kontext eines Staates, wonach das Recht nicht mehr nur ein Verbot der Einmischung durch andere Völker von außen, sondern auch die Möglichkeit des ganzen Volkes jedes Vertragsstaates zur freien Wahl ihrer Herrscher bedeutete.158 ___________ 153 Vgl. die insoweit unpräzise Formulierung von Chou-Young, S. 256: „[...] Selbstbestimmungsrecht als Menschenrecht bzw. als Vorbedingung der anderen Menschenrechte“. Anders und wie hier aber Thürer, AVR 1984, 113, 122, wonach sich sowohl aus der systematischen Stellung am Beginn der Pakte als auch aus der Präambel („[...] Ideal kann nur erreicht werden, wenn [...]“) ergebe, dass Selbstbestimmungsrecht eine „Voraussetzung für die Verwirklichung der Menschenrechte“ ist; zustimmend auch Schoder, Vom Minderheitenschutz zum Schutz verwundbarer Gruppen, S. 142 („Garant“). So z.B. auch Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 54: „permanent link between selfdetermination and civil and political rights“. 154 Ebenso Ermacora, in: Menschenrechte und Selbstbestimmung unter Berücksichtigung der Ostdeutschen, S. 9, 13: „Das bedeutet ein zweifaches: es [das Selbstbestimmungsrecht] ist die Grundlage für alle übrigen Menschenrechte – und ohne Menschenrechte keine Selbstbestimmung!“ Es bestehe also eine „Wechselwirkung“ zwischen dem vorangestellten Selbstbestimmungsrecht und den „übrigen“ Menschenrechten, so dass sich die Rechtsqualität auf alle erstreckt. 155 Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 137 ff., 141. 156 Musgrave, Self-Determination, S. 151. 157 Crawford, in: Peoples’ Rights, S. 7, 27, weist auf die zentrale Neuerung durch Art. 1 der Pakte hin, wonach das Selbstbestimmungsrecht nun wirklich für „all peoples“ zu gelten habe, denn Abs. 3 stelle mit seiner offenkundig nur limitierten Anspruchsgruppe einen Gegensatz zu Abs. 1 her und die Formulierung des Abs. 2 stelle ebenfalls klar, dass dieses Recht für alle gelten müssen (unabhängig davon, ob nun Staaten oder Völker als Anspruchsteller gezählt werden sollten). 158 So jedenfalls Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 53 und 65 f.; vgl. zum Inhalt des Selbstbestimmungsrechts Kap. 1 C.

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c) Das Verhältnis zur UN-Charta Die Pakte wurden als verbindliche Kodifikation der Menschenrechte, die 1948 noch als Deklaration in Form der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verkündet wurden, von der UN initiiert. Sie sind ebenfalls von der Generalversammlung verabschiedet und danach zur Ratifikation aufgelegt worden. Insoweit können sie verstanden werden als eine Auslegung der entsprechenden Vorschriften in der UN-Charta im Verständnis der Generalversammlung,159 wobei diese Interpretation in ihrer Bedeutung dadurch unterstrichen wird, dass die Zahl der Vertragsparteien der Pakte ähnlich hoch ist wie bei der Charta selbst. Aus dem in den Pakten geäußerten Verständnis lässt sich ein Wandel ablesen, nach dem das Selbstbestimmungsrecht zunächst ein Programmsatz sein sollte, aber bereits bei der Verabschiedung der Pakte im Blickwinkel der Generalversammlung zu einer Rechtsnorm herangereift war. Im Übrigen dürfen die Paktbestimmungen wegen Art. 46 IPbpR nicht so ausgelegt werden, dass sie Bestimmungen der Charta beschränken. Die dort angelegte Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts zu einem echten Recht konnte also durch die Pakte höchstens erweitert werden, was geschehen und auch durch den Menschenrechtsausschuss bestätigt worden ist. Die Pakte sind nicht nur eine Bestätigung und Bekräftigung der Charta-Vorschrift, sondern enthalten in Art. 1 Ziff. 3 eine eigenständige Verpflichtung für die Vertragsstaaten, die Verwirklichung des Rechts auf Selbstbestimmung aktiv zu fördern und sind spätestens damit eine zusätzliche und selbständige, und zwar eine eindeutig vertragsrechtlich verbindliche Rechtsgrundlage für das Selbstbestimmungsrecht der Völker geworden.160 Durch die spätere wortgleiche Übernahme in die Friendly RelationsDeklaration sowie die Schlussakte von Helsinki kann die Paktformulierung im Rückblick als die „klassische Legaldefinition des Selbstbestimmungsrechts“161 gewertet werden. d) Stellung und Praxis des Menschenrechtsausschusses Zur Analyse der Paktbestimmungen des IPbpR gehört die Arbeit des Menschenrechtsausschusses als Vertragsorgan zur Durchführung und Überwachung der Einhaltung der Paktbestimmungen, die kurz zu beleuchten ist. Dazu ist es notwendig, auf Struktur und Funktionsweise des Organs einzugehen, bevor die ___________ 159

Doehring, in: Charta der Vereinten Nationen, nach Art. 1 Rdnr. 19. Frey, Selbstbestimmungsrecht, Sezession und Gewaltverbot, S. 35; Nowak, CCPR-Kommentar, Art. 1 Rdnr. 20; Doehring, in: Charta der Vereinten Nationen, nach Art. 1 Rdnr. 19. 161 Thürer, AVR 1984, 113, 122; ebenso Rabl, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 488 f. 160

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für die rechtliche Qualität und die Bedeutung des Art. 1 IPbpR relevanten Aussagen dargestellt werden. Die weiteren Stellungnahmen z.B. zu möglichen Trägern von Rechten oder im Rahmen konkreter Mitteilungen, z.B. durch Vertreter indigener Bevölkerungen, werden an den entsprechenden Stellen der Arbeit behandelt bzw. wieder aufgegriffen. aa) Der Menschenrechtsausschuss und das „treaty monitoring“ Der Menschenrechtsausschuss („Ausschuss für Menschenrechte“ gemäß Art. 28 IPbpR) besteht aus 18 gewählten – unabhängigen162 – Experten aus dem Kreis der Vertragsstaaten und übernimmt das sogenannte „treaty monitoring“ bezüglich des Paktes über die bürgerlichen und politischen Rechte.163 Die Paktstaaten sind gemäß Art. 40 Abs. 1 IPbpR verpflichtet über Maßnahmen, die sie zur Verwirklichung der Paktrechte getroffen haben in einem sog. Staatenbericht den Menschenrechtsausschuss regelmäßig zu informieren. Gemäß Art. 40 Abs. 4 IPbpR prüfen die Experten den Maßnahmenbericht und fertigen dazu einen eigenen Abschlussbericht, in dem sie positive Aspekte des Menschenrechtsschutzes, aber auch Probleme bei der Umsetzung des Rechte im jeweiligen Staat hervorheben.164 Ferner hat der Ausschuss nach Art. 40 Abs. 4 IPbpR das Recht sog. „Allgemeine Bemerkungen“ (general comments), die ihm notwendig erscheinen, zu erlassen. Schließlich gibt es für die Angehörigen derjenigen Staaten, die auch das 1. Fakultativprotokoll zum IPbpR ratifiziert haben, die Möglichkeit sog. Mitteilungen („communications“), also Individualbeschwerden, an den Ausschuss zu richten. Üblicherweise tagt der Menschenrechtsausschuss öffentlich, außer bei den Mitteilungen von Individuen und anderen Ausnahmen, wenngleich er deutlich weniger Aufmerksamkeit und me___________ 162 Wobei diese Unabhängigkeit nicht in absoluter Hinsicht wie beispielsweise bei der deutschen Richterschaft nach Art. 97 GG zu verstehen ist, da Ausschussmitglieder durchaus in ihren Hauptberufen auch beispielsweise Regierungsangehörige sein können und – wenngleich nur in geringer Zahl – auch waren, vgl. Steiner/Alston, International Human Rights, S. 707. 163 Er ist damit zu unterscheiden von der (begrifflich ähnlichen) UN-Menschenrechtskommission und vergleichbar mit anderen Vertragsorganen wie z.B. dem Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung. Um dem auch im Englischen gegebenen Begriffsproblem (Commission on Human Rights bzw. Human Rights Committee) zu entgehen, nannten Steiner/Alston, International Human Rights, S. 705 letzteren einfach „ICCPR Committee“; durch die Auflösung der Menschenrechtskommission und Schaffung des Menschenrechtsrates fällt die Begriffsverwirrung in beiden Sprachen weg. 164 Beispiele für solche „Concluding Observations“ des Menschenrechtsausschusses zu den Staatenberichten finden sich bei Steiner/Alston, International Human Rights, S. 715 ff.; sie können im Internet unter http://tb.ohchr.org/default.aspx recherchiert werden.

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Kapitel 1: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker

diale Widerspiegelung erhält als beispielsweise die Menschenrechtskommission bei ihren Sitzungen.165 (1) Die Staatenberichte Schwerpunkt der Arbeit des Menschenrechtsausschusses ist die Behandlung von Staatenberichten,166 auch weil dies die einzig vorgeschriebene Pflichtaufgabe der Paktstaaten ist und z.B. das ebenfalls zur Verfügung stehende fakultative Staatenbeschwerdeverfahren eines Staates gegen einen anderen vor dem Ausschuss gemäß Art. 41 IPbpR noch nie zur Anwendung gekommen ist. Der Wortlaut des Art. 40 IPbpR ist bezüglich der genauen Kompetenzen des Ausschusses und der Art der Behandlung von Staatenberichten sehr offen, was in den ersten Jahren auch zu internen Auseinandersetzungen über die Ausgestaltung der Arbeit geführt hat.167 Hinsichtlich der Staatenberichte einigten sich die Ausschussmitglieder auf ein Verfahren, das bis heute durchgehalten und weiter ausgebaut wurde. Seither ist die Prüfung der Staatenberichte („study“) zu einer abschließenden schriftlichen Bewertung des Ausschusses im Sinne einer Jurisprudenz über die Frage geworden, ob – nach dem Bericht, den Antworten des Staates auf die dazu gestellten Fragen und nunmehr auch durch begleitende Informationsquellen wie nichtstaatliche Menschenrechtsorganisationen168 – der Staat seinen Verpflichtungen nachkomme (die sog. „concluding observations“);169 der Ausschuss arbeitet damit und durch seine übrigen Stellungnahmen in der Art eines „quasi-legislative body“.170 Obwohl das Vorlegen regelmäßiger Berichte heute nicht nur bezüglich des Menschenrechtspaktes eine Selbstverständlichkeit geworden ist, war es bei Einführung der ersten Staatenberichte eine geradezu sensationelle Neuerung, dass sich ein Staat einer externen Prüfung der innerstaatlichen Situation stellte. Die offenkundigen Defizite des Verfahrens hat zumindest der Menschenrechtsausschuss schon zu einem großen Teil abgebaut, indem er sich nicht mehr nur auf die vom Staat vorgelegten Informationen verlässt und in Notstandssituationen auch kurzfristig zusätz___________ 165

Dazu Steiner/Alston, International Human Rights, S. 707. Opsahl, in: FS Partsch, S. 273, 274, daneben spielen die Individualbeschwerden eine zunehmende Rolle und führen zur ansteigenden Arbeitsbelastung des Menschenrechtsausschusses. 167 Aus der Innenansicht beschrieben durch das ehemalige Ausschussmitglied Opsahl, in: FS Partsch, S. 273, 274 ff. 168 Nach eigenem Bekunden möchte der Ausschuss durch vor Ort-Besuche die vorgelegten Angaben der Staaten prüfen können, vgl. dazu Steiner/Alston, International Human Rights, S. 710 f. 169 Buergenthal, in: The United Nations and Human Rights, vorab Auszug in: Steiner/Alston, S. 711, 712. 170 Opsahl, in: FS Partsch, S. 273, 283. 166

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liche Berichte außerhalb der normalen regelmäßigen Berichtsverpflichtung fordert.171 Auch die Art der Nachfragen und der Prüfung hat sich seit dem Ende des Block-Gegensatzes von den „Samthandschuhen“ entledigt und ist zu einem ernsthaften, inquisitorischen Verfahren geworden.172 Eine Schwachstelle des Systems kann der Ausschuss nicht beseitigen und wenn dieser plötzlich beseitigt wäre, könnte der Ausschuss den Arbeitsanfall kaum bewältigen. So liefern die Mehrzahl der Staaten ihre fälligen Berichte spät oder deutlich zu spät173 und manchmal auch in offensichtlich mangelhafter Qualität ab.174 Andererseits bieten die vorgelegten Staatenberichte häufig, wie weiter unten am Beispiel des umfangreichen ersten Berichtes der USA nach Ratifikation gezeigt wird, eine sehr gute Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit der staatlichen Haltung zu Umsetzungsmaßnahmen bezüglich ihrer Verpflichtungen aus den Pakten.175 (2) Die Allgemeinen Bemerkungen Die allgemeinen Bemerkungen dienen der Sicherstellung der einheitlichen Umsetzung der im Pakt niedergelegten Menschenrechte und sind zugleich Konkretisierungen, die sich aus der Erfahrung ergeben sollen, die der Ausschuss bei der Behandlung von Staatenberichten und Individualbeschwerden gesammelt hat.176 Mittels dieser Bemerkungen kann der Ausschuss die Paktbestimmungen auslegen; diese Auslegungen sind zwar nicht rechtsverbindlich auf der Ebene des Pakttextes, sind aber allgemein als die am stärksten maßgeblichen Interpretationen177 der enthaltenen Rechte anerkannt. Wenn sie widerspruchslos in der folgenden Staatenpraxis von diesen in ihren Berichten beachtet werden, sind sie die Formulierung von gewohnheitsrechtlichen Normbe___________ 171

Dazu wiederum Steiner/Alston, International Human Rights, S. 710 f. Dieses Bild findet sich bei Buergenthal, in: The United Nations and Human Rights, vorab Auszug in: Steiner/Alston, International Human Rights, S. 711, 713. 173 Vgl. die entsprechende Klassifizierung bei der UN in „due“ bzw. „overdue“. Ein extremes Beispiel war etwa Syrien, das im Jahr 2000 schon seit 15 Jahren mit dem ersten Bericht überfällig war. 174 Vgl. dazu auch von der Wense, Der UN-Menschenrechtsausschuß, S. 182 f. 175 HRC, Report by the United States 1994 (UN Doc. CCPR/C/81/Add.4 v. 24.08.1994); dazu näher in Kap. 4 A. III. und IV. Der zweite Bericht wäre bereits am 09.07.1998 fällig gewesen und ist „overdue“ 2005 mit dem dritten Bericht eingereicht worden, HRC, Report by the United States of America 2005 (UN Doc. CCPR/C/USA/3 v. 28.11.2005). 176 von der Wense, Der UN-Menschenrechtsausschuß, S. 45. 177 Nowak, CCPR Commentary, Introduction Rdnr. 6 („most authoritative interpretation“), 21; zustimmend von der Wense, Der UN-Menschenrechtsausschuß, S. 45; bereits zu einem frühen Stadium auch Opsahl, in: FS Partsch, S. 273, 284; zurückhaltender Boerefijn, 17.4 (1995) HRQ, 766, 787, der darin eher politische Druckmittel sieht. 172

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Kapitel 1: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker

stimmungen.178 Die noch andauernde Tätigkeit des Verfassens von Bemerkungen zu einzelnen Vorschriften sowie ihre Aktualisierung stellten im Zusammenhang mit der Spruchpraxis des Ausschusses eine Art (Rechts-)Kommentar zum IPbpR dar.179 Insbesondere stellt der Ausschuss in den Bemerkungen fest, welche Informationen er zu den einzelnen Vorschriften in den von den Staaten abzulieferenden Berichten erwartet.180 (3) Die Mitteilungen von Individuen Im Rahmen des Individualbeschwerdeverfahrens nach dem Fakultativprotokoll, das ca. zwei Drittel der Signatarstaaten des IPbpR ratifiziert haben,181 kann der Ausschuss eine Verletzung einer Paktbestimmung in einem konkreten Fall feststellen und ist nicht auf allgemeine Ausführungen wie bei den Stellungnahmen zu den Staatenberichten beschränkt. Obgleich die Auffassung („views“), die der Ausschuss zu solchen Mitteilungen äußert, keine Rechtsverbindlichkeit erlangt und damit nicht einem bindenden Urteil entspricht, wirken die Entscheidungen im Ergebnis häufig als Autorität, weil die Staaten bei einer Nichtbefolgung in zukünftigen Staatenberichten in Erklärungsnotstand gerieten.182 Da es an einem gerichtsförmigen Verfahren und der entsprechenden Öffentlichkeit fehlt,183 können Staaten aber auch die „Auffassungen“ des Ausschusses vollständig ignorieren oder sich sogar bewusst dagegen verhalten. Dennoch verbindet der Ausschuss alle seine eine Verletzung bejahenden Auffassungen mit der Aufforderung an die Staaten binnen 90 Tagen über die von ihm getroffenen Maßnahmen zur Abhilfe zu berichten ___________ 178

Einigen Widerspruch der Atommächte gab es gegen die Allgemeine Bemerkung Nr. 14, die deutliche Kritik am Vorhandensein von nuklearen Waffen übte, vgl. dazu von der Wense, Der UN-Menschenrechtsausschuß, S. 46. 179 Ähnlich Boerefijn, 17.4 (1995) HRQ, 766, 788. Nach von der Wense, Der UN-Menschenrechtsausschuß, S. 47 f. seien sie als „qualitativ hochstehend und wertvolle Auslegungshilfe“ anerkannt und hätten daher den stärksten Einfluss auf die Entwicklung und Auslegung des Paktes gehabt. 180 Opsahl, in: FS Partsch, S. 273, 282; von der Wense, Der UN-Menschenrechtsausschuß, S. 45. Beispiele bei Steiner/Alston, International Human Rights, S. 733 ff. Klein, in: The Duty to Protect and to Ensure Human Rights, S. 295, 303 interpretiert dies als Hilfe an die Staaten zur Implementation des Paktes. 181 Ratifikationsstand am 05.03.2008 gemäß Office of the UN High Commissioner for Human Rights, www2.ohchr.org/english/bodies/ratification/5.htm: 111 Staaten. 182 Zur Wirkungsweise und dem Ablauf des Individualbeschwerdeverfahrens von der Wense, Der UN-Menschenrechtsausschuß, S. 52 ff. 183 Andererseits kann die konkrete Herangehensweise des Ausschusses an die Bearbeitung von Mitteilungen als judizielles Verfahren qualifiziert werden, so SchererLeyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 94.

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und prüft seit einigen Jahren auch die Umsetzungserfolge.184 Die Veröffentlichung dieser Statistiken und ihre Diskussion innerhalb des UN-Menschenrechtssystems, aber auch die akademische Auseinandersetzung mit den veröffentlichten Auffassungen hilft unabhängig vom einzelnen Fall zu einer Förderung des menschenrechtlichen Grundgehaltes, auf den sich Individuen berufen können. bb) Die Haltung zum Selbstbestimmungsrecht Auf der Grundlage der obigen Darstellung des Menschenrechtsausschusses sind nun kurz dessen Aussagen zum Selbstbestimmungsrecht zu untersuchen. Schon relativ bald, nachdem der Menschenrechtsausschuss damit begonnen hat, die Bemerkungen zu verfassen, einigte er sich 1984 während seiner 21. Sitzungsperiode auf die Allgemeine Bemerkung Nr. 12 (21), die das Selbstbestimmungsrecht der Völker aus Art. 1 IPbpR zum Gegenstand hat.185 Obwohl mit dieser Bemerkung ebenfalls keine ausführliche Definition des Selbstbestimmungsrechts angestrebt wurde, enthält sie einige Hinweise über die Haltung des Menschenrechtsausschusses zum Selbstbestimmungsrecht. Danach sei dieses Recht die Grundvoraussetzung für die Garantie und Beachtung der übrigen Individualrechte der Menschen, weshalb die Nennung am Anfang des Paktes und in einem gesonderten Abschnitt erfolgte. Unter anderem unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Friendly Relations-Deklaration stellt der Ausschuss klar, dass das Recht allen Völkern zustehe und mit anderen Regeln des Völkerrechts verbunden sei. Aus den Formulierungen der Bemerkung lässt sich erkennen, dass der Ausschuss davon ausgeht, dass das Selbstbestimmungsrecht auch eine interne Komponente enthält.186 In Abs. 4 der Allgemeinen Bemerkung hält der Ausschuss fest, dass der Geltungsbereich dieser Vorschrift von den Staaten in ihren periodischen Berichten mit abgedeckt werden muss. Es sind also diejenigen Maßnahmen aufzuzeigen, die der Erfüllung der Selbstbestimmungsrechtsverpflichtung dienen. Wie oben dargelegt, geht es bei den Berichten um die tatsächliche Befolgung und Umsetzungsmassnahmen der in dem Pakt enthaltenen Rechte. Die Bemerkungen dienen dazu, den Staaten die Berichtspflicht zu erläutern. Daraus kann also geschlossen werden, dass der Menschenrechtsausschuss auch Art. 1 IPbpR für eine verbindliche, durch die Paktstaaten umzusetzende Regel hält, weil sie andernfalls nicht periodisch über Maßnahmen zur Verwirklichung berichten ___________ 184

Dazu Steiner/Alston, International Human Rights, S. 741. HRC, Allgemeine Bemerkung Nr. 12 (21) zu Art. 1 IPbpR; die General Comments sind alle abrufbar unter www2.ohchr.org/english/bodies/hrc/comments.htm. 186 Vgl. zu alledem Thornberry, in: Modern Law of Self-Determination, S. 101, 112. 185

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müssten. Als Beispiel kann bereits hier der erste Bericht der USA angeführt werden, in dem die Ausführungen zu Art. 1 67 Abschnitte umfassen.187 Dass die Allgemeine Bemerkung 12 (21) inhaltlich bezüglich der Tragweite der Vorschrift für die Staaten nicht so hilfreich war wie andere Konkretisierungen von Paktbestimmungen, liegt wohl an der besonders ausgeprägten „politically sensitive area“, die sie behandelt.188 Ein weiterer deutlicher Hinweis auf die Bewertung des Art. 1 IPbpR als vollwertigem Recht, das lediglich in seiner Anwendbarkeit Besonderheiten aufzeigt, sind die Ansichten des Menschenrechtsausschusses zu den entsprechenden Individualmitteilungen. So waren die auf Art. 1 IPbpR gestützten Mitteilungen im Individualbeschwerdeverfahren nach dem 1. Fakultativprotokoll zwar alle im Ergebnis ohne materiellen Erfolg, aber bezüglich der hier interessierenden Frage der Rechtsqualität der Vorschrift geben sie wertvolle Erkenntnisse: In den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts versuchten vor allem kanadische Indianer – Kanada war schon Vertragsstaat des Paktes und des Fakultativprotokolls – über eine Berufung auf Art. 1 IPbpR beim Menschenrechtsausschuss Gehör zu finden. Die Eingaben wurden zwar als unzulässig abgewiesen, aber bei den ersten Fällen nicht schon wegen der Berufung auf einen Artikel der grundsätzlich nicht Beschwerdegegenstand sein könne. Insbesondere in der Mikmaq-Entscheidung von 1984, in der ein „Grand Captain of the Mikmaq tribal society“ für den Stamm der Mikmaq Beschwerde erhob, erörterte der Ausschuss die Parteifähigkeit des Captain und verneinte jedenfalls diese, da er nicht ausreichend dargelegt habe, dass er sein Volk vertrete.189 Außerdem habe er keine Argumente für eine Verletzung in seiner Person vorgetragen, weshalb die Mitteilung als unzulässig abgelehnt wurde. Ungeachtet der Kritik, die diese Entscheidung hervorrief, konnte daraus im Umkehrschluss herausgelesen werden, dass die Mikmaq zumindest grundsätzlich ein Volk sein könnten, das eine Verletzung seines Selbstbestimmungsrechts geltend machen könnte. Sonst hätte es genügt, wenn der Menschenrechtsausschuss Art. 1 IPbpR als unzulässigen Gegenstand herausgestrichen hätte. Eine ähnliche Überlegung hat Crawford angestellt: es war richtig vom Menschenrechtsausschuss, zumindest die Möglichkeit der Beschwerde einer Gruppe gestützt auf Art. 1 IPbpR zu erwägen. In Art. 7 Fakultativprotokoll werde klargestellt, dass durch die Einführung des Individualbeschwerdeverfahrens das Recht von Kolonialvölkern, ___________ 187

Und damit der drittlängste Teil der materiellen Ausführungen mit insgesamt 840 Abschnitten sind, HRC, Report by the United States 1994; vgl. dazu noch unten in Kap. 4 B. III. 3. c). 188 Opsahl, in: FS Partsch, S. 273, 283. 189 HRC, A.D. v. Canada, Communication No. 78/1980 Rdnr. 8.2 = EuGRZ 1984, 388 ff.

B. Rechtliche Qualität

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Beschwerden nach der UN-Charta zu erheben, nicht beeinträchtigt werden sollte. Zwar gehe es bei diesem in Bezug genommenen Recht auch um Individualrechte, in erster Linie sei aber das Selbstbestimmungsrecht der Völker betroffen gewesen. Wenn nun eine Beschwerde gestützt auf Art. 1 IPbpR generell nicht möglich gewesen wäre, dann hätte es dieses Art. 7 zur Klarstellung auch nicht bedurft.190 Nicht zuletzt wegen der politischen Sprengkraft, die eine Entscheidung über einen Anspruch aus Art. 1 IPbpR durch eine Gruppe innerhalb eines Staates gehabt hätte, hat der Menschenrechtsausschuss später seine Ansicht präzisiert und nunmehr ausdrücklich festgehalten, dass einerseits ein Individuum eine auf Art. 1 IPbpR gestützte Beschwerde nicht einbringen, sondern sich nur auf die Rechte aus Teil III des Paktes stützen kann.191 Auch ein Repräsentant eines Volkes – wenn sich ein solcher finden ließe – kann zumindest im Individualbeschwerdeverfahren nicht auf Art. 1 IPbpR rekurrieren.192 Dies ist auch in der Verfahrensordnung klargestellt worden, wonach nur unter ganz engen Voraussetzungen eine Beschwerde durch einen anderen als den Betroffenen erhoben werden kann.193 In politisch verständlicher, aber juristisch unbefriedigender Weise hat sich der Menschenrechtsausschuss damit die Möglichkeit genommen, sich mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker auseinandersetzen zu können.194 Andererseits hat er mit seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 12 (21) unmissverständlich klargestellt, dass Art. 1 IPbpR zwar eine Sonderrolle spiele, aber in seiner rechtlichen Bindungswirkung den übrigen Paktvorschriften nicht nachstehe und daher von den Staaten zu beachten und darüber zu berichten sei. Auch der Menschenrechtsausschuss bejaht damit die rechtliche Qualität des Art. 1 IPbpR.

___________ 190

So Crawford, in: Peoples’ Rights, S. 7, 36 Fn. 78. Dieser „judicial self-restraint“ ist zwar kritisiert, aber später vom Ausschuss bestätigt worden, so z.B. in HRC, R.L. et al. v. Canada, Communication No. 358/1989 Rdnr. 6.2; vgl auch Nowak, CCPR-Kommentar, Art. 1 Rdnr. 23 ff. und Nowak, CCPR Commentary, Art. 1 Rdnr. 26; Turpel, 25 Cornell Int. L. J. [1992], 579, 585 („politically charged“). 192 So HRC, Ominayak/Lubicon Lake Band v. Canada, Communication No. 167/1984; vgl. dazu auch Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 64; immerhin wurde der Weg zu einer Berufung auf Art. 25 lit a) eröffnet, vgl. ebda. Fn. 75; Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 282 und unten Kap. 2 B. IV. 2. b) aa) (2). 193 Crawford, in: Peoples’ Rights, S. 7, 36. 194 Dies hält Crawford, in: Peoples’ Rights, S. 7, 36 f. zu Recht für eine bedauerliche, vielleicht sogar vorschnelle Verkürzung der eigenen Kompetenzen; ebenso Turpel, 25 Cornell Int. L. J. [1992], 579, 585 f., wonach der Ausschuss eine „unwillingness“ gezeigt habe. Näher zum Ganzen noch unten Kap. 2 B. IV. 2. b) . 191

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5. Konkretisierung des Vertragsrechts durch Gewohnheitsrecht Die obige Analyse hat gezeigt, dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker ein Recht und zwar das aller Völker auf vertraglicher Grundlage ist. Offen bleibt lediglich, in welchem Umfang das Recht ausserhalb des kolonialen Kontextes gilt.195 Antworten darauf kann möglicherweise das Völkergewohnheitsrecht geben. Wie noch zu zeigen sein wird, steht Vertragsrecht nicht beziehungslos neben dem Gewohnheitsrecht.196 Letzteres hat einerseits eine lückenschließende Funktion, indem es den Anwendungsbereich vertraglicher Schutznormen konkretisieren kann.197 Diese Möglichkeit gilt insbesondere für Resolutionen der UN-Generalversammlung in Bezug auf Inhalte der UN-Charta.198 Insofern ist das Gewohnheitsrecht nicht nur als eigenständige Rechtsquelle von Bedeutung, sondern auch als Auslegungshilfe für unklare vertragliche Bestimmungen.199 Verträge können aber auch schlicht vorhandenes Gewohnheitsrecht kodifizieren oder Ausgangspunkt für neu entstehendes Gewohnheitsrecht sein.200 Wenn zwischen den beiden Verankerungen eines Rechts eine inhaltliche Parallelität besteht, dann festigt die „doppelte Verankerung“ die entsprechende Norm und ist daher ein Indiz für sich herausbildendes ius cogens.201 Zunächst soll untersucht werden, inwieweit das Gewohnheitsrecht ebenfalls eine Quelle für das Selbstbestimmungsrecht ist.

III. Völkergewohnheitsrecht 1. Systematische Vorüberlegungen zum Völkergewohnheitsrecht a) Allgemeines Von grundlegender und noch heute in Zeiten weitverbreiteten Vertragsschlusses ungebrochener Bedeutung für die Entstehung des Völkerrechts ist das ___________ 195 Die Gültigkeit als lex lata sei unbestritten, die Frage nach dem heutigen Umfang dagegen sei „lex obscura“, so Crawford, in: Peoples’ Rights, S. 7, 31 f. 196 Ebenso Steiner/Alston, International Human Rights, S. 71: „complexly interrelated“. Rogers, International law and United States law, S. 14, weist darauf hin, dass die Existenz des Vertragsrechts überhaupt erst auf die gewohnheitsrechtliche Regel „pacta sunt servanda“ zurückgeht. 197 Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 90. 198 Villiger, Customary International Law and Treaties, Rdnr. 211; mit Abstufungen Herdegen, Völkerrecht, § 20 Rdnr. 1 ff. 199 Steiner/Alston, International Human Rights, S. 71 f. 200 Dazu allg. Weisburd, 25 Ga. J. Int’l. & Comp. L. [1996], 99, 109 ff. 201 Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 186.

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Völkergewohnheitsrecht.202 Zwischen Staaten kann die Übereinstimmung herrschen, dass sie sich an eine bestimmte – auch ungeschriebene – Regel halten müssen und sich auch tatsächlich daran halten.203 Ein solcher Konsens zwischen den beteiligten Völkerrechtssubjekten ist grundsätzlich schwieriger nachzuweisen als beim Vertragsrecht, bei dem sich die Unterzeichner unzweideutig zu einem bestimmten Inhalt bekannt haben, was jedoch Auslegungsdivergenzen nicht ausschließt. Die Existenz des Gewohnheitsrechts ist daher aus den zwei in Art. 38 Ziff. 1 lit b) IGH-Statut genannten Elementen abzuleiten: es muss eine allgemeine Übung (consuetudo) bezüglich einer bestimmten Regel bestehen, zu der eine diese Übung als Recht anerkennende Überzeugung (opinio iuris) durch die Staaten tritt.204 Zur Ermittlung völkgergewohnheitsrechtlicher Regeln können gemäß Art. 38 Ziff. 1 lit d) IGH-Statut auch Gerichtsentscheidungen als Hilfsmittel zur Rechtsquellenbestimmung herangezogen werden, weshalb nach der Erörterung völkergewohnheitsrechtlicher Tatbestände auch die relevanten Entscheidungen des IGH zum Selbstbestimmungsrecht dargestellt werden, die das Ergebnis einer gewohnheitsrechtlichen Geltung dieses Rechts bestätigen. b) Möglichkeiten der Entstehung von Gewohnheitsrecht Nur auf den ersten Blick scheint die Entstehung von Gewohnheitsrecht klar, wonach das objektive Element einer bestimmten Staatenpraxis vorliegen muss, zu der dann die subjektive Überzeugung tritt, dass dieses bestimmte Verhalten nicht aus Gründen der Höflichkeit erfolgt, sondern weil sich der Staat aus rechtlichen Gründen daran gebunden glaubt.205 Schon bei der Frage, wie die beiden Elemente zusammenhängen und ob es eine zeitliche Reihenfolge geben muss, ergeben sich Bestimmungsprobleme, die auch zu einer generellen – unberechtigten – Kritik am Gewohnheitsrecht geführt haben.206 Da die Unterzeichnung ___________ 202

Malanczuk, International Law, S. 35. Zu den verschiedenen Konstruktionsmodellen für das Völkergewohnheitsrecht vgl. im Überblick Fink, in: FS Schiedermair, S. 803, 807 ff. 204 Vgl. allgemein zu den Voraussetzungen für Völkergewohnheitsrecht: Graf Vitzthum, in: Völkerrecht, I Rdnr. 132 ff.; Brownlie, Public International Law, S. 4 ff. Zur ausführlicheren Definition im „Foreign Relations Law of the United States“, das von der nicht-staatlichen Gesellschaft „American Law Institute“ erarbeitet wird, vgl. Steiner/Alston, International Human Rights, S. 70, zum Law Institute S. 234 f. Nur wenige Autoren sprechen dem Völkergewohnheitsrecht die Legitimität gänzlich ab, so z.B. Kelly, 40 Va. J. Int’l. L. [2000], 449, 452 ff., 538 ff. 205 Vgl. Herdegen, Völkerrecht, § 16 Rdnr. 1. Die beiden Elemente des Gewohnheitsrechts sind vom IGH durchgängig bestätigt worden, vgl. nur ICJ Rep. 1986, 14 Rdnr. 184 – Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua/ United States of America); ICJ Rep. 1985, 29 – Continental Shelf (Lybia Arab Jamahiriya/Malta). 206 Vgl. zu diesen Literaturstimmen Malanczuk, International Law, S. 39. 203

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eines rechtsverbindlichen Vertrages sowohl als Ausdruck einer bestimmten Rechtsüberzeugung interpretiert werden kann, als auch ein weiterer Schritt zur Manifestation einer bestimmten Praxis darstellt, ist schließlich auch zu überlegen, inwieweit Vertragsrecht zur Festlegung von Gewohnheitsrecht mit herangezogen werden kann und darf. Es muss jedoch bereits hier gesagt werden, dass die genaue zeitliche Festlegung der Entstehung von Gewohnheitsrecht und die Abgrenzung zum (entstehenden) lex ferenda kaum möglich ist.207 aa) Nachweisbares Staatenverhalten Am einfachsten ist es, wenn ein tatsächliches Verhalten von Staaten zunächst empirisch nachgewiesen werden kann.208 Dabei kann dieses gesammelt werden aus Dokumentationen über das Verhalten von Staaten ebenso wie aus offiziellen Statements und Konferenzbeiträgen, aus Regierungspapieren wie auch aus der innerstaatlichen Gesetzgebung und Rechtsprechung, die ebenfalls Ausdruck der staatlichen Gewalt sind und zum Gesamtbild beitragen können.209 Problematisch ist es, dass offizielle Dokumente, die Aufschluss über bestimmte Verhaltensweisen von Staaten (und der dahinter liegenden Motivation) geben, früher üblicherweise nicht publiziert wurden. Erst in den letzten Jahren ist eine verstärkte Transparenz zu beobachten und auch der einfachere Zugang zu Konferenzprotokollen erhöht die Möglichkeit zur Auswertung solcher Quellen als Basis für Staatenverhalten.210 Jedoch ist zu unterscheiden zwischen den mittlerweile unstrittigen Elementen zur Festlegung von Gewohnheitsrecht, die hier auch zugrunde gelegt werden, und der Frage, wer im konkreten Fall die Beweislast für das Vorliegen einer gewohnheitsrechtlichen Regel hat und mit welchen Mitteln dieser Beweis zu führen ist.211

___________ 207

So auch Villiger, Customary International Law and Treaties, Rdnr. 77, 80. Eine konsistente Staatenpraxis nachzuweisen und dann einen induktiven Schluss auf Gewohnheitsrecht zu ziehen, ist schwierig und gelingt, auch in der Rechtsprechung des IGH, nur äußerst selten, vgl. Kirchner, Völkergewohnheitsrecht, S. 153. 209 Malanczuk, International Law, S. 39. 210 Villiger, Customary International Law and Treaties, Rdnr. 230 f., womit sich auch die einseitige Betonung von Verträgen zur Grundlage von Gewohnheitsrecht erübrige. Mit den zugänglichen Quellen werden sekundär auch entsprechende Untersuchungen von Völkerrechtlern eine taugliche Grundlage zur Bestimmung von Gewohnheitsrecht, Malanczuk, International Law, S. 39. Als Beispiel für eine grundlegende Analyse des Staatenverhaltens in einem bestimmten Sektor kann die Arbeit von Fink, Kollektive Friedenssicherung, S. 41 ff. angeführt werden. 211 Malanczuk, International Law, S. 41. 208

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bb) Relevante Staatenpraxis Die erforderliche Staatenpraxis muss von einer gewissen Einheitlichkeit, Dauer und Verbreitung sein.212 Andererseits ist eine langandauernde Praxis keine Gültigkeitsvoraussetzung.213 Ebenso sind gegenteilige Verhaltensweisen von Staaten immer erst danach zu untersuchen, ob sie nicht eine fallweise Abweichung von der Regel, also einen Verstoß, nicht aber eine dauernde „inconsistency“ der Praxis darstellen.214 Auch ist eine ausnahmslose Beteiligung von Repräsentanten aller geographischer Regionen und soziopolitischen Systeme nicht nötig. Ein generell verbreitetes Staatenverhalten, das eine QuasiUniversalität manifestiert, genügt.215 Daher ist der Nachweis von Staatenpraxis in gewisser Hinsicht seit dem Zusammenbruch des Block-Systems einfacher geworden, da früher häufig eine der wesentlichen Staatengruppen („Ost“, „West“ oder „Blockfreie“) eine bestimmte Regel opponiert hat und damit zugleich eine ausreichende Einschränkung der generellen Verbreitung gegeben war, um eine konsistente Staatenpraxis zu verneinen.216 Je verbreiteter ein bestimmtes Staatenverhalten ist, desto weniger schadet ein Anteil widersprüchlichen Verhaltens und kann daher die Entstehung einer gewohnheitsrechtlichen Regel nicht verhindern.217 Wenn kaum oder kein Verhalten nachweisbar ist, das einer bestimmten Regel zuwiderläuft, dann genügt zur Begründung dieser Regel auch ein nur geringes Maß an tatsächlicher Staatenpraxis.218 Ähnliches gilt für die Anforderung an die Rechtsüberzeugung, denn bei so gut wie universeller Verbreitung einer solchen Überzeugung bedarf es wenig entsprechender (auch zeitlich nur geringer) Praxis.219 Relevant sind für die jeweilige Staatenpraxis grundsätzlich alle Verhaltensweisen der Staaten und auch internationaler Organisationen sowie internationa___________ 212 ICJ Rep. 1950, 266, 277 – Asylum Case (Columbia/Peru): „a constant and uniform usage“; dieses Erfordernis ist aber relativiert worden. 213 ICJ Rep. 1969, 3 Rdnr. 83 ff. – North Sea Continental Shelf (Germany/Denmark and Germany/Netherlands); Simmler, Das Uti-possidetis-Prinzip, S. 42. 214 So der IGH in ICJ Rep. 1986, 14 Rdnr. 186 – Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua/United States of America). 215 Dazu Herdegen, Völkerrecht, § 16 Rdnr. 3. Ähnlich Malanczuk, International Law, S. 42, der auf den jeweiligen Einzelfall abstellt. 216 Andererseits ist mit der kritischen Haltung vieler dekolonisierter („neuer“) Staaten zur existierenden Weltordnung auch die universelle Anerkennung bestimmter Regeln schwieriger geworden, weshalb es weiterhin wichtig ist, einzelne „Abweichler“ nicht als Verhinderungsgrund für Gewohnheitsrecht zu sehen, vgl. ebenso Malanczuk, International Law, S. 47. 217 Ebenso Kirchner, Völkergewohnheitsrecht, S. 152. 218 Malanczuk, International Law, S. 42. 219 Herdegen, Völkerrecht, § 16 Rdnr. 4, 7.

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ler Gerichte und Schiedsgerichte, da sich deren Tätigkeit anschließend auch wieder im innerstaatlichen Bereich und Verhalten von Staaten widerspiegelt. Es zählt sowohl das Verhalten im rechtlich als auch faktisch relevanten Bereich, wobei die Begleitumstände des jeweiligen Verhaltensschrittes mit zu berücksichtigen sind.220 Daher gehören dazu, wie bereits oben erwähnt, auch „offizielle Statements“.221 Zwar ist umstritten, welches Gewicht solche Äußerungen haben können. Eine Staatenpraxis als Grundlage von Gewohnheitsrecht allein auf Basis von Absichtserklärungen und Deklarationen nachzuweisen, wird weitgehend abgelehnt.222 Als zusätzliches Kriterium können solche Absichtserklärungen aber zweifellos herangezogen werden, weil es nicht nur auf das Verhalten, sondern auch auf die Willensbekundungen von Staaten ankommt. Diese haben Relevanz, selbst wenn sich der Staat dann aus bestimmten Nöten heraus nicht durchgängig an die so mitgeteilte, beabsichtigte Linie halten kann.223 Ebenso gehört zum Verhalten auch dasjenige Verhalten, das ein Staat unterlässt, weil auch darin eine bestimmte Praxis zum Ausdruck kommen kann.224 cc) Die subjektive Überzeugung Das psychologische Element des Völkergewohnheitsrechts ist die Frage nach der Motivation der Staaten, ein bestimmtes Verhalten an den Tag zu legen.225 Es geht um die Frage, ob es dem Staat lediglich darum geht, aus Höflichkeit und Rücksichtnahme eine bestimmte Verhaltensweise zu beachten oder ob die Vorstellung einer verbindlichen Rechtsregel die ausschlaggebende Rolle spielt. Damit soll eine Abgrenzung ermöglicht werden zwischen gewohnheitsrechtlich relevanter Staatenpraxis und irrelevanter außerrechtlicher Betätigung. Die Vorstellung einer Völkerrechtsregel kann nicht nur in Form einer bestimmten vorgeschriebenen aktiven Verhaltenspflicht vorhanden sein, sondern auch darin, dass ein bestimmtes Verhalten jedenfalls zulässig ist.226 ___________ 220

Villiger, Customary International Law and Treaties, Rdnr. 73. Simmler, Das Uti-possidetis-Prinzip, S. 41. 222 Simmler, Das Uti-possidetis-Prinzip, S. 41 mit Verweis auf ICJ Rep. 1986, 14 Rdnr. 184 – Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua/ United States of America). 223 Malanczuk, International Law, S. 43 formuliert plastisch: „state practice consists not only of what states do, but also of what they say“. 224 Vgl. wiederum Malanczuk, International Law, S. 43; Steiner/Alston, International Human Rights, S. 69. 225 Kritisch zum Begriff des „psychologischen Moments“ Kirchner, Völkergewohnheitsrecht, S. 152. 226 Malanczuk, International Law, S. 44. Der Staat sollte sich vorstellen, dass bei einem Verstoß gegen die Regel eine Sanktion droht oder drohen sollte, Villiger, Customary International Law and Treaties, Rdnr. 69. 221

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Da der Nachweis einer Motivation noch schwieriger ist als derjenige eines bestimmten Verhaltens, neigt die Völkerrechtswissenschaft dazu, keinen Beweis für die jeweilige Motivation im Einzelfall zu suchen, sondern diese durch einen Rückschluss aus bestimmtem Verhalten zu ermitteln.227 Denn in jedem Verhalten liegt zugleich eine Überzeugung, ob oder ob nicht dieses Verhalten zulässig ist.228 Ferner ist nicht nur auf das Verhalten des jeweiligen Staates zu achten, sondern auch wie die übrige Staatenwelt darauf reagiert, denn daraus kann ebenfalls geschlossen werden, wie das jeweilige Verhalten einzuordnen ist und ob es überhaupt als Ausdruck für einen Beitrag zu allgemein gültigem Gewohnheitsrecht gezählt werden kann.229 Daher ist auch ein Schweigen auf bestimmtes Verhalten anderer Staaten relevant, aus dem eine zulässige Schlussfolgerung beispielsweise ist, dass ein „Verstoß“ gegen eine Regel eben nicht als solcher empfunden wird oder jedenfalls als unproblematisch angesehen wird. Wegen der angesprochenen Schwierigkeiten, eine bestimmte durchgängige Staatenpraxis sowie Motivation nachzuweisen, ist verschiedentlich vorgeschlagen worden, das Element der Praxis oder mindestens den zeitlichen Faktor vollständig aufzugeben. Damit würde auch sog. „instant custom“, also spontan entstehendes Völkergewohnheitsrecht möglich, wenn z.B. eine multilaterale Vereinbarung getroffen würde über einen bislang ungeregelten Bereich.230 Obgleich es tatsächlich, wie am konkreten Beispiel Selbstbestimmungsrecht gezeigt wird, sinnvoll ist, keine überdehnten Anforderungen an das Vorhandensein einer bestimmten Staatenpraxis zu stellen, ist eine Bezugnahme allein auf die opinio iuris abzulehnen.231 dd) Praktisch wichtige Fallgruppen zum Nachweis von Gewohnheitsrecht Gewohnheitsrecht entsteht nicht nur aus der Praxis von Staaten, die später vielleicht auch in Rechtsform gefasst wird, es kann auch aus bereits konkret formulierten Bestimmungen in Verträgen abgeleitet werden.232 Dabei muss nicht immer die gewohnheitsrechtliche Geltung eines Rechtsinstituts schwächer ___________ 227

Malanczuk, International Law, S. 44. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 192 f. 229 Steiner/Alston, International Human Rights, S. 71. 230 Zu dieser Rechtsfigur und der Kritik vgl. Malanczuk, International Law, S. 45 f. 231 Ebenso ICJ Rep. 1986, 14 Rdnr. 184 ff. – Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua/United States of America). Vgl. auch Villiger, Customary International Law and Treaties, Rdnr. 34. 232 Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 67 f. 228

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sein, was sich insbesondere beim Selbstbestimmungsrecht zeigen wird, das sich über das Gewohnheitsrecht zu ius cogens verfestigt hat.233 (1) Verträge als Bezugspunkt Zur Ermittlung völkergewohnheitsrechtlicher Regelungen kann nach dem oben Gesagten auf den Inhalt exisitierender Verträge zurückgegriffen werden. Diese können bereits vorhandenes Gewohnheitsrecht lediglich kodifizieren und damit eine Klarstellungsfunktion erfüllen.234 Teilweise wird dies durch einen entsprechenden Passus, z.B. in der Präambel ausgedrückt.235 Aber auch ohne diese Verdeutlichung kann ein multilateraler Vertrag, der Gewohnheitsrecht „notiert“, nicht nur als Vertrag gegenüber den Signatarstaaten, sondern als Gewohnheitsrecht gegenüber Nicht-Vertragsparteien zur Anwendung gebracht werden.236 Eine solche Erstreckung der normativen Kraft von Vertragsbestimmungen über den Kreis der Vertragspartner hinaus bietet sich vor allem „bei Aussagen, die erkennbar allgemeine Verhaltensregeln der Staaten stipulieren“ an.237 Gerade Konventionen, die dem Inhalt oder der Verbreitung nach einen universellen Anspruch haben, wie z.B. die verschiedenen Menschenrechtsverträge, sind häufig dazu geeignet, gewohnheitsrechtliche Standards zu schaffen. Gerade in diesen Fällen ist aber oft Gewohnheitsrecht noch nicht vorhanden, sondern befindet sich nur in der Entwicklung. Der Vertrag dient dann zugleich der Transformation der Regel in eine bindende gewohnheitsrechtliche Norm. Diese „Kristallisationstheorie“ hat der IGH bestätigt238 und sogar in Fällen einer sich erst im Entwurfsstadium befindlichen Konvention für möglich erachtet.239 Dabei hat das Gericht auch darauf verzichtet, die Annahme einer Entstehung von Gewohnheitsrecht zu diesem Zeitpunkt durch nachträgliche, die Vertragsbestimmungen tatsächlich ausführende Akte von Staatenpraxis zu verifizieren.240 ___________ 233

Graf Vitzthum, in: Völkerrecht, I Rdnr. 137; dazu näher in Kap. 1 B. V. Kirchner, Völkergewohnheitsrecht, S. 155. 235 Villiger, Customary International Law and Treaties, Rdnr. 212. 236 Malanczuk, International Law, S. 40. Dabei kann der Vertrag das Gewohnheitsrecht stärken, aber auch – je nach Befolgung – schwächen, vgl. Villiger, Customary International Law and Treaties, Rdnr. 221. 237 Klein, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 10. 238 ICJ Rep. 1969, 3 – North Sea Continental Shelf (Germany/Denmark and Germany/Netherlands). 239 ICJ Rep. 1982, 18, 38 – Continental Shelf (Tunisia/Lybia); Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 91. 240 Kirchner, Völkergewohnheitsrecht, S. 156. 234

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(2) Rechtlich nicht verbindliche Übereinkünfte als Bezugspunkt Gewohnheitsrecht kann nicht nur aus verbindlichen Verträgen gelesen werden, es kann sogar in unverbindlichen Beschlüssen wie z.B. Resolutionen der Generalversammlung seinen Anfang nehmen.241 Schon im Abstimmungsverhalten zu einer bestimmten Resolution kommt gewissermassen die Haltung dieses Staates und damit sowohl eine rechtliche Überzeugung als auch eine bestimmte Praxis zum Ausdruck.242 Mehr noch müssen im Laufe der Entstehung von Resolutionen und anderen Übereinkünften die Mitgliedstaaten der Vereinbarungen oder internationalen Organisation ihre Überzeugung in den vorbereitenden Ausschüssen kundtun und damit einen Hinweis auf ihre Rechtsüberzeugung geben.243 Damit sind internationale Organisationen ein „prädestiniertes Forum für ein entsprechendes normkreatives Bekenntnis der Staaten“. Die dort geäußerten Ansichten haben zwar nur eine indizielle, aber sehr gewichtige Bedeutung für die Bewertung der Rechtsüberzeugung.244 Dies gilt umso stärker, je mehr die Stimmabgabe hinsichtlich ganz konkreter Regeln präzisiert werden kann. Die generelle Zustimmung zu einem ganzen Vertragswerk mit einem Bündel von Regeln lässt weniger den Schluss auf eine bestimmte Haltung zu – es könnten politische Erwägungen eine Rolle spielen – als die ausdrückliche Stimmabgabe zur Formulierung einer bestimmten Vorschrift innerhalb des Regelwerks bei der Vorbereitung.245 Die Geltung eines Dokuments als Grundlage für Gewohnheitsrecht ist insbesondere bei Texten zu befürworten, die normativ gefasste Bestimmungen enthalten und grundlegende Prinzipien festlegen wollen,246 wie dies z.B. bei der Friendly Relations-

___________ 241

Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 69 f.: „first push [...] has been given by the political will of the majority of Member States of the UN, which has then coalesced in the form of General Assembly resolutions [...]“. Weitere Nachweise bei Steiner/Alston, International Human Rights, S. 224 ff. 242 Ähnlich zum Abstimmungsverhalten von Staaten in der Generalversammlung Kunig, Jura 1991, 214, 217. Villiger, Customary International Law and Treaties, Rdnr. 212, sieht darin Staatenpraxis, dagegen Malanczuk, International Law, S. 52, Rechtsüberzeugung. 243 In diesem Sinne etwa Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 70. Kirchner, Völkergewohnheitsrecht, S. 157 belegt – kritisch –, dass für den IGH das Konferenzund Abstimmungsverhalten von Staaten generell Ausdruck der jeweiligen Rechtsüberzeugung ist. 244 Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 92 f., von dem auch das Zitat stammt. 245 Villiger, Customary International Law and Treaties, Rdnr. 70. 246 Kirchner, Völkergewohnheitsrecht, S. 157.

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Deklaration der Fall ist.247 Sie wird auch befürwortet bei der UN-Menschenrechtserklärung von 1948, weil diese seither die am meisten in Bezug genommene Verankerung von Menschenrechten sei.248 (3) Sonstige Bezugspunkte Der IGH hat ferner ausnahmsweise zur Ermittlung von Völkergewohnheitsrecht auch ungeschriebene Rechtsgrundsätze und Wertungsentscheidungen mit herangezogen und aus der Tatsache, dass Staaten sich auf ihrem Territorium souverän verhalten können auch gegenteiliges Staatenverhalten zum Teil als unproblematisch für seine Wertung erachtet.249 Diese Vorgehensweise entstammt dem Anspruch internationaler Gerichte, bis zu einem gewissen Grade rechtsschöpferisch tätig werden zu müssen, weil es kein durchgängiges Rechtssystem auf Grundlage von Gesetzen gibt und auch Präjudizien meist nicht vorhanden, jedenfalls nicht bindend sind.250 ee) Verhinderungstatbestände Das Entstehen von Völkergewohnheitsrecht kann in zweierlei Hinsicht verhindert werden. Es wird vollständig verhindert, wenn eine bedeutende Staatengruppe dauerhaft die Ablehnung zu einer gewissen Regel kundtut. Dies war wie bereits erwähnt vor allem in Zeiten des Ost-West-Konflikts üblich, weshalb damals zahlreiche Grundsätze nicht zu Gewohnheitsrecht geworden sind.251 Daher ist auch die Friendly Relations-Deklaration von so grundlegender Bedeutung, da bei dieser im Gegensatz zu vielen anderen Entschließungen innerhalb der UN während der Dekolonisierung keine Staatengruppe ausdrücklich oder konkludent widersprochen hat.252 ___________ 247 Klein, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 10. Einen Überblick über weitere, qualitativ ähnliche Resolutionen gibt Villiger, Customary International Law and Treaties, Rdnr. 211. 248 So ausf. Hannum, 25 Ga. J. Int’l. & Comp. L. [1996], 287, 290 ff., der auch nationale Rechtsprechung einer Analyse unterzieht, vgl. ferner die zahlreichen w.N. auf S. 323 f. 249 Zu diesen weiteren Fallgruppen vgl. nur Kirchner, Völkergewohnheitsrecht, S. 158 ff. 250 Malanczuk, International Law, S. 51; Kirchner, Völkergewohnheitsrecht, S. 211 f. Zum Vergleich die besonders ausgeprägte rechtsschöpfende Tätigkeit des EuGH, dazu Cole/Haus, JuS 2003, 353, 354. 251 Heintze, Selbstbestimmungsrecht und Minderheitenrechte, S. 21. 252 Siehe oben Kap. 1 A. VI. 2.

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Ein Staat kann aber auch für sich selbst die Geltung eines bestimmten völkergewohnheitsrechtlichen Satzes verhindern, indem er rechtzeitig und beharrlich gegen die Entstehung einer solchen Regel protestiert und damit zum „persistent objector“ wird.253 Zwar gibt es Stimmen, die diese Rechtsfigur mit dem Konzept des universellen Völkergewohnheitsrechts für unvereinbar halten, sie ist jedoch überwiegend anerkannt. Da eine durchgängige Abwehrhaltung nur schwer einzuhalten ist, bleibt die praktische Bedeutung ohnehin relativ gering,254 zumal der betreffende Staat die Entstehung der Norm nicht verhindern kann, sondern lediglich nicht durch sie verpflichtet wird.255 Selbstverständlich besteht die Möglichkeit des Widerstandes dann nicht, wenn es sich um eine ius cogens-Regel handelt, denn einer solchen zwingenden Norm kann ein Staat zwar beharrlich widersprechen, er muss aber völkerrechtlich die Konsequenzen tragen, die eine Verletzung der Norm auslöst.256 ff) Zwischenergebnis Die verschiedenen Möglichkeiten der Entstehung von Gewohnheitsrecht und insbesondere das Verhältnis von Überzeugung und Praxis variieren und schließen sich gegenseitig nicht aus. Welches Element in welcher Ausprägung vorliegen muss, hängt vom Stadium der Rechtsentwicklung ab. Am schwierigsten ist dabei natürlich das Anfangsstadium einer neu entstehenden Norm, weil Überzeugungen über die Legalität eines Handelns nicht anhand von Erfahrungen aus der Vergangenheit gebildet werden können. Daher spielen für die Staaten in jenem Stadium andere Erkenntnisquellen wie z.B. Expertenmeinungen von Völkerrechtlern eine Rolle,257 die damit für den Prozess der Entstehung von Gewohnheitsrecht noch bedeutsamer werden, als sie durch ihre Nennung in Art. 38 I IGH-Statut ohnehin schon sind. Auch wenn in einem späteren Stadium der Rechtsentwicklung wenig Praxisfälle auftreten, weil schon denknotwendig die möglichen Anwendungsfälle beschränkt sind oder selten vorkommen – als Beispiel sei nur der Sezessionstatbestand außerhalb der Dekolonisierung genannt – kann dies allein nicht gegen Gewohnheitsrecht sprechen. Insofern ist in Bereichen, die vor einem bestimmten Ereignis praktisch unbedeutend, sozusagen nicht „existent“ waren und jetzt aber plötzlich von hohem Interesse sind, auch eine spontan entwickelte Rechtsüberzeugung möglich, die dann ___________ 253

Herdegen, Völkerrecht, § 16 Rdnr. 13. Zum Ganzen Simmler, Das Uti-possidetis-Prinzip, S. 287. 255 ICJ Rep. 1951, 116, 131 – Fisheries Case (United Kingdom/Norway); Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 194, der die Aussage des IGH als ein obiter dictum qualifiziert. 256 Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 196. 257 Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 192. 254

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erst durch eine nachgehende Übung bestätigt wird.258 Wie in Zweifelsfällen letztlich die Elemente zu gewichten sind und welche Mindestvoraussetzungen vorliegen müssen, bedarf hier keiner detaillierteren Darstellung, da – wie sich sogleich zeigen wird – die Geltung des Selbstbestimmungsrechts als Gewohnheitsrecht so gut wie unstrittig ist. 2. Gewohnheitsrechtliches Selbstbestimmungsrecht a) Selbstbestimmungsrecht als besonderer Fall Sowohl für die rechtliche Qualität, als auch zur Bestimmung des Inhalts ist die „wichtigste Quelle für die – allfällige – Völkerrechtsnorm des Selbstbestimmungsrechts [...] das Völkergewohnheitsrecht“.259 Gerade für das Selbstbestimmungsrecht gelten aber die oben beschriebenen allgemeinen Probleme zur Ermittlung von Gewohnheitsrecht in verschärfter Form. Einerseits ist dieses Rechtsinstitut lange umstritten gewesen und über den Inhalt sind sich die Staaten bis heute uneinig. Andererseits ist es in zahlreichen Fällen unbestritten zur Anwendung gekommen, wobei es auch gegenteilige Ereignisse gibt, in denen es trotz Einschlägigkeit nicht beachtet wurde. Als potentiell weitreichendes Rechtsinstrument, das zudem in einem Spannungsverhältnis mit anderen Völkerrechtsnormen steht (dazu unten Kap. 1 C.IV.2.), sind die Anwendungsfälle dennoch naturgemäß beschränkt und selten lehrbuchartig abgewickelt worden. Anstelle einer langwierigen Untersuchung bestimmter konkreter Sachverhalte in der Praxis einzelner Staaten, aus denen eine gewohnheitsrechtliche Geltung qualifiziert werden könnte, wird daher der naheliegendere Schritt der Untersuchung universeller Verträge bzw. Resolutionen beschritten. Die Anwendung des Selbstbestimmungsrechts im Kontext der Dekolonisierung ist am wenigsten umstritten. Dies gilt auch für seine diesbezügliche gewohnheitsrechtliche Anerkennung, die in den sechziger Jahren nach anfänglichem Widerstand durch die Kolonialmächte akzeptiert worden ist.260 Auch hinsichtlich der Menschenrechtspakte besteht insoweit Einigkeit, als sie über den Kreis der Ratifikationsstaaten hinauswirken und schon seit langem „selbst zu einem Kristallisationspunkt geworden sind, der sich seit ihrer Annahme durch die Generalversammlung zu Völkergewohnheitsrecht verdichtet hat“.261 Mit ___________ 258

Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 192. Veiter, Nationalitätenkonflikt und Volksgruppenrecht, S. 262. 260 Vgl. dazu statt aller Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 72, der auf den Folgeseiten eine detaillierte Untersuchung vornimmt, in der er auch aufzeigt (S. 79 ff.), in welchen Fällen das Selbstbestimmungsrecht in diesem Kontext nicht beachtet wurde. Ebenso im Ergebnis Musgrave, Self-Determination and National Minorities, S. 96. 261 Thürer, AVR 1984, 113, 123. 259

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diesen Hinweisen ist im Grunde genommen bereits geklärt, dass das Selbstbestimmungsrecht „also vertraglich wie gewohnheitsrechtlich“262 gilt. Dennoch soll im Folgenden kurz auf Praxis und Rechtsüberzeugung der Staaten bezüglich des Selbstbestimmungsrechts eingegangen werden, wie sie vor allem in der Arbeit der UN bei der Vorbereitung von Verträgen und wichtigen Resolutionen zum Ausdruck gekommen sind. b) Rechtsüberzeugung der Staaten Wie bereits erörtert, stellt sich die Frage, welches Element des Gewohnheitsrechts im Zusammenhang mit dem Selbstbestimmungsrecht zuerst zu untersuchen ist. Teilweise wird vorgeschlagen zur Rechtsüberzeugung nur zu gelangen, wenn keine durchgängige Staatenpraxis zu finden ist.263 Andere wiederum unterstreichen, dass nicht irgendeine Handlungsmotivation genügt, sondern gerade der Antrieb aus einer rechtlichen Verpflichtung heraus entscheidend ist.264 Das subjektive Element ist auch beim Selbstbestimmungsrecht bezüglich einzelner Staaten schwer nachweisbar, zumal die benötigte opinio vieler Staaten im Laufe der Jahre bedeutsame Veränderungen aufweist, es bei einem beträchtlichen Teil sogar zu Kehrtwenden gekommen ist. Gerade bei diesem Völkerrechtsinstitut, das über die Dekolonisierung hinaus mit neuen Inhalten gefüllt worden ist, bietet sich die Heranziehung von Stellungnahmen zuständiger Funktionsträger auf internationalen Foren an. Insbesondere haben die Staatenvertreter vielfach auf Inhalte von Konventionen Bezug genommen, die zu jenem Zeitpunkt von ihren Staaten noch gar nicht unterschrieben worden waren.265 Da auch die Einsicht in eine bestimmte Regel als rechtlich verbindlich durch den sog. „tacit consent“, also einer schweigenden Zustimmung vollzogen werden kann,266 genügt die Entstehung völkervertragsrechtlicher und anderer Regelungen, die das Selbstbestimmungsrecht als Grundlage haben, für die allgemeine Rechtsüberzeugung, wenn diese nicht verhindert worden sind.

___________ 262

Frey, Selbstbestimmungsrecht, Sezession und Gewaltverbot, S. 36 m.w.N. Fn. 29 zur gesamten Literatur. 263 Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 192 f. Ähnlich Heintschel von Heinegg, in: Völkerrecht, § 16 Rdnr. 42. 264 Vgl. dazu Heintschel von Heinegg, in: Völkerrecht, § 16 Rdnr. 14 f. 265 Simmler, Das Uti-possidetis-Prinzip, S. 42; Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 92. 266 Simmler, Das Uti-possidetis-Prinzip, S. 42.

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c) Praxis der Staaten Ein alleiniger Blick auf die Staatenpraxis im Sinne von bestimmten Handlungen unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das Selbstbestimmungsrecht wird wenig ergiebig sein. Dies liegt nicht so sehr daran, dass sicherlich in vielen Fällen zu Unrecht das Selbstbestimmungsrecht unbeachtet geblieben ist. Es liegt vielmehr in der Natur der Sache, dass bei „extremen“ Normen wie dem Selbstbestimmungsrecht nur eine geringe Praxis vorliegt und entsprechend einzelne Abweichungen verhältnismäßig stärker ins Gewicht zu fallen scheinen als bei einer alltäglich angewendeten Rechtsregel.267 Genauer betrachtet, ist die geringe Praxis auch kein geeignetes Argument gegen eine konsistente, andauernde Staatenpraxis, denn auch die Befolgung des Selbstbestimmungsrechts im Umgang mit anderen Staaten, also die Beachtung von deren Souveränität, und mit Bevölkerungsteilen im eigenen Land, z.B. durch die Gewährung von Autonomie, zählt zur relevanten Staatenpraxis. Der Verzicht auf dauernde Verletzungen dieses Rechtsinstitutes zeigt, dass die Staaten sich der Regelung entsprechend verhalten. Dies gilt ganz sicher und unzweifelhaft für die Phase der Dekolonisierung in der, von (zahlenmäßig betrachtet) wenigen (wenngleich im Einzelfall tragischen) Fällen abgesehen,268 die staatliche Unabhängigkeit der neuen Staaten als Verwirklichungsform des Selbstbestimmungsrechts akzeptiert wurde. Dies vor allem im Kreis der von der Maßnahme am stärksten betroffenen Staaten, also den ehemaligen Kolonialstaaten, während die übrige Staatenwelt dem Prozess zustimmend gegenüberstand. Inwieweit spätere und brisante Ereignisse wie der Zerfall des ehemaligen Jugoslawien oder der früheren UdSSR von der Staatenwelt unter dem Gesichtspunkt des Selbstbestimmungsrechts gefördert oder gesehen wurden, kann hier dahingestellt bleiben. Es ist klar, dass Staaten, die sich von der potentiell weitreichenden Folge der Selbstbestimmungsnorm als Sezessionsrecht – darauf wird noch einzugehen sein – betroffen sehen, sich diesem gegenüber selbst ablehnend verhalten, ohne dass dies einen Rückschluss auf eine allgemeine Haltung dieses Staates zum Recht als solchem ausdrückt. Für die Frage der Rechtsqualität des Selbstbestimmungsrechts als Gewohnheitsrecht ist es also auch hinsichtlich der Staa___________ 267 Dies gelte allgemein im Bereich der Menschenrechte, bei denen die Rechtsüberzeugung die mangelnde oder mangelhafte Praxis „überstimmen“ könne, so Kirgis, 88 AJIL [1994], 304, 306. 268 Crawford, in: Peoples’ Rights, S. 7, 20 spricht von „inconsistencies“ in der Praxis, die aber die Erstarkung zur Rechtsregel zu Beginn der 1970er Jahre nicht verhinderten. Als besonders gravierenden Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht wertet er die Tatenlosigkeit der Weltgemeinschaft bei der Verletzung der Autonomievereinbarung von 1952 durch Äthiopien, als es auf Veranlassung des Kaisers Haile Selassie Eritrea vollständig unterworfen hat. Offenkundig habe die Generalversammlung hier einen gewissen „third world colonialism“ toleriert, um den Prozess der Dekolonisierung nicht im Ganzen zu diskreditieren.

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tenpraxis am einfachsten, die Vielzahl vertraglicher und unverbindlicher Regelungen, die dieses Recht zum Gegenstand haben, als Bezugspunkt zu nehmen. d) Relevante Verträge und Resolutionen zum Selbstbestimmungsrecht aa) Menschenrechtspakte Obwohl die Menschenrechtspakte als Vertragsrecht nur die Ratifikationsstaaten binden, können sie wegen ihrer Universalität – insbesondere der IPbpR ist von der weit überwiegenden Mehrheit der UN-Mitglieder unterzeichnet – darüber hinaus Ausdruck für Gewohnheitsrecht sein. Dies gilt nicht ohne weiteres für die Rechte in ihrer Gesamtheit, denn die alleinige Ratifikation durch Staaten ist nicht ausreichend, um daraus abzuleiten, wie sie zu jeder einzelnen Norm stehen und würde auch bedeuten, dass die dazu gehörigen Vorbehalte zu untersuchen wären. Gerade bezüglich der gemeinsamen Art. 1 der Pakte spielt aber die Dauer der Entstehung der Pakte und die übereinstimmende Aufnahme des Selbstbestimmungsrechts, die praktisch ohne Vorbehalt bei den Ratifikationen angenommen worden ist, eine erhebliche Rolle. Damit wird Art. 1 eine Bedeutung gegeben, die weit über diejenige einer reinen Vertragsbestimmung hinausgeht.269 Dies ist weitgehend unbestritten und braucht daher nicht weiter vertieft zu werden. bb) Friendly Relations-Deklaration Im Gegensatz zu den Pakten, bei denen sich wie bei allem Vertragsrecht die Frage stellt, ob sich der Vertragsstaat nur aus rechtlicher Verpflichtung aus dem Vertrag an die Norm hält oder ob er darüber hinaus auch ein allgemeines (also gewohnheitsrechtliches) Verständnis der Regel hat, kann für das gewohnheitsrechtliche Selbstbestimmungsrecht die Friendly Relations-Deklaration uneingeschränkt herangezogen werden. Als Deklaration der Generalversammlung rechtlich unverbindlich spiegelt sie – und das ist zu Zeiten des Blockgegensatzes noch eine Seltenheit gewesen – eine im allgemeinen Konsens (und ohne Widerstand der westlichen Staatenwelt) erarbeitete Liste grundlegender Prinzipien für das zwischenstaatliche Verhalten wider.270 Damit erfüllt sie alle Merkmale, um unverbindliche Dokumente als Ausdruck einer bestimmten Überzeugung und eines bestimmten Verhaltens von Staaten für den Nachweis von Gewohnheitsrecht heranzuziehen: sie hat praktisch uneingeschränkte Zustimmung ___________ 269

Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 66. Musgrave, Self-Determination and National Minorities, S 74 f.; kritisch jedoch z.T. Cassese, in: UN Law/Fundamental Rights, S. 137, 146. 270

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erfahren, es gibt einen gut dokumentierten Entstehungsprozess, sie hat einen regelnden Anspruch und sie ist auch so von den Staaten rezipiert worden. Dies hat den IGH veranlasst, die besondere Bedeutung mit folgenden Worten hervorzuheben: „opinio juris may [...] be deduced from [...] the attitude of the Parties and the attitude of States towards certain General Assembly resolutions, and particularly Resolution 2625 (XXV). [...] The effect of consent to the text of such resolutions [...] may be understood as an acceptance of the validity of the rule or set of rules declared by the resolution by themselves“.271

Dies entspricht der verbreiteten Ansicht, dass die Inhalte der Deklaration den allgemein akzeptierten Gehalt des darin genannten Völkerrechts zu jener Zeit ausdrücken und auch bezüglich des Selbstbestimmungsrechts die „bisher wohl repräsentativste rechtliche Ausgestaltung“, gar einen „eigentliche[n] Versuch einer Kodifikation“ darstellen.272 Mit der Deklaration, die nach Ausarbeitung der Menschenrechtspakte entstanden ist, wurden zugleich die Bestimmungen der UN-Charta und der Pakte präzisiert.273 Dennoch trägt die Friendly Relations-Deklaration als Generalversammlungs-Resolution vornehmlich zur Entstehung von Völkergewohnheitsrecht bei.274 Diesbezüglich führte die Deklaration das Selbstbestimmungsrecht endgültig über den engen Bereich der Dekolonisierung hinaus.275 Die Friendly Relations-Deklaration stellt explizit in Absatz 4 „any other political status“ als Wahlmöglichkeit zur Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts zur Verfügung.276 Nachdem sich die westlichen Staaten mit der Einbeziehung der Definition einverstanden erklärten, wollten sie mit dieser Formulierung in der Deklaration im ausdrücklichen Gegensatz zu den Ostblockstaaten das Selbstbestimmungsrecht „universal in application“ machen.277 Wenngleich die neuen Formulierungen in der Deklaration keine gewohnheitsrechtliche Ab___________ 271 ICJ Rep. 1986, 14 Rdnr. 188 – Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua/United States of America). 272 Thürer, AVR 1984, 113, 124; ebenso Brühl-Moser, Die Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts, S. 70: „Stand der von der Staatengemeinschaft allgemein geteilten völkerrechtlichen Überzeugungen“. 273 Ähnlich Cassese, in: ders., S. 143; Veiter, in: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die deutsche Frage, S. 9, 30: „[...] authentische Interpretation zu Art. 1 [...]“. 274 Kirgis, 88 AJIL [1994], 304, 306; vgl. auch den weitergehenden Hinweis zur UNeigenen Bewertung bei Pomerance, Self-Determination in Law and Practice, S. 65. 275 Brühl-Moser, Die Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts, S. 71. 276 Musgrave, Self-Determination and National Minorities, S. 76, spricht deshalb von „innovation“. 277 Musgrave, Self-Determination and National Minorities, S. 75; diese Absicht gesteht auch Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 139, zu, der aber die Gültigkeit dieser Ausdehnung verneint.

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leitung des Erfordernisses einer demokratischen Regierungsform zur Erfüllung des Selbstbestimmungsrechts erlauben,278 erweitert Absatz 7 der Deklaration das Recht auch auf interne Sachverhalte.279 Die überragende Bedeutung dieses Absatzes wäre noch größer gewesen,280 wenn nicht in letzter Minute die vorgeschlagene Formulierung „representing the whole of their population“ eingeschränkt worden wäre durch den Zusatz „whole people [...] without distinction as to race, creed or colour“.281 Die Bedeutung der verschiedenen Aspekte des Selbstbestimmungsrechts wird noch genauer zu untersuchen sein, es zeigt sich aber, dass in der Friendly Relations-Deklaration eine von vorhandenen Vertragswerken abweichende, übereinstimmende Überzeugung zum Ausdruck gekommen ist, dass das Selbstbestimmungsrecht (zudem in erweiterter Form) als Rechtsregel in den zwischenstaatlichen Beziehungen zu gelten hat.282 cc) Sonstige Dokumente Schon vor Verabschiedung der Friendly Relations-Declaration hatten die Staaten in der UN-Generalversammlung zahlreiche von Resolutionen beschlossen, die das Selbstbestimmungsrecht zum Gegenstand hatten.283 Insbesondere für die Anwendung im Zusammenhang mit der Dekolonisierung wurde die als Programmsatz enthaltene Vorgabe in der UN-Charta damit zu einem gewohn___________ 278 Thürer, AVR 1984, 113, 124; ebenso Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 109 f., Fn 14, 15. und 115 ff. gegen diese universelle Bedeutung, der aber das Schwergewicht seiner Ausführungen dann auf die „Ausnahmeanwendung“ auf interne Sachverhalte nach Abs. 7 des Prinzips legt. Anders Brühl-Moser, Die Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts, S. 75, die eine hauptsächliche Betonung des innerstaatlichdemokratischen Aspekts sieht. 279 Dazu in aller Ausführlichkeit die Argumentation von Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 109-121. 280 In dem Fall wäre das interne Selbstbestimmungsrecht nämlich anwendbar gewesen auf „any national, linguistic, ethnic, racial, or religious group not ‚represented’ in the government“, Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 117 f. 281 Darauf weist zu Recht bereits Rabl, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 494 hin; Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 117 f. 282 Vgl. dazu die überzeugende Begründung von Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 140, wobei er dieses Ergebnis auf beide Elemente der von ihm perpetuiierten Unterscheidung des Selbstbestimmungsrechts als „overarching standard for international relations“ (S. 128) und als gewohnheitsrechtliche Regel bezieht; ähnlich Thürer, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 34, 49: „Legitimationsprinzip der Völkerrechtsordnung“. Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 129 stellt zusammenfassend klar, dass sich das Gewohnheitsrecht zusätzlich zum externen Selbstbestimmungsrecht für Kolonialvölker und Völker unter Fremdherrschaft auch auf das interne Selbstbestimmungsrecht für „racial groups“ bezieht. 283 Einen Überblick über diese frühen Resolutionen gibt Chou-Young, Das Selbstbestimmungsrecht als eine Vorbedingung, S. 104 ff.

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heitsrechtlich geltenden Selbstbestimmungsrecht, das die Ausprägung der staatlichen Unabhängigkeit enthielt. Auch in diesem Zusammenhang finden sich jedoch Unstimmigkeiten, die den genauen Gehalt des damals geltenden Gewohnheitsrechts schwer fassbar machen. So ist beispielsweise in der bekanntesten der Dekolonisierungsresolutionen Res. 1541 wohl zwischen den Staaten offen geblieben, ob die sog. „blue water-theory“ gelten, also die Dekolonisierung nur auf Territorien anwendbar sein sollte, die vom Kolonialstaat durch einen Ozean getrennt sind.284 Die generelle Akzeptanz eines Selbstbestimmungsrechts – wenngleich bestimmte inhaltliche Differenzen fortbestanden – zeigt sich auch an der Haltung zur Apartheid-Politik Südafrikas. Diese wurde von der Generalversammlung annähernd jährlich verurteilt und eine Verletzung des innerstaatlichdemokratischen Aspekts des Rechts festgestellt, auf das ausdrücklich verwiesen wurde.285 Die beständige Verurteilung Südafrikas hat letztlich Wirkung gezeigt, indem sich nach dem Ende der Apartheid-Politik und damit der weißen Herrschaft die repräsentative Vertretung der Bevölkerung und damit die Machtübernahme durch die Mehrheitsbevölkerung durchsetzte.286 Diese Verankerung des Selbstbestimmungsrechts im Verhalten der Staaten manifestiert auch der KSZE-Prozess, auf den schon oben hingewiesen worden ist. Zwar ist diese Organisation gegründet worden, ohne dass die beteiligten Staaten ihr die Kompetenz zu rechtlich verbindlichen Beschlüssen zuwiesen. Nichtsdestotrotz ist sie von erheblicher Bedeutung für die Verhaltensweisen zwischen den Staaten, die daran beteiligt waren.287 Insbesondere die eigentlich rechtlich nicht bindende Schlussakte von Helsinki288 entfaltete gewissermaßen bindende Wirkung, weil die angesprochenen Grundsätze jedenfalls zum Teil ohnehin im Prozess der Entstehung von echtem Gewohnheitsrecht waren.289 Kritiker wehren sich gegen eine solche Ausdehnung des sog. „soft law“, das sich in einer Grauzone zwischen rechtlicher Verbindlichkeit und rechtlich nicht relevanter politischer Meinungsäußerung bewege, über den engen Bereich des internationalen Wirtschafts- und Umweltrechts hinaus.290 Ohne auf diese Diskussion im Einzelnen eingehen zu müssen, gestehen auch diese Kritiker bestimmten Verhaltensrichtlinien die Eigenschaft zu, sich in verbindlicher Weise ___________ 284 Dazu Barsh, 80 AJIL [1986], 369, 373, der aber selbst davon ausgeht, dass von der überwiegenden Zahl der Staaten „geographically separate“ im Sinne einer durch Gewässer und nicht nur durch Land getrennten territorialen Einheit gemeint war. 285 Tomuschat, in: The Strength of Diversity, S. 27, 39. 286 Darauf weist auch Herdegen, Völkerrecht, § 16 Rdnr. 13 hin. 287 Malanczuk, International Law, S. 54. 288 Dazu allg. Schweisfurth, 36 ZaöRV [1976], 681 ff. 289 Vgl. Bloed, From Helsinki to Vienna, S. 11. 290 Vgl. Malanczuk, International Law, S. 54.

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auszuwirken, indem sie beispielsweise von Gerichten zur Bestätigung von entstehendem Recht (de lege ferenda) herangezogen werden können und damit nicht irrelevant sind.291 Auch ist die Unterscheidung zwischen einer „legal and non-legal binding force“ eines bestimmten Dokumentes nur für die Rechtsfolge bei Verstößen, nicht aber für die generelle Bedeutung der staatlichen Verpflichtung auf diesen Grundsatz entscheidend.292 Als zusätzliches Indiz trug auch die weitere Entwicklung im Rahmen der KSZE zur Herausbildung von Völkergewohnheitsrecht bei, die durch den Zusammenbruch der kommunistischen Staaten Osteuropas und den Stellungnahmen der nun neu als OSZE firmierenden Organisation wie z.B. die Charta von Paris noch unterstrichen wurde, indem die frei gewählte Regierungsform als wesentliches Recht zur Referenz gemacht wurde. dd) Neuere Entwicklungen Neben den Entwicklungen innheralb der OSZE bestätigen aber auch die Arbeiten innerhalb der UN in verschiedenen Bereichen die „zur Gewohnheit gewordene“ Bezugnahme auf das Selbstbestimmungsrecht, insbesondere in wichtigen Menschenrechtsdokumenten.293 Beispielhaft genannt seien nur die „Vienna Declaration“ von 1993, die den Abschnitt zum Selbstbestimmungsrecht aus der Friendly Relations-Deklaration – auch angesichts der damals aktuellen Entwicklungen bewusst mit der intern ausgerichteten Variante – bestätigt. Ferner die im Rahmen dieser Arbeit besonders interessierenden Bezugnahmen auf das Selbstbestimmungsrecht im Zusammenhang mit den Arbeiten zugunsten indigener Völker. Hier liegt eine – wenngleich in vielen Aspekten völlig unbefriedigende – Praxis von Staaten in verschiedensten Regionen der Welt vor (dazu Kap. 2 C. IV.), die ihren indigenen Völkern zumindest einen Sonderstatus zubilligen. Diese ist aber vor allem getragen von einer wachsenden rechtlichen Überzeugung, dass es eine Pflicht zur Berücksichtigung dieses Sonderstatus gibt, wobei sich dieser häufig zu Ungunsten der Betroffenen ausgewirkt hat. Es kann aber schon hier vorweggenommen werden, dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker in seiner internen Variante auch für indigene Völker gewohnheitsrechtlich gilt, wie es bei den Arbeiten in der „Working Group on Indigenous Populations“ und der Verabschiedung der UN___________ 291

Herdegen, Völkerrecht, § 20 Rdnr. 4; auch Malanczuk, International Law, S. 55. Bloed, From Helsinki to Vienna, S. 11; zustimmend Wright, 19 Oxford Journal of Legal Studies [1999], 605, 615 Fn. 41. 293 Ebenso („Rechtsanspruch“) z.B. Schoder, Vom Minderheitenschutz zum Schutz verwundbarer Gruppen, S. 141, die jedoch bei der Anwendbarkeit in konkreten Fällen skeptisch ist. 292

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Deklaration über die Rechte indigener Völker zum Ausdruck gekommen ist und unter Kap. 2 C.III. detailliert nachgewiesen wird.294 3. Verhältnis von Gewohnheitsrecht und Vertragsrecht Wie festgestellt, besteht sowohl eine vertrags- als auch gewohnheitsrechtliche Geltung des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Es stellt sich daher die Frage, in welchem Verhältnis die beiden Rechtsquellen zueinander stehen und insbesondere ob eine Hierarchie gegeben ist. Grundsätzlich haben – von ius cogens-Regelungen abgesehen – Verträge und Gewohnheitsrecht den gleichen Rang295 und es hängt von der lex posterior-Regel ab, welche Regelung, nämlich die zeitlich nachfolgende, die entscheidende ist.296 Wenn also ein Vertrag über eine bereits gewohnheitsrechtlich geltende Materie geschlossen wird, kann dieser als die von den beteiligten Staaten als notwendig erachtete Bestätigung des Gewohnheitsrechts gelten und insoweit auch bei Abweichungen oder Konkretisierungen ausschlaggebend sein. Andererseits kann durch desuetudo, durch konstantes Ignorieren des Inhaltes, ein Vertrag auch an Gültigkeit verlieren, was durch neu geschaffenes entgegenstehendes Gewohnheitsrecht ausgelöst werden kann. Der Fortbestand von Gewohnheitsrecht neben Vertragsrecht bei gleicher Materie ist aber schon deshalb möglich, weil seine Merkmale durch Praxis und Überzeugung mit erfüllt werden, selbst wenn sich der Staat wegen einer vertraglichen Verpflichtung in einer bestimmten Weise verhält.297 Das Gewohnheitsrecht erfüllt auch weiterhin eine Funktion, indem es gegenüber den Nicht-Vertragsparteien weiter zu gleichen Ergebnissen führt. Selbst wenn das fortgesetzte Bestehen des Gewohnheitsrechts neben dem identischen Vertragsrecht zwischen Parteien mit dem Argument bestritten wird, es könne nicht nachgewiesen werden, ob das staatliche Verhalten allein zur Erfüllung der vertraglichen Verpflichtung erfolgte oder darüberhinaus auch eine gewohnheitsrechtliche Bindung empfunden wurde,298 kommt man zum gleichen Ergebnis im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht. Denn bei einem Vertrag oder vertragsähnlichen Dokument mit quasi-universaler Verbreitung, kann aus dieser Tatsache auch auf das Vorhandsein einer entsprechenden Rechtsüberzeugung, die über die vertragliche Verpflichtung hinausgeht, geschlossen werden. Es ist dann offensichtlich, dass die Staatengemeinschaft das dem Dokument ___________ 294

Vgl. vorab auch Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 97. Sie gelten als autonome Quellen, die sich gegenseitig beeinflussen, aber nicht ausschließen, vgl. Villiger, Customary International Law and Treaties, Rdnr. 85. 296 Malanczuk, International Law, S. 56. 297 Villiger, Customary International Law and Treaties, Rdnr. 241 f. 298 Ähnlich etwa Kirchner, Völkergewohnheitsrecht, S. 210. 295

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zugrunde liegende Recht als so essentiell empfindet und deshalb auch so gut wie alle Staaten zugestimmt haben, dass ein Verzicht auf die Regel im Rahmen der Rechtsordnung undenkbar wird und zwar unabhängig von ihrer konkreten Verankerung.299 Damit besteht zwischen den beiden Rechtsinstituten keine Hierarchie und die Tatsache der Verankerung des Selbstbestimmungsrechts in zahlreichen weltweit anerkannten Verträgen und zumindest rechtlich unverbindlichen Resolutionen verdeutlicht, dass dieses unbestritten eine rechtliche Qualität und Verankerung in der Überzeugung der Staatenwelt erfahren hat. Dabei stehen beide Rechtsquellen des Selbstbestimmungsrechts nebeneinander, enthalten teilweise unterschiedliche Inhalte, ergänzen sich aber gegenseitig. Wie sich dies auf Träger und Inhalte des Selbstbestimmungsrechts im Einzelnen auswirkt, wird im nächsten Abschnitt (Kap. 1 C.) dargestellt, nachdem abschließend geprüft wird, ob das Recht nicht nur verankert und durch den IGH bestätigt, sondern auch absolut bindend geworden ist.

IV. Die Rechtsprechung des IGH 1. Allgemeines Die Rechtsprechung des IGH durch die Abfassung von beauftragten Gutachten und die Entscheidung über strittige Fälle stellt zwar selbst kein Völkergewohnheitsrecht dar, ist aber Ausgangspunkt für die Bildung von Gewohnheitsrecht. Sie genießt eine hohe, wenn nicht sogar die überragende Autorität bei der Feststellung des Standes der Völkerrechtsentwicklung. Diese Rolle ist schon durch Art. 38 des – nach Art. 92 UN-Charta Bestandteil der Charta bildenden – IGH-Statuts vorgegeben, wonach anzuwendende Völkerrechtsquellen neben Vertrags- und Gewohnheitsrecht sowie allgemeinen Rechtsgrundsätzen eben auch Richtersprüche und Lehrmeinungen sind. Insbesondere im Zusammenhang mit so umstrittenen Rechtsinstituten wie dem Selbstbestimmungsrecht, die im nationalen Recht nur bedingt vergleichbar existieren, kommt der Rechtsprechung des IGH ungeachtet der Rechtskraftbegrenzung des Art. 59 IGH-Statut potentiell wegweisende Bedeutung zu. Andererseits stellt sich auch hier das Problem, dass das Selbstbestimmungsrecht kaum je zur praktischen Anwendung gelangt und dann in noch selteneren Fällen zum Gegenstand einer rechtlichen Streitigkeit vor dem IGH gemacht werden kann, da jedenfalls nach Selbstbestimmung strebende Völker selbst wegen der Ausschließlichkeit des Art. 34 Abs. 1 IGH-Statut bezüglich Staaten vor dem IGH nicht parteifähig

___________ 299 Überzeugend zu dieser Lösung Villiger, Customary International Law and Treaties, Rdnr. 245, 247 f.

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sind.300 Andererseits ist der Einfluss des IGH auf die Rechtsentwicklung immer dann wesentlich stärker als es im IGH-Statut ausgedrückt wird, wenn seine Judikate ebenso wie die Lehre wegen geringer Staatenpraxis ein starkes Indiz für die Bewertung staatlicher Überzeugung bedeuten.301 Die Darstellung der relevanten Entscheidungen und Gutachten kann knapp erfolgen, weil der IGH im Ergebnis die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht hinsichtlich des Selbstbestimmungsrechts der Völker bestätigt, zugleich aber keine weitergehenden Definitionsversuche unternommen hat.302 2. Die relevanten Fälle a) Vorbereitende Entscheidungen Der IGH war in den ersten Jahrzehnten seiner Rechtsprechungstätigkeit in kontroversen Fällen häufig aus politischen Gründen zurückhaltend. Insoweit hat für die sogleich zu erwähnenden Gutachten und Urteile ein Fall aus dem Jahre 1966 Bedeutung: In den „Second South West Africa Cases“303 hatte der IGH aus politischen Gründen die Vereinbarkeit des Apartheidsystems mit dem Mandat über Südwestafrika nicht nachgeprüft. Die Empörung, die diese Entscheidung verursachte, veränderte auch die Herangehensweise der Richter und führte zur Einbeziehung von Wertentscheidungen in die Urteile. Die Beurteilung von Rechtsfragen unter Berücksichtigung von Wertvorgaben ist im öffentlichen Recht und somit auch im Völkerrecht selbstverständlich.304 Aufgrund des veränderten Klimas ist das Zustandekommen des „Barcelona Traction Case“ von 1970 zu verstehen, in dem der IGH in einem für die Entscheidung unnötigen obiter dictum die berühmte Formel prägte, dass Menschenrechtsverletzungen grober Art eine Verletzung von Pflichten erga omnes darstellten.305 ___________ 300

Auch kann der IGH nicht beauftragt werden, abstrakt ein Gutachten zur Bedeutung eines Völkerrechtsinstruments zu verfassen, weshalb er durch seine Entscheidungen nur bereits initiierte Wandlungen des Völkerrechts, die in einer entsprechenden Staatenpraxis zum Ausdruck kommen, mit seiner Autorität „besiegeln“ kann. Vgl. dazu Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 284. 301 So auch Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 202. 302 Kritisch daher z.B. Musgrave, Self-Determination and National Minorities, S. 77 f., der ausführlich Sachverhalte und Begründungen zu den Fällen des IGH auf S. 77 ff. darstellt. 303 ICJ Rep. 1966, 6 – South West Africa Cases II (Ethiopia/South Africa; Liberia/South Africa). 304 Crawford, in: Peoples’ Rights, S. 7, 18 f. („the consideration of values cannot be excluded“). 305 ICJ Rep. 1970, 3, 32 Rdnr. 33 f. – Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited.

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Schon daraus konnte abgeleitet werden, dass auch Rechte gegenüber anderen Staaten wie das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu den Materien zählen, die von allgemeinem Interesse und damit zu respektieren sind. b) Das Gutachten zu Namibia 1971 Zum Gehalt des Selbstbestimmungsrechts hat sich der IGH in seinen Entscheidungen lange nicht geäußert. Erst im Namibia-Rechtsgutachten von 1971 erwähnte er es explizit.306 Der IGH wurde vom Generalsekretär um Auskunft darüber gebeten, welche rechtlichen Konsequenzen sich für die UNMitgliedstaaten aus der andauernden Präsenz Südafrikas in Namibia ergeben. Im Wesentlichen ging es bei der Frage um die Bedeutung des Mandatssystems des Völkerbundes und inwiefern dieses nach den Entwicklungen in der UN noch gilt. Das Selbstbestimmungsrecht war also kein zentraler Aspekt des Gutachtens.307 Insbesondere bezog sich die Fragestellung auf eine Bevölkerung in einem feststehenden Territorium, dessen Grenzen sich aus dem Mandat ergaben. Dennoch hat der IGH den für die Auslegung des Selbstbestimmungsrechts wichtigen Satz ausgesprochen, dass „an international instrument has to be interpreted and applied within the framework of the entire legal system prevailing at the time of the interpretation. In the domain to which the present proceedings relate, the last fifty years [...] have brought important developments [...] the Court may not ignore this“.308

Zugleich hat er festgestellt, dass Fernziel des Mandatssystems die Selbstbestimmung und Unabhängigkeit der betroffenen Völker gewesen sei. Das Prinzip der Selbstbestimmung sei – der Entwicklung des Völkerrechts entsprechend – nunmehr auf alle Völker anwendbar.309 Abschließend ist auf die Passage hinzuweisen, in der der IGH klarstellt, dass bindende Feststellungen von UNOrganen eine Verpflichtung für alle Mitgliedstaaten dergestalt erwachsen lassen, dass sich diese entsprechend zu verhalten haben. Bei Bestätigung einer illegalen Situation – wie sie der Sicherheitsrat bereits festgestellt hatte – müsse diese abgestellt werden.310 ___________ 306

ICJ Rep. 1971, 16, 31 Rdnr. 52 – Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970), Advisory Opinion. 307 Bowring, in: International Law and the Question of East Timor, S. 151, 156 f. 308 ICJ Rep. 1971, 16, 31 f. Rdnr. 53 – Namibia, Advisory Opinion. 309 ICJ Rep. 1971, 16, 31 Rdnr. 52 – Namibia, Advisory Opinion. 310 ICJ Rep. 1971, 16, 54 Rdnr. 117 – Namibia, Advisory Opinion. Nach Bowring, in: International Law and the Question of East Timor, S. 151, 159 hätte dies für die Situation in Ost-Timor bedeutet, dass nach der Feststellung der illegalen Besetzung durch Indonesien auch eine entsprechende Handlung durch die Staatengemeinschaft geboten

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c) Das Gutachten zur West-Sahara 1975 In einer Angelegenheit, die bis heute nicht abschließend geklärt ist, verfasste der IGH 1975 ein weiteres Gutachten, das die Art der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts behandelte. In der Resolution 3292 (XXIX) von 1974 hatte die Generalversammlung das Recht der Bevölkerung der „spanischen Sahara“ in Übereinstimmung mit der Dekolonisierungsresolution bestätigt. Der IGH sollte Auskunft darüber geben, ob die westliche Sahara zur Zeit der Kolonisierung terra nullius gewesen sei und welche rechtlichen Beziehungen zwischen den verschiedenen beteiligten Staaten und dem Gebiet bestanden hätten.311 Diese Gutachtenanfrage basierte auf der Annahme, dass ein Selbstbestimmungsrecht existiere und anwendbar sei; die Antwort sollte jedoch die Art der Ausübung und die Umsetzung der bereits beschlossenen Dekolonisierung festlegen.312 Das Gutachten zum „Western Sahara Case“313 kam zum Ergebnis, dass keine Souveränitätsansprüche der beteiligten Staaten über das Gebiet der WestSahara erhoben werden könnten und daher einer Anwendung des Selbstbestimmungsrechts für das dortige Volk nichts entgegenstehe.314 Dieses Recht müsse durch den „free and genuine expression of the will of the peoples“ auf dem dortigen Territorium ermittelt werden.315 Damit forderte der IGH wohl die

___________ war. Auf S. 56 Rdnr. 127 des Gutachtens hatte der IGH auch deutlich gemacht, dass es beim Gutachten um ein Volk gehe, das die Einhaltung der Mandatsziele nur von der internationalen Gemeinschaft einfordern könne. 311 Hintergrund ist die Kritik am Abkommen von Madrid, mit dem sich Spanien aus der Verantwortung für das ehemalige Kolonialreich durch Übergabe der Hoheit ausschließlich an marokkanische und mauretanische Funktionsträger zurückzog und bei dieser Hoheitsübertragung Vertreter der „Popular Front for the Liberation of Saguia el-Hamra and Rio de Oro (POLISARIO)“ unberücksichtigt blieben, vgl. dazu Castellino, International law and self-determination, S. 173 ff. 312 Bowring, in: International Law and the Question of East Timor, S. 151, 159 f. 313 ICJ Rep. 1975, 6 – Order, 12 – Western Sahara, Advisory Opinion. 314 Dabei stellte der Gerichtshof darauf ab, dass die dortige nomadische Bevölkerung in Stämmen mit organisierter Struktur lebte, was ausreichenden Anlass gebe, das von dieser zum Kolonisieriungszeitpunkt belebte Territorium nicht als terra nullius zu betrachten, ICJ Rep. 1975, 12, 68 Rdnr. 162 – Western Sahara. Der IGH ging damit über die von Castellino, International law and self-determination, S. 78 kritisierte Definition des Staates nach der Montevideo-Konvention von 1933 hinaus, die eine „permanent population“ fordere und damit den Fall nomadischer Bevölkerungen ausschließen würde. Castellino, International law and self-determination, S. 173 ff. schlägt daher ein alternatives Beschreibungsmodell für Staaten unter Einschluss dieser Bevölkerungsstruktur vor. 315 ICJ Rep. 1975, 12, 32 Rdnr. 55 – Western Sahara. Im Votum des Richters Dillard heißt es prägnant: „It is for the people to determine the destiny of the territory and not the territory the destiny of the people“, ICJ Rep. 1975, 116, 122.

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Durchführung eines Plebiszits innerhalb der Bevölkerung der West-Sahara,316 dessen konkrete Fragestellung und Ausgestaltung er aber in den Beurteilungsspielraum der UN-Generalversammlung stellte.317 Es ist bis heute umstritten geblieben und hat daher zu keinem Ergebnis geführt.318 d) Das Urteil im Grenzstreit zwischen Burkina Faso und Mali 1986 Einen weiteren Fall, der die postkoloniale Landkarte Afrikas betraf, entschied der IGH 1986 im „Frontier Dispute Case (Burkina Faso/Republic of Mali)“.319 Darin hat der IGH seine Entscheidung über den Grenzstreit auf das uti possidetis-Prinzip gestützt – dazu näher unter Kap. 1 C. II. 3. b) – und dieses als Auslegungsmaßstab für die Anwendung des Selbstbestimmungsrechts herangezogen.320 Es ist jedoch bereits hier darauf hinzuweisen, dass die beteiligten Parteien ausdrücklich den IGH aufgefordert hatten, seine Entscheidung unter Berücksichtigung der Unantastbarkeit der durch die Kolonisation „ererbten“ Grenzen zu treffen.321 Eine generell beschränkende Auslegung des Selbstbestimmungsrechts oder ein Zweifel an der Rechtsqualität des Rechts ist in dieser Entscheidung dagegen nicht enthalten.322

___________ 316

Zum gleichen Ergebnis kommt nach eingehender Analyse der Begründung und der Hinweise des IGH auf den Beurteilungsspielraum der UN-Generalversammlung Drew, 12 EJIL [2001], 651, 659 ff., 662. 317 ICJ Rep. 1975, 12, 33 Rdnr. 59, 36 Rdnr. 71 – Western Sahara. 318 Zum anhaltenden Konflikt zwischen dem POLISARIO und den marokkanischen Regierungstruppen, der mit einem von der UN vermittelten, instabilen Waffenstillstand seit 1990 eingeschränkt weitergeht, vgl. Scheffer, in: International law and ethnic conflict, S. 147, 153 und Meldung in NZZ Nr. 184 v. 12.08.2003, S. 3 sowie Stauffer, NZZ Nr. 99 v. 29./30.04.2006, S. 5. Die UN-Mission zur Durchführung des Referendums firmiert als MINURSO. Zur impliziten Anerkennung des völkergewohnheitsrechtlich geltenden Selbstbestimmungsrechts in diesem Fall des IGH vgl. auch Hilpold, 53 ZÖR [1998], 263, 267. 319 ICJ Rep. 1986, 554 – Case Concerning the Frontier Dispute (Burkina Faso/Republic of Mali). 320 Die Ausführungen in ICJ Rep. 1986, 554, 566 Rdnr. 25, 567 Rdnr. 26 – Case Concerning the Frontier Dispute (Burkina Faso/Republic of Mali), zeigen deutlich, dass der IGH von einer Anwendbarkeit des uti possidetis-Prinzips aus rein pragmatischen Gründen zur Erhaltung einer gewissen Stabilität im nachkolonialen Afrika ausgeht. 321 Vgl. dazu Bowring, in: International Law and the Question of East Timor, S. 151, 162 f. 322 Ebenso Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 274 f. Zur Kritik an der Entscheidung Hilpold, 53 ZÖR [1998], 263, 269.

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e) Das Urteil im Nicaragua-Fall 1986 Eine zentrale Entscheidung ebenfalls aus dem Jahre 1986 war der „Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua Case (Nicaragua/USA)“.323 In diesem Fall hat der IGH zwar nicht explizit das Selbstbestimmungsrecht erwähnt, aber offenkundig auf dieses abgestellt, als er zum Prinzip der Nichteinmischung ausführte, dass es zum Recht eines Volkes gehöre „[to] decide freely [on the] political, economic, social and cultural system, and the formation of foreign policy [...]“.324

Damit dehnte er erstmals eindeutig die gewohnheitsrechtliche Geltung des Selbstbestimmungsrechts auch auf nichtkoloniale Zusammenhänge aus.325 f) Der Ost-Timor-Fall 1995 Die Entscheidung des IGH zum „East Timor Case (Portugal/Australia)“326 ist die jüngste Bezugnahme auf das Selbstbestimmungsrecht im Kontext der „non-self-governing territories“ und damit auf den Prozess der Dekolonisierung. Portugal machte geltend, dass es trotz der völkerrechtswidrigen Besetzung Ost-Timors durch Indonesien weiterhin Kompetenzen im Bezug auf dieses Territorium besitze, die Australien durch einen Vertragsschluss mit Indonesien über die Nutzung einer Seestraße bei Ost-Timor verletzt habe.327 In der Entscheidung hat der IGH Portugals Annahme bestätigt, dass das Selbstbestimmungsrecht „as it evolved from the Charter and from United Nations practice, has an erga omnes character, is irreproachable [...] it is one of the essential priciples of contemporary in328 ternational law“.

___________ 323 ICJ Rep. 1986, 14 – Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua/United States of America). 324 ICJ Rep. 1986, 14, 108 Rdnr. 205 f. – Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua/United States of America), vgl. auch 351, Diss. op. Schwebel: „universally recognized“; ebenso Heintze, Selbstbestimmungsrecht und Minderheitenrechte, S. 22. 325 Ebenso Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 276. 326 ICJ Rep. 1995, 90 – East Timor (Portugal/Australia). 327 Zur Klageschrift und den Forderungen Portugals auch Hilpold, 53 ZÖR [1998], 263, 274 f. 328 ICJ Rep. 1995, 90, 102 Rdnr. 29 – East Timor (Portugal/Australia). Portugal vermied in seinem Antrag die Geltung des Selbstbestimmungsrechts als ius cogens herauszustellen, um das Problem der Drittbetroffenheit (der Vertrag zwischen Australien und Indonesien wäre bei einem Verstoß gegen ius cogens nichtig gewesen und hätte damit Indonesien zweifelsfrei betroffen) zu umgehen, vgl. dazu Symmons, in: The East Timor

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Die Schlussfolgerung Portugals, dass Australien aus diesem Grunde den Vertrag nicht hätte abschließen dürfen, hat der IGH aber zurückgewiesen.329 Er könne nicht über Fälle urteilen, in denen eine weitere Partei – hier Indonesien – betroffen, nicht aber Partei des Streites ist. Damit hat der IGH, aus Sicht zahlreicher Literaturstimmen in enttäuschender Weise, unter Hinweis auf die Betroffenheit von Drittparteien generell seine Entscheidungskompetenz für vergleichbare Fälle ausgeschlossen.330 Weil Australien aber erga omnesVerpflichtungen verletzt habe, hätten andere Staaten unabhängig von der Ablehnung einer materiellen Entscheidung im konkreten Fall völkerrechtlich zulässige Gegenmaßnahmen ergreifen können.331 Der IGH hat also – wohl aus Rücksicht auf die potentiell weitreichenden politischen Folgen – auf eine Sachentscheidung verzichtet, aber den Anspruch des ost-timoresischen Volkes auf Selbstbestimmung grundsätzlich bestätigt.332 Das Urteil bestätigt ferner den extensiven Beurteilungsspielraum der UN-Generalversammlung bei der Durchführung von Dekolonisierungsmaßnahmen.333 Die Entscheidung des IGH, vor allem aber die Rolle der UN im Vorfeld und Nachgang der Umsetzung des beschlossenen Plebiszits sind massiv kritisiert worden.334 Insbesondere die Unterlassung eines effektiven Schutzes des Urnen___________ Problem and the Role of Europe, S. 107, 134. Dessen ungeachtet wird vertreten, dass nicht nur Indonesien durch sein Verhalten in mehrfacher Hinsicht (Verstoß gegen das Aggressionsverbot, Verhinderung des Selbstbestimmungsrechts und massive Menschenrechtsverletzungen), sondern auch Australien durch seine die Besetzung Ost-Timors anerkennende Rolle gegen ius cogens verstoßen habe, so Hannikainen, in: International Law and the Question of East Timor, S. 103, 106 ff. 329 Zur Rolle Australiens, das durch seine faktische Anerkennung des Territoriums als Provinz Indonesiens die Position des Besetzers ab Ende der 1970er Jahre stärkte, vgl. Hilpold, 53 ZÖR [1998], 263, 272 f.; die Anerkennung sei völkerrechtswidrig gewesen, weil die indonesische Intervention schon ein Völkerrechtsverstoß war und ein solcher nicht durch den Effektivitätsgrundatz heilbar ist, vgl. ebda., S. 289. Vgl. ausführlich auch Symmons, in: The East Timor Problem and the Role of Europe, S. 107, 112 ff. 330 Vgl. Crawford, in: Peoples’ Rights, S. 7, 35 f., dort auch Analyse der Gründe für die Zurückhaltung über eine konkrete Entscheidung hinsichtlich der Verletzung des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Hilpold, 53 ZÖR [1998], 263, 276 ff. zeigt, dass der IGH trotz der Drittstaatenproblematik und einer Selbstbeschränkung eine Entscheidung im vorliegenden Fall hätte treffen können. 331 Insoweit hat der IGH lediglich die Konsequenzen aus der Tatsache einer erga omnes-Verpflichtung offengelassen, vgl. auch Hilpold, 53 ZÖR [1998], 263, 289. 332 ICJ Rep. 1995, 90, 103 Rdnr. 31, 105 Rdnr. 37 – East Timor (Portugal/Australia). Ebenso Hilpold, 53 ZÖR [1998], 263, 283. 333 ICJ Rep. 1995, 90, 103 Rdnr. 30 ff. – East Timor (Portugal/Australia), vgl. auch Diss. op. Skubiszewski 224, 246 Rdnr. 71 ff. 334 Vgl. nur Drew, 12 EJIL [2001], 651, 665, 671. Zur Kritik am Ost Timor-Fall Hilpold, 53 ZÖR [1998], 263, 265. Mit Ost-Timor haben sich so gut wie alle UNOrgane mit allen dafür zur Verfügung stehenden Mechanismen beschäftigt, einen Über-

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gangs, das zu einem ungehinderten Agieren der vom indonesischen Militär geduldeten Milizen führte, die sich für den unabhängigkeitsbefürwortenden Ausgang der Volksbefragung gewaltsam rächten, hat zu einer großen Zahl von Opfern geführt.335 Nichtsdestotrotz ist es gelungen, zweieinhalb Jahre nach dem Referendum am 20. Mai 2002 Ost-Timor als 192. Staat der Erde in die endgültige Unabhängigkeit zu entlassen und die Verwaltung des Landes vom UNGeneralsekretär an den ersten gewählten Präsidenten zu übertragen.336 3. Schlussfolgerung Zwar ist das Selbstbestimmungsrecht der Völker außerhalb des kolonialen Kontextes noch nicht ausdrücklich Gegenstand einer materiellen Entscheidung des IGH gewesen.337 Dennoch deuten die oben dargestellten Befunde des IGH eindeutig darauf hin, dass dieser das Selbstbestimmungsrecht im umfassenden Sinne als völkerrechtlich anerkannt sieht und generell bei seinen Entscheidungen Lösungen zu finden bemüht war, die am ehesten dem Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Völker entsprachen. Auch die Rechtsprechung des IGH bestätigt die obige Auslegung des Völkerrechtsinstitutes, dass das Selbstbestimmungsrecht ein Recht aller Völker ist.338

V. Selbstbestimmungsrecht als zwingendes Völkerrecht 1. Die Kategorie des ius cogens Unter zwingendem Völkerrecht oder ius cogens sind diejenigen Rechtsregeln zu verstehen, die für alle Staaten unabhängig von einer vertraglich eingegangenen Verpflichtung verbindlich gelten und von denen sie keine abwei___________ blick über die wichtigsten Dokumente und Ereignisse von 1960 bis 2000 geben Steiner/ Alston, International Human Rights, S. 672-693. 335 Bereits der indonesischen Gewaltherrschaft von 1975 bis 1999 fielen etwa 200 000 Ost-Timoresen zum Opfer, vgl. Hilpold, 53 ZÖR [1998], 263, 271 mit besonderem Hinweis auf ein Massaker 1991, das durch Fernsehaufnahmen in der ganzen Welt bekannt wurde (S. 272). Es wird vermutet, dass nach dem von der UN eingeleiteten Plebiszit wieder mehrere Tausend Menschen ermordet wurden, vgl. Göller, Das Parlament Nr. 39-40 v. 24.09./01.10.1999, S. 17; Meldungen in NZZ Nr. 114 v. 21.05.2002, S. 3 und NZZ Nr. 202 v. 31.08.2000, S. 3. 336 Vgl. Meldung in NZZ Nr. 114 v. 21.05.2002, S. 3; zur Wahl Xanana Gusmãos, des Führers der Unabhängigkeitsbewegung, zum ersten Präsidenten vgl. Meldung in NZZ Nr. 89 v. 18.04.2002, S. 4. 337 Vgl. zu weiteren Entscheidungen im Überblick Crawford, in: Peoples’ Rights, S. 7, 32 ff. 338 Crawford, in: Peoples’ Rights, S. 7, 36, 38.

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chenden Regelungen treffen dürfen.339 Art. 53 WVK legt ausdrücklich fest, dass ein Verstoß gegen ius cogens in einem völkerrechtlichen Vertrag zur Nichtigkeit dieses Vertrages aus inhaltlichen Gründen führt. Wie bereits erwähnt ist zwischen den Rechtsquellen nach Art. 38 IGH-Statut keine Hierarchie angelegt, vielmehr unterscheiden sich die Quellen nur nach ihrem Konkretisierungsgrad und ihrer Erscheinungsform. Ein geschriebener Vertrag ist tendenziell präziser und geht üblicherweise bei der Beurteilung eines Streitfalles gegenüber allgemein gültigem Gewohnheitsrecht für den (kleineren) Adressatenkreis der Vertragsparteien vor, die gewohnheitsrechtliche Geltung besteht aber fort. Zumindest theoretisch kann zwingendes Völkerrecht daher in allen Rechtsquellen vorliegen.340 Der häufigere Fall ist die allgemein wirkende gewohnheitsrechtliche Ausprägung, wobei dahingestellt bleiben kann, ob die Rechtsüberzeugung der Staaten die besondere Zielrichtung, dass die Norm als zwingend empfunden wird (opinio iuris cogentis), aufweisen muss. Es muss jedenfalls eine ausgeprägte Überzeugung weit verbreitet sein, weshalb ein unmittelbarer Übergang aus dem Stadium von „soft law“ direkt zu ius cogens ohne Zwischenstufe nicht möglich ist.341 Es kann ferner dahingestellt bleiben, inwiefern zwingendes Völkerrecht und Verpflichtungen erga omnes deckungsgleich sind, wie es der IGH mit der Begründung annimmt, die Verletzung einer ius cogens-Regel ziehe immer eine Verletzung einer gegenüber allen gültigen Pflicht zur Berücksichtigung des geltenden Völkerrechts nach sich. Der Menschenrechtskatalog ist jedenfalls in nur eingeschränktem Maße bezüglich der grundlegendsten Rechte wie z.B. dem Folterverbot als ius cogens zu betrachten, das Selbstbestimmungsrecht hingegen in vollem Umfang,342 wie sogleich genauer gezeigt wird. 2. Das Anwendungsbeispiel Selbstbestimmungsrecht Neben der vertrags- und gewohnheitsrechtlichen Verankerung wird das Selbstbestimmungsrecht vielfach und auch schon seit langem sogar als zwingendes Völkerrecht eingeordnet.343 Auch innerhalb des IGH gab es schon 1970 ___________ 339 Zur unterschiedlichen Begrifflichkeit in der Völkerrechtsliteratur und der Begriffsdeutung Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 34 f. 340 Dazu Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 182 ff. Malanczuk, International Law, S. 58 beschränkt es auf Gewohnheits- und Vertragsrecht. 341 Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 200 f. 342 von der Wense, Der UN-Menschenrechtsausschuß, S. 23. 343 So z.B. Klein, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 56; Gros Espiell, VN 1982, 54, 56 f.; Brownlie, Public International Law, S. 515 und 517, wobei er auch auf strittige Punkte hinweist.

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Richter, die das Selbstbestimmungsrecht so einstuften.344 Mit der oben erwähnten Ost-Timor-Entscheidung hat der IGH als Ganzes klargestellt, dass aus dem Recht eine erga omnes-Verpflichtung erwächst.345 Wenn anders als hier die Bewertung der prinzipiellen Rechtsqualität des Selbstbestimmungsrechts je anhand seiner bestimmten Ausprägungen vorgenommen wird, dann ist das Recht jedenfalls unzweifelhaft in Teilgehalten ius cogens.346 Bezüglich der Dekolonisierung lässt sich dies mit der Staatenpraxis und der entsprechenden Rechtsüberzeugung begründen, da in allen Dekolonisierungs-Dokumenten wie z.B. den Deklarationen von einer Verbindlichkeit ausgegangen wurde.347 Auch haben sich die Kolonialstaaten gegen den Unabhängigkeitsprozess der ehemaligen Kolonien am Ende nicht mehr gewehrt. Die konsistente Staatenpraxis nachzuweisen ist zwar auch in diesem Zusammenhang schwierig, aber insgesamt dürfte die Zahl der Äußerungen von Staatenvertretern bei Beratungen über die Dekolonisierung an der Verbindlichkeitsüberzeugung bezüglich des Selbstbestimmungsrechts keinen Zweifel lassen.348 Eine ganz andere Frage ist die nach Rechtsfolgen bei Verstößen gegen das ius cogens Selbstbestimmungsrecht. Dass bislang noch keine Entscheidung über die Nichtigkeit eines Vertragswerkes aufgrund eines solchen Verstoßes getroffen worden ist,349 ändert nichts am „[...] revolutionary import [of ius cogens, which] does not have an immediately ascertainable legal impact, it is influential in the moral and psychological sphere; it fosters a new ethos [...]“.350

Wenn eine vertragliche Verpflichtung missachtet wird, können alle Vertragsstaaten vorgesehene Gegenmaßnahmen ergreifen. Unter Hinweis auf die ___________ 344 Sondervotum Ammoun, ICJ Rep. 1970, 304, 312 – Barcelona Traction. Dagegen waren Berichte der UN Special Rapporteurs, die sich mit dem Recht befassten, jeweils unterschiedlich. 345 Dazu oben Kap. 1 B. IV. 2. f); die Anwendung des uti possidetis-Grundsatzes in der Entscheidung zum Grenzstreit Mali/Burkina Faso, näher ebda. unter d), spricht nicht gegen die Wertung des IGH, weil es nicht als allgemeines Prinzip dem Selbstbestimmungsrecht dauerhaft entgegensteht, wie Kimminich/Hobe, Völkerrecht, S. 113 f. bemerken. 346 Im Einzelnen dazu Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 261 ff. m.w.N. auf S. 264 Fn. 370, v.a. auch S. 273, der aber zum Zeitpunkt seiner Untersuchung neu aufgekommene Varianten des Selbstbestimmungsrechts nur für werdendes Völkerrecht hielt. 347 Vgl. Heintze, Selbstbestimmungsrecht und Minderheitenrechte, S. 23; BrühlMoser, Die Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts, S. 91 f. 348 Nachweise zu Staatenäußerungen z.B. bei Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 136, Fn. 66, 67. 349 Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 140. 350 Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 174.

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erga omnes-Verpflichtung kann auch jeder Drittstaat – potentiell – eine Sanktion ergreifen.351 Der ursprüngliche Entwurf der International Law Commission (ILC) über die Staatenverantwortlichkeit sah zumindest für „gross violations“352 des Selbstbestimmungsrechts die Erfüllung des Tatbestandes eines internationalen Verbrechens an.353 Zwar ist (insgesamt) auf die ausdrückliche Aufnahme der Verbrechen in einen Katalog in der endgültigen Entwurfsfassung von 2001 verzichtet worden,354 dies ändert aber nichts an der Haltung der Staaten, wie sie bei den Beratungen der ILC zum Ausdruck gekommen ist.355 Schon bei den Beratungen zur Wiener Vertragsrechtskonvention wurde ursprünglich überlegt, Fälle des ius cogens in Art. 53 WVK aufzuzählen. Dabei war das Selbstbestimmungsrecht die von den Staaten neben dem Aggressionsverbot am zweithäufigsten genannte Beispielnorm für ius cogens.356 Wegen des mehrheitlichen Widerstandes gegen die exemplarische Aufzählung wurde dann die allgemeine Formulierung des heutigen Art. 53 S.2 WVK gewählt. Wenngleich sich nicht die „Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit“ – so die Formulierung in S. 2 – explizit zum Selbstbestimmungsrecht als ius cogens bekannt hat, kann auch ohne solche konsistente Staatenpraxis der Nachweis einer allgemeingültigen zwingenden Völkerrechtsnorm geführt werden.357 Wie oben gezeigt, genügt für die Herausbildung von ius cogens die detaillierte und wiederholte Festlegung in vertraglichen Dokumenten wichtigen Ranges. Diese sind ein sicheres Indiz dafür, dass das Selbstbestimmungsrecht zu den „fundamental and universal [principles] in international relations“358 gehört, die für Staaten nicht mehr abdingbar sind. Da allgemein anerkannt ist, dass es zwingende Völkerrechts___________ 351

Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 172 f. Diese Beschränkung auch bei Malanczuk, International Law, S. 58. 353 Art. 19 Abs. 3 lit b) a.F. des Entwurfs zur Konvention über die Staatenverantwortlichkeit der ILC, vgl. dazu Kimminich/Hobe, Völkerrecht, S. 113. 354 Text z.B. in Tomuschat (Hrsg.), Völkerrecht, Nr. 9 und unter http://untreaty.un. org/ilc/texts/instruments/english/draft%20articles/9_6_2001.pdf. Die Generalversammlung hat den Text zustimmend zur Kenntnis genommen und den Staaten seither zur weiteren Diskussion anempfohlen, aber bis 2007 war kein weiterer Fortschritt hin zu einer möglichen Konvention erzielt worden, vgl. GA Res. 62/61 v. 06.12.2007. Der aktuelle Stand ist zu finden unter http://untreaty.un.org/ilc/guide/9_6.htm. 355 Vgl. dazu Crawford/Peel/Olleson, 12 EJIL [2001], 963 ff., v.a. Text zu Fn. 60. Nachweise zur Haltung der ILC schon bei Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 135, Fn. 62 und Doehring, in: Charta der Vereinten Nationen, nach Art. 1 Rdnr. 57. Vgl. ferner zum Vergleich der alten und neuen Fassung Fassbender, EuGRZ 2003, 1, 7 f.; Tams, 62 ZaöRV [2002], 759, 766 ff. 356 Vgl. Heintze, Selbstbestimmungsrecht und Minderheitenrechte, S. 23. 357 Vgl. zu relevanten Staatenäußerungen und ihrer Bewertung Cassese, International Law, S. 110 f. 358 Hannikainen, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 79, 81; Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 140. 352

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Kapitel 1: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker

normen gibt, gelten als solche identifizierte dann auch gegenüber denjenigen Staaten, die die konkrete Regelung selbst zunächst nicht dem ius cogens zugeordnet hätten.359 Eine Geltung des Selbstbestimmungsrechts als ius cogens bedeutet auch keine Überbetonung, die Gewaltanwendung zur Durchsetzung ebenso rechtfertigen würde wie den Verstoß gegen andere Völkerrechtsnormen. Das zeigt sich schon daran, dass es verschiedene zwingende Normen gibt, die dann bei einer Abwägung im konkreten Fall alle einzubeziehen sind.360 Es überrascht daher nicht, dass heute ganz überwiegend von einer Geltung als zwingender Norm ausgegangen wird.361 Sogar Skeptiker hinsichtlich des Selbstbestimmungsrechts gestehen diesem zumindest in Teilbereichen zwingenden Charakter zu, zum Teil sogar im Sinne eines inneren Selbstbestimmungsrechts als Freiheit vor despotischen Regimen.362 Letztlich spielt es für die weitere Untersuchung des Selbstbestimmungsrechts keine Rolle, ob die Einordnung als ius cogens geteilt wird. Dass das Rechtsinstitut in den zwischenstaatlichen Beziehung jedenfalls nicht irrelevant ist, kann nicht geleugnet werden.

VI. Ergebnis „Das Selbstbestimmungsrecht wurde zu einem internationalen Grundrecht, insbesondere durch seine Aufnahme in die beiden großen Menschenrechtspakte [...] und in die wichtige Erklärung der Staaten über freundschaftliche Beziehungen [...]“.363

Es ist gezeigt worden, dass das Selbstbestimmungsrecht sowohl eine universale Verbreitung im Völkervertragsrecht als auch seit der Dekolonisierung als Gewohnheitsrecht erfahren hat.364 Dabei wurden in den fünf Jahren von 1966 bis 1971 mehrere entscheidende Weichenstellungen zugunsten einer allgemei___________ 359 Dies wird von Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 137 ff., eingehend und überzeugend dargestellt. 360 So Klein, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 57. Dies entkräftet auch das Hauptargument Pomerance, Self-Determination in Law and Practice, S. 71 f., die wegen der Gefahr von „absolutist theories“ vehement den ius cogens-Charakter verneint. 361 Castellino, International law and self-determination, S. 99, was zugleich ein Element der Entwicklung zur Schwächung staatlicher Souveränität sei, S. 100. Hannikainen, in: International Law and the Question of East Timor, S. 103, 106; Riedel, in: Aktuelle Probleme des Menschenrechtsschutzes, S. 49, 56; von der Wense, Der UNMenschenrechtsausschuß, S. 23; Ermacora, in: Menschenrechte und Selbstbestimmung unter Berücksichtigung der Ostdeutschen, S. 9, 12; Murswiek, Peaceful Change, S. 42. 362 Schoder, Vom Minderheitenschutz zum Schutz verwundbarer Gruppen, S. 144. 363 Fisch, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 11, 23 f. Ebenso eindeutig die Rechtsqualität bejahend Hannum, 34 Va. J. Int’l. L. [1993], 1, 31: „self-determination has undoubtedly attained the status of a ‚right’ in international law“. 364 Vgl. auch Fink, JZ 1998, 330, 336.

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nen und uneingeschränkten Anwendbarkeit des Selbstbestimmungsrechts der Völker gestellt: die ersten Fälle beim IGH, die Verabschiedung der Menschenrechtspakte und die Erarbeitung der Friendly Relations-Declaration stellten als „Gesamtpaket“ einen Zeitsprung dar.365 Ein weitergehender Blick auf Verankerungen des Selbstbestimmungsrechts in partikularem oder regionalem Völkerrecht erübrigt sich daher.366 Als Ergebnis aus der obigen Untersuchung von Vertrags- und Gewohnheitsrecht lässt sich schlussfolgern, dass beide Rechtsformen eng miteinander verwoben sind. Das vertragsrechtliche Selbstbestimmungsrecht beschleunigte die Fortentwicklung des gewohnheitsrechtlichen Instituts, wobei die allgemeine Formulierung der UN-Charta Anstoß zur Bedeutungserweiterung und weiteren Verrechtlichung des Rechts war.367 Schon 1984 fasste Thürer zusammen, dass „das Selbstbestimmungsrecht zu einem allgemeinen Grundsatz des modernen Völkergewohnheitsrechts geworden ist“ und die „Praxis der Vereinten Nationen [und die] Rechtsprechung des IGH [...] jedenfalls im gegenwärtigen Zeitpunkt am Rechtscharakter keine Zweifel mehr [lassen]“ und nur noch das Ausmaß zu diskutieren sei.368 Auch Autoren, die den Inhalt des Selbstbestimmungsrechts entsprechend der jeweiligen Verankerung festlegen, kommen zum Ergebnis, dass ein Ratifikationsstaat der Menschenrechtspakte, der mit einer Situation der internen Selbstbestimmung konfrontiert wird, sowohl der ganzen Bevölkerung (vertragliche Festlegung) als auch jeder „rassischen Gruppe“, die nicht „equal access to government“ erhält (gewohnheitsrechtliche Festlegung), Selbstbestimmung zugestehen und damit einen Ausgleich zwischen den Interessen beider Gruppen finden muss.369 Verschiedentliche Versuche, die rechtliche Qualität des Selbstbestimmungsrechts zu bezweifeln, weil aufgrund der begrifflichen und konzeptionellen Uneinheitlichkeit eine Operabilität des Institutes nicht gegeben sei,370 können mit folgendem Argument widerlegt werden: Die begriffliche Uneinheitlichkeit, zumindest das Fehlen einer feststehenden Definition ist auch eine Stärke des Rechtsinstitutes, weil es seine Zukunftsfähigkeit sichert, indem es für neue Ansprüche und Forderungen von Rechtsinhabern offen bleibt. Im Blick auf das Ziel derjenigen, die sich auf das Recht berufen, ist daher eine Unterscheidung ___________ 365

Ebenso Crawford, in: Peoples’ Rights, S. 7, 19. Auch Thürer, AVR 1984, 113, 126 sieht darin für eine allgemeine Untersuchung keinen Erkenntnisgewinn. 367 Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 159. 368 Zitate sämtlich von Thürer, AVR 1984, 113, 125. 369 Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 162. 370 Vgl. in diesem Sinne die bei Escarameia, in: International Law and the Question of East Timor, S. 119, 122 zusammengefassten Literaturstimmen. 366

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Kapitel 1: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker

nach den einzelnen verfolgten rechtlichen Konzepten vorzunehmen, wobei das „allumfassende Selbstbestimmungsrecht“ als integrierendes Konzept und Vision beibehalten werden sollte.371 Diese möglichen rechtlichen Konzepte und ihre einzelnen Bestandteile sollen im nächsten Abschnitt untersucht werden, weil damit die Rechtsnormqualität des Konzepts bestätigt wird.

C. Rechtlicher Gehalt Nachdem nunmehr festgestellt ist, dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker ganz unbestritten vertrags- und gewohnheitsrechtliche Geltung im modernen Völkerrecht erlangt hat, ist der Umfang des Rechts sowohl im Hinblick auf den Träger als auch den Inhalt zu untersuchen. In jüngster Zeit sind gerade hinsichtlich der möglichen Träger des Rechts Erweiterungen festzustellen, die – wenn nicht schon vorher rechtlich vorhanden, aber nur unterdrückt – nunmehr auch offen thematisiert werden. Die unterschiedlichen möglichen Rechtsträger werden analysiert, wobei besonderes Gewicht der Frage zukommt, ob das Selbstbestimmungsrecht in der modernen Staatenwelt noch „neue“ Träger kennt, die sich darauf berufen können. Gerade im Hinblick auf die hier interessierenden Menschengruppen muss bereits in diesem Kapitel eine Vorentscheidung erfolgen, die dann aber ausführlich im nächsten Kapitel vertieft wird. Inhaltlich hat das Selbstbestimmungsrecht verschiedene Aspekte, die ebenfalls allgemein dargestellt werden sollen. Daran anschließend wird ein Bezug hergestellt zwischen den unterschiedlichen Trägern und Gehalten des Rechts, bevor einige Anwendungsfälle aus jüngerer Zeit kurz angesprochen und die Wandlungsfähigkeit von Rechtsinstituten im modernen Völkerrecht als allgemein zu beobachtende Erscheinung und seine Auswirkungen auf die gewonnenen Erkenntnisse zum Selbstbestimmungsrecht der Völker aufgezeigt werden.

I. Allgemeines Das Selbstbestimmungsrecht der Völker lässt sich in zweierlei Hinsicht unter Berücksichtigung der genannten Instrumente und Aktivitäten analysieren. Obwohl Träger und Inhalt des Rechts eng zusammenhängen,372 soll hier zunächst danach unterschieden werden, wer grundsätzlich als Volk Rechtsträger (Subjekt = Träger) ist und welche Aspekte (Objekt = Inhalte) in dem Recht ___________ 371

Escarameia, in: International Law and the Question of East Timor, S. 119, 145. Darauf weist in einer grundlegenden Arbeit Murswiek, Der Staat 1984, 523, 527 ff. hin. 372

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enthalten sind, bevor daran anschließend der Zusammenhang zwischen den beiden Elementen hergestellt wird.

II. Das Subjekt des Selbstbestimmungsrechts: Die „Völker“ als Träger Zunächst ist also das „Volk“ als Element des Selbstbestimmungsrechts der Völker zu untersuchen. Es wird sich zeigen, dass dieser Bestandteil verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zulässt, so dass zu klären ist, ob es auch tatsächlich unterschiedliche Rechtsträger gibt. Soweit nötig wird im Rahmen der Begriffsbestimmung auch auf den Minderheitenschutz und die entsprechende -definition eingegangen. Dies erfolgt jedoch in gebotener Kürze, da Ziel dieser Arbeit gerade die Untersuchung ist, ob nicht weitergehende als Minderheitenschutzrechte auf die hier interessierende Kategorie anzuwenden sind. Dazu ist es weder erforderlich noch in ausführlicher Weise möglich auf den ganz eigenen Gegenstand „Minderheiten“ und die zugehörige uferlose Literatur einzugehen.373 Im Zusammenhang mit ethnischen Gruppen als einem Untersuchungsgegenstand wird schon im Blick auf indigene Völker eine Eingrenzung und Abgrenzung vorgenommen, die jedoch erst im nächsten Kapitel vertieft werden soll. 1. Der Begriff des „Volkes“ a) Der Sprach- und Rechtsgebrauch Der Begriff „Volk“ im Sprach- und Rechtsgebrauch gehört zu denjenigen Begriffen, deren scheinbar klare Bedeutung in krassem Gegensatz zur tatsächlich kaum zu bestimmenden Definition stehen.374 Die Vielschichtigkeit und Unschärfe des Begriffs „Volk“ im Völkerrecht ist grundlegend und umfassend von Elsner untersucht worden.375 Zunächst hält er dabei fest, dass Volk mehrere, sich teilweise überschneidende Bedeutungen hat, jedoch immer die Einbindung von Menschen in einen größeren Zusammenhang meint. Dazu können verschiedene Faktoren beitragen, so z.B. eine territoriale Umgrenzung, eine ___________ 373

Vgl. grundlegend dazu z. B. die Arbeiten von Niewerth, Der kollektive und der positive Schutz von Minderheiten; Leuprecht, in: Peoples’ Rights, S. 111 ff.; Oxenknecht, Der Schutz ethnischer, religiöser und sprachlicher Minderheiten; Despeux, Die Anwendung des völkerrechtlichen Minderheitenrechts in Frankreich, jew. m.w.N. 374 Blumenwitz, in: Menschenrechte und Selbstbestimmung unter Berücksichtigung der Ostdeutschen, S. 21, 26 nennt die Frage nach der Bedeutung des „Volkes“ das „Kardinalproblem“ des Völkerrechts. 375 Elsner, Bedeutung des Volkes, passim.

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politische Organisationsstruktur oder auch ethnisch-kulturelle Faktoren. Deren Gewichtung und die Wertung der inneren Einstellung der Betroffenen zu dieser Frage entscheidet letztlich die Bedeutung des Volksbegriffs im konkreten Verständnis.376 Im Völkerrecht besteht eine im nationalen Recht nicht bekannte Möglichkeit, als weiteres Auslegungskriterium den Sprachenvergleich – bei Verträgen z.B. zwischen den amtlichen Sprachfassungen – heranzuziehen.377 Hinsichtlich des Volksbegriffs hilft der allgemeine Sprachgebrauch jedoch nicht, da sich hiermit keine eindeutigen Ergebnisse erzielen lassen.378 Obwohl sich das Völkerrecht – sowohl in wichtigen Texten wie der UN-Charta oder den Menschenrechtspakten, als auch in allgemeiner Form – einer verbindlichen Definition des Begriffs oder der Elemente enthält, die die Volksangehörigen zusammen bindet, lässt sich jedoch festhalten, dass es sich immer um eine Mehrzahl von natürlichen Personen handelt, das ein Mehr gegenüber der Summe der Einzelteile darstellt.379 Das Fehlen einer verbindlichen Definition allein ist unschädlich, da das Völkerrecht wie jede andere Rechtsordnung Rechtsbegriffe kennt, deren Bedeutung sich erst durch eine Konkretisierung bzw. Auslegung erschließen.380 Zwar besteht in diesem Bereich weiterhin Unklarheit und auch Uneinigkeit,381 weil zu einer abschließenden Klärung auch die Praxis der UN nicht beigetragen hat.382 Dennoch hilft folgende Überlegung weiter: ___________ 376

Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 33. Zu dieser Auslegungsmethode für das Europarecht am Beispiel einer EuGHEntscheidung Cole/Haus, JuS 2001, 435, 437 ff. m.w.N. 378 Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 24 ff. 379 In diesem Sinne Sieghart, The Lawful Rights of Mankind, S. 161 f.; Thürer, in: Neues europäisches Völkerrecht nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes?, S. 43, 46; Rumpf, in: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die deutsche Frage, S. 47, 48. 380 Darauf weist zu Recht Murswiek, Der Staat 1984, 523, 526, hin, der ebenfalls eine Konkretisierung versucht; so auch Heintze, Selbstbestimmungsrecht und Minderheitenrechte, S. 41. Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 119 zeigt, dass das moderne Völkerrecht notwendigerweise mit ungeklärten Begriffen arbeitet, wenn unterschiedliche Weltanschauungen gegenüberstehen oder in der Praxis flexible Lösungen vonnöten sind. 381 Vgl. nur Doehring, in: Charta der Vereinten Nationen, nach Art. 1 Rdnr. 27, der aber auch eine grobe Annäherung für möglich hält; kritisch dagegen Fisch, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 11, 16 ff., der sogar in der im Allgemeinen unbestrittenen Anwendung auf sog. „Kolonialvölker“ einen „definitorischen Trick“, nämlich die „tautologische Definition Staat=Volk“ (S. 25) sieht. Vgl. im Übrigen bereits 1971 Emerson, 65 AJIL [1971], 459, 462. 382 Vgl. dazu nur Rumpf, in: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die deutsche Frage, S. 47; andererseits kann die „Inkonsistenz der Praxis“ kein Argument dafür sein, dass dem Selbstbestimmungsrecht die juristische Bestimmbarkeit abgesprochen wird, so zutreffend Murswiek, Der Staat 1984, 523, 527. Insoweit ist es auch unschädlich, dass frühe Bemühungen der Generalversammlung um eine Definition mangels Erfolgsaussicht nicht weiter verfolgt wurden, vgl. Doehring, in: Charta der Vereinten Nationen, nach Art. 1 Rdnr. 27. Zudem stellt Wright, 19 Oxford Journal of Legal Studies [1999], 605, 626 im Blick auf die Arbeit des Menschenrechtsausschusses zu Recht fest: 377

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Die Frage der Definition hat sich parallel zur Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts – die Pakte sprechen von einer Anwendung auf „alle Völker“ – gestellt und damit auch im vorliegenden Kontext.383 Dabei gibt die „selfdetermination formula itself“ keine Hinweise zur Definition oder Konkretisierung des Selbst.384 Es muss daher im Blick auf Anwendungsmöglichkeiten des Selbstbestimmungsrechts der Völker zunächst von einer möglichst breiten Definition ausgegangen werden, die anschließend eventuell anhand bestimmter Kriterien wieder eingeschränkt werden kann.385 Mit den in der Literatur entwickelten Positionen sind daher die Anwendungsfälle Staatsvölker, Kolonialvölker als Sonderfall sowie Gruppen innerhalb bestehender Staaten – gegebenenfalls in verschiedener Ausprägung – zu untersuchen.386 b) Objektive und subjektive Subsumtionskriterien Bei dieser Untersuchung können zwei verschiedene Herangehensweisen fruchtbar gemacht und gegebenenfalls kombiniert werden.387 Ohne dass dies hier schon vertieft werden müßte, können Gemeinsamkeiten zwischen Personen im Hinblick auf ihre Zugehörigkeit zu einer verbindenden Gruppe anhand objektiver oder subjektiver Merkmale erfolgen. Nach der objektiven Methode kommt es auf bestimmte Eigenschaften oder Merkmale einer Person an, wie z.B. ihre Abstammung im Vergleich zur Geschichte einer Gruppe, der Religionszugehörigkeit, der verwendeten Sprache und ähnlichen Merkmalen. Die Festlegung der relevanten Kriterien ist jedoch ebenso schwierig wie die Subsumtion unter manche der Kriterien. Zudem besteht das Problem, dass diese widersprüchlich oder missbräuchlich verwendet werden, worauf noch näher einzugehen sein wird.388 Das subjektive Verfahren analysiert dagegen den Willen der betroffenen Menschenmehrheit, zu einer gemeinsamen Gruppe zu gehö___________ „It seems, though, that international law copes fairly well with the juridically undefined“. 383 Daher baut auch Elsner seine Untersuchung zielgerichtet auf die Anwendungsmöglichkeiten des Selbstbestimmungsrechts auf. 384 McCorquodale, 43 (4) I.C.L.Q. [1994], 857, 866. 385 Eine abschließende Zuordnung des Selbstbestimmungsrechtssubjekts ist nur im Zusammenhang mit dem Objekt, also Inhalt des Rechts, möglich, vgl. grundlegend dazu Murswiek, Der Staat 1984, 523, 527. Wie bei Klein, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 37, kann aber zunächst eine Liste der in Frage kommenden Träger bearbeitet werden. 386 Vgl. als Beispiel Herangehensweise bei Thiele, Selbstbestimmungsrecht und Minderheitenschutz in Estland, S. 29. 387 Vgl. dazu schon Decker, Das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, S. 60 ff. 388 Vgl. beispielhaft die Ausführungen von Fisch, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 11, 15.

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ren. Es kommt also auf die Selbstidentifikation an. Damit aber nicht jeder nach Gutdünken „seine Volkszugehörigkeit wählen“389 kann, muss dieser durchaus entscheidende Aspekt angereichert werden.390 Ohne subjektives Zusammengehörigkeitsgefühlt kann ein Volk im völkerrechtlichen Sinne kaum in Erscheinung treten, da es des Bewusstseins einer bestimmten Rechtsstellung bedarf. Andererseits kann die Selbstidentifikation nur greifen, wenn zugleich verbindende objektive Kriterien bestehen. Dabei besteht noch das Problem, dass die Gewichtung der möglichen objektiven Kriterien wiederum von der subjektiven Entscheidung der relevanten Volksgruppe abhängt; anders gewendet hängt die objektive Unterscheidbarkeit von Kriterien ab, die der Volksgruppe subjektiv wichtig sind.391 Mittels der kombinierten Kriterien wird jedoch in Zweifelsfällen über die folgenden Kategorien zu entscheiden sein.392 2. Volk als Staatsvolk: Die „Nation“ Jedenfalls und unbestritten ist ein mögliches Auslegungsergebnis des Volksbegriffs bezogen auf das Selbstbestimmungsrecht das Staatsvolk als solches. Die vor allem früher vertretene Auffassung, wonach Volk und Nation gleichbe___________ 389

So Fisch, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 11, 15; so auch Badinter Arbitration Commission’s Opinion ILM 31 (1992), 1497, 1498. Dagegen als alleiniges Kriterium Doehring, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker als Grundsatz des Völkerrechts, S. 24, der im Übrigen statt einer abschließenden Definition vom Vorhandensein von Evidenzfällen argumentiert (zustimmend Murswiek, Der Staat 1984, 523, 539). Dagegen wiederum Diskussionsbeitrag von Delbrück, in: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker als Grundsatz des Völkerrechts, S. 74 f. Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 263 hält die o.g. Formulierung der Badinter Opinion für missglückt, sie sollte wohl nur ausdrücken, dass sich jeder zu der Gruppe bekennen darf, der er angehört, ohne dass er dazu gezwungen würde (z.B. durch entsprechende Markierung) oder deshalb Nachteile befürchten müsste. Wäre die Kommission dagegen tatsächlich der Ansicht gewesesen, es gebe ein echtes Wahlrecht der Gruppenzugehörigkeit, so widerspräche dies früherer Überzeugung. 390 So auch Thürer, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 34, 41, der aber darauf hinweist, dass dieses subjektive, verbindende Gefühl durch die o.g. objektiven Faktoren gefördert wird. Vgl. auch Murswiek, Der Staat 1984, 523, 530 f., der dort als Metapher verwendet, dass es sich bei der Bestimmung der Volkseigenschaft nicht um eine „Vereinsgründung“ handle. 391 Musgrave, Self-Determination and National Minorities, S. 164; ähnlich Nodia, in: Dealing with Difference, 445, der deshalb in seinem Beitrag auch „ethnicity“ als „ethnic consciousness“ versteht. 392 Wobei Heidelmeyer, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 255 darauf hinweist, dass zu Zeiten des Block-Gegensatzes in der Staatenwelt eine strikte Definition ohnehin nicht möglich war, weil die jeweiligen Blockmächte mittels der unterschiedlichen Merkmale eine Subsumtion jeweils im Lichte ihrer politischen Präferenzen vornehmen konnten.

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deutend seien,393 schien auch durch die Formulierung in der UN-Charta unterstützt zu werden. In deren Präambel heißt es im ersten Satz: „Wir, die Völker der Vereinten Nationen“ bzw. im englischen Original „We the peoples of the United Nations“.394 Daraus wurde geschlossen, die Kategorie „Völker“ sei gleichzusetzen mit den existierenden souveränen Staaten, die die Vereinten Nationen gegründet haben.395 Schon die travaux preparatoires der Charta und vor allem die oben beschriebene spätere Entwicklung, insbesondere die Arbeiten an der Friendly Relations-Deklaration zeigen, dass sich der Volksbegriff nicht darauf beschränken lässt.396 Die Bevölkerung eines Staates, nicht der Staat als Organisationseinheit,397 kann also das Selbstbestimmungsrecht insbesondere gegen eine einsetzende Fremdherrschaft in Stellung bringen.398 Zudem kann die Staatsbevölkerung die von ihr gewünschte Regierungsform wählen und selbst über die Verwendung der im eigenen Staat befindlichen Ressourcen verfügen.399 Zur Bestimmung des Staatsvolkes kommt es auf die für einen bestimmten Staat geltenden Staatsangehörigkeitsregelungen an.400 Insoweit ergeben sich für den konkreten Fall keine Schwierigkeiten. Völkerrechtlich in besonderem Maße relevant wird diese Ausprägung des Volkes bei Annexion durch ein ___________ 393 Decker nannte sein Werk von 1955 bezeichnenderweise „Das Selbstbestimmungsrecht der Nationen“ und plädierte auf S. 64 dafür, die Begriffe „Nation“ und „Volk“ synonym zu benutzen. 394 Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 41, kommentiert diesen Teil der Präambel folgendermaßen: „[...] starts with the well-known, rather hypocritical and misleading sentence ‚We, the people [...]’ “. 395 Diese besonders von Kelsen vorgebrachte Ansicht stützt jüngst ähnlich Gusy, AVR 1992, 385, 391 sowie z.B. auch Quane, 47 I.C.L.Q. [1998], 537, 561, zumindest Gruppen innerhalb von Staaten bei Art. 1 der Pakte noch ausschließend. 396 Vgl. nur Musgrave, Self-Determination and National Minorities, S. 148 f. m.w.N. 397 Darauf weist zur Recht Murswiek, Der Staat 1984, 523, 528, Fn. 23 m.w.N. hin. 398 Doehring, in: Charta der Vereinten Nationen, nach Art. 1 Rdnr. 28; in einem solchen Falle genügt aber bereits der Hinweis auf den Angriff gegen die staatliche Souveränität, so dass eine Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht gar nicht entscheidend sein wird. Den Hinweis auf das Interventionsverbot bringt Doehring, ebda., Rdnr. 31, zwar auch selbst, dennoch sieht er in der Anwendung auf Staatsvölker und damit der Abwehr von Fremdeinwirkungen die nunmehr bedeutendste Möglichkeit. Dass das Selbstbestimmungsrecht neben dem Souveränitätsprinzip in der Form der territorialen Integrität aber nicht überflüssig ist, sondern wegen der vorgenannten Konstellation noch Erheblichkeit besitzt, weist auch Murswiek, Der Staat 1984, 523, 538 und v.a. Fn. 42, nach. Vgl. ferner Rumpf, in: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die deutsche Frage, S. 47, 49. 399 Dazu z.B. Doehring, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker als Grundsatz des Völkerrechts, S. 22. 400 Thiele, Selbstbestimmungsrecht und Minderheitenschutz in Estland, S. 29.

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fremdes Staatsvolk, wenn das Selbstbestimmungsrecht zusätzlich zum Notwehrrecht geltend gemacht werden kann.401 3. Sogenannte „Kolonialvölker“ a) Völker im Rahmen der Dekolonisierung Zwar wurde ganz unzweifelhaft im Rahmen der Dekolonisierung durch die Vereinten Nationen den sog. „Kolonialvölkern“, also den Bewohnern der Kolonien, die in die Unabhängigkeit geführt werden sollten, das Selbstbestimmungsrecht zugestanden. Es war lange Jahre – wie gezeigt – der „Paradefall“ für eine Anwendung und zugleich Katalysator für die Weiterentwicklung dieses Rechtsinstituts. Insoweit könnte eine weitere Ausprägung des Volkes festgestellt werden. Es ergeben sich jedoch in diesem Zusammenhang eine Reihe von Problemen, die diesen Sonderfall in einem nicht verallgemeinerungsfähigen Licht darstellen. Die ehemaligen Kolonien waren in den überwiegenden Fällen zum Zeitpunkt der Dekolonisierung gerade nicht von homogenen Bevölkerungsgruppen besiedelt,402 so dass das Vorliegen eines „Kolonialvolkes“ hätte bestritten werden können. Innerhalb der neu entstehenden Staaten lebten vielmehr zahlreiche ethnisch voneinander unterscheidbare Bevölkerungsgruppen, die durchaus als eigenständige Völker, oft mit auf benachbarte ehemalige Kolonien verstreuten Volksteilen hätten gewertet werden müssen. Im Interesse eines effizienten und reibungslosen Überganges verzichtete jedoch die Staatengemeinschaft auf eine Auseinandersetzung mit dieser Situation und erhob vielmehr das uti possidetisPrinzip zur Leitlinie des Handelns. b) Das uti possidetis-Prinzip Damit steht das uti possidetis-Prinzip in engem Zusammenhang mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, da die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts für bestimmte Träger möglicherweise durch eine bestimmte Fortgeltung von Grenzen beschränkt wird. Um beantworten zu können, ob ein solches Prinzip schon die prinzipielle Trägerschaft bestimmter Volksgruppen ausschließt ___________ 401 Ein solcher Fall liegt nach allem Ermessen wohl bei Tibet vor, bei dem das ursprüngliche tibetische Volk sich zwar wegen Zeitablaufs wohl nicht mehr im Rahmen von Notwehr oder -hilfe gegen die chinesische Besatzung wehren kann, jedoch weiterhin durch Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht. Vgl. zu diesem Themenkomplex Schmitz, Tibet und das Selbstbestimmungsrecht, S. 159 ff., 204 ff. 402 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 512 a.E., S. 319.

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und welche Konsequenzen dies für die Geltung des Selbstbestimmungsrechts hätte, muss das uti possidetis-Prinzip kurz beleuchtet werden.403 Der aus dem römischen Zivilrecht stammende Begriff404 bezieht sich heute im völkerrechtlichen Verständnis auf Grenzregelungen. Erstmals wurde er so verwendet in Süd- und Mittelamerika, als im Zuge der entstehenden Unabhängigkeit der Staaten von der spanischen Kolonialmacht die von dieser „hinterlassenen“ Verwaltungsgrenzen auch zur Bestimmung der neuen Staatsgrenzen verwendet wurden. Mit ähnlichem Gehalt wurde das Prinzip wieder in die Diskussion der Dekolonisierung des afrikanischen Kontinents eingebracht. Ob es mit der Feststellung des IGH, es sei „a general principle, which is logically connected with the phenomenon of the obtaining of independence, whenever it occurs“,405

auch tatsächlich eine Norm des universellen Völkerrechts ist, muss zunächst nachgewiesen werden.406 Ferner ist es bedeutsam, entgegen mancher Unschärfe, das uti possidetisPrinzip vom Prinzip der territorialen Integrität zu unterscheiden.407 Der Grundsatz der territorialen Integrität setzt das Vorhandensein von Grenzen, deren Integrität geschützt werden soll, schon rein begrifflich voraus. Das uti possidetisPrinzip schafft erst solche Grenzen bzw. gibt Leitlinien, aus welchen bestehenden Unterteilungen weitergeltende Grenzziehungen erfolgen sollen.408 Damit kanalisiert das Prinzip die Staatswerdung eines neu entstehenden Staates durch Rückgriff auf frühere Anknüpfungspunkte unabhängig davon, ob dieser durch Sezession oder Dekolonisierung entstanden ist.409 Gemäß dem Prinzip blieben ___________ 403

Dies schon deshalb, weil eine große Zahl heute existierender Staaten seine Außengrenzen diesem Prinzip zu „verdanken“ hat, vgl. Castellino, International law and self-determination, S. 109 f., der von knapp 80 % ausgeht. 404 Zur Herleitung und dem früheren Verständnis vgl. Simmler, Das Uti-possidetisPrinzip, S. 34 ff. 405 ICJ Rep. 1986, 554, 565 Rdnr. 20 – Case Concerning the Frontier Dispute (Burkina Faso/Republic of Mali). 406 So zu Recht die Herangehensweise von Simmler, Das Uti-possidetis-Prinzip, S. 33 f. und ihre Kritik, S. 288 ff. an der Badinter-Kommission und ihrer Opinion No. 3, Fundstelle oben in Fn. 389. 407 Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 273; Simmler, Das Uti-possidetis-Prinzip, S. 290 f. mit Kritik an abweichender Literatur in Fn. 30. 408 Zu den Funktionen von Grenzziehungen und dem Unterschied zwischen innerund interstaatlichen Grenzen vgl. Ratner, in: International law and ethnic conflict, S. 112, 116 ff. 409 Insoweit ist das Prinzip „essentially a retrospective principle, investing as international boundaries administrative limits intended originally for quite other purposes“, so ICJ Rep. 1992, 351, 388 Rdnr. 43 – Case Concerning the Land, Island and Maritime

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in der Dekolonisierung die im Zeitpunkt der Unabhängigwerdung bestehenden inneren Verwaltungsgrenzen bzw. Grenzen der Kolonialgebiete unangetastet. Anstelle einer territorialen Neubestimmung anhand ethnischer Volkseigenschaften als Grundlage für neue Staatsgrenzen wurden die durch die ehemaligen Kolonialmächte vorgegebenen – oft willkürlich auf dem Reißbrett gezogenen – Grenzen verbindlich gemacht.410 Solange also zwischen den neu entstehenden Staaten keine gegenteiligen, abweichenden Vereinbarungen getroffen wurden, blieben die ehemaligen Verwaltungsgrenzen Maßstab für die Grenzziehung. Eine Derogation dieser Grenzen war selbstverständlich möglich, da das Prinzip uti possidetis jedenfalls nicht zwingendes Völkerrecht darstellt, so dass der Wunsch der Staatengemeinschaft nach Erhalt der „staatlichen Einheit“ innerhalb der ehemaligen Kolonien nicht immer befolgt wurde. Das Auseinanderfallen des Treuhandgebiets Rwanda-Urundi in die unabhängigen Staaten Rwanda und Burundi beispielsweise ist damit völkerrechtsgemäß erfolgt.411 Dies gilt unabhängig davon, dass auch die UN-Generalversammlung die Grenzziehung nach den uti possidetis-Kriterien als die einzig richtige Umsetzung der Dekolonisierungsresolutionen betrachtete.412 Das „nation-building“ im Dekolonisierungsprozess führte demzufolge die Bewohner einer Kolonie als solche zusammen in eine neue, gemeinsame und unabhängige Nation.413 Da die Kolonialgrenzen meist aus praktischen und Effizienzerwägungen heraus gezogen worden waren und ethnische Demarkationen völlig unberücksichtigt ließen, waren durch die politische Richtungsentscheidung der Anwendung ehemaliger Grenzen zahlreiche Konflikte und Bürgerkriege vorbestimmt, die den afrikanischen Kontinent bis in die heutige Zeit erschüttern.414 Es wäre daher durchaus schon im Rahmen der Dekolonisierung ___________ Frontier Dispute (El Salvador/Honduras; Nicaragua intervening); vgl. auch Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 273. 410 ICJ Rep. 1986, 554, 566 Rdnr. 23 f. – Case Concerning the Frontier Dispute (Burkina Faso/Republic of Mali). Kritisch Castellino, International law and selfdetermination, S. 130: „[...] lines do not correspond to any logical signifier, except the fact that the territory had been for a short spell in its history, under the rule of a particular foreign oppressive authority“, S. 138: „[...] ignorant civil officers, typically situated in foreign offices [...] have shaped the identities and destinies of African peoples for all time“. 411 Weber, „Uti possidetis iuris“, S. 92. 412 Weber, „Uti possidetis iuris“, S. 91 f. 413 Vgl. auch den in diesem Zusammenhang vielzitierten Begriff des „nationbuilding“, dazu Castellino, International law and self-determination, S. 138; ähnlich: Musgrave, Self-Determination and National Minorities, S. 150. 414 Castellino, International law and self-determination, S. 115 f.

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angezeigt gewesen, das weite Verständnis des Volkes anzuwenden und seine Anwendbarkeit auch auf einzelne Bevölkerungsgruppen innerhalb der ehemaligen Kolonien zuzulassen und entsprechend neue Grenzziehungen vorzusehen.415 Andererseits muss auch festgehalten werden, dass es die Kolonialvölker selbst waren, die sich auf diese Art der Grenzziehung eingelassen haben, da sie zur erfolgreichen Staatsgründung einer gemeinsamen Identifikationsbasis bedurften.416 Da diese nach ethnischen Kriterien wegen der Vielfältigkeit oft nicht möglich gewesen wäre, war die einzig gemeinsame Bande das gemeinsam erlittene Schicksal der kolonialen Beherrschung, aus der man sich auch gemeinsam löste.417 Ferner ergab sich nach den Staatsgründungen eine ganz eigene Dynamik zugunsten der „neuen, alten Grenzen“ durch die neuen Machthaber, die ihrerseits das neu entstandene Staatsterritorium um jeden Preis zu schützen suchten.418 Weber kommt trotz dieser Faktenlage zum Ergebnis, dass das uti possidetisPrinzip für sich allein genommen keine Norm des Völkergewohnheitsrechts darstellt, da letztlich das Effektivitätsprinzip bei der Dekolonisierung entscheidend gewesen sei419 und nur „zufällig“ in den meisten Fällen in Afrika die Gebietsbeherrschung in den neuen Staaten dann auch tatsächlich in den vorgesehenen alten Grenzen effektiv war.420 Die hier interessierende Frage betrifft die Auswirkung des uti possidetisPrinzips – unabhängig von seiner damaligen Rechtsqualität – auf die mögliche Berufung von Kolonialvölkern auf das Selbstbestimmungsrecht. Obgleich dies durchaus zweifelhaft ist, wie bei den Inhalten des Selbstbestimmungsrechts unter Kap. 1 C. III. 2. b) cc) noch zu zeigen sein wird, vertrat die Staatengemeinschaft die Auffassung, dass es sich bei der Loslösung der Kolonien nicht ___________ 415

So auch die Forderungen der panafrikanischen Bewegung, vgl. Weber, „Uti possidetis iuris“, S. 61. Zu den Schwierigkeiten wegen dieser „ungünstigen Ausgangslage“ Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 172 ff. 416 So Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 274 f.; Castellino, International law and selfdetermination, S. 138. 417 Castellino, International law and self-determination, S. 139. 418 Dazu auch Weber, „Uti possidetis iuris“, S. 61 unter Verweis auf eine entsprechende Resolution 16 (I) der OAU, in der die Staats- und Regierungschefs Afrikas sich für die Respektierung der Grenzen, die zum Zeitpunkt der Erlangung der Unabhängigkeit existierten, aussprachen. Er beschreibt auch Ausnahmen von nachträglichen Korrekturen der Grenzen, S. 92 Fn. 158. 419 Weber, „Uti possidetis iuris“, S. 151. 420 Anders und überzeugend Simmler, Das Uti-possidetis-Prinzip, S. 285, wonach schon wegen des Kontinuitätsgrundsatzes mangels abweichender Vereinbarungen zwischen den Neustaaten die bestehenden Grenzen weitergegolten hätten. Bei Streitigkeiten sei das Prinzip aber zur Anwendung gekommen, womit es partikuläres Völkergewohnheitsrecht geworden war.

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um eine echte Sezession handelte, sondern um eine durch das uti possidetisPrinzip vorgegebene besondere Ausübung des Selbstbestimmungsrechts durch die in den Kolonien lebenden Territorialvölker. Hätte darüber hinaus das Selbstbestimmungsrecht auch Anwendung gefunden auf ethnische Gruppen, dann wäre „a much more complex actualization of self-determination than the law of declonization“421 zu bewerkstelligen gewesen. Wenn überhaupt das Selbstbestimmungsrecht durch das uti possidetis-Prinzip beschränkt werden kann, dann – so der IGH – auch nur im konkreten Kontext der Dekolonisierung.422 Nur diesen Konflikt hat der IGH in seiner Entscheidung zu Burkina Faso/Republik Mali gemeint, andere potentielle Rechtsträger als die „Kolonialvölker“, also die Gesamtheit der auf dem Territorium der jeweiligen ehemaligen Kolonie lebenden Personen, würde auch der IGH nicht in der Ausübung ihres (Selbstbestimmungs-)Rechts beschränkt sehen.423 Zudem findet das uti possidetis-Prinzip wie gezeigt nie vor der Staatswerdung Anwendung, sondern immer erst nach – und wenn es lediglich eine logische Sekunde ist – dem Ereignis der Staatswerdung, weshalb das Prinzip das Selbstbestimmungsrecht nicht substantiell behindern kann.424 Dieser grundsätzliche Befund des IGH in seinem Urteil von 1986 zum Sonderfall Dekolonisierung hinsichtlich des uti possidetis-Prinzips erhält Zweifel durch die Nachfolgeregelung zum ehemaligen Jugoslawien, bei der die Umsetzung des Selbstbestimmungsrechts wiederum weitgehend durch Grenzfestlegung von außen – in Form der BadinterKommission – entlang bestehender Linien erfolgte und damit eine ähnliche Herangehensweise wie in der Dekolonisierung zu konstatieren ist.425 Als historische Tatsache steht der Umgang mit Staatsgrenzen im Rahmen der Dekolonisierung fest, bleibt aber zugleich ein Sondertatbestand, der kaum auf vergleichbare Situationen übertragen werden kann.426 Seither ist vielmehr ein Bemühen zu erkennen, entstandene Konfliktfälle eher entlang der Grenzen von Volksgruppen zu lösen oder wenigstens bei Fortbestand alter Grenzen Minderheitenschutzregime zu installieren, wenngleich im erwähnten Ausnahmefall des ehemaligen Jugoslawien ausschließlich die zweite Variante zum ___________ 421

Kingsbury, 92 AJIL 414 [1998], 439. ICJ Rep. 1986, 554, 566 f. Rdnr. 25 – Case Concerning the Frontier Dispute (Burkina Faso/Republic of Mali). 423 Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 275. 424 Crawford, in: Peoples’ Rights, S. 7, 51 Fn. 118. 425 Dazu noch unten Kap. 1 C. III. 2. b) cc). 426 Mit dieser Begründung auch Murswiek, Der Staat 1984, 523, 543 Fn. 62; ferner Skurbaty, As if Peoples Mattered, S. 28 f.; Ratner, in: International law and ethnic conflict, S. 112, 113 f. Reisman, 89 AJIL [1995], 350, 352 Fn. 8 weist darauf hin, dass eine Übertragung des Prinzips in seiner ursprünglichen Bedeutung, die nur verkürzt wiedergegeben wurde, zugunsten der ethnischen Gruppen und ihrer territorialen Selbstbestimmungsforderungen ausginge. 422

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Zuge gekommen ist. Jedenfalls determiniert die Anwendung des Volksbegriffs auf die so genannten Kolonialvölker weder im positiven noch im negativen Sinne die Anwendbarkeit auf ethnische Gruppen.427 Deshalb kann eine weitere Auseinandersetzung mit dieser abgeschlossenen Problematik im Hinblick auf die möglichen Rechtsträger unterbleiben. 4. Ethnische „Gruppen“ als potentielle Völker Es stellt sich also die Frage, die zugleich die für die vorliegende Arbeit entscheidende im Zusammenhang mit dem Volksbegriff ist, ob auch anders zu bestimmende Gruppen von Menschen als Volk eingeordnet werden können. Dabei geht es um sog. „ethnische Gruppen“, die möglicherweise nicht nur als Minderheit in einem Staat gemeinsame Merkmale teilen, sondern diese Merkmale so umfassend sind, dass sie mehr als nur eine Gruppe, ein „richtiges“ Volk sein können. a) Abgrenzbare Teile des Staatsvolkes als Volk Im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht ist es nach Ansicht mancher „geradezu denknotwendig“428, dass auch Teilen eines gesamten Staatsvolkes der gleiche Anspruch auf Selbstbestimmung zusteht, wenn diese ein eigenes Volk bilden.429 Obgleich terminologisch erhebliche Unterschiede bestehen und manche eine weitere Unterteilung und Differenzierung vornehmen,430 geht es allen Autoren diesbezüglich um Völker im ethnischen Sinne, die gerade nicht ___________ 427

So überzeugend und zu Recht Klein, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker,

S. 38. 428

Veiter, Nationalitätenkonflikt und Volksgruppenrecht, S. 265. Ebenso Supreme Court of Canada, Re. Secession of Quebec, [1998], 2 S.C.R. 217 Rdnr. 123 f.: „It is clear that ‚a people‘ may include only a portion of the population of an existing state“, jedoch hat der Supreme Court dann nicht mehr untersucht, ob die „aboriginal population within Quebec“ einen solchen Status hat, weil bereits das Recht zur Sezession Quebecs verneint wurde. 429 So auch Kimminich/Hobe, Völkerrecht, S. 115, Fn. 95, wonach es unbestritten sei, dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker auch „Teilen eines Staatsvolkes“ zustehe. 430 Die Begriffe ethnische Minderheiten, ethnische Gruppen, Volksgruppen und ähnliche werden zur Umschreibung verwendet. Vgl. auch Knight, in: The living law of nations, S. 179, 183, der als Lösung den Begriff „group territorial identity“ einführt und von „sub-state regionalism“ spricht, der zur Sezession erstarken kann. Kritisch dagegen Fisch, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 11, 18, der vor den Gefahren der festen Definition eines Volkes als „objektiv vorgegebene Größe“ warnt, da die Vorstellung der Existenz von ethnisch reinen Völker „ebenso unsinnig und verhängnisvoll wie die Vorstellung einer reinen Rasse“ sei.

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als Staatsvolk konstituiert sind.431 Daher soll zunächst am Begriff der „ethnischen Gruppe“ festgehalten werden. Der Wortlaut der Selbstbestimmungsrechtsformel lässt prinzipiell eine Auslegung im Sinne auch einer bestimmten Gruppen zustehenden Trägerschaft zu. Es ist jedoch jetzt genauer zu analysieren, ob diese Interpretationsmöglichkeit tatsächlich gegeben sein soll.432 Dazu ist es nötig im Gegensatz zu den eben behandelten offensichtlichen Fällen auf die Ansätze zur Bestimmung der Volkseigenschaft einzugehen. b) Definitionsansätze Im Rahmen von UN-Aktivitäten sind Definitionsversuche im Hinblick auf andere als die besprochenen Rechtsträger versucht worden, so z.B. durch den Special Rapporteur Cristescu, der für die Unterkommission zur Verhinderung der Diskriminierung und zum Schutz von Minderheiten einen Bericht über das Selbstbestimmungsrecht abgeliefert hat. Danach sind folgende drei Elemente entscheidend: „(a) The term ‚people’ denotes a social entity possessing a clear identity and its own characteristics; (b) It implies a relationship with a territory, even if the people in question has been wrongfully expelled from it and artificially replaced by another population; (c) A people should not be confused with ethnic, religious or linguistic minorities, whose existence and rights are recognized in article 27 of the International Covenant on Civil and Political Rights“.433

Bereits hier ist eine deutliche Nähe zur Kategorie der „Minderheit“ angedeutet. Aber auch die an einer Expertenkonferenz der UNESCO 1989 erarbeitete objektive Kriterienliste für die allgemeine Feststellung eines Volkes umfasst Anhaltspunkte, nach denen auch Minderheitengruppen erfasst werden können: „a) eine gemeinsame geschichtliche Überlieferung, b) rassische oder ethnische Identität, c) kulturelle Gleichartigkeit, d) sprachliche Einheit, e) religiöse oder ideologi434 sche Verwandtschaft, g) gemeinsames Wirtschaftsleben.“

___________ 431

So z.B. Veiter, Nationalitätenkonflikt und Volksgruppenrecht, S. 263, 265 f. So auch Nowak, CCPR-Kommentar, Art. 1 Rdnr. 27; Frey, Selbstbestimmungsrecht, Sezession und Gewaltverbot, S. 37 f. 433 Cristescu, The Right to Self-Determination, S. 41 Rdnr. 286; vgl. auch Nowak, CCPR Commentary, Art. 1 Rdnr. 29. 434 Zit. nach Frey, Selbstbestimmungsrecht, Sezession und Gewaltverbot, S. 45; engl. Fassung bei Hailbronner, in: Völkerrecht, III Rdnr. 120 Fn. 186 und in 11 HRLJ [1990], 441; vgl. dazu auch Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 121. 432

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Zudem ähnelt sie folgender Liste, die schon 1970 die International Law Commission zur Untersuchung der Ereignisse in Ost-Pakistan aufgestellt hatte: „[...] human communities recognised as peoples [...] have certain characteristics in common, which act as a bond between them [...] historical, racial or ethnic, cultural or lingusitic, religious or ideological, geographical or territorial, economic, quantitative. This list, which is far from exhaustive, suggests that none of the elements concerned is, by itself, either essential or sufficiently conclusive to prove that a particular group constitutes a people.“

Ergänzend wurde noch festgestellt „one essential and indeed indispensable characteristic [...]: a people begins to exist only when it becomes conscious of its own identity and asserts its will to exist“.435

Vor einem vergleichenden Blick zu heute vorhandenen Definitionen zu Minderheiten kann noch kurz auf das häufig zitierte Gutachten des Ständigen Internationalen Gerichtshofes von 1930 zu dem Fall „Greco-Bulgarian ‚Communities’“ eingegangen werden, in der sich bereits andeutet, dass sich eine „community“ (also eine Gemeinschaft, benutzt als Synonym für eine Minderheit436) in einer Zwischenstellung befinden könnte:437 „... a group of persons living in a given country or locality, having a race, religion, language and traditions of their own, and united by the identity of such race, religion, language and traditions in a sentiment of solidarity, with a view to preserving their traditions, maintaining their form of worship, insuring the instruction and upbringing of their children in accordance with the spirit and traditions of their race and rendering mutual assistance to each other.“438

Auch wenn hier eine Personengruppe als „community“ bewertet wurde, die eigentlich eine zur Bevölkerung eines anderen Staates gehörende Minderheit in einem „fremden“ Staat war, sind die Kriterien umfassend. Im Vergleich dazu sollen kurz die geltenden Minderheitendefinitionen herangezogen werden, um festzustellen, ob hier nicht eine Überschneidung vorliegt.

___________ 435 International Commission of Jurists, East Pakistan Staff Study 1972, S. 47 ff., zit. nach Musgrave, Self-Determination and National Minorities, S. 161 f. 436 Despeux, Die Anwendung des völkerrechtlichen Minderheitenrechts in Frankreich, S. 32, Fn. 117. 437 Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 247 kritisiert, dass diese Definition gelegentlich zur Bestimmung des Volksbegriffes selbst herangezogen werde, obwohl sie in der Absicht des Gerichtshofes eher am Minderheitengedanken orientiert sei. 438 PCIJ [1930], Series B, No. 17, 21 – Greco-Bulgarian ‚Communities‘; vgl. auch deutsche Kurzfassung bei Doehring, in: Charta der Vereinten Nationen, nach Art. 1 Rdnr. 29, der diese Definition als noch immer geltend bezeichnet, auch wenn sie zwar „oberflächlich erscheinen (mag), doch ist eine bessere nicht gefunden worden“.

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c) Die Minderheiten-Definitionen Nicht minder schwer als hinsichtlich des Volksbegriffs tut sich das Völkerrecht mit der Minderheiten-Definition.439 Dies liegt vor allem daran, dass die Staatengemeinschaft bei ihren Definitionsversuchen immer auch Gruppen ausgeschlossen hätte, die „dazu“ gehören sollen, und umgekehrt Gruppen einbezogen worden wären, die keines Schutzes durch einen Minderheitenstatus bedürfen. Eine Definition in Art. 27 IPbpR fehlt und die noch immer am meisten angeführte Definition stammt wiederum aus der Feder eines Special Rapporteurs.440 Capotortis Studie über Minderheitenrechte für die Unterkommission zur Verhinderung von Diskriminierung und Schutz von Minderheiten beschreibt Minderheit als: „A group numerically inferior to the rest of the population of a State, in a nondominant position, whose members – being nationals of the State – possess ethnic, religious or linguistic characteristics differing from those of the rest of the population and show, if only implicitly, a sense of solidarity, directed towards preserving their culture, traditions, religion or language.“441

Die im Zusammenhang mit der Erarbeitung einer Minderheitenschutzdeklaration der Generalversammlung vorgenommenen Arbeiten enthalten keine weitergehenden oder besseren Definitionen.442 Auch die 1992 von der Generalversammlung als Resolution angenommene „Declaration on the Rights of Persons Belonging to National or Ethnic, Religious and Linguistic Minorities“443 selbst enthält keine Definition.444 Ein weiterer Special Rapporteur sollte sich mit Lösungen für Minderheitenprobleme auseinandersetzen. Eide will die folgende ___________ 439

Eide, Report of the Working Group on Minorities 1996, Rdnr. 155. Zur Geschichte des Minderheitenschutzes vgl. z.B. Lerner, in: Peoples and Minorities in International Law, S. 77 ff. Eine Definition sei aber für „die Staaten und Völkerrechtler“ nötig, so Thiele, Selbstbestimmungsrecht und Minderheitenschutz in Estland, S. 100. 440 Zur breiten Akzeptanz dieser Grundlagendefinition Niewerth, Der kollektive und der positive Schutz von Minderheiten, S. 31. 441 Capotorti, Study on the Rights of Persons Belonging to Ethnic, Religious and Linguistic Minorities, Rdnr. 568. Diese Definition findet sich auch bei Musgrave, SelfDetermination and National Minorities, S. 169; Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 78. 442 Insbesondere der Definitionsversuch von Deschênes, Proposal concerning a Definition of the term „Minority“, Rdnr. 181 (abgedr. z.B. bei Brunner, in: FS Schiedermair, S. 901, 907 Fn. 18), hat keine weitere Verbreitung gefunden. Zur mangelnden Akzeptanz in der Unterkommission Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 81 f. Bedeutung hat jedoch seine Feststellung zur Unterscheidung von indigenen Völkern, dazu unten Kap. 2 A. III., vgl. Venne, Our elders understand our rights, S. 81 f. 443 GA Res. 47/135 (18.12.1992), www.unhchr.ch/html/menu3/b/d_minori.htm. 444 Ausf. zur Deklaration und ihrer rechtlichen Einordnung Schoder, Vom Minderheitenschutz zum Schutz verwundbarer Gruppen, S. 195 ff.

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von ihm verwendete Arbeitsdefinition ausdrücklich nicht als „legal definition“ verstanden wissen, da dies nicht zu seinem Mandat gehört habe: „[...] a minority is any group of persons resident within a sovereign State which constitutes less than half the population of the national society and whose members share common characteristics of an ethnic, religious or linguistic nature that distinguish 445 them from the rest of the population.“

Mit dieser Definition ist ein seit langem diskutiertes Problem angesprochen, auf das hier nicht näher eingegangen werden soll, obgleich denkbar ist, dass es auch für indigene Völker von Bedeutung ist, wenn diese z.B. einen gesonderten Status haben und ausnahmsweise nicht Staatsangehörige sind. Üblicherweise sind sie Angehörige des Staates, in dem sie leben, und gehören damit nicht zu den sog. „neuen Minderheiten“, die als Einwanderer oder Ausländer dauerhaft – oder auch temporär – im Aufenthaltsstaat leben und über deren Subsumtion unter den Begriff Minderheit und deren Schutzbedürftigkeit seit langem gestritten wird.446 Klassischerweise Ausgangspunkt für die Feststellung einer Minderheit ist zunächst eine numerische, das heißt die zahlenmäßige Inferiorität gegenüber der mehrheitlichen Bevölkerung eines Staates. Es ist umstritten, ob die Vielzahl von Menschen eine Mindestzahl bedeutet. Ob eine nennenswerte Zahl gefordert werden muss, hängt sicherlich mit der Frage zusammen, welche positiven Schutzpflichten aus den Minderheitenschutzvorschriften herausgelesen werden.447 Prinzipiell können auch sehr kleine Personengruppen als Minderheiten in einem Staat anerkannt werden, wenn dies im Einzelfall angezeigt ist.448 Fraglich ist noch, im Vergleich zu welcher anderen Gruppe die Minderheit „kleiner“ sein muss. Traditionellerweise wird davon ausgegangen, dass Bezugsgröße die Gesamtbevölkerung eines Staates ist, so dass eine relative Mehrheit in einem multiethnischen Staate dennoch eine Minderheit sein kann, solange sie weniger als die Hälfte der (Gesamt-)Bevölkerung stellt.449 Es wird auch mit beachtli___________ 445

Eide, Possible Ways and Means of Facilitating the Peaceful and Constructive Solution of Problems Involving Minorities, § 29; vgl. dazu Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 87. 446 Zu dieser Problematik, die auch für die Bundesrepublik Deutschland erhebliche Relevanz hat, vgl. Niewerth, Der kollektive und der positive Schutz von Minderheiten, S. 41 ff.; Wolfrum, in: Peoples and Minorities in International Law, S. 153, v.a. 160 ff.; Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 270 ff. weist überzeugend nach, dass zumindest Art. 27 IPbpR kein Staatsbürger-Menschenrecht ist. Rechtspolitische Argumente für die Bejahung im europäischen Raum bei Nowak, in: Peoples and Minorities in International Law, S. 103, 117 f. 447 Dazu ausf. Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 266 ff.; Schoder, Vom Minderheitenschutz zum Schutz verwundbarer Gruppen, S. 42. 448 Auf den Einzelfall abstellend auch Niewerth, Der kollektive und der positive Schutz von Minderheiten, S. 34. 449 Nowak, CCPR-Kommentar, Art. 27 Rdnr. 15.

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chen Argumenten vertreten, dass ein Staat darüber hinaus so genannten regionalen Minderheiten, also z.B. Mitgliedern der Mehrheitsbevölkerung, die in einem überwiegend von der gesamtstaatlichen Minderheit bewohnten und autonom verwalteten Region leben, ebenfalls Minderheitenschutz gewähren muss.450 Zudem wird überwiegend451 ein Kriterium gefordert, das üblicherweise mit der zahlenmäßigen Unterlegenheit einhergeht: eine nicht-dominante Stellung innerhalb des Staates, die politische, wirtschaftliche oder kulturelle Bezugspunkte haben kann. Mit diesem Erfordernis sollte verhindert werden, dass nicht schutzbedürftige zahlenmäßige Minderheiten, die einen Staat dominieren, wie z.B. während der weißen Minderheitsherrschaft der Apartheid in Südafrika, dem Schutzregime unterfallen.452 Eides Definition verzichtet auf dieses Merkmal und im Ergebnis führt dies nicht zu einer unbefriedigenden Situation, da dominante Gruppen die durch den Minderheitenschutz erreichbare Position bereits innehaben und insofern davon nicht profitieren können. Dies wäre nur anders bei Gestattung wirtschaftlicher Vorteile, die aber faktisch ohnehin in den Händen der dominanten Gruppe liegen.453 Nach der Formulierung des Minderheitenschutzartikels in Art. 27 IPbpR („exist“) könnte ferner das Merkmal einer gewissen Dauerhaftigkeit oder Stabilität der Existenz im Staat als Minderheit abgeleitet werden.454 Es besteht jedoch mittlerweile Einigkeit, dass der Minderheitenbegriff eher weit zu verstehen ist und nur kurz befristete Aufenthalte einen Minderheitenschutz nicht auslösen können.455 Entscheidendes objektives Kriterium sind demnach die Gemeinsamkeiten der Gruppe, die z.B. sprachlicher, religiöser oder ethnischer Natur sind.456 Die geteilte Sprache oder Religion, die sich von den Gewohnheiten der Mehrheitsbevölkerung unterscheidet, lässt sich als Tatsache leicht feststellen. Etwas schwieriger, aber noch immer möglich, ist die Festlegung der ___________ 450 So v.a. Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 293; Dinstein, in: Peoples and Minorities in International Law, S. 221, 230 f. 451 Ausf. Überblick über die vorhandene Literatur bei Despeux, Die Anwendung des völkerrechtlichen Minderheitenrechts in Frankreich, S. 60, Fn. 271. 452 Niewerth, Der kollektive und der positive Schutz von Minderheiten, S. 35 plädiert mit der früher vertretenen Ansicht für eine Beibehaltung des Merkmals der Schutzbedürftigkeit. 453 Dies arbeitet Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 280 ff. detailliert heraus, so dass dieses Kriterium fallengelassen werden könnte. 454 So z.B. allg. Despeux, Die Anwendung des völkerrechtlichen Minderheitenrechts in Frankreich, S. 58. 455 Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 327 ff. 456 Ausf. hierzu nimmt Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 295 ff. Stellung. Die Bedeutung des Begriffs „ethnisch“ als kulturelle Verbindung („ethnologischer Kulturbegriff“) untersucht er dabei eingehend auf S. 303 ff.

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gemeinsamen Geschichte und kultureller Bräuche. Wenn diese bei einer Menschengruppe vorliegen, die das oben beschriebene Inferioritäts-Merkmal erfüllt, dann handelt es sich in objektivem Sinne um eine Minderheit. Daneben bedarf es aber eben auch subjektiver Merkmale, inbesondere eines Bewusstseins dieser spezifischen Andersartigkeit.457 Das Kollektiv ebenso wie die einzelnen Mitglieder müssen eine mit den objektiven Merkmalen zusammenhängende „Gruppenidentität“ verspüren.458 Ohne ein solches Zusammengehörigkeitsgefühl kann weder ein Volk noch eine Minderheit identifiziert werden.459 Dieses Zugehörigkeitsgefühl und die Gruppenidentität müssen nicht notwendigerweise öffentlich, z.B. durch politische Willensakte oder öffentliche Kundgebungen der gemeinsamen Religion, geäußert werden, es genügt auch ein implizites Bekenntnis. Dieser niedrige Maßstab ist wichtig, da bei Minderheiten oft die Gefahr von Repression oder Verfolgung besteht, die ein eindeutiges Bekenntnis erschweren; würde dies zum Maßstab gemacht, könnte das Ziel der Repression, Unterdrückung oder Auslöschung der Minderheit, vom Staat mit völkerrechtlicher Billigung erreicht werden.460 Ohnehin hängt das subjektive Zugehörigkeitsgefühl und insbesondere der Abgrenzungswille gegenüber der Mehrheit461 von so zahlreichen persönlichen und Umweltfaktoren ab, dass ein zu strenger Maßstab unangebracht ist.462 Das subjektive Kriterium ist aus einem weiteren Grunde wichtig. Auch objektiv einer Minderheit zugehörige Personen können nicht zwangsweise dieser zugeordnet werden. Vielmehr ist Minderheitenschutz nur ein Angebot, dessen Inanspruchnahme durch den einzelnen als individuelles Recht freiwillig erfolgt. Ein Individuum hat nur Anspruch auf Minderheitenschutz, wenn es sich zu sei___________ 457

Oxenknecht, Der Schutz ethnischer, religiöser und sprachlicher Minderheiten, S. 102. 458 Aus Sicht von Despeux, Die Anwendung des völkerrechtlichen Minderheitenrechts in Frankreich, S. 68 handelt es sich um die „subjektive Seite“ des materiellen Kriteriums der spezifischen Merkmale, die jedoch auch bei jeweils unterschiedlichen objektiven Merkmalen immer die gleiche sein muss. 459 Ohne Gewichtung einer solchen „group psychology“ könnte nach Brownlie, in: The Rights of Peoples, S. 1, 5, aus akademischer Sicht trotz der lange gewachsenen nationalen Identität die Bevölkerung der USA nicht als Volk angesehen werden. Vgl. auch Musgrave, Self-Determination and National Minorities, S. 154: „[...] otherwise the objective characteristics have no impact on the group’s perception of itself“. 460 Deshalb fordert Niewerth, Der kollektive und der positive Schutz von Minderheiten, S. 39 vom „Völkerrechtler einen flexiblen Ansatz“, der in solchen Fällen verstärkt auf objektive Elemente abstellt. 461 Galtung, 70 NJIL 263 [2001], 264 drückt dies drastisch folgendermaßen aus: „[people] have one simple characteristic in common [...]: they want at least their proximate rulers to be of their own kind. They detest rule by other peoples“. 462 Ähnlich Eglin, Demokratie und Minderheiten, S. 176; Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 317 f.

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ner Minderheit bekennt und dieser zugehörig fühlt; die Entscheidung darüber erfolgt aber frei.463 Es kommt insbesondere aus völkerrechtlicher Sicht nicht abschließend auf eine Anerkennung der Minderheit oder ihrer Angehörigen durch die nationale Rechtsordnung an.464 Wichtig ist dagegen, dass das Individuum von der Minderheit als angehörig aufgenommen wird.465 Eine darüber hinausgehende Ausprägung der gegenseitigen Solidarität, die vereinzelt gefordert worden ist, ist abzulehnen. Obwohl üblicherweise Minderheiten, die sich durch ein Gruppenbewusstsein auszeichnen, eine besondere gegenseitige Bande und damit Beistandswillen verspüren, kann nicht gefordert werden, dass ein Mehr gegenüber einem üblichen Solidaritätsgefühl aufzubringen ist, da dies nicht zwingende Voraussetzung ist, um bestimmte Praktiken in geschützter Weise ausüben zu können.466 Obwohl also im Völkerrecht auch für den Minderheitenbegriff „bis anhin keine allgemein anerkannte und verbindliche Definition“ gefunden ist, sind die dargestellten Vorschläge nicht vergeblich, da sie einen ausreichenden Anhaltspunkt geben, wann eine „Minderheitensituation“ vorliegt, welche die Ergreifung von Schutzmaßnahmen rechtfertigt.467 An die Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen knüpft eine Ansicht an, die den Minderheitenschutz danach bemisst, ob die entsprechende Gruppe eine „vulnerable group“ (verwundbare Gruppe) ist und daher eines besonderen Schutzes bedarf.468 Die historischen ___________ 463 Eglin, Demokratie und Minderheiten, S. 176; Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 311 f. 464 Solche verfassungsrechtlichen Stellungen hatten z.B. Minderheiten in der früheren UdSSR und dem ehemaligen Jugoslawien. Die z.B. noch von Cassese, in: The International Bill of Rights, S. 92, 95 f., vertretene Auffassung ist mehrheitlich abgelehnt worden, vgl. z.B. Frey, Selbstbestimmungsrecht, Sezession und Gewaltverbot, S. 44; ebenso Nowak, CCPR Commentary, Art. 1 Rdnr. 29. Zudem hat dies auch der Menschenrechtsausschuss verschiedentlich festgestellt, vgl. HRC, Lovelace v. Kanada, Communication No. 24/1977 und HRC, Kitok v. Sweden, Communication Nr. 197/1985; dazu Nowak, CCPR-Kommentar, Art. 27 Rdnr. 33. 465 Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 314. 466 Dazu Despeux, Die Anwendung des völkerrechtlichen Minderheitenrechts in Frankreich, S. 69 f.; Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 320; ebensowenig kann es auf einen gesteigerten Willen zur „Homogenität“ innerhalb der Minderheit ankommen, denn auch hier muss es die Möglichkeit zur individuellen Entfaltung geben, Murswiek, Der Staat 1984, 523, 538 Fn. 45. 467 Schoder, Vom Minderheitenschutz zum Schutz verwundbarer Gruppen, S. 45, spricht von einer „in etwa“-Situation. 468 Kimminich, in: The living law of nations, S. 249, wobei danach alle ethnischen Gruppen definitionsgemäß verwundbare Gruppen sind, denn wenn sie Unabhängigkeit auf ihrem Territorium erreicht haben, sind sie – unabhängig von ihrer Größe – eine Nation und nicht mehr eine Gruppe. Vgl. zur Begrifflichkeit auch die Arbeit von Schoder, Vom Minderheitenschutz zum Schutz verwundbarer Gruppen [eig. Herv.]. Auch nach Tesón, in: International law and ethnic conflict, S. 86, bedarf es keiner Gruppenrechte für nach ethnischen Kriterien bestimmbare Gruppen wegen dieser Besonderheit, sondern

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Erfahrungen, die die jeweilige Gruppe durchmachte und die Begleitumstände, ob das nation-building für diese Gruppe durch gewaltsamen Anschluss oder freie Assoziation erfolgte, kann Unterscheidungskriterium für Volk oder Minderheit sein, wobei die meisten Gruppen, die heute internationalen Schutz ersuchen, irgendwo dazwischen stehen dürften.469 d) Völker im ethnischen Sinne: Der territoriale Bezug als Differenzierungskriterium Es zeigt sich jedoch aus der dargestellten Minderheiten-Definition, dass kein substanzieller Unterschied zu ethnischen Gruppierungen zu finden ist, die möglicherweise selbstbestimmungsberechtigte Völker sind. Sowohl Völker als auch Minderheiten lassen sich anhand bestimmter gleicher Kriterien erkennen, nach denen Individuen sowohl der einen oder anderen Gruppe zugehörig scheinen, je nachdem wie sie sich äußern. Der Inferioritätsfaktor belegt aber einen Unterschied: Eine Minderheit befindet sich zahlenmäßig gegenüber dem Mehrheitsvolk des Staates in einem „Weniger“, das üblicherweise einhergeht mit einer nicht-dominanten Stellung.470 Ethnische Gruppen, die ein Volk konstituieren, können ausnahmsweise auch eine größere Gruppe – gar eine MehrheitsVolksgruppe darstellen –, die dementsprechend auch weitergehende Rechte erhalten sollte. Damit ist der Übergang fließend.471 Die eigentliche Demarkationslinie liegt also in der Frage, welche Volksgruppen noch eine Minderheit mit Recht auf einen besonderen rechtlichen Status, welche hingegen bereits ein selbstbestimmungsberechtigtes Volk sind. Dazu ist auf ein bislang häufig nur am Rande beachtetes Kriterium einzugehen, das ein Volk im ethnischen Sinne innerhalb eines Staates gegenüber einer Minderheit heraushebt und zugleich praktische Lösungsmöglichkeiten im Sinne des Selbstbestimmungsrechts zulässt, wie noch zu zeigen sein wird: Der territo-

___________ nur wenn damit eine ungerechte Behandlung oder die unberechtigte Wegnahme eines Territoriums einhergeht. 469 Barsh, in: The living law of nations, S. 143, 144. 470 Eine Minderheit „is defined in terms of numerical inferiority and a non-dominant position“ gegenüber „majority peoples“, so Nowak, CCPR Commentary, Art. 1 Rdnr. 30, Fn. 83. 471 Nowak, CCPR Commentary, Art. 1 Rdnr. 30; kritisch deshalb auch Partsch, VN 1990, 41, 45, der davon spricht, dass es nach Ansicht Anderer „Gruppen von Menschen zwischen Staatsvolk und Minderheiten“ geben müsse, dass aber Vertreter dieser Ansicht – er nennt explizit Doehring – die Definition dieser Zwischenglieder nicht bewerkstelligen könnten. Abgesehen von dieser Kritik liefert Partsch aber kein überzeugendes Gegenargument, warum es eine solche Kategorie nicht geben könne.

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riale Bezug ist von überragender Wichtigkeit.472 Danach kann – vorausgesetzt die übrigen Kriterien liegen vor – eine Minderheit weitergehend „dann als Volk gesehen werden, wenn [sie auf einem] geschlossenen Territorium lebt, eine zur Staatenbildung geeignete Größe aufweist, auf diesem Territorium die ausschließliche oder doch deutliche Mehrheitsbevölkerung darstellt, und es sich um ein traditionelles Siedlungsgebiet handelt“.473 Anders formuliert bedeute territoriale Verbundenheit „adjacency to a kin-state, historical occupation of a defined geographic area, or special relationship with the land“.474 Jedoch ist beim Territorial-Kriterium aus zweierlei Gründen Vorsicht angebracht. Zunächst ist die Relevanz einer zur Staatenbildung geeigneten Größe dieses Territoriums ein äußerst problematisches Kriterium, das ganz ähnliche Abgrenzungsprobleme wie der Bevölkerungszahlfaktor mit sich bringt.475 Im Rahmen der Dekolonisierung sind ebenfalls so genannte Mikro-Staaten entstanden, die nur eine geringe Bevölkerungszahl oder ein kleines Territorium haben. Dieses Kriterium kann nicht per se die für die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts nötige Volkseigenschaft verhindern. Es kann lediglich eine Beschränkung dergestalt folgen, dass kleinere Gruppen oder Völker auf kleinen Territorien bestimmte Optionen des Selbstbestimmungsrechts nicht sinnvoll wahrnehmen können und daher andere Aspekte zu verwirklichen suchen müssen.476 Aus einem weiteren Grunde ist die Heranziehung eines bestimmten Territoriums als konstitutives Element eines Volkes genau zu prüfen. Keinesfalls darf bei versuchter oder erfolgter Vertreibung des Volkes vom angestammten Gebiet – oder Neuansiedlungen durch die Mehrheitsbevölkerung auf diesem Gebiet – die so enstandene Situation als Argument zur Ablehnung der Volkseigenschaft herangezogen werden. In solchen Fällen ist im Sinne eines Restitutions___________ 472 Zur Relevanz des territorialen Kriteriums schon Murswiek, Der Staat 1984, 523, 529. Brilmayer, 16 Yale J. Int’l. L. [1991], 177, 178 hält alle Sezessions- und Abgrenzungsbestrebungen für territorial bezogen und die ethnischen Kriterien nur als Methode, um die Gruppe zu identifizieren, auf die es letztlich kaum ankomme. 473 Hailbronner, in: Völkerrecht, III Rdnr. 120; Thürer, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 34, 41 f.; ebenso Murswiek, Der Staat 1984, 523, 531; ders., AVR 1993, 307, 328: entscheidend sei, dass das Volk auf einem Gebiet lebe, das eine „zur Staatenbildung geeignete(n) Größe“ aufweise. 474 Wright, 19 Oxford Journal of Legal Studies [1999], 605, 627. Mit diesem relativ weitgehenden Verständnis hat sie auch keine Probleme, die meisten Minderheiten als potentielle Völker einzuordnen. 475 Deutlich gegen ein solches Verständnis des Kriteriums daher Kimminich, in: Modern Law of Self-Determination, S. 83, 96. 476 Auch Klüpfel, Selbstbestimmung durch Assoziation, S. 97 ff., spricht sich gegen eine Unterscheidung nach Größe aus und stellt nur auf Praktikabilitätsgründe ab, die gegen eine Unabhängigkeit sprechen, so z.B. wenn schon die Kosten einer Mitgliedschaft in der UN für den neu gegründeten Staat zu hoch wären.

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anspruches477 die vor der erzwungenen Bevölkerungsverschiebung bestehende Verteilung als Bezugsgröße zu nehmen.478 Wenn dies nicht mehr möglich ist, kann jedenfalls die Volkseigenschaft nicht generell abgelehnt werden und es ist nach Verwirklichungsmöglichkeiten mit alternativen Territoriallösungen zu suchen. Es zeigt sich wiederum, dass eine flexible Annäherung479 an die Volkseigenschaft gefordert ist, die den Umständen des Einzelfalles Rechnung trägt bzw. tragen kann.480 Der territoriale Bezug kann sowohl innerhalb eines Staatenverbandes in einem relativ geschlossenen Territorium bestehen, das Siedlungsgebiet kann sich aber auch über mehrere Staaten verteilen.481 Eine selbstbestimmungsrechtsorientierte Lösung kann dann möglicherweise in mehreren Staaten Auswirkungen haben. Im Blick auf die Vielzahl der Ansätze gibt es keine befriedigende Allgemeinlösung zum Volksbegriff im ethnischen Sinne.482 Im Einzelfall kann aber durch Heranziehung der Kriterien eine hinreichend genaue ___________ 477

Vgl. dazu Schmitz, Tibet und das Selbstbestimmungsrecht, S. 160 ff. am Beispiel Tibets. Vgl. ferner Moore, The ethics of nationalism, S. 186, die jedoch zugleich auf die Schwierigkeiten hinweist, wenn die historische Ungerechtigkeit lange zurückliegt und eine Rückgängigmachung mit neuem Unrecht einherginge. Solche Kriterien legt auch Brilmayer, 16 Yale J. Int’l. L. [1991], 177, 197 ff. bei der Prüfung an. 478 Thürer, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 34, 41f., weist auf die Gefahr von Vertreibungen oder erzwungenen Ansiedlungen hin, die verhindert werden soll, indem unter diesen Umständen Ausnahmefälle bezüglich der territorialen Übereinstimmung zugelassen werden. Dies ist folgerichtig, da in solchen Fällen der territoriale Bezug zumindest in der Vergangenheit vorgelegen hat. 479 Nach Musgrave, Self-Determination and National Minorities, S. 166 ist der Versuch einer Definition in „any precise and generally applicable manner thus doomed to failure“. 480 Zu strikt daher Veiter, in: Beiträge zu einem System des Selbstbestimmungsrechts, S. 132, 139, der fordert, dass „kein Zweifel über Substanz, Umfang und Territorium eines Volkes sowie über den Willen der weitaus überwiegenden Mehrheit der zu politischer Mündigkeit gelangten Volksangehörigen zur Inanspruchnahme des Selbstbestimmungsrechts bestehen“ darf. Dies ist zweifelhaft, da auch die territoriale Erstreckung zumindest Teil eines entsprechenden Plebiszits sein kann. 481 Eine Einbindung in eine bestehende Staatsorganisation ist dabei nicht erforderlich, vgl. auch Klein, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 37. Ein möglicher Anwendungsfall zeigt sich auch bei Völkern im ethnisch homogenen Sinne, die aber in mehrgeteilten Staaten leben, so z.B. das deutsche Volk vor der Wiedervereinigung, vgl. dazu nur Veiter, Nationalitätenkonflikt und Volksgruppenrecht, S. 264 f. Dies ist auch heute noch in manchen Fällen durchaus problematisch, wie z.B. im Falle der kurdischen Bevölkerungsteile der Türkei, des Irak, des Irans und anderer Staaten, vgl. dazu auch Weinlein, Das weltweit größte Volk ohne eigenen Staat, Das Parlament Nr. 34 v. 20.08.1999, S. 16. 482 Murswiek, Der Staat 1984, 523, 538.

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Eingrenzung vorgenommen werden, die dann eine Entscheidung über die Frage der Volkseigenschaft einer ethnischen Gruppe zulässt.483 Im Blick auf die möglichen Rechtsfolgen muss bei uneindeutiger Subsumtion wegen des hochrangigen Prinzips der staatlichen Souveränität und dem Interesse an der Bewahrung des status quo in der Staatengemeinschaft als friedensstiftendem Prinzip eine Volkseigenschaft verneint werden.484 Bei einem entsprechend geäußerten Abgrenzungswillen, der für die Herausbildung eines Volkes entscheidend ist,485 und der Erfüllung der beschriebenen Kriterien, insbesondere dem Territorialbezug, sollte demgegenüber die Volksgruppe auch tatsächlich als Volk anerkannt werden.486 Diese Abgrenzungslösung anhand des Territoriums zur Unterscheidung von Minderheiten hält sich auch in dem Rahmen, der durch die Menschenrechtspakte vorgegeben ist. Danach ist zwar einerseits die Bestimmung des Volkes in Art. 1 IPbpR weit zu verstehen, also gerade nicht auf die klassischen Fälle beschränkt. Andererseits sollen Minderheiten aber nicht mit eingeschlossen sein.487 Ob die Ähnlichkeit der beiden Kategorien dazu führt, dass ethnische Gruppen zugleich Minderheiten und Völker sein können, muss im Zusammenhang mit den indigenen Völkern geklärt werden. Die Einzelfallbestimmung des ___________ 483

So auch Frey, Selbstbestimmungsrecht, Sezession und Gewaltverbot, S. 43 m.w.N. in Fn. 65; kritisch und ablehnend dagegen Gusy, AVR 1992, 385, 394 ff. und 410, der eine Anwendung nur auf Staatsvölker, ebensolche im Werden und ehemalige bejaht. Musgrave, Self-Determination and National Minorities, S. 167, ist gegen eine Anwendung auf ethnische Gruppen, nicht aber wegen der Problematik der Einzelfalldefinition (also wegen des Fehlens einer universell und objektiv bestimmbaren Größe), sondern weil „ethnic self-determination“ seine Eigenschaft als Menschenrecht verliere und einen zwangsläufig diskriminierenden Charakter entwickele. 484 Murswiek, Der Staat 1984, 523, 539, bringt dies auf die Formel: „Im Zweifel für die Souveränität!“. 485 Veiter, in: Beiträge zu einem System des Selbstbestimmungsrechts, S. 132, 136 spricht hinsichtlich dieses Abgrenzungswillens davon, dass „jede ethnische Gemeinschaft [...] die als Ganzes unter der Herrschaft eines von ihr als fremd empfundenen anderen Volkes [...] steht und nicht im eigenen Staat ihres Volkstums lebt, [ist] Volk in dem hier verstandenen Sinne“ sei [eig. Herv.]. Dass es aber nicht allein auf diese Empfindung ankommen darf, wird unterstrichen bei Schmitz, Tibet und das Selbstbestimmungsrecht, S. 86. 486 So war z.B. die Aufnahme Bangladeschs in die UN eine implizite Anerkennung durch die Generalversammlung, dass die Bengalis ein eigenes Volk sind, denn nur als solches konnte es über seinen Status selbst entscheiden, vgl. Musgrave, SelfDetermination and National Minorities, S. 160. 487 Schmitz, Tibet und das Selbstbestimmungsrecht, S. 79. Nachweis anhand der travaux préparatoires bei Nowak, CCPR Commentary, Art. 1 Rdnr. 28; historische Beweisführung auch bei Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 61 f.; für die Begleitberatungen zur Friendly Relations-Deklaration kritisch hinsichtlich dieser weiten Bedeutung Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 129 ff., ebenso hinsichtlich der Pakte S. 138 ff.

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Rechtsträgers ermöglicht es auch, die Rechtsposition von bestimmten Umständen abhängig zu machen (dazu unter Kap. 1 C. III. und IV. 5.): so ist daran zu denken, dass Minderheiten in bestimmten Fällen zu einem Volk mit dann erweiterter Rechtsstellung heranwachsen können. Eine Kategorie der ethnischen Gruppe, die diesen besonderen Territorialbezug üblicherweise immer vorweisen kann, sind die indigenen Bevölkerungen dieser Welt, die sich meist auf eine ursprüngliche Besiedlung des Landes berufen können.488 Häufig trifft dieser Begründungsstrang für die Hervorhebung als Volk mit einer zumindest theoretisch bereits vorhandenen Anspruchsposition hinsichtlich einer Sonderbehandlung zusammen, weil die Gruppe sich zugleich auf Minderheitenrechte berufen kann und als benachteiligte Gruppe auch aus Gleichheitsgründen zumindest bei einem gerecht agierenden Staat besondere Konditionen erhalten sollte.489 5. Zusammenfassung: Die verschiedenen Arten von Völkern Zusammenfassend ausgedrückt ist das Subjekt des völkerrechtlichen Selbstbestimmungsrechts mannigfaltig. Neben Staatsvölkern und Kolonialvölkern im Rahmen der Dekolonisierung erstreckt sich das Selbstbestimmungsrecht auch auf weitere Volksgruppen, die sich durch ethnische Merkmale bestimmen lassen. Die internationalen Definitionsversuche, insbesondere die angesprochenen Studien der Special Rapporteurs haben die Begrifflichkeiten „Volk“, „Selbstbestimmungsrecht“ und „Minderheiten“ nicht abschließend geklärt.490 Vielmehr gilt: „defining ‚Peoples‘ as ethnic groups raises serious difficulties [, it is a] concept which seems to defy precise definition“.491 Dies gilt insbesondere, ___________ 488 Moore, The ethics of nationalism, S. 184; ebenso Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 303; Wright, 19 Oxford Journal of Legal Studies [1999], 605, 626, die darauf hinweist, dass es lediglich verfahrensrechtliche Hindernisse seien, die bislang eine Durchsetzung dieses Rechts aus Art. 1 IPbpR für indigene Völker verhindert hätten. 489 Moore, The ethics of nationalism, S. 184 f. In diesem Sinne auch Harhoff, in: The living law of nations, S. 169, 174, der einen eigenen Kriterienkatalog erstellt, an dem er selbst jedoch Zweifel wegen der nicht eindeutig objektivierten Sichtweise hat. Danach können „peoples“ die ursprünglichen Einwohner eines bestimmten Gebietes vor Kolonisation oder Eroberung sein, die noch heute eine besondere Beziehung zu diesem Territorium aufweisen, sich noch immer als „distinct groups“ verstehen, die aber wegen Assimilationsbestrebungen oder sozialer Marginalisierung von ihrer Möglichkeit der Bewahrung und Entwicklung ihrer ethnischen Identität beraubt sind und die schließlich ihr Recht auf Selbstbestimmung in eigenen Angelegenheiten einfordern. 490 Anders Venne, Our elders understand our rights, S. 82. 491 Musgrave, Self-Determination and National Minorities, S. 162. Oloka-Onyango, 15 Am. U. Int’l. L. Rev. [1999], 151, 183 ff. zeigt, dass die afrikanische Sichtweise des

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weil ein enger Zusammenhang, wenn nicht gar eine Überschneidung zwischen diesen Völkern und Minderheiten festzustellen ist.492 Doch auch die aufgrund dieses Befundes skeptischen Völkerrechtler räumen ein, dass sich die Frage im Zusammenhang mit indigenen Völkern nochmals ganz neu und anders stellt, weil hier die Ausgangslage und die rechtlichen Anstrengungen andere sind.493 Mit den hier gefundenen Determinanten ist es möglich, die Kategorie indigene Völker im folgenden Kapitel genau zu bestimmen und im Hinblick auf ihre Volkseigenschaft zu prüfen. Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass es verschiedenartige Träger des Selbstbestimmungsrechts gibt: „A more useful distinction is that beween the people of the state as a whole, more or less dispersed minorities which are in some way distinctive [...] and ‚concentrated‘ minorities forming a distinctive unit in a particular area of the state and constituting a substantial majority of the population in that area. All these groups can, depending on the circumstances, properly claim to be ‚peoples‘. But the consequences of the recognition of that claim must also depend on the circumstances.“494

Im Blick auf das Objekt des Rechts wird sich im folgenden Abschnitt zeigen, ob die Trägerschaft je nach Subjekt bedingt ist, ob also bestimmte Träger nur bestimmte Ausprägungen des Rechts geltend machen können.

III. Das Objekt des Selbstbestimmungsrechts: Der Inhalt der Selbstbestimmung 1. Die verschiedenen Kategorien der Selbstbestimmung Das Selbstbestimmungsrecht der Völker greift zugunsten der oben genannten Träger. Diese als Recht verbürgte Selbstbestimmung kann verschiedene Formen annehmen und ist sozusagen die Rechtsfolge aus der Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht durch einen Träger im konkreten Fall. Bei der Bestimmung der rechtlichen Qualität hat sich bereits gezeigt, dass – aus naheliegenden Gründen – eine Praxis sowohl einzelner Staaten als auch innerhalb der UN im Bereich des Selbstbestimmungsrechts nur eingeschränkt vorhanden ist. So ist z.B. die zentrale Frage, ob sich aus den Bestimmungen in ___________ Volksbegriffs in das ursprüngliche Verständnis keinen Eingang gefunden hat, aber jetzt helfen kann, die Bedeutungserweiterung zu begründen. 492 So auch Thiele, Selbstbestimmungsrecht und Minderheitenschutz in Estland, S. 31. 493 Insbesondere Elsner, der sehr genau die Bedeutung des Volksbegriffs analysiert und hinsichtlich des existierenden Völkervertrags- und -gewohnheitsrechts im Blick auf ethnische Gruppen skeptisch ist, behandelt daher indigene Völker in einem eigenen Abschnitt. 494 Crawford, in: Peoples’ Rights, S. 7, 64.

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der Friendly Relations-Deklaration ableiten lässt, dass auch eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts eine Bedrohung oder einen Bruch des internationalen Friedens darstellen kann, mit der daraus folgenden Möglichkeit einer Interventionsentscheidung in der bisherigen Praxis der UN noch nicht eindeutig entschieden worden.495 Auch über mögliche territoriale Folgen der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts ist von der Sonderkategorie der Dekolonisierung explizit nicht entschieden worden. Daher lassen sich allein mit einem Blick darauf keine unterscheidungsfähigen Kategorien herausarbeiten. Gerade bezogen auf die Lösungsmöglichkeiten bei selbstbestimmungsbedingten Konflikten, die im 4. Kap. unter C. beleuchtet werden sollen, ist aber eine Differenzierung höchst sinnvoll. Dazu werden die in der Literatur vertretenen Aspekte des Selbstbestimmungsrechts dargestellt. Auch hier besteht – wie bei den Trägern – begriffliche Uneinheitlichkeit, insbesondere hinsichtlich der Wortpaare defensives/offensives und internes/externes Selbstbestimmungsrecht.496 Zwar ergibt sich eine solche Unterscheidung nicht zwingend aus den im vorliegenden Zusammenhang interessanten UN-Dokumenten,497 sie hat sich jedoch in der wissenschaftlichen und politischen Diskussion durchgesetzt.498 Anhand des territorialen Bezugs499 des Selbstbestimmungsrechts wird im Folgenden unterschieden nach defensiven Varianten, die eine Beibehaltung des territorialen Status quo vorsehen, und offensiven, die diesen neu ordnen.500 Schon aus logischen Gründen ist dabei nicht jede Ausprägung des Rechts auf jeden möglichen, oben herausgearbeiteten Träger anwendbar. Wie bereits festgestellt, hängt der Träger eng mit dem Inhalt des Selbstbestimmungsrechts zusammen, so dass die möglichen Kombinationen nach einer umfassenden Darstellung der möglichen Auswirkungen für die Gruppe der indigenen Völker verknüpft werden. ___________ 495 Vgl. z.B. zur Möglichkeit, dass in der Friendly Relations-Deklaration die Situation einer Bedrohung oder eines Bruchs des Friedens mit internationalen Dimensionen (und den daraus folgenden Möglichkeiten zur Intervention) angedeutet sein könnte, Kimminich/Hobe, Völkerrecht, S. 117, die zutreffend darauf hinweisen, dass diesbezüglich in der „bisherigen Praxis der Vereinten Nationen [...] hierüber jedoch noch nicht entschieden worden ist“. 496 Spiry, 9 GYIL [1995], 129, 141, spricht von einem „multidimensional right“, dessen interner Aspekt wiederum „double-faceted“ sei, so dass eine „double dichotomy“ vorliege, die mittlerweile anerkannt sei. 497 Etwas anders Nowak, CCPR Commentary, Art. 1 Rdnr. 34, wonach die unterschiedlichen Sätze des ersten Absatzes auch die unterschiedlichen Varianten des Selbstbestimmungsrechts darstellen. 498 Heintze, Selbstbestimmungsrecht und Minderheitenrechte, S. 26. 499 Ebenso Klein, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 43; Murswiek, Der Staat 1984, 523, 527: „[...] weitgehendste und grundlegendste Recht, das sich aus dem Selbstbestimmungsrecht ergibt, [ist die] Entscheidung über den Territorialstatus“. 500 Grundlegend zu dieser Einteilung Murswiek, Der Staat 1984, 523, 532 f.

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2. Offensives Selbstbestimmungsrecht der Völker Das offensive oder externe Selbstbestimmungsrecht bezieht sich auch auf die Festlegung des politischen Status nach außen und hat territoriale Auswirkungen, indem es grenzenbestätigende, -schaffende und -auflösende Wirkung haben kann. a) Inhalte Das offensive Selbstbestimmungsrecht gibt einem Volk das Recht, sich ohne Einmischung von außen gegenüber der übrigen Staatenwelt einen bestimmten Status zu geben. Diese freie Bestimmung über den Status kann verschiedene Möglichkeiten umfassen. Zum einen wird damit bei einer Staatsneugründung erstmals der Status des Staates einschließlich seiner Grenzverläufe nach außen hin festgelegt. Im Vordergrund dieses Rechts auf Selbstbestimmung steht, wie sich schon aus dem Wortlaut der Art. 1 der Menschenrechtspakte und der Friendly Relations-Deklaration (dort: Prinzip V) ergibt, das Recht auf freie Festlegung des politischen Status.501 In erster Linie geht es dabei um die – ohne Beeinflussung von fremder Seite vorzunehmende – Bestimmung des internationalen Status, d.h die Festlegung des Verhältnisses eines Volkes zu den anderen Völkern, weshalb dieser Aspekt des Selbstbestimmungsrechts häufig als „externe Selbstbestimmung“ bezeichnet wird. Diese Statusentscheidung ist aus logischen Gründen vorrangig und umfasst die Möglichkeit der Neugründung eines unabhängigen Staates, die Integration mit bestehenden Staaten oder die Assoziation mit fremden Staaten als Ausübungsmöglichkeiten der Statusbestimmung. Da aber Staatsgründungen heute nicht mehr auf „neutralem Gebiet“ erfolgen, sondern immer aus bereits bestehenden Staatenkonstruktionen hervorgehen, bedeutet die offensive Variante des Selbstbestimmungsrechts, dass sich entweder ein bestehender Staat zu einer Assoziation mit einem anderen entschließt oder dass sich z.B. ein Teil eines Bundesstaates zur Unabhängigkeit von der Föderation entschließt. Dies geschieht üblicherweise mit Einverständnis und oft durch vertragliche Regelung mit den betroffenen Staaten (vgl. z.B. Puerto Rico, das zunächst eine Assoziation mit den USA eingegangen ist502) oder durch internationale Vermittlung (vgl. z.B. Ost-Timor, dessen Bevölke___________ 501

Cristescu, The Right to Self-Determination, S. 17, fasst folgendermaßen zusammen: Das Selbstbestimmungsrecht garantiere dem Volk „to be the sole master of its fate“. 502 Das aber nach Klüpfel, Selbstbestimmung durch Assoziation, S. 240 weiterhin ein Sezessionsrecht im Sinne einer vollständigen Unabhängigkeitserklärung besitze, sich aber wiederum für eine Verbindung zum bisherigen Partner mit mehr Rechten oder auch für eine Integration entscheiden könne.

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rung sich für die Unabhängigkeit entschieden hat, aber noch ein „Rest-Fall“ der Dekolonisierung ist). Im Zusammenhang mit der Dekolonisierung bedeutete dies, wie bereits dargelegt, die Möglichkeit für die Bevölkerung der ehemaligen Kolonien zur Gründung unabhängiger Staaten; andere theoretisch denkbare Alternativen wurden nicht verfolgt, vielmehr war die volle Unabhängigkeit schnell das erklärte Ziel der UN-Praxis.503 Eine Ausübung des offensiven Selbstbestimmungsrechts und zugleich die Rückgängigmachung eines völkerrechtswidrigen Zustandes ist die Befreiung völkerrechtswidrig besetzter Territorien z.B. nach einer gewaltsamen Annexion.504 Fraglich ist aber vor allem, ob das offensive Selbstbestimmungsrecht, wenn eine Anwendbarkeit auf ethnische Gruppen wie hier bejaht wird, unter bestimmten Umständen auch ein Recht auf Sezession aus dem bestehenden Staatsverband für eine solche Gruppe mit einem bestimmten Territorium umfasst. Diese „umstrittenste Frage“505 im Zusammenhang mit der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts muss genauer untersucht werden. b) Die Problematik eines Rechts zur Sezession Bevor geklärt werden kann, ob das heutige offensive Selbstbestimmungsrecht ein Recht auf Sezession der Bevölkerung eines Teilgebietes eines Staates vom Mutterstaat einschließt, muss nochmals kurz auf die Entwicklung in der Dekolonisierung eingegangen werden. aa) Der Sondertatbestand in der Dekolonisierung Wie bereits oben erwähnt, ist die Einordnung der Unabhängigwerdung von ehemaligen Kolonien als Tatbestand einer Sezession strittig. Die Staatengemeinschaft hat aus naheliegenden Gründen versucht, diese als einen Sondertatbestand „Selbstbestimmungsrecht kolonialer Völker“ zu charakterisieren. Dies wird in der Literatur bestritten, denn schon die Trennung der heutigen USA vom Vereinigten Königreich sei der Modellfall einer Sezession und nichts anderes als ein Akt der Dekolonisierung. Der einzige Unterschied zur Entwick___________ 503

Vgl. nur Klein, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 44. Vgl. Thürer, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 34, 47 f., der als Anwendungsfälle Ost-Timor und Tibet nennt. 505 Doehring, in: Charta der Vereinten Nationen, nach Art. 1 Rdnr. 36. Die Charakterisierung ist unmittelbar einleuchtend, da diese Möglichkeit im deutlichen Widerspruch zur territorialen Integrität und Souveränität bestehender Staaten steht. 504

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lung in Afrika und Asien, die dann tatsächlich unter dem Stichwort „Dekolonisierung“ erfolgte, sei die Tatsache, dass in diesen Fällen die Staatengemeinschaft mittlerweile den betroffenen Völkern ein solches Recht zugestehen wollte.506 Ob es sich aber dabei letztlich um Sezessionen gehandelt hat, ist für die Frage eines heute geltenden Sezessionsrechts nicht entscheidend, da die Anwendbarkeit auf ethnische Gruppen interessiert, die sich von der Dekolonisierungssituation unterscheiden. Bis nach 1980 verdeckte die Dekolonisierung als aktiver Ausdruck die übrigen Ausprägungen des Selbstbestimmungsrechts, die eher eine abstrakte Möglichkeit als eine durchsetzbare Forderung waren.507 Dies ist heute anders, so dass das Bestehen eines Sezessionsrecht zu untersuchen ist.508 bb) „Echte“ Sezession Vor dem Hintergrund des Auseinanderbrechens der ehemaligen Sowjetunion und der Entwicklung im übrigen Ostblock sowie im ehemaligen Jugoslawien ist die Diskussion um ein echtes Sezessionsrecht von Völkern wieder verstärkt geführt worden. Manche Autoren sind der Ansicht, die dortigen Entwicklungen seien weniger als Sezessionen, denn als „implosions of federations“ zu sehen und das Auseinandergehen verschiedener Staatsteile sei eher Folge als Ursache für den Zusammenbruch der zentralstaatlichen Autorität gewesen.509 Dagegen sehen viele andere Autoren diese Ereignisse als Neubestimmung der Sezessionsmöglichkeit und der erforderlichen Rahmenbedingungen, zu denen auch die nochmals zu beleuchtende Frage der Grenzziehung nach einer Abspaltung von Staatsteilen gehöre.510

___________ 506

Weber, „Uti possidetis iuris“, S. 89 m.w.N. Crawford, in: Peoples’ Rights, S. 7, 39. 508 Gegenteiligen Ansichten begegnen Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rdnr. 1555 mit den deutlichen Worten: „Die Entwicklung im ehemaligen Ostblock beweist die Vergeblichkeit der heuchlerischen und rassistischen Versuche, das Selbstbestimmungsrecht in ein Recht nur auf Befreiung von kolonialer Fremdherrschaft umzudeuten“ [eig. Herv.]. 509 So Ghai, in: Autonomy and ethnicity, S. 1, 23 f. 510 Oloka-Onyango, 15 Am. U. Int’l. L. Rev. [1999], 151, 203 f. plädiert für die Neudefinition und Einrichtung eines allgemeinen Sezessionsrechts im Völkerrecht, das auch innerhalb der Staaten anerkannt werde. Auch Lâm, in: People or Peoples, S. 79, 129 befürwortet ein Sezessionsrecht, das aber nur Ergebnis bilateraler Verhandlungen im Rahmen eines einzurichtenden Verfahrens sein dürfe. 507

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(1) Positionen in der Literatur Vorschnell sollte ein dem Wortlaut nach theoretisch mögliches allgemeines Sezessionsrecht als Bestandteil des Selbstbestimmungsrechts nicht bejaht werden.511 Das Selbstbestimmungsrecht ist im Kontext mit den übrigen Völkerrechtsnormen zu sehen und steht gerade in der UN-Charta insbesondere mit dem Recht auf territoriale Unversehrtheit eines Staates als Ausfluss seiner Souveränität in Zusammenhang.512 Zweifellos wird die territoriale Integrität von Staaten bei Annahme eines allgemeinen Sezessionsrechts für Bevölkerungsteile, die als Träger des Selbstbestimmungsrechts qualifiziert werden können, beschädigt. Daher ist die Annahme eines solchen Rechts mit Bedacht zu untersuchen.513 Einige Autoren lehnen wegen der territorialen Integrität von Staaten ein Sezessionsrecht rundherum ab.514 Überwiegend wird aber davon ausgegangen, dass eine Sezession mindestens als Ausnahmetatbestand bei schwerwiegenden Diskriminierungen in Form massiver Menschenrechtsverletzungen zulässig sein müsse.515 Diese Sezession als ultima ratio in Form eines Notwehrrechts wird sogleich behandelt. ___________ 511 Thürer, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 34, 48. Generell außerhalb Dekolonisierung ablehnend außer als Notwehrrecht Schoder, Vom Minderheitenschutz zum Schutz verwundbarer Gruppen, S. 146. Eine beachtliche philosophische Strömung folgt einer „choice theory“, wonach Sezession immer gerechtfertigt sei, wenn eine territorial konzentrierte Mehrheit in einem Referendum dafür stimme, ganz gleich wie das Verhalten des Staates gewesen sei, vgl. zu diesen Moore, The ethics of nationalism, S. 166 ff. Jüngst mit eigenem Ansatz auch Buchanan, Self-Determination and Secession, in: Buchanan, Justice, Legitimacy, and Self-Determination, S. 331 ff. 512 Zu bedenken ist jedoch, dass die Vorstellung, die Ausübung von Selbstbestimmung „nehme“ dem Mutterstaat Territorium weg, das diesem gehöre, im Grunde genommen unhaltbar ist, da insoweit kein dem Privateigentum vergleichbarer Titel besteht, sondern mit dem Territorium lediglich das von der Regierung beherrschte Gebeit umzeichnet wird, vgl. dazu Moore, The ethics of nationalism, S. 165. Ähnlich OlokaOnyango, 15 Am. U. Int’l. L. Rev. [1999], 151, 200, die „Sezession“ als konservatives Prinzip versteht, weil es an staatlicher Souveränität nichts ändere, sondern diese „nur“ einer neuen Einheit zuordne. 513 Einen ausführlichen Überblick über die verschiedenen Begründungsansätze in der Literatur gibt Hannum, 34 Va. J. Int’l. L. [1993], 1, 43 ff.; differenziert auch Buchanan, in: The Rights of Minority Cultures, S. 350 ff.; vgl. bezüglich indigener Völker Iorns, 24 Case W. Res. J. Int’l. L. [1992], 199, 319 ff. 514 Z.B. Emerson, 65 AJIL [1971], 459, 465 f.; außerhalb der Dekolonisierung. Nowak, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 244, 246 ff., weil Sezessionsbestrebungen zu einer „unübersichtlichen Zahl von monoethnischen, monoreligiösen oder monokulturellen Nationalstaaten“ (S. 247) führen könnten und dies oft mit kriegerischen Auseinandersetzungen einhergehe. 515 Hannikainen, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 79, 83 f., hält diese Ausnahme nicht für eine Rechtsregel, sondern lediglich eine Möglichkeit, um dem Unrecht zu begegnen.

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Mit der Mehrheit der Autoren ist davon auszugehen, dass das Völkerrecht ein Sezessionsrecht zumindest nicht grundsätzlich ablehnt,516 es also nicht verbietet, sondern als völkerrechtlich neutralen Akt versteht.517 Dieser spielt sich zunächst innerstaatlich ab und wird erst nach Vollzug zu einer internationalen Angelegenheit,518 indem nun – nicht zwingend – neue Nachbarn für bereits existierende Staaten entstehen. Wenn ein Staat aber Sezessionsbestrebungen unter Verletzung internationaler Verpflichtungen, z.B. völkerrechtlicher Menschenrechtsverträge, bekämpft, wird schon die Bestrebung zu einer völkerrechtlichen Angelegenheit. Im Zusammenhang mit selbstbestimmungsberechtigten innerstaatlichen Völkern wird teilweise noch weitergehend von einem allgemeinen Sezessionsrecht ausgegangen, insbesondere wenn es sich um ein indigenes ethnisches Volk mit besonderem Bezug zum Territorium handelt.519 Jedenfalls dann, wenn nicht nur eine historische Verbundenheit mit dem Territorium besteht, sondern eine noch andauernde Besiedlung auf einem bestimmten – auch vom ursprünglichen Gebiet abweichenden – Bereich des Staates gegeben ist, könne eine Sezession ohne Weiteres durchgeführt werden.520 Der „territoriale Ansatz“ geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass die Volkseigenschaft nur ein Hilfsargument sei und es vielmehr auf die Geschichte des Konflikts und die Wiedergutmachung historischen Unrechts bezüglich des Territoriums ankomme.521 Für solche territorial verbundenen Völker müsse mindestens eine Form der Selbstregierung, bei einer national verbreiteten Minderheit durch Devolution von Regierungskompetenzen in den mehrheitlich von diesen Personen bewohnten Gebieten, gegeben sein. Wenn diese aber ohnehin hauptsächlich ein abgegrenztes Territorium bewohnt und dort auch die deutliche Mehrheit stellt, seien die Möglichkeiten für eine Sezession gegeben, die das Völkerrecht toleriere.522

___________ 516

Vgl. nur Tesón, in: International law and ethnic conflict, S. 86, 99 m.w.N. Weber, „Uti possidetis iuris“, S. 74. 518 Weber, „Uti possidetis iuris“, S. 78. 519 Vgl. dazu Buchanan, in: The Rights of Minority Cultures, S. 350, 355 ff., der aber letztlich ein Sezessionsrecht ausschließlich aus dem Erhaltungswillen einer bestimmten Kultur ablehnt und zugleich Vorschläge macht, wie unterhalb einer Sezession eine gewisse „Undurchlässigkeit“ der Grenzen zum eigenen Territorium und damit dessen Bestandsschutz erreicht werden kann, S. 361. 520 So Moore, The ethics of nationalism, S. 188 f. 521 Zu diesem Ansatz Brilmayer, 16 Yale J. Int’l. L. [1991], 177 ff., v.a. 191; erneut unter dem Eindruck der zwischenzeitlichen Ereignisse betont in Brilmayer, 25 Yale J. Int’l. L. [2000], 283, 284; Tesón, in: International law and ethnic conflict, S. 86, 107. 522 Moore, The ethics of nationalism, S. 194. 517

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(2) Staatenpraxis und Rechtsüberzeugung Ein Blick auf die Praxis und rechtliche Regelungen fällt zunächst ernüchternd aus. Jedenfalls in der Formulierung des Selbstbestimmungsrechts in der UN-Charta liegt noch kein Anhaltspunkt zur Begründung eines Sezessionsrechts. Vielmehr ist dort der enge systematische Zusammenhang mit der territorialen Integrität von Staaten ein eindeutiger Hinweis auf eine ablehnende Haltung der Staaten gegenüber Sezessionsbestrebungen. Dem entspricht auch die Einschätzung des damaligen Generalsekretärs der UN, U Thant, der 1970 zum Ausdruck brachte: „[...] as far as the question of secession [...] is concerned, the U.N. attitude is unequivocable. As an international organisation, the U.N. has never accepted and does not accept and I do not believe it will ever accept a principle of secession of a part of a Member State“.523

Diese Staatenpraxis ist insofern scheinbar konsistent, als lange nach 1945 kein Staat zur UN zugelassen worden ist, ohne dass eine Regelung mit der Regierung des ehemaligen Mutterstaates getroffen worden ist.524 Dies gelte sogar im Falle Bangladeschs, das häufig als Modell für eine akzeptierte Sezession herangezogen wird.525 Die Sezessionsbestrebung in Katanga und der Versuch der Loslösung vom Kongo 1960 wurde nur von wenigen benachbarten afrikanischen Staaten durch Anerkennung des „neuen“ Staates gut geheißen, aber aufgrund mangelnder internationaler Unterstützung bald wieder vom Kongo gewaltsam rückgängig gemacht.526 Diese Staatenpraxis zeigt aber nur, dass in konkreten Fällen Sezessionen nicht unterstütz worden sind, was – wie von anderer Seite bereits ausreichend dargestellt worden ist527 – häufig andere politische Gründe hatte als eine generelle Ablehnung eines Sezessionsrechts. Eine solche generelle Feststellung ist ___________ 523 Rede abgedruckt in UN Monthly Chronicle, 1970 No. 2, S. 36, zit. nach Klein, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 48. Zu beachten ist jedoch, dass diese Aussage vor der erfolgreichen Annahme der Friendly Relations-Declaration getroffen worden war, wie Kirgis, 88 AJIL [1994], 304, 306 Fn. 22 zu Recht hervorhebt. 524 So jedenfalls Crawford, in: Peoples’ Rights, S. 7, 55. Vgl. auch Crawford, 69 BYIL [1998], 85, 93 ff. mit einer Liste aller – außerhalb des Dekolonisierungstatbestandes – nach 1945 neu zur UN zugelassenen Staaten, vgl. ferner ebda., S. 113. 525 Dazu Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 178 ff.; Crawford, 69 BYIL [1998], 85, 114 f. 526 Dazu mit Verweis auf vergleichbare Fälle und die entsprechenden Resolutionen des Sicherheitsrats Weber, „Uti possidetis iuris“, S. 72, 75 f. und Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 173 ff. Bei Crawford, 69 BYIL [1998], 85, 107 ff. findet sich ein Überblick über misslungene oder gar nicht erst versuchte Sezessionen von Gebieten, in denen eine Mehrheit der Bevölkerung Unabhängigkeitsbestrebungen unterstütze. 527 Vgl. nur Weber, „Uti possidetis iuris“, S. 78 m.w.N.

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durch die Staatengemeinschaft nie getroffen worden, weshalb Sezession auch als solche nicht als grundsätzlich rechtswidrig eingestuft wird. Zudem könnte die Rechtsüberzeugung der Staaten, die noch in der UNCharta ziemlich eindeutig zugunsten eines absoluten Schutzes der territorialen Integrität ausgefallen ist, bereits mit der Friendly Relations-Deklaration und späterer gegenteiliger Praxis insbesondere in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts verändert worden sein.528 In Absatz 7 des Abschnitts über den Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker der Friendly Relations-Deklaration wird die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts zwar noch unter den Vorbehalt der zu schützenden territorialen Integrität der Staaten gestellt. Andererseits wird aber dort auch klargestellt, dass dies nur für Staaten gelte, deren Regierung die gesamte Bevölkerung ohne Unterschied der Rasse, des Glaubens oder Hautfarbe vertritt.529 Daraus kann mit einem argumentum e contrario geschlossen werden, dass bei diskriminierenden Regierungen ein Sezessionsrecht doch besteht.530 Es ist lediglich der Umfang der Diskriminierung, die das Entstehen eines solchen Rechts begründet, zu klären.531 Dies wird im Rahmen der Erwägungen zur Sezession als Notwehr in Kap. 1 C. III. 2. c) erfolgen. Ferner hat die Staatengemeinschaft durch ihre Haltung gegenüber der Entwicklung auf den Gebieten des ehemaligen Ostblocks endgültig gezeigt, dass sie ein Sezessionsrecht nicht grundsätzlich ablehnt, selbst wenn diese Terminologie weitgehend vermieden wurde.532 Noch deutlicher ist dies erkennbar im Verhalten zunächst der europäischen Staaten und dann auch der USA gegenüber den Unabhängigkeitsbestrebungen der ehemaligen Teilrepubliken des früheren Jugoslawien, insbesondere bezüglich Kroatiens. Obwohl hier noch keine effektive Herrschaftsgewalt über das gesamte Territorium erreicht war und damit ein Merkmal der klassischen Staatsdefinition fehlte, wurde diesem Staat die Anerkennung zuteil. Eine völkerrechtswidrige Einmischung in die inneren An___________ 528

Zu dieser Möglichkeit der Interpretation der Charta durch spätere Resolutionen der Generalversammlung, vgl. Doehring, in: Charta der Vereinten Nationen, nach Art. 1 Rdnr. 1. 529 Diese – wie oben ausführlich dargestellt – „safeguard clause“ ist von Kanada gegen die Abspaltungsbestrebung von Quebec so in Stellung gebracht worden, dass sie eine „safeguard against secession for those states which complied with it“ (also der repräsentativen Regierung) sei, vgl. Crawford, in: Peoples’ Rights, S. 7, 57. 530 Diese Argumentationslinie ist von Doehring, in: Charta der Vereinten Nationen, nach Art. 1 Rdnr. 37, überzeugend entwickelt worden. 531 Kriterien dafür finden sich bei Doehring, in: Charta der Vereinten Nationen, nach Art. 1 Rdnr. 38 ff. 532 Weber, „Uti possidetis iuris“, S. 76 f. zeigt, dass es auf die verwendeten Begriffe im Ergebnis nicht ankommt. Diese Sezessionen als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts ablehnend Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 183 f.

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gelegenheiten Jugoslawiens war diese Anerkennung trotz fehlender „ausgereifter“ Staatsqualität nicht, weil die Staatengemeinschaft von einem Sezessionsrecht Kroatiens und damit der Realisierung des erwähnten Ausnahmefalls ausgegangen ist.533 Dass in diesem Fall die noch zu beleuchtenden Kriterien für ein (ausnahmsweises) Aufleben des Sezessionsrechts gegeben waren, wird kaum noch in Zweifel gezogen. (3) Das Gutachten zur Sezessionsmöglichkeit Quebecs Das Recht zur Sezession als generelles Recht eines selbstbestimmungsberechtigten Volkes war bislang noch nicht Gegenstand einer Entscheidung beim IGH. Jedoch lag diese Frage vor einigen Jahren dem Supreme Court of Canada vor, als die kanadische Regierung um ein Gutachten darüber bat, ob die Provinz Quebec das Recht zur Abspaltung aus dem Bundesstaat habe.534 Die zweite Frage des „reference“ (advisory opinion) bezog sich auf die Frage nach einem solchen Recht im Völkerrecht und zwar gerade im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht.535 Zudem haben wichtige, im Sinne des Art. 38 Abs. 1 lit d) fähige Völkerrechtler verschiedener Nationen Expertenmeinungen für das Gericht zu den relevanten Fragen des internationalen Rechts verfasst. Insoweit können die damals gemachten Ausführungen auch für die vorliegende Untersuchung mit Gewinn herangezogen werden. Die Expertenmeinungen gingen alle von einem Spannungsverhältnis zwischen dem Recht der Staaten auf territoriale Integrität und dem Wunsch nach einer selbst bestimmten Abspaltung durch Völker auf dem Territorium von Staaten aus. Prinzipiell könne ein Staat unter Verweis auf seine Territorialstruk___________ 533 Überzeugende Darstellung bei Weber, „Uti possidetis iuris“, S. 80 ff., wobei die Anerkennung eines solchen Staates nur der Weg der Staatengemeinschaft ist, dem Sezessionsrecht zur Durchsetzung zu verhelfen. Ebenso Simon, Autonomie im Völkerrecht, S. 69. 534 Die kanadische Regierung hatte den Supreme Court of Canada angerufen, weil ein Referendum in Quebec 1995 nur ganz knapp eine Mehrheit für die Abspaltung verfehlte, vgl. Meldung in Great Falls Tribune v. 21.08.1999, S. 9A. Das Gutachten des Gerichts ist „the first authoritative legal opinion on secession since [...] opinions on the Aland Islands“, Crawford, in: Peoples’ Rights, S. 7, 57 f. 535 Die Frage lautete: „2. Does international law give the National Assembly, legislature or government of Quebec the right to effect the secession of Quebec from Canada unilaterally? In this regard, is there a right to self-determination under international law that would give the National Assembly, legislature or government of Quebec the right to effect the secession of Quebec from Canada unilaterally?“, Supreme Court of Canada, www.lexum.umontreal.ca/csc-scc/en/pub/1998/vol2/ html/1998scr2_0217.html; beantwortet wird die Frage ab Rdnr. 109.

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tur gegen Sezessionsbestrebungen mit rechtmäßigen Mitteln vorgehen, unterbindet er diese jedoch beispielsweise gewaltsam, also in rechtswidriger Weise, dann könne gerade dadurch die Selbstbestimmungsbestrebung relevant und gerechtfertigt werden.536 Mit den Experten stellte der Supreme Court of Canada ferner fest, dass es kein explizites Verbot der Sezession im Völkerrecht gebe, vielmehr eine einmal erfolgte und stabilisierte Abspaltung üblicherweise anerkannt wird.537 Daher ist die Forderung einer Volksgruppe auf eine Sezession, wie oben dargestellt, zunächst solange eine innere Angelegenheit des betroffenen Staates, bis die entsprechende Volksgruppe mit ihrer Sezession Erfolg hat.538 Unbestritten ist, dass eine einmal erfolgte Sezession ohne Weiteres von anderen Staaten anerkannt werden kann.539 Dabei sollte sich die Staatengemeinschaft bei ihrer Entscheidung über eine Anerkennung des neuen Status auch daran orientieren, unter welchen Umständen die Sezession stattgefunden hat.540 Es sollte also die Legimität der nunmehr erfolgten Sezession beleuchtet werden, indem die vorherige Art und Weise der Erstrebung untersucht wird.541 Bei der Abwägung über die Legitimität der Sezession sollte also auch einbezogen werden, ob vor dem – möglicherweise mit gewaltsamen Mitteln angestrebten – Sezessionsversuch andere Verwirklichungsformen des Selbstbestimmungsrechts versucht worden waren.542

___________ 536

Vgl. Crawford, in: Peoples’ Rights, S. 7, 49 mit Verweis auf die Eingabe von

Shaw. 537 Zur Rolle der Anerkennung neu geschaffener Situationen im Völkerrecht am Beispiel Ost-Timors Symmons, in: The East Timor Problem and the Role of Europe, S. 107, 122 ff., der insbesondere zeigt, dass eine Pflicht zur Nichtanerkennung nach gewaltsamem Gebietserwerb bestehe, sowie auch bei nicht-gewaltsamem Erwerb unter Missachtung des Selbstbestimmungsrechts der dortigen Bevölkerung (S. 127 ff., 140 f.). 538 So die Zusammenfassung von Crawford, in: Peoples’ Rights, S. 7, 50 f. Im Übrigen merkt er aber auf S. 51 in Fn. 117 an, dass das Völkerrecht immer eher verfassungswidrige Umstürze innerhalb eines Staates anzuerkennen bereit ist als eine „unilateral secession from a state“, weil dies automatisch internationale Implikationen hat. 539 In der Regel durch Anerkennung des neuen Staates, vgl. dazu Symmons, in: The East Timor Problem and the Role of Europe, S. 107 ff. 540 Ein Kriterienkatalog zur Prüfung der Legitimität einer Sezession findet sich bei Schwartz/Waywood, 11 N.Y. Int’l. L. Rev. [1998], 1, 10 ff. 541 Supreme Court of Canada, [1998] 2 S.C.R. 217 Rdnr. 143 f.; vgl. dazu auch Crawford, in: Peoples’ Rights, S. 7, 61. 542 Insoweit spielt auch das Prinzip des „peaceful change“ eine Rolle, wonach sich der Staat gegen gewaltsame Sezession schützen kann, wenn er der Verpflichtung aus diesem Prinzip nachgekommen ist, dazu Murswiek, Peaceful Change, S. 47 und unten ausf. in Kap. 1 E.II.

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cc) Zusammenhang mit dem uti possidetis-Prinzip Das grundsätzlich bestehende Recht auf eine Sezession als Bestandteil des Selbstbestimmungsrechts bezieht sich immer auf die beschriebenen Träger des Selbstbestimmungsrechts, also eine Personenmehrzahl. Andererseits erfolgt die Sezession dann aber immer mittels bzw. bezüglich eines Gebietes.543 Diese Differenzierung zwischen Sezessionsrecht und Sezessionsakt ist entscheidend und führt zurück zur Frage, auf welchem Gebiet ein etwa berechtigter Sezessionsakt, der aus dem entsprechend bejahten Recht folgt, durchgeführt werden darf. Insbesondere stellt sich die Frage, ob das uti possidetis-Prinzip heute universelle Geltung hat und das Selbstbestimmungsrecht insoweit in seiner Durchführung beschränkt, als dass eine Sezession nur entlang vorhandener (Verwaltungs-)Grenzen erfolgen darf.544 Eine wesentliche Rolle bei der Bewertung der heutigen Geltung des uti possidetis-Prinzips spielt die so gennante Badinter-Kommission, die von europäischen Staaten mit der Erstellung zahlreicher völkerrechtlicher Gutachten im Zusammenhang mit den Konflikten im ehemaligen Jugoslawien beauftragt wurde. Obwohl sie selbst kein Völkerrechtssubjekt ist, haben zunächst die Auftragsstaaten und später auch die restliche Staatenwelt ihre Praxis auf die Erkenntnisse in den Gutachten basiert, so dass diese zur Ermittlung der opinio iuris direkt herangezogen werden können.545 In der „Opinion No. 3“ hat diese Kommission recht lapidar und ohne dogmatischen Aufwand die Geltung des uti possidetis als „general principle“ der IGH-Entscheidung Burkina Faso/Mali folgend bejaht. Schon die Bezugnahme auf diese Entscheidung ist lückenhaft, zudem ist eine Entscheidung des IGH nur Anhaltspunkt, nicht jedoch Ausdruck staatlicher opinio iuris.546 Nichtsdestotrotz hat dieses Gutachten im Ergebnis dazu geführt, dass es nachträglich Richtigkeit erlangte, weil die Staatenwelt tatsächlich bei der Behandlung der Unabhängigkeitsbestrebungen der ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken und insbesondere bezüglich BosnienHerzegowinas die Durchsetzung der ehemaligen innerstaatlichen administrativen Grenzen als neuen Staats-/Landesgrenzen zum obersten Ziel machte.547 Damit kann also eine Geltung des uti possidetis-Prinzips als Norm des universellen Völkergewohnheitsrechts mit Simmler dergestalt angenommen werden, dass bei Auflösung eines Staates die auf seinem Territorium gebildeten Neu___________ 543

Vgl. ebenso Weber, „Uti possidetis iuris“, S. 162. Demnach würden diese Grenzen „declared sacrosanct and given international legitimacy“, so Castellino, International law and self-determination, S. 110. 545 Simmler, Das Uti-possidetis-Prinzip, S. 288. 546 Zur Kritik an dem Gutachten vgl. nur Simmler, Das Uti-possidetis-Prinzip, S. 289 f. m.w.N. 547 Dazu wiederum Simmler, Das Uti-possidetis-Prinzip, S. 291 ff. 544

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staaten sich grundsätzlich an den vor der Unabhängigkeit bestehenden Grenzen orientieren.548 Ein Selbstbestimmungsrecht muss sich aber gegebenenfalls auch in Form einer Sezession verwirklichen lassen, wenn keine solchen administrativen Grenzen vorhanden sind oder diese bewusst willkürlich anders gezogen oder verändert wurden, um einer solchen Bestrebung im Konfliktfall begegnen zu können.549 Daher ist entgegen der Ansicht Webers nicht davon auszugehen, dass die Volkseigenschaft alleine nicht ausreicht, sondern ein tatsächlich bereits „abgegrenztes“ Territorium vorliegen müsse, um die Ausubüng des Selbstbestimmungsrechts auch in Form einer Sezession durchzuführen.550 Andernfalls könnte ein Staat selbst die Schwelle zur gewaltsamen Unterdrückung gegenüber einem Volk im Staate unbeschadet überschreiten, solange dieses nicht seine Abspaltungsbestrebung auf bestimmte, existierende Grenzen beziehen kann.551 Er könnte gar durch eigene „passende“ Grenzziehung solche Bestrebungen zunichte machen.552 Vielmehr ist das uti possidetis-Prinzip im Sinne eines Stabilitätsfaktors zur Bestimmung von neuen Grenzen und damit einem Territorium des selbstbestimmungsberechtigten Volkes zunächst, aber nicht absolut heranzuziehen, wenn solche Grenzen existieren.553 Bei Fehlen solcher

___________ 548

Weber, „Uti possidetis iuris“, S. 178 hält das Prinzip für nicht mehr „als eine Methode zur Festlegung eines Grenzverlaufs“, die nur dann eine völkergewohnheitsrechtliche Norm sei, wenn – und dieser Fall interessiert hier – die Unabhängigkeit eines Volkes in Ausübung des Selbstbestimmungsrechts erlangt wird. Ähnlich Castellino, International law and self-determination, S. 123, außer für den Fall des Selbstbestimmungsrechts sei es „no more than a policy decision [...] a political doctrine that has been made a legal one and ascribed a legal valence“. Kritisch auch Ratner, in: International law and ethnic conflict, S. 112, 113 f. für die Anwendung in modernen, d.h. post-kolonialen Fällen. 549 Ebenso Moore, The ethics of nationalism, S. 192 f. 550 Vgl. Weber, „Uti possidetis iuris“, S. 163 f., 166 f.; wie hier dagegen Murswiek, AVR 1993, 307, 330 f. 551 Weber, „Uti possidetis iuris“, S. 168 f., löst dies damit, dass er ein solches Volk auf die Möglichkeit einer „neutralen Sezession“ infolge eines Aufstandes oder Befreiungskrieges verweist, da es dann auf das Effektivitätsprinzip ankomme und lediglich die Staatengemeinschaft nicht zugunsten des sezedierenden Volkes eingreifen dürfe. 552 Auf diese Gefahr hat Simmler, Das Uti-possidetis-Prinzip, S. 294, hingewiesen. Beispiele bei Weber, „Uti possidetis iuris“, S. 172 f., v.a. Fn. 101, 104. 553 Die Stabilitätsfunktion ist der Hauptgrund für die Verbreitung des Prinzips, da die Staatengemeinschaft „order over chaos“ als Wert bevorzuge und dies bereits in der UNCharta zum Ausdruck gebracht habe und es vor allem in der Dekolonisierung gefährdet sah, wenn die neu unabhängig gewordenen Staaten der Gefahr innerer und äußerer Konflikte vor ihrer Konsolidierung ausgesetzt würden, vgl. dazu Castellino, International law and self-determination, S. 116. Ähnlich, gestützt auf das uti possidetis-Prinzip, Simmler, 32 VRÜ [1999], 210, 235.

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Grenzen ist, gegebenenfalls durch die Staatengemeinschaft,554 ein solches Territorium in der Folge der Loslösung festzulegen und wenn möglich vertraglich mit dem Ursprungsstaat zu sichern.555 Dies ließe auch spätere Korrekturen noch zu. Die Situation bezüglich der West-Sahara zeigt, dass eine solche Situation zwar nicht günstig ist und durchaus zu andauernden Konflikten führen kann, dass aber nicht automatisch ein Bürgerkrieg größeren Ausmaßes aus der Offenheit der Situation erwachsen muss.556 Der Gehalt des uti possidetis-Prinzips liegt nach alledem in einer Kanalisierung von Unabhängigkeitsbestrebungen mit der – bei entsprechender Begründung widerlegbaren – Vermutung, dass existierende Grenzen weiterbestehen.557 Uti possidetis spielt demzufolge bei der Sezession als Korrektiv eine Rolle, dass es im Sinne einer praktischen Konkordanz558 dem Selbstbestimmungsrecht gegenüber dem (insgesamt unterliegenden) Recht auf territoriale Integrität des Staates eine Grenze auferlegt. Das uti possidetis-Prinzip ist dann sozusagen der „verlängerte Arm“ des Integritätsprinzips, das an dessen Stelle als neues Stabilitätskonzept tritt.559 Es beschränkt aber nicht die grundsätzliche Möglichkeit, dass ein selbstbestimmungsberechtigtes Volk zur Abwehr von seinen Bestand ___________ 554

Das uti possidetis-Prinzip ist in ähnlicher Weise unbeachtet geblieben bei der Festlegung der Grenzen von Honduras, als der IGH eine frühere Kompromissvereinbarung für weiter gültig erklärt hat, ICJ Rep. 1992, 351, 558 – Case Concerning the Land, Island and Maritime Frontier Dispute (El Salvador/Honduras; Nicaragua intervening). Auch heute muss sich der IGH noch immer zu zahlreichen Grenzdisputen äußern, vgl. z.B. vor einigen Jahren Entscheidung über Inseldisput zwischen Indonesien und Malaysia, Urt. v. 17.12.2002, dazu Meldung in NZZ Nr. 295 v. 19.12.2002, S. 2, so dass mit dem IGH eine mögliche Schlichterstelle vorliegt. 555 Ähnlich verhielt es sich z.B. mit den von der UN durch Sicherheitsrats-Resolution 688 eingerichteten Flugverbotszonen im Nordirak 1991, die der dort lebenden kurdischen Bevölkerung einen „safe haven“ bieten sollten. Außerhalb des Iraks gibt es für die kurdische Bevölkerung der Nachbarstaaten keine innerstaatlichen Grenzen und auch die durch die UN gezogene ist kein realistisches Abbild des Bevölkerungsgebietes, hier wären also z.B. Verhandlungen nötig, dazu Weber, „Uti possidetis iuris“, S. 164 Fn. 59. 556 Die Überbewertung territorialer Integrität birgt die Gefahr neuer Unruhen und sollte daher im Rahmen der Souveränitätsdebatte möglicherweise relativiert werden, so der Vorschlag u.a. von Castellino, International law and self-determination, S. 124 f. m.w.N. 557 Ebenso Castellino, International law and self-determination, S. 142. Ratner, in: International law and ethnic conflict, S. 112, 124 ff., der ebenfalls für eine genaue Untersuchung der vorhandenen Grenzen, aber auch die Möglichkeit zur Ziehung neuer Grenzen eintritt und dafür beachtenswerte Kriterien und Verfahren vorschlägt. 558 Dazu insbesondere Murswiek, AVR 1993, 307, 325 f.; Oeter, 52 ZaöRV [1992], 741, 748. 559 Weber, „Uti possidetis iuris“, S. 153, der auch das Prinzip territorialer Integrität als Stabilitätkonzept ansieht. Zurückhaltender bei der Annahme eines Zusammenhangs zwischen dem uti possidetis-Prinzip und dem Selbstbestimmungsrecht Simmler, 32 VRÜ [1999], 210, 233 ff.

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Kapitel 1: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker

gefährdenden Maßnahmen des Mutterstaates die Verwirklichung seines Rechts in der Sezession sucht. Die Voraussetzungen, die dafür notwendigerweise vorliegen müssen, werden nunmehr einer genaueren Betrachtung unterzogen. c) Sezession als ultima ratio: Selbstbestimmungsrecht als Notwehrrecht Der Zusammenhang zwischen offensivem und defensivem Selbstbestimmungsrecht kann erst im Anschluss an die Darstellung des inneren Selbstbestimmungsrechts erfolgen. Dennoch hat sich bereits aus Obigem gezeigt, dass eine Sezession nicht ohne Weiteres eine einem selbstbestimmungsberechtigten Volk zur Verfügung stehende Option ist, sondern erst unter bestimmten Voraussetzung ausnahmsweise verfolgt werden darf.560 Weitgehende Anerkennung in der Wissenschaft hat die Position gefunden, dass als Notwehrrecht zur Abwehr staatlicher Repressionsmaßnahmen, die nicht rückgängig zu machen wären, da sie das Volk auszulöschen drohen, eine Sezession legitim ist.561 Ein solcher Extremfall liegt naturgemäß nur selten vor, so dass ein abstrakter Kriterienkatalog zur Bestimmung einer solchen Situation schwierig zu füllen ist. Auch der Supreme Court of Canada stellte in seinem Gutachten zur Sezessionsmöglichkeit Quebecs fest, dass das externe Selbstbestimmungsrecht der Völker nur in „the most extreme of cases and, even then, under carefully defined circumstances“ anwendbar sein könne.562 Daher wird im Folgenden versucht, die notwendige Schwere der Repression konkret zu umschreiben. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass das Völkerrecht wie jedes andere Rechtsgebiet den „Grenz- oder Notstandsfall“ gerade nicht normieren kann, aber solche Ausnahmefälle ihre Evidenz in sich selbst tragen, also eine ___________ 560

Eide, in: Modern Law of Self-Determination, S. 139, 147, betont die Sezession als am Ende einer Stufenfolge stehend und das diese nur angestrebt werden könne, wenn anders eine „democratic governance by and for the people concerned“ praktisch unmöglich sei. 561 Vgl. nur z.B. Doehring, Völkerrecht, Rdnr. 799: „Notwehrrecht“; Thornberry, in: Modern Law of Self-Determination, S. 101, 118 m.w.N. in Fn. 50, der aber auch davon spricht, dass ein allgemeines Sezessionsrecht nicht anerkannt werden könne, da „international law is not a suicide club for States“. Auch Skeptiker bezüglich einer breiteren Anwendung des Selbstbestimmungsrechts sehen dies so, vgl. z.B. Schoder, Vom Minderheitenschutz zum Schutz verwundbarer Gruppen, S. 158 f., die aber davon ausgeht, dass die Anwendung für den Fall der Abwehr „despotischer Herrscher“ schon immer ein Rechtsgrundsatz des Völkerrechts gewesen sei, auf den sich auch Minderheiten berufen könnten. 562 Supreme Court of Canada, [1998] 2 S.C.R. 217 Rdnr. 123 f.

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Subsumtion im eben unwahrscheinlichen Fall, dass die Situation eintritt, unproblematisch ist.563 Auslösender Faktor für eine Sezession können nicht schon gewisse, noch zurückhaltende Formen der Unterdrückung sein, da die grundsätzliche Loyalitätspflicht der Staatsbürger ihrem Staatsverband gegenüber dann höherwertig ist. Erst bei einer massiven Beeinträchtigung der Rechte einer Gruppe erwacht das Recht zur Sezession, anders gesagt: das Loyalitätsprinzip zum Staat verliert seine Geltung jedenfalls dann, wenn „a State machinery turns itself into an apparatus of terror which persecutes specific groups of the population“564. Unzweifelhaft liegen solche Fälle vor, wenn der Tatbestand des Genozids entsprechend der Definition in Art. II der Völkermordkonvention erfüllt ist. Danach sind alle Maßnahmen unzulässig, die geeignet sind, die körperliche Zerstörung eines Volkes herbeizuführen. Neben der offensichtlichen gewaltsamen Bekämpfung der Volksangehörigen in Form der physischen Vernichtung gehört dazu also auch beispielsweise die kulturelle Zerstörung, weil das Volk danach als solches nicht mehr existiert, selbst wenn die einzelnen Angehörigen des Volkes noch leben. Damit darf die materielle Selbstbestimmung nicht dauerhaft ausgehöhlt werden, weil der Staat sonst den Schutz seiner territorialen Integrität zugunsten den Schutzbedürfnisses des Volkes auf Erhalt seiner Eigenidentität verliert.565 Die bloße Missachtung der Sonderinteressen eines Volkes dagegen ist nicht ausreichend, wobei die Grenzen zur Unterdrückung fließend sind. Wenn ein Volk dauerhaft und vollständig von der politischen Teilnahme ausgeschlossen ist, dann kann dies zu einem Recht auf Sezession führen.566 Ähnliches gilt für dauerhafte und schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch den Heimatstaat gegenüber Angehörigen des entsprechenden ethnischen Volkes, das zur Sicherstellung eines Grundstandards von Menschenrechten auch die Separation erlaubt, wenn diese innerhalb des Staatensystems nicht mehr gewährleistet werden können.567 Dazu ist vorher die erfolglose Erschöpfung aller inner___________ 563 Am Beispiel der humanitären Intervention und der Anwendung in solchen Grenzfällen Bryde, in: Aktuelle Probleme des Menschenrechtsschutzes, S. 165, 186. 564 Tomuschat, Modern Law of Self-Determination, S. 9; ebenso Doehring, Völkerrecht, Rdnr. 795 ff. 565 Simon, Autonomie im Völkerrecht, S. 69. 566 Supreme Court of Canada, [1998] 2 S.C.R. 217 Rdnr. 132 ff. So auch Hilpold, 53 ZÖR [1998], 263, 287, der zunächst der Annahme eines Notwehrrechts skeptisch gegenüber steht, dann aber doch bereits in der systematischen Unterdrückung einer Gruppe und der gleichzeitigen Zurückweisung jeglicher Autonomie oder Minderheitenrechte durch die Zentralregierung Auslösefaktoren für eine Sezession sieht und sie auch im Fall Ost-Timors bejaht. 567 Thürer, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 34, 48; Tesón, in: International law and ethnic conflict, S. 86, 99, der deshalb das Sezessionsrecht auch als Derivat

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staatlichen und internationalen Mechanismen gegen die Menschenrechtsverletzungen Voraussetzung.568 Kriterien für die Feststellung eines relevanten extremen Ausnahmefalls hat beispielsweise Doehring aufgestellt. Danach kann ein militanter Befreiungskampf dann gerechtfertigt sein, wenn die Religionsfreiheit der Minderheit nicht nur nicht zugelassen, sondern brutal unterdrückt wird, Heirats- oder Umgangsverbote durchgesetzt werden, der Eigentumsschutz aufgehoben und materielle Existenznot ausgelöst wird, Beeinträchtigungen von Leib und Leben z.B. durch Folterungen oder willkürlich verhängte Todesstrafen, oder Zwangsarbeit und ähnliches eingeführt werden.569 Insoweit kann der Prozess, der zur Abspaltung und Unabhängigwerdung Eritreas von Äthiopien im Jahre 1992 geführt hat und bis in die Anfänge des Mandatssystems unter der UN-Charta zurückgeht, als Modellfall herangezogen werden.570 Ein zunächst föderales Staatswesen wurde aufgesetzt, in dem die eritreische Bevölkerung eine Minderheit darstellte, aber eine getrennte Verfassung und Repräsentation hatte. Der äthiopische Diktator Selassie höhlte diese Rechte immer weiter aus und verbot nacheinander eritreische Zeitungen, Parteien, schließlich die Sprache, Verfassung und Flagge. In der Folge brach ein Bürgerkrieg aus, der auch nach dem Tod Selassies bis 1990 fortdauerte. Unter UN-Vermittlung wurde ein Plebiszit durchgeführt, das eine überwältigende Mehrheit zugunsten einer Unabhängigkeit Eritreas erbrachte und 1992 zur Staatsgründung führte. Damit hatte sich die „Minderheit“, die ein Volk darstellte, gegen die zunehmende Marginalisierung und Gefahr einer Auslöschung kriegerisch gewehrt, aber letztlich im Rahmen der Friedensverhandlungen die Sezession erreicht. Wenn also die grundlegendsten Rechte der Gruppenangehörigen in grober und brutaler Weise verletzt werden, die betroffene „Minderheit“ im Staat auf einem gemeinsamen Territorium lebt und die übrigen Volkseigenschaften erfüllt sind, dann kann das Selbstbestimmungsrecht von dieser auch in Form ei-

___________ des „right not to suffer injustice“ betrachtet. Diese Begründung für eine Sezession hatte bereits die Berichterstatterkommission im Zusammenhang mit dem Åland-Insel-Streit herausgearbeitet, vgl. dazu Drew, 12 EJIL [2001], 651, 657 Fn. 32. 568 Schoder, Vom Minderheitenschutz zum Schutz verwundbarer Gruppen, S. 159; Doehring, Völkerrecht, Rdnr. 794. 569 Zum Ganzen Doehring, Völkerrecht, Rdnr. 796, wonach die Diskriminierung ein Ausmaß erreicht haben müsse, das es „schlechthin unzumutbar erscheinen läßt, es hinzunehmen“. 570 Vgl. dazu im Überblick m.w.N. Castellino, International law and selfdetermination, S. 70 f.

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ner Sezession wahrgenommen werden.571 Dies gibt zwar keinen Legitimationstitel für einen gewaltsamen „Befreiungskampf“, unter Umständen kann aber eine Gewaltanwendung in diesem Zusammenhang ex post nicht mehr als völkerrechtswidrig zu qualifizieren sein.572 Auch darf kein anderer Staat dem Mutterstaat auf die Einladung zu einer militärischen Intervention dagegen oder einem Beistandsgesuch positiv antworten.573 Wenngleich die theoretischen Anwendungsfälle selten sind, weil diese Art der „inneren/internen Kolonisierung“ eines Volkes in der heutigen Welt zumindest eher Ausnahmefälle darstellen: bezogen auf tatsächliche Völker ist vor dem Recht zur Sezession allgemein anerkannt, dass Maßnahmen kollektiver Natur durch den Mutterstaat zu ergreifen sind, um das Volk zu schützen. Damit wird insbesondere auf Autonomien und getrennte Repräsentation, aber auch Landrechte in gewissen Fällen abgestellt.574 Wenn diese beharrlich verweigert werden und ein Überleben des Volkes als solches anders nicht möglich ist, kann unterhalb der gewaltsamen Repression bereits ein auf eine Abtrennung zielendes Recht „heranwachsen“. Ob dieses zur vollen Blüte gelangt, hängt nicht zuletzt davon ab, mit welchen Methoden der Heimatstaat die Bestrebungen des Volkes nach Eigenständigkeit bekämpft und wie dieses seine Ideen zu verwirklichen sucht. In den meisten Fällen werden – wenngleich oft in völlig unzureichendem Maße – zumindest Zugeständnisse durch den Mutterstaat erfolgen, weshalb die Aufmerksamkeit nun auf diese internen Verwirklichungsformen des Selbstbestimmungsrechts gelenkt werden soll. Wenn der Staat zu ___________ 571 Sinngemäß Thürer, AVR 1984, 113, 127; Klein, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 62. Buchanan, in: The Rights of Minority Cultures, S. 350, 366 f., konstruiert einen Fall, bei dem die Bedrohung von anderen Staaten ausgeht, aber der Heimatstaat keinen Schutz dagegen gewährt und daher die Abtrennung eines Territoriums als Zufluchtsort für Angehörige der Volksgruppe berechtigt sein kann. Vgl. aus jüngerer Zeit mit Kriterien für das Vorliegen der ultima ratio in Anwendung auf den Konflikt in Georgien Höffe, NZZ Nr. 201 v. 29.08.2008, S. 25. 572 Brownlie, Public International Law, S. 601 f.; stärker dagegen noch Thürer, AVR 1984, 113, 130; aus Sicht der Staatengemeinschaft handle es sich um eine Internationalisierung des Konflikts, so dass dieser eben kein Gegenstand der domestic jurisdiction mehr bleibt, so Klein, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 49. Salmon, VN 1993, 10, 11 streicht heraus, dass das Völkerrecht die Rechtmäßigkeit staateninterner Auflehnungen auch mit Gewaltanwendung früher nicht thematisiert hat und damit aus dieser Sicht weder eine Erlaubnis, noch ein Verbot, eher ein „rechtsfreier Raum“ zu konstatieren war. 573 Thürer, AVR 1984, 113, 131 f.; Klein, in: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die deutsche Frage, S. 107, 109. Zwar selbst kritisch konstatiert Herdegen, Völkerrecht, § 34 Rdnr. 8 dagegen, dass überwiegend noch die Einladung zur Intervention gegen die Befreiungsbewegung als zulässig erachtet werde, besonders problematisch aber diejenigen Fälle seien, in denen die hilfeersuchende Staatsgewalt ohnehin kaum mehr effektive Kontrolle ausübe. 574 Crawford, in: Peoples’ Rights, S. 7, 65.

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einer solchen gar nicht bereit ist, wird er im Zweifelsfall auch die Selbstbestimmungsbestrebung gewaltsam unterdrücken, was wiederum die Wahrscheinlichkeit einer berechtigten Sezession erhöht. 3. Defensives Selbstbestimmungsrecht der Völker a) Inhalte und Konzeptionen Als Kehrseite oder auch nur als Vorstufe wird im Zusammenhang mit dem Selbstbestimmungsrecht immer auch über Ausgestaltungen diskutiert, die keine grenzverändernden Auswirkungen auf das betroffene Staatsgebiet haben. Obgleich auch hier keine begriffliche Übereinstimmung besteht, drückt die „defensive“ Variante des Selbstbestimmungsrechts eben diese Zurückhaltung gegenüber dem bestehenden Staatsgebilde bzw. die Respektierung dieses aus.575 Als Oberbegriff findet sich daher auch das „innere Selbstbestimmungsrecht“,576 da diese Konzeption sich territorial nur nach innen, innerhalb des bestehenden politischen Gebildes auswirkt. Mit dem defensiven Selbstbestimmungsrecht der Völker werden politische Beteiligungsmodelle für bestimmte Personengruppen einschließlich und vor allem der gesamten Staatsbevölkerung gesucht, die unterhalb einer Loslösung aus dem Staat liegen. In der Sicherung der eigenbestimmten Vertretung des Volkes steckt die Idee demokratischer Mitbestimmung, weshalb Demokratie als Staatsform bei dieser Ausgestaltung des Selbstbestimmungsrechts mitbedacht werden muss.577 Die einzelnen möglichen konkreten Modelle zur Verwirklichung defensiver Selbstbestimmung für Bevölkerungsteile bzw. Gruppen von Staatsbürgern werden unter den Konzepten der Autonomie und des föderalen Staatsaufbaus in Kap. 1 C. III. 3. b) bzw. c) analysiert. Das defensive Selbstbestimmungsrecht berührt also nicht den territorialen Status quo, sondern entfaltet nur innerstaatliche Wirkung. Wenn die offensive Variante im Gegensatz hierzu die Durchsetzung der politischen Unabhängigkeit einer Gruppe und damit im Extremfall die Loslösung aus dem bestehenden Staatsgebilde zum Ziel hat, dann dient die defensive der „Aufrechterhaltung und Sicherung ihrer vollen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Souveränität“578. Anders ausgedrückt, steht hierbei die freie Wahl des politischen und wirtschaftlichen Systems ohne Einflussnahme durch eine dritte Sei___________ 575

Ausführlich zu diesem Aspekt Kap. 1 C. IV. 5. Diese Begrifflichkeit bei Ermacora, AVR 2000, 285 ff. 577 Vgl. dazu allg. Foster, 12 EJIL [2001], 141, 151 ff., die dies insbesondere auf indigene Völker bezieht. 578 Gros Espiell, VN 1982, 54, 55. 576

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te579 im Vordergrund. Daher stimmt üblicherweise beim defensiven Selbstbestimmungsrecht das Volk im Sinne des Trägers des Rechts mit dem Staatsvolk überein, es umschreibt also die Souveränität dieses Staatsvolkes.580 Vereinzelt wird daraus ein Prinzip der Volkssouveränität als einzig mögliche konkrete Folge aus dem inneren Selbstbestimmungsrecht der Völker abgeleitet.581 Ob ein solches Demokratiegebot direkt aus dem heute existierenden Verständnis von Selbstbestimmung gefolgert werden kann, ist noch zweifelhaft.582 Eine Forderung nach Ausübung der Staatsgewalt „im Interesse des Volkes“ kann aber über die entsprechende Passage in der Friendly Relations-Deklaration wohl nachgewiesen werden, wonach die Bevölkerung in der Regierung repräsentiert sein muss.583 Andererseits ist eine solche Forderung nur schwer mit materiellem Inhalt zu füllen. Über die Anwendung auf das Staatsvolk hinaus, kann das defensive Selbstbestimmungsrecht jedoch auch im hier interessierenden Fall einer ethnischen Gruppe bzw. Minderheit Anwendung finden, wenn mit der obigen Darstellung diese Gruppen als potentielle Träger des Selbstbestimmungsrechts der Völker gewertet werden. Ein so verstandenes defensives Recht ist dem Inhalt nach ein Recht auf Respektierung der spezifischen Gruppeneigenarten und ein Anspruch darauf, die Möglichkeit zu erhalten, diese Eigenarten zu bewahren und pflegen.584 Damit vermittelt das Selbstbestimmungsrecht unterhalb der Schwelle ___________ 579 Zur Logik der sog. Breshnew-Doktrin, wonach Staaten des Warschauer Pakts nach erfolgter Eingliederung in das Bündnis das Recht auf die unabhängige Bestimmung im Sinne einer Wieder-Loslösung aus dem Verbund verloren hatten, wie sich an den Beispielen der Reaktion auf den Aufstand in Ungarn 1956 oder den „Prager Frühling“ zeigen lässt; dazu Doehring, in: Charta der Vereinten Nationen, nach Art. 1 Rdnr. 33. 580 Klein, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 45. 581 Dazu näher in diesem Abschnitt unter d); vgl. hierzu schon Thürer, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 34, 45 f., wonach es sich dann lediglich um eine Verstärkung des Prinzips der Souveränität und Gleichheit der Staaten handle, welches wiederum so verstanden werden könne, dass nur diejenige Souveränität legitim erscheint, die auf der Volkssouveränität beruht, was den Gedanken der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung mit dem „consent of the governed“ wiederaufgreife. 582 Dafür Franck, in: Peoples and Minorities in International Law, S. 3, 20; zuvor bereits Franck, 86 AJIL [1992], 46, 57 ff. 583 So Thürer, AVR 1984, 113, 127. Dass diese Formulierung nicht viel mehr als ein Lippenbekenntnis ist, zeigt sich allein an den Staaten mit unterdrückerischen Systemen, die schon von Verfassungs wegen vermeintlich zum Wohl ihrer Bürger handeln. Andererseits sieht auch Foster, 12 EJIL [2001], 141, 151 hier die entscheidende Weiterentwicklung des Selbstbestimmungsrechts hin zum engen Zusammenhang mit dem Erfordernis eines „representative government“. 584 In diesem Sinne beispielsweise Doehring, in: Charta der Vereinten Nationen, nach Art. 1 Rdnr. 32; ähnlich Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 513, S. 320, die allen Volksgruppen ein Recht auf „Entwicklung ohne Diskriminierung im Rahmen eines Staates“ geben.

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der Sezession umfangreiche Rechte für Angehörige von ethnischen Gruppen.585 Insbesondere ist in der Gewährung von substantieller Autonomie eine Erfüllung dieses Postulats zu sehen, weshalb diese Möglichkeit genauer zu beleuchten ist. Dabei stellt sich wiederum die Frage nach der Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen grundsätzlicher Loyalität des Staatsbürgers zu seinem Staat und seiner etwaigen Forderung nach umfangreicher Autonomie.586 Weil es bei der internen Variante des Selbstbestimmungsrechts auch um politische Beteiligung und bezogen auf Gruppen innerhalb eines Staates damit auch um Repräsentation von Minderheiten geht, wird häufig ein Bezug zum Minderheitenschutzartikel des Menschenrechtspaktes hergestellt. Dabei wird jedoch bemängelt, dass dieser Art. 27 IPbpR im Wesentlichen lediglich die Geltung der politischen Beteiligungsrechte (z.B. aus Art. 25 IPbpR) auch auf Angehörige von Minderheiten ausdehne, dass sich diese Geltung jedoch schon aus dem Diskriminierungsverbot ergebe, wonach alle Staatsangehörigen die gleichen Beteiligungsrechte haben.587 Außerdem berge Art. 27 IPbpR die Gefahr, dass Staaten ihren Verpflichtungen aus Art. 1 IPbpR ausweichen könnten, indem sie die interne Komponente des Selbstbestimmungsrechts überbetonen.588 Jedoch habe die Entwicklung um den Art. 27 und die mit vielen Parallelen geführte Diskussion um die Stärkung der Rechte indigener Völker insgesamt zu einer Festigung des internen Gehaltes des Selbstbestimmungsrechts geführt.589 Nach Ermacora hat das innere Selbstbestimmungsrecht jedoch nur dann eine eigenständige Bedeutung, wenn es eine territoriale Komponente enthält und damit Elemente eines Bundesstaats aufweist; nur in solchen Fällen könne zur Ausgestaltung des Rechts an Autonomiemodelle angeknüpft werden.590 ___________ 585

So Nowak, CCPR Commentary, Art. 1 Rdnr. 34: „broad autonomy“ oder „participation in [...] political decision-making process“. 586 Zu diesem Themenkomplex gehört auch die Frage eines föderalen Selbstbestimmungsrechts – entsprechend den Siedlungsgebieten seiner Völker und Volksgruppen, vgl. dazu z.B. Kimminich, in: Modern Law of Self-Determination, S. 83 ff. und unten in diesem Abschnitt unter c). 587 Crawford, in: Peoples’ Rights, S. 7, 23 f. Auch Schoder, Vom Minderheitenschutz zum Schutz verwundbarer Gruppen, S. 50 f., ist der Ansicht, dass sowohl das Gleichbehandlungsgebot als auch das Diskriminierungsverbot, die heute beide viel Beachtung finden, die kollektiven Aspekte von Rechten gestärkt haben, aber im Grunde genommen zum Schutze von Minderheiten genügten. Zur Geltung des Diskriminierungsverbotes als ius cogens zumindest im Hinblick auf „Rassendiskriminierung“, wie es in der entsprechenden Konvention noch heißt, Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 277 ff., v.a. 282. 588 Wright, 19 Oxford Journal of Legal Studies [1999], 605, 610. 589 Crawford, in: Peoples’ Rights, S. 7, 25. 590 Ermacora, AVR 2000, 285, 297.

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b) Das Konzept der Autonomie Die eben beschriebene Form des internen Selbstbestimmungsrechts wird häufig gleichgesetzt mit einem Konzept der Autonomie.591 So dient nach Heintze die Einführung von Autonomie zugleich der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts, dem Schutz von Minderheiten und der Durchsetzung von Menschenrechten.592 Vor einer solchen Gleichsetzung soll im Rahmen dieser Arbeit untersucht werden, ob Autonomie als Rechtsbegriff eine eigenständige Bedeutung hat und wie sich diese in die Struktur des Selbstbestimmungsrechts einpasst. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gebrauch des Autonomiebegriffs ähnlichen Vorbehalten begegnet wie der des Selbstbestimmungsrechts, weil damit Befürchtungen einer aufsteigenden Spirale von kultureller zu verwaltungsbezogener territorialer Autonomie und schließlich Abkoppelung vom Trägerstaat des Territoriums in Form einer Sezession einhergehen.593 aa) Autonomie als moderner Rechtsbegriff Das Konzept der Autonomie entstammt dem öffentlichen Recht und bezieht sich meist auf die eigenständige Satzungsgewalt als Ausdruck einer gewissen Unabhängigkeit von der nächsthöheren staatlichen Ebene. Im Völkerrecht wird damit zuvörderst die Autonomie zum Erlass einer Verfassung als wesentliche Voraussetzung der Staatsqualität bezeichnet.594 Darüber hinaus wird darunter überwiegend die Gewährung bestimmter Rechte an einen Teil des Staatsvolkes in Form einer inneren Selbstverwaltung einer Region darunter verstanden, die einer teilweisen Unabhängigkeit vom Einfluss der nationalen Regierung entspricht.595 Das Maß der Automie wird dabei bestimmt durch den Umfang der rechtlichen Gewährung dieser Unabhängigkeit.596 Es gibt aber kein einheitliches Modell, das einer völkerrechtlichen Autonomiekonzeption entspräche. ___________ 591 Hannikainen, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 79: semantisch lägen die Begriffe nah beieinander, in der juristischen Terminologie seien sie allgemein als synonym gehandhabt worden. 592 Heintze, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 61, 74. 593 Vgl. dazu Heintze, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 61, 77. Wright, 19 Oxford Journal of Legal Studies [1999], 605, spricht auf S. 606 von: „thorniest issue in this field“, auf S. 607 von „inflammatory“ und gibt Belege zur „Angstspirale“. Ghai, in: Autonomy and ethnicity, S. 1, spricht von Autonomie als „one of the most sought after, and resisted, devices for conflict management“, sie sei gar, S. 2, „the metaphor of our times“. 594 Epping, in: Völkerrecht, § 5 Rdnr. 6 (Verfassungsautonomie = innere Souveränität). 595 Heintze, in: Völkerrecht, § 30 Rdnr. 16. 596 Hannum/Lillich, AJIL 74 [1980], 858, 860.

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Vielmehr ist kennzeichnendes Merkmal, dass Autonomieformen immer Einzelfallregelungen sind. Inhalt und Ausmaß der Autonomie, also der Eigenverantwortlichkeit für bestimmte Bereiche, richtet sich nach den konkreten Vereinbarungen zwischen autonomiegewährender und -empfangender Partei oder auch der verfassungsrechtlichen Verankerung. Es gibt keinen Faktor, der als Mindestgröße für das Vorliegen einer „Autonomie“ erreicht sein muss.597 Insoweit ist Autonomie ein Sammelbegriff für vielfältige Erscheinungen, die in unterschiedlichem Ausmaß und an unterschiedliche Eigenschaften anknüpfend Eigenverantwortung zugestehen.598 Teilweise wird bezweifelt, dass der Autonomiebegriff im Zusammenhang mit der (inneren) Selbstbestimmung einschlägig sei, weil letztere Kategorie keinen eigenständigen Inhalt habe, der sie vom herkömmlichen, auf Minderheitenschutz bezogenen Autonomieverständnis bzw. dem allgemeinen Selbstbestimmungsrecht unterscheide.599 Lediglich die territorial gestützte Autonomie – dazu sogleich unter bb) (3) – habe Anknüpfungspunkte mit dem Selbstbestimmungsrecht, weil damit die Neuordnung der Staatsstruktur einhergehe.600 Weitergehend wird auch bezweifelt, dass Autonomie mangels eines ausreichend bestimmten Inhalts überhaupt ein völkerrechtliches Prinzip sei.601 Zwar ist zuzugestehen, dass wegen der Ausgestaltungsbedürftigkeit kein generelles Anerkenntnis einer bestimmten „Autonomie“ in der Staatengemeinschaft vorliegt. Jedoch macht die regelmäßige Bezugnahme auf Autonomieregelungen in völkerrechtlichen Dokumenten der letzten Jahre deutlich, dass mit diesem Sammelbegriff zumindest eine grundsätzlich übereinstimmende Vorstellung verbunden ist.602 Es handelt sich also um einen relativen Begriff zur Zustandsbeschreibung einer bestimmten Menge an Unabhängigkeit. Autonomie als unbestimmter Rechtsbegriff, der im konkreten Falle der Ausfüllung bedarf, wird nach dem heute überwiegenden Verständnis im Zusammenhang mit dem Schutz von Gruppen gebraucht, weshalb er sich eng an Minderheiten- und Selbstbestimmungsrechte anlehnt. Dass Autonomiebestrebungen ___________ 597

Hannum/Lillich, AJIL 74 [1980], 858, 885. So auch Ghai, in: Autonomy and ethnicity, S. 1, 8 f. („generic term“), mit einem Überblick ähnlicher Begriffe. 599 Ermacora, AVR 2000, 285, 290 f., 296 f. 600 Ermacora, AVR 2000, 285, 297. 601 Heintze, Selbstbestimmungsrecht und Minderheitenrechte, S. 117. Darauf deutet auch die fehlende Aufnahme des Begriffs „Autonomy“ und nur die Nennung der „Autonomous Territories“ im EPIL hin, wie er auf S. 115 ausführt. 602 Vgl. z.B. die Empfehlung Nr. 1201 der Parlamentarischen Versammlung des Europarates von 1993, deren Art. 11 vorsieht, dass nationale Minderheiten in den von ihnen mehrheitlich besiedelten Territorien autonome Verwaltungseinheiten sind und einen speziellen Status genießen sollen. 598

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von solchen Bevölkerungsgruppen jeweils umstritten sind und ein allgemeiner Anspruch auf Autonomie schon wegen der Problematik des auch hier zu bestimmenden Trägers kaum formulierbar ist, ändert nichts am Wert des Begriffs als Konzept.603 Dieses fasst unterschiedliche Formen von Selbstverwaltung bzw. -regierung oder mindestens Rechte zu kultureller Absonderung von der zahlenmäßig vorherrschenden Bevölkerungsgruppe zusammen. Die konkrete Ausformung der Automie liegt in den Händen der jeweiligen Partner, die heute üblicherweise bei der Konsensfindung tatkräftig unterstützt oder durch internationale Organisationen sogar dazu gedrängt werden.604 Gemeinsam ist den vorhandenen Autonomien, dass sie der Konfliktvermeidung oder -beilegung zwischen einer dominanten und einer minoritären Gruppe dienen und zugleich eine Abwendung der autonomieberechtigten Gruppe vom Gesamtstaat auf jeden Fall verhindern wollen.605 Obwohl also auch Befugnisse zum Erlass von Rechtsnormen im Rahmen der Selbstverwaltung dazu gehören können, erlangt das entsprechende Gebiet keine – jedenfalls keine uneingeschränkte – Staatsqualität. Dies zeigt sich nicht zuletzt an einem der Charakteristika von Autonomie, dass bestimmte Bereiche von der Selbstverwaltung ausgenommen bleiben: typischerweise handelt es sich mindestens um die internationalen Angelegenheiten, aber auch übergreifende Regelungsmaterien, wie z.B. die Währung.606 Obwohl also Autonomie völkerrechtlich als Begriff existent ist und als Möglichkeit zur Regelung von Minderheitenfragen anerkannt wird, ist schon im Kopenhagener Dokument der KSZE vom 29.6.1990607, in dessen Absatz 35 die Einrichtung „lokale[r] oder autonome[r] Verwaltungen“ als Weg zur Erreichung von Minderheitenschutz aufgezählt wird, nur von Autonomie als einer Möglichkeit, nicht jedoch einem Rechtsanspruch, die Rede.608 Einen allgemeinen völkerrechtlichen Anspruch wird man auch heute noch ablehnen müssen.609 Wird Autonomie dagegen verfassungsrechtlich gewährt, wie z.B. in der neuen Verfassung der Russischen Föderation von 1993610, besteht auch ein innerstaat___________ 603

Bereits 1980 Hannum/Lillich, AJIL 74 [1980], 858, 889: „[...] useful, if imprecise, concept within which flexible and unique political structures may be developed to respond to that complexity“. 604 Hier können wiederum die Ereignisse um den Kosovo als Beispiel angeführt werden, vgl. z.B. Meldung in NZZ Nr. 23 v. 29.01.2003, S. 5. 605 So Heintze, Selbstbestimmungsrecht und Minderheitenrechte, S. 114 m.w.N. 606 Heintze, Autonomie und Völkerrecht, S. 8 m.w.N.; Hannum/Lillich, AJIL 74 [1980], 858, 860, die aber auch in den Fallstudien zeigen, dass in manchen Fällen eine gewisse Autonomie in internationalen Beziehungen besteht. 607 Abgedr. in EuGRZ 1990, 239 ff. 608 Dazu Thornberry, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 97, 111 f. 609 So auch Hannikainen, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 79, 87. 610 Abgedr. in EuGRZ 1994, 519; vgl. Art. 65.

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licher Anspruch auf Beachtung. Einer der Gründe für den fehlenden „strong status“ von Autonomie im Völkerrecht liegt darin, dass es um die Aufteilung von Jurisdiktionshoheit innerhalb eines Staates geht und solche im weitesten Sinne verfassungsrechtliche Fragen in die „core of the domestic jurisdiction“, also die klassische domaine réservé hineinreichen.611 bb) Herleitung und konkrete Inhalte (1) Historische Herleitung Autonomieformen, die eine eingeschränkte Unabhängigkeit bzw. Selbstregierung von Territorien gegenüber einem beherrschenden Staat beschreiben, gab es schon früh.612 Die jüngsten Umsetzungen von Autonomielösungen sind sowohl in Konfliktregionen wie dem Kosovo als auch in Folge politischer Umorganisation wie der sog. „devolution“ in Großbritannien, die den Einfluss von Schottland und Wales im Staatsgefüge erheblich aufgewertet hat, zu beobachten. Da jedoch, wie beschrieben, unter Autonomie eine Vielfalt von Erscheinungsformen subsumiert werden kann, ist der Blick in die weiter zurückliegende Geschichte kaum förderlich. Explizit wird soweit ersichtlich auf Autonomie erstmals im oben erwähnten Kopenhagener Dokument der KSZE von 1990 Bezug genommen. Auf die entsprechende Formulierung wurde seither immer wieder als Referenzpunkt verwiesen,613 obwohl es sich wie bei der Schlussakte von Helsinki um ein rechtlich nicht verbindliches Dokument handelt.614 Insoweit kann die hier interessierende Entwicklung der Autonomie auf die Zeit seither und die folgenden Ereignissen in Europarat und UN gestützt werden. (2) Gruppen als Träger Träger des Autonomierechtes sind immer Gruppen.615 Es stellt sich daher auch in diesem Zusammenhang die Frage nach der Autonomieberechtigung ___________ 611

Vgl. dazu Hannikainen, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 79, 86 f., von dem auch die Zitate stammen. 612 Vgl. dazu nur Wright, 19 Oxford Journal of Legal Studies [1999], 605, 606. 613 So ist es in Nachbarschaftsverträge, z.B. zwischen der Slowakischen Republik und Ungarn, einbezogen worden. Dazu Wright, 19 Oxford Journal of Legal Studies [1999], 605, 615. 614 Thornberry, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 97, 111 und oben Kap. 1 A. VI. 4. 615 Myntti, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 277, 278, präzisiert daher zu Recht, dass nie z.B. die Provinz von Bozen, sondern immer die Einwohner der Provinz von Bozen autonomen Status haben.

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bestimmter Personenmehrheiten. Insoweit kann aber auf die obige Analyse von Gruppen als möglichen Rechtsträgern verwiesen werden (Kap. 1 C. II. 4.), da es hier allein um die Autonomie als mögliche Ausdrucksform einer Selbstbestimmung durch ein entsprechend berechtigtes Volk geht. Bedeutsam ist hingegen wiederum die Frage nach dem Vertretungsorgan dieser Gruppe, da nur mit einer solchen Vertretung die Verhandlung und Unterzeichnung eines Autonomiestatuts möglich ist. Dies zeigt sich z.B. in der noch immer andauernden Konfliktsituation zwischen dem israelischen und palästinensischen Volk, die erst in – bislang jedoch nicht mit wirklichem Erfolg geführte – geregelte Verhandlungsbahnen geführt werden konnte, als die PLO und die Autonomiebehörde als von der (palästinensischen) Bevölkerung weitgehend anerkannte Vertretung operierte und von der Gegenseite als solche akzeptiert wurde.616 Eine partnerschaftliche Erarbeitung einer Autonomieregelung ist überflüssig, wenn sich der Autonomieanspruch bereits aus einem staats- oder völkerrechtlichen Dokument ergibt, das diesen einer bestimmten Bevölkerungsgruppe qua Existenz gewährt. Dabei profitieren dann zwar die Individuen von den Früchten der autonomen Organe, die sich durch ihre Arbeit, z.B. durch entsprechende Erziehungsmaßnahmen im Blick auf die Sprache, um die Förderung der Minderheitenkultur kümmern, sie betrachten diese Organe aber nicht als Ausdruck individueller, sondern einer Gruppenrepräsentation.617 Den so autonomieberechtigten Gruppen werden die Sonderrechte üblicherweise auf die folgenden zwei Arten gewährt. (3) Territoriale Autonomie Bei der territorial bezogenen Autonomie wird einem bestimmten Gebiet ein Sonderstatus zugewiesen. Das erfordert naturgemäß eine gewisse geographische Bestimmbarkeit und vor allem muss dieses Gebiet mit der entsprechenden „gesonderten“ Bevölkerungsgruppe korrelieren. „Kleinere“ Einheiten (subentities) in einem Staat sind üblicherweise die Gemeinden, die jedoch gerade keinen Autonomiestatus besitzen, sondern lediglich für den Gesamtstaat die behördliche Verwaltung im lokalen Rahmen durchführen. Die deutschen Bundesländer wären mit ihren teilweise weitgehenden Kompetenzen grundsätzlich ein gutes Beispiel für autonome Einheiten. Jedoch ist allgemein keine landsmannschaftliche Verbundenheit dergestalt gegeben, dass die Aufteilung der Bundesländer danach vorgenommen worden wäre. Zudem sind die Bundesländer die Ausgestaltung eines föderalen Staatssystems, gehen damit also über den ___________ 616 617

Heintze, Autonomie und Völkerrecht, S. 13. Wright, 19 Oxford Journal of Legal Studies [1999], 605, 607.

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Status von Autonomiegebieten hinaus und haben nach überwiegender Ansicht durch ihre Verfassungen auch Staatsqualität.618 Bei einer rein territorialen Autonomie erstreckt sich die Autonomieregelung auf die gesamte – aber auch nur diese – Bevölkerung des Autonomiegebietes und nicht nur auf die Mitglieder der Bevölkerungsgruppe, die zunächst Anlass für die Schaffung einer Automieregelung war.619 Ziel ist die Einbindung dieser Bevölkerungsgruppe, die ansonsten wegen ihrer Homogenität ein Abspaltungsbedürfnis entwickeln könnte. Hannum und Lillich haben früh die typischen Merkmale einer von ihnen so genannten „full autonomy“ aufgezeigt, die dann nur territorial verwirklicht werden kann. Als Begleitmerkmale sehen sie einen „locally elected body with some independent legislative power, locally chosen chief executive, independent local judiciary“, andererseits könnten auch bestimmte Bereiche ganz oder z.T. aus den Autonomiekompetenzen ausgeschlossen oder zum Gegenstand von „power-sharing“ gemacht werden.620 Auch andere Autoren sehen eine eigene Exekutivgewalt und eine gewählte Volksvertretung, die aber nicht einem Parlament entsprechen müsse, als normalen Ausdruck territorialer Autonomie.621 Da Polizeigewalt als typisches Merkmal exekutiver Macht zu betrachten ist, werden meist lokale Polizeikräfte zur Aufrechterhaltung der auf dieses Gebiet bezogenen internen Sicherheit und öffentlichen Ordnung aufgestellt.622 Territorial bezogene Autonomie ist mit den beschriebenen Merkmalen die sich praktisch anbietende interne Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts eines Volkes.623 Da jedoch die territoriale Gestaltung von Autonomierechten von gewissen demographischen Vorbedingungen abhängt, kann sie in manchen Fällen nicht umgesetzt werden.624 In solchen Fällen bietet sich die Alternative der personal gestützten Autonomie an. (4) Personale Autonomie Bei der personalen Autonomie wird das Personalitätsprinzip berührt. So wie alle Staatsangehörigen eine Bindung an ihren Staat haben, erstreckt sich die Autonomieregelung auf alle Angehörigen einer z.B. ethnisch bestimmten ___________ 618 Vgl. dazu nur Maunz, Staatlichkeit und Verfassungshoheit der Länder, in: HdBStR IV, § 94 Rdnr. 2 ff. 619 Heintze, in: Völkerrecht, § 30 Rdnr. 18. 620 Hannum/Lillich, AJIL 74 [1980], 858, 886 f. 621 Zu den typischen Begleiterscheinungen von Autonomie Hannum/Lillich, AJIL 74 [1980], 858, 861 ff. 622 Heintze, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 7, 8. So gibt es z.B. auf den indianischen Reservaten in den USA eine „tribal police“. 623 Brownlie, in: The Rights of Peoples, S. 1, 6. 624 Vgl. Wright, 19 Oxford Journal of Legal Studies [1999], 605, 614.

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Gruppe unabhängig von deren Siedlungs- bzw. Wohnort im Staat. Die Angehörigen dieser Gruppe besitzen ein Individualrecht, in bestimmter Form privilegiert zu werden. In dieser Hinsicht sind sie dann also nicht ein allgemeiner Staatsbürger, sondern ein (autonomieberechtigtes) Gruppenmitglied. In einer solchen vermeintlichen Besserstellung eine unzulässige Diskriminierung zu sehen, würde ein Grundaxiom des modernen (demokratischen) Staates verkennen: dieser ist nämlich von vornherein seinen Bevölkerungsteilen gegenüber nicht neutral, sondern gewährt der staatstragenden, also größten Bevölkerungsgruppe durch ihren Mehrheitseinfluss eine gewichtigere Stellung. Dies kann man als eine Ausstattung jener dominanten Gruppe mit Gruppenrechten einstufen, die dann durch Autonomierechte für die anderen nennenswerten, da den Volksbegriff erfüllenden Gruppen lediglich ausgeglichen werden.625 Denkbar ist auch, dass ein Staat aus mehreren autonomieberechtigten Gruppen besteht, die jeweils im Bezug auf die andere Bevölkerungsgruppe die entsprechenden Rechte haben und sich z.B. auf den Gebrauch der eigenen Sprache berufen können. Teilweise wird vertreten, dass diese Form der Autonomiegewährung nichts anderes sei als die institutionalisierte Form der politischen Partizipation für die betroffenen Bevölkerungsgruppen, wie sie in Art. 25 IPbpR geregelt ist.626 Mit der Gewährung von besonderen Autonomierechten soll eine über die normale politische Betätigung hinausgehende Verankerung spezifischer Gruppenrechte erreicht werden, damit diese Gruppe mit ihren vor allem kulturellen Besonderheiten auch überlebensfähig bleibt. Da den meisten Minderheiten ohnehin zuvörderst kulturelle Aspekte wie die Möglichkeit des Gebrauchs der eigenen Sprache naheliegen, ist diese Form der personalen Autonomie mit den entsprechenden Rechten, die gerade nicht territorial gebunden sein muss, eine gangbare Alternative. Insoweit kann von einer – auf die Personenmehrheit bezogenen – kulturellen Autonomie gesprochen werden.627 Entscheidend für die Wahrnehmung der personalen Autonomie ist die Organisation der Volksgruppe als Rechtssubjekt, das selbst handeln kann.628 Anders ist eine Vertretung auch gegenüber den Organen der Mehrheit kaum möglich.

___________ 625

Daher nennt Wright, 19 Oxford Journal of Legal Studies [1999], 605, 618 auch die Autonomie für Minderheiten überzeugend den „counterweight to the ‚group rights‘ of the majority“. 626 So auch Heintze, in: Völkerrecht, § 30 Rdnr. 19. Generell kritisch zur Ausdehnung des Autonomiebegriffs über die territoriale Komponente hinaus Thornberry, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 97, 98. 627 Zu diesem Begriff und möglichen Inhalten Eide/Greni/Lundberg, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 251 ff. mit dem Beispiel der estnischen kulturellen Selbstverwaltung in den Jahren von 1925-1940 auf S. 253 ff. 628 Heintze, in: Völkerrecht, § 30 Rdnr. 19.

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Personale Autonomie bietet gegenüber der territorialen einen zunächst nicht zu unterschätzenden Vorteil im Hinblick auf die geringere Gefahr neuer Konflikte. Grundsätzlich entstehen durch territoriale Autonomielösungen auf den autonomen Gebieten wiederum neue Minderheiten, die gegenüber der das Autonomiegebiet beherrschenden Gruppe in Nachteil geraten könnten und daher ihrerseits eines besonderen Schutzes bedürfen. Diesem systemimmanenten Problem kann dadurch begegnet werden, dass Autonomieregelungen immer zwangsläufig mit Minderheitenschutzregelungen verbunden werden und diese wiederum wechselseitig (mit der je anderen Bezugsgruppe) für das Autonomieterritorium und das übrige Territorium des Gesamtstaates gelten müssen.629 (5) Kombinierte Autonomieformen Autonomieformen können auch nach ihrem Inhalt klassifiziert werden. Die häufigste Autonomie bezieht sich auf eine gewisse kulturelle Eigenständigkeit, die sich niederschlägt im Gebrauch der eigenen Sprache, Religion und entsprechenden Erziehung. Damit soll den Gruppenangehörigen in ihrer Gruppe die Wahrnehmung der eigenen, eigenständigen Identität ermöglicht werden.630 Aus diesem Ansatz folgt häufig eine funktionelle Autonomie, in der Funktionen der Staatsverwaltung, die mit diesen Sachgebieten zusammenhängen dann auch auf die autonomieberechtigte Einheit zur eigenständigen Kontrolle übertragen werden.631 Insoweit bezieht sich diese Klassifizierungsmethode aber auf eine zweite Stufe, die sowohl auf territoriale als auch personale Autonomieformen angewandt werden kann. Bei der inhaltlichen Analyse geht es also um den Umfang der Autonomie, wobei insoweit gilt: „sovereignty is the only limit for autonomy“.632 Wenn der Umfang der Autonomierechte zu einer Zerstörung der politischen Einheit und territorialen Integrität des Trägerstaates führen würde, handelte es sich nicht mehr um innerhalb des Staatsgebildes zu verwirklichende Organisationsmodelle.633 Andererseits legten Hannum und Lillich ausgehend vom Begriff „full autonomy“ aus dem Camp-David-Abkommen von 1978 in ___________ 629 Ähnl. Heintze, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 7, 19: „clear and precise agreements between the parties concerned“. 630 Ob ein solches „Recht auf Identität“ als eigenständiger Rechtsanspruch erst im Entstehen begriffen ist oder gar nicht existiert, kann dahinstehen – vgl. dazu BrühlMoser, Die Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts, S. 290 –, da er im Ergebnis durch die hier zu besprechenden Maßnahmen erreicht wird. 631 Ebenso Heintze, in: Völkerrecht, § 30 Rdnr. 20. 632 Heintze, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 7, 8; ebenso Simon, Autonomie im Völkerrecht, S.24. 633 Brühl-Moser, Die Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts, S. 294.

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ihrer wegweisenden Analyse des Begriffs schon einen sehr weitgehenden Inhalt zugrunde.634 Weil die Übertragung kultureller Rechte auf Gruppen häufig dem Wunsch nach Kontrolle über die Eigenständigkeit nicht ausreichend Rechnung zu tragen vermag, andererseits aber vermieden werden soll, dass alle Nutznießer der Regelung auf einem bestimmten Territorium leben müssen, wird häufig eine kombinierte Form der Autonomie angestrebt oder verwirklicht. Es ist äußerst sinnvoll, den jeweiligen Gruppen bzw. Minderheiten zunächst schon wegen ihrer Minderheitenzugehörigkeit Autonomierechte zu verleihen, die innerhalb des Staatsgebietes von den entsprechenden Individuen überall in Anspruch genommen werden können und zusätzlich – wenn diese Voraussetzung gegeben ist – auf einem Kernsiedlungsgebiet weitergehende funktionale Unabhängigkeit vom Trägerstaat durch Einrichtung eigener Organe zu gewähren. So ist zum Beispiel die zunächst kulturelle Autonomie für die Sami in ganz Finnland durch verschiedene Gesetze und sogar in der Verfassung verankert.635 Sie wirkt sich vor allem in territorial begrenzten Gebieten mit großem Bevölkerungsanteil von Sami aus. Nicht nur dort, sondern allgemein scheint sich durchgesetzt zu haben, dass für indigene Völker sogar eine Regel zugunsten von Autonomie im Völkerrecht bereits existiert oder zumindest im Entstehen begriffen ist,636 die sich auch und vor allem territorial auswirken kann. Gerade im Blick auf diese besonderen Gruppen ist bei aller berechtigten Kritik wegen der Gefahren einer Überhöhung des Anknüpfungspunktes „Ethnie“ als Unterscheidungsmerkmal doch darauf hinzuweisen, dass innerhalb von Staatengrenzen meist eine gewisse Einheitlichkeit der Bevölkerung zu konstatieren ist. Um grenzenbedrohende Tendenzen zurückzudrängen und zugleich die Bedeutung von Nationalstaatsgrenzen angesichts der über diese Grenzen hinausgehenden Gemeinsamkeiten bei Bevölkerungsgruppen zu relativieren, ohne den Bestand des Staates zu gefährden, drängen sich Autonomie-Anwendungen als Lösung auf.637

___________ 634

Hannum/Lillich, AJIL 74 [1980], 858, 885. S. auch schon oben Text zu Fn. 620 f. Abschnitt 51 a des „Finnish Form of Government Act“ (= Verfassung) besagt: „The Sami as an indigenous people shall [...] be guaranteed cultural autonomy [...]“; vgl. dazu Myntti, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 277, 286 ff. Zu den Sami allgemein auch Bauer, in: Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Europa, S. 48, 68 ff. Zurückhaltender zu allen Sami-Parlamenten in den nordischen Staaten und der Ausgestaltung der Autonomie in manchen der Staaten Alfredsson, 8 IJMGR [2001], iii. 636 So auch vorsichtig Hannikainen, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 79, 89. 637 Ghai, in: Autonomy and ethnicity, S. 1, 16 f. hält diese auch immer dann für leichter zu verwirklichen, wenn damit kein „dispute about sovereignty“ einhergeht. 635

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cc) Beispielsfälle für Autonomielösungen Ohne im Einzelnen auf bestehende und teilweise bereits genannte Autonomielösungen im Detail einzugehen, sollen hier kurz nochmals verschiedene Beispiele genannt werden, um die Vielfalt von Autonomien zu unterstreichen. Zum einen gibt es Autonomiegebiete, deren Einrichtung auf internationale Verträge zurückgeht oder durch diese gesichert wird. Die bekanntesten Beispiele sind die Åland-Inseln638 und der zwischen Italien und Österreich geregelte Status von Südtirol. Dort besteht eine weitgehende territoriale Autonomie mit zahlreichen Einzelregelungen, die über das nach außen erkennbare Phänomen der durchgängigen Zweisprachigkeit weit hinausgehen.639 Ferner gibt es die häufigere Variante der Autonomieregelungen in innerstaatlichen Verträgen oder durch verfassungsrechtliche Verankerung. Zum Beispiel ergibt sich der autonome Status von Grönland oder den Faröer-Inseln aus entsprechenden Vereinbarungen.640 Grönland wurde es von Dänemark sogar gestattet, die außenpolitisch bedeutsame Handlung des Austritts aus der EG selbst zu entscheiden.641 ___________ 638

Allg. zur Völkerbundära und darin akzeptierten Autonomielösungen Thornberry, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 97, 102 f. Zur Ålandischen „Staatsangehörigkeit“ und der Anknüpfung an die Beherrschung der schwedischen Sprache durch die finnischen Bewohner Myntti, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 277, 279. 639 Das Beispiel „Alto Adige/Südtirol“ wird in der Literatur ganz überwiegend sehr positiv bewertet, vgl. dazu nur Heintze, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 7, 11 m.w.N. Allg. zum Status und den Einzelrechten in Südtirol vgl. Zeyer, Völkerrechtlicher und europarechtlicher Status von Südtirol, passim. 640 Zur Faröer Home Rule (Danish Parliamentary Act 577 v. 29.11.1978) vgl. z.B. Poulsen, in: The living law of nations, S. 287 ff., zum Selbstbestimmungsrechtsaspekt S. 298 ff. Zum System in Grönland, das mit seinen ca. 56 500 Bewohnern seit 1979 über regionale Autonomie verfügt und in allen Fragen außer der Außen- und Sicherheitspolitik bestimmt und dafür von Dänemark finanziell unterstützt wird, Meldung in NZZ Nr. 283 v. 05.12.2002, S. 2. 641 Alfredsson, VN 1993, 17, 19; Scheuch, Atlas zur Zeitgeschichte, S. 42, zur jüngst erfolgten Erweiterung der außenpolitischen Befugnisse vgl. Meldung in NZZ Nr. 112 v. 16.05.2003, S. 2. Myntti, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 277, 279, charakterisiert Grönland als Beispiel für eine „pure territorial autonomy“, bei der die Bewohner der Insel die gesetzgebende Körperschaft, den Landsting, wählen und beispielsweise auch über die natürlichen Ressourcen bestimmen dürfen. Bei der Wahl im Dezember 2002 wurde die Partei „Inuit Ataqatigitt“, die für eine vollständige Unabhängigkeit von „Kalaallit Nunaat“ (Grönland) eintritt, zweitstärkste Partei und auch die mitregierenden Sozialdemokraten treten für eine verstärkte Selbstbestimmung gegenüber Dänemark ein, vgl. Meldung in NZZ Nr. 287 v. 10.12.2002, S. 3. Die neue Regierung war aber durch verschiedene Probleme bei der Ämterbesetzung kurz nach Amtsantritt wieder zusammengebrochen, dazu Meldung in NZZ Nr. 13 v. 17.01.2003, S. 5. Auf den Faröern war zentrales Wahlkampfthema bei den Parlamentswahlen zum Lagting Anfang 2002 ebenfalls die Frage der vollständigen Unabhängigkeit, wobei hier das Er-

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Auch in Spanien gibt es autonome Regionen, die nach der Franco-Ära als Ausgleich dafür eingerichtet wurden, dass sich der neuorganisierte Staat gegen die Form des Bundesstaates entschied.642 Damit sollte beispielsweise den Katalanen oder Basken die Möglichkeit gegeben werden, innerhalb des neu errichteten Staates genügend Raum für Eigenständigkeit zu finden.643 Nicht zuletzt das Beispiel des Baskenlandes zeigt jedoch auch auf, dass sowohl die Einrichtung als auch die andauernde Verwirklichung von Autonomien durchaus stark bestritten oder Grundlage für weitere Konflikte sein können. Die Staaten Mittel- und Osteuropas haben zur Vorbereitung des Europaratsbeitritts und als Vorbedingung einer Annäherung an Europa, die sie später in die EU geführt hat, in vielen Fällen durch Nachbarschaftsverträge Autonomierechte der jeweils anderen Minderheit im Land zugestanden.644 Der Europarat wirkte nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Osteuropa auf diese Entwicklung hin,645 in dem neben dem Rahmenabkommen zum Schutz nationaler Minderheiten die Parlamentarische Versammlung im Jahre 1993 die Empfehlung 1201 erließ. Es handelte sich dabei um die Empfehlung für ein Zusatzprotokoll zur Menschenrechtskonvention, das aber nie in Kraft trat, weil im Ministerrat des Europarates keine Mehrheit zu finden war. Da die Parlamentarische Versammlung aber bei der Prüfung von Beitrittsgesuchen die „1201 Question“ als Referenzpunkt nahm, wirkte sich diese mittelbar aus.646 Ein entsprechender Grundlagenvertrag wurde zwischen Ungarn und der Slowakei geschlossen, der u.a. die wechselseitige Behandlung der Minderheiten regelte. Diese Vereinbarung war jedoch in der Verbindlichkeit hinsichtlich der Bezug___________ gebnis eher für eine Schwächung der Unabhängigkeitsbewegung sprach, vgl. Meldung in NZZ Nr. 100 v. 02.05.2002, S. 4. 642 Ghai, in: Autonomy and ethnicity, S. 1, 16 f. zeigt an diesem Beispiel, dass sich Autonomien leichter verwirklichen lassen, wenn sie staatliche Souveränität unangetastet lassen. So lebte die Autonomiediskussion in der „Post-Franco-Ära“ erst richtig auf, als Einigung über den späteren Art. 2 der Verfassung von 1978 erzielt worden war, wonach die Verfassung auf der unauflösbaren Einheit der spanischen Nation und dem gemeinsamen und unteilbaren Land aller Spanier basiert. 643 Vgl. Details bei Schwartz/Waywood, , 11 N.Y. Int’l. L. Rev. [1998], 1, 26 ff. 644 Konfliktlösungen mit Beteiligung der internationalen Gemeinschaft oder der Wunsch nach Wohlgefallen bei dieser führen häufig zu Autonomielösungen, da Staaten aus Eigeninteresse am Auseinanderfallen anderer Staaten wenig Interesse haben; vgl. dazu Ghai, in: Autonomy and ethnicity, S. 1, 15 f., der andererseits bedauert, dass einmal eingerichtete Autonomien nicht mehr dauerhaft von der Staatengemeinschaft Unterstützung erführen, weil das eine Einmischung in interne Angelegenheiten sein könnte. 645 Vgl. generell zu den Problemen des Minderheitenschutzes nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Staaten Brunner, in: FS Schiedermair, S. 901 ff.; allg. zur Strategie des Europarats Meldung in NZZ Nr. 106 v. 09.05.2003, S. 6. 646 Thornberry, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 97, 111; vgl. auch Simon, Autonomie im Völkerrecht, S. 92.

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nahme auf Empfehlung Nr. 1201 sehr umstritten, und die Slowakei hat im Anschluss an die Vereinbarung versucht klarzustellen, dass sie die entsprechenden Passagen nicht extensiv versteht.647 Auch ein kurzer Blick auf die Ereignisse im Kosovo zeigt die Schwierigkeiten. Vor 1990 kam verstärkt die Forderung der albanischen Bevölkerungsmehrheit dieses jugoslawischen Teilgebiets mit autonomem Status auf, den Status des Gebiets in den einer Republik umzuwandeln. Daraufhin hatte die jugoslawische Zentralregierung unter Verletzung der Verfassung die Autonomie 1990 vollständig aufgehoben. Die folgenden kriegerischen Auseinandersetzungen führten zu einem Auseinanderbrechen des jugoslawischen Staates. Auch heute noch ist das neue Autonomiestatut für Kosovo, mit dem die übrige Staatenwelt eine Unabhängigkeit dieses Gebietes verhindern, aber zugleich die Rechte der albanischen Mehrheit stärken wollte, ein Herd für Konflikte.648 Andererseits ist auch einzubeziehen, was ohne solche Autonomieanstrengungen aus dem Bestreben von Bevölkerungsgruppen nach mehr Eigenständigkeit werden würde. Das Beispiel der dänischen Minderheit in Deutschland, die in Schleswig-Holstein automatisch unabhängig von den konkreten Wahlergebnissen eine Vertretung im Landesparlament erhält, zeigt ebenso wie die umgekehrte Einrichtung in Dänemark, dass Autonomien auch Chancen zur gütlichen nachbarschaftlichen Einigung bieten. Die Chancen zu einer dauerhaften, stabilen Einrichtung von Autonomien sind in den Staaten größer, in denen sich mehr als nur zwei Bevölkerungsteile gegenüberstehen, da ansonsten eine dauerhafte Asymmetrie entsteht, die destabilisierend wirken kann.649 Abschließend lässt sich feststellen, dass die heutigen Autonomieregelungen üblicherweise einen territorialen Bezug haben. Selbst Frankreich, das traditionell Gruppenrechten besonders skeptisch gegenübersteht und auch Minderheiten im eigenen Land nach eigenem Verständnis für nicht existent hält, hat sich in den letzten Jahren zu terrorial orientierten Lösungen der tatsächlich gegebenen Minderheitenprobleme entschieden: so sind vor einiger Zeit Gesetze zur Dezentralisierung verabschiedet worden, die einen speziellen Status für Korsika schaffen, womit die lange schwelenden Konflikte befriedet werden sollen.650 ___________ 647

Vgl. Thornberry, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 97, 114 ff. In Erfüllung der UNO-Res. 1244 v. 10.06.1999 sollte der Verfassungsrahmen für die provisorische Selbstverwaltung substanzielle Autonomie vermitteln, aber einen Verbleib Kosovos als Bestandteil der Bundesrepublik Jugoslawien [so der Titel vor der später durchgeführten Gründung von „Serbien und Montenegro“] sichern; vgl. Meldung in NZZ Nr. 114 v. 18.05.2001, S. 6. Vgl. zu den jüngsten Entwicklungen Fisch, NZZ Nr. 12 v. 16.01.2006, S. 29. 649 Ghai, in: Autonomy and ethnicity, S. 1, 12 ff. 650 Vgl. nur Hausmann, Das Parlament Nr. 20-21 v. 12./19.05.2003, S. 11, auch mit weiteren Beispielen aus Europa. 648

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dd) Schlussfolgerung: Autonomie und Selbstbestimmungsrecht Einer der Gründe, warum Autonomie eben nur limitierter Selbstbestimmung entspricht, ist die Tatsache, dass sich die Gesamtstaaten das Recht vorbehalten, die autonome Region und die Einhaltung der durch die Autonomie gewährten Bewegungsfreiheit zu überwachen.651 Selbstbestimmungstaugliche Autonomie erfordert, dass – in Begrifflichkeiten des deutschen Verwaltungsrechts gesprochen – jedenfalls keine Fachaufsicht bestehen darf, weil sonst eine inhaltliche Einflussnahme durch den Trägerstaat und ein Beschneiden der gewährten Freiräume möglich wäre.652 Eine beschränkte Rechtsaufsicht ist dagegen wohl zu akzeptieren, wenngleich die Überprüfung durch eine internationale Instanz vorzuziehen wäre. Trotz der genannten Einschränkung lässt sich mit Hannikainen grundsätzlich festhalten: „an autonomous arrangement can realize internal self-determination in quite a meaningful way and can be a good model of decentralization“.653

Als Regel dafür hat zu gelten, dass der Status der Autonomen in der Verfassung oder sonstigem höherrangigem Recht des Staates festgeschrieben sein sollte, noch besser mit einer Quelle in einem völkerrechtlichen Instrument. Darin enthalten sein muss eine ausführliche Beschreibung des Gehaltes der Autonomie und eines Rechtswegs für Auslegungs- und Konfliktfälle654. Für die Funktionsfähigkeit sollte eine demokratisch gewählte Legislativvertretung mit bestimmten Kompetenzen ausgestattet werden, von der die ebenfalls eigenständige Regionalverwaltung abhängig ist. Ihre Mindestkompetenzen sollten in den Bereichen Erziehung und Kultur, Sprachen, Sozialpolitik, Land- und Bodenschätzenutzung, Umweltschutz, regionale Entwicklung und regionaler Markt, Gesundheit, Planung und Verkehrswesen liegen. Auch der Gebrauch der gruppenbezogenen Sprache muss offiziell für die Region anerkannt sein. Hannikainen fordert zudem eine Vertretung im Nationalparlament, eine unabhängige lokale Justiz, die aber den Weg zu höheren Instanzen auf staatlicher ___________ 651

Darauf weist zu Recht Hannikainen, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 79, 90 hin. 652 Simon, Autonomie im Völkerrecht, S. 27. 653 Hannikainen, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 79, 91 und dann folgend die o.g. Merkmale. Ähnlich Ghai, in: Autonomy and ethnicity, S. 1, 21 ff. 654 Dieser Aspekt könnte fruchtbare Anregungen gewinnen aus der zeitweise geführten Diskussion um ein „Kompetenzgericht“ in der EU, das über Streitigkeiten der Zuordnung einer Regelungsmaterie zu den Mitgliedstaaten oder der vergemeinschafteten Ebene entscheiden soll, vgl. dazu einerseits Goll/Kenntner, EuZW 2002, 101 ff., andererseits Colneric, EuZW 2002, 709 ff. Für das dauerhafte Funktionieren von Autonomie ist er von zentraler Bedeutung, wie Ghai, in: Autonomy and ethnicity, S. 1, 20 f., zu Recht hervorhebt.

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Ebene eröffnet, und zumindest bei größeren autonomen Einheiten eine gewisse Steuerhoheit oder zumindest Steuerverteilkompetenz sowie eine bedingte völkerrechtliche Vertragsschlusskompetenz.655 Er hält einen vom Gesamtstaat entsandten Governeur für akzeptabel, solange dieser nur eingeschränkte Rechte hat und für seine Handlungen der Zustimmung der Legislative der Autonomie bedarf. Diesem ausführlichen Katalog entsprechend fordert auch die Generalversammlung der UN bei der Umsetzung von Autonomie-Lösungen nicht nur eine formelle Verankerung, sondern eine tatsächliche Funktionsfähigkeit, also eine „materiell gelebte Autonomie“.656 Diese erfordert auch den Willen zur dauerhaften Beilegung des Konflikts und einhergehend die Respektierung gerichtlicher Weisungen zum Inhalt der Autonomie, weshalb diese in rechtsstaatlich verankerten Staaten mit demokratischer Tradition und der damit einhergehenden Unabhängigkeit der Justiz besser funktionieren.657 Andere Autoren weisen noch klarstellend darauf hin, dass eine Autonomielösung im Sinne des Selbstbestimmungsrechts nur vorliegt, wenn die Übertragung von Rechten auf eine als öffentlich-rechtliche Körperschaft organisierte Einheit erfolgt. Soweit manchen privaten Vereinigungen (z.B. Trägern von Privatschulen, die bestimmte Sprachen unterrichten) eine sog. funktionelle Autonomie zugesprochen wird, handelt es sich nicht um den hier interessierenden völkerrechtlichen Autonomiefall, der sich gerade durch eine staatsrechtliche Untergliederung auszeichnet.658 Dass eine solche Ausgestaltung des Selbstbestimmungsrechts auch keine Verzerrung demokratischer Mehrheitsverhältnisse bedeutet, zeigt in überzeugender Weise Wright. Die vermeintliche Bevorzugung einer Gruppe, der Autonomie zugestanden wird, gegenüber der staatstragenden Mehrheitsbevölkerung, ist in Wirklichkeit nur ein Ausgleich für bereits bestehende gruppenstärkende – nämlich der Mehrheit dienende – Rechte.659 Schon Tocqueville hatte eine (wahre Demokratie gefährdende) Gefahr in „absoluter Demokratie“ gesehen,660 weshalb die Beschränkung der Auswirkung von Mehrheitsentscheidungen zugunsten von Minderheiten für die moderne Demokratie eine Selbstverständ___________ 655 Dies entspräche im Ansatz der aus dem deutschen Verfassungsrecht bekannten Problematik des Abschlusses von völkerrechtlichen Verträgen durch die Länder, vgl. Art. 31 f. GG und BVerfGE 2, 347, v.a. 370 – Kehler Hafen, wonach der Bund zwar eine präventive Bundesaufsicht ausübt, damit Länderverträge nicht Bundesinteressen zuwiderlaufen, aber deren Vertragsschlusskompetenz ansonsten unberührt bleibt. 656 So jedenfalls die Formulierung von Simon, Autonomie im Völkerrecht, S. 47. 657 Ghai, in: Autonomy and ethnicity, S. 1, 16, 20 f. 658 Simon, Autonomie im Völkerrecht, S. 26 f. 659 Wright, 19 Oxford Journal of Legal Studies [1999], 605, 612. 660 Dazu vgl. Toqueville, Über die Demokratie in Amerika, S. 284 ff., v.a. 289 ff., 299 ff.

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lichkeit ist. Um die de facto-Ungleichheit der Minderheit auszugleichen, bedarf es spezieller Maßnahmen, die z.B. in der Sicherung von Rechten durch Autonomie liegen können. Diese Maßnahmen dürften auch ein Hauptgrund dafür sein, warum der Minderheitenschutz durch Autonomie nur weniger prominent gefördert wird, als beispielsweise die Durchsetzung der politischen Beteiligungsrechte von Individuen. Autonomieregelungen zugunsten einer Minderheit wie z.B. die Zweisprachigkeit auf einem bestimmten Territorium sind nämlich immer mit zusätzlichen Kosten (z.B. Beschilderung) verbunden, die sich vermeintlich „nur“ zugunsten der Minderheit, nicht jedoch der budgetentscheidenden Mehrheit und ihrer Repräsentanten auswirkt. In der Verwirklichung von Autonomie dergestalt, dass kulturelle Gruppierungen die politischen Institutionen erhalten, die nötig sind, um zu existieren und sich auf der Basis ihrer spezifischen Charakteristika zu entwickeln, liegt zusammenfassend gesprochen eine moderne Ausgestaltung des (defensiven) Selbstbestimmungsrechts.661 Damit soll jedoch nicht beabsichtigt werden, dass sich die Minderheiten innerhalb des Staates eher assimilieren, wie teilweise fälschlich vorgetragen wird.662 Die Bedeutung von Autonomie liegt auch im Prozess zur Autonomiefindung, weshalb darauf zu achten ist, die konkrete Autonomielösung erst nach umfassender Einbeziehung und Zustimmung der Betroffenen zu entwickeln.663 Die obige Darstellung hat gezeigt, dass mittlerweile explizit auf Autonomielösungen Bezug genommen wird. Insofern überrascht es nicht, dass gerade in der Draft Declaration zugunsten indigener Völker Art. 31 sich mit der Autonomie als mögliche, erstrebenswerte Form der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Völker befasst. In der endgültigen Fassung der Deklaration, wie sie von der Generalversammlung verabschiedet wurde, ist eine gekürzte Fassung des ursprünglichen Art. 31 in Art. 4 aufgenommen und damit sowohl systematisch als auch explizit („in exercising their right to self-determination“) in Bezug zum Selbstbestimmungsrecht gesetzt worden. In zahlreichen Staaten gibt es bereits eine den indigenen Bevölkerungsteilen gewährte Autonomie, wie z.B. auf den Philippinen. Zudem wird eine solche aufgrund der Entwicklung bei der UN forciert.664 Heintze geht daher auch hinsichtlich indigener Völker zu Recht gar von einem (völkerrechtlich fundierten) Anspruch auf Autonomie ___________ 661

Leuprecht, in: Peoples’ Rights, S. 111, 123; Oeter, 52 ZaöRV [1992], 741, 761 ff. So z.B. durch Heintze, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 61, 75. 663 Vgl. dazu Ghai, in: Autonomy and ethnicity, S. 1, 10, 18 f. 664 Dazu Ghai, in: Autonomy and ethnicity, S. 1, 3 f., der Autonomielösungen für indigene Völker für die am wenigsten strittigen hält, da diese innerhalb eines Staates üblicherweise weniger Einfluss auf die zentralen Institutionen und Politiken nehmen, gerade auch wegen ihrer örtlichen Abgeschiedenheit, vgl. S. 7 mit dem konkreten Beispiel der Indianer in den USA. 662

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aus.665 Dies hätten die Verhandlungen in der Working Group über die Deklaration gezeigt und es entspräche auch heutiger Staatenpraxis, die in Fällen indigener Völker z.T. sehr extensive Autonomien verwirkliche. Zur besseren Absicherung dieser Autonomien plädiert Hannikainen für eine ausführliche Autonomie-Studie und darauf abgeleitet den Abschluss eines internationalen Rahmenvertrages mit einem eigenen „quasi-judicial body“ zur Regelung von Streitigkeiten, die sich bei konkreten Autonomien ergeben.666 Die bislang existierenden internationalen Foren haben keine eindeutigen prozeduralen Regelungen, die die Parteifähigkeit von autonomen Regionen (sowohl als Antragsteller als auch -gegner) klar regeln. Fälle, in denen autonome Regionen beteiligt waren, sind meist durch eine weite Auslegung der Parteifähigkeit als Repräsentation zahlreicher (zulässigerweise antragstellender) Individuen über die Zulässigkeitshürde gehoben worden.667 Insoweit ist entweder die Schaffung eines neuen Organs oder die explizite Erweiterung der Parteifähigkeit in den entsprechenden Verfahrensordnungen anzuregen.668 c) Das Konzept des föderalen Selbstbestimmungsrechts Obgleich nach den eben beschriebenen Gehalten von Autonomie der Schluss naheliegt, Föderalismus sei schlicht eine sinnvolle, vielleicht die sinnvollste Ausprägung von Autonomie, müssen diese beiden Begriffe und dazugehörigen Modelle unterschieden werden.669 Ein mögliches Kriterium zur Entscheidung für eine der beiden eng verwandten Institute könnte danach gezogen werden, ob die autonomieberechtigte ethnische Gruppe auf einem Territorium des Staates siedelt, das nach seiner Größe, geographischen Lage und den Ressourcen geeignet erscheint, eine föderale Einheit zu bilden.670 Durch die Entscheidung für die föderale Lösung wäre zugleich das Problem der neuen Minderheit gelöst: die föderale Staatseinheit kann nun ihrerseits der durch die Schaffung des neuen Gebildes auf dem Terri___________ 665

Heintze, Autonomie und Völkerrecht, S. 12. Zurückhaltender noch Myntti, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 277, 280 f., wobei indigene Völker die ersten möglichen Anspruchsteller seien. 666 Hannikainen, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 79, 95. 667 Åkermark, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 139, 148 f., für den Menschenrechtsausschuss (v.a. im Bezug auf den Lubicon Lake Band-Fall). 668 Åkermark, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 139, 150. 669 Darauf weist auch Heintze, Selbstbestimmungsrecht und Minderheitenrechte, S. 116 hin. 670 Die verschiedenen Ausprägungen des Rechts fasst Eide, in: Modern Law of SelfDetermination, S. 139, 170 f. daher unter dem Begriff „territorial sub-division“ zusammen, wobei die entscheidende Frage ohnehin die nach der Verankerung des Systems sei.

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torium zur Minderheit gewordenen Bevölkerungsgruppe eine Autonomie gewähren.671 Beim Föderalismus als Grundlage für einen Staatsaufbau geht es darum, die Bande zwischen zahlreichen gleichgewichtigen Gliedern, d.h. staatlichen SubEinheiten, sicherzustellen.672 Es ensteht eine Balance zwischen den einzelnen Gliedern beispielsweise durch das Prinzip des „one state-one vote“ in bundesrechtlichen Angelegenheiten, wie es in der Schweiz, den USA und mit gewissen Korrekturen bezüglich der jeweiligen Bevölkerungszahl eines Landes auch in Deutschland verwirklicht ist.673 Die Bindung zwischen den staatlichen Gliedern in einem Föderalismus muss zugunsten des Bundesstaates stärker sein als zwischen einem autonomen Gebiet und der Zentralmacht. Bei letzterer werden die gesamtstaatlichen Entscheidungen ohnehin von der „Zentrale“ getroffen; das autonome Gebiet oder die Vertretung der autonomieberechtigten Bevölkerung wirkt, wenn überhaupt, nur in bestimmten Fällen mit. Bei der föderalen Ausgestaltung lebt dagegen der Zentralstaat von der Mitwirkung und dem Zusammenhalt der Untergliederungen.674 Zwar haben beispielsweise die Länder in der Bundesrepublik Deutschland einen eigenen staatlichen Status und auch gesetzgeberische Kompetenzen, die ihnen alleine zustehen. Der Gesamtstaat funktioniert aber als die einende Zentrale für die Länder. Durch ihre Mitwirkung haben sie den Bundesstaat Deutschland ausgestaltet, bei dem nun im Wesentlichen die Entscheidungen zentral – unter Mitwirkung der Länderkammer auf der Ebene des Bundes, des Bundesrates – gefällt werden. Bildlich gesprochen: Rheinland-Pfalz muss mehr ein Teil Deutschlands sein als z.B. Südtirol von Italien, dessen Bevölkerung sich bewusst zu einem gewissen Grade vom Mutterstaat ausgrenzen und einem anderen Staat näher fühlen darf. In anderer Hinsicht ist der föderale Aufbau ein Mehr gegenüber AutonomieLösungen. Da die Gliedstaaten einhergehend mit ihrer Staatlichkeit auch alle drei Staatsgewalten besitzen müssen, was grundsätzlich auch autonomen Gebieten zugestanden werden kann, ist im Föderalismus die staatliche Kompetenzabgrenzung zu regeln, die sich bei Autonomiegebieten aus der Hierarchie ___________ 671 Kimminich, in: Modern Law of Self-Determination, S. 83, 98 sieht in der „flexibility und adaptability“ dieser Lösung den Vorzug. 672 Nach Barsh, in: The living law of nations, S. 143, 146 f., geht es dabei schlicht um die Machtverteilung im Innerstaat. 673 Dazu auch Dinstein, in: Peoples and Minorities in International Law, S. 221, 235; Heintze, in: Völkerrecht, § 30 Rdnr. 21. 674 Die Alternative zu einem Bundesstaat, der aber noch weniger Zusammenhalt aufweist, ist die Könfoderation wie beispielsweise der Zusammenschluss der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) als Nachfolgekonstruktion auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR; vgl. zu dieser Variante im Überblick Heintze, Autonomie und Völkerrecht, S. 20.

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gegenüber dem Zentralstaat ergibt.675 Diese Bewertung von Föderalismus ist kein Widerspruch zu Obigem, denn das stärkere Einbringen in den Gesamtstaat wird belohnt mit der entsprechenden Kompetenzzuweisung auch im Zentralbereich. Bei der Autonomie hingegen kann und darf sich das Autonomiegebiet in zentrale Angelegenheit nicht oder kaum einbringen, dafür kann es sich stärker absondern und „im eigenen Wasser fischen“, wobei die „Fangrechte“ sich aus der Zuteilung vom Mutterstaat her ergeben. Föderal aufgebaute Staaten bieten grundsätzlich eher die Möglichkeit, mit Ansprüchen bestimmter Bevölkerungsteile auf mehr Mitbestimmung umzugehen. So sind föderale Staaten bereits gewohnt, Macht und Souveränität zwischen Gesamtstaat und Gliedstaaten zu teilen, weshalb föderale Staaten beispielsweise bei der Gewährung von Selbstregierungsformen an ihre indigene Bevölkerung Vorreiter sein müssten.676 So ist geäußert worden, dass eine direkte „Unterstellung“ der indigenen Bevölkerung unter den Gesamtstaat bei weitgehender Aussparung des jeweiligen Teilstaates möglich sei und damit eine Sonderbehandlung ermöglicht werde, ohne den Bestand des Territorialgesamtstaates zu gefährden.677 Ohne also den grundsätzlichen Anspruch eines Volkes auf Inanspruchnahme des Selbstbestimmungsrechts zu schmälern, könnten adäquate politische Strukturen geschaffen werden, die gleichzeitig die Mitsprache bzw. den Vorrang bei Entscheidungen über eigene Angelegenheiten ermöglichten, ohne die Säulen der Regierung des Staates zu zerstören, indem auf breiter Basis Sezessionen zugelassen werden. Insoweit sei ein „föderales Selbstbestimmungsrecht“ ein Katalysator zur Schaffung solcher Lösungen.678 Ein solches muss aber ebenfalls recht abstrakt und vage formuliert werden, da für jeden Einzelfall Besonderheiten zu berücksichtigen sind. Im Ergebnis ist also eine trennscharfe Abgrenzung zwischen den Erscheinungsformen des internen Selbstbestimmungsrechts kaum möglich. Nötig ist sie auch nicht, da es mit dem „föderalen Selbstbestimmungsrecht“ nicht um die Schaffung eines neuen, weiteren Selbstbestimmungsrechts geht, sondern lediglich ein weiterer Aspekt des einen Selbstbestimmungsrechts eröffnet wird.679 Es hängt also nicht zuletzt vom Verständnis und der Durchführung der Beteiligten ab, ob die gefundene ___________ 675

Brühl-Moser, Die Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts, S. 292. Saunders, in: Autonomy and ethnicity, S. 266, 281, die aber bedauert, dass sich dies in Australien gar nicht positiv ausgewirkt habe, S. 266 und 268, was sie auf ein Fehlen föderaler Kultur neben föderalen Institutionen zurückführt, S. 284. 677 Saunders, in: Autonomy and ethnicity, S. 266, 268 m.w.N. zur Situation der USA. 678 Tomuschat, in: Modern Law of Self-Determination, S. 1, 16 f. 679 Kimminich, in: Modern Law of Self-Determination, S. 83, 90. Auf S. 93 spricht er von „modes of implementation“ weist auf S. 99 darauf hin, dass die föderale Struktur des Rechts dem Ansatz nach zum internen Recht gehöre, aber als Ausweichmöglichkeit für die Schaffung eines neuen Staates eigentlich zum externen Recht zu zählen sei. 676

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Lösung in der föderalen oder autonomen Variante des (defensiven) Selbstbestimmungsrechts liegt, und ist damit auch eine Frage des nationalen Verfassungsrechts.680 Schließlich soll noch darauf hingewiesen werden, dass auch heute Föderalismus als eine gute Chance zur Verwirklichung von Frieden in ethnisch umkämpften Regionen der Welt gesehen wird.681 So war bei den Friedensverhandlungen zwischen den Bürgerkriegsparteien von Sri Lanka zwischen der Regierung und der tamilischen Rebellenbewegung „Liberation Tigers of Tamil Eelam“ (LTTE) eine Lösung angestrebt worden, die „auf ‚interner Selbstbestimmung‘ gründet und auf einer föderalen Struktur innerhalb eines geeinten Sri Lanka basiert“.682 Zugleich ist dies ein weiterer Baustein für die Staatenpraxis, die Minderheiten im eigenen Land eine Selbstbestimmung zugesteht, die zwar auch in einer Sezession durch Unabhängigkeitserlangung enden könnte (so beim Ende des Bürgerkriegs in Äthiopien/Eritrea), aber eben auch mit der Verwirklichung des internen Aspekts des Selbstbestimmungsrechts. Auch bietet z.B. das Schweizer Modell des Föderalismus die Möglichkeit, maximale Selbstbestimmung der verschiedenen Sprach- und Volksgruppen innerhalb der Konföderation (CH) zu erreichen, indem die von Moore als „rolling cantonization“ bezeichnete Möglichkeit besteht, die vorhandenen Kantone nach einer entsprechenden Willensäußerung des Stimmvolkes neu zu (unter-)teilen.683 d) Selbstbestimmungsrecht und Demokratie Seit dem Ende des Kalten Krieges ist nach weit verbreiteter Ansicht eine Stärkung desjenigen Teils des inneren Selbstbestimmungsrechts zu beobachten, der die Betonung auf eine selbstbestimmte, d.h. das Volk repräsentierende und damit demokratischen Grundsätzen genügende Regierungsvertretung legt.684 Insbesondere die Arbeit der KSZE bzw. OSZE bei der demokratischen Neuorganisation ehemaliger Ostblockländer und die in diesem Zusammenhang verabschiedeten Dokumente zeigten den Stellenwert „echter Demokratie“ als zentra___________ 680

Simon, Autonomie im Völkerrecht, S. 25 f. Auch in Indien sind vor einigen Jahren drei neue Gliedstaaten errichtet worden, die den Einfluss der dort lebenden indigenen Bevölkerungsteile stärken, vgl. Meldung in NZZ Nr. 270 v. 18./19.11.2000, S. 7 und Imhasly, NZZ Nr. 105 v. 08.05.2001, S. 33. 682 Vgl. entsprechende Meldung in NZZ Nr. 284 v. 06.12.2002, S. 1; Seifert, 34 VRÜ [2001], 167 ff. Die Bemühungen um eine dauerhafte Beilegung des Konflikts sind aber mit dem Wiederaufflammen von Kämpfen im April 2006 erheblich erschwert worden. 683 Moore, The ethics of nationalism, S. 206 f., die auch auf das Beispiel der Neugründung des Schweizer Kantons Jura 1980 verweist. 684 Vgl. v.a. Brühl-Moser, Die Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts, S. 219 ff.; auch Franck, in: Peoples and Minorities in International Law, S. 3, 20. 681

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lem Bestandteil des Selbstbestimmungsrechts.685 Demnach sei der „consent of the governed“ als Ausdruck für die selbst bestimmte Form der Staatsleitung – die nur aus praktischen Gründen nicht für jede Einzelfrage durch das Volk selbst, sondern durch Repräsentanten ausgeübt wird – die einzig wirkliche adäquate Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Völker nach innen.686 Es wird jedoch auch vertreten, dass gerade im Lichte der tatsächlichen Verfassungswirklichkeit in zahlreichen Staaten von einer Pflicht des Völker(gewohnheits)rechts zur Einführung und Aufrechterhaltung einer demokratischen Staatsform keinesfalls gesprochen werden könne.687 Ein weitgehender völkerrechtlicher Anspruch auf Demokratie als Menschenrecht, der über die Abhaltung von Wahlen hinaus eine materiell wertige Beteiligung der Bevölkerung an der Regierung garantiert und gar im Zweifelsfall mittels einer humanitären Intervention durchgesetzt werden dürfte, ist nach heutigen Maßstäben nicht gegeben.688 Individuelle Partizipationsrechte wie z.B. der in Art. 25 IPbpR niedergelegte Mitbestimmungsanspruch, die Bestandteile einer Demokratie sind, stellen jedoch selbstverständlich völkerrechtliche Ansprüche mit voller Rechtsgeltung dar.689 Zudem ist eine Entwicklung zu beobachten, wenngleich sie noch nicht zu einer konsistenten völkergewohnheitsrechtlichen Geltung geführt hat, wonach als Ausdruck des Gesamtbevölkerungswillens bei der inneren Selbstbestimmung zumindest die Grundelemente der Demokratie vorhanden sein müssen.690 Da aber absolute Demokratien in pluralistischen Gesellschaften zur Unterdrückung von Minderheitengruppen führen, sind geeignete Schutzmechanismen ___________ 685 Brühl-Moser, Die Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts, S. 233 ff.; vgl. auch Musgrave, Self-Determination, S. 100. 686 Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 54: „In short, there is no self-determination without democratic decision-making“. 687 Vgl. z.B. Thürer, AVR 1984, 113, 126; dabei ist aber zu berücksichtigen, dass diese Auffassung vor allem vehement noch zu Zeiten des sogenannten „Ost-WestKonflikts“ vertreten wurde, weil damals Gewohnheitsrecht in vielen Bereichen schon deshalb nicht entstehen konnte, weil eine der Großmächte nicht dieselbe Rechtsüberzeugung hatte und es damit an einem erforderlichen Merkmal von vornherein fehlte. 688 Bauer, Der völkerrechtliche Anspruch auf Demokratie, S. 255; vgl. ICJ Rep. 1986, 14 Rdnr. 187 ff., 227 ff. – Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua/United States of America). 689 Bauer, Der völkerrechtliche Anspruch auf Demokratie, S. 257. 690 Hannikainen, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 79, 86; Thornberry, in: Modern Law of Self-Determination, S. 101, 120; Bauer, Der völkerrechtliche Anspruch auf Demokratie, S. 259, verweist auf einen Trend, bei der Beurteilung des Kriteriums „Staatsgewalt“ für die Frage der Staatsqualität nicht mehr nur auf die effektive Kontrolle, sondern auch auf die legitime Ausübung dieser Kontrolle abzustellen. Weitgehend bejahend unter Aussparung der „Volkssouveränität“ als entscheidendem Merkmal Fink, JZ 1998, 330, 337 f.

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für diese einzubauen, beispielsweise durch einen abgesicherten Zugang zur Meinungsbildung.691 Eine innerer Selbstbestimmung genügende Demokratie bedeutet also, dass sich nicht nur die Mehrheit im Staat repräsentiert findet, sondern auch die Minderheiten effektiv an der Willensbildung teilhaben können.692 Damit ist der Ausgleich geschaffen dafür, dass sich für Gruppen das Selbstbestimmungsrecht kaum je in Form der Sezession verwirklichen lässt, sie aber in bestehenden Staaten auf die Einrichtung demokratischer Strukturen und gleichzeitiger Gewähr für die Einhaltung der Menschenrechte in ihrer Gesamtheit, das heisst unter Einschluss des Selbstbestimmungsrechts und der Minderheitenrechte, bestehen können.693 Echte Repräsentation im Sinne der Friendly Relations-Deklaration ist hinsichtlich Gruppen, denen eigene Rechte zustehen, nur in Form von (mindestens) Autonomielösungen möglich, denn andernfalls wird die Mehrheit immer wegen der numerischen Überlegenheit die Angelegenheiten auch der Minderheit kontrollieren. Wenn diese aber selbst darüber bestimmen kann, wird eine Parität erreicht, die erst eine wirkliche Gleichheit der Völker (innerhalb eines Staates) herstellt.694 Diese Erkenntnis verbindet das defensive Selbstbestimmungsrecht mit der demokratischen Regierungsform, die ihrerseits für Gruppen zu Autonomielösungen führen muss.695 Eine so gestaltete „consociational democracy“ ist die Antwort auf plural zusammengesetzte Gesellschaften, die im Wege des „powersharing“ durch mehrfache Gewaltenbalance und einer „grand coalition method“ die Alternative zur majoritären Demokratie bilden können.696

IV. Das moderne Selbstbestimmungsrecht als hierarchisches Recht 1. Allgemeines Ergebnis der Untersuchung zum Subjekt und Objekt des Selbstbestimmungsrechts der Völker ist ein Rechtsinstitut, das zugunsten verschiedener Träger und in vielfältiger Weise zur Anwendung kommen kann. Dabei ist der Gehalt des Selbstbestimmungsrechts nicht willkürlich, vielmehr hängt die Ausgestaltung ___________ 691

Thürer, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 34, 56; vgl. ferner Fn. 660. So auch Brühl-Moser, Die Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts, S. 283. 693 In diesem Sinne Heintze, Selbstbestimmungsrecht und Minderheitenrechte, S. 16; ebenso Iorns, 24 Case W. Res. J. Int’l. L. [1992], 199, 307. 694 Wright, 19 Oxford Journal of Legal Studies [1999], 605, 621. 695 Ebenso Thornberry, in: Modern Law of Self-Determination, S. 101, 133 f., der aber für Autonomielösungen weniger Unterstützung als für Beteiligungsrechte im Sinne der Demokratie sieht, weshalb letztere in den Vordergrund gerückt werden sollten. 696 Zu diesem Modell Eide, in: Modern Law of Self-Determination, S. 139, 165. 692

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bei legitimer Berufung auf das Recht vom Träger und der konkreten Situation ab. In diesem zusammenfassenden Abschnitt werden daher die Einbettung des Selbstbestimmungsrechts in das übrige Völkerrecht, seine Fortgeltung in zeitlicher Hinsicht und die Möglichkeiten, dem Recht zur tatsächlichen Durchsetzung zu verhelfen, dargestellt. Dies alles führt zur Beschreibung des modernen Selbstbestimmungsrechts als eines hierarchischen Rechts aus mehreren aufeinander folgenden Bestandteilen. 2. Selbstbestimmungsrecht im Spannungsfeld mit anderen Völkerrechtsprinzipien Unabhängig davon, dass das Selbstbestimmungsrecht wohl wie die übrigen Rechte des Menschenrechtspakts in Fällen des Notstandes temporär eingeschränkt werden könnte,697 wird es im Völkerrecht wie gesehen zunächst vorbehaltlos garantiert.698 Andererseits kann es selbstverständlich nicht isoliert als in sich geschlossener Regelungskomplex, sondern nur als Teil einer Gesamtrechtsordnung verstanden werden, innerhalb derer es Spannungen geben kann.699 Diese Spannungen führen dazu, dass das Recht nicht in jeder Situation vollumfänglich von jedem Träger in Stellung gebracht werden kann.700 a) Die Sicherung des Weltfriedens Eines der Spannungsfelder ergibt sich mit dem überragenden, primären Ziel der Vereinten Nationen. Diese sind gegründet worden, um gemäß Art. 1 Nr. 1 UN-Charta den Weltfrieden zu sichern. Mit dieser Zielvorgabe kann das Selbstbestimmungsrecht in Konflikt treten, wenn es in bestimmten Anwendungsfällen friedenszerstörende Wirkung aufweist. Dies gilt zumindest dann, wenn Frieden in diesem Sinne als die Abwesenheit von Krieg oder mit Gewalt geführten Auseinandersetzungen verstanden wird. Da aber auch innerhalb der UN, z.B. im Rahmen der Dekolonisierung erkannt wurde, dass zur Sicherung des Weltfriedens selbstbestimmungsgeleitete Auseinandersetzungen zu tolerie___________ 697

Thürer, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 34, 42, wobei die Art der Einschränkung bei diesem Recht – anders als beispielsweise bei der Vereinigungsfreiheit – nur schwer vorstellbar ist. 698 Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 53. 699 Ebenso Brownlie, Public International Law, S. 601; besonders deutlich auch Kempen, in: FS Schiedermair, S. 783, 795 f. 700 Wilson, 11 Conn. J. Int’l L. [1996], 433, 480 ff. schlägt eine Abrechnung der Vorund Nachteile eines vollumfänglich zugestandenen Selbstbestimmungsrechts vor, so dass anhand des Ergebnisses entschieden werden kann, ob die Einschränkung anderer Prinzipien aus menschenrechtlichen Erwägungen hinzunehmen ist.

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ren, unter Umständen mit Blick auf einen dauerhaften Frieden gar zu fördern und zu einem schnellen Abschluss zu bringen sind, kann der Verweis auf den Frieden alleine das Recht nicht aushöhlen. Auf jeden Fall ist eine Ausgestaltung des Selbstbestimmungsrechts, die eindeutig geeignet ist, den Weltfrieden nachhaltig zu (zer-)stören, schon aus Systemgründen des Völkerrechts unzulässig. In einem solchen Fall ist die Friedenssicherungsfunktion als übergeordnetes Ziel sozusagen immanente Schranke.701 b) Das Gewaltverbot als wichtigste Schranke und mögliche Ausnahmen Ein weiterer Meilenstein mit der Gründung der Vereinten Nationen war die Aufnahme des Gewaltverbotes nach Art. 2 Nr. 4 UN-Charta, der die Androhung oder Anwendung von Gewalt in den zwischenstaatlichen Beziehungen fast ausnahmslos verbietet.702 Auch eine Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht ist im Sinne der UN-Charta nur dann ein Rechtfertigungsgrund für Gewaltanwendung, wenn sie zugleich eine Selbstverteidigung nach Art. 51 UNCharta ist, was grundsätzlich nur bei Staaten in Betracht kommt.703 Andererseits ist schon durch die Formulierung in Art. 51 UN-Charta vorgezeichnet, dass ein inhärentes Recht auf Selbstverteidigung besteht, das über die Abwehr einer kriegerischen Handlung hinausgeht. Ohne diese Diskussion hier zu vertiefen, ist auf die mit diesem Hinweis gewichtige Ansicht hinzuweisen, dass die ungeschriebenen Ausnahmen zum Gewaltverbot in einer Ausweitung begriffen sind.704 Möglicherweise ist die Ausnahme einer humanitär motivierten Intervention zum Schutz einer Staatsbevölkerung vor schweren Menschenrechtsverletzungen durch den Staat selbst teilweise, insbesondere in Europa durch die Entwicklungen der letzten Jahre schon zu regionalem Völkergewohnheitsrecht erstarkt.705 Davon bliebe jedoch das universell gültige Gewaltverbot unberührt. Weil dieses nicht vorschnell relativiert werden darf, genießt es im Normalfall ___________ 701

Diesen Systematisierungsvorschlag bringt Thürer, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 34, 44. 702 Zur Diskussion um das Gewaltverbot und seine Ausnahmegründe wie Notwehr vgl. nur Herdegen, Völkerrecht, § 34 Rdnr. 3 ff. 703 Darüber hinausgehend noch weiter einschränkend Kimminich/Hobe, Völkerrecht, S. 117: Völker und Volksgruppen seien zwar Träger des Selbstbestimmungsrechts, ihnen bleibe aber nach wie vor die Völkerrechtssubjektivität verwehrt. Jedoch sehen die Autoren auf S. 161 die Möglichkeit, dass durch neuere Entwicklungen im Völkerrecht Minderheiten im Allgemeinen eine partielle Völkerrechtssubjektivität zuerkannt wird. Oben ist gezeigt worden, dass heute vielmehr von einer – beschränkten – Rechtssubjektstellung bezogen auf das Selbstbestimmungsrecht ausgegangen werden kann. 704 So z.B. Herdegen, Völkerrecht, § 34 Rdnr. 4 m.w.N. 705 Vgl. dazu Herdegen, Völkerrecht, § 34 Rdnr. 28 ff.; dagegen noch Kimminich/ Hobe, Völkerrecht, S. 117. Ausf. dazu unten Kap. 1 E. I.

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weiterhin Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, obwohl dieses auch und in derselben Wertigkeit als ius cogens Völkerrecht darstellt.706 Mit dem oben nachgewiesenen Recht auf eine ausnahmsweise Sezession eines Volkes innerhalb eines Staates ergibt sich jedoch auch die Möglichkeit der gewaltsamen Durchsetzung dieses Rechts, das dann von der Völkergemeinschaft toleriert wird. So ist schon bei den so genannten „Befreiungskriegen“ strittig, auf welche Weise das Gewaltverbot gilt. Zwar wird überwiegend in der Völkerrechtslehre davon ausgegangen, dass auch die Unterstützung von Befreiungsbewegungen durch Drittstaaten eine Verletzung des Gewaltverbots ist.707 Andererseits kann bei einem „failed state“, bei dem die Staatsgewalt so gut wie aufgelöst und die staatliche Ordnung zusammengebrochen ist, ein gewaltsames Eingreifen auch regionaler Organisationen oder Nachbarstaaten – diese aber nur zum eigenen Schutz oder, was noch höchst strittig ist, aus humanitären Gründen708 – bei Untätigbleiben des UN-Sicherheitsrates gerechtfertigt werden, weil ansonsten das Gewaltverbot Schutz bei der Missachtung zahlreicher Völkerrechtsprinzipien durch rivalisierende Banden gewähren würde, obwohl der betreffende Staat und damit dessen Integritätsinteresse nur noch formal besteht.709 Mit dem gleichen Argument kann sich damit das selbstbestimmungsberechtigte Volk gegen seine Auslöschung gewaltsam wehren. Dies ist zwar zunächst nach den völkerrechtlichen Maßstäben eine unzulässige Gewaltanwendung im Inneren eines Staates und gegen diesen gerichtet. Nach einer erfolgten Sezession in einem berechtigten Ausnahmefall darf die Staatengemeinschaft im Nachhinein die Gewaltanwendung nicht verurteilen, da sie zur Erreichung eines legitimen Ziels im Landesinneren eingesetzt wurde. Ohne dass also die Geltung des Gewaltverbotes beschädigt worden wäre, weil dieses in den zwischenstaatlichen Beziehungen weiter gilt, kann die Staatengemeinschaft die Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht als richtig ansehen und die Art der Durchsetzung akzeptieren. Ab einem gewissen Punkt in der Sezessionsauseinandersetzung ist auch daran zu denken, dass andere Staaten auf Einladung Beihilfe zur Abwehr des staatlichen „Gegenschlages“ leisten können, wenn bereits eine gewisse Stabilisierung der Kontrolle über ein gewisses Territorium und die dortige Bevölkerung durch die Sezessionsbewegung erreicht ist.710

___________ 706

Kimminich/Hobe, Völkerrecht, S. 116. Herdegen, Völkerrecht, § 34 Rdnr. 8. 708 Dazu näher im nächsten Abschnitt 3. unter d). 709 Ähnlich Herdegen, Völkerrecht, § 34 Rdnr. 10. 710 So zugunsten des das Selbstbestimmungsrecht ausübenden Volkes im Sinne der Nothilfe Schilling, AVR 1997, 430, 444 ff., v.a. 448 f., wobei die Legitimität erst im Nachhinein sicher festgestellt werden könne. 707

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c) Weitere begrenzende Prinzipien Unterhalb der Grenze dieses Ausnahmerechts als Notwehr gilt, wie bereits ausführlich oben dargestellt, der Grundsatz der territorialen Integrität und der Gleichheit der Staaten als Schranke für die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts. Auch das Interventionsverbot nach Art. 2 Nr. 7 UN-Charta verhindert die Unterstützung von Selbstbestimmungsforderungen mit unzulässigen Mitteln, die den Staat in seinem Bestand gefährden. Da Menschenrechtsverletzungen nicht mehr in die domaine réservé von Staaten fallen, genügt der Hinweis auf das Interventionsverbot nicht, um jegliche „Einmischung“ von außen in Bezug auf das angebliche Selbstbestimmungsrecht eines vom Staatsvolk unterschiedlichen Volkes in einem Staat zu verhindern. Insgesamt bleiben diese Völkerrechtsprinzipien in der Bedeutung gegenüber dem Gewaltverbot als wichtigste Schranke des Selbstbestimmungsrechts, das nur ausnahmsweise eine Abwägung zugunsten letzterem zulässt, zurück. Die Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts muss jedenfalls unter Beachtung der anderen völkerrechtlichen Normen, in die es eingebettet ist, erfolgen.711 3. Ausübung und Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts der Völker a) Das Plebiszit als Regelfall der Ausübung Es ist also zu untersuchen, in welcher Art und Weise das Selbstbestimmungsrecht in einer einmal als Anwendungsfall definierten Situation verfolgt werden muss, damit das Begehren in legitimer Weise umgesetzt wird.712 Oben ist festgestellt worden, dass dem modernen Selbstbestimmungsrecht das demokratische Prinzip innewohnt,713 weshalb die Ausübung des Rechts den Willen des betreffenden Volkes widerspiegeln muss. Diesen „free and genuine will“ des betreffenden Selbstbestimmungssubjekts, wie es der IGH ausgedrückt hat,714 muss – auf demokratische Art und Weise – ermittelt werden.715 Dazu bleibt einzig der Weg des Plebiszits, mittels einer Befragung allein der Betrof___________ 711

Heintze, Autonomie und Völkerrecht, S. 7. Ob das Begehren selbst legitim ist, beantwortet sich nach Tesón, in: International law and ethnic conflict, S. 86, 110, durch folgende drei Aspekte: Beseitigung ernsthafter politischer Ungerechtigkeit gegen eine Gruppe, Wiedergutmachung historischen Unrechts bezüglich eines Territoriums dieser Gruppe, Beachtung legitimer Interessen von Drittparteien. 713 Oben Kap. 1 C. III. 3. d) und Nowak, CCPR Commentary, Art. 1 Rdnr. 34. 714 ICJ Rep. 1975, 12, 32 Rdnr. 55 – Western Sahara. 715 Vgl. Klein, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 50. 712

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fenen muss herausgefunden werden, wie diese ihr Selbstbestimmungsrecht verwirklichen wollen.716 Relativ leicht ist das möglich, wenn die gesamte Bevölkerung eines Territoriums beispielsweise über die Option zur Assoziation mit einem anderen Staat zustimmend oder ablehnend entscheiden muss. Schwieriger wird es, wenn über ein Territorium innerhalb eines bestehenden Staates entschieden werden soll und möglicherweise weder das relevante Gebiet noch der Kreis der zur Entscheidung Berechtigten genau feststeht, wie es zum Beispiel im Gebiet der West-Sahara mit der nomadischen Bevölkerung der Fall ist.717 Auch dürfte oft umstritten sein, welche Optionen zur Wahl gestellt werden.718 Letztendlich ist aber bereits der Weg zum Plebiszit und die Einbindung der Selbstbestimmungsberechtigten in die Erarbeitung der PlebiszitDurchführung entscheidend. Dabei bietet sich die Einbeziehung internationaler Organisationen an, wie es z.B. in Ost-Timor geschehen ist.719 Die Durchführung und Überwachung freier Wahlen ist innerhalb der UN,720 der OSZE und anderer regionaler internationaler Organisationen721 zu einem Schwerpunkt der politischen Aktivität geworden, weshalb diese Erfahrung auch für die Durchführung eines Selbstbestimmungsprozesses genutzt werden kann.722 Da die ___________ 716

Dazu allgemein Moore, The ethics of nationalism, S. 176 ff., die auch darauf hinweist, dass nicht die Gesamtbevölkerung des Staates zu befragen ist. 717 Dazu näher in Kap. 1 B. IV. 2. c). 718 Moore, The ethics of nationalism, S. 216, schlägt die Einsetzung einer Kommission zur Formulierung der Frage vor, die mit Vertretern beider Lager und unabhängigen Experten zu besetzen sei. Ein Beispiel für ein bewusst verfälschend durchgeführtes Plebiszit findet sich im Fall der Insel Westpapua in Indonesien, vgl. Diggelmann, NZZ Nr. 125 v. 31.05./01.06.2008, S. 5. 719 Vgl. die Wahlbeobachtermission UNAMET und die UN-Schutztruppe INTERFET, dazu Göller, Das Parlament Nr. 39-40 v. 24.09./01.10.1999, S. 17 und Drew, 12 EJIL [2001], 651, 654. Ausführlich zur Rolle der UN bei der Abstimmung über Autonomie oder Unabhängigkeit – und sehr kritisch zur Art der Durchführung des Plebiszits – ebda., 671 ff. Die UN hat jedoch erfolgreich nach Eindämmung der Gewalt durch die Milizen auch den Aufbau der lokalen Verwaltung und Justiz gefördert (UNTAET), vgl. Meldung in NZZ Nr. 202 v. 31.08.2000, S. 3. 720 Details zu den Einsatzmöglichkeiten bei Scheffer, in: International law and ethnic conflict, S. 147, 154. 721 Diese könnten häufig schneller reagieren als die UN und sind deshalb ebenso wichtig, so Scheffer, in: International law and ethnic conflict, S. 147, 175 f. 722 Vgl. auch Klein, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 53, der die Schwierigkeiten der richtigen Ausübung anerkennt, aber auch hinsichtlich Namibia resümmiert, dass es sich „nicht nur um einen der langwierigsten, sondern auch um einen der erfolgreichsten Selbstbestimmungsfälle“ handle, der in der Verantwortung der UN durchgeführt worden sei. Zwar habe die UN in Ost-Timor zahlreiche Fehler gemacht und ihr Zögern habe mehrfach zu Tausenden von Toten geführt, vgl. Göller, Das Parlament Nr. 39-40 v. 24.09./01.10.1999, S. 17, aber am Ende habe die Befriedung Ost-Timors und seine Unabhängigkeit funktioniert, vgl. Meldungen in NZZ Nr. 114 v. 21.05.2002, S. 3 und NZZ Nr. 202 v. 31.08.2000, S. 3. Ähnliches gilt für die Rolle der UN im WestSahara-Konflikt, vgl. Scheffer, in: International law and ethnic conflict, S. 147, 153.

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Rahmenbedingungen eines solchen Plebiszits vom Einzelfall abhängen, ist es unnötig die Anforderungen in dieser Arbeit detailliert darzustellen. b) Durchsetzung mit militärischen Mitteln Nochmals aufzugreifen ist dagegen die Frage, ob die Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts durch das berechtigte Subjekt – insbesondere im Falle der Sezession – auch mit militärischen Mitteln versucht werden darf. Wie bereits erwähnt, eröffnete dies einen Konflikt mit dem Gewaltverbot. Für die Zulässigkeit der Anwendung von Gewalt könnte die Praxis innerhalb der UN im Zusammenhang mit der Dekolonisierung sprechen, wonach in verschiedenen Resolutionen das Anliegen nationaler Befreiungsbewegung im Kampf um die Unabhängigkeit von kolonialer Vorherrschaft für zulässig erklärt wurde.723 Die Versuche ein solches Widerstandsrecht explizit in die Friendly RelationsDeklaration der UN-Generalversammlung aufzunehmen scheiterte aber am Widerstand westlicher Staaten.724 Schließlich ist jedoch in Art. 7 der Aggressions-Definition725 der Hinweis aufgenommen, dass die in der Definition enthaltenen – sehr weitreichenden – Erscheinungsformen von Aggression das Recht von Völkern – insbesondere unter Fremdherrschaft – auf Selbstbestimmung und Freiheit nicht beschränken sollen. Dazu zu zählen sei der „struggle“ dieser Völker, um die Freiheit zu erreichen und die Unterstützung dazu durch Dritte.726 Im Ergebnis wurde also im Rahmen der Dekolonisierung Gewaltanwendung im Befreiungskampf akzeptiert, eine gewohnheitsrechtliche Einschränkung des Gewaltverbots ist daraus aber nicht erwachsen. Weil Staaten die legitime Forderung nach der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts nicht unterdrücken und auch nicht gewaltsam dagegen vorgehen dürfen, erhalten Drittstaaten unter Umständen das Recht, dem unterdrückten Volk gegen solche Gewaltanwendung zur Seite zu stehen.727 Wie oben bereits erwähnt, ist auch eine Intervention gegen das berechtigt nach Selbstbestimmung strebende Volk auf Einladung des Mutterstaates völkerrechtswidrig, wobei sich dies endgültig erst im Nachhinein herausstellen kann.728 ___________ 723

Vgl. dazu Scheffer, in: International law and ethnic conflict, S. 147, 150; Cassese, International Law, S. 322, der hierin eine noch heute gültige, allgemeine Ausnahme vom Gewaltverbot sieht. 724 Klein, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 54. 725 Res. 3314 (XXIX) Annex, UNYB 28 (1974), 846 / UN Doc. A/9631 (1975), abgedr. in Sart. II Nr. 5 = Tomuschat (Hrsg.), Völkerrecht, Nr. 7. 726 Vgl. allg. Scheffer, in: International law and ethnic conflict, S. 147, 150. 727 Dazu vorsichtig Schilling, AVR 1997, 430, 444 ff. Auch Fink, JZ 1998, 330, 337. 728 Zu den verschiedenen Konstellationen der Interventionsbefugnis dritter Staaten vgl. Doehring, Völkerrecht, Rdnr. 801 ff. Anders Randelzhofer, in: FS Lerche, S. 51, 60.

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c) Mechanismen der Staatengemeinschaft bei Selbstbestimmungsforderungen Neben den bereits erwähnten Mechanismen bieten sich der Staatengemeinschaft noch weitere Möglichkeiten zumindest mittelbar auf Verletzungen des Selbstbestimmungsrechts zu reagieren. So können alle Vertragsstaaten der Menschenrechtspakte beim Menschenrechtsausschuss auf eine vermeintliche Verletzung hinweisen oder im Wege einer Staatenbeschwerde nach Art. 41 IPbpR formal eine solche rügen. Weitergehend dürfen diese einen Verstoß gegen Art. 1 mit völkerrechtlich zulässigen Mitteln ahnden, wenn der Staat diesen verletzt oder seiner Pflicht zur Förderung des Selbstbestimmungsrechts nicht nachkommt.729 In all diesen Fällen ist die internationale Diskussion der Problematik keine Intervention in innere Angelegenheiten. Auch bliebe Drittstaaten die Möglichkeit, die verschiedenen Überwachungsmechanismen der Menschenrechtskommission zu nutzen. Das sog. 1503-Verfahren, das 1970 durch die Res. 1503 des Wirtschafts- und Sozialausschusses eingerichtet wurde,730 ermöglicht die Eingabe von Beschwerden, die sich auf Situationen „which appear to reveal a consistent pattern of gross and realiably attested violations of human right“ beziehen. Es geht nicht um Einzelfälle, sondern um grobe Menschenrechtsverletzungen, die einen systematischen Hintergrund vermuten lassen. In geheimer Sitzung beschäftigt sich eine Unterkommission des Ausschusses mit diesen Mitteilungen und gibt – ebenfalls geheim – Stellungnahmen zu den von den Regierungen vorgebrachten Erklärungen ab.731 Das Verfahren ist zwar langwierig und wegen seiner NichtÖffentlichkeit kaum medienwirksam, bietet aber dennoch die Möglichkeit sowohl durch Betroffene, Unterstützergruppen oder eben andere Staaten auf Menschenrechtsverletzungen hinzuweisen, die auch in der dauerhaften Missachtung der aus dem Selbstbestimmungsrecht folgenden Garantien liegen können. Das 1235-Verfahren basiert ebenfalls auf einer Resolution des Wirtschaftsund Sozialrates von 1967.732 Einmal jährlich wird öffentlich über Staaten disku___________ 729

Vgl. dazu Nowak, CCPR-Kommentar, Art. 1 Rdnr. 20 ff. ECOSOC Res. 1503 (XLVIII), abgedr. bei Steiner/Alston, International Human Rights, S. 613 f.; vgl. auch Herdegen, Völkerrecht, § 47 Rdnr. 11. Am 16.06.2000 im Ablauf durch ECOSOC Res. 2000/3 unter Beibehaltung des ursprünglichen Namens leicht geändert. 731 Vgl. ein Beispiel bei Steiner/Alston, International Human Rights, S. 615 ff., die sich auf Dokumente berufen, die trotz Geheimhaltung regelmäßig an die Öffentlichkeit gelangen. 732 ECOSOC Res. 1235 (XLII), abgedr. bei Steiner/Alston, International Human Rights, S. 619 f. 730

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tiert, in denen Menschenrechtsverletzungen zutage treten. Der Hinweis auf solche Verletzungen erfolgt durch Staaten oder Nichtregierungsorganisationen. Falls die Verletzungen bejaht werden, kann der Unterausschuss einen Spezialberichterstatter – Special Rapporteur – benennen, der weitere Untersuchungen vornehmen soll, es können Entschließungen gefasst oder der Sicherheitsrat zu eigenen Aktivitäten angerufen werden.733 Ebenso kann der Unterausschuss von konkreten Staaten unabhängig eine allgemeine Untersuchung zu einem bestimmten Thema veranlassen, dessen Beachtung dann in allen Staaten überprüft wird. Solche thematischen Berichte wie z.B. über willkürliche Verhaftungen, können ebenfalls die Aufmerksamkeit auf selbstbestimmungsrechtsverletzende Situationen lenken. d) Humanitäre Intervention als Sonderfall Im Zusammenhang mit der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Völker ist in den letzten Jahren auch die oben schon angesprochene Diskussion um die Zulässigkeit einer humanitären Intervention wieder aufgelebt.734 Seit die International Law Commission in ihrem ursprünglichen Entwurf die Verletzung des Selbstbestimmungsrechts durch einen Staat zu einem Verbrechen erklärt hatte,735 beschäftigt sich die Völkerrechtslehre mit der Frage, ob dann auch eine gewaltsame Intervention durch die Staatengemeinschaft oder gar unilateral zur Sicherung des Selbstbestimmungsrechts eines Volkes gegen den unterdrückenden Staat zulässig sei. Das Selbstbestimmungsrecht ist ein „general right“ und enthält eine Verpflichtung gegenüber der übrigen Staatenwelt. Verstöße dagegen können nicht mit Hinweis auf innerstaatliche Rechtfertigungsmöglichkeiten entschuldigt werden. Es besteht vielmehr ein internationales Interesse an der Beachtung dieses Rechts, weshalb teilweise angenommen wird, bei gravierender Verletzung sei eine Intervention durch die Staatengemeinschaft ohne Weiteres zu rechtfertigen.736 Breite Unterstützung erhält die Erkenntnis, dass eine einmal erfolgte Intervention nachträglich als zulässig zu bewerten sei, wenn sie zur Sicherung des Selbstbestimmungsrechts erfolgte.737 ___________ 733

Einzelheiten und Möglichkeiten bei Steiner/Alston, International Human Rights, S. 620 ff. 734 Überblick bei Herdegen, Völkerrecht, § 34 Rdnr. 25 ff. 735 Dazu Crawford/Peel/Olleson, 12 EJIL [2001], 963 ff. 736 Fink, JZ 1998, 330, 336 f., der auch auf die teilweise vertretene Ansicht verweist, daraus erwachse ein „Interventionsgebot“. Insgesamt gegen solche Stimmen Schilling, AVR 1997, 430, 440 ff., außer bei staatsvertraglicher Selbstverpflichtung eines Staates dieses Recht zu gewähren und folgender Entziehung des Rechts. 737 So die Argumentation von Crawford, in: Peoples’ Rights, S. 7, 40 ff.; er bezieht sich dort auch auf die noch gegenteilige Auffassung des IGH in ICJ Rep. 1986, 14,

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Andere dagegen weisen darauf hin, dass trotz der graduellen Erweiterung des Anwendungsgebietes der humanitären Intervention noch kein rechtlich formuliertes Institut einer Intervention zugunsten eines Selbstbestimmungsrechts geschaffen sei, was einem Staat im Vorhinein einen Legitimationstitel zur Durchführung einer solchen Intervention gebe.738 Mit dieser Ansicht wird man davon ausgehen müssen, dass eine allgemeine Legitimation gewaltsamer Unterstützung einer kriegerischen Auseinandersetzung in einem Bürgerkrieg innerhalb eines Drittstaates am Maßstab des Völkerrechts nur in Ausnahmefällen erreicht werden kann. Jedoch ist eine Entwicklung dahingehend zu beobachten, dass bei extremen Verletzungen von Menschenrechten – dazu zählt insbesondere der Versuch, eine Gruppe auszulöschen oder zu vertreiben – die Staatengemeinschaft zur Sicherung des Rechts ohne Weiteres eingreifen kann und bei Ausbleiben einer solchen UN-gestützten Intervention gegebenenfalls auch eine unilaterale oder durch andere internationale Organisation durchgeführte Intervention gerechtfertigt sein kann, wenngleich dies weiterhin strittig bleibt.739 e) Legitime Vertretungsorgane für das zur Selbstbestimmung berechtigte Volk Ein Streben nach Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts auch gegen den Willen des Mutterstaates muss aber nicht notwendigerweise in der oben beschriebenen Art gewaltsam erfolgen. Um einen friedlich geführten Diskussionsprozess in Gang zu setzen, bedarf das Subjekt, also das selbstbestimmungsberechtigte Volk, eines von ihm getragenen Vertretungsorgans, das seine Ansprüche in konzentrierter Form dem Mutterstaat und der internationalen Ge___________ 108 Rdnr. 205 f. – Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua/United States of America), wobei die damaligen Ausführungen für die Beurteilung des Falles so gar nicht nötig gewesen seien. 738 Castellino, International law and self-determination, S. 105; Fink, in: FS Schiedermair, S. 803, 816 f.; ebenso Schilling, AVR 1997, 430, 452 ff., wobei er eine moralische Rechtfertigung bejaht, die sich im Nachhinein bei erfolgreichem Sezessionsversuch und Bewertung der Situation auch zu einer völkerrechtlichen entwickeln könne. 739 Zu dieser Diskussion im Zusammenhang mit der NATO-Intervention gegen Serbien zugunsten der Kosovo-Albaner 1999 vgl. Steiner/Alston, International Human Rights, S. 653 ff.; Cassese, 10 EJIL [1999], 23 ff.; befürwortend auch Herdegen, Völkerrecht, § 34 Rdnr. 28, Kritisch weiterhin Fink, in: FS Schiedermair, S. 803, 815 ff.; Hobe, in: FS Schiedermair, S. 819, 835 f., der darin eine Rückkehr der Lehre vom gerechten Krieg in das Völkerrecht sieht. Jüngst vorsichtig bejahend auch Meessen, NZZ Nr. 40 v. 18.02.2003, S. 4; ebenso Scheffer, in: International law and ethnic conflict, S. 147, 169 ff. m.w.N. Die Behandlung des Kosovo-Konflikt aus Sicht des Selbstbestimmungsrecht analysiert Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 323 ff.; Hasani, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 228 ff.

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meinschaft gegenüber vertreten kann.740 Eine solche Anerkennung als Vertretungsorgan haben z.B. auf der Ebene der UN unter anderem die PLO (Palestine Liberation Organisation) für die Palästinenser oder die SWAPO (South West Africa People’s Organization) für die damalige namibische Bevölkerung erhalten.741 Solche Organe bzw. Einrichtungen ermöglichen eine friedliche Auseinandersetzung über die Form der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts, denn eine effektive Vertretung der Interessen des jeweiligen Volkes auf der internationalen Bühne wird in den meisten Fällen kaum durch den Mutterstaat erfolgen. Fraglich ist dann, welches Organ der Staatengemeinschaft sich mit solchermaßen vorgebrachten Forderungen auseinandersetzen sollte.742 Neben den bereits dargestellten UN-Organen, die im Rahmen ihrer Menschenrechtsarbeit auch mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker zu tun haben, bieten sich auch die Organe mit noch höherer Autorität an. Als internationales Organ, das über weitgehende Selbstbestimmungsrechtsforderungen, insbesondere nach einer Sezession, entscheiden könnte, kommt der Sicherheitsrat in Betracht, weil dieser bei einer Ausweitung der Konfliktlage ohnehin über eine sich ergebende Bedrohung des Weltfriedens zu urteilen hätte.743 Andernfalls, z.B. wenn es um die Einrichtung einer Autonomie geht, könnten auch Expertengremien – eingesetzt mit Einverständnis der beteiligten Parteien oder unter der Organisation des UN-Hochkommissars für Menschenrechte – die internationale Aufsicht und Kontrolle des Selbstbestimmungsprozesses übernehmen.744 Ferner kann sich die Generalversammlung im Rahmen des Art. 14 UN-Charta mit der Frage beschäftigen, wie sich im Rahmen eines „peaceful change“ eine dem allgemeinen Wohl zuwiderlaufende Situation, z.B. in Form einer dauerhaften Missachtung des Selbstbestimmungsrechts eines Volkes, bereinigt werden kann.745 Unwahrscheinlich ist die ebenfalls in der Literatur vorgeschlagene Einrichtung einer ___________ 740

Ähnlich Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 270 ff. Vgl. dazu Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 198 ff.; zur PLO Murlakov, Das Recht der Völker auf Selbstbestimmung im israelisch-arabischen Konflikt, S. 110 ff., 128 ff. 742 Kriterien für das Verfahren entwickelt Brietzke, 14 Wis. Int’l. L. J. [1995], 69, 119 ff. 743 Brietzke, 14 Wis. Int’l. L. J. [1995], 69, 126; ähnlich auch Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 270, der auch die UN-Generalversammlung als Alternative anführt. Scheffer, in: International law and ethnic conflict, S. 147, 157 ff., zeigt detailliert die Legitimation der verschiedenen UN-Organe auf, sich im Rahmen ihrer Kompetenzen mit ethnischen Konflikten und Selbstbestimmungsforderungen auseinandersetzen zu dürfen. 744 So die Vorschläge von Tomuschat, in: Modern Law of Self-Determination, S. 1, 18. Brietzke, 14 Wis. Int’l. L. J. [1995], 69, 125 ff. 745 Zu dieser Rechtsfigur im Zusammenhang mit dem Selbstbestimmungsrecht vgl. Murswiek, Peaceful Change, S. 44 ff.; ausf. auch in Kap. 1 E. II. 741

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gerichtlichen Instanz oder der Zuteilung einer solchen Kompetenz an den IGH, um über Selbstbestimmungsrechtsforderungen zu urteilen und in der Folge für die Umsetzung zu sorgen.746 4. Das Selbstbestimmungsrecht als dauerhaftes Recht Zu beantworten bleibt die Frage, ob das Rechtsinstitut Selbstbestimmungsrecht dergestalt beschränkt ist, dass es von einem Volk nur einmal in Anspruch genommen werden darf und nach Verwirklichung erlischt oder ob es sich um ein Recht mit permanentem Charakter handelt. Für eine Konsumtion nach Anwendung spricht der Fall, wenn ein Staatsvolk im Werden sich für eine bestimmte Form der Staatswerdung entscheidet und damit ein bestandskräftiges Völkerrechtssubjekt schafft.747 Da das Selbstbestimmungsrecht wie gesehen aber zahlreiche Aspekte in sich birgt, die auch in unterschiedlicher Stärke in Anspruch genommen werden können, sprechen die besseren Argumente gegen die Limitierung zum einmaligen Gebrauch und für eine dauerhafte Geltung.748 Dementsprechend ist auch im Wortlaut der Art. 1 der Menschenrechtspakte die englische Gegenwartsform verwendet worden.749 Auch in der Allgemeinen Bemerkung 12 (21) des Menschenrechtsausschusses fordert dieser von den Staaten, dass in ihren Berichten „die verfassungsmäßigen und politischen Prozesse [...], die die Ausübung dieses Rechts [aus Art. 1] in der Praxis ermöglichen“, beschreiben.750 Die regelmäßig abzuliefernden Staatenberichte sind also Beleg dafür, dass die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts für die verschiedenen Träger innerhalb der Staaten ein andauernder Prozess ist. ___________ 746 Idee dazu bei Moore, The ethics of nationalism, S. 227 ff., die aber selbst ebenfalls skeptisch ist. 747 Für Konsumtion sind beispielsweise Gusy, AVR 1992, 385, 401; Emerson, 65 AJIL [1971], 459, 465; Doehring, in: Charta der Vereinten Nationen, nach Art. 1 Rdnr. 59, nur für Fälle entsprechender vertraglicher Selbstbeschränkung (um diese Verträge mit Rechtssicherheit auszustatten). 748 So z.B. Kimminich, in: Modern Law of Self-Determination, S. 83, 90; Tomuschat, in: FS Partsch, S. 183, 203; Frey, Selbstbestimmungsrecht, Sezession und Gewaltverbot, S. 47 m.w.N. in Fn. 19; überzeugend bzgl. innerem und äußerem Selbstbestimmungsrecht Oeter, 52 ZaöRV [1992], 741, 754 f. und vorher an Beispielen 751 f.; Klein, in: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die deutsche Frage, S. 107, 117 („Dauerwirkung“). Escarameia, in: International Law and the Question of East Timor, S. 119, 148. 749 Nowak, CCPR-Kommentar, Art. 1 Rdnr. 18. 750 HRC, Allgemeine Bemerkung Nr. 12 (21) zu Art. 1 IPbpR, Ziff. 4; vgl. dazu Heintze, Selbstbestimmungsrecht und Minderheitenrechte, S. 26. Allgemeine Bemerkung abgedr. ebda. in Anhang, S. 194 ff.

C. Rechtlicher Gehalt

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Dies ist auch aus praktischen Gründen zu bejahen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich ein Volk zunächst für ein normales Leben innerhalb eines Staates entscheidet, weil es seine Eigenarten ungestört pflegen kann, später aber durch eine Veränderung des politischen Klimas diese Manifestation der Andersartigkeit schwieriger wird und daher festgeschriebene Autonomieregelungen erstrebt werden. So zeigt das Beispiel Eritreas, in dem die zunächst vorhandenen Rechte innerhalb des Staates Äthiopien für das eritreische Volk immer stärker beschnitten wurden und dieses daher zunehmend mehr nach Unabhängigkeit strebte. Würde das Selbstbestimmungsrecht als „once-for-all right“ konstruiert, wäre nach einer ersten Regelung, die durch das internationale Recht bestimmt wurde, jede nachgängige Verletzung oder Einschränkung durch Veränderung eine nationale Angelegenheit ohne Möglichkeit, von außen dagegen vorzugehen.751 Ähnliches hätte für Ost-Timor gegolten: hätte sich das Volk zunächst für die Wahl einer internationalrechtlichen, Indonesien verpflichtenden Autonomie statt der Unabhängigkeit entschieden, hätte es diesen Status dennoch später wieder in Richtung einer Selbständigkeit verändern dürfen.752 Auch im Zusammenhang mit Puerto Rico hat die Dauerhaftigkeit des Selbstbestimmungsrechts eine Rolle gespielt: Da die erste Abstimmung über eine Assoziation mit den USA nicht in vollem Umfang die Bevölkerung berücksichtigt hat und nach Ansicht mancher Autoren fehlerhaft war, müsse das Recht zur Bestimmung des Status weiterleben.753 5. Lösungsmodell: Selbstbestimmungsrecht der Völker als hierarchisches Recht Diese zum Teil sehr weitgehenden Bestätigungen eines Selbstbestimmungsrechts, das auch die Variante der Sezession beinhaltet und zudem auch dauerhaft für die Völker gilt, vermögen zunächst das Augenmerk darauf zu lenken, dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker die Existenz jedes Staates zumin___________ 751

Zu diesem Beispiel Crawford, in: Peoples’ Rights, S. 7, 20. So Hannikainen, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 79, 90. Kritisch zur Art der Fragestellung, die die Unabhängigkeitsoption hinter einer Ablehnung der zur Wahl gestellten Autonomie „versteckt“ hat Drew, 12 EJIL [2001], 651, 674 f. Ähnliche Probleme beim Referendum 1995 in Quebec erörtert Moore, The ethics of nationalism, S. 216 Fn. 24. 753 Klüpfel, Selbstbestimmung durch Assoziation, S. 239, die die Art der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts als mit dem heutigen Standard unvereinbar ansieht. Ebenso Declet, 28 Syracuse J. Int’l L. & Com. [2001], 19 ff., der das Recht zur Teilnahme an einem Plebiszit auch auf die bereits in den USA lebenden Puerto Ricaner erstrecken möchte. 752

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dest potentiell bedroht.754 Obwohl dies zutreffend ist, ist die sog. „SezessionsProblematik“ in der Wirklichkeit keine dramatische. So wird in den wenigsten tatsächlichen Selbstbestimmungsrechtsfällen dieses Ziel zulässig sein bzw. schon auch gar nicht verfolgt werden.755 Vielmehr wird den meisten Subjekten die Zuerkennung individueller und Gruppenrechte genügen, gegebenenfalls innerhalb einer Autonomie, um die täglichen naheliegenden Identifikationsprozesse – Sprache, Religion, Erziehung, Riten – durchführen zu können und so die Eigenständigkeit zu bewahren.756 Die Ablehnung eines externen Selbstbestimmungsrechts durch die davon bedrohten Staaten, die zugleich Träger und Schöpfer der Völkerrechtsordnung sind, ist wegen ihres Bestrebens zur Macht- und Statuserhaltung verständlich.757 Sie ändert aber nichts daran, dass ein solches Recht heute zur völkerrechtlichen Geltung des Selbstbestimmungsrechts dazugehört.758 Dabei ist das Selbstbestimmungsrecht nicht eine Zeitschiene, die notwendig bei der Unabhängigkeit endet und lediglich die Frage ist, auf welcher Station dieser Schiene ein Volk sich zur Zeit befindet bzw. es seinen derzeitigen Status festgelegt hat.759 Viel eher ist es ein Kernrecht von Völkern, das auf verschiedene Art und Weise verwirklicht werden kann.760 Diese Verwirklichungsformen sind aber ___________ 754 Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rdnr. 1557; da aber das Recht auf territoriale Integrität nicht unabhängig von der Legitimation der staatlichen Herrschaft über dieses Gebiet sei, könne der Verlust der territorialen Einheit bei illegitimer Herrschaft hingenommen werden, so Tesón, in: International law and ethnic conflict, S. 86, 110. 755 Im Gegenteil ist davon auszugehen, dass die Zuerkennung eines Sezessionsrechts solchen Bestrebungen eher die Spitze nimmt, weil die Staaten sich dann genötigt sähen, die Identität der Minderheiten besser zu schützen. So auch die Einschätzung von Moore, The ethics of nationalism, S. 218, die deshalb ein allgemeines, verfassungsrechtlich zu garantierendes „right to exit“ für Minderheiten verlangt, die nicht in einem Staat gefangen bleiben müssten, mit dem sie sich nicht identifizierten oder den sie nicht als legitim betrachteten. 756 Galtung, 70 NJIL 263 [2001], 264; Hannum, 34 Va. J. Int’l. L. [1993], 1, 64 f., der deshalb für einen Ausbau solcher Schutzrechte zugunsten von Minderheiten und indigenen Völkern plädiert. 757 Daher komme es auch nicht zur eigentlich zu bevorzugenden verfassungsrechtlich garantierten Sezessionslösung, sondern müsse ein solches Recht im Völkerrecht verankert werden, so Moore, The ethics of nationalism, S. 220 ff. 758 Thürer, AVR 1984, 113, 129 f.; vgl. dazu auch Skurbaty, As if Peoples Mattered, S. 398 ff., der auch die zahlreichen Optionen, die sich etablieren, aufzeigt. 759 Zu diesem Bild Heintze, Selbstbestimmungsrecht und Minderheitenrechte, S. 115, dort Text zu Fn. 382. 760 Escarameia, in: International Law and the Question of East Timor, S. 119, 142 ff., schlägt daher eine Verwendung der Einzelbestandteile in der täglichen Praxis unter den konkreten Namen vor und die Beibehaltung des Selbstbestimmungsrechts als übergreifendem Konzept: „Self-determination does encompass a multitude of claims but they are divided among several factions“ (S. 149), damit werde verhindert, dass hinter einer vielbedeutenden Begrifflichkeit Verantwortung abgelehnt werde, die im Falle Ost-

C. Rechtlicher Gehalt

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nicht frei wählbar, manche „extremere“ Formen fordern zunächst, dass andere Möglichkeiten in Anspruch genommen werden, aber fehlgeschlagen sind.761 In diesem Sinne ist das interne wie das externe Selbstbestimmungsrecht immer das gleiche eine Selbstbestimmungsrecht mit nur anderen Erscheinungsformen: „Such categorization is not harmful als long as its authors do not pretend that there are so many types of the right of self-determination and that each of them excludes all others. [...] not intend to split the right of self-determination into two categories but rather they attempt to distinguish between two situations in which this right is exercised [...] two modes of implementation“.762

Wenn ein Staat dem Träger das Recht auf defensives Selbstbestimmungsrecht nicht verwehrt und materiell gültig verwirklicht, kann sich für diese Gruppe kein offensives Selbstbestimmungsrecht auftun, weil das Ziel des Rechts verwirklicht worden ist. Erst in Staatsverbänden, die sich systematisch dem Prinzip des Selbstbestimmungsrechts widersetzen, ist eine Reaktion in Form einer Sezession möglich, um zu diesem Ziel zu gelangen.763 Damit ist das moderne Selbstbestimmungsrecht ein hierarchisches Recht, das stufenweise von Völkern verwirklicht werden kann, wobei die letzte Stufe aber nur ausnahmsweise erreicht werden wird. Nicht mehr relevant ist das Selbstbestimmungsrecht in seiner neutralen Variante, in der erstmals die politische Lage eines abgegrenzten isolierten Territoriums zu bestimmen ist, weil dieses völlig ungeklärt ist.764 Ein solches Souveränitätsvakuum besteht nicht einmal mehr auf dem Gebiet der Antarktis, die durch ein Sonderregime geregelt wird. Früher waren dagegen solche Möglichkeiten zur Staatsbildung oder zum Anschluss an bestehende Staaten gegeben,

___________ Timors durch das „Verstecken“ hinter den verschiedenen Begrifflichkeiten zu einem – von der Staatengemeinschaft nur halbherzig beachteten – Genozid geführt habe (S. 150). Auch Skurbaty, As if Peoples Mattered, S. 263 betont die notwendige Flexibilität bei der Anwendung im Einzelfall. 761 Insoweit seien im Zusammenhang mit dem Staatenverhalten gegenüber dem auseinanderbrechenden Jugoslawien brauchbare Kriterien entwickelt worden, welche interne Verwirklichung erfolglos anzustreben ist, bevor externe Selbstbestimmung möglich wird, so Tierney, 6 IJMGR [1999], 197, 222. 762 Kimminich, in: Modern Law of Self-Determination, S. 83, 88. Ähnlich Foster, 12 EJIL [2001], 141, 143, die darauf hinweist, dass das Recht in unterschiedlichen Situationen unterschiedliche Bedeutung entfaltet hat. 763 Kirgis, 88 AJIL [1994], 304, 308 f., entwickelt ein grafisches Schema zur Beurteilung der Legitimität einer Sezession. 764 Dies bedeutet aber nicht, dass die Weltkarte einen Endpunkt in ihrer Evolution erreicht hat, vielmehr bleiben die territoriale Integrität von Staaten und das Selbstbestimmungsrecht zwei gegensätzliche Rechte, die Auswirkungen auf die Landkarte des Globus haben können, vgl. Knight, in: The living law of nations, S. 179, 194.

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ohne dass sich negative ungewollte territoriale Auswirkungen auf Drittstaaten zeigten.765 Das moderne Selbstbestimmungsrecht ist aber mehr als nur die defensiv oder offensiv verwirklichte Variante eines „Volks-Rechtes“. Es ist allgemein Orientierungspunkt für die Arbeit der Staatengemeinschaft und zugleich Auslegungshilfe bei der Festlegung der Bedeutung anderer Völkerrechtsnormen. Es ist zu einem „Ziel- und Gestaltungsprinzip der Weltordnung“, das die Geltung als subjektives Recht der Völker nicht verdrängt hat, geworden.766 Wenn diese Zielvorstellung befolgt wird, dann können akute Sezessionsforderungen vermieden werden. Es ist daher eine Aufgabe an die internationale Gemeinschaft, dass diese mit darauf achtet, „[...] dass legitime Selbstbestimmungsansprüche im optimalen Rahmen und unter billiger Berücksichtigung von legitimen Gegeninteressen partiell oder integral staatsintern frühzeitig entwickelt und verwirklicht werden können“.767

Durch die Beachtung der aus dem Selbstbestimmungsrecht ableitbaren Anforderungen können eigentliche Selbstbestimmungsrechtskonflikte vermieden werden. Ebenso kann Selbstbestimmungsrecht verstanden werden „as mandating neither secession nor the artificial homogenity of states, but as a potential synthesis of respect and mutual concern between whole societies and their component groups that finds expression through the discourse and practice of human rights“.768

Das moderne Selbstbestimmungsrecht ist damit ein in viele Richtungen wirkendes, mannigfaltiges Völkerrechtsinstrument, das in vielen Fällen zur Anwendung gekommen ist und insbesondere im Blick auf die indigenen Völker seine Zukunftsfähigkeit behält, wie im weiteren Gang dieser Untersuchung gezeigt werden wird. Dabei wird auf die beiden grundlegenden Ausrichtungen eingegangen, die das Selbstbestimmungsrecht der Völker aufweist. Einerseits hat das Recht eine prozessuale Seite – „self-determination as process“ –, die schwerpunktmäßig auf die Ermittlung des freien Willens des Volkes abstellt.769 ___________ 765

Zu dieser wegen der Lage der Weltkarte heute eher noch theoretischen Möglichkeit, Thürer, AVR 1984, 113, 127, mit dem Hinweis auf den Åland-Streit. 766 Thürer, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 34, 49. Ähnlich Fink, JZ 1998, 330, 338, der das Selbstbestimmungsrecht als allgemeinen Rechtsgrundsatz betrachtet, mit dem „das Völkerrecht durch die Implementierung materieller Kriteren zu einer gerechteren Ordnung“ gemacht werden soll. 767 Thürer, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 34, 50. 768 Thornberry, in: Modern Law of Self-Determination, S. 101, 138. 769 Drew, 12 EJIL [2001], 651, 658 ff. Von ihr stammen auch die englischen Kategorien, wobei sie davon ausgeht, dass im Völkerrecht bislang die prozessorientierte Seite einen Schwerpunkt gespielt habe, vgl. S. 659. Auch Skurbaty, As if Peoples Mattered, S. 261, versteht das Recht hauptsächlich als prozedural, wobei es der anspruchsberech-

D. Aktuelle Anwendungsfälle

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Andererseits muss aber das Selbstbestimmungsrecht auch eine materielle Seite – „self-determination as substance“ – haben, die Mindestanforderungen an den Inhalt dessen, was das Volk wählen kann, stellt, so z.B. die tatsächliche Entscheidungskompetenz über Territorium und Ressourcen, das Recht auf Existenz und kulturelle Integrität und ähnliches.770

D. Aktuelle Anwendungsfälle Schon in der Einleitung wurde auf die Vielzahl von Situationen hingewiesen, in denen Bezug auf das Selbstbestimmungsrecht genommen wird. Zum Ende des 20. Jahrhunderts und Anfang des 21. Jahrhunderts haben nur noch wenige Randfälle mit dem Prozess der Dekolonisierung und seinen Folgen zu tun. Alle übrigen beziehen sich auf verschiedene Formen der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts. Diese Fälle sollen hier nicht detailliert vorgestellt und untersucht werden. Einerseits existiert dazu eine Fülle fallbezogener Literatur, die bereits erwähnt worden und auf die verwiesen wird. Zum Anderen wurden und werden die einzelnen Situationen in verschiedenen Abschnitten dieser Arbeit mit herangezogen. Ohne dass die volle Geltung des Selbstbestimmungsrechts im Einzelfall näher analysiert wird, dient deren Erwähnung zur Illustration der Brisanz des Rechtsinstituts und gibt Aufschluss darüber, in welchem Kontext im 21. Jahrhundert das Selbstbestimmungsrecht wohl die dominierende Rolle spielen wird. Der Modellfall hierfür – dies kann schon vorweggenommen werden – sind die indigenen Völker als Beispiele ethnischer Völker, die im zweiten Kapitel der Arbeit eingehend untersucht werden.

I. Beispiele für Berufungen auf das Selbstbestimmungsrecht Das Selbstbestimmungsrecht der Völker kann dazu dienen, durch unberechtigt gezogene internationale Grenzen geteilte Völker in einem einheitlichen Staat wieder zusammen zu führen. Insoweit berief sich ein Großteil der westdeutschen Völkerrechtsliteratur über Jahrzehnte auf das Selbstbestimmungsrecht, um eine Wiedervereinigung Deutschlands zu erreichen. Eine Lösung anhand dieses Rechts wäre sicherlich möglich und zutreffend gewesen, letztlich musste aber über Anwendung und Ausgestaltung des Selbstbestimmungsrechts in diesem Kontext nicht gestritten werden, da die Wiedervereinigung durch eine zwischenstaatliche Regelung im sog. „2+4-Vertrag“ – dessen Präambel das Selbstbestimmungsrecht der beteiligten Völker ausdrücklich anerkennt – ___________ tigten Gruppe helfe, zwischen den verschiedenen ihr zur Verfügung stehenden Optionen richtig zu wählen und diese Wahl dann auch zu implementieren. 770 Zu dieser Seite Drew, 12 EJIL [2001], 651, 662 f.

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Kapitel 1: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker

vorbereitet und dann durch Anschluss der damaligen DDR an die Bundesrepublik Deutschland, der von der Repräsentation des Volkes – der gewählten Volkskammer – beschlossen worden war, erfolgte.771 Die Bewertung des Auseinanderfallens des ehemaligen Jugoslawiens und der Sowjetunion nach 1990 wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Einerseits werden beide Fälle gewertet als klassischer Ausdruck einer Abspaltung von verschiedenen Teilen eines Staates aus einem Verbund, der keine legitime Repräsentation der gesamten Bevölkerung darstellt. Ein Sezessionsrecht für die Teilrepubliken war in beiden Staaten sogar explizit vorgesehen, wenngleich eine gewaltfreie Ausübung dieses Rechts wohl bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion kaum toleriert worden wäre. Anderereseits wird am Beispiel Jugoslawiens gefordert, deutlich zwischen Sezession und „dissolution“ (also einem Auseinanderfallen) zu unterscheiden, weil diese beiden Kategorien unterschiedliche rechtliche Konsequenzen hätten.772 So habe die Staatengemeinschaft bewusst die Situation als Zerfall gewertet, um den serbisch dominierten Staatsorganen die Autorität zur Vertretung der abgespaltenen Teilstaaten zu entziehen.773 Nach dieser Ansicht sind also die Ereignisse im Zusammenhang mit dem ehemaligen Jugoslawien nicht als Beitrag zu einem neu herausgebildeten allgemeinen Sezessionsrecht zu werten.774 Weitergehend wird kritisiert, dass auch in diesen Fällen das uti possidetis-Prinzip eine flexible Lösung verhindert habe.775 Nichtsdestotrotz können Staatendismembrationen Ausdruck für ___________ 771 So auch Müller, Der „2+4“-Vertrag und das Selbstbestimmungsrecht, S. 117 ff., 233 ff., 244 ff., der jedoch in der Art der Durchführung einen Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht sieht. 772 Vgl. dazu Crawford, 69 BYIL [1998], 85, 117, der in Fällen einer solchen Auflösung aber die „einseitige“ Sezession eines bestimmten Gebietes nicht mehr von der Zustimmung des Gesamtstaates abhängig macht. 773 Dies ist jedenfalls die Einschätzung von Crawford, in: Peoples’ Rights, S. 7, 54 f. 774 Nichtsdestotrotz sei mit den Ereignissen in Jugoslawien für den europäischen Raum ein stärkerer Zusammenhang zwischen den beiden Komponenten des Selbstbestimmungsrechts klar geworden: „If the recognition policy extended towards the Yugoslav republics has given humanitarian content to the legal meaning of self-determination it can be argued that in doing so it has helped bring closer together the internal and external aspects of the principle at least in so far as the principle applies in Europe“, so Tierney, 6 IJMGR [1999], 197, 221. 775 Vgl. dazu Fisch, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 11, 26 f., der auch im Friedensabkommen von Dayton für das ehemalige Jugoslawien ein faktisches Sezessionsverbot erkennt und schlussfolgert: „[...] Symbol nicht etwa für den Beginn des Zeitalters der zunehmenden Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Völker, sondern für das vorläufige Ende einer Illusion“ (S. 28). Anders bezüglich des uti possidetis-Prinzips dagegen Simmler, 32 VRÜ [1999], 210, 212, 230 ff.

D. Aktuelle Anwendungsfälle

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das Bestreben der unterschiedlichen Völker nach Selbstbestimmung durch eigene staatliche Organisation sein. Noch heute wirken sich die Folgen der Kolonisation – auch bezogen auf das herkömmliche Verständnis – in einigen ungelösten Konfliktfällen aus. So ist beispielsweise das ehemalige Mandatsgebiet Palästina bis heute nicht zu einem Territorium geworden, dass dem palästinensischen Volk Heimat gewähren würde. Der andauernde Konflikt mit Israel über die Art der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts und die Schwierigkeiten wegen dem von beiden Seiten gewaltsam ausgetragenen Konflikts, ändern nichts an der Einschlägigkeit des Selbstbestimmungsrechts. Diese wird kaum bestritten und auch Israel selbst hat schon vor Jahren durch die Anerkennung der PLO als Vertreterin des palästinensischen Volkes dessen aus Art. 1 IPbpR folgende Selbstbestimmung zumindest implizit anerkannt und kann daher von dieser grundsätzlichen Position nicht mehr abrücken.776 Heute geht es auch nicht mehr um die grundsätzliche Frage der Berechtigung eines besonderen Status, sondern um die Form dieses Status und die Sicherung der Interessen des israelischen Staates bei der Überführung der relevanten Gebiete in einen neuen Status.777 Um die Bandbreite möglicher Anwendungsfälle für das Selbstbestimmungsrecht im heutigen Völkerrecht zu zeigen, kann auch der einige Jahre zurück liegende „Fall Österreich“ im Kontext der Europäischen Union herangezogen werden. Es ist andernorts vertreten worden, dass die damaligen „Sanktionen“ der EU-Staaten – auf bilateraler Ebene, nicht durch die EU ausgesprochen – gegenüber Österreich, als dort erstmals die rechtsgerichtete Partei „FPÖ“ („Freiheitliche Partei Österreichs“) Koalitionspartner auf Bundesebene wurde, einen „eklatanten Verstoß“ gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker bedeuteten, obwohl die EU den Respekt davor von ihren Mitgliedern einfordere. Durch die Maßnahmen der übrigen EU-Staaten wie das Einfrieren der Einbindung Österreichs in Besprechungen und die Anfertigung eines Berichts von drei „Weisen“ über die Menschenrechtssituation in Österreich, sei eine demokratisch gewählte Regierung politisch isoliert worden, obwohl kein Menschenrechtsverstoß vorlag.778 Diese Sichtweise ist wohl zu weitgehend, da schon fraglich ist, ob es sich um einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht handelt, aber es zeigt zumindest, dass die Einschlägigkeit in einer Vielzahl unterschiedlicher Konstellationen diskutiert wird. ___________ 776

Heintze, Autonomie und Völkerrecht, S. 25. Die Ausgestaltung der Autonomiegebiete und ihre immer wieder zurückgezogene und neu gewährte Autonomie machen es unmöglich, hier in der gebotenen Kürze eine Darstellung zu bringen. 778 So jedenfalls Müller, Das Recht auf Selbstbestimmung, FAZ Nr. 36 v. 12.02.2000, S. 12, wobei jene Situation eher ein Problem des Interventionsverbotes war. 777

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Kapitel 1: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker

II. Ethnische Konflikte als wichtigste Fallgruppe „More than any previous age, ours is marked by ethnic conflicts.“779

Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist ob ethnischen Konflikte Ergebnis der oder Grund für eine Ausweitung des Selbstbestimmungsrechts sind. Ethnisch motivierte Konflikte bilden den Hintergrund für eine große Zahl von auch kriegerisch geführten Auseinandersetzungen innerhalb von heutigen Staaten, wobei häufig diese Ursache neben anderen Auslösern steht.780 Wenn Ethnien in der Möglichkeit, ihre gruppenspezifischen Merkmale zu leben und als Gruppe zu überleben, behindert werden, entsteht eine soziale Spannung, die die Loyalität zum Staatsverband, der von der Mehrheitsbevölkerung getragen wird, schwächt.781 Insoweit ist nicht davon auszugehen, dass die oben nachgezeichnete Erweiterung des Selbstbestimmungsrechts über den Dekolonisierungskontext hinaus den von solchen Repressalien bedrohten Völkern überhaupt erst die Tür zur Berufung auf das Völkerrecht geöffnet und damit den Konflikt verschärft hat.782 Vielmehr sind die Forderungen ethnischer Gruppen schon immer virulent. Die Anwendung des Selbstbestimmungsrechts auf diese Gruppen, wenn sie den Status des Volkes erfüllen, schafft zumindest die potentielle Möglichkeit, den Konflikt zu verhindern oder friedlich unter Aufsicht der Staatengemeinschaft zu lösen.783 Dies insbesondere durch den Druck auf die Staaten, die sich den berechtigten Selbstbestimmungsforderungen stellen müssen, um eine Sezession zu vermeiden. Weil Konflikte immer, insbesondere wenn sie gewaltsam geführt werden, die größte Bedrohung für die individuellen Menschenrechte sind,784 ist schon aus diesem Grunde ein Engagement der UN und eine Aus___________ 779

Ghai, in: Autonomy and ethnicity, S. 1. Van den Berghe, in: Dealing with Difference, S. 401, 402 sieht in einer „Denationalisierung“ des Staates die Lösung für diese ethnischen Konflikte. 781 Barsh, in: The living law of nations, S. 143, 146 f. zu möglichen Vermeidungsstrategien durch ausgeglichene Machtverteilung im Inneren des Staates. 782 So aber wohl Schoder, Vom Minderheitenschutz zum Schutz verwundbarer Gruppen, S. 154 f., die ein ethnisch verstandenenes Selbstbestimmungsrecht vehement ablehnt, weil damit die Gefahr folgender grober Menschenrechtsverletzungen bestehe. Sie gesteht aber auch zu, dass eine solche Beschränkung Bürgerkriege nicht verhindern wird, will aber damit den beteiligten Parteien wenigstens keinen Legitimationstitel zur Führung der kriegerischen Auseinandersetzung verleihen. Ähnlich bezüglich eines allgemeinen Selbstbestimmungsrechts für ethnische Gruppen weiterhin Cassese, International Law, S. 108. 783 So auch Alfredsson, 59 ZaöRV [1999], 529, 534: „essential for the satisfaction of indigenous and minority needs and, by extension, for the prevention of violent ethnic conflicts“. 784 Vgl. dazu Wilson, 11 Conn. J. Int’l L. [1996], 433, 485. 780

D. Aktuelle Anwendungsfälle

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prägung von Gruppenrechten angemessen, um die Bedrohung des Friedens auf größerer Ebene zu verhindern.785 Solche ethnisch motivierten Konflikte, die eine Anwendung des Selbstbestimmungsrechts rechtfertigen, spielen sich in allen Teilen der Welt ab. Zahlreiche als „Rebellenbewegungen“ bekannte Gruppierungen streiten mit gewaltsamen Mitteln letztlich um eine Beachtung ihrer Interessen als Volk. Dies dürfte, ohne dass dies hier näher untersucht wird, zum Beispiel für die Chiapas und die Bewegung „Ejército Zapatista de Liberación Nacional“ (ELZN) ebenso wie für die „Liberation Tigers of Tamil Eelam“ (LTTE) in Sri Lanka786 gelten. In beiden Fällen scheint es zu gelingen, Jahrzehnte bürgerkriegsähnlicher Zustände durch Autonomielösungen und damit Anerkennung eines besonderen Gruppenstatus der jeweiligen Minderheit im Gesamtstaat zu lösen, wobei jedoch in Sri Lanka der Konflikt seit 2006 wieder stärker militärisch geführt wird. Doch auch in Europa gibt es Konfliktherde, die zumindest ursprünglich ethnische Ursachen haben.787 So dürfte die Auseinandersetzung in Nordirland, die unter Berufung auf die jeweilige Religion besonders heftig geführt wurde, ebenfalls in den Bahnen des Selbstbestimmungsrechts einer dauerhafteren Lösung zugeführt werden können.788 Zum Schutz von Minderheiten hat der Europarat sowohl ein Rahmenabkommen zum Schutz nationaler Minderheiten als auch eine eigene Charta der Regional- und Minderheitensprachen eingerichtet,789 die im europäischen Raum – bei den Ratifikationsstaaten – Ausdruck eines verstärkten Bewusstseins für einen Sonderstatus und -behandlung ist. Die Einbeziehung der UN in Konfliktsituationen, bei denen die Staatsgewalt entweder nicht bereit oder nicht in der Lage war, in effektiver Weise die inner___________ 785

Scheffer, in: International law and ethnic conflict, S. 147 und 149. Dazu Seifert, 34 VRÜ [2001], 48, 54 ff.; Seifert, 34 VRÜ [2001], 167, 176 f.; ferner schon oben Fn. 682. 787 Einen Überblick über die Minderheiten in den europäischen Staaten gibt die Themenausgabe „Nationale Minderheiten in Europa“, Das Parlament Nr. 34 v. 20.08.1999. 788 Vgl. hierzu in aller Kürze Müller, FAZ v. 12.05.1998, S. 16. Der zwischen Irland und dem Vereinigten Königreich 1985 abgeschlossene Vertrag (Anglo-Irish Agreement) ist ein bilaterales Minderheitenschutzabkommen, das zugleich – so Symmons, XXII The Irish Jurist [1987], 71, 97 f. – das Selbstbestimmungsrecht der nordirischen Bevölkerung einbezog und die Möglichkeiten zu einer Ausübung skizzierte. 789 Das Rahmenabkommen ist 1998 in Kraft getreten und es gab Bestrebungen, es als Zusatzprotokoll zur EMRK auch der Jurisdiktion des EGMR zu unterwerfen, vgl. dazu Meldung in NZZ Nr. 20 v. 25.01.2001, S. 5; zur Zeit untersteht es jedoch lediglich einem Monitoring-Verfahren. Zu den positiven Auswirkungen z.B. für die Sorben in Deutschland vgl. Ahrndt, NZZ Nr. 241 v. 17./18.10.1998, S. 55 und S. 56. Die positiven Auswirkungen der Zwei- bzw. Dreisprachigkeit der meisten Minderheitenangehörigen für die Schaffung eines funktionierenden föderalen Europa zeigt Arquint, NZZ Nr. 5 v. 08.01.2001, S. 13. 786

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Kapitel 1: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker

staatlichen Völker bei der Entscheidung über den künftigen Status mitwirken zu lassen, hat sich als hilfreich erwiesen. So konnten die jahrelangen Auseinandersetzungen in Eritrea ebenso unter Aufsicht der UN beendet werden wie in Ost-Timor, wie weiter unten gezeigt wird. Auch in anderem Kontext hat die Erfüllung des Selbstbestimmungsrechts friedensstiftend gewirkt und eine dauerhafte Lösung im Interesse des beteiligten Volkes und des Gesamtstaates ermöglicht. Als Beispiele hierfür lassen sich etwa die völkerrechtlich abgesicherte Autonomie Südtirols790 oder die Schaffung eines neuen Kantons Jura in der Schweiz791 nennen. Dass das Selbstbestimmungsrecht in zahlreichen Fällen auch bei offenkundiger Anwendbarkeit vollständig missachtet wird, zeigt das Beispiel Tibets, das bis heute von China besetzt bleibt.792 Dies liegt wohl vor allem auch an der Tatsache, dass der betroffene Nationalstaat China ein mächtiger Akteur auf der weltpolitischen Bühne ist und dass die politische Agenda der Staatengemeinschaft die Situation Tibets nur selten thematisiert hat.793 Die Annexion Tibets durch China ist bis heute von der tibetischen Bevölkerung nicht akzeptiert worden, so dass kein legitimer Herrschaftstitel über dieses Gebiet vorliegt.794 Aber auch wenn mit der chinesischen Position angenommen wird, es handle sich um einen Teil des chinesischen Staatsgebietes, steht den Tibetern ein Abspaltungsrecht zu,795 weil die chinesische Regierung konsequent eine Vertretung der Interessen dieser Bevölkerung verhindert796 und zugleich Menschenrechtsverlet___________ 790

Dazu z.B. Zeyer, Der völkerrechtliche und europarechtliche Status von Südtirol, passim. 791 Dazu z.B. Thürer, AVR 1984, 113, 136 und Brühl-Moser, Die Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts, S. 307 ff. 792 Zur Geschichte der Okkupation vgl. International Commission of Jurists, Tibet, S. 44 ff. 793 Klein, in: Perspektiven für Tibet, S. 60 ff. weist aber darauf hin, wie wichtig die konsequente und dauerhafte Betonung eines Rechtsstandpunktes ist, um bei politisch günstigerer Zeit dann noch Wirksamkeit entfalten zu können. Der ehemalige deutsche Außenminister Fischer hat z.B. auch vor der UN-Menschenrechtskommission in einer Rede deutliche Kritik an China geübt und Autonomierechte für die Tibeter eingefordert, vgl. Meldung in NZZ, Nr. 67 v. 21.03.2002, S. 3. 794 Klein, in: Perspektiven für Tibet, S. 60, 67. Der im Exil in Indien lebende Dalai Lama, das religiöse Oberhaupt der tibetischen Buddhisten, hat zwar aus diplomatischen Gründen lange auf die Forderung nach Eigenstaatlichkeit verzichtet, forderte aber vor einigen Jahren, dass eine Volksabstimmung die Entscheidung über die Zukunft des Landes entscheiden soll, vgl. Meldung in NZZ Nr. 59 v. 12.03.2001, S. 4; vgl. ferner zu seiner (damaligen) Position International Commission of Jurists, Tibet, S. 339 f. 795 Ebenso International Commission of Jurists, Tibet, S. 324 ff. Schmitz, Tibet und das Selbstbestimmungsrecht, S. 159 ff., 177 f. bejaht das Selbstbestimmungsrecht der Tibeter als Restitutionsanspruch und als Notwehrlage, S. 227 ff., 321. 796 International Commission of Jurists, Tibet, S. 338.

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zungen in großem Ausmaß geschehen.797 Die bisherige Untätigkeit der Staatengemeinschaft wiegt besonder schwer, weil ausführliche Vorschläge über Gegenstand und Durchführung eines Referendums in Tibet über den zukünftigen Status dieses Gebiets bereits erarbeitet worden sind.798 Es bestehen jedoch weiterhin ungezählte ethnische Konflikte, in denen es jedenfalls auch um das Selbstbestimmungsrecht einer Volksgruppe geht. So harrt die Situation im Sudan einer Lösung.799 Jahrelang erfuhr die südsudanesische Rebellenbewegung durchaus breite Unterstützung für ihr Selbstbestimmungsbegehren sogar in Form einer Abspaltung vom übrigen Staatsgebiet mit dem Argument, die politische Führung missachte die Interessen dieses Bevölkerungsteils und bekämpfe unter schweren Menschenrechtsverletzungen die Existenz der Stämme im Süden des Landes. Nachdem 2002 ein Waffenstillstand erreicht worden war, zog sich die USA von ihrer Unterstützung für das Anliegen der „Sudan People’s Liberation Army (SPLA)“ zurück.800 Es verbleiben also neben dem in dieser Arbeit behandelten Sonderfall der Anwendung des Selbstbestimmungsrechts auf eine bestimmte Kategorie ethnischer Gruppen weiterhin einschlägige Fälle, in denen das Recht beachtet werden müsste.

E. Ausblick: Wandel des Völkerrechts Nach der hier vertretenen Auffassung ist das Selbstbestimmungsrecht der Völker ein sowohl gewohnheits- als auch vertragsrechtlich anerkanntes, zwingendes Völkerrechtsinstrument, dessen Beachtung von allen Staaten zu fordern ist. Es wirkt sich auch innerstaatlich zugunsten der in einem Staat lebenden verschiedenen Völker aus und führt über mehrere Hierarchiestufen bei andauernder Verweigerung letztlich auch zu einem Sezessionsrecht. Dabei ist insbesondere die Anwendung auf indigene Völker, die im Folgenden noch genauer untersucht wird, eine jüngere Entwicklung des Völkerrechts, das sich hier wie in anderen Bereichen dynamisch zeigt. In diesem Ausblick soll anhand einiger Parallelbeispiele, die alle auch mit dem Selbstbestimmungsrecht zusammen___________ 797 Einzelheiten dazu bei Klein, in: Perspektiven für Tibet, S. 60, 70 ff.; detailliert werden die Menschenrechtsverletzungen in International Commission of Jurists, Tibet, S. 101 ff. (Bevölkerungsverschiebungen), 232 ff. (politische Gefangene und Folter), 254 ff. (Exekutionen), 260 ff. (Meinungsfreiheit) und 269 f. (Religionsfreiheit) sowie die Beschädigung der kulturellen Eigenständigkeit (S. 120 ff.) abgehandelt. 798 So z.B. in International Commission of Jurists, Tibet, S. 340 ff. Eine Veränderung der politischen Situation brachten auch die Olympischen Sommerspiele von 2008 in Peking, bei der im Vorfeld Tibet-Unterstützungsdemonstrationen brutal unterdrückt wurden. 799 Vgl. dazu Scheuch, Atlas zur Zeitgeschichte, S. 20 ff. 800 Dazu Meldung in NZZ Nr. 115 v. 22.05.2002, S. 4.

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hängen, dargestellt werden, dass diese Entwicklungsoffenheit und der teilweise schnelle Wandel oder das Entstehen neuer oder im Entstehen begriffener Völkerrechtsnormen und Anwendungsfälle allgemein zu beobachten sind.801 Die Begründung hierfür dürfte die Beschleunigung der Gesellschaftsveränderungen sein, die in Zeiten zunehmender grenzüberschreitender Zusammenarbeit in allen Bereichen sowie des Aufkommens neuer Herausforderungen (wie z.B. der globalen Umweltprobleme oder des internationalen Terrorismus) auch die Anforderungen an das Völkerrecht verändert haben.

I. Menschenrechtsschutz durch gewaltsame Intervention Menschenrechte spielen schon seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Völkerrecht eine herausgehobene Rolle. Regional haben sich bereits sehr differenzierte Mechanismen entwickelt, die auch die Durchsetzung der Individualrechte gegenüber dem Staat sichern. Als besonders effizientes System einer internationalen Organisation ist der Europarat mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu nennen. Darüber hinaus sind in den meisten Verfassungen der heutigen Staaten die Menschenrechte als eine Basis des Staates zumindest genannt. Doch auch auf universeller Ebene hat sich einiges geändert: die Errichtung der verschiedenen ad hoc-Kriegsverbrecher-Tribunale802 in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts sowie die Aufnahme der Arbeit des (permanenten) Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag durch Vereidigung der 18 Richter im März 2003 und auch die Versuche, Staatsoberhäupter trotz ihrer ursprünglichen Immunität nach Ablauf ihrer Amtszeit für schwerste Menschenrechtsverletzungen haftbar zu machen,803 zeigt, dass die „völkerrechtliche Ord___________ 801

Allg. dazu Thürer, 60 ZaöRV [2000], 557, 558: „Das Völkerrecht befindet sich seit dem Jahr 1989 in tiefgreifendem Wandel“. Bzgl. des Selbstbestimmungsrechts Fink, in: FS Schiedermair, S. 803: „Das moderne Völkerrecht zeichnet sich insbesondere durch einen rasanten Wandel in den Anschauungen über den Stellenwert der Menschenrechte und des Selbstbestimmungsrechts der Völker aus“. 802 Nach dem Erfolg der Tribunale für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda war es fast logisch, dass nach dem vorläufigen Ende des Bürgerkriegs in Sierra Leone auch über solche Einrichtungen diskutiert wurde, vgl. Mounib/Kondoch, NZZ Nr. 48 v. 27.02.2001, S. 5. 803 Vgl. nur als Beispiel die Verfolgung des inzwischen verstorbenen ehemaligen chilenischen Diktators Pinochet und die Entscheidung des britischen House of Lords, im Rahmen eines Auslieferungsgesuchs der Spanier dem ehemaligen Diktator keine Immunität zu gewähren, Thürer, 60 ZaöRV [2000], 557, 568 ff.; ferner allgemein Weiß, JZ 2002, 696 ff., v.a. 701 ff.

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nung nicht nur auf der Proklamation [...] sondern auch auf der [...] Pflicht zur Beachtung [...] der Menschenrechte gegründet ist“.804 Mit der gestiegenen Bedeutung der Menschenrechte ging auch die Diskussion um die Notwendigkeit und Möglichkeit eines Eingreifens durch die Staatengemeinschaft, regionale Zusammenschlüsse oder einzelne Drittstaaten bei massiver Verletzung dieser Rechte durch einen Staat an seiner eigenen Bevölkerung einher.805 Diese unter dem Stichwort „humanitäre Intervention“ geführte Debatte, auf die schon oben mehrfach kurz eingegangen worden ist, soll hier nicht vertieft werden.806 Es lässt sich aber an dieser Auseinandersetzung und insbesondere an den Ereignissen im Kosovo 1999 zeigen, dass die Völkerrechtswissenschaft bei aller Gegensätzlichkeit der Positionen, in breiterem Maße eine potentiell schnelle weitreichende Fortentwicklung des Völkerrechts zu attestieren bereit ist.807 Wenngleich viele Kritiker die Bombardierung Serbiens durch die NATO, um Druck auf die serbische Regierung auszuüben, den Menschenrechtsverletzungen auf dem Gebiet des Kosovo und insbesondere den dortigen Vertreibungen ein Ende zu bereiten, als völkerrechtswidrig einstufen,808 liegt dies meist nur an der Tatsache, dass die NATO diese durchgeführt hat und nicht ausdrücklich durch den UN-Sicherheitsrat dazu mandatiert worden war. Die Notwendigkeit einer Intervention dagegen wird kaum bestritten.809 Dies ist insofern bemerkenswert, als die Hürde zur Überwindung des ___________ 804 Thürer, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 34, 54 f. Ähnlich Fassbender, EuGRZ 2003, 1 ff. 805 Im Folgenden ist auf das System der kollektiven Sicherheit nach Kap. VII der UN-Charta nicht näher einzugehen, obwohl selbstverständlich auch darunter Verletzungen des Selbstbestimmungsrechts als Auslösefaktor für militärische Gegenmaßnahmen unter UN-Führung fallen können; zu den Voraussetzungen Fink, Kollektive Friedenssicherung, S. 897 ff. Vgl. als wichtigstes Beispiel für einen Kap. VII-Beschluss die Militäraktion gegen den Irak nach dessen Besetzung Kuwaits 1990, wobei die entscheidende Resolution 678 vom 28.11.1990 (S/Res/678 (1990)) hier in erster Linie zur Rückgängigmachung einer rechtswidrigen Annexion, aber auch darüber hinaus zur Wiederherstellung eines friedlichen und sicheren Zustandes, der auch Einfluss auf die innenpolitische Situation zugelassen hätte, beschlossen worden ist. Vgl. zum Ganzen nur Fink, AVR 1991, 452, 468 ff., v.a. 470 f., 474 f. und grundlegend Fink, Kollektive Friedenssicherung, S. 30 ff., 38 ff., zur konkreten Praxis 41-852. 806 Ausf. zu Hintergrund und Inhalt z.B. Schilling, AVR 1997, 430 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rdnr. 1008 ff.; Kriterien für die Bestimmung eines Anwendungsfalles schlägt Lillich, 53 ZaöRV [1993], 557 ff. vor. 807 Vorher schon grundsätzlich Reisman, 84 AJIL [1990], 866 ff.; ähnlich bei aller Vorsicht in der Bewertung der konkreten Maßnahme Thürer, 60 ZaöRV [2000], 557, 582; den Epochenwandel des Völkerrechts am Beispiel der NATO-Bombardierung beschreibt auch Kreß, NJW 1999, 3077, 3082 ff. 808 So beispielsweise Fink, in: FS Schiedermair, S. 803, 806 f.; Hobe, in: FS Schiedermair, S. 819, 821 ff. 809 Deutlich auch trotz der Kritik an den Auswirkungen auf das Gewaltmonopol des UN-Sicherheitsrates Hobe, in: FS Schiedermair, S. 819, 836.

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Kapitel 1: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker

Merkmals „Bedrohung des Weltfriedens“ damit niedriger gelegt wird, wie es sich schon durch die Ereignisse in Somalia 1992/93 – in diesem „failed state“ ermächtigte die UN die USA und weitere Staaten auch militärische Gewalt zur Wiederherstellung der Ordnung einzusetzen, um die humanitären Hilfsleistungen zu ermöglichen810 – und Haiti 1993/94 – dort ging es um die Wiedereinsetzung des rechtmäßig gewählten, aber nach einem Putsch vertriebenen Präsidenten, die mit massiven Menschenrechtsverletzungen der neuen Machthaber im Land einherging811 – angedeutet hatte.812 Eine beachtliche Strömung in der Völkerrechtslehre hält aber auch die Art der Durchführung und die Aktivität der NATO für gerechtfertigt, weil Menschenrechtsverletzungen eine erga omnes-Pflicht verletzten, gegen die alle dadurch betroffenen Staaten vorgehen könnten, wenn nicht die UN ausdrücklich aktiv wird.813 Dass solche Interventionen auch in anderem Zusammenhang zulässig, aber wegen der politischen Gegebenheiten eine rein theoretische Möglichkeit bleiben, zeigt sich am Beispiel Chinas und Tibets.814 Vor einigen Jahren begann auch eine Diskussion darüber, ob im Zusammenhang mit der Abwehr terroristischer Angriffe im Sinne einer präventiven Selbstverteidigung gewaltsames Vorgehen gegen einen Staat gerechtfertigt werden kann.815 Fraglich ist dabei zunächst, ob die Tatsache allein, dass ein ___________ 810

Zur entsprechenden Sicherheitsrats-Resolution S/Res/794 (1992) kurz Murswiek, 35 Der Staat [1996], 31, 35 f.; ausf. Boutin, 17 Suffolk Transnat’l L. Rev. [1994], 138, 158 ff.; Fink, Kollektive Friedenssicherung, S. 701 ff., 715 ff., 719 ff. 811 Dazu Heintze, 29 VRÜ [1996], 6, v.a. 19 ff.; Fink, Kollektive Friedenssicherung, S. 799 ff., 827 ff. 812 Die Möglichkeit der Intervention zur (Wieder-)Herstellung von Demokratie und Achtung vor Menschenrechten bejaht Reisman, 84 AJIL [1990], 866, 871 f. Ausführliche Studien zu den Fällen Irak, ehemaliges Jugoslawien, Somalia, Haiti und Ruanda bei Freudenschuß, 5 EJIL [1994], 492 ff., der zum Schluss kommt (S. 522), dass sich „a new instrument“ herausgebildet habe, welches jedoch nur selten zur Anwendung komme. Gegen eine Ausweitung der Intervention außerhalb der UN-Möglichkeiten Randelzhofer, in: FS Lerche, S. 51, 62 f. Nur bei entsprechend großer Zahl von Fällen bzw. unterstützender opinio iuris nimmt dies Fink, in: FS Schiedermair, S. 803, 813 f. an, weil es hier um die Veränderung bestehenden und nicht die Schaffung neuen Völkergewohnheitsrechts geht, die also eine bestehende Rechtslage überwinden muss. 813 Klein, Keine innere Angelegenheit, FAZ Nr. 142 v. 21.06.1999, S. 15; Cassese, 10 EJIL [1999], 23 ff.; Meessen, NZZ Nr. 40 v. 18.02.2003, S. 4; jeweils mit dem Hinweis auf entstehendes Völkergewohnheitsrecht. Mit beachtlichen Argumenten allgemein die auch unilaterale humanitäre Intervention bejahend Nettesheim, JZ 2002, 569, 575. Gegen eine bereits vollzogene Änderung des Gewohnheitsrechts durch die NATOBombardierung wegen der abweichenden Staatenpositionen Fink, in: FS Schiedermair, S. 803, 815 ff. 814 Klein, in: Perspektiven für Tibet, S. 60, 74 f. 815 Allg. zur präventiven Selbstverteidigung im Blick auf den Irak 2003 vgl. Murswiek, NJW 2003, 1014, 1016 ff.; Dörr/Bosch, JuS 2003, 477, 480 ff.

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Staat einen „safe haven“ für Terroristen bietet oder diese unterstützt dazu führt, dass ein einem Staat zurechenbarer Angriff vorliegt, gegen den sich ein Staat auch präventiv wehren könnte.816 Eine solche Art der Selbstverteidigung geht zwar über die UN-Charta hinaus, könnte aber über das gewohnheitsrechtlich fortgeltende Selbstverteidigungsrecht gedeckt sein. Eine solche Verteidigung müsse aber verhältnismäßig durchgeführt werden, was eine Frage des Einzelfalls sei. In diesem Sinne hält Meessen den Angriff der USA auf Afghanistan nach den Anschlägen vom 11. September 2001 für verhältnismäßig , da dort Trainigscamps für Terroristen des „Al Kaida“-Netzwerks eingerichtet waren und auch eine Verbindung zwischen diesen und den herrschenden Taliban bestand. Ferner sei der Militärschlag verhältnismäßig durchgeführt worden. Es mehren sich die Stimmen, die (sogar) für „preemptive measures“ in diesem Zusammenhang plädieren, wenn eine vorsichtige Abwägung ergeben hat, dass ein Militärschlag notwendig ist und verhältnismäßig durchgeführt werden kann.817 Da eine multilaterale Aktion aber immer milder ist als eine unilaterale, könne eine solche nur subisdiär als letzte Möglichkeit in Betracht kommen und zwar erst nach Ablauf eines „vernünftigen Zeitrahmens“, in dem multilateral nicht gehandelt worden ist.818 Auch hinsichtlich dieser Stimmen erfolgt hier keine detaillierte Auseinandersetzung; sie zeigen aber, dass der Bereich der humanitären Intervention im Fluss begriffen ist und sich zumindest ein Ausnahmetatbestand allmählich herausbildet. In dieses Bild passt, dass die nunmehr als „Afrikanische Union“ firmierende internationale Regionalorganisation des afrikanischen Kontinents im Gegensatz zur ehemaligen OAU bei schwerwiegenden Umständen wie Genozid, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Eingreifen in ihren Mitgliedstaaten berechtigt ist.819 Um humanitäre Interventionen unter Anwendung von Gewalt bei Verletzung des Selbstbestimmungsrechts bestimmter Völker zu verhindern, gibt es die gerechtfertigte Forderung nach makropolitischen Weichenstellungen im Vorfeld eines Konflikts, die diesen zu lösen helfen. Eine solche Art der Einmischung der Staatengemeinschaft ist gegenüber der dauerhaften Trennung der Konflikt___________ 816

Zu den Auswirkungen der Terroranschläge in den USA vom 11.09.2001 und ihre Auswirkungen auf das Völkerrecht vgl. allg. und zur „safe haven“-Problematik von Arnauld/Marzik, in: Weltlage, S. 175, 183 ff. 817 Vgl. z.B. Steinkamm, NZZ Nr. 112 v. 16.05.2003, S. 6; kritisch dagegen zu einem „preemptive strike“ für den Fall Irak Schaller, 62 ZaöRV [2002], 641, 656. 818 Zum Ganzen Meessen, NZZ Nr. 40 v. 18.02.2003, S. 4 am Beispiel des damals noch in Planung stehenden Militärschlages gegen den Irak im Nachgang zur Sicherheitsratsresolution Nr. 1441. 819 Vgl. Meldung in NZZ Nr. 157 v. 10.07.2002, S. 1.

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Kapitel 1: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker

parteien durch die Einsetzung bewaffneter Truppen über einen langen, oft nicht absehbaren Zeitraum vorzuziehen.820

II. „Peaceful change“ als Völkerrechtsprinzip Das von Murswiek herausgearbeitete Prinzip des „peaceful change“ als Leitlinie des Völkerrechts kann auch im Zusammenhang mit dem Selbstbestimmungsrecht fruchtbar gemacht werden. Die Sozialwissenschaften beschäftigen sich unter diesem Begriff mit Methoden der Konfliktvermeidung und -lösung sowie der Streitbeilegung und Kriegsverhütung. Seine völkerrechtliche Bedeutung erlangt das Prinzip aus dem Gewaltverbot, das den Wandel in den internationalen Beziehungen auf friedliche Mittel beschränkt, diese aber zugleich nötig macht, weil der status quo nur ein vorläufiger ist, und statt Stillstand ein stetiger Prozess der Veränderung zu beobachten ist.821 Dabei ist die Methode des peaceful change bereits in der UN-Charta angelegt. Nach Art. 2 Nr. 3 legen die Staaten ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel bei, wobei sich dies ausdrücklich auf zwischenstaatliche Streitigkeiten bezieht.822 Nach Art. 14 UN-Charta kann die Generalversammlung alle Maßnahmen zur friedlichen Bereinigung jeder Situation empfehlen, gleich wie sie entstanden ist, wenn diese Situation geeignet ist, das allgemeine Wohl oder die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Nationen zu beeinträchtigen. Diese sehr weite Formulierung gibt der Generalversammlung das Recht, sich auch in innerstaatliche Angelegenheiten beratend „einzumischen“.823 Das Konzept des peaceful change enthält dabei zwei verschiedene Aspekte. Einerseits – und damit wird das Element des „peaceful“ erfüllt – gibt es im Sinne eines Verfahrens und Mittels den Weg zu einer Änderung und die möglichen Instrumente vor. Andererseits – darauf deutet das Element des „change“ hin – ist es ein materielles Prinzip, das nicht nur vorgibt, wie geändert werden muss, wenn geändert wird, sondern dass überhaupt geändert werden soll, um die völkerrechtlichen Leitideen der internationalen Gerechtigkeit und Wahrung des Friedens zu sichern.824 Dabei ergeben sich die Pflichten der Staaten nicht aus dem Prinzip, sondern aus Normen, die unabhängig von der Idee des peaceful change gelten. So haben die Staaten die Pflicht zur Beseitigung andauernden Unrechts und zur Herstellung oder Wiederherstellung des rechtmäßigen ___________ 820

Moore, The ethics of nationalism, S. 229. Murswiek, Peaceful Change, S. 13 ff. 822 Zu dieser friedlichen Konfliktregelung vgl. Cassese, International Law, S. 216 ff. 823 Murswiek, Peaceful Change, S. 30, der aber auch darauf hinweist, dass die bisherige Praxis zu Art. 14 sehr eingeschränkt ist. 824 Ähnlich Thürer, 60 ZaöRV [2000], 557, 598 ff. 821

E. Ausblick: Wandel des Völkerrechts

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Zustands. Sie sind also dafür verantwortlich, von ihnen geschaffene völkerrechtswidrige Zustände selbst zu überwinden.825 Diese Pflichten können sich aus Völkerrechtsverträgen ergeben, mit denen sich Staaten beispielsweise an bestimmte menschenrechtliche Vorgaben gebunden haben. Sie ergeben sich aber auch aus dem Gewohnheitsrecht, insbesondere aus ius cogens-Vorschriften. So ist die Gründung neuer Staaten im Rahmen der Dekolonisierung als Ausdruck des als rechtlich bindend empfundenen offensiven Selbstbestimmungsrechts zu sehen, dass im Sinne eines peaceful change eine Handlungspflicht zur friedlichen Überleitung der ehemaligen Kolonien in unabhängige Staatsgebilde konstituierte.826 Auch Restitutionsansprüche eines Bevölkerungsteiles können Handlungspflichten des Staates begründen, so z.B. nach einer rechtswidrigen Besetzung, bei Vertreibung der einheimischen Bevölkerung oder bei Ansiedlung einer ethnisch anderen Bevölkerung in einem bestimmten Territorium unter Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker oder Minderheitenschutzbestimmungen mit dem Ziel, die dortige indigene Bevölkerung zu majorisieren.827 Zwar können solchermaßen geschaffene Situationen z.B. durch abschließende Anerkennung in einem Friedensvertrag als neuer rechtmäßiger status quo bereinigt werden. Dies gilt aber nur, wenn mit diesem Vertrag nicht gegen eine zwingende Norm des Völkerrechts verstoßen wird, weil solche Verträge nichtig sind. Insofern ist beim Abschluss eines Friedensvertrages auf die Vereinbarkeit mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker zu achten, und bereits abgeschlossene Verträge können in den Grenzen des Art. 71 II lit b) WVK bzw. des zugrunde liegenden Rechtsgedankens auch nachträglich ungültig werden. Dann ensteht ein Anpassungsdruck für den Staat, im Rahmen einer friedlichen Veränderung der Situation eine völkerrechtsgemäße Lage herzustellen.828 Dieser sollte auch bestehen, wenn Verträge zwar nicht ungültig, aber erkennbar ungleich sind, indem eine Vertragspartei in „ungerechter Weise“ von der Schwäche der anderen Partei profitiert hat. ___________ 825

Zum Ganzen Murswiek, Peaceful Change, S. 34 ff. Selbiges gilt nach Murswiek, Peaceful Change, S. 43, für die Neugründung der Staaten auf den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion und Jugoslawien, wenngleich die Durchführung nicht in allen Fällen dem Ideal entsprechend erfolgte. 827 Zu den Bevölkerungsverschiebungen auch Suhr, Deportation – Vertreibung – „Ethnische Säuberung“, S. 29, 50 f., der auch Ausnahmefälle auflistet, wenn Entschädigung vor „restitution in kind“ gehen kann. Vgl. ferner Weber, „Uti possidetis iuris“, S. 171 f.; Moore, The ethics of nationalism, S. 192 f. bezüglich der chinesischen Politik in Tibet, den uigurischen und den mongolischen Gebieten. Zur Region Xinjang und den dortigen Uiguren vgl. auch Meldung in NZZ Nr. 77 v. 04.04.2002, S. 3 und Scheuch, Atlas zur Zeitgeschichte, S. 131 ff. 828 Murswiek, Peaceful Change, S. 45 f. 826

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Kapitel 1: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker

Da das Selbstbestimmungsrecht ein andauerndes Recht ist, verlangt es in gewissem Sinne zur Erfüllung der Friedensverpflichtung nicht nur die Abwesenheit von Krieg, sondern auch die Schaffung einer gerechten internationalen Ordnung, die die Interessen jedes Volkes berücksichtigt. In dieser Hinsicht „ungerechte Lagen“ sind daher von den Staaten zu korrigieren, wobei ein unbestimmter Begriff der Gerechtigkeit als Maßstab untauglich ist. Das wie oben näher konkretisierte Selbstbestimmungsrecht gibt dagegen Rahmenbedingungen vor, die erfüllt sein müssen, um eine dem Recht genügende Situation zu schaffen. Die Staaten können so ihre Verpflichtung erkennen.829 Insbesondere besteht die Möglichkeit, dieses Recht mit anderen Völkerrechtsprinzipien – wie dem Postulat der territorialen Integrität von Staaten – im Sinne einer gerechten Ordnung auszugleichen. Wenn dauerhaft in den internationalen Beziehungen nur das Gewaltverbot als Instrument der Friedenssicherung für sich alleine stünde, führte dies dazu, dass ein rein äußerlicher Friede gewahrt würde, während die Ursachen internationaler Konflikte bestehen blieben oder sogar verschärft würden. Dadurch zementierte es rechtswidrige Zustände, die die Ursache neuer kriegerischer Auseinandersetzungen und damit eine Bedrohung des Gewaltverbotes wären.830 Da das Gewaltverbot den status quo zunächst auch dann schützt, wenn er rechtswidrig ist, untergräbt es die Geltung des Völkerrechts, wenn dieses nicht ein effektives Instrumentarium zur Durchsetzung des völkerrechtsgemäßen Zustandes zur Verfügung stellt.831 Genau darin liegt die Funktion des peaceful change als Handlungspflicht für die Staaten, die bei Missachtung durch entsprechende Handlungen, z.B. des Sicherheitsrates, eingefordert werden kann. Da Völkerrechtsverstöße nicht verjähren, muss im Rahmen des peaceful change der Zustand so verändert werden, dass nicht andauernde, neue oder gravierendere Verstöße daraus folgen. Die im Rahmen des friedlichen Wandels erlaubten Mittel des Völkerrechts sind gewaltfreier Natur und beziehen sich vorderhand auf die Möglichkeiten des Vertragsschlusses und der Vertragsrevision zwischen den beteiligten Parteien. Falls der zur Änderung verpflichtete Staat nicht in diesem Sinne kooperiert, ist im Einzelfall die Anwendung der „clausula rebus sic stantibus“-Regel, wie sie in Grenzen auch in Art. 62 WVK festgelegt ist, zu prüfen. Auch ist an die mögliche Einrichtung eines internationalen Vergleichsverfahrens, zu dessen Mitwirkung der Staat angehalten wird, zu denken. Innerhalb der UN bleibt als eine Möglichkeit im Rahmen des Art. 14 UN-Charta die Verabschiedung von ___________ 829

Murswiek, Peaceful Change, S. 47. Murswiek, Peaceful Change, S. 40 f. 831 Murswiek, Peaceful Change, S. 41. 830

E. Ausblick: Wandel des Völkerrechts

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Resolutionen in der Generalversammlung, die bei großer Mehrheit durchaus das Potential zu weitreichendem Einfluss in einem Konfliktfall haben.832

III. Die zunehmende Relativierung staatlicher Souveränität Galt bis vor einigen Jahrzehnten die absolute Souveränität als Inbegriff staatlicher Macht im Völkerrecht, begann diese Bedeutung schon länger abzunehmen.833 Die Relativität des Souveränitätsbegriffes nimmt im Zuge engerer transnationaler Zusammenarbeit und Abhängigkeit immer mehr zu.834 Mit dem Hinweis auf die eigene Souveränität können rechtliche Bindungen durch die Staaten nicht mehr abgestritten werden. Neben den erwähnten zwingenden Verpflichtungen gegenüber der Staatengemeinschaft, z.B. im Bereich der Menschenrechte, sind die meisten Staaten in einem vertraglichen Beziehungsgeflecht, das einen großen Teil ihres Handelns vorbestimmt.835 Schon die Eingriffsmöglichkeiten des UN-Sicherheitsrates hat die überkommene Vorstellung, die Souveränität mit dem „Nicht-Unterworfensein unter eine höhere Instanz“ gleichsetzte, als überholt erscheinen lassen.836 Die abnehmende Bedeutung der Nationalstaaten als allein entscheidende Instanz zeigt sich aber zum Beispiel auch an der wirtschaftlichen Interdependenz, die z.B. maßgeblich mit zum schnellen Wachsen der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWG führte und auch in anderen Regionen der Erde zu wirtschaftlichpolitischen Zusammenschlüssen zwischen Staaten geführt hat. Auch universell agierende internationale Organisationen oder Konventionen nehmen im Sinne einer effizienten Problemlösungskapazität beispielsweise im Bereich des Umweltschutzes zu, weil in vielen Angelegenheiten nur weltweite Lösungsansätze dauerhaft wirksam sind. Dieses „waning of the sovereign state“837 ist aber nicht nur bedingt durch eine stärkere Machtteilung auf der supranationalen Ebene. Auch innerhalb der Staaten ist zumindest in Europa eine Aufwertung innerstaatlicher Untergliede___________ 832

Dazu Murswiek, Peaceful Change, S. 61 ff., 67. Malanczuk, International Law, S. 17 f. hält den Souveränitätsbegriff, soweit er über die Bedeutung staatlicher Unabhängigkeit hinausgeht, für überflüssig. Zur Diskussion vgl. auch Hinweise bei Steiner/Alston, International Human Rights, S. 573 ff. 834 Fink, JZ 1998, 330, 334; Ipsen, in: Völkerrecht, § 1 Rdnr. 11 f.; entscheidend für das Völkerrecht solle zukünftig nicht mehr die „Gesamtheit der Staaten, sondern die Menschheit als solche“ sein, so Nettesheim, JZ 2002, 569, 578. 835 Vgl. ebenso Hannum, 34 Va. J. Int’l. L. [1993], 1, 67 f. 836 Herdegen, Völkerrecht, § 28 Rdnr. 4. 837 Heintze, Autonomie und Völkerrecht, S. 7; Wilets, 17 Berkeley J. Int’l. L. [1999], 193: „demise of the nation-state“. 833

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Kapitel 1: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker

rungen zu beobachten.838 Mit dem Begriff der Subsidiarität werden zwei Komponenten bezeichnet: in negativer Hinsicht das Verbot für die höhere staatliche Einheit zu handeln, wenn die jeweilige Materie genauso effektiv in der niedrigeren Ebene wie z.B. einem Bundesstaat oder einer Kommune erledigt werden kann. Ferner enthält es das positive Gebot, gegebenenfalls die kleinere Einheit zu unterstützen.839 Einer der Gründe für diese Aufwertung substaatlicher Einheiten ist die Erkenntnis, dass bei Abnahme staatlicher Abgrenzung eine neue Identifikationsebene geschaffen werden sollte. Obwohl also die kulturellen Unterschiede zwischen den Völkern in der heutigen globalisierten Welt an Bedeutung abnehmen, bleibt „Nationalismus“, soweit er als Ausdruck von nationaler Identität verstanden wird, weiterhin ein nicht unbedeutender Faktor.840 Dies zeigt sich auch am Beispiel der Europäischen Union, unter deren Dach in weiten Teilen vergemeinschaftete Politiken der Mitgliedstaaten zentral vorbestimmt werden und die zu einer Durchlässigkeit der nationalstaatlichen Grenzen geführt hat. Zugleich ist aber die Identifikation mit nationalen oder regionalen Kulturen bestehen geblieben oder nimmt sogar noch zu, weil der regionale Bezug für das Individuum größer ist. Demzufolge achtet die Europäische Union verstärkt die Bedeutung der Regionen innerhalb des europäischen Territoriums und garantiert im EG-Vertrag das Bestehen der nationalen Kulturen.841 Damit ist aber keinesfalls gesagt, dass einem neuen – negativ empfundenen – Nationalismus der Abgrenzung gegenüber vermeintlich „Anderen“ das Wort geredet wird. Vielmehr ist auszugehen von einer „flexibility of individuals and groups in respect to identity, including their ability to assume multiple identities and belong to a wide range of different communities and 842 types of community“.

Menschen können sich regional zugehörig, zugleich als bestimmte Staatsangehörige und ferner als einer Staatengruppe zugeordnet fühlen, konkret gesprochen beispielsweise als Londoner/Engländer, als Brite und als Europäer.843 ___________ 838 Kimminich, VN 1993, 5, 9 bezeichnet diese „permeable Souveränität“ als zukunftsweisende Entwicklung des Völkerrechts, die sich insbesondere durch einen Erfolgszug föderaler Staatsstrukturen zeige. Van den Berghe, in: Dealing with Difference, S. 401, 405 schlägt für Europa die Schaffung einiger hundert sub-nationaler MikroStaaten vor, die für ihre inneren Angelegenheit zuständig und durch eine übergreifende Infrastruktur und Außenpolitik verbunden sind. 839 Heintze, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 7, 12. 840 Moore, The ethics of nationalism, S. 230; Wilets, 17 Berkeley J. Int’l. L. [1999], 193, 229. 841 Zu dieser Frage Ress/Ukrow, in: Grabitz/Hilf, Recht der EU, Art. 151 EGV Rdnr. 22, 26 ff.; bezogen z.B. auf Rundfunkkultur ebda. Rdnr. 129 ff. und Dörr, in: Mainzer Rechtshandbuch der Neuen Medien, Rdnr. 66, 80. 842 Foster, 12 EJIL [2001], 141, 154. 843 Ähnlich und mit Beispielen Wilets, 17 Berkeley J. Int’l. L. [1999], 193, 223 f.

E. Ausblick: Wandel des Völkerrechts

183

Mit der abnehmenden Bedeutung staatlicher Souveränität steigt die Möglichkeit nationaler Minderheiten, ihre Verwirklichung über transnationale Zusammenschlüsse von Staaten und entsprechenden internationalen Regionalorganisationen, wie z.B. den Europarat, zu verfolgen. In dem Maße, in dem „klassische Souveränität“ also im Wandel begriffen ist, bleibt ein „Minderheitennationalismus“ bedeutsam, wenngleich dessen Verwirklichung nicht mehr im gleichen Maße vom Mutterstaat abhängig ist wie früher.844 Innerstaatliche Ausdifferenzierung ist aber auch eine Möglichkeit, um bislang benachteiligten Gruppen innerhalb des Staates eine angemessene Repräsentation und eine Garantie des Überlebens als spezifische Gruppe zu geben.845 In diesem Sinne wird vermehrt gefordert, dass auch das internationale System der Staatengemeinschaft nicht mehr nur die Staaten im klassischen Sinne, sondern auch „entities other than States“ als Subjekte ansprechen sollte.846 Kaum Widerhall finden dagegen sehr weitgehende Ansätze hin zu einer Abschaffung der Nationalstaaten im klassischen Sinne („Denationalisierung“), wonach ausschließlich eine universelle Gleichheit von Individualrechten für die Organisation der Menschheit relevant sein und weder Rasse, noch Ethnien oder andere gruppengestützte Elemente zur Identifikation herangezogen werden sollten.847 Unproblematisch ist aber die Aufwertung internationaler Organisationen und damit Bindungen des Staates „nach oben“ sowie die Einrichtung innerstaatlicher Autonomien, die Bindungen „nach unten“ im Inneren des Staatsaufbaus mit sich bringen. In diesem Sinne ist eine moderne Auslegung von Souveränität der „Inbegriff der territorial und personal begründeten Hoheitsrechte der einzelnen Staaten (Gebietshoheit und Personalhoheit) sowie ihres Achtungsanspruches auf völker848 rechtlicher Ebene.“

Dabei ist kein Mindestkatalog an Alleinzuständigkeiten des Staates gefordert, sein Achtungsanspruch kann sich auch daraus ergeben, dass er innerhalb ___________ 844 Moore, The ethics of nationalism, S. 233 f.; Wilets, 17 Berkeley J. Int’l. L. [1999], 193, 228; Werther, Self-Determination in Western Democracies, S. 90 f. zeigt, welche Rolle wiederum die indigenen Bewegungen bei der Relativierung des liberalen Staatsmodells mit dem Ziel der einheitlichen Assimilation der gesamten Bevölkerung gespielt haben. 845 So auch Escarameia, in: International Law and the Question of East Timor, S. 119, 147: „gradual replacement of states, rooted in geographical proximity (a factor that is gradually losing its importance) by groups based on common interests“. 846 Skurbaty, As if Peoples Mattered, S. 28; Iorns, 24 Case W. Res. J. Int’l. L. [1992], 199, 338 ff. 847 Van den Berghe, in: Dealing with Difference, S. 401, 406 f.; er formuliert auf S. 407 wie folgt: „[...] if we must suffer states, let them be small and weak [...]“. Dagegen zeigt Blanke, AVR 1998, 257, 283 f., dass trotz zunehmender Durchlässigkeit des „Souveränitätspanzer[s]“ die Staaten die „Grundfesten“ der UN bleiben. 848 Herdegen, Völkerrecht, § 28 Rdnr. 8.

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Kapitel 1: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker

eines Staatenverbundes seine Rolle spielt. Daher ist es auch kein Widerspruch, dass gerade in den letzten Jahren viele der multi-ethnischen Staaten auseinandergebrochen sind und sich neue kleinere Einheiten als Staaten gebildet haben. Vielmehr ist dies ein kontinuierlicher Prozess der von der Gründung der Nationalstaaten über deren Auseinanderbrechen und Aufwertung der Gruppen im Staat hin zu einem erneuten Zusammengehen in supranationalen Zusammenschlüssen läuft, ein Prozess also der „national dissolution and reformulation“.849 Es zeigt sich damit auch am Beispiel des Souveränitätsbegriffs, das die klassische Interpretation im modernen Völkerrecht eine beschleunigte Wandlung durchläuft.850

IV. Der beschleunigte Wandel im dynamischen Völkerrecht Ohne dass in diesem Abschnitt auf die einzelnen Aspekte vertieft eingegangen werden musste, haben die Beispiele die Wandlungsfähigkeit des Völkerrechts gezeigt.851 Es handelt sich beim Völkerrecht keinesfalls um eine statische, behäbige Rechtsordnung, die der Erneuerung prinzipiell ablehnend gegenübersteht. Vielmehr erfüllt das Völkerrecht durch dynamische Anpassung an beschleunigte Entwicklungen in der modernen Welt seine Leitfunktion für zwischenstaatliches Verhalten: „Das Völkerrecht ist eine naturgemäß offene, politiknahe und flexible Ordnung, die sich in Evolution befindet – „unterwegs“ zu langfristig neuen Formen der Gestaltung der internationalen Beziehungen“.852

Nur so kann es seinen Stellenwert behaupten. Die oben angeführten Beispiele ließen sich ohne Schwierigkeiten erweitern. Bei allen ist nochmals darauf hinzuweisen, dass es nicht auf die konkrete Wertung als neues Völkergewohnheitsrecht, vertragsrechtliche Neuerungen, möglicherweise erst im Entstehen begriffenes lex ferenda oder gar zu einem späteren Zeitpunkt sich nicht durchsetzende Diskussionsansätze ankommt. Aufgezeigt werden sollte nur, dass die Veränderung im Völkerrecht, die in der vorliegenden Arbeit bezogen auf das ___________ 849

Wilets, 17 Berkeley J. Int’l. L. [1999], 193, 194. Ähnlich zum Souveränitätsbegriff Reisman, 84 AJIL [1990], 866, 869 ff.; Iorns, 24 Case W. Res. J. Int’l. L. [1992], 199, 347: „may not take much more to flip this paradigm“. 851 Steiger, in: FS Moraw, S. 171, 173 ff. schlägt eine von der übrigen Literatur abweichende Epochenbildung der Völkerrechtsgeschichte vor, wobei er überzeugend darlegt, warum durch den immer schnelleren Wandel die jüngeren Epochen sehr viel kürzer sind als die das Völkerrecht überhaupt erst begründenden, vgl. auch ebda, S. 184. 852 Thürer, NZZ Nr. 67 v. 21.03.2003, S. 55. Wenngleich, so Reisman, 89 AJIL [1995], 350, 353, die Änderungen häufig nur sehr langsam voranschritten und dadurch bereits als Anachronismen erkannte Zustände weiterhin Anwendung finden. 850

E. Ausblick: Wandel des Völkerrechts

185

Selbstbestimmungsrecht untersucht werden soll, keine Besonderheit ist. Bemerkenswert – und das sollte mit diesem Abschnitt ebenfalls klargestellt werden – ist die Entwicklung des Völkerrechts hin zu einer Ordnung, die nicht mehr nur das Verhalten in den zwischenstaatlichen Beziehungen regelt, sondern auch durch verpflichtende Wertvorgaben und Rechtssätze innerstaatlich unmittelbare Auswirkungen zeitigt.853 Diese Verrechtlichung des Völkerrechts hin zu einem „internationalen Verfassungsrecht“ oder einer „Konstitutionalisierung“ gehört zu den viel diskutierten Phänomenen der letzten Jahre.854 In diesem Zusammenhang ist die Funktion eines modernen Selbstbestimmungsrechts hervorzuheben, die den Staaten angesichts der durch „post-modern tribalism“ drohenden Gefahr des gewaltsamen Auseinanderfallens eine Möglichkeit an die Hand gibt, den internationalen Frieden und die Sicherheit durch echte Emanzipation und Gleichheit der Völker zu erhalten.855 Ein solches Selbstbestimmungsrecht bedeutet die Einbeziehung der Völker, die innerhalb von Staaten leben, und die im Regelfall die interne Variante des Rechts in Anspruch nehmen dürfen, denen im Ausnahmefall aber auch die Option der Sezession als externes Selbstbestimmungsrecht offen steht. Dieses Recht soll nunmehr in seiner Anwendungsmöglichkeit und den daraus ableitbaren Folgen in Bezug auf indigene Völker genauer beleuchtet werden.

___________ 853 Vgl. auch Fink, JZ 1998, 330, 338 am Beispiel der durch das Selbstbestimmungsrecht verlangten Demokratie. Zum „kommunitären Völkerrecht“ allg. Nettesheim, JZ 2002, 569, 571 ff. 854 Vgl. dazu nur Uerpmann, JZ 2001, 565 ff., 572 m. zahlreichen w. N.; Lorz, FAZ Nr. 269 v. 19.11.2001, S. 8, spricht weitergehend von der „Vergerichtlichung des Völkerrechts“; Hobe, AVR 1999, 253, 281 und Fassbender, APuZ B 27-28/2002, 32, 37 f. zum Ansatz des Völkerrechts als „Weltinnenpolitik“. Kritisch bezüglich des humanitären Völkerrechts u.a. wegen der Behandlung von Gefangenen im Zusammenhang mit dem sog. „Krieg gegen den Terrorismus“ durch die USA Kolb, NZZ Nr. 207 v. 07./08.09.2002, S. 67, bezüglich des allgemeinen Völkerrechts wegen der Haltung der USA zum Internationalen Strafgerichtshof Goeller, Das Parlament Nr. 27-28 v. 08./15.07.2002, S. 12. 855 So die weitgehende Formulierung bei Castellino, International law and selfdetermination, S. 262; vgl. auch zum Konzept des „postmodern tribalism“ grundlegend Franck, in: Peoples and Minorities in International Law, S. 3 ff.

Kapitel 2

Indigene Völker im Völkerrecht Der Begriff „indigene Völker“ ist zwar selbst nicht neu, hat aber erst in den vergangenen Jahrzehnten vermehrt Aufmerksamkeit – in tatsächlicher und wissenschaftlicher Hinsicht – erfahren. Wie in anderen Bereichen auch, hängt dies mit einer nicht zuletzt durch besseren Informationsfluss zunehmenden Wahrnehmung der Urbevölkerungen in den verschiedenen Ländern und Erdteilen des Globus zusammen. Ähnlich wie es die „political correctness“ zeitweise schwierig machte, die schwarze Bevölkerung der USA richtig zu titulieren1, ist auch der Umgang mit den marginalisierten Gruppen, die die heutigen Staaten schon lange vor der Gründung bevölkerten und die von den expandierenden Europäern geografisch und sozial an den Rand gedrängt wurden, problematisch. Dies zeigt sich bereits in der Bezeichnung dieser Gruppen, die nicht zuletzt durch ethnische Faktoren bestimmt werden und daher zunächst als „ethnische Gruppe“ bezeichnet werden können. In diesem Abschnitt wird aber zu zeigen sein, welche weiter gehende Bedeutung der bereits oben eingeführte Begriff des „indigenen Volkes“ hat, der in dieser Arbeit als besondere Unterkategorie der ethnischen Gruppen präferiert wird. An die Begriffsbestimmung anschließend ist es möglich, diese „indigenen Völker“ als eigenständige Rechtskategorie herauszuarbeiten. Die Analyse hat dabei ausführlich zu erfolgen, weil die indigenen Völker eine Sonderkategorie des Völkerrechts bilden, die eine relativ neue Erscheinung sind und auch schon als „sui generis“-Gruppe bezeichnet worden sind. Diese besondere Gruppe ist in mehrfacher Weise Regelungsgegenstand oder besser -subjekt des modernen Völkerrechts. In diesem Zusammenhang ist nach einer kurzen historischen Darstellung des Rechtsstatus ihre Position innerhalb der UN genauer zu beleuchten. ___________ 1

Zu verwendende Begriffe schwankten und stimmten zumindest in der Ablehnung des Begriffs „Neger“ überein; sie variierten aber zwischen „afrikanischstämmige Amerikaner“, „Afroamerikaner“, „Schwarze“, „Farbige“ und ähnlichen Begriffen. Wie auch für die Indianer zu zeigen sein wird, hat paradoxerweise gerade die Black Consciousness-Bewegung und die afroamerikanische Jugendkultur – so z.B. in der Rapund Hip-Hop-Musik – den Begriff gar des „Nigga“ (in Abwandlung des früheren „Nigger“) zur bewussten Abgrenzung wiederverwendet. Vgl. zum Ganzen Seifert, NZZ Nr. 96 v. 26.04.2002, S. 49.

A. Begriffsbestimmungen

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Dieser allgemeine Rechtsstatus wird in einem weiteren Abschnitt dieses Kapitels konkretisiert, indem einzelne Rechtspositionen erläutert werden. Dazu zählt auch eine überblicksartige Darstellung der Anwendung des Selbstbestimmungsrechts auf den potentiellen Träger „indigenes Volk“. Neben diesen aus dem Völkerrecht ableitbaren Positionen wird anhand einiger Beispielsfälle die Behandlung der indigenen Völker innerhalb von Nationalstaaten dargestellt. Aus dieser Zusammenschau des Völkerrechts und den rechtsvergleichenden Erkenntnissen lassen sich Schlussfolgerungen für die nächsten Kapitel der Anwendung auf die Native Americans ziehen.

A. Begriffsbestimmungen I. Begriffsverwendung in der vorliegenden Untersuchung Das oben gefundene rechtliche Ergebnis, dass bestimmte Teile der Staatsbevölkerung unter Umständen auch als Träger des Selbstbestimmungsrechts in Frage kommen, gilt unabhängig davon, ob der „richtige“ Begriff zur Bezeichnung der hier in Frage stehenden Gruppen gefunden und benutzt wird. Nichtsdestotrotz vereinfacht es die Subsumtion der oben gefundenen Elemente des Selbstbestimmungsrechts, wenn zumindest der im Rahmen dieser Arbeit besonders untersuchte Träger einheitlich bestimmt werden kann. Dazu ist es nötig, die verwendeten Begriffe zu definieren oder wenigstens im hier verstandenen Sinne zu bestimmen. 1. Ethnische Gruppen und der „Rasse“-Begriff Die zur Beschreibung von Volksgruppen bzw. Personenmehrheiten mit bestimmten übereinstimmenden Attributen verwendeten Begriffe sind miteinander verbunden und werden ähnlich gebraucht. Dies zeigt schon ein Blick in den auf die UNESCO zurückgehenden Thesaurus zu Kulturbegriffen, in dem zur „ethnischen Gruppe“ Entsprechungen von „eingeborene Bevölkerung“ über „Indigenismus“ und „Rasse“ bis zu „Stamm“ erscheinen.2 Der Begriff der ethnischen Gruppe entstammt der Wissenschaft der Ethnologie und geht auf den griechischen Begriff „ethnos“ (= Volk, im ursprünglichen Sinne zur Bezeichnung der „Heiden“ verwendet3) zurück. Ähnlich wie der Begriff der rassischen ___________ 2

www.diz-anhalt.de/thesaurus/html/133603_group_index.html. Schabas, Genocide in international law, S. 125. Es handelt sich um eine Übersetzung der Form „ethnikós“, wobei heute ein flexibleres Verständnis, insbesondere bei Volksgruppen auf dem afrikanischen Kontinent, anzuwenden sei, so Lehmler, Strafbarkeit von Vertreibungen aus ethnischen Gründen, S. 71 f. 3

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

Gruppe bezeichnet „Ethnie“ eine Mehrzahl von Personen mit ähnlichen oder gleichen Eigenschaften, die sich der Zugehörigkeit zur selben Kultur bewusst sind.4 Je nach Selbstverständnis der Gruppe sind aber jeweils andere Kriterien ausschlaggebend, so dass eine einheitliche Definition nicht möglich ist. Im Gegensatz zu den – eine missbräuchliche Verwendung ermöglichenden5 – rassischen Merkmalen, die in erster Linie biologischer Natur im Sinne physischer Merkmale sind,6 gehen Ethnologen von kulturellen Gemeinsamkeiten wie gemeinsame Sprache, gemeinsame Geschichte, gemeinsame Sitten und Bräuche oder anderem aus, was eine Gruppe von einer anderen unterscheidet. Dazu kann auch die gemeinsame reale oder vorgestellte Abstammung zählen, wobei im Zusammenhang mit dem Kulturbegriff Ethnie verstanden werden kann als eine „beliebig große Gruppe von Personen [...], die gemeinsam eine spezifische soziale Wirklichkeit hervorbringen, aufrechterhalten und ihr Denken an ihr orientieren“.7 Häufig werden in der Betrachtung bestimmter Personengruppen kulturelle und biologische Unterschiede vermengt, obwohl biologische Faktoren – einschließlich des allgemeinen Verhaltensmusters und der Psychologie – genetisch vermittelt und damit zunächst einmal nur bedingt beeinflussbar sind, Merkmale kultureller Art dagegen zumindest theoretisch auf andere Gruppen übertragbar wären. Zwar gehen manche kulturelle Unterschiede auf biologische zurück, so z.B. der Umgang mit Alkohol bei Gruppen, denen – genetisch bedingt – ein bestimmtes Enzym zum Abbau von Alkohol fehlt. Dies ändert aber nichts an ___________ 4 In diesem Sinne mit Nachweisen zur Entstehungsgeschichte des Art. 27 IPbpR Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 296 f. 5 Wegen der historischen Vorbelastung sollte diese Kategorie heute auch nicht mehr verwendet werden, vgl. z.B. Zurawski, Ethnizität und Migration, Abschnitt Ethnizität; Higginbotham, Race Law, S. 15 f. Weil der „Rasse“-Begriff ohnehin enger als derjenige der Ethnie und zugleich in dieser Kategorie enthalten ist, werde er auch nicht benötigt, so Despeux, Die Anwendung des völkerrechtlichen Minderheitenrechts in Frankreich, S. 77 f. 6 Higginbotham, Race Law, S. 6 ff. zeigt auf, wie einfach es für die weiße Gesellschaft war, aufgrund der (tatsächlich) deutlich unterschiedlichen körperlichen Merkmale zwischen den Bevölkerungsgruppen aus verschiedenen Erdteilen Rasse als Diskriminierungsfaktor gegenüber den Schwarzen und den Indianern anzuwenden (dazu verweist er auf ein Gerichtsurteil von 1806, ebda. auf S. 11) und gar religiös zu überhöhen als gottgegebene Unterschiede (vgl. dazu z.B. die gerichtliche Eingabe des Anwalts eines Sklaveneigentümers im Jahre 1772, ebda. auf S. 7). 7 Patzelt, Grundlagen der Ethnomethodologie, S 14; Schabas, Genocide in international law, S. 120-127, gibt im Blick auf die Genozidkonvention eine ausführliche Definition von „racial“ gegenüber „ethnical“, die der hier dargestellten entspricht. Dabei bezieht er auch die Formulierung in den amerikanischen Umsetzungsgesetzen ein (S. 120, 126 f.). Ausführlich zu den relevanten Kulturbegriffen auch Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 298 ff., v.a. 299 f. zur Kultur als Bezugssystem.

A. Begriffsbestimmungen

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der Grundregel.8 Die biologischen Unterschiede, die zur rassischen Einteilung herangeführt wurden und zu ganz deutlich sichtbaren Unterschieden in der Physiognomie, der Haarform und anderer physischer Merkmale führen, was wiederum mit den Klimaverhältnissen in den Lebensräumen zusammenhängt, sind zur Differenzierung von Gruppen untauglich.9 Gemessen an der Gesamtheit der menschlichen Gene ist es nur ein Bruchteil, der diese Unterschiede hervorbringt,10 und zugleich kommen diese bei vielen Gruppen und überschneidend vor, so dass „Rasse“ oder auch biologische Merkmale zur Begriffsbildung für den vorliegenden Zweck kaum geeignet sind.11 Die Ethnizität im hier verstandenen Sinne ist das „Ergebnis einer Koevolution von Biologie und Kultur innerhalb bestimmter Populationen“.12 Danach haben Menschengruppen allgemein die Neigung, Identitätsmerkmale zu entwickeln, die sie von anderen Gruppen unterscheiden, z.B. durch bestimmte Kleidungsstücke, persönliche Schmuckstücke, Frisuren, aber auch Bauwerke, Gesetze, Rituale sowie Ernährung, Umgangsweise und ähnliche Verhaltensweisen. Diese Merkmale und Merkmalskombinationen genügen mit dem wesentlichen Kriterium Spache, um Menschen einer Gruppe identifizieren zu können. Zusätzlich kann – als nur nachrangiges und unterstützendes Indiz – dann aus ethnologischer Sicht auch ein Abgleich der biologischen Merkmale herbeigezogen werden.13 2. Ethnische Gruppen: Territorium und Geschichte „Multiethnische Staaten“ ist ein neuerer Begriff, der eine weitverbreitete Staatsform charakterisiert. Unter dem Dach eines gemeinsamen Nationalstaates als Identifikationsanker haben sich – teilweise auch gewaltsam gesteuert – eine Vielzahl heterogener Bevölkerungsgruppen zusammengefunden, die in vielerlei Fällen durchaus die Voraussetzungen für eine jeweils eigene Staatsbildung aufweisen. Die Neuordnung der Welt nach dem Kalten Krieg hat hier zum ___________ 8

Dazu Schiefenhöfel/Salter, in: Naturvölker heute, S. 17, 18 ff. „Rasse“ ist Ergebnis evolutionärer Prozesse wie natürlicher Selektion und genetischer Drifts, die zusammengenommen zu ungenau sind, um feine Abgrenzungen angesichts der großen Übereinstimmungen zu ermöglichen. 10 So auch Felice, 24.1 (2002) HRQ, 205, 206 mit dem Hinweis aus naturwissenschaftlichen Quellen, dass es weniger als 0,1% der Gene sind, die zu den sichtbaren Unterschieden führten. 11 Zum Gebrauch des Begriffs „Rasse“ in der Gleichbehandlungsrichlinie der EG (2000/43/EG) im amerikanischen Sinne als „Oberbegriff“ für Hautfarbe, nationale Herkunft oder ethnische Zugehörigkeit im Gegensatz zu biologischen Kategorien (und damit im Gegensatz zu den Rassentheorien des 19. Jahrhunderts) Nickel, NJW 2001, 2668, 2670, der zugleich kritisch hinterfragt, warum der Begriff überhaupt gewählt wurde. 12 Schiefenhöfel/Salter, in: Naturvölker heute, S. 17, 26. 13 In diesem Sinne auch Schiefenhöfel/Salter, in: Naturvölker heute, S. 17, 24 ff. 9

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

Aufbrechen schwelender Konflikte geführt, in deren Folge Vielvölkerstaaten (oder: multiethnische Staaten), oft als Folge kriegerischer Auseinandersetzungen, auseinandergebrochen bzw. -gefallen sind: zuvörderst ist hier an die Auflösung der ehemaligen Sowjetunion (UdSSR) einschließlich der vergleichsweise geringen Bedeutung des neuen Zusammenschlusses GUS (Gemeinschaft unabhängiger Staaten) und an das ehemalige Jugoslawien zu denken. In multiethnischen Staaten müssen, damit das Selbstbestimmungsrecht relevant wird, also mehrere Völker leben, die je – z.B. durch vergleichbare bzw. eine Mindestgröße – in der Lage wären, einen eigenen Staat zu bilden. Besonders deutlich fielen multiethnische Staaten in die Selbstbestimmungsrechtskategorie, wenn neben den tatsächlichen Erfordernissen auch eine verfassungsrechtlich festgelegte Sonderstellung des jeweiligen Volkes i.S.e. ethnischen Gruppe vorhanden ist.14 Ohne dass hier Einzelheiten der Diskussion innerhalb der Ethnologie um diese Kategorie aufgezeigt werden können, spricht für die Bezeichnung der im vorliegenden Kontext interessierenden „Ureinwohner“ zunächst einiges für die Verwendung des Begriff der „ethnischen Gruppe“. Diese Personenmehrheiten sind ebenfalls durch gemeinsame Merkmale wie Geschichte, Glauben, Tradition, Sprache und bestimmte biologische Erscheinungsmerkmale gekennzeichnet.15 Zudem berufen sie sich auf die gemeinsame Geschichte und Kultur und beherrschen die jeweiligen ethnischen (Verhaltens-)Codes, wenngleich diese im Unterschied zu früheren Generationen verändert sind.16 Auch die Motivation für diese Art Ethnizität stimmt mit dem Interesse anderer ethnischer Gruppen überein. Danach ist Antrieb für den Identifikationswunsch der Individuen mit der Gruppe,17 mit deren anderen Mitgliedern sie gewisse Charakteristika teilen, der Wunsch nach „psychological security and self-esteem“ und auch nach „material gain“.18 Insoweit ist das gruppenschaffende Merkmal der ethnischen Identität in entscheidendem Maße das Ergebnis von Fremdwahrnehmung, weshalb eine bestimmte durch gemeinsame ethnische Identität identifizierbare Gruppe keine unveränderliche, von vornherein natürlich vorgegebene Größe ist, sondern eine „Kollektivität, deren Zusammenhalt nicht auf statliche Steuerung an___________ 14

Heintze, in: Völkerrecht, § 28 Rdnr. 8 m.w.N. Im Zusammenhang mit der Genozid-Konvention plädiert Schabas, Genocide in international law, S. 127, daher auch für eine Gleichstellung mit den anderen von der Konvention geschützten Gruppen (namentlich „national, racial and religious groups“). 16 Eine solche Veränderung ist für die fortgesetzte Einordnung als Ethnie unschädlich, vgl. Zurawski, Ethnizität und Migration, Abschnitt Ethnizität. 17 Einen solchen Drang habe das Individuum von Natur aus, so Schiefenhöfel/Salter, in: Naturvölker heute, S. 17, 26. 18 Wilson, 11 Conn. J. Int’l L. [1996], 433, 436. 15

A. Begriffsbestimmungen

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gewiesen ist“ und daher wachsen kann.19 Deshalb könnte auch der Begriff der „kulturellen Gruppe“ verwendet werden, die einen „Bestand von Individuen, die sich durch gemeinsame kulturelle Eigenheiten auszeichnen und auf Grund eines Zusammengehörigkeitsgefühls öffentlich in Erscheinung treten, um sich in Abgrenzung von anderen kulturellen Gruppen oder Trägern der Staatsgewalt zu entfalten“ bezeichnet.20 Diese Kategorie erlaubt aber ebensowenig wie die noch allgemeinere Bezeichnung der „Volksgruppe“21 eine aussagekräftige Unterscheidung der „Ureinwohner“ von anderen ethnischen Gruppen. Zwar können auch andere ethnische Gruppen seit langem in einem Staat leben und trotz eines gleichberechtigten Status mit der übrigen Bevölkerung noch eine gewisse abgeschiedene Entität bilden, wie es zumindest für Teile der schwarzen Bevölkerung in den USA angenommen werden kann.22 Den im vorliegenden Zusammenhang wesentlichen Faktor weisen solche Ethnien meist jedoch nicht auf, er spielt jedenfalls keine zwingende Rolle: Der Bezug zum Territorium, die besondere Bande zum bewohnten Land ist ein „Mehr“ der ethnischen Gruppe „Ureinwohner“ und damit das für die vorliegende Untersuchung entscheidende Plus gegenüber sonstigen ethnischen Gruppen. Der Territorialbezug ist aber wiederum nicht zwingend, damit eine Ethnie als solche besondere Gruppe anerkannt werden kann, weil sich innerhalb der modernen Staaten vieles gegenüber dem ursprünglichen Zustand verändert hat. In den folgenden Abschnitten wird jedoch genau zu analysieren sein, wie sich dies bezüglich der Abgrenzung zwischen grundsätzlich „Volk“-fähigen Gruppen und lediglich Minderheiten-Gruppen auswirkt. Eine weitere Annäherung an die betroffenen Gruppen erfolgt auf der Spur der historischen Behandlung derjenigen Völker, die in den Zielgebieten vornehmlich europäischen Expansionsstrebens vorgefunden wurden. Diese früher als „Wilde“ bezeichnete und in der damit implizierten Weise („bändigen zu müssen“) rechtlos behandelten Bevölkerungen,23 später in leichter Abänderung ___________ 19

Sigrist, Das Parlament Nr. 17 v. 23.04.1993, S. 14. Simon, Autonomie im Völkerrecht, S. 23; diesen Begriff hält er für nicht vorbelastet, S. 20, und er könne außerdem Personalautonomien für Gruppen zulassen, die nicht territorial geschlossen siedelten, S. 21. 21 Brunner, Das Parlament Nr. 34 v. 20.08.1999, S. 1 bewertet „Volksgruppen“ als den Oberbegriff von Minderheiten und Völkern, und dadurch gekennzeichnet, dass die Mitglieder dieser Gruppe eine gemeinsame kulturelle Identität verspürten. 22 Gerade am fehlenden territorialen Bezug dieser Bevölkerungsgruppe gegenüber den Native Americans lässt sich der Unterschied nachvollziehbar klarmachen. Jedoch ist hervorzuheben, dass auch das Problem der schwarzen Bevölkerung in der USA viel zu komplex ist, um es in Kürze über einen Kamm scherend zu behandeln, darauf weist zu Recht Lâm, At the Edge of State, S. 10 hin. 23 Dazu unten in Kap. 2 B. I. und zum Konzept Dörr, 24 VRÜ [1991], 372 ff. = Dörr, 47 Law and State [1993], 7 ff. 20

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

als die „Eingeborenen“ tituliert, sind einige Jahre mit dem Begriff „autochthone Gruppe“ umschrieben worden. Darunter wird derjenige Teil der Bevölkerung verstanden, der schon vor dem Eindringen einer fremden Macht in einen bestimmten Staat, meist gar nur einen bestimmten Teil der Erde, der häufig sogar als unbewohnt galt,24 auf diesem Territorium gelebt und nachvollziehbare Sozialstrukturen aufgebaut hatte.25 Als ursprüngliche „Eigentümer“ eines Landes, die in den meisten Fällen bis heute nicht in der Lage sind, sich selbst zu versorgen und in ungünstigen Fällen noch immer einer Unterdrückung oder Verfolgung unterliegen, unterscheiden sich die autochthonen Gruppen von anderen ethnischen Gruppen.26 Diese im Deutschen lange und bis heute als „Ureinwohner“ bezeichneten Bevölkerungsgruppen sind später vermehrt als „Indigene“ aufgefasst worden. 3. Die Verwendung des Begriffs „indigene Völker“ Die Bezeichnung der autochthonen Bevölkerungen als „Indigene“, wird heute im internationalen Recht, insbesondere im Rahmen der UN überwiegend verwendet, weshalb er auch dieser Arbeit zugrunde gelegt wird, wenngleich er sich im Sprachgebrauch vieler Staaten (und teilweise auch der Betroffenen) zumindest noch nicht endgültig durchgesetzt hat.27 Als Indigene können sowohl die ursprünglichen Bevölkerungen der heutigen Staaten in ihrer Gesamtheit als auch die einzelnen Gruppen darin bezeichnet werden. Solche „kleineren Ein___________ 24 Noch bis in die letzten Jahrzehnte des vergangenen Jahrhunderts wurden Gruppen in abgelegenen Gegenden von Staaten, die als unbewohnt galten, „gefunden“, die noch keinerlei Kontakt mit anderen Menschen außerhalb ihrer ethnischen Gruppe gehabt hatten (insbesondere nicht mit dem „weißen Mann“), vgl. z.B. die Situation der YanomamiIndianer in Brasilien vor 1980, dazu Wiessner, 12 Harv. Hum. Rts. J. 57 [1999], 76. Noch 2008 setzt sich die „Entdeckung“ unerforschter Indiostämme in Brasilien fort, deren Existenz der nationalen Indianerbehörde zwar bekannt ist, deren abgeschiedene Lebensweise aber resprektiert wird, vgl. Meldung, NZZ Nr. 125 v. 31.05./01.06.2008, S. 7. 25 Vgl. etwa die Kultur der Azteken, dazu Thomas, in: Die Welt der Indianer, S. 23, 49 ff. 26 Schulte-Tenckhoff, Ureinwohner an der UNO, S. 7 zeigt, dass sich beide Merkmale auf eine geschichtliche Dimension beziehen, die heute eine besondere Ausprägung erfahren haben muss und nicht lediglich eine normale Kontinuität eines Volkes meint. 27 Barsh, 80 AJIL [1986], 369, 373 weist darauf hin, dass die Verwendung in der UN „an accident of history“ sei. Im Rahmen der Beratungen zur Dekolonisierung habe die Delegation Belgiens auf die Verwendung des Begriffs während der Völkerbundzeit hingewiesen und diesen auch als im amerikanischen Kontinent anwendbar betrachtet. Die amerikanischen Staatenvertreter hingegen hätten unter Hinweis auf die (angeblich) erfolgte Assimilation eine Anwendung verneint, der Begriff selbst sei aber aufgenommen worden. Vgl. ferner zur Abgrenzung der Begriffe Werther, Self-Determination in Western Democracies, S. 5 ff., der selbst zu „aboriginal“ neigt.

A. Begriffsbestimmungen

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heiten“ der Indigenen eines Staates oder einer Region bezeichnen sich meist mit ihrem eigenen Namen, so z.B. in den USA die „Blackfeet“ oder die „Sioux“ – die sich selbst jedoch „Lakota“ nennen – als Teilgruppe der „Indianer“/Native Americans, und können entweder selbst ein Volk sein oder Bestandteil eines indigenen Volkes. Wegen des Kriteriums der territorialen Verbundenheit sind diese Gruppen, wie oben schon erwähnt, potentielle Träger des Selbstbestimmungsrechts der Völker, weshalb sie in dieser Arbeit als „indigene Völker“ bezeichnet werden. Zusammenfassend kann mit Barsh eine Stufenfolge ethnischer Gruppen entwickelt werden: zunächst gibt es ethnische Gruppen als Minderheiten mit übereinstimmenden Merkmalen, die sich dazu bekennen und sich innerhalb eines Staates in einer schwächeren Lage befinden. Darüber hinaus gibt es ethnische Gruppen, die ein Volk sein können, wenn der territoriale Bezug, also ein bestimmtes Siedlungsgebiet vorliegt. Schließlich zeichnet sich die ethnische Gruppe der indigenen Völker zusätzlich dadurch aus, dass das Territorium nicht nur Lebensort, sondern Grundbedingung des kulturellen Lebens ist und außerdem noch eine besondere Geschichte der Erstbesiedelung aufgewiesen werden kann.28

II. Definition: „Indigene Völker“ Der Begriff „indigene Völker“ ist im Folgenden ausführlich zu analysieren und einer Definition zuzuführen, um ein Prüfungsgerüst für eine Subsumtion konkreter Rechtsträger zu erhalten. Dazu wird zunächst versucht, die Kategorie eigenständig zu definieren und gegebenenfalls mittels einer Abgrenzung von ähnlichen Gruppen zu einem Ergebnis zu gelangen. Ansätze aus der Arbeit internationaler Organisationen und der Literatur werden aufgelistet, um eine zusammenfassende Kriterienliste zu erhalten. Dabei wird in Ergänzung und Erweiterung der oben Kap. 1 C. II. genannten Definitionen nun auf diejenigen bezüglich indigener Völker eingegangen. „Indigen“ weist auf „Stamm, Abstammung, Herkunft, Geburt“ als Mindestkriterium hin und ist die moderne Bezeichnung für den als diskriminierend empfundenen Begriff „eingeboren“.29 Damit bestehen große Ähnlichkeiten zum Begriff der „Autochthonen“30 oder der früher verwendeten Formulierung „Stammesvolk“.31 Als Oberbegriff muss „indigen“ eine Vielzahl unterschiedli___________ 28

Barsh, 62 Oreg. L. Rev. [1983], 73, 94. Gündling/Seelig, LdR, Indigene Völker, 4/463, S. 1. 30 Vgl. dazu Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France, S. 25. 31 Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France, S. 26 f. zeigt jedoch, dass die europäischen Expansionsstaaten zunächst Begriffe wie „Nation“ und „Volk“ verwendeten und 29

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cher und weltweit verstreuter Gruppen – Schätzungen gehen von 3000-5000 (indigenen) Völkern mit 300-500 Millionen Angehörigen aus – umfassen, die aber so weitgehende Gemeinsamkeiten aufweisen, dass sie unter den einen Oberbegriff subsumiert werden können.32 Eine einfache Definition versteht indigene Völker „als ethnische Gruppen mit gemeinsamer Sprache, Geschichte und Kultur mit einer engen Verbindung zu ihrem Land“, wobei die Frage der (völkerrechtlich relevanten) Volkseigenschaft besonders umstritten und noch nicht entschieden sei.33 Ein zusätzliches Problem liegt darin, dass eine Reihe von Staaten die Existenz indigener Bevölkerungsteile auf ihren Territorien grundsätzlich verneinen, um sich den entsprechenden Forderungen nicht auszusetzen. So ist der zahlenmäßig größte Teil der indigenen Bevölkerung der Welt in den Staaten Asiens zu suchen, dennoch ist gerade hier das begriffliche Verständnis von „indigen“ ein anderes.34 Gemeinsam ist den Definitionsansätzen, dass sie versuchen, die ursprünglichen Bewohner heutiger Staaten zu charakterisieren, die im Laufe der Geschichte durch eine dominante, üblicherweise zugewanderte Gesellschaft marginalisiert wurden.35 1. Definitionsversuche durch internationale Organisationen Die Schwierigkeiten für Definitionsversuche auch im Rahmen der Arbeit internationaler Organisationen, die sich eingehend mit indigenen Völkern befassen und daher eigentlich einer abschließenden Definition bedürften, hat zweierlei Ursachen.36 Zum Einen sind die an den Beratungen beteiligten indigenen Vertreter selbst zurückhaltend, da sie durch eine Definition eine Einengung befürchten, die möglicherweise zum Ausschluss auch berechtigter Gruppen an der Arbeit und als Anspruchsinhaber von Rechten führen würde. Dies ließe sich mit einer weiten Definition verhindern. Gegen eine solche sind wiederum auf der anderen Seite die Staaten, die gegen Rechte Indigener lange Widerstand geleistet haben. Mit einer verbindlichen Definition wäre aus der Sicht möglicherweise betroffener Staaten die Gefahr beseitigt, dass sie über die Anwend___________ erst ab Mitte des 18. Jahrhunderts zu „Stamm“ als bevorzugter Bezeichnung für die indigenen Bevölkerungsgruppen wechselten. Vgl. speziell zu den nordamerikanischen „Indian Nations and Tribes“ Dörr, 36 JöR n.F. [1987], 489, 494 f. 32 Zu den Zahlen vgl. z.B. Lâm, At the Edge of State, S. xx; Gündling/Seelig, LdR, Indigene Völker, 4/463, S. 1. 33 Gündling/Seelig, LdR, Indigene Völker, 4/463, S. 1. 34 Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 13; Daes, Working Paper 1996 Rdnr. 38. 35 Wobei Martínez, Study on Treaties, Second Progress Report Rdnr. 100 f. eine Unterscheidung zwischen klassischen Kolonialsituationen und der Durchsetzung eines indigenen Volkes auf einem Territorium gegenüber anderen fordert. 36 Vgl. auch Schillhorn, Kulturelle Rechte indigener Völker, S. 24 ff.

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barkeit bestimmter Rechte auf Bevölkerungsteile im Landesinneren, denen sie in der Organisation zugestimmt haben, im Nachhinein keine Entscheidungsoption im ablehnenden Sinne mehr hätten.37 Trotz dieser Ausgangslage hat es zahlreiche Versuche und Arbeitsdefinitionen gegeben, die im Folgenden als Grundlage für eine eigene Position dargestellt werden. a) Die Definition von Cobo Als innerhalb der UN die Aufmerksamkeit für die Situation indigener Völker größer wurde, beauftragte die – damals so genannte – Unterkommission zur Verhinderung von Diskriminierung und den Schutz von Minderheiten einen Experten, Diskriminierungen gegenüber indigenen Bevölkerungen zu untersuchen.38 Special Rapporteur Cobo definierte die Untersuchungssubjekte für seinen Staatenvergleich im abschließenden Teil seiner ausführlichen Studie wie folgt: „Indigenous communities, peoples and nations are those which, having a historical continuity with pre-invasion and pre-colonial societies that developed on their territories, consider themselves distinct from other sectors of the societies now prevailing in those territories, or parts of them. They form at present non-dominant sectors of society and are determined to preserve, develop and transmit to future generations their ancestral territories, and their ethnic identity, as the basis of their continued existence as peoples, in accordance with their own cultural patterns, social institutions and legal systems.“39

Er ergänzt diese Definition durch eine Liste möglicher Merkmale, um die notwendige Kontinuität festzustellen und nennt dafür die Besiedlung eines bestimmten Gebietes, Wurzeln der Vorfahren, kulturelle Unterscheidbarkeit einschließlich eigener Sprache und weitere bekannte Elemente ethnischer Gruppen.40 Die von ihm gefundene Definition wurde zum Referenz- und Ausgangspunkt für alle weiteren Definitionsversuche.41 ___________ 37

Zugleich besteht das Problem, dass Staaten eigene Defiitionen vorhalten, die wiederum von den Betroffenen abgelehnt werden. So war es z.B. in Kanada, wo durch Definition der Bundesregierung bestimmte Bevölkerungsteile als indigene Völker „verschwunden“ wären, vgl. Knight, in: The living law of nations, S. 179, 192. 38 Zu Hintergrund und Genese der Studie Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 128 ff. m.w.N. 39 Cobo, Study of the Problem of Discrimination against Indigenous Populations, Rdnr. 379. Schon vorher hatte er im Preliminary Report unter Rdnr. 34 eine ähnlich lautende Definition als Arbeitsgrundlage gebraucht und in Rdnr. 45 festgehalten, dass auch nicht kolonisierte Völker innerhalb bestehender Staaten wegen der Dominanz durch die nun herrschende Bevölkerung unter seinen Arbeitsbegriff fallen müssen. 40 Vgl. Cobo, Study of the Problem of Discrimination against Indigenous Populations Rdnr. 380. Cobo erkannte bereits als entscheidende Frage, dass den indigenen

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b) Die International Labour Organization Es wäre naheliegend gewesen, wenn sich innerhalb der UN zunächst ein allgemeines Forum mit Fragen betreffend indigene Völker beschäftigt und diese dann an die Sondereinrichtungen weitergeleitet hätte. Tatsächlich war aber eine der ersten Organisationen des UN-Systems, die sich ausdrücklich mit indigenen Völkern befasst und auch diesbezügliches Vertragsrecht geschaffen hat, die International Labour Organization (ILO; Internationale Arbeitsorganisation).42 Zunächst erarbeitete diese schon 1957 die „ILO Convention Nr. 107“, die noch vom Gedanken der Assimilierung der indigenen Bevölkerungsteile geprägt war und daher solche Maßnahmen unterstützte.43 Im Gegensatz dazu bedeutete die Revision dieser Konvention eine inhaltliche Kehrtwende. In der „ILO Convention Nr. 169“ von 1989 werden die Anwendungssubjekte für die Konvention in Art. 1 wie folgt beschrieben: „1. This Convention applies to: (a) tribal peoples in independent countries whose social, cultural and economic conditions distinguish them from other sections of the national community, and whose status is regulated wholly or partially by their own customs or traditions or by special laws or regulations; (b) peoples in independent countries who are regarded as indigenous on account of their descent from the populations which inhabited the country, or a geographical region to which the country belongs, at the time of conquest or colonization or the establishment of present State boundaries and who, irrespective of their legal status, retain some or all of their own social, economic, cultural and political institutions. 2. Self-identification as indigenous or tribal shall be regarded as a fundamental criterion for determining the groups to which the provisions of this Convention apply. 3. The use of the term ‚peoples’ in this Convention shall not be construed as having any implications as regards the rights which may attach to the term under International Law.“44

___________ Völkern das „sovereign right and power to decide who belongs to them, without external interference“ (Rdnr. 382) zukommen müsse. 41 Barsh, 80 AJIL [1986], 369, 371: „authoritative“. 42 Trotz des spezialisierten Mandats der ILO hat sich diese schon früh über ihr enges Tätigkeitsfeld hinaus mit indigenen Fragen beschäftigt, vgl. Kingsbury, 92 AJIL 414 [1998], 442 Fn. 110; Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 124. 43 Die Konvention findet sich unter www.ilo.org/ilolex/cgi-lex/convde.pl?C107. Vgl. zu dieser kurz Anderes, Fremde im eigenen Land, S. 58; vgl. auch Swepston, 15 Okla. City U. L. Rev. 677 [1990], 682 f. 44 International Labour Organisation, Convention concerning Indigenous and Tribal Peoples in Independent Countries No. 169 (1989); abgedr. bei Tomuschat, Modern Law of Self-Determination, Annex, S. 305 ff.; sie findet sich mit dem aktuellen Ratifikations-

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Die Unterscheidung zwischen „tribal“ und „indigenous“ ist teilweise als unnötige Verdopplung kritisiert worden, die nicht auf andere völkerrechtliche Instrumente übertragen werden sollte.45 Mit dieser weiten Herangehensweise wollten die Autoren der Konvention sicherstellen, dass alle möglichen Träger erfasst werden und für die Bestimmung nicht allein das Vorhandensein einer Kolonialgeschichte entscheidend ist.46 Daher wird teilweise noch heute angenommen, dass diese Definition zur Zeit die zutreffendste sei.47 Auch ist die Begrifflichkeit „peoples“ in die Definition aufgenommen worden, was durchaus Signalwirkung haben sollte. Diese Bezugnahme wurde aber bewusst relativiert, indem in Abs. 3 klargestellt wurde, dass die Verwendung von „peoples“ keinerlei Auswirkungen in Richtung der Anerkennung völkerrechtlicher Rechtspositionen von Völkern für indigene Völker als Träger der Rechte aus dieser Konvention haben solle. c) Die Weltbank Vor einem Blick auf die Arbeiten innerhalb der thematisch zuständigen Arbeitsgruppen der UN ist ein Blick auf die Weltbank lohnenswert. Diese in das UN-System eingegliederte Organisation vergibt Kredite und finanziert Entwicklungshilfeprojekte. Bei der Vergabeentscheidung, Durchführung vor Ort und nachträglichen Kontrolle hat sie zwangsweise häufig mit indigenen Volksangehörigen zu tun. Auch sind von ihr finanzierte Projekte häufig mit substantiellen Folgen für bestimmte Volksgruppen verbunden.48 Bereits Anfang der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts beschäftigte sich daher eine interne „Operational Manual Statement (OMS 2.34)“ mit „Tribal People in Bank-financed Projects“. Ähnlich der damals noch vorherrschenden Einstellung – auch in der ILO – ist diese Anweisung von einer protektionistischen und assimilationsfreundlichen Haltung geprägt. Eine zeitlich parallel entstandene Studie für die Weltbank differenziert zwar verschiedene ___________ stand auch unter www.ilo.org/ilolex/cgi-lex/convde.pl?C169, Stand: 20 Ratifikationsstaaten (August 2008). 45 Ähnlich Daes, Working Paper 1996 Rdnr. 31 and 72. Andererseits fragte das Sekretariat der ILO die Menschenrechtskommission „whether the use of ,indigenous’ alone might in fact convert the draft declaration from a universal instrument to one of only regional application“ [eig. Herv.], ILO, Note 1995 Rdnr. 12. 46 Swepston, in: The Human Rights of Indigenous Peoples, S. 17, 21. Dennoch ist die Unterscheidung minimal, führt aber zu einer Betonung der sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Unterscheidungsmerkmale im objektiven Bereich, Wiessner, 12 Harv. Hum. Rts. J. 57 [1999], 112. 47 Wolfrum, 59 ZaöRV [1999], 369, 379. 48 Generell dazu Davis, The World Bank and Indigenous Peoples, passim.

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Begrifflichkeiten im Hinblick auf die Betroffenen, ohne dass damit jedoch eine breite Definition vorgenommen worden wäre: „1. Ethnic minority: broadly encompasses all those races or groups not identifying with the dominant race [...]. 2. Native: implies birth or origin in the region, and thus includes national peasants and all others born in the area. 3. Indigenous: adds to native the implication of not having been introduced from another region of the country. 4. Aboriginal: implies having no known race preceding in the occupancy of the region, hence also includes national peasants albeit those with a traditional way of life. 5. Autochthonous: implies creation in that site. 6. Primitive people: is now not acceptable in anthroppology, because of its inaccuracy and pejorative connotations. 49

7. Original: existing from the start; first occupants of a region.“

Gerade im Hinblick auf die Definition der Betroffenen stellt die Studie auf den Grad der Integration in die dominante Bevölkerungsgruppe ab und ist erkennbar von diesem Ideal eingenommen.50 Wie auch in anderen Organisationen fand hier ein Lernprozess statt, der zur völlig neu konzipierten „Operational Directive 4.20“ von 1991 führte, die die relevanten Termini wie folgt definierte: „3. The terms ‚indigenous peoples’, ‚indigenous ethnic minorities’, ‚tribal groups’, and ‚scheduled tribes’ describe social groups with a social and cultural identity distinct from the dominant society that makes them vulnerable to being disadvantaged in the development process. For the purposes of this directive, ‚indigenous peoples’ is the term that will be used to refer to these groups. [...] 5. Because of the varied and changing contexts in which indigenous peoples are found, no single definition can capture their diversity. Indigenous people are commonly among the poorest segments of a population. They engage in economic activities that range from shifting agriculture in or near forests to wage labour or even small-scale market-oriented activities. Indigenous peoples can be identified in particular geographical areas by the presence in varying degrees of the following characteristics: (a) a close attachment to ancestral territories and to the natural resources in these areas; (b) self-identification and identification by others as members of a distinct cultural group; (c) an indigenous language, often different from the national language;

___________ 49 50

Goodland, Economic Development and Tribal Peoples, S. 27. Vgl. Heinz, Indigenous populations, S. 10 f.

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(d) presence of customary social and political institutions; and 51

(e) primarily subsistence-oriented production.“

Des Weiteren sollen die mit den Entscheidungen über die Durchführung von Projekten befassten „Task Manager“ bei der Einordnung betreffender Bevölkerungen auf die Hilfe von „specialized anthropological and sociological experts“ zurückgreifen. Die mittlerweile zur Leitlinie gemachte Erhaltungswürdigkeit der Diversität indigener Volksgruppen zeigt sich daran, dass ein möglichst weiter Ansatz gewählt wurde. Dies war deshalb unproblematisch möglich, weil die Richtlinien der Weltbank durch eigene Mitarbeiter unter Zuhilfenahme auswärtiger Beratung entworfen werden und sich darauf beschränken z.B. die Kreditvergabe in der Praxis zu ermöglichen, nicht jedoch rechtliche Kriterien zu schaffen52 oder gar eine Staatensichtweise wiederzugeben. Dennoch werden Mitarbeiter der Weltbank oft mit dem Problem konfrontiert, dass sich betroffene Staaten weigern, überhaupt indigene Völker in den eigenen Grenzen als existent zu akzeptieren. In solchen Fällen können aber die breit formulierten Richtlinien einen Bewusstseinswandel bewirken oder beschleunigen, weil diese Staaten keine weitergehenden Implikationen, z.B im Hinblick auf völkerrechtliche Instrumente, zu befürchten haben.53 Im Blick auf den möglichen Beitrag zu einer „nachhaltigen Entwicklung“ und alternativen Entwicklungsmöglichkeiten sowie die große Zahl Indigener hat sich die Weltbank entschlossen, ihre Herangehensweise wiederum anzupassen. Ein Expertenbericht zur Umgestaltung der OD 4.20 zur „Operational Policies OP 4.10“ plädierte für eine Beibehaltung der bisherigen Kriterien, legte aber zusätzlich fest, in welchen Schritten die Bevölkerungsgruppen identifiziert werden sollten. Zunächst sollten nationale Regelungen daraufhin untersucht werden, ob diese bereits als indigen bezeichnete Gruppen addressieren. In Ratifikationsstaaten der ILO-Konventionen sollen die Maßstäbe aus jener Konvention herangezogen werden. Andernfalls soll in Zusammenarbeit mit Regierungs-, Nichtregierungsorganisationen und unabhängigen Experten unter Berücksichtigung der bekannten Kriterien eine Feststellung getroffen werden.54 ___________ 51 World Bank, Operational Directive 4.20, Sept. 1991 [eig. Herv.]. Dieser Text war bis 2005 gültig und findet sich weiter unter http://hei.unige.ch/~clapham/hrdoc/docs/WBOD4.20.htm. Seit Juli 2005 gelten die Operational Policies 4.10, dazu sogleich. 52 Venne, Our elders understand our rights, S. 41 f.; Kingsbury, 92 AJIL 414 [1998], 442. 53 Kingsbury, 92 AJIL 414 [1998], 443 f. mit einem konkreten Beispiel auf S. 445, bei dem sich die Operational Directive der Weltbank positiv ausgewirkt hat, indem die Unterstützung für ein Projekt entzogen wurde, das sich negativ auf eine indigene Bevölkerungsgruppe ausgewirkt hätte, obwohl diese Gruppe von der Regierung als solche nicht anerkannt war. 54 Davis/Salman/Bermudez, Approach Paper, Rdnr. 7

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Die Diskussionen im Rahmen der Vorbereitung der Neufassung der Direktive zeigen, dass es bei der Identifikationsfrage immer noch hauptsächlich um die mit der Anwendung auf afrikanische und asiatische Gruppen verbundenen Probleme geht, andere Indigene hingegen unproblematisch zu erkennen sind.55 Die Arbeitsfassung von OP 4.10 sah vor, dass Angehörige indigener Bevölkerungsteile, die ihre Gemeinschaft verlassen haben und nunmehr in Städten leben, aus dem Anwendungsbereich der Direktive herausfallen. Als weitere Neuerung hat die Überarbeitung zum Ziel, dass die indigenen Gruppen als Nutznießer der Arbeit stärker und früher in die Entscheidungsprozesse der Weltbank eingebunden werden sollen.56 In der seit Juli 2005 geltenden Fassung der OP 4.10 sind die Positionen grundsätzlich gleich geblieben: „2. The Bank recognizes that the identities and cultures of Indigenous Peoples are inextricably linked to the lands on which they live and the natural resources on which they depend. These distinct circumstances expose Indigenous Peoples to different types of risks and levels of impacts from development projects, including loss of identity, culture, and customary livelihoods, as well as exposure to disease. Gender and intergenerational issues among Indigenous Peoples also are complex. As social groups with identities that are often distinct from dominant groups in their national societies, Indigenous Peoples are frequently among the most marginalized and vulnerable segments of the population. […] At the same time, the Bank recognizes that Indigenous Peoples play a vital role in sustainable development and that their rights are increasingly being addressed under both domestic and international law. 3. Identification. Because of the varied and changing contexts in which Indigenous Peoples live and because there is no universally accepted definition of ‚Indigenous Peoples’, this policy does not define the term. Indigenous Peoples may be referred to in different countries by such terms as ‚indigenous ethnic minorities’, ‚aboriginals’, ‚hill tribes’, ‚minority nationalities’, ‚scheduled tribes’, or ‚tribal groups’. 4. For purposes of this policy, the term ‚Indigenous Peoples’ is used in a generic sense to refer to a distinct, vulnerable, social and cultural group possessing the following characteristics in varying degrees: (a) self-identification as members of a distinct indigenous cultural group and recognition of this identity by others; (b) collective attachment to geographically distinct habitats or ancestral territories in the project area and to the natural resources in these habitats and territories (c) customary cultural, economic, social, or political institutions that are separate from those of the dominant society and culture; and (d) an indigenous language, often different from the official language of the country or region. A group that has lost ‚collective attachment to geographically distinct habitats or ancestral territories in the project area’; […] because of forced severance remains eligible for coverage under this policy. Ascertaining whether a particular group is con-

___________ 55 56

Davis/Bermudez, Technical Consultation, Rdnr. 18 ff. Vgl. World Bank, Draft Operational Policies OP 4.10 (23.03.2001).

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sidered as ,Indigenous Peoples’ for the purpose of this policy may require a technical judgment.“57

d) Die Positionen innerhalb der UN Working Group on Indigenous Populations und ihrem Umfeld aa) Ansatz in der Draft Declaration Im Rahmen der UN begann die Beschäftigung mit indigenen Völkern im Zusammenhang mit Menschenrechtsfragen durch die Erarbeitung der oben erwähnten Studie von Cobo. Eine der abschließenden Empfehlungen war die Einrichtung einer Arbeitsgruppe als „Hilfsorgan“ zur „Sub-Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities“.58 Dieser Vorschlag wurde von der Menschenrechtskommission befürwortet, die am 10. März 1982 die Einrichtung einer „Working Group on Indigenous Populations“ empfahl.59 Sie sollte sich vor allem mit der Erarbeitung einer „Draft Declaration on the Rights of Indigenous Peoples“60 befassen, die ebenso wie die Bearbeitung und Verabschiedung der Deklaration in den entsprechenden UN-Gremien noch ausführlich zu beleuchten sein wird.61 Die Draft Declaration – in der ursprünglich als Arbeitsgrundlage für die weitere Bearbeitung in der Menschenrechtskommission beschlossenen Fassung – enthält keine eigene Definition über indigene Völker, sondern setzt vielmehr auf Selbstidentifikation, indem Art. 8 festlegt, dass zum Recht auf eigene Identität auch gehört „[...] the right to identify themselves as indigenous and to be recognized as such“.62

Dieser Verzicht auf eine Definition in dem grundlegenden Dokument ebenso wie für die Frage der Teilnahmeberechtigung an den Beratungen der Working Group bedurfte einer Erläuterung für Außenstehende. ___________ 57

World Bank, Operational Policies 4.10, July 2005. Im Einzelnen zu den mit indigenen Völkern beschäftigten Organen der UN noch unten in Kap. 2 B. V. 2. b) aa). 59 Human Rights Commission, Res. 1982/19 und ECOSOC, Res. 1982/34, U.N. EXCOR Supp. (No. 1), 26 f., UN Doc. E/1982/82. Zur Vorgeschichte und dem Beginn der Arbeitsgruppe vgl. exemplarisch Washinawatok, 3 N.Y. City L. Rev 41 [1998], 42 ff., v.a. 46 f.; wichtige Schritte und Inhalte finden sich auch in High Commissioner for Human Rights, Fact Sheet on the Rights of Indigenous Peoples. 60 Draft Declaration on the Rights of Indigenous Peoples, UN Doc. E/CN.4/ Sub.2/1994/2. 61 Dazu unten Kap. 2 C. II. 2. 62 Vgl. dazu auch das Zugehörigkeitsrecht zu einer Gemeinschaft für indigene Individuen in der endgültigen Deklaration in Art. 9. 58

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bb) Die offene Herangehensweise der Working Group In einem „Note on criteria which might be applied when considering the concept of indigenous peoples“ erklärte die damalige Vorsitzende der Working Group, Daes, dass eine offene, auf Selbstidentifikation abstellende Herangehensweise schon aus historischen Gründen angezeigt sei, weil gerade die staatlicherseits erfolgte Einordnung in vergangenen Jahrhunderten zu erheblichem Unrecht an den so Identifizierten geführt habe.63 Außerdem habe die Working Group seit ihrem Bestehen erfolgreich arbeiten und sogar die genannte Draft Declaration vorbereiten können, obwohl sie den „open and accessible character“64 beibehalten habe. Es bedürfe zwar gewisser Leitlinien, um klar zu machen, welche Gemeinsamkeiten dazu führten, dass die Vertreter der indigenen Völker in einer Arbeitsgruppe an einem gemeinsamen Projekt beteiligt seien. Diese „guidance“65, die Nennung einer bestimmten Menge an Kriterien, die möglicherweise Anwendung finden können, lehnt sich an bestehende Definitionsversuche – insbesondere die Cobo-Studie66 – an und bezieht sich ebenfalls vorderhand auf die Besonderheit traditioneller Landverbundenheit, einer geschichtlichen Kontinuität,67 bestimmter kulturell besonderer Eigenschaften, fehlender Dominanz und Selbstidentifikation. Diese Leitlinien sollten jedoch nur dazu dienen, dass die offene, also nicht durch eine verbindliche Definition eingeschränkte, Herangehensweise aufrecht erhalten werden kann. Hintergrund für die Notiz von Daes waren Versuche bestimmter Gruppierungen, unter den Schutzmantel der Working Group zu gelangen, obwohl sie offenkundig keine indigene Völker waren und von den anderen auch nicht als solche akzeptiert wurden.68 ___________ 63

Daes, Note 1995 Rdnr. 6; in ihrem späteren Report verweist sie auf Aussagen von Vertretern indigener Völker, die dies eindrücklich forderten Daes, Working Paper 1996 Rdnr. 35 f. 64 Daes, Note 1995 Rdnr. 1. 65 Daes, Note 1995 Rdnr. 7. 66 Martínez, Study on Treaties, Second Progress Report Rdnr. 89 weist zu Recht darauf hin, dass diese Definition insofern eine besondere Autorität erlangt hat, als sie von den Arbeitsgruppen und auch dem Regierungsorgan Menschenrechtskommission zu eigen gemacht worden sind, indem der Report von Cobo formal verabschiedet worden sei. 67 Diese geschichtliche Kontinuität dürfe jedoch nicht über das Merkmal „native“ festgestellt werden, das insgesamt ungeeignet sei, weil es „implies birth or origin in the region, and thus includes national peasants and all others born in the area“ und deshalb fast die gesamte heutige Bevölkerung eines Staates „native“ sei. Deshalb fordert Daes, Working Paper 1996 Rdnr. 64, dass nur diejenigen darunter fallen sollten, „[that] are native to their own specific ancestral territories within the borders of the existing State, rather than persons that are native generally to the region in which the State is located“. 68 Dazu Venne, Our elders understand our rights, S. 118.

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cc) Die unterschiedlichen Ansätze in der Menschenrechtskommission Diese Herangehensweise wurde vom Sekretariat der bis 2006 aktiven Menschenrechtskommission bei der technischen Durchsicht vor der Weitergabe an den Wirtschafts- und Sozialausschuss bestätigt. Unter Hinweis auf Cobo und andere als „guides“ seien Flexibilität und Offenheit wichtig gewesen, weshalb auf eine formelle Definition verzichtet worden sei.69 Auch die zusätzliche Aufnahme des Begriffes „tribal“, wie von der ILO vorgeschlagen,70 ist nicht aufgegriffen worden. Dennoch ist der Verzicht auf eine förmliche Definition auch innerhalb verschiedener UN-Gremien umstritten geblieben. So haben insbesondere Special Rapporteurs im Rahmen der „Working Group on Minorities“ die fehlende Abgrenzbarkeit der beiden Gruppen bei Verzicht auf eine Definition gerügt. Wegen dieser Kritik hat die Sub-Commission 2000 nochmals die verschiedenen Ansatzpunkte in einem Working Paper veröffentlicht.71 Für die Minderheiten-Arbeitsgruppe stellte Eide, in Ergänzung früherer ähnlicher Stellungnahmen,72 eine Hierarchie von Menschenrechten auf, wobei die den indigenen Völkern zustehenden am weitesten seien. Daher sei eine saubere Unterscheidung zu Minderheiten wünschenswert, wobei nach seiner Ansicht lediglich die territoriale Dimension ein taugliches Kriterium zur Unterscheidung sei.73 Minderheiten gehe es darum, ihren Platz in der Gemeinschaft der Staatsbevölkerung zu sichern, was durch nicht-territoriale Autonomielösungen bereits ermöglicht werde, wenngleich in einzelnen Fällen sogar eine territoriale Entfernung vom Zentralgebilde gewährt wird bzw. werden kann, obwohl es völkerrechtlich nicht vorgeschrieben sei. Indigene Völker hingegen bräuchten gerade nicht nur eine kulturelle, sondern territoriale Autonomie, auf der sie ihre Andersartigkeit geschützt ausleben können. Insgesamt sei also keine genaue Unterscheidung möglich, aber eine Annäherung vom Schutzbedarf her verspreche eine handhabbare Lösung. Diese könnte bedeuten, dass eher innerhalb von Minderheiten und indigenen Völkern differenziert werde als zwischen ihnen, weil beispielsweise die Unterschiede zwischen urbanisierter indigener Bevölkerung zu den traditionell in abgeschlossenen Gebieten lebenden Vertretern größer sind als zwischen Minderheiten und indigenen Vertretern, die beide in Städten leben und versuchen, im Stadtleben gewisse kulturelle Merkmale aufrecht zu erhalten.74 Daes von der Indigenen-Arbeitsgruppe betont dagegen in ihrem ___________ 69

Secretariat, Technical Review Rdnr. 11. Vgl. ILO, Note 1995 Rdnr. 12. 71 Sub-Commission, Working Paper 2000. 72 Vgl. z.B. Eide, Report of the Working Group on Minorities 1996 Rdnr. 155 ff. 73 Sub-Commission, Working Paper 2000 Rdnr. 10. 74 Sub-Commission, Working Paper 2000 Rdnr. 23 ff. 70

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Beitrag zum Working Paper wie in zahlreichen vorigen, dass die Frage einer Definitionsfähigkeit oder -notwendigkeit entschärft werden könnte, wenn darauf abgestellt würde, welchen Schutzes die jeweils in Frage stehende Gruppe bedürfte. Es gebe zwar die bekannten Unterscheidungskriterien, aber diese ermöglichten keine ausreichend scharfe Unterscheidung und ließen offen, ob Minderheitenrechte und Rechte indigener Völker nur temporärer Natur, also Ausdruck eines Zwischenstadiums seien.75 Fraglich sei außerdem, wie weit zurück die Abstammungslinie verfolgt werden dürfe bzw. wie lange die bestimmte territoriale Verbundenheit nach einer zwangsweisen Umsiedlung bestehen bleibe.76 Trotz der vielfach überlappenden Bedingungen zwischen indigen und minoritär sei es eine Tatsache, dass die unterschiedlichen Gruppen auch unterschiedliche Ziele verfolgten. Daher solle ein neuer Ansatz verfolgt werden, der nach den verfolgten und zugleich den realistischerweise zu erreichenden Zielen frage.77 Die zwischen zwei idealtypischen, aber kaum je so vorkommenden Eckpunkten – also sicheren Beispielen für eine Minderheit und für ein indigenes Volk – liegenden Zweifelsfälle könnten so auch ohne strikte Grenze eingeordnet werden.78 Die Position der einflussreichen Vorsitzenden der Working Group ging demzufolge dahin, auf eine strikte Definition zu verzichten, da auch ohne eine solche die erfolgreiche Arbeit möglich sei.79 dd) Bestätigung im Menschenrechtsrat und der UN-Generalversammlung Diese offene Haltung wurde innerhalb der Arbeitsgruppen der Menschenrechtskommission danach weitgehend akzeptiert und spiegelt sich auch in der vom Nachfolgeorgan Menschenrechtsrat verabschiedeten endgültigen Entwurfsfassung des Textes wider, der Basis für die Generalversammlungsdeklaration 2007 wurde. Es gab jedoch ursprünglich insoweit auch Kritik, als dies zu einem Verschwimmen von nachvollziehbaren Grenzen zu Gruppen, die mit Sicherheit nicht mehr indigen seien, geführt habe.80 Zudem könne nicht ausrei___________ 75

Sub-Commission, Working Paper 2000 Rdnr. 29. Sub-Commission, Working Paper 2000 Rdnr. 37 f. 77 Sub-Commission, Working Paper 2000 Rdnr. 42. 78 Sub-Commission, Working Paper 2000 Rdnr. 47 ff., Rdnr. 50: „The inevitability of overlaps does not invalidate the approach that I am proposing or render it useless in practice. On the contrary, in my view, being practical and realistic necessitates an approach that is purposive, and links the characteristics of groups to their aspirations and to the rights they are entitled to and realistically can exercise“ [eig. Herv.]. 79 So bereits in Daes, Working Paper 1996 Rdnr. 6 und o. Fußn. 64. 80 So Martínez, Study on Treaties, Second Progress Report Rdnr. 121. Vgl. auch ähnlich bezüglich der neuen Definition der Sami in Finnland und daher kritisch zu einer 76

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chend zwischen Situationen in klassischen Kolonialstaaten und Situationen, die durch schlichte Invasion entstanden seien, in denen sich beispielsweise eine indigene Bevölkerungsgruppe gegenüber den anderen als dominant durchgesetzt habe, differenziert werden, was gerade im Hinblick auf die asiatischen Staaten zu Problemen führe.81 Festzuhalten bleibt, dass der territoriale Aspekt auch innerhalb der UN ein ganz besonders wichtiger zur Feststellung eines indigenen Volkes ist. Dies ergibt sich auch aus Art. 25 der UN-Deklaration, der das Recht zur Pflege der besonderen sprituellen und materiellen Verbundenheit mit dem Land und den Gewässern, die sie traditionell bewohnen, regelt. Eine „fundamentale Charakteristik“ indigener Völker ist also, dass sie eine historische Kontinuität auf dem von ihnen bewohnten Land aufweisen, wobei gewaltsame Vertreibungen und daraus folgende Neuansiedlungen die Eigenschaft als indigenes Volk nicht zerstören können.82 Von diesem objektiven Kriterium abgesehen, blieb und bleibt es bei den Arbeiten in der UN beim Ansatz der Selbstidentifikation, weil dies auch mit einem allgemeinen Menschenrechtsansatz, der Diskriminierungen verbiete, am ehesten zu vereinen sei, wie der Special Rapporteur Stavenhagen zum Ausdruck bringt: „[...] the right of indigenous persons and peoples to selfdefinition is the most accepted form of identification [...] consistent with a human rights approach“.83

e) Die Arbeiten an der Interamerikanischen Deklaration Innerhalb der Grenzen der süd-, mittel- und nordamerikanischen Mitgliedstaaten der „Organisation of American States“ (Organisation Amerikanischer Staaten; OAS) befindet sich ein gewichtiger Teil der indigenen Völker der Welt. Daher haben sich auch diese Organisation und ihre Vorläufer dem Thema stellen müssen. Schon in den 1930er Jahren gab es Bestrebungen, interamerikanische Forschungen über indigene Völker zu veranlassen, worauf im Abschnitt zur historischen Entwicklung der Rechtsstellung indigener Völker noch einzugehen ist.84 Parallel zu den Arbeiten in der UN an einer Deklaration hat sich auch diese Organisation das Ziel der Verabschiedung einer Deklaration ___________ Selbstidentifikation Myntti, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 277, 291 f., 294. 81 Martínez, Study on Treaties, Second Progress Report Rdnr. 100 f. 82 So auch Daes, Note 1995 Rdnr. 12. Vgl. ferner Barsh, 62 Oreg. L. Rev. [1983], 73, 95, wonach in dieser Hinsicht „geographic location is irrelevant“, ‚map-makers‘ hätten nicht die Macht den Selbstbestimmungsvorgang eines Volkes zu zerstören. 83 Stavenhagen, Report on the Situation of Human Rights Rdnr. 100. 84 Dazu in Kap. 2, B. V. 4. a); vgl. ausführlich zur Vorgeschichte und den Arbeiten in der OAS Kreimer, in: The Human Rights of Indigenous Peoples, S. 63 ff.

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

über Rechte indigener Völker gesetzt.85 Der ursprüngliche Entwurf für die „Draft American Declaration on the Rights of Indigenous Peoples“ lehnte sich in der Definitionsfrage an die ILO-Konvention Nr. 169 an.86 Die überarbeitete Fassung, die von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission befürwortet worden war, wurde mit dem Ziel einer Verabschiedung bis 1998 an die Generalversammlung weitergeleitet.87 Seither ist dieser neue Entwurf, der sich auf die Nennung „indigener Völker“ beschränkte, zwar vielfach diskutiert worden, eine Verabschiedung ist aber noch immer nicht in Sicht, da sich der Konsultationsprozess mit den Staaten länger gestaltet als vorgesehen.88 Die Version von 1997 führte zur Begriffsbestimmung noch aus: „Article I. Scope and definitions 1. This Declaration applies to indigenous peoples as well as peoples whose social, cultural and economic conditions distinguish them from other sections of the national community, and whose status is regulated wholly or partially by their own customs or traditions or by special laws or regulations. 2. Self identification as indigenous shall be regarded as a fundamental criterion for determining the peoples to which the provisions of this Declaration apply. 3. The use of the term ‚peoples’ in this Instrument shall not be construed as having any implication with respect to any other rights that might be attached to that term in international law.“89

___________ 85 Nach Wiessner, 12 Harv. Hum. Rts. J. 57 [1999], 104, hat die OAS erstaunlich spät mit der konkreten Ausarbeitung von Schutzinstrumenten begonnen, dann aber „quickly caught up with, indeed overtaken, the United Nations Working Group“. Näher zu den Arbeiten an der Deklaration unten in Kap. 2 B. V. 4. a) dd). 86 Der ursprünglich formulierte Text findet sich z.B. noch im Anhang von Anaya, Indigenous Peoples in International Law, S. 218 ff. Diese und andere Anlehnungen auf später enstandene oder entstehende Instrumente ist nach Swepston, in: The Human Rights of Indigenous Peoples, S. 17, 35 eine der positiven, nicht unmittelbaren Auswirkungen von ILO-Konvention 169. 87 Vgl. Kreimer, in: The Human Rights of Indigenous Peoples, S. 63, 68 f. 88 Vgl. nur beispielhaft die Resolution OAS, AG/RES. 1780 (XXXI-O/01) vom 05.06.2001, in deren Folge sich im März 2002 wiederum bei einer Special Session die Working Group des Committee on Juridical and Political Affairs mit dem Entwurf beschäftigt hat. 89 Proposed American Declaration on the Rights of Indigenous Peoples, wie sie am 26.02.1997 von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission als Grundlage beschlossen worden war. Der Text findet sich im Überblicksdokument www.cidh.org/ indigenas/toc.htm, genauer unter www.cidh.org/indigenas/chap.2g.htm. Die seitherige Entwicklung und der aktuelle Stand in den Vorbereitungen zur Verabschiedung einer Deklarationsfassung durch die Generalversammlung kann unter www.oas.org/OASpage/Events/default_ENG.asp?eve_code=11 bzw. www.oas.org/consejo/CAJP/Indige nous%20documents.asp verfolgt werden. Eine Gegenüberstellung der aktuellen Entwurfsfassung mit der UN Deklaration ist veröffentlicht als OAS, Table comparing, 2008.

A. Begriffsbestimmungen

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In der weiteren Diskussion wurde die Definitionsfrage wieder aufgeschnürt, aber aus der im Dezember 2001 erstellten Synopse war ersichtlich, dass die gängigen Unterscheidungskriterien allgemeine Zustimmung fanden und lediglich die Einschränkungsklausel hinsichtlich des Begriffes „Volk“ im Blick auf allgemeines Völkerrecht sowie der Umfang der Selbstidentifikation zwischen Staatenvertretern und Delegationsteilnehmern aus indigenen Kreisen umstritten waren.90 Der zunächst vorgesehene Passus der Präambel, wonach indigene Völker Adressaten des Völkerrechts seien, ist zur Kompromissformel „Noting the progress made at the international level in recognizing the rights of indigenous peoples“

zurückgestuft und die ausdrückliche Bezugnahme auf kollektive Rechte als Rechtskategorie war in den weiteren Fassungen ebenfalls nicht enthalten,91 ist jedoch in der Entwurfsfassung von 2008 in Art. VI bei den nicht mehr umstrittenen Artikel-Entwürfen zu finden. Der Sache nach ist es bei der Definition der indigenen Völker wie oben geblieben, wenngleich Art. I nunmehr eine Beschränkung auf die indigenen Völker Amerikas vorsieht und die vergleichbaren Gemeinschaften fehlen. Auch die Bezugnahme auf das Völkerrecht ist abgeschwächt und im Entwurf zu Art. IV heißt es jetzt: „Nothing in this Declaration shall be construed so as to authorize or foster any action aimed at breaking up or diminishing, fully or in part, the territorial integrity, sovereignty, and political independence of the States, or other principles contained in the Charter of the Organization of American States.“92

Weitergehende Lösungsansätze hinsichtlich der Definition indigener Völker sind aber aus den Diskussionen bei der OAS nicht zu entnehmen. f) Definitionsversuche anderer Institutionen Im Nachgang zur Dekolonisierungsphase wuchs in Afrika das Bestreben zur Schaffung eines regionalen Menschenrechtssystems. Die 1981 von der „Organisation of African Unity“ verabschiedete „Banjul Charter“ bezog sich inhaltlich in vielem auf eine von unabhängigen Rechtsexperten – außerhalb jeglicher Staatenbeteiligung – formulierte sog. „Algiers Declaration“ von 1977, in der erstmals deutliche Bezüge zu Rechten von Völkern hergestellt wurden.93 Weder ___________ 90

Die Synopse ist veröffentlicht als OAS, Working Document comparing. Vgl. OAS, Working Document comparing. Insoweit ist eine gewisse Relativierung gegenüber der zu Recht euphorischen Bewertung von Wiessner, 12 Harv. Hum. Rts. J. 57 [1999], 106 f. vorzunehmen. Ob dies auch für einzelne Rechtspositionen gilt, bleibt noch zu untersuchen, vgl. Kap. 2 C. II. 92 OAS, Record of the Current Status 2008. 93 Die Erstellung einer Deklaration durch Nichtregierungsvertreter und ihre Funktion als Bezugspunkt für völkerrechtliche Argumentationen wird kritisiert von Brownlie, in: 91

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

in diesem Dokument noch in der Banjul-Charta selbst wird aber der neue Rechtsträger „Volk“ bestimmt, so dass auch nicht zu ersehen ist, ob und wieweit damit auch Teile eines Staatsvolkes, insbesondere indigene Völker in Afrika gemeint sind.94 Dagegen ist die neue Verfassung Äthiopiens ein Beispiel dafür, wie der Ansatz aus der Banjul-Charta weitergeführt wurde und nunmehr eindeutig die Bezugnahme auch auf ethnische Gruppen erstreckt, also auch auf indigene Bevölkerungsgruppen, die geschlossen siedeln, bezogen werden kann. Dies ist jedoch bislang eine Ausnahme geblieben, so dass aus der dort verwendeten weiten Formulierung keine Besonderheiten für die Region Afrika herausgelesen werden können.95 Schließlich ist noch ein Blick auf das Dokument einer Organisation zu werfen, die zwar keine internationale Organisation im völkerrechtlichen Sinne ist, aber gerade versucht, die von ihr als solche empfundene Lücke im internationalen System zu schließen: Die „Unrepresented Nations and Peoples Organisation (UNPO)“ vereint als Mitglieder Minderheiten, Völker auf besetzten Territorien, indigene Völker und andere im „offiziellen“ System der Staatengemeinschaft nicht vertretene Gruppen. In Art. 6 des als Satzung fungierenden UNPO Covenant findet sich folgende Definition: „For the purposes of this Covenant: a) A Nation or People shall mean a group of human beings which possesses the will to be identified as a nation or people and to determine its common destiny as a nation or people, and is bound to a common heritage which can be historical, racial, ethnic, linguistic, cultural, religious or territorial. A section of a people constituting a minority, living on a portion of its ancestral territory, incorporated into a State other than a State represented by that People, is included in this Article’s definition“.96

Diese sehr weite Definition, die eine jeweilige Auswahl der bekannten Kriterien zulässt, ermöglicht überhaupt erst die Erfüllung des Gründungszwecks die___________ The Rights of Peoples, S. 1, 11 f., zumal auch diese Formulierungen im konkreten Fall keine Klarheit erbracht hätten. Negativ bewertet auch Rich, in: The Rights of Peoples, S. 39, 44 die Formulierungsweise. Dennoch bezieht er sich wie Cassese, der einer der Mitautoren der Algier-Deklaration war, auf diese Erklärung als Ausgangspunkt für spätere Diskussionen auf völkerrechtlicher Ebene. Die „vision“ der Algiers Declaration sollte eine wichtigere Rolle im Völkerrecht spielen, so Lâm, At the Edge of State, S. 131. 94 Skeptisch und insgesamt kritisch dazu Alston, in: Peoples’ Rights, S. 259, 286 f. Ebenfalls einschränkende Bedeutung messen dem Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 148 und Castellino, International law and self-determination, S. 73 bei. Nach Simon, Autonomie im Völkerrecht, S. 78 hat das Selbstbestimmungsrecht in der Banjul-Charta eine „antikoloniale Ausrichtung“. 95 Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 218 f.; dazu auch Alston, in: Peoples’ Rights, S. 259, 287, wiederum skeptisch. 96 Zu finden unter www.unpo.org/content/view/6192/60/.

A. Begriffsbestimmungen

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ser Organisation, kann aber nicht als Grundlage für internationale Organisationen im Völkerrecht dienen. 2. Positionen in der Literatur Vor dem Hintergrund der in den vergangenen Jahrzehnten erarbeiteten Definitionsversuche sind nun noch weiterführende Ansätze aus der Literatur darzustellen, damit in einer zusammenführenden Synthese ein eigener Ansatz als Ergebnis gefunden werden kann. a) Die Studie von Anaya In der grundlegenden Studie von Anaya nähert sich dieser seinem Untersuchungssubjekt wie folgt: „[...] indigenous refers broadly to the living descendants of pre-invasion inhabitants of lands now dominated by others. Indigenous peoples, nations or communities are culturally distinctive groups that find themselves engulfed by settler societies born of the forces of empire and conquest ... their ancestral roots are imbedded in the lands in which they live, or would like to live, much more deeply than the roots of more powerful sectors of society living on the same lands or in close proximity“.97

Geschichtliche Herkunft, kulturelle Unterscheidbarkeit und eine besondere territoriale Beziehung stehen hier im Zentrum. Im Gegensatz zum üblichen Unterscheidungsmerkmal der „distinct culture“ fällt auf, dass diese eigenständige Kultur bereits zu Beginn der noch anhaltenden Fremdbestimmung vorhanden gewesen sein und das Volk die „urspüngliche Identität als eigene kulturelle Einheit“ aufrechterhalten haben muss, die sie von der umgebenden Gesellschaft unterscheidet.98 Die Betonung eines „distinct cultural appearance“ bedeutet auch, dass das jeweilige indigene Volk nicht – jedenfalls nicht vollständig – von der dominanten Gesellschaft assimiliert worden sein darf.99 Die geschichtliche Tradition muss soweit zurückgehen, dass die Stellung als ursprünglicher Rechtsträger durch die tatsächliche Erstbesiedlung entstanden ist.100 Daher wird auch vorgeschlagen, von „First Nations / Peoples“ zu spre___________ 97

Anaya, Indigenous Peoples in International Law, S. 3. Schillhorn, Kulturelle Rechte indigener Völker, S. 29. Daes, Note 1995 Rdnr. 15. 99 Heinz, Indigenous populations, S. 7, nennt als Beispiele für „distinct cultural appearance“ die unterschiedliche Lebensweise, Religion, Sprache und anthropologische Herkunft. 100 Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 155; die Diskussion erhalte ihre Orientierung auch aus dieser Tatsache und nicht der Frage, ob es sich um ein Volk im völkerrechtlichen Sinne handle. 98

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

chen,101 als „original inhabitants“ sind sie gegenüber auch anderen möglicherweise mittlerweile als indigen, jedenfalls als „native“ zu bezeichnenden Gruppen die ursprünglichen, bildlich ausgedrückt „since time immemorial“.102 Der besondere territoriale Bezug schließlich sei die wichtigste Gemeinsamkeit in kultureller Hinsicht zwischen indigenen Völkern weltweit, weshalb manche verwundert konstatieren, dass dieses Element nicht die zentrale Rolle in vorgeschlagenen Defitionen spielt.103 Die besondere Bedeutung der Beziehung indigener Menschen zu ihrem Land ist von Vertretern bei der UN wiederholt vorgetragen worden und Gegenstand ausführlicher Diskussionen gewesen. Besonders drastisch habe ein Repräsentant formuliert, dass die Verbannung von eigener Erde neben dem Erschießen der sicherste Weg zum Töten indigener Volksangehöriger sei.104 b) Identität als Kriterium in der Literatur Die Besonderheit indigener Völker liege darin, dass sie ihre „native identity“ auch gegen Versuche zur Unterdrückung oder gar Auslöschung bewahrt haben, weshalb man sie noch eher als „Special (Singular, Uncommon, or Unique) People“105 bezeichnen sollte. Für eine heute brauchbare Abgrenzung solle man auf das Merkmal „victimized in fundamental senses“ abstellen, da noch immer aus dem Status der Subordination Bedrängnis erwachse, z.B. durch weiter bestehenden Druck einer Landnahme.106 Die Tatsache, dass indigene Völker in den meisten Fällen Randgruppen darstellen und bei Fragen der Arbeitslosigkeit, Gesundheit, Repräsentation in politischen Gremien usw. negativ im Vergleich zur Gesamtbevölkerung abschneiden, macht eine Definition Sinn, die sich nach ihrer Schutzbedürftigkeit richtet.107 Dieser funktionelle Ansatz würde die Bedürfnisse der indigenen Völker berücksichtigen und dabei würde die Aufrechterhaltung des territorialen Bezugs im Mittelpunkt stehen, da dieser meist besonders gefährdet ist.108 Dies würde auch indigene Völker einschließen, die ___________ 101

Vgl. auch die Terminologie in der kanadischen Verfassung von 1982, nach dessen Sec. 35 die „Indian, Inuit and Metis People“ die ursprünglichen Einwohner seien, dazu unten in Kap. 2 C. IV. 1. 102 Werther, Self-Determination in Western Democracies, S. 6. 103 So z.B. Chapman, 26 Anglo-Am. L. R. 357 [1997], 371. 104 Vgl. dieses und andere Beispiele bei Brölmann/Zieck, in: Peoples and Minorities in International Law, S. 187, 193 f. 105 Nunes, 7 St. Thomas L. Rev. [1995], 521, 523. 106 Falk, in: The Rights of Peoples, S. 17, 18. 107 Vgl. dazu schon oben Kap. 2 A.II.1.d)cc); Sub-Commission, Working Paper 2000 Rdnr. 42. 108 Brölmann/Zieck, in: Peoples and Minorities in International Law, S. 187, 196; ähnlich Nettheim, in: The Rights of Peoples, S. 107, 125.

A. Begriffsbestimmungen

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nicht mehr in der gleichen Weise marginalisiert sind, aber dennoch einen besonderen Bezug zu ihrem Land haben.109 c) Die Ergebnisse von Simon Entscheidend ist jedoch, dass diese Kriterien – neben den anderen im Zusammenhang mit der Volksdefinition genannten objektiven Merkmalen – nicht mehr lediglich Möglichkeiten zur sozialen Unterscheidung sind, sondern die Basis für eine politische Identität und Forderungen nach einer spezifischen Rolle im politischen Prozess werden.110 Damit ist die Frage nach dem Vorhandensein einer Gruppenidentität angesprochen. Zwar meint Simon, dass diese Frage als Element der Definition eigentlich „ein rein akademisches Problem“ sei, weil erst durch eine solche das Auftreten einer Gruppe auf der politischen Bühne spürbar werde.111 Dennoch legt er selbst dar, wie das Maß dieses Bewusstseins als Kriterium für die Volkseigenschaft herangezogen werden könne, die für bei ihm so genannte „Urvölker“ grundsätzlich gegeben sei.112 Durch die zusätzlichen Elemente der Bindung an Grund und Boden und die historische Kontinuität, die weit zurückreichen muss, ist sein Urvölker-Begriff enger als der eines anderen Volkes. Danach seien indigene Völker schlicht eine „besondere Gestaltung“ eines Volkes, eine Unterkategorie, die typischerweise mit spezifischen Problemstellungen in Vebindung gebracht werde.113 An ein Volk seien dann aber höhere Anforderungen zu stellen, als beispielsweise an eine Minderheit. Dieses müsse „nach seinen objektiven und insbesondere subjektiven Eigenheiten in der Lage sein, einen politischen Status auszufüllen [...] eigene Staatsfähigkeit aufweisen“.114 Jedoch komme es insoweit vor allem auf den subjektiven Identitätsgrad an, der so weit ausgeprägt sein muss, dass eine strukturierte politische Willensbildung möglich sei. Es genügt, wenn Indizien vorliegen, die ei___________ 109 Es wird noch darauf einzugehen sein, dass wirtschaftlich erfolgreiche Indian Nations sich dem Druck ausgesetzt sehen, dass ihr Land z.B. in Steuerfragen anders behandelt wird. 110 Dann werde auch – begrifflich – aus ethnischen Unterscheidungen Ethnizität, Ghai, in: Autonomy and ethnicity, S. 1, 4; diese Ethnizität sei entgegen mancher Ansicht nicht grundgegeben, sondern habe bestimmte Auslöser, insbesondere die konkrete Staatsgestalt und die darin gegebene Berücksichtigung indigener Bedürfnisse, ebda., S. 5. 111 Simon, Autonomie im Völkerrecht, S. 22. 112 Simon, Autonomie im Völkerrecht, S. 100; im Ergebnis ähnlich, wenn auch mit möglichen Einschränkungen, schon 1988 Nettheim, in: The Rights of Peoples, S. 107, 120. 113 So auch Marquardt, 3 IJGR 47 [1995], 68. 114 Simon, Autonomie im Völkerrecht, S. 73.

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

nen solchen Grundkonsens innerhalb der Gruppe anzeigen, mit dem die Partikularinteressen gegenüber dem Heimatstaat vertreten werden.115 d) Selbstidentifikation als entscheidendes Kriterium Eine Gruppenidentität kann nur sinnvoll entstehen, wenn die betroffene Gruppe bis zu einem gewissen Grade selbst festlegen kann, auf welchen Kriterien ihre Identität gründet. Hinsichtlich des Zugehörigkeitsgefühls zu einer Ethnie ist schon das subjektive Element entscheidend, doch auch die Auswahl der objektiven Kriterien für die Frage der Zugehörigkeit ist dem Kern nach eine nach subjektiver Einschätzung zu entscheidende, bei der häufig die Sichtweise des betroffenen indigenen Volkes von der des Aufenthaltsstaates unterschiedlich sein wird.116 Daher wird auch in der Literatur überwiegend gefordert, dass es entscheidend auf die Selbstidentifikation als indigenes Volk ankommen müsse.117 e) Abweichende Positionen in der Literatur Dieser Ansatz ist jedoch auch verschiedentlich vehement kritisiert worden, ebenso wie die Arbeitsdefinition der Working Group, obschon sie die „most widely used“118 sei. Sie sei unscharf und zu weit und, weil so gut wie jede staatenlose Gruppe darunter subsumiert werden könnte, unbrauchbar.119 Dies habe dazu geführt, dass auch in diesem Kontext nicht schützenswerte Gruppen versucht hätten, sich auf indigene Rechtspositionen zu berufen. Zudem könnte die Selbstidentifikation dazu führen, dass es nicht mehr auf die (tatsächliche) gemeinsame Überlieferung ankomme, sondern lediglich auf den Glauben, eine solche zu haben. Es bedürfe also einiger „minimal working standards“ zur Identifikation indigener Völker, bevor eine Verabschiedung der Draft Declara___________ 115

Simon, Autonomie im Völkerrecht, S. 74, 102. Darauf weist zu Recht Niewerth, Der kollektive und der positive Schutz von Minderheiten, S. 37 hin und verweist auf das Beispiel verweigerter Anerkennung als „Federal Indian Tribe“ bei bestimmten Indianerstämmen in den USA, vgl. dazu unten Kap. 3 B. III. 2. a). 117 Heintze, 50 ZaöRV [1990], 39, 43. Ansonsten wäre die Gefahr eine „cultural distinctiveness“ zu fordern, mit der weiteren Missachtung der Rechte indigener Völker verbunden, nachdem diese zunächst wegen ihrer „Andersartigkeit“ Rechte entzogen bekamen und nunmehr, weil sie zu assimiliert seien; zu diesen Widersprüchen vgl. ausf. Schulte-Tenckhoff, 4 Review of Constitutional Studies [1998], 239, 272 ff. 118 Corntassel/Primeau, 17.2 (1995) HRQ, 343, 345. 119 Corntassel/Primeau, 17.2 (1995) HRQ, 343, 346 f. 116

A. Begriffsbestimmungen

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tion möglich sei.120 Vorgeschlagen wird, dass anstelle einer Selbstidentifikation eine weite, aber an objektiven Kriterien ausgerichtete Definition akzeptiert werde.121 Im Ergebnis entspricht dies jedoch einer subjektiven Herangehensweise, die einem Glaubwürdigkeitstest unterzogen wird (dazu näher unten Kap. 2 A. II. 3.). Auch Elsner äußerte sich zweifelnd, ob die Draft Declaration in der damaligen Fassung endgültig verabschiedet würde, glaubte aber daran, dass sich der Begriff der „indigenous peoples“ so oder so durchsetzen würde.122 Obgleich es zur Klärung des Begriffes „Volk“ nicht beitrage, die Arbeiten im Zusammenhang mit den indigenen Völkern im Einzelnen zu beleuchten, seien diese als eigene Kategorie hervorgetreten. Trotz einer insgesamt skeptischen Grundhaltung gesteht er hier das Anbahnen einer Entwicklung, „die die Bezeichnung „Volk“ wieder in dem Sinne aufgreifen könnte, die sie in den Kapiteln XI und XII der Charta einstmals hatte“, zu.123 Auch die Gewichtung einzelner Kriterien bei den vorgeschlagenen Definitionen wird kritisiert. So sollte der bei allen Definitionen genannte territoriale Bezug im Vordergrund stehen, weil es sich dabei um ein relativ eindeutiges Kriterium handle und zunächst einmal alle in Frage kommenden Gruppen darunter subsumiert werden könnten. Dies sei einer Methode vorzuziehen, bei der in einem „pick’n‘mix“-Verfahren entschieden werde, welche kulturellen Eigenschaften einer Gruppe positiv und daher schutzwürdig seien, welche hingegen anerkannten Menschenrechtsstandards widersprächen und daher nicht gefördert werden sollten. Bei einem am Territorialbezug orientierten Auswahlverfahren könnten dann problematische Fälle – so wird argumentiert: ehrlicher – durch eine Prüfung von Individualmenschenrechtsverstößen an entsprechenden internationalen Verträgen und dem örtlichen Strafrecht von weitergehenden Selbstbestimmungsrechten ausgeschlossen werden.124 Anerkannt ist jedoch, dass das Identitätsbewusstsein bei indigenen Völkern ein besonderes sein kann und nicht stets von den Maßstäben ausgegangen werden darf, die für kulturelle Gruppen gelten, die mit dem Heimatstaat „auf der gleichen Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung“ stehen. Insoweit genüge beispielsweise das für die zur politischen Entscheidungsfähigkeit der Gruppe notwendige Gruppenbewusstsein auch dann den Anforderungen, wenn es nicht ein demokratischer Willensbildungsprozess im Sinne westlicher Demokratien, sondern ein stammesorientiertes Verfahren ist, solange es der Tradition des indigenen Volkes und dem aktu___________ 120

Corntassel/Primeau, 17.2 (1995) HRQ, 343, 350 f. Corntassel/Primeau, 17.2 (1995) HRQ, 343, 362 f. 122 Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 155 f. 123 Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 158; vgl. ähnlich Iorns, 24 Case W. Res. J. Int’l. L. [1992], 199, 294 unter Verweis auf ein unveröffentlichtes Gutachten über die Dene und Inuit in den damaligen Northwestern Territories Kanadas. 124 Chapman, 26 Anglo-Am. L. R. 357 [1997], 374. 121

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

ellen Willen seiner Angehörigen entspricht und keine eklatanten Menschenrechtsverstöße damit einhergingen.125 Ohnehin ist die häufig geäußerte Befürchtung unbegründet, die Zuerkennung von Gruppenrechten an indigene Völker sei verbunden mit der gleichzeitigen Einschränkung von individuellen Menschenrechten.126 Auch Autoren, die eine „appropriate definition“ des Begriffs indigenes Volk für eines der wichtigsten noch einer Lösung harrenden Probleme im vorliegenden Zusammenhang halten, plädieren dafür, nur solche Gruppen zu berücksichtigen, bei denen noch eine kulturelle, soziale und ethnische Identität vorliegt, da es beim Schutz indigener Völker um die Bewahrung dieser Identität gehen soll. Ausgangspunkt ist also wieder das Schutzziel, ergänzt werden soll es durch die „self-identification as a fundamental criterion“.127 f) Die Lösung von Kingsbury Eine solche Herangehensweise wäre auch dazu geeignet, diejenigen Vorschläge zu überwinden, die zum Zwecke eines schnellen Erfolgs in Form einer Zustimmung zur Draft Declaration vorschlagen, im Sinne zahlreicher Regierungen asiatischer Staaten die Subsumtion der dortigen indigenen Völker aus der Kategorie auszuschließen. Vielmehr ist es möglich, ein „relatively amorphous global concept“ zu finden, das eine Konkretisierung auf nationaler Ebene erlaubt und damit sowohl auf die bislang anerkannten Volksgruppen, vor allem in ehemaligen europäischen Kolonien, Anwendung finden kann als auch auf die asiatischen Gruppen.128 Dieses von Kingsbury angeführte Konzept fasst in überzeugender Weise vorhandene Ansätze zusammen und zeigt, dass „norms of self-identification are important, but they do not obviate the need for some agreed criteria or for institutional procedures of assessment in certain situations“.129

Staaten würden bei der Festlegung zu einem „sharing of power“ auch eher zu einem Entgegenkommen bereit sein. Schließlich müsse berücksichtigt werden, dass indigene Völker eine eigene Herangehensweise benötigten, da ihre ___________ 125

Vgl. dazu Simon, Autonomie im Völkerrecht, S. 102 f. Auf diese Frage wird noch näher in Kap. 2 B. IV. 2. b) eingegangen. 126 Dies legt Triggs, in: The Rights of Peoples, S. 141 ff. an Beispielen dar; ebenso stellt Jones, 21 HRQ 80 [1999], 95, klar, dass diese kollektiven Rechte gegen die „outside world“ gerichtet sind, nicht aber das Recht zur Tyrannisierung der eigenen Gruppenmitglieder gebe. 127 Wolfrum, 59 ZaöRV [1999], 369, 379. So auch die ILO Konvention 169. 128 Kingsbury, 92 AJIL 414 [1998], 450. Das tw. aus dem asiatischen Raum propagierte Konzept der „local communities“ ist nicht geeignet, die Kategorie und Anwendbarkeit des indigenen Volksbegriffs zu verdrängen, vgl. ebda., 451 ff. 129 Kingsbury, 92 AJIL 414 [1998], 441.

A. Begriffsbestimmungen

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Forderungen nicht den klassischen Kriterien von Menschenrechten, Minderheitenrechten und Selbstbestimmung untergeordnet werden könnten, sie also ein „distinctive sui generis concept“130 benötigten. Kingsbury unterscheidet daher eine Reihe von Kriterien, die teilweise vorliegen müssen und solchen, die zusätzlich besonders oder weniger relevant sind, nicht kumulativ, sondern alternativ und in unterschiedlichen Kombinationen vorliegen können: „Essential Requirements – self-identification as a distinct ethnic group – historical experience of, or contingent vulnerability to, severe disruption, dislocation or exploitation – long connection with the region – the wish to retain a distinct identity Relevant Indicia (1) Strong Indicia – nondominance in the national (or regional) society (ordinarily required) – close cultural affinity with a particular area of land or territories (ordinarily required) – historical continuity (especially by descent) with prior occupants of land in the region (2) Other Relevant Indicia – socioeconomic and sociocultural differences from the ambient population – distinct objective characteristics such as language, race, and material or spiritual culture – regarded as indigenous by the ambient population or treated as such in legal and administrative arrangements“.131

3. Eigene zusammenfassende Stellungnahme Obgleich der Definition und Herangehensweise von Kingsbury weitgehend gefolgt werden kann, soll in dieser zusammenfassenden Stellungnahme darüber hinaus nochmals auf essentielle Grundbedingungen und Verzichtbares eingegangen werden. Festzuhalten bleibt zunächst, dass es mit Blick auf die hier interessierenden indigenen Völker in den USA einer Aufrechterhaltung bzw. Übernahme der Unterscheidung, wie sie in der ILO Konvention Nr. 169 praktiziert wird, nicht bedarf, da die Gemeinsamkeit der Indian Nations gerade ist, dass sie die für ___________ 130 Kingsbury, 92 AJIL 414 [1998], 441; wieder aufgegriffen bei Kingsbury, in: Peoples’ Rights, S. 69, 70. 131 Kingsbury, 92 AJIL 414 [1998], 455. Er greift diese Liste fast unverändert wieder auf in Kingsbury, in: Peoples’ Rights, S. 69, 108, wobei er die Liste der „distinct objective characteristics“ um ein „etc.“ ergänzt.

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

indigene Völker notwendige bestimmte Geschichte haben und nicht unter den „Auffangtatbestand“ der „tribal peoples“ fallen. Dass hingegen die Betonung dieser Geschichte und ihre Analyse ganz entscheidend ist, bleibt ebenso gültig wie zu Beginn der Arbeit der Working Group, als Vertreter der Mikmaq-Nation dieses Merkmal als Definitionsgrundlage vorgeschlagen hatten.132 Dies spielt gerade in der Frage des Weiterbestehens einer wie auch immer gearteten Souveränität, die nicht freiwillig abgegeben worden und auch nicht spurlos durch Assimilation verschwunden ist, eine große Rolle. Das Zurückverfolgen der Geschichte eines indigenen Volkes ist zur Bestimmung seiner Eigenschaft notwendig. Wenig hilfreich hingegen ist es, bei der Begriffsanalyse von „indigene Völker“ die Ursprünge dieses Begriffs zu untersuchen, da eine solche Exegese im Ergebnis zur genaueren Begriffsbestimmung nicht weiterhilft.133 Auch wenn im Ergebnis eine abschließende Definition wohl nicht möglich ist, braucht es doch sowohl für die tägliche Arbeit in den internationalen Organisation als auch beispielsweise für ein Richtergremium bei der Festlegung zukünftiger Ansprüche aus einer indigenen Rechtsposition eine gewisse Leitlinie.134 Andererseits ist die Schwierigkeit einer Definition nichts Ungewöhnliches und „das moderne Völkerrecht arbeitet [...] notwendigerweise mit ungeklärten Begriffen, wo verschiedene Weltanschauungen einander gegenüber stehen oder wo Begriffe – aus welchen Gründen auch immer – einer Definition nicht zugänglich sind und die Praxis eine flexible Lösung herbeiführen muß“.135 Daher kann ohne Weiteres akzeptiert werden, dass eine abschließende Definition von vielen Gremien in internationalen Organisationen und vor allem den Betroffenen selbst abgelehnt wird.136 ___________ 132

Vgl. Barsh, 62 Oreg. L. Rev. [1983], 73, 94. Es wurde darauf verwiesen, dass ein Volk nur freiwillig zu einer Minderheit werden könne, nicht dagegen durch Zwang oder Unterwerfung. 133 Vgl. dazu nur Daes, Working Paper 1996 Rdnr. 10 ff., die deutlich zeigt, dass eine bessere Definition nicht durch Rückverfolgen der semantischen Wurzeln des Begriffs erlangt werden kann. 134 Wiederum die „guidance“, die Daes, Note 1995 Rdnr. 7 anmahnt, weil sie vor allem für die im internationalen Bereich tätigen Praktiker nötig werde. Daher auch die schon oben unter Kap. 2 A. II. 1. c) dargestellten Richtlinien der Weltbank. 135 Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 119; als Beispiele führt er die Begriffe „Terrorismus“ und „Aggression“ an, wobei gerade das erste Beispiel zeigt, dass in der Folge bestimmter Ereignisse – hier der Terroristenangriffe auf die USA am 11. September 2001 – oder Entwicklungen – z.B. die Arbeiten im Rahmen einer Working Group bei der UN, die überhaupt erst die Notwendigkeit einer Definition aufzeigen – die Definition noch nachgereicht oder weiter eingegrenzt werden kann. 136 Die meisten lateinamerikanischen Staaten teilen diese Sichtweise, asiatische und afrikanische haben zumindest in der Anfangsphase der Diskussion der Draft Declaration die Notwendigkeit einer Definition unterstrichen, vgl. zu diesen Debatten Barsh, 7 Harv. Hum. Rts. J. [1994], 33 ff.

A. Begriffsbestimmungen

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Diese offene Herangehensweise trägt zudem der Befürchtung Rechnung, ein von Staaten aufgesetztes System der Definition von Zugehörigkeit zu einem indigenen Volk könnte diskriminierend wirken und damit eine neue Form der Bevormundung sein.137 Es liege nicht allein in der Kompetenz der Juristen, die konkrete Subsumtion und Unterscheidung zwischen Volk und Nicht-Volk vorzunehmen, vielmehr müsse die Rechtswissenschaft lediglich Instrumente schaffen, die die Diskriminierung dieser Menschengruppen in breitestmöglichem Maße verböten sowie ihre Eigenständigkeit und Gleichberechtigung sicherten. Dies entspreche der Parallele bei der Bekämpfung rassischer oder religiöser Diskriminierung, die auch auf die Definition der Rasse oder des Glaubensbekenntnisses verzichte.138 Doch mit dem zunehmenden Erfolg bei der Herausarbeitung indigener Rechtspositionen wird vermutlich der Druck von Staatenseite zur Schaffung einer „Annäherungs-Definition“ steigen.139 Insbesondere wird eine Abgrenzung zu anderen Gruppen nötig, wenn die Zahl der Privilegien, die indigene Völker z.B. durch finanzielle Unterstützung, Teilnahme an Verhandlungen der UN, die Mitgliedschaft im noch darzustellenden Permanenten Forum erhalten, größer und damit der Wunsch, als solche anerkannt zu werden, breiter wird.140 Die für diesen Prozess ausreichende, flexible Definition sollte auch Sorge dafür tragen, dass die unterschiedlichen Ausgangslagen für indigene Völker in verschiedenen Teilen der Welt Berücksichtigung finden können. Ob der Begriff für alle Regionen der Welt passgenau ist oder vornehmlich von der Situation auf dem amerikanischen Kontinent ausgeht, weil von dort die Bewegung für die indigenen Völker in der UN ausgegangen ist, lässt sich mit vielen dafür vorgeschlagenen Definitionen nicht ausreichend beantworten.141 Weitgehend herrscht zu Recht Übereinstimmung bei den Definitionsversuchen in der Addition und Vermischung von objektiven und subjektiven Elementen. Dabei kann und sollte Ausgangspunkt der Subsumtion immer die Selbstdefinition der Gruppe sein, denn essentiell ist „the purely subjective criterion of the people’s own ‚self-conception’ as a social and cultural entity with title to self-determination“.142 Schließlich erlangt Ethnizität auch bei indigenen Völkern immer erst dann Bedeutung, wenn die politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Rahmenbedingungen die Angehörigen zu einer Solidargemein___________ 137

Ähnlich Daes, Note 1995 Rdnr. 6. Heintze, 50 ZaöRV [1990], 39, 41 f. 139 Barsh, 7 Harv. Hum. Rts. J. [1994], 33, 82. 140 Barsh, 7 Harv. Hum. Rts. J. [1994], 33, 82; Daes, Note 1995 Rdnr. 18. 141 Heinz, Indigenous populations, S. 18. 142 Harhoff, in: The living law of nations, S. 169, 174. 138

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

schaft werden lassen.143 Diese „insistence on the reproduction of a community“144 ist neben dem Territorialbezug ein wichtiger Unterschied zu üblichen Minderheiten. Den Ausgangspunkt bei der Selbstdefinition zu suchen und nur bei begründeten Zweifeln darüber hinaus das Vorhandensein weiterer Kriterien zu prüfen, entspricht auch einer Empfehlung des Ausschusses für die Beseitigung der Rassendiskriminierung, wonach die widerlegbare Vermutung gilt, dass die Selbstidentifikation als Angehöriger einer rassischen oder ethnischen Gruppe (außer bei Vorliegen entgegenstehender Gründe) als richtig anzunehmen ist.145 Die Schutzrichtung für die Herausbildung eines eigenen Regimes für indigene Völker gibt die nächstwichtigen objektiven Elemente, die ebenfalls subjektive Bezüge haben, vor. Indigene Völker – wie auch die von der Working Group und der ILO Konvention Nr. 169 für schutzwürdig befundenen „tribal peoples“ – haben ein gemeinsames Schicksal einer historischen Unterdrückung, die zu ihrem heute schwachen Zustand geführt haben.146 Obleich grundsätzlich so gut wie alle politischen Forderungen mit der Allokation von Ressourcen verbunden seien, wie Lâm bemerkt, betonten die indigene Völker die Rückgabe oder Eigennutzung von Land und Ressourcen in besonderer Weise, was die territoriale Beziehung in den Mittelpunkt rückt.147 Im Grunde genommen ist mit Daes festzustellen, dass bereits die von Cobo angeführten Elemente ausreichend waren und sind, um eine Arbeit innerhalb der Working Group zu ermöglichen, da die überwiegende Zahl möglicher Rechtsträger damit zweifelsfrei und eindeutig festzustellen ist.148 Auch deshalb kann die Selbstidentifikation zugelassen werden. Dabei sind keine strengen Maßstäbe anzulegen, sondern zunächst der Darlegung durch die jeweiligen Vertreter als Indizien zu folgen. In den Randfällen, wenn der Glaubwürdigkeitstest im Sinne einer eingeschränkten Nachprüfung des Beurteilungsspielraumes der Gruppe zu einem negativen Ergebnis führt, kann dann mit Hilfe der überzeugenden Reihenfolge und Gewichtung von Kingsburys Kriterien ein Ergebnis gefunden werden.149 Dass auch ohne eine über diese Mindestleitlinien hinausgehende, strikt formale Definition produktive Ergebnisse erzeugt werden

___________ 143 So Lehmler, Strafbarkeit von Vertreibungen aus ethnischen Gründen, S. 72 m.w.N.: „Interessengemeinschaft“. 144 Lâm, At the Edge of State, S. 9. 145 CERD, General Recommendation on the Rights of Indigenous Peoples VIII (1997); abgedr. in Annex, 59 ZaöRV [1999], 573 f. 146 Lâm, At the Edge of State, S. 8. 147 Lâm, At the Edge of State, S. 11. 148 Daes, Note 1995 Rdnr. 11. 149 Vgl. dazu oben im vorigen Abschnitt unter f).

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können, ist ausreichend dargelegt worden.150 Die hiermit gefundene Herangehensweise genügt zur Festlegung indigener Völker. Es bleibt lediglich die Frage offen, ob so gefundene indigene Völker nicht generell auf das Minderheitenschutzregime verwiesen werden können. Zwar ist oben bereits eine generelle Unterscheidung bzw. Abgrenzung zwischen ethnischen Gruppen als Völkern und Minderheiten vorgenommen worden, hier ist aber jetzt konkret im Fall indigenes Volk, bei dem sich diese Frage in verschärftem Maße stellt, danach zu fragen, ob solche Völker nicht schlicht eine Minderheit sind, und bei einer Verneinung das „Mehr“ gegenüber diesen festzuhalten.

III. Abgrenzung gegenüber Minderheiten Indigene Völker sind im faktischen Sinne heute meist Minderheiten. Sie leben überwiegend in Staaten, in denen die dominante Staatsbevölkerung und ihre die Entscheidungsorgane beherrschenden Vertreter einer ihnen fremden Gruppe angehören. Zwar sind die indigenen Völker nicht immer in der zahlenmäßigen Minderheit, doch selbst in diesen Ausnahmefällen sind sie in einer inferioren Situation.151 Daher stellt sich die Frage, ob die oben definierten indigenen Völker nicht eigentlich Minderheiten im völkerrechtlichen Sinne sind oder ob eine Abgrenzung gegenüber dieser Kategorie nötig und möglich ist. 1. Notwendigkeit einer Abgrenzung Obwohl dies nicht unbestritten ist,152 besteht eine Notwendigkeit zwischen den rechtlichen Kategorien Minderheit und (indigenes) Volk zu unterscheiden. Dies reflektiert sich auch in der Arbeit der UN, in der allgemein anerkannt ist,

___________ 150

Anders sieht dies jedoch Kimminich, in: FS Doehring, S. 421, 242: „um diese Notwendigkeit [einer genauen Definition] wird man nie herumkommen, auch wenn noch so viele gelehrte Abhandlungen über Volk und Nation, Minderheit und Volksgruppe, Ethnizität und Nationalität geschrieben werden“, dies sei nötig, um der „rechtliche[n] Fixierung des Schutzes einzelner Gruppen einen festen Halt in der gesamten Völkerrechtsordnung [zu] geben und dadurch seine Verwirklichung im innerstaatlichen Recht kontrollierbar [zu] machen“. 151 Lâm, At the Edge of State, S. 4. Als Beispiel nennt sie die indianische guatemalkische Bevölkerung, die einen Anteil von mehr als 70 % an der Gesamtbevölkerung hat. 152 Vgl. z.B. Simon, Autonomie im Völkerrecht, S. 20, der die „herkömmliche Unterscheidung [...] wenig fruchtbar und eher kontraproduktiv“ findet und selbst eine Herangehensweise an die ähnlichen Phänome über das Ausmaß bestimmter Rechte versucht.

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

dass die Arbeit in verschiedenen Working Groups sachgemäß ist.153 Andererseits hat sich die Sichtweise durchgesetzt, dass indigene Völker im Normalfall zugleich eine Minderheit, sogar zunächst als solche anzusehen sind.154 Die Unterscheidung der beiden rechtlichen Kategorien bedeutet nämlich nicht, dass ein Träger nicht zugleich beide Rechte, gegebenenfalls zu unterschiedlichen Zeiten beanspruchen kann.155 Insoweit geht es nicht um eine strikte Abgrenzung oder um eine „Frage von entweder-oder“, die Grenze ist vielmehr fließend und zwar sowohl hinsichtlich der Schutzziele als auch der zu fordernden Kriterien.156 Obwohl also die indigenen Völker den Minderheitenbegriff erfüllen, erhalten sie eine ganz eigene Behandlung.157 Sowohl in seiner Rechtsprechung, auf die noch näher einzugehen sein wird, als auch im „General Comment“ zu Art. 27 IPbpR hat der Menschenrechtsausschuss indigene Völker als Minderheiten qualifiziert, da das Schutzgut der Kultur „manifests itself in many forms, including a particular way of life associated with the use of land resources, specially in the case of Indigenous Peoples“.158

Diese Sichtweise entspricht der vom damaligen Special Rapporteur zu Minderheitenfragen getroffenen Feststellung: „[...] on the one hand have to be subsumed under the category of minorities [on the other hand] may necessitate special regulations“.159

___________ 153 Daes, Working Paper 1996 Rdnr. 47: „A strict distinction must be made [...]“; ausführlich Martínez, Study on Treaties, Second Progress Report Rdnr. 48-129, v.a. Rdnr. 116; aus der Literatur Barsh, 7 Harv. Hum. Rts. J. [1994], 33, 81. 154 Bauer, in: Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Europa, S. 48, 62 spricht sich auch aus politikwissenschaftlicher Sicht dafür aus, „mindestens Minderheitenrechte“ für autochthone Bevölkerungen zu gewähren, wenn die weitergehenden Rechte als Volk nicht zugestanden werden. Dies entspreche auch der weitgehenden Praxis. 155 Heintze, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 61. Ebenso Schmitz, Tibet und das Selbstbestimmungsrecht, S. 80, der eine zeitliche Entwicklungsschiene sieht, in der Minderheiten unter bestimmten Umständen Träger des Selbstbestimmungsrechts und damit Völker werden können; als Minderheiten fehlten ihnen aber bestimmte Rechte. Vgl. zudem Paech, APuZ 46-47/98, 18, 22. 156 Simon, Autonomie im Völkerrecht, S. 74. Skurbaty, As if Peoples Mattered, S. 55 f. hält eine Abgrenzung nach dem heutigen Verständnis ebenfalls für unnötig, weil die Ziele übereinstimmend seien. 157 Despeux, Die Anwendung des völkerrechtlichen Minderheitenrechts in Frankreich, S. 58 f. 158 HRC, Allgemeine Bemerkung Nr. 23 (50) zu Art. 27 IPbpR; abgedr. z.B. in Heintze, Autonomy, Appendix, S. 38 ff. und Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 381 ff.; vgl. dazu auch den Fall HRC, Lovelace v. Kanada, Communication No. 24/1977; dazu näher unten Kap. 2 B. IV. 2. b) bb) (1) und beispielsweise Musgrave, Self-Determination, S. 138, 172 m. Verweis auf weitere Fälle. 159 Capotorti, VN 1980, 113, 117.

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Die Tatsache, dass indigene Völker bei Erfüllung der entsprechenden Kriterien als Minderheiten zu qualifizieren sind, ändert nichts daran, dass sie zudem noch als indigene Völker einer weiteren Kategorie mit einem größeren Schutzumfang unterfallen.160 Insoweit trennen Dokumente innerhalb der UN seit einiger Zeit und schaffen je eigene Besonderheiten für die indigenen Völker und Minderheiten. So sollen beispielsweise die indigenen Völker nicht dem Schutzregime der Minderheiten-Deklaration von 1992 unterfallen, weil für sie eine eigene, weitergehende Deklaration, die Declaration on the Rights of Indigenous Peoples, erarbeitet wurde.161 Das Mehr des Schutzes indigener Völker gegenüber dem auf kulturelle Elemente ausgerichteten Minderheitenschutz ist die Trägerschaft des Selbstbestimmungsrechts der Völker, die sich eben auch auf den politischen Status sowie die wirtschaftliche und soziale Entwicklung bezieht.162 Zudem sind Minderheitenrechte als individuelle Rechte, die Rechte von Völkern dagegen eindeutig kollektiv formuliert.163 Der Minderheitenschutz ist vor allem darauf gerichtet, eine effektive Beteiligung der Minderheit in der größeren Gesellschaft zu erreichen, wohingegen Rechte indigener Völker diesen die Autorität übertragen sollen, ihre eigenen Entscheidungen – gewissermaßen außerhalb des dominanten Systems – treffen zu können.164 2. Möglichkeit einer Unterscheidung Neben dem unterschiedlichen Schutzziel stellen sich aber auch die Anforderungen an die Kriterien bezüglich eines Volkes als strenger dar. Während sich eine Minderheit durch das Bewusstsein einer kulturellen Identität auszeichnet, ___________ 160

Niewerth, Der kollektive und der positive Schutz von Minderheiten, S. 53. So auch schon die Studie von Deschênes, Proposal concerning a Definition of the term „Minority“ Rdnr. 38; dazu ausführlich Venne, Our elders understand our rights, S. 80 ff., v. a. 82; die Working Group, die sich mit der Implementierung der Deklaration zu Minderheiten beschäftigen soll, arbeitet parallel zur Working Group on Indigenous Populations und derjenigen über die Draft Declaration, vgl. Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 89 f. Dies entspricht der Sichtweise von Martínez, Study on Treaties, Second Progress Report Rdnr. 116, dass indigene Völker, obleich Minderheiten, sie nicht solche im Sinne des UN-Systems sind. 162 Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 281 ff., 283. Spiry, 9 GYIL [1995], 129, 139: „The word [minorities], therefore, is associated with groups seeking equality, integration and non-discrimination, not with groups seeking cultural survival and self-government“. 163 Zwar zeigt Art. 27 IPbpR, dass auch Minderheitenrechte eine kollektive Stossrichtung haben, aber in erster Linie als Individualrechte angelegt sind, vgl. dazu nur Heintze, in: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, S. 61, 62 ff. 164 Sub-Commission, Working Paper 2000 Rdnr. 8. 161

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

hat das Volk eine darüber hinausgehende politische Identität.165 Insofern ist das Identitätsbewusstsein einer Minderheit als ein Minus gegenüber dem Zusammengehörigkeitsgefühl eines Volkes zu werten.166 Zudem spielen Fragen der territorialen Verbundenheit und der erlittenen Geschichte bei Minderheiten nicht notwendigerweise eine Rolle, sind aber für indigene Völker wie gesehen konstituierend.167 Die spezielle Verbundenheit zu einem bestimmten Gebiet und dem Land als solchem hat einen geographischen und einen spirituellen Aspekt.168 Minderheitenrechte können ohne territoriale Verknüpfung realisiert werden, die stärkeren Rechte indigener Völker bedingen aber auch, dass die entsprechende Gruppe in relativ geschlossener Siedlungsweise in einer bestimmten Region eines Territoriums lebt, damit die Rechte umgesetzt werden können.169 Obgleich also die beschriebene „blurred distinction between ‚indigenous‘ and ‚minority‘ under international law“170 den Zustimmungsvorgang zur Draft Declaration in der Generalversammlung weiter verkomplizierte (was aber am Ende eine Zustimmung 2007 nicht verhinderte), ist gezeigt worden, dass eine ethnische Gruppe sowohl eine Minderheit als auch ein Volk sein und die jeweiligen Rechte auch kumulativ geltend machen kann, wobei die Volksrechte auf den Minderheitenrechten aufbauen und diese erweitern.171 Grundsätzlich ist mit dem Begriff „indigenes Volk“ eine Kategorie gefunden, die es ermöglicht, diesem sowohl Minderheitenrechte zuzugestehen, als es auch – bei Vorhandensein ___________ 165

Brunner, Das Parlament Nr. 34 v. 20.08.1999, S. 1. Simon, Autonomie im Völkerrecht, S. 74. 167 Heinz, Indigenous populations, S. 4 f., weshalb zwar die Minderheitendefinition eine „good starting point“ [eig. Herv.] sei, aber die indigenen Völker mehr als lediglich eine Unterkategorie zu den Minderheiten seien; vgl. auch Daes, Working Paper 1996 Rdnr. 60. 168 Brölmann/Zieck, in: Peoples and Minorities in International Law, S. 187, 193. Gerade der spirituelle Aspekt ist bei den Native Americans noch immer stark vorhanden, auch wenn sie nach ihrer Vertreibung nicht mehr auf dem ursprünglichen Territorium leben. In den vergangenen Jahrhunderten haben sie typischerweise zu den heutigen „Ländereien“ eine Beziehung aufgebaut, oft auch zu Territorien, die ihnen noch im Nachhinein weiter entzogen worden sind, vgl. z.B. das heilige Gebiet des Badger TwoMedicine für die Blackfeet, dazu Dörr, 30 VRÜ [1997], 7 ff. 169 Eide, Report of the Working Group on Minorities 1996 Rdnr. 157; danach werden Mitglieder indigener Völker durch Abwanderung in Städte zu Minderheiten, weil dann an die Person angeknüpft werden könne. Im Siedlungsgebiet hingegen können Rechte für Völker umgesetzt werden. 170 Corntassel/Primeau, 17.2 (1995) HRQ, 343, 348. 171 Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 27 f. nennt sie daher auch eine Gruppe „sui generis“, die eine Mittelposition zwischen dem Begriff der Minorität und dem des Volkes einnehme und sich auch auf Rechte beider Gruppen berufen könne. 166

A. Begriffsbestimmungen

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der strengeren Kriterien – darüber hinaus dem Kollektiv erlaubt, die besonderen Möglichkeiten der Inanspruchnahme von Volksrechten wahrzunehmen.

IV. Zwischenergebnis Es lässt sich zusammenfassend festhalten, dass die Rechte indigener Völker keine in sich geschlossene Kategorie des Völkerrechts darstellen, sondern zwischen Minderheitenrechten und Selbstbestimmungsrecht der Völker anzusiedeln sind.172 Dies bedeutet aber nicht, dass indigene Völker von vornherein nicht vollwertige Völker sein können.173 Trotz der rhetorischen Sensibilität beim Gebrauch des Selbstbestimmungsrechts in diesem Zusammenhang lässt sich feststellen, dass sich in der internationalen Gemeinschaft indigene Völker als eigene Rechtskategorie herausgebildet haben, die im Ergebnis Normen beanspruchen können, die sich aus dem „self-determination’s jurisprudential core“ ergeben.174 Hinsichtlich genauer Definitionen gilt noch immer die Politik der Working Group, „that flexibility, openness and a spirit of harmonious reflection and exchange should prevail at its sessions“.175

Es stand zwar zu erwarten, dass manche Staaten den Druck auf Einbeziehung einer Definition in die Draft Declaration aufrecht erhalten würden, um sich das Recht vorzubehalten, mittels einer solchen gewisse Bevölkerungsgruppen im eigenen Territorium von der Nutznießerschaft auszuschließen.176 Auch sind einige Enthaltungsstimmen bei der Verabschiedung der Deklaration in der Generalversammlung wohl auf den Umstand zurück zu führen, dass für diese Staaten unklar blieb, inwieweit die Deklaration mögliche Adressaten im eigenen Territorium hat. Dennoch blieb es bei der offenen Herangehensweise, so dass keine formale Definition und eine Festlegung auf das Recht zur Selbstidentifikation gewählt wurde. Dies ist in der endgültigen Deklaration auch so beibehalten worden. Es macht über das Gezeigte hinaus keinen Sinn, weiterhin über die Definition zu streiten, vielmehr sollte die Entwicklung von Schutzstandards zugunsten indigener Völker im Vordergrund stehen, weshalb an UNForen nur „descriptions, or at most working definitions, rather than formal ___________ 172

Simon, Autonomie im Völkerrecht, S. 98. Es ist vielmehr eine Frage des politischen Sprachgebrauchs, vgl. z.B. Daes, Working Paper 1996 Rdnr. 72; Heintze, 50 ZaöRV [1990], 39, 43 ff. 174 Anaya, 8 Ariz. J. Int’l. & Comp. L. [1992], 1, 34, 38. 175 Daes, Note 1995 Rdnr. 18. 176 Vgl. Pritchard, in: Indigenous Peoples, the United Nations and human rights, S. 40, 44, die solche Widerstände bei China, Bangladesch, Indien und Malaysia ortet. 173

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

ones“ vorzuziehen sind.177 Damit wird auch der Tatsache Rechnung getragen, dass „the key international law concepts [in this context] as well as their empirical referents are at present – more than at any other time in history – in a state of flux, a 178 state of becoming. The range of possible meaning is virtually unlimited“.

Die genaue Bedeutung hängt auch von der jeweiligen Perspektive und den zugehörigen Wertevorstellungen ab, bei denen wiederum Minderheiten und Völker eine eigene Sichtweise haben können und haben.179 Aus alledem lässt sich schließen, dass die so bestimmten indigenen Völker heute eine Rechtskategorie im modernen Völkerrecht bilden, die – wie noch genauer zu zeigen sein wird und auf die im Folgenden exemplarisch einzugehen ist – mit eigenen Rechten ausgestattet wird. Zwar sind indigene Völker keine Rechtssubjekte im klassischen Sinne des Völkerrechts, sie haben jedoch limitierte Rechtsfähigkeit hinsichtlich des Selbstbestimmungsrechts und erfahren entsprechende Aufmerksamkeit in internationalen Organisationen. Damit ist auch die frühere Sichtweise überholt, wonach diese Völker keinerlei Rechte im Völkerrecht haben.180

B. Indigene Völker als eigenständige Rechtskategorie: Vom Subjekt zum Objekt zum Subjekt des internationalen Rechts Mit der inhaltlichen Festlegung des Begriffes „indigenes Volk“ ist dessen rechtliche Bedeutung noch nicht geklärt. Zwar ist im Rahmen der Darstellung existierender Definitionen bereits aufgezeigt worden, dass indigenen Völkern in internationalen Organisationen viel Aufmerksamkeit gewidmet wird. Ob sie jedoch im Völkerrecht als eigenständige Rechtskategorie erfasst werden, blieb zunächst unbeantwortet. Nur als echte Rechtsträger könnten sie jedoch in dieser Eigenschaft als Kollektiv Anspruch auf bestimmte Rechte erheben. Daher ist zunächst die Subjektqualität indigener Völker im Völkerrecht darzustellen, bevor anschließend auf die einzelnen Rechte eingegangen werden kann. Dazu ist ausführlich auf die Repräsentation indigener Völker bei der UN einzugehen, vor allem innerhalb der für Menschenrechte zuständigen Organe. Be___________ 177

Lâm, At the Edge of State, S. 7. Skurbaty, As if Peoples Mattered, S. 24. 179 So Skurbaty, As if Peoples Mattered, S. 25. 180 Im Cayuga Indian Claims Case von 1926 hieß es noch: „Tribes of American Indians are not, and never have been regarded as units of Interantional law“, Cayuga Indians (Gr. Brit. v. U.S.), 6 R. Int’l Arb. Awards 173, 176 (1926). 178

B. Indigene Völker als eigenständige Rechtskategorie

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sondere Aufmerksamkeit gebührt den mit „Rechtsprechungs“fähigkeit ausgestatteten Einrichtungen. Daneben sind aber auch die anderen oben erwähnten (Völkerrechts-)Instrumente, die einen Beitrag zur Definition zu leisten vermochten, auf ihre Einordnung der so definierten indigenen Völker zu untersuchen. Unbeachtlich ist zunächst, ob die zuerkannten Rechte auch justitiabel sind. Zu Beginn dieses Abschnitts ist kurz auf die Behandlung der indigenen Völker im frühen Völkerrecht und in den folgenden Jahrhunderten einzugehen. Da die europäische Expansion vor allem auch in Nordamerika zu Schriften und Judikaten Anlass gab, wird bereits hier vereinzelt auf Ereignisse im Zusammenhang mit der USA bzw. ihrem Vorläuferterritorium einzugehen sein, wenngleich die Rechtsstellung der Native Americans – auch in historischer Perspektive – ausführlicher Gegenstand des 3. Kapitels sein wird. Dieser Abschnitt wird zeigen, dass indigene Völker zunächst als Rechtssubjekte im Völkerrecht behandelt wurden, bevor sie verstärkt Objekt von Bemühungen um ihre Vernichtung oder Assimilation und dann wieder Stärkung ihrer Rechte wurden. Die heute 3000-5000 indigenen Völker mit geschätzten 300500 Millionen Angehörigen181 werden jüngst verstärkt als Akteure mit besonderer Rechtsstellung und damit als Subjekte auf dem internationalen Parkett wahrgenommen und beteiligt.182 Bei der Untersuchung des Rechtsstatus können die indigenen Völker zusammen behandelt werden – obwohl selbstverständlich bei der Fülle verschiedener Gruppen beträchtliche Unterschiede zwischen diesen bestehen –, da in der Gesamtschau die meisten indigenen Völker historisch ähnliche Erfahrungen gemacht haben.183

I. Indigene als Völkerrechtssubjekte: Die Zeit der europäischen Expansion 1. Geschichtlicher Hintergrund Indigene Völker sind erst dadurch in die Rolle der indigenen Völker hineingewachsen, dass im ausgehenden Mittelalter und der frühen Neuzeit184 der zu___________ 181

Vgl. zu den Zahlen oben Fn. 32. Der Titel dieses Kapitels erfolgt im Blick darauf in Anlehnung an und Fortführung von Barsh, 7 Harv. Hum. Rts. J. [1994], 33 ff. („From Object to Subject of International Law?“), der in der Originalfassung auch von Anderes, Fremde im eigenen Land, als Überschrift zu § 8 des 2. Abschnittes, S. 49 verwendet wird. 183 Ausf. dazu Holder/Corntassel, 24.1 (2002) HRQ, 126, 140 ff. 184 Zur entsprechenden Epochenbildung in der Völkerrechtsgeschichte vgl. Steiger, in: FS Moraw, S. 171, 172 ff. 182

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

nehmende Handel über die Weltmeere vornehmlich durch diejenigen europäischen Staaten, die über eine eigene und ausgeprägte Schifffahrt verfügten, auch zu vermehrten Kontakten mit bis dato unbekannten Regionen des Globus führte. Diese zunächst als „Eingeborene“, später als „indigene Völker“ bezeichneten Menschen entstammen nach dem heutigen Erkenntnisstand der Antrophologie demselben Stamm des Menschen, der sich wohl ursprünglich auf den damals verbundenen Kontinenten Eurasien/Afrika herausbildete. Nach der sog. „Beringstraßen-Theorie“ sind als Folge von Völkerwanderungen über das heutige Asien und die Landzunge zwischen dem heutigen Sibirien und Alaska, die während der letzten Eiszeit wegen der eingebundenen Wassermassen freigelegt war, erste Besiedlungen auf dem amerikanischen Kontinent erfolgt.185 Zwar ist darauf hinzuweisen, dass diese Theorie nur eine mögliche Erklärung bietet für die Ansiedlung von Menschen auf dem amerikanischen Kontinent, die wissenschaftlich nicht endgültig bewiesen werden kann. Obgleich es keine sichere Erkenntnis von menschlicher Existenz in den Amerikas länger als vor 15000 Jahren gibt, deuten Funde in Südamerika darauf hin, dass schon früher eine Besiedlung auf anderem Wege erfolgt sein könnte.186 Wäre die Geschichtsschreibung und -wissenschaft ebenso wie die Antrophologie nicht von den europäischen Völkern dominiert, würde die Beringstraßen-Theorie wohl sicher nicht vorherrschend sein, da die indigenen Völker der amerikanischen Staaten andere Vorstellungen über ihre Herkunft haben.187 Von der uns bekannten naturwissenschaftlichen Warte her ist jedoch mit einer hohen Wahrscheinlichkeit von der Gültigkeit dieser Herkunftstheorie auszugehen.188 Die vorhandenen Zeugnisse und Ausgrabungen zeigen jedenfalls, dass vor mehr als 10 000 Jahren umherziehende Jagdvölker in verschiedenen, weit voneinander entfernt liegenden Gebieten, im Nordosten, den westlichen Plains, im Südwesten und im Norden des heutigen Alaska lebten.189 Die Ähnlichkeit verschiedener Sprachen der Indianer Nordamerikas an unterschiedlichen Orten spricht für einen Aus___________ 185

Vgl. dazu auch Meldung in NZZ Nr. 190 v. 18./19.08.2001, S. 6. Jüngere Forschungsergebnisse ließen zeitweise an der Theorie Zweifel aufkommen, weil die Funde in der Nähe der (sibirischen Seite der) Beringstrasse weniger alt sind als früher gedacht; zwischenzeitlich sind jedoch weitere Funde in der Nähe der Yana-Flussmündung entdeckt worden, die alters- und ortsmäßig als Vorläufer der Menschen der Clovis-Kultur in Amerika in Betracht kommen, dazu Meldung in NZZ Nr. 5 v. 08.01.2004, S. 42. 186 Zimmerman/Molyneaux, Indianer, S. 15 f. 187 Thomas, in: Die Welt der Indianer, S. 23, 28; ähnliches gilt für die europäische Fundierung des heute geltenden Völkerrechts, dazu Steiger, in: FS Moraw, S. 171: „altmodischer“ Ansatz, der aber letztlich berechtigt sei. 188 Thomas, in: Die Welt der Indianer, S. 23, 31 f. 189 Zimmerman/Molyneaux, Indianer, S. 15.

B. Indigene Völker als eigenständige Rechtskategorie

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tausch zwischen den indigenen Völkern in diesem Gebiet auch über große Distanzen. Als insbesondere die portugiesischen, spanischen und englischen Staatslenker die Erforschung anderer Kontinente und Seewege zum Aufbau von neuen Handelswegen einleiteten, kam es in der Folge zu den für die indigenen Völker fatal verlaufenden Kontakten mit diesen. Zwar wird heute überwiegend davon ausgegangen, dass schon vor Christopher Kolumbus europäische Seefahrer den amerikanischen Kontinent auf ihren Fahrten sahen und betraten, doch verliefen diese frühen Kontakte mit den Wikingern insofern folgenlos, als dass daraus kein dauerhafter Kontakt resultierte.190 Es bedarf hier keiner Darstellung der historischen Geschehnisse in der Folge der vermeintlichen „Entdeckung“191 des amerikanischen Kontinents durch Kolumbus und seine Bezeichnung des von ihm betretenen Territoriums in der irrtümlichen Annahme, er hätte den westlichen Seeweg nach Indien gefunden.192 Jedoch lohnt es darauf hinzuweisen, dass es überlieferte Beispiele gibt, wie die ersten ankommenden Europäer im heutigen Nova Scotia Kanadas, ausgemergelt und ausgehungert von ihren langen Überfahrten, von den dort lebenden Indigenen freundlich empfangen wurden. Diese sollen die Ankömmlinge mit Essen versorgt haben und sich über die Herkunft der Menschen gewundert haben, die solche Strapazen durchlitten, um aus ihrer Heimat zu entkommen.193 Ähnliches äußerten diejenigen Indianer, die teilweise freiwillig als Besucher, zum überwiegenden Teil aber für anthropologische Studien oder als Sklaven zwangsweise schon um 1500 nach Europa gebracht wurden, als sie den Zustand dortiger Städte sahen.194 In der Folge der ersten Kontakte mit dem amerikanischen Kontinent entwickelte sich sehr rasch eine intensive Seefahrertätigkeit und der amerikanische Kontinent wurde im Süden und auf der Höhe des heutigen Mittelamerika hauptsächlich von Portugiesen und Spaniern, im Norden später von Engländern und Franzosen angesteuert. Ohne auf die Gründe und das Ausmaß einzugehen, versuchten die Staaten das neu „entdeckte“ Territorium unter ihre Herrschaft zu bringen und bedienten sich dazu – behelfsweise in europäisch geprägter Vorstellung ausgedrückt – der „Landnahme“, wobei im Folgenden die hier einzig interessierende Frage zu behandeln ist, ob dies im Wege der Eroberung oder ___________ 190 Zu diesen Fahrten der Wikinger Bitterli, NZZ Nr. 246 v. 21./22.10.2000, S. 54; Wilson, 24 Am. Ind. L. Rev. [2000], 99, 103. 191 Vgl. zur Kritik an dieser Konnotation nur Venne, Our elders understand our rights, S. 1. 192 Vgl. dazu zusammenfassend nur Williams, 8 Ariz. J. Int’l. & Comp. L. [1991], 51, 64 f. 193 Dazu mit Verweis auf die Quellen die eindrückliche Schilderung bei Barsh, 26 U. Mich. J. L. Ref. [1993], 277, 279. 194 Barsh, 26 U. Mich. J. L. Ref. [1993], 277, 279 f.

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

mit – möglicherweise auch erzwungenem – Einverständnis der Bewohner dieser Territorien geschah. Daher soll zunächst die Sichtweise der europäischen Expansionsstaaten bezüglich des rechtlichen Status „neu entdeckten“ Territoriums beleuchtet und die dazu vertretenen Ansätze in der damaligen Jurisprudenz dargestellt werden. 2. Die Sichtweise der Expansionsstaaten Generell gingen die Expansionsstaaten davon aus, dass sie in „neu entdeckten“ Gebieten Herrschaftsrechte ausüben können und zur Aneignung dieser Territorien berufen seien. Dazu entwickelten sich verschiedene Vorstellungen wie eine Entdeckungsdoktrin, das Recht auf Eroberung im gerechten Krieg oder die Herrenlosigkeit der neuen Gebiete („terra nullius“). Als es notwendig schien, die Expansionen innerstaatlich und gegenüber anderen Mächten zu rechtfertigen, wurden Gelehrte beauftragt, entsprechende Stellungnahmen zu erarbeiten, weshalb eine breite Literaturlage über die rechtliche Betrachtung der Expansionsbestrebungen schon in damaliger Zeit besteht. a) Expansion aufgrund päpstlicher Bullen Insbesondere die spanische Expansion in Amerika war zunächst davon gekennzeichnet, dass die Spanier von einer völligen Rechtlosigkeit der in den Gebieten lebenden Bevölkerung ausgingen.195 Sie führte zur Entwicklung der sog. „doctrine of discovery“, die allein von der eurozentrischen Sichtweise geprägt war und den Spaniern als Vertretern des Christentums das Recht auf Entdeckung und Beherrschung bisher von Nichtchristen bewohnten Gegenden gab.196 Dementsprechend konnten das spanische Königshaus nach diesem Verständnis schon vor Beginn der ersten Fahrt des Kolumbus nach Amerika diesem bestimmte Rechte an den gefundenen Schätzen zusichern.197 Hintergrund für diese Einstellung war der Glaube, die eigene Religion berechtige zur Beherrschung, weil sie die allein Wahrhaftige sei und die „Natives“ in den Expansionsgebieten von dieser europäischen Sicht abwichen:198 ___________ 195

Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 40. Williams, Duke L. J. 1990, 660, 672 f. verweist darauf, dass diese Doktrin am deutlichsten vom US Supreme Court formuliert worden sei. Darauf wird in Kap. 3 C. II. 2. noch näher einzugehen sein. 197 Vgl. Venne, Our elders understand our rights, S. 2. 198 Williams, 8 Ariz. J. Int’l. & Comp. L. [1991], 51, 56 f. weist darauf hin, dass diese Einstellung bereits einige hundert Jahre lang zur Begründung für Expansionen bzw. Kriege und Kreuzzüge verwendet wurde. 196

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„Columbus and the other Europeans who followed him from the Old World carried the firm belief that Christian European culture and its accompanying religious forms, patterns of civilization and normative value structure were all superior to the diverse ways of life practiced and lived by the indigenous tribal peoples they encountered in the New World“.199

Nach dieser Sichtweise konsequent war es, dass die spanischen Herrscher sich um eine Legitimation durch die höchste katholische Instanz mühten. Mittels solcher päpstlicher Bullen hatte bereits Portugal seine Expansionsbestrebungen im Vorhinein absegnen lassen, weshalb im Falle der Kolonien dieser beiden Staaten kaum Verträge mit den in den Expansionsgebieten angetroffenen indigenen Völkern bestehen.200 Mitte des 15. Jahrhunderts hatte der Papst wiederholt dem portugiesischen Herrscherhaus bescheinigt, dass diesem alle Ländereien westlich Portugals im Atlantischen Ozean zur Herrschaft offenstünden, weshalb die Portugiesen die spanischen Eroberungsversuche besonders kritisch betrachteten.201 Hugo Grotius argumentierte im Sinne Spaniens – dazu näher unten Kap. 2 B. I. 3. b) cc) –, dass die päpstliche Bulle zugunsten Portugals in den Gebieten Amerikas unwirksam sei, weil dort nur unzivilisierte Menschen lebten, die nicht zur Kirche gehörten und die Kirche damit keine Titel über dieses Territorium oder diese Menschen verleihen könne.202 Dennoch war das Bemühen des spanischen Herrscherhauses erfolgreich und Papst Alexander VI. erließ die erste päpstliche Bulle zugunsten Spaniens im Jahre 1493.203 Diese ermöglichte die Aufteilung der Eroberungsrechte zwischen Portugal und Spanien, indem klargestellt wurde, dass Nichtchristen Land nicht besitzen könnten, sondern dieses vielmehr unter die Macht der ersten ankommenden europäischen Nation komme, wenn diese nachweisen könne, dass die dortige Bevölkerung für den christlichen Glauben bereit und empfangbar ist.204 Dieses so geäußerte Recht am Land durch Entdeckung wurde durch die – aus damaliger Sicht allein maßgeblichen – europäischen Staaten durchgängig akzeptiert, weil es in deren gemeinsamen Interesse lag, über „Entdeckungen“ ihre Macht ausbauen zu können.205 Zudem respektierten zu jenem Zeitpunkt alle europäischen Mächte die Aussprüche des Papstes in seinen Bullen, weil die ___________ 199

Williams, 8 Ariz. J. Int’l. & Comp. L. [1991], 51, 56. Ausf. zu den päpstlichen Bullen Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 205 ff.; vgl. auch Dörr, 36 JöR n.F. [1987], 489, 490 f. 201 Zur Vorgeschichte und der päpstlichen Bulle Romanus Pontifex im Jahre 1455 bezüglich der kanarischen Inseln und der afrikanischen Küstenregion zugunsten Portugals vgl. Williams, 8 Ariz. J. Int’l. & Comp. L. [1991], 51, 61 ff. 202 Zu diesem Begründungsansatz vgl. die Hinweise bei Venne, Our elders understand our rights, S. 3 Fn. 9. 203 Dazu näher Williams, 8 Ariz. J. Int’l. & Comp. L. [1991], 51, 65 f. 204 Vgl. wiederum m. zahlr. w.N. Venne, Our elders understand our rights, S. 4. 205 Vgl. Venne, Our elders understand our rights, S. 3. 200

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Herrscher keine Exkommunikation als Folge der Nichtbeachtung riskieren wollten.206 b) Expansion durch Eroberung oder Okkupation Dieser Respekt kennzeichnete auch die frühe Phase der englischen Expansionspolitik. Eine königliche „Charter of Conquest“ ermächtigte 1497 John Cabot zur Auslotung kolonialer Möglichkeiten in der sog. „Neuen Welt“. Dieser erhielt die strikte Anweisung, nur solche Territorien anzusegeln, die anhin von anderen europäischen Staaten „unentdeckt“ und damit bislang gänzlich unbekannt geblieben waren, weil andernfalls ein Konflikt mit der päpstlichen Bulle zugunsten Spaniens eingetreten wäre.207 Erst unter Queen Elizabeth I. wurden die spanischen Vorrechte ab Mitte des 16. Jahrhunderts bewusst übergangen, indem die englischen Seefahrer in weiteren „Charters“ den Auftrag erhielten, weitestmögliche Eroberungen durchzuführen.208 In der Praxis unterschied sich diese Expansion in Nordamerika – diese Beobachtung gilt auch für die französischen Aktivitäten in späterer Zeit – von der spanisch-portugiesischen Vorgehensweise. Nur zu Beginn versuchten die Staaten, sich Land ohne Konsultation mit den Indigenen anzueignen. Sie gingen bald dazu über, die indianischen Gemeinwesen anzuerkennen, um dann von diesen das zunächst allein interessierende Land in Teilen zu erwerben. Die Existenz indianischer Organisationen störte dabei zunächst nicht und blieb unberührt, weil eine vollständige Souveränitätsausübung nicht angestrebt wurde.209 Davon unabhängig war zwischen den europäischen Staaten das „Eroberungsrecht“ zur damaligen Zeit völlig unumstritten, es waren bei Eroberungen lediglich bestimmte Formen zu beachten. Jedes nicht unbewohnte Territorium konnte im Wege der Eroberung angeeignet werden, womit sie einen „umfassenden und zureichenden Besitztitel“210 für den Gebietserwerb der Europäer in Übersee darstellte. Zwar haben sich Staaten im Einzelfall auch auf diesen Titel berufen, es blieb aber eher die Ausnahme. Generell wurde ein expliziter Rekurs auf das Eroberungsrecht nach Möglichkeit vermieden, weil in solchen Fällen der zu erobernden Partei ein Kombattantenstatus zugestanden werden musste und damit eine ausdrückliche Anerkennung als Völkerrechtssubjekt – in der damaligen rudimentären Form – einherging.211 Stattdessen beriefen sich die ___________ 206

Näher Williams, 8 Ariz. J. Int’l. & Comp. L. [1991], 51, 66. Vgl. dazu Williams, 8 Ariz. J. Int’l. & Comp. L. [1991], 51, 68 f. 208 Williams, 8 Ariz. J. Int’l. & Comp. L. [1991], 51, 69. 209 So Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 40 f. 210 Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 180. 211 Zum Ganzen Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 180 ff. 207

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Expansionsmächte schlicht auf die Entdeckung unbekannter Gebiete oder die nach Ankunft effektiv ausgeübte Herrschaft, die zu einer Okkupation des Territoriums führe. Letztlich ist aber im Gebiete Nordamerikas der Versuch einer Legitimierung über diesen Weg von Anfang an eine rechtliche Fiktion gewesen, denn tatsächlich musste der Gebietserwerb bekanntermaßen häufig gewaltsam durchgesetzt werden, weshalb meist tatsächliche Eroberungen vorlagen.212 Dieser Schluss wird auch durch die unten noch zu zeigende Politik des Vertragsschlusses mit den angetroffenen indigenen Völkern unterstrichen. Die wenig konsistente Haltung der Staaten macht den Blick auf die Sichtweise der damaligen Rechtsgelehrten noch wichtiger. 3. Die Sichtweise der „Völkerrechtslehre“ a) Ein frühes „Völkerrecht“ Bei der Verwendung von Kategorien des modernen Völkerrechts im Zusammenhang mit der europäischen Expansion ist zunächst Vorsicht angebracht. Das „ius gentium“ der damaligen Zeit unterschied sich vom heutigen Verständnis des Völkerrechts, zumal die Expansion und die Auseinandersetzung darum selbst zu einem gewichtigen Teil an der Entstehung des Völkerrechts Anteil hat.213 Denn beim Schaffen einer Herrschaft über die „neu entdeckten“ Gebiete mussten sich die europäischen Mächte einerseits über die Ordnung ihrer Beziehungen zu diesen außereuropäischen Gebieten bewusst werden, zugleich aber auch die Einwirkung auf ihr Verhältnis untereinander in Bezug auf diese Gebiete bedenken.214 So ist diese historische Phase am besten dadurch nachzuvollziehen, indem zwischen einem Völkerrecht in Bezug auf die Gebiete in Übersee und einem Völkerrecht in Übersee unterschieden wird.215 Die Beziehungen zwischen den überseeischen Gemeinwesen und den europäischen Staaten regel___________ 212

Morris, 29 GYIL [1986], 277, 278 weist darauf hin, dass die europäische Kolonialisierung auch nach den eigenen rechtlichen Maßstäben illegal war. 213 Den Beitrag der spanischen Spätscholastiker zur Entstehung modernen Völkerrechts unterstreicht Dörr, 36 JöR n.F. [1987], 489, 490; ders., in: FS Schiedermair, S. 927, 928 f. Steiger, in: Geschichtliche Grundbegriffe, S. 97, 108 ff. behandelt die Bedeutung des Begriffs „Völkerrecht“ bei den spanischen Spätscholastikern unter dem Titel „Die Geburt des Völkerrechts“ ab. 214 Steiger, in: FS Moraw, S. 171, 177. 215 Dazu grundlegend Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 18 f.; Steiger, in: FS Moraw, S. 171, 177 schlägt für die Beziehungen mit den Gebieten in Übersee die Terminologie des „Zwischen-Mächte-Rechts“ vor und zeigt auf, dass solches auch in früheren Expansionsgebieten angewendet wurde, dass sich aber auf dem amerikanischen Kontinent erstmals ein ausschließlich europäisch geprägtes Herrschaftsrecht entfaltete. Eine ähnliche Differenzierung mahnt Verosta, in: FS Preiser, S. 95, 106 ff. für die europäisch-asiatischen Beziehungen in der Expansionszeit an.

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te das Völkerrecht in Übersee, das wiederum von in diesen Gegenden schon vorhandenen Beziehungen der Völker untereinander abzugrenzen ist, das hier nicht weiter beleuchtet wird. Dass die europäischen Staaten ein Recht in Bezug auf Übersee einrichten mussten, war durch die Konkurrenzsituation zwischen ihnen bedingt. Die Stoßrichtung der Expansion führte dazu, dass insbesondere im amerikanischen Kontinent das neue Recht der Beziehungen mit der dortigen Bevölkerung und den Territorien ausschließlich vom europäischen Verständnis bestimmt wurde.216 Wenngleich das damalige Völkerrechtsverständnis in erheblichem Maße diskriminierend war, ist diese scheinbare Ungerechtigkeit seiner Geburtsphase zu akzeptieren, da es bis heute eine Wandlung erfahren hat und die Bewertung der damaligen rechtlichen Sichtweise nur unter der Prämisse erfolgen kann, dass die europäische Vorprägung akzeptiert wird.217 Das Völkerrecht zwischen den europäischen Staaten in Bezug auf die Gebiete in Übersee war von zweierlei gekennzeichnet: einerseits wurden die Eroberungen im Blick auf eigene Möglichkeiten durchgängig toleriert und die Ergebnisse akzeptiert. Andererseits wandelte sich das Gefüge zwischen den europäischen Mächten dergestalt, dass zunehmend die Eroberungsmöglichkeit nicht mehr nur den Portugiesen und Spaniern, sondern – nach deren Verständnis – auch anderen Mächten zustand, die damit eine Gleichordnung erreichten.218 Die eigentliche Bedeutung der Expansionszeit für die Schaffung des Völkerrechts liegt in der Bewertung des spanischen Vorgehens in Amerika. Als bekannt wurde, wie brutal die Spanier unter Berufung auf die päpstlichen Bullen und ein uneingeschränktes Eroberungsrecht vorgingen, bildete sich erheblicher Widerstand im Staat, der die Notwendigkeit einer neuen Begründung für das Königshaus unausweichlich aufzeigte.219 Dabei finden sich sowohl das staatliche Vorgehen tolerierende Äußerungen als auch heftige Kritik, wobei etwa 50 Jahre nach der ersten Landung Kolumbus in Amerika die erste große Debatte zwischen Denkern der damaligen Zeit ausgefochten wurde. Im Folgenden werden die groben Züge dieser Schriften und Aussagen, die in mehreren Fällen von Dominikanermönchen verfasst wurden, dargestellt. Es zeigt sich, dass die Darstellung des damaligen Völkergewohnheitsrechts eng an die Praxis der staatlichen Expansion angelehnt war. Die neue „Völkerrechtslehre“ dagegen konnte sich vom tatsächlichen Vorgehen lösen und das Expansionsstreben eher unter dem Aspekt der Gerechtigkeit beleuchten und kritisieren.220 ___________ 216

Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 19. Ähnlich Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France, S. 19 ff. 218 Steiger, in: FS Moraw, S. 171, 178. 219 Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 210, der die Opposition hauptsächlich in Kirchenkreisen ortet, diese aber deutlicher gewesen sei als in allen anderen europäischen Staaten für die nächsten Jahrhunderte. 220 Vgl. dazu Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S.167 f. 217

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b) Die Vertreter der verschiedenen „Schulen“ Die zentralen Aussagen stammen von den sog. spanischen Spätscholastikern, die von rechtlichen und theologischen Einflüssen gelenkt waren. Deren Erkenntnisse wurden später auch von wichtigen anderen europäischen Gelehrten aufgegriffen und zum Teil verfälscht oder konsequent zu Ende gedacht. aa) Vitoria und Suárez Der vielleicht bedeutsamste Vordenker zur Stellung indigener Völker im Rahmen der Expansion europäischer Staaten war Franciscus de Vitoria.221 Er hat zahlreiche Schriften verfasst, entscheidend jedoch ist seine Vorlesung von 1539 „Über die kürzlich entdeckten Inder“.222 Zunächst stellte er in seiner Untersuchung fest, dass die indigene Bevölkerung Amerikas verschiedene natürliche Rechte als freie und rationale Menschen besitzen und die tatsächliche und rechtliche Herrschaft über ihr Territorium innehaben (S. 45 ff.). Daher sei ein Gebietserwerb durch Schenkung des Papstes oder gar durch eigene Entdeckung nicht möglich. Andererseits hätten die eingeborenen Völker bestimmte Pflichten, wie die Durchquerung ihres Gebietes und den Aufenthalt darauf in friedlicher Weise zu gestatten, weil andernfalls ein gerechter Krieg gegen diese geführt werden dürfe. Dieser führe dann zum Gebietserwerb durch Eroberung. Ebenso könnte eine Eroberung stattfinden, wenn die Indigenen gegen bestimmte völkerrechtliche Normen verstießen, wozu zum Beispiel die gerüchteweise überlieferte Lebensform des Kanibalismus gehöre.223 Seine Vorlesung von 1539 unterteilte Vitoria nach möglichen Begründungsansätzen für die Expansion. Sieben mögliche Erklärungen verwirft er als Legitimationstitel, zeigt danach aber sieben weitere auf, die eine Gewaltanwendung rechtfertigen, wenn sie vorliegen. Schließlich ist er bezüglich eines Ansatzes unentschlossen.224 Diese Vielzahl von Argumenten, die teilweise für und gegen die Expansionspolitik sprechen, haben dazu geführt, dass sich sowohl Kritiker als auch Befürworter der Expansion auf Vitoria beriefen, weshalb seine Ausführungen über lange Zeit Maßstab waren und insbesondere in jüngerer Zeit wieder viel Beachtung finden. Im Einzelnen führt er aus, dass es zwar ein Recht ___________ 221 Zu vorherigen Gelehrten, die ihn bezüglich seiner hier interessierenden Studien beeinflußten, vgl. Morris, 29 GYIL [1986], 277, 282 ff. 222 Franciscus de Vitoria, De Indis Recenter Inventis et de Jure Belli Hispanormu in Barbaros. 223 Dazu Venne, Our elders understand our rights, S. 6. 224 Ausf. Analyse der Schriften bei Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 212 ff., der auch auf unvermeidbare Widersprüche durch diesen Aufbau wegen zahlreicher Überschneidungen der Ansätze verweist, insbes. S. 216.

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auf Entdeckung gebe, dass dieses aber nur bei herrenlosen Gebieten zugunsten desjenigen Anwendung finde, der sie zuerst in Besitz nimmt. Eine solche Konstellation liege aber im von ihm untersuchten Falle Amerikas nicht vor, weil die Gebiete besiedelt waren.225 Wesentlich auch für die spätere spanische Spätscholastik waren die aus der Religion stammenden und von ihm deutlich verworfenen Begründungsansätze wie die Überlegung, jeder könne zum christlichen Glauben gezwungen werden.226 Unter den möglichen Rechtfertigungen für die Expansion unter Anwendung von Gewalt finden sich jedoch auch in der Religion verankerte. Obwohl niemand zum christlichen Glauben gezwungen werden könne, dürfe bei aktiver Behinderung der Verkündigung des Evangeliums gegen die Ungläubigen notfalls in Form des Krieges Gewalt angewendet werden.227 Die Missionierung selbst müsse gewaltlos erfolgen, aber Gewalt oder Widerstand gegen die Missionierung erlaube Gegengewalt. Unentschlossen blieb Vitoria in der Frage der Beurteilung der indianischen Gemeinwesen. Grundsätzlich dürften Gemeinschaften dann beherrscht werden, wenn sie minderwertige soziale Strukturen aufwiesen und die Spanier zu ihrem Besten eine europäisch geprägte Herrschaft errichteten. Ob jedoch die Indianer nur solche minderen Gemeinschaften hätten, könne er aufgrund fehlender eigener Kenntnis nicht entscheiden, weshalb er die Anwendung dieses Begründungsansatzes offen ließ. Darin liegt jedoch bereits das Fundament für die im 19. Jahrhundert populäre Konstruktion der Staaten, dass sie in einer Art „trusteeship“ für die „bedauernswerten“ indigenen Bevölkerungen zu deren Besten handeln müssten.228 Ein weiterer spanischer Spätscholastiker, Suárez, stimmt in allen wesentlichen Punkten mit Vitoria überein, entwickelt aber eine weitergehende Analyse. Dabei betont er, dass die bereits entwickelten Rechtfertigungsansätze für alle Völker gleich gelten, sich also auch die Indigenen auf die genannten legitimen Titel berufen könnten.229 Dabei handelte es sich jedoch nur um ein rhetorisches Zugeständnis, denn bei der Verhinderung der Übernahme christlichen Glaubens durch „ungläubige“ Herrscher dürfe zugunsten der von diesem beherrschten Bevölkerung Gewalt angewendet werden. Erkennbar war auch hier die abschließende Einschränkung auf den christlichen Glauben. Noch expliziter als

___________ 225

Vgl. Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 214. Zu diesen Elementen Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 215. 227 Dörr, 36 JöR n.F. [1987], 489, 491; Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 217. 228 Vgl. die Einschätzung von Anaya, Indigenous Peoples in International Law, S. 12. 229 Suárez, Tractatus Tertius de Charitate 13, 5, 5 f. (Opera Omnia, Bd. 12). 226

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Vitoria unterstreicht er, dass jede Behinderung der Mission gerächt werden dürfe, wenn dabei die Bekehrung zum christlichen Glauben verhindert wurde.230 bb) Las Casas Wie bereits oben erwähnt, geriet die spanische Krone bezüglich ihrer Expansionspolitik in Rechtfertigungsnöte, weshalb sie einen „Council of the Indies“ beauftragte, die moralische und rechtliche Grundlage der Entdeckung zu klären. Die große Debatte von Valladolid in den Jahren 1550 und 1551 zwischen Sepulveda als Vertreter der Ansicht der Krone und dem Kritiker Bartolomé de Las Casas lieferte eine lebhafte Auseinandersetzung. Sepulveda konzentrierte sich auf die biblische Aufforderung, dass Heiden zu Christen gemacht werden sollten.231 Daher sei die Eroberung der Territorien und Bevölkerung ein gerechter Krieg und notwendige Vorbedingung zur Christianisierung der Heiden.232 Las Casas dagegen wollte die aus seiner Sicht ungerechte Durchführung der Expansion stoppen. Er hatte durch einige Jahre Aufenthalt in den spanischen Kolonien die Grausamkeiten der Kolonisierung erlebt und wollte diesen durch seine detailreiche Schilderung ein Ende bereiten.233 Es ist jedoch zu beachten, dass zwar das Vorgehen in den Kolonien kritisiert wurde, aber damit letztlich die zunehmende Entgleitung der Herrschaft aus den Händen der Krone und damit zugleich dem Einflussbereich der Kirche gestoppt werden sollte. Deshalb wurde die Monopolstellung der spanischen Krone über die neuen Gebiete gegenüber anderen Kolonialmächten auch von Las Casas durchgängig verteidigt.234 Es gelang Las Casas den König zu überzeugen, dass die indigene Bevölkerung von den Kolonisten zu separieren sei. Dazu konnten Mönche Dörfer bauen und beaufsichtigen, in denen die Indianer abgeschirmt von der brutalen und dekadenten Behandlung durch die Kolonisten „frei“ leben und sich dort bewähren konnten als empfänglich für Zivilisation und Christentum.235 In den Gesetzen von Burgos wurden die indianischen Gemeinwesen aufgewertet und gar mit den spanischen Siedlern auf eine Stufe gestellt. Sie sollten umfassend vor den Übergriffen durch die Kolonisten geschützt werden, womit diese Gesetze eine fortschrittliche Umsetzung der Forderungen der genannten Theoretiker ___________ 230

Vgl. zu diesem Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 224 f. Nach Venne, Our elders understand our rights, S. 7. 232 Zu diesem Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 230 ff. 233 Venne, Our elders understand our rights, S. 5; vgl. zu weiteren Theologen mit derselben Absicht Lâm, 25 Cornell Int. L. J. [1992], 603, 612. 234 Dies zeigt Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 211. 235 Vgl. dazu Lâm, At the Edge of State, S. 87. 231

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waren. Sie blieben jedoch von den Siedlern völlig unbeachtet.236 Daher waren sie nicht dazu geeignet, die spanische Eroberung und ihre Folgen in Amerika zu stoppen.237 Da ohnehin auch nach dem neuen Recht die Spanier weiterhin die volle Souveränität über die indianischen Gemeinwesen ausübten und die Indianer schlichte Untertanen blieben, war ein Erfolg im Sinne dieser Gemeinschaften von vornherein aussichtlos.238 Auch Las Casas sah die Spanier berechtigt, die volle Souveränität auszuüben, die sie jedoch erst nach der Bekehrung der heidnischen Bevölkerung erlangten. Nach seinem Verständnis hätten jedoch trotz der Souveränität die Besitz- und Freiheitsrechte der Indianer weiterhin respektiert werden müssen.239 cc) Grotius Mit der Zeit verlagerte sich die Debatte über die Expansionen europäischer Mächte verstärkt in außerkirchliche Kreise, was auch eine Erweiterung der Positionen mit sich brachte. Nachdem sich zahlreiche weitere Rechtsgelehrte zu dieser Kontroverse geäußert hatten, war der vehementeste Verfechter gegen die Zivilisationstitel zugunsten der spanischen Krone aus dem weltlichen Bereich Vázquez de Menchaca, der in aller Deutlichkeit jegliche Herrschaftsanmaßung in Übersee ablehnte.240 In seiner Entschiedenheit wurde er argumentativ später nur von Wolff – zu diesem näher sogleich – übertroffen. Hugo Grotius war es, der die Analyse Vitorias auf eine säkulare Grundlage stellte. War bei jenem das überpositive Recht gottgegeben, klingt bei Grotius der Gedanke einer Naturrechtsschule an.241 Jedenfalls kam auch dieser zum Schluss, dass die indianischen Gebiete nicht herrenlos waren. Hatte Vitoria die Besitznahme von Gütern und Land bei Eroberungen für ungerecht gehalten, konnte diese nach Suárez durch den Gedanken der Wiedergutmachung gerechtfertigt werden. Grotius schließlich ging noch weiter und nahm als „nackte Tatsache“ hin, dass alles, was im Krieg – nach bestimmten Formalien – abgenommen werde, dann auch dem Nehmer gehöre.242

___________ 236

Vgl. Anaya, Indigenous Peoples in International Law, S. 13 Fn. 40. Vgl. Corntassel/Primeau, 17.2 (1995) HRQ, 343, 354 Fn. 42; Morris, 29 GYIL [1986], 277, 286 f. 238 Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 40. 239 Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 235. 240 Zu diesem Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 243 f. 241 So auch Anaya, Indigenous Peoples in International Law, S. 10. 242 Vgl. Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 170, 233. 237

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dd) Wolff gegenüber de Vattel Mitte des 18. Jahrhunderts formulierte Christian Wolff die uneingeschränkte Anerkennung der Freiheit, Gleichheit und Souveränität aller Völker.243 Demnach könnten nur herrenlose Gebiete von Expansionsstaaten okkupiert werden. Ein Volk liege aber bereits dann vor, wenn es locker organisiert sei und damit ein bürgerlicher Zustand auf dem Territorium herrsche.244 Daher relativierte er die Position der Missionare erheblich. Diese hätten keinen Anspruch auf die Durchführung der Missionierung, sondern müssten vielmehr respektieren, wenn sie von bestimmten Territorien als unerwünscht verwiesen werden.245 Die Sichtweise Wolffs setzte sich auch in seiner Zeit nicht durch und geriet gar in Vergessenheit, weil Emmerich de Vattel unter Berufung auf ihn eine gegenteilige Position zugespitzt und mit stärkerer Außenwirkung vertrat.246 De Vattel247 folgte vollständig der Argumentation Wolffs und differenzierte die Lehre der Rechte von Staaten und dem Anspruch auf gleichberechtigte Behandlung der Völker weiter aus. Den Schutzbereich der so gefundenen Norm schränkte er jedoch auf Gemeinwesen ein, die den damals in Europa vorherrschenden zumindest ähnelten.248 Er entwickelte nämlich eine Pflicht von Staaten zur Kultivierung des Landes in bestimmter Form. Wenn diese Kultivierung unterbleibe, dann liege keine effektive Okkupation vor, weshalb es sich beim betreffenden Gebiet um herrenloses handle.249 Die Azteken und Inka hätten eine solche, europäischen Vorstellungen entsprechende Kultivierung des Landes gepflegt, weshalb die Eroberungen in diesem Gebiet nicht gerechtfertigt gewesen seien, in Nordamerika fehle es an einer solchen, weshalb die dortige

___________ 243

So auch die Einschätzung von Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 270 f. 244 Dörr, 36 JöR n.F. [1987], 489, 491; Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 273 f., wonach seltene und sporadische Nutzung durch Individuen oder ein Kollektiv genügten. 245 Die Bedeutung der Schwächung der Mission streicht Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 271 f. heraus. 246 Nach Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 274 f. war Wolff der Völkerrechtler, der am klarsten und mit der überzeugendsten Begründung die Zivilisationsidee ablehnte. 247 Zu diesem kritisch Lâm, At the Edge of State, S. 87: „apologist par excellence of states“. 248 Dieses Problem an der Vattel’schen Lehre kritisiert Anaya, Indigenous Peoples in International Law, S. 15 f. 249 Vgl. die Zusammenfassung bei Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 275 f.

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Kolonialisierung akzeptiert werden könne.250 Zumindest die Verweisung der indigenen Bevölkerung wegen des verschwenderischen Umgangs mit dem Land in engere Grenzen sei erlaubt.251 c) Das „Konzept“ der „Wilden“ im Völkerrecht damaliger Zeit Ergänzend zu den Erkenntnissen aus der Bewertung der Expansion durch die Völkerrechtsgelehrten ist noch kurz das bereits oben angedeutete „Konzept“ der vermeintlichen „Wilden“ als Bestandteil des damaligen Völkerrechts darzustellen. Aus der Vorstellung, bei den Indigenen handle es sich aufgrund ihrer Lebensweise – und häufig falscher Erzählungen – um „Wilde“, folgten zum Einen Argumente für die Legitimität der Expansion, zum Anderen aber auch für den Rechtsstatus der indigenen Völker zu dieser Zeit.252 In deutlicher Form äußerten die Kirchenvertreter zur Begründung der Expansion, dass es sich bei den Indigenen nicht nur um Ungläubige handle, sondern diese wilden Tieren gleich lebten.253 Insgesamt war die bereits oben erwähnte Zivilisationsidee weit verbreitet. De Vattels Vorstellung vom „Nutzen der Menschheit“ bedeutete, dass Land nur angeeignet werden dürfe, um Nutzen daraus zu ziehen. Dieses Recht stehe allen Völkern zu, weshalb friedlich lebende Nomadenvölker wie die Indianer nicht vollständig verjagt, sondern nur in bestimmte Gebiete zurückgedrängt werden dürften.254 Dem entspricht die Vorstellung, dass die „Wilden“ sich nicht vernünftig verhielten und unnütz lebten, weil sie das Land im Sinne der Europäer nicht ausreichend nutzten.255 Selbst der zugunsten der indigenen Völker in den Expansionsgebieten schreibende Vitoria hatte einen möglichen Legitimationstitel zur Beherrschung solcher Völker entworfen, die vernunftlos und unfähig seien, wobei er sich wie gezeigt im Falle Amerikas nicht festlegen wollte, ob ein Anwendungsfall für dieses zivili___________ 250 Vgl. Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 7; Werther, SelfDetermination in Western Democracies, S. 37 verweist darauf, dass die Lehre Vattels in den USA nach 1780 als die eines „Klassikers“ wahrgenommen wurde. 251 Zu letzterem Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France, S. 155. 252 Zum „Konzept“ und der dahinterstehenden, falschen Vorstellung über die Indigenen insbesondere in Nordamerika vgl. ausf. Dörr, 24 VRÜ [1991], 372, 378 ff. = ders., 47 Law and State [1993], 7, 11 ff.; bezogen auf die Sichtweise der Franzosen Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France, S. 73 ff.; ferner allg. Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 299 ff. 253 Zu entsprechenden Aussagen vgl. nur Williams, 8 Ariz. J. Int’l. & Comp. L. [1991], 51, 62. 254 Vgl. dazu Dörr, 36 JöR n.F. [1987], 489, 492. 255 Vgl. zu dieser Aussage Immanuel Kants, die gegenüber seinem Gesamtwerk isoliert dastehe und daher kritisch betrachtet werden müsse, Dörr, 30 VRÜ [1997], 7 f.

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satorische, nicht religionsbedingte Sonderrecht vorlag.256 Der Zivilisationsgedanke gipfelte jedenfalls in späteren Jahrhunderten in der Überzeugung, dass „Barbaren“ keinerlei Rechte als Nation haben könnten.257 Diese bis weit in die nach-napoleonische Zeit anhaltende Theorie resultierte in der Vorstellung, dass den zivilisierten Nationen – neben den europäischen Mächten zählte hierzu nach ihrer Gründung auch die USA – die Völker der „Wilden“ gegenüberstanden, die keine organisierte Herrschaft über die jeweilige Bevölkerung ausübten und deshalb auch keine Souveränität gegenüber anderen Staaten haben konnten.258 Es soll hier nochmals darauf verwiesen werden, dass mit Wolff schon frühzeitig eine Strömung völkerrechtlich im Gegensatz dazu argumentierte, dass ein Expansionsstaat nur bei freiwilliger Übertragung durch die jeweilige Bevölkerung oder Akzeptanz der Souveränität eine Herrschaft über ein „neues“ Territorium und die Bevölkerung ausüben durfte.259 Selbst nach der gegenläufigen, verbreiteten Irrvorstellung war aber der Kreis der sog. „zivilisierten Nationen“ nicht von vornherein festgelegt. Er war vielmehr erweiterungsfähig, wenn die „alteingesessenen“ Staaten nach einer Prüfung zum Schluss kamen, dass ein potentieller Neuankömmling im eigenen Kreise bestimmte Kriterien erfülle.260 Dies hat gewichtige Auswirkungen, denn die tatsächliche Behandlung vieler indigener Völker durch die Expansionsstaaten ist davon gekennzeichnet, dass sie diesen im Anfangsstadium unzweifelhaft einen gleichberechtigten, mindestens jedoch völkerrechtssubjektiven Charakter zuerkannten.261 In der Lehre mag zwar lange Zeit das Bild der rechtlosen „Wilden“, die einer „family of allegedly civilized nations“262 gegenüberstanden, vorgeherrscht haben und insbesondere die Darstellung in späterer Zeit, dass während der Expansion diese Sichtweise alleine akzeptiert gewesen sei. Demgegenüber ist aber zweifelhaft, ob ein solches Konzept jemals gültiges Völkerrecht war. Denn die völkergewohnheitsrechtliche Praxis schon der damaligen Zeit deutet – wie anhand der Vertragsschlüsse mit den indigenen Völkern in Kap. 2 B. II. 2. noch näher dargestellt wird – eher auf das Gegenteil.263 Die abweichenden Darstellungen in frühen völkerrechtlichen Lehrbüchern und die zum Teil bis heute ___________ 256

Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 222. Dieser Ausspruch John Stuart Mills wird zitiert von Dörr, 36 JöR n.F. [1987], 489, 493; Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France, S. 155. 258 Steiger, in: FS Moraw, S. 171, 179. 259 Vgl. Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 273. 260 Dazu Steiger, in: FS Moraw, S. 171, 180. 261 Vgl. nur Dörr, 24 VRÜ [1991], 372, 381, 385, v.a. 391; so auch Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France, S. 24. 262 Vgl. zu dieser Charakterisierung auch Dörr, 36 JöR n.F. [1987], 489, 492 f. 263 Schulte-Tenckhoff, 4 Review of Constitutional Studies [1998], 239, 246. 257

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kritiklose Übernahme dieser Darstellung kann aus jetziger Sicht schlicht als falsch angesehen werden. Zwar ist die Beobachtung der tatsächlichen Behandlung der indigenen Völker durchaus richtig; davon zu unterscheiden ist aber, ob dieses politisch akzeptierte Verhalten aus damaliger Sicht rechtskonform war.264 Moderne völkerrechtliche Untersuchungen innerhalb der UN kommen zum Ergebnis, dass zumindest im nordamerikanischen Bereich die ersten 250 Jahre der europäischen Expansion gekennzeichnet sind von der Pflege internationaler Beziehungen der europäischen Staaten mit den indigenen Völkern, denen damit zumindest inhärent eine völkerrechtliche Rechtskapazität zuerkannt wurde.265 Die in der Völkerrechtslehre zu beobachtende Abnahme der Zuerkennung dieses völkerrechtlichen Subjekstatus für die indigenen Völker von Vitoria, der eine weitgehende Souveränität bejahte, über die bedingte Souveränität bei de Vattel zur völligen Rechtlosigkeit bei Oppenheim, lässt sich mit der faktischen Entwicklung erklären.266 Die späteren Völkerrechtler argumentierten aus dem tatsächlichen Resultat der Expansion, das praktisch ausnahmslos zu einer benachteiligten, häufig nahe an die Auslöschung heranreichenden Position geführt hatte. Es erschien möglicherweise richtig, dass die gegenteilige Politik, die sich in den Vertragsschlüssen und den Bündnisabkommen mit den indigenen Völkern ausdrückte, ignoriert wurde, weil der damals aktuelle Status eine Anerkennung des völkerrechtlichen Status fernliegend erscheinen ließ. Aus der heutigen Sicht ist diese Fehleinschätzung zu korrigieren, was zahlreiche Völkerrechtler bereits seit über hundert Jahren angemahnt haben.267 Dies ist insbesondere deshalb angemessen, weil zwar die ursprünglichen „Völkerrechtler“ wie Vitoria naturrechtlich argumentierten und abbilden wollten „how states ideally should behave“, ihre Forderungen aber noch ohne Folgen blieben. Erst die späteren Völkerrechtler beschrieben „how states actually behave“ gegenüber den indigenen Völkern.268 Jedoch blieb bei diesem Rückblick angesichts der aktuellen Lage häufig der Blick für das zumindest rechtlich auch aus der Sicht der Expansionsstaaten gebotene Verhalten verschlossen und aus der Missachtung ___________ 264

So auch Schulte-Tenckhoff, 4 Review of Constitutional Studies [1998], 239, 252, die als Beispiel für eine politische Tatsache, die aber dennoch geltendem Recht widersprochen hat, die Removal Policy des US-amerikanischen Präsidenten Jackson in den 1830er Jahren anführt (dazu näher unten Kap. 3 B. I. 4.). 265 Vgl. Martínez, Study on Treaties, First Progress Report Rdnr. 138 („sovereign nations“), 140. 266 Vgl. zu dieser Entwicklung Martínez, Study on Treaties, Second Progress Report Rdnr. 140 ff. 267 Zu diesen Stimmen vgl. nur Venne, Our elders understand our rights, S. 9. 268 Kritisch zur positiven Bewertung der frühen Völkerrechtler daher Corntassel/Primeau, 17.2 (1995) HRQ, 343, 357.

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dieser rechtlichen Pflicht wurde häufig auf die Nichtexistenz solcher Normen geschlossen. Diese tatsächliche Behandlung wird im Folgenden dargestellt.

II. Indigene als Objekt: Vernichtung, Unterdrückung und Assimilation Unabhängig von der rechtlichen Bewertung des Status der indigenen Völker war die tatsächliche Behandlung insbesondere während der frühen Phase der Expansion von einem Übergehen der Interessen und Rechte der indigenen Bevölkerungen gekennzeichnet. Diese wurden als Objekt verstanden, mit dem die Expansionsstaaten ebenso wie mit dem von ihnen bewohnten Land nach Belieben verfahren konnten. Häufig bedeutete dies schlicht den Versuch, die Bevölkerung auszulöschen, doch in zahlreichen Expansionsgebieten war der Widerstand groß genug, so dass die entsprechenden Staaten die indigenen Völker auf andere Weise unter ihre Herrschaft zu bringen suchten oder wenigstens ihr Wohlwollen erkauften. 1. Ausrottung als Folge der kriegerischen Expansion Für die rechtliche Analyse ist es müßig, die auf brutalste Weise durchgeführte kriegerische Unterwerfung der Bevölkerung in vielen Expansionsgebieten durch die europäischen Kolonialstaaten aufzuzeigen. Am konkreten Beispiel wird jedoch unten gezeigt, dass nach heutigen Maßstäben ganz unzweifelhaft ein umfassender Genozid bzw. Genozidversuch an den indigenen Bevölkerungen ausgeübt wurde.269 Die Art der Verfolgung von indigenen Bevölkerungsgruppen verlief regional unterschiedlich und war durch eine Vielzahl von Gründen motiviert.270 Diese Vielzahl lässt sich jedoch dergestalt zusammenfassen, dass in der Praxis, also rein faktisch ohne eine rechtliche Bewertung, die indigenen Bevölkerungen mehr oder minder von Beginn der Expansion an als Objekte und weniger als aktiv mitwirkende Subjekte verstanden wurden, selbst wenn formal ein solcher Status zuerkannt wurde.271 Wenngleich vor allem in Südamerika die versuchte Ausrottung der indigenen Bevölkerung durch die Spanier und Portugiesen beinahe „geglückt“ wäre, haben sowohl dort als auch insbesondere in den USA trotz der jahrhundertelangen extremen Verfolgung bis heute funktionierende indigene Gemeinschaften überlebt.

___________ 269

Für die USA Text zu Kap. 3 Fn. 442 ff.; vgl. ferner Text zu Kap. 2 Fn. 526, 904. Vgl. im Einzelnen Heinz, Indigenous populations, S. 71 ff. 271 So jedenfalls die Einschätzung von Venne, Our elders understand our rights, S. 2. 270

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2. Kombattanten: Der Vertragsschluss zur Koalitionsbildung oder Befriedung Insbesondere im nordamerikanischen Bereich stießen die Expansionsstaaten auf durchaus erheblichen militärischen Widerstand der indigenen Bevölkerung. Davon unabhängig waren die ortskundigen und zahlenmäßig in der frühen Phase der englischen Expansion überlegenen Indianer willkommene Bündnispartner in den Kriegen mit der französischen Kolonialmacht um die Vorherrschaft auf diesem Territorium.272 Solche Allianzen ebenso wie Friedensvereinbarungen und Handels- und Tauschabkommen wurden in Form von Verträgen zwischen den Expansionsstaaten und der lokalen Bevölkerung geschlossen. Diese Vertragsschlüsse waren – wie durch umfassende Studien heute bekannt ist – zur damaligen Zeit ein normales Instrument der Expansionspolitik, das zudem in großer Zahl verwendet wurde. Dennoch wurden sie in der Völkerrechtswissenschaft lange nahezu vollständig ignoriert273 und finden erst in letzter Zeit, dafür umso stärkere, Aufmerksamkeit.274 Die aus ihnen ableitbaren Folgerungen für heutige Rechte der indigenen Bevölkerungen werden unter Kap. 2 C. II. 4. dargestellt. An dieser Stelle genügt der Hinweis, dass die Form und der Inhalt der Verträge zweifelsfrei „für eine Zuordnung zum Völkerrecht spricht“.275 Daraus lässt sich beispielsweise die Anerkennung der Völkerrechtssubjektivität der Indian Nations durch die englischen Kolonialisten und die spätere USA ableiten.276 Auch unter Berücksichtigung der Regel des intertemporalen Rechts und der Tatsache, dass das damalige Recht kein geschlossenes „Recht der Verträge“ kannte, ist das Ergebnis „unzweifelhaft, daß es sich bei den hier untersuchten historischen Vorgängen um Verträge des Völkerrechts handelt“.277 Anders bewertete jedoch lange Zeit – meist ohne jegliche Begründung – die Völkerrechtslehre die Verträge, wenn sie sie nicht schon ignorierte. Dies dürfte einerseits mit dem Willen, staatliches Handeln nachträglich zu rechtfertigen, zu erklären sein, und sich andererseits aus der faktischen Position der indigenen Völker in den Jahrhunderten nach der Expansion, die die Anerkennung einer

___________ 272

Beispielhaft zu den vertraglichen Beziehungen auf dem Gebiet der heutigen USA Dörr, 36 JöR n.F. [1987], 489, 492 f., 494 ff. 273 Dörr, 24 VRÜ [1991], 372, 380. 274 Z.B. Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France, S. 32 ff., die UN setzte eigens einen Special Rapporteur ein, auf dessen ausführliche Studie unten eingegangen wird Kap. 2 B. V. 2. d), vgl. ferner Kap. 2 C. II. 4. 275 Dörr, 36 JöR n.F. [1987], 489, 496; Martínez, Study on Treaties, First Progress Report Rdnr. 138, 140. 276 Dörr, 36 JöR n.F. [1987], 489, 503. 277 Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France, S. 131 ff., 133.

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Völkerrechtssubjektivität fernliegend erscheinen ließ, ergeben haben.278 Nach dieser Ansicht, die sich vor allem am Ende des 19. Jahrhunderts, als die kriegerischen Auseinandersetzungen mit den indigenen Bevölkerungen allmählich abflauten und der „Sieg“ der Expansionsstaaten oder ihrer Nachfolgestaaten gefestigt war, verbreitete, hätten die Verträge nie einen internationalen Status gehabt. Erst in Folge der von den damals einflussreichen Völkerrechtlern vertretenen Ansicht waren die internationalen Schiedssprüche und Urteile des frühen 20. Jahrhunderts möglich, die einen völkerrechtlichen Status der indigenen Völker gänzlich verneinten. Es war insbesondere John Westlake, der unter Hinweis auf die vorrangige europäische Zivilisation den indigenen Völkern gänzlich die Eigenschaft als Subjekte des Völkerrechts versagte.279 Bei völliger Missachtung der vorhandenen gegenteiligen Indizien wie den Vertragsschlüssen wurde schlicht festgestellt, dass die indigenen Völker niemals von der sog. „family of nations“ als Einheiten verstanden wurden, die Rechte im internationalen Bereich geltend machen könnten.280 Diese Sichtweise erklärt, warum zu jener Zeit die terra nullius-Doktrin besonders populär war. Die Überzeugung, unzivilisierte Menschen könnten ein Territorium nicht beherrschen und die daraus ableitbare freie Verfügbarkeit für europäische Staaten, nahm diesen jeglichen nachträglichen Rechtfertigungsdruck. Schon zu jener Zeit blieb aber diese vorherrschende Völkerrechtslehre, deren Folgen bis heute fortwirken, nicht unbestritten. Insbesondere die Werke von Mark F. Lindley281 und später Alexandrowicz282 zeigen, dass auch indigene Völker politische Gemeinschaften waren und sind, deren Territorien nur nach den Regeln der internationalen Gemeinschaft erworben werden konnten und können. Die Souveränitätsrechte indigener Völker bestehen danach ungeachtet der Vertragsbrüchigkeit der Expansionsstaaten bis heute fort. Hinsichtlich der Vertragsschlüsse ist noch anzumerken, dass sich ihre Verwendung und damit einhergehend die Behandlung der indigenen Bevölkerung mit dem Grad an Nutzen, den diese für die weiße Gesellschaft hatten, änderte. Am Beispiel Kanadas lässt sich zeigen, dass das Zusammenleben zwischen Indigenen und Kolonisten im 17. und 18. Jahrhundert noch weitgehend „harmonisch“ war, insbesondere weil die indigene Bevölkerung in den Anglo___________ 278 Vgl. zu diesen überholten Positionen Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France, S. 32 ff. 279 Dazu Anaya, Indigenous Peoples in International Law, S. 20. 280 Anaya, Indigenous Peoples in International Law, S. 22. 281 Lindley, Acquisition and Government. Zu diesem Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 363 ff. 282 Ausf. Analyse bei Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 367 ff., wobei zu beachten ist, dass sich Alexandrowicz nicht mit der Situation in Amerika auseinandersetzte.

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Französischen Kriegen benötigt wurde, während derer sich die Indianer wechselseitig mit den kriegführenden Parteien verbündeten.283 Als diese Bündnisse nicht mehr gebraucht wurden und der Druck anstieg, neues Land zu erwerben, änderte sich die Behandlung der indigenen Völker, die vermehrt ab dem 19. Jahrhundert auch dort unterdrückt wurden. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass mit dem Faktum des Vertragsschlusses zwar aus rechtlicher Sicht eine bestimmte Folgerung über den Status der indigenen Völker einerhergeht, dass sich aber die Motivation für die Verträge von der militärischen Verdrängungsabsicht nicht wirklich unterschied. Insoweit war das Mittel des Vertragsschlusses häufig nur die subtilere Form des Ausrottungsversuchs, da viele Expansionsstaaten von vornherein nicht beabsichtigten, Zusagen einzuhalten und dies in der Folge auch durchgängig nicht taten:284 „[...] we contend that the treaty-making process was used by the imperial powers as a less direct form of incremental subjugation and colonization [...] effects [...] nonethe285 less just as devastating as direct military conquest“.

3. Sonderstatus: Indigene Völker als Beteiligte ohne eigenen Rechtsstatus a) Die „domestication“ der indigenen Frage Der Rechtsstatus indigener Völker erlitt in der Folge aber eine noch schwerere Beschädigung, als durch die konsequente Missachtung der vertraglichen Verpflichtungen durch die Kolonialherren ohnehin schon. Die Vertragspartner wurden zunehmend als minderwertige „Partner“ angesehen, denen gegenüber die Verpflichtungen nach eigenem Gutdünken verändert werden konnten. Diese Entwicklung ist in der – unten ausführlich vorzustellenden – Studie von UN Special Rapporteur Martínez als „process of domestication of the indigenous question“ bezeichnet worden.286 Die Kolonialstaaten bzw. im Falle Nordamerikas die USA nutzten die militärische und wirtschaftliche Überlegenheit, um die Behandlung der indigenen Frage von der Sphäre des Völkerrechts unter die „exclusive competence of the internal jurisdiction“ der Staaten zu rücken.287 ___________ 283

Dazu Kersey, 11 Ariz. J. Int’l & Comp. L. [1994], 429, 431. Hinzu kommt noch die unter Kap. 2 C. II. 4. c) beleuchtete Problematik der Bewertung des konkreten Vertragsinhalts, da in praktisch allen Fällen nur die „weiße“ Version eines Vertrages existiert, vgl. dazu Martínez, Study on Treaties, Second Progress Report Rdnr. 149. 285 Corntassel/Primeau, 17.2 (1995) HRQ, 343, 354. 286 Martínez, Study on Treaties, Final Report Rdnr. 192. 287 Ausf. zu diesem Konzept Schulte-Tenckhoff, 4 Review of Constitutional Studies [1998], 239, 257 ff. 284

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Ohne dass die indigenen Völker dagegen opponieren konnten oder die relevanten europäischen Staaten abweichende Meinungen vertraten, wurde damit der militärische Sieg über die in den Expansionsgebieten vorgefundene Bevölkerung dadurch zementiert, dass die Betroffenen fortan als Jurisdiktionsobjekt der internen Sphäre behandelt wurden und diese Behandlung dementsprechend internationaler Überprüfung entzogen war. Die erste internationale Rechtsprechung in Form von Schiedssprüchen zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam folgerichtig, wenngleich nicht notwendigerweise überzeugend begründet, zum gleichen Ergebnis.288 b) Schiedssprüche zum Rechtsstatus im frühen 20. Jahrhundert Der bekannteste Schiedsspruch dürfte dabei der „Cayuga Indians“-Fall sein, den ein US-amerikanisches und britisches Arbitration Tribunal 1926 veröffentlichte. Großbritannien hatte im Namen der „Cayuga Indian Nation“ in Kanada eine Forderung gegen den Staat von New York, vertreten durch die USA, auf Zahlung einer jährlichen Summe aus einem Vertrag von 1795 gestellt.289 Die Zahlungen waren bis 1810 erfolgt, aber nachdem die zwischenzeitlich nach Kanada ausgewanderten Cayuga Indianer im Krieg von 1812 mit den Engländern koaliert hatten (weshalb diese den Streitfall für sie vor ein Schiedsgericht brachten), wurden die Zahlungen auf diejenigen Cayuga beschränkt, die im Staate New York lebten. Das Schiedsgericht stellte – und diese Passage wurde bekannt – fest, dass die Cayuga weder als Nation noch als Individuen einen Status unter Völkerrecht hätten.290 Daher sei der Rechtsstatus einer indigenen Gemeinschaft vom innerstaatlichen Recht der Staaten, in denen sie leben, abhängig: „From the time of the discovery of America the Indian tribes have been treated as under the exclusive protection of the power which by discovery or conquest or cession held the land which they occupied. […] So far as an Indian Tribe exists as a legal unit, it is by virtue of the domestic law of the sovereign within whose territory the tribe occupies the land, and so far only as that law recognizes it“.291

___________ 288

Zum insoweit abweichenden Schiedsspruch bezüglich der Misquito-Indianer in Zentralamerika im Streit zwischen Großbritannien und Nicaragua aus dem Jahre 1881 Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France, S. 35; Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 395: „Eindeutig [...] zugunsten der Indianer“, der Schiedsspruch sei aber seiner Zeit weit voraus gewesen und nicht rezipiert worden, S. 398. 289 Zum Sachverhalt vgl. Reisman, 89 AJIL [1995], 350, 351 Fn. 5. 290 Cayuga Indians (Gr. Brit. v. U.S.), 6 R. Int’l Arb. Awards 173, 176 (1926). 291 Cayuga Indians (Gr. Brit. v. U.S.), 6 R. Int’l Arb. Awards 173, 309 (1926); vgl. zu dieser Passage Williams, Duke L. J. 1990, 660, 695.

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Nichtsdestotrotz, und das wird häufig übersehen, bezog sich das Schiedsgericht auf den Vertrag von Gent, in dem sich die USA einverstanden erklärte, die Indianer wieder in die Position der Zeit vor dem Krieg von 1812 einzusetzen.292 Daraus leitete es eine Haftung für die Zahlungen ab und erkannte den Cayugas alleine Zinsen in Höhe von 100 000 US $ und die Hälfte der eigentlich fälligen Zahlung für die gesamten Jahre seit Aussetzen der Zahlungen zu. Zudem hat das Tribunal darauf hingewiesen, dass die Prinzipien der Gleichheit, des fairen Verhaltens und der Gerechtigkeit, wie sie vom Völkerrecht anerkannt seien, eine Pflicht konstituierten, den in Kanada lebenden Cayuga einen Anteil an den Zahlungen zuzuerkennen, und dass der Schiedsspruch allein auf diese Prinzipien hätte gestützt werden können.293 Im Ergebnis bedeutete der Schiedsspruch aber über den konkreten Fall hinaus, dass ein internationaler Schutzmechanismus zugunsten der indigenen Völker verweigert wurde.294 Hinsichtlich der Begründung ist aber anzumerken, dass sich das Tribunal bei der Feststellung, indigene Völker seien „noch nie“ als Subjekte des Völkerrechts verstanden worden, insbesondere auf einen Völkerrechtler berief, der dann wiederum in der Neuauflage seines Werkes diesen Schiedsspruch anführte, um seine Ansicht zu stützen.295 Auf ähnliche Weise verdichtete sich diese Sichtweise in folgenden Entscheidungen, auf die hier noch kurz hingewiesen werden soll. Den „Island of Palmas“-Fall zwischen den USA und den Niederlanden entschied ein Schiedsgericht 1928.296 Die Insel war zwischen den beteiligten Staaten umstritten, wobei sich die USA bezüglich ihrer Ansprüche auf abgeleitete Rechte der Spanier, die diese durch Entdeckung der (bewohnten) Insel gehabt hätten, beriefen. Die Niederlande hingegen verwies auf Verträge und Abtretungen, die sie mit den Häuptlingen der indigenen Bevölkerung vereinbart hätten.297 Das Tribunal kam zum Schluss, dass „contracts between a state [...] and native princes or chiefs of peoples not recognized as members of the community of nations [...] are not, in the international law sense, treaties or conventions capable of creating rights and obligations“298,

___________ 292

„Treaty of Peace and Amity“ vom 24. Dezember 1814, United States-Great Britain, 8 Stat. 218, T.S. No. 109 (Vertrag von Gent). In diesem Vertrag war auch eine Amnestie vorgesehen für alle Indianer, die in Feindseligkeiten gegen die USA verwickelt gewesen waren, vgl. dazu Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 78. 293 Cayuga Indians (Gr. Brit. v. U.S.), 6 R. Int’l Arb. Awards 173, 179 ff. (1926). Kritischer dagegen („aus Billigkeitsgründen“) Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 278. 294 Reisman, 89 AJIL [1995], 350, 351. 295 Vgl. den Hinweis bei Anaya, Indigenous Peoples in International Law, S. 23. 296 Island of Palmas Case (U.S. v. Neth.), 2 R. Int’l Arb. Awards 831 (1928). 297 Williams, Duke L. J. 1990, 660, 697 Fn. 128. 298 Island of Palmas Case (U.S. v. Neth.), 2 R. Int’l Arb. Awards 831 (1928).

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weshalb sich die Souveränitätsfrage über die Insel aus den älteren Ansprüchen ableiten lasse.299 Auch im „Eastern Greenland Case“ verweigerte der StIGH einer indigenen Bevölkerung ihre Rechte bei seiner ersten Gelegenheit, über solche zu entscheiden.300 Es ging dabei um die Kontrolle Dänemarks über das gesamte Gebiet Grönlands, wohingegen Norwegen unter Berufung auf frühe Siedlungen der Inuit in Teilen Grönlands die effektive Herrschaft Dänemarks verneinte und damit ein herrenloses Gebiet unterstellte, das von Norwegen übernommen werden konnte. Obwohl also keine der beteiligten Parteien am Status der Inuit interessiert war, hätte das Gericht zumindest implizit über deren Rechtsstatus und Fähigkeit, selbst Herrschaft auszuüben, urteilen können. Das Gericht ließ die Inuit aber vollständig außen vor und bestätigte Dänemarks Ansprüche.301 Die Schiedssprüche konnten sich in der Beurteilung der jeweiligen Lage auf eine gesicherte Praxis der Staaten in den vorigen Jahrzehnten zurückziehen, da zu jenem Zeitpunkt vertragliche Zugeständnisse praktisch wertlos geworden waren. Das zeigte sich beispielsweise auch auf dem nordamerikanischen Gebiet des heutigen Kanada. Obwohl die Royal Proclamation von 1763 den Indigenen das Recht zur Besiedlung und zum Besitz von Land grundsätzlich zuerkannte, wurde dieses dergestalt beschränkt, dass Land nur an die Krone abgetreten werden durfte. Die Krone wiederum konnte diese formale Unterlegenheit ausnutzen, indem sie die indigene Bevölkerung unter Zwang zum Vertragsschluss drängte.302 Ein vermeintlich gewichtiges Recht wurde also ausgehöhlt, weil die Expansionsstaaten von der Minderwertigkeit ihrer Gegenüber überzeugt waren. Spätestens als die indigene Bevölkerung beherrschbar geworden war und auch nicht mehr im Kampf gegen andere benötigt wurde, war der Schritt zur Auslöschung des besonderen rechtlichen Status schnell gegangen.303

III. Indigene im 20. Jahrhundert: Zwischen Assimilation und Rückbesinnung Die Behandlung der indigenen Bevölkerungen in den verschiedenen Regionen der Erde folgte selbstverständlich nicht immer dem genau gleichen Muster, obwohl sich bestimmte Entwicklungsschritte in den meisten Fällen zu unter___________ 299 Vgl. Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S.445 ff. zu den Widrsprüchen in der Argumentation und dem Ergebnis. 300 PCIJ, Series A/B, Nr. 53, 22; vgl. dazu Alfredsson, in: EPIL, S. 314. 301 Vgl. Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 181, 454. 302 Vgl. dazu nur Kersey, 11 Ariz. J. Int’l & Comp. L. [1994], 429, 431; Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France, S. 40 ff. 303 Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France, S. 154.

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schiedlichen Zeitpunkten einstellten. Dies gilt auch für die Entwicklung im Umfeld der oben erwähnten Schiedssprüche und der faktischen Lebenssituation der indigenen Völker im 20. Jahrhundert, wobei sich hier die Unterschiede immer stärker ausdifferenzierten, da wesentlich mehr Staaten an diesem Gestaltungsprozess beteiligt sind. 1. Zwangsweise Assimilation als „goldener Weg“ Ein fast überall zu beobachtendes Phänomen ist der sich an die kriegerische Phase anschließende Versuch, die indigenen Bevölkerungen zu assimilieren und die Lebens- und Verhaltensweisen der dominanten Bevölkerung anzupassen. Die Motivation dazu hatte vielfältige Ursachen. Einerseits glaubten die europäischen Expansionsstaaten, dass sie selbst die allein richtige Lebensweise an den Tag legten – hier spielten religiöse und machtinstinktive Aspekte zusammen – und die indigene Bevölkerung insoweit minderwertig sei. Andererseits – und dies gilt insbesondere für späte Assimilationsversuche – glaubten viele Staaten, die Situation ihrer indigenen Bevölkerung nur dadurch verbessern zu können, dass sie diesen die gleichen Arbeits- und Lebensgewohnheiten zur Verfügung stellten oder aufdrängten, damit diese sich ähnlich der dominanten Gesellschaft entwickeln könnten. In Kanada beispielsweise wurde bereits Mitte des 19. Jahrhunderts eine Assimilationspolitik gesetzlich im „Civilization of Indian Tribes Act“ verankert und bis weit in das 20. Jahrhundert in kaum veränderter Weise fortgeführt.304 Ein Staat, in dem diese Entwicklung erst spät nachvollzogen wurde, ist Laos. Dort wurden die Bergvölker bis in die siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts offen von der kommunistischen Guerilla mit Genozid bedroht. Danach gab es Anpassungsversuche, indem die Zugehörigkeit zu den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen nicht mehr nach sprachlich-kulturellen Merkmalen vorgenommen wurde, sondern schlicht nach den Höhenzonen, in denen die jeweiligen Menschen leben. Damit wurden die „Bergvölker“ identifiziert, die durch Umsiedlungsaktionen stärker mit der umgebenden laotischen Mehrheitsbevölkerung verschmolzen werden sollten. Andererseits werden in der heutigen Zeit zugunsten der Bevölkerung dieser Gegenden viele Entwicklungsprogramme auch von europäischen Staaten eingesetzt, um bessere Bedingungen beispielsweise im Gesundheitsschutz zu erreichen.305 Die Assimilationspolitik hatte jedoch auch – wie am Beispiel der USA und den übrigen einzelstaatlichen Beispielen unten noch dargestellt wird – fatale Erscheinungsformen wie die gewaltsame Trennung von Kindern und ihren ___________ 304

Kersey, 11 Ariz. J. Int’l & Comp. L. [1994], 429, 431 Fn. 15, wobei die Inuit wegen ihrer Abgeschiedenheit erst sehr viel später die Assimilationspolitik zu spüren bekamen. 305 Vgl. zu diesem Beispiel Meldung in NZZ Nr. 79 v. 06./07.04.2002, S. 6.

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indigenen Eltern, um in Missionsschulen eine Umerziehung durchzuführen. Die Assimilation sollte möglichst vollständig sein, weshalb kulturelle Eigenheiten konsequent als schlecht dargestellt wurden. 2. Die Dekolonisierung als neue Phase Diese – häufig nicht erfolgreichen – Assimilationsversuche wurden durch die Auswirkungen der Dekolonisierung immer stärker hinterfragt. Zwar wirkte sich die Dekolonisierung zunächst nur auf diejenigen Staaten aus, die als Gebilde geographisch getrennt von den hauptsächlich europäischen Kolonialstaaten existierten. Nach der sog. „blue water“-Theorie, die einen Ozean zwischen Kolonie und Kolonialstaat verlangte, blieben die indigenen Völker als mögliche direkte Nutznießer der Rückabwicklung kolonialer Expansion außen vor. Der Anwendungsbereich des Art. 73 UN-Charta wurde entsprechend einschränkend ausgelegt. Diese Einschränkung war nicht zwingend. Belgien brachte bei den entsprechenden Beratungen in der UN den Vorschlag ein, dass das Selbstbestimmungsrecht auf alle „subjugated peoples, whether in colonial or metropolitan countries“ angewendet werden sollte, weil in der UN-Charta nicht ausdrücklich auf den Kolonialismus im klassisch verstandenen Sinne Bezug genommen werde, und die Behandlung indigener Gemeinschaften vergleichbar gewesen sei zu denen von kolonisierten Übersee-Gebieten.306 Diesen Ansatz hatte Belgien nicht aus altruistischen Motiven vorgebracht, vielmehr war es interessiert an Ressourcen in der Gegend des auf Unabhängigkeit zielenden Katanga, die es schon bislang ausbeutete und weiterhin nutzen wollte, weshalb es eine Sezession nach Kongos Unabhängigkeit befürwortete, um weiterhin Zugang zum Kupfer in Katanga zu haben.307 Der belgische Ansatz, der den Einschluss indigener Völker in die Unabhängigkeitsentwicklung ermöglicht hätte,308 setzte sich aber nicht durch, weil sowohl die Ostblockstaaten als auch diejenigen der dritten Welt, die gerade erst unabhängig geworden waren, sich unter Hinweis auf die mögliche Destabilisierung ihrer Staaten dagegen wehrten.309 Zwar sind zahlreiche Selbstbestimmungsforderungen unter Hinweis auf die „blue water“-Theorie abgelehnt worden, andererseits gab es aber Fälle, in denen die UN diesen Ansatz selbst missachtet hat wie beispielsweise bei der Trennung von Ruanda-Urundi oder der British Cameroons in einen Nord- und Südteil. Auch hätten die UN in verschiedenen Fällen die indigenen Bevölke___________ 306

Spiry, 9 GYIL [1995], 129, 132. Vgl. Spiry, 9 GYIL [1995], 129, 132 f. Fn. 13; Alfredsson, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 125, 133. 308 Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 69. 309 Spiry, 9 GYIL [1995], 129, 134; Reed Howard, 35 GYIL [1992], 105, 130 f. 307

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rungen von Staaten bei ihren Unabhängigkeitsbestrebungen unterstützt, ohne auf die koloniale Begründung abzustellen, aber unter Hinweis auf eine „racist or alien subjugation“. Spätestens die Anerkennung Bangladeshs durch die UN, so kann argumentiert werden, „represents a truly conclusive departure from its ‚blue water‘ practice“.310 3. Erwachendes Selbstbewusstsein: Indigene und die Rückbesinnung auf das Indigene Spätestens mit der Dekolonisierung und der einhergehenden Erweiterung der Staatenwelt wurden internationale Foren wieder stärker von indigenen Völkern genutzt, um auf ihre rechtliche und faktische Lage aufmerksam zu machen. Erste, in der Wirkung noch zaghafte Schrittte als „a social force and universalist voice“ gab es bereits in den 1920er Jahren.311 Ein gesteigertes Selbstbewusstsein und erste Erfolge in verschiedenen Staaten zur Erkämpfung von mehr Rechten führten ab den 1970er Jahren auch zur Forderung auf internationaler Ebene, die „doctrine of discovery“ und ihre Auswirkungen zu beseitigen.312 Obwohl in manchen Staaten der Versuch gewaltsamer und kriegerischer Unterdrückung der indigenen Bevölkerung bis in die jüngste Zeit anhält, war für das Selbstbewusstsein der Indigenen sicherlich ausschlaggebend, dass sie zum Teil selbst mit gewaltsamen Mitteln in verschiedenen Staaten erhöhte Aufmerksamkeit erhielten und die indigenen Anliegen im Zuge der Bürgerrechtsbewegung gerade in den USA auch von prominenten Fürsprechern wie Schauspielern und Musikern unterstützt wurden. Die Anerkennung eines besonderen Status der indigenen Völker zumindest als anerkennenswerte Minderheit bestätigte dann in den 1980er Jahren auch der UN-Menschenrechtsausschuss, auf dessen Spruchtätigkeit sogleich intensiv einzugehen sein wird. Wenngleich die weitergehenden Forderungen vieler indigener Völker zu voller Selbstbestimmung mit der Anerkennung als Minderheit noch nicht erreicht wurden, akzeptierten viele Indigene diesen Zwischenerfolg. Damit sei zumindest die zuvor dominierende Tendenz, „zum Besten“ der indigenen Bevölkerung diese vollständig anzupassen, um vermeintlich bessere Ausgangschancen zu schaffen, ersetzt worden durch einen Ansatz, der die Wahrung der Besonderheit ermöglichte und ihre Wichtigkeit für die eigene Identität anerkannte.

___________ 310

So jedenfalls Lâm, in: People or Peoples, S. 79, 99 f. Barsh, 26 U. Mich. J. L. Ref. [1993], 277, 281. 312 Williams, Duke L. J. 1990, 660, 676. 311

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Mit dieser Entwicklung einhergehend dokumentierte auch der IGH mit seinem Gutachten zur Westsahara, dass die früheren Aussagen in den Schiedssprüchen über die völlige Nichtanerkennung der Rechte indigener Bevölkerungen auch rechtlich nicht mehr haltbar seien. Der IGH hat damit „partially reversed this old pattern of disrespect for indigenous rights“.313 Im Sondervotum des Richters Ammoun, das noch über die Mehrheitsmeinung hinausging, wurde als Beispiel der Nichtanwendung der terra nullius-These ausdrücklich das Gebiet der amerikanischen Indianer genannt.314 Schon vorher hatte der IGH über das Verhältnis von Kolonialstaaten zu den überseeischen Völkern im Streit zwischen Indien und Portugal über Transitrechte in Indien geurteilt. Portugal hatte 1779 einen Vertrag mit den Marathen, den lokalen Herrschern in Indien geschlossen, der bestimmte Nutzungsrechte einräumte.315 Der IGH stellte bei der Einordnung des Vertrages bewusst auf das damalige Recht ab und zweifelte aber nicht am völkerrechtlichen Charakter des Vertrages,316 was eine Wende zumindest für den asiatischen Raum hinsichtlich der indigenen Bevölkerungen bedeutete.317 Diese Entwicklung wurde durch das Westsahara-Gutachten gefestigt, wenngleich der IGH beispielsweise in der Entscheidung zum Grenzstreit zwischen El Salvador und Honduras die Möglichkeit verstreichen ließ, noch ausführlicher auf Forderungen der indigenen Bevölkerung einzugehen, die in jenem Fall von El Salvador vorgetragen wurden.318 Gleichzeitig mit einer rechtlichen Emanzipation ist in den vergangenen Jahrzehnten auch eine Renaissance indigener Kultur zu beobachten, auf die nicht näher eingegangen werden kann, die aber indigenes Kunsthandwerk ebenso wie Musik und Tanz, aber auch Sprache, Literatur und Malerei umfasst.319 Viele symbolische Aktionen, wie die Umbenennung bestimmter Orte oder die Rückbesinnung auf ursprüngliche Namen, die im Zuge der Assimilation aufgegeben wurden, haben die Förderung indigenen Selbstbewusstseins zum Zwecke.320 ___________ 313

Alfredsson, in: EPIL, S. 314; auch Wiessner, 7 St. Thomas L. Rev [1995], 567, 592 unterstreicht, dass mit dieser Entscheidung die Schiedssprüche der 1920er Jahre hinfällig seien. 314 ICJ Rep. 1975, 12, 77, 86 – Western Sahara. 315 Zum Vertragsinhalt vgl. Verosta, in: FS Preiser, S. 95, 98 ff. 316 ICJ Rep. 1960, 6, 37 – Right of Passage over Indian Territory (Portugal/India); Dörr, 24 VRÜ [1991], 372, 390. 317 Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France, S. 38. 318 So kritisch jedenfalls Reisman, 89 AJIL [1995], 350, 355 f. 319 Vgl. am Beispiel der Tlingit Meier, NZZ Nr. 16 v. 20./21.01.2001, S. 34; allg. zu den Native Americans Fleischmann, in: Länderbericht USA, S. 746, 750 ff.; Gerste, NZZ Nr. 262 v. 11.11.2002, S. 17; zur Literatur Isernhagen, NZZ Nr. 153 v. 05./06.07.2003, S. 49; zu Filmen vgl. Meldung in NZZ Nr. 95 v. 25.04.2003, S. 37. 320 Vgl. dazu das Beispiel in Nunavut bei Brown, International Herald Tribune v. 08.07.2002, S. 2.

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

IV. Die Rechtsstellung indigener Völker nach Völkervertragsrecht 1. Allgemeines Nachdem kurz auf die historische Entwicklung der Stellung indigener Völker eingegangen worden ist, soll in diesem Einschub die bereits mehrfach angesprochene Rechtsstellung nach Völkervertragsrecht dargestellt werden, bevor abschließend die jüngere Entwicklung in der UN und anderen internationalen Organisationen, die einen Rückschluss auf die heutige Rechtspersönlichkeit indigener Völker zulässt, betrachtet wird. Dazu ist im Folgenden hauptsächlich die Spruchtätigkeit des Menschenrechtsausschusses darzulegen, der mit mehreren grundsätzlichen Stellungnahmen die prozessualen und materiellen Möglichkeiten der Berufung auf Rechte aus dem Menschenrechtspakt für indigene Völker umrissen hat. Zudem lohnt ein kurzer Blick auf die Bedeutung des Abkommens zur Beseitigung der Rassendiskriminierung und des den Vertrag überwachenden Ausschusses, weil dieser gerade in den letzten Jahren für indigene Völker wichtige Aussagen getroffen hat. 2. Die Rechtsstellung indigener Völker nach dem Menschenrechtspakt a) Die relevanten Vorschriften Neben der bereits oben genannten Grundsatzvorschrift des Art. 1 IPbpR über das Selbstbestimmungsrecht aller Völker und der dazu ergangenen Allgemeinen Bemerkung, ist für die Indigenen ferner vor allem der Minderheitenschutzartikel von Bedeutung. Nach dem Verständnis des Menschenrechtsausschusses erstreckt sich der Schutz des Paktes auf indigene Völker vor allem durch Zuteilung eines Minderheitenstatus, der ihre Mitglieder in den Genuss der Rechte aus Art. 27 IPbpR bringt: „Members of ethnic, religious or linguistic minorities shall not be denied the right, in community with the other members of their group, to enjoy their own culture, to profess and practise their own religion, or to use their own language.“

Die deutsche Übersetzung lautet wie folgt: „In Staaten mit ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten darf Angehörigen solcher Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden, gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene Religion zu bekennen und auszuüben oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen.“321

___________ 321

Sart. II Nr. 20 = Tomuschat (Hrsg.), Völkerrecht, Nr. 15.

B. Indigene Völker als eigenständige Rechtskategorie

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Die sich daraus ergebende Rechtsposition hat der Menschenrechtsausschuss in seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 23 (50) zusammengefasst.322 Diese baut zwar unter anderem auf den sogleich vorzustellenden Entscheidungen des Ausschusses auf, soll aber wegen der Allgemeingültigkeit über den Einzelfall hinaus vorab vorgestellt werden. In Ziff. 1 der Allgemeinen Bemerkung wird klargestellt, dass die Rechte für Individuen als Angehörige von Minderheiten gewährt werden, wobei ausdrücklich zum Selbstbestimmungsrecht aus Art. 1 IPbpR abgegrenzt wird. Bemerkenswert ist die Einschätzung in Ziff. 6, wonach unabhängig von der Einordnung als Individualrecht die Verwirklichung des Art. 27 IPbpR davon abhängt, dass die Minderheit ihre Kultur tatsächlich leben kann, was aktive Unterstützungsmaßnahmen des Staates erfordere („positive measures“). Damit erhält das Individualrecht eine kollektiv wirkende Stoßrichtung.323 Im Gegenzug lassen aus Sicht des Ausschusses nach Ziff. 3.2. die Rechte aus Art. 27 IPbpR die Souveränität und den territorialen Status der Vertragsstaaten unberührt. Gerade für Angehörige indigener Minderheiten stünden die ableitbaren Rechte in engem Zusammenhang mit der Nutzung eines bestimmten Territoriums und der Beziehung zu diesem Land. Ziff. 7 bestätigt, dass die geschützten Rechte zur Verwirklichung der eigenen Kultur bei Indigenen häufig mit einer bestimmten Lebensweise und Landnutzung zusammenhängt. Wie sich diese Aspekte im Einzelfall auch in Abgrenzung zu Art. 1 IPbpR auswirken, hat der Ausschuss insbesondere bezüglich kanadischer Indianer entschieden. Bei seinen „views“ hat er auch verdeutlicht, dass neben dieser Vorschrift auch das Recht auf politische Mitwirkung nach Art. 25 IPbpR von Bedeutung ist. Insbesondere das aus lit a) ableitbare Recht „an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter teilzunehmen“ kann dann wichtig sein, wenn das betroffene indigene Volk am „normalen“ politischen Prozess nicht teilnimmt, sondern Selbstbestimmung haben möchte. Das Recht auf Privatsphäre und den Schutz der Familie aus Art. 17 und Art. 23 IPbpR sind als „Auffangrechte“ in einem Fall ebenfalls zur Geltung gekommen. Aus prozessualer Sicht ist nochmals darauf zu verweisen, dass Individualbeschwerden („communications“) nur zulässig sind, wenn eine Einzelperson be-

___________ 322 HRC, Allgemeine Bemerkung Nr. 23 (50) zu Art. 27 IPbpR; auch abgedruckt bei Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 381 ff. 323 Ebenso Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 78; diese kollektive Komponente findet sich nach Williams-Vedder, Die Rechtsstellung der eingeborenen Völker, S. 171 bereits im Wortlaut („gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe“).

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hauptet, „Opfer einer Verletzung eines in dem Pakt niedergelegten Rechts“ durch ein dem Fakultativprotokoll beigetretenen Staat geworden zu sein.324 b) Die Entscheidungen des Menschenrechtsausschusses aa) Das Zulässigkeits-Problem Bereits oben in Kap. 1 B.II.4.d)bb) ist darauf eingegangen worden, dass die Versuche von Mitgliedern indigener Gemeinschaften unter Berufung auf Art. 1 IPbpR eine Individualbeschwerde vor dem Menschenrechtausschuss vorzubringen, letztlich gescheitert sind. Dass sich der Menschenrechtsausschuss damit politisch nachvollziehbar vorschnell um die Möglichkeit der Beschäftigung mit den materiellen Aspekten der Beschwerden gebracht hat, ist ebenfalls bereits dargelegt worden.325 Ob dies jedoch ohne Weiteres korrekt war, ist durch einen genaueren Blick auf die Fälle zu entscheiden. Der Wortlaut des Art. 1 Fakultativprotokoll scheint die Möglichkeit für Mitteilungen eindeutig auf Einzelpersonen zu beschränken. Andererseits bezieht sich der Artikel auf alle im IPbpR geschützten Rechte, so dass sich ein Problem ergibt, wenn ein Individuum ein Kollektivrecht oder gar eine Gruppe kollektive Rechte geltend machen will. Eine Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht für Individuen in Vertragsstaaten des Fakultativprotokolls ist also denkbar. (1) A.D. v. Canada und die Vertretungsbefugnis Dementsprechend machte ein „Grand Captain of the Mikmaq tribal society“ 1980 in einer Mitteilung geltend, Kanada verstoße gegen das Selbstbestimmungsrecht, indem es die Unabhängigkeit der Mikmaq tribal society nicht zulasse und gleichzeitig versuche, diese durch verschiedene Maßnahmen auszulöschen.326 Der Fall hätte zu einem Präzedenzfall werden können, da der UNMenschenrechtsausschuss hinsichtlich des Selbstbestimmungsrechts „Neuland“ betreten musste,327 im Ergebnis dann aber ohne eine materielle Entscheidung zu treffen hinter den sich bietenden Möglichkeiten zurückblieb. Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Beschwerde stellte der Ausschuss zunächst fest, dass nicht ein subjektives eigenes Recht, sondern das Selbstbestimmungsrecht als verletzt angeführt werde. Unabhängig von dem in der deutschen Fassung mit „Einzel___________ 324

So Art. 1 1. ZP IPbpR; allg. dazu schon oben Kap. 1 B. II. 4. d) aa) (3). Vgl. zu den kritischen Stimmen aus der Literatur nur Crawford, in: Peoples’ Rights, S. 7, 36 f. 326 HRC, A.D. v. Canada, Communication No. 78/1980 Rdnr. 2.1. 327 Vgl. Murswiek, JuS 1985, 986. 325

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person“ zu engen Wortlaut ist nach Sinn und Zweck der Regelung davon auszugehen, dass individuell betroffene Gruppen, sofern sie Träger von Rechten aus dem IPbpR sein können, auch eine Mitteilung nach dem Fakultativprotokoll einreichen können.328 Dies muss aber nicht unbedingt auch für eine Gruppe „Volk“ gelten. Diese Frage konnte der Ausschuss aber offenlassen, ebenso wie die generelle Frage, ob ein Individuum in einem solchen Falle für das Volk als Repräsentant die Beschwerde vorbringen könne,329 weil jedenfalls der konkrete Beschwerdeführer „A.D.“ nicht wie gefordert nachweisen konnte, dass er für die Mikmaq vertretungsberechtigt sei.330 Da er auch keine Argumente für eine Verletzung persönlicher Rechte angeführt habe, konnte die Beschwerde als unzulässig abgewiesen werden, was aber dennoch damals in der Literatur kritisiert worden ist. Aus der Tatsache, dass der Ausschuss einen Nachweis für die Vertretungsbefugnis forderte, konnte aber e contrario geschlossen werden, dass grundsätzlich die Mikmaq als „indianische“ Gemeinschaft ein Volk seien und daher eine Verletzung ihres Selbstbestimmungsrechts geltend machen könnten.331 (2) Ominayak v. Canada und die Beschränkung auf Individualrechte Mit der Entscheidung über den Fall Ominayak v. Canada wurde dies 1990 aber abschlägig beschieden.332 Der Chief des „Lubicon Lake Band“ der CreeIndianer Kanadas hatte 1984 die Beschwerde eingereicht, weil Kanada den Landrechten seines Stammes nicht entspreche und stützte seine Mitteilung auf Art. 1 und 27 IPbpR.333 Der Menschenrechtsausschuss stellte abschließend fest, dass der Beschwerdeführer keine Verletzung des Art. 1 geltend machen könne, weil eine Individualbeschwerde nur bezüglich Teil III des Menschenrechtspak___________ 328 So eindeutig Murswiek, JuS 1985, 986. A.A. bezüglich des englischen Originalwortlautes „individual“ aber Charlesworth, in: Indigenous Peoples, the United Nations and human rights, S. 74, 76; Evatt, in: Indigenous Peoples, the United Nations and human rights, S. 86, 90 m.w.N. 329 Dieses Offenlassen wurde vom Ausschussmitglied Errera in einem Sondervotum (Appendix zu HRC, A.D. v. Canada, Communication No. 78/1980) kritisiert, vgl. Murswiek, JuS 1985, 986, 987 Fn. 11. 330 HRC, A.D. v. Canada, Communication No. 78/1980. Im Gegenteil wurde sogar durch den Grand Chief der Mikmaq klargestellt, dass nur mit einer von ihm ausgestellten Vollmacht jemand zur Vertretung der Mikmaq berechtigt sei, so die Sachverhaltsschilderung bei Murswiek, JuS 1985, 986. 331 Vorsichtig optimistisch daher auch Murswiek, JuS 1985, 986. 332 HRC, Bernard Ominayak/Lubicon Lake Band v. Canada, Communication No. 167/1984 Rdnr. 32.1. 333 Der Sachverhalt und die Vorgeschichte zu diesem Fall ist ausführlich erläutert bei Skurbaty, As if Peoples Mattered, S. 298 ff.

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tes, also bezüglich Art. 6 bis 27, möglich sei.334 Auch diese Sicht des Ausschusses und der damit bestätigte „judicial self-restraint“ ist kritisiert, aber bis heute beibehalten worden.335 Damit hat der Menschenrechtsausschuss Art. 1 IPbpR quasi aus dem Individualbeschwerdeverfahren „ausgesperrt“ und eine „kollektiv-individuelle[n] ‚Zwickmühle‘“ geschaffen.336 (3) Mikmaq Tribal Society v. Canada und die kollektive Beschwerde Auch in der späteren Entscheidung über eine neuerliche Beschwerde der „Mikmaq Tribal Society“ blieb der Ausschuss bei dieser Sichtweise.337 Damit verkannte er nach Ansicht vieler Kritiker, dass im Falle indigener Völker das materielle Recht mit der prozessualen Zuerkennung eng verbunden ist, konkret also, dass Menschenrechtsverletzungen an Indigenen sich typischerweise nicht nur an Individuen äußern, sondern kollektiv zum Beispiel durch Verhinderung der Landnutzung wirken.338 Im Ergebnis fand der Menschenrechtsausschuss – dazu sogleich – materiell einen Weg, das Ziel des kollektiven Schutzes zu erreichen. Die Zulässigkeitshürde wurde in diesem Fall so genommen, dass die drei Beschwerdeführer sich nicht nur als „trustees for the welfare and rights of the peoples as a whole“, sondern auch als „victims themselves“ bezeichneten und der Ausschuss nur ihre auf eigene Verletzung bezogene Beschwerde zum Gegenstand machte.339 Damit war zugleich der Weg aus der „Zwickmühle“ gewiesen: das Fakultativprotokoll hindert nicht eine Gruppe von Individuen eine Mitteilung gemeinsam zu verfassen, in der sie geltend machen, alle auf ähliche oder gleiche Weise verletzt zu sein. Es ist zwar bei einem Volk eher ___________ 334 Daher komme es auf eine Vertretungsbefugnis auch nicht an, vgl. Cassese, SelfDetermination of Peoples, S. 64. Diesen „Teufelskreis“ kritisiert Skurbaty, As if Peoples Mattered, S. 309. 335 Vgl. in diesem Sinne Nowak, CCPR-Kommentar, Art. 1 Rdnr. 23 ff. und ferner Nowak, CCPR Commentary, Art. 1 Rdnr. 26. 336 Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 66. Dementsprechend hat es der Ausschuss in HRC, A.B. et al. v. Italy, Communication No. 413/1990 Rdnr. 3.2 auch abgelehnt, über die Volkseigenschaft der deutschstämmigen Bevölkerung Südtirols im Sinne des Art. 1 IPbpR zu entscheiden; vgl. dazu m.w.N. Pritchard, in: Indigenous Peoples, the United Nations and human rights, S. 184, 189 Fn. 13. Turpel, 25 Cornell Int. L. J. [1992], 579, 586 bezeichnet das Argument des Ausschusses als Ausrede. 337 HRC, Mikmaq Tribal Society v. Canada, Communication No. 205/1986 Rdnr. 5.1 (Bezug auf die Zulässigkeitsentscheidung vom 25.07.1990). 338 So beispielsweise die Kritik von Turpel, 25 Cornell Int. L. J. [1992], 579, 584. 339 HRC, Mikmaq Tribal Society v. Canada, Communication No. 205/1986 Rdnr. 5.1 u 5.2. (Bezug auf die Zulässigkeitsentscheidung vom 25.07.1990); vgl. ferner Skurbaty, As if Peoples Mattered, S. 307. Auszüge aus den Eingaben der Beschwerdeführer finden sich bei Turpel, 25 Cornell Int. L. J. [1992], 579, 582 ff.

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eine theoretische, da kaum handhabbare Möglichkeit, dass alle Beschwerdeführer namentlich genannt werden können, sie ist aber zugleich nicht ausgeschlossen.340 Eine solche „class action“341 aller von der Verletzung betroffenen Einzelpersonen ist in einer späteren Entscheidung – dazu unten – zumindest mit mehreren Dutzend Personen ausdrücklich auch angenommen worden.342 Damit wird zwar Art. 1 IPbpR nicht zum Gegenstand der Beschwerde gemacht; die Auswirkungen einer staatlichen Maßnahme auf so viele Individuen legt aber eine kollektive Wirkung nahe, die eine ebensolche Schutzmaßnahme nötig macht.343 Dass der Menschenrechtsausschuss, ohne die politisch aufgeladene Debatte um das Selbstbestimmungsrecht führen zu müssen, sachgerechte Ergebnisse produziert hat, wird sogleich zu zeigen sein. Dennoch ist es juristische „Haarspalterei“, dann nicht auch eine Vertretungsmöglichkeit zuzulassen, zumal eine solche auch in eng umgrenzten Ausnahmefällen akzeptiert worden ist, wenn der Betroffene beispielsweise wegen Gefangenschaft nicht selbst aktiv werden kann. Ähnlich hätte zumindest im Blick auf unterdrückte Völker argumentiert werden können.344 (4) Weitere Versuche der Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht Die ablehnende Haltung des Menschenrechtsausschusses, das Selbstbestimmungsrecht im Bezug auf indigene Beschwerdeführer zu prüfen, hat unabhängig von seiner wichtigen Ausgestaltung des Art. 27 IPbpR, sehr negative Reaktionen bei den Betroffenen hervorgerufen, weil diese „Niederlage“ eine hohe symbolische Wirkung habe.345 Dies hat sicher auch damit zu tun, dass die nordamerikanischen Indigenen schon vorher die Erfahrung machen mussten, dass ___________ 340

Evatt, in: Indigenous Peoples, the United Nations and human rights, S. 86, 90; es sei dann auch keine unzulässige actio popularis. 341 Turpel, 25 Cornell Int. L. J. [1992], 579, 589. 342 HRC, Länsman et al. v. Finland, Communication No. 511/1992 Rdnr. 1, 6.3. Dazu Charlesworth, in: Indigenous Peoples, the United Nations and human rights, S. 74, 77; Evatt, in: Indigenous Peoples, the United Nations and human rights, S. 86, 90 f. 343 Charlesworth, in: Indigenous Peoples, the United Nations and human rights, S. 74, 79 spricht bezüglich Art. 1 IPbpR von einem „blind spot“ des Menschenrechtsausschusses. 344 Dabei können die verletzenden Handlungen auch abgeschlossen sein, solange sie noch Auswirkungen zeigen, vgl. Evatt, in: Indigenous Peoples, the United Nations and human rights, S. 86, 96 f. 345 Vgl. zur Kritik nur Turpel, 25 Cornell Int. L. J. [1992], 579, 586 (Zugeständnis wäre „breakthrough of enormous psychological significance“ gewesen), 596 („profound disappointment to the Mikmaq, perhapts even a betrayal of sorts after the favorable admissibility decision“), 601 („illustrates the insensitivity of these bodies to the political context of indigenous peoples‘ situations“). Sie hält daher den Menschenrechtsausschuss für indigene Völker für kaum mehr brauchbar, ebda. S. 596 f.

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auch kein anderes judizielles Organ der UN ihre Selbstbestimmungsforderungen als zulässig annimmt und prüft. So hatten die Mikmaq erfolglos versucht, sich ihr Recht zunächst durch Einbindung des IGH zu erkämpfen.346 Die grundsätzlich mögliche Berufung auf das 1503-Verfahren haben die in den USA lebenden Mohawk und die traditionellen Hopi 1980 durch eine Eingabe bei der Menschenrechtskommission versucht fruchtbar zu machen,347 erhielten aber auf ihre Beschwerde nie eine Reaktion.348 bb) Die materiellen Rechte Da der Menschenrechtsausschuss wegen der beschriebenen Zulässigkeitsprobleme keine materielle Aussagen zum Gehalt von Art. 1 IPbpR in Bezug auf indigene Beschwerdeführer getroffen hat, sind seine „views“ zum Inhalt von Art. 27 IPbpR für die Indigenen in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen.349 (1) Lovelace v. Canada und die Einschlägigkeit von Artikel 27 IPbpR Schon vor der ersten Mikmaq-Entscheidung hatte der Ausschuss in „Lovelace v. Canada“ 1981 Gelegenheit, den Gehalt von Art. 27 IPbpR auszuloten.350 Die Beschwerdeführerin war Maliseet-Indianerin von Geburt, verlor ihren Status als Indianerin durch die Heirat mit einem Nichtindianer. Gemäß dem einschlägigen „Canadian Indian Act“ (Art. 12 I lit b)) hatte sie mit ihrem Status als Indianerin auch ihr Wohnrecht im Maliseet-Reservat verloren. Als sie nach der Scheidung wieder in das Reservat ziehen wollte und ihr dies aber verwehrt wurde und sie auch gerichtlich ohne Erfolg blieb, machte sie eine Mitteilung an den UN-Menschenrechtsausschuss. Dieser bejahte eine Verletzung des Art. 27 IPbpR durch Kanada, weil der Maliseet-Indianerstamm eine Minderheit sei und die Beschwerdeführerin Angehörige dieser Minderheit sei, zu der sie Beziehungen aufrechterhalten habe und zu der sie daher auch weiterhin gehöre. Zwar seien gewisse Einschränkungen des Minderheitenstatus zulässig, aber die Verweigerung des Wohnrechts sei nicht verhältnismäßig oder nötig für den Erhalt der Identität der Minderheit. Daher sei der Beschwerdeführerin ihr Recht ge___________ 346

Barsh, 62 Oreg. L. Rev. [1983], 73, 98. Ausf. dazu Kronowitz/Lichtman/McSloy/Olsen, 22 Harv. Civil Rts. Civil Liberties L. Rev. [1987], 507, 604 ff. mit Argumentationslinien und der Antwort der USA auf S. 608 ff. 348 Kronowitz/Lichtman/McSloy/Olsen, 22 Harv. Civil Rts. Civil Liberties L. Rev. [1987], 507, 611. 349 Pritchard, in: Indigenous Peoples, the United Nations and human rights, S. 184, 196. 350 HRC, Lovelace v. Kanada, Communication No. 24/1977. 347

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nommen, zu ihrer „native culture and language“ in Gemeinschaft mit anderen Minderheitsangehörigen Zugang zu erhalten.351 (2) Kitok v. Sweden: Indigenes Individuum gegen indigene Gruppe Diese Rechtfertigungskriterien für Eingriffe in Art. 27 IPbpR bestätigte der Ausschuss einige Jahre später in Kitok v. Sweden und kam in diesem Fall zum gegenteiligen Ergebnis.352 Ivan Kitok, ein gebürtiger Sami, hatte nach einem schwedischen Gesetz das Recht zur Rentierzucht verloren, da er länger als drei Jahre einer anderen Tätigkeit nachging und er von keiner Sami-Gemeinschaft als Mitglied ausdrücklich anerkannt war, die ihm hätte Zuchtrechte zurück gewähren können. Er wehrte sich dagegen, dass er die verlorenen Zuchtrechte nicht mehr zurückerhielt und brachte den Fall vor den Menschenrechtsausschuss. Dieser ging zunächst davon aus, dass wirtschaftliche Aktivitäten in den Schutzbereich des Art. 27 IPbpR fallen, wenn sie kulturspezifisch sind, was über den Fall hinaus von grundlegender Bedeutung ist. Rentierzucht sei ein spezifisches Element der Sami-Kultur, weshalb sich in diesem Falle Kitok grundsätzlich auf die Norm berufen konnte. Über diese Interpretation des Art. 27 IPbpR, der bestimmte Arten der Nutzung von Land schützt, ist trotz des Fehlens einer ausdrücklichen Landrechte-Schutzregelung im Menschenrechtspakt materiell eine solche geschaffen worden.353 Ziel des Gesetzes ist es aber, die Rentierzuchtrechte weitgehend auf Angehörige der Sami-Gemeinschaften zu beschränken, um diesen ein Überleben zu ermöglichen. Damit ist die Einschränkung des Art. 27 IPbpR nach der Sichtweise des Menschenrechtsausschusses gerechtfertigt, weil nur so der Schutz der Gesamtheit der Sami, an deren Status als Minderheit weder der Beschwerdeführer, noch Schweden, noch der Ausschuss Zweifel geäußert hatten,354 möglich sei. Der Ausschuss hält die Einschränkung von Individualrechten eines Minderheitsangehörigen aus Art. 27 dann für gerechtfertigt, wenn sie für das Überleben und Wohlbefinden der Minderheit in ihrer Gesamtheit notwendig ist.355 Die „minority group“ als Kollektiv hat demzufolge eine andere Identität als die Individuen, aus denen sie besteht. Eingriffe in den primär individual___________ 351 Zu dieser Entscheidung vgl. auch Pritchard, in: Indigenous Peoples, the United Nations and human rights, S. 184, 196 f. 352 HRC, Kitok v. Sweden, Communication Nr. 197/1985. 353 Evatt, in: Indigenous Peoples, the United Nations and human rights, S. 86, 115. 354 Vgl. Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 95. 355 So auch Pritchard, in: Indigenous Peoples, the United Nations and human rights, S. 184, 197; Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 83 hält die Einbeziehung des Schutzes der kulturellen Identität der gesamten indigenen Gemeinschaft in die Entscheidung für deren „Mindesterfolg“.

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rechtlich zu verstehenden Art. 27 IPbpR müssen also nicht nur verhältnismäßig, sondern auch „necessary for the continued viability and welfare of the minority as a whole“ sein.356 Im konkreten Fall musste Kitok deshalb die Aberkennung seiner Zuchtrechte hinnehmen, weil sonst ökonomische und ökologische Voraussetzungen für das Funktionieren der Rentierzucht und damit der SamiGemeinschaft gefährdet würden. Die beiden Fälle zu Art. 27 IPbpR legten aber auch die Ansicht des Menschenrechtsausschusses offen, dass generell staatliche Regelungen über die Zugehörigkeit zu Minderheiten nicht als solche gegen die Vorschrift verstoßen und indigene Völker damit kein uneingeschränktes Recht haben, frei über die Mitgliedschaft zu ihrer Gemeinschaft zu bestimmen.357 Zugehörigkeitsmerkmale dürften nur übergangen werden, wenn „the measure is shown to be reasonably and objectively justified“.358 (3) Ominayak v. Canada: Individualrecht mit Gruppenschutzrichtung Wie bereits oben erläutert, scheiterte der Versuch Bernard Ominayaks, seine Beschwerde gegen Kanada auf Art. 1 IPbpR zu stützen. Jedoch ist klarzustellen, dass der Ausschuss lediglich eine Berufung auf diesen Artikel im konkreten Fall nicht zugelassen, aber keinesfalls eine Einschlägigkeit der Vorschrift für Indigene ausgeschlossen hat. Vielmehr hat er unterstrichen, dass „the Covenant recognizes and protects in most resolute terms a people’s right of selfdetermination [...] as an essential condition for the effective guarantee and observance of individual human rights“.359 Die Beschwerde wurde aber hinsichtlich Art. 27 zugelassen, weil diese Vorschrift auch wirtschaftliche und soziale Aktivitäten schütze, die Bestandteil der Kultur einer bestimmten Gemeinschaft sind.360 Ominayak wehrte sich im Interesse des „Lubicon Lake Band“ gegen die geplante Enteignung von Land der Gemeinschaft, das für Rohstoffausbeutung in Form von Abholzung und Öl- und Gasbohrungen freigegeben werden sollte. Sowohl historische Ungleichgewichte als auch jüngere politische Entscheidungen gefährdeten nach Ansicht des Menschenrechtsausschusses die Lebensweise und Kultur der konkreten Gemeinschaft und verletzten damit Art. 27 IPbpR so ___________ 356

HRC, Kitok v. Sweden, Communication Nr. 197/1985 Rdnr. 9.8. Wright, 19 Oxford Journal of Legal Studies [1999], 605, 609. 357 Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 81. 358 Myntti, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 277, 286. 359 HRC, Ominayak/Lubicon Lake Band v. Canada, Communication No. 167/ 1984 Rdnr. 13.3. Vgl. zu dieser Passage Turpel, 25 Cornell Int. L. J. [1992], 579, 586 f. 360 HRC, Ominayak/Lubicon Lake Band v. Canada, Communication No. 167/1984 Rdnr. 14, 32.2; vgl. dazu auch Skurbaty, As if Peoples Mattered, S. 298 ff.

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lange sie andauerten. Jeden Mitgliedstaat treffe eine Schutzpflicht hinsichtlich der kulturellen Identität von Gruppen im Ganzen, wozu auch deren wirtschaftliche und soziale Betätigung gehöre, die in vorliegendem Fall gestört werden würde.361 Der Ausschuss akzeptierte die von Kanada im Verfahren angebotenen Landerstattung und Enschädigungszahlungen, die dem Stamm als solchem zugesprochen wurden.362 Mit dieser Entscheidung bestätigte sich die Ansicht, dass eine Gruppenschutzrichtung bei der Auslegung des Art. 27 IPbpR durch den Ausschuss einbezogen wird. Die rechtliche Geltendmachung bleibt zwar individualbezogen, inhaltlich wird aber die Gruppe als solche privilegiert, hier durch die Entschädigungszahlung und die Zurückerteilung von Land.363 (4) Länsman v. Finland: Abwägungkriterien für wirtschaftliche Landnutzung Die „views“ zu Kitok und Ominayak waren die Basis für die Entscheidung in Länsman v. Finland.364 Ilmari Länsman und zahlreiche weitere Beschwerdeführer waren Sami, die Rentierhaltung betrieben.365 Sie wehrten sich gegen eine Entscheidung des finnischen Forstministeriums, dass einem Unternehmen die Erlaubnis zum Steinabbau und -abtransport an der Flanke eines für sie heiligen Berges erteilt hatte. Die Begründung der Beschwerde stützte sich jedoch darauf, dass ihr unter Art. 27 IPbpR geschütztes Recht der traditionellen Rentierzucht der Sami durch die Aktivitäten des Unternehmens beschädigt würde, weil die Rentiere in ihren Brunft- und Aufzuchtgebieten gestört würden. Zunächst stellte der Ausschuss wiederum klar, dass wirtschaftliche Aspekte unter die Minderheitenschutzvorschrift fallen und lehnte ausdrücklich das Argument Finnlands ab, damit würde nur ganz traditionelles Leben der Gemeinschaften geschützt. Vielmehr unterfalle die Sami-Gemeinschaft auch weiterhin dem Schutz, obwohl sie Zuchtmethoden modernisiert hatten. Im konkreten Fall sah ___________ 361

In diesem Sinne auch Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme,

S. 83. 362 Konkret akzeptierte der Menschenrechtsausschuss das Angebot der kanadischen Regierung zur Zahlung von 45 Mio. Can $ und der Ausweisung von 95 km2 Reservatsfläche als adäquate Umsetzung der Vorgaben von Art. 27 IPbpR, vgl. Skurbaty, As if Peoples Mattered, S. 308. Kanada gab bei der Prüfung seines ersten Staatenberichts vor dem Menschenrechtsausschuss an, dass der IPbpR und die Aussagen des Ausschusses dazu sowohl den Gesetzgeber als auch die Gerichte Kanadas erheblich beeinflusse, dazu Williams-Vedder, Die Rechtsstellung der eingeborenen Völker, S. 176. 363 So auch z.B. Riedel, in: Aktuelle Probleme des Menschenrechtsschutzes, S. 49, 67. 364 HRC, Länsman et al. v. Finland, Communication No. 511/1992. 365 Obwohl Art. 27 IPbpR ein Individualrecht sei, war weder Anwendbarkeit auf die Sami als Minderheit noch das Einbringen durch Dutzende Personen ein Entscheidungshindernis, vgl. Evatt, in: Indigenous Peoples, the United Nations and human rights, S. 86, 114.

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der Ausschuss aber keine Verletzung, weil die genehmigte Minentätigkeit nur geringen Umfang habe und die Interessen der Sami bei der Entscheidung mit berücksichtigt worden seien. Gleichzeitig stellte er aber klar, dass solche Genehmigungen in größerem Umfang durchaus eine Verletzung des Rechts auf Ausübung der eigenen Kultur der Beschwerdeführer nach sich ziehen könnten.366 (5) Mikmaq v. Canada und politische Beteiligungsrechte Die schon in Zulässigkeitshinsicht wichtige Beschwerde der MikmaqGemeinschaft, die durch mehrere Beschwerdeführer vorgetragen wurde, hat auch inhaltlich die vorherige Spruchtätigkeit des Ausschusses erweitert, wenngleich auch dieser Versuch, eine Verletzung der Rechte durch Kanada zu rügen, im Ergebnis für die Betroffenen fehlschlug.367 Die Beschwerdeführer rügten, dass ihr Mikmaq-Volk an den Verhandlungen über die zukünftige Ausgestaltung der Beziehungen zwischen dem kanadischem Staat und der indigenen Bevölkerung im Anschluss an die Verfassungsreform von 1982 ausgeschlossen worden war.368 Damit sei ihnen als Mitglieder der Mikmaq Tribal Society das nach Art. 25 lit a) IPbpR gewährte Recht jedes Staatsbürger an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten teilzunehmen, vorenthalten worden. Dieses individuelle Recht auf politische Beteiligung ist häufig auf die Möglichkeit zur Teilnahme an Wahlen reduziert worden, erstreckt sich aber nach Aussagen des Menschenrechtsausschusses darüber hinaus. So seien zwar üblicherweise nur die gewählten staatlichen Vertreter der föderalen oder Provinzebene an den politischen Entscheidungen als Repräsentanten des Volkswillens beteiligt. In diesem Sonderfall waren aber die Indigenen als in ihrem Status Betroffene an den Verhandlungen zu beteiligen.369 Wie diese Beteiligung aber letztlich aussieht, kann innerstaatlich festgelegt werden. Insbesondere muss nicht jede potentiell betroffene Gruppe an den Verhandlungen beteiligt werden. Daher lehnte der Ausschuss eine Verletzung ab, weil ausgewählte Vertreter der indigenen Bevölkerung durch die Vertreter der Dachorganisation, insbesondere der Assembly of First Nations bei den Verhandlungen

___________ 366

Dazu auch Triggs, 23 Melb.U.L.Rev. [1999] 372, 385 f.; Pritchard, in: Indigenous Peoples, the United Nations and human rights, S. 184, 199. 367 HRC, Mikmaq Tribal Society v. Canada, Communication No. 205/1986 Rdnr 5.1. 368 Zu diesen Konferenzen vgl. allg. Williams-Vedder, Die Rechtsstellung der eingeborenen Völker, S. 91 ff. 369 HRC, Mikmaq Tribal Society v. Canada, Communication No. 205/1986 Rdnr. 5.4 ff.

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zugegen waren.370 Diese eher formale als materielle Herangehensweise an die Frage der Beteiligungsrechte bedeutete, dass die von Kanada gewählte Einschränkung des Beteiligungsrechtes, nämlich nicht alle indigenen Stämme einzuladen, nicht unverhältnismäßig gewesen war.371 Das Argument der Mikmaq, die indigene Bevölkerung Kanadas sei keine einheitliche Rasse, die durch einen pan-indigenen Zusammenschluss vertreten werden könne, blieb dabei unberücksichtigt.372 Auch bleibe bei dieser Schlussfolgerung das Dilemma unbeantwortet, dass gerade in Kanada viele indigene Gruppierungen bewusst eine Teilnahme am politischen Diskurs des Staates vermieden hätten, um ihren Anspruch zu unterstreichen, ein anderes Volk mit Souveränitätsrechten zu sein. Das Recht, eigene Institutionen für den politischen Prozess zu schaffen wurde hier zugunsten einer ausdrücklich und als gewichtig anerkannten Rechtsposition zur Einbindung im politischen Entscheidungsprozess der durch den Staat Kanada geschaffenen Organe zurückgedrängt.373 Daher sei der indigenen Bevölkerung Kanadas anzuraten, sich – wie später geschehen – am Reformprozess zu beteiligen, weil sie sonst ihrer Stimme kein Gehör verleihen könnten.374 Mit diesem Fall sei nämlich die Tür zu selbstbestimmungsrechtsbezogenen Beschwerden beim Menschenrechtsausschuss ebenso zugeschlagen worden wie bezüglich weit gehender Beteiligungsrechte für indigene Völker.375 Andererseits liegt in der konkreten Niederlage der Mikmaq ein zwar für diese nicht helfender Erfolg, dass durch den Ausschuss klargestellt wurde, dass er die Situation indigener Völker durchaus in besonderer Weise zu würdigen versteht. Ähnlich geht er auch bezüglich Art. 1 IPbpR davon aus, dass eine Beschwerde alleine auf diese Vorschrift nicht durch ein Individuum vorgebracht werden kann, dass die Vorschrift aber relevant ist, um die übrigen Individualrechte zu interpretieren.376

___________ 370

Dieser hatte jedoch bei den innerkanadischen Beschwerden der Mikmaq deren Position gegen das Argument des kanadischen Staates unterstützt, dass die Assembly nicht ohne Weiteres jeden Stamm bei den Verhandlungen über den neuen Status der First Nations vertreten könne, vgl. Turpel, 25 Cornell Int. L. J. [1992], 579, 585. 371 Diese Kategorisierung nimmt Pritchard, in: Indigenous Peoples, the United Nations and human rights, S. 184, 193 vor. 372 Kritisch daher Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 75; ähnlich schon Turpel, 25 Cornell Int. L. J. [1992], 579, 597 f. 373 Turpel, 25 Cornell Int. L. J. [1992], 579, 593. 374 Turpel, 25 Cornell Int. L. J. [1992], 579, 595. 375 Turpel, 25 Cornell Int. L. J. [1992], 579, 596. 376 Später z.B. bestätigt in HRC, Apirana Mahika et al. v. New Zealand, Communication No. 547/1993 Rdnr. 9.2; vgl. dazu auch Foster, 12 EJIL [2001], 141, 149, 157.

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(6) Hopu v. France: Landrechte auch in anderen Paktvorschriften In der Entscheidung Hopu et. al. v. France ging es um die Genehmigung eines Hotelbaus auf Tahiti, der auf traditionellem Grabesgebiet der dortigen indigenen Bevölkerung, das ihnen 1961 durch Enteignung genommen worden war, errichtet werden sollte. Darin sah der Ausschuss eine Verletzung des Rechts auf Schutzes der Familie und Privatsphäre nach Art. 17 I und 23 I IPbpR.377 Besonders bedeutsam ist an dieser Entscheidung, dass sie gegen Frankreich ergangen ist, das gegen Art. 27 IPbpR bei der Ratifikation des Paktes einen Vorbehalt angemeldet hatte, weshalb eine darauf gestützte „Verurteilung“ – jedenfalls nicht ohne Ungültigerklärung des Vorbehalts – nicht möglich gewesen wäre. Der Menschenrechtsausschuss hat deutlich gemacht, dass Beziehungen indigener Völker zu ihrem Land auch über andere Individualrechte des Paktes, als nur den Minderheitenschutzartikel oder Art. 1 IPbpR konstruiert werden können.378 3. Die Rechtsstellung indigener Völker nach der Anti-Rassismus-Konvention a) Das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung Im Zusammenhang mit indigenen Völkern spielt vertragsrechlich innerhalb der UN ferner das „Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung“ (International Convention on the Elimination of all Forms of Racial Discrimination)379 von 1966 eine Rolle, das wie die Menschenrechtspakte eine verbreitete Ratifizierung erfahren hat.380 Art. 1 definiert Rassendiskriminierung zusammangefasst als jede Benachteiligung durch Unterscheidung aufgrund „rassischer“ Merkmale.381 Diese wird von den Vertragsstaaten verurteilt und sie verpflichten sich mit allen geeigneten Mitteln zur Beiseitung der Rassendiskriminierung beizutragen, wofür in Art. 2 Abs. 1 CERD ein Katalog mit Maßnahmen aufgenommen worden ist.382 Ähnlich wie ___________ 377

HRC, Francis Hopu et al. v. France, Communication No. 549/1993 Rdnr. 11. Triggs, 23 Melb.U.L.Rev. [1999] 372, 387. 379 Abgedr. in: Tomuschat (Hrsg.), Völkerrecht, Nr. 14. 380 O’Flaherty, in: Indigenous Peoples, the United Nations and human rights, S. 162, 163. 381 Dabei ist die Definition von „Rasse“ sehr weit zu verstehen, so Felice, 24.1 (2002) HRQ, 205. 382 Zu den einzelnen materiellen Vorschriften des Übereinkommens O’Flaherty, in: Indigenous Peoples, the United Nations and human rights, S. 162, 165 ff. 378

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beim IPbpR ist ein „Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung“ (Committee on the Elimination of Racial Discrimination, CERD) eingerichtet worden, der über die gemäß Art. 9 CERD mindestens alle zwei Jahre einzureichenden Staatenberichte berät und Abschlussbewertungen dazu verfasst.383 b) Sichtweise des Ausschusses zu indigenen Völkern Gemäß Art. 9 Abs. 2 CERD hat der CERD die Möglichkeit, allgemeine Empfehlungen abzugeben. In der „General Recommendation on the Rights of Indigenous Peoples“384 streicht der Ausschuss heraus, dass er im Rahmen seiner Prüfung der Staatenberichte die Situation indigener Völker immer besonders genau überprüft, weil Diskriminierungen gegen diese eindeutig in den Anwendungsbereich der Konvention fallen (Ziff. 1).385 Zudem stellt er in Ziff. 3 klar, dass Diskriminierung gegenüber Indigenen nicht nur in der Vergangenheit, sondern bis heute in vielen Regionen der Welt noch immer ein massives Problem sei. Daher sollten Staaten die „indigenous distinct culture, history, language and way of life as an enrichment of the State’s cultural identity“ respektieren und fördern, die Entwicklung der Mitglieder indigener Völker ohne Diskriminierung und durch unterstützende Maßnahmen ermöglichen, sowie sicherstellen, dass kulturelle Traditionen und Gewohnheiten gelebt und wiederbelebt werden könnten (Ziff. 4). In Ziff. 5 schließlich ruft der Ausschuss die Vertragsstaaten dazu auf, zu Unrecht weggenommenes Land zurückzugeben und nur ausnahmweise durch andere Formen der Kompensation wieder gut zu machen. Diese Sichtweise wendet der Ausschuss seither bei der Prüfung von Staatenberichten noch konsequenter an.386 So zeigt beispielsweise die Behandlung der

___________ 383 Vgl. allg. Steiner/Alston, International Human Rights, S. 773 ff.; ausf. Felice, 24.1 (2002) HRQ, 205, 210 ff. 384 CERD, General Recommendation on the Rights of Indigenous Peoples VIII (1997); abgedr. z.B. in Annex, 59 ZaöRV [1999], 573 f. 385 Aufgrund der sehr weiten Definition von „Rassendiskriminierung“ in Art. 1 des Übereinkommens fielen wesentlich mehr Gruppen in den Anwendungsbereich, ohne dass sie dies merkten, vgl. O’Flaherty, in: Indigenous Peoples, the United Nations and human rights, S. 162, 165. 386 Ein erstes Beispiel mit zahlreichen Bezügen zu den Aborigines war die Behandlung des Berichts von Australien 1994, vgl. dazu O’Flaherty, in: Indigenous Peoples, the United Nations and human rights, S. 162, 173; Felice, 24.1 (2002) HRQ, 205, 217 f. hält die Berichtsprüfungen für zu mild und ineffektiv (S. 225), übersieht jedoch, dass der Ausschuss weitgehende Forderungen an die Staaten stellt, die über die Grenzen des Übereinkommens hinaus reichen.

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gemeinsam eingereichten ersten drei Staatenberichte der USA,387 dass die Ausschussmitglieder bei der Befragung der Staatendelegation über ihren Bericht weitgehende Forderungen zur Erfüllung der genannten Punkte und entsprechende Klarstellungen in zukünftigen Berichten forderten.388 Auch im Rahmen der Arbeit unter dem Völkervertragsrecht der Anti-Rassismus-Konvention haben die indigenen Völker demzufolge eine herausgehobene Stellung als besondere verwundbare Gruppe innerhalb der Vertragsstaaten.

V. Indigene an der Jahrtausendwende: Renaissance eines Völkerrechtssubjekts 1. Allgemeines Mit der wachsenden Selbstbesinnung auf die eigene Besonderheit durch die Indigenen und dem gestiegenen Selbstbewusstsein bei der Vertretung ihrer Positionen geht auch in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts eine Renaissance der indigenen Völker in zahlreichen internationalen Organisationen, auf verschiedenen politischen Bühnen der Welt einher. Besonders gut ist dies zu belegen an der Behandlung der indigenen Völker innerhalb der Vereinten Nationen, weshalb diese genauer untersucht wird. Es soll jedoch vorab verdeutlicht werden, dass schon in der Vorgängerinstitution der UN Vertreter kanadischer Indianer versucht hatten, durch einen Besuch am Sitz des Völkerbundes in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Aufmerksamkeit für ihre Probleme zu erregen.389 Als Vertreter der Haudenosaunee(„Irokesen“)-Nation reiste 1924 Chief Deskaheh, der heute als „pioneer among indigenous activists at the international level“ bezeichnet wird,390 zum Völkerbund mit dem Ziel, dass die Haudenosaunee als Mitglied aufgenommen werden.391 Diese Petition wollte er über die dänische Regierung ___________ 387

Kritisch zur deutlich verspäteten Einreichung (der erste Bericht war im November 1995 fällig) äußert sich Felice, 24.1 (2002) HRQ, 205, 215 388 So insbesondere CERD, Summary Record 2001 Rdnr. 33. Vgl. ferner CERD, Concluding Observations: United States of America 2001 Rdnr. 384, 403. 389 Zu einigen früheren Versuchen indigener Vertreter, gegenüber Kolonialmächten eine Neubehandlung ihres Status zu erreichen Sanders, in: The Human Rights of Indigenous Peoples, S. 73. 390 So die Charakterisierung von Burger, in: The Human Rights of Indigenous Peoples, S. 3 Fn. 1. 391 1921 hatte er erfolglos versucht, in Großbritannien Gehör zu finden, indem er dort auf die verstärkte zwangsweise Assimilation Kanadas verwies, die gegen einen alten Bündnisvertrag zwischen den Haudenosaunee und den Briten verstoße, vgl. dazu Washinawatok, 3 N.Y. City L. Rev 41 [1998], 42 f., die eine eindrückliche Schilderung der ganzen Europareise gibt.

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einbringen, weil die Irokesen im 17. Jahrhundert mit Dänemark verbündet waren. Es gab von mehreren kleineren Staaten tatsächlich Sympathien für den Vorstoß, aber die Briten intervenierten mit dem Hinweis, es handle sich beim Status der Haudenosaunee um eine interne Angelegenheit und daher wurde das Anliegen nie offiziell diskutiert.392 Jedoch reisen Vertreter dieser Indianernation bis heute zu den UN-Sitzungen in Genf mit einem eigenen HaudenosauneePass und nicht einem US-amerikanischen oder kanadischen Ausweisdokument.393 Auch bei der Gründung der UN waren Vertreter der Irokesenföderation in San Francisco anwesend, um eine Anerkennung ihres unabhängigen Status zu erreichen.394 2. Die Stellung der indigenen Völker in der UN a) Die Frühphase der UN und die ILO Schon eine sehr frühe Resolution der UN-Generalversammlung thematisierte die indigenen Völker.395 Diese 1949 verabschiedete Resolution bot den Staaten des amerikanischen Kontinents – offenkundig war sie an Südamerika gerichtet – Hilfe bei der Untersuchung der Situation der indigenen Bevölkerungen an, wenn eine solche Unterstützung von den betroffenen Staaten beantragt würde.396 Da jedoch selbst Bolivien, das den Resolutionsentwurf eingebracht hatte, diese Hilfe nie in Anspruch nahm, blieb die Resolution ohne praktische Folgen.397 Die ersten greifbaren Ergebnisse erbrachte dagegen die Sonderorganisation ILO. Die Internationale Arbeitsorganisation verabschiedete – wie bereits mehrfach dargestellt – bereits 1957 eine Konvention, die die Behandlung der indigenen Völker im Rahmen des Arbeitslebens in den Mitgliedstaaten der Konvention zum Gegenstand hatte.398 Damals war die Konvention von der ___________ 392 Vgl. dazu Venne, Our elders understand our rights, S. 30; Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 127. 393 Zu den Hintergründen der Politik der Verwaltung von Genf und der Schweiz vgl. die Schilderung von Oren Lyons bei Goldmann, 87 Am. Soc’y. Int’l. L. Proc. [1993], 190, 195 f. 394 Dazu Sanders, in: The Human Rights of Indigenous Peoples, S. 73, 74. 395 Zu den Aktivitäten der UN bezüglich indigener Völker vgl. auch die Informationen in High Commissioner for Human Rights, Fact Sheet on the Rights of Indigenous Peoples. 396 Res. 275 (III) v. 11.05.1949. 397 Vgl. Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 127; die USA waren bereits damals wegen angeblicher Kompetenzüberschreitung gegen eine solche Studie, wie Stomski, 16 Am. Ind. L. Rev. [1991], 575, 576 zeigt. 398 Zu früheren Aktivitäten der ILO, teilweise noch während der Völkerbundära vgl. Venne, Our elders understand our rights, S. 32 f.

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Vorstellung geprägt, die Indigenen müssten an die Lebensverhältnisse der „zivilisierten“ Mehrheit angepasst werden.399 Diese Haltung wurde jedoch im Einklang mit anderen Aktivitäten in der UN umgestellt und führte 1989 zur Verabschiedung der revidierten Konvention Nr. 169, die bereits erörtert wurde. b) Indigene Völker als menschenrechtliches Thema aa) Die Organe der UN Diese veränderte Haltung begann sich in der UN zu etablieren, als zu Beginn der siebziger Jahre die für Menschenrechtsfragen zuständige Abteilung sich dem Phänomen der indigenen Völker im Rahmen der Arbeit gegen rassische Diskriminierungen zuwandte. Dazu ist kurz die Struktur dieser Abteilung zu charakterisieren:400 Als eines der UN-Hauptorgane gemäß Art. 61 ff. UNCharta berichtet der mit Vertretern von 54 Staaten besetzte Wirtschafts- und Sozialausschuss (Economic and Social Council, ECOSOC) direkt der Generalversammlung und hat die Kompetenz, Studien in Auftrag zu geben, Empfehlungen auszusprechen und Berichte abzuliefern, die internationale wirtschaftliche, soziale, kulturelle, Erziehungs-, Gesundheits- und verwandte Aspekte sowie die Menschenrechte und Grundfreiheiten behandeln.401 Gemäß Art. 68 UNCharta richtet der ECOSOC nach seinem Ermessen Kommissionen zu Menschenrechtsfragen ein und überwacht die Arbeit der „treaty-monitoring bodies“, die im Rahmen der verschiedenen Menschenrechtsverträge die Einhaltung der Bestimmungen prüfen und zum großen Teil direkt an die Generalversammlung berichten.402 Die bis 2006 bestehende allgemeine „Commission on Human Rights“ (Menschenrechtskommisson) richtete für staaten- oder themenspezifische Menschenrechtsfragen Unterausschüsse ein oder beauftragte sog. „Special Rapporteurs“ als individuelle Experten, zu bestimmten Fragen Studien zu erarbeiten. Auch die Menschenrechtskommission ist ein mit 53 Staatenvertretern besetztes Gremium, das aber in seine Arbeit auch Nichtregierungsorganisationen einbindet. Bereits 1947 errichtete die Menschenrechtskommission eine „Sub-Commission on the Prevention of Discrimination and Protection of Minorities“ (Unterkommission zur Verhinderung jeder Art von Diskriminierung und zum Schutze der Minderheiten, später umbenannt in „Sub-Commission on the Promotion and Protection of Human Rights“), die als Expertenausschuss mit 26 ___________ 399

Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 125. Im Überblick auch bei Venne, Our elders understand our rights, S. 47 ff. 401 Zum ECOSOC allg. Herdegen, Völkerrecht, § 40, Rdnr. 19 ff.; Epping, in: Völkerrecht, § 32 Rdnr. 55 ff. 402 Beispielhaft genannt sei nur der Menschenrechtsausschuss („Human Rights Committee“), der für den IPbpR zuständig ist. 400

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unabhängigen, von Staaten vorgeschlagenen, von der Menschenrechtskommission gewählten Menschenrechtskennern Studien und Empfehlungen erarbeitet. Die Sub-Commission ist mit der Reform des Menschenrechtssystems 2006 nach der 58. Session im August dieses Jahres aufgelöst worden. Der Menschenrechtsrat bedient sich aber nunmehr einer Beratenden Kommission für die Koordinierungsaufgaben.403 Die frühere Sub-Commission benannte häufig einzelne Mitglieder als Special Rapporteur, um zu bestimmten konkreten Fragestellungen umfassende Studien zu erarbeiten. Für den vorliegenden Zusammenhang noch wesentlicher war aber die Möglichkeit der Sub-Commission ihrerseits sog. „Working Groups“ einzurichten, die dauerhaft vorbereitend vor den jährlichen Sessionen zu einzelnen Themengebieten arbeiteten, wie z.B. die Arbeitsgruppe zur Durchführung des 1503-Verfahrens oder zu Minderheitenfragen („Working Group on Minorities“). Die Einrichtung des Hohen Kommissars für Menschenrechte („High Commissioner for Human Rights“)404 auf Empfehlung der Weltmenschenrechtskonferenz von Wien 1993 hat zwar eine gewisse Neu-Organisation und -Ausrichtung der Menschenrechtsarbeit in der UN gebracht, nicht aber eine materielle Veränderung der Behandlung von Fragen bezüglich indigener Völker.405 In erster Linie beabsichtigt war mit diesem Amt eine Koordinierung der verschiedenen Aktivitäten und eine bessere Außendarstellung der Arbeit. bb) Die Diskriminierungs-Studie Im Rahmen dieser Struktur der Menschenrechtsabteilung war es die „SubCommission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities“, die 1971 nach Zustimmung des ECOSOC eine Studie in Auftrag gab, um die negativen Auswirkungen der Rassendiskriminierung gerade auf indigene Völker zu untersuchen. Special Rapporteur José Martinez Cobo sollte umfassend zur Diskriminierung Auskunft geben, wobei sich das Thema der Studie bald schon zu einer allgemein menschenrechtlichen Untersuchung erweiterte. Die vollständige, mehrbändige Studie wurde zwischen 1981 und 1984 veröffentlicht,406 bis ___________ 403

Näher zu diesem neuen Organ www2.ohchr.org/english/bodies/hrcouncil/ und zur Beratenden Kommission www2.ohchr.org/english/bodies/hrcouncil/advisorycommittee. htm. 404 Dazu Gareis/Varwick, Die Vereinten Nationen, S. 198 ff. 405 Venne, Our elders understand our rights, S. 49 empfiehlt indigenen Völker direkt über den High Commissioner eine Unterstützung ihrer Position zu ersuchen, weil in der Wiener Deklaration ausdrücklich auch auf diese eingegangen wird. 406 Einen Fundstellennachweis zu den einzelnen Bänden und Zwischenberichten findet sich bei Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 128 Fn. 483.

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1986 erarbeitete er ferner die Empfehlungen, wie mit den Ergebnissen weiter zu verfahren sei.407 Schon die Zwischenberichte der Cobo-Studie machten deutlich, dass es sich um ein grundlegendes und vernachlässigtes Problem handle, weshalb der ECOSOC der Einrichtung einer „Working Group on Indigenous Populations“ (WGIP) als Teil der Sub-Commission zustimmte, die erstmals im August 1982 zusammenkam.408 cc) Die Working Group on Indigenous Populations (1) Aufbau der WGIP Diese Arbeitsgruppe bestand aus fünf Experten – aus jeder Region der Welt409 –, die sich mit indigenen Fragen befassten und wurde lange Zeit von Chairperson-Rapporteur Erica-Irene Daes geleitet.410 Eine der Aufgaben war die Sammlung von Daten über die Situation indigener Völker auf der Welt sowie die Menschenrechtslage bezüglich dieser Bevölkerungsteile. Ferner sollte über die Erarbeitung von Standards zu Rechten indigener Völker nachgedacht werden. Dieses Ziel wurde von der Working Group als Erarbeitung eines Entwurfs für eine Deklaration über die Rechte indigener Völker verstanden, was seit 1984 zum Hauptaufgabengebiet der Arbeitsgruppe wurde.411 (2) Mitwirkung indigener Völker Die Besonderheit dieser Working Group ist ihre Herangehensweise an die von ihrer Arbeit Betroffenen. Im Gegensatz zu dem bis dahin üblichen Umgang in der UN hat sich die Working Group allen Vertretern indigener Völker gegenüber geöffnet und nicht nur Nichtregierungsorganisationen mit offiziellem Beraterstatus beim ECOSOC sprechen lassen, was für die Arbeit von „subsidia___________ 407

Cobo, Study of the Problem of Discrimination against Indigenous Populations, Vol. V – Conclusions, Proposals and Recommendations; zur Bedeutung der Studie Lâm, At the Edge of State, S. 43. 408 Grundlegend dazu Washinawatok, 3 N.Y. City L. Rev 41 [1998], 46 ff.; sie schildert auch auf S. 41 f. den symbolischen und wirkungsvollen Einzug von Vertretern indigener Völker Amerikas bei einer NGO-Konferenz in Genf, die einen Wendepunkt markiert habe. Die Working Group wurde eingerichtet durch ECOSOC Res. 1982/34 vom 07.05.1982, vorbereitet durch Sub-Commission Res. 2(XXXIV) vom 08.09.1981 und Human Rights Commission Res. 1982/19 vom 10.03.1982. 409 Zum Auswahlverfahren Stomski, 16 Am. Ind. L. Rev. [1991], 575, 579. 410 Zur Bedeutung und dem Engagement dieser Person für das Anliegen der indigenen Völker eindrucksvoll Lâm, At the Edge of State, S. 79. 411 Zur Entwicklung vgl. kurz Kersey, 11 Ariz. J. Int’l & Comp. L. [1994], 429, 439 ff.

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ry bodies“ gänzlich unbekannt war.412 Die breite Teilnahmemöglichkeit wurde von den indigenen Repräsentanten auch genutzt, so waren es zu Beginn 30 Teilnehmer, bald schon regelmäßig über 700 Personen, die bei den Sitzungen anwesend waren.413 Um eine möglichst breite Teilnahme auch nicht organisierter Völker zu ermöglichen, wurde 1985 ein „Voluntary Fund for Indigenous Populations“ eingerichtet, der auf Antrag Gelder zur Unterstützung der Anreise vergibt. Das Schatzamt wird dabei ausschließlich von Indigenen selbst ausgeübt.414 Durch die besondere Art der Arbeit und die breite Teilnahme von Betroffenen, entwickelte sich die Working Group trotz ihrer hierarchisch niedrigen Ansiedlung im UN-System zu einem viel beachteten „think tank on indigenous questions“.415 Dabei hat es die Arbeiten auch nicht behindert, dass so viele verschiedene Interessengruppen ihre Forderungen eingebracht haben, obwohl diese zum Teil vordergründig voneinander abweichend waren.416 Schon aus symbolischen Gründen war die Vertretung der Indigenen durch sich selbst beispielsweise gegenüber deren Mitwirkung in der ILO, in der die Indigenen nie direkt als solche, sondern nur in ihrer Eigenschaft beispielsweise als Gewerkschaftsvertreter sprechen konnten, eine deutliche Verbesserung.417 Durch diese Funktion als „Sprachrohr“ erfüllte die Working Group in kleinerem Maßstab das, was die Generalversammlung für die Kolonialterritorien bedeutet hatte.418 Erstmals erhielten die indigenen Völker damit ein Forum, auf dem sie die erlittenen und noch immer aktuellen Menschenrechtsverletzungen darstellen konnten, es war ihnen möglich „to tell their stories in terms that are meaningful to their own experiences“419, wobei die Vorsitzende der Arbeitsgruppe großzügig bei der Verteilung von Redezeit war und die Präsentation der Statements z.B. in Verbindung mit Gesang akzeptiert wurde.420 ___________ 412

Venne, Our elders understand our rights, S. 52 spricht deshalb auch von einem „significant development“. 413 Burger, in: The Human Rights of Indigenous Peoples, S. 3, 4. Die Verteter der indigenen Völker hätten bewusst vermieden, als Nichtregierungsorganisationen aufzutreten, weil sie sich überwiegend als Vertreter von Nationen sähen, ebda. S. 5. 414 Vgl. Washinawatok, 3 N.Y. City L. Rev 41 [1998], 48; Burger, in: The Human Rights of Indigenous Peoples, S. 3, 5. 415 Burger, in: The Human Rights of Indigenous Peoples, S. 3, 5. 416 Lâm, 25 Cornell Int. L. J. [1992], 603, 607 f. 417 Auf diese wichtige Neuerung weist Lâm, 25 Cornell Int. L. J. [1992], 603, 617 hin. 418 Lâm, 25 Cornell Int. L. J. [1992], 603, 619. 419 Williams, Duke L. J. 1990, 660, 679 mit einigen Beispielen 680 ff. 420 Vgl. dazu Lâm, At the Edge of State, S. 81. Venne, Our elders understand our rights, S. 151 zeigt, dass auch der Verhandlungsstil in dieser Working Group ein außer-

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(3) Erarbeitung einer Draft Declaration Die Formulierung eines Entwurfs für eine Deklaration über die Rechte indigener Völker, die Draft Declaration, war Ausdruck der Besonderheit der Working Group. Wenngleich die Erarbeitung der einzelnen Artikel und bestimmter Regelungen sehr langwierig war und es insgesamt etwa acht Jahre gedauert hat, einen konsensfähigen Text zu finden, ist es gerade dieser lange Konsultationsprozess421 und die Einbeziehung der Betroffenen gewesen, die die Draft Declaration zukunftsfähig erscheinen ließ.422 Denn es handelte sich bei diese Entwurf selbstverständlich nicht um internationales Recht, aber Lâm schloss zu Recht, dass es sich bezüglich des Selbstbestimmungsrechtsparagraphen handelte um die „final opinion of a body of respected jurists who presided, for more than a decade, over a highly intense international debate on the subject of the self-determination of indigenous peoples in which more than 200 parties [...] annually participated. As such, the paragraph captures the emerging international (as opposed to merely interstate) consensus on the subject of indigenous self-determination“.423

Damit bot der Entwurf die später bestätigte Chance, bei einer Annahme durch die Staaten auch die volle Unterstützung der davon betroffenen indigenen Völker zu erhalten, weil diese bereits im Entwurfsstadium eingebunden waren. Der zuletzt von der Vorsitzenden der WGIP konsolidierte Text wurde zwecks einer „technical revision“ an das UN-Sekretariat weitergeleitet, das die Formulierungen und Übersetzungen auf Übereinstimmung und Einhaltung der für Deklarationen üblichen Formvorgaben prüfte.424 Diese Fassung wurde im August 1994 von der Sub-Commission unverändert angenommen und sofort an die Menschenrechtskommission weitergeleitet.425

___________ gewöhnlicher war und z.B. mündliche Änderungsvorschläge in viel breiterem Maße zugelassen wurden als sonst üblich. 421 Venne, Our elders understand our rights, S. 151 weist aber zu Recht darauf hin, dass dieser Zeitraum gemessen beispielsweise an den etwa 20 Jahren Vorbereitungszeit der Menschenrechtspakte noch relativ kurz war. 422 Burger, in: The Human Rights of Indigenous Peoples, S. 3, 6. Zunächst war geplant, dass die zu erarbeitende Deklaration bereits 1993 von der Generalversammlung verabschiedet wird, vgl. Lâm, At the Edge of State, S. 44. Zu den einzelnen Schritten der Erarbeitung der Draft Declaration in der Working Group vgl. ausf. Venne, Our elders understand our rights, S. 138 ff. 423 Lâm, in: People or Peoples, S. 79, 102. 424 UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1994/2 v. 05.04.1994. 425 Res. 1994/45 vom 26.08.1994.

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dd) Die Rolle der Menschenrechtskommission Nachdem mit der Working Group und der Sub-Commission bis dahin zwei Expertenkommissionen mit dem Entwurf befasst waren, war die – mittlerweile vom Menschenrechtsrat abgelöste – Menschenrechtskommission das erste mit Regierungsvertretern besetzte Organ innerhalb der UN, das über den Entwurf diskutieren musste.426 Wenngleich zahlreiche Staaten über ihre Beobachterdelegationen bei den Sitzungen der WGIP bereits ihre Ansichten im vorigen Prozess eingebracht hatten, war der Entwurf nunmehr in der Phase, in der die Staaten allein über seinen Inhalt bestimmen konnten. (1) Die Einrichtung einer neuen Working Group on the Draft Declaration Die Menschenrechtskommission beschloss den bestehenden Entwurf zur Grundlage für die Arbeit einer neu von ihr eingerichteten „Working Group of the Commission on Human Rights to Elaborate a Draft Declaration in Accordance with Paragraph 5 of General Assembly Resolution 49/214“ (später: Working Group on the Draft Declaration on the Rights of Indigenous Peoples, WGDD) zu machen, deren Ziel wiederum eine die Zustimmung der Staaten erreichende Fassung zu erarbeiten war.427 In der Präambel zum Beschluss über die Einrichtung dieser neuen Working Group hielt die Kommission fest, dass auch die Generalversammlung in ihrer Resolution428 über die Kenntnisnahme des bestehenden Entwurfs die Einbeziehung von Repräsentanten der indigenen Völker bei der Bearbeitung des Entwurfs durch die Menschenrechtskommission fordere. Zunächst einmal hätten an dieser Arbeit nur Organisationen mit offiziellem Beobachterstatus teilnehmen dürfen, was eine völlige Veränderung gegenüber der bisherigen Working Group bedeutet hätte.429 Als die Working Group on the Draft Declaration im Dezember 1995 ihre Arbeit aufnahm, war durch ein bis dahin einmaliges Verfahren sichergestellt worden, dass die Vertreter indigener Völker auch weiterhin als Beobachter an Verhandlungen zwischen den Staatendeligierten mitwir___________ 426

So auch Venne, Our elders understand our rights, S. 48. Lâm, At the Edge of State, S. 77 weist zu Recht darauf hin, dass die Erarbeitung eines Dokuments innerhalb einer von Staatenvertretern besetzten Kommission kaum oder nur schwer in dem Umfang wie geschehen, möglich gewesen wäre. 427 Human Rights Commission Res. 1995/32 vom 03.03.1995, befürwortet durch ECOSOC Res. 1995/32 v. 25.7.1995; vgl. dazu Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 131. 428 Res. 49/216 vom 23.12.1994. 429 Einen Überblick über Organisationen indigener Völker mit offiziellem NGOStatus gibt Sanders, in: The Human Rights of Indigenous Peoples, S. 73, 78 ff.

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ken können.430 Nichtsdestotrotz ist es kaum verwunderlich, dass es zu Beginn der Arbeiten dieser Working Group unter dem Vorsitz von Jose Urrutia zunächst Unstimmigkeiten über die Rolle der indigenen Vertreter gab.431 Im Laufe der jährlichen Sitzungen wurde aber ein Procedere gefunden, das durch Vorbereitungen des jeweiligen Tagungsgegenstandes in informellen Sitzungen, in denen die Indigenen ein uneingeschränktes Mitspracherecht hatten, die Verhandlungen kooperativer werden ließ.432 Auch der Einsetzungsbeschluss der Menschenrechtskommission zeigte inhaltlich eine das Ergebnis der ersten Working Group auch in der substantiellen Frage über die Verwendung des Begriffs „peoples“ statt „people“ oder „populations“ stützende Position.433 Damit dürfte der frühere Streit um das „s“ besonders heftig wurde dieser „battle of the ‚s’“ an der Weltmenschenrechtskonferenz in Wien 1993 ausgefochten, endgültig zu einem im Sinne der indigenen Völker liegenden Ende gebracht worden sein,434 was sich auch in der späteren endgültigen Fassung der Deklaration bestätigte. Andererseits enthielt die Resolution zur Einsetzung der Working Group außer der von der Generalversammlung bereits geäußerten Hoffnung, die Verabschiedung könne noch im Laufe des Jahrzehnts der indigenen Völker erfolgen, keinerlei feste Zeitvorgabe und beschränkte auch die Möglichkeiten der Überarbeitung des bestehenden Entwurfs nicht, so dass dieses Gremium theoretisch auch einen völlig neuen Deklarationsentwurf hätte erarbeiten können.435 Dazu kam es aber nicht, weshalb die endgültige Fassung des Entwurfs für die Generalversammlung noch immer viele Bestandteile aus der ersten Version nach Übergabe an die WGDD enthält.

___________ 430

Foster, 12 EJIL [2001], 141, 143; positive Bewertung auch bei Burger, in: The Human Rights of Indigenous Peoples, S. 3, 11, wonach noch kein Antrag auf Zulassung abgelehnt wurde. 431 Dazu Washinawatok, 3 N.Y. City L. Rev 41 [1998], 53 f. Diese führten sogar zu einem demonstrativen Rückzug aller indigenen Vertreter aus einer Sitzungswoche, vgl. Pritchard, in: Indigenous Peoples, the United Nations and human rights, S. 40, 51 f. 432 Washinawatok, 3 N.Y. City L. Rev 41 [1998], 54 f.; Lâm, At the Edge of State, S. 82. 433 So Burger, in: The Human Rights of Indigenous Peoples, S. 3, 11; vgl. dazu ferner Iorns, 24 Case W. Res. J. Int’l. L. [1992], 199, 202 f. Fn. 15. 434 Barsh, 7 Harv. Hum. Rts. J. [1994], 33, 49 ff. Vgl. dazu aber noch unten Kap. 2 C. III. 2. 435 Vgl. kritisch Venne, Our elders understand our rights, S. 155 f., auch über den geringeren Einfluss der Indigenen in den weiteren Stadien des Verabschiedungsprozesses, S. 163.

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(2) Verhältnis der WGDD zur WGIP Obwohl sich die Menschenrechtskommission als Unterabteilung des ECOSOC immer mehr zur treibenden Kraft in der Menschenrechtsentwicklung vorgearbeitet hatte,436 blieb sie bezüglich des Selbstbestimmungsrechts eher als Impulsgeber im Hintergrund. Soweit es um die Rechte indigener Völker ging, hat sie sich jedoch gegenüber der Sub-Commission als aktiver Unterstützer für ein weitreichenderes Verständnis des Selbstbestimmungsrechts verhalten.437 Schon die Sub-Commission hatte den von der WGIP eingeführten neuen Namen, der nunmehr die Begrifflichkeit „peoples“ enthielt, in der täglichen Arbeit akzeptiert. So werden in der Agenda alle Anträge und Inhalte der WGIP unter dem Tagesordnungspunkt „Discrimination against Indigenous Peoples“ abgehandelt.438 Jedoch ist die WGIP nie formal umgetauft worden von „Populations“ zu „Peoples“.439 Auch die Menschenrechtskommission selbst nahm das erweiterte Verständnis der WGIP hin und seit 1996 hat sie als dauerhaftes Thema auf ihren jährlichen Sitzungen den Punkt „Indigenous Issues“.440 Nicht durchgesetzt hatte sich aber die ehemalige Vorsitzende der WGIP mit ihrem nachdrücklichen Plädoyer, den von der WGIP erarbeiteten Text der Draft Declaration mehr oder minder unverändert zu übernehmen, weil alles über einen Feinschliff hinausgehende nur noch zu einer Verzögerung bzw. Verwässerung führen könne.441 Diese Hoffnung hatte sich bedauerlicherweise nicht erfüllt, wie an der jahrelangen Arbeit der WGDD erkennbar ist, auf deren Behandlung des Entwurfs und die dabei geäußerten Positionen der Staaten noch ausführlich unter Kap. 2 C. II. und III. eingegangen wird. Nachdem aber das Menschenrechtssystem 2006 reformiert worden war – dazu sogleich näher –, brachte die WGDD ihre Arbeit im gleichen Jahr zu Ende und wurde nach Verabschiedung des Entwurfs durch den Menschenrechtsrat und anschließend die Generalversammlung aufgelöst.442 ___________ 436

Alston, in: The United Nations and Human Rights, S. 126. Alston, in: The United Nations and Human Rights, S. 126, 189. 438 Vgl. High Commissioner for Human Rights, Fact Sheet on the Rights of Indigenous Peoples, unter „Indigenous Peoples’ rights: the wider perspective“. In der SubCommission Res. UN Doc. E/CN.4/Sub.2/2001/L.14 vom 15.08.2001 beschloss diese auch, die Weltkonferenz gegen Rassismus aufzufordern, die indigenen Belange mit „peoples“ zu betiteln. 439 Vgl. dazu Venne, Our elders understand our rights, S. 64 Fn. 117. 440 Burger, in: The Human Rights of Indigenous Peoples, S. 3: „unprecedented step“; Venne, Our elders understand our rights, S. 48. 441 Daes, 7 St. Thomas L. Rev. [1995], 493, 498. 442 Vgl. zu den Inhalten der letzen Sitzung im Jan./Feb. 2006 www2.ohchr.org/english/issues/indigenous/groups/groups-02.htm sowie Chávez, Report of the Working Group on the Draft Declaration 2006. 437

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ee) Der neu geschaffene Menschenrechtsrat und die UN-Generalversammlung Da es der WGDD, wie erwähnt, nicht gelungen war, innerhalb des UNJahrzehnts der indigenen Völker und vor der Neuordnung des Schutzsystems für die Menschenrechte zu einem Ergebnis zu kommen, auf dessen Basis die UN-Generalversammlung hätte tätig werden können, sind die Auswirkungen der Reform auf das Vorhaben der UN-Deklaration über die Rechte indigener Völker zu betrachten.443 Nach zunehmender Kritik an der Arbeit der Menschenrechtskommission, vor allem an der Unausgeglichenheit und der Mitwirkung von Staaten, die selbst eindeutig als Menschenrechtsverletzer galten, beschloss die Generalversammlung mit Resolution 60/251 2006 die Ablösung dieses Unterorgans durch einen neu geschaffenen „Human Rights Council“.444 Dieser Menschenrechtsrat hat 47 Mitglieder, die entsprechend eines geographischen Schlüssels und nach „Bewerbung“ durch die Mitgliedstaaten von der Generalversammlung auf drei Jahre gewählt werden (Ziff. 7), und er sollte laut Einsetzungsresolution Ziff. 6 alle laufenden Mandate und Verantwortungsbereiche der abgelösten Menschenrechtskommission überprüfen und ggf. anpassen.445 Ergänzend zum Menschenrechtsrat wurde die ebenfalls aufgelöste „Sub-Commission on the Promotion and Protection of Human Rights“ durch einen Advisory Committee für den Rat ersetzt, dem 18 Experten angehören. Noch vor Einsetzung des neuen Schutzsystems beschloss die alte Menschenrechtskommission in Erfüllung einer Forderung der Generalversammlung, die vor Ablauf des ersten UN-Jahrzehnts der indigenen Völker und wegen des Nichterreichens der Verabschiedung einer Deklaration in dieser Zeit mit Resolution 59/174 den Auftrag an alle beteiligten Verhandlungsparteien unterstrich, baldmöglichst zu einer Einigung über einen endgültigen Entwurfstext zu kommen, eine weitere Sitzungsrunde der WGDD einzuberufen, um zu einem Ergebnis zu kommen.446 Diese Session lief im Dezember 2005 und Januar/ Februar 2006 ab und endete mit einem Vorschlag des Chairperson-Rapporteur ___________ 443 Die zügige Entwicklung der Draft Declaration hin zur Verabschiedung in der Generalversammlung nach der Reform des UN-Menschenrechtsschutzes lässt sich auch an der verhältnismäßig schnellen Abfolge von Zeitungsberichten über Fortschritte für die „Ureinwohner“ ablesen, wobei bemerkenswert ist, dass diesem Prozess breiter Raum in der Berichterstattung gegeben worden ist: Meldungen in NZZ Nr. 170 v. 23./24.07.2005, S. 4; Nr. 292 v. 14.12.2005, S. 4; Nr. 122 v. 29.05.2006, S. 5; Nr. 147 v. 28.06.2006, S. 2; Nr. 279 v. 30.11.2006, S. 4. 444 UN GA Res. 60/251, UN Doc. A/Res/60/251 v. 15.03.2006. Vgl. dazu auch Meldungen in NZZ Nr. 63 v. 16.03.2006, S. 1; NZZ Nr. 73 v. 28.03.2006, S. 2. 445 Zu diesem allgemein Weiß, MRM 1/2006, 80 ff. 446 UN Doc. E/CN.4/Res/2005/50 v. 20.04.2005.

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für einen konsolidierten Entwurfstext auf der Basis der Zusammenfassung in der letzten Session eingebrachter Formulierungsanträge.447 Zwar waren noch immer bestimmte Passagen umstritten und es gab Zweifel, ob eine Deklaration, die in der Generalversammlung nicht einhellige Zustimmung erfahren würde, dem besseren Schutz der indigenen Völker überhaupt zugute kommen würde.448 Jedoch betrachtete der Vorsitzende mit der Mehrheit der Working Group das Ziel einer Vorlage eines endgültigen Kompromisstextes als vorrangig. Der neu zusammen getretene Menschenrechtsrat beschloss hinsichtlich der bestehenden Working Groups und laufenden Berichte zunächst eine Verlängerung aller Mandate mit der Absicht, diese nacheinander einer genaueren Prüfung zu unterziehen und ggf. zu ersetzen. Eine Sonderstellung nahm aber die Frage der UN-Deklaration über die Rechte indigener Völker ein. Der vom Chairperson-Rapporteur der WGDD vorgelegte Entwurf wurde nämlich vom Rat mit Resolution 2006/2 unverändert beschlossen; dagegen stimmten die Vertreter Kanadas und Russlands, neben 12 Enthaltungen gab es aber 30 JaStimmen.449 Dem in der Resolution enthaltenen Vorschlag an die Generalversammlung den Text ebenfalls unverändert als Deklaration zu verabschieden, folgte diese jedoch nicht im gleichen Jahr, was zunächst mit grosser Enttäuschung aufgenommen wurde. Hintergrund war der Antrag der Gruppe afrikanischer Staaten, im Hinblick auf die Definitionsfrage und die Formulierung des Selbstbestimmungsrechtsartikels den Text nochmals neu zu diskutieren.450 Die Afrikanische Union verabschiedete in der Folge selbst eine Entscheidung, in der die Vertagung bei der UN begrüsst und die problematischen Punkte unterstrichen sowie eine einheitliche Stimmabgabe in der UN in dieser Frage beschlossen wurden.451 Auf der Basis dieser Eingabe wurde der Entwurf geändert, jedoch nur an einer Stelle signifikant, indem Art. 46 Abs. 1 nunmehr noch deutlicher ausspricht, dass die Deklaration nicht so ausgelegt werden dürfe, dass sie gegen andere völkerrechtliche Prinzipien verstösst. In der Version des Menschenrechtsrates und der WGDD waren damit nur Verstöße gegen die UNCharta gemeint, die neue Formulierung dehnt dies nochmals ausdrücklich aus auf die „territoriale Integrität und politische Einheit von souveränen und unabhängigen Staaten“. Mit dieser Änderung beschloss die Generalversammlung am 13.09.2007 dann die Resolution 61/295 als „United Nations Declaration on the ___________ 447

Chávez, Report of the Working Group on the Draft Declaration 2006, Annex I. Chávez, Report of the Working Group on the Draft Declaration 2006, Rdnr. 29. 449 UN Doc. A/HRC/Res/1/2 v. 29.06.2006. 450 Vgl. dazu auch den Antrag Namibias, der mehrheitlich angenommen wurde, und eine Vertagung der Deklarationsentscheidung bedeutete, UN Doc. A/C.3/61/L.57/Rev.1 v. 21.11.2006. 451 Entscheidung der Versammlung der AU, Assembly/AU/Dec.141 (VIII) v. 30.01.2007. 448

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Rights of Indigenous Peoples“. Dagegen stimmten Australien, Kanada, Neuseeland und die USA aus unterschiedlichen Gründen, auf die unten in Kap. 2 C. II. 2. kurz eingegangen wird. Neben elf Enthaltungen gab es eine deutliche Zustimmung mit 143 Stimmen.452 Die Verabschiedung wurde euphorisch aufgenommen, die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte sprach von einem „Triumph für Gerechtigkeit und Menschenwürde“ und einem „historischen Tag“.453 c) Das UN-Jahr und -Jahrzehnt der indigenen Völker Nachdem die indigenen Völker insbesondere beim Weltgipfel in Rio eine wichtige Rolle im Konsultationsprozess spielten,454 wurde innerhalb der UN beschlossen, das Jahr 1993 zum „International Year for the World’s Indigenous People“ zu machen. Mit diesem Aktionsjahr sollten sowohl innerhalb der UN als auch in der Weltöffentlichkeit die Probleme, mit denen die indigenen Völker noch heute zu kämpfen haben, vor Augen geführt werden.455 In deutlicher Abkehr früherer Verhaltensweisen durch die Staaten wurde das Jahr mit dem Thema „A New Partnership“ versehen und zur Eröffnung sprachen zahlreiche indigene Führungspersönlichkeiten vor der UN-Generalversammlung.456 Dabei wurde kritisiert, dass viele Staatendelegationen in der Generalversammlung nur während des Morgens besetzt waren, als die Staatenvertreter sprachen und während der Reden der Indigenen eine deutlich kleinere Publikumszahl anwesend war.457 Auch konnte die ursprüngliche Idee der Sub-Commission, dass die Indigenen selbst die entscheidende Rolle bei der Durchführung des Jahresprogramms haben sollten, wegen des Widerstands einiger Staaten nicht verwirklicht werden. Jedoch nominierte Kanada als Koordinator des Jahres einen indi___________ 452

Wie sich aus der Bemerkung des Vertreters von Montenegro ergibt, ist diese Stimme versehentlich als Enthaltung statt Zustimmung gewertet worden, so dass von 144 Ja-Stimmen bei zehn Enthaltungen und vier Gegenstimmen ausgegangen werden kann; vgl. General Assembly, GA/10612 (Kaludjerovic), S. 14. 453 UN OHCHR Pressemeldung v. 13.09.2007. Weitere Reaktionen, auch der Staatenvertreter, die dagegen stimmten, finden sich in General Assembly, GA/10612. 454 Washinawatok, 3 N.Y. City L. Rev 41 [1998], 50. 455 Barsh, 7 Harv. Hum. Rts. J. [1994], 33, 49 Fn. 68 weist darauf hin, dass die Europäische Gemeinschaft damals aus Kostengründen den UN-Jahren skeptisch gegenüberstand, das Jahr der Familie sehr unterstützt, dagegen das bezüglich der indigenen Völker nur zurückhaltend befürwortet habe. 456 Zu den Vorarbeiten vgl. Marantz, in: People or Peoples, S. 9, 27 ff., der auch darauf hinweist, dass andere Thementitel, insbesondere „new relationship“, wegen ihrer Konnotationen nicht gewählt wurden; dazu auch Barsh, 7 Harv. Hum. Rts. J. [1994], 33, 49. 457 Zu dieser Sitzung am 10. Dezember 1992 Washinawatok, 3 N.Y. City L. Rev 41 [1998], 51 ff.; Barsh, 7 Harv. Hum. Rts. J. [1994], 33, 66.

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genen Vertreter, und der UN-Generalsekretär machte die Nobelpreisträgerin Rigoberta Menchu zu seiner persönlichen Repräsentantin in diesem Jahr, die letztlich in der Außenwirkung am stärksten wahrgenommen wurde.458 Da viele der aufgeworfenen Themen und Pläne während des Jahres nicht verwirklicht werden konnten, beschloss die Generalversammlung ein Jahrzehnt der indigenen Völker von 1995 bis 2004 auszurufen.459 Währen dieser unter dem Titel „Partnership in Action“ stehenden Zeit wurden auch Rahmenbedingungen für die zukünftige Zusammenarbeit erarbeitet und seither gilt der 9. August jeden Jahres als Tag der indigenen Völker.460 Weil das Arbeitsprogramm des UNJahrzehnts in vielen Punkten unerledigt blieb und insbesondere die Verabschiedung der Deklaration über die Rechte indigener Völker nicht erreicht werden konnte,461 verabschiedete die Generalversammlung am Ende des ersten Jahrzehnts eine Resolution zur „Verlängerung“ in Form eines zweiten UNJahrzehnts der indigenen Völker der Welt, das von 2005-2014 läuft.462 Ziel dieser Dekade unter dem Leitthema „Partnership for action and dignity“ ist die weitere Stärkung der internationalen Zusammenarbeit bei der Lösung von Problemen indigener Völker und die – mittlerweile erfolgte – Vorlage eines endgültigen Entwurfs für die Rechte-Deklaration der Generalversammlung.463 d) Die Studien und Konferenzen der WGIP Von besonderer Bedeutung waren die letzten Jahre des vergangenen Jahrhunderts auch, weil in dieser Zeit einige bedeutsame Studien innerhalb der WGIP fertiggestellt und von der Menschenrechtskommission zur Kenntnis ge___________ 458

Dazu Barsh, 7 Harv. Hum. Rts. J. [1994], 33, 62 f. UN GA Res. 48/163 vom 21.12.1993. Zu diesem Jahrzehnt Burger, in: The Human Rights of Indigenous Peoples, S. 3, 14 f. Barsh, 7 Harv. Hum. Rts. J. [1994], 33, 64 f. zu den zeitlichen Schwierigkeiten im indigenen Jahr 1993. 460 Vor Beginn des Jahrzehnts bewertete Barsh, 7 Harv. Hum. Rts. J. [1994], 33, 70 dies kritisch im Blick auf das gerade vergangene Jahr und fürchtete, dass mit dem Zugeständnis eines solchen Jahrzehnts die weitere Verzögerung der Anerkennung einer Rechtspersönlichkeit als „peoples“ einherginge. Insgesamt zu den Schwierigkeiten im Vorfeld des Jahrzehnts und der besonderen Rolle Kanadas Marantz, in: People or Peoples, S. 9, 33 ff. 461 Die positiven Ergebnisse und offenen Punkte – neben der nicht erfolgten Verabschiedung der Deklaration die weiterbestehenden Probleme bei der Implementation von Menschenrechtsstandards für indigene Völker auf der Staatenebene – können aus dem Bericht des Generalsekretärs über die Bewertung der Dekade durch den Koordinator entnommen werden, Report of the Secretary General, Review by the Coordinator of the International Decade of the World’s Indigenous People 2004. 462 UN GA A/Res/59/174 vom 20.12.2004. 463 Vgl. zum Aktionsprogramm für das Jahrzehnt UN GA A/Res/60/142 vom 16.12.2005. 459

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nommen wurden. Diese haben zum Teil in umfassender Weise Grundfragen indigenen Lebens erforscht und mögliche Verbesserungen aufgezeigt. Die Inhalte einiger der Studien, insbesondere über die Gültigkeit von Verträgen mit indigenen Völkern, werden im Zusammenhang mit den relevanten Abschnitten der Arbeit beleuchtet. Auch ist darauf hinzuweisen, dass die Studien zunächst nur das Ergebnis von Einzelpersonen aus der Working Group sind, aber da es sich sämtlich um Juristen handelt und diese bei ihren Studien weltweit Informationen und betroffene Personen heranziehen, gewinnen sie üblicherweise im UN-System und damit mittelbar auch auf die Völkerrechtsentwicklung großen Einfluss, wie beispielsweise die oben erwähnte Cobo-Studie gezeigt hat. Die langjährige Vorsitzende der WGIP erarbeitete bis 1993 eine „Study on the Protection of the Cultural and Intellectual Property of Indigenous Peoples“, auf deren Basis dann Richtlinien verabschiedet wurden, wie die Staaten das kulturelle Erbe der indigenen Bevölkerung schützen sollten.464 In einer weiteren Studie über „Indigenous Peoples and their Relationship to Land“, die 2001 abgeschlossen und mit großer Zustimmung zur Kenntnis genommen wurde, hat Daes ferner Feststellungen über die besondere Bedeutung und Schutzbedürftigkeit der Beziehung indigener Gemeinschaften zu dem von ihnen bewohnten Territorium getroffen.465 Diese wurde von ihr ergänzt um eine Untersuchung zur „Permanent sovereignty over natural resources“, deren Final Report 2004 veröffentlicht wurde und eine Analyse völkerrechtlicher Bestimmungen zu Hoheitsfragen über natürliche Ressourcen ebenso wie einen Rechtsvergleich zur Handhabung dieser Frage in verschiedenen Staaten enthält.466 Miguel Alfonso Martínez beschäftigte sich in der „Study on Treaties, Arrangements, and other constructive Agreements between States and Indigenous Populations“ mit der Fortgeltung in früheren Jahrhunderten geschlossener Verträge zwischen den Eroberern und der indigenen Bevölkerung.467 Darüber hinaus wurden weitere Arbeitspapiere erstellt, die ebenfalls klarstellend Beiträge zu verschiedenen Fragen der Schutzbedürftigkeit indigener Völker leisten.468 Auch wurden im ersten Jahrzehnt der indigenen Völker verschiedene Expertenseminare und Konferenzen organisiert, bei denen zusammen mit ___________ 464

Daes, Study on the Protection of the Cultural and Intellectual Property. Daes, Indigenous peoples and their relationship to land, Final Working Paper. 466 Daes, Indigenous peoples’ permanent sovereignty over natural resources, Final Report. Der Bericht ist von der Menschenrechtskommission mit deutlicher Mehrheit zustimmend zur Kenntnis genommen worden verbunden mit der Erwartung er könne für „reconciliation processes“ nutzbar gemacht werden, OHCHR Mitteilung 2005/110. 467 Martínez, Study on Treaties, Final Report. 468 So z.B. Daes, Working Paper on indigenous peoples’ permanent sovereignty over natural resources. 465

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Vertretern indigener Völker über wesentliche Fragen der UN-Deklaration, wie z.B. Einrichtung von Autonomien und Selbstregierungsformen, der Umgang mit Landrechtsforderungen oder die Rolle von Indigenen bei der Förderung nachhaltiger Entwicklung, diskutiert wurde.469 Eine der jüngeren Studien ist umfassender Natur und führte zu einer regelmäßigen Einrichtung: Bereits unter Berücksichtigung des neuen „Permanent Forum“, dazu sogleich unter e), wurde ein Special Rapporteur ernannt, um die „Situation of Human Rights and Fundamental Freedoms of Indigenous People“ zu erforschen.470 Dafür ausgesucht wurde Rodolfo Stavenhagen, der in seiner Studie sowohl Einzelfälle von andauernden Menschenrechtsverletzungen berücksichtigte und Gegenmaßnahmen vorschlug.471 Im Einsetzungsbeschluss wurde zwar positiv vermerkt, dass die Aktivitäten im Rahmen des ersten Jahrzehnts der indigenen Völker zu Fortschritten bei der Behandlung indigener Problemstellungen innerhalb vieler Staaten geführt hätten. Nichtsdestotrotz fasste Stavenhagen in seinem ersten Zwischenbericht 2002 die wichtigsten problematischen Bereiche – unter anderem fehlende Sicherung von Selbstbestimmung und -regierung – für Indigene zusammen472 und listete im Anhang exemplarisch zahlreiche Menschenrechtsverstöße auf.473 In den jährlichen Berichten ging es um konkrete Fälle aus vielen Staaten, in denen sich der Special Rapporteur als eine Art Ombudsmann einschaltet und die Staaten um Stellungnahme bittet.474 Insgesamt sieben Jahre fungierte Stavenhagen als Special Rapporteur in diesem Bereich, seit Mai 2008 ist sein Nachfolger S. James Anaya, der bereits vorher in umfassender Weise akademisch und rechtsberatend in Fragen völkerrechtlicher Positionen indigener Völker aktiv gewesen ist. Das Mandat dieses Special Rapporteur ist durch den neu geschaffenen Menschenrechtsrat noch erweitert worden und umfasst die Überwachung der Implikation der Rechte-Deklaration sowie die Werbung für dieses neue Dokument.475 ___________ 469

Zu den Studien und Konferenzen im Überblick Burger, in: The Human Rights of Indigenous Peoples, S. 3, 12 ff., der auch auf die herausgehobene Stellung indigener Vertreter bei diesen Konferenzen hinweist; Venne, Our elders understand our rights, S. 111 f. 470 Diese Ernennung erfolgte „ziemlich überraschend“ angesichts der Tatsache, dass die Verhandlungen zur Draft Declaration in den vorangegangenen Jahren nur zäh vorangekommen waren, vgl. Meldung, NZZ Nr. 98 v. 28./29.04.2001, S. 2. 471 Vgl. dazu den Auftrag in Human Rights Commission Res. 2001/57 v. 24.04.2001. 472 Vgl. dazu Stavenhagen, Report on the Situation of Human Rights. 473 Stavenhagen, Report on the Situation of Human Rights, Addendum. 474 Beispielhaft Stavenhagen, Report on the Situation of Human Rights 2007, Addendum, Rdnr. 464 ff. hinsichtlich zweier Fälle aus den USA, die aber nicht auf die Untersuchungsanfrage reagiert haben. 475 Vgl. Anaya, Report on the Situation of Human Rights 2008, Rdnr. 15 ff.

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e) Die Einrichtung des Permanent Forum on Indigenous Issues Schon vor dem Jahrzehnt der indigenen Völker 1995-2004 waren Vorschläge gemacht worden, diesen eine dauerhafte Repräsentation innerhalb des UNSystems zu ermöglichen. Da die Working Group nur mit einem begrenzten Auftrag ausgestattet war und mit der Weitergabe der Draft Declaration auch ein wichtiger Teil ihrer Arbeit zum Abschluss gekommen war, gab es für die Einrichtung eines „Permanent Forum“ auch von verschiedenen Staaten Unterstützung.476 Dies entsprach dem Wunsch der indigenen Völker, die keine Staaten sind und daher kein Vertretungsrecht beim ECOSOC haben, sich aber selbst wie Völker fühlen und daher – ähnlich beispielsweise der PLO – einen Beobachterstatus auch an der UN-Generalversammlung erreichen wollten.477 Obgleich in der Literatur Befürchtungen geäußert wurden, die Staaten hätten kein Interesse an der Einrichtung eines solchen Permanenten Forums, so dass lediglich eine Neuorganisation der Working Group unter stärkerer Teilnahme gewählter indigener Vertreter vorgeschlagen wurde,478 erhielt die Forderung auch bei der Weltmenschenrechtskonferenz in Wien 1993 Unterstützung. Daher setzte die Menschenrechtskommission 1998 eine „Working Group on the Establishment of a Permanent Forum“ ein, um zu entscheiden ob und wie die indigenen Völker eine „permanent identifiable voice in the U.N. system“ erhalten sollten.479 Bereits im Jahre 2000 richtete der ECOSOC das „Permanent Forum on Indigenous Issues“ als subsidiäres Organ ein.480 Der Generalsekretär wies dem Hohen Kommissar für Menschenrechte die Umsetzung dieser Resolution zu und im Mai 2002 tagte das Forum erstmals mit 16 Vertretern, von denen acht Mitglieder vom Präsidenten des ECOSOC nach Konsultation mit indige-

___________ 476 Beispielsweise die dänische Regierung hat die Einrichtung eines solchen Forums vehement befürwortet, dazu und zur Vorgeschichte Burger, in: The Human Rights of Indigenous Peoples, S. 3, 16. 477 Obwohl eine solche überraschende Entwicklung innerhalb der UN nicht unbedingt unwahrscheinlich sei, sollten indigene Aktivisten sich nicht vom wichtigeren Ziel der Sicherung ihrer Rechte ablenken lassen, wie Marantz, in: People or Peoples, S. 9, 52 meint. 478 Vgl. Marantz, in: People or Peoples, S. 9, 53 ff. 479 Dazu Lâm, At the Edge of State, S. 44 f. 480 ESOSOC Res. 2000/22, befürwortet durch GA Res. 55/80. Darin hat der ECOSOC auch beschlossen, die verschiedenen UN-Menschenrechtsorgane, die sich mit indigenen Fragen befassen, mit Blick auf eine mögliche Zusammenfassung und Rationalisierung kritisch zu prüfen. Vor der grundlegenden Reform kam es jedoch zu keinen Auflösungen vorhandener Working Groups, vgl. Report of the Secretary General, Information concerning indigenous issues 2003 Rdnr. 59.

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nen Organisationen benannte und acht von Staaten nominiert sind.481 Damit sind indigene Vertreter erstmals an einem Organ der UN auf gleicher Ebene beteiligt wie die Mitgliedstaaten,482 weshalb diese Einrichtung auch als eine „historische Entscheidung“ bezeichnet worden ist.483 f) Gegenwart und Zukunft indigener Völker im Menschenrechtsschutzsystem der UN aa) Signalwirkung der WGIP Die obige Darstellung hat gezeigt, dass die Working Group on Indigenous Populations über die Erarbeitung eines Entwurfstextes für eine Deklaration hinaus richtungsweisende Bedeutung hatte. Nicht zuletzt deren kontinuierliche Arbeit über indigene Anliegen unter Beteiligung der Betroffen hat zu einer höheren Aufmerksamkeit für diese Thematik geführt und auch Signalwirkung für andere internationale Organisationen gehabt.484 Die verschiedentlich geäußerte Kritik, wonach die WGIP mit ihrem Entwurf und ihren Studien zu innovativ gearbeitet habe und die Staaten bei der konkreten Behandlung der Vorlagen die gefundenen Ergebnisse deshalb schlicht wieder rückgängig machen würden, übersieht ein gewichtiges Gegenargument. Wie ein an den Beratungen anwesender Indigener die Rolle der WGIP charakterisiert, hat diese „[...] already had a tremendous impact [...]. WGIP has been a small revolution in the UN system“.485

Auf dem Parkett einer Organisation und der Weltbühne, auf der die Indigenen vorher lange Zeit quasi unsichtbar gewesen sind, gehören sie heute zu den regelmäßigen Diskussionspunkten auf der Tagesordnung und was noch wichtiger ist, sind selbst Teilnehmer an den Beratungen in der UN.

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Zu den verschiedenen diskutierten Modellen der Struktur des „Permanent Forum“ vgl. Pritchard, in: Indigenous Peoples, the United Nations and human rights, S. 40, 57 ff. 482 Darauf weist zu Recht Carey, 8 IJMGR [2001], 79 hin. 483 Vgl. die entsprechende Äußerung von UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Robinson, Meldung in NZZ Nr. 176 v. 31.07.2000, S. 2; kritisch dagegen Ryser, fweye11 (2001). Zu möglichen Problemen der Überschneidung mit der Arbeit der WGIP vgl. PeNa Guzman, 9 St. Thomas L. Rev. [1996], 251, 262 ff. 484 So auch die Bewertung von Lâm, At the Edge of State, S. 76 ff; die Einrichtung der Working Group sei eine der bedeutendsten Initiativen des internationalen Menschenrechtsschutzprozesses in den vergangenen Jahrzehnten gewesen, so Williams, Duke L. J. 1990, 660, 677. 485 Dodson, in: Indigenous Peoples, the United Nations and human rights, S. 62.

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bb) Reform des Menschenrechtsschutzes in der UN Mit der Reform des Schutzsystems für die Menschenrechte innerhalb der UN und der einhergehenden Ablösung der Menschenrechtskommission durch den Menschenrechtsrat im Jahr 2006 beauftragte die Generalversammlung den Rat zur Überprüfung des gesamten Schutzsystems. Der Menschenrechtsrat ließ zunächst alle Untereinrichtungen einschließlich der WGIP weiterlaufen.486 In einer seiner ersten Resolutionen hatte er aber den Hochkommissar für Menschenrechte beauftragt, Vorschläge für eine geeignete Weiterführung der Arbeit der WGIP zu machen. Mit der Resolution 6/36 beschloss der Rat im Dezember 2007 die Einrichtung eines neuen „Expert mechanism on the rights of indigenous peoples“, mit dem das Mandat der WGIP weitergeführt und diese aufgelöst wurde. Damit entsprach der Rat den Vorschlägen aus der WGIP, die diese 2006 äußerte.487 Die erste Sitzung des neuen Expertenmechanismus fand im Oktober 2008 statt und wird jährlich für jeweils bis zu fünf Sitzungstage wiederholt. Die Rolle der fünf Experten,488 an deren Sitzungen weiterhin eine breite Teilnahme von Staatenvertretern und Repräsentanten indigener Völker möglich sein wird, ist beratender Natur für den Menschenrechtsrat, wenn dieser Fragen bezogen auf Rechte indigener Völker zu behandeln hat.489 Eine neue Studie des Expertenmechanismus untersucht die Möglichkeiten zur Aufklärung über Rechte indigener Völker in der Erziehung. Im Rahmen des neu organisierten Menschenrechtsschutzes hat auch der Hohe Kommissar für Menschenrechte die Aufgabe, aktiv für die Förderung der Menschenrechte einzutreten und damit auch den Schutz der Rechte indigener Völker zu verfolgen. Dazu legt das Kommissariat jährliche Berichte vor, wobei bestimmte Aktivitäten hervorgehoben werden. Im Bericht von 2008 wird auf Initiativen hingewiesen, mit denen die Beobachtung indigener Völker, die bewusst in Isolation leben wollen, bewerkstelligt und wie die Zusammenarbeit mit indigenen Völkern in Afrika und dem afrikanischen Menschenrechtsschutzsystem verbessert werden kann.490 Ergänzend zu diesen Berichten gibt der oben erwähnte jährliche Bericht des Special Rapporteur über die Menschenrechtssituation bei indigenen Völkern einen Überblick über aktuelle Problemlagen und den Fortschritt im Schutzsystem der UN.

___________ 486

Vgl. Bestätigung in WGIP, Report 2006, Rdnr. 9. WGIP, Report 2006, Annex III, Rdnr. 8. 488 Für die Periode 2008-2010 sind die Mitglieder zu finden unter www2.ohchr.org/ english/issues/indigenous/ExpertMechanism/membership.htm. 489 Human Rights Council, Provisional Agenda 2008, Rdnr. 9. 490 High Commissioner for Human Rights, Report 2008, Rdnr. 6 und 10. 487

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Wenngleich das Mandat der WGIP nach Einrichtung des neuen Menschenrechtsrates endete und anstelle dessen ein Expertensystem zum Schutz der Rechte indigener Völker eingerichtet worden ist, war es die WGIP die erstmals in signifikanter Weise die Betroffenen selbst eingebunden hat. Deren Arbeit sowie die Fortsetzung im Expertenmechanismus und im Permanenten Forum bedeutet, dass die menschenrechtliche Abteilung der UN – auch nach Verabschiedung der Rechte-Deklaration durch die Generalversammlung – weiterhin die wichtigste Quelle und der zentrale Ort für die Beschäftigung mit indigenen Rechten ist. Im Folgenden soll dennoch kurz auf weitere wichtige Entwicklungen auf der internationalen Arena bezüglich indigener Völker eingegangen werden.491 3. Andere Abteilungen der UN und indigene Völker a) Indigene Völker und Umweltschutz aa) Die Rio-Deklaration und die Agenda 21 Die als „Earth Summit“ bekannt gewordene Weltkonferenz der UN von 1992 in Rio de Janeiro spielte nicht nur für den globalen Umweltschutz, sondern auch für die indigenen Völker eine wichtige Rolle.492 Schon in einer Vorbereitungskonferenz hatten die indigenen Völker ihren möglichen Beitrag zur Verbesserung des Umweltschutzes hervorgehoben. Dieser spiegelte sich in den Ergebnissen der Konferenz, auf der die indigenen Vertreter einen bedeutenden Einfluss hatten, wider.493 Im Juni 1992 wurde per Konsens die „Agenda 21“ angenommen, die wichtige Passagen über Prinzipen und Politikabsichten enthält und auch für Landrechte indigener Völker wesentliche Auswirkungen haben kann. In Kapitel 26 der „Agenda 21“ geht es um die Anerkennung und Stärkung der Rolle indigener Völker und den Schutz ihrer angestammten Siedlungsgebiete gegen Entwicklungsvorhaben, die aus ökologischer Sicht nachteilige Aus___________ 491 In Ergänzung der hier vorgestellten Entwicklungen sind weitere UNEinrichtungen mit dem Schutz indigener Bevölkerungen beschäftigt, so etwa das Committee on the Rights of the Child, das die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention überwacht, dessen Art. 29 und 30 ausdrücklich Rechte indigener Kinder adressieren. Einen Kurzüberblick über diese und andere Beiträge zu einem Menschenrechtsschutz indigener Völker gibt Anaya, Report on the Situation of Human Rights 2008, Rdnr. 20 ff., v.a. 23 ff. 492 Der offizielle Titel lautete „UN Conference on Environment and Development“ (UNCED). 493 Vgl. Washinawatok, 3 N.Y. City L. Rev 41 [1998], 49 f.

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wirkungen hätten. Dazu gehöre auch, dass indigene Völker mehr „selfmanagement“ über ihr Land ausübten.494 Ebenfalls im Juni 1992 wurde per Konsens die „Rio Declaration“ („Declaration on Environment and Development“) auf der Konferenz verabschiedet. In Prinzip 22 dieser „rechtspolitisch bedeutsame[n] Prinzipienerklärung“495 wird die zentrale Rolle indigener Völker und Gemeinschaften in der Umsetzung von Umweltschutzvorhaben durch ihren Wissensstand und ihre traditionellen Praktiken herausgestrichen.496 bb) Die Konvention über biologische Vielfalt Die „Convention on Biological Diversity“ (Übereinkommen über die biologische Vielfalt) ging ebenfalls aus dem Umweltgipfel von Rio hervor und trat am 29. Dezember 1993 in Kraft.497 Dieses Übereinkommen ist weltweit von den meisten Staaten ratifiziert worden und hat noch mehr Ratifikationsstaaten als der IPbpR.498 Auch in diesem Übereinkommen wird ausdrücklich der Beitrag indigener Völker zur Erhaltung biologischer Vielfalt schon in der Präambel hervorgehoben. Besonders wichtig ist Art. 8 j) des Übereinkommens, durch den von jedem Vertragsstaat verlangt wird, soweit möglich traditionelles Wissen und Praktiken indigener Gemeinschaften zu respektieren, zu erhalten und zu vertiefen, um nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen. Am Beispiel Australiens wird argumentiert, dass diese rechtlich bindende Norm direkte Folgen habe, indem der Staat Schutzmechanismen für das Wissen der Aborigines implementieren müsse und sie nicht mehr missachten dürfe.499 cc) Das United Nations Development Programme Auch das Entwicklungsprogramm der UN (UNDP) hat in seinen Richtlinien über die Vergabe von Entwicklungsgeldern die Möglichkeiten zur Unterstützung indigener Völker formuliert. Zunächst wurden in „Draft Guidelines“ 1995 ___________ 494

Vgl. dazu Stavenhagen, Report on the Situation of Human Rights, Rdnr. 13. Gündling/Seelig, LdR, Indigene Völker, 4/463, S. 1. 496 Triggs, 23 Melb.U.L.Rev. [1999] 372, 391. 497 Die Konvention findet sich unter www.cbd.int/convention/convention.shtml; auch abgedr. in 31 I.L.M. [1992], 818 ff.; vgl. dazu Schillhorn, Kulturelle Rechte indigener Völker, S. 131 ff. 498 Ratifikationsstand (Oktober 2008): 188 Vertragsstaaten (www.cbd.int/ convention/parties/list/). 499 Triggs, 23 Melb.U.L.Rev. [1999] 372, 391 f. argumentiert, dass der Native Title Amendment Act von 1998 diese Pflicht missachte. 495

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vier Sektoren identifiziert, in denen die UNDP bezüglich indigener Bevölkerungen aktiv werden sollte. Kulturelle Wiederbelebung, Verbesserung von Lebensstandards, Erhalt natürlicher Ressourcen und Entwicklung in wirtschaftlicher und technologischer Hinsicht. Als im Jahre 2001 die „Policy of Engagement“ der UNDP angenommen wurde, zählte als eines der Prinzipien, die bei der Förderung indigener Völker zu beachten seien, auch die Selbstbestimmung dieser Völker.500 Eine solche Entwicklung hat ähnliche Auswirkungen wie die oben bereits bei den Maßnahmen der Weltbank beschriebenen. Auch diese erlässt keine rechtlich verbindlichen Handlungsleitlinien, aber indem sie Kreditverträge mit Staaten von der Beachtung der Direktiven abhängig macht, hat dies in Fällen, in denen indigene Völker betroffen sind, auch tatsächliche Auswirkungen, so dass die Vorgaben beachtet werden.501 Auch damit wird die Stellung der indigenen Völker als einer besonders zu beachtenden Einheit gestärkt. In diesem Zusammenhang kann auch die Einrichtung der „Inter-Agency Support Group“ genannt werden, die seit 2001 für die unterschiedlichen Abteilungen und Agenturen der UN eine Koordinierung der Aktivitäten vornimmt und damit das Permanent Forum im Anliegen unterstützt, in allen relevanten Bereichen, also z.B. auch wie hier bei der Entwicklungspolitik, indigene Interessen zu berücksichtigen und dabei einheitlich zu verfahren.502 Die UN Development Group hat 2008 auch „Guidelines on Indigenous Peoples’ Issues“ aufgestellt, die bei der täglichen Arbeit von Landesmissionen und den UN-Agenturen beachtet werden sollen und die überblicksartig die Rechtspositionen zusammenfassen und in tabellarischer Form ein Prüfprogramm enthalten, das vor jeder Maßnahme mit Auswirkungen auf indigene Völker abgearbeitet werden soll.503 b) Die World Conference against Racism Im September 2001 fand die „World Conference against Racism, Racial Discrimination, Xenophobia and Related Intolerance“ im südafrikanischen Durban statt. Nicht zuletzt wegen des Veranstaltungsortes und des am meisten umstrittenen Verhandlungsgegenstandes war in der medialen Berichterstattung vor allem über die Frage der Sklaverei und ihrer Folgen zu lesen.504 Im Vorfeld der Weltkonferenz hatten die USA ihre Teilnahme für den Fall verweigert, dass ___________ 500

Stavenhagen, Report on the Situation of Human Rights Rdnr. 25. So jedenfalls Venne, Our elders understand our rights, S. 41 f. Dazu schon oben Kap. 2 A. II. 1. c). 502 Vgl. Hinweis zur Rolle bei Anaya, Report on the Situation of Human Rights 2008, Rdnr. 71. 503 UN Development Group, Guidelines 2008, S. 15 ff. 504 Zur Konferenz und der Abschlussdeklaration vgl. Meldung in NJW 2001, H. 41, LI f. 501

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im Deklarationsentwurf die Folgen der Sklaverei für Afrika anerkannt würden, insbesondere wenn damit Forderung nach einer Entschuldigung und Entschädigungszahlung verbunden wären. Die afrikanischen Staaten bestanden aber im Verlauf der Konferenz auf der Festschreibung der sich noch heute auswirkenden Folgen der Sklaverei.505 In der Abschlusserklärung „Durban Declaration and Programme of Action (2001)“ wird daher festgehalten, dass Sklaverei und Sklavenhandel entsetzliche Tragödien der Menschheitsgeschichte und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind und auch zum damaligen Zeitpunkt als solche hätten gelten müssen.506 Die Definition von Rassismus wurde auf dieser Konferenz wesentlich weiter gefasst als bei der Vorgängerkonferenz 1983 in Genf.507 Die in Südafrika Unrecht aus der Apartheid-Zeit aufarbeitende Menschenrechtskommission hat für ihre Arbeit folgende weite Definition für Rassismus gewählt: „Die (illusorische, durch nichts begründbare) Überzeugung, dass mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse eine moralische Über- oder Unterlegenheit verbunden sei.“508

Ein ähnlich weites Verständnis hat die Durban-Konferenz verwendet, weshalb es nicht überrascht, dass die indigenen Völker einen ganz wesentlichen Teil der Konferenzverhandlungen und der Abschlusserklärung ausfüllten.509 Schon in der Präambel wird auf die Bedeutung der indigenen Völker und ihres Beitrages zur Entwicklung der Welt, aber auch die Probleme, die diese angesichts rassischer Diskriminierung haben, hingewiesen. In Rdnr. 13 wird festgehalten, dass nicht nur afrikanisch-stämmige Völker, sondern generell indigene Völker Opfer von Kolonialismus waren und weiter unter dessen Folgen zu leiden haben. Kolonialismus habe zu Rassismus und rassischer Diskriminierung geführt, die mit weiterhin spürbaren Folgen in Form von sozialen und wirtschaftlichen Ungleichgewichten in vielen Teilen der Welt einhergehe.510 ___________ 505

Vgl. Meldung in NZZ Nr. 180 v. 07.08.2001, S. 2. Durban Declaration and Programme of Action (2001), www.ohchr.org/ Documents/Issues/Racism/Durban.pdf, Ziffer 13. 507 Vgl. Meldung in NZZ Nr. 209 v. 10.09.2001, S. 3. 508 Definition im Anschluss an den ghanaisch-amerikanischen Philosophen Appiah laut Meldung in NZZ Nr. 200 v. 29.08.2000, S. 3. 509 Zu dieser Erwartung im Vorfeld vgl. Rede der Hohen Kommissarin für Menschenrechte Robinson am (vorgezogenen) Tag der indigenen Völker am 26.07.2001, www.unhchr.ch (27.08.2001): „[...] the World Conference offers an unprecendented opportunity to set in motion a global programme to combat racism. As far as indigenous peoples are concerned, I believe that the Conference must lead to a strong statement of intent from Governments on indigenous peoples’ rights“. 510 Durban Declaration and Programme of Action (2001), Ziffer 14. 506

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Indigene Völker seien als Folge dieser Entwicklung von der politischen Mitbestimmung in vielen Staaten ausgeschlossen. Deshalb hält die Abschlusserklärung die Rechte dieser Völker aus dem Völkerrecht fest und fordert von den Staaten geeignete verfassungsrechtliche, behördliche, gesetzgeberische und judizielle Maßnahmen, um den Rechten zur Geltung zu verhelfen.511 Einschränkend wurde jedoch darauf verwiesen, dass die Verwendung des Begriffs „indigenous peoples“, auf dem die indigenen Völker bestanden haben, keinen Einfluss auf die damals laufenden Verhandlungen im Zusammenhang mit der Draft Declaration haben sollten.512 Andererseits sind die gewählten Formulierungen für die Rechte indigener Völker eine Bestätigung der in Richtung weitgehender Selbstregierungskompetenz weisenden Rechtsentwicklung im Völkerrecht: „42. We emphasize that, in order for indigenous peoples freely to express their own identity and exercise their rights, they should be free from all forms of discrimination, which necessarily entails respect for their human rights and fundamental freedoms. Efforts are now being made to secure universal recognition for those rights in the negotiations on the draft declaration on the rights of indigenous peoples, including the following: to call themselves by their own names; to participate freely and on an equal footing in their country’s political, economic, social and cultural development; to maintain their own forms of organization, lifestyles, cultures and traditions; to maintain and use their own languages; to maintain their own economic structures in the areas where they live; to take part in the development of their educational systems and programmes; to manage their lands and natural resources, including hunting and fishing rights; and to have access to justice on a basis of equality; 43. We also recognize the special relationship that indigenous peoples have with the land as the basis for their spiritual, physical and cultural existence and encourage States, wherever possible, to ensure that indigenous peoples are able to retain ownership of their lands and of those natural resources to which they are entitled under domestic law“.513

Insbesondere die Rechte an der eigenen Nutzung ihres Landes festzuschreiben, forderte auch die Chairperson-Rapporteur bei ihrer Rede an der DurbanKonferenz, weil sonst gelebter Rassismus weiter ermöglicht werde.514 Zur Verwirklichung der angesprochenen Rechte fordert das an die DurbanDeklaration angehängte „Programme of Action“ unter der Ziffer 15 und den folgenden bezüglich indigener Völker von den Staaten unter anderem eine Sicherstellung darüber, dass die Indigenen in Angelegenheiten, die ihren eigenen ___________ 511

Durban Declaration and Programme of Action (2001), Ziffer 22 f. Durban Declaration and Programme of Action (2001), Ziffer 24; vgl. daher auch Kritik der indigenen Vertreter, wie sie bei Stavenhagen, Report on the Situation of Human Rights Rdnr. 21 hervorgehoben wird. 513 Durban Declaration and Programme of Action (2001), Ziffer 42 f. 514 Vgl. Statement by Erica-Irene Daes, World Conference against Racism, Racial Discrimination, Xenophobia and Related Intolerance (04.09.2001). 512

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Bereich betreffen, vollständig an der Entscheidungsfindung partizipieren. Auch sollen Programme eingerichtet werden, die das Verständnis für die indigene Bevölkerung erhöhen und dieser die Möglichkeit geben, ihre Kultur besser als bislang zu leben. Von besonderer Bedeutung ist auch der Aufruf in Ziffer 20, der die Staaten dazu anhält, die von ihnen eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den indigenen Völkern zu respektieren und zu befolgen. Auf der internationalen Ebene schließlich wurde bezüglich indigener Völker in den Ziffern 203 und folgende unter anderem gefordert, dass das „Permanent Forum“ dauerhaft unterstützt und die Draft Declaration baldmöglichst verabschiedet werde. Zwar wird – wie von zahlreichen ehemaligen Kolonialstaaten zur Bedingung gemacht – in der Abschlusserklärung die Wiedergutmachung in finanzieller Form nicht erwähnt, die einstigen Kolonialmächte werden aber in Ziffern 101 und folgende aufgefordert, nach geeigneten Mittel und Wegen zu suchen, um die „Würde der Opfer wiederherzustellen“, nicht zuletzt weil die Folgen auch aktuellen Rassismus eine ernsthafte Herausforderung des Weltfriedens seien. 4. Indigene Völker in anderen internationalen Organisationen a) Die Organization of American States Auf dem amerikanischen Kontinent überlebten ungeachtet der frühen Ausrottungsversuche in praktisch jedem Staat nennenswerte, zum Teil bis heute die Mehrheit bildende indianische Bevölkerungen. Daher ist kurz auf die dortige Entwicklung eines Regionalschutzes für indigene Völker einzugehen.515 aa) Politische Haltung gegenüber den indigenen Bevölkerungen Schon auf inter-amerikanischen Konferenzen in Lima 1938 und Bogota 1948 widmeten die fast vollzählig beteiligten amerikanischen Staaten in ihren Abschlusserklärungen den indigenen Bevölkerungen, denen zukünftig mehr staatlicher Schutz zugute kommen sollte, gesonderte Abschnitte.516 Die vielversprechenden Erklärungen zur besseren Behandlung waren jedoch unverbindlich und führten nur zum Teil zu einer positiven Entwicklung, da sie erkennbar noch von einer Verbesserung der Lebenssituation im Sinne einer stärkeren Assimilie___________ 515 Vgl. dazu unter Berücksichtigung der geplanten Deklaration über indigene Rechte bereits oben Kap. 2 A. II. 1. e). 516 Vgl. auch Kreimer, in: The Human Rights of Indigenous Peoples, S. 63 Fn. 2.

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rung der indigenen Bevölkerung ausgingen.517 Eine Expertenkonferenz über indianisches Leben 1940 führte zur Gründung des „Instituto Indigenista Americano (Inter-American Indian Institute)“, das später in die „Organization of American States“ (OAS) als Spezialorganisation integriert wurde.518 Bereits bei Gründung der OAS 1948 wurde neben der „Inter-American Declaration of the Rights and Duties of Man“ auch die „Inter-American Charter on Social Guarantees“ proklamiert, in deren Art. 39 die wirtschaftliche Emanzipation der indigenen Gruppen gefordert wurde.519 Auf politischer Ebene wurde jedoch erst ab 1980 bei den regelmäßigen Konferenzen der OAS eine neue Politik gegenüber der indigenen Bevölkerung verfolgt, die nun stärker die Anerkennung der spezifischen ethnischen Identität fördern sollte.520 bb) Die Rolle der Inter-Amerikanischen Menschenrechtskommission Die 1959 gegründete „Inter-American Commission on Human Rights“ war lange vor Inkrafttreten des Menschenrechtsvertrages „Inter-American Convention on Human Rights“ eingerichtet und hat die Aufgabe über alle Mitgliedstaaten der OAS und nicht nur der Vertragsstaaten der Menschenrechtskonvention Berichte und Empfehlungen zu verfassen.521 Die Menschenrechtskommission befasste sich seit 1971 regelmäßig mit Mitteilungen über die menschenrechtliche Situation indigener Bevölkerungen in den OAS-Mitgliedstaaten.522 Eine wichtige Petition 1980 betraf die Situation der Miskito-Indianer Nicaraguas. Zahlreiche Miskito beschwerten sich über Menschenrechtsverletzungen während des andauernden Bürgerkrieges und beriefen sich auch auf ihr Selbstbestimmungsrecht. Im Jahresbericht der Kommission behandelte diese auch die Frage des Selbstbestimmungsrechts, verneinte aber unter Hinweis auf die territoriale Unversehrtheit von Staaten bezogen auf indigene Völker die Anwendbarkeit, wenn seine Realisierung zum Auseinanderbrechen eines Staates führen ___________ 517 Zu diesen Konferenzen Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 197 ff.; Kreimer, in: The Human Rights of Indigenous Peoples, S. 63 f. 518 Zu diesem einflussreichen Institut vgl. Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 199 f. 519 Vgl. Kreimer, in: The Human Rights of Indigenous Peoples, S. 63, 64 unter Hinweis auf die noch immer protektionistische Haltung, die aber dennoch für damalige Verhältnisse progressiv gewesen sei. 520 Vgl. Scherer-Leyendecker, Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen, S. 200 f. 521 Ipsen, in: Völkerrecht, § 49 Rdnr. 19; allg. Steiner/Alston, International Human Rights, S. 868 ff.; zur Entstehungsgeschichte, Zusammensetzung und den Kompetenzen auch King-Hopkins, 35 Tulsa L. J. [2000], 421, 423 ff. 522 Dazu Anaya, Indigenous Peoples in International Law, S. 167 ff.

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würde.523 Sie forderte aber eine Neuorganisation der politischen Landschaft Nicaraguas, die der Tatsache Rechnung trage, dass die Miskito zwangsweise in den nicaraguanischen Staat inkorporiert worden waren.524 Im Fall der Yanomami-Indianer Brasiliens hat die Kommission den Rechtsgedanken des Art. 27 IPbpR herangezogen, obwohl Brasilien nicht Vertragsstaat des Menschenrechtspaktes war.525 Dieser sei Ausdruck eines im Völkerrecht anerkannten allgemeinen Rechts ethnischer Gruppen auf Schutz ihrer kulturellen Integrität, die im konkreten Fall dadurch verletzt worden sei, dass Brasilien das Eindringen von Goldgräbern in das Territorium der Yanomami und die daraus folgende Gefahr für sie nicht verhindert habe.526 Die beiden Fälle zeigten, dass zwar aus Zulässigkeitsgründen eine Bezugnahme bei den Beschwerden zur Inter-Amerikanischen Menschenrechtsdeklaration oder Menschenrechtskonvention hergestellt werden muss, dass die Kommission aber nach Annahme eines Falles bei der materiellen Wertung darüber hinaus auch andere Quellen für Menschenrechte beachtet.527 cc) Der Inter-Amerikanische Gerichtshof für Menschenrechte (1) Der Awas Tingni-Fall Das regionale amerikanische Menschenrechtssystem ist dem Vorbild der Europäischen Menschenrechtskonvention in der ursprünglichen Fassung nachge___________ 523

Inter-American Commission on Human Rights, Annual Report 1984-1985, Report on the Situation of Human Rights of a Segment of the Nicaraguan Population of Miskito Origin, Case No. 7964, OAS Doc. OEA/Ser.L/V/II.62, doc. 26 (1984). Letztlich zahlte Nicaragua den Miskito eine Entschädigung, weil eine Wiederherstellung ihres alten Lebensraumes nicht möglich war, vgl. Suhr, Deportation – Vertreibung – „Ethnische Säuberung“, S. 29, 75. 524 So auch die Bewertung von Anaya, Indigenous Peoples in International Law, S. 88. 525 Inter-American Commission on Human Rights, Annual Report 1984-1985, Res. No. 12/85, Case No. 7615, Inter-Am.C.H.R. 23 (1985), OAS Doc. OEA/Ser.L/V/II.66, Doc. 10 Rev. 1 (1985), S. 31. Dazu Anaya/Williams, 14 Harv. Hum. Rts. J. [2001], 33, 50 Fn. 68, 52. Ferner wandte die Kommission die „American Declaration on the Rights and Duties of Man“, eine unverbindliche Deklaration aus der Anfangszeit der OAS an, aus der sie ebenfalls Verpflichtungen ableitet, vgl. Anaya/Williams, 14 Harv. Hum. Rts. J. [2001], 33, 41; ferner Anderes, Fremde im eigenen Land, S. 99 ff., zu einem weiteren wichtigen Fall bzgl. der Huaorani aus Ecuador ebda., S. 101 ff. 526 Zu diesen Ereignissen vgl. nur die Schilderung bei Wiessner, 12 Harv. Hum. Rts. J. 57 [1999], 76 ff.; Daes, Indigenous peoples and their relationship to land, Second Progress Report Rdnr. 52; Lâm, At the Edge of State, S. 31 f. sieht darin einen Genozid. Zu den Yanomami auch Scheuch, Atlas zur Zeitgeschichte, S. 73 ff. 527 Vgl. Anaya, Indigenous Peoples in International Law, S. 169 f., der die wichtige Rolle der Inter-Amerikanischen Menschenrechtskommission hervorhebt.

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bildet. Neben der Menschenrechtskommission gibt es daher auch einen Gerichtshof („Inter-American Court of Human Rights“), der über Fälle entscheidet, die von der Kommission weitergeleitet werden, weil sie nicht einer Lösung zugeführt werden können. In einem „landmark case“ von grundlegender Reichweite hat der Gerichtshof vor einigen Jahren Landrechte der indigenen Bevölkerung Nicaraguas in fundamentaler Weise anerkannt. Da zahlreiche solche Streitigkeiten in ganz Amerika bestehen und die Entscheidung des Gerichts für alle Mitgliedstaaten bindend ist, hat das Urteil weit über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung.528 Im Fall „Awas Tingni v. Republic of Nicaragua“ ging es darum, dass Nicaragua seiner Verpflichtung nicht nachkam, indigenes Land ausreichend zu markieren und vor Ausbeutung zu schützen.529 Die Maya-Gemeinschaft der Awas Tingni hatte unter der neuen Verfassung Nicaraguas eine Autonomie erhalten, die ihr auch bestimmte Land- und Rohstoffnutzungsrechte zuwies. Ferner ergaben sich für Nicaragua als Ratifikationsstaat der ILO Konvention Nr. 169 gewisse Verpflichtungen, von Indigenen bevölkertes Land nicht ohne Konsultation auszubeuten. Mit Unterstützung zahlreicher Nichtregierungsorganisationen aus den USA und Kanada530 versuchte die Awas Tingni-Gemeinschaft innerstaatlich gegen den Verstoß der nicaraguanischen Regierung aus innerstaatlichem und Völkerrecht vorzugehen, erhielt aber bis zum Obersten Gerichtshof kein entsprechendes Urteil. Die angerufene Inter-Amerikanische Menschenrechtskommission versuchte erfolglos, im Wege der Mediation einen Ausgleich herbeizuführen. Dabei verlangte die Kommission im Oktober 1997 vorläufige Maßnahmen zur Sicherung des Landes und forderte die Suspendierung der vergebenen und bereits genutzten Konzession für die Holzgesellschaft.531 Als diese ebenfalls missachtet wurde, brachte die Kommission den Fall vor den Gerichtshof.532 Dieser entschied im September 2001 zugunsten der Maya-Gemeinschaft und stellte unter Verweis auf das Recht auf Besitz aus Art. 21 der InterAmerikanischen Menschenrechtskonvention eine Verpflichtung Nicaraguas fest, die Rechte der Gemeinschaft an ihrem Land, den Ressourcen und der dor-

___________ 528 Vgl. Meldung Indian Law Resource Center, 18.09.2001. Zu früheren Entscheidungen des Gerichtshofs mit Bezug zur indigenen Bevölkerung Südamerikas vgl. Kreimer, in: The Human Rights of Indigenous Peoples, S. 63, 65. 529 Zu den Umständen des Falles Anaya/Williams, 14 Harv. Hum. Rts. J. [2001], 33, 37 f. 530 Vgl. dazu nur Macklem/Morgan, 22 HRQ [2000], 569, 571 und Hinweise in Meldung Indian Law Resource Center, 18.09.2001 zur Rolle des Indian Law Resource Center. 531 Zur Vorgeschichte des Falles Macklem/Morgan, 22 HRQ [2000], 569, 570. 532 Vgl. Meldung Indian Law Resource Center, 18.09.2001.

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tigen Umwelt zu respektieren und effektiv zu sichern.533 Die bisherigen rechtlichen Regeln seien „illusory and ineffective“ gewesen, weshalb das Land nunmehr klar gekennzeichnet und abgegrenzt werden müsse.534 Dies gelte nicht nur für den Fall der Awas Tingni.535 Ferner müsse dieser Gemeinschaft eine Entschädigung in Höhe von 50 000 US $ sowie 30 000 US $ Anwaltskosten bezahlt werden. (2) Die Entwicklung der Rechtsprechung seit dem Awas Tingni-Fall Seit dem grundlegenden Urteil im Awas Tingni-Fall 2001, das einen historischen Wendepunkt in der Behandlung indigener Völker in den Konventionsstaaten bedeutet, hat der Gerichtshof in einer Reihe weiterer Urteile in deutlicher Weise die Rechte indigener Völker gestärkt und zugleich durch die umfangreichen und sehr detaillierten Begründungen neben den concurring und dissenting opinions einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der Rechtspositionen dieser Völker geleistet.536 In den Fällen ging es etwa um das Recht auf (Über-)Leben, das eine menschenwürdige kollektive Existenz einschließt. In aller Deutlichkeit verurteilte das Gericht Guatemala als veranwortlich für ein früher begangenes Massaker in einem Dorf einer indigenen Gemeinschaft und sah in der Tötung von Individuen zugleich eine Verletzung des Kollektivrechts auf Überleben als Gemeinschaft.537 Besonders beachtenswert ist, dass der InterAmerikanische Gerichtshof in seinen Schlussfolgerungen auch genau vorgibt, welche Konsequenzen aus den Urteilen folgen. Neben einer offiziellen Anerkennung der Schuld, einer Entschädigung und dem kostenlosen Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem für die überlebenden Opfer ist hier bemerkens___________ 533 Zu den „Property Rights“ aus Art. 21 und anderen Rechtsquellen vgl. ausf. Anaya/Williams, 14 Harv. Hum. Rts. J. [2001], 33, 42 ff. 534 IAGMR, Urteil vom 31.08.2001 – Mayagna (Sumo) Awas Tingni Community v. Nicaragua, Ser. C (No. 79), www.corteidh.or.cr/docs/casos/articulos/seriec_79_ing.pdf; Meldung Indian Law Resource Center (www.indianlaw.org), 18.09.2001. 535 Zu den Umsetzungsverpflichtungen der Staaten bezüglich Landrechten schon vorher Anaya/Williams, 14 Harv. Hum. Rts. J. [2001], 33, 75 ff.; vgl. zu den Möglichkeiten der Streitbeilegung vor dem Gerichtshof allg. in Landrechtsstreitigkeiten in Südamerika Daes, Indigenous peoples and their relationship to land, Second Progress Report Rdnr. 96. 536 Die Urteile sind chronologisch mit Az. abrufbar unter www.corteidh.or.cr/casos.cfm. 537 IAGMR, Urteil vom 29.04.2004 – Plan de Sánchez Massacre (Guatemala), Ser. C (No. 105); Urteil vom 19.11.2004 zu Reparationen, Ser. C (No. 116); im Separate Opinion von Judge Garcia-Ramirez zum zweiten Urteil zeigt dieser den Zusammenhang zwischen kollektiven und individuellen Rechten auf, wie er Bestandteil der Rechtsprechung des Gerichts ist, Rdnr. 1-14.

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wert das Verlangen der Übersetzung der Menschenrechtskonvention und des Urteils in die Sprache Maya-Achí.538 Regelmäßig gibt der Gerichtshof nach der Entscheidung in der Sache auf Nachfrage des verurteilten Staates durch Interpretation seines ersten Urteils solche Vorgaben zur Umsetzung. In einem Fall, bei dem die Nichtberücksichtigung von Bürgermeisterkandidaten aus den indigenen Gemeinschaften als Verletzung des Rechts auf politische Mitwirkung unter Berücksichtigung der kulturellen Besonderheiten dieser Gemeinschaften eingestuft wurde,539 gab das Gericht jüngst genaue Vorgaben, mit wem der Staat Suriname Verhandlungen führen muss, welche Kompensation angemessen ist und wie die Beteiligung zukünftig aussehen muss.540 Auch die Landrechte wie im Awas Tigni-Fall sind bestätigt und unterstrichen worden, wonach es insbesondere auf eine informierte Zustimmung seitens der betroffenen indigenen Völker vor einer Entscheidung über die Verwendung bestimmter Territorien ankommt.541 In einem Fall gegen Paraguay verlangt das Urteil die endgültige formale und tatsächliche Übertragung von Land an die Gemeinschaft der Sawhoyamaxa innerhalb von drei Jahren, übergangsweise eine Ansiedlung andernorts bei gleichzeitiger Zurverfügungstellung eines Entwicklungsfonds und die Zahlung einer Kompensation für die bisherige Entziehung von Land.542 Dieser kollektive Anspruch wird genau auf die Zahl anspruchsberechtigter Individuen dieser Gemeinschaft (knapp über 400) bezogen. Die unterbliebene vorherige Anhörung ist in einem weiteren Fall gegen Nicaragua als Verstoß gesehen worden und hier hat das Gericht zur Verbreitung des Urteils als Kompensation die Ausstrahlung einer Mitteilung mit bestimmten Passagen des Urteils in einem Radiosender mit möglichst großer Empfangbarkeit entlang der Atlantikküste gefordert.543 Insgesamt bildet sich mit der Rechtsprechung des Inter-Amerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte damit nicht nur eine Stärkung der Rechte heraus, es ___________ 538 IAGMR, Urteil vom 19.11.2004 – Plan de Sánchez Massacre (Guatemala), Reparationen, Ser. C (No. 116), Rdnr. XI 4. 539 IAGMR, Urteil vom 28.11.2007 – Saramaka People v. Suriname, Ser. C (No. 172). 540 IAGMR, Urteil vom 12.08.2008 – Saramaka People v. Suriname, Interpretation, Ser. C (No. 185), Vorlagefragen unter Rdnr. I 1. 541 IAGMR, Urteil vom 23.06.2005 – Yatama v. Nicaragua, Ser. C (No. 127); Urteil vom 17.06.2005, Yakye Axa Indigenous Community v. Paraguay, Ser. C (No. 125); Urteil vom 06.02.2006, Yakye Axa Indigenous Community v. Paraguay, Interpretation, Ser. C (No. 142) sowie Urteil vom 15.06.2005, Moiwana Community v. Surinam, Ser. C (No. 124) und Urteil vom 08.02.2006, Moiwana Community v. Surinam, Interpretation, Ser. C (No. 145). 542 IAGMR, Urteil vom 28.03.2006 – Sawhoyamaxa Indigenous Community v. Paraguay, Ser. C (No. 146). 543 IAGMR, Urteil vom 23.06.2005 – Yatama v. Nicaragua, Ser. C (No. 127), Rdnr. XII 8.

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wird vielmehr zugleich für eine Aufklärung über die Anspruchspositionen bei den indigenen Völkern gesorgt. dd) Der Entwurf einer Deklaration über Rechte indigener Völker (1) Die Erarbeitung des Entwurfs Nachdem die Menschenrechtskommission in jährlichen Berichten über die Menschenrechtssituation in verschiedenen Mitgliedstaaten und insbesondere die Situation der indigenen Bevölkerung berichtet hatte, entschied sie sich, die Erarbeitung einer regionalen Deklaration über die Rechte indigener Bevölkerungen voranzubringen.544 Ein vorbereitendes Dokument über potentielle Rechte indigener Völker der IACHR wurde an die Mitgliedstaaten und Organisation der Indigenen ausgegeben, die in ausführlichen Fragebögen dazu Stellung nehmen sollten.545 Erst danach legte die Kommission einen von ihr selbst erarbeiteten Text einer „Draft Declaration“ 1997 der Generalversammlung der OAS vor verbunden mit der Hoffnung, dieser möge zum 50-jährigen Gründungsjubiläum der Organisation 1998 verabschiedet werden.546 Da die Mitgliedstaaten jedoch Änderungswünsche am Text signalisierten, richtete die Generalversammlung im Juni 1999 eine „Working Group of the Permanent Council to Continue Consideration of the Proposed American Declaration“ ein, die später als „Working Group to Prepare the Draft American Declaration on the Rights of Indigenous Peoples“ fungierte.547 (2) Inhaltlicher Überblick Diese Working Group blieb seither mit der Überarbeitung der ursprünglichen Fassung der Draft Declaration beschäftigt. Der Entwurf von 1997 spricht ebenfalls von den „indigenous peoples“, wobei die Einbeziehung dieses Begriffs noch weitergehend als bei ILO Konvention Nr. 169 beschränkt wird, indem klargestellt wird, dass nicht nur bezüglich des Selbstbestimmungsrechts, sondern aller übrigen Rechte aus dem Völkerrecht keine Bezugnahme gemeint ___________ 544

Dazu Venne, Our elders understand our rights, S. 37. Zum Entstehungsprozess vgl. Kreimer, in: The Human Rights of Indigenous Peoples, S. 63, 65 ff. 546 Proposed American Declaration on the Rights of Indigenous Peoples, www.cidh. org/indigenas/chap.2g.htm. 547 Vgl. zum Ganzen Anderes, Fremde im eigenen Land, S. 64 f. Ein jeweils aktueller Überblick über die Aktivitäten der Working Group ist zu finden unter www.oas.org/ consejo/CAJP/Indigenous%20documents.asp#Record und unter www.oas.org/dil/ indigenous_peoples.htm 545

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sein soll.548 Die wichtigsten Prinzipien des ursprünglichen Deklarationsentwurfs, die auch in den überarbeiteten Fassungen weiter bestehen, bezogen sich vor allem auf die Kenntnisnahme der konstitutiven Bedeutung der indigenen Bevölkerung für die Mitgliedstaaten, die alle einen multikulturellen Aufbau aufwiesen. Dieser sollte zukünftig auch rechtlich stärker zur Geltung kommen, wobei die Einheit des Staates bei Aufgabe der Diskriminierung der indigenen Bevölkerung beizubehalten sei. Diese Rechte der indigenen Bevölkerung seien inhärent und umfassten Selbstregierungs- und Autonomierechte. Strittig blieb lange die Frage, ob die explizite Bezugnahme auf Kollektivrechte als Grundvoraussetzung zur wahren Verwirklichung individueller Menschenrechte beibehalten werden soll. In der Entwurfsfassung von 2008 sind diese aber in Art. VI als nicht mehr im Verhandlungsstatus befindlich aufgenommen. Ähnliches gilt bezüglich der Passagen um die Kompensation für historisches Unrecht und Enteignungen.549 Unumstritten ist die endgültige Abkehr früherer Politik, indem in der Deklaration im geplanten Artikel X das Verbot zwangsweiser Assimilierung oder Zerstörung indigener Kultur aufgestellt werden soll. Im Rahmen der Überarbeitung in der Working Group äußern neben Staatenvertretern auch Vertreter von Nichtregierungsorganisationen im Namen indigener Völker ihre Ansichten. Ein von der USA eingebrachter Änderungsvorschlag bezüglich der grundlegenden Menschenrechte, forderte eine Klarstellung, dass die Deklaration nicht dazu führen dürfe, Individualmenschenrechte, die aus anderen völkervertraglichen Verpflichtungen stammen, zu beeinträchtigen.550 Durch die aus Sicht der USA zu weitgehende Formulierung von Rechten und einem sich abzeichnenden Kompromiss hat diese mittlerweile einen Generalvorbehalt angebracht und im Rahmen der Verhandlungen vermerkt, dass sie den gesamten Text in der derzeitigen Fassung ablehnen würde.551 Von verschiedener Seite war der Antrag gestellt worden, einen neuen Artikel einzufügen, in dem die Bedeutung des „Rechts auf Selbstbestimmung“ definiert ___________ 548

Art. 1a Draft Inter-American Declaration in der ursprünglichen Fassung. Kritisch daher auch Venne, Our elders understand our rights, S. 39: „The OAS draft declaration represents all that is wrong with drafting“, weil der Text nicht unter Einbeziehung der indigenen Völker formuliert worden sei. In der jüngsten Fassung des Entwurfs, bei dem aber beide relevanten Artikel noch nicht zu den endgültig beschlossenen gehören, limitiert Art. IV den Art. III (Selbstbestimmungsrecht) nur noch im Hinblick auf Prinzipien, wie sie sich aus der OAS-Charta ergeben, OAS, Record of the Current Status 2008. 549 Vgl. Kreimer, in: The Human Rights of Indigenous Peoples, S. 63, 69 ff. Vgl. aber nunmehr in der Fassung von 2008 Art. XXXIII, der nicht mehr umstritten ist, aber auch nicht deutlich formuliert, ob Entschädigungsprozesse auch für frühere Rechtsverletzungen vorgesehen sein sollen. 550 Vgl. OAS, Working Document comparing, Proposal zu Art. II 1; diese besondere Betonung der Individualmenschenrechte ist offenkundig Ausdruck der Skepsis gegenüber der geplanten Einbeziehung (ausdrücklich als solche bezeichneten) Kollektivrechte. 551 Vgl. OAS, Tenth Meeting of Negotiations – Statement of the United States, 2007.

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wird, wobei hier sowohl die Vorschläge der verschiedenen Mitgliedstaaten untereinander als auch gegenüber denjenigen der indigenen Vertreter abweichen.552 Übereinstimmung herrscht dagegen bei der Frage des Rechts auf Selbstidentifikation der indigenen Völker und bei der autonomen Regelung der Zugehörigkeit, solange diese mit internationalen menschenrechtlichen Verpflichtungen konform sind.553 Insgesamt lässt sich in der gebotenen Kürze feststellen, dass sich im Überarbeitungsprozess zwar Uneinigkeiten über Formulierungen und bestimmte Einzelfragen zeigen. So vertreten Beobachter die Ansicht, dass je länger der – mittlerweile weit über die ursprünglich vorgesehene Zeit hinausreichende – Konsultationsprozess andauere, desto deutlicher werde, dass im Grunde genommen bei den meisten materiellen Rechten der Kern von allen Staaten – mit der derzeitigen Ausnahme der USA – anerkannt werde.554 Insoweit wird in der Literatur empfohlen, dass sich die indigenen Völker Amerikas diesem Entwurfsverfahren mit derselben Intensität widmen sollten wie innerhalb der UN.555 Befürchtungen, möglicherweise hinter der (damaligen) UN-Draft Declaration zurückbleibende Passagen könnten dazu führen, dass damit eine äußerste Grenze potentieller Rechte durch die beteiligten indigenen Völker mit Präjudizwirkung und in Vorwegnahme akzeptiert würden, begegnete Marantz mit dem Hinweis, der Entwurf habe viele wichtige Elemente aus der UN-Draft Declaration, aus der ILO-Konvention Nr. 169 und anderen Prozessen, auf die aufgebaut werden könne, enthalten: die Inter-Amerikanische Deklaration sollte daher betrachtet werden „as the foundation upon which additional features can be built [rather] than as a ceiling beyond which they cannot aspire“.556 Da der Konsulationsprozess nunmehr länger andauert als bei der UN, ist die Orientierung an der verabschiedeten Deklaration nahe liegend, weshalb das Sekretariat auch eine Synopse des Entwurfs mit der UN-Deklaration hergestellt hat.557 ___________ 552

Vgl. – bezüglich der früheren Nummerierung als Art. II – OAS, Working Document comparing, Proposal zu Art. II 4; signifikant ist die ausführliche Definition interner Selbstbestimmung mit weitgehenden Kompetenzen, die von der USA in einem früheren Stadium vorgeschlagen worden war, dazu noch unten Kap. 4 B. III. 3. d). 553 Vgl. OAS, Working Document comparing, Proposal zu Art. III. Zwischenzeitlich sind diese Vorstellungen als übereinstimmende Ansicht in Art. I.2 und V sowie dem noch nicht im Konsens befindlichen Art. VIII enthalten. 554 Anaya/Williams, 14 Harv. Hum. Rts. J. [2001], 33, 56 Fn. 91. Insoweit sei sie ein Fortschritt gegenüber der früheren Haltung, aber enthalte weniger als der Deklarationsentwurf der UN, so Anderes, Fremde im eigenen Land, S. 66. 555 Positive Bewertung des Entwurfs auch bei Wiessner, 12 Harv. Hum. Rts. J. 57 [1999], 107. 556 Marantz, in: People or Peoples, S. 9, 50 f.; ähnlich Kreimer, in: The Human Rights of Indigenous Peoples, S. 63, 72. 557 OAS, Table comparing 2008.

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b) Initiativen in Südamerika aa) Bedeutung der ILO-Konvention Nr. 169 Die noch nicht von vielen Staaten ratifizierte ILO-Konvention Nr. 169 ist von zahlreichen südamerikanischen Staaten verabschiedet worden. Häufig wurde bei der Umsetzung in nationales Recht die Verfassung neu- oder umgeschrieben, um darin die Existenz und die besondere Stellung der indigenen Völker zu unterstreichen.558 In Mexico haben sogar die Gewerkschaften vor dem Verfassungsgerichtshof Klage gegen den mexikanischen Staat eingereicht, weil dieser mit der Verfassungsänderung, die zunächst zugunsten der Indios erfolgen sollte, aber im Gesetzgebungsverfahren stark verwässert wurde, seine Verpflichtungen aus der ILO-Konvention Nr. 169 missachten würde.559 Die verstärkte Aufmerksamkeit, die den indigenen Bevölkerungen in den letzten Jahren in Südamerika zuteil wird, zeigte sich aber auch an der folgenden Deklaration.560 bb) Die Andean Community Die sog. „Andean Community“ besteht aus den Staaten Bolivien, Kolumbien, Ecuador, Peru und Venezuela, die alle einen hohen Anteil noch lebender Indigener an ihrer Bevölkerung haben. Um der Besonderheit dieser bislang vernachlässigten Bevölkerungen zu begegnen, verabschiedete die „Andean Community“ in einem Akt von hoher Symbolkraft im Sommer 2001 auf dem Macchu Picchu folgende Deklaration: „6. We consider the cultural and ethnic diversity that is a hallmark of our nations to be a source of great wealth and of unity among our societies. [...] continue implementing strategies and policies for revaluing the multiethnic and multicultural characteristics of our countries, with a view to promoting full participation by the indigenous peoples and ethnic minorities. The rights of indigenous peoples 7. We firmly support all efforts that are geared towards promoting and protecting the basic rights and freedoms of the indigenous peoples, among them: their individual and collective right to their spiritual, cultural, linguistic, social, political, and economic identity and traditions, their right as peoples to retain control of their historic cultural heritage; their right to their systems, know-how and practice of traditional

___________ 558

Swepston, in: The Human Rights of Indigenous Peoples, S. 17, 34. Vgl. Meldung in NZZ Nr. 189 v. 17./18.08.2002, S. 7 und näher unten Kap. 2 C. IV. 4. c). 560 Einen Überblick über Entwicklungen in südamerikanischen Staaten unter besonderer Berücksichtigung der Verankerung von Landrechten geben Anaya/Williams, 14 Harv. Hum. Rts. J. [2001], 33, 59 ff. 559

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medicine, including the right to the protection of their ritual and sacred places; their right to an education in diversity; and their right to be elected to and to hold public office. [...]“.561

Im Lichte dieser Ziele beschlossen die Staats- und Regierungschefs, unter ihnen erstmals auch Indigene, dass sie neue Impulse zur Verabschiedung der „Draft Declaration“ der Inter-Amerikanischen Menschenrechtskommission geben und daher mit einer eigenen „Working Group“ zu einer besseren Koordinierung bei der Diskussion mit den anderen Staaten kommen wollten. c) Die Entwicklung in Afrika Bereits oben ist auf die Besonderheit der im Rahmen der (damals noch so bezeichneten) OAU verabschiedeten Banjul-Charta eingegangen. Darin werden auch kollektive Rechte behandelt, die sich in besonderer Weise auch auf Indigene auswirken. So ist beispielsweise festgehalten, dass auch Familien bestimmte Rechte gemeinschaftlich wahrnehmen können. Damit sei die Charta „expression of the needs of the African Peoples [...] unique in its approach to the protection of human and Peoples’ rights“.562 Obwohl lange Zeit von verschiedener Seite geäußert wurde, dass Afrika kaum ein Anwendungsfall für die Regelung des Status indigener Völker sei, hat die „African Commission on Human and Peoples’ Rights“ im Oktober 2000 eben dies klargestellt. In einer Resolution setzte sie eine Arbeitsgruppe („Working Group on the Rights of Indigenous or Ethnic Communities in Africa“) ein, die sich mit dem Konzept indigener Völker und den Auswirkungen der BanjulCharta auf diese Gemeinschaften auseinandersetzen sollte. Daraus sollten dann Empfehlungen bezüglich des besseren Schutzes der Rechte indigener Gemeinschaften abgeleitet werden.563 Zum Mandat der Working Group zählen neben der Informationssammlung auch Staatenbesuche, um daraus Vorschläge für die Verhinderung und Wiedergutmachung von Verletzungen der Menschenrechte und grundlegenden Freiheiten indigener Völker abzuleiten. Im Jahr 2003 kam die Working Group dem in einem umfassenden Bericht nach, der im November 2003 von der Afrikanischen Menschenrechtskommission angenommen wurde.564 In einer aktualisierten Kurzfassung dieses Berichts wird im Blick auf die UN-Aktivitäten nochmals unterstrichen, dass auch in Afrika indigene Völker als eigene Kategorie relevant sind und es bei deren Rechten nicht um eine Verdrängung anderer Volksgruppen in den afrikanischen Staaten gehe, was eine ___________ 561

Andean Community, The Act of Macchu Picchu 2001. Venne, Our elders understand our rights, S. 36. 563 Stavenhagen, Report on the Situation of Human Rights Rdnr. 96. 564 ACHPR, Report of the African Commission’s Working Group 2003. 562

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häufig geäußerte Befürchtung ist.565 Die Afrikanische Menschenrechtskommission hat auch mehrere bedeutsame Entscheidungen in Konfliktfällen, bei denen indigene Völker beteiligt waren, gefällt.566 5. Indigene Völker zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Ein „neues, altes“ Rechtssubjekt im Werden Insbesondere in den vergangenen Jahren, aber seit nunmehr schon zwei Jahrzehnten, hat der Grad der Beschäftigung mit indigenen Völkern durch die internationale Gemeinschaft dramatisch zugenommen.567 Es gibt kaum ein bedeutsames menschenrechtliches Dokument, kaum eine Konferenz zu Umwelt-, Entwicklungs- und globalen Wirtschaftsfragen, die ohne ausdrückliche Einbeziehung indigener Themen und Vertreter verabschiedet bzw. abgehalten wird.568 Zwar gibt es auch kritische Stimmen, dass das Indigene „has become, at last, a fashionable issue“, weshalb immer wieder Bezug auf deren Wichtigkeit genommen werde, aber es häufig nur zu Lippenbekenntnissen komme, was die Gefahr der erhöhten Aufmerksamkeit sei. Doch auch diese Kritik gesteht zu, dass die Beschäftigung mit indigenen Völkern auf der UN-Ebene viele positive Folgen gehabt habe, weil damit die „grassroots“-Arbeit angestoßen worden sei, die letztlich durch das Wirken auf lokaler Ebene für die Verwirklichung der Rechte indigener Völker wichtiger sei als abstrakte Dokumente.569 ___________ 565

ACHPR, Indigenous Peoples in Africa: The Forgotten Peoples?, S. 11 und 23. Neben dem bereits oben in Kap. 1 A. VI. 5. erwähnten Fall Katangese Peoples’ Congress v Zaire vgl. insbesondere zu den Folgen von Ölbohrungen auf indigene Völker und einer deutlichen Verurteilung Nigerias ACHPR, Ogoni People v. Nigeria, Communication No. 155/96, Oktober 2001, abgedruckt in Fifteenth Annual Activity Report of the ACHPR 2001-2002, www.achpr.org/english/_doc_target/documentation.html?../ activity_reports/activity15_en.pdf, S. 31-44; dazu Coomans, 52 ICLQ [2003], 749 ff. 567 Dabei waren es lange Zeit Vertreter der Indianer aus den USA oder Akteure, die in deren Namen auftraten, die die Arbeit auf internationalen Foren gestaltet haben, erst in den letzten Jahren wird die Vertretung vermehrt global,vgl. Kickingbird, in: The Human Rights of Indigenous Peoples, S. 357, 371. Barsh, 26 U. Mich. J. L. Ref. [1993], 277, 281, 284 sieht dagegen (kritisch) einen Rückzug der Indianer auf dem Gebiet der USA von der internationalen Bühne bis zu den 1990er Jahren. 568 Insofern kann davon gesprochen werden, dass sich die Staatengemeinschaft nach der Dekolonisierung der sog. „Dritten Welt“ neu orientiert an den Problemen der sog. „Vierten Welt“; zum Begriff vgl. Iorns, 24 Case W. Res. J. Int’l. L. [1992], 199, 201 f. und Fn. 9, bezüglich der Native Americans Clinton, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 77, 109; ähnlich die Einschätzung von Lâm, At the Edge of State, S. 82 ff. Bei der Erarbeitung der Draft Declaration sollten sich die Beteiligten von der Herangehensweise der Generalversammlung bei der Dekolonisierung in den 1960er Jahren inspirieren lassen, so Venne, Our elders understand our rights, S. 139 f. 569 Barsh, 7 Harv. Hum. Rts. J. [1994], 33, 84 f. 566

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Diese Dokumente tragen aber zu einem nötigen, separaten Rechtskörper für indigene Völker bei. Es entspricht einem mittlerweile gängigen Muster in der Menschenrechtsentwicklung, dass besonders benachteiligte Gruppen oder Opfer von Fehlbehandlung und Verletzungshandlungen einen spezifischen Schutz erhalten.570 Das Besondere ist dabei, dass keine neuen Rechte geschaffen werden, sondern diese gleichsam „schon da“ waren und lediglich in den neuen Instrumenten adressiert und ausgesprochen werden. Insoweit handelt es sich um eine politische Entscheidung, für die jeweils die Zeit reif geworden sein muss. Da die indigenen Völker bis heute häufig unter dem Nichtverständnis ihrer Lebensweise durch andere leiden und von den herrschenden Gesellschaften unterscheidbar sind, benötigen sie ebenfalls gesonderte Rechtsinstrumente.571 Der so geschaffene und noch auszubauende Gruppenschutz bedeutet im geltenden Völkerrecht gerade nicht, dass die Gruppe dadurch unter Vormundschaft gestellt wird. Solche Gruppenrechte sind vielmehr eine gesonderte Kategorie von Menschenrechten, die nicht durch (wohlmeinende) Fremdentscheidungen implementiert werden, sondern der Gruppe Rechte zur Umsetzung innerhalb eines Schutzraumes übertragen. Ein so verstandenes „ethnodevelopment“ hat nicht zum Ziel, diese ethnischen Gruppen wie historische Denkmäler zu konservieren, sondern soll das Leben der Gemeinschaft und der ihr angehörenden Individuen für die Zukunft zu sichern und ihnen die Entfaltung ihrer Fähigkeiten in Menschenwürde zu garantieren.572 Das Völkerrecht ist bei der Anerkennung eines Gruppenschutzes bis heute zurückhaltend. Ein solcher wird aber bei in ihrer Existenz bedrohten indigenen Völkern schon länger angenommen.573 Letztlich habe die Entwicklung unter anderem im Menschenrechtsausschuss dazu geführt, dass zunehmend über die Interpretation kollektiver Aspekte der Individualrechte von Gruppenangehörigen ein solcher Schutz gefestigt wird. Der Gruppenschutz könne an seinen grundlegenden Standards erkannt werden, wonach (im Idealfall) die Sicherung der physischen Existenz, einer effektiven Gleichbehandlung, der kulturellen Identität, der Kommunikationsfreiheit und Partizipation, die Anwendung positiver Diskriminerung, Selbstbestimmung der Gruppenzugehörigkeit, das Einrichten eigener Institutionen, die Möglichkeit, den Gruppenangehörigen selbst Pflichten aufzuerlegen und ___________ 570

Falk, in: The Rights of Peoples, S. 17, 32, verweist beispielhaft auf die GenozidKonvention zum Schutz vor rassistisch motiviertem Völkermord oder auch später auf Rechtsinstrumente zum Schutz der Frauen, die weltweit unter einem benachteiligten rechtlichen Status litten. 571 Falk, in: The Rights of Peoples, S. 17, 32. 572 So die Forderung von Kimminich, in: FS Doehring, S. 421, 436. 573 Riedel, in: Aktuelle Probleme des Menschenrechtsschutzes, S. 49, 76, der dies am Selbstbestimmungsrecht festmacht; die Anwendung sog. Kollektivrechte zumindest auf indigene Völker sei unproblematisch und zu befürworten, so Skurbaty, As if Peoples Mattered, S. 311.

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der Anspruch auf Rechtspersönlichkeit und eine Klagebefugnis vor judiziären und quasi-judiziären Gremien dazu gehören.574 Ob aus diesem geschützten Status, auf den im weiteren Verlauf der Untersuchung noch genauer einzugehen sein wird, auch auf eine separate Rechtspersönlichkeit geschlossen werden kann, hänge letztlich wieder davon ab, ob es sich um eine „lediglich“ geschützte Minderheit oder eine darüber hinaus mit internationaler Vertretungsbefugnis ausgestattete Gruppe im Sinne eines Volkes handle.575 Diese Vertretung auf internationaler Ebene kann nach dem oben Gesagten kaum mehr angezweifelt werden.576 Nicht nur werden bei Abkommen zur Konfliktprävention und -abwendung die indigenen Bevölkerungsgruppen beispielsweise durch das Verlangen nach Einrichtung von Autonomien mitbedacht. Vielmehr sind sie – wie schon erwähnt – auf allen globalen Konferenzen beteiligt und was vielleicht noch wichtiger ist, können auf der regionalen Ebene seit einiger Zeit auch gleichberechtigt über die Verwendung von Entwicklungsleistungen mitbestimmen.577 Auch in der Rechtsprechung verschiedenster universaler und nationaler Organe werden potentielle Auswirkungen auf indigene Völker mit bedacht. Am deutlichsten in Richtung einer internationalrechtlichen Stellung geht dabei der Supreme Court of Canada in seiner Entscheidung über die Sezessionsmöglichkeit Quebecs. Wäre die kanadische Regierung aus verfassungsrechtlichen Gründen gezwungen, ernsthafte Verhandlungen mit Quebec über eine Sezession anzustreben, weil zuvor ein Referendum einen ganz deutlichen Wunsch für die Unabhängigkeit erbracht hätte, dann hätten „the indigenous people of Quebec their own right to be consulted and to be at the negotiating table“.578 Konnte daher zu Beginn der neunziger Jahre des ver___________ 574

So die Merkmale bei Riedel, in: Aktuelle Probleme des Menschenrechtsschutzes, S. 49, 74. 575 Pritchard, in: Indigenous Peoples, the United Nations and human rights, S. 2, 11. 576 Kritisch dagegen Washinawatok, 3 N.Y. City L. Rev 41 [1998], 41, 57, die wenig Veränderung seit den Aktivitäten des Häuptlings Deskaheh im Jahre 1923 sieht; jedoch hätten die indigenen Völker die Chance, die UN umzugestalten zu einer Organisation, in der die Bedürfnisse von Völkern Gehör finden. 577 Barsh, 7 Harv. Hum. Rts. J. [1994], 33, 59, der am Beispiel eines lateinamerikanischen Entwicklungsfonds zeigt, dass die Indigenen formal gleichberechtigte Partner bei der Verwaltung des Fonds sind. Zur insgesamt breit abgestützten Vertretung auf internationalen Konferenzen, etwa auch im Zusammenhang mit Urheberrechtsfragen in der WIPO, vgl. Report of the Secretary General, Review by the Coordinator of the International Decade of the World’s Indigenous People 2004, Rdnr. 58 ff. 578 So die Formulierung von Crawford, in: Peoples’ Rights, S. 7, 62; vgl. dazu Supreme Court of Canada, http://scc.lexum.umontreal.ca/en/1998/1998rcs2-217/1998rcs2-217.html, Rdnr. 139, in dem dieser zwar nicht ausdrücklich zur Frage Stellung nehmen musste, welche Rechte die indigene Bevölkerung Quebecs im Falle einer Sezession hätte, da er bereits ein solches Recht der Mehrheitsbevölkerung von Quebec ablehnte, aber implizit dieses Ergebnis erkennen lässt.

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gangenen Jahrhunderts noch argumentiert werden, eine Rechtspersönlichkeit der indigenen Völker sei im Völkerrecht mit Sicherheit nicht anerkannt, geriet diese Position schnell ins Wanken.579 Insbesondere die Ablehnung der Weitergeltung der ursprünglichen Verträge lässt sich heute in dieser Deutlichkeit kaum mehr aufrecht erhalten. Spätestens seit der Einrichtung des „Permanent Forum“ bei der UN werden indigene Vertreter dauerhaft auf gleichberechtigter Ebene mit Staatenvertretern über ihre Interessen verhandeln. Diese Position wurde mit der Verabschiedung der Rechte-Deklaration noch gestärkt, da indigene Völker nun nach Art. 40 Zugang zu Mediationsverfahren auf der internationalen Ebene erhalten sollen.580 Das und die oben gezeigte Zunahme völkerrechtlicher Instrumente zum Schutz der indigenen Völker, lässt den Schluss zu, nicht mehr nur von verliehenen Rechten, sondern zumindest einer bedingten Rechtspersönlichkeit, jedenfalls einer im Werden begriffenen, auszugehen: „The drafting of a Declaration on the rights of Indigenous Peoples moved Indigenous Peoples towards being subjects of international law and away from being treated as 581 objects“.

C. Ausgewählte Rechtspositionen indigener Völker I. Allgemeines Im obigen Abschnitt ist die besondere Rechtsstellung der indigenen Völker im Völkerrecht, die eine eigenständige Rechtspersönlichkeit und ein zumindest im Werden begriffenes Völkerrechtssubjekt bedeutet, dargestellt worden. Es stellt sich darauf aufbauend die Frage, welche konkreten Rechtspositionen den indigenen Völkern ihrem Status entsprechend zustehen. Im Folgenden sollen exemplarisch einige Rechte erörtert werden. Dabei soll nicht im Einzelnen die Geltung als Völkergewohnheits- oder -vertragsrecht bzw. die Qualifizierung als lex lata oder lex ferenda vorgenommen werden. Deshalb ist es möglich, die ___________ 579

Schillhorn, Kulturelle Rechte indigener Völker, S. 30 ff., die auf S. 33 ff. auf die neueren Entwicklungen verweist, die zwar möglicherweise einen anderen (bejahenden) Schluss zuließen, den sie selbst aber (noch) nicht zieht, vgl. ebda. S. 36. Vgl. ferner mit Kritik an der bisherigen Position im Völkerrecht Williams, Duke L. J. 1990, 660, 695 ff. Am Beispiel konkreter Rechte für indigene Völker, die von „emerging“ eine Wandlung zu einer „solidification of the norm“ gemacht hätten, Torres Wick, 25 Yale J. Int’l. L. [2000], 291, 292 f. 580 Auf die Bedeutung dieses Aspekts für den Wandel der Rechtsstellung weist Williams, Duke L. J. 1990, 660, 699 hin. 581 Venne, Our elders understand our rights, S. 137; ebenso im Bezug auf den Entwurf der Inter-Amerikanischen Deklaration Wiessner, 12 Harv. Hum. Rts. J. 57 [1999], 105. Ähnlich schon Barsh, 7 Harv. Hum. Rts. J. [1994], 33, 85 f.: „only a matter of time“.

C. Ausgewählte Rechtspositionen indigener Völker

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Darstellung beispielhaft an den entsprechenden Vorschriften der „UNDeclaration on the Rights of Indigenous Peoples“ entlang aufzubauen. Dabei wird neben der endgültig verabschiedeten Fassung teilweise auch die frühere Entwurfsfassung – die „Draft Declaration“ – mit den zu diesen Vorschriften geäußerten Staatenmeinungen einbezogen, da manche Staaten in der Generalversammlung aus bestimmten Gründen gegen die Deklaration gestimmt, aber sich vorher aktiv und zustimmend an der Erarbeitung bestimmter Formulierungen beteiligt haben. Innerstaatliche Rechtsregeln werden nicht nur durch Völkerrecht beeinflusst, sondern formen auch dieses, indem sie bei der Interpretation internationaler Menschenrechtsverträge herangezogen werden. So geschieht dies beispielsweise bei der Auslegung einzelner Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention durch den EGMR, indem dieser in die mitgliedstaatlichen Verfassungen und Menschenrechtskataloge blickt.582 Ebenso hat der EuGH bei der Entwicklung gemeinschaftseigener Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze die in den mitgliedstaatlichen Verfassungen verankerten Rechte verglichen und daraus eigene Rechte abgeleitet.583 Daher wird auch in diesem Zusammenhang anhand zahlreicher Staatenbeispiele die gewandelte politische und rechtliche Behandlung der indigenen Bevölkerungen aufgezeigt. Wenngleich damit kein direkter Schluss auf etwaiges Völkergewohnheitsrecht gezogen werden kann, zeigen diese Beispiele, dass die oben für den internationalen und insbesondere UN-Bereich festgestellte Entwicklung auch in davon besonders betroffenen Staaten parallel verläuft und damit die herausgehobene Rechtsstellung mit spezifischen Rechtspositionen und der endgültige Abschied des früheren Bildes der „rechtlosen Wilden“ vollzogen ist. Besonders deutlich ist die Verbindung zwischen UN-Entwicklung und nationalem Recht in Bolivien zu sehen, das schon im November 2007 ein Gesetz (Nr. 3760) verabschiedet hat, mit dem die Bestimmungen der Deklaration mit Rechtsverbindlichkeit im innerstaatlichen Recht ausgestattet werden.584 Sowohl die bereits dargestellte Behandlung der indigenen Völker in der UN als auch die diesen Abschnitt abschließenden Länderbeispiele zeigen vor allem, dass bei der Neugestaltung der Beziehungen von Staaten und ihren Regierungen zu den indigenen Bevölkerungen sowie der Neudefinition indigener Rechte

___________ 582

Ähnlich Macklem/Morgan, 22 HRQ [2000], 569, 576 Rdnr. 16. Dazu Cole/Haus, JuS 2003, 760, 761; allg. Pernice/Meyer, in: Grabitz/Hilf, Recht der EU, nach Art. 6 EUV Rdnr. 13 ff.; allg. Lecheler/Gundel, Europarecht, S. 118 ff. 584 Vgl. Erläuterung bei Anaya, Report on the Situation of Human Rights 2008, Rdnr. 52. 583

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

die davon Betroffenen bereits als gleichberechtigte Partner in den Verhandlungsprozess eng einbezogen werden.585

II. Völkerrechtliche Rechtspositionen am Beispiel der UN-Deklaration 1. Anwendbarkeit der Menschenrechte Angehörige indigener Völker unterfallen selbstverständlich demselben menschenrechtlichen Schutz aus dem Völkerrecht wie alle Menschen. Jedoch ergeben sich schon aus diesem individualrechtlich ausgerichteten Schutzsystem eine Reihe von Rechten, die für Indigene wegen ihrer ingesamt meist benachteiligten Stellung im Staat besondere Bedeutung erhalten oder in früherer Zeit hatten. So haben sich Indigene gegen Sklaverei, Genozid und allgemeine Diskriminierung unter Berufung auf Menschenrechte gewehrt. Aber auch besondere Rechte beispielsweise der Kinder spielen für Indigene, die z.B. häufig an Unterernährung oder mangelhafter Wasserversorgung leiden, eine wichtige Rolle.586 Im vorliegenden Kontext interessiert vor allem die Frage, ob darüber hinaus Rechte im Völkerrecht entstanden sind oder entstehen, welche die indigenen Völker als solche und in ihrer Gesamtheit einem besonderen Schutzregime unterstellen. Dazu eignet sich als „blueprint“ die „UN Declaration on the Rights of Indigenous Peoples“, die im September 2007 von der Generalversammlung angenommen worden ist.587 2. Die UN Deklaration Die UN-Deklaration über die Rechte indigener Völker ist bereits vielfach Gegenstand dieser Untersuchung gewesen. Der von der Working Group der Menschenrechtskommission erarbeitete Entwurfstext war nach Annahme durch den neuen Menschenrechtsrat Grundlage für eine Generalversammlungsresolu___________ 585

Die überragende Rolle dieser Verhandlungsposition betont auch Foster, 12 EJIL [2001], 141, 155 f. 586 Vgl. dazu Kingsbury, 92 AJIL 414 [1998], 437; zu den Rechten indigener Kinder im Völkerrecht allg. Price Cohen, 9 St. Thomas L. Rev. [1996], 231 ff.; in den Beratungen der WGDD wurde auch vorgeschlagen, einen gesonderten Artikel über die Rechte indigener Kinder in die Draft Declaration zu inkorporieren, vgl. Chávez, Report of the Working Group on the Draft Declaration 2002 Rdnr. 57, 65. 587 Am Titel („peoples“ statt „populations“ oder „rights“) zeigt sich wiederum die veränderte Sichtweise, die sich im Laufe der Jahre innerhalb der WGIP und der SubCommission bereits bei der Vorbereitung der Entwurfsfassung durchgesetzt hatte, vgl. Venne, Our elders understand our rights, S. 113.

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tion, die für sich genommen rechtlich unverbindlich ist.588 Insofern mag es auf den ersten Blick erstaunlich wirken, dass weit mehr als ein Jahrzehnt an der Überarbeitung der ursprünglich vorgeschlagenen Formulierungen gearbeitet wurde, bevor es zur Resolution kam.589 a) Die Bedeutung und potentielle Auswirkungen der Deklaration Die Ursache dafür liegt in der potentiell weitreichenden Wirkung einer Generalversammlungsresolution in Form einer Deklaration, die in grundlegender Weise Rechte für eine bestimmte Kategorie von Völkern festlegt und damit einen Präzendenzfall schafft.590 Zudem war davon auszugehen und ist immer noch möglich, dass nach der Verabschiedung der Resolution der gleiche Text auch Grundlage für einen menschenrechtlichen Vertrag werden würde bzw. wird, den die Generalversammlung beschließen und dann den Staaten zur Ratifikation auflegen würde.591 Zudem hätte die Generalversammlung bereits im Entwurfsstadium eine Rolle spielen können und nicht erst bei der Abstimmung über den vom ECOSOC weitergeleiteten Entwurfstext. Die Generalversammlung ist der endgültige Mediator in politisch kontroversen Fragen, weshalb bestimmte Teilfragen bei solchen Entwurfsprozessen schon während der Formulierungsphase zur Entscheidung der Versammlung vorgelegt werden, wie es zum Beispiel bei der Frage der Aufnahme des Selbstbestimmungsrechts in die Menschenrechtspakte der Fall war.592 Tatsächlich beließ es die Generalversammlung jedoch hinsichtlich der hier relevanten Deklaration bei der wiederholten Aufforderung an die beteiligten Einrichtungen, die Deklaration im Entwurf in absehbarer Zeit vorzulegen und nach Annahme durch den Menschenrechtsrat kam es zur textlich minimal veränderten Version, die im September 2007 breite Zustimmung fand.593 ___________ 588

Teilweise wurde aber davon ausgegangen, dass weite Teile bereits im Entwurf und insbesondere die strittigen Passagen zum Selbstbestimmungsrecht nur bestehendes Völkerrecht wiederholten und die Anwendung – ohne jegliche Diskriminierung – auch auf indigene Völker klarstellen wolle, so der Hinweis von Stavenhagen, Report on the Situation of Human Rights Rdnr. 91 Fn. 32. 589 Ausf. zum Entwurfsprozess innerhalb der WGIP, die die Vorlage für die neue Working Group (WGDD) erarbeitete Venne, Our elders understand our rights, S. 138 ff. 590 Venne, Our elders understand our rights, S. 135 und 137. Barsh, 7 Harv. Hum. Rts. J. [1994], 33, 75 verweist darauf, dass es nicht so sehr auf den rechtlichen Status, sondern die politische Aufmerksamkeit ankomme, die mit einer Menschenrechtsdeklaration oder einem Vertrag erreicht werde. 591 Vgl. Venne, Our elders understand our rights, S. 162. 592 Pritchard, in: Indigenous Peoples, the United Nations and human rights, S. 40, 53. 593 Dazu oben Kap. 2 B. V. 2. b) ee).

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Angesichts der potentiell weitreichenden Wirkung des zunächst unverbindlichen Textes steht fest, dass der einmal erreichte Standard kaum wieder verwässert werden kann.594 Teilweise ist darauf verwiesen worden, dass der Anspruch der WGIP, einen juristisch möglichst präzise formulierten Text zu verfassen, der Hauptgrund für die sehr genaue und kritische Beleuchtung des Entwurfs durch die Staaten war, weil die Möglichkeit, ihn zur Grundlage von Völkergewohnheitsrecht zu machen, in vollem Umfang gegeben ist.595 Zwar sei wesentliches Ziel der Erarbeitung der Draft Declaration gewesen, dass diese nach Zustimmung in der Generalversammlung universell anwendbar wird,596 zugleich stellte dies aber einen Hauptgrund für die zögernde Haltung beispielsweise der asiatischen Staaten dar.597 Obwohl vor diesem Hintergrund zu befürchten stand, dass die neue Working Group (WGDD) als das erste mit Staatenvertretern besetzte Gremium wegen dieses Hintergrundes und der im Einsetzungsbeschluss eröffneten entsprechenden Möglichkeit, beim Textentwurf wieder „bei Null“ hätte anfangen können, war bereits im Rahmen der ersten Sitzungsperiode klargestellt worden, dass der Entwurf der WGIP als Basis verwendet werden sollte.598 Ferner war nach einigen Jahren von der Sub-Commission beschlossen worden, dass die weiter bestehende WGIP wegen ihres großen Sachverstandes der WGDD für Unterstützung bei der Erstellung des endgültigen Entwurfs zur Verfügung stehen sollte.599 Nachdem die Generalversammlung zum Ende des ersten UN-Jahrzehnts der indigenen Völker auf einen baldigen Abschluss der Entwurfsarbeiten drängte und das Menschenrechtskommittee die WGDD entsprechend verlängerte, legte diese dem neu geschaffenen Menschenrechtsrat 2006 einen endgültigen Text vor, bei dem der Vorsitzende der WGDD die letzte Fassung nach Abschluss der Sitzungen unter Berücksichtigung der Diskussionen, aber vor allem gelenkt vom Ziel einen annehmbaren Kompromissvorschlag entscheidungsreif zu formulieren, erstellte.600 Der Menschenrechtsrat beschloss zügig, den Text unverändert der Generalversammlung zur Annahme anzuempfehlen. Diese kam dem Vorschlag nicht im gleichen Jahr nach, weil die Vertreter der afrikanischen ___________ 594

Nunes, 7 St. Thomas L. Rev. [1995], 521, 548 f., 554 f. Vgl. etwa Marantz, in: People or Peoples, S. 9, 57. 596 Und zwar sowohl bei den Staaten als auch den indigenen Völkern, weil sie sonst keine Autorität habe, so Venne, Our elders understand our rights, S. 54. 597 Marantz, in: People or Peoples, S. 9, 58 f. 598 Barsh, 18.4 (1996) HRQ, 782, 787 ff., der auf S. 795 ff. auch einen Überblick über die Staatenpositionen zu Beginn der Verhandlungen und wie sich diese schon während der ersten Sitzungsperiode angenähert haben, gibt. 599 Sub-Commission Res. v. 15.08.2001, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/2001/L.14. 600 Zur Entstehung der endgültigen Fassung und zu der Verabschiedung oben Kap. 2 B. V. 2. b) ee). 595

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Staaten Bedenken äußerten und eine Unterstützung auch von diesem Kontinent gewünscht war. Im Folgejahr kam es jedoch zu einer Abstimmung über einen marginal geänderten Text der Deklaration über die Rechte indigener Völker. Wenngleich bei der Resolution, die im Übrigen mit deutlicher Mehrheit von 143 Stimmen bei elf Enthaltungen in der Generalversammlung angenommen wurde601, vier Staaten mit bedeutenden indigenen Völkern (Kanada, Australien, Neuseeland, USA) aus unterschiedlichen Gründen gegen die Konvention gestimmt haben, liegt auch in deren Haltung keine grundsätzliche Ablehnung der Rechte indigener Völker. Wie aus den Erläuterungen der Staatenvertreter ersichtlich,602 ging es diesen vier Staaten um eine fehlendes Einverständnis mit dem konkreten Textvorschlag, nicht aber um eine vollständige Verneinung der Rechtsposition indigener Völker.603 Dies lässt sich mit den Aussagen dieser Staatenvertreter belegen. So sprach etwa der kanadische Repräsentant davon, dass die Formulierungen hinsichtlich Land und Ressourcen zu weit und unklar seien und daher in bestehende vertragliche Vereinbarungen über Landnutzung eingreifen könnten.604 Die USA monierte zunächst, dass nicht – wie von ihr und anderen gewünscht – länger an einem Kompromisstext gearbeitet worden sei, dem alle Staaten hätten zustimmen können. So sei es bereits im Menschenrechtsrat zu verschiedenen auslegenden Erklärungen von Staaten anlässlich der Annahme gekommen und diese Unklarheit werde sich auch nach Annahme in der Generalversammlung fortsetzen. Zudem sei zu bedauern, dass die Tatsache einer nennenswerten Zahl von Gegenstimmen in der Entwurfsphase nicht zu einer Verschiebung im Menschenrechtsrat geführt habe, sondern dort auch mit einem gespaltenen Votum der Mehrheit folgend der Text angenommen worden sei. Der Vertreter der USA geht dabei so weit, dies als einen schlechten Präzedenzfall und höchst ungewöhnlich gegenüber der sonst üblichen Konsensfindungsmethode sei.605 Jedoch erklärte auch dieser Staatenvertreter ausführlich, dass die USA schon wegen ihrer innerstaatlichen Ausgestaltung der Beziehungen zu den indigenen Bevölkerungsteilen die besondere Stellung dieser politischen Gemeinschaften anerkenne und auch in Zukunft an einer Förderung auf internationaler Ebene weiterarbeiten wolle. Diese Haltung dokumentierte die Vertretung der USA bei der UN in Form eines offiziell verbreiteten Dokuments mit „Observations“ zum ___________ 601

Tatsächlich waren es 144 Zustimmungen bei zehn Enthaltungen, wie sich aus der Bemerkung des Vertreters von Montenegro ergibt, General Assembly, GA/10612 (Kaludjerovic), S. 14. 602 Die Beiträge und Abstimmungsergebnisse können entnommen werden aus General Assembly, GA/10612. Zu den USA auch Crook, 101 AJIL [2007], 884. 603 Ebenso Anaya, Report on the Situation of Human Rights 2008, Rdnr. 35. 604 General Assembly, GA/10612 (McNee), S. 6. 605 General Assembly, GA/10612 (Hagen), S. 7.

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Deklarationsentwurf. Aus diesem sind einige fundamentale Gegenstandspunkte ersichtlich wie etwa die deutliche Klarstellung, dass die Deklaration von vornherein nur als Formulierung erstrebenswerter Ziele gedacht und die Ausweitung des Selbstbestimmungsrechtsverständnisses außerhalb der Kompetenz der Working Groups gelegen habe.606 Wie sich aus dem Dokument und der Rede vor der Generalversammlung ergibt, bezieht sich die Kritik der USA auf den Text in der konkreten Form, nicht aber das Anliegen, auf internationaler Ebene die Rechte indigener Völker zu stärken.607 Auch manche Staatenvertreter, die sich lediglich der Stimme enthielten, teilten die Kritik. So sprach etwa der russische Vertreter davon, dass die endgültige Textfassung hinsichtlich der Landrechte und Rechte an Bodenschätzen unausgewogen sei. Vor allem aber sei die Art des Zustandekommens des Texts zu kritisieren, der dazu geführt habe, dass wichtige, weil mit großen indigenen Bevölkerungsanteilen versehene Staaten bei den entscheidenden Verhandlungen in der Schlussphase nicht einbezogen worden seien.608 Australien erklärte seine Ablehnung mit der Bezugnahme auf das Selbstbestimmungsrecht in der Deklaration, wogegen es sich schon lange gewehrt habe. Zugleich unterstrich der Staatenvertreter aber, dass Australien in vollem Umfang die Beteiligung indigener Völker im demokratischen Entscheidungsprozess unterstütze und befürworte, es aber nicht zu einer Beschädigung der territorialen oder politischen Integrität eine Staates mit einer gewählten Volksvertretung und einer abgeleiteten repräsentativen Regierung kommen dürfe.609 Wegen der insoweit ablehnenden Haltung, die auch bei anderen Staaten anzutreffen sei, handle es sich bei der Deklaration auch nicht etwa um die Widerspiegelung von Völkergewohnheitsrecht. Jedoch sei es Australien darum gegangen, eine Version des Textes zu schaffen, die allgemeine Zustimmung finde, damit der (politische) Maßstab, an dem Handeln der Staaten gegenüber ihren indigenen Bevölkerungen zukünftig gemessen würde, auch realistisch und realisierbar sei.610 Neuseeland unterstrich vor Abgabe der negativen Stimme, dass es von Anfang an zu den Unterstützern einer Rechte-Deklaration für indigene Völker gezählt habe. Zudem sei die Situation der Maori im Staat von einer gesicherten Position und einem intensiven Wirken auf Wiedergutmachung in Erfüllung der Pflichten aus dem Vertrag von Waitangi gekennzeichnet. Neusee___________ 606

Mission to the UN, Observations of the U.S. 2007. General Assembly, GA/10612 (Hagen), S. 8 („ […] the international community had not been presented with a text that was clear, transparent or capable of implementation“). 608 General Assembly, GA/10612 (Rogachev), S. 8. 609 General Assembly, GA/10612 (Hill), S. 5. 610 General Assembly, GA/10612 (Hill), S. 6. 607

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land sei auch aktiv an der Formulierung einer Deklarationsfassung beteiligt gewesen, die kompromissfähig ist. Letztlich werde es aber dagegen stimmen, so der Staatenvertreter, weil vier Artikel über Landrechte und Ressourcen, Wiedergutmachung und Vetorechte gegenüber staatlichen Entscheidungen nicht zustimmungsfähig seien. Die Formulierung in der Deklaration führe zu einer Anwendung auf das gesamte Staatsgebiet Neuseelands und würde daher der Rechtssicherheit bestehender Verträge und insbesondere den Rahmenbedingungen aus dem Vertrag von Waitangi entgegenlaufen. Selbst die unterstützenden Staaten würden daher in der Deklaration nur eine Zielvorstellung sehen, aber Neuseeland habe ein Dokument erreichen wollen, das tatsächliche Rechtspositionen widerspiegelt.611 Gegen diese kritischen Stimmen stehen die Redebeiträge der Staatenvertreter, die der Deklaration ihre Zustimmung gegeben haben. Von den 143 Staaten haben nur einige vor bzw. im Anschluss an die Abstimmung gesprochen, dabei aber stellvertretend die große Zufriedenheit mit dem Erreichen des Kompromisses und der breiten Zustimmung zum Ausdruck gebracht. Im Jahr vor der endgültigen Verabschiedung hatten die afrikanischen Staaten noch wegen bestimmter Aspekte eine Vertagung beantragt, mit den minimalen Änderungen am Text dann aber durchgängig zugestimmt oder – wie etwa Nigeria – sich der Stimme enthalten. Der Staatenvertreter Benins etwa unterstrich, dass sein Staat wie die meisten afrikanischen Nachbarn dem Text volle Unterstützung gäben. Wenngleich dieser noch nicht perfekt sei, gebe er eine Grundlage für eine positive Umsetzung in der Praxis. Zahlreiche Vertreter europäischer Staaten drückten in ihren Voten aus, dass sie mit dem Erreichten zufrieden sind und einen substantiellen Fortschritt in den Beziehungen zu indigenen Völkern sehen.612 Unabhängig von der Einschätzung der Staatenvertreter ist festzuhalten, dass der verabschiedete Text als Deklaration der UN-Generalversammlung den darin enthaltenen Rechten indigener Völker keine Rechtsverbindlichkeit gibt und diese daher auch keinen „einklagbaren“ Anspruch begründen. Jedoch ist aufgrund der besonderen Umstände im Entstehungsprozess und der inhaltlichen Anlehnung an andere völkerrechtliche Prinzipien und Dokumente von einer teilweisen Geltung der Deklarationsrechte als Völkergewohnheitsrecht auszugehen.613 Zudem ist absehbar, dass die Rechte-Deklaration zunehmend bei Rechtsstreitigkeiten innerstaatlich als Referenzpunkt herangezogen wird, wie dies im Oktober 2007 bereits in Belize in einem Fall über Landrechte gesche___________ 611

General Assembly, GA/10612 (Ehouzou), S. 8. General Assembly, GA/10612 (Pierce), S. 9 f. 613 Anaya, Report on the Situation of Human Rights 2008, Rdnr. 41; genauer in Anaya/Wiessner, OP-ED, Jurist v. 03.10.2007. 612

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hen ist.614 Gleiches gilt für mögliche Wiedergutmachungsprozesse in Form von Verfassungs- oder Gesetzesänderungen zugunsten indigener Völker, wie sie etwa in Bolivien unter Bezugnahme auf die Deklaration schon vorgenommen worden sind.615 Ausweislich der sogleich vorzustellenden Präambel und Artikelstruktur dient die Rechte-Deklaration vor allem auch zur Wiedergutmachung historischen Unrechts, laut Special Rapporteur Anaya zur Beseitigung der weiter bestehenden marginalisierten Position aufgrund der Missachtung des Selbstbestimmungsrechts dieser Völker.616 b) Die Struktur der Deklaration im Überblick Die UN-Deklaration über die Rechte indigener Völker besteht aus einer umfangreichen Präambel und den operativen Artikeln.617 In der Präambel wird die Gleichheit indigener Völker mit allen anderen Völkern unterstrichen, weshalb sie Anspruch auf diskriminierungsfreie Behandlung haben. Die gravierenden Verstöße gegen Rechte indigener Völker werden ebenso wie der Verlust ihres Landes und der daraus folgenden Pflicht der Staaten zum kulturellen Überleben der indigenen Völker durch aktive Unterstützung mitzuwirken, festgehalten. Schließlich wird bereits in der Präambel darauf verwiesen, dass die Abmachungen zwischen Staaten und der jeweiligen indigenen Bevölkerung eine internationale Angelegenheit sind.618 In 46 Artikeln werden dann die Rechte indigener Völker aufgelistet.619 In einem ersten Abschnitt werden die universellen Menschenrechte, wie sie sich aus ___________ 614 Vgl. dazu Angabe bei Anaya, Report on the Situation of Human Rights 2008, Rdnr. 54 und den oben erwähnten Fall beim IAGMR, Urteil vom 28.11.2007 – Saramake People v. Suriname, Ser. C (No. 172). 615 Vgl. Anaya, Report on the Situation of Human Rights 2008, Rdnr. 52. 616 Anaya, Report on the Situation of Human Rights 2008, Rdnr. 36. 617 Überblick zum früheren Entwurfstext auch bei Venne, Our elders understand our rights, S. 112 ff.; Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 98 ff. Erste Analysen der endgültigen Deklaration bei Wiessner, 41 Vand. J. Transnat’l L. [2008], 1141 ff.; Errico, 7 Hum. Rts. L. Rev [2007], 741 ff.; Prasad, 9 Chi. J. Int’l L. [2008], 297 ff. 618 Aus der Funktion der Präambel leitete Nunes, 7 St. Thomas L. Rev. [1995], 521, 549 f. ab, dass zunächst eine Reihe von Einzel-Deklarationen verabschiedet werden sollten, die die zentralen Kategorien des Entwurfs zum Gegenstand hätten, bevor zu einem späteren Zeitpunkt eine „Gesamt-Deklaration“ ins Auge gefasst würde. 619 In der letzten Entwurfsfassung aus der Working Group waren es noch 45 Artikel, die noch in neun Teile untergliedert waren. Daes, 7 St. Thomas L. Rev. [1995], 493, 494 f. gesteht als Vorsitzende der WGIP zwar zu, dass der Deklarationsentwurf eher

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Menschenrechtserklärungen und -verträgen ergeben, auch auf indigene Völker anwendbar erklärt. Dabei wird, wie bereits oben in Kap. 2 B. V. II. 2. b) erwähnt, ausdrücklicher das Selbstbestimmungsrecht in Art. 3 einbezogen und andere kollektive Rechte erwähnt (dazu unten Kap. 2 C. II. 3. und 4.). Die Art. 7 bis 10 regeln das Recht auf Überleben nicht nur der Individuen, sondern auch als unterscheidbare Gruppe sowie den Schutz vor jeglicher Form von Ethnozid oder kulturellem Genozid.620 Im nächsten Abschnitt geht es um ein Recht auf kulturelle Integrität (dazu unten Kap. 2 C. II. 5.), das die Bewahrung und Weitergabe der besonderen Regeln und Traditionen erlaubt und dazu auch die Rückgabe indigener Artefakte wie z.B. religiöser Stücke, die heute in Museen aufbewahrt werden. Art. 14 ff. regeln Fragen der Erziehung und Medien,621 die indigene Völker in Eigenverantwortung leiten können sollen sowie die Anwendbarkeit internationaler Standards aus dem Arbeitsrecht. Letzere werden in Art. 17 Abs. 2 angereichert durch Schutzmaßnahmen gegen Kinderarbeit, von der gerade indigene Bevölkerungsgruppen in manchen Teilen der Welt besonders betroffen sind. Der Abschnitt ab Art. 18 befasst sich mit der Teilnahme an Entscheidungsprozessen des Gesamtstaates, damit die eigene soziale und wirtschaftliche Lage verbessert wird. Am Beispiel des Zugangs zu medizinischen Einrichtungen (Art. 24) zeigt sich, dass die indigenen Völker die Möglichkeit erhalten sollen, ihren medizinischen Vorstellungen Raum zu geben, was aber nicht mit einer Verweigerung des Zugangs zu etablierten Institutionen im Gesundheitswesen einhergehen soll. Teil 6 des Entwurfs enthält Artikel über den Zugang und die Nutzung des traditionellen Lands der indigenen Völker, wobei der besonders bedeutsame Art. 26 ein Besitz- und Entwicklungsrecht einschließlich der gesamten Umwelt bezüglich der traditionell bewohnten oder benutzten Territorien manifestiert wird (dazu unten Kap. 2 C. II. 3.). In Art. 27 und dem neuen Art. 28 wird die Rückgabe zu Unrecht entzogenen Landes mit der Möglichkeit einer angemessenen finanziellen Entschädigung geregelt, falls eine Rückgabe nicht möglich ist. Der für die vorliegende Arbeit zentrale Abschnitt war der ehemalige siebte Teil des Entwurfs, der die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts unter Bezugnahme auf Autonomielösungen und Selbstregierungsmodelle regelt. Der alte Art. 31 aus dem Entwurf findet sich nun in gekürzter Form als Art. 4 und damit in direktem systematischen Zusammenhang mit dem Art. 3, als dessen ___________ lang und kompliziert, denn kurz sei, dies aber wegen der Komplexität des Themas unvermeidbar gewesen sei. 620 Gegenüber der Fassung aus der Working Group ist der alte Art. 11 dieses Teils ersatzlos gestrichen worden, in dem es um einen besonderen Schutz indigener Völker bei gewaltsamen Konflikten und Kriegen ging. 621 Zur Bedeutung von den Indigenen in Eigenregie betriebenen Medien vgl. Stromnes, Missoulian v. 25.02.1999, S. B1; Zimmerman/Molyneaux, Indianer, S. 158 f.

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

Konkretisierung er gesehen werden kann. Zum Selbstbestimmungsrecht indigener Völker gehört nach diesem Verständnis auch das Recht zur selbständigen Festlegung der Zugehörigkeit, also „citizenship“-Regeln, die weiterhin im hinteren Teil der Deklaration zu finden sind (Art. 33, der nicht mehr nur von Zugehörigkeit zu einem indigenen Volk spricht, sondern auch der Festlegung einer eigenen Identität). Neben eigenen Regierungsstrukturen wird in Art. 34 die Rolle indigener Rechtsregeln unterstrichen. Art. 36 ermöglicht internationale Abkommen mit anderen Völkern in eigenen Angelegenheiten. In Art. 37 schließlich erhalten indigene Völker die Kompetenz zum Vertragsschluss mit ihren Mutterstaaten, wobei insbesondere die Respektierung und Weitergeltung ursprünglicher Verträge und anderer Abkommen mit den heutigen Staaten oder ihren Vorgängern als Recht festgehalten werden. Die im Entwurf noch in dem entsprechenden Artikel vorgesehene Lösungen von Streitigkeiten über vertragliche Verpflichtungen, die anders nicht gelöst werden können und die durch Einbeziehung eines dafür zuständigen zwischen den Parteien vereinbarten internationalen Organs behandelt werden sollten, findet sich in der endgültigen Deklaration nicht mehr. Die Art. 38 ff. regeln ausführlich den Rahmen, mit dem die Staaten ihrer Umsetzungsverpflichtung aus der Deklaration entsprechen müssen, und bezieht auch Aktivitäten auf internationaler Ebene ein. Die abschließenden Artikel betten die Deklaration in übriges internationales Recht ein. Dabei stellt Art. 46 klar, dass die Deklaration keinem Staat und auch keinen sonstigen Gruppen oder Individuen das Recht gibt, gegen die UN-Charta zu verstoßen. Ausdrücklich wurde vor der letzten Fassung – auf Anregung der afrikanischen Staaten – Art. 46 nochmals in Absatz 1 erweitert durch den Vorbehalt, dass die Deklaration nicht so ausgelegt werden dürfe, dass sie Handlungen erlaube, die gegen die territoriale Integrität oder politische Einheit von Staaten gerichtet sind (vgl. dazu schon oben Kap. 2 B. V. 2. b) ee)). c) Die zentralen Kategorien der Deklaration Im Rahmen dieser Untersuchung ist es nicht möglich und auch nicht nötig, auf alle einzelnen Rechte der Deklaration einzugehen.622 Besonders hervorzuheben ist jedoch die extensive Behandlung kollektiver Rechte im Entwurf,623 die auch in der endgültigen Deklaration (z.B. in Art. 7 Abs. 2) weitgehend beibehalten wurden, wenngleich stellenweise abgeschwächt. Auf die Kategorie der ___________ 622 Daes, 7 St. Thomas L. Rev. [1995], 493, 496 sieht folgende drei Schwerpunkte: „legal personality“ für die indigenen Völker, „territorial security“ bezüglich der von ihnen besiedelten Gebiet und „international responsibility“ für die Behandlung der indigenen Völker durch die Staaten. 623 Venne, Our elders understand our rights, S. 114 f. Allg. zum Konzept der kollektiven Rechte bezogen auf indigene Völker Clinton, 32 Ariz. L. Rev. [1990], 739, 741 ff.

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kollektiven Rechte ist mit besonderem Blick auf das Recht auf kulturelle Integrität einzugehen. Ferner ist die Verankerung von „land rights“ zu behandeln, insbesondere deshalb, weil darin aufgrund der besonderen Beziehung indigener Völker zu ihrem Land das Hauptunterscheidungskriterium liegt, um sie als Völker zu qualifizieren, wie oben gezeigt worden ist. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum in vielen Staaten mittlerweile auf juristischem oder politischem Wege Landrückgaben erkämpft wurden, worauf im nächsten Abschnitt vertiefend zurückzukommen ist. Die völkerrechtlich bedeutsame Frage nach der Weitergeltung ursprünglicher Verträge, die auch in der Deklaration thematisiert wird, ist ebenso zu analysieren wie in einem gesonderten Abschnitt die daraus und auch aus den anderen Rechten ableitbare Anwendbarkeit des Selbstbestimmungsrechts der Völker auf indigene Völker mit den sich daraus ergebenden Folgerungen.624 3. „Land Rights“ Die konstitutive Bedeutung des besonderen Verhältnisses indigener Völker zur Umwelt im Allgemeinen und „ihrem“ Land im Besonderen hat Daes in ihrer Studie „Indigenous peoples and their relationship to land“ wie folgt formuliert: „[...] it is difficult to separate the concept of indigenous peoples’ relationship with their lands, territories and resources from that of their cultural differences and values. The relationship with the land and all living things is at the core of indigenous socie625 ties“.

Dies ist eine Erklärung für den bis heute in vielen Fällen katastrophalen sozialen Zustand indigener Gemeinschaften, weil die vielleicht am stärksten übereinstimmende gemeinsame Erfahrung der ursprünglichen Bewohner ehemaliger Kolonien die durchgängige, meist gewaltsame Wegnahme von Land oder Vertreibung von diesem ist.626 ___________ 624

Eine Untersuchung des Nunavut-Agreements, vgl. dazu unten Kap. 2 C. IV. 1. c), am Maßstab der Draft Declaration nimmt Kersey, 11 Ariz. J. Int’l & Comp. L. [1994], 429, 445 ff., anhand der Kategorien „Territorial Rights“, „Self-Determination Rights“, „Collective rights“, „International Legal Status“ vor. Venne, Our elders understand our rights, S. 114 sieht die vier wichtigsten Bereiche in den Punkten „recognition of peoples with no imposed definition, self-determination, and land and resource rights“. 625 Daes, Indigenous peoples and their relationship to land, Final Working Paper Rdnr. 13. Diese Erkenntnis sei eine der wichtigsten Erfolge der Präsenz indigener Völker bei der UN, so Williams, Duke L. J. 1990, 660, 689. Aus indianischer Sicht vgl. Crow Dog, Ohitika Woman, S. 279 ff. 626 Venne, Our elders understand our rights, S. 122; Stomski, 16 Am. Ind. L. Rev. [1991], 575, 578. Zur Bedeutung des Landes und der negativen Konsequenzen bei Wegnahme auch Martínez, Study on Treaties, Final Report Rdnr. 206, 217 ff., 227.

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a) Die Wegnahme des Territoriums indigener Völker Neben der Doktrin des terra nullius war es vor allem das angebliche Recht auf Eroberung, das die expandierenden europäischen Staaten zur Wegnahme des Landes zu legitimieren schien.627 Dabei wirkte sich im Rahmen der Dekolonisierung die verengende Anwendung des uti possidetis-Prinzips für die Landrechte indigener Völker negativ aus, weil diese so gezogenen Grenzen der Enteignung des ursprünglich von indigenen Völker bewohnten Landes nachträglich eine Aura der Legalität verlieh. In vielen Fällen wurde das Land durch die Eroberer „erworben“, indem Friedensverträge geschlossen wurden, in denen Gegenleistungen versprochen, aber selten eingehalten wurden.628 Häufig wurden die indigenen Völker aus ihren angestammten Gebieten vertrieben und in Reservaten angesiedelt, die meist in wirtschaftlich für die Mehrheitsbevölkerung uninteressant erscheinenden Gebieten lagen. Dieses vor allem aus den USA bekannte Reservatssystem hat bis heute überlebt und ist auch in anderen Staaten etabliert.629 So ist noch heute in Brasilien elf Prozent des staatlichen Territoriums als Indianerreservat ausgezeichnet, drei Fünftel davon liegen in Amazonien, das wegen seiner Regenwälder auch für den Umweltschutz große Bedeutung hat. Ein weiteres von Staaten benutztes Argument zur Wegnahme ursprünglichen Landes oder wenigsten eigener Nutzungsbestimmung war, dass die traditionelle Bevölkerung vermeintlich keine Besitzformen kenne und damit auch nicht das von ihr genutzte Land besitzen könne. Diese meist wider besseren Wissens vorgetragene Disqualifizierung der indigenen Bevölkerung führte dazu, dass das betreffende Land vom Staat anderweitig genutzt wurde.630 b) Enteignung durch Ausbeutung in moderner Zeit Die Landwegnahme ist aber nicht ein historisch abgeschlossenes Kapitel, sondern geschieht noch immer.631 Es geht also bei den Landrechten nicht nur um die Frage der Rückgabe oder Einrichtung besonderer Territorien, sondern auch um die endgültige Sicherung indigenen Landes. So können zwar Kanada ___________ 627

Vgl. zu den Begründungsansätzen Williams, Duke L. J. 1990, 660, 688. Zu diesem Problemkreis Kap. 2 C. II. 2. 629 Torres, 16 Yale J. Int’l. L. [1991], 127, 137 f. 630 Am Beispiel der schwedischen Sami, die für ihren Landbesitz sogar regulär Abgaben an den Staat entrichteten, bevor dieser die Besitzmöglichkeit mit Hinweis auf die traditionelle Lebensform der Sami, die solchen Besitz nicht kenne, abgeschaffen hat, zeigt dies die Meldung in NZZ Nr. 102 v. 04./05.05.2002, S. 7. Weitergehende Analyse bei Broderstad, 8 IJMGR [2001], 151, 155 und Fn. 4. 631 Vgl. beispielhaft Schilderung bei Heintze, 50 ZaöRV [1990], 39, 61 f.; Venne, Our elders understand our rights, S. 127. 628

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und Neuseeland mit ihren Modellen zur Zuteilung von Land an die indigene Bevölkerung durchaus Vorbild sein für ein allgemein anzuwendendes System.632 Aber auch in diesen Staaten, die Lösungen zugunsten der Landnutzung durch indigene Bevölkerungsgruppen ermöglicht haben, bestehen weiter Konflikte. Dies gilt beispielsweise dann, wenn von den Indigenen als heilig empfundenes Land zur wirtschaftlichen Nutzung verkauft oder geöffnet werden soll. So hat eine Gruppe Maori Mitte 2002 ein kurz vor dem Verkauf stehendes Stück Land besetzt, weil es für den Mythos ihrer Herkunft von größter Bedeutung sei und daher nicht wirtschaftlich genutzt werden dürfe.633 Die Enteignung von Land oder Landnutzungsrechten spielt heute meist bei hydroelektrischen Grossprojekten wie dem Bau von Staudämmen oder bei der Verpachtung zugunsten der Nutzung von Ressourcen eine fortgesetzte Rolle.634 Im AmazonasGebiet Brasiliens beispielsweise befindet sich auf den Indianerreservaten ein Großteil des Regenwaldes. Es gab Pläne, die Verfassung zu ändern, um auch in diesen Reservaten die Abholzung des Regenwaldes durch die Holzindustrie zu ermöglichen.635 Das Beispiel zeigte, dass auch errungene und verfassungsrechtlich abgesicherte Rechtspositionen unter Druck kommen können, wenn erhebliche wirtschaftliche Interessen im Spiel sind. Die zentrale Bedeutung der Landbasis für die indigenen Völker und ihre Bedrohung durch wirtschaftliche Ausbeutung hat der UN-Menschenrechtsausschuss als Komponente des Art. 27 IPbpR herausgearbeitet. Im Lubicon Lake Band-Fall bejahte er eine Verletzung der Minderheitenschutzvorschrift, weil der indigenen Gemeinschaft trotz gravierender dafür sprechender Argumente kein ausreichendes Territorium zugeteilt wurde und das bestehende durch großflächige Ressourcenverwertung durch von außen kommende Industrien bedroht werde.636

___________ 632

Wolfrum, 59 ZaöRV [1999], 369, 382. Vgl. Meldung in Meldung in NZZ Nr. 162 v. 16.07.2003, S. 48. Ähnliche Probleme gibt es häufig beim Versuch der Nutzung indianischen Territoriums für Öl- oder andere Rohstoffförderung, vgl. exemplarisch nur Dörr, 30 VRÜ [1997], 7 ff. 634 Martínez, Study on Treaties, Final Report Rdnr. 231. 635 Vgl. dazu Meldung in NZZ Nr. 6 v. 09.01.2003, S. 5, wo auch darauf verwiesen wird, dass unter Regierung des damals neuen Präsidenten Lula diese Pläne möglicherweise ad acta gelegt werden. 636 HRC, Ominayak/Lubicon Lake Band v. Canada, Communication No. 167/1984 Rdnr. 27, vgl. dazu Kingsbury, 92 AJIL 414 [1998], 438. Vgl. ferner die erneuten Hinweise auf die fortbestehende bedrohliche Situation durch eine Eingabe der Lubicon vor dem fünften Staatenbericht Kanadas an den Menschenrechtsausschuss, Meldung in NZZ Nr. 254 v. 31.10.2005; die abschließenden Bemerkungen des Ausschusses kritisieren dies in HRC, Concluding Observations: Canada 2006 Rdnr. 9 f. 633

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

c) Vertraglich zugesicherte Rechte am Land und Landnutzungsvereinbarungen Indigene Völker benötigen abgegrenzte Territorien nicht nur, weil sie auf diesen ihre „distinct culture“ auch ausleben können und sich damit zu einem gewissen Grade von der übrigen Bevölkerung isolieren, sondern auch, weil sie besondere Vorstellungen der Bewirtschaftung des Landes mit der gesamten Flora und Fauna haben und für viele indigene Völker bis heute die Jagd und bestimmte Örtlichkeiten wirtschaftliche und spirituelle Bedeutung haben.637 Daher hat die ILO Konvention Nr. 169 in Teil II, Art. 13 ff. ausführlich die Landrechte indigener Völker thematisiert.638 Auch ist in vielen Staaten die terra nullius-Doktrin frühzeitig aufgehoben worden und das Konzept des „aboriginal title“, das auf eine langwierige Nutzung bestimmten Landes folgende Berechtigungen festlegt, eingeführt worden. In diesen Staaten sind die Chancen einer innerstaatlichen Erlangung bestimmter Landnutzungsrechte relativ hoch.639 Häufig sind die eingeräumten Landnutzungsrechte aber nicht uneingeschränkt. So dürfen Indigene zwar in manchen Staaten anders als die übrigen Bürger gegen Gesetze zum Schutze der Flora und Fauna „verstoßen“, wenn es zur Ausübung ihrer traditionellen Jagd oder des Sammelns dient.640 Die Nutzung ihres Landes zum Zwecke der Rohstoffausbeutung können sie aber oft nicht verhindern. Exemplarisch soll hier auf den Awas Tingni-Fall gegen Nicaragua vor dem Inter-Amerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte verwiesen werden, bei dem es um Waldrodungsrechte ging.641 Dieses Beispiel zeigt, dass es durchaus ___________ 637

Heintze, 50 ZaöRV [1990], 39, 62 bezeichnet dies als „tiefe emotionale Bindung der Ureinwohner an ihr Land“. Williams, Duke L. J. 1990, 660, 689: „legal recognition of indigenous peoples’ collective human rights [...] would mean little without a corresponding recognition of the collective nature of indigenous rights to occupy traditional territories“. Vgl. ferner Torres, 16 Yale J. Int’l. L. [1991], 127, 138. 638 Vgl. dazu ausf. Swepston, 15 Okla. City U. L. Rev. 677 [1990], 696 ff.; Schillhorn, Kulturelle Rechte indigener Völker, S. 53 ff. mit Hinweisen zur Bedeutung für das kulturelle Leben; Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 52 ff. mit besonderer Betonung der wirtschaftlichen Komponente und der eher schwachen Ausgestaltung der Rechte in dieser Konvention. 639 Daes, Indigenous peoples and their relationship to land, Final Working Paper Rdnr. 38; vgl. dazu auch Stavenhagen, Report on the Situation of Human Rights. 640 So z.B. auch die Aborigines in Australien, wie der High Court Mitte 1999 feststellte, indem er eine Verurteilung gegen einen Aborigine wegen Verstoßes gegen Schutzgesetze eines Teilstaates bei seiner Jagd aufhob, vgl. NJW 1999, H. 44 XLIX f.; dies gelte sogar auf dem Gebiet eines Nationalparks. 641 Ehrlich, 7 NEICLA [2001], 1, 3 f.; zur Vorgeschichte Anaya/Williams, 14 Harv. Hum. Rts. J. [2001], 33, 37 f. Vgl. auch schon in Kap. 2 B. V. 4. a) cc).

C. Ausgewählte Rechtspositionen indigener Völker

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sinnvoll ist, innerhalb der Staaten sog. „Co-Management“-Lösungen zu finden, wonach den indigenen Völkern der Primäranspruch über das Land zusteht, aber bezüglich bestimmter Ressourcen eine Nutzung auch durch den Gesamtstaat in gegenseitigem Einverständnis ermöglicht werden muss.642 Damit würde einerseits der Anspruch des Staates, Souveränität über die Rohstoffe auf seinem Territorium auszuüben,643 ebenso gewahrt wie die besonderen Notwendigkeiten der indigenen Bevölkerung. Die dazu idealerweise zu schaffenden Abmachungen über die Einrichtung besonderer Territorien und entsprechender Kompetenzen sind in jüngerer Zeit teilweise, so vor allem in Kanada, verwirklicht worden.644 Wichtig ist es, diese Vereinbarungen in einem gegenseitigen Vertrauensverhältnis zu erarbeiten und nicht durch staatliche Maßnahmen „von oben“ einzurichten. Die Bedingungen der Vereinbarung sollten von der Zustimmung des betroffenen indigenen Volkes vorrangig abhängig gemacht werden.645 Weil Staaten unter Hinweis auf die gesamtstaatliche Kompetenz über die Rohstoffe zu entscheiden, häufig nur sehr zögerlich Landrechtsvereinbarungen treffen,646 sollten innerstaatliche Anreize dazu geschaffen werden.647 Besonders wirkungsvoll ist es, wenn bezüglich umstrittener Territorien vorläufige Sicherungsmaßnahmen und damit z.B. die Sistierung laufender Rohstoffverarbeitungen von gerichtlicher Seite angeordnet werden können, weil dies die Notwendigkeit einer Einigung erhöht.648 d) Die Rückübereignung von Land Der Idealfall zur Wiedergutmachung der unrechtmäßigen Landnahme liegt in der Rückübereignung traditionellen Siedlungsgebietes an die indigene Bevölkerung oder der Einrichtung von Besitzrechten an heutigem Territorium. ___________ 642 Vgl. dazu den „Amicus Brief“, den die Assembly of First Nations Canada beim Gerichtshof einbrachte, Macklem/Morgan, 22 HRQ [2000], 569, 592 ff. 643 So die mögliche Argumentation des Staates unter Berufung auf Art. 1 Abs. 2 der Menschenrechtspakte. Ähnlich Williams, Duke L. J. 1990, 660, 691. 644 Zur Einrichtung von „Nunavut“ vgl. nur Kersey, 11 Ariz. J. Int’l & Comp. L. [1994], 429, 446 ff. mit positiver Bewertung der Entsprechung mit den Territorialrechten aus der Draft Declaration, die insbesondere in den Art. 10 ff. der endgültigen Deklaration beibehalten worden sind. 645 So auch Macklem/Morgan, 22 HRQ [2000], 569, 583 Rdnr. 39. Das bedeute zumindest Information, Anhörung und Verhandlungen in materieller Hinsicht. So auch Anaya/Williams, 14 Harv. Hum. Rts. J. [2001], 33, 80. 646 Vgl. dazu auch Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 54 f. 647 Heintze, 50 ZaöRV [1990], 39, 62 f. konstatiert einen Widerspruch zwischen Theorie und Praxis bei der Zuerkennung von Landrechten. 648 Macklem/Morgan, 22 HRQ [2000], 569, 590 Rdnr. 53 f.

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

Die Rückgabe ganz ursprünglichen Territoriums mit der gleichzeitigen Wegnahme von den heute das Land Nutzenden kann nur selten funktionieren, da dadurch neues Unrecht geschaffen würde.649 Die rechtliche Beurteilung des gewaltsamen Gebietserwerbs früherer Zeit führt daher in ein Dilemma: wenn ein Eroberungsrecht akzeptiert wird, dann obsiegt das Recht des Stärkeren. Wird es geleugnet, wird das Recht zwar gerecht, aber in gewissem Sinne wirkungslos, da es die Eroberungen in breitem Maße gegeben hat.650 Insoweit wird davon ausgegangen, dass „injustice can be superseded with the passage of time“,651 um eine Befriedung zu ermöglichen. Dann ist aber darauf zu achten, dass Wiedergutmachung durch andere Mittel erfolgt. Es ist jedoch auch darauf hingewiesen worden, dass eine solche „just compensation“ in Form finanzieller Mittel für eine Gruppe ein inadäquates Mittel ist. Solche Zahlungen seien im Grunde genommen zur Entschädigung von Individuen geeignet, die anstelle ihres enteigneten Landes woanders Besitz kaufen können. Die Umsiedlung einer ganzen Gruppe biete sich jedoch kaum an.652 Daher geht der Ausschuss gegen Rassendiskriminierung in seiner Allgemeinen Bemerkung zu indigenen Völkern auch davon aus, dass soweit möglich die Kompensation immer in Form von „lands and territories“ gegeben werden sollte.653 Insbesondere in Staaten, in denen die indigene Bevölkerung noch heute auf abgegrenztem Gebiet wie zum Beispiel in Reservaten lebt, bietet sich die Zuteilung erweiterter Nutzungsrechte und Selbstbestimmung auf diesem Territorium als Lösung an.654 Nach den Rechten aus Art. 10 der Deklaration kann solches Land nur übergehen, wenn heute das indigene Volk frei und voll informiert („free, prior and informed consent“) zustimmt. Die Landrückgabe als solches ist aber nicht das einzige Problem. Auch in Staaten, die formal ihren indigenen Völkern Land zur eigenen Bewirtschaftung und Kontrolle zugewiesen haben, wird dieses Recht häufig nicht ausreichend

___________ 649

Vgl. dazu Brilmayer, 16 Yale J. Int’l. L. [1991], 177, 197 ff. Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 159 f., 167. 651 Moore, The ethics of nationalism, S. 186; kritisch jedoch Iorns, 24 Case W. Res. J. Int’l. L. [1992], 199, 297. 652 Stomski, 16 Am. Ind. L. Rev. [1991], 575, 578. Dies ist zugleich ein gutes Beispiel dafür, dass das „normale“ Menschenrechtssystem, weil individualrechtlich ausgerichtet, für die indigenen Völker nicht ausreichend sein kann. 653 CERD, General Recommendation on the Rights of Indigenous Peoples VIII (1997); abgedr. z.B. in Annex, 59 ZaöRV [1999], 573 f. 654 Am Beispiel Kanadas Torres, 16 Yale J. Int’l. L. [1991], 127, 142 f.; auf diesen nachträglichen echten „Vorteil“ der Erduldung der Verdrängung in die Reservate für die betroffenen indigenen Völker bei ihren Selbstbestimmungsforderungen weist Werther, Self-Determination in Western Democracies, S. 51 f. hin. 650

C. Ausgewählte Rechtspositionen indigener Völker

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gesichert.655 In vielen Fällen liegt dies daran, dass das zugewiesene Land nicht markiert wird und so nicht vor fremdem Zutritt oder unberechtigter Nutzung geschützt werden kann. Eine solche physisch wahrnehmbare Begrenzung sei gerade in von unkontrollierter Ausbeutung bedrohten Gegenden wie dem amazonischen Regenwald unabdingbar.656 e) Völkerrechtlicher Status der „land rights“ Die Besonderheit eines völkerrechtlichen Landrechtanspruchs indigener Völker liegt in der Verwirklichung dieses Rechts in kollektiver Form. Das entsprechende Land soll nicht nach individualrechtlicher Eigentumsvorstellung, sondern „held in common“ sein, weil gerade von dieser Art der Landnutzung und -weitergabe das System der indigenen Völker lebt.657 Die Deklaration setzt diese Vorstellung in den Art. 25 ff. weitreichend um. Schon vor Verabschiedung der Deklaration war zu beobachten, dass – wie noch unter Kap. 2 C. IV. an einigen Beispielen konkret gezeigt wird – weltweit Staaten solche speziellen Landrechtsregelungen zugunsten der indigenen Völker erlassen. Wenngleich die einzelnen Umsetzungen unterschiedlich seien, so bestätige „consistent with developments at the international level, this pattern of domestic legal practice [...] an expanding consensus already sufficient and widespread enough to constitute customary international law – at least in regard to certain core precepts of ownership, control, and use of traditional lands and natural resources“.658

Beispielhaft für die Anerkennung früheren Unrechts bezüglich der Landwegnahme und der nun beabsichtigten Aufrechterhaltung besonderer Beziehungen mit der indigenen Bevölkerung, „especially including discussions about lands and territories“, ist die Haltung der USA bei den Verhandlungen zur Inter-American Draft Declaration on the Rights of Indigenous Peoples.659 Diese ___________ 655

Daes, Indigenous peoples and their relationship to land, Final Working Paper Rdnr. 130. 656 Vgl. dazu die Situation im Awas Tingni-Fall, Anaya/Williams, 14 Harv. Hum. Rts. J. [2001], 33, 76. 657 So auch Venne, Our elders understand our rights, S. 126 f. 658 Anaya/Williams, 14 Harv. Hum. Rts. J. [2001], 33, 73 f. Ebenso Heintze, 50 ZaöRV [1990], 39, 60: „generellen Konsensus über das Fortbestehen der Landrechte“. Ähnlich Torres, 16 Yale J. Int’l. L. [1991], 127, 160, unabhängig davon, dass die konkreten Lösungen häufig hinter dem Notwendigen zurückblieben. Anaya/Williams, 14 Harv. Hum. Rts. J. [2001], 33, 57 f., weisen ferner darauf hin, dass alle internationalen Organe, die in den letzten zehn Jahren mit indigenen Völkern beschäftigt waren, die besondere Bedeutung der Landrechte für das kulturelle Leben hervorgehoben haben. 659 Vgl. OAS Working Group, Comments of the United States Delegation 2002, S. 5 zur Debatte um Art. XVIII (= Landrechte). Auch bei den Verhandlungen zur UN Draft Declaration zeigten sich die Staatenvertreter der USA bei der Unterstützung der Land-

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

Entwicklung ist signifikant, denn die in der UN-Deklaration vorgesehenen Rechte „essentially would delegitimate the five-hundred-year-old legacy of the European doctrine of discovery“.660 Der generelle Konsens über das Bestehen von Landrechten indigener Völker erstreckt sich aber noch nicht auf den Umfang der Rechte, insbesondere an den Ressourcen des Landes.661 Zwar wurden die „subsurface natural resources“ von der UN Draft Declaration nicht explizit angesprochen, weil aber die Schutzverpflichtungen bezüglich der Umwelt der indigenen Völker sehr umfangreich sind, konnte dies als Einschluss der Verwertungsrechte der natürlichen Ressourcen gewertet werden.662 Auch die Tatsache, dass Großprojekte zur Nutzung von Ressourcen nur nach Konsultationen mit den betroffenen indigenen Völkern zulässig wären, im Ergebnis zu einer höheren Gewichtung der Interessen des indigenen Volkes gegenüber denen des Staates.663 Das erklärt, warum in der mit dem Entwurf beschäftigten WGDD übereinstimmend von der Notwendigkeit der Einbeziehung von Landrechten in die Deklaration ausgegangen wurde, dass aber zugleich zahlreiche Staatenvertreter den geplanten Umfang für zu weitgehend hielten, weil es sich um ein Menschenrechtsdokument handle.664 Die damit verbundene Skepsis der Festschreibung kollektiver Rechte ist aber gerade die Herausforderung, die Rechte indigener Völker an das Völkerrecht stellen.665 Konsequenterweise wurde in der endgültigen Fassung der Deklaration die zentrale Vorschrift über Landrechte (Art. 26) auch auf die Ressourcen ausgedehnt. Die Autoren Anaya und Williams haben unter Einbeziehung der Entwicklungen in der UN, im Inter-Amerikanischen System und in den Staaten mit indigenen Völkern folgende Elemente eines völkergewohnheitsrechtlichen Landrechts für indigene Völker herausgearbeitet: die Staaten müssen zunächst Maßnahmen zur Festlegung und Markierung von kollektivem Landbesitz für indigene Völker ergreifen. Dieser Besitz erstreckte sich schon nach dem Verständnis der UN Draft Declaration nicht nur auf Land im klassischen Sinne, sondern ___________ rechtsnormen großzügig, vgl. Chávez, Report of the Working Group on the Draft Declaration 1999 Rdnr. 99. 660 Williams, Duke L. J. 1990, 660, 691, sinngemäß auch auf die endgültige Deklaration anwendbar. 661 Vgl. auch die Einschränkungsversuche Kanadas bei den Verhandlungen zur UN Draft Declaration, Chávez, Report of the Working Group on the Draft Declaration 1999 Rdnr. 96, 102. 662 Venne, Our elders understand our rights, S. 123. 663 Williams, Duke L. J. 1990, 660, 690 f. 664 Vgl. Barsh, 18.4 (1996) HRQ, 782, 800. 665 Vgl. zum engen Zusammenhang der Landrechte mit dem Selbstbestimmungsrecht Chávez, Report of the Working Group on the Draft Declaration 1999 Rdnr. 72, 112.

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auf die gesamte Umwelt, also zum Beispiel auch das Wasser.666 Hinsichtlich der auf diesem Territorium befindlichen Bodenschätze besteht eine Verpflichtung, die Nutzung nur nach Verhandlungen und Zustimmung der indigenen Bevölkerung zu beschließen und sicherzustellen, dass negative Auswirkungen auf das Land durch die Erschließung und Nutzung ausbleiben bzw. minimiert werden. Zudem muss die indigene Bevölkerung auch maßgeblich am Ertrag der genutzten Ressourcen beteiligt werden.667 Diese Aspekte aus der Draft Declaration sind in Art. 32 der endgültigen Deklaration beibehalten worden. Wenngleich nicht alle Elemente heutigem Völkergewohnheitsrecht entsprechen, ist vom Bestehen einer Landrechte-Regel und einer fortschreitenden Bewegung des Völkerrechts zur weiteren, solchermaßen umschriebenen Anerkennung des Rechts auszugehen.668 4. Rechte aus weitergeltenden Verträgen Die Frage nach heutigen Ansprüchen auf bestimmte Territorien oder Landnutzungen hängt eng mit der Frage nach der Weitergeltung von Verträgen zusammen, welche die – vornehmlich europäischen – Staaten bei ihrer Expansion mit indigenen Völkern in den „neuen“ Gebieten geschlossen haben.669 a) Historischer Hintergrund Wie bereits oben erläutert, bedienten sich die Expansionsstaaten des Vertragschlusses als Mittel zur Ermöglichung ihrer Eroberungen und Neuansiedlungen. Aus Sicht der Staaten, die neue Territorien suchten, war es oft unumgänglich, einvernehmliche Verträge mit der dort lebenden Bevölkerung zu schließen. „Treaties, agreements and other constructive arrangements“670 sind nicht von allen Expansionsstaaten verwendet worden, so haben beispielsweise die von Spaniern und Portugiesen gegründeten Staaten keine Vorgeschichte von Vertragsbeziehungen mit der dortigen indigenen Bevölkerung.671 Auch ___________ 666 Venne, Our elders understand our rights, S. 123 zeigt, wie sich die unterschiedlichen Positionen indigener Völker aus verschiedenen Lebensräumen bei der Arbeit in der WGIP angenähert haben und letztlich ein umfassender Schutzbereich aufgenommen worden ist. 667 Anaya/Williams, 14 Harv. Hum. Rts. J. [2001], 33, 75 ff. 668 Venne, Our elders understand our rights, S. 125; Heintze, 50 ZaöRV [1990], 39, 60. 669 Ebenso Heintze, 50 ZaöRV [1990], 39, 63. 670 So der Titel der umfassenden Studie von Martínez, Study on Treaties (= Verträge, Vereinbarungen und andere Formen von Abmachungen). 671 Martínez, Study on Treaties, First Progress Report Rdnr. 200.

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

haben verschiedene Staaten und Staatengruppen ihre Vertragspolitik unterschiedlich gehandhabt, Großbritannien war die einzige Kolonialmacht, die konsistente Vertragsbeziehung mit außereuropäischen Völkern eingehalten hat.672 Insoweit ist ein bevorzugenswerter globaler Ansatz zur Frage der Fortgeltung dieser ursprünglichen Verträge nicht in allen Facetten möglich.673 Nichtsdestotrotz erlauben es die verschiedenen Formen von Verträgen – wie es auch in der UN-Studie geschehen ist – zu einer einheitlichen Bewertung der generellen Frage der Weitergeltung zu gelangen, wenngleich in Einzelfällen ein davon abweichendes Ergebnis erzielt werden muss. Insbesondere im Blick auf die im Rahmen dieser Arbeit besonders interessierende Gegend ist durch den Einfluss der britischen Kolonialmacht eine eindeutige Vertragspolitik auszumachen. Wegen der ursprünglichen militärischen Unterlegenheit und um die Neuansiedlungen zu sichern, suchten in Nordamerika die Kolonialstaaten die Befriedung der Territorien an der Ostküste, indem mit den dort lebenden Indianervölkern durch gegenseitige Verträge Frieden und Sicherheit vereinbart wurde. Auch Verträge zur Bildung militärischer Allianzen mit gegenseitiger Beistandsverpflichtung und Handelsverträge gehörten hier zur allgemeinen Praxis.674 In einem Prozess der „Retrogression“675 wurde allmählich, als sich die militärischen Machtverhältnisse umkehrten und immer neuer Landbedarf auftat, über die Verträge versucht, die vorher anerkannte Souveränität der Indianervölker zu beseitigen und das Land vollständig durch Abtretungen zu erlangen.676 Auf den ersten Blick erscheint es so, dass durch diese „Retrogression“ die dortigen indigenen Völker nicht nur eine erhebliche Zahl der Bevölkerung verloren, sondern auch – zumindest zeitweise – andere Elemente ihrer Souveränität einbüßten: neben ihrem Territorium und ihren Regierungsformen war auch die vormals anerkannte Kapazität, internationalrechtliche Vereinbarungen einzugehen, nicht mehr gesichert. Vor diesem Hintergrund wurde nicht nur im Rahmen der Arbeiten in der UN-Working Group gefordert, dass ein neuerlicher „process of reversal“ stattfinden sollte, der den indigenen Völkern und den Verträgen ihren ursprünglichen Status zurück gibt.677 Im Folgenden wird erläutert, inwiefern dies nicht ohnehin durch die völkerrechtlichen Rahmenbedingungen gefordert wird. ___________ 672

Martínez, Study on Treaties, First Progress Report Rdnr. 177. Corntassel/Primeau, 17.2 (1995) HRQ, 343, 354 ff. 674 Für den heutigen kanadischen Raum vgl. Eick, Indianerverträge in NouvelleFrance, S. 44. 675 Martínez, Study on Treaties, Second Progress Report Rdnr. 133. 676 Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France, S. 153 f. 677 Vgl. dazu Martínez, Study on Treaties, Final Report Rdnr. 105 f. 673

C. Ausgewählte Rechtspositionen indigener Völker

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b) Rechtliche Qualifikation der Verträge in damaliger Zeit Zunächst stellt sich die Frage, wie die zur Zeit der Expansion geschlossenen Verträge einzuordnen sind. Maßgeblich ist dabei die damalige Sichtweise, wenngleich diese aus naheliegenden Gründen von den neu gegründeten Staaten lange Zeit aus der aktuellen Sicht verfälschend dargestellt wurde. So kommt es nicht darauf an, wie der spätere Umgang mit den Verträgen oder den indigenen Völkern selbst einzuordnen ist, sondern auf die ex ante-Sicht der „ankommenden“ Expansionsstaaten. Eng damit hängt der bereits oben in Kap. 2 B. I. und II. allgemein für indigene Völker zu dieser Zeit behandelte und der für die Native Americans in Kap. 3 B. I. 2. vertiefte Status zusammen. Es ist bereits gezeigt worden, dass die indigenen Völker trotz entgegenstehender Lehre in der Staatenpraxis gerade nicht als rechtlose Einheiten, sondern als Bevölkerung von mindestens „Quasi-Staaten“ – zumindest in Nordamerika – behandelt wurden.678 Ohne hier auf die Kontroverse im Detail eingehen zu müssen, ist die Ansicht, wonach die mit den so empfundenen indigenen Völkern abgeschlossenen Verträge zwar als internationale und auch rechtsverbindliche Instrumente, nicht aber als völkerrechtliche Verträge zu qualifizieren seien, abzulehnen.679 Der zur Begründung vorgebrachte Hinweis, dass die Staaten später versuchten, die Verträge als innerstaatliches Konstrukt einzuordnen, trägt ebensowenig dazu bei, die damalige Sichtweise festzustellen, wie die bereits genannten Schiedssprüche zu den Fällen „Cayuga Indians“, „Palmas Island“ „Eastern Greenland“. Dieser Hinweis ist ebenso pauschal wie die häufig geäußerte Ansicht, die Verträge seien „anomalous“ gewesen und auch auf ungewöhnliche Art geschlossen worden und es fehlt in fast allen Fällen gänzlich am Versuch eines historischen Nachweises.680 Die Kritiker beziehen sich letztlich auf eine Einordnung der Verträge aus heutiger Sicht. Gerade die Vertragsschlüsse sind der Hinweis auf eine zumindest Teilvölkerrechtssubjektivität der indigenen Völker zur damaligen Zeit.681 Selbst wenn also die damaligen Expansionsstaaten glaubten, vermeintlich zur ungefragten Einbeziehung „herrenloser“ Territorien – unter Verweis auf die terra nullius-Doktrin – berechtigt zu sein, bedienten sie sich nicht dieses Mittels, sondern schlossen Verträge und wichen damit von einer entgegenstehenden Dogmatik ab. Die insoweit entscheidende Staatenpraxis682 zeigt ___________ 678

Vgl. oben Kap. 2 B. I. und II. sowie Dörr, 36 JöR n.F. [1987], 489, 499 ff. So aber Schillhorn, Kulturelle Rechte indigener Völker, S. 32 f. 680 Vgl. überzeugend Schulte-Tenckhoff, 4 Review of Constitutional Studies [1998], 239, 260 m.w.N. 681 Dazu eingehend unter besonderer Berücksichtigung der USA Dörr, 36 JöR n.F. [1987], 489, 494 ff. 682 So auch Dörr, 36 JöR n.F. [1987], 489, 503. 679

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

demnach, dass die Verträge aus Sicht der damaligen Staaten zweifelsfrei völkerrechtlicher Natur waren.683 Zwar befand sich der damalige Status der indigenen Völker nach den ersten Kontakten der expandierenden Staaten mit diesen in einer Gemengelage von Völkerrecht und staatlichem Recht, wie von Dörr für das Gebiet der USA dargelegt worden ist.684 Daraus lässt sich aber nicht ableiten, dass die ursprünglichen Verträge mit den indigenen Völkern als Verträge sui generis einzuordnen sind, denn vor dem Vertragsschluss bestand der völkerrechtliche Status uneingeschränkt, wenngleich er von den Expansionsstaaten als solcher nicht anerkannt wurde.685 Die sui generis-Argumentation, die besonders von kanadischen Gerichten angeführt wurde, diente letztlich nur dazu, die Geltung der Verträge und den Status der „First Nations“ einzuschränken.686 Obgleich die Verträge zunächst völkerrechtlich verbindlich waren, musste in jedem Einzelfall überprüft werden, ob die Vereinbarungen nicht durch nachfolgende Ereignisse erloschen sind. Insbesondere bei Friedens- und Bündnisverträgen können nämlich nachfolgende kriegerische Auseinandersetzungen den ursprünglichen Vertragszweck auch durch konkludentes Verhalten aufheben.687 Auch ist für bestimmte Gegenden zu prüfen, ob durch Staatennachfolge die Verträge mit den neuen Staaten noch gelten. So könnte für das kanadische Territorium mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage, also der clausula rebusRegel argumentiert werden, weil Grundlage für die Allianzverträge die Anwesenheit der französischen Kolonialmacht war. Als diese sich entfernte, könnte auch der Grund für die Verträge entfallen sein. Aber auch hier zeigte sich, dass Frankreich die Indianernationen weiterhin als Verbündete betrachtete.688 Hingegen ist Großbritannien 1763 zur neuen Kolonialmacht geworden, hat aber nicht im Wege der Staatensukzession die Vereinbarungen Frankreichs mit den Indianernationen übernommen. Jedoch hat die britische Kolonialmacht zugesagt, bestimmte Vereinbarungen weiterhin respektieren zu wollen, womit sie neue vertragliche Verpflichtungen eingegangen ist.689 Wenngleich für jeden Einzelfall der Inhalt des Vertrages und auch sein mögliches Erlöschen durch bestimmte Ereignisse nachzuprüfen ist, kann jedenfalls festgehalten werden, dass die damaligen Vereinbarungen zwischen den Expansionsstaaten und den ___________ 683

Ebenso z.B. Brownlie, Treaties and Indigenous Peoples, S. 8. Dörr, 36 JöR n.F. [1987], 489, 500, 504. 685 Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France, S. 43 f. 686 Dazu Schulte-Tenckhoff, 4 Review of Constitutional Studies [1998], 239, 259 f. und unten Kap. 2 C. IV. 1. b). 687 Darauf weist Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France, S. 150 f. hin. 688 Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France, S. 151 f. mit Verweis auf wiederholte Zusagen zur Einhaltung früherer Verpflichtungen. 689 Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France, S. 152. 684

C. Ausgewählte Rechtspositionen indigener Völker

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indigenen Völkern grundsätzlich zunächst völkerrechtliche Verbindlichkeit aufweisen. c) Auslegungsgrundsätze bei der Bestimmung von Vertragsinhalten Nicht nur der Status der mit den indigenen Völkern geschlossenen Verträge ist unklar, auch der jeweilige Inhalt ist oft bis zum heutigen Tage zwischen den Vertragsparteien umstritten. Hierfür gibt es verschiedene Gründe, die damit zusammenhängen, dass zwei unterschiedliche Kulturen mit einem unterschiedlichen Rechtsverständnis in meist ungleichen Machtverhältnissen aufeinandertrafen. Der heute historisch analysierende Völkerrechtler hat zuvorderst das Problem der schlechten Quellenlage. Zunächst wurden die Verträge vollständig ignoriert und noch heute spielen sie in der Behandlung dieser Völkerrechtsepoche oft eine untergeordnete Rolle.690 Viel entscheidender ist aber das Problem, dass sowohl der Vertragsabschluss als auch seine Dokumentierung bei den indigenen Völkern häufig durch mündliche Überlieferung und die den Vertragsschluss begleitende Zeremonie gekennzeichnet war. Die heute nach der dominierenden Völkerrechtslehre zugänglichen Quellen sind aber meist die schriftlichen Vertragsdokumente und damit die von der Seite der expandierenden Staaten dokumentierte Version der Verträge. In vielen Fällen gibt es dann außerdem noch verschiedene Versionen eines Vertrages, der mit unterschiedlichen indigenen Völkern geschlossen wurde. Neben dem Problem der Quellenlage stellt sich ein weiteres Problem bei der Bewertung von Verträgen in der Sprachbarriere.691 Am Beispiel des Vertrages von Waitangi in Neuseeland – dazu unten in Kap. 2 C. IV. 3. a) – lässt sich zeigen, dass die Übersetzung des englischen Vertragstextes in die Maori-Sprache und die anschließende Rückübersetzung zu zwei völlig unterschiedlichen Texten führte, weil bestimmte Worte in einer Sprache nicht existierten oder eine andere Konnotation als in der anderen Sprache hatten und weiterhin haben.692 Solche Probleme gab es auch in Kanada und den USA, vor allem, wenn es um vermeintliche „Landabtretungen“ ging. So verstanden die indianischen Vertreter die Klausel der Zuteilung von Jagd- und Fischereirechten gegen Abtretung der Nutzung des Landes als Anerkennug ihrer Gebietshoheit und nicht als Ge___________ 690

Vgl. zu diesem Versäumnis nur Dörr, in: FS Schiedermair, S. 927, 927 f. Zum Fehlen der „indigenous version“ der Abmachungen oder zumindest ihrer Hinterlegung bei den offiziellen Stellen und damit die Nichtberücksichtigung in Quellensammlungen vgl. Martínez, Study on Treaties, Second Progress Report Rdnr. 149. 692 Ehrlich, 7 NEICLA [2001], 1, 5. 691

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genleistung für Aufgabe oder gar Erlöschen von Landrechten.693 Bestimmte rechtliche Konzepte, insbesondere die Vorstellung eines individuellen Eigentums über Land, über das frei verfügt werden kann, waren den beteiligten indigenen Völkern unbekannt. Daher konnten diese in das von den „Weißen“ vorgetragene Verständnis der entsprechenden Vertragsklauseln nicht wirksam einwilligen.694 Insoweit ist hinsichtlich des authentischen Vertragstextes, welcher der Auslegung für den konkreten Vertragsinhalt zugrunde zu legen ist, verstärkt auf die Frage zu achten, ob der als von beiden Seiten angenommene überlieferte Text tatsächlich auch den Vorstellungen der indigenen Seite entsprach.695 Wegen der beschriebenen Quellenlage ist dies zwar in manchen Fällen schwierig, aber durch entsprechende Recherche durchaus möglich nachzuvollziehen.696 Der auf dem Gebiet des heutigen Kanada übliche Vertragsschluss durch Austausch sog. „Wampum-Belts“ als Bestandteil der Vertragszeremonie neben der schriftlichen Fassung war aus Sicht der indigenen Völker Ausdruck des sich auf den Inhalt Vertrauen-Könnens. Diese Symbole dienten einer Bekräftigung des Vertragsinhalts im gegenseitig besten Interesse. Diese indianische Form des Vertragsschlusses neben der europäischen geprägten des schriftlichen Vertragstextes wurde in Kanada von den Gerichten anerkannt.697 Für die Auslegung der mit den indigenen Völkern geschlossenen Verträge sind bei Vorhandensein verschiedener Fassungen diese gleichberechtigt nebeneinander heranzuziehen. Wenn ein unterschiedliches Verständnis bezüglich einer bestimmten Vertragsklausel vorherrscht, dann ist aufgrund der besonderen Umstände, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zwischen den Kolonialmächten und den indigenen Völkern herrschten, nach der contra proferentem-Regel die unklare Formulierung zu Lasten desjenigen auszulegen, der sie eingebracht hat.698 Insbesondere vermeintliche Landabtretungen sind vor diesem Hintergrund neu zu beleuchten. Die besondere Situation beim Vertrags___________ 693

Vgl. dazu Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France, S. 52 f. Dies ist aber nicht im Sinne einer „primitivist assumption“ aufzufassen, dass indigene Völker generell Vertragsschlüsse nicht kannten oder mit den ihnen angetragenen Wünschen nichts anfangen konnten; auf die Fehlerhaftigkeit solcher Grundannahmen weist zu Recht Schulte-Tenckhoff, 4 Review of Constitutional Studies [1998], 239, 244 f. hin. 695 Martínez, Study on Treaties, Second Progress Report Rdnr. 150. 696 Vgl. beispielhaft die Arbeit von Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France, Anhang, S. 170 ff. 697 Zum Ganzen wiederum Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France, S. 47 f., 50 f., 97 ff.; ähnlich – auch zur Bedeutung der Pfeifenzeremonie noch heute – SchulteTenckhoff, 4 Review of Constitutional Studies [1998], 239, 263 ff. 698 Heintschel von Heinegg, in: Völkerrecht, § 11 Rdnr. 19; bezüglich der indigenen Völker Tiemann, Rechte der Ureinwohner Neuseelands, S. 43 f.; Wiessner, 7 St. Thomas L. Rev [1995], 567, 596. 694

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schluss hat der US Supreme Court bezogen auf die Native Americans schon 1899 zusammengefasst, nachdem er in „Worcester v. Georgia“ 1832 für die Vertragsinterpretation vorrangig auf das Verständnis des indianischen Vertragspartners abgestellt hatte.699 Danach ist zu beachten, dass bei den Verhandlungen auf der Seite der USA diplomatisch geschulte, die Vertragssprache beherrschende, rechtskundige Vertreter standen, auf der Seite der Indianer hingegen eine demgegenüber viel schwächere Vertretung. Deren Verhandlungsführer waren meist selbst des Englischen nicht mächtig, mussten sich also auf Übersetzungen der Missionare verlassen. Dabei hatten sie eine völlige andere Vorstellung von „Recht“ und waren häufig auch nicht geschult im Umgang mit der Schriftsprache. Daher sei der Wortlaut so auszulegen, wie er aus Sicht der Indianer verstanden werden konnte und nicht wie ihn Juristen damals aufgefasst hätten.700 Diese Auslegungsgrundsätze haben bis heute Bestand. d) Pflichten zur Beachtung der Verträge Unabhängig vom jeweils konkreten Inhalt eines Vertrages, der dann bestimmte Pflichten begründet, gibt es bezogen auf die Verträge zwischen indigenen Völkern und den Expansionsstaaten ferner die hier vor allem interessierenden allgemeinen Vertragspflichten. Zunächst ist an den seit Jahrhunderten geltenden Grundsatz pacta sunt servanda zu denken.701 Demnach hätten die Expansionsstaaten als Vertragspartner keine dem Vertrag widersprechenden Handlungen unternehmen oder ihre Vertragsbindung schlicht ignorieren dürfen. Es ist bereits gezeigt worden und wird für das Beispiel der USA noch vertieft, dass der Bruch von Verträgen neben dem eigentlichen Abschluss von Verträgen die von den indigenen Völkern am übereinstimmendsten gemachte Erfahrung ist.702 Daher wird argumentiert, dass der Grundsatz zwar Geltung besessen habe, aber die Tatsache, dass die Vertragsbrüche zur damaligen Zeit nicht zu einem Protest in der übrigen Welt geführt hätten, diesen Grundsatz für die indigenen Völker wertlos gemacht haben.703 ___________ 699 Worcester v. Georgia, 31 U.S. (6 Pet.) 515, 579, 582 (1832). Ausf. zu dieser Entscheidung unten Kap. 3 C. II. 2. b) cc). 700 US Supreme Court in Jones v. Meehan, 175 U.S. 1, 10 f. (1899). Vgl. zur Übernahme dieser Sichtweise durch den Supreme Court of Canada Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France, S. 49. 701 Martínez, Study on Treaties, Final Report Rdnr. 267 hält den Grundsatz schon seit dem antiken Rom für anwendbar. Demzufolge hätte er auch in diesem historischen Zusammenhang beachtet werden müssen. 702 Dazu noch Kap. 3 C. II. 3. b). 703 Corntassel/Primeau, 17.2 (1995) HRQ, 343, 358.

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Ferner verbietet sich nach völkerrechtlichen Vertragsregeln, dass eine Vertragspartei, nachdem sie von einem Vertrag bereits profitiert hat, diesen nachträglich für ungültig erklärt. Unter Beachtung des estoppel-Prinzips hätten die Kolonialmächte und insbesondere die USA ihre Praxis, sich Land anzueignen, dann aber beispielsweise die im Gegenzug versicherten Jagdrechte nachträglich als unbeachtlich zu verwerfen¸ nicht durchführen dürfen.704 Ein weiterer – heute in Art. 27 WVK festgehaltener, aber schon damals gültiger – Grundsatz verbietet es, Vertragsverpflichtungen durch Hinweis auf innerstaatliches Recht zu missachten. Die von den Kolonialstaaten beschlossene „Domestizierung“ des Rechts bezüglich der indigenen Völker auf den „neuen“ Territorien und die damit einhergehende Missachtung der vorher geschlossenen internationalrechtlichen Verträge durch Hinweis auf entgegenstehendes innerstaatliches Recht stellte demzufolge schon zu damaliger Zeit einen weiteren Völkerrechtsverstoß dar.705 Die Vorstellung der zulässigen Domestizierung der Rechtsbeziehungen beruht auf einem „ex post facto reasoning that projects into the past the current configuration of international relations“.706 Selbst die Tatsache, dass die nichtindigene Vertragspartei ihren Standpunkt der Gegenseitigkeit beim Vertragsschluss als fundamentales Rechtsprinzip aufgegeben hat und damit zu einer heute veränderten Beziehungsebene zwischen den Vertragsparteien geführt hat, kann die ursprüngliche Gleichrangigkeit nicht verändern.707 Um die zwischenzeitlich ignorierten Vertragspflichten wieder zugunsten der indigenen Völker aufleben zu lassen, wird beispielsweise in Kanada in jüngerer Zeit der Grundsatz des Vertrauensschutzes zugunsten dieser Vertragspartei angewendet, indem bei der Bewertung der ursprünglichen Verträge eine „indianerfreundlichere“ Position eingenommen wird.708 e) Heutiger Status der Verträge Hinsichtlich des heutigen Status der von den europäischen Expansionsstaaten mit den indigenen Völkern geschlossenen Verträge wurde noch vor einigen ___________ 704

Zu dieser Argumentation Tiemann, Rechte der Ureinwohner Neuseelands, S. 47. Martínez, Study on Treaties, Final Report Rdnr. 269. 706 Schulte-Tenckhoff, 4 Review of Constitutional Studies [1998], 239, 288 707 Williams-Vedder, Die Rechtsstellung der eingeborenen Völker, S. 184 ff. sieht in dieser einseitigen Aberkennung der Vertragsschlussfähigkeit dagegen kein Problem und entnimmt daraus auch den Verlust der ehemals unbeschränkten Staatsgewalt der indigenen Völker; sie lässt aber unbeantwortet, welche Folgerungen diese für die Gültigkeit der ursprünglichen Verträge hat. 708 Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France, S. 47. Ähnlich eine Schlussfolgerung von Martínez, Study on Treaties, Final Report Rdnr. 318, dass die indigene Sichtweise zukünftig gleichberechtigten Wert erhält. 705

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Jahren argumentiert, dass die indigenen Völker beim Versuch ihre Rechte zu stärken, den „treaty-based approach“ fallenlassen sollten.709 Das intertemporale Völkerrecht erlaube den damaligen Expansionsstaaten durch das Recht der Eroberung, die von den indigenen Völkern belebten Territorien zu besetzen und sich anzueignen. Außerdem seien diese Völker heute nicht mehr mit einem vollwertigen Völkerrechtsstatus ausgestattet. Gegen diese Annahme spricht, dass die Staaten eben nicht diesen Weg der Landnahme gewählt haben, sondern dogmatisch entweder auf den – heute als schon damals als untauglich festgestellte – Begründungsweg des terra nullius oder durch Vertragsschluss und damit Anerkennung des Status der indigenen Völker gegangen sind.710 Die Entwicklungen in der UN haben zu einer Relativierung dieser Position geführt. Heute wird durchaus allgemein davon ausgegangen, dass die ursprünglichen „treaties do provide a basis for group recognition and autonomy within the host state“.711 Ein pragmatischer Ansatz geht davon aus, dass der völkerrechtliche Status der Verträge nicht entscheidend ist, solange auf politischem Wege sichergestellt werden könne, dass sie effektiv beachtet würden.712 Auf dem Wege der gesteigerten internationalen Aufmerksamkeit heraus erhielten diese Vereinbarungen ihren internationalen Charakter dann ohnehin.713 Die von Martínez für die UN erarbeitete Studie zum Status der Verträge mit indigenen Völkern geht dagegen davon aus, dass diese noch heute einen völkerrechtlich relevanten Status besitzen.714 Von den betroffenen Staaten wurde zwar bis vor kurzem mit verschiedener Begründung die Ansicht geäußert, es handle sich dabei um eine interne Angelegenheit, wobei die Umsetzung und Überwachung der Vertragsinhalte durch innerstaatliche Maßnahmen sicherzustellen sei.715 Weil aber nicht nachgewiesen werden könne, dass die indigenen Völker als andere Vertragspartei mit der Verschiebung des Vertragsinhaltes und der ganzen Vertragsgeltung aus dem völkerrechtlichen in den innerstaatlichen Bereich einverstanden gewesen seien, sei dieser Ansatz nur dann zutreffend, wenn

___________ 709

Corntassel/Primeau, 17.2 (1995) HRQ, 343, 359. Dies gestehen Corntassel/Primeau, 17.2 (1995) HRQ, 343, 358 f. selbst zu. 711 Vgl. dazu Holder/Corntassel, 24.1 (2002) HRQ, 126, 142. 712 Anaya, Indigenous Peoples in International Law, S. 132; ähnlich Spiry, 9 GYIL [1995], 129, 143, der dafür plädiert zu akzeptieren, dass die Verträge über ein Jahrhundert nicht als völkerrechtliche behandelt worden seien. 713 Dazu auch Tiemann, Rechte der Ureinwohner Neuseelands, S. 34. 714 Zur teilweise geäußerten Kritik an der Studie, die hauptsächlich Staaten mit einer English common law-Tradition behandle und damit den universellen Anspruch limitiere, vgl. Marantz, in: People or Peoples, S. 9, 44, 46 f. 715 Martínez, Study on Treaties, Final Report Rdnr. 116. 710

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sie ihre souveränen Eigenschaften ausdrücklich und aus freien Stücken abgegeben haben.716 Der Special Rapporteur weist in der umfangreichen Studie nach, dass er während der gesamten Untersuchung keine Argumente gefunden habe, die nachhaltig begründeten, warum die Indigenen keine Völker mehr sein sollten. Die dafür angeführten Vertragsbestimmungen würden von den indigenen Völkern gerade anders verstanden.717 Außerdem sei die Zustimmung zu dem Umfang nach weiten Verträgen, mit denen die Indigenen auf Rechte verzichteten, beinahe immer ungültig, weil sie durch Betrug oder Zwang erreicht wurde oder die indigenen Vertragsparteien die Klausel in der Auswirkung nicht ausreichend verstehen konnten.718 Der Berichterstaater kommt daher zum Ergebnis, dass die „[...]instruments indeed maintain their original status and continue fully in effect, and consequently are sources of rights and obligations for all the orignial parties to them (or their successors), who shall implement their provisions in good faith“.719

Diese Vertragsbefolgungspflicht ergebe sich auch daraus, dass die Verträge kaum je zeitlich befristet waren und in der Folge nicht ausdrücklich für null und nichtig erklärt wurden. Aus der Studie folgt die Anerkennung der Rechte indigener Völker über ihre Länder und Ressourcen einschließlich der Möglichkeit der traditionellen Bewirtschaftung.720 Martínez plädiert weitergehend dafür, die positiven Auswirkungen der Erkenntnisse der Studie auch auf diejenigen indigenen Völker auszudehnen, mit denen keine Verträge bestehen, weil es nur vom Zufall abhing, wann eine Gemeinschaft den ersten Kontakt mit den Expansionsstaaten hatte und ob zu diesem Zeitpunkt die Politik der Vertragsschlüsse noch aktuell war.721 Diese Wieder-Aufwertung des Status der indigenen Völker im Völkerrecht und die neue Relevanz der Verträge spiegelt sich auch in den Entwurfsfassungen bzw. der endgültigen Version der entsprechenden Deklarationen wider. In der geplanten Inter-Amerikanischen Deklaration enthält Art. XXIII ein Recht auf Beachtung der Verträge und zwar in vollem Umfang und im Geiste des damaligen Verständnisses. Frühere Versuche auch der USA die Frage der Bin___________ 716

Martínez, Study on Treaties, Final Report Rdnr. 194. Zu den unterschiedlichen Begründungsansätzen für den Verlust der Souveränität indigener Völker vgl. auch Alfredsson, in: EPIL, S. 314, 315, der ebenfalls darauf hinweist, dass die effektive Staatsgewalt nur durch Gewaltanwendung gesichert werden konnte, gegen die die Indigenen ununterbrochen protestierten. 717 Martínez, Study on Treaties, Final Report Rdnr. 265. 718 Martínez, Study on Treaties, Final Report Rdnr. 266. 719 Martínez, Study on Treaties, Final Report Rdnr. 271. 720 Martínez, Study on Treaties, Final Report Rdnr. 252. 721 Martínez, Study on Treaties, Final Report Rdnr. 285.

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dungswirkung von Verträgen nur auf die Ebene innerstaatlichen Rechts zu beziehen, sind damit gescheitert.722 Die UN-Deklaration enthält ebenfalls in Art. 37 eine weitgehende Bestimmung zur Beachtung von Verträge und anderen Vereinbarungen zwischen Staaten und indigenen Völkern. Die im Entwurf (damals noch Art. 36) enthaltene Forderung, Streitigkeiten aus Verträgen, die nicht innerstaatlich gelöst werden können, automatisch internationalen Schiedsorganen, auf die sich die Vertragsparteien einigen müssen, zu unterwerfen, fand dagegen in der letzten Fassung keinen Eingang. Die Pflicht zur Beachtung der Verträge durch die heutigen Staaten korrespondiert mit dem Recht der indigenen Vertragsparteien, sich auf die jeweils konkret festgehaltenen Rechte zu berufen. Welche Rechte aus einem Vertrag abzuleiten sind, hängt selbstverständlich vom Inhalt der jeweiligen Vereinbarung ab. Daraus muss auch die Frage beantwortet werden, ob der Vertrag in der ursprünglichen Fassung heute noch in vollem Umfang implementiert werden kann. Als Abwägungskriterium bei der beispielsweise gestellten Frage nach der Nutzung eines bestimmten Territoriums ist den hier untersuchten Verträgen und gerade der Position der indigenen Völker besonderes Gewicht beizumessen. Die vorhandenen Verträge und die Pflicht zur (Wieder-)Beachtung, die sich aus dem Völkerrecht ableiten lässt, kann Anlass zur Eingehung neuer vertraglicher Vereinbarungen sein. Insoweit wurde teilweise dafür plädiert, dass der Schwerpunkt der UN-Untersuchung durch den Special Rapporteur auf Verträgen aus jüngerer Zeit wie z.B. der dänischen „Home Rule“ bezüglich Grönlands oder kanadischer Verträge, wie z.B. dem „James Bay Agreement“,723 hätte liegen sollen.724 Im Rahmen der Untersuchung ist Martínez auch auf diese Verträge eingegangen. Das Beispiel der USA, auf das noch einzugehen sein wird, zeigt ebenfalls, dass Vertragsschlüsse heute eine angemessene Möglichkeit zur Umsetzung der Rechte indigener Völker sind.

___________ 722

Vgl. zu den verschiedenen Fassungen OAS, Working Document comparing, Proposal zu Art. XXII. 723 Vgl. zu diesen „modernen“ Verträgen Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France, S. 42. 724 Marantz, in: People or Peoples, S. 9, 45. Auf diese ist der Special Rapporteur jedoch eingegangen, vgl. Martínez, Study on Treaties, Third Progress Report Rdnr. 171 ff. Er sieht in diesem „modernen“ Abkommen eine Möglichkeit, auf Bedürfnisse indigener Bevölkerung einzugehen. Andererseits ist er der Ansicht, dass die bislang gefundenen Vereinbarungen und die darin zugestandenen Autonomierechte nicht dem vollen Umfang des Selbstbestimmungsrechts entsprechen, Martínez, Study on Treaties, Final Report Rdnr. 131 f.

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5. Kollektives Recht auf kulturelle Identität a) Notwendigkeit kollektiver Ausrichtung Ein wesentliches Merkmal der UN-Deklaration und der entstehenden Rechte indigener Völker im Völkerrecht ist die kollektive Natur der meisten Ansprüche. Nachdem bis vor wenigen Jahrzehnten die eurozentrische Sichtweise des Völkerrechts die Vereinbarkeit kollektiver Rechte mit den Individualmenschenrechten gänzlich verneinte, hat insbesondere die Entwicklung im Zusammenhang mit den indigenen Völkern dazu geführt, dass sich die Einsicht „group and individual rights are not antithetical concepts, they are complementary concepts“ durchsetzt.725 Die Rechte individueller Indigener sind nach deren Verständnis nicht hauptsächlich gegen die organsierte Gesellschaft gerichtet, sondern entstehen, weil das Individuum in einer bestimmten Gemeinschaft lebt.726 Wenngleich weiterhin beispielsweise in den USA die Religionsfreiheit individualrechtlich verstanden wird und Einschränkungen der Gottesdienstmöglichkeiten nur von den einzelnen Religionsangehörigen, möglicherweise durch die organisierte Kirche als Vertreter der Mitglieder – nicht aber in eigenem Recht – angegriffen werden können, ist gerade dort durch die Gerichte zu erkennen gegeben worden, dass das kollektive Recht auf Religionsausübung ein fundamentales Grundrecht für die Native Americans ist.727 Ein erster Ausdruck für diese Gruppenrechte indigener Völker liegt in der weiten Auffassung des verbotenen Genozids, der auch den sog. Ethnozid umfasst, wonach weder fremde Lebensformen der indigenen Bevölkerung aufgezwungen, noch diese wegen anderer Lebensart diskriminiert werden dürfen.728 Ausdrücklich wird dies auch in der UN Deklaration in Art. 7 Abs. 2 festgehalten. Zuvorderst erscheint hierbei das kollektive Recht indigener Völker, in Freiheit, Frieden und Sicherheit als „distinct peoples“ leben zu können. Dazu gehört neben der Abwehr eines Ethnozids durch eine schleichendes Verbot und die Zerstörung indigener Praktiken und kultureller Besonderheiten, dass die Mutterstaaten ihrem Förderauftrag genügen, um die von ihnen durch jahrhun-

___________ 725

Clinton, 32 Ariz. L. Rev. [1990], 739, 742. Ebenso die Beschreibung der Diskussionen in der WGDD Chávez, Report of the Working Group on the Draft Declaration 2002 Rdnr. 37. Skeptisch dagegen im Blick auf den Gehalt der Individualmenschenrechte Wolfrum, 59 ZaöRV [1999], 369, 382, bejahend wiederum Heintze, 50 ZaöRV [1990], 39, 53 ff. 726 Vgl. ausf. Wiessner, 12 Harv. Hum. Rts. J. 57 [1999], 121 f. 727 Vgl. mit diesem Beispiel Clinton, 32 Ariz. L. Rev. [1990], 739, 741 f., 745. 728 Schillhorn, Kulturelle Rechte indigener Völker, S. 91 f.; Clinton, 32 Ariz. L. Rev. [1990], 739.

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dertelange Praxis geschwächte, aber nicht erloschene Kultur wieder zu stärken.729 b) Elemente der kulturellen Identität Dieses im Zentrum der Deklaration stehende Konzept kann als Recht auf eine „cultural integrity“ bzw. „kulturelle Identität“ zusammengefasst werden.730 Im Gegensatz zu vielen anderen Elementen der Deklaration sind diese Rechte nicht unmittelbar mit dem weiten Verständnis des Selbstbestimmungsrechts verknüpft, sondern entstammen den Minderheitenrechten, so dass eine Verabschiedung dieser Abschnitte von vornherein eher unproblematisch erschien.731 Dies galt auch deshalb, weil schon länger zahlreiche der Rechte wie z.B. die Bewahrung der eigenen Sprache als besonders wichtiger Bestandteil der kulturellen Identität gewohnheitsrechtlich bestehen.732 Wie bereits erwähnt spielt die freie Ausübung der spirituellen Aspekte eine zentrale Rolle für die indigenen Völker. Dabei ist hervorzuheben, dass für viele indigene Religionen bestimmte Orte für die Ausübung konstitutiver Bestandteil sind.733 Diese sog. „sacred sites“ müssen vor unbefugtem Zutritt und gegen Zerstörung geschützt werden. Eine Zerstörung durch entheiligende Benutzung ist auch möglich, weshalb die Öffnung bestimmter Orte für den Publikumsverkehr genau bedacht werden muss (so auch Art. 12 Deklaration).734 Insoweit muss ein Kompromiss zwischen dem Interesse des Gesamtstaates an der Öffnung natürlicher Plätze für alle Personen und der ungestörten Religionsausübung durch die indigenen Völker gefunden werden. Beispielhaft kann hier auf den ehemals als „Ayers Rock“ bekannten Monolithen im Zentrum Australiens hingewiesen werden: die dortigen Aborigines verwalten den zum „Uluru“ gehörigen Nationalpark und akzeptieren den Besuch des Felsens, versuchen aber eine Besteigung durch die Besucher zu verhindern, weil dies wenigen Ältesten aus ihrer Gemeinschaft vorbe___________ 729 Vgl. zu diesen „affirmative steps“ z.B. Torres, 16 Yale J. Int’l. L. [1991], 127, 159; Anaya, Indigenous Peoples in International Law, S. 102 f. 730 Grundlegend dazu Anaya, 8 Ariz. J. Int’l. & Comp. L. [1992], 1, 15 ff.; Schillhorn, Kulturelle Rechte indigener Völker, S. 83 ff. 731 Marantz, in: People or Peoples, S. 9, 47. 732 Schillhorn, Kulturelle Rechte indigener Völker, S. 89 f.; zur praktischen Umsetzung des Gebrauchs der eigenen Sprache im Umgang mit Behörden vgl. Vorschläge bei Stomski, 16 Am. Ind. L. Rev. [1991], 575, 583 f. 733 Herz, 79 Va. L. Rev. [1993], 691, 691 ff. zur Problematik in den USA, allg. auf S. 702 f.; vgl. ferner ausf. Archer, 5 J. Int’l. Legal Stud. [1999], 205, 219 ff.; Iorns, 24 Case W. Res. J. Int’l. L. [1992], 199, 328 zeigt, dass im Verständnis vieler indigener Völker das Land nicht ihnen gehöre, sondern „people belong to the land“. 734 Zur Rechtsprechung des US Supreme Court Herz, 79 Va. L. Rev. [1993], 691, 706.

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halten bleiben müsse. Eine Parallele gibt es bei den Navajo in Arizona, in deren Reservat das berühmte „Monument Valley“ liegt: dieses ist ebenfalls nur in bedingtem Umfang dem Publikumsverkehr geöffnet.735 Die Rechte indigener Völker an bestimmten Orten für die Religionsausübung können sich nicht immer durchsetzen, sind aber von Behörden und Gerichten in entsprechende Abwägungsprozesse gewichtig einzubeziehen.736 Um das Recht des Kollektivs zur Bewahrung und Weitergabe der kulturellen Besonderheiten wie Sprache, Brauchtümern, Religion und Erziehungsmethoden zu ermöglichen, werden in Art. 31 Abs. 1 Satz 2 der Deklaration besondere Regelungen zum Schutz indigener „Urheberschaft“ festgehalten .737 Patent- und Urheberrechte sind bislang individualrechtlich ausgerichtet, weshalb indigene Völker seit langem darauf hinweisen, dass ihre (kollektiven) Rechte nur durch eine konzeptionelle Änderung des Systems bewahrt werden können. Im Bereich der Biopatente beispielsweise besteht durchaus eine große Gefahr des Missbrauchs indigenen Wissens und ihrer Identität. Wegen der abgeschiedenen Lebensweise lassen sich für Pharmaunternehmen innerhalb indigener Gemeinschaften wertvolle Ergebnisse erzielen.738 Das Recht auf kulturelle Integrität und auch das Selbstbestimmungsrecht fordern, dass diese Gemeinschaften selbst über Durchführung und Verwertung solcher Genanalysen entscheiden können und am Prozess fair beteiligt werden.739 c) Das kulturelle Erbe indigener Völker Die vielfältig zu beobachtende weitere Enteignung indigener Völker in diesem Bereich und verwandten Feldern, wie z.B. der Verwendung von Kulturgütern wie Musik oder Grabbeigaben für Museumsausstellungen führte die UN Sub-Commission zur Beauftragung der oben genannten Studie über kulturelles ___________ 735 Daran zeigt sich, dass die Religionsausübung eng mit den Landrechten und auch den ursprünglichen Verträgen zusammenhängt. Insbesondere in den USA ließen sich viele indigene Völker auf die Verträge und den Rückzug in die Reservate ein, weil sie dort eine ungestörte Rückzugsmöglichkeit und Ausübung ihrer Gruppenidentität als möglich sahen, die im von weißen Ankömmlingen besiedelten Amerika nicht mehr möglich waren, so Clinton, 32 Ariz. L. Rev. [1990], 739, 745. 736 Herz, 79 Va. L. Rev. [1993], 691, 713. 737 Zu den einzelnen Erscheinungsformen indigener Praktiken, Verfahrensweisen und Traditionen Schillhorn, Kulturelle Rechte indigener Völker, S. 115 ff. 738 Ching, 66 Fordham L. Rev. [1997], 687, 699 ff. mit Beispielen. Vgl. auch Schillhorn, Kulturelle Rechte indigener Völker, S. 116. 739 Ching, 66 Fordham L. Rev. [1997], 687, 716 ff.; so auch Principle 8 der Principles and Guidelines for the Protection of the Heritage of Indigenous People und Art. 31 der UN-Deklaration (Art. 29 a.F.); ähnlich zur EG-Biopatentrichtlinie Calliess/ Meiser, JuS 2002, 426, 431 f.

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und intellektuelles Eigentum indigener Völker. Die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen wurden als „Principles and Guidelines on the Protection of the Heritage of Indigenous People“ verabschiedet, weil auch der Begriff „property“ eine individualrechtliche und somit unpassende Konnotation hat.740 Darin werden die Staaten aufgefordert sicherzustellen, dass die indigenen Völker selbst die Hüter ihres gemeinsamen Erbes sind und auch über die Verwendung und Weitergabe als Grupppe, beispielsweise in Form bestimmter Familien, Clans oder Gemeinschaften entscheiden.741 Die nach einem Expertenseminar überarbeitete Fassung der Prinzipien betont die aus der kulturellen Autonomie folgene „self-determination in the cultural and economic sphere“ der indigenen Völker, die eine eigene, kollektive Entscheidungskompetenz über diese Angelegenheiten im gemeinsamen Interesse begründet.742 Eine hohe symbolische Bedeutung hat auch die Rückgabe indigener Artefakte aus Museen und Privatsammlungen wie z.B. Kleidung berühmter Häuptlinge. Die InterAmerican Draft Declaration sieht hier ebenfalls eine Aufforderung zur Rückgabe zu Unrecht enteigneten „cultural property“, wobei die Staaten unterschiedlich weit gehen wollen: So sprechen die USA nur von Repatriierung kulturellen Eigentums in Fällen, in denen sie angebracht erscheine, wohingegen der Vorschlag Kanadas zu Art. VII 2 a.F. (jetzt Art. XII) eine weitgehende Rückgabe oder mindestens Kompensation entsprechend völkerrechtlichen Standards vorsieht.743 d) Umsetzung der Schutzpflicht Ohne weiter detailliert auf die verschiedenen kollektiven Rechte indigener Völker, wie sie in der UN Deklaration enthalten sind, einzugehen – das Selbstbestimmungsrecht wird in einem gesonderten Abschnitt behandelt – ist abschließend darauf zu verweisen, dass schon die Aussagen des UNMenschenrechtsausschusses zu Art. 27 IPbpR ein dem Kollektiv zu gewährendes Recht auf kulturelle Integrität und einen korrespondierenden Schutzauftrag durch den Staat enthalten.744 Ohnehin wäre es kaum nachzuvollziehen, warum solche Rechte lediglich wegen ihrer kollektiven Natur durch die Staaten nicht gewährt würden, nachdem die Expansionsstaaten bei der Unterwerfung der in___________ 740

Wiessner/Battiste, 13 St. Thomas L. Rev. [2000], 383, 384. Wiessner/Battiste, 13 St. Thomas L. Rev. [2000], 383, 384 f. 742 Commission on Human Rights, Principles and Guidelines on the Protection of the Heritage of Indigenous People; dazu Wiessner/Battiste, 13 St. Thomas L. Rev. [2000], 383, 386. 743 Vgl. OAS, Working Document comparing, Proposal zu Art. VII. 744 So auch Anaya, Indigenous Peoples in International Law, S. 100. 741

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digenen Völker unter anderem durch das Mittel des Vertragsschlusses ganz selbstverständlich das Kollektiv als Ganzes adressierten.745

III. Insbesondere: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker als Selbstbestimmungsrecht indigener Völker 1. Bedeutung des Rechts für indigene Völker Das Selbstbestimmungsrecht der Völker hat für indigene Völker als ethnische Gruppen in Staaten, in denen sie von der Mehrheitsgesellschaft dominiert werden, seit ihrer Unterdrückung eine besondere Bedeutung.746 Wie oben ausführlich gezeigt wurde, können indigene Völker als insoweit völkerrechtsfähige Einheiten Träger des Selbstbestimmungsrechts im bereits dargelegten Rahmen sein. In diesem Abschnitt soll daher lediglich nochmals kurz die zentrale Rolle des Rechts im Streben nach Wiederanerkennung eines besonderen Status durch die indigenen Völker sowie seine völkerrechtliche Verankerung aufgezeigt werden. Wiederum sind dazu die Entwicklungen in der UN WGIP und die oben in Kap. 1 A. VI. 3. c) bereits zitierte zentrale Vorschrift des Art. 3 der Deklaration kurz zu beleuchten. Da bis zum Schluss die Interpretation des Selbstbestimmungsartikels eine der wesentlichen Kontroversen vor der Verabschiedung des Deklarationstextes bildete, wird im Folgenden zunächst auf die Entwurfsphase eingegangen, bevor dann abschließend die Reaktionen bei der Deklarationsverabschiedung dargestellt werden. Zunächst schien die – ausdrückliche – Aufnahme eines Selbstbestimmungsrechts zugunsten indigener Völker in die Entwürfe zu Deklarationen über Rechte indigener Völker undenkbar. Die entsprechenden Vorschläge und auch die später von der Working Group verabschiedete Entwurfsfassung der UNDeklaration wurden auch innerhalb der Expertengruppe und vor allem von Staatenseite heftig bekämpft. Andererseits bestanden die Vertreter indigener Völker durchgängig auf einer Festschreibung des Rechts, so dass eine Kompromissformel kaum möglich schien.747 Die unmittelbare Anwesenheit der indigenen Völker durch eine Vielzahl von Repräsentanten bei den Beratungen der Working Group in Genf zeigten sich hier als entscheidend. Ein Vertreter schildert eindrücklich, wie die Mitglieder der WGIP zunächst dachten „that we were ___________ 745

Darauf weist zu Recht Clinton, 32 Ariz. L. Rev. [1990], 739, 746 hin. Erst das Selbstbestimmungsrecht ermögliche das Recht „to freely determine their future“, was den indigenen Völkern seit der Phase der „Entdeckung“ verwehrt gewesen sei, so Venne, Our elders understand our rights, S. 121. 747 Lâm, 25 Cornell Int. L. J. [1992], 603, 608. Ausf. zum Diskussionsprozess in der WGIP bezüglich des Selbstbestimmungsrechts Iorns, 24 Case W. Res. J. Int’l. L. [1992], 199, 209 ff. 746

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crazy [...] chairperson made it clear that there was no way that the Working Group could support recognition“ und dass allmählich sich die Perspektive der indigenen Völker dann doch durchsetzte.748 Durch das offene Beteiligungsverfahren der WGIP konnten nicht nur „akkreditierte“ Vertreter vor dem Plenum sprechen, sondern beispielsweise auch spirituelle Führer, die am Beispiel der USA aufgezeigt, oftmals eine von den gewählten, aber umstrittenen Stammesregierungen abweichende Position stärkerer Abgrenzung gegenüber dem Mutterstaat vertraten.749 Ausdruck der Skepsis traditioneller Mitglieder indigener Gemeinschaften in den USA gegenüber den meist enger mit der Mehrheitsgesellschaft verflochtenen Stammesregierungen ist auch die oben erwähnte Beschwerde der Hopi aus dem Jahre 1980 im 1503-Verfahren, bei dem die traditionellen Hopi die Legitimität dieser „US-imposed tribal council[s]“ angriffen.750 Die entscheidende Wende zur Einbeziehung des Selbstbestimmungsrechts kam erst relativ spät in den Beratungen der WGIP und schon nachdem 1991 der erste Roh-Entwurf vorgelegt worden war. Eine der als Experten angehörten Juristen erläuterte vor der WGIP, dass durch die Einbeziehung dieses Rechts in die Deklaration kein neues Recht geschaffen würde, sondern ein solches bereits existiere und die Formulierung weder ein besonderes Recht zur Sezession begründe noch dieses ausschließe, wenn es völkerrechtlich einschlägig sei.751 Der hohe auch symbolische Wert der Aufnahme des Selbstbestimmungsrechts und die langen und zähen Auseinandersetzungen um die Verwendung des Begriffs „peoples“/Völker für die von der Deklaration Betroffenen, zeigt sich daran, dass die Entscheidung über die weite Formulierung im Entwurf in untypischer Weise „was greeted with a standing ovation from indigenous delegations“.752 Danach zeigten auch viele Staatenvertreter eine positive und verständnisvolle Reaktion. Nichtsdestotrotz zeigte sich in den weiteren Beratungen der WGDD, dass sich viele Staaten damit schwertaten, eine uneingeschränkte Anwendbarkeit des Selbstbestimmungsrechts zu verankern. Der Special Rapporteur Stavenhagen der UN zu indigenen Völkern hatte hier weiteren Diskussionsbedarf geortet, damit nicht an dieser kontroversen Frage die wichtigere Tatsache einer Verabschiedung der Deklaration scheitern oder unvertretbar verzögert werden wür___________ 748

Dodson, in: Indigenous Peoples, the United Nations and human rights, S. 62, 64. Vgl. auch Schulte-Tenckhoff, Ureinwohner an der UNO, S. 5. 750 Vgl. Kronowitz/Lichtman/McSloy/Olsen, 22 Harv. Civil Rts. Civil Liberties L. Rev. [1987], 507, 604 Fn. 516 und Kap. 2 B. IV. 2. b) aa) (4). Dass es häufig traditionelle indianische Führungspersönlichkeiten aus den USA sind, die die UN besuchen, zeigt auch Barsh, 26 U. Mich. J. L. Ref. [1993], 277, 289. 751 Vgl. dazu Venne, Our elders understand our rights, S. 148 f.; Iorns, 24 Case W. Res. J. Int’l. L. [1992], 199, 220 ff. 752 Barsh, 7 Harv. Hum. Rts. J. [1994], 33, 52 ff. 749

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de.753 Viele Beobachter sahen es als „indispensable for indigenous peoples to preserve at all costs the terminology of self-determination“754, weshalb darüber nachzudenken sei, auch eine in den Umsetzungsmöglichkeiten beschränkte Formulierung – insbesondere unter Ausklammerung eines Rechts auf Sezession – zu akzeptieren.755 Insoweit wurde vorgeschlagen, systematisch einen Zusammenhang in der Deklaration herzustellen zwischen dem Selbstbestimmungsrecht und den Selbstregierungskonzepten, damit klargestellt werde, dass das Selbstbestimmungsrecht nicht in erster Linie auf Sezessionen abziele.756 Dass für eine effektive Verfolgung der Rechte indigener Völker das Selbstbestimmungsrecht benötigt wird, zeigt sich daran, dass vor dem Werden einer entsprechenden Norm indigene Völker mit ihren Anliegen ausschließlich Erfolg hatten, wenn sie sich auf innerstaatliche Normen beriefen, selbst wenn diese letztlich im Kern Selbstbestimmungsforderungen waren.757 In der WGDD setzte sich dann auch die Ansicht durch, den Bezug auf das Selbstbestimmungsrecht im Deklarationsentwurf zu verankern. 2. Formulierung eines Selbstbestimmungsrechts indigener Völker a) Die Bedeutung des Menschenrechtspaktes Die ausführliche Analyse der Aussagen des UN-Menschenrechtsausschusses in Kap. 2 B. VI. 2. b) hat bereits gezeigt, dass die Menschenrechtspakte für die verstärkte internationale Aufmerksamkeit gegenüber indigenen Völkern eine zentrale Funktion hatten, wenngleich die konkret entschiedenen Fälle eine direkte Anwendbarkeit des Art. 1 IPbpR ablehnten. So wurde bei der menschenrechtlichen Behandlung der indigenen Völker zunächst auf eine Anwendbarkeit des Minderheitenschutzregimes nach Art. 27 IPbpR abgezielt. Ziff. 7 der Allgemeinen Bemerkung Nr. 23 (50) zu Art. 27 forderte von den Mitgliedstaaten eine aktive Unterstützung zugunsten indigener Minderheitengruppen. Dieser durchaus bedeutsame Anspruch und die zögerliche Haltung des Menschenrechtsausschusses zur direkten Anwendbarkeit des Art. 1 IPbpR führen dazu, dass die Aussagen zu Art. 27 IPbpR und die bislang entschiedenen Fälle in ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden dürfen. Dennoch gibt es einen immer ___________ 753

So jedenfalls Stavenhagen, Report on the Situation of Human Rights Rdnr. 91. Marantz, in: People or Peoples, S. 9, 59 f. 755 Dagegen beispielsweise Heintze, 50 ZaöRV [1990], 39, 50. Alfredsson, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 125, 131 beschreibt, wie manche Vertreter aus Verhandlungsgründen bereit sind, Kompormissformulierungen zu suchen. 756 Marantz, in: People or Peoples, S. 9, 60. 757 Torres, 16 Yale J. Int’l. L. [1991], 127, 149 nennt als Beispiel die Berufung auf unrechtmäßige Enteignung ohne ausreichende Kompensation bei Landwegnahmen. 754

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breiteren Konsens, dass die beiden Vorschriften weder gleichbedeutend noch sich gegenseitig ausschließend sind.758 Folgerichtig hat der Menschenrechtsausschuss festgehalten, dass die Behandlung indigener Völker in den Anwendungsbereich des Art. 1 IPbpR fällt, indem er beispielsweise bei der Behandlung des Staatenberichts Norwegens 1999 in den abschließenden Bemerkungen darauf hinwies, dass er zukünftig Stellungnahmen zur Politik Norwegens gegenüber den Sami unter diesem Artikel im Bericht erwarte.759 b) Entwicklung in der WGIP und WGDD aa) Positionen der UN-Experten Bereits in den abschließenden Empfehlungen des Cobo-Reports heißt es: „[...] self-determination constitutes the exercise of free choice by indigenous peoples, who must, to a large extent, create the specific content of this principle, in both its internal and external expressions, which do not necessarily include the right to secede from the State in which they may live and to set themselves up as sovereign entities. This right may in fact be expressed in various forms of autonomy within the State.“760

Schon als Vorgabe für die Arbeit der WGIP wurde von einer Anwendbarkeit des Selbstbestimmungsrechts ausgegangen, wobei dieses nur in eingeschränktem Umfang gelten sollte. Ähnlich wurde zunächst das Recht von der Vorsitzenden der WGIP aufgefasst, wobei sich das Verständnis innerhalb der Arbeitsgruppe allmählich zugunsten einer umfassenden, sich zumindest potentiell auch in Form der Sezession äußernden Anwendbarkeit wandelte.761 Spätere Studien von Special Rapporteurs gehen daher ganz selbstverständlich von diesem umfassenden Verständnis des Selbstbestimmungsrechts indigener Völker aus.762 ___________ 758

Pritchard, in: Indigenous Peoples, the United Nations and human rights, S. 184,

196. 759 HRC, Concluding Observations: Norway 1999 Rdnr. 17; dazu Broderstad, 8 IJMGR [2001], 151, 162. Ähnliches galt bei der Bewertung der kanadischen Berichte, vgl. dazu Foster, 12 EJIL [2001], 141, 149 f. und Aussagen bei Chávez, Report of the Working Group on the Draft Declaration 1999 Rdnr. 60 zusätzlich zu den Äußerungen gegenüber Kanada. 760 Cobo, Study of the Problem of Discrimination against Indigenous Populations, Rdnr. 581. 761 Zu diesem Wandel in der Wahrnehmung des Rechts Lâm, At the Edge of State, S. 78 f.; Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 102. 762 Vgl. nur beispielhaft Martínez, Study on Treaties, Final Report Rdnr. 256: „no doubts“.

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bb) Positionen der Staatenvertreter Ohne dass im Rahmen dieser Untersuchung die Aussagen der Staatenvertreter und Vertreter indigener Völker zum Selbstbestimmungsrechts-Artikel in den jährlichen Arbeitssitzungen in der Entwurfsphase dargestellt werden können, soll kurz gezeigt werden, wie in der WGDD die anhaltende Skepsis einiger Staaten dazu führte, dass eine Einigung über die Vorschrift erst spät erzielt werden konnte. Es zeigt sich an den Berichten über die regelmäßigen Beratungen, dass die Aussage des von Anfang an geplanten Art. 3 ebenso wie die Verwendung des Begriffs „peoples“ immer wieder zum Gegenstand gemacht wurde und dass ganz allmählich eine immer größere Zahl von Staaten die Haltung der indigenen Völker unterstützte.763 So hatte beispielsweise Mexico nach ursprünglich ablehnender Haltung im Jahre 2002 ausdrücklich die alte Position abgelegt und gehörte seitdem zu den vehementen Unterstützern einer möglichst unveränderten Verabschiedung des Entwurfs, wie er von der Sub-Commission vorher angenommen worden war.764 Insbesondere zu Beginn der Beratungen hatte es aber ablehnende Haltungen gegenüber der Einbeziehung des Selbstbestimmungsrechts-Artikels gegeben.765 Auch der Streit um das ‚s‘ für „peoples“ war nach Ansicht mancher Beobachter wiederholt aufgebrochen.766 Gegen die immer wieder vorgetragene Bekräftigung indigener Vertreter, dass die Aufnahme des Selbstbestimmungsrechts ohnehin in so gut wie allen Fällen nicht zu einer Sezession führen würde,767 hielten einige Staaten beharrlich den Widerstand aufrecht gegen eine Einbeziehung des Rechts auf Selbstbestimmung, wenn es nicht eindeutig limitiert würde.768 ___________ 763

Vgl. Chávez, Report of the Working Group on the Draft Declaration Dec. 2002 Rdnr. 19 ff. Von Beginn an gehörte Dänemark zu den Unterstützern, vgl. nur Urrutia, Report of the Working Group on the Draft Declaration 1998 Rdnr. 45. 764 Chávez, Report of the Working Group on the Draft Declaration 2002 Rdnr. 17; danach nochmals ders., Report of the Working Group on the Draft Declaration Dec. 2002 Rdnr. 10. 765 Zu den frühen Reaktionen der Staatenvertreter vgl. ausf. Barsh, 18.4 (1996) HRQ, 782, 796 ff. 766 Wiessner, 12 Harv. Hum. Rts. J. 57 [1999], 117; vehement gegen Einschränkungsversuche durch die Staaten vgl. z.B. Urrutia, Report of the Working Group on the Draft Declaration 1998 Rdnr. 32; Chávez, Report of the Working Group on the Draft Declaration 1999 Rdnr. 39; sehr kritisch auch Alfredsson, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 125, 133. Vgl. aber zur Problematik auch die vorgeschlagene Vorgehensweise des Chairperson-Rapporteur Chávez, Report of the Working Group on the Draft Declaration 2002 Rdnr. 46 und Annex I. 767 Vgl. beispielhaft Urrutia, Report of the Working Group on the Draft Declaration 1998 Rdnr. 21, 28. 768 Vgl. beispielhaft Urrutia, Report of the Working Group on the Draft Declaration 1998 Rdnr. 40; ferner auch Chávez, Report of the Working Group on the Draft Declaration Dec. 2002 Rdnr. 22.

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Teilweise wurde dabei auf die Formulierung in der ILO Convention Nr. 169 verwiesen, die zwar den Begriff „Völker“ verwendet, aber eine Klausel enthält, die Implikationen aus dem übrigen Völkerrecht durch Verwendung des Begriffs ausschließen soll.769 Die Diskussion innerhalb der WGDD wurde jeweils nach Austausch der gegensätzlichen Standpunkte beendet und das Thema „Selbstbestimmungsrecht“ auf die folgende Session verschoben, wobei die grundsätzliche Anwendbarkeit des Rechts ab 1999 kaum mehr kategorisch abgelehnt wurde.770 Es mehrten sich die Stimmen, die eine flexible Handhabung des Selbstbestimmungsrechts ohne einengende Definition befürworteten, selbst wenn diese Staatenvertreter auch auf die Berücksichtigung der territorialen Integrität beharrten.771 Die vom Chairperson-Rapporteur 1999 erfolgte Zusammenfassung der Diskussionen und Anregungen von Staaten hielt als Ausgangspunkt die Formulierung der Menschenrechtspakte auch für den Entwurf der Deklaration wie geplant – unter gleichzeitiger Betonung der Geltung anderer Völkerrechtsnormen, die letztlich zum Ergebnis führten, dass sich das Selbstbestimmungsrecht nicht in Sezessionsform äußern könne – für adäquat.772 Der dann folgende Fortgang der Diskussionen zeigte verstärkt, dass es aus Sicht der Staaten nicht mehr hauptsächlich um die Frage der Einbeziehung des Selbstbestimmungsrechts überhaupt, sondern um die konkrete Ausgestaltung eines solchen Rechts ging.773 Staaten, die bereits lokale Autonomien und föderale Systeme aufweisen, waren schnell zu einer uneingeschränkten Umsetzung des geplanten Art. 3 bereit, weil es sich in das Prinzip der Subsidiarität staatlicher Handlungskompetenzen einfüge.774 Ferner wurde eine enge systematische Verknüpfung des Rechts mit den Prinzipien repräsentativer Selbstregierung vorgeschlagen, die anfangs nicht eindeutig in der Draft Declaration als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts verankert waren.775 In den Beratungen, die Gegenstand des Berichts von 2002 sind, spielte dieses Recht ausdrücklich keine große ___________ 769

Swepston, 15 Okla. City U. L. Rev. 677 [1990], 695. Sie zeigt auch, dass diese Formulierung der ILO keine Vorentscheidung für die UN Draft Declaration gewesen sein konnte, da im universellen Rahmen der UN erstmals umfassend über das Selbstbestimmungsrecht indigener Völker beraten werden müsse. 770 Vgl. die Berichte in Urrutia, Report of the Working Group on the Draft Declaration 1998 Rdnr. 68 ff.; Chávez, Report of the Working Group on the Draft Declaration 1999 Rdnr. 49 und Chávez, Report of the Working Group on the Draft Declaration Dec. 2002 Rdnr. 22, 26, Alternativvorschlag auf S. 18 (Annex) sowie unten Kap. 4 B. III. 3. c) zur Sichtweise der USA. 771 Chávez, Report of the Working Group on the Draft Declaration 1999 Rdnr. 50, 77 f. 772 Chávez, Report of the Working Group on the Draft Declaration 1999, Rdnr. 82 ff. 773 Foster, 12 EJIL [2001], 141, 151 ff. zu den Aussagen der Staatenvertreter über den Umfang des damals geplanten Art. 3. 774 Chávez, Report of the Working Group on the Draft Declaration 1999 Rdnr. 64. 775 Foster, 12 EJIL [2001], 141, 151.

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Rolle, aber die Existenz kollektiver Rechte nahm einen breiten Raum bei den Diskussionen ein. In der Session 2002 ging es um die Behandlung der Entwurfsfassung zu Art. 3. Dort wurde wiederum keine Einigkeit erzielt.776 Die indigenen Vertreter wiesen auf die Wichtigkeit der unlimitierten Übernahme des Selbstbestimmungsrechts wie in der Entwurfsfassung hin und argumentierten auch damit, dass es sich bei der Deklaration um ein Menschenrechtsinstrument handeln werde, weshalb der Fokus nicht auf der territorialen Integrität der Staaten liegen dürfe.777 Mit der von Australien zu Beginn der Arbeit der WGDD geäußerten Ansicht ist festzuhalten, dass die Skepsis und Befürchtung der Staatenvertreter bezüglich des Selbstbestimmungsrechts-Artikels in der Deklaration zwar nachvollziehbar, aber unnötig ist.778 Eine etwaige Limitierung des Selbstbestimmungsrechts in der Deklaration hätte das Prinzip der Gleichheit der Völker unterminiert und letztlich im Ergebnis dasselbe erreicht, was aufgrund allgemeinen Völkerrechts ohnehin gilt: das Selbstbestimmungsrecht der Völker kann nur ganz ausnahmsweise zum Sezessionsrecht erstarken, weshalb es schon inhärent limitiert ist und einer Begrenzung im Zusammenhang mit indigenen Völkern nicht bedarf. Insoweit war die im letzten Moment aufgrund des Drängens der afrikanischen Staaten nach Weiterleitung vom Menschenrechtsrat in Art. 46 Abs. 1 der UN-Deklaration aufgenommene Klarstellung, dass die Deklarationsrechte in keiner Weise die territoriale Integrität oder politische Einheit souveräner und unabhängiger Staaten beseitigen oder beschädigen dürften, unnötig. Auf der anderen Seite beschränkt dieser Hinweis die Geltung des Selbstbestimmungsrechts nicht, sondern verweist nur auf die Bedingungen zur Inanspruchnahme.779 Es überrascht auch nicht, dass fast alle Staatenvertreter, die bei ___________ 776 Wobei Chávez, Report of the Working Group on the Draft Declaration Dec. 2002 Rdnr. 25 die Diskussion als konstruktiv bezeichnet. 777 Chávez, Report of the Working Group on the Draft Declaration Dec. 2002 Rdnr. 24. 778 Vgl. die Schilderung bei Barsh, 18.4 (1996) HRQ, 782, 797 f. Ferner weist Alfredsson, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 125, 130 darauf hin, dass die Kontroverse weniger intensiv sein dürfte, wenn man sich unter dem Titel „Selbstbestimmungsrecht“ auf die Autonomiefrage konzentriere. 779 Dies gilt auch im Hinblick auf die von den später ablehenden Staaten vorgeschlagene Erweiterung des Art. 3, die zumindest in lit c) keine Neuerung oder Einschränkung gebracht hätte. Vgl. Textvorschlag in Chávez, Report of the Working Group on the Draft Declaration 2006, Synopse S. 22 zu A3: „Indigenous peoples have the right of self-determination as enunciated in this article. (a) By virtue of that right they freely participate in determining their political status and freely pursue their economic, social and cultural development. (b) In exercising this right of self-determination, they have the right to autonomy and self-management in matters relating directly to their internal and local affairs.

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Verabschiedung der Deklaration gesprochen haben, den Inhalt der Deklaration bezüglich des Selbstbestimmungsrechts und seines Zurücktretens gegenüber dem territorialen Integritätsanspruch der Staaten unterstrichen.780 Gegen die Anwendung des Selbstbestimmungsrechts hingegen gab es keinen ausdrücklichen Widerstand und nur die USA kritisierten in deutlich ablehender Weise die – aus ihrer Sicht über das Mandat der Working Groups hinausgehende – wortgleiche Bezugnahme des Selbstbestimmungsrechts wie in den Menschenrechtspakten, die zu Verwirrung und weiteren Konflikten führen werde.781 Die Sichtweise, wonach eine materielle Begrenzung des Selbstbestimmungsrechts unnötig gewesen wäre, war bei den Beratungen der Deklaration in der UN und bezüglich der Inter-Amerikanischen Deklaration der OAS von Kanada bei deutlicher Unterstützung einer Anwendung auf indigene Völker schon wegen der gleichen Anwendung auf alle Völker bestätigt worden, obwohl Kanada nach dem innerstaatlichen Regierungswechsel bei der Abstimmung in der Generalversammlung gegen die Deklaration votierte. Vorher hatte es Kandas so formuliert, dass in Staaten, die eine – bezogen auf die gesamte, also auch indigene Bevölkerung – repräsentative Regierung haben, das Selbstbestimmungsrecht unter Berücksichtigung der bestehenden politischen, verfassungsrechtlichen und territorialen Konstitution der Staaten in Verhandlungen so ausgestaltet werden sollte, dass die politische, soziale und kulturelle Entwicklung der indigenen Völker ermöglicht und dazu Selbstregierungskonzepte innerhalb der Staaten umgesetzt werden.782 c) Schlussfolgerung: Selbstbestimmung indigener Völker als Rechtsposition aa) Positionen in der völkerrechtlichen Literatur Die völkerrechtliche Literatur ist bei der ausdrücklichen Annahme eines Selbstbestimmungsrechts für indigene Völker ebenfalls uneinheitlich, wenngleich sich die Ansicht durchsetzt, dass ein solches Recht entweder bereits aus ___________ (c) The right shall be exercised in accordance with rule of law with due respect to legal procedures and arrangements and in good faith.“ 780 General Assembly, GA/10612 (Ehouzou), S. 5 ff. Diese klarstellenden Hinweise finden sich nicht nur bei einigen der ablehnenden Staaten, sondern auch bei solchen, die zugestimmt haben. 781 Mission to the UN, Observations of the U.S. 2007. 782 OAS Working Group, Comments of the Delegation of Canada 2002, Art. VIIXVIII, S. 13 f. Ein Vergleich mit der Schilderung der kanadischen Position bei Sanders, in: Modern Law of Self-Determination, S. 55, 76 f. zeigt, wie sehr diese sich in nur zehn Jahren verändert hat.

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den vorhandenen Völkerrechtsinstrumenten und Gewohnheitsrecht zum Selbstbestimmungsrecht besteht oder durch die jüngsten Entwicklungen wenigstens im Werden begriffen ist.783 Zwar gibt es durchaus noch kritische Stimmen, da bislang kein internationales richterliches Gremium eine solche Selbstbestimmung ethnischer Gruppen im Staat bestätigt habe; doch auch diese Stimmen sehen die richtungsweisende Entwicklung der vergangenen Jahre.784 Dabei wird darauf verwiesen, dass die Prozesse innerhalb der UN und die Diskussionen in den beiden Arbeitsgruppen zur Deklaration bereits zur normativen Entwicklung im Bereich des Selbstbestimmungsrechts beigetragen haben.785 Die sich abzeichnende Entwicklung eines Selbstbestimmungsrechts, das in einer Art und Weise verwirklicht werden kann, wie es für den Mutterstaat verträglich ist, aber zugleich den Bedürfnissen der Anspruchsinhaber entspricht, wäre „a considerable prize for international law and a possible model of good practice for application in related contexts“.786 Andere Stimmen gehen weiter und sehen in den UN-Diskussionen und der noch zu zeigenden Entwicklung in den Einzelstaaten bereits eine herausgebildete völkergewohnheitsrechtliche Norm eines Selbstbestimmungsrechts indigener Völker mindestens in interner Hinsicht, gegen die lediglich einige Staaten als beharrliche objectors opponieren.787 Schon die Anforderung der gleichen Behandlung aller Völker, auch der indigenen, mache eine Anwendbarkeit des Selbstbestimmungsrechts auch auf indigene Völker notwendig.788 Ohnehin sei schon seit längerem nicht die Möglichkeit der Anwendbar___________ 783

Vgl. z.B. Wilson, 11 Conn. J. Int’l L. [1996], 433, 476, der dem Völkerrecht in der Gestalt von 1996 ohne Verabschiedung der Draft Declaration noch kein solches Recht entnimmt; etwas anderes gelte jedoch in Fällen von weiter bestehender Kolonisierung. Wilson präsentiert jedoch zugleich eine umfassende Studie am Beispiel der Zulus in Südafrika, welche Auswirkungen eine Annahme der Deklaration hätte. 784 Elsner, Bedeutung des Volkes, S. 277; ähnlich 1992 Iorns, 24 Case W. Res. J. Int’l. L. [1992], 199, 267. 785 Kingsbury, 92 AJIL 414 [1998], 439. 786 Thornberry, in: Modern Law of Self-Determination, S. 101, 131; eine ähnliche Unterstützung für die frühen Entwurfsfassungen der Draft Declaration bezüglich des Selbstbestimmungsrechts findet sich auch bei Stomski, 16 Am. Ind. L. Rev. [1991], 575, 587 f. 787 Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 97. Zu diesen objectors könnte auch die USA gezählt werden, wie sich aus der Reaktion auf die Verabschiedung ergibt, vgl. Mission to the UN, Observations of the U.S. 2007. Die nur bedingte Relevanz einer solchen Position zeigen Anaya/Wiessner, OP-ED, Jurist v. 03.10.2007. 788 Alfredsson, VN 1993, 17, 19; ebenso Graham, 6 ILSA J. Int’l. & Comp. L. [2000], 455, 465; Iorns, 24 Case W. Res. J. Int’l. L. [1992], 199, 346; Venne, Our elders understand our rights, S. 121 f. Außerdem seien die indigenen Völker meist durch die gleiche Art Kolonialismus in ihre heutige Situation gedrängt worden, wie die mittlerweile durch die Anwendung des Selbstbestimmungsrechts dekolonisierten Staaten, so Spiry,

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keit auf solche Völker das Problem, sondern der fehlende Wille der konkreten Umsetzung durch die Staaten, was wiederum darauf zurückzuführen sei, dass Staaten das Recht nicht als einen Prozess sehen, sondern lediglich den Ausgang einer Sezession befürchten.789 Zur Klarstellung, dass die Selbstbestimmungsforderungen nicht in diese Richtung gehen, sollen indigene Völker nicht einen auf der historisch begründbaren Souveränität basierenden Anspruch stellen, sondern vielmehr auf menschenrechtlicher Grundlage Selbstbestimmung mit dem Hinweis verlangen, dass in ihrem Sonderfall ihre Menschenrechte anders nicht verwirklicht werden könnten.790 Das Überleben der indigenen Kultur als solcher ist nach überwiegender Ansicht nur möglich, wenn sie unter der eigenen Kontrolle – sei es durch Selbstregierung oder eine andere Form der Selbstbestimmung – stattfindet.791 Die Annahme eines Selbstbestimmungsrechts indigener Völker ist damit mittlerweile in der Literatur weit verbreitet.792 Sie dürfte nach Annahme der UN-Deklaration weitere Zustimmung finden. bb) Politische Zweckmäßigkeit versus rechtlicher Anspruch Unabhängig von der Frage, ob ein Selbstbestimmungsrecht besteht, ist auf die bereits erörterte Überlegung hinzuweisen, dass auch ein „volles“ Selbstbestimmungsrecht kaum je in der externen Variante einschlägig ist, noch von den betroffenen indigenen Völkern gewählt wird. Dies ist von diesen in den UNDiskussionen auch unzählige Male herausgestrichen worden, denn für die meisten Völker bestehen mittlerweile Verflechtungen mit der dominanten Gesellschaft und auch eine gewisse Anpassung an die Ökonomie und Lebensweise des Trägerstaates hat stattgefunden, die eine eigenständige Staatsform nicht notwendig erscheinen lässt.793 Auch ist zu bedenken, dass das Selbstbestimmungsrecht, wie im ersten Kapitel ausführlich gezeigt, nicht in einem beziehungslosen Raum steht, sondern mit den übrigen Völkerrechtsnormen in Einklang zu bringen ist. ___________ 9 GYIL [1995], 129, 137; Alfredsson, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 125, 133, weshalb zumindest theoretisch auch ein externes Selbstbestimmungsrecht dazugehöre. 789 Spiry, 9 GYIL [1995], 129, 137. 790 Anaya, in: The Rights of Minority Cultures, S. 321, 327. Damit nähern sich diese Forderungen auch dem Ursprung der Dekolonisierung, denn diese war „really a demand for law and human rights“, so Reisman, 89 AJIL [1995], 350, 352. 791 Alfredsson, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 125. 792 Vgl. z.B. Hoeft, 14 Law & Ineq. [1995], 203, 226 ff., 257 f.; grundlegend bereits Clinebell/Thomson, 27 Buffalo L. Rev. [1978], 669, 710 f., v.a. 714. 793 Torres, 16 Yale J. Int’l. L. [1991], 127, 163.

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

Selbst wenn demzufolge die externe Variante des Selbstbestimmungsrechts eher theoretisch bleiben wird, sollte das Recht als solches zuerkannt werden.794 Denn die rechtliche Erkenntnis ist von der politischen Zweckmäßigkeit abzugrenzen. So ist durchaus den kritischen Autoren zuzugestehen, dass es zur Erreichung der wichtigsten Rechte und des kulturellen Überlebens für die indigenen Völker nicht notwendigerweise des Selbstbestimmungsrechts bedarf, sondern andere Menschenrechtsverträge dazu eventuell ausreichen. Darauf kommt es jedoch bei der Bewertung der rechtlichen Trägerschaft nicht an, vielmehr sind das „taktische“ Überlegungen zur politischen Machbarkeit.795 Im Übrigen bietet wohl nur das Selbstbestimmungsrecht eine Garantie für den notwendigen Schutz des Territoriums, der durch Zuteilung der „üblichen“ individuellen Menschenrechte nicht erreicht werden könnte, aber für das Überleben der Gruppe wie gezeigt von größter Bedeutung ist.796 cc) Das Selbstbestimmungsrecht indigener Völker Die territoriale Abgeschiedenheit vieler indigener Völker ist aber zugleich – wie bereits oben gezeigt – das Hauptargument für eine Anwendung des Selbstbestimmungsrechts und zwar auch – zumindest theoretisch – in seiner externen Komponente. Dazu bedarf es aber keiner Schöpfung eines neuen Selbstbestimmungsrechts, es genügt vielmehr eine Überwindung der eng ausgelegten Dekolonisierungsregel auf überseeische Gebiete und damit die Anwendung auf Fälle interner Kolonisierung, wie sie in den meisten Fällen von heute in Staaten eingeschlossenen indigenen Völker vorliegt.797 Danach sind indigene Völker „nations within“,798 die einen Anspruch auf gesonderte Behandlung haben.799 Alleiniges Argument gegen die Anwendung des Selbstbestimmungsrechts ist die Gefahr eines Auseinanderbrechens der Staaten und damit die Beschädigung der territorialen Integrität sowie potentiell negative Auswirkungen auf den ___________ 794 Wiessner, 12 Harv. Hum. Rts. J. 57 [1999], 119: auch wenn Geschichte nicht zu einem gewissen Zeitpunkt eingefroren werden könne, müsse dieses Recht den indigenen Völkern potentiell ihre volle Selbstbestimmung zurück geben, wobei eine extensive Ausübung nur in Frage komme, wenn eine auf Menschenwürde basierende Verbesserung der derzeitigen Gesellschafts- und Regierungsform damit einhergehe. Ähnlich Alfredsson, VN 1993, 17, 21. 795 So Corntassel/Primeau, 17.2 (1995) HRQ, 343, 343 f. 796 Lâm, 25 Cornell Int. L. J. [1992], 603, 621. 797 So Skurbaty, As if Peoples Mattered, S. 264; ähnlich Alfredsson, VN 1993, 17, 19; Heintze, 50 ZaöRV [1990], 39, 50. Unten Kap. 4 B. III. 2. 798 Turpel, 25 Cornell Int. L. J. [1992], 579, 580. 799 Auch Daes, 7 St. Thomas L. Rev. [1995], 493, 498 argumentiert damit, dass nicht neues Recht geschaffen, sondern die alte diskrimierende Handhabung mit der Deklaration beendet würde.

C. Ausgewählte Rechtspositionen indigener Völker

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Weltfrieden.800 Weil aber das Selbstbestimmungsrecht in praktisch allen Fällen von den indigenen Völkern nur in Form weitgehender Autonomie verwirklicht werden soll und darf und eine Sezesssion nur in den allerseltensten Fällen überhaupt in Erwägung gezogen würde, fällt die Abwägung der Vor- und Nachteile zugunsten einer Anwendung des Selbstbestimmungsrechts aus.801 Das erste Kapitel dieser Untersuchung hat gezeigt, dass das Selbstbestimmungsrecht aus sich selbst heraus die Anwendung auf indigene Völker ermöglicht. Die hier aufgezeigte zunehmende Akzeptanz einer tatsächlichen Bejahung dieses Völkerrechtsanspruchs für indigene Völker ist damit lediglich Ausdruck des dynamischen Wandels des Völkerrechts, das eine schnelle Konsolidierung des erweiterten Verständnisses eines bereits bestehenden Rechts zur Folge hat. Die dargestellten Entwicklungen in der UN tragen zur Beschleunigung des Prozesses bei, der einen ersten Höhepunkt mit der endgültigen Verabschiedung der UN-Deklaration erreicht hat. Im Ergebnis entsteht damit ein solches Selbstbestimmungsrecht indigener Völker, das den gleichen Einschränkungen und Rahmenbedingungen unterliegt wie das bereits bekannte Selbstbestimmungsrecht und daher ebenfalls nur in bestimmten Hierarchiestufen verwirklicht werden darf.802 Entscheidend am Signal der Anwendbarkeit für indigene Völker ist aber, dass die Regierungsgewalt auf den von ihnen besiedelten Territorien nicht deshalb mit dem Gesamtstaat geteilt wird, weil dieser sich freiwillig und rücknehmbar dazu entscheidet, sondern weil dieses Recht inhärent ist.803 Die Entwicklung zu einem, wenn nicht in der Form, so wenigstens der Substanz nach gewährtem Selbstbestimmungsrecht indigener Völker reflektiert sich auch in der ILO-Konvention Nr. 169, die nicht nur in der Präambel, sondern auch und insbesondere in Art. 7 Abs. 1 herausstreicht, dass indigene Völker selbst entscheiden sollen, nach welchen Prioritäten die Entwicklung auf den ___________ 800

Skurbaty, As if Peoples Mattered, S. 264; Iorns, 24 Case W. Res. J. Int’l. L. [1992], 199, 346 zeigt aber überzeugend, dass die Befürchtungen der Staaten nicht automatisch Vorrang vor denjenigen der indigenen Völker vor der Auslöschung ohne Zuerkennung einer Selbstbestimmung haben sollten. 801 So auch Lâm, 25 Cornell Int. L. J. [1992], 603, 610, wonach die indigenen Völker zwar schon eine gewisse Distanzierung von ihren umgebenden Staaten, nicht aber eine Sezession davon suchten. Am konkreten Beispiel der Dene in Kanada zeigt dies Heintze, 50 ZaöRV [1990], 39, 50 f. 802 Spiry, 9 GYIL [1995], 129, 143 mit besonderer Betonung der Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit, weshalb aber sein Argument auch nicht nachvollziehbar ist, die indigenen Völker sollten sich von vornherein nicht mehr auf ein volles Selbstbestimmungsrecht berufen. 803 Lâm, 25 Cornell Int. L. J. [1992], 603, 608: „indigenous share of that jurisdiction rests upon an inherent right, and not a revocable grant“. Ebenso Alfredsson, VN 1993, 17, 19, der zur Rechtslage vor Entstehen der Selbstbestimmungsnorm zugunsten indigener Völker von einem „nachgerade klassischen Konflikt zwischen Recht und Gerechtigkeit“ spricht.

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

von ihnen bewohnten Gebieten fortschreiten soll, weil sie selbst am besten beurteilen könnten, welche Auswirkungen eine solche Entwicklung auf ihre Institutionen und ihr spirituelles Leben hätte.804 Hinsichtlich der Mitwirkung an der nationalen Politik der Mitgliedstaaten bezieht sich die Konvention vornehmlich auf Beteiligung, die aber gehaltvoll sein muss.805 Es lässt sich aus der Gesamtschau der Artikel entnehmen, dass die Ratifikationsstaaten verpflichtet sind, die Existenz eigener Institution der indigenen Bevölkerung anzuerkennen und diesen Verantwortlichkeit für die eigenen Angelegenheiten zu übertragen bzw. bei Fehlen funktionierender Organe solche einzurichten.806 3. Umsetzung und zuständige Organe a) Verwirklichung durch weitestmögliche Autonomie Bereits die Darstellung der Inhalte des Selbstbestimmungsrechts der Völker unabhängig von ihrem Träger hat gezeigt, dass die Ausübung dieses Rechts verschieden ausgestaltet werden kann. Im abschließenden Kapitel dieser Untersuchung werden konkret an einem Staatenbeispiel die Folgen aus dem Selbstbestimmungsrecht für indigene Völker näher dargelegt. Allgemein kann hier schon festgehalten werden, dass die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts bezogen auf die indigenen Völker weitgehende Autonomien807 erfordert und diese auch auf günstige Weise eingerichtet werden können, weil die entsprechende Bevölkerung meist territorial abgegrenzt siedelt und von der Mehrheitsgesellschaft unterscheidbar lebt.808 Die Autonomie bedeutet dabei vorrangig, dass die Beteiligung der Gruppe in der Gestaltung und Umsetzung der Politik gesichert wird und sie in eigenen ___________ 804

Vgl. dazu Alfredsson, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 125, 126 f. Alfredsson, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 125, 135 spricht im Blick auf die Friendly Relations-Declaration von einem „measurement of representativity“, der noch heute häufig zum Ergebnis einiger völligen Missachtung der indigenen Bevölkerung im politischen System führe, was zugleich ein gewichtiges Argument auch für externe Verwirklichungsformen des Selbstbestimmungsrechts liefere. 806 Alfredsson, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 125, 128. 807 Wolfrum, 59 ZaöRV [1999], 369, 381 bezweifelt, dass zur Erhaltung der kulturellen Identität der indigenen Völker eine Autonomie, die diese der Jurisdiktion des Mutterstaates weitgehend entzieht, tatsächlich nötig sei. Dagegen Alfredsson, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 125, 129, der darauf hinweist, dass die Home Rule Dänemarks zum Status Grönlands und ihre weitgehende Autonomieverwirklichung Vorbild für viele Vorschriften in der Draft Declaration gewesen sei. 808 Daher sei sowohl die Notwendigkeit als auch die Möglichkeit von Autonomielösungen in Fällen indigener Völker viel gewichtiger als bei anderen Minderheiten, vgl. Alfredsson, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 125. 805

C. Ausgewählte Rechtspositionen indigener Völker

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Angelegenheiten eigenverantwortlich handeln kann und dazu von der Zentralgewalt mit entsprechenden Befugnissen und Möglichkeiten ausgestattet wird. Es war vorgeschlagen worden, diesen Zusammenhang von Selbstbestimmungsrecht und politischen Beteiligungsrechten explizit im Deklarationsentwurf festzuhalten.809 In Art. 31 der Draft Declaration und im leicht abgeänderten endgültigen Art. 4 der UN-Deklaration, der nun in engem systematischen Zusammenhang mit der Selbstbestimmungsvorschrift in Art. 3 steht, werden als spezifische Form der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts die Selbstregierung durch die indigenen Völker angesprochen, zu der kulturelle, religiöse, erzieherische Aspekte ebenso gehören wie die Information der Bürger, die Medien, Gesundheits-, Wohnungs-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, wirtschaftliche Fragen und auch die Organisation der Landnutzung und des Umweltschutzes, wie sich aus den weiteren Vorschriften ergibt.810 Ferner sollen die selbstregierenden Einheiten auch die Art des Zutritts auf ihr Territorium in gewissem Rahmen regeln können (Art. 12 Abs. 1), ähnlich wie Art. 33 und Art. 9 das Recht geben, selbst über die Zugehörigkeit zur indigenen Gemeinschaft zu bestimmen.811 Art. 4 der UN-Deklaration regelt auch die oben angesprochene finanzielle Ausstattung zur Umsetzung der Autonomie-Aufgaben.812 Diese umfassende Aufzählung von Autonomiegehalten zur Erfüllung des Selbstbestimmungsrechts erfordern selbstredend in jedem konkreten Einzelfall gesonderte Vereinbarungen, die auf die Besonderheiten Rücksicht nehmen. Dazu müssen die Nutznießer der Autonomie an ihrer Ausgestaltung von Beginn an beteiligt werden. Eine ähnliche Überlegung führte Mexiko zu dem Vorstoß in der WGDD, ein neues Repräsentantenbüro der indigenen Völker beim Vorsitzenden der Arbeitsgruppe einzurichten, damit diese bei den informellen Diskussionen unter den Staatenvertretern und den Aktivitäten zwischen den Beratungssessionen auch anwesend sein können und ihre Beteiligung an der Ausarbeitung der Autonomieregelungen sicherstellen können.813 Mit der Einrichtung von Autonomien soll Selbstbestimmung dergestalt ermöglicht werden, dass für die indigenen Völker eine reelle Chance zum „selfdevelopment“ ensteht.814 Dieses Konzept dient letztlich nur der Klarstellung, ___________ 809

So der Vorschlag von Foster, 12 EJIL [2001], 141, 151. Nach Wolfrum, 59 ZaöRV [1999], 369, 377 bleibe unklar, ob mit diesen Aspekten das Selbstbestimmungsrecht im Sinne der Draft Declaration abgedeckt werde. 811 Hinsichtlich der Zugehörigkeitsfrage sei die Lösung der Draft Declaration zu sehr zugunsten der Gruppe ausgefallen, so Wolfrum, 59 ZaöRV [1999], 369, 380. 812 Damit kann verhindert werden, dass die Gefahr einer dauerhaften Marginalisierung mit weitgehender Autonomie einhergeht, wie sie Wolfrum, 59 ZaöRV [1999], 369, 381 befürchtet. 813 Vgl. dazu Chávez, Report of the Working Group on the Draft Declaration 2002 Rdnr. 19 und Annex III. 814 Heintze, 50 ZaöRV [1990], 39, 51. 810

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

welcher Aspekt des Selbstbestimmungsrechts zu verfolgen sei, dass nämlich eine Weiterentwicklung und ein Weiterbestehen der Gruppe möglich gemacht werden soll.815 Das benötige echte politische Beteiligung, möglichst unter internationaler Aufsicht und die genannte Gruppenautonomie.816 Dabei genüge politische Selbstregierung nicht, es müsse auch ein Mindeststandard an Kontrolle über natürliche Ressourcen und das Potential zur wirtschaftlichen Entwicklung dazu kommen.817 Es sollte versucht werden, die wirtschaftliche Entwicklung anzustoßen, die in einer Art stattzufinden hat, die mit den traditionellen Lebensweisen des betreffenden indigenen Volkes oder seiner heutigen Vorstellung des Lebensalltags vereinbar ist. Autonomieregelungen bieten inhaltlich die Chance, dass beispielsweise Dienstleistungen in einer Art und Weise erbracht werden, wie es den Bedürfnissen der betroffenen Gruppe am ehesten entspricht.818 Gerade im Bereich der Sozialpolitik und der Erziehung ist es notwendig von gesamtstaatlichen Programmen abweichen zu können, um überhaupt die Eigenständigkeit der indigenen Bevölkerung erhalten zu können. Die eigenständige Bestimmung über die Zugehörigkeit zur indigenen Gemeinschaft und auch die Sicherung der dauerhaften politischen Vertretung – und damit der Verhinderung einer Majorisierung ihrer speziellen politischen Organe – ist auch beim noch zu beleuchtenden Modellbeispiel Nunavut in Kanada zugunsten der Inuit als zentral empfunden worden.819 b) Einhaltung der Selbstbestimmungsverpflichtung als internationale Angelegenheit Schließlich ist auch die Frage der Umsetzung der Rechte aus der geplanten Deklaration letztlich Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts, denn die Natur dieser Ansprüche verbietet es, dass der Staat eigenständig die Verwirklichung verfolgt.820 Vielmehr ist durch die Beteiligung der indigenen Völker bei der Umsetzung bereits ein Teil der Verpflichtung aus der Deklaration zu erfüllen. Manche Staaten haben bei den Beratungen zu erkennen gegeben, dass sie eine allein innerstaatliche Umsetzung für angemessen halten und gegen eine Moni___________ 815

Spiry, 9 GYIL [1995], 129, 144 f. Spiry, 9 GYIL [1995], 129, 145. 817 Spiry, 9 GYIL [1995], 129, 147, 150. 818 Foster, 12 EJIL [2001], 141, 153. 819 Die entsprechenden Bestimmungen seien teilweise eine gelungene, teilweise aber nicht ausreichende Umsetzung des Selbstbestimmungsrechts, Kersey, 11 Ariz. J. Int’l & Comp. L. [1994], 429, 452 ff. 820 Die Erfüllung der Verpflichtungen sei die entscheidende Hürde, welche die Rechte aus der Deklaration in der Praxis nehmen müssten, so Stomski, 16 Am. Ind. L. Rev. [1991], 575, 590. 816

C. Ausgewählte Rechtspositionen indigener Völker

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toring-Funktion der UN sind. Das verbietet aber schon der Ansatz bei den individuellen Menschenrechtsverträgen. Ziel sollte es sein, innerstaatliche Organe zur Streitschlichtung zu schaffen, bei deren Einschaltung nach einem Scheitern als letzte Möglichkeit auch die Inanspruchnahme der Schiedstätigkeit eines internationalen Organs bleibt.821 Ein solches Organ mit entsprechenden Kompetenzen auszustatten ist bei vielen Staaten auf grundsätzliche Zustimmung gestoßen, wobei umstritten ist, ob das neu gegründete Permanent Forum eine solche Aufgabe übernehmen könnte.822 Die WGIP wäre als „complaints tribunal“ dauerhaft nur in Frage gekommen, wenn sie zusätzlich mit der Kompetenz zur Entgegennahme und Prüfung von Beschwerden indigener Völker gegenüber den Staaten und umgekehrt ausgestattet worden wäre.823 Die Vergangenheit hat gezeigt, dass ein hohes Risiko besteht, dass Staaten die Behandlung der indigenen Bevölkerung nach opportunen Gesichtspunkten ändern.824 Daher kann das Selbstbestimmungsrecht indigener Völker nur vollständig verwirklicht werden, wenn sie als insoweit Subjekte des Völkerrechts in der internationalen Arena ihre Rechte vertreten und durchsetzen können.825 Diese Stärkung des Verhandlungselements zur Erreichung des Selbstbestimmungsrechts indigener Völker im Sinne des Art. 3 UN-Deklaration bezieht sich also nicht nur auf das Vorfeld der Verwirklichung der Selbstbestimmungselemente, sondern auch auf die dauerhafte Umsetzung, bei der die Indigenen als gleichberechtigte Partner beteiligt werden müssen826 und auch bei folgenden Auseinandersetzungen ein internationales Organ anrufen können sollten, wenn eine innerstaatliche Streitschlichtung gescheitert ist. Die Einrichtung echter Selbstbestimmung für die indigenen Völker in den Staaten bringt diesen nicht ___________ 821 So noch Art. 36 Draft Declaration, der in der endgültigen Fassung in diesem Teil gestrichen ist, obwohl die Beteiligung internationaler Gremien, insbesondere in der UN, zur Überwachung der Einhaltung der Deklarationsziele weiterhin an mehreren Stellen unterstrichen wird; vgl. ferner Kersey, 11 Ariz. J. Int’l & Comp. L. [1994], 429, 465, 467. 822 Vgl. Barsh, 18.4 (1996) HRQ, 782, 803; befürwortend bei weitgehenden Kompetenzen Wiessner, 12 Harv. Hum. Rts. J. 57 [1999], 123 f. 823 So die Einschätzung von Torres, 16 Yale J. Int’l. L. [1991], 127, 171. 824 Daher fordert Archer, 5 J. Int’l. Legal Stud. [1999], 205, 238 ff. auch die Verbindlicherklärung der Draft Declaration verbunden mit einem Sanktionssystem, weil sie ansonsten kaum positive Auswirkungen zeigen werde. 825 Lâm, 25 Cornell Int. L. J. [1992], 603, 621; Daes, 7 St. Thomas L. Rev. [1995], 493, 497: „matter of international concern“. Ähnlich Wolfrum, 59 ZaöRV [1999], 369, 382. Reisman, 89 AJIL [1995], 350, 361 f. fordert auch vom IGH eine Einbeziehung der Interessen indigener Völker, auch wenn diese nicht als Partei auftreten können. Eine Möglichkeit wäre die Einrichtung einer Amicus-Vertretung vor dem Gericht ähnlich wie beim Inter-Amerikanischen Gerichtshof, vgl. ebda und Fn. 59. 826 Foster, 12 EJIL [2001], 141, 156. Ähnlich Anaya/Williams, 14 Harv. Hum. Rts. J. [2001], 33, 78 ff.

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

zuletzt auf der internationalen Bühne höheres Ansehen und fördert damit die Würde eines Staates und seiner inneren Konstitution,827 was mit ein Grund sein dürfte, dass viele Staaten – wie sogleich gezeigt wird – in den vergangenen Jahren den Rechten indigener Völker verstärkt Aufmerksamkeit widmen.

IV. Einzelstaatliche Beispiele für die Ausgestaltung der Rechte indigener Völker Die Entwicklung innerhalb der Vereinten Nationen zu einer vermehrten Beschäftigung mit den indigenen Völkern und einer allmählichen Herausarbeitung der unterschiedlichen Rechtspositionen wie oben dargestellt, spiegelt sich in einer Vielzahl von einzelstaatlichen Entwicklungen wider oder ist von diesen inspiriert. Im Folgenden werden exemplarisch einige besonders bedeutsame Beispiele näher beleuchtet, in denen Staaten einen hohen indigenen Bevölkerungsanteil haben oder durch gewichtige rechtliche und politische Änderungen den Status der indigenen Völker in einer Weise aufgewertet haben, der auch im internationalen Recht Auswirkungen zeigt.828 1. Kanada a) Allgemeines Die Situation der in Kanada „First Nations“ genannten indigenen Völker hat sich in den vergangenen Jahrzehnten – zumindest dem formalen Status nach – drastisch geändert.829 Herausragend sind dabei einerseits die politischen Umwälzungen wie die Verfassungsreform von 1982, in der die Zusammensetzung der kanadischen Gesellschaft neu unter Einbeziehung der First Nations festgestellt wird, sowie die Schaffung eines neuen kanadischen Territoriums Nunavut 1999.830 Andererseits haben kanadische Gerichte, die früher systematisch Son___________ 827

So Alfredsson, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 125. Alfredsson, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 125, 128 sieht darin sowohl einen Beitrag zur Herausbildung von Völkergewohnheitsrecht durch die entsprechende Praxis, als auch die Anstoßfunktion für die fortschrittliche Weiterentwicklung der Völkerrechtsstandards. 829 Vgl. dazu ausf. Williams-Vedder, Die Rechtsstellung der eingeborenen Völker, S. 70 ff.; positive Bewertung bei Marantz, in: People or Peoples, S. 9, 68 ff. 830 Die Diskussionen, die zu den Änderungen führten, sind nach Ansicht von Turpel, 25 Cornell Int. L. J. [1992], 579, 602 „nothing short of the beginning of the decolonization of indigenous peoples“. Auch Marantz, in: People or Peoples, S. 9, 68 ff. bewertet die Umwälzungen als weltweit mit am weitesten fortgeschritten. 828

C. Ausgewählte Rechtspositionen indigener Völker

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derrechte der Indigenen verneint haben, mit einigen wegweisenden Entscheidungen den Rechtsstatus neu bestimmt.831 b) Wandel der Rechtsprechung Die historische Situation in Kanada ist davon geprägt, dass in weiten Teilen des entstehenden Landes zahlreiche vertragliche Vereinbarungen mit den indigenen Völkern, die das Territorium besiedelten, geschlossen wurden.832 Wenngleich viele der indianischen Unterzeichner nicht verstanden haben dürften, was und mit welcher Folge sie durch ihre Unterschrift besiegeln und zahlreiche Verträge nur unter Gewaltandrohung bzw. Zwang zustande gekommen sind, zeigen die Vertragsschlüsse doch, dass den Indianern – wenngleich nur, um Zugeständnisse zu erreichen – Rechte zuerkannt wurden.833 Lange Zeit haben die Gerichte diese Verträge sehr einseitig interpretiert, aber seit der Einführung des Art. 35 in der Verfassungsreform von 1982 werden diese eher zugunsten der Indianer ausgelegt, weil die Vorschrift die Existenz bestehender Vertragsrechte bestätigt und dazu auch die Möglichkeit von Rechten an Land zählt.834 Zumindest die Einräumung von traditionellen Jagd- und Fischereirechten wurde verstärkt als Vertragsinhalt akzeptiert. Die noch bestehenden Rechte wurden durch die Verfassungsänderung dauerhaft geschützt, aber mit der Entscheidung in Sparrow v. The Queen von 1990 stellte der Supreme Court of Canada fest, dass Rechte aus Verträgen ohnehin grundsätzlich weiter bestanden haben, außer wenn sich eindeutig ergibt, dass das Königreich diese früher auslöschen wollte.835 Verschiedene Folgeentscheidungen relativierten zwar zunächst das potentielle Ausmaß des Urteils, indem in konkreten Fällen eine solche Auslöschung des Rechtes ganz oder zum großen Teil – zum Beispiel unter Aussparung von Fischereirechten – bejaht wurde,836 andererseits wurde mit Côté v. The Queen ___________ 831

Im Überblick Wiessner, 12 Harv. Hum. Rts. J. 57 [1999], 66 ff. Allg. zu Vertragsschlüssen auf diesem Gebiet Eick, Indianerverträge in NouvelleFrance, S. 89 ff., einzelne Beispiele auf S. 101 ff. 833 Ehrlich, 7 NEICLA [2001], 1, 5. 834 Im Wortlaut bei Macklem/Morgan, 22 HRQ [2000], 569, 578 Rdnr. 21, die nachweist, dass der Wortlaut bedeutet, dass alle Vereinbarungen über Landrechte, die nach 1982 geschlossen werden, automatisch Verfassungsrang haben; Ehrlich, 7 NEICLA [2001], 1, 5. Ausf. zum neuen Art. 35 der kanadischen Verfassung von 1982 WilliamsVedder, Die Rechtsstellung der eingeborenen Völker, S. 82 ff., 99 ff. 835 [1990] S.C.R. 1075 (Can.) – Sparrow v. The Queen. Vgl. dazu Williams-Vedder, Die Rechtsstellung der eingeborenen Völker, S. 116 f. Zum grundlegenden Rechtsprechungswandel ab 1985 Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France, S. 43 ff.; ferner Schulte-Tenckhoff, 4 Review of Constitutional Studies [1998], 239, 259 f. 836 Zu diesen Urteilen vgl. Ehrlich, 7 NEICLA [2001], 1, 7 ff. 832

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zumindest klargestellt, dass die gewollten positiven Auswirkungen auf alle Teile des Landes gleich anzuwenden sind, weil es nur vom Zufall abhinge, in welchem Umfang die Eroberer Verträge schlossen bzw. den Rechtsstatus der ihnen begegnenden indigenen Personen einordneten.837 Seit R. v. Guerin838 ist schon klargestellt, dass „,aboriginal title’ an independent and pre-existing right flowing from historical occupation and possession“ ist. Diese Rechte sind „rights sui generis and unique in that they are held communally“.839 In diese Rechte darf der Staat aber eingreifen, solange er verhältnismäßig vorgeht und ein rechtfertigender Zweck vorliegt.840 Eine grundsätzliche Neuausrichtung bei der Bewertung von Vertragsinhalten aus früherer Zeit und auch ein Umdenken in der Haltung gegenüber indigenem Rechtsverständnis wurde in der grundlegenden Delgamuukw v. British Columbia-Entscheidung des Supreme Court of Canada von 1997 eingeläutet:841 ohne in der Sache zu entscheiden, verwarf das Gericht die erstinstanzliche Entscheidung über eine Landrechtsstreitigkeit, weil jenes Gericht die Argumente der beteiligten Stämme über die Nutzung des Landes durch ihre Vorfahren mit dem Argument beseite gewischt hatte, diese Darstellung könne nicht bewiesen werden. Durch die völlige Missachtung der „oral history“, also der mündlichen Überlieferungen in Geschichten- und Liedform, habe das Gericht die Funktionsweise indigener Kultur missverstanden und den Unterschied zur westlichen Kultur nicht gesehen. Daher müsse auch oral history als Beweismöglichkeit grundsätzlich gewürdigt werden.842 Weitere wichtige Fragen wurden durch die Entscheidung beantwortet, die vorher vor kanadischen Gerichten anders als in den USA kaum Aussicht auf Erfolg gehabt hätten: Bestätigt wurde die Entscheidung von 1990, dass nur ausdrücklich ausgelöschte Rechte heute keinen Bestand mehr haben, ferner dass auch Rohstoffausbeutung zu den heute zu beanspruchenden Elementen der Rechtsposition zählen kann, selbst wenn die traditionelle indigene Gesellschaft einer solchen Tätigkeit nicht nachgegangen ist, sowie schließlich, dass Kanada ___________ 837

[1990] S.C.R. 139 (Can.) – Côté v. The Queen. [1984] 2 S.C.R. 335 (Can.) – R. v. Guerin; zu ersten früheren Ansätzen eines Wandels in der kanadischen Rechtsprechung Werther, Self-Determination in Western Democracies, S. 73 f. 839 Vgl. dazu auch Macklem/Morgan, 22 HRQ [2000], 569, 579 Rdnr. 26. In R. v. Van der Peet, [1996] 2 S.C.R. 507 (Can.) hat der Supreme Court klargestellt, dass diese Bewertung der Rechte dazu dient, die Reconciliation gegenüber den First Nations zu ermöglichen. 840 Zu den Maßstäben Macklem/Morgan, 22 HRQ [2000], 569, 582 Rdnr. 35. 841 [1997] S.C.R. 1010 (Can.) – Delgamuukw v. British Columbia. 842 [1997] S.C.R. 1010 Rdnr. 98 ff. (Can.) – Delgamuukw v. British Columbia. 838

C. Ausgewählte Rechtspositionen indigener Völker

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zwar Stammesrechte zu gesellschaftlichen Gemeinwohlzwecken einschränken kann, in solchen Fällen aber anschließend eine Entschädigung zu zahlen hat.843 Diese Maßstäbe haben sich beispielsweise im Fall der Nisga’a ausgewirkt.844 Da die auf dem Gebiet des heutigen British Columbia lebenden First Nations jegliche vertragliche Landabtretung verweigert hatten, hatten und haben diese nach der Neuausrichtung der Rechtsprechung die größten Chancen auf Verhandlungserfolge bei Landrückgabeforderungen. So erreichten die 5500 Nisga’a 1998 einen Vertrag mit der kanadischen Regierung, der ihnen etwa 2000 km2 Land, einen bestimmten Anteil der Lachsfänge und Selbstregierung auf dem Territorium sowie mehrere hundert Millionen Dollar Unterstützungsleistungen sicherte.845 Der Vertragsabschluss war von verschiedener Seite umstritten. Einerseits wehrten sich unbeteiligte Kanadier wegen der Höhe der zugesicherten Zahlungssumme. Aus Sicht der First Nations ist diese aber ein Gegenwert für das nicht rückübertragene Recht auf vollständige Rohstoffausbeute. Andererseits bemängelten viele Aktivisten, dass nur zehn Prozent der ursprünglich geforderten Fläche zuerkannt worden sei.846 Der Streit führte auch im Parlament zu heftigen Auseinandersetzungen und vor der Verabschiedung des Vertrages musste es in der bisher längsten Sitzung tagen, weil eine politische Partei durch das Einbringen von hunderten Änderungsanträgen zum Vertrag erfolglos die Verzögerung der Unterzeichnung zu erreichen versuchte.847 Andere Rechtsstreitigkeiten belegen, dass Rechte von First Nations auch gegenüber gewichtigen wirtschaftlichen Interessen Bestand haben, wie am Beispiel der geplanten Erdgas-Rohrleitung durch die Northwest Territories Kanadas bis hin in die USA gezeigt werden kann. Die Dene Tha’ setzten eine vollständige Wiederholung der Anhörung durch, weil ihre Konsultation im ersten Durchlauf unterblieben war und die Pipeline zwar nicht durch von ihnen bewohntes Gebiet, aber traditionellen Jagdgrund der Dene Tha’ führen sollte, was das Gericht als ausreichenden Grund erachtete, zwingend eine Einbeziehung in die Entscheidungsfindung vorzusehen.848 ___________ 843

Vgl. im Einzelnen die Urteilsanalyse bei Ehrlich, 7 NEICLA [2001], 1, 13 ff. und Macklem/Morgan, 22 HRQ [2000], 569, 580 ff., Rdnr. 29 ff. Interessanterweise hat der Supreme Court im Urteil (S. 1103) ausdrücklich auf die Mabo-Entscheidung des australischen High Court Bezug genommen, dazu näher unten Kap. 2 C. IV. 2. d). 844 Vgl. dazu im Lichte der gewandelten Rechtsprechung Anaya/Williams, 14 Harv. Hum. Rts. J. [2001], 33, 65 ff. 845 Dazu Meldung in The Guardian v. 11.12.1999, S. 23 und Crary, Saarbrücker Zeitung v. 07.08.1998, S. 2. 846 Crary, Saarbrücker Zeitung v. 07.08.1998, S. 2. 847 Meldung in The Guardian v. 11.12.1999, S. 23. Der Vertragsschluss wurde danach gewertet als „symbolic end to the colonial relationship“. 848 Meldung in NZZ Nr. 272 v. 22.11.2006, S. 12.

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

c) Das neue Territorium Nunavut Die ehemaligen Northwest Territories waren ein Gebiet, das bis heute fast ausschließlich von Inuit, einem eigenen indigenen Volk Kanadas, bewohnt war und wo keine Vertragsschlüsse zwischen den Eroberern und den ursprünglichen Bewohnern oder eine Gesetzgebung bezüglich der Inuit zu verzeichnen waren, weil diese in einem klimatisch extremen und geografisch abgeschiedenen Teil Kanadas lebten, der für das „weiße Kanada“ zunächst als uninteressant erachtet wurde.849 Die Einrichtung der neuen „Inuit Province of Nunavut“ (Nunavut bedeutet „unser Land“ in der Sprache der Inuit) – der ersten territoriale Änderung seit Neufundland 1949 zur kanadischen Föderation stieß – auf einem Großteil der Northwest Territories verlief daher noch vergleichsweise wenig konfliktträchtig, wenngleich in einem Prozess von mehr als 15 Jahren.850 In dem Gebiet, das mit zwei Millionen Quadratkilometern etwa 20% des kanadischen Staatsgebietes umfasst, siedeln nur ca. 27 000 Personen, davon etwa 85% Inuit.851 Die Regierung von Nunavut trat am 1. April 1999 in die Amtsgeschäfte der ehemaligen Provinzregierung ein und wird bis 2009 in mehreren Schritten die alleinige Verantwortung übernehmen.852 Hauptstadt ist ein ehemals Frobisher Bay genanntes Örtchen mit 6 200 Einwohnern, das nun Iqaluit heißt.853 Mit der Einrichtung des neuen Territoriums erhielten die Inuit zugleich Landrechte an 350 000 km2 Land und das Recht auf Jagd im ganzen Gebiet und den Ressourcen an einem Zehntel des Gebietes sowie eine erhebliche Zahlung durch die Zentralregierung.854

___________ 849 Erst die Entdeckung von Bodenschätzen machten die Northwest Territories überhaupt zu einem intensiveren Gegenstand der Politik der Zentralregierung ab den zwanziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, vgl. Kersey, 11 Ariz. J. Int’l & Comp. L. [1994], 429, 432. 850 Teilweise wird darauf hingewiesen, dass die Grundbedingungen für die Gründung Nunavuts weltweit einmalig waren, vgl. zu diesen Stimmen Kersey, 11 Ariz. J. Int’l & Comp. L. [1994], 429, 465, vgl. auch zum Verhandlungsprozess S. 435 ff. Interessanterweise war einer der Hauptmotoren für den erfolgreichen Abschluss die Durchführung eines Plebiszits auf dem Territorium, das eine deutliche Mehrheit für die Teilung in ein indigen verwaltetes und ein Restgebiet erbrachte. 851 Ghai, in: Autonomy and ethnicity, S. 1, 8. 852 Ehrlich, 7 NEICLA [2001], 1, 21. 853 Vgl. Brown, International Herald Tribune v. 08.07.2002, S. 2. 854 Ehrlich, 7 NEICLA [2001], 1, 22. Die Inuit verlangen eine größere Beteiligung an den Ressourcen Nunavuts, indem mehr volle Nutzungsrechte übertragen werden, damit nicht mehr wie bislang 90% des Budgets durch Zahlungen zugunsten der Einwohner vom Zentralstaat getragen werden. Ferner wünschen sie eine Aufwertung des Territoriums zu einer vollwertigen Provinz (die die Northwest Territories auch vorher nicht waren); zu diesen Aspekten vgl. Meldung in NZZ Nr. 25 v. 31.01.2003, S. 7.

C. Ausgewählte Rechtspositionen indigener Völker

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Das Nunavut-Agreement ist von Kersey ausführlich am Maßstab der damaligen Draft Declaration der UN bewertet worden. Dabei kommt sie zum Ergebnis, dass dieses zwar noch einige, zum Teil gravierende Schwachstellen hat, aber insgesamt eine adäquate Verwirklichung zahlreicher Elemente der Draft Declaration bedeutet und damit als Vorbild für andere Landforderungslösungen dienen kann.855 Als Beispiel für ein Zurückbleiben gegenüber den dann auch in der UN-Deklaration gewährten Landrechten kann z.B. die Tatsache gesehen werden, dass nur ein Bruchteil des ursprünglich geforderten Territoriums auch tatsächlich mit einhergehender Rechtsposition übertragen wurden; jedoch kann in den Zahlungen, die Teil der Vereinbarung sind, eine Kompensation für den nicht zurückgewährten Teil des Landes gesehen werden.856 Die Regelungen zur Gewährung von Selbstbestimmung in Form der Selbstverwaltungsrechte sind weitgehend. Zwar ist durch die Struktur der Wählerschaft, die zur Teilnahme an den Regionalwahlen berechtigt ist, nicht sichergestellt, dass nicht eines Tages Zugewanderte eine Mehrheit bilden und die Selbstverwaltung zugunsten der Inuit aushöhlen könnten.857 Andererseits ist den Inuit zumindest das Recht zugewiesen, im Rahmen eines von Inuit besetzten und ausgestalteten Systems die Zugehörigkeit einer Person zu ihrer Volksgruppe völlig eigenständig zu entscheiden.858 d) Politische Entwicklungen Nichtsdestotrotz zeigt sich, dass die tatsächliche Entwicklung in vielen Teilen Kanadas – vom Sonderfall Nunavut, von dem jedoch nur die Inuit zu profitieren vermögen – noch immer der rechtlichen Emanzipation hinterher hinkt. So erinnerten Meldungen im Herbst 2000 an den zehn Jahre zurückliegenden spektakulären Aufstand der Mohawk-Indianer von Oka, die gegen den Bau eines Golfplatzes auf heiligem Gebiet protestierten und gegen die ein militärischer Aufmarsch und eine 78-tägige Belagerung durchgeführt wurde, die insgesamt über 200 Millionen Dollar kosteten und das „Indianer-Problem“ wieder

___________ 855

Kersey, 11 Ariz. J. Int’l & Comp. L. [1994], 429, 445 ff., 467 f. Kersey, 11 Ariz. J. Int’l & Comp. L. [1994], 429, 448 f. 857 Daher greift die Kritik von Moore, The ethics of nationalism, S. 189 Fn. 38 bezüglich des sogleich zu behandelnden Nisga’a-Vertrages, der auch eine nur eingeschränkte Partizipationsmöglichkeit der nicht-indigenen Bevölkerung auf dem ausgewiesenen Territorium vorsieht, zu kurz. Sie kritisiert entgegen dem obigen Argument zu Unrecht, dass bei solchen Territoriallösungen überhaupt kein Grund gegeben sei, bei territorialer Selbstregierung ein nicht territorial definiertes Zugehörigkeitskriterium anzuwenden. 858 Wiederum Kersey, 11 Ariz. J. Int’l & Comp. L. [1994], 429, 458. 856

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückten.859 In dem berichteten Fall von 2000 ging es um das vom Supreme Court of Canada bestätigte – aus einem Vertrag von 1760 abgeleitete – Recht der Indianer, im an das Reservat „Burnt Church“ angrenzenden Wasser kommerziellen Hummerfang ganzjährig, also auch in der Schonzeit für die Hummer, zu betreiben.860 Dagegen gingen konkurrierende weiße Fischer, denen dieses Recht nicht zustand, gewalttätig vor und wurden danach angeklagt.861 Schon vorher hatte die Regierung mit ihrer Aktion Kritik geerntet, die ausgelegten Fallen der Mohawk-Indianer von bewaffneten Beamten aus dem Wasser zu holen, mit der Begründung, sie interpretiere die Gerichtsentscheidung anders. Die Mohawk nutzten die Aktion, um der Öffentlichkeit ihre geltend gemachte Benachteiligung durch die misslungene Intervention der Polizei vor Augen zu führen.862 Dieser Fall ist ein Beispiel für den teilweise schärferen Kurs der Repräsentanten der First Nations. Die etwa 624 000 Indianer, die in 633 Gemeinschaften zusammenleben, sind in der „Assembly of First Nations“ vereinigt.863 Der gewählte Vorsitzende hat eine wichtige politische Bedeutung im Staat. Häuptling Phil Fontaine erreichte durch einen Annäherungskurs an die Regierung Kanadas 1998 eine Entschuldigung, wie in Kap. 4 C. III. 1. a) näher dargelegt wird. Der im Juli 2000 gewählte Nachfolger National Chief Matthew Coon Come trat mit der Devise an, einen „härteren Kurs“ gegenüber Ottawa fahren zu wollen. Insbesondere wollte er die Landverträge neu bewertet wissen und forderte Ergebnisse bezüglich der massiven anstehenden Landforderungen.864 Vorzeitig verlor dieser Chief seinen Posten jedoch in einer Kampfabstimmung an seinen Vorgänger, worin auch der dauernde Konflikt zwischen einer konzilianteren oder auf Konfrontation angelegten Indianerpolitik gegenüber der Regierung gesehen werden kann.865 Mitt___________ 859 Zu diesen Ereignissen, die an den Wounded Knee-Aufstand der Sioux in den USA 1973 erinnern, im Rückblick Meldung in NZZ Nr. 211 v. 11.09.2000, S. 4; Turpel, 25 Cornell Int. L. J. [1992], 579, 581. 860 Supreme Court, [1999] 3 S.C.R. 456 (Can.) Rdnr. 15 ff. (zum Vertrag), Rdnr. 49 ff. (zum Prinzip der Ehre der Krone), Rdnr. 65 f. – R. v. Marshall, http://csc. lexum.umontreal.ca/en/1999/1999rcs3-533/1999rcs3-533.html. 861 Vgl. Meldung in FAZ Nr. 239 v. 14.10.2000, S. 14. 862 Vgl. Meldung in NZZ Nr. 211 v. 11.09.2000, S. 4; Meldung in Indian Country Today, Vol. 20, No. 12 v. 06.09.2000, S. A3. 863 1989 gründete die Assembly of First Nations sogar einen dem NATO-Bündnis nachgebildeten gegenseitigen Verteidigungspakt aller Indianervölker in Kanada, vgl. Hueglin, Das Parlament Nr. 1-2 v. 3./10.01.1997, S. 6. In der Assembly of First Nations sind die Inuit zwar vertreten, machen aber nicht aktiv mit, weil sie sich von den Indianern Kanadas abgrenzen wollen, so ihr damaliger Premierminister Okalik, vgl. Meldung in NZZ Nr. 25 v. 31.01.2003, S. 7. 864 Vgl. dazu Meldung in NZZ Nr. 162 v. 14.07.2000, S. 5. 865 Vgl. Meldungen in NZZ Nr. 165 v. 19./20.07.2003, S. 6; NZZ Nr. 150 v. 02.07.2007, S. 2 und Jaekl, NZZ Nr. 129 v. 07.06.2007, S. 4.

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lerweile ist Fontaine zum dritten Mal wiedergewählt und hat eine formale Entschuldigung der kanadischen Regierung für das in Internatsschulen erlittene Unrecht der First Nations-Mitglieder erreicht, die einhergeht mit einer Entschädigungszahlung in einer Gesamthöhe von etwa 4 Milliarden Dollar.866 Nach der dritten Wiederwahl des kanadischen Premierministers Chrétien Anfang 2001 ließ dieser in seinem Regierungsprogramm als Schwerpunkt seiner Tätigkeit eine Verbesserung der Lebenssituation der Mitglieder der First Nations erkennen. Das krasse Wohlstandsgefälle sollte ebenso abgebaut werden wie die sozialen Fehlentwicklungen, die dazu führen, dass sich deutlich überproportional indianische Häftlinge in den Gefängnissen befinden.867 Schließlich sollten die finanziellen Unterstützungsleistungen erhöht werden; im Gegenzug sollten diese Gelder jedoch nach neuen Kriterien vergeben werden, da es Kritik an der autonomen Verwaltung der Unterstützungsgelder durch die Stämme gegeben hatte.868 Nicht geändert werden sollte der Trend der vergangenen Jahre, das die „claims settlement agreements incoropated increasingly extensive commitments to self-government“.869 In jüngerer Zeit sind unter der Regierung von Premierminister Harper zahlreiche land settlement agreements an eine neue Kommission zur schnelleren Bearbeitung überwiesen worden.870 Unabhängig von der rechtlichen Lage hat kaum ein großes Wirtschaftsunternehmen in Kanada in den letzten Jahren größere Projekte angefangen, wenn First Nations involviert sind, ohne vorher mit diesen Abkommen zu schließen. Solche Vereinbarungen sind mittlerweile die „de facto norm in Canada“.871 Für den Bau eines Riesenstaudamms im Reservat der Cree-Indianer an der JamesBucht haben diese zum Beispiel für die Zustimmung zum Bauvorhaben eine Zahlung in einer Gesamthöhe von 3,4 Milliarden CHF mit einer Laufzeit von 50 Jahren vertraglich zugesichert erhalten. Als Gegenleistung haben sie ferner von ihren Umweltklagen in ähnlicher Höhe Abstand genommen und sind nun mit den Aufstauungen einverstanden.872 ___________ 866

Vgl. Meldung in NZZ Nr. 136 v. 13.06.2008, S. 3. Vgl. z.B. Meldung in NZZ Nr. 58 v. 10./11.03.2003, S. 48 im Zusammenhang mit der Ermordung eines bekannten und bei den Indianern beliebten Polizisten durch einen Betrunkenen, als dieser vom Polizisten verhaftet werden sollte. Diese Probleme bestehen selbst in Orten wie Cape Dorset, das das Zentrum der Inuit-Kunsthandwerker und damit vergleichsweise wohlhabend ist. 868 Zu seinem damaligen Regierungsprogramm Meldung in NZZ Nr. 29 v. 05.02.2001, S. 3. 869 Kingsbury, 92 AJIL 414 [1998], 439. 870 Meldung in NZZ Nr. 150 v. 02.07.2007, S. 2. 871 Ehrlich, 7 NEICLA [2001], 1, 17 f. 872 Meldung in NZZ Nr. 29 v. 05.02.2002, S. 2. Der Vertrag war jahrelang wegen Abholzungen, die mit dem Bau des Stausees einhergehen, umstritten, ist aber letztlich 867

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

Die Tatsache, dass Kanada zu den vier Staaten gehört, die gegen die UNDeklaration über die Rechte indigener Völker gestimmt haben, ändert nichts an den Feststellungen über die weitgehende innerstaatliche Verwirklichung von Rechten der First Nations. Vielmehr hat Kanada bei seiner Ablehnung zum Ausdruck gebracht, dass das Vorhaben einer substantiellen Förderung indigener Völker und Festlegung von Rechten unterstützt werde. Lediglich die konkreten Formulierungen in manchen Abschnitten gingen Kanada zu weit, so z.B. der für kanadische Verhältnisse weitgehende Veto-Anspruch der indigenen Bevölkerung bei Angelegenheiten, die diese Bevölkerungsgruppe betreffen. Insbesondere diese Interpretation der Bestimmung in der Deklaration führte zu einer Ablehnung durch Kanada bei gleichzeitiger Betonung, dass die innerstaatlichen Anstrengungen fortgeführt würden.873 Es ist zudem zu beachten, dass das kanadische Parlament (House of Commons) in einem Entschluss vom 08.04.2008 die Regierung auffordert, die UN-Deklaration und die darin enthaltenen Rechte zu beachten und verwirklichen.874 2. Australien a) Allgemeines Die Betrachtung der australischen Situation und der dort (auf dem Festland lebenden, sogenannten) Aborigines und der indigenen Inselbevölkerung (sog. Torres Strait Islanders) lohnt aus mehrlei Gründen: Australien ist ebenfalls eine allmählich aus der Bande mit dem Mutterstaat des Vereinigten Königreichs entlassene Kolonie, hat einen föderalen Staatsaufbau und die indigene Bevölkerung wurde dort in ähnlich brutaler Weise behandelt wie auch in anderen Orten der Welt.875 Rassische Diskriminierung besteht bis heute fort,876 die wirtschaftliche und allgemeine Lebenssituation vieler Aborigines ist schlecht.877 ___________ bei einer Volksabstimmung unter den Stammesmitglieder der betroffenen neun Dörfer angenommen worden. 873 General Assembly, GA/10612 (McNee), S. 6. 874 Vgl. UN Press Release v. 18.04.2008. Jedoch liegt darin keine Bindung und die Regierung betonte im Anschluss ihre Position, dass der Deklaration nicht formal gefolgt werden könne. 875 Zur Situation in Australien vgl. auch Überblick bei Archer, 5 J. Int’l. Legal Stud. [1999], 205, 226 ff. 876 So auch die Meldung in NZZ Nr. 124 v. 29.05.2000, S. 32. Dies gilt auch für die mangelnde Vertretung auf der politischen Ebene, wenngleich 2003 erstmals auch im Parlament des Gliedstaates New South Wales eine Aborigine einen Sitz gewann, vgl. Meldung in NZZ Nr. 107 v. 10./11.05.2003, S. 4. 877 Meldung in NZZ Nr. 10 v. 13./14.01.2007, S. 6.

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b) Gründung Australiens und die neuen Territorien Der Staat Australien ist 1901 gegründet worden und hat in einem langwierigen Prozess, dessen Ende nicht genau zu terminieren ist, jedoch spätestens 1942 abgeschlossen war, volle Unabhängigkeit erlangt. Er bestand damals aus sechs eigenverwalteten britischen Kolonien, die alle als Föderalstaaten mit eigener Verfassung, Organen und Gesetzgebungskompetenzen in den neuen Gesamtstaat eingebracht wurden.878 Als die Briten 1770 ihren Souveränitätsanspruch über das heutige Australien anmeldeten, lebten dort geschätzte 700 000 Indigene schon seit zehntausenden von Jahren. Es gab mit diesen keinerlei Vertragsschluss oder formale Unterwerfung unter die Fremdherrschaft, wobei sie jedoch einer ständigen Repression ausgesetzt und zu großen Teilen aus ihren angestammten Siedlungsgebieten vertrieben wurden. Heute stellen die Aborigines etwa zwei bis drei Prozent der Gesamtbevölkerung Australiens von ca. 19 Mio. Menschen.879 Obwohl diese seit 1967 nach einem Referendum rechtlich gleichgestellt wurden, haben sie mit denselben ökonomischen und sozialen Problemen und Benachteiligungen zu kämpfen wie z.B. die Indianer in den USA.880 Im Gegensatz zur dortigen Herangehensweise wurde in der Verfassung von 1901 festgeschrieben, dass nicht die Föderation, sondern die Einzelstaaten Gesetzgebungskompetenz über die Aborigines erhielten. Dadurch gab es verschiedenartige Herangehensweisen z.B. hinsichtlich eines etwa gewährten Wahlrechts.881 Das Land des jeweiligen Territoriums wurde von der Krone für dieses Territorium gehalten und die Föderation konnte nur ausnahmweise und unter Zahlung von Entschädigungen Land erwerben. Dass das Land jedenfalls nicht den Aborigines zustehe, entsprach der Theorie des terra nullius, die auch auf dem fünften Kontinent angewandt wurde und noch vor Gründung des Staates Australien gerichtlich Bestätigung gefunden hatte.882 Eine Besonderheit gilt nur für das Northern Territory, das dem Gesamtstaat bereits 1911 übertragen ___________ 878

Saunders, in: Autonomy and ethnicity, S. 266, 266 f. und 273. Es leben heute noch bis zu 400 000 Aborigines laut der Volkszählung von 2001; dabei ist jedoch zu beachten, dass sich jeder, der sich wie ein Aborigine fühlt, als solcher in der Volkszählung melden kann. Wenn es hingegen um die Zuteilung von finanziellen Hilfen geht oder jüngst bei der Neuwahl der Vertreter der Aboriginal and Torres Strait Islander Commission im Gliedstaat Tasmanien müssen in Zweifelsfällen Beweise, z.B. durch Blutproben, für die Angabe gebracht werden; vgl. dazu Meldung in NZZ Nr. 189 v. 17./18.08.2002, S. 47. Insoweit sind die Zahlen bezüglich der indigenen Bevölkerung nur Schätzungen. 880 So auch Meldung in NZZ Nr. 124 v. 29.05.2000, S. 32; vgl. ferner Saunders, in: Autonomy and ethnicity, S. 266, 267. 881 Saunders, in: Autonomy and ethnicity, S. 266, 270. 882 Saunders, in: Autonomy and ethnicity, S. 266, 270 unter Verweis auf einen Fall aus dem Jahre 1889. Vgl. ferner Wiessner, 12 Harv. Hum. Rts. J. 57 [1999], 72. 879

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wurde und später Ausgangspunkt für eine Neudefinition des indigenen Anspruchs auf Land gewesen ist. c) Die Besonderheit des Northern Territory Mit dem Aboriginal Land Rights (Northern Territory) Act wurde 1976 für dieses Gebiet klargestellt, dass Aborigines Anspruch auf Land geltend machen konnten, zu dem sie eine traditionelle Verbundenheit nachweisen konnten und das nicht in anderer Benutzung stand. Diese Entwicklung ist für das übrige Territorium Australiens erst mit der berühmten Mabo-Entscheidung von 1992, auf die noch einzugehen sein wird, eingeläutet worden. Auch wurde dem Gesamtstaat nunmehr die grundsätzliche Kompetenz zugesprochen, für die Aborigines als besonders bedürftiger Gruppe eigene Gesetzgebungstätigkeit – in konkurrierender Parallelität zu den Einzelstaaten – zu entfalten. In einer erstaunlichen Analogie zur Sichtweise der Gerichte in den USA hat auch der High Court im Folgenden entschieden, dass das Parlament bei seiner Gesetzgebung Änderungen zugunsten der Aborigines zurücknehmen darf, da es von vornherein auch auf den Erlass entsprechender Gesetze hätte verzichten können.883 Entscheidend zugunsten der Aborigines wurde jedoch der „Racial Discrimination Act“ von 1975, den der Gesamtstaat nicht zuletzt zur Umsetzung der von ihm unterzeichneten UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung erließ und der zwischenzeitlich einen „quasi-constitutional character“ erworben hat, obwohl er nur ein einfaches Gesetz darstellt.884 d) Die Mabo-Entscheidung und ihre Folgen Unter Berufung auf dieses Gesetz wehrten sich einzelne Beschwerdeführer der Inselbevölkerung der Torres Strait (die sog. Meriam der Murray-Inseln) gegen ein von ihrem Staat Queensland erlassenes Gesetz, das rückwirkend etwaige „native titles“ an Land bezüglich der Insel für ungültig erklärte. Dieses Gesetz benachteilige sie im Gegensatz zur übrigen (Festland-)Bevölkerung von Queensland, die eine solche Beschränkung nicht treffe. Der High Court entschied aus formalen Gründen der Diskriminierung zu ihren Gunsten.885 ___________ 883 High Court of Australia, [1998] 72 A.L.J.R. 722 – Kartinyeri v. Commonwealth, wobei eine Reihe von Sondervoten eine Beschränkung der Gesetzgebung ähnlich den Kompetenzen des US-amerikanischen Kongresses dergestalt ausgedrückt hat, dass nur Änderungen zugunsten der Betroffenen erfolgen dürften; dazu Saunders, in: Autonomy and ethnicity, S. 266, 272. 884 Saunders, in: Autonomy and ethnicity, S. 266, 275. 885 Die sog. Mabo No. 1-Decision: Mabo v. Queensland (No. 1), [1988] 166 C.L.R. 186.

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Die wesentlich bedeutsamere materielle Entscheidung folgte dann 1992, in der der High Court feststellte: „[...] that the common law of this country recognises a form of native title which, in the cases where it has not been extinguished, reflects the entitlements of the indigenous inhabitants in accordance with their laws and customs to their traditional land 886 [...]“.

Eine solche traditionelle Verbundenheit mit dem Land war naturgemäß für die Inselbevölkerung bis an den Beginn britischer Kolonisierung zurück leichter nachzuweisen, da kaum koloniale Besiedlung stattgefunden hatte, als für die Aborigines des Festlandes, die zudem in vielen Fällen sogar mehrfach vertrieben wurden.887 Dabei wurden die von ihnen besiedelten Territorien teilweise verpachtet oder verkauft, so dass dann ein Fall des „extinguished title“ vorliegt.888 Trotz der Schwierigkeiten für die Aborigines unter Berufung auf diese Entscheidung im Einzelfall mit einer Klage auf Landrückerstattung Erfolg zu haben, was sich bis heute an einzelnen Entscheidungen zeigt,889 wirkte sie dennoch wie ein Paukenschlag, der die Aborigines und ihre besondere Lage nach jahrzehntelanger Vergessenheit wieder in die Aufmerksamkeit der australischen Mainstream-Gesellschaft rückte. Dabei wurden abwegige Befürchtungen geäußert, dass beispielsweise die Mabo-Entscheidung zu einem Auseinanderbrechen des australischen Staates führen werde.890 ___________ 886

Mabo v. Queensland (No. 2), [1992] 175 C.L.R. 1, 15; eine Anmerkung zur Entscheidung findet sich bei Truskett, ICCLR 1993, 4 (10), 383 ff. Die von ihm so genannte „monster decision“ wird auch kurz von Ehrlich, 7 NEICLA [2001], 1, 19 ff. kommentiert. 887 Die Beziehung zum Land kann darin liegen, dass der Stamm dort gelebt oder aber mindestens Zeremonien durchgeführt oder Verstorbene beerdigt hat, vgl. Meldung in NZZ Nr. 293 v. 17.12.2002, S. 48 zum Fall Yorta Yorta. 888 Saunders, in: Autonomy and ethnicity, S. 266, 275. 889 So jüngst z.B. ein Begehren des Stammes der Yorta Yorta, das abschließend vom High Court negativ entschieden wurde. Der Richter der Vorinstanz erklärte, die „Flut der Geschichte“ habe die Landansprüche weggewaschen. Zahlreiche AborigineVertreter reagierten mit heftigen Worten und bewerteten das Urteil als Versuch, die Idee des terra nullius wieder einzuführen, vgl. zum Ganzen Meldung in NZZ Nr. 293 v. 17.12.2002, S. 48. Im August 2002 hatte der High Court entschieden, dass die Miriuwung-Gajerrong auf einem 8000 km2 großen Gebiet zwar das Recht auf beschränkte Jagd und das Betreten des Geländes, nicht aber für die unterirdischen Bodenstämme dort haben, vgl. dazu Meldung in NZZ Nr. 183 v. 10./11.08.2002, S. 7. Ein Streit über eine Uranmine im Kakadu-Nationalpark endete im September 2002 damit, dass sich der betroffene Bergbaukonzern von seinem Vorhaben zurückzog, nachdem jahrelang dagegen gekämpft wurde, vgl. Meldung in NZZ Nr. 207 v. 07./08.09.2002, S. 7. Ebenfalls Ende September 2002 übergab ein Richter den Martu die Kontrolle über Parnngurr im Nordwesten Australiens auf einer Fläche in der Größe Griechenlands zurück, wobei auch hier die Bodenschätze ausgenommen sind, vgl. Meldung in NZZ Nr. 225 v. 28./29.09.2002, S. 48. 890 Vgl. Angabe bei Saunders, in: Autonomy and ethnicity, S. 266, 276 in Fn. 15.

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Gerichtliche Erfolge blieben Mangelware,891 aber die Politik begann sich neuerlich mit den land rights der Aborigines zu beschäftigen und der Gesamtstaat erließ 1993 den „Native Title Act“.892 Ein speziell eingerichtetes Tribunal sollte Beschwerden über Unvereinbarkeit von Landabtretungen mit dem Rassendiskriminierungsgesetz von 1975 – also auf diesen Zeitpunkt folgende Abtretungen – prüfen und gegebenenfalls eine Entschädigung festlegen. Gegensätzliche Bemühungen mancher Teilstaaten wurden für unwirksam erklärt.893 Der High Court hat schließlich in einer weiteren Entscheidung die Bestimmungen des Native Title Act zugunsten der Aborigines ausgeweitet, wonach „pastoral leases“ nicht automatisch zu einer Auslöschung ihrer Landrechte führten, solange ihr Gebrauch des Landes mit der Pacht vereinbar blieb.894 e) Selbstregierungskonzepte Selbstregierungs- oder -verwaltungskonzepte sind bislang auch bei den Aborigines kaum verwirklicht worden. 1989 wurde immerhin die „Aboriginal and Torres Strait Islander Commission (ATSIC)“ eingerichtet, die in beratender Funktion indigene Probleme und Politiken beleuchtet und den Entscheidungsorganen vorträgt. Aufgrund von Kritik und der mangelnden Einbindung in das parlamentarische System wurde die Commission 2005 wieder aufgelöst, so dass sich Hoffnungen auf eine Verbesserung nicht verwirklichten.895 Indigene Fragen werden jedenfalls heute in Australien kaum ohne Beteiligung der Aborigines diskutiert. Es zeigt sich jedoch, dass einheitliche Lösungen für die unterschiedlichen indigenen Gruppierungen – früher existierten wohl über 300 ___________ 891

Bis 2002 waren einerseits nur 24 Anträge auf Rückgabe von Land an traditionelle Besitzer erfolgreich, andererseits manchmal auch in spektakulärem Umfang: so sprach der High Court Ende September 2002 verschiedenen Aborigine-Gruppen eine Fläche von 136 000 km2 Umfang zu. Im Ergebnis bedeutet diese wie auch die MaboEntscheidung, dass – obwohl die Aborigines nicht die Rechte an den Bodenschätzen bekommen – Unternehmen vor einer neuen Ausbeutung Abkommen mit den betroffenen Indigenen schließen, um Probleme zu vermeiden. Vgl. dazu Meldung in NZZ Nr. 229 v. 03.10.2002, S. 48 sowie Braunert, Das Parlament Nr. 17 v. 23.04.1993, S. 15 bezüglich eines Abkommens mit den Jawoyn. 892 Dieser wurde jedoch 1998 geändert; die Änderung wurde vom CERD, dem „monitoring body“ des Racial Discrimination Convention, den Australien 1975 ratifiziert und als direkt anwendbares australisches Recht inkorporiert hat, als diskriminierend gegenüber indigenen Landrechtsinhabern bewertet, weil damit vergangene Rechtsakte für gültig erklärt wurden und den ‚native title‘ auslöschten; zum Ganzen Triggs, 23 Melb.U.L.Rev. [1999] 372, 373 ff. 893 Saunders, in: Autonomy and ethnicity, S. 266, 276 f. 894 Wik v. Queensland (1996) 187 CLR 1. Dazu auch Leon, Three Case Studies, S. 10 f.; Wiessner, 12 Harv. Hum. Rts. J. 57 [1999], 74. 895 Vgl. Saunders, in: Autonomy and ethnicity, S. 266, 279 f.

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verschiedene „Stämme“ – in den verschiedenen Teilstaaten (mit je unterschiedlicher Gewaltenstruktur) kaum zu finden sind. So legen manche Gruppen mehr Wert auf die Einbindung ihres Gewohnheitsrechts in das staatliche Recht als andere.896 Gerade dies wird als wichtiger Aspekt erkannt, der eine Bindung auch der ländlichen indigenen Bevölkerung an die staatlichen Gesetze erhöhen kann, wenn die eigenen zum Teil ungeschriebenen Gesetze Wirksamkeit erhalten.897 Die bis in die jüngste Zeit zu beobachtenden Versuche der Teilstaaten, der indigenen Bevölkerung nicht zu weitgehende Rechte zu verleihen – vgl. z.B. die Entwicklung, die zu den Mabo-Entscheidungen geführt hat – und die anhaltende Marginalisierung der Aborigines in vielen Teilen Australiens zeugt von einer „confused and unproductive [debate]“ bezüglich indigener Rechte.898 Andererseits gibt es zwei aktuelle Bestrebungen, die hier zu einer durchaus substantiellen Änderung führen könnten. Der Sonderstatus des Northern Territory soll zu einer regulären Staatlichkeit vergleichbar zu den anderen Teilstaaten Australiens aufgewertet werden. Die bisherigen Versuche einer Verfassungsfindung sind zwar zunächst gescheitert, aber immerhin sahen sie als Diskussionsgrundlage die Aufnahme von Rechtspositionen der indigenen Bevölkerung vor. f) Der Prozess der „Reconciliation“ Zudem ist Australien auf dem Weg zu einer „Reconciliation“, also Wiedergutmachung gegenüber der indigenen Bevölkerung, in den vergangenen zwei ___________ 896

Das Weiterbestehen des indigenen Gewohnheitsrechts und der dazu gehörigen „Regierungsformen“ bildet auch anderswo bei der Einbindung in moderne demokratische Verfassungen ein Hauptproblem: So wehren sich die südafrikanischen Chiefs gegen eine Marginalisierung ihrer Rolle durch die Aufwertung der Gemeinderäte, die zu ihren Ungunsten gehe, obwohl sie in der Verfassung von 1996 anerkannt seien, vgl. Meldung in NZZ Nr. 301 v. 28./29.12.2002, S. 5: „Südafrikas Chiefs fordern eine ‚afrikanische Demokratie‘“. 897 Eine zumindest auf den Besucher vielversprechend wirkende Verwirklichung gewohnheitsrechtlicher Regelungen scheint den Anangu im Gebiet des Uluru („Ayers Rock“) gelungen zu sein, wo das sog. „Tjukurpa“ als Ausdruck ihrer Philosophie und Religion quasi-rechtlich die Beziehungen zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen mit dem Land sowie Gesetze des Zusammenlebens regelt; dazu auch Meldung in NZZ Nr. 133 v. 09.06.2000, S. 48. Vgl. ferner Saunders, in: Autonomy and ethnicity, S. 266, 281. 898 Ghai, in: Autonomy and ethnicity, S. 1, 7. Ähnlich kritische Bewertung bei Leon, Three Case Studies, S. 15. Dazu passt das Verhalten der australischen Regierung, die im August 2000 die Tätigkeit verschiedener „monitoring bodies“ der UN scharf verurteilten, weil diese vorher Diskriminierungen, vor allem bezüglich der Aborigines, festgestellt und veröffentlicht hatten, dazu Meldung in NZZ Nr. 202 v. 31.08.2000, S. 3.

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Jahrzehnten erheblich vorangekommen, wenngleich das Ziel noch unerreicht bleibt. In der Folge erheblicher Proteste gegen eine Vielzahl von Todesfällen von Aborigines in Polizeigewahrsam richtete die Regierung eine Untersuchungskommission ein, deren Auftrag erweitert wurde und die einen Bericht über die gesamten Lebensumstände der australischen Aborigines in Vergangenheit und Gegenwart ausarbeiten sollte. Dieser über 5000 Seiten lange Bericht führte unter anderem zur Einrichtung eines „Council for Aboriginal Reconciliation“ 1991.899 Schon 1992 erklärte der damalige Premierminister Keating in bis dahin ungewohnt offenen Worten, dass „das weiße Australien“ in der Geschichte die Aborigines enteignet, beraubt und gemordet habe.900 Eine offizielle Entschuldigung der Regierung gegenüber den Aborigines blieb lange Zeit aus. Obwohl viele Australier in medienwirksamer Weise für eine solche Entschuldigung im Vorfeld der Olympischen Spiele 2000 in Sydney geworben hatten – so z.B. durch einen „Marsch für die Versöhnung“ von etwa 150 000 Personen, der über die Sydney Harbour Bridge ging und über der zugleich ein Flugzeug das Wort „Sorry“ in den Himmel schrieb – verweigerte der damalige Premierminister Howard eine offizielle Entschuldigung beschränkte sich auf ein „Bedauern“ für die erlittenen Übel, weil die heutige Regierung nicht verpflichtet sei, die Verantwortung für Entscheidungen früherer Regierungen zu übernehmen.901 Mit dem Regierungswechsel zum neuen Premierminister Rudd änderte sich die Haltung. Es fehlt zwar weiterhin an einem Versöhnungsvertrag902, jedoch hat das Parlament auf Antrag des Premierministers am 13.02.2008 eine Entschuldigung gegenüber den Aborigines mit Unterstützung aller Parteien ausgesprochen.903 Diese war vor allem gerichtet an die vom Internatsschulsystem betroffenen Aborigines gerichtet. Sie folgte damit nach jahrelangem Widerstand der Vorgängerregierung den Empfehlungen der australischen Menschenrechtskommission, die in einem 1997 veröffentlichten Bericht („Bringing Them Home“) in scharfen Worten ein Gesetz aus dem Jahre 1918 und die folgende Praxis als Genozid charakterisiert hatte, nach der Kinder von Aborigines von ___________ 899

Zur Entwicklung Braunert, Das Parlament Nr. 17 v. 23.04.1993, S. 15. Zu seiner Rede Braunert, Das Parlament Nr. 17 v. 23.04.1993, S. 15. 901 Vgl. die Meldungen in NZZ Nr. 124 v. 29.05.2000, S. 32, NZZ Nr. 103 v. 04.05.2000, S. 7 und NZZ Nr. 186 v. 12./13.08.2000, S. 3. Zur Bedeutung einer Entschuldigung, die die Parlamente der Gliedstaaten bereits ausgesprochen haben (Meldung in NZZ Nr. 124 v. 29.05.2000, S. 32), siehe auch unten Kap. 4 C. III. 1. 902 Zum Ganzen Saunders, in: Autonomy and ethnicity, S. 266, 282 f. Der Premierminister weigerte sich auch, einen formalen Vertrag zu schließen, weil ein solcher die Existenz zweier Nationen voraussetze, was in Australien erkennbar nicht gegeben sei, vgl. Meldung in NZZ Nr. 124 v. 29.05.2000, S. 32. 903 Naughton, TimesOnline v. 13.02.2008. 900

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den Eltern getrennt und in Heime oder zu „weißen“ Familien verschleppt worden waren.904 Versuche, diese Politik zu verharmlosen, trafen auf massiven Widerstand in der australischen Gesellschaft.905 Andererseits scheiterten zunächst Versuche Betroffener vor dem High Court gescheitert, für die zwangsweise Wegnahme von ihren Eltern und die Verbringung an „weiße“ Schulen und zu „weißen“ Eltern nachträglich eine finanzielle Kompensation zu erlangen.906 Dies änderte sich 2007 als ein Gericht in South Australia die Regionalregierung zur Zahlung von 525 000 australischen Dollar an ein zwangsweise von den Eltern getrenntes Kind zu zahlen, das als mittlerweile 50-jähriger Mann gegen diese Praxis geklagt hatte.907 Zwar in erster Linie symbolischen, aber für das Vorankommen des Versöhnungsprozesses zwischen der weißen Mehrheitsbevölkerung und den Aborigines wichtigen Charakter hatten die Olympischen Spiele 2000 in Sydney. Insbesondere das Entzünden der olympischen Flamme durch die Aborigine-Athletin Cathy Freeman bei der Eröffnungsfeier und ihr Goldmedaillengewinn als erster Aborigine-Einzelathletin ist in Australien und weltweit stark beachtet worden.908 ___________ 904 Meldung in NZZ Nr. 186 v. 12./13.08.2000, S. 3; Schätzungen zufolge besteht die sog. „gestohlene Generation“ aus etwa einem Drittel aller Aboriginal-Kinder von 1918 bis zum Ende der Verschleppungspraxis vierzig Jahre später. Die Ähnlichkeiten zu den Vorkommnissen in den USA sind überdeutlich, dazu noch unten Kap. 4 D. I. und Biegert, Indianerschulen, S. 21 ff. Auch in Kanada wurden bis Mitte der 1980er Jahre des 20. Jahrhunderts Kinder zwangsweise in Internatsschulen gesteckt, wo viele missbraucht wurden oder wegen der mangelhaften Hygiene starben; im Zusammenhang damit sind mehr als zehntausend Klagen von Opfern gegen die Kirchen Kanadas eingereicht worden, vgl. Rezension in NZZ Nr. 137 v. 16./17.06.2001. 905 So musste im Jahr 2000 der Premierminister Äußerungen eines Ministers zurückziehen, der die Zahlenverhältnisse relativieren wollte und damit die Berechtigung des allgemein anerkannten Begriffs der „gestohlenen Generation“ anzweifelte, vgl. Meldung in NZZ Nr. 103 v. 04.05.2000, S. 7. 2003 wurde ein Buch einer Aborigine verfilmt, die das Schicksal ihrer Mutter beschreibt, vgl. zu „Rabbit-Proof Fence“ die Besprechung von Stäheli, NZZ Nr. 15 v. 20.01.2003, S. 21. 906 Saunders, in: Autonomy and ethnicity, S. 266, 269. Neben den beiden Beschwerdeführern Cubillo und Gunner hatten noch etwa 700 andere überlebende Kinder Klagen angestrengt, vgl. Meldungen in NZZ Nr. 186 v. 12./13.08.2000, S. 3 und NJW 2000, H. 36, LI. Der Staat hat lediglich eine finanzielle Zuwendung zur moralischen Unterstützung und Zusammenführung getrennter Familien nach Veröffentlichung des Berichtes zur Verfügung gestellt. Die Begründung des Gerichts stützte sich vor allem darauf, dass der Staat heute nicht für das Verhalten der Beamten damals zur Verantwortung gezogen werden könne und überdies den Handlungen ein Gesetz zugrunde gelegen hätte. 907 Meldung in NZZ Nr. 177 v. 03.08.2007, S. 2. 908 Vgl. nur beispielhaft die Beschreibung des Finalsieges bei Schlatter, Sydney News Nr. 9 – NZZ v. 26./26.09.2000, S. 1; dort sind auch die Chancen des Sportes für die Aborigines im Allgemeinen beschrieben.

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

Neben diesen symbolischen, nicht minder wichtigen Schritten ist die Emanzipation der Aborigines in Australien zu großen Teilen durch die zumindest teilweise gerichtliche Unterstützung vorangebracht worden und zeigt daher den für viele indigenen Völker richtigen Weg, über die Gerichte politischen Druck zu erzeugen.909 Wenngleich nicht in einem Versöhnungsvertrag ist im Jahr 2008 schließlich eine eindeutige Entschuldigungsgeste erfolgt, als das australische Parlament eine von Premierminister Rudd eingebrachte „Bitte um Entschuldigung“ einstimmig unterstützte. Damit löste dieser gleich in der ersten regulären Parlamentssitzung nach seiner Wahl ein Versprechen aus dem Wahlkampf ein und lud zudem Vertreter der Aborigines ein, die Parlamentssession mit einer traditionellen Zeremonie zu eröffnen, womit das Thema einen prominenten öffentlichen Platz fand, wenngleich Kompensationszahlungen bislang nicht Teil des (politischen) Aussöhnungsprozesses sind.910 Jedoch ist in Folge dieser Geste eine neue Förderung der Aborigine-Gemeinschaften in Höhe von ca. 3,5 Milliarden Euro beschlossen worden.911 Vor allem bedeutsam ist auch die jüngst erfolgte Kehrtwende bezüglich der UN-Deklaration über die Rechte indigener Völker, die die australische Regierung nun ausdrücklich unterstützt und damit das negative Votum der Vorgängerregierung aufhebt.912 3. Neuseeland a) Der Treaty of Waitangi von 1840 Auch in Neuseeland bestehen die Probleme der Gesellschaft mit der indigenen Bevölkerung bis heute fort. In vielem ähneln die Konfliktlagen den hier bereits behandelten Fällen und konzentrieren sich auch auf Landrechte. Eine Besonderheit für den Rechtsstatus der Maori in Neuseeland ergibt sich aber aus dem Vertrag von Waitangi, den es sich kurz zu betrachten lohnt.913 Am 6. Februar 1840 schlossen die britischen Eroberer ihrer üblichen Praxis entsprechend auch mit den Maori einen Vertrag, der Souveränitätsfragen und Landansprüche im Verhältnis der Kolonialherren zu den dort lebenden Indigenen regeln sollte. Bei einer Konferenz zwischen Repräsentanten der britischen Queen Victoria ___________ 909 Saunders, in: Autonomy and ethnicity, S. 266, 278. Dass dies in den USA wegen der political question doctrine nicht ganz einfach ist, wird weiter unten in Kap. 3 C. II. 4. a) gezeigt. 910 Insgesamt dazu Medlung in NZZ Nr. 37 v. 14.02.2008, S. 3. 911 Meldung in NZZ Nr. 70 v. 25.03.2009, S. 5. 912 Vgl. Entschließung vom 03.04.2009, www.jennymacklin.fahcsia.gov.au/internet/jennymacklin.nsf/content/un_declaration_03apr09.htm. Meldung in NZZ Nr. 79 v. 04./05.04.2009, S. 3. 913 Vgl. dazu auch Martínez, Study on Treaties, Second Progress Report Rdnr. 176 ff.

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und mehreren hundert Maori-Häutlingen unterschrieben zahlreiche der anwesenden Häuptlinge den Vertrag, manche davon mit einer Zeichnung. Viele andere stimmten nur mündlich zu und nach der Konferenz wurden auf zahlreichen Abschriften des Vertrages Unterschriften von Häuptlingen im ganzen Land gesammelt, wobei die jeweilige Erläuterung des Vertragsinhalts von verschiedenen Personen vorgenommen wurde.914 Auch wurde der Vertrag von britischer Seite nicht formell im üblichen Verfahren ratifiziert und nie in vollem Umfang befolgt.915 Die Besonderheit dieses Vertragsschlusses liegt aber darin, dass der Waitangi-Treaty nicht wie zahlreiche andere in Archiven lagernd vergessen wurde, sondern durchgängig von den Maori für die Verteidigung ihres Rechtsstatus angeführt wurde, weil er von den Briten als die angebliche Grundlage zur Übertragung der Souveränität von den Maori auf sie betrachtet wurde. Desweiteren handelt es sich um den einzigen Vertrag, der zugleich in einer zweiten Version in der Sprache der Maori, dem Te Reo Maori, abgefasst wurde.916 Daraus lässt sich erkennen, dass in diesem Fall der Kolonialherr wohl tatsächlich glaubte, mit dem Vertragsschluss im Sinne der Ureinwohner zu handeln, wenngleich sich später herausstellte, dass sich die gegenseitigen Vorstellungen über die Bedeutung der Souveränitätsübertragung nicht entsprachen.917 Aus Sicht der Maori hat der Vertrag von Waitangi einen quasi-religiösen Status, ist aber im Original in Englisch verfasst worden. Bei der Übersetzung – die von einem zwar sprachkundigen, aber nicht übersetzungserfahrenen Reverend durchgeführt wurde918 – mussten Umschreibungen oder annähernd passende Worte verwendet werden, weil nicht alle englischen Worte eine Entsprechung im Maori hatten. So kommt es, dass die Maori den Vertrag gänzlich anders auffassen, als es die Vertragspartner anhand der englischen Originalfassung bis heute tun.919 Dies betrifft vor allem die Souveränitätsfrage, denn in der britischen Fassung kann von einer vollständigen Übertragung ausgegangen werden, nach der Maori-Fassung akzeptieren diese die britische Krone lediglich als „Gouverneur“ (= „kawanatanga“), mit nur von ihnen abgeleitetem Regierungsrecht.920 ___________ 914

Tiemann, Rechte der Ureinwohner Neuseelands, S. 21 f. Corntassel/Primeau, 17.2 (1995) HRQ, 343, 356. Anders dagegen wohl Sanders, in: Modern Law of Self-Determination, S. 55, 61 f. 916 Tiemann, Rechte der Ureinwohner Neuseelands, S. 2. 917 Tiemann, Rechte der Ureinwohner Neuseelands, S. 20, 23 ff. 918 Vgl. Angaben bei Tiemann, Rechte der Ureinwohner Neuseelands, S. 21. 919 Ehrlich, 7 NEICLA [2001], 1, 5; Schulte-Tenckhoff, 4 Review of Constitutional Studies [1998], 239, 266 f. 920 Wiessner, 12 Harv. Hum. Rts. J. 57 [1999], 70. Dazu und allg. mit Hintergründen zum Vertrag und zum Nationalfeiertag des „Waitangi Day“ Meldung in NZZ Nr. 47 v. 26.02.2008, S. 5. 915

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b) Völkerrechtliche Bewertung des Vertrages Ob der Vertrag völkerrechtlich wirksam ist, blieb lange umstritten. Insbesondere die Völkerrechtssubjektivität der den Vertrag unterzeichnenden Häuptlinge muss im Blick auf das damalige Völkergewohnheitsrecht beleuchtet werden. Mit dem Argument, bei den Maori hätte es keine den „zivilisierten Staaten“ entsprechende Gesellschaftsform gegeben, wurde lange Zeit die Fähigkeit zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge abgelehnt.921 Danach hätte der Vertrag nur eine „kosmetische“ Funktion erfüllen sollen, der eigentliche Souveränitätserwerb der Briten sei durch anschließende Besiedlung erfolgt. Dieser Sichtweise steht entgegen, dass sich schon aus der Präambel zum Vertrag und allgemein dem Verhalten der britischen Krone bei ihren Expansionen ergibt, dass der Abschluss von Verträgen zur Legitimierung des Gebietserwerbs als notwendig betrachtet und demzufolge die Verträge auch wie andere Vertragsdokumente in den amtlichen Sammlungen veröffentlicht wurden.922 Da die Maori zumindest eine gewisse politische Organisation aufwiesen und auch eine gemeinsame Vertretung hatten, ist davon auszugehen, dass sie völkerrechtlich in der Lage waren, Verträge abzuschließen und die so abgeschlossenen Verträge auch dem Schutz des Völkerrechts unterfallen.923 Dies entspricht auch der Sichtweise des IGH, wie sie im Western Sahara-Gutachten zum Ausdruck kommt.924 Entsprechend der oben in Kap. 2 C. II. 4. c) gezeigten Behandlung dieser Verträge ist vom Willen der Maori auszugehen, denen der Vertrag von den Briten „vorgesetzt“ wurde. Diskrepanzen in der Auslegung, die in diesem Fall besonders gut durch das Vorliegen zweier relevanter Sprachfassungen nachweisbar sind,925 gehen also zu Lasten der Kolonialmacht.926 Zugunsten der Maori ist der Vertrag so auszulegen, dass nicht die volle Souveränität abgetreten, sondern das Selbstbestimmungsrecht behalten und nur ein Regierungsrecht übertragen wurde.

___________ 921

Vgl. zu diesen Stimmen Tiemann, Rechte der Ureinwohner Neuseelands, S. 33 f. Tiemann, Rechte der Ureinwohner Neuseelands, S. 35 f. 923 Tiemann, Rechte der Ureinwohner Neuseelands, S. 37. Zur Vertragsdiskussion noch Kap. 2 C. II. 4. 924 ICJ Rep. 1975, 12 Rdnr. 55 – Western Sahara. 925 Der Court of Appeals bestätigte 1987 in New Zealand Maori Council v. AttorneyGeneral, [1987] 1 N.Z.L.R. 641, 662, dass es sich nicht um identische Übersetzungen handle. 926 Ebenso Tiemann, Rechte der Ureinwohner Neuseelands, S. 43 ff. 922

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c) Das Waitangi-Tribunal und jüngere Entwicklungen Um Streitigkeiten über die Gültigkeit des Vertrages beizulegen und Forderungen der Maori entgegenzukommen wurde das Waitangi Tribunal durch den Treaty of Waitangi Act 1975 eingerichtet. Diese Untersuchungskommission beschäftigt sich ausschließlich mit Ansprüchen der Maori und kann der Krone die Rückgabe von Land an die Maori vorschlagen.927 Diese Vorschläge sind zwar nicht verbindlich, jedoch hat das Tribunal darüber hinaus die Funktion erfüllt, die Kultur der Maori der übrigen neuseeländischen Gesellschaft zu erklären und damit kulturverbindend zu wirken.928 Mittlerweile sind auch sieben Sitze im Parlament für ständige Vertreter der Maori reserviert. Für diese Parlamentssitze gibt es eine eigenständige Wahl nur unter den Maori und die Vertreter wachen im Parlament primär über die Einhaltung der Bestimmungen aus dem Vertrag.929 Die rechtliche Bedeutung des Vertrages von Waitangi, der nie formal Bestandteil der neuseeländischen Rechtsordnung geworden ist, wurde 1987 durch einen bahnbrechenden Fall vom Court of Appeals festgehalten. Gegen Privatisierungsmaßnahmen der Regierung wehrten sich die Maori unter Hinweis darauf, dass nach der Übertragung von Land auf Privatgesellschaften eine gegebenenfalls nötige Rückübertragung an sie nach einer entsprechenden Feststellung des Waitangi Tribunals nicht mehr möglich wäre.930 Das Gericht stellte fest, dass die vorgesehene Form der Privatisierungen nicht zulässig sei, weil sie gegen die Prinzipien des Vertrages von Waitangi verstießen, auf den ausdrücklich in der Gesetzesvorlage Bezug genommen wurde. Die Grundprinzipien jenes Vertrages seien ein partnerschaftliches Verhältnis mit gegenseitigen Rechten und Pflichten, woraus folge, dass die Krone die Rechte der Maori aktiv zu schützen habe.931 Ferner verpflichte die „Ehre der Krone“, dass sich die Maori auf die Zielsetzung des Vertrages, nämlich ihren eigenen Schutz, dauerhaft verlassen könnten.932 Damit wurde der Vertrag endgültig zum zentralen Bezugspunkt für Maori-Forderungen gegenüber der neuseeländischen Regierung.933 ___________ 927

Tiemann, Rechte der Ureinwohner Neuseelands, S. 4. Den Einfluss des Tribunals bestätigt auch Wiessner, 12 Harv. Hum. Rts. J. 57 [1999], 71. 929 Vgl. Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 77; Turpel, 25 Cornell Int. L. J. [1992], 579, 600; Meldung in NZZ Nr. 216 v. 16.09.2005, S. 3. 930 Tiemann, Rechte der Ureinwohner Neuseelands, S. 75. 931 New Zealand Maori Council v. Attorney-General [1987] 1 NZLR 641, 664 (CA); vgl. auch Tiemann, Rechte der Ureinwohner Neuseelands, S. 83. 932 New Zealand Maori Council v. Attorney-General [1987] 1 NZLR 641, 682 (CA). 933 Tiemann, Rechte der Ureinwohner Neuseelands, S. 89 ff. Nichtsdestotrotz gab es Versuche, durch Zahlungen zum Erwerb von Land im Gegenzug eine Ungültigerklärung 928

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Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

Insgesamt ist in Neuseeland in den vergangenen Jahren eine positive Entwicklung zu beobachten. So gab es Wiedergutmachungsleistungen durch finanzielle Zuwendungen und Rückgabe von Land.934 An verschiedene Stämme sind insgesamt mehrere hundert Millionen NZ-Dollar Entschädigung gezahlt worden und es gab auch eine offizielle Entschuldigung.935 Der Wiedergutmachungsprozess äußert sich auch darin, dass zahlreiche Orte wieder nach ihrem alten Namen benannt werden. Auch der höchste Berg Neuseelands, Mt. Cook, heißt wieder „Aorangi“.936 2008 schließlich nahm der Entschädigungsprozess einen wichtigen Fortschritt, als die Regierung mit sieben Stämmen der Maori einen vom Parlament später gebilligten Vertrag über fast 500 Millionen NZDollar Entschädigung für ausgebliebene Pachtzahlungen schloss, der auch die Rückgabe der entsprechenden Waldfläche umfasst, womit diese Maori-Stämme zu den größten Grundbesitzern des Landes wurden.937 Die Sprache der Maori ist nicht nur als Landessprache anerkannt, es gibt vielmehr seit 2004 – wenngleich erst dreizehn Jahre nach einem Gerichtsbeschluss, der die Regierung als Schuztmaßnahme zur Einrichtung verpflichtete – einen öffentlich finanzierten Fernsehkanal in dieser Sprache bzw. mit Maori-bezogenen Inhalten.938 Ferner hat vor kurzem die neue Regierung von Premierminister John Key zum besseren Schutz dem Stamm der Ngati Toa das „Urheberrecht“ am traditionellen Haka-Tanz der Maori gegeben. Dieser vor allem durch das rituelle Vortanzen vor jedem Match der Rugby-Nationalmannschaft bekanntgewordene Tanz hat eine jahrhundertalte Tradition bei den Maori, wurde aber zunehmend auch kommerziell von Nicht-Maori, etwa in Werbespots, verwendet. Der eher symbolische Akt der Festschreibung eines Urheberrechts dient der Abwehr solcher Nutzungen, ohne dass hierfür mindestens Lizenzzahlungen fällig werden.

___________ des Vertrages zu erreichen, vgl. dazu Schulte-Tenckhoff, 4 Review of Constitutional Studies [1998], 239, 242. 934 2003 hat das Appellationsgericht in Reaktion auf ein Urteil des Waitangi Tribunal, wonach die Regierung einen Teil der Lizenzgebühren für den Abbau von Rohstoffvorkommen abzuführen habe, weil nach dem Vertrag das bestimmte Land zum ausschließlichen Besitz zugeteilt sei, eine offene Rechtslage bestätigt. Seither haben die Maori bestimmte weitere Ansprüche angemeldet, auf die die Regierung mit einem Gesetz reagieren wollte, dass den ausschließlichen Besitz an Küstengebieten und dem Meer verhindern sollte, vgl. Meldung in NZZ Nr. 145 v. 26.06.2003, S. 5. 935 Zu diesen insgesamt Tiemann, Rechte der Ureinwohner Neuseelands, S. 155 ff.; beispielhaft auch Martínez, Study on Treaties, Second Progress Report Rdnr. 201. 936 Tiemann, Rechte der Ureinwohner Neuseelands, S. 156. 937 Dazu Meldungen in NZZ Nr. 147 v. 26.06.2008, S. 4 und Nr. 225 v. 26.09.2008, S. 2. 938 Vgl. Meldungen in NZZ Nr. 47 v. 26.02.2008, S. 5 und epd medien Nr. 24 v. 31.03.2004, S. 23.

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Im Zuge dieser Vereinbarung kam es zu einer weiteren Kompensationszahlung für ersatzlos enteignetes Land in Höhe von 300 Millionen NZ-Dollar.939 Diese Entwicklungen gehen einher mit einer zunehmenden kulturellen und wirtschaftlichen Rückbesinnung bzw. Emanzipation, bei der die Maori eigenständig etwa im Tourismus Einnahmen erzielen, zugleich aber die traditionellen Lebensorte und die Sprache weiter fördern und sichern.940 Neuseeland gehörte zwar zu den vier Staaten, die die UN-Deklaration über die Rechte indigener Völker abgelehnt haben, jedoch steht dies im Gegensatz zu der von Anfang an intensiven Unterstützung der Erarbeitung der Deklaration und der besondern Position indigener Völker bei der UN. Zu erklären ist die – von der Staatenvertreterin bedauerte – Ablehnung mit der Befürchtung, dass insbesondere die Landrechte- und Kompensationsvorschriften sowie die Möglichkeit staatliche Handlungen mit einem Veto zu blockieren, für den Fall Neuseelands so interpretiert werden könnten, dass bestehende WIedergutmachungsvereinbarungen basierend auf dem Vertrag von Waitingi beschädigt und jede staatliche Handlung eine Zustimmung benötigen würde. Zudem hätte Neuseeland es bevorzugt, rechtlich bindende Vorschriften in die Deklaration aufzunehmen.941 Die Ablehnung der Deklaration muss also nicht im Widerspruch zur innerstaatlichen Aufwertung der Maori gesehen werden. 4. Südamerika und Mexico a) Renaissance der Indio-Bewegung Südamerikas Mexico wurde durch die Zapatistenbewegung Ausgangspunkt für eine „Renaissance“942 der Indio-Bewegungen in ganz Südamerika, die auch auf staatlicher Ebene Reaktionen hervorbrachte:943 so wurde in Peru 2001 mit Toledo erstmals ein Indio zum Präsidenten gewählt,944 der aus symbolischen Gründen nach der offiziellen Amtseinsetzung in der Hauptstadt Lima auch eine nach ___________ 939

Vgl. Meldung in NZZ Nr. 36 v. 13.02.2009, S. 4. Vgl. die Meldungen in NZZ Nr. 197 v. 27.08.2003, S. 5, Nr. 161 v. 13.07.2005, S. 39, Nr. 172 v. 26.07.2005, S. 17. 941 General Assembly, GA/10612 (Banks), S. 7 f. 942 So auch Allebrand/Bernecker, APuZ B 48-49/1996, S. 19. Ähnliche Bewertung der legislativen Neuerungen PeNa Guzman, 9 St. Thomas L. Rev. [1996], 251, 253. 943 Allg. dazu Bericht in NZZ Nr. 112 v. 16.05.2001, S. 5 und Gertschen, NZZ Nr. 43 v. 21./22.02.2009, S. 6. Zu den Mapuche-Indios in Chile Meldung in NZZ Nr. 116 v. 21.05.2001, S. 5 und Scheuch, Atlas zur Zeitgeschichte, S. 68 ff. Zur Situation in Brasilien vgl. nur Wiessner, 12 Harv. Hum. Rts. J. 57 [1999], 74 ff., allg. in Südamerika ebda, 80 ff. 944 Dazu Göller, Das Parlament Nr. 24 v. 08.06.2001, S.6. 940

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altem Inka-Brauch verlaufende Zeremonie in Machu Picchu besuchte.945 In Ecuador trat 1998 eine neue Verfassung in Kraft, die den Indios zahlreiche Individual- und Kollektivrechte (z.B. über Bodenbesitz) zugesteht und auch deren Gewohnheitsrecht eine Rolle einräumt.946 Zwischenzeitlich war in Ecuador eine Indigene Außenministerin und ein Indigener Landwirtschaftsminister.947 Auch in Nicaraguas Verfassung werden die indigenen Völker auf dem Territorium des Staates in Art. 5 der Verfassung ausdrücklich anerkannt und erhalten alle Rechte aus der Verfassung, insbesondere diejenigen, die den Fortbestand der gemeinschaftlichen Nutzung von Land sichern sollen.948 In ähnlicher Weise hat sich in Bolivien in den vergangenen Jahren ein tiefgreifender Wandel ereignet: Protestmärsche und Straßenblockaden führten 2005 zum Rücktritt des Präsidenten zu einem Zeitpunkt, an dem bereits mehrere Parteien mit indigenem bzw. sozialistisch-indigenen Hintergrund im Parlament waren.949 Im Jahr 2006 gewann der mit indigenen Wurzeln und entsprechendem Programm angetretene Evo Morales deutlich die Präsidentenwahl.950 Die angekündigte Neuorientierung des Staates, die nicht nur durch eine stärkere Beachtung der Indígenas, sondern auch durch eine an sozialistischen Kriterien ausgerichtete Politik erkennbar ist, verwirklichte er über eine neue Verfassung, die eine knapp 60-prozentige Zustimmung bei einem Referendum erhielt. Bestandteil der neuen Verfassung ist die garantierte Selbstbestimmung für zahlreiche der Indígenas-Völker, speziell zugewiesene Sitze im Parlament und auch die Anerkennung traditioneller indianischer Gemeinschaftsjustiz.951 Neben den bereits oben beschriebenen gerichtlichen Erfolgen der Yanomami-Indianer in Brasilien hat der Wechsel zum Präsidenten Lula da Silva zu einer stärkeren Beachtung der in der neuen Verfassung von 1988 vorgesehenen Demarkation von Schutzgebieten für die indigene Bevölkerung geführt. Besonders die Schaffung des Gebiets Raposa Serra do Sol an der Nordgrenze zu Venezuela war über Jahrzehnte umstritten und das vom Präsidenten ___________ 945

Zu diesem Besuch Bowen, NZZ Nr. 175 v. 31.07.2001, S. 3. Der peruanische Kongress hat 2008 wichtige Dekrete der Regierung zur einfacheren Ausbeutung von Stammesland im Amazonasbecken aufgehoben, vgl. Meldung in NZZ Nr. 197 v. 25.08.2008, S. 2; Hintergründe zu den peruanischen Indianern bei Iten, NZZ Nr. 91 v. 19./20.04.2008, S. 4 ff. 946 Dazu Meldung in NZZ Nr. 112 v. 16.05.2001, S. 5. Die Anwendbarkeit eines internen Selbstbestimmungsrechts auf den Huaorani-Stamm mit etwa 2000 Mitgliedern weist Brady, 10 Harv. Hum. Rts. J. [1997], 291, 304 ff. nach. 947 Vgl. Meldung in NZZ Nr. 1 v. 03.01.2002, S. 2: Regierungschef Gutiérrez ernannte Paccari und Macas zu Ministern in seiner Regierung von 2002. 948 Dazu Macklem/Morgan, 22 HRQ [2000], 569, 570 Fn. 7. 949 Meldung in NZZ Nr. 150 v. 30.06.2005, S. 5. 950 Meldung in NZZ Nr. 298 v. 21.12.2005, S. 5. 951 Meldungen in NZZ Nr. 27 v. 02.02.2006, S. 5; NZZ-Online v. 26.01.2009.

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2005 erlassene Dekret schuf ein ähnlich großes „Reservat“ wie für die Yanomami. Jedoch wehrten sich Farmer gegen dieses Reservat zugunsten der Macuxí und erst Ende 2008 hat der Oberste Gerichtshof Brasiliens endgültig die Landzuteilung für rechtmäßig erklärt, so dass außer Regierungsbeamten nur noch Angehörige des Stammes das Gebiet ohne Erlaubnis betreten dürfen.952 b) Die Situation in Mexico Von den 100 Millionen Einwohnern Mexicos werden 10 Millionen als Indios eingestuft.953 Jahrelang gab es Schlagzeilen wegen des bewaffneten Kampfes der Chiapas in einer bestimmten Region Mexikos, die damit gegen die Unterdrückung und Missachtung der Indigenen vorgehen wollten.954 Nicht zuletzt dadurch hat ein politischer Wandel bei den Parteien eingesetzt und diese erkennen heute durchgängig an, dass die Politik des „indigenismo“, der „Mexikanisierung des Indios“, die über Jahrzehnte den Versuch der unterschiedslosen Assimilierung der verschiedenen ethnischen Gruppen in die Gesellschaft der Mestizen prägte, gescheitert und falsch gewesen sei.955 aa) Die Verfassungsreform im Jahre 2001 Nach der Machtübernahme im Juli 2000 hatte Präsident Fox einerseits den Rückzug des Militärs aus den von den Chiapas bewohnten Gebieten angeordnet und mit einer weitreichenden Gesetzesvorlage für eine Verfassungsänderung, die den Indios mehr Autonomie gewähren sollte, eine Abwendung von der früheren Politik des Landes vollzogen.956 Die unter der Vorgängerregierung immer wieder hinausgeschobene Verfassungsreform wurde 2001 in Kraft gesetzt, nachdem sowohl der Senat957 als auch die Gliedstaaten zugestimmt hatten.958 ___________ 952

Meldungen in NZZ Nr. 96 v. 26.04.2005, S. 6; Nr. 292 v. 13./14.12.2008, S. 4. Zur Lebensweise und der großen Zahl an Indios in Mexico-Stadt vgl. Huffschmid, Sie leben noch, NZZ Nr. 4 v. 07.01.2003, S. 33. 954 Zur Region Chiapas vgl. Scheuch, Atlas zur Zeitgeschichte, S. 64 f. 955 Vgl. Meldung in NZZ Nr. 189 v. 17./18.08.2002, S. 7. 956 In einem Interview Anfang 2001 verdeutlichte Fox, dass er diese Maßnahmen für nötig hielt, um das Land zusammen zu halten und sah zugleich die Möglichkeit, den indigenen Völkern mehr Selbstbestimmung zu gewähren, ohne die Einheit des Staates nachhaltig zu gefährden; abgedr. in NZZ Nr. 21 v. 26.01.2001, S. 5. Im Wahlkampf hatte Fox durch die Ankündigung, er werde nach seiner Wahl das Chiapas-Problem „innerhalb von 15 Minuten“ lösen, für große Aufmerksamkeit gesorgt, dazu Meldung in NZZ Nr. 97 v. 27.04.2001, S. 3. 957 Meldung in NZZ Nr. 97 v. 27.04.2001, S. 3 und FAZ Nr. 99 v. 28.04.2001, S. 6. 958 Meldung in NZZ Nr. 161 v. 14./15.07.2001, S. 2, als bereits 16 von 31 Gliedstaaten und damit die Mehrheit zugestimmt hatten. Entsprechend der Kritik der Indios an 953

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Vorausgegangen war ein langer Streit um einen Kompromiss und vor der Abstimmung im Senat hat dieser einige gewichtige Schwächungen am ursprünglichen Entwurf vorgenommen, weshalb sowohl die Zapatisten als auch der Nationale Indio-Kongress die Änderung ablehnten und ihren Kampf weiter führen wollten.959 Besondere Kritik erlangte die Schwächung der gemeinsamen Nutzung der natürlichen Ressourcen, die aber dennoch nach der neuen Verfassung grundsätzlich vorgesehen ist.960 Unabhängig von dieser Kritik steht jedoch fest, dass mit der Änderung der ursprünglichen Verfassung des Landes von 1917 erstmals das Recht auf Selbstbestimmung der indigenen Bevölkerung sowie deren Sitten und Gebräuche ausdrücklich anerkannt und respektiert werden. Auch erkennt die Verfassung an, dass Mexico eine multikulutrelle Nation ist, mit etwa 60 verschiedenen indigenen Völkern. Bemerkenswert ist auch, dass bis zu einem gewissen Grade Konfliktlösungsmechanismen nach eigenen Rechtsnormen der Indigenen durchgeführt werden dürfen, solange die Individualrechte der Verfassung und die Gleichstellung der Frau nicht verletzt werden.961 Die Forderung nach solchen eigenen Rechtssystemen spielt auch für indigene Völker anderswo eine große Rolle. Der Widerstand gegen die Art der Verfassungsänderung wurde auch im Streit vor dem Verfassungsgerichtshof ausgetragen. Mehrere hundert Gemeinderäte und Indio-Organisationen hatten gegen das Verfassungsreformgesetz geklagt. Insbesondere gingen sie gegen die Vorschrift vor, wonach das Selbstbestimmungsrecht der indigenen Gruppen auf Gemeindeebene und andere Elemente zugunsten der Indios von den jeweiligen Gliedstaaten zu regeln sein sollten, weil dies die Gefahr bedeute, dass dann sogar von bestehenden Rechtspositionen abgerückt werden könnte.962 Die Klagen sind jedoch im September 2002 vom Obersten Gerichtshof Mexicos abgewiesen worden.963 bb) Politische Entwicklungen in jüngerer Zeit Präsident Fox hatte zudem nach Amtsantritt eine Beauftragte für Angelegenheiten der indigenen Bevölkerung ernannt, die selbst indigene Wurzeln und ___________ der Schwächung des ursprünglichen Vorschlages hatten die beiden Teilstaaten mit dem höchsten Indio-Anteil, außer Chiapas auch Oaxaca, das Gesetz abgelehnt. 959 Vgl. Meldung in NZZ Nr. 100 v. 02.05.2001, S. 4. Präsident Fox schien in der Folge der Verabschiedung bereits bereit, mit den betroffenen Indio-Völkern, die unzufrieden seien, über weitere Möglichkeiten zu verhandeln, vgl. Meldung in NZZ Nr. 190 v. 18./19.08.2001, S. 3. 960 Vgl. Meldung in FAZ Nr. 99 v. 28.04.2001, S. 6. 961 Meldung in NZZ Nr. 97 v. 27.04.2001, S. 3. 962 Dies wird nachgezeichnet in der Meldung in NZZ Nr. 189 v. 17./18.08.2002, S. 7. 963 Meldung in NZZ Nr. 208 v. 09.09.2002, S. 3.

C. Ausgewählte Rechtspositionen indigener Völker

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anlässlich des UN-Tages der indigenen Völker 2002 das Ziel der Regierung herausgestellt hat, die Benachteiligung aufzuheben. Dazu sollten eigene Erziehungsmöglichkeiten geschaffen, z.B. der Bau einer Indio-Hochschule, um den an den Universitäten extrem unterrepräsentierten Indigenen bessere Chancen zu bieten, sowie die Verkehrs- und Infrastruktur in den ländlichen Gebieten der Indios ausgebaut werden.964 Damit sollte auch der Rebellenbewegung der Chiapas die Spitze genommen werden, die mit ihren Autonomieforderungen und dem Widerstand gegen die Eingliederung in die herrschende Gesellschaftsordnung unter Führung des damaligen „Subcommandante“ Marcos eine stärkere Abgrenzung gegenüber der Politik der mexikanischen Zentralregierung suchte. 5. Andere Länderbeispiele Besonders bemerkenswert und zu erwähnen sind schließlich die Beispiele der Philippinen und der nordeuropäischen Sami.965 a) Der „Indigenous Peoples Rights Act“ auf den Philippinen Eine der deutlichsten rechtlichen Verankerungen indigener Rechte in den vergangenen Jahren wurde auf den Philippinen 1997 beschlossen. Der damals verabschiedete „Indigenous Peoples Rights Act“ begnügt sich nicht mit der Anerkennung der indigenen Bevölkerung als solcher. Vielmehr werden darin eine Vielzahl kollektiver und individueller Rechten indigener Völker verankert, die sich unter anderem auf deren Verhältnis zu ihren „ancestral lands“ beziehen und Autonomie-Regelungen einführen. Am allerdeutlichsten wird die neue Bewertung der indigenen Rechtsposition durch die Anerkennung des „inherent right [...] to [...] self-determination“.966 b) Die Sami in den skandinavischen Staaten Einen deutlichen Wandel im Verhältnis zur indigenen Bevölkerung hat es in den letzten Jahrzehnten auch in den skandinavischen Staaten gegeben, in denen ein Großteil der Sami leben. Die Sami-Kultur ist im Gebiet des heutigen Lappland entstanden und erstreckt sich über Nordskandinavien und die russische Kola-Halbinsel. Insgesamt gibt es heute (nach Schätzungen) noch etwa 60 000 ___________ 964

Vgl. Meldung in NZZ Nr. 189 v. 17./18.08.2002, S. 7. Weitere Beispiele ferner bei Wiessner, 12 Harv. Hum. Rts. J. 57 [1999], 89 ff. sowie im ersten Bericht des Special Rapporteur Stavenhagen, Report on the Situation of Human Rights Rdnr. 30 ff. 966 Kingsbury, 92 AJIL 414 [1998], 439. 965

380

Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht

Sami, davon leben etwa 35 000 in Norwegen, 17 000 in Schweden, 5 700 in Finnland und 2 000 in Russland. Ihre wirtschaftliche Grundlage ist bis heute der Fischfang, die Jagd und die Rentierzucht geblieben.967 Historisch haben die Sami ähnliche Erfahrungen wie andere indigene Völker gemacht. Zunächst wurde von den beteiligten Staaten versucht, die Sami dadurch zu umgehen, dass sie in ihren traditionellen, abseits gelegenen Lebensgebieten isoliert wurden und insbesondere eine Teilnahme am üblichen Bildungssystem für die (weiterhin) traditionell lebenden Sami unmöglich gemacht wurde. Nach einer Phase der Assimilierungsversuche gab es dann ab den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts Ansätze, die kulturellen Rechte der Sami zu stärken. Als problematisch stellte sich dies im Hinblick auf gegenläufige Landnutzungsinteressen heraus. Die fortgeführte Nutzung der entsprechenden Territorien führte dazu, dass sich die Möglichkeit der Rentierzucht als Hauptlebensquelle der Sami nicht so entwickelte wie zunächst gedacht. In diesem Zusammenhang kam es auch zu oben bereits beschriebenen Rechtsstreitigkeiten auch auf internationaler Ebene und zu bedeutsamen Aussagen des UNMenschenrechtsausschusses.968 Seit etwa zwanzig Jahren sind aber allmählich in allen skandinavischen Staaten Autonomieregelungen und gesonderte politische Vertretungsorgane für die Sami eingeführt worden.969 Dieser politische Wandel begann in Norwegen, wo bereits seit 1989 ein eigenes Sami-Parlament existiert.970 Später erhielten die schwedischen Sami mit dem „Sameting“ ein parlamentarisches Organ, das aber nur Kompetenzen zur Förderung der samischen Kultur und damit nur sehr eingeschränkte, jedenfalls nicht einer Selbstverwaltung entsprechende Befugnisse hat.971 Schließlich gibt es auch in Finnland seit 1996 ein Sami-Parlament.972 ___________ 967

Vgl. zur Lebensweise und Kultur der Sami z.B. Stamm, NZZ Nr. 139 v. 17./18.06.2001, S. 61 ff.; Meldung in NZZ Nr. 102 v. 04./05.05.2002, S. 7; Bauer, in: Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Europa, S. 48, 68 ff. 968 Dazu oben Kap. 2 B. IV. 2. b) bb) (2) und (4). Vgl. auch Alfredsson, 59 ZaöRV [1999], 529, 534, der für die Umsetzung dieser Aussagen „positive legal measures of protection for ensuring the effective enjoyment by the groups and their members“ durch die nordischen Staaten fordert. 969 Kritisch zu den nicht-territorialen Personalautonomien, weil diese hinter den Erwartungen an das völkerrechtliche Konzept zurückblieben Alfredsson, 59 ZaöRV [1999], 529, 530. 970 Die zugrunde liegenden Gesetze und die Parlamentsgründung stammen aus den Jahren 1987 und 1989 (Norwegen); 1992 und 1993 (Schweden) und 1995 und 1996 (Finnland); vgl. zu allen Broderstad, 8 IJMGR [2001], 151 ff. und 151 Fn. 2. Zu den einzelnen Rechten für die norwegischen Sami vgl. S. 158 ff. Kritisch Alfredsson, 8 IJMGR [2001], iii. 971 Dazu Meldung in NZZ Nr. 102 v. 04./05.05.2002, S. 7. Zu den Sami in Schweden auch Leon, Three Case Studies, S. 6 ff. 972 Myntti, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 277, 286 ff.

Kapitel 3

Die Indianer Nordamerikas – Geschichte und Rechtsstatus Dieser Teil der Untersuchung soll deutlich machen, warum die indigenen Völker in den USA, im hier gemeinten Sinne die „nordamerikanischen Indianer“, ein besonders gut geeignetes Beispiel sind, um die konkrete Umsetzung des völkerrechtlichen Selbstbestimmungsrechts auf den Träger „indigenes Volk“ darzustellen. Bevor im folgenden Kapitel die Subsumtion der oben gefundenen Kriterien für Träger und Inhalte des Selbstbestimmungsrechts auf die Indianer in den USA erfolgt, ist zunächst im Folgenden deren tatsächlicher Status im innerstaatlichen Recht zu untersuchen, um beurteilen zu können, ob die USA ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung – falls das Selbstbestimmungsrecht auch auf die Indianer Anwendung findet – nachkommt. Das Beispiel der USA ist nicht nur gewählt worden, weil dort nach Ansicht vieler Betroffener mit der schlimmste Missbrauch indigener Völker stattgefunden hat, da nach den kriegerischen Versuchen durch eine aggressiv verfolgte Politik der Assimilation die Auslöschung der Indianer – es kann wohl insoweit ohne Übertreibung von einer genozidartigen Verfolgung gesprochen werden1 – versucht worden sei und die kulturelle Überheblichkeit diesen gegenüber bis heute andauere.2 Es ist deshalb ein besonders interessantes Feld, weil die Indianer bis heute in einem besonderen verfassungsrechtlichten Status leben, der sich aus Vertragsbeziehungen, aber auch einem angeblichen Betreuer-MündelVerhältnis ergibt. Darüber hinaus leben sie weitgehend in geografisch von der Mehrheitsgesellschaft separaten Territorien und üben dort häufig Selbstregierungsformen aus, wie noch im Detail gezeigt wird. Daher sprechen besonders gewichtige Argumente für eine völkerrechtliche Anwendbarkeit des Selbstbestimmungsrechts auf die Indianer und geben diesen damit eine starke Vorreiterstellung, um auch für andere indigene Völker die Anwendung des Selbstbestimmungsrechts zu erstreiten.3 Insoweit ist eine Ausbreitung eines selbstbe___________ 1

Ermacora, Menschenrechte in der sich wandelnden Welt, S. 395 Rdnr. 161: „Völkermord an den Indianern, der mit der Landnahme weiter Teile Amerikas durch die Siedler verbunden war“. 2 Barsh, 26 U. Mich. J. L. Ref. [1993], 277, 285 f. 3 Morris, 29 GYIL [1986], 277, 279.

382

Kapitel 3: Die Indianer Nordamerikas

wussten indigenen Selbstverständnisses unter den „Indian Nations and Tribes“ zu beobachten, ähnlich wie es beispielsweise die Mikmaq in Kanada, wie gesehen, schon lange an den Tag legen. Diese haben zum Ausdruck ihres Selbstverständnisses die Menschenrechtspakte für ihre Gemeinschaft ratifiziert und, obwohl diese Handlung international wegen der fehlenden Staatsqualität nicht als rechtsgültig anerkannt wurde, zeigt sie, dass sich Indianergemeinschaften in bestimmten Fällen selbst als „Quasi-Staat“ begreifen.4 Der (innerstaatliche) Rechtsstatus der Indianer Nordamerikas ist ungeheuer kompliziert und bildet in den USA ein eigenes Rechtsgebiet, das „Federal Indian Law“. Sowohl Bundesgesetze als auch spezielle Regelungen in den Staaten, vor allem aber die ausgeprägte und ausführliche Rechtsprechung der amerikanischen Gerichte und zuvörderst des US Supreme Court, haben in den vergangenen zweihundert Jahren diesen Status im Einzelnen ausgestaltet. Noch immer bleiben aber grundsätzliche Fragen wie die „tribal sovereignty“ und das Verhältnis zu den Bundesstaaten umstritten und Gegenstand zahlreicher Rechtsstreitigkeiten und politischer Initiativen. Nichts davon und auch nicht die Haltung der Regierung in völkerrechtlich relevanten Gremien internationaler Organisationen, lässt sich ohne den Blick auf die amerikanische Geschichte verstehen. Das Indianerrecht der USA ist bis heute stark geprägt von den historischen Hintergründen und den ersten Fällen zu und Politiken gegenüber Indianern.5 Daher erfolgt vorneweg ein streiflichtartiger historischer Abriss unter besonderer Berücksichtigung der wichtigsten Phasen der sich wandelnden Indianerpolitik durch die Bundesebene. Ein Blick auf die klassischen „IndianerEntscheidungen“ des Supreme Court ebenso wie ein exemplarischer Blick auf jüngere Judikate und politische Konfliktfelder machen es möglich, das Leben eines Indianers heute zu verstehen.6 Zur Illustration werden exemplarisch einige Beispiele fortbestehender Konfliktfelder angeführt.

___________ 4

Vgl. dazu Spiry, 9 GYIL [1995], 129, 146. Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 48 ff. 6 Dabei beschränkt sich die Untersuchung aus naheliegenden Gründen auf eingetragene (also als solche „registrierte“) Indianer, die in großer Zahl auch auf Reservaten leben. Das darüber hinausgehende Problem der nicht eingetragenen bzw. nicht aktiv als Indianer lebenden Amerikaner muss ausgeblendet und soziologischen Untersuchungen überlassen bleiben. Auch die besonderen Fälle Hawaii und Alaska bleiben weitgehend unbeachtet, weil hier besondere Vorschriften zur Anwendung kommen, während sich die hier interessierende Gestaltung des Indianerrechts auf die sog. „lower 48“-Indianer des US-amerikanischen Festlandes bezieht. 5

A. Begriffsbestimmung für die indigene Bevölkerung

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A. Begriffsbestimmung für die indigene Bevölkerung der USA Es stellt sich eingangs dieses Abschnitts die Frage nach dem Umgang mit dem Begriff „Indianer“, der auf einen sachlichen Fehler zurückzuführen ist. Obwohl dieser europäisch geprägt ist, halten viele Autoren und auch indigene Amerikaner selbst die Formulierung „American Indians“ für optimal.7 Andere bevorzugen die „Native nations“, weil damit ein wichtiges Element des StatusSelbstverständnisses zum Ausdruck komme. Dabei solle man am besten keinen Einheitsbegriff verwenden, sondern die jeweilige Indianernation, also z.B. die Blackfeet Nation oder die Navajo Nation konkret nennen.8 Viele weiße Amerikaner vermeiden aus politischen Gründen und dem Rückblick auf die Geschichte das Wort „Indianer“, obwohl ein prominenter Indianerrechtsaktivist, Russell Means, die Verwendung unter Indianern so erklärt, dass man die Beschreibung der Indigenen durch Kolumbus nicht als „Indios“ („Volk Indiens“), sondern als Volk „in Dios“ („in Gott“) verstehen könne.9 Manche wehren sich gegen die Verwendung des Begriffs „Native Americans“, obwohl dieser in vielen innerstaatlichen Gesetzen zugrunde gelegt wird. Der Begriff spiegle eine nicht vorhandene Vergleichbarkeit mit anderen ethnischen Gruppen wie den „Italian Americans“ vor, wohingegen „Indian tribes“ die besondere historische Erfahrung der Indianer hervorhebe, die sich von den eingewanderten Personen unterschieden. Die konkrete Bezeichnung des jeweiligen Tribes unterstreiche ferner die Verschiedenartigkeit der Beziehungen der Bundesregierung zu den unterschiedlichen Gemeinschaften.10 Andere Autoren sehen bei den Sammelbegriffen weniger Schwierigkeiten, aber verwenden bei der Bezeichnung des individuellen Indianers den Begriff „Indian“. Dieser sei zwar unpräzise und undifferenziert, aber entspreche noch immer der gängigsten eigenen Verwendung durch die indigene Bevölkerung.11 Die Verwendung des Begriffs „Tribe“ ist wegen der Verankerung im inneramerikanischen Recht akzeptabel, obwohl er als Sammelbegriff die Lage vor dem ___________ 7

So jedenfalls Watrin, Das Parlament Nr. 5 v. 27.01.2003, S. 14. Morris, 29 GYIL [1986], 277, 279. 9 Zimmerman/Molyneaux, Indianer, S. 8; vgl. auch das Zitat des indianischen Schriftstellers Sherman Alexie: „Indianer nennen einander Indianer, so einfach ist das [...] Schuldgefühle dieser [der weißen (Anm. des Autors)] Liberalen interessieren mich nicht“, Meldung, Der Spiegel Nr. 19/1998, S. 214. 10 Resnik, 56 U. Chi. L. Rev. [1989], 671, 679; Wilkins, American Indian Sovereignty, S. x, hält aber „Native American“ für verwirrend, weil darunter auch die indigene Bevölkerung Hawaiis und Kanadas fallen könnte. 11 Wilkins, American Indian Sovereignty, S. x. 8

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Kapitel 3: Die Indianer Nordamerikas

Kontakt mit den Europäern nicht korrekt wiedergibt. Die damalige Lage würde besser beschrieben als „a clan or band organization having an attendant fissionfusion pattern of intergroup mobility“.12 Tatsächlich sei durch den Kontakt aber eine Angleichung zwischen den unterschiedlichen Gemeinschaften erfolgt, so dass heute eher von einem formalen „Tribe“-Status gesprochen werden könne.13 Wegen der unterschiedlichen Handhabung werden auch im Rahmen dieser Untersuchung ohne bestimmte Implikationen die Begriffe „Indianer“, „(American) Indians“, „Indian Nations and Tribes“, „Native Americans“ und ähnliche synonym verwendet.

B. Historischer Überblick und politisch-soziale Situation I. Geschichte der Indianer von der Frühzeit bis 1871 1. Die Zeit bis zur Ankunft von Kolumbus Das Gebiet der heutigen USA war – soviel steht naturwissenschaftlich fest – von einer Vielzahl ganz unterschiedlicher Gemeinschaften bevölkert, lange bevor mit Kolumbus die Phase der europäischen Expansion auf dem gesamten amerikanischen Kontinent begann.14 Es existieren Schätzungen, wonach die Bevölkerung dieses Kontinents vor Ankunft der Europäer etwa 70 Millionen betragen haben muss und diese indigene Bevölkerung innerhalb einiger Jahrhunderte um über 90% dezimiert wurde.15 In den USA wurden Zeugnisse sehr verschiedener Lebensformen der unterschiedlichen indigenen Gemeinschaften gefunden, die belegen, dass bis zur Vertreibung aus den angestammten Lebensgebieten von „einer“ indigenen Bevölkerung kaum gesprochen werden kann. Diese Unterschiede sind für die heutige Zeit und die vorliegende Untersuchung nicht wesentlich, sie haben aber auch gezeigt, dass sich die indigenen Gesellschaften schon früher verändert und angepasst haben. Waren es damals natürliche Ereignisse wie z.B. klimatische Veränderungen in Folge einer Dürre, die zur Umsiedlung führten, oder die Einführung neuer Hilfsmittel wie beispielsweise des Pferdes, die eine andere Lebensform ermöglichte, sind es auch heute ___________ 12

Werther, Self-Determination in Western Democracies, S. xxvii. Werther, Self-Determination in Western Democracies, S. xxviii. 14 Dazu auch oben in Kap. 2 B. I. 1. Fn. 183 ff. 15 Thornton, American Indian Holocaust and Survival, S. 42. Zurückhaltendere Schätzungen für das Gebiet der USA gehen von sieben bis zehn Millionen Indianern aus, aber ebenfalls von einer Sterbensrate von tw. über 80 % innerhalb eines Jahres, vgl. dazu Angaben bei Dörr, in: FS Schiedermair, S. 927, 931. Vgl. auch Sager, 76 U. Det. Mercy L. Rev. [1999], 745, 761 f. 13

B. Historischer Überblick und politisch-soziale Situation

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noch die Kontakte mit anderen Indigenen oder den zugewanderten Gesellschaften, die zu einer konstanten Veränderung bei gleichzeitiger Wahrung des spezifisch Indigenen führen. Dass die indigenen Gemeinschaften auf dem Gebiet der USA auch untereinander kooperierten und teilweise der europäischen Organisationsweise so ähnlich waren, dass deren Rechtsgrundlage auf die Schaffung der Verfassung und des Föderalismus in den USA gewichtigen Einfluss haben konnte, zeigt das Beispiel der sog. Irokesenföderation.16 Die Haudenasaunee oder „Six Nations League of the Iroquois“ entsprach einer Konföderation im europäischen Verständnis, weil es sich um einen Zusammenschluss unabhängiger Gemeinschaften auf Basis eines gemeinsamen Vertrages handelte. Sie wurde noch vor dem ersten Kontakt mit den Vertretern der Expansionsstaaten um etwa 1570 auf der Basis des „Great Law of Peace“ gegründet und nach den ersten Kontakten war es eine der ersten Gemeinschaften, die Allianzen mit den englischen Kolonien an der Ostküste einging.17 2. Die „Eroberung“ des amerikanischen Kontinents Im Folgenden werden die Auswirkungen der europäischen Expansion auf dem Gebiet der heutigen USA und in Nordamerika im Einzelnen nicht nachgezeichnet. Es existiert eine Vielzahl von Schriften, die in detaillierter und erschütternder Form das Verhalten der spanischen, englischen, niederländischen und französischen Ankömmlinge anhand historischer Dokumente belegt.18 Dennoch ist in der gebotenen Kürze zur Vervollständigung auf die Realität in Folge der ersten dauerhaften Kontakte mit den europäischen Eroberern einzugehen, weil bis heute die „Effizienz“ der Vernichtung der Indigenen und der nachhaltige Schaden, den die Expansionsstaaten innerhalb kürzester Zeit anrichteten, kaum vorstellbar erscheint.19 In vielen Gegenden brauchte es kaum ein Jahrzehnt, bis hunderttausende Indigene getötet oder durch Krankheiten dahingerafft waren und damit ganze Nationen unwiderbringlich ausgelöscht wurden.20 Es ist jedoch auch darauf hinzuweisen, dass die Unterdrückung der ___________ 16

Dazu Deloria/Wilkins, Tribes, treaties and constitutional tribulations, S. 13 f. Wiessner, 7 St. Thomas L. Rev [1995], 567, 574. 18 Vgl. etwa Brown, Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses, S. 15 ff. 19 Die Politik der Vertreibung der Indianer von ihrem angestammten Territorium und die Behandlung der Indigenen durch die Expansionsstaaten und die spätere USA soll erschütternder Weise für die euphemistisch „Lebensraumpolitik“ genannte kriegerische Eroberung der Gebiete östlich des Deutschen Reiches für Hitler nach dessen eigenen Aufzeichnungen „Vorbild“ gewesen sein, vgl. Atkinson, 23 Okla. City U. L. Rev. [1998], 379, 400 m.w.N. 20 Reed Howard, 35 GYIL [1992], 105, 107. 17

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Kapitel 3: Die Indianer Nordamerikas

indigenen Bevölkerung zumindest auf dem Territorium der heutigen USA zu einem gewichtigen Anteil „on paper“ erfolgte.21 Auf die so wirkenden Verträge und andere Vereinbarungen ist daher in Ergänzung zum oben in Kap. 2 B. II. 2. und C. II. 4. Gesagten hier ebenfalls näher einzugehen. a) Die Zeit bis zur Gründung der USA Die ersten europäischen Besiedlungen auf dem heute zur USA gehörenden Territorium sind nach derzeitigem Erkenntnisstand die 1565 in St. Augustine auf dem Gebiet des heutigen Florida gegründeten Siedlungen.22 Nach übereinstimmenden Überlieferungen bedurften die dort neu angekommenen Siedler der Hilfestellung durch die örtliche Bevölkerung, um ihr Überleben zu sichern.23 Diese wurde auch in den meisten Fällen offenkundig bereitwillig erbracht, wie die entsprechenden Schilderungen der ersten Kontakte durch europäische Chronisten belegen.24 Der Kontakt mit den weißen Siedlern brachte aber nicht nur eine potentielle direkte militärische Bedrohung und mittelbare Gefährdung durch eingeschleppte Krankheiten, gegenüber denen die indigene Bevölkerung nicht resistent war. Auch der wirtschaftliche Austausch von Gütern bewirkte sehr bald nachhaltigen Schaden an der traditionellen Lebensweise, so dass die Indianer beispielsweise von metallischen Gegenständen abhängig wurden oder zur Verwendung von Feuerwaffen übergingen, die sie nur durch Tausch erwerben konnten. Der einher gehende Verlust eigener Handwerkskunst und die Abhängigkeit von den Siedlern wurde aber in der Dramatik der Auswirkungen noch überboten durch die Einführung von Alkohol in die Lebensweise der Indigenen. Diese konnten, nach heutigem Kenntnisstand schon wegen eines fehlenden Enzyms zum Abbau von Alkohol biologisch bedingt,25 mit dem neuartigen Getränk nicht umgehen. Die rasche Verbreitung eines gravierenden Alkoholismus reicht bis in die heutige Zeit fort und war und ist häufig noch für die Gestaltung des Lebensalltages in vielen Gemeinschaften zerstörerisch.26 Trotz dieser schon früh erfolgten Schwächung der indianischen Gemeinschaften billigten die expandierenden Mächte in Nordamerika diesen eine starke rechtliche Stellung zu, wie schon oben gezeigt worden ist. Dies ist für das ___________ 21

Wiessner, 7 St. Thomas L. Rev [1995], 567, 569. Zu diesen und anderen Morris, 29 GYIL [1986], 277, 288. 23 Insbesondere die Verwendung der lokalen Flora und Fauna gaben die Indianer den Neuankömmlingen weiter, vgl. Reed Howard, 35 GYIL [1992], 105, 107. 24 Vgl. die Angaben bei Reed Howard, 35 GYIL [1992], 105, 108. 25 Schiefenhöfel/Salter, in: Naturvölker heute, S. 21. 26 Reed Howard, 35 GYIL [1992], 105, 109. 22

B. Historischer Überblick und politisch-soziale Situation

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Gebiet der späteren USA unter anderem damit zu erklären, dass eine starke Konkurrenzsituation insbesondere zwischen Frankreich und England entstand, in der die jeweiligen Mächte versuchten, Bündnispartner bei der indigenen Bevölkerung zu finden.27 Dazu versuchte die englische Kolonialmacht für das von ihr beanspruchte Gebiet eine Zentralisierung der Beziehung mit den Indian Nations zu erreichen und damit die Kompetenz zur Regelung des Zusammenlebens mit den Indianern den einzelnen Kolonien zu entziehen.28 Diese Zentralisierungstendenz hielt auch in der Verwaltung der neu gegründeten USA an: zunächst erhielten die Einzelstaaten durch die Konföderationsartikel das Recht, den Handelsverkehr mit der örtlichen Bevölkerung zu regeln, was beispielsweise der Staat Georgia intensiv nutzte. Durch die Bundesverfassung von 1789 wurden die Indianerangelegenheiten in den USA endgültig von den Staaten weggenommen und zu einer Bundeskompetenz gemacht.29 Als der Gegensatz der europäischen Mächte mit dem Erfolg der englischen Kolonialherren über die Franzosen endete, wiesen diese den Indianern in der „Royal Proclamation“ von 1763 ein Territorium westlich der Appalachen zu. Damit sollten die Indianer ein Territorium erhalten, auf dem sie von den englischen Kolonialisten unbehelligt leben könnten, was Ausdruck für die Anerkennung eines besonderen Status der indigenen Gemeinschaften durch England ist. Wie sich im Laufe der Geschichte noch häufig zeigen sollte, war diese Zusicherung aber der faktischen Entwicklung nicht gewachsen. Der Druck der zunehmenden Zahl von Siedlern nach mehr Land führte dazu, dass die eigentlich zugesicherte Souveränität der Indianer und ihre Landansprüche auf das besagte Territorium von den Siedlern geradezu „überrannt“ wurden.30 Mit dieser Zusicherung in der „Royal Proclamation“, die letztlich aus Sicht der Indianer das Papier nicht wert war, auf der sie verkündet wurde, wurden die englischen Kolonialherren zu „Trendsetters“31 in Bezug auf die spätere Vertragsschlusspolitik auch der USA.32

___________ 27

Dörr, in: FS Schiedermair, S. 927, 929 f. Morris, 29 GYIL [1986], 277, 290; vgl. dazu auch die Proclamation of the Continental Congress vom 22. Sept 1783, abgedr. bei Champagne, Chronology, S. 511. 29 Vgl. Ermacora, Menschenrechte in der sich wandelnden Welt, S. 473 Rdnr. 213. 30 Reed Howard, 35 GYIL [1992], 105, 110. 31 So die Charakterisierung von Wiessner, 7 St. Thomas L. Rev [1995], 567, 570. 32 Insgesamt zur Phase der Expansion auf dem Territorium der heutigen USA vgl. Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 337 ff. 28

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Kapitel 3: Die Indianer Nordamerikas

b) Die „Expansion“ der neu gegründeten USA Nachdem die amerikanischen Kolonien gegenüber England die Unabhängigkeit erkämpft hatten, änderte sich auch für die indigene Bevölkerung einiges. Insbesondere diejenigen Indianer, die vorher mit den Engländern alliiert waren, wie z.B. die Irokesen-Föderation, wurden durch den neuen Staat USA kritisch betrachtet und eine Missachtung ihrer Rechte schien logische Konsequenz.33 Weil die Machtposition der unabhängigen Kolonien jedoch keinesfalls gesichert war, wurde zunächst der Versuch einer Koexistenz mit den Indianern unternommen. So verabschiedete 1787 der US-Kongress die sog. „Northwest Ordinance“,34 die den Indianern Land und Eigentum garantierte.35 Mit ihr sollte sichergestellt werden, dass alle Abtretungen von Land durch die Indianer „voluntary and orderly“ seien und gleichzeitig verhindert werden, dass individuelle Amerikaner die Territorien der Indian Nations beschädigten.36 Die Proklamation sollte auch klarstellen, dass der Kongress nicht beabsichtige, die Indianer zu behelligen, außer wenn gegen sie ein gerechter Krieg geführt werde. Schließlich verpflichtete sich der Kongress, von Zeit zu Zeit friedens- und freundschaftsstiftende Rechtsakte bezüglich der Indianer zu erlassen.37 Hintergrund dieser Politik war es, einen geordneten Erwerb indianischen Territoriums und damit eine Ausdehnung der USA zu ermöglichen, ohne sich der Methoden der Spanier zu bedienen. Daher knüpfte man an die Politik des Landkaufes oder -tausches an, wie sie schon vorher auf diesem Gebiet betrieben worden war.38 Der Erwerb von Territorium sollte aber gerade nicht durch private Individuen erfolgen, sondern nur zwischen den obersten politischen Repräsentanten beider Seiten, also zwischen den Gouverneuren der Staaten und den indianischen Häuptlingen, vereinbart werden. Da der europäisch geprägte Privatbesitz bei den Indianern unbekannt war, hätte ein Privatverkauf zu Chaos in den Grenzgebieten zwischen europäischen Siedlungen und indianischem Territorium geführt, weil gleiches Land mehrfach hätte erworben werden können. Diese gleichzeitige Grenzziehungsfunktion führte auch zu rechtlichen Auseinandersetzungen, wie unten in Kap. 3 C. II. 2. anhand einer der sog. „Marshall-Entscheidungen“ gezeigt wird. Für die Indianer hatte diese Art des Verkaufs von Territorium aber einen gewichtigen Nachteil. Die Abtretung von ___________ 33

Reed Howard, 35 GYIL [1992], 105, 111. J. Cont. Cong. 32 (1787), 340 f. (zit. nach Morris, 29 GYIL [1986], 277, 290 Fn. 58); Deloria/Wilkins, Tribes, treaties and constitutional tribulations, S. 17 f. 35 Zimmerman/Molyneaux, Indianer, S. 22. 36 So Morris, 29 GYIL [1986], 277, 290. 37 Zum Wortlaut vgl. Wiessner, 7 St. Thomas L. Rev [1995], 567, 571. 38 So schon in der frühen Phase auch durch die Niederlande, vgl. Morris, 29 GYIL [1986], 277, 289. 34

B. Historischer Überblick und politisch-soziale Situation

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Land durch staatlichen Verkauf konnte von der Gegenseite so verstanden werden, dass mit der Trennung vom Land auch der Anspruch auf Hoheitsrechte abgetreten würde.39 Andererseits hätte es dieser Art des Erwerbs von Land und damit eines Umwegs nicht bedurft, wenn der neu gegründete Staat die Hoheitsrechte bereits besessen hätte. Die Standardisierung dieses Landerwerbs durch die USA ist daher als Bestätigung einer herausgehobenen Stellung der Indianergemeinschaften zu werten.40 Diese lässt sich auch daran ablesen, dass der erste Präsident Washington die Regelung der Indianerangelegenheiten zu einem von ihm selbst zu behandelnden Thema während seiner Präsidentschaft machte. Er sah die Notwendigkeit, die „Restfragen“ aus den ehemaligen Kolonien schnellstmöglich überzuleiten und durch die neue Regierung zu bearbeiten. Bezüglich der Indian Nations ging er davon aus, dass eine formelle Ratifikation der mit diesen geschlossenen Verträge, auf die sogleich eingegangen wird, durch die verfassungsrechtliche Vorentscheidung vorgegeben sei. Der Kongress überprüfte diese von ihm vorgelegte Angelegenheit und kam nach Ablehnung der Gegenargumente ebenfalls zu diesem Ergebnis.41 Die von der Anerkennung einer starken Position geprägte Haltung gegenüber den indigenen Völkern verwundert vor dem Hintergrund entsprechender Vorschriften in der U.S. Constitution nicht. So sind die „Indian Tribes“ in Art. I sec. 2 cl. 3 genannt, der die Regelung der Verteilung von politischen Repräsentanten im Kongress und von Steuereinkünften zwischen der Bundes- und Staatenebene regelt und bei deren Berechnung ausdrücklich die „Indians not taxed“ ausgenommen sind.42 Ferner sind sie in Art. I sec. 8 cl. 3 („Commerce Clause“) erwähnt und mit einem eigenständigen Status ausgestattet indem geregelt wird, dass alle Handelsbeziehungen des Staates USA mit diesen direkt vom Kongress ausgeführt und den Einzelstaaten damit jegliche diesbezügliche Kompetenzen entzogen werden.43 Da es in dieser Vorschrift um die Regelung von Handelsbeziehungen mit anderen Staaten und der Staaten untereinander geht, ist die gesonderte Erwähnung der Kategorie „Handelsbeziehungen mit den Indian Tribes“ auf gleicher Ebene Beleg dafür, dass die Existenz andersartiger Gemeinschaften auf dem eigenen Territorium anerkannt und zugleich klargestellt wurde, dass die Präambel-Formulierung „We, the People of the United States“ auf die Indian Tribes nicht bezogen werden konn___________ 39

Vgl. Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 40 f. So die Argumentation von Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 41. 41 Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 71 f. 42 Vgl. ferner das spätere Amendment XIV von 1868, das die Formulierung wiederholt. 43 Vgl. zu den relevanten Verfassungsvorschriften Deloria/Wilkins, Tribes, treaties and constitutional tribulations, S. 25 ff. 40

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Kapitel 3: Die Indianer Nordamerikas

te.44 Daher sind für den Rechtsstatus der Indianer die Verfassungsvorschriften nur bedingt wichtig, denn so wie sich die Verfassung trotz der Nennung ausländischer Mächte in dieser Vorschrift selbstverständlich nicht auf diese bezieht, könnte auch argumentiert werden, dass die Indian Nations als „preexisting sovereigns“ ihre Macht im Gegensatz zum Bundesstaat und den Einzelstaaten nicht aus der Verfassung ableiten müssen.45 Als bedeutsam stellte sich dagegen heraus, dass durch die Formulierung der „Supremacy Clause“ des Art. VI cl. 2 der Verfassung auch alle vorher von den Bundesstaaten mit den Indian Nations geschlossenen Verträge für und gegen die USA wirksam wurden. Im „Trade and Intercourse Act“ von 1790 und den weiteren in den Folgejahren erlassenen Handelsgesetzen wurde die in der Verfassung zum Ausdruck kommende Grundhaltung gegenüber den Indians vertieft.46 Es ist jedoch auch darauf hinzuweisen, dass in der Gründungsphase der USA die religiös-philosophisch angereicherte sog. „Manifest Destiny“ eine zentrale Rolle spielte. Danach hätte der „weiße Amerikaner“ den göttlichen Auftrag, seine Überlegenheit dadurch zu nutzen, dass er sich den gesamten nordamerikanischen Kontinent zu eigen macht.47 Diese Grundhaltung spielte im politischen Diskurs im Kongress die dominierende Rolle und der dort vertretene unverhohlene Rassismus gegenüber der indigenen Bevölkerung ist in unzähligen Redebeiträgen und Gesetzesvorlagen dokumentiert.48 Die „Manifest Destiny“ diente auch als (vorgeschobene) Begründung, warum der zunächst als „ewige Grenze“ zwischen dem an der Ostküste liegenden Territorium der weißen Siedler und den in das westliche Gebiet verdrängten Indianern vorgesehene Flusslauf des Mississippi trotz vertraglicher Zusicherung doch nicht weiterbestehen könne. Dass die davon profitierenden weißen Siedler in ihrer politischen Überzeugungsarbeit noch viel deutlicher eine kaum vorstellbare Überheblichkeit an den Tag legten, kann nicht überraschen. So vertraten diese z.B. die Ansicht, dass derselbe Allmächtige, der den Niedergang Roms eingeleitet habe „has pronounced the doom of extinction upon the red men of America“.49 Auch die offizielle Haltung der amerikanischen Regierung distanzierte sich zusehends von der in den frühen Dokumenten der USA zum Ausdruck gekom___________ 44

So auch Tsosie, 26 Ariz. St. L. J. [1994], 495, 498. Deloria/Wilkins, Tribes, treaties and constitutional tribulations, S. 26. 46 Angaben im Einzelnen bei Morris, 29 GYIL [1986], 277, 290 Fn. 60; ausf. zu den Trade and Intercourse Acts auch Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 109 ff. 47 Vgl. Atkinson, 23 Okla. City U. L. Rev. [1998], 379, 383 f.; ferner Brown, Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses, S. 22; West, in: The Right of Self-Determination, S. 67, 72. 48 Verschiedene Beispiele finden sich bei Morris, 29 GYIL [1986], 277, 299. 49 So die Aussage einer Pioniersvereinigung, wiedergegeben bei Reed Howard, 35 GYIL [1992], 105, 114. 45

B. Historischer Überblick und politisch-soziale Situation

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menen Anerkennung der Indianernationen, als der Krieg von 1812 gegen die Briten beendet war.50 Der Kongress hatte unter anderem deshalb für diesen in den USA als zweiter Unabhängigkeitskrieg bekannten Krieg gestimmt, weil er fürchtete, dass die Briten die Indianer gegen die Regierung der USA aufwiegelten. Eine Gefahr sahen die USA in der Erstarkung der sich neu organisierenden Indianerstämme im Nordosten, die in der vom Bruder der berühmten Führungsfigur Tecumseh gegründeten Stadt „Prophettown“ eine dauerhafte neue Heimstatt finden sollten. Tecumseh war es gelungen, von den USA eine vertragliche Zusicherung eines sicheren Territoriums zu erlangen. Unter Bruch dieser Verträge marschierte die Armee der USA unter dem späteren Präsidenten Harrisson auf Prophettown und nachdem sie die zur Verteidigung ausgerückten, vermeintlich sie angreifenden indianischen Kämpfer zurückgeschlagen hatten, brannten sie die Stadt nieder. Im kollektiven Gedächtnis wird unter Verdrehung der historischen Gegebenheiten diese sog. „Schlacht am Tippecanoe“ als entscheidende Verteidigung der amerikanischen Unabhängigkeit gegen die angreifenden Indianer gewertet.51 3. Die Zeit der Vertragsschlüsse auf dem Weg nach Westen Es ist bereits mehrfach darauf hingewiesen worden, dass die USA die Beziehungen mit den Indianernationen zu einem gewichtigen Teil durch Vertragsschlüsse geregelt hat.52 Der erste Vertrag mit einer Indian Nation ist der „Delaware Indian Treaty“ von 1778, in dessen Art. VI ausdrücklich die Errichtung eines „Indian State“ bestehend aus einer Föderation verschiedener Gemeinschaften ermöglicht und sogar die Vertretung dieser Föderation im USKongress zugesichert wurde.53 Diese auch in anderen Verträgen enthaltene Regelung einer Vertretung im Kongress wurde jedoch nie ausgeführt.54 Die Ver___________ 50 Clinton, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 77, 78 Fn. 4; Wiessner, 7 St. Thomas L. Rev [1995], 567, 571. 51 Vgl. Dörr, in: FS Schiedermair, S. 927, 934 f. 52 Vgl. dazu auch detailliert Deloria/Wilkins, Tribes, treaties and constitutional tribulations, S. 8 ff. Hintergrund für die Vertragsschlusspolitik und spätere Versuche, das von Indianern bewohnte Land anders als durch Kriege zu erwerben, liegt in einer einfachen ökonomischen Rechnung: der Krieg wäre bzw. war in jeder Hinsicht für die USAmerikaner deutlich teurer, vgl. dazu Kades, 148 U. Pa. L. Rev. [2000], 1065, 1138 f. 53 Continental Congress, Treaty of Alliance with the Delaware Indians of Sept. 17th, 1778, 7 Stat. 13; vgl. zu diesem z.B. Reed Howard, 35 GYIL [1992], 105, 111. 54 Vgl. Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 65 f.; auch Schulte-Tenckhoff, 4 Review of Constitutional Studies [1998], 239, 250, die darauf hinweist, dass noch nach 1834 im Kongress Zustimmung zu einer Repräsentation der indigenen Bevölkerung auf der Ebene des Kongresses bestanden habe. Vgl. zum Ganzen auch Blair, 20 Am. Indian L. Rev. [1996], 225, 233 ff., wonach die Cherokee Nation vertraglich noch heute Anspruch auf einen Repräsentanten im Kongress hätte, der ähnlich wie früher bspw. die

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träge regelten in vielfältiger Weise internationale Aspekte, so gab es Vorschriften über die Ausstellung von Passierscheinen für das Betreten indianischen Territoriums, über Grenzfragen, Auslieferungsabkommen und auch die Anerkennung des Kombattantenstatus.55 Zwar verschob sich im Laufe der Zeit der Fokus der Verträge auf die Abtretung von Land, damit dieses dann von der USRegierung wie oben beschrieben weiterverkauft werden konnte, diese Frage wurde aber immer auch mit politischen Fragen wie Friedensregelungen oder Bündnisvereinbarungen verknüpft. Diese Gegenstände gehören zu den üblichen des völkerrechtlichen Vertragsverkehrs, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass die USA „trotz aller Souveränitätsansprüche a priori de facto vielfach auch die Staatsgewalt der Indianer anerkannten“.56 Umgekehrt haben auch die indigenen Völker in manchen Verträgen ausdrücklich den Souveränitätsanspruch der USA anerkannt, wobei jeweils fraglich ist, welche Vorstellung mit diesem Konzept verbunden wurde. Entscheidend ist, dass diese Anerkennung aus Sicht der indianischen Gemeinschaften immer mit der Zusicherung einer „Gegenleistung“ verbunden war.57 Zwischen 1789 und 1871 hat die Regierung der USA mit den Indian Nations mehr als 800 Verträge geschlossen, von denen jedoch nur 370 durch den Senat ratifiziert wurden.58 Viele der Verträge wurden mit deutlicher Mehrheit oder gar einstimmig im Senat verabschiedet, was die Anerkennung dieser Politik bedeutet.59 Aber schon die Tatsache der nachträglichen Ratifikation widersprach den Vorstellungen der indianischen Vertragsparteien, da aus deren Sicht mit dem eigentlich Vertragsschlusszeremoniell der Vertrag auch abgeschlossen war und eine formelle Inkraftsetzung unbekannt und im Übrigen auch häufig bewusst nicht erläutert worden war. Aber auch an den formal abgeschlossenen Verträgen wurden häufig unter Missachtung grundlegender Vertragsschlussregelungen noch vor der Ratifikation durch den Senat schlicht Änderungen vorgenommen, ohne dass die andere Vertragspartei darüber informiert worden wäre, geschweige denn ihre Zustimmung erteilt hätte. Viele der Verträge waren auch schon in betrügerischer Art ausgehandelt worden, indem bewusst ohne Anwesenheit der entscheidenden Stammesvertreter nur mit einzelnen Mitglie___________ Vertreter von Puerto Rico oder dem District of Columbia (D.C.) mit Sonderbefugnissen ausgestattet sein könnte und dem wegen der Souveränität der Indianernation außerdem mit diplomatischem Status zu begegnen sei, S. 240. 55 Corntassel/Primeau, 17.2 (1995) HRQ, 343, 355 f. Dagegen dann die plenary power-doctrine. 56 Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 41. 57 Alfredsson, in: EPIL, S. 314; Morris, 29 GYIL [1986], 277, 291. 58 Wiessner, 7 St. Thomas L. Rev [1995], 567, 575 Fn. 39. 59 Zum Ganzen Schulte-Tenckhoff, 4 Review of Constitutional Studies [1998], 239, 252 f.

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dern der Vertrag – jedoch im Namen der ganzen Gemeinschaft – geschlossen wurde.60 So wurde ein Vertrag mit den Cherokee lediglich mit 100 von 19000 Angehörigen der Gemeinschaft abgeschlossen, von denen jedoch keiner eine offizielle Funktion bei den Cherokee hatte.61 Als die indianischen Gemeinschaften die Verträge schlossen, verbanden sie damit die Vorstellung, dass die Abtretung eines bestimmten Territoriums bzw. die Umsiedlung in ein neues Territorium dazu dient, damit eine endgültige Regelung zu schaffen, um dauerhaft in Frieden weiterleben zu können.62 Ausdruck davon ist die bekannt gewordene Formulierung, die zwar nur in einen Vertrag ausdrücklich Eingang gefunden hat, aber meist Bestandteil der Vertragsschlusszeremonie war, wonach die US-Seite den Indian Nations zusicherte: „As long as water flows, or grass grows upon the earth, or the sun rises to show your pathway, or you kindle your camp fires, so long shall you be protected by this Government, and never again be removed from your present habitations“.63

Das Besondere an den mit den Indianern geschlossenen Verträgen sollte eben sein, dass diese in Gegenden leben, in den weder die Bundesstaaten noch das Federal Government Regierungsgewalt ausüben, sondern diese vielmehr sich dort selbst organisieren und ihre eigenen Gesetze haben könnten. Als Beispiel für eine solche Regelung kann der Vertrag mit den Cherokee vom 29.12.1835 dienen.64 Als jedoch das Territorium Oklahomas zur Jahrhundertwende am Beginn des 20. Jahrhunderts schließlich doch in die USA integriert wurde, war auch diese Zusicherung wertlos geworden. Die generelle Missachtung der Vertragsinhalte durch die US-amerikanische Seite ist vielfach dokumentiert.65 Als besonders krass kann dabei der Fall der Sioux und deren Gebiet der „Black Hills“ (Paha Sapa) gelten, zu dem ein eindeutiges Judikat des US Supreme Court vorliegt, auf das unten kurz eingegangen wird.66 Es gibt nur sehr wenige Verträge, die noch heute – zumindest teilweise – beachtet werden, wie z.B. den „Treaty with the Six Nations“, in dessen Art. VI eine jährliche Zahlung der Regierung an die beteiligten Indianergemeinschaften ___________ 60

Vgl. die Schilderung bei Corntassel/Primeau, 17.2 (1995) HRQ, 343, 355. Dieses Beispiel bringt Wiessner, 7 St. Thomas L. Rev [1995], 567, 577 f. Fn 50. 62 Anders ist der teilweise freiwillig erfolgte Rückzug in Reservate nicht zu erklären, vgl. Clinton, 32 Ariz. L. Rev. [1990], 739, 744 f. 63 So die Formulierung eines Senators von 1854, abgedruckt bei Wiessner, 7 St. Thomas L. Rev [1995], 567, 571 Fn. 20; eig. Herv. 64 Vgl. dazu Clinton, 32 Ariz. L. Rev. [1990], 739, 744 f. 65 Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 63 f.; Clinton, 32 Ariz. L. Rev. [1990], 739, 744 f. 66 Sioux Nation v. United States, 448 U.S. 371 (1980), vgl. dazu unten Kap. 3 D. II. und zum Sachverhalt z.B. die Schilderung bei Wiessner, 7 St. Thomas L. Rev [1995], 567, 579 f. 61

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in Höhe von 4500 $ vorgesehen ist, die noch heute gezahlt wird.67 Auch gab es verschiedene Landforderungen der Indianer in den Staaten an der Ostküste, die in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreich waren, weil auf diesem Gebiet in den frühen Jahren der USA die einzelnen Bundesstaaten Indianer von ihrem Land enteignet hatten, was gegen damals geltendes innerstaatliches Recht verstieß.68 Wenngleich hier nur eine sehr pauschale Darstellung und Bewertung erfolgen kann, ist der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass auch den nach Westen ziehenden Siedlern Widerstand der Indianer entgegenschlug.69 Anders als die durch entsprechende Literatur und Verfilmung festgesetzte Meinung war es jedoch meist so – und dies setzt sich zunehmend auch bei der historischen Bewertung dieser Phase der amerikanischen Geschichte durch –, dass Raubüberfälle erst in Antwort auf Vertragsbrüchigkeit durch die zu Unrecht einströmenden Siedler erfolgten. So war einer der Wege zur Erschließung des amerikanischen Westens durch die weiße Bevölkerung, der den Weg über die Rocky Mountains öffnete, der sog. „Oregon Trail“, den auch die Mormonen auf dem Weg nach Salt Lake City benutzten. Auf dem Weg dorthin kreuzten die Siedler zahlreiche Indianerstämme, die den Einwanderern gegenüber jedoch zunächst freundlich gesinnt waren und sie auch mit Essen und Pelzen versorgten. Angriffe gegen weiße Siedler entlang dieses Weges folgten meist erst in Antwort auf die vertragsbrüchige Landwegnahme.70 Solche Straftaten wurden im Allgemeinen im Wege der Lynchjustiz auf eigene Faust durch die Siedler bestraft, die dabei vor der US-Justiz straflos blieben, weil es den Gouverneuren der jeweiligen Gebiete weder möglich noch opportun schien, gegen die Aktionen der weißen Siedler etwas zu unternehmen.71 4. Die Verdrängung in die Reservate: Der „Indian Removal Act“ Nachdem die kriegerischen Auseinandersetzungen der USA mit den indianischen Nationen im Osten zunehmend zu ihren Gunsten ausgingen und der ___________ 67

7 Stat. 44; Wiessner, 7 St. Thomas L. Rev [1995], 567, 576 Fn. 44. Vgl. Clinton, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 77, 83 f. 69 Kades, 148 U. Pa. L. Rev. [2000], 1065, 1127 ff. weist auf die militärischen Probleme hin, die bei einem eigentlich möglichen indianischen Widerstand die Folge gewesen wären. 70 Diese korrigierende Geschichtsschreibung spiegelt sich seit einigen Jahren auch in den zum Oregon Trail gehörenden Museen wider, vgl. dazu NZZ Nr. 302 v. 30.12.2002, S. 32: „Der Oregon Trail“, und auch der klassische Hollywood-Western ist heute nicht mehr „angesagt“, wenngleich er tief im Bewusstsein der Bevölkerung verankert ist. 71 Reed Howard, 35 GYIL [1992], 105, 112. 68

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Landbedarf größer wurde, war eine Verdrängung der Indianer logische Folge.72 Die von vielen erhoffte Möglichkeit der Schaffung einer „Puffernation“ für die Indianer zwischen dem Gebiet der USA und dem britischen Kanada scheiterte.73 Tecumseh, der mit den Briten alliierte, als diese ein letztes Mal versuchten, gegen die Siedler-Kolonien bzw. die USA vorzugehen, starb in einer Schlacht in Kanada, weil er von seinen Verbündeten verraten wurde, die eine endgültige Grenzziehung zu den USA akzeptierten und ihm nicht mehr zur Hilfe eilten.74 Präsident Jackson schlug zwar in seiner Inaugural-Rede einen konzilianten Ton gegenüber den Indianern an, legte dann aber als Präsident fest, was ihm als Commissioner für Indianerangelegenheiten vorher nicht als freiwillige Maßnahme gelungen war, nämlich die Verpflichtung der Indianer nach Westen auszuwandern.75 Im „Indian Removal Act“ von 1830 autorisierte der Kongress den Präsidenten, alle indianischen Nationen in bislang unerschlossenes Gebiet westlich des Mississippi zu deportieren.76 In diesem Zusammenhang kam es zu Streitigkeiten vor dem US Supreme Court, die unten als „Cherokee NationCases“ behandelt werden und die sowohl damals als auch im Rückblick von amerikanischen Kommentatoren als eine der größten Verfassungskrisen der USA bezeichnet werden.77 Die zugunsten der Indianer ausgesprochene Sicherung der östlich des Mississippi gelegenen Territorien in Georgia wurde aber missachtet, denn in Reaktion auf das entsprechende Urteil soll Präsident Jackson gesagt haben: „[Chief Justice of the US Supreme Court] John Marshall has rendered his decision, now let him enforce it.“78

Dem Wortlaut nach ging der Indian Removal Act zwar von einer „freiwilligen“ Migration der Indianer nach Westen aus, aber tatsächlich war es so, dass die Politik von Jackson darauf hinauslief, die Indianer unter Androhung oder Anwendung von Gewalt zu enteignen und vertreiben.79 Traurige Berühmtheit ___________ 72

Ermacora, Menschenrechte in der sich wandelnden Welt, S. 472 Rdnr. 208 bezeichnet die von den USA geführten Kriege bis zu den Ereignissen in Wounded Knee 1890 „vom Blickwinkel des modernen Völkerrechts [...] als Akte des Völkermordes“. 73 Dörr, in: FS Schiedermair, S. 927, 937. 74 Schilderung des neuerlichen Verrats z.B. bei Reed Howard, 35 GYIL [1992], 105, 112; Dörr, in: FS Schiedermair, S. 927, 934 ff. 75 Vgl. Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 81. 76 Act of May 28, 1830, 4 Stat. 411. 77 Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 81, v.a. Fn. 164. 78 Vgl. Morris, 29 GYIL [1986], 277, 299; Atkinson, 23 Okla. City U. L. Rev. [1998], 379, 386; es gibt jedoch auch Zweifel, ob Jackson dies wirklich so gesagt hat, vgl. Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 83, v.a. Fn. 173, wobei jedenfalls feststeht, dass er selbst keine Umsetzung des Urteils vornahm und die Exekutive nicht anwies, die betroffenen Missionare, um die es im Urteil ging, freizulassen. 79 Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 91.

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erlangte dabei der „Trail of Tears“ der Cherokee, die über viertausend Meilen zu Fuß marschieren mussten, wobei ein Großteil dieser indianischen Gemeinschaft starb. Die Verdrängung der im östlichen Gebiet der USA lebenden Indianer in Reservate setzte sich später auch weiter westlich fort, so dass viele umgesiedelte Indianer erneut vertrieben oder deren Reservate zumindest der Größe nach wiederholt massiv beschnitten wurden. 5. Die letzten „Indianerkriege“ Zeitlich parallel zum Bürgerkrieg zwischen den amerikanischen Nord- und Südstaaten häuften sich auch die Aufstände insbesondere der Indianer im Mittleren Westen gegen die USA. Von 1862 bis 1864 versuchten die Sioux, sich von der Beherrschung zu befreien.80 Deren Aufstände endeten mit dem „Sand Creek Massacre“, bei dem etwa 150 unbewaffnete Indianer von der Miliz Colorados getötet wurden, obwohl sie unter einer „flag of truce“ standen.81 Diese hatten nämlich eine US-amerikanische Flagge über ihrem Zeltlager gehisst, die Häuptling Black Kettle der Southern Cheyenne kurz zuvor von Vertretern der US-Regierung mit der Bemerkung erhalten hatte, unter ihrem Schutz werde seinem Dorf niemals ein Unheil durch amerikanische Truppen widerfahren.82 Der davon ausgelöste Krieg der „Prärieindianer“ – der Northern Cheyenne, Lakota (im hiesigen Raum besser bekannt als Sioux) und Arapahos – stellte lange Zeit eine echte Bedrohung für die USA dar. Unter der Führung der beiden indianischen Persönlichkeiten Crazy Horse und Sitting Bull (Tatanka Yotanka) – die beide nach der Kapitulation bzw. bei der freiwilligen Rückkehr in die USA hinterrücks durch amerikanische Soldaten ermordet wurden – fügten die Indian Nations bis zur berühmt gewordenen Schlacht am „Little Big Horn“, die mit einer Niederlage des für seinen Indianerhass berüchtigten Colonel Custer endete, den US-amerikanischen Truppen große Verluste zu. Die koordinierte massenhafte Tötung der Büffel in der Prärie, die Nahrungsgrundlage für die Indianer waren, und die zahlenmäßige und von der militärischen Ausrüstung herrührende Überlegenheit brach aber letztlich auch diesen Widerstand der indianischen Seite.83 ___________ 80

Vgl. zu den Reaktionen der weißen Bevölkerung („Die Sioux müssen ausgerottet werden, und jetzt ist ein günstiger Zeitpunkt dafür“, laut einem Zeitungsartikel aus der damaligen Zeit) Crow Dog, Ohitika Woman, S. 282. 81 Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 103; Nabokov, in: Die Welt der Indianer, S. 301, 330 ff. 82 Dörr, in: FS Schiedermair, S. 927, 940. 83 Vgl. zum Ganzen die Schilderung bei Dörr, in: FS Schiedermair, S. 927, 940 ff.

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Es kam im Rahmen dieses Krieges zu zahlreichen Massakern an der indianischen „Zivilbevölkerung“, deren Brutalität bis heute in der Erinnerung vieler Indianergemeinschaften nachwirkt. So trieb beispielsweise die berittene Armee unter Kit Carson das Navajo-Volk in den „Canyon de Chelly“ und „schlachtete die Flüchtenden ab wie Vieh und vernichtete[n] alle Vorräte.“ Auf die Überlebenden wartete ein 500 km langer Fußmarsch, der wiederum für die meisten tödlich endete.84 Das vielleicht bekannteste Massaker ereignete sich am 28.12.1890 zwei Wochen nach der Ermordung Tatanka Yotankas am „Wounded Knee“. Dort wurden 400 wehrlose Minneconjou Sioux, vor allem Frauen, Kinder und Greise, erschossen und die Leichen anschließend liegengelassen. Die Bilder der bizarr erstarrten und erfrorenen Körper sind bekannte Zeugnisse eines dunklen Kapitels amerikanischer Geschichte.85 „Wounded Knee“ ist deshalb bis heute besonders bedeutsam, weil 1973 die Sioux unter dem American Indian Movement – dazu unten in Kap. 3 B. II. 4. – mit großer Symbolwirkung den Ort der Tragödie „besetzten“86 und die „Unabhängige Oglala-Nation“ unter Berufung auf den Vertrag von Fort Laramie von 1868 verkündeten. Sie wollten sich damit auch gegen die Stammesregierung wenden, die sie als „Marionette“ der „weißen USA“ betrachteten. Es kam zu einer spektakulären 70-tägigen Belagerung durch Militär, Polizei und FBI, in deren Verlauf es auch Schusswechsel mit tödlichen Verletzungen gab.87 Der Ausgang der Kriege der Prärieindianer, die der letzte kriegerisch organisierte Widerstand gegen die weißen Siedler darstellten, führte dazu, dass nunmehr Friedensverträge von der US-Regierung diktiert werden konnten.88 Festzuhalten ist jedoch, dass auch in diesen Fällen die Kriege durch formalen Vertragsschluss beendet wurden, wobei die letzten Verträge aus dem Jahr 1868 stammen. 6. Der letzte Vertragsschluss: Der „Indian Appropriations Act“ Da das „House of Representatives“ des Kongresses in Indianerfragen mehr Mitbestimmung wollte, versuchte es durch Verabschiedung zahlreicher Gesetze ___________ 84

Vgl. die Schilderung bei Saller, Die Zeit Nr. 25 v. 13.06.1997, S. 53, 54. Dazu Braune, FR v. 27.02.1998, S. 36; Dörr, in: FS Schiedermair, S. 927, 943; vgl. z.B. Abbildungen bei Nabokov, in: Die Welt der Indianer, S. 301, 366 f.; besonders bekannt wurde das Bild des toten Big Foot, vgl. Brown, Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses, S. 427, 429. 86 Braune, FR v. 27.02.1998, S. 36. 87 Vgl. die eindrückliche und detailreiche Erzählung von Crow Dog, Lakota Woman, S. 121 ff., v. a. 124 ff. 88 Beispiele finden sich bei Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 103 ff. 85

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das Ende der Vertragsschlusspolitik gegenüber den Indianern einzuläuten.89 Für die Ratifikation dieser Verträge benötigte die Regierung verfassungsrechtlich lediglich die Zustimmung des Senates. Im „Indian Appropriations Act“ von 1871 wurde endgültig untersagt, zukünftig Verträge mit den Indian Nations einzugehen.90 Dabei wurde aber klargestellt, dass die früheren Verträge ihre Gültigkeit behalten, und lediglich die Praxis des Vertragsschlusses für die Zukunft beendet werde.91 Weil die Umsetzung der Verträge damals und bis heute eine fortdauernde Verpflichtung blieb, besteht auch nicht lediglich ein antiquarisches Interesse an diesen Verträgen.92 Ferner ist darauf hinzuweisen, dass bis 1902 auch weiterhin sog. „Agreements“ abgeschlossen wurden, die eine ähnliche Struktur wie Verträge haben und ebenfalls nur eine Annahme durch den Senat benötigen.93 Insoweit bildet das Jahr 1871 auch nicht wirklich eine „Zeitenwende“ im Hinblick auf die Behandlung der indianischen Gemeinschaften. Dennoch wird auch hier diese Zeitmarke herausgehoben, weil mit dem „Indian Appropriations Act“ auf rechtlicher Ebene der Prozess der „Domestication“ der Indianerfrage vorläufig abgeschlossen worden war. Zudem ging mit diesem Gesetz der Versuch einher, nach der „Befriedung“ der Indianer nun auch dauerhaft deren Lebensweise auszulöschen, indem beispielsweise religiöse Praktiken verboten wurden.94

II. Politik und Gesetzgebung im späten 19. und 20. Jahrhundert Nachdem rechtlich die Beziehungen zu den Indian Nations auf eine innerstaatliche Regelungsebene abgewertet worden waren, änderte sich auch mit gravierenden Folgen die Politik der Bundesregierung gegenüber den Indianern. Die verschiedenen Phasen der Indianerpolitik von 1885 bis in die jüngste Zeit werden in diesem Abschnitt kurz beleuchtet, bevor das Resultat durch ein Abbild der Situation als Indianer in der heutigen USA analysiert wird.

___________ 89

Dazu Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 107. Act of March 3, 1871, Ch. 120, § 1, 16 Stat. 54, 566 (codified at 25 U.S.C. § 71). Zu den damals geäußerten Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit eines solchen Gesetzes, das die Bestimmung der Commerce Clause, aus der sich der besondere Status der Indian Nations ergebe, nicht aushöhlen könne, vgl. Deloria/Wilkins, Tribes, treaties and constitutional tribulations, S. 63 ff. 91 Alfredsson, in: EPIL, S. 314. 92 Schulte-Tenckhoff, 4 Review of Constitutional Studies [1998], 239, 258. 93 Wiessner, 7 St. Thomas L. Rev [1995], 567, 580. 94 So z.B. der sog. Geistertanz, vgl. dazu Reed Howard, 35 GYIL [1992], 105, 115 f. 90

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1. Parzellierung von Land und Assimilationsdruck Nachdem es gelungen war, die indianischen Gemeinschaften militärisch endgültig in Schach zu halten, ging die offizielle Politik dazu über zu versuchen, die Indianer durch Assimilation dauerhaft in die Mehrheitsgesellschaft überzuleiten. Im Zuge dieser Entwicklung wurde die vorher uneingeschränkte Anerkennung der Regelungskompetenz über die eigenen Stammesangehörigen auf den Reservatsgebieten zunehmend eingeschränkt. Der US Supreme Court stellte 1883 in Ex parte Crow Dog95 fest, dass die Bundesgerichte keine Jurisdiktion über einen Brule Sioux Häuptling (Crow Dog) ausüben können, der einen anderen Häuptling (Spotted Tail) – wie es den Anschein hatte – ermordet hatte, sondern das Urteil des Stammesgerichtes, wonach dieser lediglich verpflichtet war, für alle Verwandten Spotted Tails zu sorgen, anzuerkennen sei.96 In Reaktion auf die öffentliche Empörung erließ der Kongress 1885 den „Major Crimes Act“, der auch als „Appropriations Act“ bekannt ist.97 Für die darin genannten sieben Verbrechen (u.a. Mord, Totschlag, Vergewaltigung) sollte bei Verdacht gegen einen Native American ab sofort die Jurisdiktion der Bundesgerichte der USA eröffnet sein und zwar unabhängig davon, ob das Verbrechen außerhalb oder innerhalb eines Reservates begangen worden sein sollte. Ziel dieses Gesetzes war es, die Legitimität der traditionellen Institutionen der indianischen Gemeinschaft zu unterhöhlen.98 Das Gesetz wurde vom Supreme Court ein Jahr später dennoch aufrecht erhalten.99 Wesentlich gravierendere Auswirkungen hatte der „General Allotment Act“ oder auch „Dawes Severalty Act“ von 1887.100 Mit diesem wurde die Parzellierung der den Indian Nations zustehenden Gebiete eingeleitet. Deren Land wurde in individuelle, sog. „allotments“ von 80 bzw. 160 acre (max. 64 Hektar) große Grundstücke aufgeteilt, auf die alle Indianer einen Anspruch hatten und die dann an diese weiter verteilt wurden. Dabei konnten sie selbst entscheiden, ob sie das Land zur Selbst-Kultivierung nutzen oder es weiter verpachten bzw. verkaufen wollten. Der Urheber des Gesetzentwurfs, Senator Dawes, ging wohl tatsächlich von einer idealistischen Grundhaltung aus, weil er glaubte, es sei zum Besten der Indianer, wenn sie Entwicklungsmöglichkeiten analog der weißen Mehrheitsbevölkerung erhalten würden, was aber nur bei individuellem Landbesitz ginge. Im Gesetzgebungsverfahren gab es aber deutliche Kritik an ___________ 95

Ex parte Crow Dog, 109 U.S. 556 (1883). Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 68 Fn. 56. 97 Act of March 3, 1885, 23 Stat. 385, as amended at 18 U.S. Code Annotated (U.S.C.A.) 1153. 98 So die Einschätzung von Morris, 29 GYIL [1986], 277, 301. 99 United States v. Kagama, 118 U.S. 375 (1886). 100 Act of February 8, 1887, 24 Stat. 388. 96

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dem Vorhaben und es wurde von den Gegnern herausgestellt, dass die eigentliche Zielsetzung die Auslöschung indianischer Lebensweise sei.101 Insoweit hätten auch die aus idealistischen Motiven handelnden Personen noch vor der Verabschiedung erkennen können, dass die Bewirtschaftung nach den Vorstellungen der weißen Gesellschaft nicht funktionieren und damit das Ziel verfehlt werden würde.102 Der „Dawes Act“ regelte viele weitere Einzelheiten wie z.B. die Möglichkeit für die Indianer, die von den Reservaten wegziehen, nach einer Übergangszeit zu US-Bürgern zu werden.103 Das Gesetz erschütterte vollständig das traditionelle System der kollektiven Landbesitzes bei den indianischen Gemeinschaften, indem nunmehr die individuelle Besitzstellung und das Recht zur Weiterverpachtung eingeführt wurden. Besonders perfide war das Gesetz, weil es das gesamte vorher durch Verträge gesicherte Land der indigenen Bevölkerung parzellierte. Die Zuteilung der Grundstücke musste jedoch beantragt werden, wobei Halbblüter mit ihrem Antrag die amerikanische Staatsbürgerschaft annehmen mussten und Vollblutindianer das Pachtrecht am Grundstück für einen bestimmten Zeitraum erhielten. Da nicht alle Berechtigten einen Antrag stellten, weil viele eine solche Zuteilung gar nicht wollten, wurde das übrige Land durch die Bundesregierung an andere Interessenten verkauft. Dadurch gingen mindestens zwei Drittel des vorher reservierten Landes für die indigene Bevölkerung verloren.104 Das Gesetz stellt damit einen weiteren Vertragsbruch dar, da mit der Verteilung des Landes an andere Interessenten die vertraglich garantierte Zuteilung bestimmter Territorien umgangen, mindestens aber ausgehöhlt wurde. Neben den dramatischen Auswirkungen des Landverlustes wirkte sich der „Allotment Act“ zugleich auf das wirtschaftliche Verhalten der Indianer aus.105 Die Absicht, die Indianer zu Farmern im Sinne der USA zu machen, schlug aus naheliegenden Gründen fehl und daraus resultierte das Brachliegen großer Flächen.106 Häufig bedeutete dies, dass die Steuerschuld für das individuelle Grundstück nicht mehr bezahlt werden konnte und die entsprechende Parzelle zwangsversteigert wurde oder vom indianischen Pächter wegen eigener Not weiter verkauft wurde.107 Die schleichende Enteignung der Indianer von ihrem Land ging also über die unmittelbare Folge des Gesetzes noch hinaus und wirkte bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts weiter. Auch heute zeigen sich noch die Auswirkungen, denn auch in Fällen, in denen indianische Gemeinschaften Land wegen unge___________ 101

Dazu die Angaben bei Morris, 29 GYIL [1986], 277, 301 Fn. 97. Vgl. Reed Howard, 35 GYIL [1992], 105, 116. 103 Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 130 ff. 104 Schulte-Tenckhoff, 4 Review of Constitutional Studies [1998], 239, 255. 105 Morris, 29 GYIL [1986], 277, 302. 106 Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 134. 107 Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 144 f. 102

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rechtfertigter Enteignung zurück erteilt bekommen, ist das Gebiet häufig wie ein Schachbrett zerteilt, so dass um bestimmte Parzellen herum im Eigentum von Nicht-Indianern stehendes Land liegt. Dies gilt etwa für das White Earth Reservat, in dem über 90% des Landes weißen Farmern gehört. Die Mischung zwischen „humanitärer Sorge“ um die indianische Bevölkerung einerseits und dem Griff nach deren Land andererseits bedeutete, dass im ausgehenden 19. Jahrhundert eine Assimilationspolitik vorherrschte. 1889 formulierte der Commissioner of Indian Affairs, dass der amerikanische Indianer zu einem indianischen Amerikaner werden solle.108 Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass auch Indian Nations, die in diesem Sinne die euro-amerikanische Lebensweise „erfolgreich“ angenommen hatten, die Existenzberechtigung abgesprochen wurde. Die von den USA aus eben jenem Grunde so genannten „Five Civilized Tribes“ hatten im Bürgerkrieg auf der Seite der Südstaaten gekämpft, weshalb deren eigentlich garantierte eigene Republiken 1898 durch den Kongress aufgelöst wurden. Im selben Jahr wurde durch den „Curtis Act“109 das den Indianern „auf ewig“ zugesprochene „Indian Territory“, das heutige Oklahoma, für nicht-indianische Besiedlung eröffnet und als Bundesstaat in die USA integriert. Im Rahmen dieser Assimilationspolitik begann auch die Wegnahme indianischer Kinder, um diese auf Missionsschulen zu einer weißen Lebensweise umzuerziehen.110 Die erste Phase der Assimilation111 erreichte ihren Höhepunkt 1924, indem die Staatsangehörigkeit der USA auf alle Indianer durch den „US Citizenship Act“ ausgedehnt wurde.112 Diese Zuerkennung der amerikanischen Bürgerschaft erfolgte ohne vorherige Zustimmung der Indian Nations und im Gesetz wurde immerhin anerkannt, dass „the extension of citizenship by the U.S. did not prejudice the national rights of Native people in their own nations“.113 Die Mitglieder der Irokesen-Föderation haben sich daher auch durchgängig gegen dieses Gesetz gewehrt und bestehen bis heute darauf, dass sie weder Staatsangehörige der USA noch Kanadas seien.114 ___________ 108

Vgl. das Zitat bei Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 139. Act of June 28, 1898, Ch. 517, 30 Stat. 495. 110 Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 139 ff.; Biegert, Indianerschulen, S. 21 ff. 111 Mit teilweise äußerst naiven Versuchen wurde um die Zustimmung der Indianer zur Assimilation geworben, so durch einen wohlhabenden New Yorker Unternehmer, der ähnlich der Freiheitsstatue ein Monument eines Indianers errichten lassen wollte, das deren Einbindung in die US-Gesellschaft unterstreichen sollte, vgl. dazu Schilderung bei Wunder, 25 Am. Indian L. Rev. [2001], 65, 80 ff. 112 43 Stat. 253 (1924); 8 U.S.C. §1401(b) [PL No. 68-175, ch. 233]. 113 Morris, 29 GYIL [1986], 277, 313. 114 Reed Howard, 35 GYIL [1992], 105, 118, v.a. Fn. 57. 109

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Kapitel 3: Die Indianer Nordamerikas

2. Die „Reorganization Era“ im „New Deal“ Der U.S. Secretary of the Interior ließ 1928 eine Studie durch Lewis Meriam über die sozialen Bedingungen auf den indianischen Reservaten erstellen. Schlussfolgerung des Meriam-Reports war, dass die sozialen Bedingungen als Auswirkungen der Allotment-Politik katastrophal seien. Ferner wurde schon hier Kritik an den sog. Indianerschulen geübt.115 Die Forderungen aus diesem Bericht wurden zunächst nicht umgesetzt, aber nachdem Präsident Roosevelt den ernsthaft am Wohlergehen der Indianer interessierten John Collier zum Commissioner of Indian Affairs ernannte, wurden zahlreiche weitere Studien erarbeitet.116 Unter anderem stellte Felix Cohen die Besonderheit des Rechtsstatus der indigenen Völker heraus, die in den vergangenen Jahrzehnten von den USA missachtet worden sei und nun wieder ernst genommen werden müsse.117 Collier versuchte eine politische Gefolgschaft für die von ihm beabsichtigten Änderungen zu finden, um den Indianern ein größeres Maß an Autonomie zu gewähren, was ihm im Zuge der allgemein durch radikale Umgestaltungen angesichts der wirtschaftlichen Notlage gekennzeichneten „New Deal Era“ – jedoch nur unvollständig – gelang.118 Der „Indian Reorganization Act“ (IRA) von 1934, auch bekannt als „Wheeler-Howard Act“,119 brachte die offizielle Abkehr von der Allotment-Politik. Es wurde die Einrichtung sog. „Tribal Councils“ geregelt, mittels derer die Indianerstämme ein gewisses Maß an Autonomie gegenüber der Bundesregierung ausüben sollten. Dazu mussten sich die Indian Nations eine Stammesverfassung nach US-Vorbild geben und mehrheitlich annehmen. Auf die solchermaßen verabschiedeten Verfassungen und insbesondere die daraus resultierenden Stammesregierungen wird noch näher einzugehen sein. Bereits hier kann darauf verwiesen werden, dass zwar 181 von 258 Referenden zugunsten der Annahme der jeweils umgeschriebenen Musterverfassung ausgingen,120 dass aber die Durchführung dieser Referenden häufig unter Ausschluss eines Großteils der traditionellen Stammesbevölkerung durchgeführt und z.B. bei den Blackfeet schlicht plump gefälscht wurde, indem ein einzelnes Stammesmitglied nachweislich mehrere hundert Stimmen in der gleichen Handschrift abgab.121 Trotz ___________ 115

Dazu Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 144 f. Reed Howard, 35 GYIL [1992], 105, 118. 117 Diese Studie führte später zu dessen monumentalem Werk über das Federal Indian Law. 118 Vgl. Torres, 16 Yale J. Int’l. L. [1991], 127, 148. 119 48 Stat. 984, ch. 576, codified as amended at 25 U.S.C.A. §§ 461-478 (1982). 120 Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 148. 121 West, in: The Right of Self-Determination, S. 67, 79 f.; allg dazu z.B. Atkinson, 23 Okla. City U. L. Rev. [1998], 379, 405 f. mit weiteren Beispielen, bei denen längst ver116

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der Anerkennung von Stammesregierungen und Stammesgerichten und der damit verbundenen Jurisdiktionshoheit in bestimmten Bereichen konnte der IRA in der letztlich verabschiedeten, hinter den Vorstellungen Colliers zurückbleibenden Fassung, den Prozess der schleichenden Auslöschung der Indianergemeinschaften nicht aufhalten.122 Auch der Landverlust ging nach Verabschiedung des IRA weiter, obwohl danach die Abtretungen an die USA, die zwar selten freiwillig erfolgten, zumindest kompensiert wurden.123 Ferner wurden solche Stämme, die wegen der Auswirkungen der Allotment-Politik bereits faktisch bedeutungslos geworden waren, nicht wieder als solche anerkannt. Der IRA fand nur auf von der Bundesregierung anerkannte Indian Nations Anwendung. Die Desillusionierung über den Versuch der Neuorganisation indianischen Lebens in den Reservaten sowohl bei den Indianern selbst als auch bei der Verwaltung der indianischen Gebiete führte zu einer erneuten Änderung der Politik nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, die wieder in Richtung Assimilation führte.124 3. „Termination“ Die Unsicherheit bezüglich vieler Gebiete in der Eigentumsfrage führte bald nach dem Krieg zu einer gesetzlichen Einrichtung einer „Indian Claims Commission“.125 Diese Kommission sollte prüfen, ob indianische Gemeinschaften für zu Unrecht enteignetes Land eine Entschädigung erhalten sollten.126 Damit wurde aber die Vorstellung unterstrichen, dass die den Indianern ursprünglich zustehenden Territorien endgültig verloren sind, denn es ging nicht um die Möglichkeit der Landrückforderung, sondern lediglich um eine Kompensation, die zu einer Klärung der Eigentumsverhältnisse führen sollte. Im Rahmen dieser Kommission trat die Bundesregierung als Treuhänder für die jeweils betroffenen Indian Nations auf. Die Streitigkeiten wurden fast vollständig von erheblich an den Kompensationszahlungen beteiligten weißen Rechtsanwälten kontrolliert, die die betroffenen Indianer häufig nicht eingebunden ___________ storbene Indianer auf Wählerlisten auftauchten und zugunsten der Bureau of Indian Affairs (BIA)-bevorzugten Kandidaten gestimmt haben sollen. 122 Collier wollte durch die Einrichtung der Stammesregierungen v.a. die Strukturen des „Bureau of Indian Affairs“ (BIA) ersetzen, das er für ein zentrales Problem bei der Behandlung der Indianer hielt, vgl. Clinton, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 77, 104. 123 Morris, 29 GYIL [1986], 277, 302. 124 Vgl. Torres, 16 Yale J. Int’l. L. [1991], 127, 148. 125 Act to Create an Indian Claims Commission, Ch. 959, 60 Stat. 1049 (1946). Vgl. kritisch zu dieser Kommission Cross, 40 Ariz. L. Rev. [1998], 425, 470 f. 126 Dazu Peyer, in: Länderbericht USA, S. 361, 366; Newton, 41 Am. U. L. Rev. [1992], 753, 771 ff.

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haben, weshalb diese zugunsten der Indianer eingerichtete Möglichkeit „a less than effective, and in some cases, counterproductive remedy“ war.127 Ferner stellte sich das Problem, dass sämtliche Rechte der Stämme an bestimmten Territorien erloschen, wenn die Commission eine Entschädigung zusprach. Dies behindert noch heute Rechtsstreitigkeiten, die vor dem Hintergrund eindeutiger Beweise eine Rückgabe des Landes fordern, was durch Hinweis auf bereits vor der Claims Commission behandelte Fragen abgelehnt wird.128 Obwohl die Indian Claims Commission zunächst nur für 10 Jahre eingesetzt worden war, wurde ihr Mandat jeweils verlängert und als Ende 1978 immer noch nicht alle offenen Streitigkeiten geregelt waren, gingen diese Fälle über in den allgemein für Entschädigungszahlungen zuständigen „Court of Claims“. Trotz der oben erwähnten Probleme des IRA waren es letztlich nicht die Befürworter weitergehender Rechte für die Indianer, sondern die Kritiker, die im IRA schon eine zu große Rechtsübertragung gesehen hatten, die zu einer Revision dieses Gesetzes führten.129 Durch die gemeinsame Resolution 108 des Kongresses wurde der Geist des Reorganization Act durch eine Politik der „Termination“ ersetzt.130 Erklärtes Ziel der Resolution war die endgültige Anpassung der Indianer an die weiße Mehrheitsbevölkerung und die Überführung aus dem Mündelstatus in den „vollwertiger“ amerikanischer Bürger. Dahinter stand die eigentliche Motivation, dass die Unterstützungsleistungen durch die Bundesregierung, die sich aus der Verantwortung als Treuhänder ergaben, eingestellt werden sollten. Durch Gesetz, das „Public Law 280“ von 1953,131 wurden auch mit rechtlicher Wirkung teilweise Bestimmungen des IRA revidiert und in der Folge weitere 61 Tribes vom offiziell anerkannten Status herausgenommen. Ferner wurden zunächst probeweise für fünf Bundesstaaten, was später auf alle ausgedehnt werden sollte, die Jurisdiktionshoheit in straf- und zivilrechtlichen Angelegenheiten, soweit sie der Bundesregierung zustand, auf die Einzelstaaten übertragen, die damit verfahren konnten, wie es ihnen beliebte.132

___________ 127

Clinton, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 77, 91 Fn. 43; Deloria/Wilkins, Tribes, treaties and constitutional tribulations, S. 94 f. 128 Zum Fall der Schwestern Dann und dem Shoshone-Gebiet vgl. unten Kap. 4 D. III. 129 Die zahlreichen Einflüsse und Kritiker, die zu einer allmählichen, aber recht schnellen Abkehr der Ziele des IRA führten, werden ausf. bei Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 153 ff. dargestellt. 130 H. Con. Res. 108, 3rd Cong., 1st Sess., 67 Stat. B132 (1953). 131 Act of Aug. 15, 1953, ch. 505, 67 Stat. 588 (1953), später in verschiedenen Gesetzen kodifiziert; relevante Auszüge abgedr. bei Champagne, Chronology, S. 520. 132 Zum Ganzen Dörr, in: FS Schiedermair, S. 927, 944 ff.; zur Vorgeschichte von P.L. 280 Jimenez/Song, 47 Am. U. L. Rev. [1998], 1627, 1656 ff.

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Die Beendigung des besonderen Status der Indian Nations oder auch die „Termination“ der Existenz der Indianer wurde abgestützt durch den Versuch der vollständigen Integration in die Mehrheitsgesellschaft. Dazu wurden Programme eingeführt, die eine „Umschulung“ vorsahen und einen Anreiz zur Übersiedlung in die Großstädte. Schulpflichtige Kinder wurden nun in außerhalb der Reservate liegende Internate eingeschrieben, in denen erschreckende Erziehungsmethoden herrschten, mit denen versucht wurde, das indianische Kulturgut auszulöschen.133 Auch die Indianer, die die Umsiedlungsprogramme in Anspruch nahmen, wurden entwurzelt und verloren ihre Identität zwischen dem Stadtleben und dem verlassenem Reservat.134 Dieses Phänomen führte letztlich zur städtischen Indianischen Bewegung, die eine Renaissance der Indianerkultur einläutete. 4. Die sog. „Self-Determination Era“ und die „Red Power“-Bewegung Die Politik der „Termination“ führte zu einer weiteren Verelendung der indianischen Bevölkerung, weshalb die Programme der schnellen Beendigung des Status als anerkannte Stämme schon ab 1958 eingestellt wurden. In den Wahlprogrammen der Bewerber Kennedy und Nixon fanden sich dann Anfang der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts Bekenntnisse zur endgültigen Abkehr von der Termination-Politik.135 Was während der Präsidentschaft Kennedys noch nicht umgesetzt, aber durch Aussetzung der entsprechenden Programme erreicht wurde, war unter Präsident Johnson und dann Nixon offiziell neue Politik.136 Sowohl die katastrophalen Auswirkungen der Termination als auch die Bürgerrechtsbewegung im Allgemeinen und das Wiedererstarken indianischen Widerstands gegen die Bundespolitik führten zu eindeutigen Bekenntnissen: Johnson gab 1968 eine „Special Message to the Congress of the Problems of the American Indian: ‚The Forgotten American‘“,137 Nixon nannte in einer Rede von 1970 die bisherige Behandlung der indigenen Bevölkerung „morally and legally unacceptable“ und prägte den Begriff der „self-determination“.138 ___________ 133

Besonders eindrücklich die Schilderung bei Crow Dog, Lakota Woman, S. 31 ff. Vgl. Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 169 f. 135 Vgl. Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 182 f. 136 Vgl. Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 154; Studien unter Nixon kehrten erstmals ausdrücklich zum „self-determination for Indians“ zurück, vgl. Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 185. 137 Ausschnitte bei Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 185. 138 H.R. Doc. No. 363, 91st Cong. 2d Sess. (1970). 134

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Die Abkehr von Public Law 280139 und die neuerliche Zuwendung zu stärkerer Selbstbestimmung fand ersten Ausdruck im „Indian Civil Rights Act“ von 1968.140 Dieser dehnte zwar eine modifizierte und verkürzte Fassung der verfassungsrechtlichen „Bill of rights“ (personal) nun auf die Indianer aus.141 Zugleich wurde die Geltung aber auch (territorial) für die Gebiete der indianischen Reservate eingeführt, weshalb zahlreiche Indianer das Gesetz ablehnten, weil es eine „further incursion upon their legal sovereignty“ sei.142 Deutlicher wurde die geänderte Haltung im vielleicht wichtigsten Gesetz zur Dokumentation dieser Phase.143 Der „Indian Self-Determination and Education Assistance Act“ (ISDA) von 1975144 gab ein Budget für das Training von Lehrern, die mit der Kindererziehung von Indianern beschäftigt sind, damit diese den Besonderheiten besser Rechnung würden tragen können. Ferner wurden spezielle Stipendien für indianische Studenten ausgeschrieben und die indianischen Gemeinschaften erhielten die Möglichkeit, selbst die Leitung der vom BIA eingerichteten Schulen zu übernehmen. Schließlich wurden zahlreiche Neubauten von Schulen errichtet. Im Jahre 1978 folgte eine ähnliches Gesetz für den Bereich der Religion. Durch den „American Indian Religious Freedom Act“145 sollten traditionelle indianische Religionspraktiken aufgewertet werden und der Gesetzgeber erhielt den Auftrag, Auswirkungen anderer Gesetze auf diesen Bereich zukünftig zu bedenken. Kritiker bemängeln jedoch, dass der beabsichtigte Schutz heiliger Stätten der Native Americans und die Betonung der spirituellen Bedeutung dieser Orte nicht erreicht wurde, obwohl zwischenzeitlich zahlreiche Verbesserungen am Gesetz vorgenommen worden sind, weil dieses nur selten umgesetzt werde.146 Auch im Sozialbereich wurden in den 1970er Jahren erhebliche Verbesserungen vorgenommen, so dass der „Indian Health Service“ eine deutlich bessere medizinische Versorgung der Reservatsbevölkerung gewährleisten konnte.147 Im „Indian Child Welfare Act“148 wurde die Re___________ 139 Dass noch heute eine legislative Klarstellung insgesamt erfolgen müsste, zeigen Jimenez/Song, 47 Am. U. L. Rev. [1998], 1627, 1691 ff. 140 82 Stat. 77 (1968), 25 U.S.C.A. sec. 1301 ff. 141 Vgl. Ferguson, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 275, 286 ff. Ausf. auch Burnett, 9 Harv. J. of Legislation [1972], 557 ff. 142 Reed Howard, 35 GYIL [1992], 105, 121. 143 So auch die Einschätzung von Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 201. 144 Act of Jan. 4, 1975, Pub. L. No. 96-638, 92 Stat. 3069, codified at 25 U.S.C.A. sec. 405 ff. 145 Joint Resolution, S.J. Res. 102, 95th Cong, 2d Sess, Pub. L. No. 95-341, 92 Stat. 469, codified in part at 42 USCA § 1996. 146 Archer, 5 J. Int’l. Legal Stud. [1999], 205, 223 f.; Atkinson, 23 Okla. City U. L. Rev. [1998], 379, 414 weist darauf hin, dass das Gesetz von Anbeginn auch von seinem Autor als „zahnlos“ betrachtet wurde; vgl. zum AIRFA noch unten Kap. 3 B. II. 4. 147 Zu diesem Bereich Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 195.

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gelung von kindesbezogenen Fragen den Indian Nations zurückübertragen, so dass insbesondere bei der Frage des Umgangs mit Waisenkinder zukünftig bevorzugt „innerindianische“ Lösungen gesucht werden sollen. Die bis heute andauernde Politik der erklärten Self-Determination ist nicht nur ein Ergebnis politischer Einsicht. Zu einem bedeutsamen Teil beruht sie auch auf dem Wiedererstarken indianischen Selbstbewusstseins, das mit der „Red Power“-Bewegung ab den sechziger Jahren öffentlichkeitswirksamen Ausdruck fand.149 Nicht zuletzt der dadurch bewirkte moralische und politische Druck durch entsprechende Berichterstattung in den Medien führte zu der beschriebenen Neubewertung der Indianerpolitik. Parallel zur Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts gab es eine Wiederentdeckung und seither ein reges Interesse an manchen kulturellen Aspekten der Indian Nations wie deren Geschichte, Kunsthandwerk und auch Literatur.150 Im Juni 1961 fand eine erste größere panindianische Versammlung von Repräsentanten von 67 Tribes in Chicago statt, bei der eine politische Agenda verabschiedet wurde.151 Im Sommer 1968 gründeten Dennis Banks, Clyde und Vernon Bellecourt, Russell Means, George Mitchell und andere, später als Juraprofessoren, Schauspieler und Autoren bekannt gewordene Indianer das „American Indian Movement“ (AIM), dessen erklärtes Ziel es war, mit spektakulären Aktionen die ursprünglichen Souveränitätsansprüche durchzusetzen. Die erste große Aktion war die Besetzung der Insel von Alcatraz in der Bucht von San Francisco am 20.11.1969. Dabei beriefen sich die Besetzer auf ein altes Gesetz, das vorsah, dass alles nicht genutzte Land in Bundeseigentum an die ursprünglichen Besitzer zurückfalle. Das nicht mehr genutzte Bundesgefängnis von Alcatraz vor der Kulisse der Stadt San Francisco und mit viel Unterstützung durch prominente weiße Amerikaner war aus Sicht der Aktivisten ein idealer Start. Zwar musste die Insel nach mehr als einem Jahr geräumt werden, aber der Druck auf Präsident Nixon war groß genug gewesen, dass seine Administration zugunsten der Indian Nations aktiv wurde. Da diese aber mit der Umsetzung der Zusagen unzufrieden waren, setzten sie ihre spektakulären Aktionen fort.152 1972 marschierten zahlreiche Indianer auf einem „Trail of broken Treaties“ quer durch die USA bis nach Washington, wo sie zwanzig Punkte vorlegten, deren Beachtung sie forderten.153 An dieser Demonstration nahmen nicht ___________ 148

Act. of Nov. 8, 1978, Pub. L. No. 95-608, 92 Stat. 3069, codified at §§ 1901-

1936. 149

Zum Begriff und den Aktivitäten vgl. Wilkins, 9 Kan. J. L. & Pub. Pol’y [2000], 732, 745 ff. 150 Watrin, Das Parlament Nr. 5 v. 27.01.2003, S. 14. 151 Vgl. Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 183 f. 152 Vgl. Torres, 16 Yale J. Int’l. L. [1991], 127, 152. 153 Diese finden sich z.B. bei Deloria, in: Die Welt der Indianer, S. 384, 438 f.

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nur AIM-Aktivisten, sondern vor allem auch viele traditionelle Stammesführer teil, die die korrupten Stammesregierungen anklagten. Insbesondere die Stammesregierung von Richard Wilson hatte im Pine Ridge-Reservat der Sioux mit der Unterstützung des FBI mit brutalen Mitteln die Aktivitäten der AIM und ihrer Unterstützer unterbunden und zahlreiche ungeklärte Mordfälle nicht verfolgt.154 Die Zustände auf diesem Reservat wurden als einem Bürgerkrieg entsprechend beschrieben.155 Sie führten 1973 zur „Besetzung“ des Ortes des Massakers von „Wounded Knee“. Für viele Indianer Amerikas ist dies noch heute ein Wendepunkt als ein Tag, an dem sich die indianischen Völker gegen ihre drohende Versenkung erhoben.156 Der massive Aufmarsch von Militär, Polizei und FBI, die mit gepanzerten Fahrzeugen die leicht oder unbewaffneten Besetzer der Kirche von Wounded Knee umstellten,157 wirkte vor der Weltöffentlichkeit zugunsten der Indianer. Bedauerlich bleibt, dass auch 30 Jahre nach diesem neuerlichen Aufflackern indianischen Selbstbewusstseins an symbolträchtigem Ort das Pine Ridge-Reservat weiterhin zu den ärmsten Gebieten aller Reservate und damit der ganzen USA gehört.158 Mit der zunehmenden Aktivität der Indianer in den USA stieg auch das bereits beschriebene Interesse an der internationalen Bühne. Bemerkenswert war dabei – außerhalb der politischen Arbeit bei der UN – die symbolische Aktion eines indianischen Häuptlings, der nach der Landung des von ihm benutzten Flugzeugs in Italien ausstieg, seinen Speer in den Boden rammte und Anspruch auf dieses Territorium im Namen indianischer Nationen erhob.159 Als letztes Beispiel einer Aktion in den USA soll „The Longest Walk“ von Alcatraz bis nach Washington von 1978 zum Protest gegen neue Gesetzesentwürfe genannt werden, die eine neuerliche „Termination“ bedeutet hätten. An diesem Marsch zeigt sich, dass der indianische Widerstand und das ungewöhnliche Lobbying auf der politischen Bühne erfolgreich sein kann, dass aber die offizielle Politik der self-determination auch nie gegen politische Stimmungswechsel gefeit ist.160 Auch ist zu bedenken, dass die erschreckende Behandlung der indianischen Bevölkerung z.B. in den Indianerschulen noch bis vor wenigen Jahrzehnten üblich war. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu einem Drittel der Indianerkinder der jetzigen Erwachsenen-Generation zeitweise von ___________ 154 Vgl. die Schilderung und Auflistung der Ereignisse bei Biegert, Indianerschulen, S. 58 ff.; Lame Deer/Erdoes, Tahca Ushte, S. 10. 155 Dazu auch Deloria, in: Die Welt der Indianer, S. 384, 432 f. 156 Vgl. Braune, FR v. 27.02.1998, S. 36. 157 Vgl. Reed Howard, 35 GYIL [1992], 105, 122 f., v.a. Fn. 76 m.w.N. 158 Maier, WK v. 24.02.1998, S. 12; Atkinson, 23 Okla. City U. L. Rev. [1998], 379, 420 f. 159 Vgl. die Schilderung bei Watrin, Das Parlament Nr. 5 v. 27.01.2003, S. 14. 160 Dazu Reed Howard, 35 GYIL [1992], 105, 149.

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ihren Eltern weggenommen wurden, es gibt Untersuchungen zu Zwangssterilisierungen und Medikamentenverabreichung zu Testzwecken an Indianern mit geistigen Behinderungen und ähnliche Berichte.161 Ferner zeigen auch Gesetzesvorhaben, dass die indianische Selbstbestimmung häufig im Detail nicht anerkannt wird. So wurde eine Bundesaufsicht über die eigentlich den Indianern zugeteilte Regelung des Jagdwesens in den Reservaten eingerichtet, weil offenkundig ein Misstrauen über die Effektivität der Selbstregelung durch die indianischen Gemeinschaften besteht. Die noch immer herrschende „Plenary Power-Doctrine“, auf die unten noch eingegangen wird, bedingt ohnehin, dass der Kongress alle Gesetze zugunsten der Indianer wieder aufheben kann, solange er nicht eindeutig gegen deren Interesse handelt.162 Lediglich die Einführung des sog. „Tribal Self-Governance“-Programms durch ein entsprechendes Gesetz scheint nunmehr die dauerhafte Regelung der Beziehungen zu – bestimmten – Indianerstämmen auf der Basis der Selbstregierung erreichen zu wollen.163

III. Leben als Indianer heute 1. Rolle der Legislative und Exekutive a) Allgemeines Der wesentlich durch die Rechtsprechung des Supreme Court vorgegebene Status der Indianer in der heutigen USA, auf den deshalb unten detailliert einzugehen sein wird, ist in einer unüberschaubaren Vielzahl von Gesetzen kodifiziert. Auf diese soll hier im Einzelnen nicht eingegangen werden, weil es sich um ein komplexes inneramerikanisches Rechtsgebiet handelt, dessen wichtigste Aspekte in der geschichtlichen Darstellung bereits erwähnt worden sind. Festgehalten werden muss aber, dass die Umsetzung der vom Supreme Court geforderten Ansprüche der Indianer durch die Exekutive früher häufig ignoriert wurde, in den letzten Jahrzehnten aber eine zunehmende Öffnung gegenüber den wirklichen indianischen Interessen feststellbar ist. Ähnliches gilt für die Legislative, die noch heute nach dem Verständnis des Supreme Court extensive ___________ 161

Vgl. dazu Williams, Duke L. J. 1990, 660, 692 Fn. 113; Biegert, Indianerschulen, S. 162 ff.; Crow Dog, Ohitika Woman, S. 246 f. Gegen die Zwangssterisilierungsvorwürfe vgl. Hinweise bei Commission on Security and Cooperation in Europe, Fulfilling our Promises, S. 158 f. 162 Vgl. hier schon Reed Howard, 35 GYIL [1992], 105, 121. Zum Konzept allg. McSloy, 20 N.Y.U. Rev. L. & Soc. Change [1993], 217, 244 ff. 163 Tribal Self-Governance Demonstration Act, PL 100-472; vgl. dazu ausf. Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 158 ff. und unten Kap. 4 C. I. 2. c).

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Befugnisse zur Bestimmung des Status der indigenen Bevölkerung hat. Viele vermeintlich im Sinne der Indianer erlassenen Gesetze dienten in Wahrheit der Assimilation und Marginalisierung der indianischen Bevölkerung, wie oben dargestellt worden ist. Wesentlich dazu beigetragen hat, weshalb es noch heute stark kritisiert wird, das für die Indianerangelegenheiten zuständige „Bureau of Indian Affairs“ (BIA) der Bundesregierung. b) Das „Bureau of Indian Affairs“ Dieses geht zurück auf die Zuordnung der indianischen Angelegenheiten auf der Bundesebene an das „Departement of War“. Zunächst wurde 1832 ein „Commissioner of Indian Affairs“ eingeführt, der unter der Leitung des „Secretary of War“, also im Kriegsministerium angesiedelt war und die gesamten Angelegenheiten im Umgang mit den Indianern regeln sollte.164 1834 wurde dann neben dem Trade and Intercourse Act ein Gesetz verabschiedet, das die Einrichtung eines „Departement of Indian Affairs“ im Kriegsministerium vorsah.165 Diese Abteilung wurde 1849 auf das neu geschaffene „Department of the Interior“ übertragen, in dessen Zuständigkeitsbereich es bis heute verblieben ist. Schon früh versuchte das Bureau of Indian Affairs Parallelstrukturen zu den vorhandenen indianischen Organisationen auf den Reservaten z.B. durch eigene Polizeikräfte oder eigene Gerichtssysteme einzurichten. Diese dienten dem Ziel, die traditionellen Häuptlinge und Gruppierungen zu entmachten.166 Auch die Überwachung der sog. Agenten auf den indianischen Reservaten, die als Bindeglied und Verwalter der Unterstützungsleistungen fungierten, war nicht nur mangelhaft, sondern häufig von gegenseitiger Korruption gekennzeichnet.167 Das BIA war über lange Zeit die einzige Einheit auf der Bundesebene, in der Entscheidungen bezüglich der Indianer fielen. Dadurch vermischten sich im BIA legislative und exekutive Kompetenzen. Spätestens mit einer Umorganisation nach dem Zweiten Weltkrieg war die Abteilung nicht mehr nur primär als Verwalterin von Geldern in Umsetzung von Vertragsbestimmungen tätig, sondern erhielt die Kompetenz vom Innenminister über den Commissioner of Indian Affairs maßgebliche Entscheidungen auf eine niedrige Ebene zu delegieren. Dies führte in der Folge zu großen zeitlichen Verzögerungen und der feh___________ 164 Act of July 9, 1832, ch. 174, § 1, 4 Stat. 564, codified as amended at 25 USC § 1. Vgl. dazu Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 117. 165 Act of June 30, 1834,ch. 162, 4 Stat. 735. 166 Vgl. Clinton, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 77, 135. 167 Vgl. West, in: The Right of Self-Determination, S. 67, 77.

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lenden direkten Verantwortlichkeit von Einzelpersonen.168 Die Auswirkungen dieser Periode sind oben beschrieben worden. Ein weiterer Kritikpunkt an der Einrichtung des BIA sind neben der Ineffizienz vor allem die sehr hohen administrativen Kosten, die von den Geldern aus Unterstützungsleistungen an die Indianer abgezogen werden. Daher ist das BIA als Relikt aus der kolonialen Zeit bezeichnet worden, das vollständig neu konzipiert werden sollte.169 Die anhaltende Kritik gegen das BIA führte dazu, dass seit den 1970er Jahren hauptsächlich von den Programmen betroffene Indianer in der Behörde Anstellung finden170 und in jüngster Zeit haben sich leitende Personen des BIA zur Rolle der Einrichtung bei der Unterdrückung und Ausbeutung der Indianer bekannt und eine formale Entschuldigung ausgesprochen.171 Auch lautet die offizielle Politik der Behörde, dass das Ziel sei, den Tribes die Verwaltung ihrer eigenen Reservate zu ermöglichen.172 Gegen das BIA wurde schon früh wegen Korruption ermittelt und im Jahre 1987 stellte gar der Kongress in einer Untersuchung die Zustände als korrupt, betrügerisch und von Inkompetenz gekennzeichnet dar.173 Auch ein Jahrzehnt danach war nicht aufgeklärt, was mit den schätzungsweise 2,5 Mrd. $ Geldern von Tribes und individuellen Indianern, die das BIA verwaltet hatte und für die es keine Verwendungsangabe gibt, geschehen ist.174 Diese Veruntreuung von Geldern ist auch Gegenstand einer Sammelklage, eingereicht von Elouise Cobell 1996 und mittlerweile unterstützt von mehreren hunderttausend Indianern als Mitkläger, mit der diese eine Entschädigung für verlorene Gelder erreichen wollen. Der Fall Cobell v Norton bzw. später Cobell v Kempthorne läuft seit 1996 und hat in verschiedenen Etappen deutliche Kritik von Seiten des Gerichts am Verhalten des Innenministeriums gebracht.175 So stellte der ___________ 168 Zum Ganzen Deloria/Wilkins, Tribes, treaties and constitutional tribulations, S. 40 f. 169 Vgl. z.B. Wiessner, 7 St. Thomas L. Rev [1995], 567, 588. 170 Zur Zulässigkeit der entsprechenden Vorzugsprogramme für Indianer vgl. Morton v. Mancari, 417 U.S. 535 (1974); nach BIA (Hrsg.), American Indians Today, handelt es sich um 87 Prozent. 171 Vgl. die Ausführungen von Gover, 25 Am. Indian L. Rev. [2001], 161 ff., v.a. 162: „I extend this formal apology to Indian people for the historical conduct of this agency“. 172 BIA (Hrsg.), American Indians Today. 173 Wilkins, American Indian Sovereignty, S. 236. 174 West, in: The Right of Self-Determination, S. 67, 78 Fn. 367; vgl. ferner dazu Sager, 76 U. Det. Mercy L. Rev. [1999], 745, 783; Atkinson, 23 Okla. City U. L. Rev. [1998], 379, 424 ff. 175 Vgl. etwa Cobell v. Norton, 240 F.3d 1081, 1087 (D.C. Cir. 2001); das daraufhin wieder mit der Sache beschäftigte unterinstanzliche Gericht in Cobell v. Norton, 283 F. Supp.2d 66 (D.D.C. 2003); vgl. zum Ganzen auch Anmerkungen im Staatenbericht an

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später wegen vermeintlichen Verlusts von Objektivität ersetzte Richter Lamberth einen „contempt of court“ beim Finanz- und Innenminister sowie den Behördenmitarbeitern fest, weil diese den Anordnungen des Gerichts zur Aufklärung des Sachverhalts beizutragen nicht Folge leisteten. Ein vom Gericht eingesetzter Sonderermittler deckte umfangreiche Fehler auf, seine Arbeit blieb aber unvollständig.176 Erst 2008 konnte die Website des BIA wieder online gehen, da Richter Lamberth in einem Zwischenurteil 2001 wegen Sicherheitsmängel im Zusammenhang mit Entschädigungsansprüchen aus dem Individual Indian Trust zuerst einen effektiven Datenschutz und Systemsicherheit verlangte.177 Die Bush-Adminstration äusserte im Frühjahr 2007 eine Bereitschaft, sämtliche offenen Indianerforderungen – u.a. aus der genannten Sammelklage – mit einer Summe von 7 Milliarden US Dollar beizulegen, jedoch gehen die Kläger selbst von einer Grössenordnung von ca. 50 Milliarden US Dollar nur für die Sache Cobell aus. Im August 2008 hat der für den Fall neu zuständige Richter eine Summe von 455 Millionen US Dollar vorgesehen und zugleich den individuellen Anspruch für die Frühzeit des Trusts angezweifelt, weshalb die Kläger dagegen Berufung eingelegt haben.178 Unabhängig von den deutlichen Hinweisen über den problematischen Umgang der Behörde mit den für die Indianer zugedachten Finanzen, ist sie weiterhin, außer in den zur Eigenverwaltung an bestimmte Tribes abgetretenen Bereichen im Rahmen des Self-Governance-Programms, für die Durchführung der wichtigsten Leistungsprogramme für die Indianer wie z.B. Programme im Erziehungswesen, für soziale Dienstleistungen, für Programme zum Hausbau und zur Stadtentwicklung, zur Förderung lokaler Verwaltung, wirtschaftliche Entwicklung und Ressourcennutzung sowie der Betreuung indianischer Rechtssysteme zuständig.179 Jedoch wurde im Rahmen verschiedener Gesetze seit den 1970er Jahren die Mitverantwortung der Tribes bei der Verwendung der Gelder gestärkt. Insoweit sind Tribes, die sich an diesen Programmen selbstverwaltend beteiligen, gewissermaßen zu einem Teil der Bundesexekutive geworden.180 ___________ den Menschenrechtsausschuss HRC, Report by the United States of America 2005, Rdnr. 11 ff. 176 Dazu Meldung in NZZ Nr. 85 v. 13.04.2004, S. 9. 177 Vgl. dazu Stellungnahme unter www.doi.gov/bia sowie den Gerichtsbeschluss unter www.doi.gov/bia/docs/internet%20reconnect%20order.pdf. 178 Dazu Woodruff, Voice of the Voiceless, The Tributary v. 12.11.2008; Beschluss abrufbar unter www.usdoj.gov/civil/cases/cobell/docs/pdf/08042008_courtmemocert. pdf; der aktuelle Stand des Verfahrens ist auch jeweils über www.indiantrust.com bzw. die entsprechende Seite beim Justizministerium (www.usdoj.gov/civil/cases/cobell/) einzusehen. 179 Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 673 ff. 180 So jedenfalls Deloria/Wilkins, Tribes, treaties and constitutional tribulations, S. 41.

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2. Volks- und Staatsangehörigkeit der Indianer Der rechtliche Status eines „Indianers“ ist ohnehin bereits kompliziert, er folgt aber wesentlich auch aus der Frage, ob es sich um einen „Indianer“ im Sinne der Gesetze handelt. Daher ist kurz auf die Frage einzugehen, welche Indianer-„Stämme“ überhaupt dem Federal Indian Law unterfallen und wie sich die Zugehörigkeit eines Individuums zu diesen oder den übrigen indianischen Gemeinschaften auf seinen Status auswirkt. Dabei ist zu bedenken, dass die gesetzliche Einordnung als anerkannter indianischer Stamm mit der ethnologischen nicht übereinstimmen muss.181 Vielmehr gilt: „In dealing with Indians, the federal government is dealing with members or descendants of political entities, that is, Indian tribes, not with persons of a particular race.“182

a) „Federally Recognized Tribes“ Die Bundesregierung hat ein System entwickelt, nach dem sich indianische Gemeinschaften um eine offizielle „Anerkennung“ als solche bemühen können.183 Wenn sie nach einer entsprechenden Prüfung als solche anerkannt worden sind, unterfallen sie der Betreuung durch das BIA und sind vor allem auch Nutznießer der entsprechenden Bundesprogramme und -finanzhilfen in durchaus beträchtlichem Umfang.184 Diese Form der Anerkennung ist vehement kritisiert worden:185 „The most poignant illustration of cultural contradiction today is the battle over ‚federal acknowledgment’ of Indian tribes. The entire premise of this federal policy should make Indians suspicious: that an Indian tribe is genuine, and accordingly entitled to self-government, only if a panel of federal anthropologists and historians certify that it is sufficiently Indian. The power to define what constitutes ‚Indian culture’ would be the ultimate achievement of arrogant colonialism, if Indian tribes accepted it. The sad truth is that many tribes welcome this program and even have

___________ 181

Frickey, 59 ZaöRV [1999], 383, 385. Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 19. Vgl. ähnlich Morton v. Mancari, 417 U.S. 535, 551 ff. (1974). 183 Vgl. dazu Thornton, American Indian Holocaust and Survival, S. 196. 184 Peyer, in: Länderbericht USA, S. 361, 370: das Budget für staatliche Programme summiert sich auf etwa 1 Mrd. $ jährlich; vgl. auch die Zahlen aus der „census“Erhebung, die Grundlage für die territoriale Aufteilung der staatlichen Unterstützungsprogramme sind, Ogunwole, Census 2000, S. 10; Brownell, 34 U. Mich. J. L. Ref. [2000/01], 275, 275 f. 185 Vgl. z.B. Brownell, 34 U. Mich. J. L. Ref. [2000/01], 275, 301 ff. („Who’s In and Who’s Out?“). 182

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gone to Congress and the courts to defend it, because they see it as a way of rationing limited resources such as federal aid and fishing rights.“186

Nichtsdestotrotz ist sie die Vorgabe für die Einordnung der indianischen Gemeinschaften. So gibt es 562 dermaßen anerkannte „federally recognized tribes“ in den USA, wobei über 225 davon „Alaska Native Villages“ sind, also indianische Gemeinschaften der Inuit und Aleuten, die in Alaska beheimatet sind und dort stark untergliedert werden.187 Zu bedenken ist, dass diese Vielzahl indianischer Tribes oder auch Nations alle unterschiedliche politische Beziehungen mit den USA hatten und daher schon sehr unterschiedliche Ausgangspositionen vorliegen. Dennoch ist die politische Verbindung Anknüpfungspunkt für das BIA bei der Festlegung der anzuerkennenden „Tribes“. Unter diesen Begriff fallen dann nach der amerikanischen Terminologie „tribal nations, bands, villages, communities, and pueblos“ sowie die „Alaska Natives“.188 Eine weitere indigene Bevölkerungsgruppe, die einem ganz eigenen Rechtsstatus unterliegt sind die „Native Hawaiians“, die auch bei Bevölkerungsstatistiken gesondert aufgeführt werden.189 Neben diesen gibt es außerdem die indianischen Gemeinschaften, die durch die Einzelstaaten als solche anerkannt worden sind und einige Dutzend Gemeinschaften, deren Anerkennungsantrag ie in den letzten Jahren eingegangen, aber noch nicht bearbeitet ist sowie etwa 250 Gruppen, die die Absicht zur Vorlage eines Anerkennungsantrags angemeldet haben.190 b) Zugehörigkeit individueller Indianer Der einzelne Indianer ist einerseits seinem Volk im Sinne des oben genannten „federally acknowledged tribe“ zugehörig und kann sich als solcher eintragen („enrolled Indian“). Andererseits ist aber – wie bereits erwähnt – durch den ___________ 186 Barsh, 26 U. Mich. J. L. Ref. [1993], 277, 300 f.; Thornton, American Indian Holocaust and Survival, S. 189 weist darauf hin, dass in einem Regierungsbericht von 1892 die Frage „What is an Indian“ und nicht „Who is an Indian“ gestellt wurde, was über die Haltung vieles aussage. 187 Frickey, 59 ZaöRV [1999], 383; eine Liste aller in dieser Weise anerkannten Indian Nations wird jährlich im Federal Register gelistet, die Fassung vom April 2008 findet sich unter www.doi.gov/bia/docs/ofa/FR_notices/FR_73-18553_Fed_Rec_Ind_Tribes_ 04-04-2008.pdf; die Antragsteller auf Anerkennung unter www.doi.gov/bia/docs/ ofa/admin_docs/num_petitioners_state_092208.pdf sowie eine Übersicht von September 2008 mit erledigten Anträgen unter www.doi.gov/bia/docs/ofa/admin_docs/Status_ Summary_092208.pdf. 188 Wilkins, American Indian Sovereignty, S. 1 f. 189 Vgl. Ogunwole, Census 2000, S. 1; Frickey, 59 ZaöRV [1999], 383. 190 Wilkins, American Indian Sovereignty, S. 2; neueste Zahlen beim Office of Federal Acknowledgment beim BIA, vgl. Fn. 187.

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Citizenship Act von 1924 jeder Indianer zugleich Staatsangehöriger der Vereinigten Staaten – und damit auch des jeweiligen Bundesstaates, in dem er niedergelassen ist – geworden. Insoweit liegt eine Art geteilte, duale Zugehörigkeit vor, die zu komplizierten Folgen führen kann.191 So kann beispielsweise ein Konflikt entstehen, wenn sich ein Indianer auf seine Grundrechte aus der Verfassung als amerikanischer Bürger beruft und damit gegen die Möglichkeit der Indian Tribes, die Volkszugehörigkeit nach eigenen Regeln festzulegen, vorgehen möchte. Diese Konstellation musste vom Supreme Court im „Santa Clara Pueblo v. Martinez“-Urteil entschieden werden, auf das in Kap. 3 C. II. 3. a) eingegangen wird.192 Interessanterweise empfinden noch heute viele Indianer ihre Volkszugehörigkeit zugleich als ihre Staatsangehörigkeit, weshalb mitunter auch auf internationalen Reisen Indianer mit selbst ausgestellten Reisepässen ihres Tribes unterwegs sind.193 Außerdem identifizieren sich Indianer in den USA meist zunächst nach dem Tribe, dem sie angehörigen, und dann erst als „American Indian“.194 Für die Umsetzung von Selbstbestimmungsforderungen ist es, wie bereits oben theoretisch erläutert, von zentraler Bedeutung für die betroffenen Indianer, dass sie im Wege der Selbstidentifikation ihre Zugehörigkeit bestimmen können und den Tribes die Kompetenz zur Festlegung von Mitgliedschaftskriterien verbleibt, wenngleich dies zu unterschiedlichen Anforderungen für die Zugehörigkeit zu den unterschiedlichen indigenen Gemeinschaften führt.195 Die Zugehörigkeit zu einem Tribe richtet sich heute in den meisten Fällen nach den Regeln der Stammesverfassungen. Soweit diese vorhanden sind, legen sie die Mitgliedschaft nach einem bestimmten Blutsanteil, dem sog. „blood test“, fest.196 Andere Kriterien sind Abstammungsnachweise, die bisherige Eintragung in andere indianische Tribes oder der Niederlassungsstatus auf dem Reservat.197 Die meisten Tribes haben bestimmte Organe, die über Mitgliedschaftsanträge entscheiden. Aus den eingetragenen Mitgliedern eines Tribes ergibt sich der sog. „tribal roll“, der als Berechnungsgrundlage für manche Un___________ 191

Frickey, 59 ZaöRV [1999], 383, 397. Weitere Rspr.-Nachweise bei Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 22 Fn. 21 ff. 193 Vgl. z.B. Schilderung bei Kingsbury, 92 AJIL 414 [1998], 447. 194 Thornton, American Indian Holocaust and Survival, S. 187; diese bestätigen auch die Zahlen aus dem „census“ von 2000, vgl. bei Ogunwole, Census 2000, S. 8. 195 So auch Brownell, 34 U. Mich. J. L. Ref. [2000/01], 275, 320, die auf S. 319 einen eigenen, weiten Definitionsvorschlag bringt. 196 Thornton, American Indian Holocaust and Survival, S. 190. 197 Brownell, 34 U. Mich. J. L. Ref. [2000/01], 275, 305 f. Zu sich daraus ergebenden Problemen, wenn sog. „White Indians“ ohne nennenswerten „indianischen Blutsanteil“ versuchen, in den Genuss der für die Indianer vorgesehenen Rechte und Mittel zu kommen, Werther, Self-Determination in Western Democracies, S. 12. 192

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terstützungsprogramme entscheidend ist.198 Andere Gesetze beziehen sich jedoch für die Definition der anspruchsberechtigten Indianer nicht auf die Zugehörigkeit zu einem Tribe, sondern legen eigene Blutanteile fest, die üblicherweise bei Bundesgesetzen früher bei ½, später meist bei ¼ indianischem Blut lagen.199 Dagegen bewegen sich die vorgeschriebenen Anteile für die Eintragung aus Sicht der Indianerstämme zwischen 1/32 und ½.200 Die unterschiedlichen Ansätze zur Definition des „Indian“, die sich nach dem jeweiligen Gesetz richten und häufig mit den Regelungen der Tribes im Konflikt stehen, führen zu der kuriosen Situation, dass beispielsweise ein nach Stammesrecht zum Häuptling fähiger Indianer keiner im Sinne des BIA ist oder anspruchsberechtigt für eine Sozialleistung nach einem Gesetz, nicht aber für ein Stipendium nach einem anderen.201 Aus den Zugehörigkeitskriterien und dem Anspruch auf Bundesgelder entwickeln sich aber auch Konflikte innerhalb der Stammesgemeinschaften. So war lange Zeit unumstritten, dass ein gewisser Anteil der Seminole Nation in Oklahoma zu einem Teil von den Sklaven abstammt. Im Jahr 2000 versuchten die sog. „full blood“-Seminolen die Zugehörigkeitskriterien zum Stamm zu verschärfen, als es um die Zuteilung von Geldern aus einer Entschädigungszahlung ging, um den Anspruch dieser Gruppe auszuschließen.202 3. Sozialdaten a) Bevölkerung aa) Entwicklung der Bevölkerungszahl Zur Zeit der Besiedlung der heutigen USA durch die europäischen Expansionsstaaten lebten mehrere Millionen Indigene in Amerika, und noch heute ist die Gesamtzahl dieser auf dem amerikanischen Kontinent wohl unter der Zahl ___________ 198

Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 22; Thornton, American Indian Holocaust and Survival, S. 190; ausf. Brownell, 34 U. Mich. J. L. Ref. [2000/01], 275, 279 ff. 199 Überblick über die Gesetze bei Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 23 ff.; Frickey, 59 ZaöRV [1999], 383, 385; Peyer, in: Länderbericht USA, S. 361, 369; i. Erg. als zulässig erachtet in Morton v. Mancari, 417 U.S. 535, 555 (1974). 200 Die Ausgestaltung des „blood tests“ zeigt an konkreten Beispielen Zion, 2 Law & Anthropology [1987], 195, 198 ff. 201 Vgl. die Beispiele bei Brownell, 34 U. Mich. J. L. Ref. [2000/01], 275, 277, der auf S. 288 ff. kritisiert, dass das BIA die erforderlichen Werte jeweils danach verändert habe, dass im Ergebnis weniger Anspruchsberechtigte übrig blieben. 202 Zu diesem Konflikt Glaberson, NYT v. 29.01.2001; andere Beispiele bei Brownell, 34 U. Mich. J. L. Ref. [2000/01], 275, 311; Meldung, NZZ Nr. 8 v. 11.01.2001, S. 6.

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von damals, wenngleich sich die Situation in den USA selbst, sofern das angesichts solcher Zahlendimensionen gesagt werden kann, weniger gravierend als in Südamerika darstellt.203 Die dramatische Bevölkerungsabnahme der Indianer – auch als „demographic collapse“ bezeichnet204 –, die sich auf mehr als eine Million Personen pro Jahrhundert summierte, hatte zahlreiche Gründe. Am nachhaltigsten wirkten sich nicht etwa die kriegerischen Auseinandersetzungen mit den weißen Ankömmlingen aus, sondern vielmehr die von diesen eingeschleppten Krankheiten und Seuchen wie die Windpocken, was in zahlreichen Studien nachgewiesen worden ist.205 Die schon 1520 aufgetretenen Epidemien wiederholten sich in der indianischen Bevölkerung stets wieder und führten bis in das 20. Jahrhundert auch wegen der dafür nicht eingestellten indianischen medizinischen Heilkunst zu gravierenden Bevölkerungsverlusten.206 Der sich später stark verbreitende Alkoholismus ist noch heute ein wichtiger Mortalitätsfaktor. Doch auch die Folgen der Umsiedlungen, die häufig genozidalen Massaker an einzelnen Tribes and Nations und die Auswirkungen der Kriege mehr als deren direkte Verluste führten zu einer stetigen signifikanten Abnahme der indianischen Bevölkerung.207 Seit dem Tiefstand der Bevölkerungszahl von Indianern in den USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts von ca. 250 000 Indianern, können heute wieder über 4 Millionen Personen gezählt werden, die sich zumindest auch als Indianer sehen.208 Möglich wurde dies durch eine als „Identitätsmigration“ zu umschreibende Entwicklung, die der Bevölkerung der USA die Selbstzuordnung zu ethnischen Gruppen wieder ermöglicht. So sind indianische Abstammungen heute wieder Grund für bereits aus der Kultur und Lebensweise der Indianer wegentwickelte „Mainstream“-Amerikaner sich wieder dem Indigenen zuzuwenden.209 Wenngleich die Arbeit mit statistischen Angaben bezüglich der indigenen Bevölkerung in den USA mit einer kritischen Distanz vorgenommen werden muss, weil die freiwillige Angabe der „rassischen Zugehörigkeit“ Grundlage ___________ 203

Thornton, American Indian Holocaust and Survival, S. 42. Thornton, American Indian Holocaust and Survival, S. 90. 205 Ausführlich dargestellt bei Thornton, American Indian Holocaust and Survival, S. 44 ff. 206 Daher wurde auch schon vorgeschlagen, die Eroberung des amerikanischen Kontinents als zunächst „medical conquest“ zu bezeichnen, vgl. Thornton, American Indian Holocaust and Survival, S. 47. 207 Thornton, American Indian Holocaust and Survival, S. 48 ff. 208 Ogunwole, Census 2000, S. 1 209 Vgl. dazu Kramer, NZZ Nr. 19 v. 24.01.2003, S. 34. Dabei wird darauf hingewiesen, dass der Anteil der indianischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung der USA um ein Vielfaches schneller angestiegen ist, als dies biologisch möglich wäre und wenn sich dies wie bislang fortsetzte, innerhalb von 100 Jahren die Indianer wieder die Mehrheitsbevölkerung wären. 204

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der Erhebung ist und damit sowohl (lediglich) „Überzeugungs“-Indianer mitgezählt werden wie auch diejenigen in den Zahlen fehlen, die aus Angst vor Diskriminierung ihre indianische Zugehörigkeit verschwiegen haben.210 Die „offizielle Zahl“ der Indianerbevölkerung ergibt sich aus den alle zehn Jahre stattfindenden „census“ genannten Erhebungen in den USA. Diese wurde erstmals 1790 durchgeführt und ab 1860 wurden in je unterschiedlicher Form auch die indigene Bevölkerung berücksichtigt. Die ungefähren Zahlen lauten demnach für die Jahre 1950 360 000, 1960 525 000, 1970 800 000, 1980 1,4 Mio. und 1990 1,96 Mio.211 In der letzten Zählung kamen noch 200 000 hawaiianische Indigene hinzu. Von den 1990 erfassten Tribes hatten 116 mehr als 1000 eingetragene Mitglieder, die größten waren die Cherokee mit etwa 300 000 und die Navajo mit über 200 000 Mitgliedern.212 Von den Gesamtzahlen sind die für das BIA relevanten Zahlen zu unterscheiden, weil insoweit nur Mitglieder der „federally recognized Tribes“ aufgeführt werden, die nur etwa die Hälfte aller nach dem „census“ ermittelten Indianer ausmachen. Besonders deutlich wird dies in der jüngsten Erhebung aus dem Jahr 2000, die mit den früheren Erhebungen direkt nicht vergleichbar ist, weil die Selbstidentifikation als „American Indian or Alaska Native“ eine mögliche Kategorie war, die aber mit weiteren „Rassenkategorien“ wie „White“ oder „Black, African Am., or Negro“ oder anderen kombiniert werden konnte.213 bb) Die Erhebung aus dem Jahr 2000 Aus der Möglichkeit mehrere Zugehörigkeiten anzukreuzen, ergibt sich damit ein doppeltes Bild der Indianerbevölkerung, das hier genauer dargestellt werden soll. Es kann demnach unterschieden werden zwischen der „NurIndianer“- und der „Auch-Indianer“-Gruppe. Ferner wurde 2000 erstmals die Zugehörigkeit zu einem oder mehreren Tribes genauer erhoben, so dass sich ein differenziertes Bild zeichnen lässt.214 Andererseits ist eben die neue Zählweise Grund für den deutlichen Anstieg der sich zumindest auch indianisch fühlenden Bevölkerung – die nur-indianische Bevölkerung stieg um 26 Prozent, die auch-indianische aber um 110 Prozent gegenüber einer um 13 Prozent ___________ 210 Thornton, American Indian Holocaust and Survival, S. 222 ff. weist auf die dadurch bedingten Schwierigkeiten und die mangelnde direkte Vergleichbarkeit der einzelnen Erhebungen hin. 211 Frühe Zahlenangaben bei Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 114; vgl. auch Clinton, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 77, 78 f. 212 Frickey, 59 ZaöRV [1999], 383. 213 Vgl. Fragebogenauszug bei Ogunwole, Census 2000, S. 1. 214 Dazu Ogunwole, Census 2000, S. 2. Zu den Zahlen auch www.census.gov/ population/www/socdemo/race/indian.html.

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höheren Gesamtbevölkerung215 – und die fehlende direkte Vergleichbarkeit mit den früheren Zahlen.216 Das Gesamtergebnis erbrachte jedenfalls bei einer Bevölkerungszahl von 281 Mio. US-Amerikanern 4,1 Mio. Auch-Indianer („American Indian and Alaska Native“), was einem Anteil von 1,5 Prozent entspricht, wovon sich 2,5 Mio. oder insgesamt 0,9 Prozent als Nur-Indianer sehen.217 Knapp 80 Prozent der Nur-Indianer gaben bei der Befragung die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Tribe an. Demnach sind weiterhin die Cherokee und Navajo mit knapp unter 300 000 und auch die Choctaw, Sioux und Chippewa Gemeinschaften mit über 100 000 Mitgliedern. Auch leben eine ähnlich große Zahl sich mittel- und südamerikanischen Stämmen zugehörig fühlende Indianer in den USA. Diese sechs großen Gruppierungen machen 40 Prozent der gesamten indianischen Bevölkerung aus. Interessant ist der Blick auf die Zahlen für Nur- und Auch-Indianer. So fühlen sich etwa 280 000 Personen als NurCherokee, aber knapp 450 00 als Auch-Cherokee.218 Die Navajo hingegen haben knapp 270 000 Nur-Indianer und lediglich knapp 30 000 weitere AuchNavajo, was für einen viel höheren Erhalt der ursprünglichen Strukturen spricht, der sich auch in der Bevölkerungskonzentration auf deren Reservat widerspiegelt.219 Zum Blackfeet-Tribe fühlen sich insgesamt 68 Prozent der Mitglieder als Auch-Blackfeet zugehörig, womit dieser Tribe den höchsten Anteil an Mehrfach-Nennungen hat. Nur der Vollständigkeit halber soll da rauf hingewiesen werden, dass die Zugehörigkeit zu einem Tribe in keinem Fall ein sog. „full blood“-Kriterium erfordert, was heute ohnehin nicht mehr praktikabel wäre, da es so gut wie keine nur von einem Tribe abstammenden Indianer mehr gibt und auch die Verheiratung von Indianern mit Nicht-Indianern deutlich überproportional zu den Zahlen der gesamten Bevölkerung der USA ist.220 b) Besiedlung Nach der gesetzlichen Regelung gehört zum „Indian Country“ das gesamte Territorium der Reservate einschließlich des nicht im indianischen Eigentum ___________ 215

Ogunwole, Census 2000, S. 3. Ogunwole, Census 2000, S. 2. 217 Die genauen Zahlen finden sich in Ogunwole, Census 2000, S. 3, Tabelle 1. 218 Zu den politischen Hintergründen der entsprechenden Kriterien für die Zugehörigkeit zum Tribe vgl. z.B. Brownell, 34 U. Mich. J. L. Ref. [2000/01], 275, 310. 219 Zum Ganzen Ogunwole, Census 2000, S. 8 ff., 11, Tabelle 5. 220 Vgl. dazu Brownell, 34 U. Mich. J. L. Ref. [2000/01], 275, 309. 216

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stehenden Bodens.221 Von der Einordnung als solches Territorium hängen zahlreiche Jurisdiktionsfragen ab, wie noch genauer gezeigt wird.222 Die Reservate der Tribes sind über die ganze USA verteilt, wobei es eine geografische Konzentration im Westen und Süden gibt und östlich des Mississippi kaum mehr Indianer leben. Die Reservate der Tribes sind aber meist nicht zusammenhängend und oft auch über mehrere Bundesstaaten verteilt. Eine Ausnahme bildet insoweit das größte Navajo-Reservat, das einen Großteil der Navajo beherbergt und eine beträchtliche Fläche des Bundesstaates Arizona umfasst. In Kalifornien, Oklahoma, Arizona, Texas und New Mexico sowie weiteren sechs Bundesstaaten mit einer indianischen Bevölkerung von über 100 000 leben 62 Prozent der gesamten indianischen, aber nur 44 Prozent der gesamten Bevölkerung. Der Großteil der Reservate befindet sich also im Westen und Südwesten der USA. Die etwa 230 000 km2 der Reservate entsprechen 2,5 Prozent der Gesamtfläche der USA, aber selbst in einem Bundesstaat wie Oklahoma, der zeitweise reines „Indian Country“ war, liegt der Anteil nicht höher, der Bevölkerungsanteil der Indianer an der gesamten bundesstaatlichen Bevölkerung ist dort 11 Prozent. 1990 gab es 314 Reservate, davon 278 von der Bundesebene eingerichtete. Ferner sind es die 25 größten Reservate, die praktisch die gesamte Reservationsfläche vereinen, die übrigen Lebensgebiete für die Indianer bestehen aus Kleinst-Territorien.223 In knapp 800 der 3141 Regionen der USA entspricht der indianische Bevölkerungsanteil dem Anteil gemessen an der Gesamtbevölkerung oder liegt nur wenig höher. Nur in einigen Dutzend der Regionen stellen die Indianer die Mehrheit.224 Dies gilt auch für viele der Reservate, die häufig zu einem Großteil mittlerweile in nicht-indianischem Besitz sind, woraus sich eine schachbrettartige Zersplitterung des indianischen Territoriums und häufig auch eine Bevölkerungsminderheit der Indianer auf den eigenen Reservaten ergibt. Verschiedene Projekte wie das „White Earth Land Recovery Project“ der Ojibwe in Minnesota haben daher zum Ziel, indianisches Gebiet wieder zurückzukaufen, um größere zusammenhängende Teilflächen in den Reservaten zur Minimierung von Konfliktsituationen zu erreichen. Die obigen Zahlen und die Verteilung der Indianer auf dem Territorium rührt noch von einer weiteren Besonderheit. Als Ergebnis der TerminationPolitik und in Anbetracht der häufig sehr ärmlichen Verhältnisse ist ein großer Teil der indianischen Bevölkerung in die Städte abgewandert. Diese so genann___________ 221

Frickey, 59 ZaöRV [1999], 383, 385. Vgl. auch Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 27 f. 223 Vgl. zu alledem Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 118 ff. 224 Ogunwole, Census 2000, S. 4. 222

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ten „Stadtindianer“ machen etwa die Hälfte der Gesamtzahl aus, wobei in New York knapp 90 000 und in Los Angeles etwas mehr als 50 000 Indianer und damit zusammen etwa 3,4 Prozent der gesamten indianischen Bevölkerung leben. Unter den Großstädten hat Phoenix mit 2,7 Prozent den höchsten Anteil indianischer an der gesamten städtischen Bevölkerung.225 Auffällig ist der hohe Anteil der Auch-Indianer bei den in Städten lebenden Indianern.226 Einerseits unterfallen sie eigentlich nicht dem Regime des Federal Indian Law, das primär auf die Verhältnisse innerhalb des „Indian Country“ abstellt.227 Auch nahm durch diese Migration das Zugehörigkeitsgefühl zu bestimmten Tribes ab.228 Andererseits waren sie Ausgangspunkt für die Gründung panindianischer Bewegungen, die einen Großteil des Verdienstes um die Renaissance der Indianerthemen auf der politischen Agenda in Anspruch nehmen können. Neben den Stadt- und Reservatsindianern gibt es noch reservatsgebundene Indianer, die zwar nicht auf dem Reservat selbst leben, aber durch die geografische Nähe dazu in das kulturelle Leben eingespannt sind und häufig z.B. die Kinder zur Erziehung auf Reservatsschulen schicken. c) Lebensumstände Ohne dass dies im Rahmen der vorliegenden Arbeit vertieft werden kann, soll kurz noch auf die Lebensumstände der indigenen Bevölkerung in den USA hingewiesen werden. Statistisch gesehen sind die Indianer die am stärksten benachteiligte soziale Gruppe der USA. Die Arbeitslosigkeitsrate ist sowohl in den Reservaten als auch bei den Stadtindianern in extremen Maße höher als im USA-Durchschnitt und liegt häufig für bestimmte Regionen über 50 Prozent. Auch sonst sind die Einkommen der Indianer sehr niedrig, das Pro-KopfEinkommen in dieser sozialen Gruppe ist geringer als bei allen anderen USAmerikanern und etwa ein Drittel der Indianer leben noch heute unterhalb der Armutsgrenze.229 Der größte Arbeitgeber für die Indianer sind die verschiedenen Bundeseinrichtungen, die in den auf Indianer bezogenen Behörden bevorzugt solche ein___________ 225

Ogunwole, Census 2000, S. 6. Vgl. Ogunwole, Census 2000, S. 8, Tabelle 3. 227 Brownell, 34 U. Mich. J. L. Ref. [2000/01], 275, 278 spricht von den „non-tribal Indians who have been increasingly orphaned by federal Indian law“; Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 120. 228 Thornton, American Indian Holocaust and Survival, S. 236 f. 229 Wilson, 24 Am. Ind. L. Rev. [2000], 99, 103; vgl. auch McAuliffe Jr., in: Native American Rights, S. 80, 84 f. 226

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Kapitel 3: Die Indianer Nordamerikas

stellen, woraus sich aber eine große Abhängigkeit von Bundesmitteln über die gezahlten Unterstützungsleistungen hinaus ergibt.230 Auch die gesundheitliche Situation der Indianer ist noch immer kritisch zu bewerten. Sowohl Alkohol- und Drogenmissbrauch als auch die Mortalitätsrate im Allgemeinen sind überdurchschnittlich hoch.231 Nach jüngeren Erkenntnissen werden die Native Americans mindestens doppelt so häufig Opfer von Gewaltverbrechen wie andere Bevölkerungsgruppen.232 Der teilweise desolate Gesundheitszustand auf den Reservaten rührt nicht zuletzt aus dem zunächst gewählten Ansatz bei der Gesundheitsversorgung. Der „Indian Health Service“, ein mit etwa 1,4 Mrd. $ ausgestattetes Gesundheitsprogramm im Arbeitsbereich des „Departement for Health and Human Service“ wurde zunächst ohne Rücksicht auf vorhandene medizinische Versorgungsansätze bei den indianischen Gemeinschaften eingerichtet und einige wenige Krankenhäuser in Reservatsnähe gebaut.233 Erst in jüngerer Zeit ist das Programm reformiert worden, um den besonderen Bedürfnissen der Indianer entgegenzukommen und auch deren traditionelle Heilmethoden einzubeziehen.234 Insgesamt wurde gefordert, dass die Sozialleistungen vor ihrer Implementation stärker darauf zu überprüfen sind, ob sie von der indigenen Bevölkerung angenommen und sinnvoll verwendet werden können.235 Ein Beispiel für misslungene Unterstützungsprogramme ist der vor einigen Jahrzehnten angesichts der desolaten Wohnzustände auf den zusammengestutzten Reservaten groß angelegte Wohnungsbau. Die in Schnellbauweise errichteten Containerwohnungen waren zum Einen qualitativ nicht geeignet, mehr als einige Jahre zu halten und entsprachen auch nicht den Bedürfnissen traditioneller Indigener, die eben nicht in „gemauerten“ Wohnungen, sondern beispielsweise in Hogans oder Tipis – traditionellen Erdbauten oder Zeltkonstruktionen236 – lebten und weiterleben wollten. Der verfallene Zustand viele der Containerbauten prägt bis heute auf manchen Reservaten das Landschaftsbild. Ein anderer Sektor, der zeigt, wie sinnvoll die Übertragung der Ausgestaltung der Sozialleistungen auf die betroffenen Indianer ist, sind die Erziehungsprogram___________ 230

Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 125. Vgl. nur die Schilderungen und Angaben bei Crow Dog, Ohitika Woman, S. 238 ff.; Gover, 24 Am. Indian L. Rev. [2000], 219, 223, wonach die Kriminalitätsrate entgegen dem bundesweiten Trend noch ansteige. 232 Vgl. Meldung in NZZ Nr. 41 v. 19.02.1999; dabei stammen die Täter in drei Vierteln aller Fälle aus einer anderen Bevölkerungsgruppe. 233 BIA (Hrsg.), American Indians Today. 234 Vgl. dazu Zimmerman/Molyneaux, Indianer, S. 148 f. 235 Torres, 16 Yale J. Int’l. L. [1991], 127, 160 f. 236 Vgl. zu den verschiedenen Bauweisen z.B. Miller, in: Die Welt der Indianer, S. 111, 157. 231

B. Historischer Überblick und politisch-soziale Situation

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me, die durch den „Indian Self-Determination and Education Assistance Act“ vollständig verändert wurden.237 Zwar ist noch immer der Bildungsstandard in der indigenen Bevölkerung viel niedriger, die eigene Organisation von Schulen und sogar Hochschulen hat aber zum Beispiel zu einer Stärkung vieler indigener Sprachen geführt und die Lehrpläne so ausgestaltet, dass die Weitergabe traditionellen Wissens und die Möglichkeit der Vereinbarkeit mit dem Leben in der heutigen Gesellschaft dazugehört.238 Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Reservatsindianer sind sehr unterschiedlich. So gibt es in den Reservaten häufig große Mengen von Bodenschätzen wie Kohle, Gold und Uran. Diese Ressourcen werden aber selten von indianischen Industrien ausgeschöpft.239 Vielmehr sind diese Naturschätze der Grund und weiterbestehende Gefahr für einen Druck von außen auf das Reservatsgebiet, dass dieses verpachtet oder anders genutzt wird. Tatsächlich sind in vielen Reservaten große Flächen zum Zwecke der Ressourcennutzung durch Außenstehende verpachtet.240 In vielen Territorien wurden – teilweise unter Anleitung von außen – Versuche gestartet, Industriebetriebe nach „weißen“ Betriebsvorbildern einzurichten wie z.B. Zementproduktionen oder ein Schreibgeräte-Herstellungsunternehmen bei den Blackfeet. Häufig scheiterten diese Betriebe wegen der Schwierigkeit der Vermarktung zu konkurrenzfähigen Preisen oder weil die Produktpalette zum Lebensalltag der Indianer keinerlei Bezug hatte.241 Die Subsistenzwirtschaft wie z.B. der Fischfang hingegen sind für viele Indianer eine erfolgreichere Quelle zur Erarbeitung einer Lebensgrundlage.242 Eine radikale Veränderung der wirtschaftlichen Bedingungen hat für einige Tribes die Nutzung des „Gambling“ auf den Reservaten, das an nicht-indianische Besucher gerichtet ist, gebracht.243 Entgegen dem medial verbreiteten Eindruck, der zu entsprechendem Widerstand gegen die mit geringeren Hürden mögliche Veranstaltung von Glücksspielen durch die Indianer ge___________ 237 Vor der Verabschiedung dieses Gesetzes wurden Indianerkinder auf BIA-Schulen unterrichtet, die z.T. hunderte von Meilen vom Reservatswohnort entfernt waren und katastrophale Zustände in baulicher und inhaltlicher Sicht aufwiesen, vgl. Biegert, Indianerschulen, S. 27. 238 Zimmerman/Molyneaux, Indianer, S. 146 f., 164 f. 239 Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 122. 240 Nichtsdestotrotz kann man mit Reed Howard, 35 GYIL [1992], 105, 117 Fn. 53, von einem „strange twist of fate“ sprechen, dass sich ausgerechnet das scheinbar wertlose Land der Reservate im Nachhinein häufig als das von den Weißen am stärksten begehrte herausstellte. 241 Vgl. Stromnes, Missoulian v. 13.05.1998, S. A10; erfolgreiche Beispiele finden sich aber bei Deloria, in: Die Welt der Indianer, S. 384, 444. 242 Deloria, in: Die Welt der Indianer, S. 384, 402; vgl. zu den ökonomischen Aktivitäten insgesamt Frickey, 59 ZaöRV [1999], 383, 401 f. 243 Vgl. allg. Brietzke/Kline, 78 Neb. L. Rev. [1999], 263, 287 ff., v.a. 289 ff.

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Kapitel 3: Die Indianer Nordamerikas

führt hat, sind jedoch nur einige wenige Tribes zu größerem Reichtum durch das Gambling gelangt.244 Insbesondere die spektakulären Erfolge des Mashantucket Pequot Tribes in Connecticut, der in vielen Zeitungen beschrieben worden ist und zu einer lukrativen Einnahmequelle auch für den Bundesstaat geführt hat, weil ein gewichtiger Teil der Jahresumsätze von jeweils ca. 1 Mrd. $ freiwillig abgegeben wird, sind eine Ausnahme geblieben.245 Nichtsdestotrotz hat sich durch das Gambling für viele Reservate, die an bevölkerungsreiche Gegenden angrenzen, eine neue Möglichkeit ergeben, eine gewisse wirtschaftliche Unabhängigkeit von Bundesprogrammen zu erlangen und den erwirtschafteten Gewinn an die individuellen Mitglieder des Tribes weiterzugeben oder für den Bau von Gemeinschaftseinrichtungen wie Krankenhäuser zu verwenden.246 Ferner sind für diese Tribes die Möglichkeiten politischer Einflussnahme gestiegen, weil sie erstmals signifikante Beiträge zur Unterstützung von Kandidaten zahlen können.247 4. „Lebensweise“ Pauschales lässt sich über die Lebensweise des heutigen Indianers natürlich ebensowenig sagen, wie über jede andere Volksgruppe. Insbesondere lässt sich selbstverständlich über Lebensalltag eines individuellen Indianers keine Aussage treffen, wenngleich sich aus der Vielzahl belletristischer und dokumentarischer Veröffentlichungen von Indianern in den vergangenen Jahrzehnten ein Bild über die Probleme und Besonderheiten heutigen indianischen Lebens zu___________ 244 Frickey, 59 ZaöRV [1999], 383, 401. Vgl. z.B. die Oneidas, deren Kasinos 1994 einen Umsatz von 4,2 Mrd. $ erwirtschafteten, McAuliffe Jr., in: Native American Rights, S. 80, 83. 245 Vgl. zu diesem nur Kornelius, SZ Nr. 106 v. 09./10.05.1998, S. 3; Meldung, NZZ Nr. 8 v. 11.01.2001, S. 6; zu den Abgaben aus den Einnahmen der „slot machines“ (insgesamt etwa 10% des Gesamtumsatzes) Brietzke/Kline, 78 Neb. L. Rev. [1999], 263, 307 Fn. 158; OAS, Comments of the United States Delegation, 28.03.2002, S. 6 f. Zum Vergleich mit der Mehrzahl der Tribes Wilkins, 9 Kan. J. L. & Pub. Pol’y [2000], 732, 748; Layng, in: Native American Rights, S. 74, 76 ff. 246 So z.B. bei den Mashantucket, dazu Layng, in: Native American Rights, S. 74, 76; bzgl. der Ausbildung vgl. Meldung, NZZ Nr. 8 v. 11.01.2001, S. 6; weitere Beispiele bei Wieland, FAZ Nr. 199 v. 28.08.2001, S. 9; Wieland, FAZ Nr. 211 v. 11.09.2000, S. 13. Auf geradezu spektakuläre Weise haben die Seminolen Floridas den aus dem Glücksspiel gewonnenen Reichtum zu einer umfänglichen Versorgung der Stammesangehörigen verwendet – neben Krankenversicherung zählen dazu auch kostenlose Reparaturen in der Wohnung – und schließlich 2007 für den Kauf der Hard-Rock-Café-Gruppe, mit der sie ein Symbol „weißer Popkultur“ erworben haben, dazu Stumberger, Der späte Sieg der Seminolen, NZZ Nr. 191 v. 20.08.2007, S. 21. 247 Auf diese bedeutsame Veränderung und auch bedauerliche Auswirkungen durch politische Einflussnahme auch gegen andere Tribes weist Wilkins, 9 Kan. J. L. & Pub. Pol’y [2000], 732, 733 hin; vgl. ferner Kornelius, SZ Nr. 106 v. 09./10.05.1998.

B. Historischer Überblick und politisch-soziale Situation

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mindest auf bestimmten Reservaten zeichnen lässt.248 Dabei ist durchgängig festzustellen, dass sich noch heute „Indianersein“ unterscheidet von der Mehrheitsbevölkerung.249 Insbesondere traditionelle Indianer weisen darauf hin, dass zwar die weiße Gesellschaft viel über Indianer gelernt habe, aber nicht wisse, was es wirklich heißt, ein Indianer zu sein. Die pluriethnische Nation USA ist nicht als Werk eines Zentralstaates entstanden, sondern durch die Selbstorganisation ethnisch verwandter Gruppen, bei der sich die Werte und Interessen der weißen Mehrheitsbevölkerung durchgesetzt haben und bis heute vorherrschen. Trotz beachtlicher Reformen herrsche daher noch immer „die phraseologisch verhüllte Vorenthaltung von Menschenrechten entlang ethnischen Trennlinien“ vor.250 Auch in symbolischer Weise tritt der kulturelle Konflikt immer wieder zutage.251 So wehren sich viele Indianer seit langem gegen die fortgesetzte Verwendung indianischer Namen z.B. für Sportmannschaften wie die „Washington Redskins“ oder die „Cleveland Indians“ oder für Produkte wie Zigaretten.252 Kritische Stimmen sehen daher in der Identifikation mit amerikanischen Werten für die Indianer den Untergang ihrer Besonderheit. Die Zurschaustellung der US-Flagge „Stars and Stripes“ bei den Powwows sei gegensätzlich zum Verlangen nach mehr Stammessouveränität.253 Dies gelte auch, wenn im Rahmen zunehmender Selbstverwaltung in den Reservaten die Entwicklung in Richtung der weißen Mehrheitsgesellschaft gehe, weil sich an deren Vorbildern orientiert wird.254 In diesem Zusammenhang werden gerade die Aktivitäten im Rahmen des Gambling häufig kritisiert, weil hierdurch ein den traditionellen Indianern un___________ 248 Vgl. z.B. die Schilderungen bei Crow Dog, Lakota Woman und Ohitika Woman; Lame Deer/Erdoes, Tahca Ushte. 249 Dies ist vielfach als das Phänomen des „Roten Weges“ bezeichnet worden, vgl. dazu bei Zimmerman/Molyneaux, Indianer, S. 156 f. 250 Sigrist, Das Parlament Nr. 17 v. 23.04.1993, S. 14. 251 Dass sich die betroffenen Native Americans zunehmend der verbreiteten „Mittel“ im amerikanischen Rechtssystem bedienen, kann am Fall eines jungen MescaleroApache-Mädchens gezeigt werden: Diese hatte als Statistin in einer von Spielberg produzierten Fernsehserie über den „Wilden Westen“ mitgewirkt, wobei ihr ohne Einverständnis der Eltern die Haare geschnitten wurden. Daraufhin verlangten diese wegen „emotional distress“ eine Kompensation in Höhe von 300 000 US Dollar, weil ein Haarschnitt bei Mädchen vor der Pubertät nach Stammessitte nicht erlaubt sei, vgl. Meldung in NZZ Nr. 70 v. 24.03.2006, S. 31. 252 Zu dieser Problematik etwa Deloria, in: Die Welt der Indianer, S. 384, 461; ausf. Churchill, in: Native American Rights, S. 18, 21 f.; vgl. auch Guggenheim, 46 Clev. St. L. Rev. [1998], 211, 215 ff. 253 So Barsh, 26 U. Mich. J. L. Ref. [1993], 277, 287. 254 Barsh, 26 U. Mich. J. L. Ref. [1993], 277, 294.

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Kapitel 3: Die Indianer Nordamerikas

bekannter Materialismus gefördert werde.255 Andererseits ermöglichen solche wirtschaftlichen Aktivitäten überhaupt erst viele Programme, die die Unabhängigkeit und Andersartigkeit, z.B. durch entsprechende Erziehungsmaßnahmen in der traditionellen Sprache, ermöglichen.256 Die Zunahme der Selbstverwaltung bedeutet, dass die indianischen Gemeinschaften selbst entscheiden können, ob sie sich eher in Richtung der sie umgebenden weißen Mehrheitsbevölkerung entwickeln wollen – ein Trend, der durch die eng mit dem BIA verbundenen Stammesregierungen (auf dieses Problem wird noch näher in Kap. 4 C. I. 2. b) eingegangen) stärker verfolgt wurde – oder wieder mehr abgrenzen wollen. Dabei sei es auch ein Fehler, den Mythos weiterzutragen, alle Native Americans lebten in Einklang mit der Natur und unterschieden sich von den ausbeuterischen Europäern, da es zwischenzeitlich Untersuchungen gibt, die Gegenteiliges belegen und Umweltprobleme auch auf Reservaten existieren.257 Jedoch dürfte die Lebensweise vieler traditioneller Indianer geeignet sein, um alternative Herangehensweisen gerade in diesem Bereich oder auch im Heilmittelbereich auszuloten. Jedenfalls besteht eine echte Chance, dass die insoweit sicher bei vielen grundverschiedene Lebensweise von der des Durchschnittsamerikaners heute stärker anerkannt und respektiert wird.258 Dies gilt etwa für die Erkenntnis, dass Fragen der Spiritualität und Religion für einen traditionell lebenden, aber auch für viele der weißen Mehrheitsgesellschaft gegenüber aufgeschlossene Indianer eine ganz andere Rolle im täglichen Leben spielen als in der Mehrheitsgesellschaft. Um dies zu ermöglichen, macht es daher auch keinen Sinn, Lebensabläufe von dieser auf das Leben in den Reservaten zu projzieren und Unterstützungsleistungen entlang diesen Linien auszurichten. Um politisches Verständnis für diese Sachverhalte zu erreichen, haben sich Indianer lange auf außerparlamentarischer Ebene und außerhalb von Regierungsarbeit – häufig mit Erfolg – aktiv gezeigt. Noch heute ist die politische Vertretung auf der Bundesebene kaum vorhanden, so ist z.B. nie mehr als ein Indianer im Senat vertreten gewesen.259 Auch fehlte es früher – anders als beispielsweise in Kanada – an einem effektiven USA-weiten nationalen Zusam___________ 255

Zu diesen Stimmen vgl. Deloria, in: Die Welt der Indianer, S. 384, 451; so z.B. Akiwenzie, in: Native American Rights, S. 107 ff. Stumberger, Der späte Sieg der Seminolen, NZZ Nr. 191 v. 20.08.2007, S. 21, weist dagegen auf Stimmen hin, die im ökonomischen Erfolg den Weg sehen, kulturelle und politische Autonomie tatsächlich durchzusetzen und damit letztlich traditionelle indianische Lebensweise aufrecht zu erhalten. 256 Vgl. Brietzke/Kline, 78 Neb. L. Rev. [1999], 263, 324 zum „self-determination aspect“ des IGRA. 257 Van den Berghe, in: Dealing with Difference, S. 401, 407. 258 Deloria, in: Die Welt der Indianer, S. 384, 459. 259 Clinton, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 77, 87 f.

C. Inneramerikanischer Rechtsstatus

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menschluss von indigenen Repräsentanten, weil die Tribes sehr unterschiedliche Probleme und Bedürfnisse hatten, zugleich aber ohne eine solche auf der Bundesebene nicht nennenswert hervortraten.260 Durch die Aufwertung des „National Congress of American Indians“ (NCAI)261 hat sich dies zumindest ein wenig geändert und – wie in den Lösungsvorschlägen noch näher aufgezeigt wird – die panindianische Bewegung, im religiösen Bereich zum Beispiel durch die mitgliederstarke „Native American Church“262 ein Übriges dazu beiträgt, dass die Lebensweise und -umstände der Indianer wahrgenommen und als etwas Besonderes und Erhaltenswertes auf der politischen Agenda erscheinen.263 Von dieser politischen Emanzipationsbewegung ist der inneramerikanische Rechtsstatus der Indianer zu unterscheiden, der Gegenstand des folgenden Abschnitts ist. Heutige Problemfelder der Indianer lassen sich vor diesem politisch-realen und juristischen Hintergrund besser abschließend in diesem Kapitel einordnen.

C. Inneramerikanischer Rechtsstatus I. Rechtsgeschichtlich: Vom amerikanischen Kontinent zur USA Es ist bereits im historischen Abriss zur Situation der Indianer in den USA darauf hingewiesen worden, dass deren Rechtsstatus lange von einer Anerkennung ihrer Souveränität in bestimmten Territorien im Gebiet der heutigen USA gekennzeichnet war. Die allgemein für den Rechtsstatus indigener Völker in der Expansion geltenden Erkenntnisse, wie sie in Kap. 2 B. I. dargestellt wurden, gelten in besonderer Weise auch für das hier vornehmlich interessierende Gebiet der USA. So haben beispielsweise die Lehren Vitorias gerade dort eine nachhaltige Wirkung gezeigt, die sich bis in das heutige Federal Indian Law nachzeichnen lässt.264 Es ist unbestritten, dass für die Zeit vor Gründung der ___________ 260 So Barsh, 26 U. Mich. J. L. Ref. [1993], 277, 282; zu panindianischen Zusammenschlüssen Wilkins, 9 Kan. J. L. & Pub. Pol’y [2000], 732, 743 f. Zu regierungsoffiziellen Vereinigungen Newton, 46 Ark. L. Rev. [1993], 25, 34 ff. 261 Dazu Deloria, in: Die Welt der Indianer, S. 384, 421 ff.; Newton, 46 Ark. L. Rev. [1993], 25, 31 f. 262 Zu dieser Zimmerman/Molyneaux, Indianer, S. 133. 263 Ähnliches gilt für die wissenschaftliche Beschäftigung, die bis Mitte der 1980er Jahre auf wenige wiederkehrende Aspekte beschränkt war, aber seither die politische Forderung nach mehr Rechten aufgreift, vgl. Werther, Self-Determination in Western Democracies, S. 21. 264 Vgl. nur Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 50 ff.; Dörr, 36 JöR n.F. [1987], 489, 490.

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Kapitel 3: Die Indianer Nordamerikas

USA die indianischen Gemeinschaften durch die englischen und niederländischen Kolonialisten als souveräne Einheiten anerkannt wurden: „For all practical purposes, the Indians were treated as sovereigns possessing full ownership rights to the lands of America.“265

Auch der extensive Gebrauch der Vertragsschlüsse, um die Beziehungen der USA zu den Indian Nations zu regeln, zeigt die internationale Herangehensweise des neu gegründeten Staates gegenüber der indigenen Bevölkerung.266 Mehr noch hat die USA die weitaus größte Zahl an Verträgen mit bedeutsamen Inhalten mit der indigenen Bevölkerung geschlossen. Das Problem an diesen Verträgen ist damit nicht das Fehlen einer Anerkennung des besonderen Rechtsstatus, sondern das fast durchgängige Nichteinhalten der entsprechenden Vertragsbestimmungen.267 Die Gründung der USA war von einer fortschrittlichen Betonung der Menschenrechte, nicht zuletzt durch die Einfügung der „Bill of Rights“ in die Verfassung, und der Selbstbestimmung gegenüber England gekennzeichnet. Jedoch stand die Berufung auf die universellen Menschenrechte in deutlichem Widerspruch zur pluriethnischen Realität auf diesem Kontinent. Die Siedlergesellschaft stammte aus Europa und brachte für sich die Menschenrechte in Ansatz, um eigene Interessen ohne Rücksicht auf die indigene Bevölkerung oder die eingeführten Sklaven aus Afrika durchzusetzen. Diese Haltung wird schon im einleitenden Satz der „Virginia Bill of Rights“ zum Ausdruck gebracht, wonach die folgende Erklärung von „representatives of the good people of Virginia“ verfasst worden sei.268 Die Haltung bezüglich des Rechtsstatus der Indian Nations hing von deren militärischer Bedrohung ab. Als spätestens mit dem Krieg von 1812 die Überlegenheit deutlich wurde, setzte die Siedlergesellschaft die Expansion nach Westen unter zunehmender Missachtung der vorher den Indianer zugestandenen Rechte fort. Diese Veränderung des rechtlichen Status der Indian Nations durch Gesetze und Rechtsprechung, auf die im Folgenden eingegangen wird, kann als Kolonialisierung mit nicht-militärischen Mitteln angesehen werden.269

___________ 265

Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 55. So Corntassel/Primeau, 17.2 (1995) HRQ, 343, 354 ff. 267 Martínez, Study on Treaties, Final Report Rdnr. 300. 268 Darauf weist zu Recht Sigrist, Das Parlament Nr. 17 v. 23.04.1993, S. 14 hin [eig. Herv.]. 269 Morris, 29 GYIL [1986], 277, 298 f. 266

C. Inneramerikanischer Rechtsstatus

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II. Der US Supreme Court als (ein) Hauptakteur 1. Allgemeines Von Anbeginn hat der Supreme Court eine bedeutsame Rolle in der Entwicklung des US-amerikanischen Rechts gespielt. In der für die moderne Verfassungsgerichtsbarkeit wegweisenden Marbury v. Madison-Entscheidung hat er sich 1803 zum Hüter des (Verfassungs-)Rechts gemacht, indem er die „judicial review“ einführte, damit die Überprüfung von Gesetzen am Maßstab der Verfassung zu seinen Kompetenzen zählte und zum Vorbild für viele Verfassungsgerichte wurde.270 Zwar bedeutet eine rechtliche Kompetenz alleine nicht notwendigerweise die Befolgung von solchen Urteilen, was für die USA insbesondere in dem oben erwähnten drastischen Ausspruch von Präsident Jackson über die von ihm beabsichtigte Nichtbefolgung eines Urteils zum Ausdruck kommt. Auch folgt der US Supreme Court der judicial self-restraint und hat daher in den vergangenen zwei Jahrhunderten die Entscheidung in vielen, auch für den Rechtsstatus der Native Americans entscheidenden Fällen abgelehnt, indem er wegen des Primats der Politik (political question) eine Kompetenz zur Überprüfung der Frage ablehnte. Gerade im Blick auf den Status der Indian Nations lässt sich ferner eine gewisse Wechselhaftigkeit feststellen, bei der errungene Rechtspositionen aus Sicht der Indianer oftmals nur Zwischenerfolge ohne Haltbarkeitsgarantie darstellten. Nichtsdestotrotz ist die Analyse der wichtigsten Entscheidungen nicht nur unabdingbar, sondern zur Festlegung des Rechtsstatus der indigenen Völker und dessen Verhältnis zum Völkerrecht hilfreich. Insoweit bleibt noch heute die berühmte und bahnbrechende sog. „Marshall-Trilogie“ von überragender Bedeutung. Daher ist Ausgangspunkt für die Rechtsprechungsanalyse diese Serie von Entscheidungen unter Vorsitz des damaligen Chief Justice John Marshall, die noch heute zu den im Federal Indian Law am häufigsten in Bezug genommenen gehören und mit denen dieser den Status der Indianerstämme endgültig festlegen wollte. 2. Die „Marshall-Trilogie“ a) Zur Bedeutung von Chief Justice Marshall und den Urteilen Der erste Präsident des höchsten amerikanischen Gerichts, Marshall, hat nicht nur durch das Votum in Marbury, sondern in vielerlei Weise das Recht der USA nachhaltig geprägt. So oblag es ihm in den ersten Jahren der noch ___________ 270 Marbury v. Madison, 5 U.S. (1 Cranch) 137 (1803); dazu jüngst Brugger, JuS 2003, 320 ff.

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jungen Nation einige gewichtige Grundsatzentscheidungen zu fällen, die bis heute Geltung besitzen. Für den vorliegenden Zusammenhang waren seine Aussagen zur Bedeutung des Völkerrechts im nationalen Recht der USA, vor allem aber seine Rolle in der Festlegung des Status der Indianernationen in den drei als „Marshall-Trilogie“ bekannt gewordenen Urteilen zwischen 1823 und 1832 entscheidend und haben seine fortdauernde Bedeutung zementiert.271 Bereits 1804 äußerte sich Marshall zur Geltung von Völkerrecht im USamerikanischen Recht: „[...] an act of Congress ought never to be construed to violate the law of nations if any other possible construction remains, and, consequently, can never be construed to violate neutral rights, or to affect neutral commerce, further than is warranted by the law of nations as understood in this country“.272

Diese Grundaussage, dass innerstaatliche Gesetze so auszulegen sind, dass sie mit Völkerrecht auf vertraglicher und gewohnheitsrechtlicher Basis und den entsprechenden Pflichten der USA vereinbar sind, ist in späterer Rechtsprechung ständig wiederholt worden.273 Marshall ging in den folgenden drei zu behandelnden Fällen auch auf die völkerrechtliche Ebene bezüglich der Beziehungen zu den Indian Nations ein.274 Nur in einem der Fälle waren Indianer direkt beteiligt und dieser wurde auch als unzulässig abgewiesen. In den anderen beiden Urteilen ging es um weiße Beschwerdeführer, die über Landfragen stritten, was dann die Behandlung der allgemeinen Statusfrage der Indian Nations bedingte. b) Sachverhalte und Urteilsgründe aa) Johnson v. McIntosh (1823) In der ersten Entscheidung von 1823 ging es um die Frage der Berechtigung an einem bestimmten Stück Land.275 Einige Weiße hatten von Indianern direkt ___________ 271

So auch Dörr, in: FS Schiedermair, S. 927, 938. Murray v. Schooner Charming Betsy – 6 U.S. (2 Cranch) 64, 118 (1804). 273 Rogers, International law and United States law, S. 36 f. 274 Der Richter stand den Indianernationen selbst wohl sehr zurückhaltend gegenüber, so jedenfalls die Annahme von Atkinson, 23 Okla. City U. L. Rev. [1998], 379, 385 f., der gar eine rassistische Grundhaltung annimmt. 275 Johnson and Graham’s Lessee v. M’Intosh, 21 U.S. (8 Wheat.) 543 (1823). Die unterschiedliche Schreibweise des Falles in der Literatur erklärt sich damit, dass er sich zwar mit „c“ schrieb, der Supreme Court aber ein Apostroph verwendete, vgl. Kades, 148 U. Pa. L. Rev. [2000], 1065, 1068 Fn. 2. Zur Vorgeschichte von Landkäufen und Abtretungen in den USA Kades, 148 U. Pa. L. Rev. [2000], 1065, 1073 ff., zum konkre272

C. Inneramerikanischer Rechtsstatus

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Land gekauft, was aber unvereinbar war mit der Regel, dass Indianer Land nur an den obersten Souverän, vormals die englische Krone, nunmehr die Bundesregierung abtreten konnten. Bei der Entscheidung, wessen Besitztitel der gültige sei, musste das Gericht auf die Gültigkeit dieser Beschränkung der Souveränität der Indian Nations eingehen.276 Es erklärte das bisherige System der Enteignung und Abtretung von Land für gültig, indem es die völkerrechtliche „doctrine of discovery“ in das amerikanische Recht hineinlas.277 Danach erwirbt das Recht auf ein bestimmtes Territorium diejenige Expansionsmacht, die es zuerst „entdeckt“. Obwohl die eingeborene Bevölkerung gewisse Nutz- und Aufenthaltsrechte bezüglich des von ihnr bewohnten Landes hätte, seien diese zeitlich beschränkt bis zur Ankunft einer „discovering nation“ und des Erwerbs von Land durch diese z.B. im Wege der Abtretung.278 Diese könne nur direkt an den Kolonialherren erfolgen, so dass Besitzansprüche auf Land nur dann gültig sind, wenn jemand einen Anspruch direkt vom Kolonialherren – z.B. durch späteren Erwerb von diesem – ableiten könne. Marshall hat zwar den Widerspruch dieser Doktrin zum Naturrecht gesehen und sie in deutlichen Worten als absurd und anmaßend abgelehnt, weil sie dem natürlichen Recht und den Gewohnheiten der zivilisierten Nationen widerspreche. Da er aber nicht befugt sei, eine moralische Bewertung vorzunehmen, sondern als Gericht des Eroberers die Annahme der Eroberung des Landes hinnehmen müsse, könne er nicht auf abweichende Meinungen Einzelner in dieser Frage eingehen oder Rücksicht auf die Belange der Indianer nehmen.279 Der oberste Richter nahm also die Tatsache hin, dass schon immer der Erwerb durch den Kolonialherren anerkannt worden sei. Dennoch ist es wichtig, dass er bereits in dieser Entscheidung herausstreicht, dass die Indian Nations im Rahmen der akzeptierten Oberhoheit der USA extensive Rechte im Sinne umfassender Autonomie haben.280 Sie seien mit dieser einzigen Einschränkung dem ___________ ten Kauf in diesem Fall ausführlich auf S. 1090 ff. Vgl. insgesamt auch Robertson, Conquest by Law, passim. 276 Dabei musste auch die Frage überlegt werden, ob nicht für die Eigentumsstreitigkeit eigentlich ein indianisches Gericht zuständig sein müsste, vgl. hierzu Kades, 148 U. Pa. L. Rev. [2000], 1065, 1095 ff. 277 Cross, 40 Ariz. L. Rev. [1998], 425, 438 ff. nennt dies das „Americanizing the European Doctrine of Discovery“. 278 Nur insoweit sah Marshall wohl eine Beschränkung der indianischen Souveränität, dass nämlich das Recht am „entdeckten“ Land dem Erst„entdecker“ zusteht, insoweit sei seine Rechtsprechung zu Unrecht später als Ausgangspunkt für eine fortgesetzte Beschränkung der „tribal sovereignty“ von späteren Supreme Court-Richtern herangezogen worden, so Ball, 33 J. Marshall L. Rev. [2000], 1183, 1192 f. 279 Johnson and Graham’s Lessee v. M’Intosh, 21 U.S. (8 Wheat.) 543, 588 (1823). 280 Johnson and Graham’s Lessee v. M’Intosh, 21 U.S. (8 Wheat.) 543, 547 (1823): die vollständige Souveränität als unabhängige Nationen sei notwendigerweise in diesem Punkt eingeschränkt.

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Rechtsstatus nach souveränen Staatswesen gleich.281 Einem faktischen Irrtum unterlag Marshall aber, als er die Anwendbarkeit normaler Eigentumsregelungen im europäisch verstandenen Sinne mit dem Hinweis für unmöglich erklärte, Indianer lebten wie „fierce nomadic savages“.282 bb) Cherokee Nation v. Georgia (1831) In der Entscheidung von 1831 ging es um das von den Cherokee bewohnte Territorium, das im Gebiet des Bundesstaates Georgia lag.283 Georgia hatte Gesetze verabschiedet, mit denen die Kompetenzen der Eastern Cherokee beschränkt werden sollten, indem z.B. deren Stammesregierung verboten und der Geltungsbereich der Gesetze Georgias nun auch auf das Territorium der Cherokee ausgedehnt wurden.284 Die Cherokee wollten sich vor dem Supreme Court über diese legislativen Übergriffe des Staates Georgia auf ihr Gebiet beschweren. Sie beriefen sich auf die fehlende Kompetenz der Bundesstaaten zur Gesetzgebung für die Indianergebiete, die allein in der Hand der Bundesregierung liege. Um nach Art. III sec. 2 der US Constitution für die Streitigkeit zuständig zu sein, hätten die Indian Nations als Staaten in Sinne dieser Vorschrift anerkannt werden müssen. Marshall kam zum Schluss, dass die Indianergemeinschaften zwar Staatsqualität besäßen, aber keine ausländischen Staaten seien, sondern vielmehr innerstaatliche, abhängige Nationen, also unter die von ihm entwickelte Figur der „domestic dependent nations“ fielen.285 Ferner erinnere das Verhältnis der USA zu den Indianernationen an ein „ward-guardianrelationship“, also das Verhältnis eines Treuhänders zu seinem Mündel.286 Daraus ergäben sich Pflichten für die USA. Dennoch könnte in der Sache nicht über den Fall entschieden werden, da für die Indian Nations als solche abhängigen Nationen kein Zugang zum Supreme Court eröffnet sei. Bei der Konstruktion der Figur der „domestic dependent nations“ missachtete Marshall, dass gerade die jüngere Geschichte der USA gezeigt hatte, dass die ___________ 281

So die Bewertung von Marshalls Äußerungen durch Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 340. 282 Johnson and Graham’s Lessee v. M’Intosh, 21 U.S. (8 Wheat.) 543, 590 (1823); vgl. zu dieser Stelle Wunder, „Johnson and Graham’s Lessee v. McIntosh“, Abs. 3; zur Verwendung dieses Begriffs und dem der „savages“ durch den Supreme Court auch Sager, 76 U. Det. Mercy L. Rev. [1999], 745, 754 f. 283 Cherokee Nation v. Georgia, 30 U.S. (5 Pet.) 1 (1831). 284 Zum Sachverhalt Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 81 f. 285 Cherokee Nation v. Georgia, 30 U.S. (5 Pet.) 1, 16 f. (1831). 286 Cherokee Nation v. Georgia, 30 U.S. (5 Pet.) 1, 17 (1831).

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indigenen Völker im Verständnis der USA zur Kriegführung und Regelung internationaler Angelegenheiten im Wege der Diplomatie geeignet waren.287 Dementsprechend ging Justice Thompson in seiner abweichenden Meinung noch über die Einordnung als Staaten hinaus und betrachtete die Indian Nations als „independent foreign nations“. Er hielt diese Schlussfolgerung, dass es sich um souveräne Staaten handle, für unausweichlich und wies darauf hin, dass schon seit jeher so mit ihnen umgegangen worden sei.288 Eine ähnliche Haltung hat vor einigen Jahren auch Justice Scalia angenommen, als er eine indianische Gemeinschaft im Rahmen des XI. Amendments gleich wie einen „foreign state“ behandelt sehen wollte.289 cc) Worcester v. Georgia (1832) Sachlich ging es in diesem Fall ein Jahr nach dem Cherokee Nation-Urteil um die gleiche Frage der unzulässigen Beschränkung von Souveränitätsrechten der Cherokee durch Handlungen des Bundesstaates Georgia.290 Jedoch wurde die Klage nunmehr für zulässig erachtet, weil nicht der indianische Stamm, sondern von der Handlung Georgias betroffene weiße Missionare klagten, die sich in ihrer Begründung auf die Kompetenzverletzung der Cherokee beriefen. Dieses Problem des fehlenden Rechtswegs wurde erst 1966 eindeutig geklärt, als gesetzlich der Zugang zu Bundesgerichten für anerkannte Tribes festgelegt wurde.291 In der Worcester-Entscheidung ging es um zwei im Gebiet der Cherokee wirkende Missionare, die von den Behörden und Gerichten Georgias verurteilt und mit einer Gefängnisstrafe belegt worden waren. Sie klagten erfolgreich vor dem Supreme Court unter Hinweis auf die Unzuständigkeit Georgias im Territorium der Cherokee. Marshall analysierte die Verträge der Cherokee mit den USA und schlussfolgerte, dass diesen darin eine fortbestehende Souveränität garantiert wurde. Zwar hätten sie sich unter den Schutz der USA begeben, aber dabei nicht ihren Status als eigenständige unabhängige Gemeinschaften aufgegeben. Diese Regel gelte immer, wenn sich eine schwächere Nation unter den Schutz einer stärkeren begebe, dass sie damit nicht ihren unabhängigen Status ___________ 287

So auch Clinton, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 77, 95. 30 U.S. (5 Pet.) 1, 53, 80 (1831) (Thompson, J., dissenting). 289 Blatchford v. Native Village of Noatak, 501 U.S. 775 (1991). 290 Worcester v. Georgia, 31 U.S. (6 Pet.) 515 (1832). 291 Act of Oct. 10, 1966, Pub. L. No. 89-635, § 1, 80 Stat 880, codified at 28 USCA § 1362 (1988); vgl. dazu Clinton, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 77, 90 f. und zu den selten erfolgreichen Klagen Deloria/Wilkins, Tribes, treaties and constitutional tribulations, S. 42. 288

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verlieren möchte.292 Daher sei Georgia zu weit gegangen, als es unilateral nicht nur seine Gebietsansprüche auf Territorium der Cherokee ausdehnte, sondern die politische Herrschaft der Cherokee über ihr Territorium direkt verletzte. Darin sei auch eine Missachtung der Indian Commerce Clause aus Art. I sec. 8 cl. 3 US Constitution und verschiedener Verträge und „Trade and Intercourse Acts“ zu sehen.293 Marshall präzisierte in seinem Urteil auch, dass sich die Ansprüche der USA aus dem Entdeckungsrecht nur auf das Verhältnis zwischen den europäischen Mächten bezögen, nicht aber bezüglich den Indianern. Deren Gebiet müsse erst von diesen erworben werden, bevor Rechte daran ausgeübt werden könnten. Ein Problem, mit dem sich der Chief Justice konfrontiert sah, war die vorher schon klar erkennbare Weigerung Georgias und der Bundesexekutive ein zugunsten der Indianer ausfallendes Urteil zu befolgen. Die beiden Missionare wurden zwar im konkreten Fall freigelassen,294 aber die zentrale Aussage des Urteils, das die indianische Position umfangreich stärkte, blieb tatsächlich unberücksichtigt.295 c) Bewertung und Kritik Die Trilogie von Marshall ist ähnlich wie viele andere Supreme CourtEntscheidungen zum Rechtsstatus der indigenen Bevölkerung zweideutig. Einerseits bezieht sie sich wiederholt auf die Souveränität der Indian Nations und deren Staatsqualität sowie die Besonderheit der Beziehungen zwischen den USA und diesen.296 Andererseits werden die indigenen Gemeinschaften dann aber herabgestuft zu abhängigen Nationen, die sich in einem Treuhandverhältnis befinden.297 Trotz dieser Zweideutigkeit auch von Marshalls Position erhielt sie „in der Folgezeit [... ] fast kanonische[r] Autorität“.298 Am Johnson v. M’Intosh-Urteil bemängeln Kritiker, dass Marshall „either ignored, or simply attempted to revise, history and the historical interpretation ___________ 292

Worcester v. Georgia, 31 U.S. (6 Pet.) 515, 561 (1832). Worcester v. Georgia, 31 U.S. (6 Pet.) 515, 556 f. (1832). 294 Und 1992 wurde Worcester durch Georgia rehabilitiert, vgl. Ball, 33 J. Marshall L. Rev. [2000], 1183, 1185. 295 Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 83; Wunder, „Cherokee Cases“, Abs. 3. 296 Wegen dieser positiven Seite sieht Ball, 33 J. Marshall L. Rev. [2000], 1183, 1187 daher auch im „loss of Marshall’s aproach […] a loss to Native America“, wenngleich dieser an der Missinterpretation selbst nicht schuldlos sei. 297 Alfredsson, in: EPIL, S. 314; Martínez, Study on Treaties, Second Progress Report Rdnr. 157: „inherent contradiction“. 298 Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 339. 293

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of the rights which incurred to colonial powers through the doctrine of discovery“.299 Er ist einfach davon ausgegangen, dass der von der USA ableitbare Besitztitel stärker ist, als derjenige der indianischen Nation, obwohl es in der damaligen völkerrechtlichen Literatur wenig gab, das diese Ansicht gestützt hätte.300 Zwar erkannte er richtig, dass die Expansionsstaaten ein eigenes Recht in Bezug auf Übersee gebildet hatten. Er überschätzte jedoch die Bedeutung des Entdeckungsrechts gegenüber den eigentlich als Begründungsansätze für die Expansion im Vordergrund stehenden päpstlichen Bullen und dem Prinzip der effektiven Okkupation.301 Obwohl er die Fehlerhaftigkeit der „doctrine of discovery“ erkannte, löste er sich nicht von ihr.302 Hinsichtlich der Erkenntnisse des Johnson-Urteils ist darauf hinzuweisen, dass diese schon durch die folgenden Urteile in der Trilogie überholt wurden, die Entscheidung ist aber bis heute nicht formal überstimmt worden.303 Es ist jedoch mit einer beachtlichen Argumentation vertreten worden, dass die zeitlich bald folgende – aber nicht unter Autorenschaft von Marshall entstandene und wenig bekannte – Entscheidung Mitchel v. United States die Argumentation von 1823 revidierte.304 Obwohl in der Cherokee-Entscheidung die Immunität von Georgia abgelehnt wurde, mit der der Staat versucht hatte, sich vor jeglichen Angriffen bezüglich der Behandlung der Indianer zu schützen, wurde die Parteifähigkeit der Cherokee selbst abgelehnt, weil diese keine „foreign nation“ gegenüber den USA bzw. dem Bundesstaat Georgia seien. Es herrscht in der Bewertung dieser Entscheidung Einigkeit, dass sich Marshall darüber bewusst war, dass er einen Kompromiss schaffen musste zwischen der Haltung des sehr populären Präsidenten Jackson und denjenigen Richtern des Supreme Court, die die Indian Na___________ 299 Morris, 29 GYIL [1986], 277, 294. Im Übrigen habe Marshall „a conflicting and confusing potpourri of arguments“ verwendet, vgl. Wilkins, 19 Am. Indian L. Rev. [1994], 159, 166. 300 Vgl. zu dieser Kritik auch Werther, Self-Determination in Western Democracies, S. 38. 301 Vgl. den Hinweis bei Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 339. Dazu auch oben Kap. 2 B. I. 2. 302 Williams, 8 Ariz. J. Int’l. & Comp. L. [1991], 51, 70 f. 303 Wunder, „Johnson and Graham’s Lessee v. McIntosh“, Abs. 4; Wilkins, American Indian Sovereignty, S. 35; Anaya, Indigenous Peoples in International Law, S. 18 („Marshall clarified, or perhaps revised, his earlier statements […]“), wobei unklar sei, ob die Entscheidung nur deshalb so ausgefallen sei, weil die Cherokee Nation sich in vielem den Vorstellungen der Mehrheitsgesellschaft über eine Staatsorganisation angepasst hatte. Der damalige mit Marshall befreundete Supreme Court-Reporter Wheaton schrieb in einer späteren Abhandlung, dass die Cherokee im Gegensatz zu den „wilden“ Indianergemeinschaften durch die Worcester-Entscheidung in den Kreis des „law of nations“ aufgerückt seien, vgl. ebda. 304 Mitchel v. United States, 34 U.S. (9 Pet.) 711 (1835); vgl. dazu Wilkins, 19 Am. Indian L. Rev. [1994], 159, 160, 171, 175 ff.

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tions als rechtlich unabhängige souveräne Nationen betrachteten.305 Er hat das Gericht wohl deshalb unter Art. III US Constitution für unzuständig erklärt, weil er fürchtete, Jackson würde eine materielle Entscheidung zugunsten der Cherokee schlicht ignorieren. Damit bestand die gleiche Ausgangsposition wie bei der berühmtesten Marbury v. Madison-Entscheidung, in der er einen ähnlichen Ausgleich finden musste.306 Daher entwickelte er das „domestic dependent nations“-Konzept und schuf zum Ausgleich das ward-guardianshipModell, das aus seiner Sicht den Indian Nations helfen sollte, indem es eine Schutz- und Fürsorgepflicht der Bundesregierung errichtete. Darin steckte eine Kritik an der Haltung der Bundesregierung, die der Entrechtung der Indianer durch die Bundesstaaten wie Georgia keinen Einhalt geboten hatte.307 Diese gut gemeinten obiter dicta im Urteil „placed a cloud over Indian standing in federal and state courts for the next 135 years“,308 weil sie den Zugang zu Rechtsschutz erschwerten. Ferner resultierte dieser „term of art, created by the stroke of a Supreme Court Justice’s pen, [...] in the creation of a double edged sword of trusteeship for Native peoples“, weil einerseits ein Schutz gegeben wurde vor der Aushöhlung der Interessen durch individuelle Amerikaner und die Bundesstaaten, aber dafür gleichzeitig die inhärente Souveränität der Indian Nations weggenommen und sie der Bundesregierung unterstellt wurden, die sich nicht als guter Treuhänder erwies.309 Mit der Worcester-Entscheidung wurde die Cherokee Nation-Entscheidung zwar nicht explizit, aber implizit überstimmt, weil die Betonung nunmehr auf dem Konzept der „nation“ und nicht mehr der Abhängigkeit von den USA lag.310 Insoweit anerkannte Marshall in diesem Urteil den internationalen Status der Indian Nations, indem er über die Bedeutung von „treaty“ und „nation“ sagte: „We have applied them to Indians as we have applied them to other nations of the 311 earth. They apply to all in the same sense“.

___________ 305

Reed Howard, 35 GYIL [1992], 105, 113; vgl. dazu das oben erwähnte Sondervotum des Richters Thompson, das „die äußersten Grenzen einer noch staatstreuen richterlichen Position“ gerade einhielt, wie Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 342 meint. Im Ergebnis wäre auch nach dessen Ansicht der Status ähnlich gewesen, weil die Indian Nations als „foreign nations“ das Protektorat der USA anerkannt hätten. 306 5 U.S. (1 Cranch) 137 (1803); vgl. dazu Brugger, JuS 2003, 320 ff. 307 So auch Clinton, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 77, 131. 308 Clinton, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 77, 89. 309 Morris, 29 GYIL [1986], 277, 295. 310 Wunder, „Cherokee Cases“, Abs. 3. 311 Worcester v. Georgia, 31 U.S. (6 Pet.) 515, 559 (1832). Zu weiteren ähnlichen Entscheidungen vgl. nur Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 63.

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Interessant ist dabei aber, dass die Verträge nicht nur gleich wie andere auszulegen sind, sondern bezüglich der Indianer noch eine stärkere Stellung haben, weil sie zugunsten dieser auszulegen sind und weil eine Abtretung nur dann stattgefunden habe, wenn dies absolut eindeutig zum Ausdruck gebracht worden sei.312 Der Chief Justice war in seiner Eindeutigkeit zugunsten der Indian Nations nur dadurch limitiert, dass er Ansprüche der USA auf das Land im Interesse der Sicherung des Staates aufrechterhalten musste.313 Befürworter von Marshalls letzten beiden großen Indianer-Entscheidungen bezeichnen diese als seine größte Leistung und bemängeln, dass heute vielfach die „koloniale“ Seite Marshalls demgegenüber überbetont werde.314 Die Anerkennung der Indian Nations als besondere Entität im Gemeinwesen USA kam auch in Urteilen des Supreme Court zum Ausdruck, die mit der Indianerfrage direkt nichts zu tun hatten. So schrieb Chief Justice Taney in der – wegen ihres für die Sklavenfrage in den USA negativen Ausgangs berühmtberüchtigten – Entscheidung in Dred Scott 1857, dass die Native Nations zwar unzivilisiert gewesen seien, aber doch als Nationen mit eigenen Recht organisiert und deshalb anerkannt wurden „as foreign Governments as much as if an ocean had separated the red man from the white“.315 3. Weitere zentrale Entscheidungen des US Supreme Court Im Rahmen dieser Arbeit ist es nicht möglich, alle Supreme CourtEntscheidungen zum Indian Law zu nennen und analysieren, da mittlerweile eine Vielzahl von Urteilen existiert, die den hier vorgegebenen Umfang weit überfrachten würde.316 Ohnehin gibt es aber einige zentrale Entscheidungen, die den Rechtsstatus und die wichtigsten Aspekte indianischen Lebens in den Reservaten festlegen. Auf diese soll im Folgenden kurz eingegangen werden.

___________ 312

Vgl. wiederum Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 63. Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, S. 341. 314 Vgl. Ball, 33 J. Marshall L. Rev. [2000], 1183 f. („finest moment“), der auch darauf hinweist, dass der Chief Justice zu jener Zeit mit vielen privaten und beruflichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. 315 Dred Scott v. Sandford, 60 U.S. (19 How.) 393, 402 f. (1857). 316 Aktuelle Rechtsprechungsentwicklungen, die im vorliegenden Kontext relevant sein können, lassen sich über www.narf.org/nill/bulletins/ilb.htm verfolgen. 313

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a) Zur Souveränitätsfrage und dem Status der Indian Nations sowie ihrer Mitglieder Der Umfang der Souveränitätsausübung auf den Reservaten wurde durch die bereits erwähnte Entscheidung in Ex Parte Crow Dog mitbestimmt. Danach schließt die Kompetenz zur Regelung der eigenen Angelegenheiten die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Friedens innerhalb der indianischen Gemeinschaft ein, wozu auch die Strafjustiz gehört, wenn dieser Bereich nicht eindeutig abgetreten worden ist.317 Zwar führte jene Entscheidung letztlich zu einer Abkehr und durch Gesetz erzwungenen Abtretung der Kompetenz für sieben Kapitalverbrechen auf die Bundesjustiz. Die in Reaktion auf das Urteil eingeführten Tribal Courts, die ein bis heute funktionierendes System bilden, urteilen aber nach eigenen Regeln über alle sonstigen kriminellen Handlungen. Wichtiger an dieser frühen Entscheidung ist, dass sie weiterhin Richtschnur des Verfassungsrechts im Hinblick auf den besonderen Status der Indianernationen geblieben ist.318 Im Urteil zu United States v. Kagama von 1886, das den „Major Crimes Act“ als verfassungsgemäß einstufte, wurde dennoch eindeutig festgehalten, dass die Native Americans weiterhin ein „separate people, with the power of regulating their internal and social relations“ sind.319 Jedoch wurde hier das Modell des Mündels wieder ins Zentrum gestellt und die besondere Schutzbedürftigkeit der Indian Nations und damit die Schutzpflicht der Bundesregierung festgehalten, weil gerade die Regierungen der Bundesstaaten und die dortige Bevölkerung häufig der ärgste Feind der Indianer seien.320 Auch ist in dieser Entscheidung schon die Vorstellung der „plenary power of Congress in Indian country“ zu sehen, wonach der Kongress jederzeit indianerbezogene Fragen unter Aufgabe früherer Rechtsstandpunkte regeln kann.321 Die unbestrittene Grundregel, dass „Indian tribes are unique aggregations possessing attributes of sovereignty over both their members and their territory“,322 wurde für konkrete Einzelfälle immer wieder in Frage gestellt. So entschied der Supreme Court einerseits in Oliphant v. Squamish Indian Tribe, dass ___________ 317

Ex Parte Crow Dog, 109 U.S. 556 (1883), 569. Strickland, „Crow Dog, Ex Parte“, Abs. 7. 319 United States v. Kagama, 118 U.S. 375, 381 (1886), wobei in dieser Passage auch ausdrücklich gesagt wird, dass der Status „not as States, not as nations, not as possessed of the full attributes of sovereignty“ sei. Die Prüfung, ob der „Major Crimes Act“ verfassungsgemäß sei, habe außerhalb der Verfassungsbestimmungen stattgefunden und sei daher nicht nachvollziehbar, so die Kritik von Deloria/Wilkins, Tribes, treaties and constitutional tribulations, S. 76 ff. 320 United States v. Kagama, 118 U.S. 375, 383 f. (1886). 321 Champagne, Chronology, S. 526. 322 United States v. Mazurie, 419 U.S. 544 (1975). 318

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dieser keine Zuständigkeit in Strafsachen über Nicht-Indianer hat, wenn diese ihre Tat auf dem Reservat begangen haben.323 Dies galt nach einem Supreme Court-Urteil bis zu einer Gesetzesänderung durch den Kongress auch für Straftaten von Indianern, die nicht zugleich Stammesangehörige sind (vgl. dazu auch unten in diesem Abschnitt).324 Andererseits stehe den Stammesregierungen aber die Souveränität über ihre Territorien auch dergestalt zu, dass sie die Kompetenz zur Besteuerung haben, wenn es keine gegenteilige Bundesgesetzgebung gebe.325 Mit Public Law 280 sei auch nicht beabsichtigt gewesen, generell die privatrechtliche Jurisdiktion einschließlich der Steuerhoheit auf die Einzelstaaten zu übertragen, weil dies sonst ausdrücklich im Rahmen des Gesetzes gesagt worden wäre.326 Anders formuliert haben die Indian Nations eine „inherent sovereignty“, wonach alle Aspekte des Gemeinschaftslebens weiterhin in ihrer Regelungskompetenz stehen, wenn nicht eindeutig und ausdrücklich ein Kompetenztitel durch die Bundesregierung gesetzlich geregelt worden ist.327 Nach dieser „quasi-sovereignty“ konnten die indigenen Völker zwar beispielsweise vertragliche Beziehungen eingehen und Rechte am Land behalten, zugleich aber nicht ihre vollständige Unabhängigkeit als eigene politische Entitäten bewahren.328 Eine ausführliche Auseinandersetzung mit seiner eigenen Bewertung der Souveränität indianischer Gemeinschaften lieferte der Supreme Court 1978 in ___________ 323 Oliphant v. Squamish Indian Tribe, 435 U.S. 191 (1978). Im konkreten Fall war die nicht-indianische Bevölkerung auf dem Port Madison-Reservat zahlenmäßig deutlich größer, aber der Suquamish Tribe hatte argumentiert, dass die Jurisdiktion in Strafsachen Teil der inhärenten Souveränität über das Stammesgebiet sei, die nicht von einer zahlenmäßigen Relation abhängen könne. Das Gericht hingegen sah in der Beschränkung der Freiheiten der Verurteilten eine so gravierende Einschränkung, dass es implizit sei, dass dieser Teil der Souveränität übertragen worden sei, ebda. S. 209 f.; vgl. ferner Ferguson, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 275, 294; Wilson, Utah L. Rev. 1991, 675, 680 ff. Die implizite Übertragung wurde im Folgenden als „implicit divestiture doctrine“ bekannt, vgl. Wilson, Utah L. Rev. 1991, 675, 683; McSloy, 20 N.Y.U. Rev. L. & Soc. Change [1993], 217, 275 ff.; ausf. auch Skibine, Utah L. Rev. 1995, 1105, 1137 ff. 324 Duro v. Reina, 495 U.S. 676 (1990). Die Begründung lautete, die Souveränität beziehe sich nunmehr auf interne Beziehungen und die Aufrechterhaltung von Gewohnheiten, nicht aber die strafrechtliche Jurisdiktion über fremde Personen, ebda. 685, 693, dagegen sei die zivilrechtliche Zuständigkeit umfassend, ebda. 687. Allg. zur Frage der Jurisdiktionshoheit in Strafsachen Garnett, 72 N.D. L. Rev. [1996], 433, 441 ff. Die Gesetzesänderung nach Duro – der sog. „Duro-fix“ –, durch die der Kongress den Tribes die Jurisdiktionshoheit für indianische Nichtmitglieder in Strafsachen gab, ist in der Entscheidung United States v. Lara, 541 U.S. 193 (2004) aufrechterhalten worden, so dass heute eine andere Grundregel gilt. 325 Merrion v. Jicarilla Apache Tribe, 455 U.S. 130 (1982). 326 Bryan v. Itasca Country, 426 U.S. 373 (1976). 327 Zur inhärenten Souveränität vgl. auch Dörr, 36 JöR n.F. [1987], 489, 502. 328 Schulte-Tenckhoff, 4 Review of Constitutional Studies [1998], 239, 254.

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der vielzitierten Santa Clara Pueblo v. Martinez-Entscheidung.329 In jenem Fall hatte er über die Gültigkeit des „Indian Civil Rights Acts“ von 1968 zu entscheiden. Eine Indianerin klagte gegen das St. Clara Pueblo, weil ihre Kinder wegen der Heirat mit einem Nicht-Stammesmitglied den Stammesregeln entsprechend330 nicht als Mitglieder des Stammes anerkannt wurden, womit ihre Grundrechte auf Gleichbehandlung verletzt würden. Der Supreme Court entschied schon gegen die Zulässigkeit der Klage vor dem Bundesgericht und bestätigte die weitgehende Kompetenz der Stämme, selbst über ihre Mitgliedschaft zu bestimmen.331 Zugleich wurde der „Indian Civil Rights Act“ aufrechterhalten, weil dieses Gesetz die Absicht des Kongresses zum Ausdruck bringe „to protect tribal sovereignty from undue interference [and] to promote the well established federal policy of furthering Indian self-government“.332 Zugleich wurde damit aber bestätigt, dass die „plenary authority“ des Kongresses mehr oder minder unlimitiert ist und er selbst darüber entscheiden kann, wie er zum Besten der indigenen Bevölkerung handelt.333 In den Worten des Richters Thurgood Marshall334: „Congress has plenary authority to limit, modify or eliminate the powers of local self-government which the tribes otherwise possess“.335

In der Niederlage der Beschwerdeführerin und dem Erfolg der St. Clara Pueblo-Gemeinschaft lag damit zugleich auch eine Niederlage für diese, denn der Supreme Court hat keinen Zweifel daran gelassen, dass das Damoklesschwert des drohenden Rechtsentzugs oder gar der Auslöschung durch Gesetzgebung des Kongresses weiterbesteht.336 Ein weiteres Problem, das sich an der St. Clara-Entscheidung zeigte, ist das schon bei der Einführung der Bürgerrechte für die Indianer durch Gesetz bestehende Dilemma zwischen der Verkürzung ___________ 329

Santa Clara Pueblo v. Martinez, 436 U.S. 49, 55 ff. (1978). Eine ausführliche Analyse dieser Regeln und ihrer Bedeutung für die Entscheidung findet sich bei Resnik, 56 U. Chi. L. Rev. [1989], 671, 702 ff. 331 Diesen zentralen Aspekt der Selbstbestimmung über die Mitgliedschaft sei vom Supreme Court deshalb in der Kompetenz der Stammesgerichte belassen worden, weil es in Wirklichkeit eine unwichtige, da ohne Außenwirkung bestehende Frage sei, so jedenfalls Resnik, 56 U. Chi. L. Rev. [1989], 671, 754. Dagegen sieht Tsosie, 26 Ariz. St. L. J. [1994], 495, 514 ff., 518 ff. in ihrer Urteilsanalyse eine deutliche Stärkung der „tribal sovereignty“ und der Bestätigung des gesonderten Status der Indianergemeinschaften. 332 Santa Clara Pueblo v. Martinez, 436 U.S. 49, 63 (1978). 333 Clinton, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 77, 114 f. 334 Zur bedeutsamen Rolle des zweiten wichtigen Marshall in der Rolle des Supreme Court Justice, der eine insgesamt zugunsten der Native Americans ausgerichtete Rechtsprechung verfolgte, vgl. Tsosie, 26 Ariz. St. L. J. [1994], 495, 501. 335 Santa Clara Pueblo v. Martinez, 436 U.S. 49, 56 (1978); vgl. zu weiteren gleichlautenden Urteilen Ferguson, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 275, 279. 336 So auch Peyer, in: Länderbericht USA, S. 361, 368. 330

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der Stammessouveränität und der Garantie von Mindestgrundrechten, wenn eine Stammesregierung nicht bereit ist, diese den Stammesmitgliedern zu gewähren und auch das Stammesgericht nicht zugunsten der Beschwerdeführer entscheidet.337 In solchen Fällen hat ein individueller Indianer mit seiner Beschwerde kaum eine Aussicht auf Abhilfe vor Bundesgerichten. Nach den Feststellungen des Gerichts in St. Clara gibt es Rechtsmittel gegen Urteile der Stammesgerichte nämlich nur in (den ausdrücklich im Gesetz vorgesehenen) habeas corpus-Fällen, also dem ungerechtfertigten Entzug der Freiheit, weil der Kongress beim Erlass des „Indian Civil Rights Act“ nicht eindeutig zum Ausdruck gebracht habe, dass es andere Gründe für bundesgerichtliche Zuständigkeit geben solle.338 Diese Konstellation wird besonders problematisch, wenn erkennbar Rechtsverletzungen durch die Stammesregierung vom Stammesgericht „gedeckt“ werden, weil dieses von der Regierung abhängig ist. Ein illustratives Beispiel hierfür sind die Ereignisse auf dem Blackfeet-Reservat in Montana in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts.339 Das Jahr 1978 brachte unmittelbar vor der Santa Clara-Entscheidung auch das bereits erwähnte Urteil Oliphant, das als erster großer Stolperstein für die Souveränität der indigenen Völker betrachtet wurde,340 und die Entscheidung United States v. Wheeler.341 Darin wurde festgestellt, dass die strafrechtliche Jurisdiktion der Stämme von eigener Natur sei und sie insoweit nicht als verlängerter Arm der Bundesgerichte agierten. Die double jeopardy-clause verhinderte damit im konkreten Falle nicht, dass ein Straftäter nach der Verurteilung im Reservat anschließend außerdem durch ein Bundesgericht erneut in der gleichen Sache belangt werden konnte.342 In Oliphant und mehr noch in der weitergehenden Duro-Entscheidung kommt die Sorge zum Ausdruck, Angeklagte vor einem Stammesgericht könnten vor diesem benachteiligt werden oder ihre grundlegenden Rechte nicht erhalten, wenn sie z.B. mit den dortigen Gepflo___________ 337

Peyer, in: Länderbericht USA, S. 361, 365 f. Santa Clara Pueblo v. Martinez, 436 U.S. 49, 72 (1978); vgl. dazu auch Murphy, „Santa Clara Pueblo v. Martinez“, Abs. 3. Damit wurde eine Abkehr von der Praxis im vergangen Jahrzehnt eingeleitet, vgl. Ferguson, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 275, 289, die auf S. 300 f. Kritik daran übt, dass das Gericht sich nicht zu einer materiellen Entscheidung durchgerungen hat. 339 Dazu ausf. West, in: The Right of Self-Determination, S. 67, 78 ff.; vgl. ferner Robertson, Tribal Justice – But Not For All; Byram, 25 Okla. City U. L. Rev. [2000], 491, 509 schlägt vor, wie in solchen Fällen offensichtlicher Rechtsfehler Bundesgerichte eine Zuständigkeit erhalten sollten. 340 Ferguson, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 275, 293. 341 United States v. Wheeler, 435 U.S. 313 (1978). In dieser Entscheidung wurden die rigorosen Beschränkungen der „tribal sovereignty“ aus dem Oliphant-Urteil relativiert, Wilson, Utah L. Rev. 1991, 675, 683 ff. 342 Einzelheiten dazu bei Ferguson, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 275, 295. 338

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genheiten nicht vertraut seien. Um diese Situation zu verhindern, hatte jedoch der Kongress ursprünglich den „Indian Civil Rights Act“ verabschiedet, der bei allen Kritikpunkten zumindest die Anwendung der grundlegenden Rechte, die denjenigen in der „Bill of Rights“ entsprechen, sicherstellen sollte.343 Die DuroEntscheidung hatte daher die strafrechtliche Jurisdiktion der Tribes über indianische Nichtmitglieder beschränkt. An diesen gegensätzlichen Entscheidungen zeigt sich die Schwierigkeit des Konzepts, dass die Indian Nations einerseits eine zunächst unlimitierte inhärente Souveränität besitzen, diese jedoch durch die „plenary power“ des Kongresses beliebig gesetzlich eingeschränkt werden kann.344 In Reaktion auf die Duro-Entscheidung des Supreme Court hatte der Kongress die Souveränität der Tribes vergrößert, indem er eine gesetzliche Neuregelung (in 25 U.S.C. §1301(2)) erließ, die ausdrücklich dieses Ergebnis umdrehte und unter Berufung auf „the inherent power of Indian tribes […] to exercise criminal jurisdiction over all Indians“ die Kompetenz für die Stammesgerichte festschrieb, strafrechtliche Verfahren gegen Nichtmitglieder zu führen. In einem wegweisenden Urteil hat das Gericht diese Vorgehensweise des Kongresses gebilligt, indem es unterstrich, dass die tribal sovereignty weitgehend und inhärent sei, andererseits aber auch darauf hinwies, dass sich dies aus der entsprechenden Entscheidung des Kongresses ergebe.345 Wichtig an diesem United States v. Lara-Urteil ist die Beseitigung der Duro-Entscheidung und zugleich die Stärkung der Souveränität der Tribes, da das Gericht ausdrücklich festhält, dass ein Straftäter – es ging um ein verhältnismäßig geringes Vergehen einer leichten Körperverletzung bei Widerstand gegen einen Polizisten – nach Verurteilung durch einen Tribal Court anschließend noch vor der Bundesgerichtsbarkeit angeklagt werden kann, weil es sich hierbei um zwei Prozesswege zweier unterschiedlicher souveräner Einheiten gehe. Das Verbot der doppelten Bestrafung finde damit keine Anwendung.346 Trotz des 7:2-Votums in Lara verdeutlichten die Sondervoten, sowohl ablehnende als auch zustimmende, dass

___________ 343

Vgl. zu dieser Kritik an der Duro-Entscheidung (oben Fn. 324) Wilson, Utah L. Rev. 1991, 675, 700 ff. 344 Ferguson, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 275, 296. Jüngere Entscheidungen des Supreme Court beginnen auch wieder an der Substanz der „tribal sovereignty“ zu kratzen, vgl. zu diesen Cleveland, 12 Pace Int’l. L. Rev. [2000], 397, 414 ff.; anders dagegen das Urteil in Lara, dazu sogleich. 345 Zur Bedeutung und Kritik an der Lara-Entscheidung vgl. insbes. Frickey, 119 Harv. L.R. [2005], 431 ff. sowie Erwiderung von Krakoff, 119 Harv. L.R. Forum [2006], 47 ff.; ferner Faranda-Diedrich, 15 Temp. Pol. & Civ. L. Rev. [2005], 223 ff. 346 United States v. Lara, 541 U.S. 193 (2004).

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die Begründung und Rechtsnatur der inhärenten Souveränität weiterhin nicht einheitlich gesehen werden.347 Verfassungsrechtlich unbeanstandet ist die im Sinne positiver Förderung wirkende Ungleichbehandlung der Indianer gegenüber Nicht-Indianern durch das besondere Treuhandverhältnis. Entsprechend hat der Supreme Court in Morton v. Mancari klargestellt, dass eine Ungleichbehandlung trotz der Gleichbehandlungsvorschrift in der Verfassung in Ordnung sei, weil die Unterscheidung der Indianer von Nicht-Indianern politischer Natur sei. Damit sind bevorzugte Beförderungen im Berufsleben nicht zu beanstanden, solange sie auf die Erfüllung der besonderen Verpflichtung des Kongresses gegenüber den Indianern zurückzuführen sind.348 b) Zur Frage der Verträge Bereits mehrfach ist auf den Inhalt der „treaties“, die die USA mit den indigenen Gemeinschaften geschlossen hat, eingegangen worden.349 Diese deckten alle in internationalen Verträgen üblichen Materien ab von der Koalitionsvereinbarung im Kriegsfall über Friedensregelungen bis hin zu Handelsabkommen.350 In vielen der Verträge wird der Kombattantenstatus, die „capacity of Indian tribes to make war“351 im völkerrechtlichen Sinne anerkannt. Neben der Klärung offener Grenzziehungsfragen enthalten manche Verträge auch ausdrückliche Bestimmungen zu Beziehungen mit Drittstaaten, insbesondere Mexico. Dementsprechend ist auch beim Supreme Court unbestritten, dass die Verträge vergleichbar sind mit solchen, die mit „foreign nations“ abgeschlossen wurden. Je später die Verträge abgeschlossen wurden, desto mehr enthalten sie auch untypische Elemente, die eine Beschneidung der Rechte der Indian Nations bedeuten, indem beispielsweise vertraglich garantiert wird, dass die Bundesregierung zur Regelung bestimmter reservatsinterner Angelegenheiten ___________ 347

United States v. Lara, 541 U.S. 193, 463 ff. (2004); es lässt sich auch an weiteren Urteilen ablesen, bei denen der Supreme Court es versucht hat zu vermeiden, dass die Souveränität der tribal governments zu extensiv wird, so z.B. durch eine Entscheidung über Steuerhoheit, die – obwohl angezeigt – überhaupt nicht zur Frage der Souveränität der Tribes Stellung nimmt, vgl. City of Sherrill v. Oneida Indian Nation of N.Y., 544 U.S. 197 (2005). 348 Morton v. Mancari, 417 U.S. 535, 545 f. (1974). 349 Ausf. auch bei Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 63 ff. 350 Zudem handle es sich bei den Vertragsinhalten nicht um Rechte, die den Indianern gewährt worden seien, sondern umgekehrt um Gewährungen durch diese, so dass die nicht zugesprochenen Rechte automatisch von diesen als vorbehalten zu werten seien, so der Supreme Court im konkreten Fall United States v. Winans, 198 U.S. 371, 381 (1905). 351 Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 64.

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zuständig ist.352 Dieses Ungleichgewicht zeigt die Überlegenheit des Vertragspartners USA in den Vertragsverhandlungen. Deshalb hat der Supreme Court schon kurz nach der gesetzlichen Beendigung der Vertragsschlüsse festgelegt, dass die Verträge zugunsten der Indianer auszulegen sind und so handzuhaben sind, wie sie sie verstanden hätten.353 Insbesondere Unklarheiten sind so aufzulösen, dass sie die Rechte nicht beschneiden, weil die inhärente Souveränität nur beeinträchtigt werden konnte, wenn das eindeutig zum Ausdruck gebracht wurde, was noch heute bei der Bewertung von Verträgen bedeutsam ist.354 Der Supreme Court hat jedoch während der Periode der Landwegnahme durch die Parzellierung kurz nach der Jahrhundertwende in einer heute rundherum kritisierten Entscheidung den Wert der Verträge für die Indianer erheblich relativiert.355 In Lone Wolf v. Hitchcock stellte er fest, dass der Kongress die umfassende Kompetenz habe, im Widerspruch zu bestehenden Verträgen mit den Native Nations stehende Gesetze zu verabschieden oder diese Verträge gar unilateral auszusetzen und zu beenden.356 Im konkreten Fall ging es um ein „allotment statute“, das das Land der Kiowa, Comanche und Apache für nichtindianische Besiedlung öffnete, obwohl eine vertragliche Bestimmung vorsah, dass jegliche Landabtretung nur wirksam sei, wenn mindestens drei Viertel der erwachsenen männlichen Bevölkerung zugestimmt hat, die hier nicht einmal gefragt worden war. Die Auswirkungen dieses Urteils sind bewertet worden als im Ergebnis „as devastating to Indians and their rights als Plessy v. Ferguson was to the cause of civil rights for African-Americans“.357 Die PlessyEntscheidung wurde vom Supreme Court später aufgehoben,358 aber es wird auf den Unterschied zwischen der Behandlung der Sklaverei und der Indianerfrage vor dem Supreme Court hingewiesen: „Unlike the disturbing history of slavery, no arguably comfortable mileposts are 359 available. No Brown v Board of Education exists for Indian tribes“.

___________ 352

Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 69. Ex parte Crow Dog, 109 U.S. 556 (1883); Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 63 m. zahlr. w. Nachw. zur Rechtsprechung. 354 Strickland, „Crow Dog, Ex Parte“, Abs. 6 f. 355 Vgl. die ausf. Analyse von Clark, Lone Wolf v. Hitchcock, insbes. S. 109, wo er die noch heute von dieser Entscheidung ausgehende Gefahr darlegt. 356 Lone Wolf v. Hitchcock, 187 U.S. 553, 564 ff. (1903). Zu den politischen Zwängen, die mit zu dieser Entscheidung geführt haben können, vgl. Cross, 40 Ariz. L. Rev. [1998], 425, 445. 357 Clinton, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 77, 99. Er bezieht sich auf die Entscheidung Plessy v. Ferguson, 163 U.S. 537 (1896). 358 Ebenso wie die bereits erwähnte, Sklaverei stützende Entscheidung in Dred Scott v. Sandford, 60 U.S. (19 How.) 393 (1857) durch das berühmte Urteil in Brown v. Board of Education, 347 U.S. 483 (1954). 359 Resnik, 56 U. Chi. L. Rev. [1989], 671, 696 f. 353

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Wenngleich erst im nächsten Kapitel auf die Wirkungsweise von Völkerrecht im amerikanischen Recht detailliert eingegangen wird, ist bereits hier darauf hinzuweisen, dass diese grundsätzlich nach US-amerikanischer Rechtsauffassung bestehende Möglichkeit, einen internationalen Vertrag durch spätere Bundesgesetze zu überstimmen, zwar innerstaatlich entsprechende Rechtsfolgen hat, die völkerrechtliche Verpflichtung aber nicht beseitigt.360 Ferner müssen die entsprechenden Gesetze des Kongresses die Absicht der Beseitigung einer vertraglichen Wirkung klar zum Ausdruck bringen. Die Begründung für die allen Vertragsregeln zuwiderlaufende Kompetenz der einseitigen generellen Beendigung von Verträgen ist aus Sicht des Supreme Court die „plenary power“ des Kongresses, die dieser als Treuhänder über die Indianer ausübt. Ihm allein obliege es, die Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse mit den Indianern und auf den Indianerreservaten vorzunehmen und das oberste Gericht werde sich bei der Prüfung solcher politischer Regelungen zurückhalten, stattdessen in erster Linie nur prüfen, ob eine entsprechende Verkürzung der inhärenten Souveränität ausdrücklich gewollt war.361 Wenn der Kongress in Notzeiten – dies unbestritten – Vertragsprovisionen aussetzen könne, dann gehe das auch im üblichen Verfahren, und da es sich nur um die Übertragung indianischen Besitzes handle, sei es eine rein administrative Angelegenheit.362 Die Kompetenz des Kongresses wurde in United States v. Sandoval 1913 noch umfassender formuliert, als eine uneingeschränkte Entscheidungsgewalt der Bundesregierung über die Stammesregierungen festgestellt wurde, solange es sich um indianische Gemeinschaften handle.363 Zugunsten der indianischen Sichtweise urteilte der Supreme Court vorher, als es über den Zugang zu Wasserressourcen auf einem Reservatsgebiet ging. Die aus der Winters v. United States-Entscheidung von 1908364 abgeleitete ___________ 360 Darauf weist zu Recht Wiessner, 7 St. Thomas L. Rev [1995], 567, 584 hin; vgl. ferner Andress/Falkowski, 8 Am. Ind. L. Rev. [1980], 97, 103. Alfredsson, in: EPIL, S. 314 kritisiert jedoch, dass auf diese Völkerrechtsverletzung indianische Nationen nicht durch „international remedies“ reagieren können wie fremde Staaten. 361 Lone Wolf v. Hitchcock, 187 U.S. 553, 565 f. (1903). Zur Bedeutung der hierbei entwickelten „political question-doctrine“ bezüglich Indianerfragen vgl. unten und Clark, Lone Wolf v. Hitchcock, S. 108. 362 Kritik an dieser völlig undogmatischen und rechtlich nicht stringenten Begründung bei Deloria/Wilkins, Tribes, treaties and constitutional tribulations, S. 55. 363 United States v. Sandoval, 231 U.S. 28 (1913). Die Entscheidung bezog sich auf die Pueblo Indianer in New Mexico, die historisch die Besonderheit aufwiesen, dass sie erst nach dem Krieg zwischen den USA und Mexico durch den Vertrag von Guadalupe Hidalgo vom 02. Februar 1848 (9 Stat. 922, T.S. No. 207) unter das Territorium der USA fielen, vgl. dazu Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 92 ff. Abgestellt wurde auch bei diesem Urteil, ebda. S. 45 f., auf den Gedanken des Kolonialherren als Hüter der eroberten Bevölkerung. 364 Winters v. United States, 27 U.S. 564 (1908).

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Winters-Doktrin hat über Jahrzehnte die Entnahme von Wasser aus Gewässern, die auch durch Reservate fließen oder auf diesem Territorium liegen, limitiert.365 Die entsprechenden Verträge mit der indianischen Gemeinschaft müssten so interpretiert werden, wie es von den Repräsentanten verstanden worden war, wobei unklare Passagen zu deren Gunsten auszufallen haben.366 Daraus war ableitbar, dass die für die erfolgreiche Landwirtschaft benötigte Wassermenge im Reservatsgebiet vorhanden sein müsse. Eine ausdrückliche Abweichung von früheren vertraglichen Pflichten hat der Supreme Court sogar für die Fälle verneint, bei denen ein Tribe seine Anerkennung durch die Politik der „termination“ verloren hatte. Die Jagd- und Fischereirechte des Menominee Tribe seien nicht durch die Aberkennung des „federally acknowledged“ Status beseitigt worden – obwohl das möglich gewesen wäre –, so dass diese weiterbestehen.367 Der Supreme Court errichtete auch materielle Schranken bezüglich der Missachtung von Verträgen. So erwuchs ein Rechtsstreit zunächst vor dem Court of Claims, später vor dem höchsten Gericht, weil sich der Shoshone Tribe gegen die – trotz vertraglich zugesicherter ausschließlicher Rechte vorgenommene – Ansiedlung eines anderen indianischen Stammes auf seinem Reservat durch die Bundesregierung wehrte. Dabei entschied er, dass diese Einschränkung der vertraglichen Rechte rechtswidrig war, weil sie ohne Kompensation erfolgte. Zwar könne die „power to control and manage the property and affairs of Indians [...] for their betterment and welfare [...] in many ways and at times even in derogation of the provisions of a treaty“ ausgeübt werden, jedenfalls aber nicht durch Wegnahme ohne eine Kompensation, denn „spoliation is not management“.368 c) Zur Souveränitätsausübung über das Land und die Ressourcen Ergänzend zur Frage der Souveränität der indianischen Gemeinschaften in allgemeiner Form, hat sich der Supreme Court auch häufig zu Fragen der konkreten Rechte am von diesen bewohnten Land und seiner Nutzung äußern müssen.369 Bereits angeklungen ist, dass es dabei zum Beispiel um die Rechte am ___________ 365

Zur Anwendung der Winters-Doktrin vgl. Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 230 ff. 366 Carpenter v. Shaw, 280 U.S. 363, 367 (1930); Morris, 29 GYIL [1986], 277, 292. 367 Menominee Tribe v. United States, 391 U.S. 404 (1968). 368 Shoshone Tribe of Indians v. United States, 299 U.S. 476, 497 f. (1937); Dörr, in: FS Schiedermair, S. 927, 943. 369 Schon aus diesen Sonderrechten ergebe sich eine souveräne Stellung der Indian Nations, meint Schillhorn, Kulturelle Rechte indigener Völker, S. 85 f.

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fließenden Wasser, den Möglichkeiten zur Ausbeutung der Flora und Fauna z.B. in Form von gesonderten Jagd- und Fischereirechten sowie den Ressourcenabbau ging. Dabei erkennen sowohl die Gesetze als auch die Rechtsprechung des Supreme Court den besonderen Status indianischen Lands und die dort wirkende Herrschaft der Gemeinschaften und ihrer Stammesregierungen an.370 Schon in einer sehr frühen Entscheidung, lange bevor das System des „allotment“ genau dies zum Ziel hatte, ermöglichte das Gericht die Pacht von indianischem Land, um beispielsweise Rohstoffabbau in Minen zu betreiben.371 In dem Rechtsstreit zwischen der Oneida Indian Nation und dem County of Oneida findet sich folgende Beschreibung der besonderen Beziehung zum Land: „It very early became accepted doctrine in this Court that although fee title to the lands occupied by Indians when the colonists arrived became vested in the sovereign – first the discovering European nation and later the original States and the United States – a right of occupancy in the Indian tribes was nevertheless recognized. That right, sometimes called Indian title and good against all but the sovereign, could be terminated only by sovereign act.“372

Einbezogenes Element des so gekennzeichneten Landes seien grundsätzlich auch die unterhalb der Erdoberfläche liegenden Mineralien.373 Daher wurden in der Merrion v. Jicarilla Apache Tribe-Entscheidung vom Tribe erhobene, durch die Bundesbehörden bestätigte Steuern auf Öl- und Gasentnahme durch NichtIndianer auf gepachtetem indianischem Land aufrechterhalten.374 Diese eigentlich geschützte Beziehung zum Land ist aber für die indianischen Gemeinschaften deshalb häufig wertlos, weil der Supreme Court der Bundesregierung unter Berufung auf die plenary power-Doktrin jede Löschung eines Landtitels auch ohne Kompensation gestattet hat.375 Eine aus Alaska stammende indianische Gemeinschaft versuchte gegen eine Landwegnahme unter Berufung auf die entsprechende Klausel im V. Amendment der Verfassung vorzugehen. Da diese Verfassungsbestimmung auf die indigene Bevölkerung keine Anwendung findet und nach Ansicht des Supreme Court auch keine Analogien, blieb die Landwegnahme zulässig. Ausdrücklich wies das Gericht mit Blick auf die Indian Claims Commission darauf hin, dass bisher gezahlte Kompensationen nie aus rechtlicher Verbindlichkeit, sondern nur als Ausdruck guten Willens zur Wiedergutmachung vergangenen Unrechts gezahlt worden ___________ 370

Filvaroff/Hannum/Leary/Shelton, in: U.S. ratification of the human rights covenants, S. 71, 81; so als Bsp. Fisher v. District Court, 424 U.S. 352 (1976). 371 Mitchell v. United States, 34 U.S. (9 Pet.) 711, 746 (1835). 372 Oneida Indian Nation v. County of Oneida, 414 U.S. 661, 667 (1974). 373 United States v. Shoshone Tribe of Indians, 304 U.S. 111 (1938). 374 Merrion v. Jicarilla Apache Tribe, 455 U.S. 130 (1982). 375 Tee-Hit-Ton v. United States, 348 U.S. 272, 285 (1955).

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seien. An diese Feststellung schließt sich die Bemerkung an, dass ganz Amerika wisse, dass der indigenen Bevölkerung das Land weggenommen worden sei und die Gegenleistungen für die Landabtretungen nie angemessen gewesen, es sich also nicht um einen Kauf, sondern eine Wegnahme durch die Eroberer gehandelt habe.376 In einer jüngeren Entscheidung hat der Supreme Court den Umfang der „Tribal Sovereignty“ eines Tribes aus Alaska beschränkt. Obwohl das Instanzgericht deren Recht zur Steuererhebung bestätigte und zugleich die Stammessouveränität nochmals deutlich so weit erstreckte, dass die Verfassung der USA auf diesen Gebieten eben keine direkte Anwendung findet,377 entschieden die obersten Richter in einem knapp begründeten Urteil dagegen, wobei sie sich auf die Besonderheit der Kompensation der indianischen Gemeinschaften in Alaska durch den „Alaska Native Claims Settlement Act“ – dazu unten in Kap. 4 C. I. 1. b) näher –, an denen sich dieser Tribe jedoch nicht beteiligt hatte, stützten.378 Die besondere Beziehung der indigenen Gemeinschaften zu dem von ihnen bewohnten Land und die inhärente Souveränität führen dazu, dass die Nutzung des Landes weniger strengen Regeln unterliegt, als für die nicht-indianische Bevölkerung, die dort lebt und beispielsweise allgemeinen Jagdgesetzen unterliegt. Ausnahmerechte, die sich zum Beispiel auf das Recht beziehen, bestimmte Fischfangtechniken zu verwenden, die weißen Anglern verboten sind, haben wiederholt zu Verfahren vor Gerichten geführt, weil sich die nichtindianischen Amerikaner zu Unrecht ungleich behandelt fühlten. In der grundlegenden Montana v. United States-Entscheidung hat der Supreme Court die Kompetenz der Tribes zumindest insoweit eingeschränkt, als diese nunmehr kein Recht haben, die Fischerei durch Nicht-Indianer auf dem Reservat zu regeln, wenn diese auf Land im Privatbesitz innerhalb der Reservation stattfindet.379 So wie sich Oliphant als Weißer erfolgreich gegen die Jurisdiktion eines Tribal Court wehrte, entschied das höchste Gericht in Brendale v. Confederated Tribes & Bands of the Yakima Indian Nation, dass diese sogar keine Regelungskompetenz zur Einteilung von abgabepflichtigen Landabschnitten in den dünn besie___________ 376

348 U.S. 272, 289 f. (1955); vgl. zu dieser aus ihrer Sicht rassistischen Passage Daes, Indigenous peoples and their relationship to land, Final Working Paper Rdnr. 44; auch Deloria/Wilkins, Tribes, treaties and constitutional tribulations, S. 132 f. 377 Native Village of Venetie v. State of Alaska, 687 F. Supp. 1380, 1392 (D. Alaska 1988); vgl. zur Bedeutung Deloria/Wilkins, Tribes, treaties and constitutional tribulations, S. 156 f. 378 Alaska v. Native Village of Venetie Tribal Government, Nr. 96-1577 (1998), www.findlaw.com/casecode/supreme.html; die Entscheidung ist überwiegend stark kritisiert worden, vgl. nur zur Begründung und dem neuerlichen Rückzug des Supreme Court auf die Entscheidungskompetenz des Kongresses Anaya, 24 Seattle U. L. Rev. [2000], 229, 231 f. 379 Montana v. United States, 450 U.S. 544, 564 ff. (1981).

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delten Teilen der Reservation haben, die überwiegend von Nicht-Indianern bewohnt wird und in deren Eigentum steht. Anders sei es dagegen bezüglich Land von Nicht-Indianern, das in einem geschlossenen Gebiet liege, das seinen vornehmlich indianischen Charakter beibehalten habe.380 In der früheren MontanaEntscheidung waren noch Ausnahmefälle vorgesehen, die eine Regelungskompetenz der indianischen Gemeinschaft begründen, wenn die politische Integrität, die ökonomische Sicherheit oder Gesundheit und Wohlergehen des Tribes andernfalls beschädigt würde. Im Yakima-Urteil wurde dies eingeschränkt, weil die Ausnahmefälle nur noch Grundlage für eine Überprüfung der Aktivitäten der Nicht-Indianer vor einem Bundesgericht durch den Tribe sein könnten.381 Jedoch hat der Supreme Court 1999 in Minnesota v. Mille Lacs Band of Chippewa Indians die in einem Vertrag von 1837 zugesicherten umfangreichen Jagd-, Fischerei- und Sammelrechte der Chippewa auf dem Land, das sie an die Bundesregierung mit diesem Vorbehalt abgetreten hatten, bestätigt.382 d) Zur Frage des Schutzes der Religionsausübung Obwohl mit dem oben erwähnten „American Indian Religious Freedom Act“ ein höherer Schutz der Religion der indigenen Bevölkerung durch den Kongress beabsichtigt war, entwerteten zwei Supreme Court-Entscheidungen dieses Gesetz erheblich. In Lyng v. Northwest Indian Cemetery Protective Association ging es um den Bau einer Straße und das Fällen eines Waldstücks in einem für kalifornische Tribes bedeutsamen Wald, der zu einem großen Teil als National Forest eingeordnet war.383 Wiederum stellte das Gericht auf die Kompetenz der Bundesregierung als Eigentümer der Gegend ab, durch ihre Behörden selbst zu entscheiden, wie das Land genutzt wird.384 Obwohl anerkannt wurde, dass der ge___________ 380 Brendale v. Confederated Tribes & Bands of the Yakima Indian Nation, 492 U.S. 408, 409 ff. (1989). 381 So die Analyse von Clinton, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 77, 149. 382 Minnesota v. Mille Lacs Band of Chippewa Indians, Nr. 97-1337 (1999), www. findlaw.com/casecode/supreme.html; ausf. zu diesem Fall auch Hoeft, 14 Law & Ineq. [1995], 203, 228 ff. 383 Das Gericht bestand auf einer Entscheidung, obwohl das Gebiet während des Verfahrens zu einem Großteil zu speziell geschütztem Gebiet erklärt wurde, vgl. Deloria/Wilkins, Tribes, treaties and constitutional tribulations, S. 57, 114; Wilkins, American Indian Sovereignty, S. 258 f. 384 Worthen, 13 St. Thomas L. Rev. [2000], 239, 242, 245 analysiert die Rechtsprechung zur Nutzung heiliger Orte und kommt zum Ergebnis, dass eine Aufwertung der Eigentumsrechtsposition an Grundstücken stattgefunden habe und Native Americans daher nur gerichtlich obsiegen, wenn es sich um eigenes Land handelt, nicht jedoch bei

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plante Bau erhebliche negative Auswirkungen auf die Religionsausübung der betroffenen Gemeinschaften würde haben können, gewähre die Religionsfreiheit keinen Schutz, solange die Handlung der Regierung nicht darauf abziele, eben dieses Ziel zu erreichen oder Individuen zu einer Handlung gegen ihre Überzeugung zu zwingen.385 Da aber in jenem Fall auch nach Bau einer Straße das Gebiet auch von den Indianern genutzt werden könne, sei keine Verletzung festzustellen.386 Die Entscheidung ist vehement kritisiert worden, weil sie Ausdruck sei für einen Ethnozid durch Unterdrückung indianischer Religionsausübung, die gerade mit spirituellen Plätzen eng verbunden ist.387 Diese Verbindung zu bestimmten Örtlichkeiten führt dazu, dass manche Plätze für die Religionsausübung unverzichtbar sind und daher die sonst übliche Vorstellung einer Entschädigungszahlung bzw. Zuteilung neuen Landes als Ersatz kaum geeignet ist, dem beabsichtigten Schutz der Religion zu helfen.388 Auch die Religionsausübung durch indianische Gefängnisinsassen hat die Gerichte häufig beschäftigt, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Inhaftierung von Leonard Peltier. Sind diese zunächst davon ausgegangen, dass sowohl der Gebrauch des halluzinogen wirkenden Strauches der Peyote in religiösen Zeremonien, als auch die Verwendung von Adlerfedern und das Tragen langer Haare im Gefängnis der Religionsfreiheit unterfallen, gab der Supreme Court in Employment Division v. Smith eine Kehrtwende bekannt.389 Smith hatte geklagt, weil er nach seiner Entlassung durch seinen Arbeitgeber aufgrund des Gebrauchs der Peyote-Frucht in einer religiösen Zeremonie außerhalb der Arbeitszeit mit der Begründung, die Entlassung beruhe auf dem Gebrauch einer illegalen Substanz, kein Arbeitslosengeld beziehen konnte. Das oberste Gericht hielt in der Entscheidung das Recht der Staaten aufrecht, den Gebrauch von Peyote zu kriminalisieren, weshalb dem Beschwerdeführer kein Anspruch zustehe. Die vom Kongress in einem späteren Gesetz ausdrücklich verankerte Einbeziehung des zeremoniellen Gebrauchs von Peyote in die Religionsfreiheit ist seinerseits vom Supreme Court als verfassungswidrig verworfen worden.390 ___________ Privatbesitz oder öffentlichem Land, selbst wenn dieses seit langem von den Tribes genutzt wird. 385 Lyng v. Northwest Indian Cemetery Protective Association, 485 U.S. 439 (1988). 386 Vgl. dazu Herz, 79 Va. L. Rev. [1993], 691, 706; er verweist auf eine Reihe weiterer heiliger Orte, die durch Erschließung gefährdet sind, ebda., S. 706 f. 387 Williams, Duke L. J. 1990, 660, 692 Fn. 113; vgl. allg. Levendosky, in: Native American Rights, S. 38 ff. 388 Clinton, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 77, 154 m.w.N. 389 Employment Division v. Smith, 494 U.S. 872 (1990); vgl. zur Problematik auch Echo-Hawk, in: Native American Rights, S. 45, 48 ff. 390 City of Bourne v. Flores, 521 U.S. 507 (1997); vgl. dazu auch Deloria/Wilkins, Tribes, treaties and constitutional tribulations, S. 57, 117.

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e) Zum Verhältnis zwischen Indian Nations, Staaten und Bundesebene Nach dem XI. Amendment zur amerikanischen Verfassung in der Interpretation des Supreme Court genießen die Einzelstaaten Immunität gegen Klagen auch vor den eigenen Gerichten, wenn sie nicht ausdrücklich darauf verzichten.391 Die aus der Souveränität ableitbaren Argumente dafür, dass die Staaten bewahrt werden sollen vor Klagen, die zum Bankrott führen oder die Regierungsgeschäfte blockieren können, gelten im Grunde genommen ebenso für die Indian Tribes aufgrund deren „tribal sovereignty“ (dazu oben in Kap. 3 C. II. 3.).392 Dies wurde vom Supreme Court auch anerkannt, wobei hier die Besonderheit bestehe, dass der Verzicht auf die Immunität für die Indian Nations auch durch den Kongress herbeigeführt werden könne.393 Die grundlegende Entscheidung zum Verhältnis der Souveränität der Einzelstaaten zu derjenigen der Tribes hat der Supreme Court 1996 durch eine Stellungnahme zur Immunität der Staaten getroffen. Dabei ging es um die Errichtung von Kasinos und Glücksspielmöglichkeiten auf den Reservaten, die die Tribes grundsätzlich aufgrund ihrer inhärenten Souveränität auch dort betreiben können, wo sie im jeweiligen Bundesstaat verboten sind. Als das KasinoGeschäft auf den Reservaten bedeutsamer wurde, erließ der Kongress 1988 den „Indian Gaming Regulatory Act“394 und verpflichtete damit die am Glücksspiel interessierten Tribes zum Abschluss von Vereinbarungen über die Durchführung des „Gambling“.395 Damit wurden zugleich die Bundesstaaten gezwungen, in Verhandlungen in „good faith“ einzutreten und bei Weigerung sollte es möglich sein, diese vor Bundesgerichten zu verklagen. Um genau diese Beschränkung der staatlichen Immunität wie sie oben dargelegt wurde, ging es in Seminole Tribe of Florida v. Florida.396 Sowohl die Staaten als auch die Tribes sahen den Erlass des Bundesgesetzes widersprüchlich: aus Sicht der Tribes be___________ 391

Hans v. Louisiana, 134 U.S. 1 (1890). Wilson, 24 Am. Ind. L. Rev. [2000], 99, 100. 393 United States v. United States Fidelity & Guaranty Co., 309 U.S. 506 (1940); dazu Wilson, 24 Am. Ind. L. Rev. [2000], 99, 111. 394 Act of Oct. 17, 1988, Pub. L. No. 100-497, 102 Stat. 2467, an zahlreichen Stellen kodifiziert; vgl. dazu Clinton, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 77, 142 Fn. 197. 395 Dies war eine Reaktion auf California v. Cabazon Band of Mission Indians, 480 U.S. 202 (1987), in dem der Supreme Court es einzelstaatlichem Recht untersagte, das Gambling auf Reservaten, das an Nicht-Indianer gerichtet war, zu verbieten. Damit sei aber der IGRA ein „instrument of destruction of tribal rights, not a law conferring rights“, so Ducheneaux, in: Native American Rights, S. 187, 188. Zur CabazonEntscheidung Brietzke/Kline, 78 Neb. L. Rev. [1999], 263, 301 ff. 396 Seminole Tribe of Florida v. Florida, 517 U.S. 44 (1996); vgl. zu den Auswirkungen der Entscheidung Brietzke/Kline, 78 Neb. L. Rev. [1999], 263, 311 ff. 392

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schränkte er einerseits ihre Souveränität, weil sie nun vor der Durchführung des Glücksspiels eine Vereinbarung schließen mussten, andererseits stand ihnen dieses Recht nun ausdrücklich zu und sie konnten die Staaten zur Mitwirkung zwingen. Die Bundesstaaten hingegen griffen die Beschränkung ihrer Souveränität an, sahen aber zugleich den Vorteil in diesem expandierenden Bereich wenigstens beteiligt zu sein. Der Konflikt vor dem obersten Gericht war unvermeidbar und im Grunde genommen vertraten beide Seiten eine ihnen nicht genehme Position,397 im Falle der Tribes war sogar ein Unterliegen vor Gericht ihren Interessen eher entsprechend, weil dann – jedenfalls wurde vermutet – die Kompetenz zur Durchführung von Glücksspiel wieder alleine bei ihnen liege.398 Mit der Bundesregierung argumentierte die indianische Gemeinschaft, dass der Kongress wegen der Commerce Clause bezogen auf die Indianer in solchen Fragen die historisch bedingte Immunität der Bundesstaaten vor gerichtlicher Verfolgung in Bundesgerichten aufheben könne. Der Supreme Court widersprach jedoch mit dem Hinweis auf das XI. Amendment der Kompetenz der Bundesregierung den Staaten eine Verhandlung aufzuzwingen, weil diese mehr seien als Unterabteilungen der Bundesebene. Insoweit sei auch das Gesetz verfassungswidrig.399 Diese Position war innerhalb des Gerichtes heftig umstritten und Richter David Souter las in einem ungewöhnlichen Schritt seine abweichende Meinung laut vor dem versammelten Gericht vor, in der er die Verfassungsmäßigkeit unter Hinweis auf die eindeutige historische Sachlage unterstrich.400 Der Kongress habe immer schon die Kompetenz besessen und benutzt, die Immunität der Staaten in Indianerangelegenheiten zu umgehen. Bei einer anderen Entscheidung würden die schwächeren Gruppen im Staatsaufbau, die bislang ihre Rechte vor den Bundesgerichten erstreiten konnten, von dieser Möglichkeit ausgeschlossen. Die Entscheidung führte dennoch im Ergebnis dazu, dass für die Indianer die Durchführung von Glücksspiel einfacher wurde, weil nur noch eine Genehmigung durch das Innenministerium benötigt wurde.401 Ferner hat die Begründung des Gerichts die Aussagen der Santa Clara-Entscheidung von 1978 mittelbar relativiert, wonach der Kongress jederzeit und unbeschränkt die Indian Tribes unter Aufhebung ihrer Immunität zu Parteien vor Bundesgerichten machen könne.402 In der Literatur ist in Reaktion auf dieses Urteil aufgezeigt worden, dass es ohne Weiteres möglich ist, die Souveränität der Staaten und der Tribes ___________ 397

Eklund, 20 Hamline L. Rev. [1996], 125, 127, 160, 164 f. Denn so hatte der Supreme Court in California v. Cabazon Band of Mission Indians, 480 U.S. 202 (1987) entschieden. 399 Seminole Tribe of Florida v. Florida, 517 U.S. 44, 65 (1996). 400 Vgl. zu den Sondervoten auch Eklund, 20 Hamline L. Rev. [1996], 125, 145 f. 401 Hall, „Seminole Tribe of Florida v. Florida“, Abs. 9. 402 Wilson, 24 Am. Ind. L. Rev. [2000], 99, 120 f., 123. 398

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nebeneinander aufrechtzuerhalten und dass lediglich Konflikte zwischen diesen nicht vor Bundesgerichten, sondern vor eigens eingerichteten Foren gelöst werden sollten.403 Obgleich der Supreme Court zwei Jahre nach Seminole Tribe in Kiowa Tribe of Oklahoma v. Manufacturing Technologies, Inc. die Doktrin der „tribal immunity“ für fehlerhaft erklärte, hielt er sich an sie, weil es insoweit eine Entscheidung des Kongresses sei und dieser sie befolge.404 Er betonte aber, dass der Kongress diese jederzeit auch wieder ändern könne.405 4. Kritik an der Rolle des US Supreme Court a) „Judicial restraint“ und „political question“-Doktrin Der obige Überblick über die Rechtsprechung des Supreme Court zum Federal Indian Law hat bereits gezeigt, dass die von ihm vertretenen Ansätze kaum geeignet sind, viele Streitfragen zu einer Lösung zu bringen. Ein Grundproblem ist dabei – wie es Chief Justice Marshall bereits vor bald zweihundert Jahren formuliert hat –, dass die Gerichte der Eroberer dann ungeeignet sind, das Recht der Eroberten wirksam zu schützen, wenn diese nicht vollständig unterdrückt wurden, sondern mit eigenen Souveränitätsrechten fortbestehen. Insoweit ist dem höchsten US-amerikanischen Gericht zuzugestehen, dass es seit der Marshall-Trilogie daran festgehalten hat, dass im Vordergrund die fortbestehende Souveränität der indigenen Völker steht, die beispielsweise auch das Recht enthalten muss, die eigene Mitgliedschaft bzw. „Staatsangehörigkeit“ im von der Verfassung der USA vorgegebenen Rahmen zu bestimmen.406 Erst nachrangig wirken die Einschränkungen dieser inhärenten Souveränität, namentlich wenn sie ausdrücklich vom Kongress vorgenommen wurden. Andererseits hat sich der Supreme Court bald von der Herangehensweise Marshalls gelöst und verzichtet auf die Einbeziehung von Völkerrecht in seine Judikate, womit er sich gegenüber anderen obersten Gerichten in Common Law-Staaten wie Kanada und Australien zurücknimmt.407 Letztere können durch ihre Spruchtätigkeit rechtliche Fragen unter Berücksichtigung des Völkerrechts so ändern, dass diese wiederum Rückwirkung auf die Entwicklung von Völkerge-

___________ 403

Eklund, 20 Hamline L. Rev. [1996], 125, 148 f., 165 f. Kiowa Tribe of Oklahoma v. Manufacturing Techs. Inc., Nr. 96-1037 (1998), www.findlaw.com/casecode/supreme.html. 405 Vgl. Wilson, 24 Am. Ind. L. Rev. [2000], 99, 124 ff. 406 Dörr, in: Aktuelle Probleme des Menschenrechtsschutzes, S. 150, 151. 407 Ehrlich, 7 NEICLA [2001], 1, 27. 404

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wohnheitsrecht entfalten können, das sich dann später wieder in nationalen Entscheidungen widerspiegelt.408 In Indianerangelegenheiten hat sich die „political question doctrine“ des Supreme Court als besonders problematisch erwiesen, weil das Gericht damit die alleinige Kompetenz zur Entscheidung über solche Fragen dem Kongress überlassen und zunächst eine Rechtskontrolle unterlassen hat. Hintergrund ist die Vorstellung eines „judicial restraint“, also einer Zurückhaltung der Judikative in Fragen, die rein politischer Natur sind. Nach der Überzeugung des Gerichts ergeben sich solche Angelegenheiten aus folgenden Kontrollfragen: „(i) Does the issue involve resolution of questions committed by the text of the Constitution to a coordinate branch of Government? (ii) Would resolution of the question demand that a court move beyond areas of judicial expertise? (iii) Do prudential considerations counsel against judicial intervention?“.409

Bei Fragen, auf die die Verfassung keine justitiablen Antworten bereitstellt, kann das Gericht eine Kompetenz nach Art. III US Constitution verneinen, wenn weder das Gemeinwohlinteresse noch der Schutz der institutionellen Integrität eine gerichtliche Entscheidung verlangen.410 Auch die fehlende sachliche und personelle Kompetenz in bestimmten Fragen kann eine Antwort unter Hinweis auf die Doktrin verbieten.411 Wie oben dargelegt, hat der Supreme Court diese Doktrin in Lone Wolf v. Hitchcock auf Indianerangelegenheiten angewandt und ist davon ausgegangen, dass Kompetenzen insoweit ausschließlich beim Kongress liegen – die sog. „plenary powers“ – und er dessen Handlungen auch nicht nachprüfen werde. Dies wurde später relativiert412 und 1980 fand erstmals das volle Konzept der „judicial review“ von Handlungen des Kongresses bei der Kompensation für Landverluste von Indianern Anwendung, womit gleichzeitig klargestellt wurde, dass der Kongress nicht vollständig vor gerichtlicher Kontrolle abgeschirmt ist.413 Die vorherige Zurückhaltung ist kritisiert worden, weil das Verhalten des Gerichts damit überwiegend nichts anderes gewesen sei, als eine Begründung zu jedem Verhalten des Kongresses zu liefern, das dieser mit dem „Siegel des Rechts“ begründet haben wollte.414 ___________ 408

Zu diesen gegenseitigen Wirkungen vgl. Ehrlich, 7 NEICLA [2001], 1, 4. Goldwater v. Carter, 444 U.S. 996, 998 (1979). 410 Brugger, Grundrechte und Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 17 f. unter Verweis auf die Ursprünge in Marbury v. Madison, 5 U.S. (1 Cranch) 137 (1803). 411 Baker v. Carr, 369 U.S. 186, 210 ff. (1962); Brugger, Grundrechte und Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 18. 412 Vgl. Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 218 f. 413 Clark, Lone Wolf v. Hitchcock, S. 107 f. 414 So kritisch Lâm, At the Edge of State, S. 15 f. m.w.N. Ebenso unten Fn. 432. 409

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b) Grundprinzipien der Rechtsprechung in Indianerangelegenheiten Unabhängig von den negativen oder positiven Auswirkungen auf die indianischen Gemeinschaften liegt im Festhalten des Supreme Court an den drei Grundprinzipien des Federal Indian Law – „plenary power“, eingeschränkte „tribal sovereignty“ und „ward-guardian-relationship“415 – eine Fortsetzung der Kolonialisierungsgeschichte, denn die Begründung für diese Prinzipien entspricht der christlich fundierten Begründung des Eroberungsrechts durch päpstliche Bullen.416 Demnach sind die „Wilden“ unter den Herrschaftsanspruch der USA gelangt, so dass deren (Bundes-)Regierung mit diesen verfahren könne, wie es ihr beliebe, solange sie ihre Pflichten als beschützender Treuhänder zugunsten des Mündels ausübe. Daher könne er die weiterhin in den indianischen Gemeinschaften liegende eigene Souveränität immer weiter einschränken, wobei dies ausdrücklich zu erfolgen habe, außer wenn eine implizite Abtretung von Kompetenzen erfolgt sei.417 Die extensive Befugnis des Kongresses durch die „plenary power“, die das Gericht vor allem in Kagama, Lone Wolf und Sandoval stückweise entwickelt hat, stellt eine Abkehr von den von Marshall in Worcester und Cherokee Nation gefundenen Prinzipien dar. Weder völkerrechtlich aus der damaligen Sicht, wie Marshall es richtig erkannt hatte, noch innerstaatlich mit der Entstehunggeschichte der Verfassung ließ sich diese weite Kontrollkompetenz begründen.418 Die Indian Commerce Clause in Art. I sec. 8 der Verfassung diente nicht zur Einführung eines Beherrschungsmodus über die Indianer – mit diesen wurden zu jenem Zeitpunkt, wie ausführlich dargestellt, Verträge wie mit „foreign nations“ geschlossen –, sondern vielmehr der Vermeidung von Konflikten zwischen der Bundes- und Staatenebene. Wenn der Supreme Court die Kompetenz des Kongresses aus der Verfassung implizit ableiten wollte, hätte er auf die geschichtliche Entwicklung eingehen müssen und hätte keine Präzedenz für dieses Vorgehen gefunden.419 Letztlich ist die Einführung der Doktrin nur mit dem tatsächlichen militärischen und politischen Machtungleichgewicht zwischen den Indian Nations und der Bundesregierung zum Zeitpunkt des Erlasses der Urteile zu erklären.420 Andererseits hat der Supreme Court die scheinbar ___________ 415 Wilkins, American Indian Sovereignty, S. 4 f. weist darauf hin, dass diese Konzeptionen alle „extralegal and extraconstitutional“ seien. 416 Diesen Nachweis führt Williams, 8 Ariz. J. Int’l. & Comp. L. [1991], 51, 67 f. 417 Zu letzterer Begründung oben Text zu Fn. 323; vgl. ferner Williams, 8 Ariz. J. Int’l. & Comp. L. [1991], 51, 67. 418 Clinton, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 77, 112. 419 Deloria/Wilkins, Tribes, treaties and constitutional tribulations, S. 29 f. 420 So deutlich Clinton, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 77, 115.

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unlimitierte Kompetenz des Kongresses wieder limitiert, indem er deutlich gemacht hat, dass sie nicht absolut sei.421 Dennoch hat er in seiner Rechtsprechung kaum je ein Handeln des Kongresses gegen die Indianernationen für verfassungswidrig erklärt.422 Die von einzelnen Richtern in ihren Sondervoten ausdrücklich geforderte vollständige Beseitigung oder die vom Richterkollegium in verschiedenen Entscheidungen ausgesprochene implizite Beschränkung dieser Doktrin sollte zur Wiederherstellung echter Souveränität der indigenen Völker in den USA in vollem Umfang verwirklicht werden, denn nur so kann eine echte „government-to-government“-Beziehung entstehen. Das Gericht könnte mit einem solchen Brown v. Board of Education entsprechenden Meilenstein „no greater step toward goodwill“ zeigen.423 Die bisher in vielen Entscheidungen zum Ausdruck gekommene Unterstützung der „tribal sovereignty“ in Einzelfragen war oft von der Ambivalenz im konkreten Fall hinsichtlich seines Ausgangs geprägt oder doch von der von manchen Besetzungen des Supreme Court geäußerten grundsätzlichen Kritik an diesem Konzept.424 In der Santa Clara Pueblo-Entscheidung beispielsweise wird zwar scheinbar eine weitere gerichtliche Ebene neben den Federal und State Courts zementiert, aber die Kompetenz der auf dieser Ebene liegenden Tribal Courts wird nur fallweise anerkannt und hängt wohl vor allem davon ab, ob sich diese Gerichte in ihrer Rechtsprechung so verhalten, wie es die Bundesgerichte erwarten.425 Obgleich die Vorstellung eines Treuhänder-Mündel-Verhältnisses („wardguardianship“) schon dem Wortlaut nach eine Abwertung der indianischen Gemeinschaft vom ursprünglich souveränen Status meint, ist es diese Doktrin, die sich am stärksten zugunsten der indigenen Bevölkerung ausgewirkt hat. Marshall entwickelte das Konzept in Anlehnung an die Feudalstaaten in Europa, wonach z.B. das Fürstentum von Monaco seine territoriale Integrität und seine Selbstregierungskompetenz innerhalb seines Gebietes behalten hat, obwohl es sich einem anderen Souverän in Fragen des militärischen Schutzes und ___________ 421

United States v. Antelope, 430 U.S. 641 (1977). Ferguson, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 275, 279. 423 Clark, Lone Wolf v. Hitchcock, S. 110. 424 Gover, 24 Am. Indian L. Rev. [2000], 219, 221 kritisiert, dass es dem aktuellen Supreme Court am Verständnis für die „tribal sovereignty“ fehle und ihm nicht klar sei, dass jede Beschneidung der Rechte auf lange Sicht eine Beschädigung des Rechtsstatus der „tribal governments“ bedeute, die aber keine temporäre „abzuwickelnde“ Erscheinung seien, sondern „intended to be permanent features of the American political governmental landscape“. 425 Zu diesem Assimilationsdruck Resnik, 56 U. Chi. L. Rev. [1989], 671, 747 f.; Gover, 24 Am. Indian L. Rev. [2000], 219, 222 meint daher, dass für den Erfolg im konkreten Fall ein hoher Preis bezahlt worden sei. 422

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der Außenbeziehungen unterworfen hat.426 Daher habe der neue Souverän auch seine Kompetenzen immer im Sinne und zum Besten des Mündels auszuüben, in den Worten des Supreme Court ergeben sich daraus „obligations of the highest responsibility and trust“.427 Handlungen, die sich gegen die Integrität der indianischen Gemeinschaften richten, sind danach ein unzulässiger Verstoß gegen diese Schutzpflicht. Die negative Konnotation dieses Schutzpflichtverhältnisses würde zurücktreten, wenn verstärkt auf die finanziellen Verpflichtungen der USA gegenüber der indigenen Bevölkerung abgestellt würde, woraus sich überhaupt erst das „ward-guardianship“-Verhältnis ergebe.428 c) Fehlendes Gesamtkonzept des Supreme Court Die Beurteilung von Fragen aus dem Federal Indian Law ist deshalb so schwierig, weil es in der Rechtsprechung des US Supreme Court an einer diesbezüglichen Konstanz fehlt. Vielmehr sind die Urteile zu Einzelfragen innerhalb der Grundprinzipien der Rechtsprechung in Indianerangelegenheiten von einer gewissen Sprunghaftigkeit gekennzeichnet.429 Dies gilt beispielsweise für die Festlegung von Sonderrechten auf dem Reservat zur Fischerei, die häufig aus Verträgen abgeleitet werden können:430 „There is presently no accurate way to predict or anticipate how the Supreme Court will interpret an Indian treaty, nor is there any way to determine whether or not the Congress will require a federal or state agency to follow the provisions of an Indian treaty.“431

Daher gibt es durchaus vehemente Kritik an der Rolle des Supreme Court, der nur als Bastion für die Rechte der Indianer bezeichnet werden könne, wenn beschränkte Phasen betrachtet werden, insgesamt gelte dagegen vielmehr: „On the whole, however, the Supreme court has been inattentive, flippant, and disrespectful of Indian rights, and has seen its task as one of finding arguments that will 432 make actions by the other two branches appear legal.“

___________ 426

Clinton, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 77, 130. Seminole Nation v. United State, 316 U.S. 286, 297 (1942). 428 So z.B. in der Entscheidung United States v. Mitchell, 463 U.S. 206, 224 (1983); dazu Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 180 ff. 429 Wilkins, American Indian Sovereignty, S. 3. 430 Zu den im vorigen Abschnitt 3. b) und c) genannten Urteilen tritt eine Vielzahl weiterer, vgl. dazu nur Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 449 ff., 464 ff. 431 Deloria/Wilkins, Tribes, treaties and constitutional tribulations, S. 68. 432 So die scharfe Kritik von Deloria/Wilkins, Tribes, treaties and constitutional tribulations, S. 52, die vor allem die häufig undogmatische Herangehensweise in Indian LawFällen bemängeln. Ähnlich bereits Wilkins, American Indian Sovereignty, S. 5. Ähnlich deutlich Anaya, 24 Seattle U. L. Rev. [2000], 229: 427

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Kapitel 3: Die Indianer Nordamerikas

Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Supreme Court in den USA sehr stark von den jeweiligen Richterpersönlichkeiten und insbesondere vom Chief Justice geprägt wird. Dies zeigt sich bezüglich der Indianerfragen z.B. an der prominenten Stellung der Marshall-Trilogie, weil dieser mit den von ihm verfassten Urteilen für die Mehrheit des damaligen Gerichts „einen Stempel aufgedrückt“ hat. Im ausgehenden 20. Jahrhundert war der Supreme Court von einer eher konservativen Prägung mit einer Mehrheit von unter republikanischen Präsidenten ernannten Richtern unter Vorsitz des Chief Justice Rehnquist geprägt,433 was sich auch nicht in seitherigen Umbesetzungen geändert hat. Chief Justice Rehnquist hatte bezüglich Indianerfragen schon sehr früh deutlich seine Haltung kundgetan. In der bekannten United States v. Sioux NationEntscheidung – dazu näher in Kap. 3 D. 2. –, der ganz unbestritten ein Sachverhalt zugrunde lag, bei dem eindeutig die Sioux Nation in massiver Weise hintergangen wurde, was die Mehrheit auch so festgestellt hat, verfasste er noch als einfacher Richter ein dissenting vote. Darin gab er zwar zur Rolle der USRegierung zu, dass „undoubtedly greed, cupidity, and other less-than-honorable tactics employed by the Government during the Black Hills episode“ festzustellen seien. Jedoch hätten auf der anderen Seite schließlich auch die Indianer ihren Anteil an „villainy“.434 Da es in dem Fall ausschließlich um die Frage der Kompensation für zu Unrecht weggenommenes Territorium und nicht um eine historische Abrechnung des Verhaltens der Weißen und der Indianer im Allgemeinen ging, zeugt diese Aussage von fehlender Sachlichkeit und einer gewissen Voreingenommenheit. Entsprechend wurden seine im abweichenden Votum unsubstantiiert vorgebrachten Vorwürfe über die Sachverhaltsermittlung im konkreten Fall in ebenso scharfen Worten in einer Erwiderung des Berichterstatters für die Mehrheitsmeinung als unsachlich und falsch zurückgewiesen.435 Es überrascht jedenfalls nicht, dass der Supreme Court unter Rehnquist zumindest einige deutliche Beschränkungen der „tribal sovereignty“ vorgenommen und auch die Religionsfreiheit der Indianer einschränkend ausgelegt und damit die aktuelle Lage geprägt hat.436 ___________ „The Court’s jurisprudence in this area provides perhaps the starkest American example of the appellate judiciary functioning in an antitherapeutic role in the context of majority-minority conflicts“. 433 Zu diesem Wilkins, American Indian Sovereignty, S. 198. 434 United States v. Sioux Nation of Indians, 448 U.S. 371, 388, 435 (1980). 435 Vgl. im Einzelnen dazu die Bewertung von Deloria/Wilkins, Tribes, treaties and constitutional tribulations, S. 55 f. 436 Nachweise bei Frickey, 59 ZaöRV [1999], 383, 387 Fn. 20; kritisch zu dieser konservativen Wende, die Verfahren vor Bundesgerichten zur Zeit als eher ungeeignetes Mittel zur Weiterung indianischer Rechte mache, Gover, 24 Am. Indian L. Rev. [2000], 219, 221, so dass es vor dem Supreme Court schon ein Erfolg sei, wenn die Rechtslage auf eine Entscheidungsfrage hin unverändert bleibe.

D. Historische und moderne Problemfelder

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Der Supreme Court ist jedoch insgesamt in der Beurteilung der gesamten US-amerikanischen Geschichte im Vergleich zu den Präsidentschaften und dem Kongress noch am positivsten zugunsten der Souveränität der indianischen Gemeinschaften und ihrer Vertragsrechte eingetreten.437 Die Fälle, in denen er sich gegen die Rechte der indigenen Völker gestellt hat, wiegen daher um so schwerer.438 Seine Rolle bleibt anhaltend wichtig, denn noch immer stellen die von ihm entschiedenen Fälle mit Bezug zu indianischen Fragen einen an der Bevölkerungszahl gemessen deutlich überproportionalen Anteil seiner Rechtsprechung dar.439

D. Historische und moderne Problemfelder Im Folgenden soll nochmals kurz auf einige konkrete Fälle und Problembereiche eingegangen werden, die die Schwierigkeiten der Indianer in den USA illustrieren und auch die oben allgemein dargestellte Rechtssituation häufig als nur unvollkommen umgesetzt erscheinen lassen. Auch zeigt sich an den – ohne systematische Überlegung, eher „zufällig“ herausgesuchten – Beispielen die Aktualität der Thematik. Stand in früheren Zeiten vor allem die lebensbedrohende Gefahr physischer Auslöschung für die Indianer im Vordergrund ihres Abwehrinteresses, ist es heute eher die beständige Einschränkung kultureller Möglichkeiten und weiterhin umstrittene Rechte am Land und den Ressourcen in den Reservaten sowie Sonderrechten wie zum Beispiel „Gambling“-Rechte, die Schwierigkeiten verursachen.440 Die folgenden praktischen Probleme bei der Einforderung der Rechte zeigen auch, dass die USA in vielen Bereichen ihre Zusagen nicht einhält oder gar Judikate nicht umsetzt. Dabei macht sich häufig ein bei vielen noch immer unverhohlener Rassismus gegenüber der indigenen Bevölkerung bemerkbar.441 ___________ 437

Entscheidungen aus jüngerer Zeit könnten jedoch insoweit wieder eine Veränderung bedeuten, so jedenfalls Cleveland, 12 Pace Int’l. L. Rev. [2000], 397, 399 Fn. 12. 438 Vgl. Wilkins, American Indian Sovereignty, S. xi. 439 Vgl. beispielhaft Frickey, 59 ZaöRV [1999], 383, 386; allg. zur Funktion und Umfang von Fällen der obersten Gerichtshöfe in Staaten mit signifikanter indigener Bevölkerung Werther, Self-Determination in Western Democracies, S. 65 ff. 440 Insbesondere die „Privilegien“ bei der Veranstaltung des „Gambling“ sind im letzten Jahrzehnt erheblich unter Druck geraten, vgl. dazu die Beiträge oben Fn. 245 f. und Meldung, NZZ Nr. 302 v. 29./30.12.2001, S. 5 sowie Booth, Washington Post v. 24.08.1999, S. A2. Vgl. zu den Rechten der Ein anderes Beispiel sind die Rechte der Hawaiianer, vgl. Meldung, Court TV v. 04.10.1999. 441 Den „backlash“ der weißen Bevölkerung, die sich durch erweiterte Rechte von Indianern „bedroht“ fühlt, der sich z.B. im „American „antitreaty“ movement“ niederschlug, zeigt Werther, Self-Determination in Western Democracies, S. 97 auf.

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Kapitel 3: Die Indianer Nordamerikas

I. Der Versuch einer „Extinction“ und die Genozid-Konvention Wenngleich seit längerem eine akute physische Bedrohung der indigenen Bevölkerung der USA durch die Mehrheitsgesellschaft nicht mehr vorliegt, waren die kulturellen Beschneidungen, die einem Ethnozid mit dem Ziel der Auslöschung indianischer Identität gleichkamen, noch bis vor wenigen Jahrzehnten gängige Praxis gewesen. Eine direkte Anwendung der GenozidKonvention442 auf die Behandlung der indigenen Bevölkerung der USA in früherer Zeit scheidet selbstverständlich aus, da diese die Konvention erst 1988 ratifiziert hat und eine Rückwirkung nicht möglich ist.443 Dennoch lohnt ein Blick auf die Frage der Einschlägigkeit des Konventionstatbestandes. Entsprechende Befürchtungen hinsichtlich der Native Americans führten neben anderem auch dazu, dass vier Jahrzehnte zwischen der Ratifikationsvorlage von Präsident Truman an den Senat bis zur eigentlichen Ratifikation vergingen, worauf noch ausführlicher eingegangen werden wird.444 Es steht wohl außer Frage, dass die kriegerische Unterdrückung der indigenen Bevölkerung in den USA aus heutiger Sicht den Genozid-Tatbestand von Art. II der Konvention445 erfüllen würde.446 Lediglich die Frage des Nachweises einer solchermaßen ausgerichteten Absicht, die der Tatbestand fordert, bleibt offen.447 Die oben beschriebene, in ihrer Schärfe abnehmende Politik der Un___________ 442

Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 09.12.1948, Sart. II Nr. 48 = Tomuschat (Hrsg.), Völkerrecht, Nr. 11. 443 Hingegen kann heute unzweifelhaft von einer völkergewohnheitsrechtlichen Geltung des Völkermordverbotes als ius cogens ausgegangen werden, vgl. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 276. 444 Vgl. dazu insbesondere Text zu Kap. 4 Fn. 57. 445 Zur Auslegung der einzelnen Tatbestandsalternativen vgl. Schoder, Vom Minderheitenschutz zum Schutz verwundbarer Gruppen, S. 77 ff. So zählt z.B. auch das Aushungern durch Zerstörung der Nahrungsmittel zu Art. II (c), weshalb auch die systematische Ausrottung der Büffelherden im Bezug auf die sog. Prärieindianer – vgl. zu den Zahlen Thornton, American Indian Holocaust and Survival, S. 51 ff. – ein weiterer Anknüpfungspunkt für eine „fiktive“ Anwendung der Konvention ist, dagegen nicht die systematische Deportation ganzer Bevölkerungsteile (wenn es sich nicht lediglich um die Kinder handelt), wie sie durch die Vertreibung in die Reservate geschah. 446 Ermacora, Menschenrechte in der sich wandelnden Welt, S. 395 Rdnr. 161, 472 Rdnr. 208 („Bis zur Schlacht am Wounded Knee [...] gesamte Auseinandersetzung vom Blickwinkel modernen Völkerrechts aus gesehen als Akte des Völkermordes zu bezeichnen haben.“), 597 Rdnr. 9 („schleichender, faktischer Genocide“) bejaht den Tatbestand; ebenso Watrin, Das Parlament Nr. 5 v. 27.01.2003, S. 14; Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 63 f. 447 Auf diesen Hinweis in der Literatur geht Schabas, Genocide in international law, S. 214 Fn. 42 ein. Vgl. dazu auch Schoder, Vom Minderheitenschutz zum Schutz verwundbarer Gruppen, S. 80.

D. Historische und moderne Problemfelder

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terdrückung und später Assimilation der indigenen Bevölkerung durch die USA wurde jedoch offen praktiziert, so dass wohl von einer Bejahung des „intent“ ausgegangen werden kann.448 Aus Sicht der betroffenen Volksgruppe spielt es wegen der Signalwirkung dabei durchaus eine erhebliche Rolle, ob ein Vertreter des Staates lediglich wegen eines „normalen“ Strafrechtstatbestandes des Mordes oder wegen Völkermord zur Verantwortung gezogen würde.449 Weil aber zum Genozid-Tatbestand nach Art. II (b) der Konvention auch die Zufügung schwerer seelischer Verletzungen an Vertretern einer Volksgruppe gehört, jedenfalls wenn sie in der Absicht erfolgt, die Gruppe zu zerstören, dürfte die Behandlung der indigenen Bevölkerung in der USA noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen möglichen Anwendungsfall darstellen.450 Insbesondere die Erziehung in den Missionsschulen und -internaten, in denen den indianischen Kindern verboten wurde, ihre Sprache zu benutzen und ihnen bei Missachtung mit Seife der Mund „ausgewaschen“ wurde, diente der Zerstörung der Gruppenidentität und -zugehörigkeit.451 Ähnliches gilt für die gewaltsame Wegnahme der Kinder von ihren Eltern und die Überführung in die Missionarsschulen, die dem Tatbestand des Art. II (e) der Konvention unterfallen würde. Zunächst wurde beim Entwurf der Konvention diskutiert, ob sich die Vertragsstaaten nicht nur verpflichten sollten, eine Strafbarkeit des GenozidTatbestandes in ihre nationale Strafrechtsordnung zu übernehmen, um eine territorial gebundene Verurteilung der Täter nach einem Völkermord zu ermöglichen, sondern darüber hinaus eine universelle Jurisdiktion festgeschrieben werden sollte. Gewohnheitsrechtlich ist eine solche Jurisdiktion schon früher für Fälle der Piraterie sowie des Sklaven- und Menschenhandels anerkannt worden, heute wird sie in verschiedenen Verträgen z.B. über Flugzeugentführungen für die Ratifikationsstaaten festgehalten.452 Die entsprechenden Vorschläge für die Genozid-Konvention sind nicht zuletzt wegen des ___________ 448

Ähnlich auch eine Untersuchung in der UN, auf die Schabas, Genocide in international law, S. 214 Fn. 42 zur Entkräftung der gegenteiligen Literaturmeinungen verweist. Da die Konvention den Genozidtatbestand nicht von der Größe der betroffenen Volksgruppe abhängig macht, vgl. Schoder, Vom Minderheitenschutz zum Schutz verwundbarer Gruppen, S. 74, wäre für einzelne indianische Völker sogar von einer vollständigen Erfüllung des Tatbestandes über das Versuchsstadium hinaus auszugehen. 449 Vgl. Schabas, Genocide in international law, S. 353. 450 So auch Churchill, in: Native American Rights, S. 18, 22 ff. Der „kulturelle Genozid“ als Ganzes ist jedoch nicht in die Konvention aufgenommen worden, vgl. Schoder, Vom Minderheitenschutz zum Schutz verwundbarer Gruppen, S. 78 f. 451 Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die vor einigen Jahren für ihre Leistung der Verwendung ihrer eigenen Sprache als Geheimcode für die amerikanische Armee im Zweiten Weltkrieg ausgezeichneten Navajo in ihrer Kindheit eben diese (aus Sicht des Militärs „glücklicherweise“ erfolglos gebliebene) Behandlung erfuhren, vgl. Meldung in NZZ Nr. 173 v. 28./29.07.2001, S. 4. 452 Vgl. Schabas, Genocide in international law, S. 354.

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Kapitel 3: Die Indianer Nordamerikas

Widerstandes der USA bei der Entwurfserarbeitung übergangen worden.453 Andernfalls hätte es zur Situation geführt, dass amerikanische Regierungsvertreter wegen der Einrichtung der sog. „Indianerschulen“ vor Gerichten anderer Konventionsstaaten wegen Völkermordes hätten angeklagt werden können.454 Die diplomatischen Verwicklungen, die aus einer solchen Jurisdiktion folgen, haben dazu geführt, dass auch Belgien jüngst seine Gesetzeslage geändert hat, die es ermöglichte, Klagen gegen Regierungsvertreter aus der ganzen Welt wegen Kriegsverbrechen in Belgien einzureichen. Würde eine Verantwortung für vergangenes Unrecht an der indigenen Bevölkerung im Sinne eines versuchten Genozids durch die USA anerkannt, stellte sich die Folgefrage nach möglichen Wiedergutmachungsansprüchen der heute lebenden Nachfahren. Die Befürchtung solcher Entschädigungsforderungen ist eine Erklärung für die vorsichtige Haltung beim Eingestehen früheren Unrechts durch Verantwortliche des Staates. Hinsichtlich der Frage der Auswirkungen der Sklaverei war dies das Hauptproblem bei der „World Conference against Racism“, bei der die USA ihre Unterstützung zu entziehen drohte, wenn der heutige Zustand der vom Sklavenhandel betroffenen Ursprungsstaaten als direkte Folge der Sklaverei in der Abschlusserklärung einbezogen worden wäre.

II. Die Wegnahme der Black Hills im Sioux-Reservat Ein berühmtes und zugleich trauriges Kapitel der Vertragsbrüchigkeit des weißen Amerika noch lange nach juristischen Erfolgen der betroffenen Indianer ist die Episode um die sog. „Black Hills“ im Bundesstaat South Dakota, in der Sprache der Sioux die Paha Sapa.455 Der Fall lohnt einer ausführlichen Darstellung, denn – in den im Urteil enthaltenen Worten des Supreme Court Judge Blackmun – handelte es sich dabei um eine illegale Wegnahme von Land und den negativen Höhepunkt staatlichen Handelns: „[...] a more ripe and rank case of dishonorable dealing will never, in all probability, be found in the history of our nation“.456

___________ 453

Schabas, Genocide in international law, S. 355. Dies gilt heute umso mehr, als sich auch gewohnheitsrechtlich herauskristallisiert, dass dieser Tatbestand nicht verjährt, vgl. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 276. 455 Martínez, Study on Treaties, Final Report Rdnr. 276 spricht vom krassesten Beispiel eines Vertragsbruchs. 456 Sioux Nation v. United States, 448 U.S. 371, 388 (1980), wo Blackmun aus der Entscheidung des Court of Claims von 1975 zitiert; vgl. dazu auch Wiessner, 7 St. Thomas L. Rev [1995], 567, 579. 454

D. Historische und moderne Problemfelder

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Den Sioux war in einem Vertrag von 1851 ein relativ großes Gebiet als dauerhafte Heimstatt zugesichert worden. Entgegen der vertraglichen Bestimmungen duldete die Bundesregierung die Ansiedlung hunderter nicht-indianischer Personen auf diesem Territorium. Am Ende von zahlreichen daraus erwachsenden Kriegen kam es nach schwierigen Verhandlungen zum Abschluss des „Fort Laramie Treaty“ von 1868.457 Der Führer der Lakota-Sioux Red Cloud blieb militärisch unbesiegt und konnte daher beim Vertragsschluss eine relativ starke Position für die Indianer durchsetzen.458 Neben einer Friedensregelung sah der Vertrag die uneingeschränkte Nutzung des Landes auf der „Great Sioux Nation Reservation“ vor und verbot jede unautorisierte Betretung durch Weiße. Zwar wurden durch den Vertrag große Teile der früheren Reservation herausgelöst, die sog. Black Hills blieben aber eindeutig innerhalb der Grenzen des Reservates und galten weiterhin nach dem Vertragstext als unabgetretenes Gebiet. Auch wurde im Vertrag von 1868 zugesichert, dass nunmehr kein weiteres Land abgezogen würde. Wider diese Bestimmung führte 1874 Lt. Colonel Custer eine Expedition von Goldsuchern in die Black Hills und baute dort ein Fort. Als die Goldsuche erfolgreich verlief, strömten unzählige Goldsucher und Siedler nach. Die von der Bundesregierung eingegangene Verpflichtung, Weiße aus dem Reservat fern zu halten, wurde damit aufgegeben. Als Begründung wurde darauf verwiesen, dass dieses Territorium nun für die Siedler erschlossen werden müsse. Der erfolglose Versuch, dieses Gebiet den Indianern abzukaufen, führte aber nicht zu einer Abwendung von den Black Hills. Vielmehr wies der damalige US-Präsident Grant in einem später öffentlich gewordenen geheimen Briefwechsel seine Generäle ausdrücklich an, eindringende Weiße unter Verstoß gegen die Vertragsbestimmung nicht am Einzug zu hindern, weil dies die Lage nur verkomplizieren würde. Außerdem würden auf diese Weise Fakten im Sinne einer Besiedlung für und durch die Weißen geschaffen.459 Weil die Bundesregierung ferner davon ausging, dass sich die Sioux gegen diese Maßnahmen wehren würden, wurden die Devise ausgegeben, dass alle sich nicht in der Nähe der sog. „Agencies“ aufhaltenden Indianer feindlich seien. Da die Sioux aber anders als andere indianische Gemeinschaften gerade nicht den Agenturen zugeteilt waren und sich daher frei zur Jagd bewegen konnten, handelte es sich bei dieser Einschätzung letztlich um die Freigabe zur erneuten militärischen Auseinandersetzung. Custer und seine Siebte Kavallerie jagten daher im ganzen Reservat die Indianer, ein Feldzug der mit seinem Tod und der bekannten vernichtenden Niederlage am „Little Big Horn“ endete. ___________ 457 Fort Laramie Treaty of 1868, Apr. 29, 1868, U.S.-Sioux Nation, 15 Stat. 635; abgedr. bei Champagne, Chronology, S. 515. 458 Wilkins, American Indian Sovereignty, S. 218. 459 Vgl. zu diesem Briefwechsel Wilkins, American Indian Sovereignty, S. 219 f.

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Kapitel 3: Die Indianer Nordamerikas

Der Kongress trieb die Enteignung auf gesetzlichem Wege fort. In einer Sondervorschrift im „Appropriations Act“ von 1876 wurde aufgenommen, dass die Sioux alle Zuteilungsrechte nach diesem Gesetz verlieren, wenn sie nicht die „Black Hills“ verkaufen. Dieser Anhang wurde bekannt als der „sell or starve“-Anhang.460 Die für einen Verkauf nach dem Laramie-Vertrag nötigen Unterschriften von drei Vierteln der männlichen Bevölkerung kamen nie zusammen, vielmehr erhielten die Verhandlungsführer nur zehn Unterschriften. Dies hinderte den Kongress aber nicht, in diesen zehn Unterschriften die Repräsentation von drei Vierteln der Bevölkerung zu sehen. Damit war nach Ansicht des Kongresses nun ein Großteil des Lakota-Reservates im Bundesbesitz, so dass 1877 die Black Hills auch formal von der übrigen Reservation getrennt wurden. Dafür gab es keine Kompensation, vielmehr wurden nur die vertraglich zugesicherten jährlichen Zahlungen wieder aufgenommen, die zwischenzeitlich ausgesetzt worden waren. Im Jahre 1889 wurde wiederum die Hälfte des übrig gebliebenen Reservates von den Indianern weggenommen und der Rest in sechs kleinere Einzelreservate unterteilt. Der erneut aufflammende Widerstand der Sioux endete letztlich mit dem „Wounded Knee“-Massaker von 1890. Im ersten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts schrumpfte die Größe der Reservate auf insgesamt ein Viertel der Größe von 1889.461 Auf Antrag der Sioux wurde diesen 1920 vom Kongress schließlich gestattet, die Frage der Enteignung der Black Hills vor den „Court of Claims“ zu bringen. Die den Indianern beigeordneten weißen Anwälte fassten die Ansprüche zusammen und brachten Entschädigungsansprüche in einer Höhe von insgesamt über 1 Milliarde Dollar ein.462 Das Gericht entschied erst 1942 und zwar abschlägig, weil es sich um eine schlicht moralische Anklage und nicht eine auf das V. Amendment der Verfassung gestützte handle. Nach Gründung der „Indian Claims Commission“ durften die Sioux nochmals vor diesem auftreten, der ihr Anliegen 1954 aber ebenfalls abschlug, weil die Wegnahme nicht ausreichend nachgewiesen sei. Obwohl ein weiteres Instanzgericht die Entscheidung bestätigte, erhielten die Sioux auf Antrag wegen der schlechten rechtlichen Vertretung im Erstprozess eine Art Wiedereinsetzung. 16 Jahre nach der letzten Entscheidung wurde vom Gericht zunächst der Wert der Black Hills am 28.02.1977 auf 17 Millionen Dollar festgelegt.463 Diese Kompensation hätte damals eigentlich gezahlt werden müssen. Die Bundesregierung wendete sich gegen diesen Entscheid und der „Court of Claims“, nachdem die Arbeit der ___________ 460

Wilkins, American Indian Sovereignty, S. 221. Vgl. Chronologie bei Wiessner, 7 St. Thomas L. Rev [1995], 567, 579 Fn. 58; einen grafischen Überblick gibt Scheuch, Atlas zur Zeitgeschichte, S. 51. 462 Vgl. Wilkins, American Indian Sovereignty, S. 223. 463 Aufgrund der Uran-, Gold- und Kohle-Vorkommen wird der heutige Wert auf wenigstens 50 Mrd. $ geschätzt, vgl. Scheuch, Atlas zur Zeitgeschichte, S. 53. 461

D. Historische und moderne Problemfelder

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„Claims Commission“ eingestellt worden war, verwies darauf, dass die Bundesregierung ungeachtet der abschlägigen Entscheidung von 1942 eine Entschädigung hätte zahlen sollen. Auf die 1979 vom Supreme Court zugelassenen Rechtsmittel entschied dieser in einer bahnbrechenden Entscheidung am 30. Juni 1980 mit acht zu eins Stimmen in den einleitend genannten Worten, dass die Wegnahme der Black Hills ohne Kompensationszahlung verfassungswidrig gewesen sei.464 Da aber der Anwalt der Sioux nur die Zahlung einer Kompensation forderte, verzichtete der Supreme Court darauf, mehr über den Aspekt der „Tribal Sovereignty“ zu sagen, um den es eigentlich ging.465 Insbesondere wurde die Möglichkeit einer Rückgabe anstelle einer Zahlung nicht erörtert. Über den positiven Ausgang für die Sioux hinaus war die Entscheidung bedeutsam, weil der berichterstattende Richter eindeutig festhielt, dass schon seit einiger Zeit klar sei, dass die „political question doctrine“ zugunsten des Kongresses nicht mehr uneingeschränkt gelte.466 Ferner erhielten die Sioux in der Entscheidung 17,5 Mio. $ Kompensation nebst 105 Mio. $ Verzinsung für 103 Jahre zugesprochen. Diese Summe, die auf einem Sonderkonto auf einen Wert von mittlerweile weit über 350 Mio. $ angestiegen ist,467 wollten die Oglala Sioux vom Pine Ridge-Reservat aber nicht akzeptieren. Daher gingen sie sofort wieder gegen die Bundesregierung vor und machten geltend, dass sie die Rückgabe des Territoriums der Black Hills erreichen möchten.468 Dieses Verfahren wurde von den Gerichten nicht angenommen, weil der Kongress damals das Recht gehabt habe, Land wegzunehmen, solange er dafür eine Entschädigung zahlt, wozu er nunmehr verpflichtet worden sei.469 Vor einigen Jahren gab es Versuche, die Black Hills zu ___________ 464 Die Bundesregierung hatte noch vor dem Supreme Court versucht zu argumentieren, dass die Wegnahme unter Zusicherung von Essensrationen für die betroffenen Sioux angesichts deren Hungerzustandes „im besten Interesse“ der Wegnahmeopfer gewesen sei, vgl. Cross, 40 Ariz. L. Rev. [1998], 425, 437. 465 Sioux Nation v. United States, 448 U.S. 371, 409 Fn. 26 (1980). 466 Sioux Nation v. United States, 448 U.S. 371, 413 (1980). Cross, 40 Ariz. L. Rev. [1998], 425, 436 kritisiert jedoch, dass auch mit dieser Entscheidung nur eine geringe Einschränkung der „plenary powers doctrine“ einhergegangen sei. Nunmehr prüfe das Gericht anhand eines „rational basis test“, ob die Landwegnahme zugunsten der Indianer erfolgt sei, was entgegen der Lone Wolf-Logik nicht mehr unwiderlegbar angenommen wird, dennoch werden nur „the most heavy-handed and patently self-interested Indian takings“ durch die neue Doktrin erfasst, S. 437. 467 Vgl. Angaben für 1993 bei Clinton, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 77, 156; Wilkins, American Indian Sovereignty, S. 233 f. 468 Zu diesem und anderen Fällen, in denen die vor Gericht erfolgreichen Tribes statt des Geldes eine Rückgabe des Landes wollten Atkinson, 23 Okla. City U. L. Rev. [1998], 379, 401 f. 469 Sioux Tribe of Indians v. United States, 862 F.2d 275 (Fed. Cir.), cert. denied, 490 U.S. 1075 (1989): Der Supreme Court hat also die Berufung gegen das Bundesgericht nicht angenommen.

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Kapitel 3: Die Indianer Nordamerikas

einem „Wildlife Protected Area“ umzufunktionieren, was die dauerhafte Enteignung zementiert hätte und daher auch vehement kritisiert worden ist.470

III. Der Kampf der Western Shoshone und der Schwestern Dann in Nevada Ein weiterer durchaus typischer Fall für die fortbestehenden Auseinandersetzungen um Landansprüche zeigt der Streit um ein Territorium im Bundesstaat Nevada, das von den USA als Nukleartestgelände genutzt wurde, aber von den Western Shoshone als ihr eigenes Land beansprucht wird. Der Fall hat internationale Aufmerksamkeit erlangt, weil bis heute regelmäßig Demonstrationen gegen die Weiterverwendung des Testgeländes stattfinden, auf dem früher hunderte von Nukleartests und heute Experimente ohne Auslösung einer Kettenreaktion durchgeführt werden und in dem wohl auch die Endlagerstätte für radioaktive Abfälle in den USA eingerichtet werden wird.471 Außerdem kämpften die damals über sechzigjährigen Schwestern Mary und Carrie Dann vor den Gerichten um ihr Recht, weiterhin auf dem öffentlichem Land ihre Rinder weiden zu lassen, da dieses Shoshone-Land sei und nie abgetreten worden sei.472 Diese beiden wurden für ihr Engagement 1993 mit dem „alternativen Nobelpreis“ – dem „Right Livelihood Award“ des schwedischen Parlaments – ausgezeichnet. Hintergrund der Auseinandersetzung ist der Friedens- und Freundschaftsvertrag von Ruby Valley von 1863. Darin räumten die Western Shoshone der Bundesregierung das Recht ein, Eisenbahnlinien, Wege und Telegrafenleitungen durch das Reservat zu ziehen, ferner nach Bodenschätzen suchen und Bergwerke einrichten zu können. Ausdrücklich wurde das Land aber nicht abgetreten. In der Folgezeit entwickelte sich ein extensiver Bergbau und es wurde die zweitwichtigste Produktionsstätte der Welt für Gold. Eine Gruppe der Shoshone versuchte das so verlorene Land vor der „Indian Claims Commission“ zurückzufordern. Ihr Anwalt wurde vom BIA bezahlt. Als sich dieser im Laufe der Verhandlungen auf die Zahlung einer Entschädigung einlassen wollte, an der er (wie nach amerikanischem Recht für die Rechtsvertretung vorgesehen) erheblich beteiligt werden sollte, entliessen ihn die Shoshone. Das BIA bezahlte ihn weiter und er nahm 1979 den Entschädigungsausspruch der Claims ___________ 470

Vgl. La Velle, 5 Great Plains Nat. Resources J. [2001], 40 ff. Vgl. dazu Guntermann/Marek, Heiliger Berg mit gefährlichem Innenleben, NZZ Nr. 20 v. 26.01.2004, S. 19. Zur Problematik der Lagerung radioaktiver Abfälle auf Reservatsgebiet allg. Thorpe, in: Native American Rights, S. 139, 140 ff.; die Auswirkungen von Umweltschäden auf die indianische Bevölkerung beschreibt am Beispiel der Folgen einer Goldmine in Montana Domnick, pogrom 1999, 35 f. 472 Vgl. ausf. Newton, 41 Am. U. L. Rev. [1992], 753, 761 ff., 826 ff. 471

D. Historische und moderne Problemfelder

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Commission an.473 Die Shoshone hielten die zugesprochene Summe von 26 Mio. $ für viel zu gering und verweigerten die Annahme. Seither liegt das Geld auf einem Treuhandkonto. Wegen der besonderen Umstände der Entscheidung fochten die Schwestern Dann weiterhin um das Recht auf Nutzung des Landes. Der Supreme Court erklärte 1985 die Landansprüche der Shoshone mit der Claims CommissionEntscheidung für erloschen.474 Grotesk wurde die Auseinandersetzung nicht zuletzt dadurch, dass die Schwestern Dann nicht nur erfolglos hinsichtlich ihrer Landansprüche blieben, sondern im Gegenzug bis zu 1 Mio. $ für den Verbrauch öffentlichen Weidelandes zahlen sollten.475 Es handelt sich bei diesem Fall um einen weiteren Mikrokosmos, der alle Facetten enthält, mit denen die indigene Bevölkerung der USA in den vergangenen Jahrhunderten zu kämpfen hatte. Es beginnt mit der Täuschung über Vertragsinhalte und die Folgen daraus, geht über die Nichtanerkennung verbriefter Rechte und die Korruption beteiligter Personen oder wie hier das Ignorieren der Rechte vor Gericht, indem ein Rechtsanwalt seine eigenen Interessen verfolgen kann. Schließlich werden nachteilige Rechtsvorschriften und -entscheide streng korrekt zu Lasten der Indianer angewendet. Die Dann-Schwestern haben sich mit ihrem Anliegen aber – unterstützt von zahlreichen Nichtregierungsorganisationen – an das inter-amerikanische Menschenrechtssystem gewandt. Zwar ist die USA nicht Mitglied dieser Menschenrechtskonvention, aber es wird vielfach vertreten, dass auch aus der Menschenrechtsdeklaration der Organisation gleichbedeutende Rechte für die Personen in den Mitgliedstaaten erwachsen.476 So hat die Kommission für Menschenrechte im inter-amerikanischen System den Fall als zulässig angenommen,477 und im Jahr 2002 zugunsten der Beschwerdeführerinnen entschieden und dabei erhebliche Mängel im Rechtssystem der USA kritisiert, in dem es keinen effektiven ___________ 473

Der nicht fortgesetzte Streit führte zu der bizarren Situation, dass die USA zugab, Land gestohlen zu haben, ohne dass dies von den Shoshone noch geltend gemacht wurde. Hintergrund war die Absicht der USA, das Land zu Preisen von 1863 zu erwerben und es damit zu eigenem Land machen und verkaufen zu können, vgl. Atkinson, 23 Okla. City U. L. Rev. [1998], 379, 403. 474 United States v. Dann, 470 U.S. 39 (1985). 475 Vgl. zur ganzen Auseinandersetzung Hintergrundbericht von Iten, NZZ Nr. 133 v. 12./13.06.1999, S. 63 ff. 476 So auch Anaya/Williams, 14 Harv. Hum. Rts. J. [2001], 33, 41. 477 Mary and Carrie Dann against United States, Case No. 11.140, Inter-Am. Comm.H.R. 99 (1999), vgl. dazu Anaya/Williams, 14 Harv. Hum. Rts. J. [2001], 33, 40. Zum Ganzen auch Daes, Indigenous peoples and their relationship to land, Final Working Paper Rdnr. 60 ff.

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Kapitel 3: Die Indianer Nordamerikas

Rechtsschutz für die Anliegen der indigenen Bevölkerung im Zusammenhang mit Landrechtsstreitigkeiten gebe.478

IV. Fischerei und Walfang-Rechte für die Makah-Indianer Für viele Indianer frustrierend ist die mangelnde Haltbarkeit juristischer oder politischer Erfolge beim Versuch, erweiterte Rechte zu erhalten. So ist es den Makah-Indianern im Nordwesten der USA ergangen, die ihre Sonderrechte für den Walfang mit Unterstützung eines großen Teils der politischen Ebene geltend machen wollten. Nach einem Vertrag von 1855 haben die Makah-Indianer das Recht, in den an ihr Reservat angrenzenden pazifischen Gewässern nicht-kommerziellen Walfang weiterzubetreiben. Viele Jahrzehnte lang hatten sie auf eine Ausübung dieses alten Vertragsrechts verzichtet, weil durch kommerzielle nichtindianische Walfangjäger der Bestand der Grauwale gefährdet war. Mit großer symbolischer Bedeutung für den Stamm erlegten sie vor wenigen Jahren zum ersten und bis für längere Zeit einzigen Male nach Wiederaufnahme der Jagd einen Grauwal nach der traditionellen Methode, weil Grauwale seit 1994 nicht mehr auf der Liste bedrohter Tierarten geführt werden.479 Nicht nur die amerikanische Politik akzeptierte dieses Recht, auch die Internationale Walfangkommission bestätigte im Jahre 2002 das Recht der Indianer, jährlich bis zu fünf Grauwale zu erlegen.480 Später erreichten aber Tierschützer vor einem Bundesberufungsgericht, dass das Recht der Makah-Indianer auf Walfang ausgesetzt wurde, weil – so die Argumentation dieses Gerichts – kein Präzedenzfall für die (allgemeine) Wiederaufnahme von Walfang geschaffen werden sollte.481 Damit wurden vertragliche Rechte, die bereits voll anerkannt worden waren, wieder ausgehöhlt.482 ___________ 478 Vgl. IAGMR, Report No. 75/02 zu Case 11.140 v. 27.12.2002 – Mary and Carrie Dann, www.cidh.oas.org/annualrep/2002eng/USA.11140.htm. 479 Vgl. zur Vorgeschichte des neuerlichen Walfangs der Makah Meldung in San Francisco Chronicle v. 01.10.1998, S. A3. 480 Weil Japan mit seinem Antrag das Moratorium für den kommerziellen Walfang wieder aufzuheben, auf einer Sitzung der IWC (International Whaling Commission) nicht durchdrang, verweigerten sie jedoch anschließend dem Antrag die Zustimmung, wie üblich den Indigenen in den USA und Russland (zahlenmäßig ohnehin sehr niedrige) Fangquoten zuzugestehen; vgl. dazu und zur Kritik der übrigen Nationen an dieser Haltung Meldung in NZZ Nr. 118 v. 25./26.05.2002, S. 47. 481 Vgl. zum Ganzen Meldung in NZZ Nr. 299 v. 24.12.2002, S. 40. Schon vor dem gerichtlichen Weg hatten Protestgruppen zu Beginn der ersten Walfangjagd nach 70

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V. Der lange Streit der Cayuga Indian Nation In anderen Fällen haben bestimmte Indianergemeinschaften vor Gericht, häufig erst nach langer Zeit, weitreichende Erfolge erzielt. Die Cayuga Indian Nation hat noch heute wie eine Reihe anderer kleinerer Indianergemeinschaften ihr Territorium an der Ostküste, von wo die meisten Indianer vertrieben worden waren. Deren Territorium liegt auf der Fläche der ursprünglichen 13 Kolonien auf dem Gebiet der USA. Diese hatten zu einem Zeitpunkt, als dies wegen der Unionsverfassung schon nicht mehr zulässig war, durch ihre Regierungen direkt mit den Indianern über Landabtretungen verhandelt. In all jenen Fällen besteht noch heute gute Aussicht auf Kompensation und Rückgabe von Land, weil die davon betroffenen Indianer ihre Ansprüche direkt vor einem Bundesgericht geltend machen und eine sog. „presidential action“ zu ihren Gunsten einfordern können.483 Den Cayuga war vor über 200 Jahren durch den Staat New York in einem illegalen Akt ihr Land weggenommen worden. Der Staat New York schloss zwar 1795 einen Vertrag mit der Indianernation und zahlte auch eine geringe Entschädigung, aber solche Verträge waren eben nur dann legal, wenn sie vom Senat und Präsidenten für die Union ratifiziert worden waren. Die Versuche einer außergerichtlichen Einigung über die Rückgabe des Landes scheiterten, weshalb die Cayuga den Fall 1980 vor ein Gericht brachten. Vier Jahre später gab es einen Mediationsvorschlag über die Übertragung eines Achtels der ursprünglichen Fläche der Cayuga Indian Nation und der Zahlung von 15 Mio. $ durch den Staat New York. Gegen diese Zahlung wehrte sich die Mehrheitsbevölkerung des Staates. 1992 trat dann aber die Bundesregierung dem Fall auf Seiten der Cayuga Indian Nation bei und 1994 sprach ein Richter den Cayuga das Recht auf das Land grundsätzlich zu. Erst 1999 konnte dann wiederum ein Vergleichsvorschlag, dieses Mal in Höhe von 125 Mio. $ vorgelegt werden, den der Staat New York aber ebenfalls ablehnte. Im Jahre 2000 entschied ein Bundesgericht, dass für die Wegnahme des Landes eine Zahlung von 36 Mio. $ noch ohne Einrechnung der Zinsen fällig war. Im Oktober 2001 schließlich sprach ein Bundesrichter knapp 250 Mio. $ an Zinsen zu, was die bislang wohl soweit ersichtlich höchste Zahlungsverpflichtung ist, die in der US-Geschichte ___________ Jahren 1998 versucht, das Auslaufen der Makah zu behindern, vgl. McMahon, USA Today v. 02.10.1998, S. 3A. 482 Ähnliches gilt für den gesamten Fischfang durch die Indianer der Nordwestküste, deren gerichtliche Erfolge zur Bestätigung ihrer vertraglichen Rechte häufig missachtet wurden, vgl. Hoxie, in: Naturvölker heute, S. 169, 174 f. 483 Zu dieser Kategorie von Fällen vgl. Wilkins, American Indian Sovereignty, S. 216 f.

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Kapitel 3: Die Indianer Nordamerikas

für die Entschädigung einer rechtswidrigen Landwegnahme ausgesprochen wurde.484

VI. Der langsame Wandel der Politik Die obigen Beispiele untermauern die Beobachtung, dass sich nun schon seit einiger Zeit ein Wandel in der US-amerikanischen Politik gegenüber der indigenen Bevölkerung vollzieht, der im Ergebnis eine stärkere Betonung der indianischen Besonderheiten zum Ziel hat. Andererseits schreitet der Wandel nur langsam und häufig unstet voran. Das zentrale Problem ist dabei, dass die weitergehenden Rechte für die Indianer vom Kongress wegen dessen rechtlicher Stellung jederzeit wieder aufgehoben werden können. Deutlich wurde dies z.B. 1978, als zwar „The longest Walk“ von Alcataraz bis nach Washington durch Indianeraktivisten einen Gesetzesentwurf zur Schmälerung indianischer Souveränität durch den politischen Druck kippte, aber gleichzeitig klarmachte, dass jederzeit die Gefahr einer Umkehr der Politik besteht. Hinzu kommt, dass sich der Supreme Court bei der Interpretation solcher Gesetze selbst limitiert, indem er politische Fragestellungen nicht behandelt.485 Es hat sich außerdem gezeigt, dass viele auch einflussreiche Politiker in den USA noch heute unverhohlenen Rassismus gegenüber den Indianern an den Tag legen. Mit besonderer Schärfe hat der langjährige Senator Slade Gorton aus dem Bundesstaat Washington Indianerinteressen sabotiert. Bereits als Attorney General in seinem Bundesstaat hatte er zahlreiche Klagen gegen die Indianer zur Aufhebung von deren Sonderrechten bei der Fischerei angestrengt. Letztlich führte dies dazu, dass die Bundesregierung vor einem Bundesgericht gegen den Staat Washington klagte und dieses zugunsten der Indianer die Rechte bestätigte. Als Gorton in den Senat einzog, liess er sich zum Mitglied im „Committee on Indian Affairs“ wählen und versuchte dort immer wieder, aber meist erfolglos extreme Gesetzesvorhaben durchzubringen, die die Aufhebung der Self Government-Rechte der Indianer zum Ziel hatten.486 Auch kaum verständlich und von Tausenden von Persönlichkeiten aus aller Welt vehement ___________ 484

Vgl. zum Ganzen die Schilderung bei Herbert, NYT v. 26.11.2001. Reed Howard, 35 GYIL [1992], 105, 149. 486 Eine detaillierte Schilderung dieser nur mit Kopfschütteln zu beantwortenden Versuche findet sich bei Deloria/Wilkins, Tribes, treaties and constitutional tribulations, S. 48 ff.; vgl. zu diesem Senator auch West, in: The Right of Self-Determination, S. 67, 78 Fn. 366; Newton, 22 Am. Indian L. Rev. [1998], 285. Zu anderen Beispielen, u.a. eines späteren Gouverneurs von South Dakota, der im Wahlkampf Ende der 1970er Jahre noch sagte, die einzige Lösung des Indianerproblems sei eine Kugel durch den Kopf der AIM-Führer Biegert, Indianerschulen, S. 56 ff. 485

D. Historische und moderne Problemfelder

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kritisiert,487 ist die noch immer andauernde Inhaftierung des bekannten indianischen Aktivisten Leonard Peltier, der aufgrund eines nachgewiesenermaßen auf falschen „Fakten“ beruhenden Verfahrens seit 1977 wegen der angeblichen Ermordung zweier FBI-Beamter inhaftiert ist,488 vom ehemaligen Präsidenten Clinton begnadigt werden sollte, aber im letzten Moment nicht auf die Liste der am letzten Amtstag begnadigten Personen kam, obwohl weithin angenommen wird, er sei als „politischer Gefangener“ zu betrachten.489 Unter der Präsidentschaft von Bush hat der Fall keinerlei Entwicklung hin zu einer Begnadigung genommen. Die positiven Ansätze hingegen, die neben juristischen Erfolgen auch ein stärkeres Bewusstsein über die indianischen Probleme auf der politischen Ebene hervorbringen, sind nicht zu übersehen und bieten Anlass im Schlussteil dieser Untersuchung mögliche Lösungsansätze, die in diesem Sinne weiterverfolgt werden können, darzustellen. Hier sollen nur exemplarisch einige dieser positiven Entwicklungen genannt werden. Schon 1987 wurde beispielsweise in einem Gesetz an den „Northwest Ordinance Act“ von 1787 anlässlich seines 200-jährigen Bestehens erinnert und festgehalten, dass seine Verpflichtungen auch weiterhin in Treu und Glauben vollzogen werden sollten.490 Ähnliche Gesetze wie z.B. der „Native American Graves Protection and Repatriation Act“491 sollen die kulturelle Position der Indianer verbessern, indem z.B. Grabbeigaben aus Museen an die Nachfahren der betreffenden Indianer zurückgegeben werden.492 Ferner gibt es in Washing___________ 487

Vgl. dazu nur die Auflistung auf der Internet-Seite des „Leonard Peltier Defense Committee“ unter www.freepeltiernow.org/support.htm. 488 Der frühere Justizminister der USA, Clark, sagt heute: „Ich glaube, jeglichen ernstzunehmenden Zweifel daran ausräumen zu können, dass Leonard Peliter überhaupt irgendein Verbrechen begangen hat. Selbst wenn er sich schuldig gemacht haben sollte, wenn er das Gewehr abgefeuert hätte, das die beiden FBI-Agenten tötete – und es steht fest, dass er es nicht getan hat –, so hätte er doch nur in Notwehr gehandelt“; vgl. seinen Beitrag in Peltier, Gefängnisaufzeichnungen, S. 13, 14. 489 Vgl. hierzu West, in: The Right of Self-Determination, S. 67, 84 Fn. 386 m.w.N. Die erschreckende Chronologie des Falles findet sich z.B. im Anhang von Peltier, Gefängnisaufzeichnungen, S. 267 ff. Vgl. auch, Commission on Human Rights, Written Statement by the International Indian Treaty Council unter a). 490 Public Law 100-67 vom 10.07.1987; vgl. ferner Wilkins, American Indian Sovereignty, S. 235 f. 491 104 St. 3048 (1990). 492 Wilkins, American Indian Sovereignty, S. 238 gibt einen Überblick über legislative Verbesserungen der letzten Jahre. Vgl. zur Neubestattung nach Aushebung von anonymen Gräbern Zimmerman/Molyneaux, Indianer, S. 144 f.; Clines, NYT v. 26.01.2001. Zwei weitere wichtige Gesetze von 1990 – der „Native American Language Act“ und der „Indian Arts and Crafts Act“ – schützen kulturelle Besonderheiten in Form indiani-

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Kapitel 3: Die Indianer Nordamerikas

ton seit 2004 ein neues Indianermuseum, dessen Zielrichtung die Erhöhung des Bewusstseins über die Indianer ist und bei dem die Indianer an der Konzeption beteiligt sind.493 Es übernahm die Sammlung des New Yorker „Museum of the American Indian“ und wurde Teil der Smithsonian Institution auf der Mall. Damit wurde auch in symbolischer Weise die „letzte (Bau-)Lücke“ auf der Mall geschlossen und das Museum steht in direkter Nachbarschaft zu den wichtigsten amerikanischen Museen und damit ist auch die Anerkennung dieses Teils der amerikanischen Kultur vollzogen.494 Auch die Ehrung der sog. „Navajo Code Talkers“, die im Zweiten Weltkrieg in der amerikanischen Armee gedient und durch die Verwendung ihrer Sprache im Funkverkehr einen von den Japanern nie dechiffrierten „Code“ einführten, der maßgeblich zum Erfolg im pazifischen Krieg geführt hat, ist ein deutliches, wenngleich überfälliges und daher auch kritisiertes Signal.495 Mit Senator Ben Nighthorse Campbell war bis 2005 auch ein indianischer Senator in Washington vertreten, der sich häufig um Wiedergutmachungsprozesse kümmerte. So hat er beispielsweise maßgeblich zur Errichtung des Sand Creek Monuments als „National Historic Site“ an der Stelle, an der die amerikanische Armee 1864 ein großes Massaker an der indianischen Zivilbevölkerung anrichtete, beigetragen, obwohl es politische Widerstände dagegen gab.496

___________ scher Sprachen bzw. Kunst, ohne jedoch konkrete Förderformen vorzusehen; vgl. zum Sprachenproblem in der heutigen Zeit Schmidt, Junge Indianer lernen ihre Muttersprache neu, WK v. 25.06.2004, S. 22. 493 Zu alledem vgl. Watrin, Das Parlament Nr. 5 v. 27.01.2003, S. 14. 494 Vgl. dazu Hoxie, in: Naturvölker heute, S. 169, 182; zur andersartigen Konzeption des „Smithsonian National Museum of the American Indian“ Deloria, in: Die Welt der Indianer, S. 384, 457; Benning, NZZ Nr. 135 v. 14.06.2001, S. 48. 495 Vgl. zu den „Navajo Code Talkers“ Saller, Die Zeit Nr. 25 v. 13.06.1997, S. 53, 54. Deloria, in: Die Welt der Indianer, S. 384, 423. Zur verspäteten Auszeichnung für ihren Einsatz im Krieg im Sommer 2001 durch Verleihung des Congressional Gold Medal vgl. Meldung in NZZ Nr. 173 v. 28./29.07.2001, S. 4. Kritisch zur Art der Zeremonie – die zeitlich wohl auch im Zusammenhang mit einem Hollywood-Film zu dieser Thematik stand – Lueken, FAZ Nr. 173 v. 28.07.2001, S. 46: „herablassende Vereinnahmung, wie sie das politische Establishment [...] zelebrierte, als es die Navajos in die Arme schloß“. 496 Vgl. Meldung in www.sandcreek.org/Project/campbell.htm (01.09.2003) sowie http://indian.senate.gov/106press/102300.htm (01.09.2003).

Kapitel 4

Anwendbarkeit des Selbstbestimmungsrechts auf die Native Americans und Wege zur innerstaatlichen Umsetzung In diesem Kapitel kann nun vor dem Hintergrund der konkreten Situationsbeschreibung der Native Americans in den USA die oben allgemein positiv beantwortete Geltung des Selbstbestimmungsrechts auch für diesen bestimmten Anwendungsfall indigener Völker untersucht werden. Dazu muss zunächst in einem Vorspann dargelegt werden, wie Völkerrecht im innerstaatlichen Recht der USA Geltung erlangt. Neben der rechtlichen Wirksamkeit von Völkerrecht in den USA, die anhand der einschlägigen Rechtsprechung dargestellt wird, ist auch der Frage nach der politischen Haltung nachzugehen, also ob sich die USA durch völkerrechtliche Vorgaben gebunden fühlen. Für die Ratifikation des Menschenrechtspaktes und damit seine völkervertragsrechtliche Geltung ist dies dann nochmals zu präzisieren, um festzustellen, ob Art. 1 IPbpR als Anspruchsgrundlage für Native Americans herangezogen werden kann. Eine Auseinandersetzung mit der Bedeutung der Ratifikationsvorbehalte wird ergänzt durch die Darstellung der Haltung der USA zum Selbstbestimmungsrecht der Völker in verschiedenem Zusammenhang. In einem weiteren Schritt wird gefragt, ob Native Americans der Definition von indigenen Völkern unterfallen, wobei zu differenzieren ist zwischen Native Americans als Gesamtkategorie und den einzelnen Indian Nations and Tribes. Ebenso ist zu fragen, welche inhaltlichen Konsequenzen die Geltung des Selbstbestimmungsrechts hat und inwiefern bereits vollzogene Lösungsansätze in den USA eine ausreichende Befolgung dieser Vorgaben bedeuten. Zur Vervollständigung werden Wege zur adäquaten Ausfüllung bislang lückenhafter Umsetzung aufgezeigt.

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Kapitel 4: Anwendbarkeit auf die Native Americans

A. Völkerrecht als innerstaatliches Recht der USA und Besonderheiten beim Menschenrechtspakt I. Die Haltung der USA zu den Menschenrechten Der Status des Völkerrechts im inneramerikanischen Recht bemisst sich abhängig von der Grundlage im Gewohnheits- oder Vertragsrecht. Insbesondere die Regeln zur Umsetzung völkerrechtlicher Verträge sind im vorliegenden Kontext von großer Bedeutung. Dabei ist vorab mit einer Vielzahl von Literaturstimmen kritisch zu konstatieren, dass die USA ein widersprüchliches Verhalten in Bezug auf Menschenrechtsverträge zeigt.1 Einerseits ist die amerikanische Außenpolitik jahrzehntelang als Verfechter und Vorreiter für die Beachtung grundlegender Menschenrechte bekannt gewesen und in Aktion getreten. So haben amerikanische Regierungen traditionell in ihren Außenbeziehungen auf die Unterstützung von Menschenrechtsvereinbarungen durch ihre Partner geachtet und Drittländer mit der Aussicht auf verbesserte Beziehungen und Wirtschaftshilfen zur Beachtung von Menschenrechten gebracht.2 In diesem Sinne hatte sich die USA die Verbreitung der Menschenrechte auch in der übrigen Welt sozusagen „auf die Fahne geschrieben“.3 Andererseits ist die innerstaatliche Haltung zu Völkerrechtsinstrumenten – und häufig auch allgemein gegenüber dem Völkerrecht4 – fast gegenteilig: zahlreiche Menschenrechtsver___________ 1 Vgl. nur West, in: The Right of Self-Determination, S. 67, 68, 82; Grant, in: The Future of UN Human Rights Monitoring, S. 317; Hannum/Fischer, in: U.S. ratification of the human rights covenants, S. 3, 21 ff.; Henkin, in: FS Partsch, S. 233, 234: „confusions [...] ambivalence“; Ermacora, Menschenrechte in der sich wandelnden Welt, S. 596 Rdnr. 4 ff. 2 Vgl. zur rechtlichen Grundlage Hannum/Fischer, in: U.S. ratification of the human rights covenants, S. 3, 16 ff. Dies galt jedoch nicht durchgängig, so erhielt China jahrelang trotz Kritik an der Menschenrechtspolitik den sog. „most favoured nation“-Status mit bevorzugter Handelspolitik, vgl. zu den Auseinandersetzungen zwischen Kongress und Administration und den unterschiedlichen Positionen verschiedener US-Präsidenten Steiner/Alston, International Human Rights, S. 1109 ff. Zeitgleich versuchte die USA während der Periode der bilateralen Bevorzugung – ohne Erfolg – eine Verurteilung der chinesischen Situation in der UN-Menschenrechtskommission zu erreichen, vgl. wiederum Steiner/Alston, International Human Rights, S. 634 ff. Auf die Gefahren einer nur bilateral angelegten Durchsetzung von Menschenrechten im Verhältnis zu derjenigen aus internationaler Sicht vgl. nur Hannum/Fischer, in: U.S. ratification of the human rights covenants, S. 3, 22. 3 Grant, in: The Future of UN Human Rights Monitoring, S. 317: „friend and champion of the human rights treaty system“; Hannum/Fischer, in: U.S. ratification of the human rights covenants, S. 3, 12: „proponent of the international protection of human rights“; Henkin, in: FS Partsch, S. 233: „played a major part“. 4 Vgl. z.B. Verhalten bei der Bombardierung Serbiens durch die NATO 1999 oder bezüglich der Entwaffnung des Irak 2002 und 2003; kritisch zu den Auswirkungen dieser „flexiblen“ Inanspruchnahme des Völkerrechts von Senger, NZZ Nr. 247 v. 24.10.2002, S. 27. Die Ambivalenz zeigt sich auch hinsichtlich des IGH, der angerufen

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träge sind bis heute nicht ratifiziert und der prominenteste Vertrag, der IPbpR, wurde erst 15 Jahre nach Unterschrift und 26 Jahre nach Öffnung zur Ratifikation in Kraft gesetzt und durch eine Vielzahl operativer Hindernisse beschränkt.5 Dieser offenkundige Gegensatz zwischen „foreign affairs“ und „at home“6 ist unabhängig von seinen Gründen dem Fortschritt der Menschenrechte oft hinderlich.7 Unter der letzten US-amerikanischen Regierung im 20. Jahrhundert wurde versucht, die seit Anfang der 1990er Jahre wieder stärker international ausgerichtete Menschenrechtspolitik zu konsolidieren.8 Neuere Entwicklungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts scheinen diese Politik abzubremsen oder im Sinne eines Unilateralismus umzukehren, die weitere Entwicklung kann jedoch noch nicht abschließend bewertet werden.9 Offizielle Begründung für die bisherige Zurückhaltung bei der Umsetzung menschenrechtlicher Verträge bzw. nach Umsetzung der durchgängigen Anbringung von Vorbehalten, Erklärungen und Deklaration (reservations, understandings and declarations) ist der Hinweis, dass die Verträge nur innerstaat___________ wurde, wenn eine positive Entscheidung zu erwarten war, dessen Zuständigkeit aber abgelehnt wurde, wenn gegen die USA entschieden wurde, so die Kritik von Bassiouni, 42 DePaul L. Rev. [1993], 1169, 1178 f. 5 Dazu unten Kap. 4 A. III., die Genozid-Konvention wurde von Präsident Truman 1949 dem Senat vorgelegt und erst 1988 (!) ratifiziert, vgl. Angaben bei Grant, in: The Future of UN Human Rights Monitoring, S. 317, 319. Die zahlreichen Vorbehalte machten die Ratifikation der Menschenrechtsverträge zu einer „purely cosmetic gesture“, so Roth, 1 Chi. J. Int’l. L. [2000], 347, 349. 6 So bei Grant, in: The Future of UN Human Rights Monitoring, S. 317. Häufig wird dies als „double standard“ kritisiert, so z.B. bei Hannum/Fischer, in: U.S. ratification of the human rights covenants, S. 281, 286. 7 Hannum/Fischer, in: U.S. ratification of the human rights covenants, S. 3, 22 f. Grant, in: The Future of UN Human Rights Monitoring, S. 317, 329 m.w.N. Henkin, in: FS Partsch, S. 233, 244: „hypocritical“. Zur Abwehr von amerikanischer Kritik an der eigenen Menschenrechtspolitik durch Hinweis auf das Untätigsein der USA vgl. nur Roth, 1 Chi. J. Int’l. L. [2000], 347, 353, der auch zeigt, dass diese Haltung anderer Staaten auch noch nach der Ratifikation wegen der Vorbehalte weiter besteht. 8 So erließ der damalige Präsident Clinton beispielsweise eine ausdrückliche Executive Order im Dezember 1998, wonach es die Politik und Praxis der USA sein solle, in vollem Umfang die menschenrechtlichen Vertragsverpflichtungen umzusetzen, Executive Order 13, 107 v. 10.12.1998, 34 Weekly Comp. Pres. Doc. 2459 (1998); vgl. auch Grant, in: The Future of UN Human Rights Monitoring, S. 317, 318. 9 Durchaus symptomatisch ist für die wieder eher von der UN abgewandte USWeltpolitik die Weigerung der Unterzeichnung des Statuts von Rom für die Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs und der Versuch des letzten US-Präsidenten Bushs die Unterschrift seines Vorgängers Clinton, die dieser kurz vor dem Ende seiner Amtstzeit leistete, wegen nicht beabsichtigter Ratifikation des Statuts durch die USA zurück zu ziehen, vgl. dazu Fassbender, APuZ B 27-28/2002, 32, 36 f. Zur Politik der Administrationen bis Präsident Bush sen. vgl. Hannum/Fischer, in: U.S. ratification of the human rights covenants, S. 3, 12-20; Henkin, in: FS Partsch, S. 233, 234 ff.

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lich bereits geltendes Recht wiederholten10 und die zum Teil weitergehenden Rechte des amerikanischen Rechts nicht beeinträchtigt werden dürften.11 Dass auf den ersten Blick erkennbar kein Fall einer schlichten Wiederholung vorliegt, zeigt sich z.B. an Art. 6 IPbpR, der den Vollzug der Todesstrafe an zur Tatzeit Minderjährigen verbietet, was in den USA bis zu einem Urteil des Supreme Court 2005 gängige Praxis gewesen war.12 Ferner versichert die uneingeschränkte Geltung eines internationalen Menschenrechtsvertrages in einem Staat, dass gleich geartete Menschenrechte des nationalen Rechts auch zukünftig nicht erodiert werden können.13 Daher ist es im Folgenden von besonderer Bedeutung auch der Ausgestaltung und Wirkungsweise der amerikanischen Vorbehalte zum Pakt einen Untersuchungsabschnitt zu widmen.

II. Innerstaatliche Geltung von Völkerrecht in den USA 1. Verfassungsrechtliche Grundlagen Ausdrücklich wird das Gewohnheitsrecht in der amerikanischen Verfassung zwar nicht genannt, schon seit Gründung der USA ist aber unbestritten und vom Supreme Court durchgängig bestätigt, dass das „law of nations“ Teil des amerikanischen Rechts ist.14 Die Kompetenz zum Abschluss völkerrechtlichter Verträge für die USA ergibt sich aus einigen Kernvorschriften der Verfassung. Zunächst ist das Recht der Bundesstaaten zum Abschluss von Verträgen in Art. I, Section 10, cl. 1, 3 US Constitution beschränkt, wonach ausschließlich ___________ 10

Dennoch hat sich zumindest die zunächst unverbindliche Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 auch in den USA ausgewirkt und wurde von Gerichten in Urteilen zur Stützung ihrer Begründung häufiger als in anderen Staaten, die sich direkt auf vertragliche Verpflichtungen beziehen konnten, herangezogen, vgl. Hannum, 25 Ga. J. Int’l. & Comp. L. [1996], 287, 304 ff. 11 Vgl. zu dieser amerikanischen Erklärung die Darstellung bei Grant, in: The Future of UN Human Rights Monitoring, S. 317, 320. 12 Vgl. dazu Grant, in: The Future of UN Human Rights Monitoring, S. 317, 328 und z.B. Meldung in NZZ Nr. 21 v. 27.01.2000, S. 42; u.a. gegen diesen Vorbehalt haben zahlreiche europäische Staaten, darunter auch Deutschland einen Widerspruch eingelegt, dazu wiederum Grant, in: The Future of UN Human Rights Monitoring, S. 317, 321 f. Dieser Vorbehalt sei auf jeden Fall unwirksam, so Hobe, AVR 1999, 253, 268. Mit Roper v. Simmons, 543 U.S. 551 (2005) wurde in einer 5-4-Entscheidung die noch in Stanford v. Kentucky 492 U.S. 361 (1989) ausdrücklich als zulässig befundene Hinrichtung von über 16-jährigen für Minderjährige als Verstoß gegen das VIII. Amendment gewertet, das grausame und ungewöhnliche Strafen verbietet. 13 Grant, in: The Future of UN Human Rights Monitoring, S. 317, 319: „providing a backstop against domestic erosion of rights“ und böten außerdem eine unabhängige Kontrollinstanz. Der amerikanischen Zurückhaltung zustimmend jedoch Rogers, International law and United States law, S. 205 ff. 14 Paust, 20 Mich. J. Int’l. L. [1999], 301.

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„agreements“ oder „compacts“ der Gliedstaaten mit Drittstaaten und nur mit Zustimmung des Kongresses zulässig sind. Die Außenkompetenz für Verträge mit internationalem Bezug und internationalen Partnern liegt damit bei der Föderation. Gemäß Art. II, Section 2 cl. 2 US Constitution kann der Präsident „by and with the Advice and Consent of the Senate“, also unter Einbeziehung des Senates und bei Zustimmung von zwei Dritteln der Senatoren völkerrechtliche Verträge abschließen. Der in der Verfassung verwendete Begriff des „treaty“ bezieht sich dabei nur auf internationale Vereinbarungen, die den eben beschriebenen Weg über die Zustimmung des Senats gehen. Alle anderen Verträge im völkerrechtlichen Sinne ohne diese Einbeziehung des Senats werden als „executive agreements“ bezeichnet.15 Das Völkerrecht wirkt nach amerikanischem Recht als Bundesrecht, was zumindest für Verträge auch in Art. VI, cl. 2 US Constitution ausdrücklich geregelt ist. Diese Vorschrift und die Einbeziehung des Gewohnheitsrechts sind im Anschluss an die Entstehung von Vertragsrecht genauer darzustellen. 2. Abschluss- und Ausgestaltungskompetenz Grundsätzlich hat der Präsident eine unbeschränkte Vollmacht zur Verhandlung von Verträgen, solange diese nicht der Verfassung zuwiderlaufen. Eine inhaltliche Beschränkung auf bestimmte Themenbereiche besteht nicht.16 Wenngleich sich die Form der Beteiligung des Senats und insbesondere der Zeitpunkt zur Herstellung eines Konsenses nicht aus der Verfassung ergeben, hat sich historisch der Ablauf so herauskristallisiert, dass der Senat formell erst angehört wird, wenn ein Vertrag bereits ausgehandelt und vom Präsidenten unterschrieben ist.17 Eine politische Abklärung im Vorfeld ist damit naturgemäß nicht ausgeschlossen und, da ein Vertrag nur mit Zustimmung in Kraft treten kann, auch sinnvoll. Wichtig ist dieses Zusammenspiel hinsichtlich der Anbringung von Vorbehalten zu Verträgen und deren Integration in die Ratifikation bei der formalen Zustimmung des Senats zum Vertrag und der Umsetzung durch den Präsidenten. Begrifflich ist zu unterscheiden zwischen „reservations, understandings and declarations“, wobei unabhängig von der Bezeichnung die rechtliche Wirkung davon abhängt, welcher Natur die Erklärungen sind.18 Gemeint sind mit „reser___________ 15

Williams, in: U.S. ratification of the human rights covenants, S. 35, 36. Williams, in: U.S. ratification of the human rights covenants, S. 35, 38. 17 Zu diesem Ablauf vgl. Steiner/Alston, International Human Rights, S. 1022; Williams, in: U.S. ratification of the human rights covenants, S. 35, 40. 18 Vgl. zur geschichtlichen Herkunft der verschiedenen Arten von „conditional consent“ Bradley/Goldsmith, 149 U.Pa.L.Rev. [2000], 399, 407 ff. 16

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vations“ echte Vorbehalte im völkerrechtlichen Verständnis, die den inhaltlichen Geltungsbereich eines Vertrages abändern und damit eine nur eingeschränkte bzw. veränderte Verpflichtungseingehung der USA gegenüber den Vertragspartnern konstituiert. Ein „understanding“ lässt den Vertrag materiell unberührt und dient der Bekanntgabe eines bestimmten Verständnisses des Vertrages, was sich insbesondere innerstaatlich auswirken soll, indem beispielsweise Gerichte dieses Verständnis in ihrer relevanten Rechtsprechung zugrunde legen. Die „declarations“ sind auf das innerstaatliche Recht bezogene Feststellungen, wie der Vertrag dieses Recht modifiziert oder auf es einwirkt. Daher fallen die Erklärungen, ein bestimmter Vertrag sei non-self-executing – dazu sogleich unter 4. näher – unter diese Kategorie.19 Vorbehalte kann der Präsident vorschlagen, sie können vom Senat kommen, sie können auch vom Präsidenten nach Anfügung durch den Senat als unangemessen zur neuerlichen Beratung an den Senat zurückgeleitet werden und falls dieser darauf beharren sollte in einer Nicht-Ratifikation des gesamten Vertrages durch den Präsidenten enden. Nur wenn die beiden beteiligten Organe mit dem Vorgehen insgesamt einverstanden sind, wird der Vertrag durch den Präsidenten ratifiziert und hinterlegt. Es werden ausschließlich diejenigen Vorbehalte und Erklärungen zum Bestandteil der Ratifikation gemacht, die der Senat zur Vorbedingung seiner Zustimmung gemacht hat.20 3. Bindungswirkung und Umsetzung Die Bindungswirkung völkerrechtlicher Verträge im inneramerikanischen Recht ergibt sich aus der Supremacy Clause in Art. VI cl. 2 US Constitution: „This Constitution, and the Laws of the United States which shall be made in Pursuant thereof; and all Treaties made, or which shall be made, under the Authority of the United States, shall be the Supreme Law of the Land; and the Judges in every State shall be bound thereby, any Thing in the Constitution of Laws of any State to the Contrary notwithstanding.“

Völkerrechtsverträge stehen als ein Bestandteil des „supreme law of the land“ im Rang von Bundesrecht. Ein ratifizierter Vertrag entfaltet direkt Wirkung gleich einem „federal statute“, da nach der im amerikanischen Recht geltenden monistischen Wirkungsweise des Völkerrechts systembedingt im Nor___________ 19 Zum Ganzen vgl. Williams, in: U.S. ratification of the human rights covenants, S. 35, 41 f.; Bradley/Goldsmith, 149 U.Pa.L.Rev. [2000], 399, 416 ff. 20 Williams, in: U.S. ratification of the human rights covenants, S. 35, 41. So hat beispielsweise Senator Helms eine ganz allgemeine Anmerkung bezüglich des IPbpR beigefügt, die sich aber nicht mehr bei der Ratifikation findet, vgl. Shelton, in: U.S. ratification of the human rights covenants, S. 269, 270 Fn. 1.

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malfall auch keine gesonderte Transformation der Verträge benötigt wird.21 Jeder Vertrag kann aber durch Bestimmungen der Verfassung oder nachfolgendes Bundesrecht jederzeit wieder beschränkt oder „überstimmt“ werden.22 Da keine Rangfolge zwischen Verträgen und sonstigem Bundesrecht besteht, haben diese die gleiche Bedeutung. Wenn sie denselben Themenbereich berühren, muss versucht werden, die beiden Rechtsquellen in Einklang zu bringen. Nur bei Abweichungen gilt das später erlassene Recht. Falls es sich dabei um den völkerrechtlichen Vertrag handelt, dann nur, wenn der Normalfall eines selfexecuting treaty vorliegt.23 Der Erlass eines vertragswidrigen Gesetzes durch den Kongress ermöglicht zwar die Anwendung von Repressalien durch die Vertragspartner, ist aber nach innerstaatlichem Recht nicht ausgeschlossen.24 Auch Völkergewohnheitsrecht wirkt insgesamt als sog. „Landesrecht“, solange kein entgegenstehender völkerrechtlicher Vertrag existiert.25 Das Völkergewohnheitsrecht ist auch ohne explizite Bezugnahme Teil der in Art. VI, cl. 2 enthaltenen Supremacy Clause.26 Damit ist es auf der Ebene von Bundesrecht und in allen Gliedstaaten anwendbar und muss von den Gerichten beachtet werden.27 Dies gilt auch und insbesondere für gewohnheitsrechtlich verankerte Menschenrechte.28 ___________ 21

Vgl. allg. auch Rogers, International law and United States law, S. 74 ff., eine überzogen monistische Sichtweise aber ablehnend, S. 20 f. 22 Diese Gleichrangigkeit, die zur Anwendung der lex posterior-Regel führe, sei die häufigste Wirkungsweise von Völkerrecht im nationalen Recht, Jiménez de Aréchaga, in: FS Doehring, S. 409, 410 f., wobei damit die Völkerrechtsregel unberührt bleibt, aber lediglich von Gerichten oder Behörden innerstaatlich nicht mehr angewendet werden kann, weil damit gegen das jeweilige innerstaatliche Gesetz verstoßen würde. 23 Williams, in: U.S. ratification of the human rights covenants, S. 35, 44. 24 Umgekehrt könne auch die USA auf Vertragsbrüche so reagieren, aber die Art der Reaktion müsse der Exekutive überlassen bleiben, weshalb auch nur diese die Kompetenzen zur Anwendbarkeit von Völkerrecht habe, so die Argumentation von Rogers, International law and United States law, S. 220 f. 25 Grundlegend U.S. Supreme Court, 175 U.S. 677 (1900) – The Paquete Habana: „International law is part of our law, and must be ascertained and administered by the courts of justice of appropriate jurisdiction“. Zum Sachverhalt vgl. Rogers, International law and United States law, S. 5; in jenem Fall forderte der Supreme Court die Beachtung einer völkergewohnheitsrechtlichen Regel, weil diese self-executing Wirksamkeit im innerstaatlichen Recht entfalte, vgl. die Analyse bei Jiménez de Aréchaga, in: in: FS Doehring, S. 409, 413. Steiner/Alston, International Human Rights, S. 67 f., zeigen, dass die Entscheidung Ausgangspunkt für eine Vielzahl gleichgelagerter Bezugnahmen auf das Völkerrecht in der Rechtsprechung des U.S. Supreme Court war. 26 Paust, 20 Mich. J. Int’l. L. [1999], 301, 304 m.w.N. 27 Paust, 20 Mich. J. Int’l. L. [1999], 301, 305, 314 f. Die Pflicht der Gerichte geht schon zurück auf Judikate unter Chief Justice Marshall, vgl. S. 332. 28 Paust, 20 Mich. J. Int’l. L. [1999], 301, 306 f.

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Jüngere Normen des internen Rechts oder aus Verträgen gehen allerdings vor, wenn sie von völkerrechtlichen Regelungen abweichen.29 Da gewohnheitsrechtliche Normen nur durch einen gültigen Vertrag verdrängt werden können, kann von ius cogens nicht durch Vertragsschluss abgewichen werden, weil insoweit ein ungültiger Vertrag vorläge.30 Weder Präsident noch Senat dürfen also Verträgen zustimmen, Rechtsakte erlassen oder andere Handlungen vornehmen, die zum zwingenden Völkerrecht im Widerspruch stehen. Die Verantwortung für die Umsetzung des Völkerrechts liegt beim Präsidenten; er hat entweder bei Umsetzungsbedürftigkeit entsprechende Gesetzgebung auf den Weg zu bringen oder bei unmittelbar anwendbarem Völkerrecht auf seine Befolgung zu achten.31 Auch die Gerichte können, jedenfalls bei Verträgen, die subjektive Ansprüche begründen, in Streitfällen die Umsetzung bewerkstelligen.32 Ob die innerstaatlichen Gerichte jedoch – z.B. bei völkerrechtswidrigem Handeln des Kongresses – eine allgemeine Verwerfungskompetenz haben oder sich wegen der „political question doctrine“ zurückhalten müssen, bedarf hier keiner allgemeinen Antwort.33 Denn in einem berühmten Fall hat das Appellationsgericht Völkerrecht zur Begründung seiner Jurisdiktion herangezogen, als es schwere Menschenrechtsverletzungen in Form von Folter durch einen ausländischen Polizeichef gegenüber Ausländern zu beurteilen hatte.34 Auch in anderen Fällen haben Gerichte völkerrechtliche Menschen___________ 29 U.S. Supreme Court, Urt. v. 8.1.1900, 175 U.S. 677, 700 (1900) – The Paquete Habana. 30 Zu dieser Argumentation die Darstellung bei Rogers, International law and United States law, S. 216, der aber selbst eine direkte Wirkung von ius cogens ablehnt und dies nur für die Fälle annimmt, in denen eine Umsetzung durch Ratifikation eines Vertrages oder ausdrückliche Bezugnahme in einem Bundesgesetz erfolgt sei. 31 Rogers, International law and United States law, S. 215 f., sieht diese Kompetenz als uneingeschränkt in der „political branch“, auch bei Menschenrechtsverträgen und ius cogens. 32 Zum Ganzen auch Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 339 f. 33 Ausf. dazu Boyd, 53 Rutgers L. Rev. [2001], 277 ff., der im Ergebnis die Kompetenz der Gerichte zur Entscheidung über völkerrechtlich beeinflusste Menschenrechtsfragen durch diese Doktrin nicht beschränkt sieht, S. 330 f. Zur unbedingten Geltungswirkung von Gewohnheitsrecht zurückhaltender Rogers, International law and United States law, S. 74, wobei dieser letztlich nur aus Gründen der Gewaltenteilung dem Supreme Court die Kompetenz zur Verwerfung präsidialer Ratifikationen mit Zustimmung des Senates abspricht und diese Verantwortung der Exekutive überlässt. 34 US Court of Appeals, 630 F.2d 876 (2d Cir. 1980) – Filartiga v. Pena-Irala: „[...] deliberate torture perpetrated under color of official authority violates universally accepted norms of the international law of human rights, regardless of the nationality of the parties [...] violates established norms of the international law of human rights, and hence the law of nations“. Auf diesen Fall ist in weit über hundert Folgeurteilen Bezug genommen worden, vgl. Steiner/Alston, International Human Rights, S. 1049.

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rechtsgewährleistungen herangezogen, wenn die Regelungen der Verfassung zum Schutz der Betroffenen nicht ausreichend gewesen wären.35 Im Verstoß gegen die völkerrechtliche Regel liegt dann zugleich ein Bruch amerikanischen Rechts, weil das Völkerrecht Bestandteil des innerstaatlichen Rechts ist.36 Zumindest für den Bereich der Verfassungsinterpretation ist die Auslegungsregel so formuliert, dass es den Gerichten obliegt, die Normen in größtmöglicher Übereinstimmung mit völkerrechtlichen Regelungen, unabhängig von der Haltung der Exekutive zu interpretieren.37 Im Fall Rodriguez-Fernandes v. Wilkinson hat das Appellationsgericht ein Bundesgesetz verfassungskonform ausgelegt, wobei die entsprechende Verfassungsbestimmung wiederum im Lichte völkerrechtlicher Regelungen interpretiert wurde.38 Danach hätte der Abschiebehäftling, der von Kuba nicht mehr angenommen worden wäre, aus der Abschiebehaft entlassen werden müssen, da er dort nicht willkürlich ohne Aussicht auf Abschiebung festgehalten werden dürfte. Der Fall wurde abschließend nicht mehr vom US Supreme Court entschieden, da der Betroffene und zahlreiche weitere Häftlinge eine Amnestie erhalten hatten.39 Kritische Stimmen sehen in solchen Entscheidungen eine problematische Überbetonung der richterlichen Kompetenzen und beharren auf einer ausschließlichen Zuständigkeit zur Festlegung des Inhalts internationalen Rechts durch die Exekutive.40 Gerade für menschenrechtliche Verträge ist aber im Blick auf deren Wirkungsweise im innerstaatlichen Recht eine Kompetenz für die Gerichte unvermeidlich, wie sogleich gezeigt wird. 4. Das Problem der „non-self-executing treaties“ Wie bereits erwähnt, sind völkerrechtliche Verträge grundsätzlich mit Ratifikation Bestandteil des federal law und damit self-executing, weshalb sie zur ___________ 35

Rechtsprechungsübersicht bei Henkin, in: FS Partsch, S. 233, 246; vgl. auch Cassese, International Law, S. 368 f. 36 So die Diktion im Fall The Paquete Habana, 175 U.S. 677 (1900); auch Henkin, in: FS Partsch, S. 233, 246. Zurückhaltender bei der Kompetenz von Gerichten Rogers, International law and United States law, S. 214 f., die nur Impulse zur Umsetzung von Völkerrecht geben, aber die Letztentscheidung der Exekutive darüber nicht überstimmen könnten. Andererseits dürften Gerichte Völkerrecht zur Entscheidung auch ohne Umsetzung durch die Exekutive heranziehen, wenn sie für einen konkreten Fall zwar eine Zuständigkeit, aber keine andere Rechtsgrundlage besäßen, so S. 128 ff. („international law as common law“). 37 Rogers, International law and United States law, S. 44. 38 Court of Appeals, 654 F. 2d 1382, 1386 ff. (10th Cir. 1981) – Rodriguez-Fernandes v. Wilkinson. 39 Vgl. Rogers, International law and United States law, S. 71. 40 So Rogers, International law and United States law, S. 72 f.

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Wirkungsentfaltung keiner weiteren Umsetzung bedürfen. Nur in Ausnahmefällen sollen Verträge diese ihnen eigene Umsetzungswirkung nicht haben.41 Verträge sind dann non-self-executing, wenn dies beim Vertragsschluss oder im Ratifikationsprozess deutlich zum Ausdruck gebracht wurde.42 Nur bei einem eindeutig manifestierten Willen, dass keine self-executing Norm beabsichtigt war, bedarf es noch eines Umwandlungsgesetzes. Fehlt es in einem solchen Fall an einem Gesetz, besteht „nur“ eine völkerrechtliche Bindung nach außen,43 die innerstaatlich keine Wirkung entfalten kann und daher auch keine Berufung vor Gericht auf die entsprechende Regel ermöglicht.44 Eindeutig ist der Wille, wenn der Senat entsprechende Forderungen zum Erlass eines Umsetzungsgesetzes äußert, bevor er dem Vertrag zustimmt oder wenn eine entsprechende verfassungsrechtliche Regel besteht, z.B. bei aus dem Vertrag erwachsenden Zahlungsverpflichtungen.45 Schwieriger wird es, wenn der Parteiwille entscheidend ist, da der Grad der gewollten Verpflichtung oft nur schwer nachweisbar ist. Dieser muss dann aus den Umständen geschlossen werden, wie z.B. dem Vertragszweck und den -zielen, dem Vorliegen innerstaatlicher Verfahrenswege und Institutionen, die eine direkte Umsetzung bewerkstelligen könnten sowie den Folgen der Entscheidung zugunsten einer self-executing rule.46 Der California Supreme Court hat 1952 in Sei Fujii v. State festgestellt, dass die Menschenrechtsklauseln der UN-Charta jedenfalls nicht selbstumsetzend seien.47 Ob dies heute so noch entschieden würde, ist schon zweifelhaft, da die dort unbestimmten Formulierungen durch verschiedene menschenrechtliche Verträge eine Präzisierung erfahren haben.48 Da in anderen Fällen amerikanische Gerichte jedoch bestimmte Menschenrechtsgewährleistungen als self___________ 41

Jiménez de Aréchaga, in: FS Doehring, S. 409, 412 f. bezeichnet diese Ausnahme als die „unless clause“. Zur Gestalt der non-self-executing declaration Bradley/Goldsmith, 149 U.Pa.L.Rev. [2000], 399, 419 ff. 42 Vgl. dazu auch Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 270. 43 Insoweit ist aus Sicht des Völkerrechts die „non-self-executing-Problematik“ zunächst unerheblich, da der Staat zur Umsetzung verpflichtet, die Art der Umsetzung ihm aber offen steht, vgl. Steiner/Alston, International Human Rights, S. 1026. 44 So für eine Sicherheitsratsresolution Court of Appeals, 555 F.2d 848 (D.C. Cir. 1976) – Diggs v. Richardson; vgl. auch Williams, in: U.S. ratification of the human rights covenants, S. 35, 46. 45 Vgl. Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 270 Fn. 1114. 46 So die Kriterien bei Quigley, 42 DePaul L. Rev. [1993], 1287, 1300; Williams, in: U.S. ratification of the human rights covenants, S. 35, 48, jeweils mit Verweis auf die Rechtsprechung. 47 Supreme Court of California, 38 Cal.2d 718 (1952), abgedruckt auch bei Steiner/ Alston, International Human Rights, S. 1026 ff. 48 So auch Quigley, 42 DePaul L. Rev. [1993], 1287, 1301.

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executing qualifiziert haben, gibt es keine allgemeine, einheitliche, inneramerikanische Praxis in Bezug auf Menschenrechtsverträge.49 Ziel und Zweck von Menschenrechtsverträgen machen aber die Annahme einer Wirkungsweise als ‚self-executing norms‘ fast zwingend. Anders als klassische multilaterale Verträge sollen mit ihnen Rechte von Individuen gestärkt werden, die diese gegenüber den Mitgliedstaaten des jeweiligen Vertrages in Stellung bringen können. Damit übernehmen die Staaten zum Allgemeinwohl Verpflichtungen gegenüber Individuen unter ihrer Herrschaftsgewalt, was eine direkte Wirksamkeit im innerstaatlichen Recht nahelegt.50 Der Sinn des Menschenrechtsvertrages liegt gerade nicht darin, dass die anderen Mitgliedstaaten bei einem Verstoß durch Menschenrechtsverletzungen Sanktionen gegenüber dem Verletzerstaat treffen können, sondern in der drittschützenden Ausrichtung auf die Individuen, die sich bei Verstößen vor Gerichten dagegen wehren können sollen.51 Bei Menschenrechtsverträgen ist also von einer Grundannahme zugunsten einer selfexecuting Wirkung auszugehen.52

III. Geltung des Menschenrechtspaktes 1. Umsetzung und Vorbehalte Nach jahrelanger Verzögerung und wiederholtem Stillhalten53 wurde während der Administration Bush sen. im August 1991 das Foreign Relations Committee aufgefordert, sich erneut mit dem IPbpR zu beschäftigen. Nach dessen Vorarbeiten und Festlegung der Vorbehalte wurde der IPbpR mit Zustimmung des Senates vom Präsidenten der USA ratifiziert und formell am 08.06.1992 die Urkunde hinterlegt. Neben der hier interessierenden Erklärung („declaration“) zur Wirkungsweise des Paktes, haben die USA auch einige als Vorbehalte qualifizierte Einschränkungen an die Ratifikation angebracht. So ist z.B. die Meinungsfreiheitseinschränkung des Art. 20 IPbpR ebensowenig akzeptiert worden wie das Verbot der Ausführung der Todesstrafe an Minderjäh___________ 49

Williams, in: U.S. ratification of the human rights covenants, S. 35, 49. So auch die Argumentation des IAGMR, Advisory opinion OC-2/82 (24.09.1982) Rdnr. 29 ff. – The Effect of Reservations on the Entry Into Force of the American Convention on Human Rights (Arts. 74 and 75), Inter-Am. Ct. H.R. (Ser. A) No. 2 (1982), www1.umn.edu/humanrts/iachr/b_11_4b.htm. 51 Bernhardt, in: FS Doehring, S. 23, 24; Stahn, EuGRZ 2001, 607, 609; Quigley, 42 DePaul L. Rev. [1993], 1287, 1300: „only reason for a treaty on human rights“. 52 Jiménez de Aréchaga, in: FS Doehring, S. 409, 414. A.A. Bradley/Goldsmith, 149 U.Pa.L.Rev. [2000], 399, 423 ff. 53 Vgl. zu den heftigen Auseinandersetzungen in den Beratungen des Senats nach Vorlage des Ratifikationsvorschlages durch Präsident Carter 1979, Steiner/Alston, International Human Rights, S. 1034 ff. 50

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rigen.54 Diesen Vorbehalten haben zahlreiche Staaten insbesondere aus Europa widersprochen, wobei jeweils klargestellt wurde, dass durch den Widerspruch ein Inkrafttreten des Paktes für die USA nicht verhindert werden sollte.55 2. Bedeutung der Vorbehalte a) Position der Regierung der USA Die US-amerikanischen Regierungen haben grundsätzlich Menschenrechtsverträge, die sie ratifiziert haben, mit einer „non-self-executing-declaration“ bezüglich der materiellen Gewährleistungen versehen.56 Diese kritische Zurückhaltung der USA gegenüber einer unmittelbaren Anwendbarkeit internationaler Menschenrechtsgewährleistungen und der Unterwerfung unter externe Kontrollgremien, geht bis in die Nachkriegszeit zurück. Nach der Euphorie des Aufbruchs im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg durch Gründung der UN, war es vor allem der damalige Senator Bricker, der dem Präsidenten Eisenhower die Menschenrechtspolitik erschwerte.57 Er versuchte immer wieder eine Verfassungsänderung durchzubringen, die die USA von internationalen Menschenrechtsverträgen dauerhaft isoliert hätte.58 Die „declaration“ über die nicht unmittelbare Wirkung auch des IPbpR soll für die innerstaatlich zur Rechtsumsetzung beauftragten Behörden und Gerichte klarstellen, dass die durch den Vertrag gewährten Rechte nicht Anspruchsgrundlage vor innerstaatlichen Gerichten sein können und damit auch die Rich___________ 54 Zu den einzelnen Vorbehalten vgl. z.B. Steiner/Alston, International Human Rights, S. 1039 ff.; Shelton, in: U.S. ratification of the human rights covenants, S. 269, 272 ff. 55 Vgl. Steiner/Alston, International Human Rights, S. 1044. Ebenso auch HRC, Allg. Bemerkung Nr. 24 Ziff. 18, dazu unten Kap. 4 A. III. 2. c). 56 Bassiouni, 42 DePaul L. Rev. [1993], 1169, 1173 qualifiziert dies wie folgt: „The Senate’s practice of de facto rewriting treaties, through reservations, declarations, understandings, and provisos [...]“ [eigene Herv.]. 57 Zu dieser sog. „Bricker Ära“ Henkin, in: FS Partsch, S. 233, 245; Hannum/ Fischer, in: U.S. ratification of the human rights covenants, S. 3, 14 f. Daher auch der Titel von Henkin, 89 AJIL [1995], 341 („The Ghost of Senator Bricker“). Bemerkenswert ist der Hinweis von Bradley/Goldsmith, 149 U.Pa.L.Rev. [2000], 399, 412, dass diese Ära mit der Vorlage der Genozid-Konvention durch Präsident Truman begann und die Ablehnungshaltung gegenüber dieser Konvention damit begründet wurde, dass unsicher sei, ob sich nicht Native Americans darauf würden berufen können. 58 Vgl. die drastischen Worte, mit denen Senator Bricker seinen Antrag unterstrich: „My purpose in offering this resolution is to bury the so-called Covenant on Human Rights so deep that no one holding a public office will ever dare to attempt its resurrection“, Henkin, 89 AJIL [1995], 341, 349.

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ter diese nicht zum Maßstab ihrer Entscheidungen machen dürfen.59 Die fehlende Ratifikation des Fakultativprotokolls zum IPbpR unterstreicht diese Haltung noch, einen Rechtsweg für Individuen nicht einräumen zu wollen. „Deklarationen“, die eigentlich nur eine Klarstellungsfunktion haben sollen, sind dann in Wirklichkeit als Vorbehalte zu qualifizieren, wenn sie wie hier die Wirkungsweise der Vertragsnormen im Sinne des Art. 2 Abs. 1 lit d) WVK ausschließen bzw. zumindest verändern.60 b) Kritik in der Literatur Zulässige Vorbehalte zum IPbpR relativieren zwar die inhaltliche Geltung der betroffenen Paktbestimmungen im Verhältnis zu den nicht dagegen widersprechenden Staaten.61 Andererseits ändert eine Deklaration wie die der USA nichts an der Verpflichtung im Berichtsverfahren Rechenschaft über die Umsetzung der Rechte ablegen zu müssen. Obgleich die von den USA angebrachten Vorbehalte in der Literatur und auch von zahlreichen Staaten als völkerrechtlich ungültig betrachtet werden, ist nach derzeitiger Lage nicht davon auszugehen, dass die Vorbehalte zurückgezogen werden.62 Materiell sind Vorbehalte bei Menschenrechtsverträgen unzulässig, wenn sie sich auf einen zwingenden Inhalt wie z.B. das Folterverbot beziehen.63 Vorbehalte sind ferner unzulässig, wenn sie rechtsmissbräuchlich erfolgen.64 Als Trinidad und Tobago in Reaktion auf eine dem Staat nicht genehme Entscheidung des Menschenrechtsausschusses im Bezug auf einen Todesstrafenhäftling das Fakultativprotokoll zum IPbpR kündigte, um gleichentags wieder Vertrags___________ 59 Grant, in: The Future of UN Human Rights Monitoring, S. 317, 320, v.a. Fn. 6. So auch ausdrücklich in den Erläuterungen der Administration Bush sen. bei der Vorlage des Ratifikationsvorschlages an den Senat 1991, vgl. Steiner/Alston, International Human Rights, S. 1041; die darin enthaltenen Widersprüche zeigt Sloss, 24 Yale J. Int’l. L. [1999], 129, 165 ff. auf. Vgl. auch HRC; Report by the United States 1994 Rdnr. 8. 60 Jiménez de Aréchaga, in: FS Doehring, S. 409, 416, dort bezogen auf den damals geplanten identischen Vorbehalt bezüglich der Interamerikanischen Menschenrechtskonvention. 61 Haratsch, in: 25 Jahre Internationale Menschenrechtspakte, S. 29, 37. 62 Grant, in: The Future of UN Human Rights Monitoring, S. 317, 318. Bassiouni, 42 DePaul L. Rev. [1993], 1169, 1181 weist darauf hin, dass viele Gegner der Vorbehalte die Ratifikation dennoch in der Hoffnung befürworteten, die USA würde die Vorbehalte später zurückziehen. Dies haben zahlreiche andere Staaten nach entsprechender Kritik bzw. Anpassung der nationalen Rechtslage auch gemacht, vgl. Shelton, in: U.S. ratification of the human rights covenants, S. 269, 275, 277. 63 Stahn, EuGRZ 2001, 607, 611, der Vorbehalte in bestimmten Fällen auch bei Verstoß gegen Gewohnheitsrecht für unzulässig hält. 64 Generell zu Besonderheiten des Vertragsrechts bei Menschenrechtsverträgen, v.a. zu Vorbehalten vgl. Craven, 11 EJIL [2000], 489, 504 ff.

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staat zu werden, nun aber verbunden mit dem Vorbehalt einer Unzulässigkeit von Beschwerden solcher Häftlinge, lag ein solcher Fall vor. Die Kündigung erfolgte nur zum Zweck, einen nach den Regeln der Vertragsrechtskonvention nicht mehr möglichen, da zeitlich verspäteten Vorbehalt nachträglich anzubringen.65 Die hier interessierende Erklärung der USA, dass die Rechte aus Art. 1 bis 27 IPbpR non-self-executing seien, wird besonders heftig kritisiert. Henkin hält diese regelmäßig bei Menschenrechtsverträgen angebrachte Erklärung auch für verfassungswidrig, weil die Supremacy Clause der US Constitution diese ausnahmsweise Handhabung nicht zur Regel machen wollte, wie das nunmehr durch den Einfluss des Senates bezüglich Menschenrechtsverträgen geschehen ist.66 Schon aus formalen Gründen ist zweifelhaft, ob diese Erklärung überhaupt innerstaatlich wirksam sein kann. Da bei der Ratifikationsvorlage zwischen „reservations“ und „declarations“ unterschieden wurde, aber eine tatsächlich als Vorbehalt wirkende „declaration“ vorliegt, könnte schon damit die nur bedingte Zustimmung innerstaatlich nicht manifestiert worden sein und vielmehr eine irrelevante Stellungnahme vorliegen.67 Es kann auch argumentiert werden, dass die „declaration“ dahingehend verstanden werden muss, dass in einem innerstaatlichen Gerichtsverfahren lediglich kein Rechtsanspruch direkt aus dem Pakt ableitbar sein soll, wenn dieser die einzige Grundlage für das Recht wäre.68 Etwas anderes würde danach aber für die Ausgestaltung verfassungsrechtlicher Rechtspositionen mittels der Paktvorschriften in einem Gerichtsstreit gelten.69 Um beurteilen zu können, ob ein Vertrag tatsächlich in den USA nicht direkt anwendbar ist, muss ein Gericht die Wirksamkeit der genannten „declaration“ prüfen können, weshalb diese Beurteilung nur durch amerikanische Gerichte abschließend bestimmt werden kann.70 Wie diese Prüfung aussehen kann, wird sogleich unter 3. dargestellt. Die Zulässigkeit der Erklärung einer menschenrechtlichen Norm als non-self-executing kann aber auch vor einem internatio___________ 65 66

Vgl. dazu Stahn, EuGRZ 2001, 607, 611. Henkin, 89 AJIL [1995], 341, 346. Ebenso Paust, 20 Mich. J. Int’l. L. [1999], 301,

324. 67

Quigley, 42 DePaul L. Rev. [1993], 1287, 1303; ähnlich Bassiouni, 42 DePaul L. Rev. [1993], 1169, 1177. Nur echte Vertragsbestandteile können „law of the land“ werden, so auch Court of Appeals, 247 F.2d 538, 543 f. (D.C. Cir. 1957) – Power Authority v. Federal Power Commision. 68 Paust, 20 Mich. J. Int’l. L. [1999], 301, 326 f. 69 Quigley, 42 DePaul L. Rev. [1993], 1287, 1306. 70 Shelton, in: U.S. ratification of the human rights covenants, S. 269, 276; Quigley, 42 DePaul L. Rev. [1993], 1287, 1298; Williams, in: U.S. ratification of the human rights covenants, S. 35, 49: „courts are the final decision-makers on this issue“.

A. Völkerrecht als innerstaatliches Recht der USA

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nalen Gericht oder einer gerichtsähnlichen Instanz thematisiert werden, wenn die Anbringung eines solchen Vorbehaltes selbst einen Vertragsverstoß bedeutet und innerstaatliche Gerichte, wenn sie diese Sichtweise nicht teilen, jeweils völkerrechtswidrig handeln.71 Daher ist die Haltung des Menschenrechtsausschusses zur Erklärung der USA bei Ratifikation des IPbpR zu beleuchten. c) Position des Menschenrechtsausschusses Als Reaktion auf die zunehmende Praxis von Staaten, bei ihren Ratifikationen des IPbpR substantielle Vorbehalte anzubringen, hat der UNMenschenrechtsausschuss die Allgemeine Bemerkung Nr. 24 über Vorbehalte zum Pakt und zu den Fakultativprotokollen verabschiedet.72 In dieser Bemerkung formuliert der Ausschuss vorsichtig, aber durchaus sehr kritisch, dass die bisher angebrachten Vorbehalte geeignet sind, die Befolgung des IPbpR zu schwächen und seine effektive Umsetzung in den Mitgliedstaaten zu unterminieren. Diese Kritik bezieht sich auch auf die Vorbehalte der USA, die der Allgemeinen Bemerkung zeitlich vorangegangen waren.73 Entsprechend der Bemerkung sind mangels eigener Regeln des Menschenrechtspaktes über die Anbringung von Vorbehalten zum IPbpR die allgemeinen Regeln der WVK zur Beurteilung der Zulässigkeit der Vorbehalte einschlägig.74 In Ziffer 8 der Bemerkung hat der Menschenrechtsausschuss klargestellt, dass Vorbehalte bei Menschenrechtsverträgen nur eingeschränkt möglich sind. Insbesondere seien gewohnheitsrechtlich geltende materielle Rechte – aus der Sicht des Ausschusses fast die gesamte Liste der Menschenrechte75 – nicht einschränkbar. ___________ 71

Jiménez de Aréchaga, in: FS Doehring, S. 409, 419; Paust, 42 DePaul L. Rev. [1993], 1257, 1272 ff. leitet die Völkerrechtswidrigkeit schon aus der UN-Charta ab. 72 Allgemeine Bemerkung Nr. 24 vom 2.11.1994, U.N. Doc. CCPR/C/21/Rev. 1/Add. 6 (1994). Zu dieser ausf. Baylis, 17 Berkeley J. Int’l L. [1999], 277, v.a. 285 f., 296 ff. 73 Baylis, 17 Berkeley J. Int’l L. [1999], 277, 306 sieht den Auslöser für die Bemerkung sogar hauptsächlich im Verhalten der USA. 74 Bestätigt in HRC, R. Kennedy/Trinidad und Tobago, Communication No. 845/1999 Rdnr. 6.5 = EuGRZ 2001, 615; vgl. dazu auch Stahn, EuGRZ 2001, 607, 610 Fn. 32. 75 Anders jedoch Weisburd, 25 Ga. J. Int’l. & Comp. L. [1996], 99, 112 ff., 123 ff., 129 ff., 134 f., weil es an einem effektiven Sanktionssystem fehle und nach seiner Ansicht nur sanktionierbare Verstöße Hinweis auf geltendes Recht seien. Eine völkergewohnheitsrechtliche Regel, wonach Menschenrechte keine innere Angelegenheit der Staaten sei, stehe jedoch zweifelsfrei fest. Über die Pakte hinaus sieht Hannum, 25 Ga. J. Int’l. & Comp. L. [1996], 287, 353 in der Menschenrechtserklärung von 1948 durch die tausendfache Bezugnahme in anderen Dokumenten und internationalen und nationa-

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Kapitel 4: Anwendbarkeit auf die Native Americans

Art. 2 Abs. 2 IPbpR sieht vor, dass jeder Ratifikationsstaat für den Fall einer den Paktvorschriften noch nicht genügenden gesetzlichen Grundlage die notwendigen Schritte, also insbesondere Gesetzgebungsverfahren einzuleiten hat, um den Rechten des Paktes zur Geltung zu verhelfen.76 In Abs. 3 wird dies noch erweitert durch die Forderung nach einer wirksamen und effektiven innerstaatlichen Beschwerdeinstanz, zu der die Individuen Zugang haben müssen. Der Menschenrechtsausschuss akzeptiert insoweit zwar, dass es den Staaten anheim gestellt ist, wie sie diese Forderungen erfüllen. Es ist jedoch eine Tendenz vorhanden, dass erst eine direkte Anwendbarkeit der Rechte auch als Anspruchsgrundlage vor nationalen Gerichten eine effektive Umsetzung dieser Pflicht bedeutet. Nach Ziffer 9 Allgemeine Bemerkung Nr. 24 dürfen Staaten sich jedenfalls nicht vorbehalten, der Umsetzungsverpflichtung des Art. 2 Abs. 2 und 3 IPbpR überhaupt nicht nachkommen zu müssen, indem sie die Paktrechte nicht umsetzen, zugleich aber auch nicht direkt anwendbar machen. Die Kritik der Ziffer 12 scheint ebenfalls in besonderer Weise auf die Vorbehaltspraxis der USA abgestellt zu sein. Danach hält der Ausschuss Beschränkungen für besonders problematisch, wenn diese zum Ausdruck bringen, dass eine Änderung nationaler Gesetze nicht notwendig sei, weil diese angeblich bereits in vollem Umfang die Geltung der Paktrechte sicherstellten.77 Wenn zudem noch die fehlende Möglichkeit der Berufung vor nationalen Gerichten auf die Rechte aus dem IPbpR gepaart mit einer fehlenden Ratifikation des 1. Fakultativprotokolls einhergehe, dann seien „all the essential elements of the Covenant guarantees“ beseitigt. Aus diesem Grunde müsse es dem Ausschuss obliegen, die Zulässigkeit bestimmter Vorbehalte festzustellen. Einzelne unzulässige Vorbehalte beseitigen jedoch nach Ansicht des Ausschusses nicht die Wirkung des Paktes, sondern lassen vielmehr die entsprechende Paktbestimmung ohne den zu ignorierenden Vorbehalt voll wirksam werden.78 Gegen scharfe Kritik insbesondere der USA, Großbritanniens und Frankreichs, die für einen solchen Fall darauf verwiesen, dass die volle Vertragsbindung durch den Vorbehalt erkennbar nicht gewollt gewesen sei,79 hält ___________ len Gerichtsurteilen – die Liste amerikanischer Urteile findet sich auf S. 385-391 – eine gewohnheitsrechtliche Verankerung. 76 Baylis, 17 Berkeley J. Int’l L. [1999], 277, 307 sieht eine krasse Verletzung dieser Vorschrift durch die Belgleitumstände der US-amerikanischen Ratifikation. 77 Ein solcher Hinweis sei schon ein Verstoß gegen den Treu und Glauben-Grundsatz bei Vertragsanwendung, da er gegenteilige Rechtsetzung nicht verhindert, so Bassiouni, 42 DePaul L. Rev. [1993], 1169, 1179 f. 78 So die Ziff. 17 f. 79 Vgl. m.w.N. Herdegen, Völkerrecht, § 15 Rdnr. 25.

A. Völkerrecht als innerstaatliches Recht der USA

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der Menschenrechtsausschuss ähnlich dem EGMR80 auch bei einem unzulässigen Vorbehalt den jeweiligen Staat dennoch grundsätzlich für in vollem Umfang gebunden.81 Die USA halten diese Aussagen des Ausschusses ihrerseits für nicht bindend.82 Die Begründung des Ausschusses zur Rechtsfolge unzulässiger Vorbehalte ist auch in späteren Minderheitenvoten – zumindest bezüglich des Fakultativprotokolls83 – sowie in der Literatur84 kritisiert worden. Andererseits ist im besonderen Fall der Menschenrechtspakte die Argumentation des Ausschusses nachvollziehbar. Dieser muss die Kompetenz zur Prüfung von Vorbehalten haben, weil andernfalls das Ziel des Vertrages, einen einheitlichen Schutzstandard bezüglich der Menschenrechte in den Paktstaaten zu bewerkstelligen, nicht erreicht werden könne, da die Zulässigkeit der Vorbehalte jeweils bilateral anders ausfallen würde.85 Auch ist die Rechtsfolge der vollen Wirksamkeit bei unzulässigem Vorbehalt zu akzeptieren, da ein Staat, wenn er diese Folge ausschließen möchte, diesen Vorrang des Vorbehaltswillens gegenüber dem Ratifikationswillen bei der Unterzeichnung deutlich machen muss.86 Zwar konnte die USA – anders als Trinidad und Tobago 1999 – die Reaktion des Ausschusses auf seine Vorbehalte nicht vorhersehen, weil die Allgemeine Bemerkung Nr. 24 noch nicht erlassen war. Eine Unzulässigkeit so weitreichender Einschränkungen der Wirksamkeit des IPbpR wegen des effet utilePrinzips zur bestmöglichen Durchsetzung der materiellen Rechte aus dem Vertrag kann jedoch als Begründung herangezogen werden,87 dass die USA mit ___________ 80

EGMR, [1995] Ser. A, Bd. 310 Nr. 73 Louizidou/Türkei – prozessuale Einreden. Anders aber die Ansicht der ILC, vgl. dazu Baylis, 17 Berkeley J. Int’l L. [1999], 277, 322 ff. 82 Vgl. Steiner/Alston, International Human Rights, S. 1047. Die Kritik der USA geht jedoch insoweit fehl als sie davon ausgeht, der Menschenrechtsausschuss wollte mit seiner Bemerkung eine rechtliche Verbindlichkeit seiner Beschlüsse herstellen, vgl. Stahn, EuGRZ 2001, 607, 610 Fn. 31. Der Senat hat auch – wegen des damaligen Vetos von Präsident Clinton erfolglos – versucht, Zahlungen an die UN zu kürzen, solange der Ausschuss seine Allgemeine Bemerkung nicht zurückziehe, vgl. dazu Baylis, 17 Berkeley J. Int’l L. [1999], 277, 318 f. Zur Säumigkeit der USA bei Zahlungen an die UN allg. vgl. z.B. Meldung in NZZ Nr. 189 v. 17.08.2001, S. 2. 83 Vgl. HRC, R. Kennedy v. Trinidad und Tobago, Communication No. 845/1999 Rdnr. 15, Diss. op. Ando/Bhagwati/Klein/Kretzmer = EuGRZ 2001, 617, 618. 84 So z.B. bei Stahn, EuGRZ 2001, 607, 612, wobei er mit entsprechender Begründung eine solche Wirkung für möglich hält und sie daher vom Ausschuss anmahnt, S. 614. 85 So auch Stahn, EuGRZ 2001, 607, 609. Dies gilt gerade auch, weil die übrigen Vertragsstaaten auf Vorbehalte zum IPbpR häufig kaum reagieren, was der Ausschuss in seiner Allgemeinen Bemerkung unter Ziff. 17 damit erklärt, dass die Unzulässigkeit bestimmter Vorbehalte aus der Sicht der Staaten offenkundig sei. 86 Stahn, EuGRZ 2001, 607, 614. 87 Zu diesem Begründungsansatz wiederum Stahn, EuGRZ 2001, 607, 614; ebenso für den IPbpR Herdegen, Völkerrecht, § 15 Rdnr. 32. 81

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Kapitel 4: Anwendbarkeit auf die Native Americans

einer Nichtannahme ihres non-self-executing-Vorbehalts durch die Vertragspartner rechnen musste und dieser daher zumindest aus völkerrechtlicher Sicht ungültig sein würde.88 Diese Prüfung von Vorbehalten am Maßstab von Ziel und Zweck des Vertrages hat auch der IGH in einer ähnlichen Konstellation vorgenommen, wobei er die Prüfungskompetenz für die Zulässigkeit den anderen Ratifikationsstaaten zugestanden hat.89 3. Schlussfolgerung für die Gerichtsbarkeit Die zahlreichen Vorbehalte der USA bei der Ratifikation des Paktes und insbesondere die Qualifikation als ein nicht selbst ausführender Vertrag unter gleichzeitigem Hinweis, dass eine Umsetzungsgesetzgebung nicht erfolgen werde, haben massive Kritik aus dem Kreis der gegen diese Vorbehalte widersprechenden übrigen Vertragsstaaten provoziert. So hat Schweden erklärt, dass die USA mit ihren Bemerkungen bei der Ratifikation in viel größerem Maße als begrifflich zugestanden, echte Vorbehalte angebracht haben, die zudem mit dem Sinn und Zweck des IPbpR nicht vereinbar seien: „[...] may cast doubts upon the commitment of the reserving State to the object and purpose of the Covenant. The reservations made [...] include both reservations to essential and non-derogable provisions, and general references to national legislation. Reservations of this nature contribute to undermining the basis of international treaty law. All parties share a common interest in the respect for the object and purpose of the treaty to which they have chosen to become parties“.90

Mit dieser, wie oben dargestellt zutreffenden Begründung sind die Vorbehalte daher völkerrechtlich unwirksam. Die erläuternde Bemerkung der USA, der IPbpR sei „non-self-executing“, erfüllt aber ohnehin ihren innerstaatlich beabsichtigten Zweck nicht. Die USA wollten damit klarstellen, dass der Pakt vor Gerichten nicht unmittelbar anwendbar ist. Da die amerikanischen Gerichte aber verfassungsrechtlich verpflichtet sind, innerstaatliches Recht im Zweifel soweit wie möglich in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht auszulegen und anzuwenden, sind sie auch befugt, die Bestimmungen des Paktes heranzuziehen.91 Dabei haben die Gerichte nach der Paquete Habana-Logik des Supreme ___________ 88

Paust, 20 Mich. J. Int’l. L. [1999], 301, 323: „such declarations function as reservations that are fundamentally inconsistent with the objects and purposes of the treaties and, under international law, are thus void ab initio and can have no legal effect“. 89 ICJ Rep. 1951, 15, 29 f. – Advisory Opinion on Reservations to the Genocide Convention. 90 UN, Comment by Sweden 1994 Rdnr. 47 ff., abgedr. in Steiner/Alston, International Human Rights, S. 1044. 91 Paust, 20 Mich. J. Int’l. L. [1999], 301, 327, daher könnten sich Individuen vor Gericht in Grundrechtsstreitigkeiten auf eine paktkonforme Auslegung z.B. der Amendments berufen.

A. Völkerrecht als innerstaatliches Recht der USA

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Court das Völkerrecht nicht in der zur Zeit der Verfassungsverabschiedung geltenden Fassung heranzuziehen, sondern jeweils in der aktuellen Ausprägung, wie es zum Entscheidungszeitpunkt zwischen den Staaten der Welt gilt.92 Zum heutigen Völkerrecht gehört neben dem Pakt auch die interpretierende Spruchtätigkeit des Menschenrechtsausschusses, so dass Gerichte zumindest befugt sind, diese mit heranzuziehen.93 Da bei kontinuierlicher Nichtbeachtung der Paktbestimmungen ein Völkerrechtsverstoß der USA vorläge, muss ein Gericht fast zwangsläufig zum Ergebnis kommen, dass es die von der Exekutive beabsichtigte non-self-executing Wirkung ignoriert, wenn in einem Streitfall das Menschenrecht aus dem IPbpR zu einer anderen Entscheidung führen würde, als die Anwendung nur innerstaatlichen Rechts.94 Das gegenteilige Argument, damit würden die Gerichte die Gewaltenteilung nicht beachten, weil die Exekutive allein für die Außenbeziehungen zuständig ist, verkennt die Pflicht zur Realisierung der Paktrechte.95 Ein Staat kann seiner Verpflichtung zur Umsetzung der Paktrechte und einer effizienten Verwirklichung für die Individuen nicht nachkommen, wenn die Betroffenen überhaupt kein Forum zur Verfügung haben, in dem sie ihre Rechte geltend machen können.96 Deshalb fragt auch der Menschenrechtsausschusses regelmäßig bei den Staatenberichten nach der Umsetzung der Paktvorgaben vor nationalen Gerichten.97 Die amerikanischen Gerichte müssen nach dieser Argumentation nicht in jeder Entscheidung die Menschenrechte aus dem IPbpR mit heranziehen. Vielmehr haben sie fallweise zu entscheiden, welches bei der Ratifikation formulierte Ziel der Exekutive erfüllt werden soll. Entweder achten die Gerichte auf die Entsprechung des amerikanischen Rechts mit dem Völkerrechtsvertrag, müssen dazu aber die Vorgabe bezüglich der nicht unmittelbaren Anwendbarkeit der Paktrechte ignorieren. Andernfalls ignorieren sie die Auswirkung der Paktrechte, was eine Verletzung der internationalen Verpflichtungen bedeutet, die von der Exekutive aber ausdrücklich nicht beabsichtigt wurde.98 Die vom Kläger angeführte Bestimmung aus dem Pakt kann bei der Entscheidung außen vor bleiben, wenn sie eindeutig materiell nicht einschlägig ist, der gleiche Schutz in einer innerstaatlichen Norm gefunden werden kann, die vorrangig berücksichtigt werden muss, ein anderes Forum als ein Gericht zur Erfüllung der Paktrechte zur Verfügung steht oder es sich um einen Streit zwischen Pri___________ 92

Steiner/Alston, International Human Rights, S. 59. Shelton, in: U.S. ratification of the human rights covenants, S. 269, 277. 94 Quigley, 42 DePaul L. Rev. [1993], 1287, 1301. 95 Paust, 20 Mich. J. Int’l. L. [1999], 301, 335. 96 Sloss, 24 Yale J. Int’l. L. [1999], 129, 142. 97 Quigley, 42 DePaul L. Rev. [1993], 1287, 1297. 98 Auf dieses „judicial dilemma“ weist Sloss, 24 Yale J. Int’l. L. [1999], 129, 197 ff. hin. Für die Absicht der Exekutive eindeutig Stewart, 14 HRLJ [1993], 77, 79. 93

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vatpersonen handelt.99 Bei staatlicher Anklage hingegen sollen Gerichte die gegebenenfalls weitergehenden Rechte aus dem Pakt heranziehen und das nationale Recht konform dazu auslegen.100 Es gibt Anzeichen dafür, dass sich auch die Richter des US Supreme Court dem Rechtsvergleich mit anderen Staaten und völkerrechtlichen Einflüssen zumindest beabsichtigen zu öffnen,101 womit eine Erfüllung der Paktverpflichtungen gewährleistet werden könnte.

IV. Wirksamkeit des Selbstbestimmungsrechts im innerstaatlichen Recht der USA Die kritische Distanz der USA zu den internationalen Menschenrechtsverträgen, die auch nach Ratifikation wegen der Vorbehalte und Deklarationen fortbesteht, schadet den völkerrechtlichen Bemühungen und ist zugleich nach Ansicht vieler mit dem Geist der amerikanischen Verfassung nicht vereinbar: „U.S. ratification practice threatens to undermine a half-century of effort to establish international human rights standards as international law [...] anticonstitutional prac102 tice of declaring human rights conventions non-self-executing“.

Bezogen auf das Selbstbestimmungsrecht ist dies besonders bedauerlich, da sich auch hier die USA unter den ersten Staaten befand, die ihm eine ernst zu nehmende Rolle zusprachen und daher das Völkerrechtsinstrument entsprechend unterstützt haben.103 Von der progressiven Haltung geriet die USA immer mehr in Rückstand. Die im wörtlichen Sinne nicht vorbehaltlose Unterstützung der internationalen Menschenrechte, die von anderen Staaten verlangt wurde, empfanden viele als eine „attitude of fear and arrogance“.104 Sie beschädige auch den Ruf der USA nachhaltig und gefährde die Einflussmöglichkeiten, was amerikanische Kritiker an dieser Politik vor allem herauszustreichen versuchen:

___________ 99

Zu diesen Kriterien Sloss, 24 Yale J. Int’l. L. [1999], 129, 203 ff. Sloss, 24 Yale J. Int’l. L. [1999], 129, 210 ff.; vgl. bzgl. Native Americans Berkey, 5 Harv. Hum. Rts. J. [1992], 65, 91 ff. und insbesondere Note, 116 Harv. L.R. [2003], 1751, 1762 ff. 101 Dazu Davis, 64 Alb. L. Rev. [2000], 417, 418 ff. 102 Henkin, 89 AJIL [1995], 341, 349; ähnlich bereits Lillich, 83 AJIL [1989], 851, 860 f. 103 Hannum/Fischer, in: U.S. ratification of the human rights covenants, S. 3, 12. 104 Roth, 1 Chi. J. Int’l. L. [2000], 347. 100

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„The credibility of the United States was impaired so long as it sought to invoke an international consensus and at the same time was unwilling to subject itself to the obligations embodied in that consensus.“105

Auch die innerstaatlichen Kritiker hätten einzelne Vorbehalte und Erklärungen zu den Menschenrechtsverträgen akzeptiert, die Art der Formulierung zeige jedoch eine inakzeptable Haltung: „However, the broad formulations adopted – which essentially declare that U.S. law and practice is perfect and the United States will accept no international norm as an appropriate goal – do little credit either to the U.S. concept of rights or to the international community“.106

Mit Unterzeichnung des IPbpR und anderer Menschenrechtsverträge hat die USA jedoch einen unumkehrbaren Prozess eingeleitet, der sich auch anderweitig in kleinen Schritten niederschlägt. Hervorzuheben ist beispielsweise, dass Section 502B des „Foreign Assistance Act“ vorsieht, dass „a principal goal of the foreign policy of the U.S. shall be to promote the increased observance of internationally recognized human rights by all countries“.107 Auf dieselbe Art wirkt der internationale Menschenrechtsschutz auf die USA zurück. Innerstaatliche Lobbygruppen versuchen verstärkt über den internationalen Weg die amerikanische Position zu ändern. Dazu benutzen sie die Menschenrechtsverträge auch innerhalb der engen Grenzen, die die reservations, understandings and declarations vorgeben.108 Da diese Vorbehalte nicht zu einer Wirkungslosigkeit der Verträge führen und insbesondere die Verpflichtung des IPbpR weiter gilt, den Individuen in den USA die Rechte effektiv gewähren und sichern („ensure“) zu müssen, kann zumindest auf gerichtlichem Weg der Einfluss der Paktrechte hergestellt werden. Diese Rechtspflicht ist nichts anderes als eine Schutzpflicht, die der Staat erfüllen muss, indem er gesetzgeberisch die Rechte aus dem Pakt effektiv ausgestaltet.109 Unabhängig davon, dass die Gerichte durch eine richtige Anwendung des Paktes und entsprechende Relativierung der Vorbehalte den vertragswidrigen Zustand beenden können, sollte die Exekutive durch eine Gesetzgebung in denjenigen materiellen Bereichen, in denen inner-

___________ 105

Hannum/Fischer, in: U.S. ratification of the human rights covenants, S. 3, 21. Hannum/Fischer, in: U.S. ratification of the human rights covenants, S. 281, 285. 107 Darauf weist zu Recht Kälin, in: Aktuelle Probleme des Menschenrechtsschutzes, S. 9, 23 Fn. 63 hin. Der relevante Abschnitt ist vollständig abgedr. bei Steiner/Alston, International Human Rights, S. 1093 ff. 108 Grant, in: The Future of UN Human Rights Monitoring, S. 317, 329. Diesen Weg beschreiten auch indianische Unterstützergruppen, vgl. z.B. Dörr, 30 VRÜ [1997], 7; Cole/West, The Right of Self-Determination, S. 5. 109 Allg. zu dieser Staatenverpflichtung bezüglich des IPbpR Klein, in: The Duty to Protect and to Ensure Human Rights, S. 295, 301 f. 106

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staatliches Recht hinter den Paktgarantien zurückbleibt, tätig werden.110 Hilfreich wäre ferner bezüglich der Auswirkung der „non-self-executing declaration“ eine Klarstellung, die eine vollständige Übereinstimmung mit dem Pakt sicherstellt.111 Soweit die Rechte jedoch bereits innerstaatlich verwirklicht werden, genügt die Einrichtung einer Beschwerdemöglichkeit und unabhängigen Entscheidungsinstanz. Der Auftrag, eine effektive Umsetzung des Art. 1 IPbpR durch Sicherstellung des Selbstbestimmungsrechts aller Völker der USA zu erreichen, bedeutet insbesondere hinsichtlich der indigenen Bevölkerung eine mögliche Verhaltensänderung.112 Ein deutlich sichtbarer allgemeiner Verstoß gegen diese Vorschrift zum Zeitpunkt der Ratifikation lag wohl nicht vor. Insbesondere hat die USA verschiedene Territorien mit besonderem Status eingerichtet und der dortigen Bevölkerung Selbstbestimmungselemente zugesichert.113 Ob jedoch die USA hinsichtlich der Native Americans den Auftrag des Art. 1 IPbpR umgesetzt hat, wenn die Vorschrift auch auf diese Anwendung findet, muss im Folgenden genauer untersucht werden.114 Dabei ist zu berücksichtigen, dass die USA selbst von einer Auswirkung des Selbstbestimmungsrechts aus dem Pakt auf die indigene Bevölkerung ausgeht, wie an den Staatenberichten abgelesen werden kann. So finden sich im zweiten und dritten periodischen Bericht an den Menschenrechtsausschuss, die mit deutlicher Verspätung eingereicht wurden, in ___________ 110 In diese Richtung wies die vom damaligen Präsidenten Clinton unterzeichnete Executive Order Nr. 13, 107 v. 10.12.1998, die eine bessere Koordination der Verwaltungsebenen in Menschenrechtsfragen bewirken sollte und die ausdrücklich festhielt, dass es Politik der Bundesregierung sei, „fully to respect and implement its obligations under international human rights treaties“. 111 Sloss, 24 Yale J. Int’l. L. [1999], 129, 219 f. 112 Bisher sei die Politik eher auf self-government denn self-determination ausgerichtet gewesen, Filvaroff/Hannum/Leary/Shelton, in: U.S. ratification of the human rights covenants, S. 71, 82; ähnlich Quigley, 42 DePaul L. Rev. [1993], 1287, 1309, der bei einer vollen Beachtung der Deklaration einen Nachteil zulasten der American Indians sieht. Grundsätzlich fordert Anaya, 8 Ariz. J. Int’l. & Comp. L. [1992], 1, 38 f., dass die USA bei der Auslegung innerstaatlicher Vorschriften hinsichtlich der Native Americans sich wieder vom Völkerrecht leiten lasse, weil dieses auch den Ursprung bildete für die Festlegung der Rechtsbeziehungen in der Kolonialzeit: „It would be appropriate for the United States doctrine to again cross paths with the relevant international law“. 113 So auch Filvaroff/Hannum/Leary/Shelton, in: U.S. ratification of the human rights covenants, S. 71, 83; ählich die Argumentation von Graham, 6 ILSA J. Int’l. & Comp. L. [2000], 455, 465, weil die USA für die Lösung des Kosovo-Konflikts ebenfalls nur eine Inanspruchnahme des Selbstbestimmungsrechts durch innerstaatliche Gruppen als Lösung ansahen. 114 Trotz einiger Kritik ist Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 272, der Ansicht, dass die Vorgaben insgesamt erfüllt sind. Vgl. dazu auch Berkey, 5 Harv. Hum. Rts. J. [1992], 65, 94.

B. Native Americans und das Selbstbestimmungsrecht

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Ergänzung zum ersten Staatenbericht weitere Ausführungen zur Situation der „American Indians“ unter dem Artikel 1.115 Insbesondere die aktuelle Situation zu den Indian Trust Accounts wird erörtert und Fragen aus der Kommentierung des ersten Staatenberichts durch den Ausschuss nachgegangen. Mehrfach wird verdeutlicht, dass den Tribes Selbstbestimmung zusteht und der Bericht geht auf die konkreten Auswirkungen dieser Feststellung in bestimmten Zusammenhängen ein.116

B. Native Americans und das Selbstbestimmungsrecht I. Allgemeines Das in den USA anwendbare Selbstbestimmungsrecht kann grundsätzlich, wie in den ersten beiden Kapiteln der Arbeit gezeigt, auch auf indigene Bevölkerungsgruppen Anwendung finden. Der naheliegende und – dies soll schon vorweggenommen werden – richtige Schluss, dass damit die indigenen Völker der USA Träger des Selbstbestimmungsrechts sind, wird hier zunächst gesondert nachgewiesen. Daran schließt sich die Frage des Umfangs daraus ableitbarer Ansprüche an, also die Frage nach der einschlägigen Hierarchiestufe der Selbstbestimmungsrechtsforderung. Vor diesem Hintergrund kann dann abschließend auf konkrete Lösungsmöglichkeiten und bestehende Ansätze in den USA eingegangen werden. Bereits oben in Kap. 3 A. ist darauf hingewiesen worden, dass sich kein „richtiger“ Begriff bei der Bezeichnung der nordamerikanischen Indianer finden lässt. Mittlerweile verwenden auch die USA in Reaktion auf die internationale Entwicklung in vielen Gesetzen den Begriff „indigenous people“,117 doch im innerstaatlichen Recht herrscht noch immer derjenige der „Native Americans“ vor. Da sich mit diesem Begriff auch die Summe der indigenen Bevölkerung und gleichzeitig bestimmte Untergliederungen erfassen lassen, wird dieser im Folgenden im Wechsel mit dem international gängigen Begriff gebraucht. Zunächst stellt sich die Frage, ob in diesem Abschnitt die Native Americans als Ganzes, also die indigene Bevölkerung der USA, oder eher einzelne Gruppierungen wie z.B. die Navajo als eine Subkategorie der Native Americans im Blick auf eine mögliche Trägerschaft zu analysieren sind. Die Einordnung als ___________ 115

HRC, Report by the United States of America 2005, Rdnr. 9 ff. HRC, Report by the United States of America 2005, Rdnr. 18, 19, 20, 21, 23. 117 Vgl. den Überblick des Indian Law Resource Center, www.indianlaw.org/ article_i.htm (01.09.2003); vgl. auch die Umbenennung einer Abteilung des Verbandes aller Law Schools von „Section on Native American Rights“ zu „Section on Indigenous Nations and Peoples“, Hinweis unter www.law.ku.edu/tribal/ (01.09.2003). 116

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Kapitel 4: Anwendbarkeit auf die Native Americans

selbstbestimmungsberechtigtes indigenes Volk am Beispiel der einzelnen Tribes im Rahmen dieser Arbeit zu prüfen, verbietet sich schon vom Umfang und ist angesichts der Thematik auch entbehrlich. Obwohl sich unter der Vielzahl verschiedener Tribes, die auch noch nach „federally acknowledged“ und sonstigen Tribes differenziert werden müssten, zahllose befinden, bei denen ohne Schwierigkeit eine erfolgreiche Subsumtion unter die gefundenen Kriterien möglich wäre, kann hier ohne Erkenntnisverlust die Prüfung auf die „Native Americans“ als Sammelgruppe beschränkt werden. Damit wird auch die Problematik vermieden, dass bei der Analyse von Zweifelsfällen, in denen also ein bestimmter Tribe nicht erkennbar auf den ersten Blick die Kriterien erfüllt, der Sachverstand von Ethnologen und Vertretern anderer Disziplinen heranzuziehen wäre. Es ist oben schon festgestellt worden, dass es eine Gesamtheit der Native Americans an und für sich nicht gibt, da die Tribes für sich eine Eigenständigkeit in Anspruch nehmen, die zum Beispiel in der heutigen Lebensweise noch immer zu großen Unterschieden führt. Ohne eine Nivellierung dieser Differenzen kann jedoch auf die die einzelnen Tribes übergreifende gemeinsame Interessen- und Ausgangslage verwiesen werden, die das hier zu findende allgemeine Ergebnis rechtfertigt.

II. Native Americans als Subjekt des Selbstbestimmungsrechts Auch ohne eine Anwendung der Kriterien für Zweifelsfälle, die Kingsbury aufgestellt hat, lässt sich die Subjektqualität der Native Americans als Träger des Selbstbestimmungsrechts ohne große Schwierigkeit bejahen.118 Als Ausgangspunkt sind nach der von Daes aufgestellten Arbeitsdefinition für die Working Group (WGIP), die zahlreiche andere Definitionsversuche einschließt, folgende Merkmale charakteristisch für selbstbestimmungsberechtigte indigene Völker: „(a) priority in time, with respect to the occupation and use of a specific territory; (b) the voluntary perpetuation of cultural distinctiveness, which may include the aspects of language, social organization, religion and spiritual values, modes of production, laws and institutions; (c) self-identification, as well as recognition by other groups, or by State authorities, as a distinct collectivity; and (d) an experience of subjugation, marginalization, dispossession, exclusion or discrimination, whether or not these conditions persist.“119

___________ 118 Ebenso eindeutig Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 27, der dieses Ergebnis auch bei Anwendung enger Kriterien bejaht. 119 Daes, Working Paper 1996 Rdnr. 69.

B. Native Americans und das Selbstbestimmungsrecht

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Die ursprüngliche Besiedlung des jetzigen Territoriums der USA durch die Native Americans steht ebenso außer Frage wie die an Beispielen ausführlich dargestellte fortbestehende Abgrenzung der indianischen Tribes von der Mehrheitsbevölkerung, was Sprache, Lebensumstände – es sei nur auf das Vorhandensein von Gemeinschaftsbesitz hingewiesen –, Religion und eigene politische und juristische Organe betrifft. Auch werden die Indianer von der Bevölkerung und der Regierung als gesonderte Gruppierung aufgefasst und so behandelt und identifizieren sich selbst mit einem gewissen Stolz als „anders“.120 Die geschichtliche Erfahrung der Marginalisierung und Unterdrückung, Enteignung und Diskriminierung lässt sich am Beispiel der Native Americans geradezu „lehrbuchhaft“ nachzeichnen. Zahlreiche Autoren vergleichen diese Erfahrung mit derjenigen in den klassischerweise als solchen bezeichneten Kolonien Europas.121 Im Falle der USA habe sich im Gegensatz beispielsweise zu den Staaten Afrikas der Kolonialherr dauerhaft als dominante Macht durchgesetzt.122 Doch auch die Anwendung der engeren Kriterien von Kingsbury lassen keinen anderen Schluss als die eindeutige Qualifikation der Native Americans als indigene Völker im Sinne des Selbstbestimmungsrechts zu, weil sowohl die essentiellen Bedingungen als auch die auf das Vorliegen dieser Bedingungen deutenden Indizien gegeben sind.123 Die Native Americans identifizieren sich als eigene ethnische Gruppe; sie sind in der Geschichte umgesiedelt und ausgebeutet worden und leiden stellenweise noch heute deutlich unter den Folgen. Sie haben eine lang andauernde besondere Beziehung zum von ihnen bewohnten Land. Dies gilt für die heutige Generation auch bezüglich der Reservatsgebiete, die meist nicht das ursprüngliche Siedlungsgebiet darstellen und es gilt in besonderem Maße, weil die Verbundenheit zur natürlichen Umgebung zum Beispiel auch aus religiösen Gründen aufgebaut wird. Es besteht der wieder erstarkte Wunsch, das Überleben mit einer „distinct identity“ ermöglicht zu bekommen. Sowohl in nationaler Hinsicht als auch bezogen auf die Einzelstaaten befinden sich die Native Americans in einer nicht-dominanten Stellung. Die kulturelle Beziehung zu bestimmten Gebieten ihres Territoriums zeigt sich zum Beispiel in den Versuchen, sich gegen die Nutzung als touristische Destination oder Quelle zur Ausschöpfung von natürlichen Ressourcen zu wehren. Auch in Tribes, die mittlerweile eine hohe Zahl von Mitgliedern haben, die von verschiedenen Volksgruppen abstammen und dies auch so angeben, ergeben die ___________ 120

Ebenso Heintze, 50 ZaöRV [1990], 39, 43; Heinz, Indigenous populations, S. 15. Morris, 29 GYIL [1986], 277, 298 ff. 122 So strikt Lâm, in: People or Peoples, S. 79, 118, die deutliche Worte findet: „A settler State in the Americas is, after all, nothing other than a colonial State that succeeded so well that it did not have to go home“. 123 Die folgenden Kriterien finden sich bei Kingsbury, 92 AJIL 414 [1998], 455; vgl. auch oben Kap. 2 A. II. 2. f). 121

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Kapitel 4: Anwendbarkeit auf die Native Americans

Volkszählung und die Bedingungen zur Eintragung in die Stammesrollen, dass die heutigen Indianer sich ohne Weiteres als direkte Abkömmlinge der ursprünglichen indigenen Bevölkerung ausweisen können. Die historische Kontinuität eines Tribes, die nachgewiesen werden musste, um nicht der „Termination“ ausgesetzt zu sein, entsprang der romantisierten Vorstellung der weißen Gesellschaft, denn auch innerhalb der Tribes gab es in vier Jahrhunderten von Niederlagen, Erneuerungen und politischer und kultureller Innovation selbstverständlich Veränderungen.124 Oben ist auch gezeigt worden, dass noch heute typischerweise in den Reservaten andere wirtschaftliche Aktivitäten verfolgt werden bzw. Erfolg haben als in der Umgebung von Reservaten, in der die weiße Gesellschaft die Sozialisierung dominiert. Das Vorhandensein kultureller Besonderheiten wie Sprache, Handwerkskunst und Religion ist bereits vielfach unterstrichen worden. Schließlich gilt – zumindest für die Reservatsindianer – ein eigenes administratives und rechtliches System. Damit sind nicht nur einige, sondern alle der Indizien erfüllt, so dass die Native Americans einen „Musterfall“ der indigenen Völker im international verstandenen Sinne bilden. An diesem Ergebnis wird in der Literatur nicht mehr gezweifelt. Es gebe eine Kerngruppe von indigenen Völkern auf der Welt, auf die die Kategorisierung einwandfrei und eindeutig zutreffe, zu denen ganz sicher die Indianer in Nord- und Südamerika zählten.125 Dies gelte in den USA auch für die meisten indianischen Gemeinschaften als eigenständige Gruppe.126 So könnten beispielsweise die Navajo viel einfacher als Volk charakterisiert werden als z.B. die Schweizer, Inder oder US-Amerikaner, wenn das Staatsangehörigkeitskriterium außer Acht gelassen werde.127 Dabei ist nach der obigen Kriterienliste klar, dass die Subsumtion dann leichter fällt, wenn es sich um Indianer auf Reservaten handelt, die z.B. traditionellen Formen der Subsistenzwirtschaft nachgehen, als wenn es sich um eine stark assimilierte Gruppe handelt, die auch nicht mehr auf ihren traditionellen Territorien lebt.128 Damit ist die fast allgemeine Praxis, indigene Bevölkerungen als „Völker“ anzuerkennen,129 auch auf ___________ 124

Kingsbury, 92 AJIL 414 [1998], 423. Sanders, in: The Human Rights of Indigenous Peoples, S. 73, 88; Ermacora, Menschenrechte in der sich wandelnden Welt, S. 462 Rdnr. 195 („Ureinwohner“ in den USA). Für die Native Hawaiians Anaya, 28 Ga. L. Rev. [1994], 309, 323 ff. 126 Vgl. beispielhaft Kronowitz/Lichtman/McSloy/Olsen, 22 Harv. Civil Rts. Civil Liberties L. Rev. [1987], 507, 598; Williams-Vedder, Die Rechtsstellung der eingeborenen Völker, S. 204, 206 ff. 127 Hannum, 34 Va. J. Int’l. L. [1993], 1, 36; ebenfalls bejahend für Native Americans im Allgemeinen und konkretisiert am Beispiel der Blackfeet Dörr, 30 VRÜ [1997], 7, 23. 128 Reed Howard, 35 GYIL [1992], 105, 125. 129 Schillhorn, Kulturelle Rechte indigener Völker, S. 27, die jedoch in Fn. 23 die USA als einzigen „permanent objector“ identifiziert. 125

B. Native Americans und das Selbstbestimmungsrecht

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die indianische Bevölkerung in den USA zu übertragen, wenngleich es keine formale internationale Definition oder Übereinkunft gibt, die ausdrücklich ausschließlich diese Bevölkerungsgruppe als Volk adressiert.130 Die Feststellung Deckers aus dem Jahre 1955 in seinem umfassenden Werk zum Selbstbestimmungsrecht der Völker in damaliger Zeit, echte Selbstbestimmungsprobleme in den USA seien unbekannt, weil die Einrichtung der Reservate die Native Americans vor der Auslöschung bewahren solle, kann nach alledem nicht aufrecht erhalten werden.131 Denn selbst skeptische Autoren, die eine Anwendung des Selbstbestimmungsrechts auf andere als Staats- und (klassische) Kolonialvölker nur äußerst zurückhaltend annehmen wollen, sind bezüglich der Native Americans eindeutig und sehen in diesen Träger für das Selbstbestimmungsrecht, aus dem sich konkrete Forderungen ableiten lassen.132

III. Umfang des Selbstbestimmungsrechts der Native Americans 1. Allgemeines Es stellt sich weiter die Frage, welchen Inhalt das Selbstbestimmungsrecht im Falle der Native Americans hat. Insoweit kann davon gesprochen werden, dass die jüngsten Entwicklungen im Menschenrechtsbereich dazu geführt haben, „[...] that the legal conception of Indian nations has come full circle, recognizing once again their original and inherent sovereignty. International Law therefore challenges the legitimacy of federal and state control over Indian nations within the U.S.“133

Ob dies soweit gehen kann, dass die Indianer potentiell die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts in der Eigenstaatlichkeit suchen können, ist nach den oben entwickelten Kriterien zu beurteilen. In verschiedenen Untersuchungen ist darauf hingewiesen worden, dass die Kriterien für eine Staatlichkeit zumindest bezüglich mancher Reservatsstämme bejaht werden könnten. Diese hätten eine bestimmtes Territorium (Staatsgebiet), eine dauerhafte Bevölkerung (Staatsvolk) und übten eine effektive Regierung (Staatsherrschaft) darüber aus, die nach inneramerikanischem Rechtsverständnis zunächst auch soweit ging, ___________ 130 Kronowitz/Lichtman/McSloy/Olsen, 22 Harv. Civil Rts. Civil Liberties L. Rev. [1987], 507, 599. 131 Decker, Das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, S. 54 f. 132 Cassese, Self-Determination of Peoples, S. 279. 133 Kronowitz/Lichtman/McSloy/Olsen, 22 Harv. Civil Rts. Civil Liberties L. Rev. [1987], 507, 587.

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Kapitel 4: Anwendbarkeit auf die Native Americans

dass Beziehungen zu ausländischen Mächten eingegangen werden konnten.134 Dies alles summiere sich zu „strong arguments to support recognition of their Statehood“.135 Es ist jedoch zu bedenken, dass nach den verschiedenen Hierarchiestufen des Selbstbestimmungsrechts die staatliche Unabhängigkeit durch Sezession nur angestrebt werden kann, wenn die Existenz der betroffenen Volksgruppe bedroht ist. Zwar bestand dieser Zustand die längste Zeit seit Gründung der USA und hielt bis vor wenigen Jahrzehnten an, heute aber liegt weder eine militärische noch kulturelle Bedrohung der Existenz der Indianer in einem das Selbstbestimmungsrecht als ultima ratio durch Sezession auslösenden Maße vor. Daher sind zunächst die Möglichkeiten der Autonomie zu beschreiten. 2. Native Americans und „interner Kolonialismus“ Anders wäre es jedoch, wenn es sich bei den Native Americans um Kolonien handelte, die sich von ihrer Kolonialmacht befreien dürften. Zahlreiche Autoren sprechen davon, dass die indigenen Völker noch immer dekolonisiert werden müssten.136 Zur Beschreibung der besonderen Situation der indigenen Völker ist der Begriff der „internal colonies“ vorgeschlagen worden. Demnach existieren die typischen Merkmale der „klassischen“ Kolonialisierung auch im Inneren unabhängiger Staaten. Das Machtzentrum des Staates dominiere die Völker in der Peripherie und übe notfalls auch Gewalt aus, um die politische Stabilität durch Unterdrückung von Forderungen nach mehr Rechten durch diese zu bewahren.137 Die Marginalisierung erfolge häufig durch Vertreibung auf wenig produktives Land. Häufig folge bei indigenen Völkern auf eine externe Kolonisierung diese interne Form.138 Zwar passten die entsprechenden Staaten nicht in das herkömmliche Schema, nach dem Kolonialstaaten definiert werden. Dies ändere aber nichts daran, dass es sich um Ausübung fremder staatlicher Gewalt über die indigenen Bevölkerungen handle. Anders formuliert sei es zwar „politisch korrekt“ im Rückblick nur Übersee___________ 134

Vgl. etwa Clinebell/Thomson, 27 Buffalo L. Rev. [1978], 669, 673 ff.; zweifelnd dagegen Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 286 ff. 135 Morris, 29 GYIL [1986], 277, 314; dabei spiele die Größe der Tribes keine Rolle, denn beispielsweise die Navajo Nation sei um ein Vielfaches größer und bevölkerungsreicher als Dutzende Mikrostaaten wie San Marino, so McSloy, 20 N.Y.U. Rev. L. & Soc. Change [1993], 217, 299; unter Hinweis auf die rechtlich beschränkten Kompetenzen dagegen Fairbanks, 20 Am. Indian L. Rev. [1996], 141, 142 f. 136 Vgl. beispielsweise Schulte-Tenckhoff, 4 Review of Constitutional Studies [1998], 239, 243. 137 Zum Ganzen Iorns, 24 Case W. Res. J. Int’l. L. [1992], 199, 298 ff. 138 Iorns, 24 Case W. Res. J. Int’l. L. [1992], 199, 300.

B. Native Americans und das Selbstbestimmungsrecht

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Kolonialismus als Imperialismus zu bezeichnen, aber alle Versuche eines Volkes, ein anderes politisch zu dominieren, sollten so verstanden werden.139 Auch die „Commission on Civil Rights“ der USA hat in einem Bericht von 1975 die Navajo Nation als „An American Colony“ bezeichnet.140 Häufig kritisiert wird im Blick auf die Native Americans, dass wegen der „plenary authority“ des Kongresses, der Kompetenz der Bundesgerichte den Souveränitätsumfang zu beschränken und der Machtfülle des BIA als „colonial administrator for the United States“ noch immer eine koloniale Beziehung herrsche.141 Letztlich ist es aber nur eine Begriffsfrage. Denn tatsächlich handelt es sich der Sache nach um eine Kolonialisierung, die von den Expansionsstaaten begonnen und durch die USA fortgesetzt wurde. Dies ändert aber nichts an der Beurteilung des Umfangs des Selbstbestimmungsrechts, das sich aus den oben gezeichneten Grenzen des Völkervertrags- und -gewohnheitsrechts ergibt. Dass Art. 1 IPbpR Anwendung auf diese Art der „Kolonialfälle“ finden muss, ist weitgehend anerkannt.142 Sein Umfang ändert sich aber nicht automatisch zu einem Sezessionsrecht, weil der Begriff „interne Kolonie“ verwendet wird. Vielmehr liegt die Lösung in der Frage nach dem Umfang der unterhalb der Eigenstaatlichkeit liegenden Autonomierechte. Nur wenige vertreten die Ansicht, dass solche nach ethnischen Kriterien zugeteilten Sonderrechte aufgrund einer alleinigen Betonung der Individualrechte nicht weiter verfolgt werden sollten. Konsequenterweise wäre danach den Native Americans entweder volle staatliche Unabhängigkeit zu gewähren oder sie wären als „normale“ Bürger der USA zu integrieren, statt sie im Status „interner Kolonien“ verbleiben zu lassen.143 Diese der Entwicklung des Völkerrechts widersprechende und an realistischen Einschätzungen vorbeigehende Ansicht muss nicht weiter verfolgt werden.

___________ 139

Moore, The ethics of nationalism, S. 225. Vgl. Angabe bei Morris, 29 GYIL [1986], 277, 304. 141 Morris, 29 GYIL [1986], 277, 303; zur Einschränkung der Souveränität durch die „plenary powers“-Doktrin Hannum, 23 Am. Indian L. Rev. [1999], 487, 493 („undermines“), 495 („must rest on a firmer basis than the whims of Congress“). 142 Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 71 m.w.N.; Iorns, 24 Case W. Res. J. Int’l. L. [1992], 199, 300; so auch Spiry, 9 GYIL [1995], 129, 137, der die Willkür herausstreicht, die selben Ereignisse nur deshalb unterschiedlich zu behandeln, weil sie vor einem bestimmten Zeitpunkt (ab dem von Imperialismus im klassischen Verständnis gesprochen wird) geschehen sind. 143 van den Berghe, in: Dealing with Difference, S. 401, 406 f. 140

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Kapitel 4: Anwendbarkeit auf die Native Americans

3. Einschätzung durch die USA Dagegen ist zu untersuchen, inwiefern sich die USA selbst oder relevante Gremien zum Umfang des Selbstbestimmungsrechts der Native Americans geäußert haben. Dabei ist generell zu bemerken, dass die offizielle Haltung der USA zu Rechten der indigenen Bevölkerung auf internationalen Konferenzen lange Zeit auch davon abhing, in wessen Zuständigkeitsbereich die Thematik fiel. So zeigten sich beispielsweise Regierungsvertreter des Arbeitsministeriums oder wie bei der Rio-Konferenz von der Environmental Protection Agency viel offener für Rechte der Indigenen als das State Departement, das für Menschenrechtsfragen zuständig ist und immer eher „defensive and negative“ argumentiert habe.144 a) Der Helsinki-Report Die USA waren schon vor geraumer Zeit gezwungen, Stellung zu der Frage zu beziehen, wo sie die aus dem Völkerrecht ableitbaren Ansprüche der Native Americans verorten. Im Nachgang zur Verabschiedung der Schlussakte von Helsinki wurde durch Gesetz von 1976 eine „Commission on Security and Cooperation“ eingerichtet, die aus Vertretern beider Häuser des Kongresses und der Regierung bestand und die Umsetzung der in Helsinki eingegangenen Versprechungen im eigenen Staat und bei den anderen Unterzeichnerstaaten regelmäßig verfolgen und untersuchen sollte.145 In Reaktion auf die Kritik an der ersten Folgekonferenz und in der Absicht, entgegen dem Verhalten anderer Unterzeichnerstaaten von Helsinki eine ehrliche Bestandsaufnahme der menschenrechtlichen Lage in den USA gemessen an den Äußerungen von Kritikern vorzunehmen, wurde 1979 der umfassende Bericht „Fulfilling our Promises: The United States and the Helsinki Final Act“ veröffentlicht. Schon darin wurde hervorgehoben, dass die „American Indians“ mehr als nur Minderheiten im Sinne der anderen wie z.B. der Hispanics seien, die deshalb auch einen gesonderten Abschnitt im Bericht erhielten.146 Als „sovereign, domestic dependent nations that have entered into a trust relationship with the U.S. government“ unterfielen sie demzufolge auch aus offizieller Regierungssicht sowohl Prinzip VII von Korb 1 der Schlussakte, bei dem es um ___________ 144 145

So Barsh, 7 Harv. Hum. Rts. J. [1994], 33, 77 Fn. 208. Commission on Security and Cooperation in Europe, Fulfilling our Promises,

S. 1 f. 146

S. 6.

Commission on Security and Cooperation in Europe, Fulfilling our Promises,

B. Native Americans und das Selbstbestimmungsrecht

503

Minderheitenrechte geht, als auch Prinzip VIII, also dem Selbstbestimmungsrecht, wie oben schon aufgezeigt worden ist.147 Das „U.S. commitment to Indian self-determination“ zeige sich in verschiedenen Gesetzgebungsprojekten, die dazu dienten „to put Indians, in the exercise of self-government, into a decision-making position with respect to their own lives“. Daran anschließend wird zugestanden, dass die USA bislang ihren Verpflichtungen oft nicht Genüge getan hätten, aber nunmehr dabei seien, die Lücke zwischen Politik und praktischer Umsetzung zu schließen.148 Gegen das häufig vorgebrachte Argument, Sonderrechte für die Tribes verstießen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, wird bereits hier festgehalten, dass „the U.S. Government entered into a trust relationship with the separate tribes in acknowledgement NOT of their racial distinctness, but of their political status as sovereign nations“.149

Mit diesen Feststellungen ist eigentlich ausreichend dokumentiert, dass sich die Regierungsebene der USA schon lange darüber bewusst ist, dass Selbstbestimmungsrechte Anwendung finden müssen. Dennoch hat sich die USA immer wieder dagegen verwehrt, den Begriff „Selbstbestimmungsrecht“ in internationale Dokumente aufzunehmen, die ausdrücklich die Rechte indigener Völker adressieren. b) Die Haltung der Präsidenten Demgegenüber hat sich auf der innerstaatlichen Seite eine zumindest begrifflich der Selbstbestimmung verschriebene Politik immer stärker verfestigt. Ein erstes eindeutiges Bekenntnis war die bereits oben in Kap. 3 B. II. 4. beschriebene Rede von Präsident Nixon.150 Später unterstrich auch Präsident Reagan 1983, dass die Beziehungen zu den Tribes weiterhin auf einer „government-to-government“-Ebene erfolgen sollten.151 Besonders deutlich sprach sich Präsident Clinton dafür aus, als er 1994 die Vertreter von (damals) 547 federally acknowledged Tribes zu einem Regierungs-Treffen in das Weiße ___________ 147 Commission on Security and Cooperation in Europe, Fulfilling our Promises, S. 148 f. 148 Commission on Security and Cooperation in Europe, Fulfilling our Promises, S. 149. 149 Commission on Security and Cooperation in Europe, Fulfilling our Promises, S. 151. 150 Vgl. zu den Bekenntnissen der Präsidenten ab Johnson Ryser, 7 Tulsa J. Comp. & Int’l. Law [1999], 129, 138 ff. 151 Präsident Reagan, Statement vom 24.01.1983, abgedr. z.B. bei Sanders, in: Modern Law of Self-Determination, S. 55, 56 f.

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Kapitel 4: Anwendbarkeit auf die Native Americans

Haus einlud.152 Diese spektakuläre Zusammenkunft, die von Vertretern der Indianer als historisch und erstes Treffen auf echter „government-togovernment“-Ebene seit einer Einladung von Präsident Monroe 1822 bezeichnet wurde,153 brachte eine Anerkennung für die Bemühungen dieses Präsidenten um eine Erneuerung der politischen Stärke der Tribes durch die anwesenden Indianer und ein erneutes Bekenntnis Clintons zum Respekt vor den Werten, der Religion, der Identität und Souveränität der „tribal nations“ mit denen seine Regierung als „full partners“ arbeiten möchte.154 Diese Position wiederholte er später bei Besuchen in den Reservaten.155 Auch unter der Bush-Administration von 2001 bis 2008 war die Einbindung der Native Americans in manchen Bereichen verstärkt worden.156 Ferner ist in dieser Administration die Weiterführung des „government to government“-Ansatzes gegenüber den anerkannten Tribal governments zumindest in Absichtserklärungen unterstrichen worden.157 c) Die Staatenvertreter der USA bei der UN aa) Die Staatenberichte vor dem Menschenrechtsausschuss Diese Haltung der USA fand sich in noch ausgeprägterer Weise bei der Ablieferung des ersten Staatenberichts zum IPbpR.158 Dort werden die Native Americans ausschließlich im Abschnitt zu den Verpflichtungen aus Art. 1 ___________ 152 Gover, 24 Am. Indian L. Rev. [2000], 219, 223 sah in der Politik unter Clinton eine deutliche Verbesserung gegenüber den früheren Administrationen. 153 Vgl. Aussagen des Vertreters des Pueblo Nambe aus New Mexiko, Yates, bei der Pressekonferenz am 29.04.1994. 154 Clinton, Remarks to American Indian and Alaska Native Tribal Leaders, 29.04.1994, abgedr. bei 30 Weekly Compilation of Presidential Documents, Nr. 18, 941 f. Er erließ auch eine Executive Order mit diesem Inhalt, dessen Umsetzung z.B. nachvollzogen werden kann an der Politik des Justizministeriums, Department of Justice – Office of Tribal Justice, Policy on Indian Sovereignty and Government-to-Government Relations with Indian Tribes, www.usdoj.gov/ag/readingroom/sovereignty.htm. 155 Vgl. Tätigkeitsbericht der Clinton/Gore-Administration über den ersten Besuch eines im Amt befindlichen US-Präsidenten seit Roosevelt im Juli 1999, als er das Pine Ridge-Reservat besuchte, http://clinton4.nara.gov/WH/Accomplishments/native.html (01.09.2003). 156 So hat im Blick auf die Terroranschläge vom 11.09.2001 der Justizminister die Polizeieinheiten der Tribes, die in grenznahen Reservaten wohnen, wie z.B. die Blackfeet, die eine 63 Meilen lange gemeinsame Grenze mit Kanada haben, in ein Programm zur Überwachung der Grenzen eingebunden, vgl. Ashcroft, U.S. Border Patrol-Native American Border Security Conference v. 17.01.2002, www.usdoj.gov/ag/speeches/ 2002/011702agpreparedremarks.htm (01.09.2003). 157 Vgl. verschiedene Memoranden und Reden von Bush, dazu HRC, Report by the United States of America 2005, Rdnr. 19. 158 Vgl. dazu Anaya, Indigenous Peoples in International Law, S. 86 f., 157.

B. Native Americans und das Selbstbestimmungsrecht

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IPbpR, dem Selbstbestimmungsrecht, abgehandelt.159 Dort wurde auch anerkannt, dass trotz des hohen Maßes an „autonomy and self-governance“ weiterhin Schwierigkeiten und Kontroversen bestünden im Blick auf das Verhältnis zur Bundesregierung und den Staatenregierungen.160 In ausführlicher Weise, ergänzt durch Hinweise auf die politische Mitwirkung unter Art. 25161 und den Schutz der Kultur der Native Americans unter Art. 27162, versucht der Report zu erläutern, wie dem Selbstbestimmungsrecht durch Gewährung von Autonomierechten im Zusammenhang mit der indigenen Bevölkerung entsprochen wird. Der Menschenrechtsausschuss hob in seinen abschließenden Bemerkungen zum ersten Report der USA hervor, dass die Möglichkeit des Gesetzgebers zur jederzeitigen Aufhebung der besonderen Rechte der Native Americans – in Folge der plenary power-Doktrin – Anlass für Sorge sei ebenso wie die schlechten Sozialdaten, wenngleich das Self-Governance Demonstration Project eine positive Veränderung bedeute.163 Auch der zweite, sieben Jahre verspätet gemeinsam mit dem ebenfalls zwei Jahre nach Fälligkeit vorgelegten dritten Staatenbericht eingereicht, folgte diesem Verständnis der Anwendbarkeit des Selbstbestimmungsrechts. Der Bericht bezieht sich auf die grundlegenden Aussagen im ersten Bericht und ergänzt nur einige Punkte und beantwortet die vom Menschenrechtsausschuss nach dem ersten Bericht aufgeworfenen Fragen. Nach einer allgemeinen Beschreibung der Situation der American Indians und vor allem neuerer Entwicklungen im Zusammenhang mit den von der Bundesregierung in Treuhand verwalteten Gelder, geht es unter dem Abschnitt Implementierung von Artikel 1 um grundlegende Aspekte: die vom Menschenrechtsausschuss abgebene Empfehlung zum besseren Schutz von anerkannten ursprünglichen Rechten indigener Völker wird von der USA zurückgewiesen mit dem Hinweis, solche „recognized aboriginal rights“ hätten im amerikanischen Recht keine Bedeutung und jede Form von Landrechten der Tribes könnte durch den Kongress vermindert oder ausgelöscht werden, wie sich aus der weiter geltenden plenary power-Doktrin ergebe.164 Den weiteren Empfehlungen folgte die USA jedoch durch Hinweis auf das laufende Projekt zur Anerkennung von Tribes durch die Bundesregierung und die Zustimmung hinsichtlich der Bedeutung und des Ausbaus des Tribal Go___________ 159

HRC, Report by the United States 1994 Rdnr. 26 ff. HRC, Report by the United States 1994 Rdnr. 31. 161 HRC, Report by the United States 1994 Rdnr. 744 ff., 811 ff. 162 HRC, Report by the United States 1994 Rdnr. 829 ff. 163 HRC, Concluding Observations: United States of America 1995 Rdnr. 290, 302. 164 HRC, Report by the United States of America 2005 Rdnr. 15. 160

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Kapitel 4: Anwendbarkeit auf die Native Americans

vernance-Projekts.165 Der Report geht im Folgenden auf die Forderungen des Menschenrechtsausschusses aus dem ersten Report ein und beschreibt nochmals, dass das Selbstbestimmungsrechts als „tribal self-determination“ ein Verhältnis zwischen Bundes- und Stammesregierung wie zwischen Regierungen bedeute und die anderkannten Stammesregierungen weitreichende Eigenverwaltung von mit Bundesmitteln finanzierten Programmen etwa im Gesundheits-, Justiz- oder Landmanagementwesen betreiben könnten.166 Dass es Ausdruck der Politik sei, diese Art der Übertragung von Kompetenzen auf die Ebene der Tribes fortzusetzen, wird lediglich durch das wiederholte Bestehen auf der Möglichkeit des Kongresses, die Rechtsposition der Tribes jederzeit zu ändern, relativiert.167 Bei der Vorstellung des Berichts erläuterte der Staatenvertreter der USA auf Aufforderung des Menschenrechtsausschusses diesen Aspekt im Zusammenhang mit der „doctrine of discovery“. Dabei stellte er darauf ab, dass dieser Ausgangspunkt für die plenary powers-Doktrin auf die europäischen Eroberer zurückzuführen sei und die USA diese Rechtsposition nur „geerbt“ hätten und dementsprechend weiter handeln mussten. Verpflichtungen aus Verträgen jedoch würden als bindend anerkannt und bis heute – völkerrechtlichen Vorgaben entsprechend – zugunsten der Native Americans ausgelegt.168 Klarstellend wird darauf hingewiesen, dass sich das inneramerikanische Verständnis von tribal sovereignty unterscheide von Souveränität im völkerrechtlichen Sinne und nur innerhalb des Staates USA ausgeübt werden könne.169 Die Geltung des Selbstbestimmungsrechts als solche wird jedoch nicht bezweifelt. Der Menschenrechtsausschuss weist in seinen abschließenden Bemerkungen darauf hin, dass aus seiner Sicht der Schutz vertraglich zugesicherter Landrechte durchaus gegeben sei, aber Anlass zur Sorge bestehe, dass bei jeder anderen Form von Landrechtevereinbarung – etwa der Einrichtung von Reservaten nicht aufgrund von Verträgen – die plenary power-Doktrin zur willkürlichen und entschädigungslosen Wegnahme führen könnte. Daher sollte die USA ihre diesbezügliche Politik revidieren und im vierten Staatenbericht, der im August 2010 fällig wird, darauf eingehen.170 ___________ 165

HRC, Report by the United States of America 2005 Rdnr. 16 f. HRC, Report by the United States of America 2005 Rdnr. 18. 167 HRC, Report by the United States of America 2005 Rdnr. 19 ff. 168 HRC, Minutes of meeting considering Report by the United States of America 2006 Rdnr. 10 f., wobei insbesondere an der Zusage dieser Form der Vertragsinterpretation Zweifel anzumelden sind, wie oben gezeigt worden ist. 169 HRC, Minutes of meeting considering Report by the United States of America 2006 Rdnr. 12. 170 HRC, Concluding Observations: United States of America 2006, Rdnr. 37. 166

B. Native Americans und das Selbstbestimmungsrecht

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bb) Die Beteiligung in den Working Groups In den Arbeiten der UN zu den indigenen Völkern haben die Vertreter der USA in der WGIP zunächst eine große Zurückhaltung bei der Verwendung des Begriffs „Selbstbestimmungsrecht“ gezeigt, wenn dieser mit der vollen Bedeutung des Rechts im internationalen Sinne verknüpft wird.171 Andererseits haben die Regierungsvertreter beispielsweise in der Sitzung von 1994 darauf hingewiesen, dass seit 1970 in den USA die Politik der Selbstbestimmung der indigenen Bevölkerung verfolgt werde.172 In der Diskussion in der WGDD präzisierte der Regierungsvertreter, dass seine Regierung „recognized the right of tribal self-determination as a matter of law domestically, they [die Regierung] had certain difficulties with its use internationally in this context, as under contemporary international law the term self-determination was open to varying interpretations“.173

Diese Aussagen zeigen, dass es der USA letztlich von Beginn an darum ging sicherzustellen, dass mit der Verwendung des Begriffs „Selbstbestimmungsrecht“ kein Anspruch auf staatliche Unabhängigkeit einhergeht. Weder die Inhalte des Rechts noch die Verwendung des Rechtsbegriffs als solche stellen ein Problem für die USA dar.174 Dies zeigte sich auch an den Aussagen der Regierungsvertreter in späteren Sitzungen der WGDD.175 So forderten sie in der Sitzung 1998, dass die Deklaration universell anwendbar sein sollte, indem sie auf lokale Besonderheiten Rücksicht nehme. Zudem sollte sie den Anwendungsbereich genau definieren, vor allem aber sollte klargestellt werden, dass das völkerrechtliche Selbstbestimmungsrecht einschließlich einem etwaigen Sezessionsrecht nicht auf indigene Völker überall Anwendung finde, sondern es um eine Gewährung von Autonomie gehe.176 Letztlich akzeptierte die Regierungsvertreterin der USA bei dieser Sitzung, dass die materiellen Bestimmungen des Deklarationsentwurfs weiter diskutiert werden können, auch ohne eine ___________ 171 Vgl. z.B. Skipper, Remarks by the Observer Delegation of the United States of America 1993. Vgl. zu dieser Zeit Ryser, 7 Tulsa J. Comp. & Int’l. Law [1999], 129, 152, zur Position bei anderen Diskussionen auf der völkerrechtlichen Ebene, S. 145 ff. 172 Vgl. Sapiro, Remarks by the Observer Delegation of the United States of America 1994; dazu auch Angabe bei Anaya, Indigenous Peoples in International Law, S. 86, S. 95 Fn. 81. 173 Vgl. die Zusammenfassung bei Urrutia, Report of the Working Group on the Draft Declaration 1997 Rdnr. 325 zur Diskussion um Art. 3. 174 So auch schon die offizielle Stellungnahme Human Rights Commission, Consideration of a Draft United Nations Delcaration on the Rights of Indigenous Peoples – Information received from Governments 1995, S. 7 f. Rdnr. 8 f., S. 9 Rdnr. 13. 175 Überblick bei Suagee, 21 Am. Indian L. Rev. [1997], 365, 380 ff. 176 Urrutia, Report of the Working Group on the Draft Declaration 1998 Rdnr. 40.

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Kapitel 4: Anwendbarkeit auf die Native Americans

konkrete Definition der Rechtsträger aufzunehmen.177 Die Position der USA wurde am besten bei der Sitzung von 1999 zusammengefasst: „The domestic policy of the United States was not affected by its international position on the right to self-determination; in the domestic United States context, selfdetermination meant promoting tribal self-government and autonomy over a broad range of issues. While the United States used the term ‚self-determination’ in its domestic context, the scope and definition of the right to self-determination in the international context needed clarification. The references in the draft declaration to self-determination would have to be considered carefully to see whether they would meet the tests of clarity and consensus.“178

Ausdrücklich unterstützte der Regierungsvertreter den Versuch, mit der Deklaration eine möglichst breite Palette von Autonomielösungen zu fordern, die die eigene Verwaltung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Angelegenheiten umfasse. Die Vertreter der Native Americans betonten jedoch die aus ihrer Sicht notwendige Aufnahme des internationalen Selbstbestimmungsrechts, weil erst dieses verdeutliche, dass eine gleichberechtigte Ausgangslage bei Verhandlungen zwischen der USA und der indigenen Bevölkerung bestehe.179 Die Position der USA hinsichtlich der Aufnahme des Selbstbestimmungsrecht in die Deklaration blieb bis in die Schlussphase der Verhandlungen gleich. Erst als es zur Verabschiedung des Deklarationsenwurfs im Menschenrechtsrat und anschließend beinahe textgleich in der Generalversammlung kam, stimmte die USA wie oben dargestellt dagegen und brachte in einem allgemeinen Kommentar nun wieder stärker Kritik an. Als absehbar war, dass der Menschenrechtsrat die vom Vorsitzenden der Working Group endgültig erstellte, aus den Vorschlägen zu den umstrittenen Passagen konsolidierte Fassung weitgehend unverändert verabschieden würde, ohne nochmals über den Inhalt der UN-Deklaration zu diskutieren, setzte sich die ablehnende Haltung wieder durch.180 Dies äußerte sich zum Einen in Vorbehalten zur Verhandlungsführung, die aus Sicht der USA dieses wertvolle Dokument beschädigten, indem die Kompromisssuche nicht fortgeführt wurde, sondern ein geteiltes Votum anstelle der Konsensfindung zugelassen wurde. Zum anderen und im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht kritisierte die USA jetzt die Anlehnung der Formulierung in der Deklaration an die Formulierung in den Menschenrechts___________ 177

Vgl. Zusammenfassung der Staatenansichten in Urrutia, Report of the Working Group on the Draft Declaration 1998 Rdnr. 65. 178 Chávez, Report of the Working Group on the Draft Declaration 1999 Rdnr. 49; vgl. zu dieser Haltung kritisch auch Archer, 5 J. Int’l. Legal Stud. [1999], 205, 224 f. 179 So der Sprecher für die „Navajo Nation“, vgl. Chávez, Report of the Working Group on the Draft Declaration 1999 Rdnr. 55; vgl. auch Zusammenfassung der Sitzung von 2002, Chávez, Report of the Working Group on the Draft Declaration 2002 Rdnr. 34. 180 General Assembly, GA/10612, S. 7 f.

B. Native Americans und das Selbstbestimmungsrecht

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pakten. Da die Deklaration von der Mehrheit der Staaten nicht als Vorlage zur Schaffung bindenden Völkerrechts geplant gewesen sei, wäre es ein Fehler gewesen, die gleiche Formulierung wie in den Pakten zu verwenden, weil dies falsche Erwartungen wecke. Statt Selbstregierung wäre ein Konzept in der Deklaration gewählt worden, das einen unzulässigen und potentiell in der Auslegung problematischen Bezug insbesondere zum IPbpR herstelle. Auch sei eine automatische Anwendung der Deklaration auf alle indigenen Völker nicht geplant gewesen und das Fehlen einer Definition erschwere die Festlegung rechtmässiger Träger. Nunmehr erschien der Delegation auch die Verwendung der Kategorie kollektiver Rechte insgesamt unausgegoren.181 Es erscheint jedoch fraglich, ob diese Ablehnung des Textes durch die USA insbesondere aufgrund der fehlenden Einstimmigkeit und Einigung auf einen vorbehaltlos akzeptierten Text und den Befürchtungen rechtlicher Konsequenzen, tatsächlich grundsätzlicher Natur ist. Wie gezeigt, geht die USA von einer Verbindung des Selbstbestimmungsrechts mit der indigenen Bevölkerung in den Staatenberichten zum IPbpR aus. Auch die Delegation bei der endgültigen Verabschiedung in der Generalversammlung erklärte die Ablehnung nicht ohne den Hinweis, dass innerstaatlich „tribal self-determination“ gelte und ein Verhältnis wie zwischen Regierungen aufrechterhalten wird.182 Auch hinsichtlich der Anti-Rassismus-Konvention der CERD hat bei seiner Diskussion der ersten drei Staatenberichte der USA deutlich gemacht, dass das Konzept interner Selbstbestimmung, wie es von der USA propagiert werde, erst dann richtig funktionieren und den Bestimmungen der Anti-RassismusKonvention genügen könne, wenn die „guardianship doctrine“ ausdrücklich aufgegeben werde.183 Die USA hatten in ihrem ersten Staatenbericht, der die ersten drei fälligen Berichte für 1995, 1997 und 1999 umfasste und damit deutlich zu spät eingereicht wurde, ebenfalls ausdrücklich auf die Anerkennung der „tribal self-government“ verwiesen.184 Die Tendenz, nur mit Zurückhaltung bzw. Verspätung auf Anfragen von UN-Organen zu reagieren, zeigt sich nicht nur an der zögerlichen Erfüllung der Berichtspflichten beim Menschenrechtsausschuss oder dem CERD, sondern auch bei der Reaktion auf Anfragen

___________ 181 Vgl. insgesamt die Zusammenfassung bei Mission to the UN, Observations of the U.S. 2007, S. 7 f. 182 General Assembly, GA/10612, S. 7 f. 183 CERD, Summary Record 2001 Rdnr. 33. Vgl. ferner CERD, Concluding Observations: United States of America 2001 Rdnr. 400. 184 CERD, Report by the United States of America 1999 Rdnr. 14, 46. Kritisch zur verspäteten Einreichung und den Inhalten des Berichts Felice, 24.1 (2002) HRQ, 205, 215 f.

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Kapitel 4: Anwendbarkeit auf die Native Americans

von Special Rapporteurs, etwa bezüglich der Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen bei Indianern.185 d) Die neue Haltung zum Selbstbestimmungsrecht und die interamerikanische Draft Declaration Die sich zunächst abzeichnende langsame Veränderung der offiziellen Regierungsposition und nach langem Widerstand akzeptierte Verwendung der Kategorie kollektiver Rechte und des internen Selbstbestimmungsrechts auch auf internationaler Ebene durch die USA lässt sich an zwei Entwicklungen endgültig festmachen. Zum Einen wurde im Januar 2001 durch einen Erlass des Präsidenten festgelegt, dass die neue Politik der Bundesregierung gegenüber den Native Americans davon ausgehe, dass diese das Recht interner Selbstbestimmung hätten.186 Zum Anderen zeigte sich dies an der Haltung bei den Verhandlungen der Draft Declaration im interamerikanischen Menschenrechtssystem,187 wenngleich die Position in den jüngsten Verhandlungsrunden wieder weniger konziliant gegenüber den Indigenen ist. Zunächst waren die Vorschläge der USA zum Text der OAS von einer Vermeidung des Begriffs „Selbstbestimmungsrecht“ gekennzeichnet und beispielsweise in der Eingabe von 1999 zum (damaligen) Art. XV über das Recht auf Selbstregierung hat die USA noch eine sehr zurückhaltende Formulierung bevorzugt, wonach die Mitgliedstaaten soweit möglich und in den Fällen, in denen es angemessen erscheint, Autonomie für die indigene Bevölkerung einführen sollten.188 In einer Stellungnahme des Regierungsvertreters am 14.03.2002 wurde jedoch ausdrücklich die vorherige Position zurückgezogen. Der Vorschlag aus dem Vorjahr, wonach im allgemeinen Teil eine Definition des Selbstbestimmungsrechts im internen Sinne und damit erstmals dieser Terminus aufgenommen werden sollte,189 wurde hier sogar ergänzt um die Forde___________ 185

Stavenhagen, Report on the Situation of Human Rights 2007, Addendum, Rdnr. 458 ff. 186 Zu diesem Erlass vom 18.01.2001, der zwar noch unter Präsident Clinton verkündet, aber auch vom späteren Präsidenten Bush zumindest dem Wortlaut nach aufrecht erhalten wurde, vgl. Meldung in 26 Native American Rights Fund Legal Review, No. 1. 187 Vgl. hierzu im Überblick Suagee, 21 Am. Indian L. Rev. [1997], 365, 385 ff. 188 Vgl. OAS, Working Document comparing, Art. XV 1, Proposal made by the United States 1999. 189 Vgl. OAS, Working Document comparing, Art. II 4, Proposal made by the United States: „Indigenous peoples have the internal right to self-determination. By virtue of that right, they may negotiate their political status within the framework of the existing nation-state and are free to pursue their economic, social, and cultural development. Indigenous peoples, in exercising their right of internal self-determination,

B. Native Americans und das Selbstbestimmungsrecht

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rung auch in Art. XV 1 Bezug zu nehmen auf das Selbstbestimmungsrecht, um das es bei der Selbstregierung eigentlich gehe.190 In die gleiche Richtung ging die vorbehaltlose Unterstützung der Abkehr von jeglicher staatlicher Assimilationsstrategie.191 Damit hatte die USA die Einräumung kollektiver Rechte in Form des Selbstbestimmungsrechts akzeptiert, wenngleich sie im Gegenzug für eine klarstellende, einengende Definition eintrat und sie den Kollektivrechten gegenüber weiterhin skeptisch blieb. Ob mit der sich aus dem Vorschlag ergebenden veränderten Haltung eine Änderung der tatsächlichen rechtlichen Stellung der Native Americans einhergehen sollte, muss bezweifelt werden, da die USA weiterhin davon ausging, durch ihre Formen der Autonomielösung dem internen Selbstbestimmungsrecht in dem von ihr verstandenen Sinne gerecht zu werden.192 Jedoch hat die nach jahrzehntelanger Zurückhaltung akzeptierte Verwendung des Selbstbestimmungsrechtsbegriffs hohe symbolische Bedeutung. Umso mehr ist es verwunderlich, dass die USA im weiteren Verlauf der Verhandlungen aufgrund der relativ weitgehenden Formulierungen des Deklarationsentwurfs, nicht zuletzt hinsichtlich des Selbstbestimmungsrechts und dem Anspruch auf Autonomie, wieder eine „Kehrtwende“ gemacht hat. Nach dem Stand von 2008 akzeptiert die USA den gesamten Entwurf in der OAS nicht mehr und teilte bei den Verhandlungen 2007 mit: „The United States Government noted at the beginning of this session that it took a general reservation to all of the text under discussion during the 10th Meeting of the Working Group, and that it would not join in any text that might be approved or otherwise appear in the Record of the Current Status of the Draft American Declaration on the Rights of Indigenous Peoples arising from the Tenth Meeting of the Working Group and in the Report of the Chair.“193

___________ have the internal right to autonomy or self-government in matters relating to their local affairs, including determination of membership, culture, language, religion, education, information, media, health, housing, employment, social welfare, maintenance of community safety, family relations, economic activities, lands and resources management, environment, and entry by nonmembers, as well as ways and means of financing these autonomous functions.“ Der wortgleiche Vorschlag wurde später von der USA auch für die UN-Deklaration vorgebracht, vgl. Chávez, Report of the Working Group on the Draft Declaration Dec. 2002 Rdnr. 26, S. 18 (Annex). 190 Vgl. OAS Working Group, Intervention of the United States Delegation 2002, S. 3 f. 191 Vgl. OAS, Working Document comparing, Art. V 2, Proposal made by the United States. 192 So auch die Einschätzung von Archer, 5 J. Int’l. Legal Stud. [1999], 205, 226; Ryser, 7 Tulsa J. Comp. & Int’l. Law [1999], 129, 132. Anders Skibine, Utah L. Rev. 1995, 1105, 1110. 193 Vgl. OAS, Tenth Meeting of Negotiations – Statement of the United States, 2007.

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Kapitel 4: Anwendbarkeit auf die Native Americans

Diese Haltung entspricht der Ablehnung, wie sie auch bei der Abstimmung über die UN-Deklaration zum Ausdruck gekommen ist. Jedoch handelt es sich dabei um eine Zurückhaltung aufgrund der Befürchtungen, die weitreichend formulierten Rechte könnten ein extensives Verständnis des Selbstbestimmungsrechts zur Folge haben.194 Eine grundsätzliche Ablehnung des Selbstbestimmungsrechts in seiner defensiven Variante ist aber in der hier als „Kehrtwende“ bezeichneten Positionierung nicht zu sehen. 4. Das Objekt des Selbstbestimmungsrechts der Native Americans Die USA erkennt trotz der Bedenken gegenüber den konkreten Texten in der UN und der OAS den Umfang des Selbstbestimmungsrechts, wie er für die Native Americans aufgrund ihrer Volkseigenschaft gegeben ist, grundsätzlich an und ist sich damit bewusst, dass sie nicht mehr vollständig frei ist, die Beziehungen zu den Indianerstämmen nach ihren Vorstellungen zu gestalten.195 Die Native Americans haben aufgrund ihrer territorialen Besonderheit in den Reservaten Anspruch auf weitestgehende Autonomie. Dies beginnt schon bei der Verwendung des staatlich zugeteilten Budgets und endet bei einzelnen Fragen der Behandlung von Straftaten durch die lokale Justiz. Die Autonomie lässt sich dabei für die indigene Bevölkerung der USA tatsächlich und unter Berücksichtigung politischer Empfindlichkeiten heute leichter einrichten als in anderen Staaten. Obwohl föderale Staatsstrukturen eigentlich im Allgemeinen besser mit den Forderungen indigener Gruppen umgehen können, weil sie geteilte Souveränität im Staatsaufbau bereits kennen, waren die Reservate in den USA lange Zeit nicht in diesem Sinne förderlich, weil sie verwendet wurden „to segregate and subjugate them“. Heute können hier funktionsfähige abgeschiedene Substaatensysteme eingerichtet werden, weil die Reservate eine relativ kleine Fläche des Gesamtstaates ausmachen und weit entfernt von städtischen Zentren liegen und daher keine Gefahr besteht, dass die dortige Bevölkerung die nationale Politik zu sehr beeinflusst, nachdem sie umfangreiche Autonomie in Anspruch genommen hat.196 Wie die Umsetzung der Autonomie im Einzelnen aussehen kann, wird im abschließenden Abschnitt der Arbeit beispielhaft beleuchtet. Grundsätzlich gilt jedoch, dass der genaue Inhalt der Autonomievereinbarungen nicht pauschal festgelegt werden soll, weil das eigene Aushan-

___________ 194

Dazu in diesem Abschnitt oben unter c). Dörr, in: FS Schiedermair, S. 927, 949. 196 So die Einschätzung von Ghai, in: Autonomy and ethnicity, S. 1, 7. 195

B. Native Americans und das Selbstbestimmungsrecht

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deln dieser Vereinbarung und eigene Festlegen des konkreten Umfangs der Selbstregierung Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts ist.197 „This Article does not presuppose the kind of agreements each tribe should sign with the United States. To do so would be presumptuous, paternalistic, and against the very spirit of self-determination. Each tribe has its own needs and faces its own political realities. However, any relationship should be based on the principle of selfdetermination – one based on consent and not plenary power.“198

Neben diesem materiellen Aspekt gibt es jedoch noch einen wichtigen formellen Bestandteil der Autonomielösung. Um eine solche Umsetzung des Selbstbestimmungsrechts dauerhaft zu sichern, müssen die Autonomievereinbarungen im Idealfall durch vertragliche Fixierung dem Zugriff der Exekutive und dem einfachen Gesetzgeber entzogen und zugleich der Status der Vertragsschlussparteien als gleichberechtigte Partner anerkannt werden.199 Gerade die Geschichte der USA habe gezeigt, dass auch gut gemeinte gesetzliche Vorhaben gegen Assimilation und für Selbstbestimmung häufig einen Eingriff in das völkerrechtliche Selbstbestimmungsrecht bedeuteten.200 Zudem besteht bei einer gesetzlichen Lösung die jederzeitige Rücknahmemöglichkeit. So könnte in einer bestimmten Phase eine für die indigene Bevölkerung positive Politik verfolgt werden, die später wieder graduell ausgehöhlt würde. Schulischer Unterricht in der Sprache der Native Americans wird nicht allein durch ein Gesetz sichergestellt, sondern erst durch die langfristigen Zuteilung von speziellen Geldern, weshalb die Betroffenen dauerhaft über die Verwendung eines Teils der gesamtstaatlichen Einkünfte mitbestimmen können müssen.201 Mit dem formalen Eingehen eines Vertrages und der Verpflichtung diesen einzuhalten, wird nicht nur in symbolischer Weise wieder an die Vertragsschlusszeit angeknüpft, sondern auch die Anerkennung eines gewissen internationalen Status der Native Americans (wieder) vollzogen.202 Die SelfGovernance Compacts, auf die noch kurz eingegangen wird, sind ein Beispiel für eine Umsetzung dieser Idee.203 An anderer Stelle ist ein konkreter Diskussi___________ 197

So auch Anaya, 28 Ga. L. Rev. [1994], 309, 359 f. Skibine, Utah L. Rev. 1995, 1105, 1156, der auch darauf hinweist, dass entgegen der Überzeugung Mancher eine dauerhafte Rückkehr der USA zu einem „relationship based on consent is not unrealistic“. 199 Vgl. z.B. Hannum, 23 Am. Indian L. Rev. [1999], 487, 495. 200 Reed Howard, 35 GYIL [1992], 105, 125. 201 An diesem Beispiel zeigt dies Wright, 19 Oxford Journal of Legal Studies [1999], 605, 621. 202 Diese Möglichkeit zeigt Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France, S. 21 f. auf. Vehemt fordert dies auch McSloy, 20 N.Y.U. Rev. L. & Soc. Change [1993], 217, 280 f. 203 Ryser, 7 Tulsa J. Comp. & Int’l. Law [1999], 129, 140 weist auf die Besonderheit hin, dass mit diesem vertragsgestützten Programm „the U.S. government had reopened 198

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Kapitel 4: Anwendbarkeit auf die Native Americans

onsvorschlag für einen „Healing Treaty“ zwischen der Bundesregierung und der Gesamtheit der Native Americans vorgelegt worden, dessen Ausarbeitung durch eine entsprechend besetzte Kommission bereits ein wichtiger Schritt in der Wiedergutmachung vergangenen Unrechts wäre.204 Zudem wäre damit sichergestellt, dass der Umfang des Selbstbestimmungsrechts der Völker in seiner Anwendung auf die Native Americans für beide beteiligten Seiten klargestellt und der internationalen Beobachtung unterstellt würde.205

C. Konkrete Umsetzung und Lösungsmöglichkeiten für die Native Americans Nachdem festgestellt worden ist, dass das Selbstbestimmungsrecht auf die Native Americans Anwendung findet und in Form weitgehender Autonomie zu verwirklichen ist, soll in diesem Abschnitt exemplarisch beleuchtet werden, warum die innerstaatliche Umsetzung der völkerrechtlichen Verpflichtung durch die USA unvollkommen ist. Einige Lösungsvorschläge werden unterbreitet, wie die Probleme unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Native Americans und der Interessen des Staates USA gelöst werden können. Dabei sind manche Ideen von eher symbolischer, aber nicht zu unterschätzender Natur, manche unterstreichen nur die Anforderungen, wie sie bereits von der innerstaatlichen Rechtsprechung gefordert werden. Es ist anzuerkennen, dass in gewisser Hinsicht die Native Americans Ziele erreicht haben, die sich andere indigene Bevölkerungen bislang nur erhoffen können oder noch anstreben.206 Der Status der Native Americans ist aber fortwährend unter innerstaatlichem Druck – auch durch die Rechtsprechung – und muss daher entlang der folgenden Linien noch als unverrückbar festgelegt werden.

___________ government-to-government relations with Indian nations through exactly the same device it had used to close them“. Vgl. auch Note, 112 Harv. L. Rev. [1999], 922, 925. 204 Vorschlag bei West, in: The Right of Self-Determination, S. 67, 87, 88 ff.; vgl. zu einer solchen Methode auch Wiessner, 7 St. Thomas L. Rev [1995], 567, 600 f. Die Bedeutung des Prozesses für den Effekt der Wiedergutmachung beschreibt auch Anaya, 24 Seattle U. L. Rev. [2000], 229, 231, was der US Supreme Court im Gegensatz zum kanadischen verkenne, der im Quebec-Gutachten die Bedeutung der „negotiation and mutual accomodation“ in das Zentrum gestellt habe; bezüglich der Native Hawaiians auch Anaya, 28 Ga. L. Rev. [1994], 309, 362. 205 Ähnlich Wiessner, 12 Harv. Hum. Rts. J. 57 [1999], 93. 206 Kickingbird, in: The Human Rights of Indigenous Peoples, S. 357, 372, weist darauf hin, dass die Bemühungen der indigenen Bevölkerungen, auch der USA, solange fortgesetzt würden, „as long as the dreams and ambitions of indigenous people continue [...] until indigenous peoples are masters of their own lives“.

C. Konkrete Umsetzung und Lösungsmöglichkeiten

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I. Die Souveränität der Native American Nations Trotz der Konstruktion der Tribes als „domestic dependent nations“ in einem Mündelverhältnis besteht deren Souveränität auch nach innerstaatlichem Recht der USA wie gesehen – eingeschränkt – fort.207 Diese limitierte Souveränität der „Nations“ der Native Americans hat auch völkerrechtlich Bestand, wenngleich sie nicht mit Eigenstaatlichkeit einhergeht.208 Der IGH hat schon im Western Sahara-Gutachten diese Möglichkeit anerkannt: „[...] in a display of admirable anthropological sensitivity [...] the ICJ held that an ethnic peoples – defined by their sense of collective identity, mode of political selfregulation, and predictable territory of economic activity – could, absent traditional indices of formal government, stable population, and demarcated territory, still claim sovereignty and assert self-determination“.209

Eine solche Möglichkeit der erneuten Zuerkennung einer in der Vergangenheit existierenden Völkerrechssubjektivität im Bezug auf die Native Americans, würde zur Verfestigung der oben erwähnten Ausweitung der Subjekte im heutigen Völkerrecht führen und im Sinne der spanischen Spätscholastiker eine Zuwendung zu den naturrechtlichen Ansätzen im Völkerrecht bedeuten.210 Zu einer souveränen Einheit gehört neben der entsprechenden Bevölkerung ein Territorium und eine gewisse Machtfülle. Schon heute befinden sich die Reservate der Native Americans in einer Art Zwischenstufe zwischen dem Bundesstaat USA und den Einzelstaaten. Es handelt sich dabei nicht so sehr um einen dreigliedrigen Staatsaufbau, vielmehr bilden die Reservate eine besondere Form von Einzelstaat neben den übrigen, die auch als solche anerkannt werden sollte.211 Dieser nominelle Sonderstatus sollte beispielsweise durch eine Verankerung in der Verfassung dauerhaft gesichert und ausdrücklich mit Kompetenzen ähnlich dem der Bundesstaaten ausgestattet werden, wie im Folgenden gezeigt wird.212 ___________ 207 Oder, wie Halbritter, in: Native American Rights, S. 190, 197 es formuliert: „In essence, Indian nations are no different from any other sovereign government“. 208 So auch – zurückhaltend argumentierend – Hannum, 23 Am. Indian L. Rev. [1999], 487, 494 f., der in den Native Americans einen Sonderfall gegenüber anderen Minderheiten sieht und daher für eine Aufrechterhaltung des Konzept der Souveränität plädiert, dessen Umfang aber vertraglich festgelegt werden müsse. 209 Lâm, 25 Cornell Int. L. J. [1992], 603, 618. 210 So jedenfalls Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France, S. 24. 211 Allg. für die Entwicklung in Staaten mit indigener Bevölkerung Wiessner, 12 Harv. Hum. Rts. J. 57 [1999], 93: eine „‚triple‘ or ‚triadic sovereignty‘“ sei noch nicht erreicht, aber anzustreben. 212 Vgl. die Argumenation von Clinton, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 77, 119 ff.; auch Hannum, 23 Am. Indian L. Rev. [1999], 487, 495 schlägt ein Amendment zur Verfassung als beste Sicherung der Rechte vor. Wunder, 25 Am. Indian L. Rev. [2001], 65, 90 f. sieht verschiedene Möglichkeiten für die unterschiedlich großen Tribes zwischen

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Kapitel 4: Anwendbarkeit auf die Native Americans

1. Anspruch auf Territorium und Ressourcen a) Rückgabe rechtswidrig enteigneten Landes Grundsätzlich gilt auch in der USA, dass bei rechtswidriger Wegnahme von Land nach entsprechender Feststellung die Situation wiederhergestellt werden muss, die vor der Verletzungshandlung bestand. Dieses allgemein anerkannte Prinzip kennt nur eng auszulegende Ausnahmen, wenn zum Beispiel die durch die Enteignung transferierte Bevölkerung nicht mehr existiert und daher auch nicht repatriiert werden kann, es grundlegende Veränderungen des demographischen Gleichgewichts gegeben hat oder viele Jahrzehnte seit der Vertreibung verstrichen sind.213 Für den Fall der USA ist von einer solchen Ausnahmelage auszugehen. Denn seit der Dislokation der Indianer in die Reservate ist eine geraume Zeit vergangen. Die seither kontinuierlich weitergehende Wegnahme bestimmter einzelner Flächen von Land ist davon zu unterscheiden. Eine Rückkehr in die ursprünglichen Siedlungsgebiete vor der Reservatszuteilung erforderte in einigen Fällen zwingend die Umsiedlung ganzer Stadtbevölkerungen. Auch ist es interessengerechter, wenn territoriale Lösungen für die Native Americans in den Reservaten oder umliegenden Gebieten gesucht werden und nur bei einer Nichtbesiedlung des angestammten Gebietes dieses herangezogen wird, da auf diesem Wege die vollständige Kontrolle über ein Territorium übertragen werden kann, was auf bereits zahlenmäßig signifikant von Nichtindianern besiedeltem Gebiet nicht möglich wäre. Neben dieser geografischen Schwierigkeit ist häufig eine vollständige territoriale Kontrolle im Sinne der Regierungsgewalt der USA mangels Ausstattung und Erfahrung kaum möglich. Andererseits zeigen die graduelle Übertragung von vollständiger Kontrolle über periphere Gebiete, in denen kleinere Interessenkonflikte mit der neueren Bevölkerung entstehen, wie das Beispiel von Nunavut in Kanada, dass die Rückgabe von Land und Kontrolle möglich ist. Die Rückübertragung territorialer Kontrolle macht gerade in jenen Fällen Sinn, in denen es sich um Gegenden von großer kultureller oder religiöser Bedeutung handelt. Die besondere Beziehung zum bewohnten Land ist für die Indianer in den vergangenen Jahrhunderten auch schon für die neuen Siedlungsgebiete entstanden, da sich die Bedürfnisse nach der konkret vorhandenen Flora und Fauna ausrichten und der Bezug zur „Mutter Erde“ allgemein bei den Indianern von einer anderen Qualität als bei der weißen Mehrheitsgesellschaft ist. Religiöse Monumente hingegen sind häufig eben doch mit bestimmten Plät___________ „complete national sovereignty [...] within its [der USA, Anm. d. Autors] current borders“, „some commonwealth status“ und im Falle grenzüberschreitender Tribes „multinational agreements“. 213 Suhr, Deportation – Vertreibung – „Ethnische Säuberung“, S. 29, 50 f.

C. Konkrete Umsetzung und Lösungsmöglichkeiten

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zen verbunden. Bekannte Beispiele sind der von Vorfahren der heutigen Indianer errichtete 381 m lange, 6 m breite und 1 m hohe, gewundene Erdhügel, der sog. „Große Schlangenhügel“ in Adams County im Bundesstaat Ohio214 oder natürliche Plätze von besonderer Bedeutung wie die noch immer als „offizieller“ US-Nationalpark jedem Besucher offenstehenden Badlands in South Dakota, die für die Sioux ein Heiligtum darstellen. Auch das „Badger Two Medicine“-Gebiet beim Glacier National Park in Montana, das an das Reservat der Blackfeet angrenzt und von diesem unter anderem zur Erschließung für den Tourismus getrennt wurde, ist eine berühmte Kultstätte.215 Für diese und andere Territorien sind Lösungen zu finden, die eine exklusive oder zumindest geteilte Nutzung durch die jeweiligen Tribes vorsehen, für die der Ort eine besondere Bedeutung und Geschichte hat.216 Insoweit müssen dann auch touristische Erschließungen zurückstehen oder mit der besonderen Bedeutung des Ortes in Einklang gebracht werden. Dies kann bedeuten, dass zu bestimmten Zeiten im Jahr ein Besuch nicht möglich ist oder dass Besucher sich auf Distanz halten müssen oder dass bestimmte Teilgebiete vollständig geschlossen werden, wie es zum Beispiel für den Uluru in Australien gilt, wo manche Gegenden um den Fels nicht fotografiert oder gar betreten werden dürfen. Die Form geteilter Nutzung eines Territoriums mit vorrangiger Wahrung der Interessen der Indianer könnte über das System des „land held in trust“ erfolgen. Die Bundesregierung besitzt in der gesamten USA in Reservats- und anderer Form 55,4 Mio. Hektar Land zugunsten der Gemeinschaft der jeweiligen Indianer.217 Auf diesen Gebieten gilt eine Art Gemeinschaftsbesitz, der es den Tribes auch ermöglicht, „ihr“ Land zu verpachten oder selbst durch Ressour___________ 214

Vgl. dazu Zimmerman/Molyneaux, Indianer, S. 106 f. Zu dieser Gegend und den Streitigkeiten vgl. Dörr, 30 VRÜ [1997], 7 ff.; BearWalter, History of the Blackfeet, S. 369 ff. Eine ähnliche Streitigkeit um Ölbohrvorhaben wie dort besteht in einem Teil des amazonischen Regenwaldes beim Stamm der Huaorani in Ecuador, die sich zunächst mit der Ölförderung einverstanden erklärten, nun aber in der Umsetzung des „Freundschaftsabkommens“ getäuscht sehen, vgl. dazu Brady, 10 Harv. Hum. Rts. J. [1997], 291, 295 ff. und Lâm, At the Edge of State, S. 20 ff. Allg. zu den Auswirkungen der Erdölförderung auf Gebiet von Indigenen vgl. Rezension, NZZ Nr. 100 v. 02.05.2001, S. 55 sowie Bericht in NZZ, Nr. 60 v. 13.03.2007, S. 6. 216 Zumindest im Fall des Badger Two Medicine-Gebiets haben die juristischen Gutachten und langanhaltende Proteste der Blackfeet und von Umweltschutzgruppen dazu geführt, dass die lizenznehmenden Firmen diese gegen eine „offshore“-Lizenz ausgetauscht haben, vgl. Bradley, Great Falls Tribune v. 22.07.1997. 217 BIA (Hrsg.), American Indians Today, gibt 56,2 Mio. Hektar an: Lediglich das Gebiet der Pueblo Indians in New Mexico unterfällt nicht der treuhänderischen Verwaltung durch die USA, weil diese die durch den Vertrag von Hidalgo 1848 zwischen der USA und Spanien bereits begründeten Rechte aufrecht erhalten konnten; dies bestätigte der Supreme Court in Mountain States T.&T. Co. v. Pueblo of Santa Ana, 472 U.S. 237 (1985). 215

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Kapitel 4: Anwendbarkeit auf die Native Americans

cennutzung zu erschließen.218 In allen Fällen, in denen weder eine Rückgabe, noch eine geteilte Nutzung des rechtswidrig enteigneten Landes möglich ist, muss eine Entschädigung anstelle des Rückkehrrechts gewährt werden, die zum Beispiel in Form von Entwicklungshilfe für die betreffende Gruppe ausgezahlt werden kann.219 Dieser enge Zusammenhang mit Entschädigungszahlungen wird unten nochmals aufgegriffen. b) Der Sonderfall Alaska und andere Ansätze von Landrückgabe Bevor in jüngerer Zeit auch in den USA vermehrt Lösungen für Landstreitigkeiten in Form der Rückgabe bestimmter Gebiete an die jeweiligen Tribes gefunden wurden, gab es nur eine Rückübertragung in größerem Umfang. Diese betraf das Gebiet von Alaska.220 In Alaska wird die nicht den übrigen Native Americans gleichgestellte indigene Bevölkerung aus den Aleuten, den Inuit sowie den eigentlichen Indianern wie z.B. den Tlingit-Haidas, den Athabascan und anderen gebildet.221 Diese „Alaska Natives“ stellen mit ca. 120 000 Einwohnern und 19 Prozent landesweit den verhältnismäßig größten Anteil indigener Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung eines Bundesstaates. In den meisten Bezirken Alaskas liegt der Anteil sogar über 50 Prozent, aber durch den geringeren Anteil in den dichter besiedelten Stadtgebieten entspricht dieser insgesamt nur ca. einem Fünftel. In Anchorage beträgt der Anteil der indigenen Bevölkerung über zehn Prozent und damit als einziger Großstadt der USA auf einem so hohen Wert.222 Schon dies erklärt die Sondersituation in Alaska, wobei jedoch auch zu bedenken ist, dass seit der Gründung Alaskas als eigenem Bundesstaat 1948 über eine halbe Million Menschen aus den „lower 48 states“ eingewandert sind. Vor diesem Hintergrund ergab sich die ökonomische Notwendigkeit zur Regelung der territorialen Frage. Der Bau von Pipelines und der damit einhergehende Wunsch einer raschen Klärung und Sicherstellung der Streitfragen wirkte sich zugunsten der Alaska Natives aus. Wegen des Widerstandes der weißen Bevölkerung in Alaska wurden jedoch nicht Reservate nach dem Vorbild der übrigen USA eingerichtet, sondern ein besonderes Gesetz, das ohne Konsultati___________ 218

Vgl. Anaya/Williams, 14 Harv. Hum. Rts. J. [2001], 33, 67 So die Einordnung von Suhr, Deportation – Vertreibung – „Ethnische Säuberung“, S. 29, 74. 220 Zur Notwendigkeit einer neuen Doktrin der Rechtsprechung, die die Beurteilung der Wegnahme, die Rückgabe und/oder Entschädigung regelt, vgl. Cross, 40 Ariz. L. Rev. [1998], 425, 489 ff. 221 Vgl. z.B. Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 113. 222 Zahlenangaben von Census 2000, S. 4, 6. 219

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on mit der betroffenen indigenen Bevölkerung unter Hinweis auf die Kompetenz des Kongresses zur jederzeitigen Wegnahme des Landes, verabschiedet. Dieser „Alaskan Native Claims Settlement Act“223 sah mit elf Prozent der Gesamtfläche Alaskas die Übertragung eines Bruchteils der von den Alaska Natives beanspruchten 147 Mio. Hektar Land auf diese und die Zahlung einer Entschädigung von knapp 1 Mrd. $ vor.224 Dazu wurden die Alaska Natives gezwungen, sich in profitorientierten Genossenschaften zu organisieren, die als Sachwalter dieses Vermögens auftreten sollten. Es wurden 12 Genossenschaften nach Siedlungsgebieten und eine für alle nicht im ursprünglichen Gebiet siedelnden Indigenen gegründet, wobei Genossenschaftsmitglied nur werden konnte, wer zu mindestens einem Viertel von der dortigen indigenen Bevölkerung abstammte.225 Im Gegenzug wurden alle weiteren Landansprüche gestrichen und es wurden keine Zahlungen an die einzelnen von der Bundesregierung anerkannten Gemeinschaften oder gar individuelle Indigene vorgenommen.226 Die über das IRA-System gestülpte Organisationsform der Genossenschaften als einzigartige Unternehmensform hat bis heute andauernde Probleme verursacht, weil die Eigenständigkeit der verschiedenen Dorfgemeinschaften kaum aufrecht erhalten werden kann.227 Daher betrachten es die Inuit zunehmend als Fehler, dass sie den Settlement Act ohne Widerstand hingenommen haben.228 Insbesondere an der Ostküste der USA haben verschiedene andere Vereinbarungen über Landrückgaben in bescheidenerem Umfang stattgefunden wie z.B. der „Maine Indian Claims Settlement Act“ oder der „Florida Indian Land Claims Settlement Act“.229 Im Januar 2000 begannen Vorbereitungen zur Rückgabe des größten Stück Landes seit 100 Jahren an den Stamm der Ute, denen 1882 entlang des Colorados Land gegeben, dann aber wegen vermuteter Erdölvorkommen 1916 wieder weggenommen wurde. Da die Vorkommen nicht gebraucht würden, könne das Land heute wieder an die Ute zurück gegeben werden, argumentiert die Bundesregierung. Falls die Native Americans das Land nach Rückgabe zur Ölnutzung freigäben, müssen sie einen Anteil der Pachtgebühren an den Staat abführen, der damit die erwarteten etwa 300 Mio. $ ___________ 223 Alaskan Native Claims Settlement Act v. 18.12.1971, Public Law 92-203, 85 Stat. 688 (1971), codified in 43. U.S.C. §§ 1601 ff.; Einzelheiten bei Cohen, Handbook of Federal Indian Law, S. 197 ff. 224 Laut Daes, Indigenous peoples and their relationship to land, Final Working Paper Rdnr. 45 lag diese Summe deutlich unter dem Marktwert des enteigneten Landes. 225 Zum Ganzen Meldung in NZZ Nr. 190 v. 18./19.08.2001, S. 6; Anaya/Williams, 14 Harv. Hum. Rts. J. [2001], 33, 68. 226 Massive Kritik daher wegen der Berufung auf eine haltlose Doktrin Daes, Indigenous peoples and their relationship to land, Final Working Paper Rdnr. 45. 227 Vgl. Clinton, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 77, 108. 228 Scheuch, Atlas zur Zeitgeschichte, S. 42. 229 Zu diesen Anaya/Williams, 14 Harv. Hum. Rts. J. [2001], 33, 68.

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Kapitel 4: Anwendbarkeit auf die Native Americans

Kosten für die Abtragung radioaktiv verseuchten Materials aus dem dortigen Gebiet zahlen möchte.230 c) Das Konzept des „Co-Management“ Die vollständige Übertragung von Land einschließlich der zugehörigen Nutzungsrechte ist innenpolitisch schwer durchsetzbar, weil damit Befürchtungen einhergehen, eine wirtschaftliche Nutzung häufig bodenschatzreicher Gebiete werde unmöglich gemacht.231 Da dies einen Hinderungsgrund für die Erfüllung von Rückgabeverpflichtungen darstellt, ist in beiderseitigem Interesse zu prüfen, ob nicht eine „Co-Management“-Vereinbarung getroffen werden kann. Solche formalen Abkommen zwischen dem Staat und dem jeweiligen indigenen Volk – eventuell unter Beteiligung betroffener Drittparteien wie z.B. Unternehmen mit existierenden Ausschöpfungsrechten – sollten primär die Interessen der Indigenen berücksichtigen und die gemeinsame Ressourcennutzung nach bestimmten Quoten und unter Beteiligung einer paritätisch zu besetzenden Institution vorsehen, die über Streitfälle bei der Durchführung der Abkommen entscheidet.232 Wenn im Rahmen einer solchen Vereinbarung bestimmte andere Gegenden endgültig enteignet werden, z.B. für den Bau einer Infrastruktur, dann sollte die Entschädigungszahlung nicht einfach nach dem Marktwert des betreffenden Landes ausgerichtet werden, sondern der besondere Wert für die Native Americans berücksichtigt und die Zurverfügungstellung alternativer Flächen geprüft werden.233

___________ 230

Vgl. Meldung in SMH v. 17.01.2000, S. 8. Ähnliche Befürchtungen stehen meist der Einigung über die Zuteilung besonderer Jagd- und Fischrechte an bestimmte Indian Nations in Folge früherer – bislang missachteter – Verpflichtungen, die etwa im Gegenzug zur Abtretung von Land von den Bundesstaaten eingegangen worden waren, entgegen. Nach jahrzehntelangen Verhandlungen ist eine solche Vereinbarung aber beispielsweise in Michigan erreicht worden, vgl. Meldung in NZZ Nr. 225 v. 28.09.2007, S. 5. 232 Das System der Co-Management-Agreements wird ausführlich von Macklem/ Morgan, 22 HRQ [2000], 569, 592 ff. Rdnr. 61 ff. dargestellt. 233 Dieser Vorschlag wird erörtert von Clinton, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 77, 156 f. 231

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2. Anspruch auf Selbstregierung und das „Tribal Self-Governance Project“ a) Umfang der Selbstregierungsrechte Dass die Native Americans als Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts im Rahmen der Autonomielösung den Anspruch auf möglichst weitgehende Zuständigkeit für die eigenen Angelegenheiten haben, ist ausreichend dargelegt worden. Diese Selbstregierung bezieht sich jedoch nicht nur auf die Regelung der lokalen Themen, sondern auch schon auf die Frage des „ob“ und „wie“. Zur Selbstbestimmung gehört eben auch zu bestimmen, über welche Fragen die selbstbestimmungsberechtigte Einheit auf welche Weise, also insbesondere mittels welcher Organe, entscheiden will. Auch der inhaltliche Umfang der Selbstregierung ist mit einem gewissen Maß an Phantasie und Unvoreingenommenheit zu prüfen. Im Sonderfall der Native Americans kommt zum Beispiel durchaus in Betracht, dass die duale Staatsangehörigkeit234 auch entsprechend durch Ausstellung mehrerer Pässe dokumentiert und – soweit gewünscht – versucht werden kann, für diese eine internationale Anerkennung zu erhalten.235 Diese Lösung würde an der territorialen Integrität der USA keinen Schaden verursachen, da ein doppeltes Band der Staatsangehörigkeit denkbar ist und in internationalen Angelegenheiten die Zugehörigkeit zum Tribe ohnehin eher symbolischer Natur wäre. Solange also die Integrität erhalten bleibt und die Lösung vernünftigerweise umgesetzt werden kann, ist sie eine taugliche Ausprägung der Selbstregierung. Dies gilt zum Beispiel auch für das Recht der eigenen Steuererhebung und der bereits heute geltenden Freistellung von einzelstaatlichen Steuern, wobei gerade dies immer wieder heftig bekämpft wird. Die institutionalisierte Selbstregierung erfordert aber ferner, dass eine adäquate Beteiligung an der Politik des jeweiligen Bundesstaates und auf der Bundesebene ermöglicht wird, zum Beispiel durch die Einrichtung eines Nationalen Rates. Andernfalls bliebe Art. 25 IPbpR unbeachtet und es bestünde die Gefahr, dass gegen die Autonomie laufende Gesetzgebungsprojekte ohne institutionalisierte Mitwirkungsmöglichkeit der Native Americans verfolgt würden.236 Umgekehrt können die Autonomiegebiete nicht so eingerichtet werden, dass Recht und Politik des Bundesstaates keine Rolle mehr spielen. Dem steht schon die ___________ 234 Vgl. zu einer „dual citizenship“-Regelung z.B. Hoeft, 14 Law & Ineq. [1995], 203, 228. 235 Für möglichst weitgehende Anspruchsstellung plädiert auch Fairbanks, 20 Am. Indian L. Rev. [1996], 141, 144, weil sonst das Konzept der Native American Sovereignty schnell leblos und überflüssig werde. 236 Zu einer solchen Vertretung der Native Americans im politischen System in Maine vgl. Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 77.

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Kapitel 4: Anwendbarkeit auf die Native Americans

Regelung der Verfassung über die Wirkung des Bundesrechts auf dem gesamten Staatsterritorium entgegen. Auch ist es durchaus sinnvoll, dass die durch die Autonomie geschaffene Asymetrie zwischen Reservats- und Nichtreservatsgebieten dadurch in Balance gehalten wird, dass die fundamentalen Grundrechte der Individuen auch wirksam von außen gesichert werden können.237 Dennoch sollte in diesem Rahmen die „Tribal jurisdiction“ entgegen vieler Urteile aus der jüngeren Rechtsprechung auf dem Gebiet der Reservate wieder voll hergestellt werden und zwar über alle Personen und Sachgebiete, also zivil- und strafrechtliche Fragen, soweit das anwendbare Recht Bundesgesetzen nicht eindeutig widerspricht.238 Damit würde das Regel-Ausnahmeverhältnis wieder in den ursprünglichen Zustand versetzt werden, wonach grundsätzlich „Tribal law“ und Politik des Tribes einschlägig sind und nur in Ausnahmefällen Bundesrecht oder -politik vorgehen. b) Die Einrichtung der Tribal Councils und das Bureau of Indian Affairs Auf den ersten Blick könnte der Eindruck entstehen, dass die USA durch Verabschiedung des IRA und der daraus folgenden Einrichtung von Stammesregierungen nach neu beschlossenen Stammesverfassungen, den Anspruch auf Selbstregierung durch die Native Americans befriedigt hat. Das Gegenteil ist der Fall, denn die oktroyierten Stammesverfassungen und -regierungen stellen ein bis heute fortbestehendes Problem dar.239 Indem die Tribal Councils durch die Bundespolitik aus Sicht der Tribes mehr oder minder unfreiwillig aufgedrängt wurden, bilden sie gerade einen Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht, aus dem folgt, dass die Ausgestaltung des Rechts durch die Anspruchsinhaber selbst zu erfolgen hat. Die traditionellen Strukturen der Tribes sahen Regierungen nach dem Vorbild der weißen Mehrheitsgesellschaft und wie sie Grundlage nach den IRA-Verfassungen sein müssen, nicht vor. Ein beinahe gleiches Problem wirkt heute noch in Kanada fort. Dort verfolgte die Zentralregierung bereits seit 1950 für die Inuit eine gewisse Autonomiepolitik, die aber nur zum Ziel hatte, durch Einrichtung von – denen im übrigen Kanada entsprechenden – Verwaltungseinrichtungen eine Assimilation zu erreichen. Dieses „imposing a southern model of decision-making“ war einerseits nicht Ausdruck indigener Lebensweise und hatte andererseits negative Auswir___________ 237

Ghai, in: Autonomy and ethnicity, S. 1, 7, sieht diese Notwendigkeit insbesondere, wenn das lokale Gewohnheitsrecht Anwendung findet, das prinzipiell zu Ungleichbehandlungen gegenüber Außenstehenden führen könne. 238 Vgl. Clinton, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 77, 153. 239 Dörr, in: FS Schiedermair, S. 927, 944; vgl. auch ausf. Barsh, 26 U. Mich. J. L. Ref. [1993], 277, 302 ff.

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kungen, weil die traditionelle Bevölkerung weder an Wahlen noch an der Arbeit dieser Einrichtungen teilnahm, sondern eine gewisse Apathie gegenüber Repräsentationsorganen entwickelte.240 Dies gilt auch für die Traditionalisten in den USA, die sich schon bei der Ausarbeitung und Annahme der Verfassungen und erst recht bei der Mitarbeit in den Stammesregierungen enthielten.241 Daraus folgte, dass sich in den Stammesregierungen bis heute Vertreter finden, die den Tribe gerade nicht auf breiter Basis repräsentieren.242 Kritiker sehen in dieser Form der Stammesregierung „,puppet‘ governments run by ‚lackeys‘ [...] imposed upon the Indian nations“.243 Besonders gravierend wirkt der Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht auch deshalb, weil die BIA-Kontrolleure, die für die von ihnen „betreuten“ Tribes die Stammesverfassungen entwerfen sollten, aus Furcht um ihren Posten eine Regelung aufnahmen, wonach die Verfassung nur nach Zustimmung durch die Bundesebene in Kraft treten konnte.244 Diese Zustimmungserfordernisse müssten bei einer Beibehaltung des IRASystems ebenso beseitigt werden wie die Beschränkungen bei der Ausgestaltung der Stammesverfassung, die zukünftig auch das Abstellen auf traditionelle Entscheidungsstrukturen und mündliche Überlieferungen ermöglichen muss.245 Aus Sicht des BIA sind die Tribal Councils bis heute die Schaltstelle zu den indigenen Individuen, weshalb sie z.B. bei der Weitergabe von Geldern aus staatlichen Programmen eine große, häufig unrühmliche Rolle spielen. Da schon das BIA selbst, wie oben dargestellt, eine lange Tradition von Missmanagement und Korruption hat und entsprechend bei den Native Americans mit großem Misstrauen beobachtet wird, überträgt sich dies auf die Stammesregierungen. Die Bundesregierung ist zwar bislang nicht den Schritt gegangen, das BIA aufzulösen. Die Einführung des Tribal Self-Governance-Programms zeigt aber, dass auch hier die Überzeugung vorherrscht, diese zusätzliche Verwaltungsebene sei für die Selbstbestimmung der Indianer mindestens kontrapro___________ 240

Kersey, 11 Ariz. J. Int’l & Comp. L. [1994], 429, 433. Barsh, 26 U. Mich. J. L. Ref. [1993], 277, 302 f. äußert daher massive Kritik und weist auf die fehlende Repräsentation hin („power without legitimacy“). 242 Vgl. dazu auch Williams-Vedder, Die Rechtsstellung der eingeborenen Völker, S. 225. 243 Reed Howard, 35 GYIL [1992], 105, 120. Diese Indianer wurden häufig als „Äpfel“ bezeichnet, weil sie „außen rot, innen weiß“ seien, vgl. Crow Dog, Ohitika Woman, S. 287. Beispiele für Entscheidungen der Stammesregierungen, die gegen die Interessen der Mehrheit des jeweiligen Tribes gehen, gibt es zuhauf: beispielhaft sei die Verpachtung von Reservatsland für eine Mülldeponie in einem Sioux-Reservat genannt, vgl. dazu Crow Dog, Ohitika Woman, S. 207 ff. 244 Clinton, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 77, 125 f., v.a. Fn. 162. 245 Damit würde auch das Problem der mangelnden Partizipation an Wahlen zu den Tribal Councils angegangen, vgl. dazu Barsh, 26 U. Mich. J. L. Ref. [1993], 277, 306 f. 241

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Kapitel 4: Anwendbarkeit auf die Native Americans

duktiv, wenn nicht wegen des großen Verbrauchs von staatlichen Geldern für Personal und Infrastruktur sogar sehr schädlich gewesen. Trotz der massiven Kritik am BIA plädieren manche für ein Festhalten an dieser staatlichen Einrichtung, weil zwar mittlerweile Interessenverbände wie der „National Congress of American Indians“ bedeutender würden, aber noch immer kein effektiver Lobbyismus für die indianische Gesetzgebung in Washington möglich ist246 und damit das BIA verbleibt als „the one bastion of Indian influence within the federal government [...] useful liaison with the federal government as invaluable intermediary and lobbyist [...] a source of needed technical assistance“.247 Daher ist durchaus denkbar, dass das BIA auch weiterhin nach Delegation zahlreicher seiner Kompetenzen und Budgetrechte direkt auf die Tribes eine – dann eingeschränkte – Rolle der Koordination spielen kann, wenn dies im Interesse der Tribes liegt. c) Das Tribal Self-Governance-Project In Folge der Ineffizienz der Mittelverwaltung der Bundesgelder durch das BIA wuchs die Unterstützung, probeweise einer bestimmten Zahl von Tribes die Mittel direkt und zur eigenen Verfügung zu stellen. Ein entsprechendes Gesetz trat 1987 in Kraft und setzte die „Versuchsstämme“ in eine völlig neue Beziehung zur Bundesregierung.248 Anstelle einer Mittelzuteilung entsprechend der verschiedenen Bundesprogramme erhielten diese Tribes – auf der Basis einer vertraglichen Abmachung, einem sogenannten „Compact“ – Gesamtzahlungen, die sie nach eigener Einschätzung und Prioritätensetzung im Rahmen ihrer Aufgaben verwenden konnten. Zugleich wurde damit der Weg geöffnet, den Bundesstaaten bestimmte Jurisdiktionskompetenzen in Indianerangelegenheiten zu übertragen, die diese dann in den Compacts zu großen Teilen an die Tribes weitergeben.249 Ein in diesem Sinne verstandener Compact ist

___________ 246 Daher plädiert Sager, 76 U. Det. Mercy L. Rev. [1999], 745, 787 für die Gründung einer „united Indian Confederacy“. 247 Clinton, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 77, 137; Gover, 24 Am. Indian L. Rev. [2000], 219, 224; besonders anschaulich beschreibt das Dilemma Atkinson, 23 Okla. City U. L. Rev. [1998], 379, 430 f. 248 Indian Self-Determination Amendments of 1987, Pub. L. No. 100-472, 102 Stat. 2285, später geändert durch Tribal Self-Governance Demonstration Project Act, Pub. L. No. 102-184, 105 Stat. 1278; vgl. dazu Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 159 ff., 284 ff.; Ryser, 7 Tulsa J. Comp. & Int’l. Law [1999], 129, 131 ff. am Beispiel von vier Tribes. 249 Note, 112 Harv. L. Rev. [1999], 922, 925.

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„a negotiated agreement between two sovereign entities that resolves questions of overlapping jurisdictional responsibility, such as law enforcement, or resolves certain substantive matters, such as water rights“

oder eine umfassende Regelung der Zuständigkeiten.250 Der Stellenwert der Compacts ist trotz ihrer Abhängigkeit von der Bundeszustimmung deutlich mehr als eine normale Vertragsvereinbarung und die stärkste Form gegenseitiger Verpflichtung von Bundesstaaten und den jeweiligen Tribes, indem neben den materiellen Regelungen durch die Festlegung einer bestimmten Politik ein über den konkreten Inhalt hinausreichender Wert erlangt wird.251 Obgleich die Umsetzung weiterhin der Überwachung durch die Bundesebene unterliegt, wurde das Potential des Tribal Self-Governance-Projects zu einer schrittweisen Rückkehr zur Souveränität der Stämme früh erkannt.252 Das zunächst auf fünf Jahre limitierte Programm stellte sich so schnell als Erfolg heraus, dass es erweitert wurde und bis 1996 bereits 53 Tribes in den SelfGovernment-Prozess eingestiegen waren.253 Das Projekt wurde umgewandelt zu einem dauerhaften Gesetz und seit 1996 werden immer mehr solcher Verträge zwischen einzelnen Tribes und der Bundesregierung vertreten durch den Secretary of the Interior geschlossen, die ausdrücklich von einer „governmentto-government“-Basis zwischen den beteiligten Parteien ausgehen.254 Kritiker bemängeln an der bisherigen Ausgestaltung der Compacts, dass die USA die Aufwertung der Native Nations zu gleichberechtigten Vertragspartnern nicht ernsthaft vollziehe, es sich vielmehr weiter um eine „government-to-agency“Beziehung gehe.255 Hintergrund für die gegenüber gerichtlichen Verfahren dennoch immer stärker werdende Verbreitung solcher Compacts ist unter anderem die Tatsache, dass Gerichtsverfahren häufig teuer, langwierig und einzelfallbezogen sind und zudem in letzten Jahren wieder häufiger zu Ungunsten der Indianernationen ausfallen. Auch können mit den Compacts die Besonderheiten der jeweiligen Tribes berücksichtigt und so individuelle Lösungen gefunden werden. Schließ___________ 250

Note, 112 Harv. L. Rev. [1999], 922, 924. Note, 112 Harv. L. Rev. [1999], 922, 924. 252 Clinton, 46 Arkansas L. Rev. [1993], 77, 138, der aber ebda. auf die Gefahren des Programms und die Möglichkeit eines „trojanischen Pferdes“ (S. 139) verweist. Vgl. ferner HRC, Report by the United States of America 2005 Rdnr. 17. 253 Deloria/Wilkins, Tribes, treaties and constitutional tribulations, S. 190 Fn. 13. 254 Vgl. beispielhaft den Compact of Self-Governance between the Duckwater Shoshone Tribe and the United States of America, www.cwis.org/fwdp/Americas/ duckwsgc.htm oder „Centennial Accord between the Federally Recognized Indian Tribes in Washington State and the State of Washington“, www.halcyon.com/pub/ FWDP/Americas/centenal.txt. 255 Zu diesen Stimmen Ryser, 7 Tulsa J. Comp. & Int’l. Law [1999], 129, 161; vgl. allg. zu den Nachteilen Note, 112 Harv. L. Rev. [1999], 922, 932 ff. 251

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lich sehen die Tribes in den Compacts realistische Möglichkeiten das Feld für ihre Selbstregierung eindeutiger zu stecken.256 Daher ist trotz der Nachteile festzuhalten, dass mit diesen Vereinbarungen erstmals ernst zu nehmende Ansätze einer Wiedererstarkung lokaler Selbstregierung in umfassender Weise verfolgt werden und bislang von Erfolg gekrönt zu sein scheinen. Diesen Weg weiter zu beschreiten und zu verfeinern bedeutet für die USA, einem gewichtigen Teil ihrer Verpflichtung aus dem Selbstbestimmungsrecht zu entsprechen. Dazu ist vorgeschlagen worden, dass „Model Compacts“ entworfen werden, die für viele verschiedene Vereinbarungen Vorbild sein können, aber eine Anpassung zulassen. Vorteil solcher Muster wäre, dass auch politisch schwächere Tribes trotz ihrer ungleichen Verhandlungsposition von den Staaten nicht übergangen werden.257 d) Die Anerkennung des Rechtssystems der indigenen Bevölkerung Besonders bedeutsam in der Anerkennung der Selbstregierungsrechte ist auch die Aufwertung des „Tribal law“.258 Die zum Teil ausgeprägte Rechtskultur in den Reservaten geriet zunehmend durch die Vereinheitlichungstendenzen des Federal Indian Law unter Druck: „,Federal Indian law‘ is truly the colonial law of the U.S. that, if you will, sits on top of tribal law and preempts tribal law where inconsistent with it“.259

Im Rahmen der Self-Governance-Compacts wird aber die Existenz und Berechtigung lokaler rechtlicher Systeme festgehalten. Daher gibt es heute mehr als 150 verschiedene Rechtssysteme in der indigenen Bevölkerung der USA, in denen Entscheidungen zu einem großen Teil auf „tribal law“ oder Gewohnheitsrecht basierend gefällt werden. So werden Konzepte der Native Americans wie das besondere Verständnis von Eigentumsrechten an traditionellem Land in die rechtliche Sphäre übertragen.260 Wichtig ist zur Sicherung individueller ___________ 256

Note, 112 Harv. L. Rev. [1999], 922, 922 f., 930. Note, 112 Harv. L. Rev. [1999], 922, 936 ff. 258 Die Anerkennung der Rechtssysteme indigener Völker und ihre Anerkennung in und Harmonisierung mit der jeweiligen Rechtsordnung des Mutterstaates steht auch bei der Arbeit der UN in der zweiten Dekade der indigenen Völker als Aktionsfeld an vorderer Stelle, vgl. dazu Hinweis bei Anaya, Report on the Situation of Human Rights 2008, Rdnr. 12; ferner dazu Fromherz, 156 U. Pa. L Rev. [2008], 1341 ff. 259 Frickey, 59 ZaöRV [1999], 383, 384; damit dies stärker möglich wird, müssten die Entscheidungen der Tribal Courts besser zugänglich gemacht, regelmäßig veröffentlicht und zum Gegenstand des Unterrichts in den Law Schools werden, so die Forderung von Newton, 22 Am. Indian L. Rev. [1998], 285, 290 f., 295 ff. 260 Anaya/Williams, 14 Harv. Hum. Rts. J. [2001], 33, 44. 257

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Rechte jedoch auch bei diesen Rechtssystemen, dass die Judikate berufungsfähig sind und hier auch der Zugang zu Bundesgerichten oder einem internationalen Monitoring-Prozess eröffnet wird.261 Die Tribal Courts bieten mit ihren ausgeprägten Mediationsverfahren auch Chancen, Vorbild für das Justizsystem der Bundes- und Staatenebene zu sein.262 3. Befugnis zu internationalen Kontakten Zwar handelt es sich bei der im Rahmen der Autonomie vorzusehenden Staatsgewalt nicht um eine uneingeschränkte Macht, die alle staatlichen Kompetenzen umfasst. Daher sind beispielsweise außenpolitische Fragen und die selbständige Mitgliedschaft im Rahmen von internationalen Organisationen anstelle von Staaten nicht eingeschlossen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass jegliche internationale Kontakte für die Tribes zu untersagen wären. Vielmehr entspricht es gerade der Stellung als quasi-souveräne Nationen, dass nicht nur Verbindungen zu Tribes und Völkern in anderen Staaten gepflegt werden können,263 sondern dass auch in besonderen Fällen, in denen die Tribes ein grenzüberschreitendes Siedlungsgebiet haben, die Kompetenzen so weitgehend sind, dass beispielsweise zwischenstaatliche Grenzregelungen relativiert werden. Insoweit ähnelt die Situation der Native Americans z.B. an der kanadischen Grenze derjenigen der Sami in den skandinavischen Staaten. Auch dort sind die Lebensbereiche des indigenen Volkes der Sami durch die Grenzziehung der Staaten Norwegen, Finnland, Schweden und Russland künstlich getrennt worden. Daher sind bei der Lösung der Probleme transnationale Herangehenswei___________ 261

Alfredsson, in: Autonomy: Applications and Implications, S. 125, 129; materielle Anforderungen an die Rechte der individuellen Stammesangehörigen formuliert Alfredsson, 59 ZaöRV [1999], 529, 535; eine staatliche Untersuchung hat jedoch eindeutig ergeben, dass die häufig geäußerte Vermutung, es komme im Tribal Court System überdurchschnittlich oft zu Urteilen, die eine Verkürzung des Individualrechtsschutzes bedeuteten, falsch ist, vgl. dazu Newton, 22 Am. Indian L. Rev. [1998], 285, 288 f. Insoweit ist die Feststellung von Brownlie, in: The Rights of Peoples, S. 1, 15 überholt, wonach das Problem einer möglichen Unvereinbarkeit indigener Lebensweise mit der Garantie von Individualmenschenrechten nicht angesprochen werde und gegenteilige Versuche als paternalistisch abgewiesen würden. 262 Vgl. zu diesen allg. Newton, 22 Am. Indian L. Rev. [1998], 285, 291 ff.; am Beispiel der Seneca Nation Porter, 28 Colum. Hum. Rts. L. Rev. [1997], 235, 239 ff., der für das Überleben indigener Gemeinschaften auf die Notwendigkeit hinweist, traditionelle Streitschlichtungsmethoden aufrecht zu erhalten und wieder zu stärken, S. 273 ff. Zur Vorbildfunktion im Rahmen einer Art „Täter-Opfer-Ausgleichs“ bei jugendlichen Straftätern vgl. Meldung, Reuters v. 13.11.2000. 263 So z.B. auch durch Staatsbesuche, vgl. z.B. den Empfang der kanadischen InuitPräsidentin Eegeesiak am 25.03.1999 in der Bundesrepublik Deutschland, Vöneky/Rau, 60 ZaöRV [2000], 877, 943.

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Kapitel 4: Anwendbarkeit auf die Native Americans

sen zu bevorzugen, die beispielsweise den problemlosen Grenzübertritt für die Sami in ihrem angestammten Siedlungsgebiet ermöglichen oder sogar aufeinander abgestimmte Autonomievereinbarungen in den betroffenen Staaten geschlossen werden.264 Wenn beispielsweise die Blackfeet, deren einzelne Verbände heute teilweise in Kanada, teilweise im Nordwesten der USA leben, zu gemeinsamen Treffen oder Jagden aufbrechen, sollte die amerikanischkanadische Grenze irrelevant sein.265 Mit diesen Tribes Vereinbarungen zu schließen, die eine Art überstaatlich anerkannten Passierschein einbeziehen, würde eine sinnvolle Umsetzung der gemeinsamen Selbstbestimmung bedeuten. Im kanadisch-amerikanischen Fall ist noch die Besonderheit des Vertragsschlusses von 1794 zwischen der unabhängigen USA und Großbritannien zu beachten. Dieser „Jay Treaty“ regelte die offene Frage der Auswirkung der Grenzziehung zwischen der unabhängigen USA und dem Canadian Dominion des Empire auf die indianischen Nationen, die im Grenzgebiet siedelten. Da beide Staaten davon ausgingen, dass es sich bei diesen um souveräne Entitäten handelte, regelte eine gesonderte Vorschrift des Vertrages das immerwährende Recht der Indianer beiderseits der neuen Grenze, diese frei zu passieren und Handel zu betreiben.266 Anders als bei den meisten anderen Verträgen haben Politik und die US-amerikanischen Gerichte – im Gegensatz zur Situation in Kanada267 – dieses Recht zumindest bis in jüngste Zeit sehr extensiv zugunsten einreisender kanadischer Indianer ausgelegt.268 In spektakulärer Weise wirkte sich dies 1928 in einem Gerichtsverfahren aus. Ein regelmäßig als Gerüstbauarbeiter beim Bau von Hochhäusern in New York mitarbeitender Mohawk aus Kanada, Paul Diabo, wurde von den US-Behörden nach einigen Jahren als illegaler ausländischer Arbeiter verhaftet.269 Die beiden erkennenden Gerichte hielten die Rechte aus dem Vertrag für ganz eindeutig anwendbar, wonach Diabo nicht den normalen Einwanderungsregeln unterfalle, sondern sich jederzeit frei vor- und zurückbewegen könne.270 Nach dem Vorbild dieses „free passage rights“ sollten solche Grenzübertritte für indigene Völker bei vergleichba___________ 264

Vgl. dazu Broderstad, 8 IJMGR [2001], 151, 152 f. Die „Blackfeet Confederacy“ bestehend aus den in Kanada und Montana residierenden Tribes hat vor einigen Jahren grenzüberschreitende Treffen und Märsche organisiert, um ihre Zusammengehörigkeit zu demonstrieren, vgl. Bear-Walter, History of the Blackfeet, S. 369. 266 Zu den Einzelheiten vgl. Nickels, 24 B.C. Int’l. & Comp. L. Rev. [2001], 313, 316. 267 Vgl. Nickels, 24 B.C. Int’l. & Comp. L. Rev. [2001], 313, 327 ff. 268 Einen Überblick über die Rechtsprechung der US-Gerichte geben Nickels, 24 B.C. Int’l. & Comp. L. Rev. [2001], 313, 318 ff. und Osburn, 24 Am. Ind. L. Rev. [2000], 471, 475 ff. 269 Vgl. Deloria, in: Die Welt der Indianer, S. 384, 388. 270 Zu diesem Fall Osburn, 24 Am. Ind. L. Rev. [2000], 471, 473 f. 265

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rer Sachlage immer möglich sein.271 Auch sind die USA angehalten, auf eine ähnlich sichere Verwirklichung des Rechts für die Native Americans der USA in Kanada wie umgekehrt in ihrem Staat hinzuwirken und ähnliche Lösungen für die südlichen Tribes an der Grenze zu Mexico zu finden.272

II. Kulturelle Selbstbestimmung Zur Auswirkung des Selbstbestimmungsrechts auf die kulturellen Aspekte des Lebens der Native Americans ist schon mehrfach Stellung genommen worden. Nur vordergründig geht es beim Recht auf kulturelle Selbstbestimmung um die Möglichkeit, eigene kulturelle Ausdrucksformen wie z.B. die Powwows oder Potlatch-Feste feiern zu können, die über lange Zeit auch verboten waren.273 Zur Kultur gehört weit darüber hinausreichend der Gebrauch und die Förderung der eigenen Sprache, Religion und Kunst sowie die Möglichkeit, diese durch eine selbstbestimmte Erziehung aufrecht zu erhalten. Dabei muss diese Erziehung nicht nach gängigen Mustern erfolgen, sondern kann beispielsweise die Schulbildung von derjenigen der weißen Mehrheitsbevölkerung abweichen.274 Für eine echte Selbstbestimmung genügt es nicht, das Recht zuzugestehen, nach eigenen Vorstellungen zu leben und den Nachwuchs danach erziehen zu können. Vielmehr sind die Ergebnisse dieser Entscheidungen zu respektieren. In diesem Zusammenhang ist eine Neubewertung indianischer Traditionen anzumahnen, um unterschiedliche Herangehensweisen besser zu verstehen. So hat – mit durchaus weitreichenden Auswirkungen beispielsweise auf das Rechtssystem bei den Native Americans – für die Indianer die „oral history“ einen wesentlichen Stellenwert. Über die mündliche Überlieferung wird die Geschichte eines Tribes weitergegeben, aber auch seine Regeln über das Zusammenleben und die Entscheidungsfindung. Dabei hat die mündliche Geschichts„schreibung“ nur scheinbar nicht den Beweiswert eines geschriebenen ___________ 271

Unter Bezugnahme auf die kulturelle Schutzklausel der Draft Declaration, die eine Wiederbelebung „transnationaler“ Beziehungen mit einschließen müsse, Osburn, 24 Am. Ind. L. Rev. [2000], 471, 482 f. 272 Hinsichtlich des Jay Treaty Nickels, 24 B.C. Int’l. & Comp. L. Rev. [2001], 313, 331, 335 ff.; bezüglich der Indianer im Süden der USA Osburn, 24 Am. Ind. L. Rev. [2000], 471, 479 ff. 273 Zur Tradition der „Verschenk-Feste“ des Potlatch White, in: Die Welt der Indianer, S. 211, 237; Meier, NZZ Nr. 16 v. 20./21.01.2001, S. 34; Zimmerman/Molyneaux, Indianer, S. 62, zum Powwow 90 f. 274 Zur überragenden Bedeutung der unter der Aufsicht der Tribes geführten BIASchulen für die Zukunft indigenen Lebens in den USA Gover, 24 Am. Indian L. Rev. [2000], 219, 226 f.

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Kapitel 4: Anwendbarkeit auf die Native Americans

Dokuments und ist daher in den vergangenen Jahrhunderten von der Mehrheitsgesellschaft praktisch vollständig ignoriert worden.275 Das indianische Verständnis beispielsweise von Verträgen ergibt sich aber häufig ausschließlich aus dem nicht geschriebenen, von Generation zu Generation weitergereichten Stammeswissen über die Umstände des Vertragsschlusses.276 In Kanada hat eine Aufwertung dieser „oral history“ in einer zentralen Entscheidung des dortigen Supreme Court of Canada bereits stattgefunden.277 Sie sollte ähnlich auch in den USA erfolgen.278 Zeitgleich sollte dem Phänomen begegnet werden, dass noch heute die Erziehung in den „weißen“ Schulen der USA über die eigene indigene Bevölkerung nicht, kaum oder in falscher Weise erfolgt, was zu einem großen Teil darauf zurückzuführen ist, dass in vielen Geschichtsbüchern die Sichtweise der Expansionsstaaten und ihrer Nachfolger und die romantisierende Vorstellung der „wilden Prärieindianer“ und damit ein für ein verständnisvolles Zusammenleben schädliches Klischee perpetuiert wird.279 Allgemein wird beklagt, dass die amerikanische Mehrheitsbevölkerung über Kultur und Probleme der eigenen indigenen Bevölkerung im Durchschnitt viel weniger weiß als beispielsweise die europäische Bevölkerung. Dass die Native Americans in ihrer eigenen Vorstellung Überzeugungen vertreten, die nach „westlichen“ naturwissenschaftlichen Maßstäben nicht fassbar sind, macht die bessere Berücksichtigung indigener Positionen zu einer schwierigen Herausforderung für Pädagogen und Forscher. Im Gegensatz zur Sichtweise westlicher Anthropologen, die die indianische Schöpfungsgeschichte als Mythologie betrachtet oder abtut, sehen zumindest traditionelle Indianer ihre heilige Geschichte der Herkunft und Entstehungsgeschichte der Erde und des Menschen nicht als eine Fiktion an. Ähnliches gilt für die kultische Verehrung heiliger Wesen. Die von diesen auf dem Weg der mündlichen Überlieferung ___________ 275 Zum Konzept der „oral history“ allg. und der Bedeutung für die Chronik des Zweiten Weltkriegs Dejung, NZZ Nr. 128 v. 03./04.06.2000, S. 55. 276 Dazu ausführlich West, in: The Right of Self-Determination, S. 67, 77 f., 79 Fn. 369. 277 Zur Entscheidung Supreme Court of Canada, [1997] S.C.R. 1010 Rdnr. 98 ff. – Delgamuukw v. British Columbia vgl. Ehrlich, 7 NEICLA [2001], 1, 12 ff. und oben Kap. 2 C. IV. 1. b). Auf S. 18 zeigt Ehrlich wie in einem konkreten Fall Anthropologen die Geschichten eines Stammes so ausgewertet haben, dass nachgewiesen werden konnte, in welchen Gebieten die Vorfahren siedelten und jagten und wie diese Gebiete von den Karten der Weißen und deren Einteilungen abwichen. Erst durch diese „Übersetzung“ der Geschichten in einzeichnungsfähige Daten für Karten sei die Problematik für Vertreter der westlichen Kultur nachvollziehbar geworden. 278 Ansatzweise wird das Vorhandensein einer nur mündlich überlieferten Stammes„verfassung“ bei den Pueblo-Indianern anerkannt, die 1934 die IRA-Verfassung nicht angenommen haben, so Thornton, American Indian Holocaust and Survival, S. 190. 279 Vgl. Sager, 76 U. Det. Mercy L. Rev. [1999], 745, 772.

C. Konkrete Umsetzung und Lösungsmöglichkeiten

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weitergegebenen Regeln haben für traditionelle Indianer eine viel höhere Autorität als geschriebene Gesetze.280 Eine ähnliche Situation findet sich – wie schon oben erwähnt – bei den Aborigines in Australien, die in der Gegend des Uluru leben und die für sie verbindlichen Regeln aus dem mündlich überlieferten „Tjukurpa“ beziehen.281 Hinsichtlich der bereits großzügig erfolgten Übertragung von Erziehungsmöglichkeiten auf die Tribes selbst, stellt sich bei indianischen Völkern die große Achtung vor den Älteren und die besondere Bedeutung der Großeltern bei der Erziehung282 als Chance dar, um durch die Unterdrückung beinahe verloren gegangenes Kulturgut an die interessierte Jugend weiterzugeben und damit wieder zu beleben. Deshalb sind tatsächlich viele Lehrer an den indianischen Schulen für die eigene Sprache bereits sehr alt, weil die Elterngeneration der heutigen Kinder die Sprache oft selbst nicht mehr aktiv spricht, weil sie Oper der gewaltsamen „Austreibung“ in den Missionsschulen wurde. Die überragende Bedeutung der eigenen Sprache bei der Erhaltung der kulturellen Besonderheit ist in den letzten Jahren immer mehr hervorgetreten.283 Als ein Beispiel soll auf das Reservat der Mescalero-Apachen in New Mexico verwiesen werden, wo ein Medizinmann und geistiger Führer ein Projekt zur zweisprachigen Erziehung in der Schule, also neben dem Englischen auch in der Sprache der Mescalero-Apachen, initiiert hat. Er verwies dabei auf die bei vielen anderen Tribes eingetretene Entwicklung, dass zunächst die Sprachbeherrschung verloren ginge, dann die Tänze und Gesänge und schließlich auch die „Medizinmänner“ als spirituelle Führer.284 Solche Projekte ebenso wie die Erziehung nach indianischem Standard in den Schulen ist auch weiterhin im Rahmen der staatlichen Unterstützungsleistungen zu fördern, weil es sich dabei um Verpflichtungen aus dem Mündelverhältnis und ein gewisses Maß an Wiedergutmachung handelt.285 Hinsichtlich der Sprache ist auch daran zu denken, soweit dies von der Infrastruktur leistbar ist, ob nicht Einzelstaaten die jeweils vorherrschende Sprache der Native Americans offiziell anerkennen. In der Verfassung von Hawaii beispielsweise ist die indigene Sprache („Hawaiian“) als offi___________ 280

Vgl. z.B. Schilderung bei Zimmerman/Molyneaux, Indianer, S. 128. Vgl. Text zu Kap. 2 Fn. 897. 282 Zimmerman/Molyneaux, Indianer, S. 80. 283 Vgl. dazu auch Fairbanks, 20 Am. Indian L. Rev. [1996], 141, 145 f., der darauf hinweist, dass bei fortgesetztem Sterben der Sprachen der Native Americans auch die Souveränität bedroht sei. 284 So die Schilderung von Hummel, FAZ Nr. 2 v. 04.01.2000, S. 9; das Beispiel der Mapuche in Argentinien wird beschrieben in Meldung, FAZ Nr. 214 v. 14.09.2000, S. 15. 285 Wobei die Ausgestaltung der Spracherziehung von den Indianern selbst vorgenommen werden muss, so auch Fairbanks, 20 Am. Indian L. Rev. [1996], 141, 146. 281

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zielle Landessprache anerkannt.286 Die staatliche Unterstützung von Erziehungsmaßnahmen muss insbesondere deshalb gelten, weil die indianische Bevölkerung sich nicht notwendigerweise dem Produktionsprozess der weißen Mehrheitsgesellschaft anschließt und dadurch entsprechende finanzielle Mittel erarbeitet. Dieses Privileg gegenüber einem durchschnittlichen weißen „Aussteiger“ besteht aufgrund des besonderen Rechtsstatus der indigenen Bevölkerung. Im Rahmen der kulturellen Selbstbestimmung ist auch eine weitgehende Religionsfreiheit erforderlich. Diese kann stellenweise über die verfassungsrechtliche Garantie für die übrigen US-Bürger hinausgehen.287 So ist zum Beispiel der Versuch, die spirituelle Bewegung der Native American Church, die sich als panindianische Bewegung von Mexiko aus nach Norden in die Plains ausbreitete und heute eine große Anhängerschaft hat, durch Verbote der Verwendung des halluzinogen wirkenden Peyotestrauchs bei den Zeremonien zu unterminieren, aufzugeben, solange durch diese religiöse Handlung kein Schaden an den Rechten anderer entsteht.288 Ein weiteres häufig angeführtes Beispiel ist die Bedeutung der langen Haartracht für viele Tribes als Ausdruck einer bestimmten spirituellen Haltung, die auch bei einer Gefängnisstrafe respektiert werden sollte.289 Insgesamt sind die Handlungen im religiösen Bereich geeignet, Katalysator für das Wiedererstarken der indigenen Bevölkerung zu sein, weshalb in diesem Bereich Einschränkungen der Selbstbestimmung nur sehr behutsam vorgenommen werden dürfen. Auch ist der Weg bei der Neugründung des „Smithsonian National Museum of the American Indian“ weiter zu beschreiten, wonach wichtige Ausstellungsexponate an die Tribes zurückgegeben werden, wenn diese Artefakte eine spirituelle Bedeutung haben.290 Der „Native American Graves and Repatriation Act“ ist ein richtiger Ansatz gewesen, dem zu noch mehr Beachtung verholfen werden muss. Schließlich ist in kultureller Hinsicht aus Respekt vor den Symbolen indianischer Kunst aus Sicht der Mehrheitsbevölkerung zu überlegen, ob nicht – wie oft gefordert – die ___________ 286

Vgl. dazu Wilets, 17 Berkeley J. Int’l. L. [1999], 193, 216. Worthen, 13 St. Thomas L. Rev. [2000], 239, 257 f. weist auf die Notwendigkeit hin, dass die Mehrheitsgesellschaft die einzigartige Bedeutung von Orten für die Ausübung traditioneller oder religiöser Riten für die Native Americans endlich erkennen müsse. 288 Zimmerman/Molyneaux, Indianer, S. 133; vgl. auch ausführliche Schilderung bei Crow Dog, Lakota Woman, S. 91 ff. und Ohitika Woman, S. 97 ff. 289 Vgl. dazu etwa Thunderhorse, in: Native American Rights, S. 34, 35 ff.; Commission on Human Rights, Written Statement by the International Indian Treaty Council unter e). 290 Zur Kontroverse um Forschungen an Leichen und Grabbeigaben vgl. Mehesuah, in: Native American Rights, S. 26 ff. 287

C. Konkrete Umsetzung und Lösungsmöglichkeiten

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Kommerzialisierung beispielsweise indianischer Namen im US-amerikanischen Profisport zurückgenommen werden sollte.291

III. Anspruch auf Wiedergutmachung 1. Die Entschuldigung als symbolische Wiedergutmachung Das Eingeständnis unrechtmäßigen Verhaltens gegenüber der eigenen indigenen Bevölkerung in der Vergangenheit hat nicht nur eine moralische, sondern auch eine rechtliche Seite. Ein „Sorry“, ausgesprochen von einem heutigen Regierungsvertreter, ist in der Lage, das Selbstbewusstsein der Indigenen zu stärken, kann aber zugleich Grundstein für eine – auch finanzielle – Wiedergutmachung vergangenen Unrechts bedeuten. In diesem Sinne sprach der ehemalige deutsche Bundespräsident Weizsäcker zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs vor dem Bundestag davon, dass in der Erinnerung die Wiedergutmachung liege. Ebenso ist es beim Verhältnis zwischen dominanten Gesellschaften und ihren indigenen Bevölkerungen.292 a) Beispiele für Gesten der Entschuldigung Daher ist es in den vergangenen Jahren verstärkt zu solchen Entschuldigungshandlungen gekommen.293 Üblicherweise achten zwar die jeweiligen Regierungsvertreter peinlich genau darauf, dass die Geste der Entschuldigung ohne unmittelbare rechtliche Folgen im Sinne einer finanziellen Leistung bleibt und streichen dies hervor. So hat sich z.B. vor einigen Jahren die damalige Premierministerin Neuseelands für das Verhalten ihres Landes während der kolonialen Besetzung Samoas bei der Bevölkerung dieses südpazifischen Inselstaates beim ersten offiziellen Besuch eines neuseeländischen Premierministers seit der Unabhängigkeitserlangung 1962 entschuldigt.294 Eine ähnliche Ent___________ 291

Vgl. dazu schon oben Kap. 3 B. III. 4.; zur Verwendung von indianischen Motiven mit häufig nur zweifelhafter Authentitzität vgl. auch am Beispiel des „Dreamcatcher“ Kramer, NZZ Nr. 19 v. 24.01.2003, S. 34. Vor einigen Jahren haben sich die Anangu gegen die Verwendung eines Fotos des Uluru mit einem darauf sitzenden Teddybären in einem australischen Buch unter Hinweis auf eine Urheberrechtsverletzung gewehrt, vgl. Meldung in NZZ Nr. 153 v. 05./06.07.2003, S. 43. 292 Vgl. Falk, in: The Rights of Peoples, S. 17, 21. 293 Eine bedeutsame Serie von Entschuldigungen hat auch der vormalige Papst Johannes Paul II. im Namen der katholischen Kirche, auch wegen des Verhaltens der Kirche im Zeitalter der Expansion ausgesprochen, vgl. Gibney/Roxstrom, HRQ 23 [2001], 911, 912 v.a. Fn. 3. 294 Dazu die Meldung in NZZ Nr. 129 v. 07.06.2002, S. 3.

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schuldigung sprach der Präsident Guatemalas in einer Vereinbarung mit der Interamerikanischen Menschenrechtskommission aus, wobei er sogar Zahlungen zur Wiedergutmachung in einigen Fällen zusagte.295 Die Angst vor finanziellen Folgen hat in Australien die immer wieder erhobene Forderung an die Zentralregierung, sich für das Unrecht an den Aborigines zu entschuldigen, lange Zeit fruchtlos bleiben lassen. Der frühere Premierminister Howard wies wiederholt darauf hin, dass die Regierung nicht für vergangene Untaten einzustehen habe.296 Diese Beobachtung ist zwar dem Grunde nach richtig, aber zum Einen handelt es sich um staatlich begangenes Unrecht, das bei Unverjährbarkeit noch immer eine Staatenveranwortlichkeit auslösen würde. Zum Anderen verkennt diese Argumentation, dass gerade mit der Entschuldigung jenseits einer rechtlichen Verpflichtung dem Status der indigenen Bevölkerung nach jahrhundertelanger Missachtung oder Unterdrückung ein Auftrieb gegeben werden soll. In Konsequenz dieser Einsicht kam es schließlich 2008 wie oben in Kap. 2 C. IV. 2. f) beschrieben zur Entschuldigungsgeste durch das australische Parlament.297 Der damalige kanadische Premierminister Chrétien hatte die Schaffung des arktischen Territoriums Nunavut auch als Sühne für die Umsiedlungsaktionen in den fünfziger Jahren durch die Zentralregierung bezeichnet.298 Der oben in Kap. 2 C. IV. 1. d) dargestellte Staatsakt mit der Bitte um Verzeihung steigert diese Haltung noch.299 Auch eine implizite Anerkennung des vergangenen Unrechts ist möglich und führt dennoch zu einer Stärkung des Identitätsgefühls des jeweils betroffenen indigenen Volkes: Die Verwaltung des neuen Territoriums Nunavut ermöglichte es den Inuit kostenfrei vor dem Nunavut Court of Justice ihre ursprünglichen ___________ 295

Vgl. Meldung in NZZ Nr. 186 v. 12./13.08.2000, S. 3. Vgl. Meldungen in NZZ Nr. 103 v. 04.05.2000, S. 7; NZZ Nr. 124 v. 29.05.2000, S. 32. Eine finanzielle Entschädigung für Kinder, die ihren Eltern weggenommen wurden, ist 2000 jedoch vor dem High Court gescheitert, dazu Meldung in NZZ Nr. 186 v. 12./13.08.2000, S. 3 und bereits oben Kap. 2 C. IV. 2. f). Andererseits sagte der Vorsitzende der ATSIC im Vorfeld der olympischen Spiele, dass eine Entschuldigung für den Premierminister nur einen kleinen, für den Rest Australiens aber einen ganz großen Schritt bedeuten würde, vgl. Meldung in NZZ Nr. 124 v. 29.05.2000, S. 32; die Forderung blieb jedoch ungehört. Zur Ablehnung einer Entschuldigung, den innerstaatlichen Gründen und den sich ergebenden Folgeproblemen vgl. Gibney/Roxstrom, HRQ 23 [2001], 911, 913 v.a. Fn. 7. 297 Vgl. Meldung in NZZ Nr. 70 v. 25.03.2009, S. 5. 298 Vgl. Bericht von Jaekl, NZZ Nr. 148 v. 30.06.1999, S. 6. Chrétien bezeichnete diese „disastrous relocation programs“ als extremes Beispiel für ungerechtfertigte Eingriffe in das Leben der Inuit; die Überlebenden der Aktion erhielten zehn Millionen Dollar Entschädigung. Andererseits wird in dem Beitrag gezeigt, dass es sich zahlenmäßig um eine der weniger schlimmen Episoden des Umgangs der kanadischen Zentralregierung mit der indigenen Bevölkerung handelt. 299 Vgl. Meldung in NZZ Nr. 136 v. 13.06.2008, S. 3. 296

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Namen wieder zurückzuerhalten. Diese hatten sie infolge der Missionierungspraxis verloren. Als die Missionare auf dem Gebiet des heutigen Nunavut auftauchten und nicht nachvollziehen konnten, warum die Inuit sich nur einzelne Namen gaben, zwangen sie diese, Namensschilder aus Holz mit einer individuellen Zahl zu tragen, unter der sie registriert wurden. Noch in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde ein Gesetz in Kanada erlassen, wonach die Inuit zusätzlich einen Nachnamen anzunehmen hatten. Häufig wurden die dann von den Inuit gewählten Namen in falscher Schreibweise aufgenommen. Heute ist es möglich, diese zu korrigieren bzw. die ursprünglichen Namen wieder zu erlangen und insbesondere aus allen offiziellen Dokumenten die Kennziffer – bestehend aus einem E und einer Zahlenkombination – löschen zu lassen. Nach Aussage der Betroffenen ist dieser Prozess mehr als nur symbolischer Natur, auf diesem Wege erhielten sie einen Teil ihrer ursprünglichen Identität zurück.300 In Mexico hat die Beauftragte für Angelegenheiten der indigenen Bevölkerung anlässlich des UN-Tages der indigenen Völker 2002 die Regierungsarbeit zugunsten der Indio-Bevölkerung als Arbeit an der Wiedergutmachung einer abzutragenden historischen Schuld bezeichnet.301 Eine ähnliche Initiative zur Wiedergutmachung, jedoch nicht im Zusammenhang mit einem indigenen Volk, gibt es in Südafrika. Dort forderte eine private Initiative Prominenter unter dem Titel „Eine Heimat für alle“ alle Weißen dazu auf, ihren aktiven oder passiven Beitrag zur Apartheid durch Unterzeichnung einer Deklaration zu dokumentieren und einen Wiedergutmachungs-Fonds zu unterstützen.302 Zudem kümmerte sich eine „Wahrheitskommission“ um die Aufarbeitung vergangenen Unrechts und leistete damit einen Beitrag zur Versöhnung.303 Es gibt jedoch manchmal auch entmutigende Signale: So waren die Sami in Schweden empört darüber, dass sie zu einer hochkarätigen internationalen Konferenz der Regierung über Versöhnungsprozesse nach Menschenrechtsverletzungen nicht eingeladen wurden.304

___________ 300 Vgl. zum Ganzen und zur Art der Namensgebung in den Familien der Inuit Brown, International Herald Tribune v. 08.07.2002, S. 2. 301 Vgl. Meldung in NZZ Nr. 189 v. 17./18.08.2002, S. 7. 302 Vgl. Meldung in NZZ Nr. 293 v. 15.12.2000, S. 2. 303 Vgl. als Beispiel die Arbeit der peruanischen Wahrheitskommission, Meldung in NZZ Nr. 77 v. 02.04.2003, S. 5; vgl. ferner die Meldung in NZZ Nr. 68 v. 22./ 23.03.2003, S. 5 über den Abschluss der Arbeit der südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission. 304 Vgl. Meldung in NZZ Nr. 102 v. 04./05.05.2002, S. 7; ähnlich zu allen nordischen Staaten und ihrer Behandlung der Sami Alfredsson, 8 IJMGR [2001], iii, iv.

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b) Systematische Erwägungen Bei der Betrachtung von Gesten der Entschuldigung lassen sich einige Faktoren herausarbeiten, die die Erfolgswahrscheinlichkeit einer solchen Handlung ausmachen. Es kommt vor allem auf die öffentlichkeitswirksame Durchführung einer – nicht notwendigerweise geplanten – Zeremonie an.305 Ein besonders gutes Beispiel ist der Kniefall von Warschau durch den ehemaligen deutschen Bundeskanzler Brandt: „perhaps the most noteworthy, and certainly the most memorable, state apology“.306 Die Geste muss mit einer Erklärung verbunden werden, wofür sich der Staat durch seinen Repräsentanten entschuldigen möchte. Es lassen sich zahlreiche Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit in Kanada finden, bei denen ausdrücklich Unrechtshandlungen hervorgehoben werden, für die eine Entschuldigung geliefert werden soll.307 Sinnvollerweise sollte die Entschuldigung zugleich eine Verpflichtung zur Wiedergutmachung auch durch finanzielle Unterstützung und eine Zusicherung der Verfolgung der dafür Verantwortlichen, soweit dies noch möglich ist, einbeziehen. Der Versuch einer Erklärung für die Ursprünge des Unrechts ist ebenso geeignet, dauerhafte Versöhnung zu erreichen wie die Bitte um Vergebung statt einer Entschuldigungserklärung, die nur noch angenommen oder abgelehnt werden kann. c) Die Situation in der USA Auch in den USA ist das Prinzip der Entschuldigung nicht unbekannt. So hat beispielsweise der ehemalige Präsident Clinton auf einer Reise nach Afrika eine Mitverantwortung der USA für die Lage im heutigen Ruanda und Guatemala eingestanden, weil diese eine Spätfolge der Sklaverei sei.308 2008 ___________ 305

Zu den folgenden Kriterien Gibney/Roxstrom, HRQ 23 [2001], 911, 927 ff. Gibney/Roxstrom, HRQ 23 [2001], 911, 928. 307 Vgl. Calonego, SZ Nr. 10 v. 10.01.1998; danach entschuldigte sich die Ministerin für Indianerfragen, Stewart, im Namen der kanadischen Regierung in einer feierlichen Erklärung für Misshandlungen in den Internaten und die ungerechte Behandlung der indigenen Bevölkerung. Die Kirche in Kanada hat sich gegen eine solche ausdrückliche Entschuldigung aus Angst vor Entschädigungszahlungen gewehrt, sich aber zu außergerichtlichen Einigungen über finanzielle Entschädigungen bereit erklärt. 308 Vgl. Gibney/Roxstrom, HRQ 23 [2001], 911, 922 f. Einige Jahre nach dieser Geste hat der US-Senat in Form einer Resolution anerkannt, dass er historisch bei der Bekämpfung der sog. Lynchmorde versagt habe, weil das Repräsentantenhaus mehrfach ein Bundesgesetz gegen diese Form der Selbstjustiz eingebracht habe, das jedes Mal von einflussreichen Südstaatenvertretern im Senat blockiert worden sei. In der Resolution wird das Bedauern ausgedrückt und die Opfer bzw. Nachfahren um Entschuldigung gebeten, vgl. Meldung in NZZ Nr. 137 v. 15.06.2005, S. 2. 306

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hat sich schließlich das Repräsentantenhaus in einer Resolution für das Unrecht der Sklaverei und die Diskriminierung der afroamerikanischen Bevölkerung entschuldigt.309 Ferner gibt es ein konkretes Beispiel für einen „Reconciliation“-Prozess, der Vorbild für ein Verhalten gegenüber der übrigen indigenen Bevölkerung sein kann. Nachdem Agenten der USA das hawaiianische Königtum310 gewaltsam beseitigt hatten, obwohl die USA mit diesem in vielfältigen diplomatischen Beziehungen stand, wurde 1897 ein Vertrag über die Annexion des Gebiets durch die USA geschlossen. Dieser Vertrag wurde unter militärischem Druck geschlossen und ist ein ungleicher Vertrag, der nach Ansicht des Special Rapporteur Martínez für ungültig erklärt werden könnte mit der Folge, dass Hawaii dann wieder auf die Liste der „non-self-governing territories“ der UN käme und von deren Organen dekolonisiert werden könnte.311 Insoweit haben die indigenen Hawaiianer, die auch von den US-Amerikanern als gesonderte Bevölkerungsgruppe im Vergleich zur restlichen indigenen Bevölkerung gewertet werden,312 aufgrund dieser illegalen Annexion eine nicht auf ihre Indigenität gestützte Selbstbestimmungsrechtsforderung.313 1993 verabschiedete der US-Kongress eine „Apology Resolution“, in der anerkannt wird, dass die Beseitigung der Monarchie in Hawaii rechtswidrig gewesen sei.314 Zugleich wird in dem Gesetz ein Prozess der Versöhnung vorgeschlagen.315 Andererseits enthält das Gesetz keine Ausführungsbestimmungen, so dass der genaue Ablauf ___________ 309 Vgl. Meldung in NZZ Nr. 177 v. 31.07.2008, S. 3. In Großbritannien wurde anlässlich des 200. Jahrestages des Verbots des Sklavenhandels zwar Bedauern ausgedrückt, nicht aber eine formelle Entschuldigung wegen der Befürchtung von Entschädigungsforderungen, vgl. Meldung in NZZ Nr. 73 v. 28.03.2007, S. 3. 310 Zur Geschichte des früheren Königreiches Scheuch, Atlas zur Zeitgeschichte, S. 105 ff.; Anaya, 28 Ga. L. Rev. [1994], 309, 312 ff. 311 Martínez, Study on Treaties, Final Report Rdnr. 163 f.; Martínez, Study on Treaties, Second Progress Report Rdnr. 238 ff.; für die Reservate im ürigen Staatsgebiet der USA Skibine, Utah L. Rev. 1995, 1105, 1116; Anaya, 28 Ga. L. Rev. [1994], 309, 364. 312 Werther, Self-Determination in Western Democracies, S. xxvii, weist darauf hin, dass erst in jüngster Zeit Versuche der hawaiianischen indigenen Bevölkerung zu beobachten sind, in den Status von Native Americans zu rücken, um von Unterstützungsprogrammen profitieren zu können. 313 Anaya, 28 Ga. L. Rev. [1994], 309, 334 ff., der auch zeigt, dass das Plebiszit, das zu einem Bundesstaat Hawaii führte, so durchgeführt wurde, dass die indigene Bevölkerung der Inseln überstimmt werden konnte. Vgl. auch Scheuch, Atlas zur Zeitgeschichte, S. 106. 314 Apology Resolution, S.J. Res. 19 (P.L. 103-150, 107 Stat. 1510, 1512-1513 (1993)), abgedr. bei Anaya, 28 Ga. L. Rev. [1994], 309 f.; dazu auch Frickey, 59 ZaöRV [1999], 383, 403 Fn. 111. 315 Zu Problemen im Zusammenhang mit einer Landrückgabe Lâm, At the Edge of State, S. 23 f.; vgl. dazu auch Department of the Interior/Department of Justice, From Mauka to Makai, S. 51 f.

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Kapitel 4: Anwendbarkeit auf die Native Americans

des Wiedergutmachungsprozesses in der Hand der Exekutive liegt.316 Die oben erwähnte ausdrückliche und umfassende Entschuldigung317 des BIA-Vertreters Gover bei dem Akt zum 175. Jahr der Gründung genügt einer allgemeinen „apology“ nicht, da sie ausdrücklich nicht im Namen der US-Regierung, sondern lediglich der Behörde erfolgte.318 Um die Konflikte zwischen der Mehrheitsgesellschaft und der benachteiligten Minderheit nicht immer weiterzutragen, müssen die historischen Unrechtstaten, die in der Erinnerung der Bevölkerung verankert sind, von den Repräsentanten der heutigen Regierung der USA anerkannt werden: „Such acknowledgement is a matter of simple dignity for aggrieved groups, and it provides a basis for treating their claims in a manner that is considered fair and just 319 by all concerned.“

2. Entschädigungszahlungen Ganz allgemein fließt aus den menschenrechtlichen Bindungen der Staaten auch eine Verpflichtung, die tatsächliche Verwirklichung dieser Rechte zu fördern. Zunächst müssen also gesetzliche Grundlagen geschaffen und die verwaltungsmäßige Umsetzung der Menschenrechte gewährleistet werden. Dann ist aber auch sicherzustellen, dass im Alltag von den Rechten profitiert werden ___________ 316 Vgl. Scheuch, Atlas zur Zeitgeschichte, S. 107; zum Ganzen Anaya, 28 Ga. L. Rev. [1994], 309, 360 ff.; Anaya, 24 Seattle U. L. Rev. [2000], 229, 234 f. weist auf eine jüngere Supreme Court-Entscheidung hin, die zwar nicht direkt die Ansprüche der Native Hawaiians betraf, aber zu einer Einschränkung von deren Rechten bei der Besetzung einer Behörde führte, was ein weiterer Ausdruck für eine mangelhafte „reconciliation“ sei. Zum Ablauf des Versöhnungsprozesses vgl. den Bericht des Department of the Interior/Department of Justice, From Mauka to Makai, S. 13 ff. Dass die Schwierigkeiten weiter bestehen zeigt sich in der Ablehnung eines Autonomiestatuts für die indigene Bevölkerung Hawaiis durch den Senat im Jahre 2006, das diese dem Status der „Festland-Indianer“ angenähert hätte, dazu Meldung in NZZ Nr. 138 v. 17./18.06.2006, S. 4. 317 Gover, 25 Am. Indian L. Rev. [2001], 161, 161: „this agency ha[s] at various times profoundly harmed the communities it was meant to serve“, „participated in the ethnic cleansing“, 162: „institution that in the past has committed acts so terrible that they infect, diminish, and destroy the lives of Indian people decades later, generations later [...] These wrongs must be acknowledged if the healing is to begin“. Vgl. auch Wieland, FAZ Nr. 211 v. 11.09.2000, S. 13. 318 Gover, 25 Am. Indian L. Rev. [2001], 161, 162: „I do not speak today for the United States. That is the province of the nation’s elected leaders, and I would not presume to speak on their behalf. I am empowered, however, to speak on behalf of this agency, the Bureau of Indian Affairs“. Insoweit missverständliche Wiedergabe in der kurzen Meldung, NZZ Nr. 211 v. 11.09.2000, S. 2. 319 Anaya, 24 Seattle U. L. Rev. [2000], 229, 230.

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kann. Ökonomische und soziale Menschenrechte sind ein Weg, um zur Wiedergutmachung vergangener Ungleichheit die Herstellung adäquater Lebensstandards für alle Personen der Bevölkerung zu erreichen. Bei der Angleichung der Lebensverhältnisse ist mit den am stärksten Benachteiligten anzufangen, zu denen in der USA die indigene Bevölkerung zählt. Die Entschädigung für vergangenes Unrecht sollte vornehmlich durch Restitution, sekundär bei Unmöglichkeit durch finanzielle Leistungen erfolgen.320 Maßstab für einen solchen Schadensersatz bei ungerechtfertigter Verletzung von Landrechten ist zunächst der Marktwert des enteigneten Landes.321 Dazu kommen aber die Folgeschäden für die ursprünglichen Inhaber des Territoriums und die Ersatzanschaffungskosten, die die Höhe der Entschädigung entsprechend verändern.322 Der Zeitablauf seit der Enteignung spielt dabei nur eine Rolle im Hinblick auf die Frage, ob eine Rückgabe oder eine Entschädigung erfolgen muss. Wenn der entsprechende politische Wille vorhanden ist, sind Kompensationszahlungen auch lange Zeit nach der Vertreibung von einem bestimmten Territorium noch möglich. Als Beispiel kann ein Rechtsstreit vor einem Gericht in Kopenhagen Mitte 1999 gelten, bei dem dieses 53 klagenden Inuit aus Grönland eine Entschädigung durch die dänische Regierung zugesprochen hat, weil sie 1953 aus ihren Jagdgebieten und Häusern vertrieben wurden, als das Gelände den amerikanischen Streitkräften zur Verfügung gestellt wurde.323 Die Wiederherstellung gleicher Ausgangschancen und die Zahlung von Entschädigungsleistungen sind von dem in der USA praktizierten System der „affirmative action“ zu unterscheiden. Nach diesen Programmen sind benachteiligte Gruppen solange bevorzugt zu behandeln, bis sie den gleichen Status wie die bevorzugte Gruppe erreicht haben. So schätzt auch der CERD diese Maßnahmen ein, die nur solange anzuwenden sind, bis die ursprüngliche Motivation – Beseitigung der Auswirkung vergangener Diskriminierung oder Ungleichheit – erreicht ist, weil ansonsten wiederum eine ungerechtfertigte Diskriminierung ___________ 320

Zum Ganzen Eide, in: Modern Law of Self-Determination, S. 139, 164. Entschädigungszahlungen als Wiedergutmachung sind auch in Südafrika in Konsequenz der Arbeit des „Truth and Reconciliation Committee“ bezahlt worden, vgl. Meldung in NZZ Nr. 68 v. 22./23.03.2003, S. 5. 321 Cross, 40 Ariz. L. Rev. [1998], 425, 438 weist darauf hin, dass der Supreme Court den falschen Schwerpunkt setze, wenn er bei der Beurteilung rechtswidriger Landwegnahme die Entscheidung anhand der Legitimation des Kongresses zur Durchführung der Wegnahme und nicht anhand der ökonomischen Folgen dieser Wegnahme trifft. 322 Zu möglichen Kriterien für die Festlegung von Zahlungen unter Hinweis auf die Vereinbarung mit den Nisga’a Macklem/Morgan, 22 HRQ [2000], 569, 591 Rdnr. 59. Zu den Schwierigkeiten für einen Indian Tribe noch in der heutigen USA zu einer wirklich gerechten Kompensation zu gelangen vgl. am konkreten Beispiel der Fort BertholdReservation Indians Cross, 40 Ariz. L. Rev. [1998], 425, 448, 474 ff. 323 Vgl. Meldung in NJW 1999, H. 38, LV.

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Kapitel 4: Anwendbarkeit auf die Native Americans

vorläge. Es handelt sich jedoch um eine andere Art der Handlung, wenn damit die Absicht verfolgt wird, eine „lasting manifestation of difference“ herzustellen.324 Insoweit unterscheidet sich in den USA die Bürgerrechtsbewegung der schwarzen Bevölkerung als Nachfahren der Sklaven von derjenigen der indigenen Bevölkerung. Die afroamerikanischen Bürger verfolgten zur Wiedergutmachung vergangenen Unrechts grob gesprochen eine Förderung, z.B. durch bevorzugte Einstellung, bis sie vollständig und chancengleich in der amerikanischen Bevölkerung integriert sind und die Repräsentation ihrem tatsächlichen Anteil an der Bevölkerung entspricht. Die Indianer verfolgen hingegen eher die Absicht, ihre Andersartigkeit in Abwehr von Assimilationsmaßnahmen beibehalten zu können und darin unterstützt zu werden.325 Dieses legitime Ziel ist seit einigen Jahren in den USA nicht mehr so umstritten wie früher. Im Übrigen profitieren auch die Native Americans von Programmen im Rahmen der „affirmative action“, weil sie ja auch eine benachteiligte Minderheit sind.326 Insoweit ist es interessant darauf hinzuweisen, dass solche Programme vor einigen Jahren wieder erheblich unter Druck geraten sind. Einige weiße Studenten, die an der Universität von Michigan abgelehnt worden waren, wehrten sich gegen das Auswahlkriterium der dortigen Universität, die Minderheitenförderung betrieben hat, indem sie beim Zulassungstest Bewerbern aus Minderheitengruppen einen Startvorteil durch feste Zuteilung von 20 aus maximal 150 möglichen Punkten gegeben hat. Das Verfahren vor dem US Supreme Court wurde von der Regierung des Präsidenten Bush zum Anlass genommen, durch eine offizielle Eingabe nunmehr solche Programme als ungerecht und verfassungswidrig einzustufen.327 In der Entscheidung hielt der Supreme Court einerseits seine grundsätzliche Entscheidung von 1978 aufrecht, wonach das Prinzip der „affirmative action“ an Hoch___________ 324

Darauf weist Eide, in: Modern Law of Self-Determination, S. 139, 164 hin. Ähnlich Wolfrum, 59 ZaöRV [1999], 369, 372 als Handlungspflicht aus der ILO-Konvention 169. 325 Crow Dog, Lakota Woman, S. 77: „Die Schwarzen wollen das, was die Weißen haben – das ist durchaus verständlich. Sie wollen hinein. Wir Indianer wollen heraus! Das ist der Hauptunterschied“. Zur dreifachen Zusammensetzung der US-Bevölkerung: eingewanderte freiwillige Immigranten, verschleppte Ankömmlinge und die indigene Bevölkerung vgl. Eide, in: Modern Law of Self-Determination, S. 139, 167. 326 Die Bevorzugung der Einstellung von Native Americans in der Bundesbehörde BIA ist dem Grundsatz nach anerkannt worden in Morton v. Mancari, 417 U.S. 535 (1974). 327 Vgl. zum Ganzen Meldung in NZZ Nr. 13 v. 17.01.2003, S. 3; dass auch Betroffene aus den benachteiligten Gruppen das System der „affirmative action“ für nicht unproblematisch halten, weil es sie stigmatisieren kann, ist bekannt, vgl. dazu nur im Zusammenhang mit einer jüngeren Debatte Köhler, NZZ Nr. 14 v. 17./18.01.2003, S. 34. Zu den Reaktionen nach dem Urteil vgl. Meldung in NZZ Nr. 144 v. 25.06.2003, S. 2.

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schulen zulässig sei. Jedoch sei eine zu hohe Bewertung des Faktors „Angehöriger einer Minderheit“ gegenüber beispielsweise den schulischen Leistungen wie im Falle der Universität von Michigan verfassungswidrig.328

IV. Unterwerfung unter eine internationale Streitschlichtung Die hier beispielhaft aufgezeigten Themen einer Wiedergutmachung und Festschreibung der aus dem Selbstbestimmungsrecht ableitbaren Autonomierechte sollten wie erwähnt in Vertragsform erfolgen. Diese Vertragslösung sollte aber auch eine externe Überprüfung vorsehen, da eine konfliktfreie Umsetzung der Vereinbarungen nicht garantiert ist und für Auslegungsfragen eine zuständige Schiedsinstanz geschaffen werden muss. Dabei kann aus naheliegenden Gründen nicht auf den üblichen Rechtsweg eines der Vertragspartner, konkret der US-amerikanischen Justiz, verwiesen werden, da eine neutrale oder paritätisch besetzte Instanz die Einhaltung der vertraglichen Vereinbarung überwachen sollte. Die Einrichtung eines solchen internationalen Forums zur Regelung von Konfliktfällen ist schon vor geraumer Zeit gefordert worden, auch weil damit eine gewisse internationale Rechtspersönlichkeit der indigenen Völker dokumentiert würde.329 Die Einbeziehung einer „neutralen“ objektiven Seite wurde auch im Zusammenhang mit dem Nunavut-Agreement in Kanada gefordert. Obwohl die Vereinbarung über die Einrichtung dieses Gebietes prinzipiell Verfassungsqualität hat, von der auch nur in gegenseitigem Einverständnis wieder abgerückt werden kann, sei nämlich unklar, was in einem Streitfall wirklich passieren würde und ob der vorgesehene interne Mediationsprozess die Verfassungsqualität respektieren würde. Daher wäre die Einbeziehung einer internationalen Streitschlichtungsinstanz wünschenswert.330 Letztlich kann ein solches internationales Forum in Form eines gesonderten Organs oder durch ein gesondertes Verfahren erreicht werden.331 Ein internationales Schiedsverfahren wird umso weniger benötigt, je mehr ein – jedoch eigens für diese Fragen geschaffe___________ 328

Vgl. Meldung in NZZ Nr. 143 v. 24.06.2003, S. 1. Falk, in: The Rights of Peoples, S. 17, 35; vgl. ferner Schneeweiß, Die rechtliche Stellung der Indianerstämme, S. 302 f.; mit konkreten Ausgestaltungsvorschlägen Lâm, At the Edge of State, S. 196 ff. 330 Kersey, 11 Ariz. J. Int’l & Comp. L. [1994], 429, 463 ff. 331 Sager, 76 U. Det. Mercy L. Rev. [1999], 745, 746 akzeptiert sowohl ein Gericht als auch ein anderes Forum; eine internationale Überwachung würde auch erreicht werden, wenn die USA – was möglich wäre, aber unwahrscheinlich ist – die Reservate als „non-self-governing“ oder „trust“ Gebiete gegenüber der UN erklären würde, vgl. Skibine, Utah L. Rev. 1995, 1105, 1116. 329

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Kapitel 4: Anwendbarkeit auf die Native Americans

nes – innerstaatliches System einer „special jurisdiction“ eingerichtet worden ist.332 Wenn ein solches fehlt, dann bedarf es besonders dringend einer internationalen Schlichtungsinstanz. Diese könnte bereits bei der Erarbeitung der Abkommen einbezogen werden und zum Beispiel dafür Sorge tragen, dass gewisse Forderungen als „non-negotiables“ nicht akzeptiert werden. Eine solche Nichtverhandelbarkeit könnte vorliegen, wenn ein Bruchteil eines von der indigenen Bevölkerung geforderten Landes nur unter der Bedingung zuerkannt würde, dass sämtliche Ansprüche in vollem Umfang am gesamten restlichen Land übertragen werden.333 Die Erarbeitung einer Vereinbarung unter Einbeziehung eines internationalen Organs, das später für die Überwachung zuständig ist, erhöht die Chance, dass eine allmähliche Übereinstimmung gefunden wird, die aber dann dauerhafter wirkt als ein rascher innerstaatlich-politischer Kompromiss.334 Das internationale Forum könnte auch das „monitoring“ übernehmen, also über die dauerhafte Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen wachen. Damit würde die Auseinandersetzung um die Anwendbarkeit von Art. 1 IPbpR gelöst, der für Individuen nach Ansicht des Menschenrechtsausschusses nicht anwendbar ist, indem die staatliche Verpflichtung zum Schutz des Artikels durch Gewährleistung eines dem Selbstbestimmungsrecht genügenden Rechtsstatus der indigenen Bevölkerung in den Vordergrund gestellt würde.335 Diese „Überwachung“ der Umsetzung von außen sollte jedoch auch auf konkrete Fragen abstellen und müsste daher auf jeden Fall institutionell weitergehend als lediglich durch Zuteilung der Kompetenz an den Menschenrechtsausschuss verankert werden.336 Für die USA wäre die Unterwerfung unter ein völkerrechtliches Schlichtungsorgan verfassungsrechtlich unproblematisch möglich, da die „treaty power“ des Präsidenten weitgehend unlimitiert ist und die Grenze nur in einem Verstoß gegen die Verfassung und ihre Amendments liegt. Dies bedeutet, dass er keinen Vertrag unterzeichnen dürfte, nach dem die föderale Struktur der USA zerstört würde.337 Weder die Einrichtung einer „dritten Ebene“ im Staat ___________ 332

Dazu Martínez, Study on Treaties, Final Report Rdnr. 307 ff., 313 ff. So die optimistische Forderung von Martínez, Study on Treaties, Final Report Rdnr. 302, der eine gewisse Skepsis vor der Vertragstreue der nicht-indigenen Vertragsparteien im Lichte der historischen Erfahrung hat, vgl. Rdnr. 303. 334 Lâm, in: People or Peoples, S. 79, 130 f. 335 So auch die Schlussfolgerung von Wright, 19 Oxford Journal of Legal Studies [1999], 605, 629. 336 Sager, 76 U. Det. Mercy L. Rev. [1999], 745, 785 f. weist auch auf das Problem des Fehlens von Durchsetzungsmechanismen bei internationalen Organisationen und Foren hin. 337 Williams, in: U.S. ratification of the human rights covenants, S. 35, 36, 38 f. 333

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mit weitergehenden Autonomierechten als heute noch die Unterwerfung unter eine internationale Kontrolle beschädigte die Substanz der USA und ihren Staatsaufbau. Konkret könnte das Monitoring- und Schlichtungsforum bei der UN angesiedelt werden. Dort wird schon seit längerem darauf hingewirkt, dass die vorhandenen thematischen Working Groups eng zusammenarbeiten und eine zusätzliche Präventivfunktion zur Erkennung und Vermeidung von Konfliktfällen übernehmen.338 Ein internationales Forum zur Schlichtung von Konfliktfällen sah auch die ursprüngliche Fassung des Art. 36 UN Draft Declaration im Kontext der Respektierung bestehender Verträge vor. Diese Vorschrift war zunächst nicht starken Kontroversen ausgesetzt, obwohl sie die Zuerkennung einer Rechtspersönlichkeit an die indigenen Völker hätte beschleunigen können, da die Verlagerung der Streitschlichtung auf die internationale Ebene eine Zwischenstaaten-/regierungsbeziehung impliziert.339 In der endgültigen Fassung der UN-Deklaration über die Rechte indigener Völker ist der Passus aber gestrichen worden, wohl auch um die innerstaatliche Gerichtsbarkeit bei der Überprüfung der Einhaltung von Verpflichtungen aus Verträgen nicht zu umgehen, da diese unmittelbar wirkende Urteile sprechen kann. Nichstdestotrotz ergibt sich aus den folgenden Artikeln, insbesondere Artikeln 40-42, dass jede nötige Form der Streitschlichtung gesucht werden soll und dabei nicht nur die Staaten, sondern auch die Organe der UN mitwirken sollen. Ein taugliches und in Art. 42 jetzt ausdrücklich genanntes Organ, das die Aufgabe erfüllen könnte, ist das neu eingerichtete Permanent Forum für Fragen im Zusammenhang mit indigenen Völkern in der UN.340 Dieses wäre eine neutrale, internationale Arena, in der Verletzungen von indigenen Rechten –auch und insbesondere aus der (jedoch rechtlich nicht verbindlichen) Deklaration – geltend gemacht werden könnten.341 Dieses Forum böte in seiner Zusammensetzung die Möglichkeit, dass unter Beteiligung beider Vertragsparteien Lösungen von streitigen Angelegenheiten im Mediationsweg gefunden werden.

___________ 338 Skurbaty, As if Peoples Mattered, S. 405 ff. plädiert beispielsweise für den Ausbau der Working Group on Minorities zu einer aktiven Rolle im zwischenstaatlichen Dialog zur Verhinderung und Lösung auch ethnischer Konflikte, wobei zugleich damit eine Möglichkeit der Erfüllung des Selbstbestimmungsrechts geklärt werden soll. 339 So Lâm, At the Edge of State, S. 136 f. 340 Insgesamt dazu Daes, Indigenous peoples and their relationship to land, Final Working Paper Rdnr. 145. 341 Wiessner, 7 St. Thomas L. Rev [1995], 567, 598 f. mit der weitgehenden Vorstellung, dass dieses später auch in einen gerichtsähnlichen Zweig ausgebaut werden könnte, wobei er selbst den Vertragsabschluss zwischen indigenen Völkern und den Mutterstaaten als beste Form zur Beilegung von Konflikten befürwortet.

Kapitel 5

Schlusswort und Zusammenfassung I. Schlusswort: Ein Ausblick am Beginn einer neuen Völkerrechtsära Die in dieser Arbeit beschriebene Situation der indigenen Völker dieser Welt und insbesondere der Native Americans in den USA hinterlässt einen gemischten Eindruck. Einerseits ist eine Entwicklung zurück zu einer immer gewichtigeren und ausgeprägten Rechtsposition auf internationaler Ebene zu konstatieren. Andererseits ist das damit beabsichtigte Ziel einer dauerhaften Stärkung der indigenen Völker in den Staaten und das Vermitteln einer Entwicklungschance noch nicht gesichert. Die vergangenen Jahre haben auf verschiedener Ebene aus der Erkenntnis, dass sich Staaten und Verantwortliche für historisch begangenes Unrecht entschuldigen sollten, konkrete Wiedergutmachungsprozesse gezeitigt. In Australien wurden etwa die Olympischen Spiele in Sydney im symbolträchtigen Jahr 2000 von der Mehrheitsgesellschaft zum Anlass genommen, sich über eine prominente Sportlerin stärker mit der indigenen Bevölkerung des Staates auseinanderzusetzen. 2008 folgte gar eine formale Entschuldigung durch Regierung und Parlament. In Kanada brachte die Stärkung der Rechte der indigenen Bevölkerung sogar ein neues Territorium und eine formale Entschuldigung hervor. Selbst in Staaten, die sich ihrer indigenen Bevölkerung gegenüber lange Zeit ignorant verhalten haben, sind zumindest kulturelle Rechte eingeräumt worden.1 Es ist an der Zeit, dass diese Wiedergutmachungsprozesse an der indigenen Bevölkerung allerorts beginnen, denn letztlich geht es dabei um die überfällige Verarbeitung krimineller Machenschaften von Staatsorganen an einem Teil der Bevölkerung, der in der Mehrheitsgesellschaft schlicht keine Lobby hatte:

___________ 1

Zu den Ainu, die zwar eine besondere Gesetzgebung zu ihrem kulturellen Schutz erreicht haben, aber deren Status als indigenes Volk von Japan aus prinzipiellen Gründen mit der Argumentation, es handle sich beim japanischen Staatsvolk um ein homogenes Volk, nicht anerkannt wird, vgl. Leon, Three Case Studies, S. 2 ff.; Scheuch, Atlas zur Zeitgeschichte, S. 137, 138; ferner Coulmas, NZZ Nr. 211 v. 11.09.2000, S. 21.

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„What is being sought, in other words, is a way to end a criminal process that has persisted for centuries, noticed only when its excesses temporarily shock sensibilities of the dominant society“.2

Dabei ist zu beachten, dass „history, while hopefully remediable, is rarely reversible“.3 Es geht also nicht darum, den Zustand von früher originalgetreu wiederherzustellen, das wäre schon praktisch nicht möglich. Es genügt aber auch nicht der lapidare Hinweis darauf, die Geschichte habe eben Ungerechtigkeiten hervorgebracht, um die sich heute niemand mehr kümmern müsse. Denn immerhin wird mit juristischen Argumenten versucht, den indigenen Völkern ihren Selbstbestimmungsrechtsanspruch zu verneinen, indem beispielsweise darauf verwiesen wird, die von ihnen nach der Vertreibung besiedelten Territorien wiesen nicht mehr den nötigen Verwurzelungsaspekt auf. Konsequenterweise muss dann „mit einer Elle“ gemessen werden, so dass aus rechtlichen Gesichtspunkten wenigstens Wiedergutmachung und Entschädigung zu erfolgen haben. Die meisten Tribes in den USA wissen selbst, wie unwahrscheinlich eine Rückkehr zu den politischen Verhältnissen der Originalverträge ist. Dass sie dennoch eine neue Souveränität einfordern, hängt mit ihrem Bild der Welt zusammen, in der sie ihre Lebensweise zur Verwirklichung bringen möchten: „Für viele Indianer ist der Ruf nach dem Souveränitätsstatus ebensosehr eine Stammesangelegenheit wie eine Sache von nationalem oder gar globalem Interesse. Die Forderung hat mit der Wiederherstellung der gesetzlichen und moralischen Wurzeln der modernen indianischen Identität zu tun“.4

Die vor allem politische und ethische Natur der Wiedergutmachungsprozesse ist auch in einer Studie der UN zum Ausdruck gekommen: „It is not possible to undo all that has been done (both positive and negative) in this time-lapse, but this does not negate the ethical imperative to undo (even at the expense, if need be, of the straitjacket imposed by the unbending observance of the ,rule of [non-indigenous] law’) the wrongs done, both spiritually and materially, to the indigenous peoples“.5

Nichtsdestotrotz ist es auch im Rahmen dieses Gerüsts, das manches Mal eher an ein Korsett erinnert, möglich, mit den Mitteln des Rechts neue Strukturen zu schaffen, die kollektive Gruppenrechte über den engen nationalstaatlichen Kontext hinaus verleihen. Die einhergehende Relativierung des klassischen Nationalstaates ist ohnehin bereits im Vollzug und die Sicherung der Rechte seiner Bürger nach außen und der wirtschaftlichen Integration verleiht ihm weiterhin Funktion.6 ___________ 2

Falk, in: The Rights of Peoples, S. 17, 35. Lâm, in: People or Peoples, S. 79, 125. 4 Deloria, in: Die Welt der Indianer, S. 384, 457. 5 Martínez, Study on Treaties, Final Report Rdnr. 255. 6 Wilets, 17 Berkeley J. Int’l. L. [1999], 193, 228 f. 3

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Für die Native Americans in den USA gilt die Zweischneidigkeit der Entwicklung im Besonderen. Gerade in jüngerer Zeit hat sich durch eine gewisse „Trendwende“ der Politik und Gerichte in Fragen der indigenen Bevölkerung gezeigt, wie unsicher erlangte Errungenschaften sind. In anderen Worten: „It is, perhaps, ironic that tribes are losing domestic legal ground at precisely the same time that indigenous peoples are attaining greater respect under international 7 law“.

Jedoch bietet das Völkerrecht die Chance, die Entwicklung in der USA im positiven Sinne zu beeinflussen. Selbst wenn die Herausbildung neuer Rechte noch skeptisch betrachtet wird, so hat die Beschäftigung der Staatengemeinschaft mit indigenen Fragen im Rahmen der UN bereits eine wesentliche Funktion erfüllt: „[...] the very process of formulating a coherent legal regime on behalf of an emergent category of human rights itself possesses enormous educative benefit by raising political and social consciousness“.8

Die damit einhergehende Verbesserung der politischen Behandlung der indigenen Bevölkerung in den USA sollte durch die internationalrechtlichen Fortschritte abgesichert werden. Skeptische Beobachter schrieben noch vor wenigen Jahren, dass die politische Bewegung hin zu mehr indianischer Selbstbestimmung in den USA kaum einen wirklichen Lösungsweg aufgezeigt hätte.9 Auch sind tatsächlich noch immer viele Punkte, die bereits in den berühmt gewordenen „Twenty Points“ von 1972 durch Vertreter des AIM gefordert worden waren10 noch immer aktuelle Forderungen. Jedoch ist festzustellen, dass seit der Einführung des Tribal Self-Governance-Projects positive Ansätze zu einer Verbesserung der Situation der indigenen Bevölkerung im Blick auf eine zukunftsträchtige Absicherung ihres besonderen Status zu erkennen sind. Auch im gesellschaftlichen Leben sind die Native Americans immer häufiger nicht mehr nur die verblassende Erinnerung eines „edlen Wilden“. Das letzte noch fehlende Museum auf der Washingtoner Mall beherbergt das National Museum of the American Indian unter völlig neuer Konzeption.11 Vor einigen Jahren sind zum ersten Mal Grammy Awards für amerikanische Musiker indianischer Herkunft verliehen worden.12 Die Renaissance von Malern und indigenen His___________ 7

Frickey, 59 ZaöRV [1999], 383, 403. So Falk, in: The Rights of Peoples, S. 17, 33 schon Mitte der 1980er Jahre. Gemessen an der seitherigen Entwicklung in Literatur und Staatenverhalten war diese Einschätzung zutreffend. 9 Ermacora, Menschenrechte in der sich wandelnden Welt, S. 597 Rdnr. 9: „kaum Abhilfe erkennbar“. 10 Diese finden sich z.B. bei Deloria, in: Die Welt der Indianer, S. 384, 438 f. 11 Dazu Benning, NZZ Nr. 135 v. 14.06.2001, S. 48. 12 Vgl. Meldung, NZZ Nr. 45 v. 23.02.2001, S. 48. 8

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torikern, die das Leben von damals darstellen,13 sowie die stärkere Verbreitung von Literatur, die die indigene Sichtweise präsentiert,14 zählen allesamt zu den positiven Anzeichen, die neben den weiterbestehenden rechtlichen und tatsächlichen Problemen der Native Americans Anlass zu Hoffnung geben.15 Das Jahr 2004 bot die Chance zu zwei Schlüsselterminen auf internationaler und nationaler Ebene in den USA. Zum Einen war die Eröffnung des neuen Museums ein Beitrag, um die sich bereits in bestimmten Teilen der Mehrheitsbevölkerung gewandelte Wahrnehmung der indigenen Bevölkerung auf dem eigenen Territorium zu verbreiten, denn dann „[...] könnte der neu gefundene Respekt voreinander dauerhaft sein. Und dann könnte für George Catlins düstere Beobachtung, dass es zwei Sorten von Indianern gebe – die schlechten, die mit den Weissen in Berührung gekommen waren, und die guten, denen damals dieser Kontakt noch erspart geblieben war – auch eine Art Umkehrschluss gelten: Dass die Amerikaner besser – oder zumindest aufgeklärter – wurden, weil sie mit der ältesten Kultur ihres Landes konfrontiert worden sind“.16

Zum anderen endete die erste UN-Dekade der indigenen Völker. Wenngleich bis dahin die Draft Declaration noch nicht den Weg in die Generalversammlung gefunden hatte, wurde beschlossen, ein weiteres Jahrzehnt der indigenen Völker auszurufen, das bis 2014 laufen wird und zu dessen Beginn im Jahre 2007 nach zwei Jahrzehnten Vorbereitungsarbeit die Deklaration über die Rechte indigener Völker von der Generalversammlung mit überdeutlicher Mehrheit angenommen wurde, auch wenn wichtige Staaten mit einem hohen bzw. sehr sichtbaren Anteil indigener Völker an der Gesamtbevölkerung – einschließlich der USA – gegen die Annahme gestimmt haben. Die Forderung eines Autors aus dem Jahre 1986, wonach „Native people must integrate their perception of justice and equality and selfdetermination into the system of international law. Native nations must take their place, assertively if it is not offered, among the other nations of the world“,17

wurde von den indigenen Völkern offenkundig beherzigt. Sie haben durch ihr entschlossenes und erfolgreiches Auftreten bei den UN18 und in ihren Heimat___________ 13 Vgl. beispielhaft Meier, NZZ Nr. 16 v. 20./21.01.2001, S. 34; allg. Gerste, NZZ Nr. 262 v. 11.11.2002, S. 17. 14 Dazu Isernhagen, NZZ Nr. 153 v. 05./06.07.2003, S. 49. 15 Watrin, Das Parlament Nr. 5 v. 27.01.2003, S. 14 gibt einen zusammenfassenden Überblick. 16 Gerste, NZZ Nr. 262 v. 11.11.2002, S. 17. 17 Morris, 29 GYIL [1986], 277, 315 f. 18 Die Vielzahl von mittlerweile fest eingerichteten Konsultationsprozessen bzw. die thematische Berücksichtigung indigener Völker bei der UN und ihren Unterorganisationen ist zusammengefasst in Report of the Secretary General, Review by the Coordinator of the International Decade of the World’s Indigenous People 2004 unter Rdnr. 58 ff.

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staaten deutlich gemacht, dass es auch noch Lebensformen jenseits der „zivilisierten westlichen Welt“ gibt und sie nicht eine im Aussterben begriffene Gruppe sind. Dieses politische und gesellschaftliche Gehör des Anliegens der indigenen Völker hallt in der rechtlichen Verankerung eines Selbstbestimmungsrechts indigener Völker wider. Die vorliegend beschriebene Entwicklung dieses Rechts ist ein großer Schritt auf dem Weg zur Wiedererlangung einer gleichberechtigten Position auf dem „Markt der Kulturen“. Er sollte Grundlage und Ansporn sein, sowohl für die indigenen Völker selbst als auch für die Staaten, auf der Suche nach Lösungen, die ein gemeinsames und fruchtbares Zusammenleben im Sinne der UN-Deklaration auf Dauer zementieren.

II. Zusammenfassung (in Thesenform) Kapitel 1: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker Das Selbstbestimmungsrecht der Völker erlebt als Vorläufer des heutigen Verständnisses seine Geburtsstunde in den revolutionären Bestrebungen am Ende des 18. Jahrhunderts. Lange Zeit ist es dominiert von der Vorstellung, die Nation sei der zentrale Träger. Schon vor dem Ersten Weltkrieg beginnt die theoretische Auseinandersetzung mit dem Konzept, das auch eine sozialistische Ausprägung erfährt. Einen ersten prominenten Auftritt hat das Selbstbestimmungsrecht in den Vorstellungen des US-Präsidenten Wilson über die Regelung der Nachkriegsordnung zum Ersten Weltkrieg. Die Idee einer Verankerung in der Völkerbundsatzung scheitert zwar ebenso wie die Einrichtung von Minderheitenschutzregimen, aber im Åland-Inseln-Fall kommt es zur ersten schiedsrichterlichen Auseinandersetzung mit der möglichen Trägerschaft des Rechts durch eine bestimmte Bevölkerung gegenüber einem Staat. Erst die Gründung der UN nach dem Zweiten Weltkrieg bringt aber den Durchbruch für das Selbstbestimmungsrecht der Völker, das als eines der Ziele für die Zusammenarbeit zwischen den Staaten ausdrücklich in der UN-Charta verankert wird. Das Prinzip wird zu einem der bedeutendsten Anknüpfungspunkte, als es die Dekolonisierung dergestalt lenkt, dass die ehemaligen Kolonien zu unabhängigen Staaten heranwachsen. Noch während der Dekolonisierungsphase erhält das Selbstbestimmungsrecht ein darüber hinausreichendes Gewand, indem es in uneingeschränkter Weise und zugunsten aller Völker als gemeinsamer Art. 1 in die Menschenrechtspakte aufgenommen und damit bindender Bestandteil des Völkervertragsrechts wird. Besonders bedeutsam ist in diesem Zusammenhang auch die Friendly Relations-Declaration der Generalversammlung von 1970, die in ausführlicher Weise den Gehalt des Selbstbestimmungsrechts beschreibt und dabei eindeutig den kolonialen Kontext überschreitet.

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Das Selbstbestimmungsrecht ist daher auch in den Folgejahrzehnten regelmäßiger Bezugspunkt für die Arbeit der UN gewesen. Insbesondere seit der verstärkten Zuwendung zu den Menschenrechten nach der Wiener Menschenrechtskonferenz haben auch die UN-Arbeiten zugunsten der indigenen Völker der Welt ab den 1990er Jahren an Bedeutung zugenommen. Dabei wird im Entwurf einer Deklaration über die Rechte indigener Völker ausdrücklich die weite Formulierung des Selbstbestimmungsrechts aus den Menschenrechtspakten aufgegriffen. Auch in anderem Kontext hat das Selbstbestimmungsrecht seine Bedeutung entfalten können: die KSZE-Schlussakte von Helsinki nimmt ebenso selbstverständlich Bezug auf das Recht wie das regionale Menschenrechtsinstrument für Afrika, bei dem Rechte von Völkern einen wichtigen Rang haben. Die rechtliche Qualität des Selbstbestimmungsrechts ist für das Völkervertrags- und -gewohnheitsrecht getrennt zu bewerten. Wenngleich bei der UNCharta noch von der Geltung lediglich als Leitprinzip ausgegangen werden kann, lassen die Formulierungen in Art. 1 der Menschenrechtspakte keinen Zweifel an der rechtsverbindlichen Natur des Selbstbestimmungsrechts als Recht, das auch eine interne Dimension erhält. Der für die Überwachung der Einhaltung der Paktbestimmungen aus dem IPbpR eingerichtete Menschenrechtsausschuss erwartet von den Staaten in ihren regelmäßigen Berichten Stellungnahmen auch zur Umsetzung des Selbstbestimmungsrechts, was sich auch aus der Allgemeinen Bemerkung zu Art. 1 IPbpR ergibt. Im Individualbeschwerdeverfahren waren es vor allem Vertreter indigener Völker, die eine Verletzung dieser Paktbestimmung geltend gemacht haben und letztlich daran gescheitert sind, dass der Ausschuss eine Berufung von Individuen auf das kollektive Recht ausschloss. Die Voraussetzungen zur Entstehung von Völkergewohnheitsrecht bedürfen beim Selbstbestimmungsrecht besonders genauer Betrachtung und sind dem Sonderfall anzupassen. Insbesondere an die der Natur des Rechts nach seltene Staatenpraxis dürfen keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Zur Praxis sind dabei auch die Stellungnahmen auf internationalen Konferenzen zu zählen. Die subjektive Überzeugung der Rechtskraft des Selbstbestimmungsrechts lässt sich dabei schon aus dem Abschluss entsprechender Verträge ableiten, die das Gewohnheitsrecht zu eindeutig fixiertem Vertragsrecht transformieren, kann aber auch aus den nicht verbindlichen Vereinbarungen, die auf das Selbstbestimmungsrecht rekurrieren, abgeleitet werden. Sowohl die Pakte als auch die Friendly Relations-Declaration spielen daher bei der Untersuchung der rechtlichen Qualität und der Inhalte des Selbstbestimmungsrechts eine gewichtige Rolle. Vertrags- und Gewohnheitsrecht ergänzen und bestätigen sich, so dass eine normative Qualität des Selbstbestimmungsrechts zu bejahen ist.

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Dieses Ergebnis kann auch aus der Rechtsprechungstätigkeit des IGH abgeleitet werden. Die von diesem Gericht behandelten Fälle zeigen deutlich, dass das Recht nicht mehr ein lediglich politisch bindendes Ziel, sondern eindeutig zu einem vollwertigen Recht herangewachsen ist. Trotz des Fehlens einer Entscheidung in der Sache hat der IGH im Ost-Timor-Fall 1995 das Bestehen eines Selbstbestimmungsanspruchs für das ost-timoresische Volk bestätigt. Die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte hat dazu geführt, dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker nunmehr als ius cogens betrachtet werden kann, wobei die Kategorisierung als solches für die vorliegende Untersuchung keine entscheidende Auswirkung hat. Der rechtliche Gehalt der Norm hängt auch von ihrem Träger ab. „Volk“ ist dabei eine nach objektiven und subjektiven Merkmalen zu bestimmende Gruppe, die aufgrund dieser Eigenschaften eine besondere Form der Zugehörigkeit entwickelt hat. Unbestritten zählen das Staatsvolk als Nation und die Kolonialvölker trotz des uti possidetis-Prinzips, das eine Berücksichtigung ethnischer Zugehörigkeit bei der Staatenbildung nicht zuließ, nach der Staatenpraxis zu Trägern des Selbstbestimmungsrechts als Völker im Sinne des Rechts. Darüber hinaus muss das Recht aber auch weiteren Gruppen im Staat zustehen, so dass auch ethnische Volksgruppen als potentielle Träger des Rechts in Betracht kommen, wenn sie vom Staatsvolk abgrenzbar sind. Die Vielzahl von Definitionsansätzen für solche ethnischen Gruppen hat keine Klarheit über die Frage der Trägerschaft im konkreten Einzelfall erbracht, aber in Abgrenzung zu den vorgeschlagenen Minderheiten-Definitionen kann eine ethnische Gruppe dann als Volk betrachtet werden, wenn sie einen bestimmten territorialen Bezug aufweist. Das Objekt des Selbstbestimmungsrechts hat eine offensive und defensive Seite. Neben der Bildung eines neuen Staates oder der Vereinbarung einer Assoziation durch das spätere Staatsvolk wird über das Recht zur Sezession diskutiert. Gegen ein allgemeines Sezessionsrecht wird das Prinzip der territorialen Integrität von Staaten angeführt, das natürlich auch zu einer entsprechend abwehrenden Haltung der Staaten gegenüber Sezessionsbestrebungen geführt hat. Im Gutachten zur Sezessionsmöglichkeit Quebecs durch den Supreme Court of Canada ist aber ausführlich zur Möglichkeit einer Abspaltung eines bestimmten Staatsgebiets Stellung genommen worden, wenn auf diesem Gebiet eine eigenständige Bevölkerung lebt. Allgemein anerkannt ist das Sezessionsrecht als Notwehrrecht, wenn eine betreffende Volksgruppe ohne Abspaltung vom Mutterstaat der Gefahr der Auslöschung unterliegt. Das defensive Selbstbestimmungsrecht bezieht sich auf die Gewährleistung von weitgehenden Autonomie- und politischen Beteiligungsrechten für die Volksgruppe, die im Staatenverband verbleibt. Das völkerrechtlich erst in den vergangenen Jahrzehnten ausdifferenzierte Konzept der Autonomie ist ein un-

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bestimmter Rechtsbegriff, der im konkreten Fall der Ausfüllung bedarf. Autonomielösungen werden schon lange zugunsten bestimmter Volksgruppen verfolgt und werden entweder auf einem bestimmten Territorium oder für eine bestimmte Personengruppe oder in einer Kombination dieser beiden Aspekte gewährt. Autonomie ist zwar eine mögliche, aber keine in jedem Fall ausreichende Umsetzung des Selbstbestimmungsrechts und ist daher immer im Rahmen dieses weiterreichenden Anspruchs zu beleuchten. Ähnlich den Autonomielösungen wird auch über das Konzept eines föderalen Selbstbestimmungsrechts diskutiert, das den Anspruch auf Zuteilung eines bestimmten Territoriums innerhalb des Staates mit gleichberechtigten Kompetenzen wie die übrigen Staatsglieder enthält. Auch der Aspekt der Demokratie als einzig wahre Verwirklichungsform eines vom Volk ausgedrückten Selbstbestimmungswillens ist in letzter Zeit hervorgehoben worden. Das moderne Selbstbestimmungsrecht der Völker ist im Zusammenhang mit anderen Völkerrechtsinstituten zu betrachten, mit denen es im Spannungsverhältnis steht. Insbesondere die grundsätzlich uneingeschränkte Geltung des Gewaltverbots lässt nur wenige Ausnahmefälle zu, in denen das Selbstbestimmungsrecht mit militärischen Mitteln verfolgt werden darf. Im Regelfall ist dem Anspruchsinhaber durch Abhaltung eines Plebiszits die Entscheidung über die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts zu übertragen. Die Staatengemeinschaft kann dabei mit verschiedenen friedlichen Mitteln Stellung beziehen und Einfluss auf das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes nehmen, wobei das Volk legitime Vertretungsorgane braucht, mit denen die anderen Staaten kommunizieren können. Ausnahmsweise kann das Recht sogar zur Durchführung einer humanitären Intervention berechtigen. Die moderne Form des hergebrachten Selbstbestimmungsrechts zeichnet sich auch dadurch aus, dass es sich um ein dauerhaftes Recht handelt, das nicht nach einmaligem Gebrauch erlischt. Vielmehr liegt die Lösung in einer hierarchischen Stufung des Selbstbestimmungsrechts, wonach das Volk grundsätzlich Anspruch auf Zuteilung der internen Varianten des Selbstbestimmungsrechts hat und bei andauernder Verweigerung und Gefahr der physischen oder kulturellen Auslöschung dieses umschlagen kann in die offensive Seite. Das Selbstbestimmungsrecht ist in den verschiedensten Zusammenhängen als Anspruchsgrundlage ins Feld geführt worden. Auch lange nach der großen Welle der Dekolonisierung soll das Selbstbestimmungsrecht Völkern, die nicht in Staaten organisiert sind oder anders in ihrer Existenz bedroht sind, Zugang zu einer besseren Position verschaffen. Das Recht wurde sowohl im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung Deutschlands und dem Auseinanderfallen der ehemaligen Ostblockstaaten diskutiert, wie es ebenso regelmäßig bei der Palästina-Frage angeführt wird. Jedoch hat sich in den letzten Jahren herauskristallisiert, dass die ethnischen Konflikte innerhalb von Staaten die wichtigste

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Fallgruppe bilden und Befreiungsbewegungen in einer Vielzahl von Staaten ihren Kampf unter dem Gesichtspunkt des Selbstbestimmungsrechts führen. Das Völkerrecht ist jüngst einem beschleunigten Wandel unterworfen, was sich auch auf das Selbstbestimmungsrecht auswirkt. Insbesondere auf dem Gebiet der humanitären Intervention ist bei aller skeptischen Zurückhaltung eine Entwicklung eingeläutet, die auch die Abwehr schwerster Menschenrechtsverletzungen als Titel für ein gewaltsames Intervenieren von außen umfasst. Das Prinzip des „peaceful change“ fordert von den Staaten die Bereitschaft zur ständigen Anpassung, so auch an die multiethnische Struktur eines Sttates und daraus ableitbarer Bedürfnisse. Mit der zunehmenden wirtschaftlichen Integration zwischen Staaten auf regionaler und globaler Ebene sowie dem Einfluss universal bindender Menschenrechtsinstrumente relativiert sich die staatliche Souveränität zusehends. Dieser beschleunigte Wandel des dynamischen Völkerrechts lässt die neuerliche Ausweitung des Selbstbestimmungsrechts auf indigene Völker als in einen größeren Zusammenhang eingebettet erscheinen. Kapitel 2: Indigene Völker im Völkerrecht Die hier interessierenden ethnischen Gruppen, die als indigene Völker bezeichnet werden, zeichnen sich durch viele Besonderheiten aus. Dabei hat sich gezeigt, dass die frühere Konzentration auf rassische Merkmale zur Unterscheidung ethnischer Gruppen untauglich ist und diese nur nachrangig Berücksichtigung finden können. „Ethnische Gruppen“ ist als Sammelbegriff wiederum zu weit, weshalb die mittlerweile vor allem durch die Arbeit der UN standardisierte Bezeichnung „indigen“ verwendet wird. Die weltweit zwischen 3000 und 5000 indigenen Völker mit etwa 300-500 Millionen Angehörigen zeichnen sich nicht nur durch jeweils gemeinsame Sprache, Geschichte und Kultur, sondern vor allem durch eine enge Beziehung zu dem von ihnen bewohnten Land sowie eine Erstbesiedlung aus. Es existiert eine Vielzahl von Definitionsversuchen, um die Verschiedenartigkeit der indigenen Völker unter eine Begriffsdefinition zusammenfassen zu können. In der UN Working Group on Indigenous Peoples ist jedoch bewusst auf die Verwendung einer strikten Definition verzichtet worden, weil die Selbstidentifikation als indigenes Volk maßgeblich sein soll. Jedoch wurden auch hier ähnlich wie bei anderen internationalen Organisationen mittels einer Arbeitsdefinition offenkundig nicht darunter fallende Gruppierungen ausgeschlossen. Die verschiedenen Ansätze in der Literatur heben als gemeinsamen Bezugspunkt die besondere Bedeutung des Territoriums und die Beziehung der indigenen Bevölkerung dazu hervor. Damit lässt sich zugleich eine Abgrenzung von Minderheiten bewerkstelligen, die deshalb entscheidend ist, weil die Mehrzahl der indigenen Völker zugleich eine Minderheit in ihrem Heimatstaat bilden.

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Die indigenen Völker der Welt haben eine wechselhafte Geschichte. Bildeten sie beispielsweise auf dem amerikanischen Kontinent zunächst einflussreiche und gut funktionierende Gesellschaften, führte der Kontakt mit den europäischen Expansionsstaaten zu dramatischen Sterbensraten und einem Verfall der Gesellschaften. Die Expansionsstaaten beriefen sich in ihrem Bestreben, auf dem neuen Kontinent Fuß zu fassen, auf einen göttlichen Auftrag, der durch päpstliche Bullen verweltlicht wurde. Tatsächlich stellte sich aber heraus, dass die Expansionsstaaten entgegen ihrer eigenen Überzeugung die aufgefundene Bevölkerung nicht ignorierten und auch das Territorium nicht als herrenlos betrachteten, sondern durch intensiven Kontakt und Austausch eine Aneignung der Gebiete versuchten. Dazu beigetragen haben die Protagonisten eines frühen Völkerrechts. Insbesondere die spanischen Spätscholastiker versuchten die Expansion in geordnetere Bahnen zu lenken, indem sie die Bevölkerung der „entdeckten“ Territorien als nicht rechtlos einstuften und die möglichen Legitimationstitel für den Erwerb von Territorium einschränkten. Letztlich blieben viele Forderungen wirkungslos, weil sie nur bezogen wurden auf Gesellschaften nach christlichem bzw. europäischen Vorbild. Es herrschte die Vorstellung, dass es sich bei den indigenen Völkern um „Wilde“ handle, was sich zu einer „Lehre der rechtlosen Wilden“ erweiterte. Es kann aber bezweifelt werden ob diese im Angesicht des tatsächlichen Verhaltens der Expansionsstaaten je Gültigkeit besessen hat. Die Staaten gingen bei ihrer Expansion schon früh dazu über, mittels Verträgen zu versuchen, die indigene Bevölkerung an sie zu binden und mit ihnen Freundschafts-, Friedens- oder Allianzvereinbarungen einzugehen. Später wurden die indigenen Völker auf der internationalen Ebene temporär völlig rechtlos, weil die Staaten die Behandlung der angetroffenen Bevölkerung zu einer innerstaatlichen Angelegenheit („domestication“) machten. Konsequenterweise kamen Schiedssprüche zu Beginn des 20. Jahrhunderts demzufolge zur Erkenntnis, dass indigene Völker und mit ihnen geschlossene Verträge keinen völkerrechtlichen Status hätten. Im 20. Jahrhundert war es allerorts erklärte Politik, die indigene Bevölkerung zu assimilieren und in der Mehrheitsgesellschaft aufgehen zu lassen. Erst nach der Dekolonisierung nahm das indigene Bewusstsein wieder zu, was zu einer entsprechend höheren internationalen Aufmerksamkeit führte. Diese spiegelt sich auch im Rechtsstatus nach Völkervertragsrecht wider, wobei insbesondere Art. 1 IPbpR und die Entscheidungen des Menschenrechtsausschusses einen Beitrag zur Klärung gebracht haben. Zwar hat der Ausschuss verschiedene Gelegenheiten zur Klärung der Berufung indigener Völker auf Art. 1 des Paktes ausgelassen, indem er die Vorschrift als nicht im Individualbeschwerdeverfahren rügefähig eingeordnet hat. Dennoch hat er inhaltliche Stellungnahmen abgegeben, indem er die Rechte der indigenen Beschwerde-

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führer unter dem Minderheitenschutzartikel des Art. 27 IPbpR und anderer Vorschriften beleuchtete. Konkret führte dies in vielen Fällen zu einer Erweiterung der Rechtsposition und einer Zurückweisung staatlicher Bedrängung der indigenen Selbstbestimmung. Ähnliche Unterstützung haben die indigenen Völker vom Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung erhalten. Seit den 1970er Jahren trugen auch die anderen Menschenrechtsorgane der UN wesentlich zur Stärkung der indigenen Völker bei. Aufgrund einer monumentalen Studie über die Lage dieser Völker wurde eine Working Group eingerichtet, die sich später hauptsächlich der Erarbeitung einer Deklaration über die Rechte indigener Völker widmete. Das Besondere war dabei, dass von Beginn an die indigenen Völker selbst durch eine große Zahl an jährlich anreisenden Repräsentanten am Entstehungsprozess intensiv beteiligt waren und sind. Der Entwurf wurde bis 2006 von einer weiteren Working Group on the Draft Declaration, in der die Vertreter der Staaten saßen, in allen Einzelheiten diskutiert. Parallel dazu waren aber eine Reihe wichtiger Studien von Experten erarbeitet und veröffentlicht worden, die einen Überblick über die Situation indigener Völker vermittelten und Handlungsbedarf anmeldeten. Zuletzt ist – im Blick auf eine mögliche dauerhafte Umsetzung des Konsultationsverfahrens – ein Permanent Forum on Indigenous Issues eingerichtet worden, das Anlaufstelle für indigene Anliegen in der UN sein soll. Die besondere Beziehung zu Land, Flora und Fauna hat dazu geführt, dass bei den großen Umweltschutzinitativen ebenfalls die indigenen Völker an vorderer Stelle adressiert wurden. Die UNDeklaration über die Rechte indigener Völker wurde schließlich 2007 von der Generalversammlung in einer textlich leicht veränderten, aber inhaltlich weitgehend gleichen Fassung angenommen, nachdem der neue Menschenrechtsrat in einer seiner ersten Sitzungen die Annahme empfohlen und den Deklarationsentwurf weitergeleitet hat. Derzeit wird auch innerhalb des interamerikanischen Menschenrechtssystem eine Draft Declaration zugunsten der indigenen Bevölkerungen in den Mitgliedstaaten erarbeitet. Diese ist ebenfalls zwischen den Mitgliedstaaten und den Betroffenen noch umstritten, aber ähnlich wie es über die lange Vorbereitungszeit für die UN-Deklaration galt, wird über die grundsätzliche Notwendigkeit und die wichtigsten Elemente des Deklarationsentwurfs nicht mehr gestritten. Sowohl die Menschenrechtskommission der OAS als auch der Gerichtshof haben in verschiedenen Fällen bedeutende Rechtspositionen der indigenen Völker entwickelt, die zum Beispiel den Schutz vor Abholzung des bewohnten Territoriums umfassen. Ohnehin ist zu beobachten, dass aus den südamerikanischen Staaten in den vergangenen Jahren verstärkt völkerrechtlich relevante Initiativen bezüglich des Rechtsstatus indigener Völker kommen. Die gesamte Entwicklung im regionalen und universalen Völkerrecht hat dazu ge-

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führt, dass die indigenen Völker zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein „neues, altes“ Völkerrechtssubjekt im Werden sind. Die als Resolution der Generalversammlung verabschiedete Deklaration der UN über die Rechte indigener Völker ist nicht unmittelbar bindend, aber dennoch von hoher Relevanz. Anhand der Deklaration lassen sich beispielhaft einige Rechtspositionen indigener Völker im heutigen Völkerrecht darstellen, die auch ohne die Deklaration Geltung entfaltet haben. Die Deklaration besteht aus 46 Artikeln, die zu verschiedenen Aspekten indigenen Lebens Rechte und Förderverpflichtungen auflisten. Die in Gruppen geordneten Anspruchsgrundlagen enthalten dabei auch kollektive Rechte und beziehen sich unter anderem auf die unrechtmäßige Wegnahme oder Ausbeutung des Landes. Vertraglich vereinbarte ausschließliche Landnutzungsrechte, die lange Zeit ignoriert worden sind, müssen nach dem heutigen Völkerrecht wieder Berücksichtigung, gegebenenfalls in Form einer Entschädigung, finden. Die Landrechte der Deklaration werden ergänzt durch Klarstellungen zur Weitergeltung früherer vertraglicher Vereinbarungen. Die Verträge bildeten zur Zeit des Abschlusses dem Völkerrecht unterstellte Verpflichtungen. Daher sind bei der Auslegung der Vertragsinhalte zugunsten der indigenen Völker verschiedene Grundsätze zu beachten, die in Zweifelsfällen ein „indigen-freundliches“ Verständnis verlangen. Mit der UN-Studie zu Verträgen und anderen Abmachungen ist davon auszugehen, dass die Verträge heute im Allgemeinen unbeschädigt weitergelten und der „schwächere“ Vertragspartner aus ihnen wichtige Rechte ableiten kann. Die Bewahrung des kulturellen Lebens der indigenen Bevölkerungen fordert eine kollektive Stoßrichtung der entsprechenden Vorschriften, die ergänzt wird durch eine staatliche Schutzpflicht zur Bewahrung und Verbreitung indigener Kultur. Als wichtigste Rechtsposition im heutigen Völkerrecht kann für die indigenen Völker die Berufungsfähigkeit auf das Selbstbestimmungsrecht hervorgehoben werden. Art. 3 der UN-Deklaration über die Rechte indigener Völker nimmt dieses ausdrücklich auf und in Art. 4 und anderen Vorschriften werden Konkretisierungen z.B. in Form von Autonomien abgehandelt. Dies ist Ergebnis langer Verhandlungen innerhalb der ersten Working Group, die erst mit der Zeit zu einer Anerkennung dieses Rechts führten, das aber dann von Seiten der UN und den meisten betroffenen Staaten eindeutig bestätigt worden ist. Jedoch gilt auch für dieses Selbstbestimmungsrecht, dass es mit anderen Völkerrechtsprinzipien in Einklang zu bringen ist, was nach Auffassung der meisten Staaten insbesondere Auswirkungen auf den territorialen Zuschnitt verhindere. Die Bestätigung der Rechtspositionen für die indigenen Völker auf der internationalen Ebene findet sich am Beispiel einzelner Staaten. Insbesondere in Kanada und Australien hat sich sowohl der juristische als auch politische Wandel zugunsten der indigenen Bevölkerung dergestalt bemerkbar gemacht, dass

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ausdrückliche Ansprüche auf Land und einen besonderen Status bejaht worden sind. Die Einrichtung des neuen Territoriums Nunavut in Kanada dürfte dabei von ihrem Umfang her kaum je wiederholt werden. In Neuseeland hat der „Vertrag von Waitangi“, der zwischen der britischen Krone und den Maori ausgehandelt worden war und nun wieder Beachtung findet, als neue Anspruchsgrundlage für die indigene Bevölkerung zahlreiche Erfolge vor Gericht gebracht. In Mexiko und anderen südamerikanischen Staaten wie auch in den skandinavischen Staaten profitieren die Indigenen von einer Zuwendung der politischen Machthaber zur eigenen ursprünglichen Bevölkerung, wenngleich die Fortschritte oft zäh und langwierig sind. Kapitel 3: Die Indianer Nordamerikas Die Native Americans haben eine den übrigen indigenen Völkern nicht unähnliche Geschichte. Als Besonderheit kann gelten, dass verschiedene Expansionsstaaten auf unterschiedliche Weise mit den Indian Nations kooperiert haben, als sie das heutige Territorium der USA erreichten. Diese Rechtsbeziehungen wirken später für die USA fort, die insoweit als Nachfolger etwa in die vormals geschlossenen Verträge eingetreten ist. Die zunächst auf kriegerischem Wege erfolgte Auseinandersetzung der noch jungen USA mit den Native Americans, bei der eine Vielzahl von Verträgen auch zum Vereinbaren von Kriegskoalitionen geschlossen wurden, ergänzte die Bundesregierung später durch Vertreibungen aus den angestammten Gebieten und Zuweisung in Reservate. Schon kurz nach dem Ende des letzten Indianerkrieges in den USA wurde die Vertragsschlusspolitik eingestellt und zudem die Einrichtung von Parzellen auf indianischem Territorium beschlossen, die dazu dienen sollten, den Indianern privaten Besitz und damit eine ihnen bislang unbekannte Einrichtung aufzudrängen. Auf diesem Weg verloren die Native Americans einen Großteil des ihnen vorher zustehenden Reservatsgebietes, weil nach der Parzellierung ein Verkauf möglich geworden war. Zwar wurden die Native Americans zunächst zu US-Bürgern gemacht und 1934 der „Indian Reorganization Act“ verabschiedet, der das Überleben der Tribes sichern sollte, aber im Gegenzug wurde diesen damit nach westlichem Muster gestrickte Verfassungen aufgedrängt, die die traditionellen Strukturen zu zerstören versuchte. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die offizielle Bundespolitik zeitweise gar, dass die Tribes alle ausgelöscht, die Kompetenzen zu Regelung der Indianerangelegenheiten auf die Staatenregierungen übertragen und die individuellen Indianer „weiß“ werden sollten. Erst mit dem Aufkommen der Bürgerrechtsbewegung, die auch indianischen Aktivismus auslöste, kehrte die Bundesregierung von dem vorher beschrittenen Weg ab und erklärte die frühere Politik zugunsten einer jetzt auf „selfdetermination“ beruhenden für gescheitert. Die neue Phase der Politik gegen-

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über den Indianern hält bis heute an und ist zumindest seit geraumer Zeit offizielle Regierungspolitik der USA, auch auf internationaler Bühne. Als besonders problematisch in der Beziehung der Bundesregierung zu den indianischen Tribes hat sich das „Bureau of Indian Affairs“ als Abteilung des Departement of the Interior herausgestellt. Diese schon früh eingerichtete Stelle verhielt sich im Regelfall zu Ungunsten der betreuten Tribes und verlor auf bis heute ungeklärtem Weg großen Summen an treuhänderisch verwaltetem Geld. Auch läuft die Anerkennung der Tribes durch die Bundesebene über das BIA. Nur solchermaßen anerkannte Tribes erhalten Gelder aus den Förderprogrammen. Der einzelne Native American ist einerseits Angehöriger seines individuellen Tribes, andererseits aber auch US-Bürger. Nach jahrhundertelanger starker Abnahme der Bevölkerungszahl ist seit einigen Dekaden eine Umkehr zu beobachten, so dass die indianische Bevölkerung der USA wieder signifikant zunimmt und heute über 4 Mio. Personen sich zumindest auch als Indianer fühlen und etwa 2,5 Mio. als „Nur-Indianer“. Die Native Americans leben auf Reservaten, aber auch in den Großstädten. Die Verteilung in den verschiedenen Gebieten der USA ist sehr ungleich und eine Vielzahl von Reservaten und dort lebender Indianer sind durch große Armut und schlechte Sozialdaten gekennzeichnet. Der inneramerikanische Rechtsstatus der Native Americans ist hauptsächlich durch die Rechtsprechung des US Supreme Court festgelegt worden. Berühmtheit haben dabei die Urteile aus der „Marshall-Trilogie“ erlangt, in denen der erste Chief Justice in widersprüchlicher Weise versucht hat, den Status der Indianernationen abschließend zu klären. Dabei bewertete er den Status der Indianer auch unter Einbeziehung völkerrechtlicher Einflüsse. Damit bleiben die Urteile bis heute bedeutsam, wenngleich sie wegen ihrer Inkonsistenz und fehlerhaften Ableitung kritisch zu betrachten sind. In einer kaum überschaubaren Fülle an Urteilen hat der Supreme Court zur Frage der Souveränität der Indian Nations und deren Jurisdiktionshoheit über ihr Reservatsgebiet ebenso Stellung genommen, wie zur Weitergeltung der ursprünglich eingegangenen Verträge. Besonders häufig streiten sich Tribes und nicht-indianische Beschwerdeführer über den Inhalt der Bodennutzungsrechte. Am Beispiel des Schutzes der Religionsausübung lässt sich zeigen, dass sich der US Supreme Court dem Anschein nach in den letzten Jahren wieder mehr von den Indian Nations abwendet und verstärkt den Bundesstaaten Kompetenzen zuerkannt wird. Wegen des „judicial restraint“ hält sich der Supreme Court für unzuständig, über politische Fragen zu urteilen, was immer dann der Fall ist, wenn es um die Beurteilung von Handeln des Kongresses in Indianerangelegenheiten geht, da dieser wegen der „plenary powers“-Doktrin theoretisch jederzeit volles Verfügungsrecht über alle Rechte der Indianer hat. Auch ist dem Supreme Court vorzuwerfen, dass er es an einem stimmigen Gesamtkonzept vermissen lässt. Daher ist es nicht ver-

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wunderlich, dass es bis heute zu kaum nachvollziehbaren Betrugshandlungen an verschiedenen Tribes kommt und auch die Politik hier nicht immer in der Lage ist, zu einer akzeptablen Lösung zu finden. Kapitel 4: Selbstbestimmungsrecht und Native Americans Obgleich die USA zu den frühen und vehementen Verfechtern individueller Menschenrechte zählt, ist sie bis heute völkerrechtlichen Menschenrechtsverträgen gegenüber zurückhaltend und skeptisch geblieben. Dies gilt auch für den IPbpR. Grundsätzlich hat der Präsident eine Vertragsabschlusskompetenz, die in jedem Fall einer Zustimmung durch den Senat bedarf. Einmal ratifiziert, wirken Verträge wie Bundesrecht. Diese können zwar nachträglich abgeändert werden, dies ändert aber nichts an der völkerrechtlichen Seite zur Beachtung der eingegangenen Verpflichtung. Bei der späten Ratifikation des Menschenrechtspaktes hat die USA wie auch bei anderen Verträgen zum Ausdruck gebracht, dass sie die Vorschriften für „non-self-executing“ hält und dass sie auch keine weiteren Umsetzungsmaßnahmen vornehmen muss, weil ihre innerstaatliche Gesetzeslage den gleichen Schutz vermittle. Dagegen ist einzuwenden, dass es sich bei dem pauschalen Vorbehalt um eine ungültige Einschränkung der Wirkungsweise eines Menschenrechtsvertrages handelt. Auch der Menschenrechtsausschuss kam zum Schluss, dass die USA in unbeachtlicher Weise versucht, den IPbpR zu übergehen. US-amerikanische Gerichte haben nach alledem die Pflicht zur Beachtung des Paktes in inneramerikanischen Streitigkeiten, wenn nicht die Verfassung den gleichen oder weitergehenden Schutz bietet. Damit wirkt auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker trotz des Vorbehalts und der Erklärungen als vollwertiges Recht in den USA. Die Native Americans weisen als Gesamtgruppe alle Merkmale eines indigenen Volkes auf und sind daher als solches zu kategorisieren. Es ist offenkundig, dass auch einzelne Tribes die Voraussetzungen erfüllen können bzw. prima facie erfüllen. Es bedarf im vorliegenden Kontext jedoch keiner Einzelfalluntersuchung. Die Bundesregierung der USA hat nach jahrzehntelangem Zögern auch auf internationaler Ebene ihren Widerstand gegen die Einordnung der indigenen Völker als Selbstbestimmungsrechtsträger aufgegeben und verwendet die Begrifflichkeit nun ebenso wie im nationalen Recht. Jedoch äußern Regierungsvertreter in jüngerer Zeit teilweise, dass diese Art indigenen Selbstbestimmungsrechts vom Selbstbestimmungsrecht im völkerrechtlichen Sinne zu unterscheiden sei und lediglich tribal self-government meine. Aus diesem Grunde und weil die Aushandlung der letzten Textfassung der Deklaration im Menschenrechtsrat und damit nicht unter Einbeziehung aller Staaten – die USA etwa waren bislang im Menschenrechtsrat nicht vertreten – geschehen war, stimmte die USA auch gegen die UN-Deklaration über die Rechte indigener

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Völker. Jedoch anerkennt die Regierung die Geltung des Selbstbestimmungsrechts aus dem IPbpR und dessen Anwendung auf die indigene Bevölkerung, weil in den Staatenberichten an den Menschenrechtsausschuss die Darstellung der Situation der American Indians im Kapitel der Umsetzung des Art. 1 IPbpR erfolgt. Die Native Americans können heute keinen Anspruch auf Eigenstaatlichkeit geltend machen, da sie nicht unmittelbar in ihrer physischen Existenz bedroht sind. Die USA muss dagegen intensiv nach Möglichkeiten suchen, den Indian Nations im Rahmen des Verbleibs im Staate weitestgehende Autonomierechte zu gewähren und diese durch vertragliche Vereinbarungen festzulegen. Die inhärente Souveränität der Tribes, die weiter besteht, eröffnet einen Anspruch auf Rückgabe rechtswidrig enteigneten Landes bzw. hilfsweise eine Entschädigung. Im Rahmen gemeinsamer Vereinbarungen ist zu prüfen, wie die Nutzung eines Territoriums zum gemeinsamen Besten „geteilt“ erfolgen kann. Auch ist der Weg der Compacts zwischen der Bundesregierung oder Staaten und den Indian Nations im Rahmen des Tribal Self-Governance-Projects mit der Rückübertragung zahlreicher Kompetenzen, die auch die Mittelverwaltung einschließt, ein zukunftsfähiges Modell. Es ist aber dafür Sorge zu tragen, dass die Native Americans die Gelegenheit erhalten, sich von den aufgesetzten Stammesverfassungen und -regierungen zu lösen und sich wieder traditionelleren Stammesstrukturen zuwenden zu können, wenn sie dies wünschen. Den Indian Tribes sind nicht nur Selbstregierungs- und -verwaltungsrechte zuzugestehen. Vielmehr ist ihnen, gerade im Blick auf benachbarte Tribes in anderen Staaten, auch die Pflege internationaler Beziehungen zu ermöglichen. Die kulturelle Selbstbestimmung fordert nicht nur die Möglichkeit der eigenverantwortlichen Erziehung und Schulbildung, sondern auch eine staatliche Unterstützung zur Durchführung von Sicherungsmaßnahmen für den Erhalt von kulturellen Bräuchen und Gegenständen. Auch sollte die neue Vertragsabschlussphase genutzt werden, um dem Anspruch auf Wiedergutmachung zu genügen. Dies kann in Form von Entschuldigungen für vergangenes Unrecht geschehen und durch Zahlung von Entschädigungen. Schließlich sollte sich die USA nach Abschluss der Vereinbarungen zur Auslegung von Streitfragen einem internationalen Streitschlichtungsorgan unterwerfen. Diese und andere Schritte sind Bestandteile in einem Gesamtbild, das die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts indigener Völker für die Native Americans zum Ziel hat und sich in ein Gesamtbild eines völkerrechtlichen Selbstbestimmungsrechts indigener Völker einfügt.

English Summary

Table of Contents Preface and Introduction .........................................................................................

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Chapter 1 The right of self-determination A.

Historical development of the right .................................................................

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B.

Legal quality of the right .................................................................................

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C.

Legal substance of the right ............................................................................

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D.

Examples for the use of the right and change in international law ..................

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Chapter 2 Indigenous Peoples in Public International Law A.

Terms and Definitions .....................................................................................

569

B.

Indigenous Peoples as a specific legal category in international law ..............

569

C.

Examples for rights of Indigenous Peoples .....................................................

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D.

Specific State examples for the treatment of Indigenous Peoples ...................

574

Chapter 3 The Indians in North America – History and Legal Status A.

Historical Overview and Situation of Indigenous Peoples in the USA ...........

575

B.

Status of Native Americans according to US Law ..........................................

578

Chapter 4 Application of the right of self-determination to Native Americans and possible ways for implementation A.

International Law in US Law under special consideration of the Human Rights Covenant .......................................................................

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B.

Native Americans and the Right of Self-Determination ..................................

580

C.

Proposals for implementation and problem solutions .....................................

582

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English Summary

Preface and Introduction This work was written as a PhD thesis during my time as a research assistant at the Johannes Gutenberg University of Mainz (Germany). It attempts at analyzing the right of self-determination in international law with a view to Indigenous Peoples as possible bearers of the right. The general results should then be tested against one of the most interesting and relevant cases of an indigenous population still visible as a distinct community and at the same time under a very special national legal framework, which is why the Native Americans in the United States of America were chosen. It is my hope that the work can contribute not only to the academic discussion of the right of selfdetermination but also can be of interest to persons beyond that circle and maybe even give some possible clarifications to this highly disputed topic which still is reason for intense conflicts today. This English summary, as brief and incomplete as it may be, shall enable a decision on whether it is worthwhile finding out more about the work even if German is not the first language of the reader. In addition an earlier work can be pointed out in which first steps in the direction of the research conducted here in the PhD thesis were taken and which is available in English (Cole, Mark D., The Right of Self-Determination of Peoples and its Application to Indigenous Peoples in the USA, in: Cole, Mark D./West, Ronald, The Right of Self-Determination and its Application to Indigenous Peoples in the USA. The Mueller-Wilson Report, Beiheft 16 to the journal VRÜ – Verfassung in Recht und Übersee, Nomos, Baden-Baden 2000, p. 11-66). The PhD was awarded in the winter semester of 2003/04, but publication of the result was delayed when it became obvious that the United Nations General Assembly would in the near future finally vote on the Declaration on the Rights of Indigenous Peoples. As this is one of the core aspects of this work it was worth seeing the Declaration being passed instead of limiting the analysis to the draft of the declaration. In an introduction the current status of research is shown and the motivation for choosing this subject is explained as well as the structure of the work. In short, the right of self-determination of peoples as well as Indigenous Peoples as a category in international law refer to two of the most current and highly debated topics of public international law. They are in a potential contradiction and there is good reason to analyze these two in combination today, after Indigenous Peoples had been marginalized not only in reality but also in academic terms in the treatment of international law for a long time. Self-determination as a right of peoples has been strongly promoted by the United Nations and since about twenty years there has also been a strong support for the issues of Indigenous Peoples which found its temporary culmination in the General Assembly passing with a clear majority the United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples in September 2007. In

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its Article 3 the right to self-determination is assigned to Indigenous Peoples. Whether and how this can effect on the legal status of Indigenous Peoples in general and the Native Americans specifically is what this work is about. The following overview follows the four chapters in the German original (the fifth being the conclusion and summary) and picks up the main headings but combines them in part. Chapter 1

The right of self-determination A. Historical development of the right The right of self-determination in its meaning today has its origins in the revolutionary movements of the 18th century. It was used in the context of liberation of Nation-States from oppression or alien government which is why it was understood for a long time as being an idea connected to States. One can find first theoretical interpretations of the right from before WW I, whereby a socialist concept develops that is supposed to protect States from being conquered by others. In this sense, the right actually was explicitly granted to the States that were members of the Soviet Union, although in practice the right was worthless for these. More importantly, US President Wilson developed an idea of a post-war order at the end of WW I and included the principle of selfdetermination as a guiding force for the re-structuring of the European landscape at the expected end of the war. Although the principle did not find its way into the peace treaties it did influence the creation of minority protection regimes that were installed in the framework of the League of Nations. It was not included in the founding treaties of the League, but in 1920 there was a first arbitration procedure concerning the Åland islands and the dispute between Finland and Sweden in which self-determination was referred to as a principle which could be of relevance for peoples deciding about their status via a certain State when States are newly created. But it was not until the founding of the United Nations after WW II that the right to self-determination came to full blossom. It was included as one of the main goals of the newly found international organization in Art. 1 para. 2 of the Charter and is repeated in Art. 55. According to this, it is the purpose of the United Nations to “develop friendly relations among nations based on the respect for the principle of […] self-determination of peoples”. Although at the time of inclusion the instrument was mentioned as guiding principle and therefore had only a limited scope the further development raised its importance and puts the Charter principle in a whole new light today. The most important context in which the principle was applied was in the decolonisation period when former colonies were assisted into independence, which meant that

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the formerly oppressed peoples could realize their self-determination by founding own, new States. There are numerous decolonisation declarations in which the right is taken into account. More importantly, however, was a parallel development, in which the General Assembly opened up for ratification the Human Rights Covenants. These were intended at creating a legally binding version for the signatory States of the UN Universal Declaration of Human Rights of 1948. In 1966 two different Covenants were passed, one being the “International Covenant on Civil and Political Rights”, the other the “International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights”. In their common Article 1 the right of self-determination is guaranteed for all peoples and defined in its meaning (cf. page 57 in this work). The unlimited formulation of the right both in scope and in potential bearers of the right in the Covenants is a significant step forward as it makes the right part of treaty law in International Law and thereby gives potentially legal binding force. The majority of States in the world today have ratified the CCPR which makes it a universal source. An even more extensive definition and consequences of the right of self-determination for the peoples is contained in the so-called “Friendly Relations-Declaration” of the UN General Assembly and which summarized what was believed to be the current state of the right to selfdetermination in 1970. It is an often-referred to instrument and it has also been very relevant for the development of the prominently mentioned right to selfdetermination, especially as it removed all doubts whether there could be an extension of its applicability beyond the decolonisation context. The UN continued to take the right into account in further situations especially when focusing on the protection of human rights not only of the first generation but also in a modern interpretation. This was very relevant in the Vienna Conference on Human Rights in 1993 where the connection with a government that fully represents the people of within that State was drawn clearly. As mentioned above within the United Nations, first in the International Labour Organisation, later in the Human Rights department, Indigenous Peoples were increasingly regarded as an important area for UN work and ILO Convention No. 169 included the internal aspects of the right to selfdetermination. The breakthrough was achieved when the UN General Assembly after nearly two decades passed with a large majority – four States with large indigenous populations, the U.S., Canada, Australia and New Zealand voted against it – the Declaration on Rights of Indigenous Peoples. Because a long period of time elapsed in drafting the Declaration and because of the intensive contribution by Indigenous Peoples there is extensive material for consideration when trying to determine in which sense Art. 3 of the Declaration with the provision on self-determination was meant. Before looking closer into this development further references to the right should be mentioned: both in the Final Act of the Conference on Security and Co-

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operation in Europe from Helsinki 1975 as well as in the further work of the OSCE the right of self-determination is mentioned as an essential right and again clearly going beyond the decolonisation context as it was addressing Europe, a geographical area that was not subject to colonisation. The right has even found its way into a human rights convention, the African Union’s Banjul Charter (African Charter on Human and Peoples’ rights”. B. Legal quality of the right The legal quality of the right of self-determination has to be analyzed for customary and treaty law independently. In the UN Charter there was only mention of the right in the sense of a guiding principle, the inclusion in the Covenants leaves no doubt as to the right of self-determination being an element of public international law which can create legally binding obligations. In addition the right is extended in the Covenants to also covering internal aspects. The General Comment on Article 1 of the Covenant by the monitoring body, the Human Rights Committee, states clearly that the Committee expects reporting States to explain how the right has been implemented. Even the individual complaints procedure has been used in several occasions with reference to self-determination by Indigenous Peoples’ representatives. Although Article 1 is separated from the other elements of the CCPR it is still a right which can be used in legal proceedings and has the same value as the more traditional human rights that are contained in the other articles. The complaints by the Indigenous Peoples were in principle looked into under Article 1 but then rejected mainly because an individual could not base his complaint on a provision that needs to be used collectively. The inadmissibility decisions left a number of questions open which are dealt with in the relevant chapter of this work. When analysing whether the right of self-determination exists as customary law one needs to take some special circumstances into consideration, one of them being that the quantity of situations in which the right can apply is limited and therefore there is little state practice. Although the usual two step test of having a general behaviour (consuetudo) and a conviction that this behaviour is legally prescribed (opinio iuris), the standards relating to state practice have to be modified. Beyond actual application the behaviour on international conferences and in negotiations of treaties or declarations with the right of selfdetermination is to be counted as amounting to consuetudo. The legal opinion can also be derived from the fact that the majority of States have entered into treaties creating a legally binding right of self-determination such as in the Human Rights Covenants and in doing so advancing self-determination from a principle to a right. A further important step that contributed to the development of a customary right of self-determination was the Friendly

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Relations-Declaration which was passed after intensive preparation and with the clear goal of stating legally binding principles of public international law guiding behaviour between States. The ICJ stated this possibility in the famous ruling in the case of Nicaragua/United States of America. Customary law and treaty law add to each other and confirm that today there can be no doubt as to the legal quality of the right of self-determination. Essentially, this is today a right in its full meaning that creates obligations and calls for consequences in case of breach. This conclusion is supported by the ICJ jurisprudence that had to define the right in several decisions. Several border dispute cases in Africa that arose after decolonisation, the Nicaraguacase but most importantly the East-Timor-Case of 1995 – even if it was not decided on the merits – underlined the role that the right of self-determination has legal quality and is even one of the “essential principles of contemporary international law”. Beyond this there is strong support for the argument that the right of self-determination belongs to the elements of ius cogens and is therefore universally binding and non-derogable. Especially the work of the International Law Commission on State responsibility strengthens this view which does not mean that the right can be seen independently of the conflicting rights and principles in which framework it has to be exercised. C. Legal substance of the right In analyzing the legal substance of the right of self-determination one has to differentiate between potential bearers of the right – the subject – and its actual substance, the different aspects covered by the right – the object. Concerning the holders of the right one has to define the meaning of “peoples” which can again be done by objective and subjective criteria. It has to refer to groups which according to certain criteria and the conviction of belonging to this group have retained some form of distinction. There are different kinds of peoples which fulfill this category. At first peoples in this sense is the people of a State, the “nation”, which for a long-time was seen as an equivalent to the State, especially as the preamble of the UN Charter which deals with the relationship between States starts with the words “We the peoples of the United Nations”. Beyond citizenship as common criteria for a people the applicability to colonial peoples, meaning peoples that had been suppressed in colonies by the colonizing States, is undisputed. Although on first view the uti possidetis principle that guided decolonization as respecting the borders for the newly found States along the ones existing during the colonial period seems to neglect the creation of States by each people, this is a specific case of application that does not damage the actual broadness of the meaning of “peoples”. Most relevant today is in line with this the question of ethnic groups within existing States as potential bearers of a people’s right if they can be clearly

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distinguished from the majority or dominant nation-population. In the relevant chapter of this work the different attempts at defining peoples in this sense are analysed and also differentiated from the definition of minorities which can but not necessarily must be a common result. The decisive element in the objective criteria and also the one that extends such ethnic groups from being just minorities is the territorial connection. The aspect of having a special relationship to a specific territory and also seeing this attachment to the territory as an important part of the group’s life is the reason to create a further category of peoples with the rights assigned to them as to any other form of people. The substance of the right can be differentiated between an offensive and defensive form of realization. The offensive right of self-determination is directed externally and usually relates to the new definition of borders, the form of political organisation and thereby in other words the definition of the status in international relations. This was especially relevant for the peoples seeking independence in the process of decolonization. The main controversy about the right arises from the question whether this offensive form of self-determination entails under certain circumstances also the right to secession. As such a right has an impact on the territorial integrity of existing States it has been strongly opposed with the argument that it would be in conflict with other basic principles of public international law. It can be shown that beyond opposition of the States for obvious reasons there is place for the existence of a right to secession. This was extensively analysed by the Supreme Court of Canada in its famous reference on the admissability of a secession of Quebec. Little disagreement exists on the acceptance of a right to secession as an expression of a state of emergency. In this case a peoples that is endangered of being extinguished by a State has the right as an ultima ratio to secede from this State. More relevant in nearly all cases will be the forms of realization that leave the State as a whole untouched but will lead to an internal re-organisation. Here especially the concept of autonomy provides solutions for continued parallel existence of a majority or dominant peoples and a peoples in the sense of an ethnic group in one State. Autonomy refers to different forms of sub-state “independence” which allows the autonomy groups to self-govern their own political matters. Autonomy in today’s sense is an indefinite legal term that requires precise establishment and allows for granting groups special rights either in an individual’s capacity as member of the group or on a specific territory which is typically linked to that group. Ideally, in view of ethnic groups, combined forms of autonomy should be achieved which support group individuals and the survival of the group in its distinct form on a specific territory. The examples shown in this work give an idea of flaws and advantages of autonomy solutions by briefly analysing some concrete cases like the one of South Tyrol. The defensive right can take further possible shapes

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such as the organisation of a State in a real federal system or it can be understood as a necessary complex with democracy in which the system has to guarantee that all groups in the State are represented in its organisational bodies. In conclusion the right of self-determination has to be seen as a hierarchical right. Because it is closely connected to other principles of public international law such as the prohibition of the use of force, the guarantee of world peace and only limited exceptions of this principle, it cannot be seen independently of these. Typically, a demand for self-determination will therefore have to be sought by means of a plebiscite or negotiations, only under very limited circumstances military acts or the use of force are imaginable. The international community can and should play a prominent role in the management of justified demands for self-determination in order to avoid danger for world peace. An important aspect is to define legitimate representatives of the peoples that are involved in a process of using their right to self-determination. The right is a continuous right and is not extinct after it has used e.g. by a colonized people in the creation of a new independent State; even after that a group within that newly found State might at a later point seek some form of internal self-determination. The solution in a workable right of self-determination is to see it in hierarchical steps whereby peoples principally have the right to claim it in its internal facets. If this is constantly neglected by the majority peoples or the State organization and this leads to the danger of physical or cultural extinction of the peoples concerned it may flip over to its external aspects in which even a change of borders is possible. D. Examples for the use of the right and change in international law The right of self-determination has been used or referred to in many instances. Even long after the big wave of new States being formed after decolonisation the right is of relevance and was called upon after the collapse of the former Eastern Bloc, in the breakup of the former Yugoslav Republic, but also in the Israeli-Palestinian-conflict. Today its main range of application is in ethnic conflicts in which groups or movements within a State seek some form of liberation or emancipation from the majority structure and do so in claiming their use of the right of self-determination. As is shown in the further chapters of the work this includes Indigenous Peoples as a special category. In the context of the analysis of the right of self-determination one can also see an accelerated change of public international law reflecting today’s global situation. Examples mentioned in this work is the increasing acceptance of interventions for the protection of human rights of people endangered by their home State, the principle of peaceful change that has been developed by a scholar as a demand to States that they continuously adapt to situations

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previous to violent conflicts erupting. Also, the “waning of the sovereign State” in an increasingly complex and interwoven world allows stronger focus on substate entities and decision-making on this level as a compensation for the move of sovereignty to a supranational level. These elements add to the impression of a faster change in a dynamic system of public international law today that also extends the right of self-determination beyond its original limited meaning.

Chapter 2 Indigenous Peoples in Public International Law A. Terms and Definitions There are numerous possibilities of addressing the groups covered by this work, many of which are highly problematic today due to historical roots. Especially in the context of the UN the term “Indigenous Peoples” has established itself as the most adequate term encompassing both the peoples one wants to include and expressing their special status already in the term. Although one can identify many aspects with these Indigenous Peoples that distinguish them from the – typically – majority and dominant State population the former focus on “racial” traits is regarded as the wrong approach. Covered by the term Indigenous Peoples are around 3000-5000 groups globally with around 300-500 million members that – in a simplified summary – have common language, history, culture and a special relationship to the land inhabited by them. Many attempts by international organizations and scholars at defining more exactly the meaning and required elements of “Indigenous Peoples” have not let to a unified understanding, although – as the work shows in that chapter – there are a lot of similarities. The UN Working Group on Indigenous Peoples refrained from first agreeing on an exact definition, an idea that was upheld right until the passing of the UN Declaration on the Rights of Indigenous Peoples by the General Assembly, but instead concentrated on selfidentification by the individual members and the peoples concerned. However, a working definition was still used to exclude those persons that evidently did not belong to the category of Indigenous Peoples. This work here presents after an overview of the different definitions and attempts an own summarising position and differentiation against the definition of “minorities”, which also – like most existing definitions – has as a strong indication the special attachment to land and territory. B. Indigenous Peoples as a specific legal category in international law Indigenous Peoples of the world have a long and variable history. Originally, in many areas they had developed well-functioning societies of high

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organisational complexity. On the American continent for example it was not until the contact with the European States in their move to expansion or conquest that the indigenous societies were massively diminished and suffered severely. The conquest was based on an idea of instruction by good to extend their sphere of influence to the “new” continent. This quest was covered by papal bulls but in reality the incoming European conquerors did not ignore or directly extinguish the persons they found in the territories. Instead they started exchange with them and not seldom in later time concluded treaties on their relationship with them. The goal was the same but in that way the conquerors wanted to reach acceptance of their behaviour in order to leave no doubt about their legitimacy. This more careful approach was also promoted by an early form of theoretical international law in Spain that tried to give the conquest a more acceptable direction and demanding that the population of the “discovered” lands be treated as having rights. However, these demands were not respected in the actual conquest and instead the idea of the “savages” being entitled to no rights was purported. Nonetheless, in combination with actual behaviour in the “discovered” territories it seems that this idea was not actually legally valid as it was not followed by the States. In some areas the conquest was only accompanied by brutal warfare against the indigenous population but elsewhere from a very early stage onwards treaties were concluded not least in making the Indigenous Peoples allies in the warfare between the colonial powers. This was especially the case in the territory that later became the USA. These treaties and agreements as well as the status of Indigenous Peoples as a whole later lost their standing on the level of international relations, because the treatment of what used to be the original inhabitants was “domesticated”, i.e. transferred to the inner-state level. Therefore early arbitration at the beginning of the 20th century concluded that Indigenous Peoples and those treaties had no status in public international law. This happened at a time when States turned to assimilation of the indigenous population into the dominant society. Again, in most States this policy had devastating effects but did not lead to an extinction of the distinguishable groups. It was not until after decolonisation that these (remaining) Indigenous Peoples started with more self-confidence to claim their rights also under international law and thereby generating gradually attention from all over the globe. Indigenous Peoples’ legal position in treaty law is a clear indication of a return to their original position as stakeholders in the international arena. Especially the International Covenant on Civil and Political Rights is relevant in the analysis of their status. The Human Rights Committee has contributed with its opinions on establishing a special status of the Indigenous Peoples, but several occasions were left unused to define the status more precisely. This is

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due to the HRC approach of declaring Art. 1 of the Covenant as legally binding but not a right that could be used in an individual complaint. The decisions contained substantive responses as the HRC used the minority protection article 27 to grant the complainants rights and an obligation of the States to respect this special group. The analysis here covers in the relevant chapter all important decisions by the HRC which make clear how strong the position of Indigenous Peoples is although they cannot for formal reasons make Article 1 applicable. In addition the Committee on the Elimination of Racial Discrimination also checks the legal and actual status of Indigenous Peoples in its monitoring work and demands from the reporting States that they explain how discrimination is avoided in law and practice. In the last decades of the 20th century Indigenous Peoples were given a quickly increasing amount of attention in all UN departments. It was noteworthy that the International Labour Organization’s convention of 1957 that was guided by assimilation policies was completely revised in ILO Convention 169 of 1989. In the former Human Rights Commission studies were initiated to find out more about the situation of Indigenous Peoples which first resulted in the Cobo-Report in the 1980s. One of the consequences was the founding of a Working Group on Indigenous Populations in which indigenous representatives were involved from the very beginning and for the first time could directly utter their difficult situation at the UN on a political level. The Working Group prepared a draft for a Declaration on the rights of Indigenous Peoples in 1994. The States demanded a more intensive discussion of the draft and founded a second Working Group on the Draft Declaration which worked for a little more than ten years on the draft text. To increase the visibility of the problems but also the work prepared by the UN the International Year and Decade for the World’s Indigenous People started in 1995. Apart from initiating the Declaration the Working Group on Indigenous Peoples followed up with several further studies on areas in which there needs to be action taken such as the protection of the cultural and intellectual property of Indigenous Peoples, on the continued validity of treaties originally concluded in the conquest. To make the representation of the Indigenous Peoples at the UN more continuous a new “Permanent Forum on Indigenous Issues” has been installed. Also, in the Rio Declaration on Environment and Development as well as the World Conference against Racism the Indigenous Peoples are included specifically. Most importantly, at the beginning of a second Decade for the World’s Indigenous People the draft of the Declaration was finalized, passed by the newly found Human Rights Council and then in September 2007 found a large majority in the General Assembly. This trend was not limited to the UN, the Inter-American human rights mechanism in the OAS followed by working on an own draft Declaration on

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the rights of Indigenous Peoples which has not yet been finalized to date. But in the famous Awas Tingni-case the Inter-American Court of Human Rights held Nicaragua guilty of not fulfilling necessary steps for the protection of an area of the Maya-people against forestry. It is especially in the States of South America that in recent years there has been a political trend towards giving back power to the indigenous populations and in some cases even passing new constitutions reflecting this change. In sum, regional and global developments lead to the category of Indigenous Peoples coming to be a “new, old” subject in international law. C. Examples for rights of Indigenous Peoples This work continues to analyse a number of legal positions which Indigenous Peoples can claim today. Although the Declaration on the Rights of Indigenous Peoples is itself not legally binding as it is a resolution of the UN General Assembly, it can serve as a blueprint to show the extent of some of the rights. The 46 articles of the Declaration mainly describe diverse rights concerning the indigenous individuals and groups e.g. relating to the membership, to the political status of the community, to land rights and rights to culturally distinct life. In addition the Declaration also contains obligations for the States to protect and support the possibility for upholding the distinct way of life. A very important aspect of the Declaration which is only restating a principle of international law is the respect of concluded treaties which especially means that land rights agreed on in the early times of European conquest by treaties and similar forms of agreements are valid and need to be respected. In interpreting these treaties today a position should be taken that is advantageous for the Indigenous Peoples as originally the treaties were concluded similar to inter-State treaties and very often the indigenous side was later cheated on the content of the agreement. An extensive study conducted in the UN supports this holding and gives indications as to how to reconcile the situation. The treaty-related rights as well as the cultural rights in the Declaration have a collective force. In comparison to the other rights of the Declaration the right of selfdetermination of Indigenous Peoples is the most significant and many of the other articles can be seen as a concretization of this overarching right. Accordingly the right is enclosed in Article 3 of the Declaration explicitly and Article 4 proposes autonomy arrangements as the most obvious way of realizing the right. Such arrangements contribute to upholding the territorial integrity of a State, an aspect which the Declaration also proposes in Article 46 by clarifying that none of the rights in the Declaration is meant to disregard other elements of international law. Those states with significant indigenous populations have been asked for explanations about their treatment of the

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indigenous population under Article 1 CCPR in their state reports. Also, a large number of them expressed support of the rights Declaration including the selfdetermination principle. This was frequently expressed with a reservation about the extent of the right and especially the understanding that it could not affect the territorial status of that country. The reluctance of accepting the right of self-determination without any clarification or reservation is due to the fear of being confronted with secession demands. As shown above, the right only in its last hierarchical level and only in extreme circumstances allows such territorial changes which is why the fear is unfounded. When the UN Declaration was passed the vast majority of States (close to 150) accepted the final version of the text with its reference to the right of self-determination and only the United States of America, Canada, Australia and New Zealand rejected and less than a dozen abstained. Although the rejecting States are important in terms of their indigenous populations their no-votes were not fundamental opposition but they were unsure about whether there were not elements that were unclear in their meaning and especially New Zealand made clear that it fully supports the rights of the Maori people but was fearing that the Declaration was applicable to context beyond the ones protected already by national law. Australia has since changed its position and expressed its support for the text and a full-turn from the original skepticism due to the inclusion of the right of self-determination. This leaves an opposition only with Canada and the United States of America. The latter had in the negotiations originally (and at the time of passing the Declaration) expressed that it did not believe in including the right of selfdetermination in its meaning from public international law but that it should have been expressed differently in the sense of self-government. In actual fact the position of the US and its behaviour in the CCPR-context regarding the Native Americans makes this only a terminological conflict as in substance the right has already been accepted. Also, Canada did not neglect the rights of Indigenous Peoples as a whole because there have been significant constitutional developments advantageous to the First Nations, but the reason for voting no had to do with the fact that Canada did not see a common compromise found before the text was put to a vote. The application of the right of self-determination in the sense explained here allows Indigenous Peoples being characterized as “nations within” if they have upheld a distinct society from the dominant society and have a special relationship to the lands inhabited by them. Application of the right of selfdetermination will usually and ideally be sought in form of autonomy arrangements transferring to the most extensive point self-governing rights to the Indigenous Peoples. Such arrangements should ideally be subject to some form of international monitoring. This form of observance similar to human rights obligations on the level of international law would account for the original position of Indigenous Peoples as being on the same level as their

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home states. In the original draft Declaration such an international enforcement of the position of Indigenous Peoples was foreseen, but in the final version the explicit mention of an arbitrary mechanism was omitted. Instead there is a general provision that obliges the States but also the international community to work on achieving the rights and goals as proposed by the Declaration. D. Specific State examples for the treatment of Indigenous Peoples This chapter of the work ends with an overview of the political and legal status of Indigenous Peoples in several States. The first country analyzed is Canada where the new constitution of 1982 explicitly mentions the First Nations and that has had the geographically largest change of its territory with the creation of Nunavut, a new territory in the North for the benefit of the Inuit. Court decisions in favour of the indigenous population and the validity of treaties concluded with them have led to return of land and damages granted to several of the First Nations. Politically, very recently a process of excuse and reconciliation has been pursued. In Australia the last decades have brought major changes in the situation of the Aborigines. In the landmark case of Mabo v. Queensland the High Court decided that native title to land exists and were this has not been given up or extinguished it is still valid today and give the indigenous inhabitants the rights to the use of the traditional lands. In practice many land claims have not or only partly been successful but the Court’s decision clarified the special status of the Aborigines. Consequently, political structures were adapted to enable participation of this part of the country’s population and a special Commission was founded which is integrated into the decision-making process if matters are concerned that could negatively impact the social life of the Aborigines. Recently, Australia has moved forward in large steps in the reconciliation process and has formally stated an apology especially for the long period in which indigenous children were separated from their families and “re-educated” in boarding schools. New Zealand is somewhat different as the rights of the Maori are completely derived from the Treaty of Waitangi of 1840 with which the British Crown tried to settle the use of the newly “conquered” territory completely with the representatives of the indigenous population. A tribunal that decides on individual claims based on this treaty was established in 1975 and has since settled many of the conflicts. Courts have initiated a process in which the government now followed in returning large portions of land or paying high payments of compensation for illegal use of land. Even though in the end New Zealand did not vote for the Declaration it was one of the strongest supporters of the Declaration in its drafting phase. The States in South America have seen a renaissance of indigenous culture and life in recent years and in several countries indigenous persons have moved up in the political hierarchy and even in some cases have become heads of State or government. In Mexico there was a development in

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this direction, but also Peru, Bolivia and Brazil are examples that are proof of a changing policy. In Europe the Sami in the Scandinavian States have own representations in the national Parliaments or have own parliamentary bodies involved in legislation.

Chapter 3 The Indians in North America – History and Legal Status After having dealt with the right of self-determination on the level of international law and having clarified the meaning of Indigenous Peoples as a category, the next chapter of this work is about the Native Americans in the United States of America. As this part of the work shows the Indigenous Peoples in the US are an especially good example to show applicability and consequences of the right of self-determination. The special constitutional status granted to the Indian Nations and Tribes and the complex jurisprudence of the US Supreme Court in this context make it necessary to first take a look at the inner-American situation before contrasting this with the international law level. A. Historical Overview and Situation of Indigenous Peoples in the USA Although there is no common use of a term when talking about the indigenous population in the US, in this work “Native Americans” is used mostly, without limiting the use of other expressions such as “Indian Nations and Tribes”, “American Indians” and others that express certain aspects more clearly, e.g. the position in a government-to-government relationship with the federal government. Historically, the experience of the Native Americans coincides with that of Indigenous Peoples in most places of the world: the “conquest” of the American continent started in the territory of today’s US already in the 16th century and resulted quickly in damage to the life of the Natives that came into contact with the white settlers, not only by direct force, but also by diseases brought from Europe to the new settlements with which the Indians could not cope in the same way and the adverse effects to the organization of their societies by the different economic structures of the white communities. On the other hand, from the very beginning the Native Americans were regarded as a strong force and therefore the European States tried to enter into coalitions with this and use them as allies in their wars between each other about the influence in the new “hemisphere”. With the founding of the new independent United States of America the treaties were taken over. Especially at the beginning the Congress attempted at finding solutions for the acquisition of land from the Indians which would be legally valid and allow for a secure expansion as far as

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the settlers are concerned. This was seen as a matter of government and not a private transaction which is a further proof of the special status awarded to the indigenous communities. Accordingly, the Constitution mentions the Native Americans as separate entities which are not taxed and with whom commercial relations are dealt with by the federal level directly, taking away competencies from the individual States. In the first hundred years of the US more than 800 treaties were concluded with the Native Americans of which the Senate ratified nearly 400. Many of these disadvantaged the indigenous parties by using other words than what was suggested to the negotiating representatives and in addition the majority of the obligations were increasingly disregarded. Maybe most famously the Supreme Court has criticized such breach of treaty in its decision concerning the Black Hills of the Sioux. When the white settlements moved West because of demand for new territory the Native Americans were subjected to a “removal” policy that tried to convince them to move into specific areas assigned to them and then were forced to do so. These reservations were supposed to guarantee a long-term solution according to the Indian Removal Act, but this proved to be wrong, especially as the reservations were constantly moved further West or diminished in size. There was significant resistance against this expansion of the white settlers and in several Indian wars the Native Americans reached significant military success. On the long run however, this only resulted in advantageous treaties concluded – had they been respected – but not in any durable victory that would have limited the expansion. The Congress in 1871 concluded a further relevant Act prohibiting treaty making with the Native Americans which was mainly directed in increasing the influence of the House of Representatives, as treaties only needed assent of the Senate. This changed also the position of the Native Americans inasmuch as it “domesticated” the question of the treatment of the indigenous population, but the status remained untouched and also the continued validity of the already concluded treaties was confirmed. Gradually the government increased its influence in the jurisdiction of the reservations. At first, an Act was passed which limited the sovereignty of the Tribes in criminal matters. More adverse effects were the result of the General Allotment Act that divided the territories of the Native Americans into small parcels which could then be sold on an individual basis. The result was a massive damage to the idea of collective ownership of land and in very short time the reservations resembled chess boards with only little spaces still in the hands of Native Americans. Politically, the attempt was to assimilate the Indians and turn them into citizens of the US without any special status. In 1934 with the Indian Reorganization Act the disastrous effects of the allotment policy were supposed to be reversed. Tribes that created governmental systems similar to the constitutional structure of the US in form of so-called Tribal Councils were given some autonomy back but at the same time traditional

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structures of organizing communal life were destroyed. The limited positive effect of this reorganization and the large amounts of open questions concerning compensation for lands sold after 1934 lead to a political atmosphere in which “termination” of the Native Americans in their distinguishable existence was planned. This policy was quickly amended and in the civil rights era also the attitude changed to an acceptance of the difference of the Native Americans and the value of upholding this. Since the late 1960s the idea of granting (or giving back) more self-determination prevailed, not least because American Indians very efficiently managed to bring their political demands also to international attention. In the following decades many attempts at limiting this policy were forwarded but as a main guideline the direction was kept and the so-called Tribal Self-Governance Programme is the clearest evidence of this. One of the reasons for the difficulties in the relationship between the Federal government and the Native Americans even in politically more favourable times was the internal organization that gave the responsibility of handling the affairs to the Bureau of Indian Affairs. The BIA as part of the Department of the Interior has been charged with mismanagement of trust money of the Indians, with corruption and generally with a long-standing negative record in the handling of Indian policy. This has changed to a certain extent since the number of Native Americans employed by the BIA has increased and it has become easier to build relationships with more respect. The largest case of compensation demanded for loss of Indian monies is still running as a class action initiated by Cobell. The main responsibility of the BIA today is the process of acknowledgment of Indigenous Peoples as federally acknowledged tribes which then entitles them to receiving money from the federal support programmes. Individuals belonging to such tribes are members of this tribe but also US citizens. In the last census more than 4 million US citizens registered as being Indians, of which 2.5 million saw themselves as “only-Indian”. Due to this new possibility of declaring oneself what population part one belongs to, there has been a remarkable increase in the number of Native Americans compared to around 2 million in the 1990 census. Some tribes have a couple of hundred thousand members, others only a couple of hundred. Territorially spoken they live both on reservations as well as in the major cities of the US and the distribution varies as there are some areas with many reservations, such as in the Southwest. Until today, many of the reservations are characterized by poverty and unemployment as well as bad general health and life expectancy figures. In some areas however there are tribes which have been economically very successful, not least with gambling that is not prohibited on reservations other than in most of the rest of the US.

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B. Status of Native Americans according to US Law The legal status of Native Americans today is mainly the result of case-law of the Supreme Court. Under its first Chief Justice Marshall there was a famous trilogy of cases concerning the Indian Nations in which it tried to clarify their status between international and national law. The land rights questions allowed the Court to discuss whether or not the “doctrine of discovery” purported by the conquering States still applied. Although criticizing this approach the Court accepted is as given by the situation before the founding of the US. But the Court also confirmed the special near-like State status of the Indian Nations. They were called domestic dependent nations being subject to the federal government which did not reflect the reality of treaty-making in those days where the Indian Nations and Tribes were clearly regarded as equal treaty partners with whom as shown for example treaties about war alliances were concluded. In the final decision of the trilogy in 1832 the Court limited the application of the doctrine of discovery and certified the continued entitlement of the American Indians to their land which means that land use is only possible for the Federal government if the land has been transferred. The much debated cases are by far not clear nor without contradiction but they did underline the validity of formerly concluded treaties and the special status of Indian Nations although this was subject to the possible revision by the Congress with which the Indigenous Peoples were in a “ward-guardianrelationship”. Since the trilogy a large and – compared with the share in the total population of the US – clearly over-proportionate amount of Supreme Court cases have dealt with and gone into more details about the status of the Native Americans. In some cases concrete aspects of jurisdiction were interpreted as being in the hands of the Congress although at the same time the special status of the “separate People, with the power of regulating their internal and social relations” was confirmed. This difficulty can be traced until recent decisions, very clearly for example in the 1978 Santa Clara Pueblo v. Martinez in which the civil rights case brought forward was deemed inadmissible because of the sovereignty of the tribes to define their membership while confirming the plenary power of the Congress to define the legal status of Native Americans. The Lara decision of 2004 underlines inherent sovereignty of the tribes but again mentions the possibility for the Congress to diminish this form of selfgovernment. A majority of cases was about land rights and the right to exploit resources on these lands. Many of these questions had to be answered by means of interpretation of a treaty. Although initially the Court demanded full respect of the treaties and even interpretation to the advantage of the Native Americans as weaker party of the treaty, but the plenary power of the Congress was later extended to creating acts which are in contradiction and therefore supersede the

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earlier treaties. This has had similar effect in the area of religion and the relationship between the Federal and State level via the Indigenous Peoples. However, from time to time decisions resulted in a clear strengthening of the position of the Native Americans as is shown in further examples in this chapter of the work. A number of cases are used to illustrate concrete difficulties for Native Americans when claiming their rights in courts. Especially the Black Hills controversy is described in which the US have gravely and evidently disregarded a treaty concluded with the Sioux Nation and which has never been withdrawn. Therefore, the Tribe won its case against the Federal government and the Supreme Court criticized the behaviour of the State in the harshest possible way. Nonetheless, until today a return of the lands has not taken place, instead the funds placed aside for a monetary compensation continue to grow according to interest rates but do not remedy the original claim of the Native Americans. In another important case that was lost before the Supreme Court the land rights of the Western Shoshone were regarded as extinct since a decision of the Claims Commission which was reached without consent of the represented tribes. The plaintiffs brought the case to the Inter-American Human Rights System where the Commission declared that the situation in the US was a violation of their rights and that there is no efficient remedy in land rights disputes. Politically in the last years there have been significant moves forward to supporting and accepting needs and demands of the indigenous population, but the legal status still remains to be cleared from inconsistencies.

Chapter 4 Application of the right of self-determination to Native Americans and possible ways for implementation In this part of the work, building on the first two chapters about the right of self-determination of Indigenous Peoples, the applicability of the right to Native Americans is shown and put in context with the inner-American legal status defined in chapter 3. A. International Law in US Law under special consideration of the Human Rights Covenant As far as human rights are concerned, the US has been an early promoter of rights and liberties of individuals but as far as international human rights treaties are concerned has been skeptic and even against them partly. This has to do with the understanding in the US that international law does not create obligations which are above national law. The President has the right to conclude treaties with other States for the US but needs ratification by the

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Senate. But also such ratified treaties are only valid on the level of a normal Federal Act and can be reversed by any later Act. Nonetheless, the US from the perspective of international law remains bound and therefore its reservation when it finally ratified the International Covenant on civil and political rights that the treaty is non-self-executing is too general and is regarded as irrelevant by the Human Rights Committee. The US expressed that it does not see the need for implementing legislation as the level of protection by the fundamental rights in the US constitution and law are already equivalent to the CCPR. This general reservation does not limit single sections of the treaty but tries to actually qualify the whole treaty as binding on a lesser level which is not possible especially as the CCPR contains rights not at all traceable in US law. Therefore, from the perspective upheld in this work, courts in the US actually are obliged to take the CCPR into consideration in domestic court proceedings if there is not equal or equivalent protection already granted by national law. As the right of self-determination as it is contained in Article 1 CCPR is not an element of national law in the same way this is binding and valid in the US irrespective of the attempt to limit the applicability of the treaty through a general reservation. B. Native Americans and the Right of Self-Determination The applicability of the right of self-determination within the US does not yet answer its applicability to the Native Americans or the extent to which it has consequences. Although no concrete analysis can be put forth in the work here both the entitlement of the Native Americans as a whole as well as tribes as diverse Indigenous Peoples is analyzed. Whatever definition chosen from the ones described in the second chapter the result is clear: the Native Americans are not a group where the criteria are disputed but they are until today generally spoken different from the majority society, they have own and specific traces of common history, language, culture, religious beliefs and they have a close tie to the lands inhabited by them. Consequently, in most cases in political negotiations or legal research the most obvious example of Indigenous Peoples still identifiable as such today are the Native Americans. This is not least due to the fact that a large number of these continue to live in territorial separate areas, the reservations, which made it much easier to remain clearly distinguishable from the majority than it would have been if all Indians would have moved to big cities. The same applies for the Native Hawaiians and the Alaska Natives, two Indigenous Peoples for which even special rules apply. But also within mainland US a large number of the Tribes, independent of their membership size, fulfill the peoples criteria as they themselves are distinct between each other and not only from the majority society. Obviously though the common traces are much bigger between two different groups of Native Americans than between them and the dominant society of the US. The differences between the

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Hopi and the Navajo, two neighbouring tribes completely diverse in size and membership numbers, have partly coinciding criteria, but some of them make them very different from each other. Without being able to give proof for each of the Tribes there is an assumption that at least any of the federally acknowledged Tribes can for themselves claim distinct people-quality. This result is confirmed even by the government position although it has officially shown a critical distance to the application of the right of self-determination to Indigenous Peoples in the international law sense. In the State reports issued to the Human Rights Committee and other monitoring bodies in the UN the question of the treatment of the indigenous population was answered in connection with the keyword self-determination, in the case of the CCPR under Article 1. The only qualification the US makes is that it understands the selfdetermination in the sense of extensive self-government and not with an external component. The fact it voted against the UN Declaration on the Rights of Indigenous Peoples was explicitly explained as not being directed against the fact of extensive special rights for the Indigenous Peoples but due to the nonexhaustive search for a compromise between all States and the understanding that the wording of Article 1 CCPR should not have been copied completely as this implies a legal status beyond the one the US wants to grant the Native Americans. The extent of the right of self-determination of the Native Americans follows the rules set out in chapter 1. Although there has been a form of colonization that happened within the US after the territory was “conquered” by the States that were in power previously and continued by the US e.g. with the attempt of completely assimilating the Native Americans, these cannot claim the right in the sense of the decolonization period. As a hierarchical right the most extreme form of secession or declaration of independence of a certain territory inhabited by that respective people can only be claimed if there is the danger of physical or cultural extinction because the dominant society does not respect the survival of the people as a distinct entity. Although there were phases in US history when this certainly was the case and even though today still some aspects of indigenous life are not well-protected and the legal status assigned by the courts is not wholly secure there is no imminent threat to the life of the Native Americans. On the contrary the Federal government is – partly in fulfilling obligations from treaties – using support programmes to enable survival and also upholding of different traditions. The goal of claiming self-determination today therefore will have to be autonomy in an extensive way as possible. Where former unlimited land rights existed and the tribes today continue to live on these or other lands gained in exchange there is a right to be able to determine the political framework on that territory and for the members of that specific tribe. Self-organization in this sense covers not only the political opinion- and decision-making, but also being able to have own

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forms of judicial power, specific arrangements for religious beliefs, cultural education as decided for by the community etc. C. Proposals for implementation and problem solutions Beyond a generally applicable right of self-determination this right also reinforces legal positions derived from other obligations. Treaties that were disrespected need to be still fulfilled today, but with the right of selfdetermination this amounts to a general principle of returning the land and only exceptionally compensating for the loss of it. Due to changes in territory and population restitution in many cases will be difficult if not impossible, which then necessitates other forms of replacement. Where the territory concerned has a significant meaning for example in religiously motivated rites, however, the possibility of return will need to be more intensively checked. In reality such land returns have happened not only in Alaska but also on mainland US territory. Where a full return of the lands or resources is not politically feasible the system of co-management might also be a solution, in which the decision about the use of land is taken by the indigenous population together with the government in current possession of the land. Governing structures on the reservations and in the lands inhabited by the Indigenous Peoples should be allowed also to follow traditional setups and not only those Tribal Council systems installed by the 1934 Act. Like with the Tribal Self-Governance Project new arrangements between government and tribes should be concluded, regulating the future division of powers between the two. Such compacts have been used successfully in the project and also contribute to the reconciliation of injustice committed. There is more legal certainty following the acceptance of a new compact, especially as court cases are not very calculable for the Native Americans as the sometimes erratic jurisprudence has shown. One part of this regained sovereignty could be the allowance of international contacts, especially close to the borders of the US where tribes are in some cases spread on the territory of the US and a neighbouring country. Cultural selfdetermination refers to educational matters which should to a large extent be defined by those affected, to religious matters which again cannot be judged by the same measurements like the churches and beliefs of the majority society, and to the idea of repatriation of graves and artefacts that were taken and for example exhibited in museums. In the context of reconciliation for past wrongful policy a gesture of apology can be of great importance and there have been few attempts at expressing in some minor way regret for what happened. In addition compensation in money can serve as a reconciliation which then also enables its use for the continued guarantee of survival as a distinct Indigenous People. A final proposal to ensure the newly agreed legal position of the Native Americans is respected would be to make the compacts and other arrangements or the respect for the rights as enclosed in the UN Declaration on

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the Rights of Indigenous Peoples, even if it was not supported in the final version by the US, a matter for international monitoring and arbitration in case of disputes. All of this would amount to a real realization of the right of selfdetermination of Indigenous Peoples in the case of the Native Americans in the US and would thereby fit into the international law development.

Verzeichnis offizieller Dokumente I. United Nations Anaya, S. James, Report of the Special Rapporteur on the Situation of Human Rights and Fundamental Freedoms of Indigenous People 2008, UN Doc. A/HRC/9/9, 11.08.2008 (Anaya, Report on the Situation of Human Rights 2008) Capotorti, Francesco, Study on the Rights of Persons Belonging to Ethnic, Religious and Linguistic Minorities, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/384/Rev.1, New York 1979 Cobo, José Martínez, Study of the Problem of Discrimination Against Indigenous Populations, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1986/7/Add. 4 (Cobo, Study of the Problem of Discrimination against Indigenous Populations) – Study of the Problem of Discrimination Against Indigenous Populations, Preliminary Report, UN Doc E/CN.4/Sub. 2/L.566 Comment by Sweden on the Ratification of the CCPR by the United States of America, UN Doc. CCPR/C/2/Rev.4, 24.08.1994, Rdnr. 47 ff. (UN, Comment by Sweden 1994) Commission on Human Rights, Principles and Guidelines on the Protection of the Heritage of Indigenous People, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/2000/26 (Commission on Human Rights, Principles and Guidelines on the Protection of the Heritage of Indigenous People) – Written statement submitted by the International Indian Treaty Council, UN Doc. E/CN.4/2001/NGO/115 v. 06.02.2001 (Commission on Human Rights, Written Statement by the International Indian Treaty Council) Committee on the Elimination of Racial Discrimination, Reports submitted by States Parties under Article 9 of the Convention – Third periodic reports of States parties due in 1999, Addendum: United States of America, UN Doc. CERD/C/351/Add.1, 10.10.2000 (CERD, Report by the United States of America 1999) – Summary record of the 1475th meeting: United States of America, UN Doc. CERD/C/SR.1475 Rdnr. 33, 06.08.2001 (CERD, Summary Record 2001) – Concluding Observations of the Committe on the Elimination of Racial Discrimination: United States of America, UN Doc. A/56/18, 14.08.2001, Rdnr. 380 ff. (CERD, Concluding Observations: United States of America 2001) Cristescu, Aureliu, The Right to Self-Determination – Historical and Current Developments on the Basis of United Nations Instruments, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/404/ Rev. 1, New York 1981

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Daes, Irene A., Study on the Protection of the Cultural and Intellectual Property of Indigenous Peoples, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1993/28 (Daes, Study on the Protection of the Cultural and Intellectual Property) – Standard-Setting Activities: Evolution of Standards concerning the rights of Indigenous People – New developments and general discussion of future action, Note on criteria which might be applied when considering the concept of indigenous peoples, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/AC.4/1995/3, 21. Juni 1995 (Daes, Note 1995) – Standard-Setting Activities: Evolution of Standards concerning the rights of Indigenous People, Working Paper on the concept of „indigenous people“, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/AC.4/1996/2, 10. Juni 1996 (Daes, Working Paper 1996) – Indigenous peoples and their relationship to land, Second Progress Report, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1999/18 (Daes, Indigenous peoples and their relationship to land, Second Progress Report) – Indigenous peoples and their relationship to land, Final Working Paper, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/2001/21 (Daes, Indigenous peoples and their relationship to land, Final Working Paper) – Working Paper on indigenous peoples’ permanent sovereignty over natural resources, Sub-Commission Res. 2001/9 – Statement at the World Conference against Racism, Racial Discrimination, Xenophobia and Related Intolerance (04.09.2001), http://www.un.org/WCAR/ statements/indigenousE.htm – Indigenous peoples’ permanent sovereignty over natural resources, Final Report, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/2004/30 (Daes, Indigenous peoples’ permanent sovereignty over natural resources, Final Report) Deschênes, Jules, Prevention of Discrimination and Protection of Minorities, Proposal concerning a Definition of the term „Minority“, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1985/31, New York (Deschênes, Proposal concerning a Definition) ECOSOC, Secretary General, Report on the Information concerning indigenous issues, UN Doc. E/2003/72, 23.06.2003 (Report of the Secretary General, Information concerning indigenous issues 2003) – Report on the preliminary review by the Coordinator of the International Decade of the World’s Indigenous People on the activities of the United Nations system in relation to the Decade, UN Doc. E/2004/82, 25.06.2004 (Report of the Secretary General, Review by the Coordinator of the International Decade of the World’s Indigenous People 2004) Eide, Asbjörn, Possible Ways and Means of Facilitating the Peaceful and Constructive Solution of Problems Involving Minorities, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1993/34, 1993 General Assembly, Department of Public Information, Sixty-first General Assembly, Plenary, 107th & 108th Meetings, Press Summary, GA/10612 v. 13.09.2007, http:// www.un.org/News/Press/docs/2007/ga10612.doc.htm (General Assembly, GA/10612)

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High Commissioner for Human Rights, The Rights of Indigenous Peoples – Report 2008, UN Doc. A/HRC/9/11 v. 03.09.2008 (High Commissioner for Human Rights, Report 2008) Human Rights Commission, Secretariat, Note on the Technical Review of the Draft Declaration, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1994/2 (Secretariat, Technical Review) Human Rights Commission, Consideration of a Draft United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples – Information received from Governments, UN Doc. E/CN.4/1995/WG.15/2/Add.1 (Human Rights Commission, Consideration of a Draft United Nations Delcaration on the Rights of Indigenous Peoples – Information received from Governments 1995) Human Rights Committee, Initial reports of States parties due in 1993: United States of America, UN Doc. CCPR/C/81/Add.4, 24.08.1994 (HRC, Report by the United States 1994) – Concluding Observations of the Human Rights Committee: United States of America, UN Doc. A/50/40, 03.10.1995, Rdnr. 266 ff. (HRC, Concluding Observations: United States of America 1995) – Concluding Observations of the Human Rights Committe: 1999: Norway, UN Doc. ICCPR/C/79/Add.112, 1999 (HRC, Concluding Observations: Norway 1999) – Consideration of Reports submitted by State Parties under Article 40 of the Covenant – Third periodic reports of States parties due in 2003: United States of America, UN Doc. CCPR/C/USA/3, 28.11.2005 (HRC, Report by the United States of America 2005) – Concluding Observations of the Human Rights Committee: Canada, UN Doc. CCPR/C/CAN/CO/5, 20.04.2006 (HRC, Concluding Observations: Canada 2006) – Compte rendu analytique de la 2379e Séance – Sommaire: Examen des Rapports soumis conformément à l’Article 40 du Pacte (Deuxième et troisième rapports périodiques des Etats-Unis d’Amérique), UN Doc. CCPR/C/SR.2379, 21.09.2006 (HRC, Minutes of meeting considering Report by the United States of America 2006) – Concluding Observations of the Human Rights Committee: United States of America, UN Doc. CCPR/C/USA/CO/3/Rev.1, 18.12.2006 (HRC, Concluding Observations: United States of America 2006) Human Rights Council, Annotations to the Provisional Agenda of the First Session 2008, UN Doc. A/HRC/EMRIP/2008/1/Add.1 v. 25.08.2008 (Human Rights Council, Provisional Agenda 2008) International Labour Office, Note by the International Labour Office, Comments on the draft UN declaration on the rights of Indigenous peoples 1995, UN Doc. E/CN.4/ 1995/119 (ILO, Note 1995) Martínez, Miguel Alfonso, Study on treaties, agreements and other constructive arrangements between States and indigenous populations, First Progress Report 1992, U.N. Doc. E/CN.4/Sub.2/1992/32 (Martínez, Study on Treaties, First Progress Report)

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– Study on treaties, agreements and other constructive arrangements between States and indigenous populations, Second Progress Report 1995, UN Doc. E/CN.4/Sub 2/1995/27 (Martínez, Study on Treaties, Second Progress Report) – Study on treaties, agreements and other constructive arrangements between States and indigenous populations, Third Progress Report 1996, UN Doc. E/CN.4/Sub 2/1996/23 (Martínez, Study on Treaties, Third Progress Report) – Study on treaties, agreements and other constructive arrangements between States and indigenous populations, Final Report 1999, U.N. Doc. E/CN.4/Sub.2/1999/20 (Martínez, Study on Treaties, Final Report) Office of the High Commissioner for Human Rights, Fact Sheet No. 9 (Rev.1), The Rights of Indigenous Peoples, http://www.ohchr.org/Documents/Publications/Fact Sheet9rev.1en.pdf (High Commissioner for Human Rights, Fact Sheet on the Rights of Indigenous Peoples) Robinson, Mary, The International Day of the World’s Indigenous People – Address by the High Commissioner for Human Rights (26.07.2001), http://www.unhchr.ch/ huricane/huricane.nsf/view01/1E61A46020B5C6FDC1256AA1003725A0?open document Stavenhagen, Rodolfo, Report on the Situation of Human Rights and Fundamental Freedoms of Indigenous People, UN Doc. E/CN.4/2002/97, 04.02.2002 (Stavenhagen, Report on the Situation of Human Rights) – Report on the Situation of Human Rights and Fundamental Freedoms of Indigenous People, Addendum, UN Doc. E/CN.4/2002/97/Add.1, 06.03.2002 (Stavenhagen, Report on the Situation of Human Rights, Addendum) – Report on the Situation of Human Rights and Fundamental Freedoms of Indigenous People 2007, Addendum, UN Doc. A/HRC/4/32/Add.1, 19.03.2007 (Stavenhagen, Report on the Situation of Human Rights 2007, Addendum) Sub-Commission on the Promotion and Protection of Human Rights, Prevention of Discrimination against and the Protection of Minorities, Working Paper on the relationship and distinction between the rights of persons belonging to minorities and those of indigenous peoples, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/2000/10, 19.07.2000 (Sub-Commission, Working Paper 2000) United Nations Development Group, Guidelines on Indigenous Peoples’ Issues, Feb. 2008, http://www2.ohchr.org/english/issues/indigenous/docs/guidelines.pdf (UN Development Group, Guidelines 2008) Working Group on Indigenous Populations, Kathryn Skipper, Observer Delegation of the United States of America, 11th Session on 21.07.1993, http://www.halcyon.com/ pub/FWDP/International/skipper.txt (Skipper, Remarks by the Observer Delegation of the United States of America 1993) Working Group on Indigenous Populations, Miriam Sapiro, Observer Delegation of the United States of America 12th Session on 26.07.1994, http://www.halcyon.com/pub/ FWDP/International/obsrvstm.txt (Sapiro, Remarks by the Observer Delegation of the United States of America 1994)

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II. World Bank Davis, Shelton H., The World Bank and Indigenous Peoples, http://www-wds.world bank.org/external/default/WDSContentServer/WDSP/IB/2003/11/14/000012009_200 31114144132/Rendered/PDF/272050WB0and0Indigenous0Peoples01public1.pdf Davis, Shelton/Bermudez, Eveling, Technical Consultation of the Approach Paper for Revision of OD 4.20 on Indigenous Peoples. Summary of Proceedings, http://wbln 0018.worldbank.org/essd/kb.nsf/56bfcaf5e1062c0385256673005cf3bb/ed67f90e 17909db7852566cd007c86b1?OpenDocument (01.09.2003), Washington, World Bank 1998 Davis, Shelton/Salman, Salman/ Bermudez, Eveling, Approach Paper on Revison of OD 4.20 on Indigenous Peoples, http://wbln0018.worldbank.org/essd/kb.nsf/ 56bfcaf5e1062c0385256673005cf3bb/b4a7dbf0effc278585256680000e8193?Open Document (01.09.2003), Washington, World Bank o.J. Goodland, Robert, Tribal Peoples and Economic Development: Human Ecologic considerations, World Bank, Washington 1982 World Bank, Draft Operational Policies OP 4.10, http://wbln0018.worldbank.org/essd/ essd.nsf/28354584d9d97c29852567cc00780e2a/61b6299b68563321852567cc0077f 418?OpenDocument (01.09.2003), 23.3.2001 (World Bank, Draft Operational Policies 4.10)

Verzeichnis offizieller Dokumente –

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Operational Policies 4.10 – Indigenous Peoples, July 2005, http://web.worldbank. org/WBSITE/EXTERNAL/PROJECTS/EXTPOLICIES/EXTOPMANUAL/0,,content MDK:20553653~pagePK:64141683~piPK:64141620~theSitePK:502184,00.html (World Bank, Operational Policies 4.10, July 2005)

III. Organization of American States Comments by the Delegation of Canada on articles VII through XVIII an on the issue of self-determination in the Proposed American Declaration on the Rights of Indigenous Peoples OEA/Ser.K/XVI/GT/DADIN/doc.69/02 v. 14.03.2002. (OAS Working Group, Comments of the Delegation of Canada 2002) Indian Law Resource Center, Proposed American Declaration on the Rights of Indigenous Peoples – Authorities and Precedents, http://www.indianlaw.org/ article_i.htm (01.09.2003; nunmehr unter http://www.indianlaw.org/sites/ indianlaw.org/files/resources/OAS%20Consolidated%20Text.pdf) Special Meeting of the Working Group to Prepare the Proposed American Declaration on the Rights of Indigenous Peoples, Comments of the United States Delegation, OEA/Ser.K/XVI/GT/DADIN-77/02 v. 28.03.2002 (OAS Working Group, Comments of the United States Delegation 2002) Special Meeting of the Working Group to Prepare the Proposed American Declaration on the Rights of Indigenous Peoples, Proposal by the Delegation of the United States, OEA/Ser.K/XVI/GT/DADIN/doc.66/02 rev.1 v. 14.03.2002 (http://scm.oas.org/pdfs/ 2002/cp09389.pdf) Statement of the United States, Tenth Meeting of Negotiations in the Quest for Points of Consensus, OEA/Ser.K/XVI/GT/DADIN/INF.31/07 v. 23.04.2007 (OAS, Tenth Meeting of Negotiations – Statement of the United States, 2007) U.S. Intervention, Special Session on the „Proposed American Declaration on the Rights of Indigenous Peoples“, Section Four, 14.03.2002 (OAS Working Group, Intervention of the United States Delegation 2002) Working Group to Prepare the Proposed American Declaration on the Rights of Indigenous Peoples, Draft American Declaration on the Rights of Indigenous Peoples – Working Document comparing the original Draft of the Inter-American Commission on Human Rights, Proposals by the States and by the Indigenous Representatives, as well as the Proposed Draft by the Chair of the Working Group to Prepare the Draft American Declaration on the Rights of Indigenous Peoples, OEA/Ser.K/XVI/GT/ DADIN/doc.53/02 v. 09.01.2002 (OAS, Working Document comparing) – Tenth Meeting of Negotiations in the Quest for Points of Consensus – Record of the Current Status of the Draft American Declaration on the Rights of Indigenous Peoples, OEA/Ser.K/XVI/GT/DADIN/doc.301/07 rev. 1 v. 27.03.2008 (OAS, Record of the Current Status 2008) – Table comparing the Draft American Declaration on the Rights of Indigenous Peoples and the United Nations Declaration on the rights of Indigenous Peoples GT/DADIN/doc.317/07 rev. 1 v. 14.03.2008 (OAS, Table Comparing 2008)

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Verzeichnis offizieller Dokumente

IV. Sonstige internationale Organisationen African Commission on Human and Peoples’ Rights, Report of the African Commission’s Working Group on Indigenous Populations/Communities 2003, http://www. achpr.org/english/Special%20Mechanisms/Indegenous/ACHPR%20Report%20ENG. pdf (ACHPR, Report of the African Commission’s Working Group 2003) – Indigenous Peoples in Africa: The Forgotten Peoples?, 2006, http://www.achpr.org/ english/Special%20Mechanisms/Indegenous/ACHPR%20WGIP%20Report%20Sum mary%20version%20ENG.pdf (ACHPR, Indigenous Peoples in Africa: The Forgotten Peoples?) Andean Community: The Act of Machu Picchu, http://www.comunidadandina.org/ INGLES/documentos/documents/machu_picchu28-7-01.htm, 28./29.07.2001 (Andean Community, The Act of Macchu Picchu 2001)

V. United States of America Commission on Security and Cooperation in Europe, Fulfilling our Promises: The United States and the Helsinki Final Act – A Status Report, Washington 1979 (Commission on Security and Cooperation in Europe, Fulfilling our Promises) Departement of Commerce, Economics and Statistics Administration, U.S. Census Bureau, Ogunwole, Stella U., United States Census 2000: The American Indian and Alaska Native Population 2000 – Census 2000 Brief, Washington 2002 (Ogunwole, Census 2000) Departement of Interior, Bureau of Indian Affairs, American Indians Today – Answers to your Questions, 3. Aufl., Washington 1991 (BIA (Hrsg.), American Indians Today) Department of the Interior / Department of Justice, From Mauka to Makai: The River of Justice must flow freely – Report on the Reconciliation Process between the Federal Government and Native Hawaiians, 23.10.2000 (Department of the Interior/Department of Justice, From Mauka to Makai) Mission to the United Nations in New York, Observations of the United States with respect to the Declaration on the Rights of Indigenous Peoples, Annex to Explanation of vote by Robert Hagen, USUN Press Release # 204(07), 13.09.2007, http://www. usunnewyork.usmission.gov/press_releases/20070913_204.html (Mission to the UN, Observations of the U.S. 2007) President of the United States of America, Executive Order Nr. 13, 107 v. 10.12.1998, 93 AJIL [1999], 479-480

Zeitungsverzeichnis Ahrndt, Mareile, Welche Zukunft für die Sorben in Deutschland?, NZZ Nr. 241 v. 17./18.10.1998, S. 55 – Ohne Mutterstaat, aber nicht ohne Heimat, NZZ Nr. 241 v. 17./18.10.1998, S. 56 Arquint, Romedi, Die Baustelle Europa und die nationalen Minderheiten, NZZ Nr. 5 v. 08.01.2001, S. 13 Benning, Maria, Ein Museum für die Indianer in Washington – Schliessung der letzten Gebäudelücke an der Mall, NZZ Nr. 135 v. 14.06.2001, S. 48 Bitterli, Urs, Die erste Entdeckung Amerikas – Die Vinland-Reisen der Wikinger vor 1000 Jahren, NZZ Nr. 246 v. 21./22.10.2000, S. 54 Booth, William, California Tribes Dealt Out of the Game, Washington Post v. 24.08.1999, S. A2, http://www.washingtonpost.com/wp-srv/national/daily/aug99/ gambling24.htm (25.08.1999) Bowen, Sally, Perus Präsident Toledo in Machu Picchu, NZZ Nr. 175 v. 31.07.2001, S. 3 Bradley, Carol, Big players on the Front interested in lease swap, Great Falls Tribune v. 22.07.1997, Special Report: Fate of the Front Braune, Gerd, „Ein Schrei aus der Dunkelheit“, FR v. 27.02.1998, S. 36 Braunert, Jörg, Die verlorene Geschichte wiederfinden, Das Parlament Nr. 17 v. 23.04.1993, S. 15 (Themenausgabe Menschenrechte) Brown, DeNeen L., People of Nunavut reclaim their identity, International Herald Tribune v. 08.07.2002, S. 2 Brunner, Georg, Ein Streit um die richtigen Definitionen und Begriffe – „Minderheit und Volksgruppe“, Das Parlament Nr. 34 v. 20.08.1999 (Thema: Nationale Minderheiten in Europa), S. 1 Calonego, Bernadette, Häuptling Fontaine läßt Entschädigung sprudeln, SZ Nr. 10 v. 10.01.1998 Clines, Francis X., Town Hopes to Reclaim its Indian Ancestors, NYT v. 26.01.2001 Coulmas, Florian, Im Grenzland: Das Urvolk der Ainu – vom Störfaktor zum Faszinosum, NZZ Nr. 211 v. 11.09.2000, S. 21 Crary, David, Später Triumph für zähe Kämpfer, Saarbrücker Zeitung v. 07.08.1998, S. 2 Dejung, Christof, Eine Brücke zwischen Zeitzeugen und Historikern. Oral History – erfragte Vergangenheit als Erweiterung der Quellenbasis, NZZ Nr. 128 v. 03./04.06.2000, S. 55

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Zeitungsverzeichnis

Diggelmann, Oliver, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker und der WestpapuaKonflikt, NZZ Nr. 125 v. 31.05./01.06.2008, S. 5 Fisch, Jörg, Die Ratlosigkeit der Statussucher – Kosovo und das Selbstbestimmungsrecht der Völker, NZZ Nr. 12 v. 16.01.2006, S. 29 Gerste, Ronald D., Indianische Renaissance? Neues Interesse für Amerikas Ureinwohner , NZZ Nr. 262 v. 11.11.2002, S. 17 Gertschen, Alex, Der Bischof, der Subcomandante und die Indios von Chiapas, NZZ Nr. 43 v. 21./22.02.2009, S. 6 Glaberson, William, Who Is a Seminole, and Who Gets to Decide?, NYT v. 29.01.2001, http://www.nytimes.com Göller, Josef-Thomas, Lex Americana oder Das eigene Rechtsempfinden, Das Parlament Nr. 27-28 v. 08./15.07.2002, S. 12 – Schutztruppe der Vereinten Nationen auf Ost-Timor gelandet – Welche Lehren zieht die Weltgemeinschaft diesmal?, Das Parlament Nr. 39-40 v. 24.09./01.10.1999, S. 17 – Drei Grammys für Jazz-Rock-Duo Steely Dan, NZZ Nr. 45 v. 23.02.2001, S. 48 – Ein Inka regiert Peru, Das Parlament Nr. 24 v. 08.06.2001, S.6 Guntermann, Saskia/Marek, Michael, Heiliger Berg mit gefährlichem Innenleben, NZZ Nr. 20 v. 26.01.2004, S. 19 Hausmann, Hartmut, Individuelle Modelle für Europa – Autonome Regionen als Lösung von ethnisch-kulturellen Konflikten, Das Parlament Nr. 20-21 v. 12./19.05.2003, S. 11 Herbert, Bob, Justice, 200 Years Later, The NYT v. 26.11.2001, http://www.indianlaw. org/body_cayuga_nytimes.htm (22.03.2002) Höffe, Otfried, Gibt es ein Recht auf Sezession?, NZZ Nr. 201 v. 29.08.2008, S. 25 Hueglin, Thomas O., Unrecht wird nur langsam wiedergutgemacht, Das Parlament Nr. 1-2 v. 3./10.01.1997, S. 6 (Themenausgabe Kanada) Huffschmid, Anne, Sie leben noch – Auf der Suche nach der verlorenen Kultur der Indios , NZZ Nr. 4 v. 07.01.2003, S. 33 Hummel, Katrin, Wenn unsere Sprache verloren geht, verlieren wir alles, FAZ Nr. 2 v. 04.01.2000, S. 9 Imhasly, Bernard, Stammestänze vor der Hochschule, NZZ Nr. 105 v. 08.05.2001, S. 33 Isernhagen, Hartwig, Jenseits von Identität? „Indianerliteratur“ heute, NZZ Nr. 153 v. 05./06.07.2003, S. 49 Iten, Oswald, Nevadas Quadrat gegen den Kreis der Indianer, NZZ Nr. 133 v. 12./13.06.1999, S. 63 ff. – Die Hunde des Gärtners hocken auf den Früchten Perus, NZZ Nr. 91 v. 19./20.04.2008, S. 4 Jaekl, Christian, Schuld und Sühne in der kanadischen Arktis, NZZ Nr. 148 v. 30.06.1999, S. 6 – Kanadas Indianer wieder auf dem Kriegspfad, NZZ Nr. 129 v. 07.06.2007, S. 4

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Klein, Eckart, Keine innere Angelegenheit, FAZ Nr. 142 v. 21.06.1999, S. 15 Köhler, Andrea, Blaupause – Weisse Studenten fühlen sich diskriminiert, NZZ Nr. 14 v. 17./18.01.2003, S. 34 Kolb, Robert, Perspektiven des humanitären Völkerrechts – Erosion des Gewaltverbots nach dem Ende des Kalten Krieges?, NZZ Nr. 207 v. 07./08.09.2002, S. 67 Kornelius, Stefan, Häuptling Blackjack und die Bleichgesichter, SZ Nr. 106 v. 09./10.05.1998, S. 3 Kramer, Dieter, Untergang und Aufstieg der Indianer, NZZ Nr. 19 v. 24.01.2003, S. 34 Länderberichte, Nationale Minderheiten in Europa, Das Parlament Nr. 34 v. 20.08.1999 (Themenausgabe Nationale Minderheiten in Europa) Lorz, Ralph Alexander, Völkerrecht als Zukunftshoffnung, FAZ Nr. 269 v. 19.11.2001, S. 8 Lueken, Verena, Orden statt Seife – Sprechen wie der Wind: Der Präsident der Vereinigten Staaten ehrt indianische Kodefunker aus dem Zweiten Weltkrieg, FAZ Nr. 173 v. 28.07.2001, S. 46 Maier, Thomas, Noch heute haben die Indianer kaum eine Chance, WK v. 24.02.1998, S. 12 McMahon, Patrick, Whale hunt pits old ways vs. new – Tribe’s plans draw flotilla of protest, USA Today v. 02.10.1998, S. 3A Meessen, Karl M., Selbstverteidigung als werdendes Völkergewohnheitsrecht, NZZ Nr. 40 v. 18.02.2003, S. 4 Meier, Philipp, Kultur des Potlatch – Die Kunst der Tlingit-Indianer im Museum Rietberg, NZZ Nr. 16 v. 20./21.01.2001, S. 34 Meldung, Dänemark: Entschädigung für Ureinwohner, NJW 1999, H. 38, LV – Australien: Sonderstatus der Aborigines bei der Jagd, NJW 1999, H. 44, XLIX – Australien: Entschädigungsklage der Aborigines erfolglos, NJW 2000, H. 36, LI – United States Takes a Positive Step on the International Rights of Indigenous Peoples, Native American Rights Fund Legal Review, Vol. 26, No. 1, Winter/Spring 2000, http://www.narf.org/pubs/nlr/nlr26-1.htm#indigenous – Rauchzeichen aus Nordwest, Der Spiegel Nr. 19/1998, S. 214 – Northwest Tribe Returns to Its Harpoons, San Francisco Chronicle v. 01.10.1998, S. A3. – Indianer in den USA oft Opfer von Gewaltverbrechen, NZZ Nr. 41 v. 19.02.1999 – Court declares secession illegal, bargaining OK, Great Falls Tribune v. 21.08.1999, S. 9A – Should Hawaii’s natives continue to have special rights?, Court TV v. 04.10.1999, http://www.courttv.com/national/1999/1004/hawaii_ap.html (06.10.1999) – Original Canadians win treaty, The Guardian v. 11.12.1999, S. 23 – Indians will get their land back, SMH v. 17.01.2000, S. 8.

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– Hinrichtung eines zur Tatzeit Minderjährigen, NZZ Nr. 21 v. 27.01.2000, S. 42 – Australiens Ureinwohner drohen mit Ungemach, NZZ Nr. 103 v. 04.05.2000, S. 7 – Marsch über Sydney „Harbour Bridge“, NZZ Nr. 124 v. 29.05.2000, S. 32 – Das olympische Feuer am Uluru, NZZ Nr. 133 v. 09.06.2000, S. 48 – Neuer Oberhäuptling für Kanadas Indianer, NZZ Nr. 162 v. 14.07.2000, S. 5 – Teilnahme indigener Völker an Entscheidungen der Uno, NZZ Nr. 176 v. 31.07.2000, S. 2 – Wiedergutmachung für Opfer in Guatemala, NZZ Nr. 186 v. 12./13.08.2000, S. 3 – Keine Entschädigung für Aboriginal-Kinder, NZZ Nr. 186 v. 12./13.08.2000, S. 3 – Südafrikas Medien – in Rassismus verstrickt?, NZZ Nr. 200 v. 29.08.2000, S. 3 – Osttimor feiert den Jahrestag seiner Befreiung, NZZ Nr. 202 v. 31.08.2000, S 3 – Scharfe Kritik Australiens an den Uno-Komitees, NZZ Nr. 202 v. 31.08.2000, S. 3 – Two Native boats sink in dispute with Canadian fisheries, Indian Country Today, Vol. 20, No. 12 v. 06.09.2000, S. A3 – Kanadas Indianer wieder auf Kriegspfad, NZZ Nr. 211 v. 11.09.2000, S. 4 – Die USA bedauern die Verfolgung der Indianer, NZZ Nr. 211 v. 11.09.2000, S. 2 – Jurastudenten helfen Ureinwohnern, FAZ Nr. 214 v. 14.09.2000, S. 15 – Dutzende Fischer wegen „Hummer-Kriegs“ vor Gericht, FAZ Nr. 239 v. 14.10.2000, S. 14 – Delinquents face Native American justice, Reuters v. 13.11.2000, news.findlaw.com (01.09.2003) – Drei neue Gliedstaaten in Indien, NZZ Nr. 270 v. 18./19.11.2000, S. 7 – Weisse leisten Abbitte für die Apartheid, NZZ Nr. 293 v. 15.12.2000, S. 2 – Die Pequots – eine amerikanische Erfolgsgeschichte. Aufstieg eines Indianerstamms vom Verlierer zum grossen Gewinner, NZZ Nr. 8 v. 11.01.2001, S. 6 – Stärkung des Minderheitenschutzes in Europa, NZZ Nr. 20 v. 25.01.2001, S. 5 – „Ich sehe mich als Präsident aller Mexikaner“ – Interview mit Vicente Fox, NZZ Nr. 21 v. 26.01.2001, S. 5 – Mehr finanzielle Mittel für Kanadas Indianer, NZZ Nr. 29 v. 05.02.2001, S. 3 – Der Dalai Lama fordert Volksabstimmung über Tibet, NZZ Nr. 59 v. 12.03.2001, S. 4 – Mehr Rechte für die Indios in Mexiko, NZZ Nr. 97 v. 27.04.2001, S. 3 – Mexikos Senat billigt Indianergesetz, FAZ Nr. 99 v. 28.04.2001, S. 6 – Uno-Menschenrechtskommission im Zwiespalt, NZZ Nr. 98 v. 28./29.04.2001, S. 2 – Zapatisten lehnen die Verfassungsreform ab, NZZ Nr. 100 v. 02.05.2001, S. 4 – Lateinamerikas Indios als soziale Akteure – Renaissance der indigenen Bewegungen, NZZ Nr. 112 v. 16.05.2001, S. 5

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– Bei den Mapuche-Indianern in Südchile – Anpassung und Widerstand einer verarmten Minderheit, NZZ Nr. 116 v. 21.05.2001, S. 5 – Zustimmung zur Indio-Reform in 16 Teilstaaten Mexikos, NZZ Nr. 161 v. 14./15.07.2001, S. 2 – Späte Ehrung der Navajo-„Code Talkers“, NZZ Nr. 173 v. 28./29.07.2001, S. 4 – Afrikas Staaten fordern Anerkennung der Sklaverei, NZZ Nr. 180 v. 07.08.2001, S. 2 – Liquiditätsprobleme der Uno wegen säumiger Zahler, NZZ Nr. 189 v. 17.08.2001, S. 2 – Gesetz über die Rechte der Ureinwohner Mexikos in Kraft, NZZ Nr. 190 v. 18./19.08.2001, S. 3 – Alaska zwischen Vorvergangenheit, Gegenwart und Zukunft, NZZ Nr. 190 v. 18./19.08.2001, S. 6 – Später Abschluss der Rassismus-Konferenz, NZZ Nr. 209 v. 10.09.2001, S. 3 – Landmark Victory for Indians in International Human Rights Case Against Nicaragua, Indian Law Resource Center, Pressemeldung vom 18.09.2001, http://www.indianlaw.org/body_iachr_decision.htm (01.09.2003) – Menschenströme über dem Rio Grande – Das Kasino zum Sprechenden Felsen, NZZ Nr. 302 v. 29./30.12.2001, S. 5 – Eine Indianerin Aussenministerin in Ecuador, NZZ Nr. 1 v. 03.01.2002, S. 2 – Milliarden-Abfindung für Staudamm, NZZ Nr. 29 v. 05.02.2002, S. 2 – Fischer kritisiert 21.03.2002, S. 3

chinesische

Menschenrechtsverletzungen,

NZZ

Nr. 67

v.

– Peking verstärkt die Repression in der Autonomen Region Xinjang – Die Uiguren als Opfer des Kampfes gegen den Terrorismus, NZZ Nr. 77 v. 04.04.2002, S. 3 – Anpassungsdruck auf die Bergvölker in Laos, NZZ Nr. 79 v. 06./07.04.2002, S. 6 – Xanana Gusmão gewinnt Wahl in Osttimor, NZZ Nr. 89 v. 18.04.2002, S. 4 – Rückschlag für Selbständigkeit der Färöer, NZZ Nr. 100 v. 02.05.2002, S. 4 – Die Mühen Schwedens im Umgang mit dem Volk der Samen, NZZ Nr. 102 v. 04./05.05.2002, S. 7 – Osttimor – eine neue Nation ist geboren, NZZ Nr. 114 v. 21.05.2002, S. 3 – Bericht der USA löst im Sudan Kritik aus – Ende des südsudanesischen Selbstbestimmungsrechts?, NZZ Nr. 115 v. 22.05.2002, S. 4 – Die Walfangkonferenz endet mit Misstönen, NZZ Nr. 118 v. 25./26.05.2002, S.47 – Neuseeland entschuldigt sich bei Westsamoa, NZZ Nr. 129 v. 07.06.2002, S. 3 – Neue Ära der Zusammenarbeit in Afrika?, NZZ Nr. 157 v. 10.07.2002, S. 1 – Australiens Aborigines unterliegen mit Landklage, NZZ Nr. 183 v. 10./11.08.2002, S. 7 – Neue Politik gegenüber Mexicos Indios, NZZ Nr. 189 v. 17./18.08.2002, S. 7

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– Wer ist ein „echter“ Aboriginal?, NZZ Nr. 189 v. 17./18.08.2002, S. 47 – Stilllegung einer umstrittenen Uranmine 07./08.09.2002, S. 7

in Australien, NZZ

Nr. 207 v.

– Mexiko kündigt Beistandspakt der OAS – Klage gegen Indio-Gesetz zurückgewiesen, NZZ Nr. 208 v. 09.09.2002, S. 3 – Aborigines gewinnen Prozess um die Rückgabe von Land, NZZ Nr. 225 v. 28./29.09.2002, S. 48 – Land für australische Ureinwohner, NZZ Nr. 229 v. 03.10.2002, S. 48 – Grönlands Wähler wollen mehr Autonomie, NZZ Nr. 283 v. 05.12.2002, S. 2 – Erfolg bei den Sri-Lanka-Gesprächen in Oslo, NZZ Nr. 284 v. 06.12.2002, S. 1 – Grönlands neue Regierung unter Leitung Hans Enoksens, NZZ Nr. 287 v. 10.12.2002, S. 3 – US-Gericht verbietet Indianern den Walfang, NZZ Nr. 299 v. 24.12.2002, S. 40 – Der Oregon Trail, NZZ Nr. 302 v. 30.12.2002, S. 32 – Sojaäcker und Erdölfelder in Amazonien, NZZ Nr. 6 v. 09.01.2003, S. 5 – Angriff Bushs auf „Affirmative Action“, NZZ Nr. 13 v. 17.01.2003, S. 3 – Regierungskrise in Grönland, NZZ Nr. 13 v. 17.01.2003, S. 5 – Die Verfassung der neuen Union in Serbien, NZZ Nr. 23 v. 29.01.2003, S. 5 – Nunavut möchte mehr Bodennutzungsrechte, NZZ Nr. 25 v. 31.01.2003, S. 7 – Idealistischer Mountie in Kanada erschossen, NZZ Nr. 58 v. 10./11.03.2003, S. 48 – Entschädigung der Apartheid-Opfer verlangt – Schlussakt der südafrikanischen Wahrheitskommission, NZZ Nr. 68 v. 22./23.03.2003, S. 5 – Perus schmutziger Krieg unter der Lupe – Eine Wahrheitskommission kämpft gegen Widerstände, NZZ Nr. 77 v. 02.04.2003, S. 5 – Indigene Völker im Film, NZZ Nr. 95 v. 25.04.2003, S. 37 – Autonomie als Rezept zur Konfliktlösung – Individuelle Strategien des Europarats für jedes Land, NZZ Nr. 106 v. 09.05.2003, S. 6 – Erstmals zieht eine Aboriginal in Sydney ins Parlament ein – Landesweit weiterhin kaum vertreten, NZZ Nr. 107 v. 10./11.05.2003, S. 4 – Dänemark gewährt Grönland mehr aussenpolitische Rechte, NZZ Nr. 112 v. 16.05.2003, S. 2 – Machtwort im Streit um „Affirmative Action“, NZZ Nr. 143 v. 24.06.2003, S. 1 – „Affirmative Action“ bleibt ein Streitpunkt – Breites Echo auf Urteile des Obersten Gerichts der USA, NZZ Nr. 144 v. 25.06.2003, S. 2 – Neuseelands Regierung brüskiert die Maori – Ansprüche der Ureinwohner auf Küstengebiete, NZZ Nr. 145 v. 26.06.2003, S. 5 – Teddybären-Foto erhitzt Gemüter von Aborigines, NZZ Nr. 153 v. 05./06.07.2003, S. 43

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Die Zeitungsartikel sind ebenso wie die offiziellen Dokumente sämtlich beim Autor abgelegt, falls sie nicht anderweitig eingesehen werden können.

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Sach- und Personenverzeichnis

14 Punkte-Plan 18 2+4-Vertrag 167 25 U.S.C. §1301 442 A.D. v. Canada 254 f. Aboriginal and Torres Strait Islander Commission 366 Aboriginal Land Rights (Northern Territory) Act 364 Aboriginal title 356 Aborigines 362 ff., 531, 534 Abstammung 188 Affirmative action 539 Afghanistan 177 African Commission on Human and Peoples’ Rights 300 f. African Union 35 f., 207 f., 300 Afrikanische Union 177, 277 Agenda 21 285 f. Aggressions-Definition 157 AIM ĺ American Indian Movement Åland-Inseln-Fall 20 ff., 140 Alaska 226, 414, 518 ff. Alaska v. Native Village of Venetie Tribal Government 448 Alaskan Native Claims Settlement Act 519 Alcatraz 407 Aleuten 518 Alkohol 386, 417 Allgemeine Bemerkungen 49 f. Allianzen 324, 392 American Indian Movement 407, 546 American Indian Religious Freedom Act 406, 449 American Indians ĺ Native Americans Amerikanische Unabhängigkeitserklärung 14 Anaya 209 f. Andean Community 299 f.

Anerkennung 120 Annexion 113 Antarktis 165 Anti-Rassismus-Konvention 264, 364, 509 Apachen 531 Apartheid 32, 70, 102, 288 Arapaho 396 Arizona 420 Asiatische Staaten 308 Assembly of First Nations 360 Assimilation 247 ff. – Dekolonisierung 249 f. – Native Americans 401, 461, 511 ff. Assoziation 112 Äthiopien 126, 149 Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung ĺ CERD Australien 79, 278, 310, 335, 344, 362 ff. – Aboriginal and Torres Strait Islander Commission 366 – Aboriginal Land Rights Act 364 – Anti-Rassismus-Konvention 364 – Entschuldigung 368, 534 – Genozid 368 – Gründung 363 f. – Indigene Völker, Ausgestaltung der Rechte 362 ff. – Kinder von Aborigines 368 f. – Kompensation 369 – Landrückgabe 365 – Mabo v. Queensland 364 ff. – Native Title Act 366 – Reconciliation 367 ff. – Terra nullius 363 Autochthone Gruppe ĺ ethnische Gruppe – Begriff 192 Autonomie 131 ff. – Åland-Inseln 20 f., 140

Sach- und Personenverzeichnis – – – –

Awas Tigni-Fall 293 Baskenland 140 Dänemark 142 Defensives Selbstbestimmungsrecht 130 ff. – Faröer-Inseln 140 – Föderales Selbstbestimmungsrecht 146 – Grönland 140 – Historische Herleitung 134 – Indigene Völker 139, 145, 349 – Konzept 131 ff. – Korsika 142 – Kosovo 142 – Kulturelle 137 f. – Legislativvertretung 143 – Minderheitenschutzregelungen 138 ff. – Mittel- und Osteuropa 141 – Personale 136 f. – Rechtsbegriff 131 ff. – Rechtsweg 143 – Selbstbestimmungsrecht 143 ff. – Selbstregierung 133, 521 – Selbstverwaltung 133 – Slowakei 142 – Südtirol 140 – Territoriale 135 f., 203 – Träger 134 – Ungarn 142 Awas Tingni-Fall 292 ff., 318 Azteken 237 Badger Two Medicine 517 Badinter-Kommission 96, 121 Badlands 517 Baker v. Carr 454 Bangladesh 117, 250 Banjul-Charta 35 f., 207, 300 Banks 407 Barbaren 239 Barcelona Traction-Fall 74 Baskenland 141 Bedrohung des Weltfriedens ĺ Sicherung des Weltfriedens Befreiungskampf 126, 154, 157 Beistand 157 Belgien 249 Belize 311 Bellecourt 407 Beringstraßen-Theorie 226

629

BIA ĺ Bureau of Indian Affairs Biopatente 336 Black Hills 393, 462 ff. Black Kettle 396 Blackfeet 517 Blood test 415 Blue-water-theory 70, 249 Bolivien 299, 305, 312, 376 Bosnien-Herzegowina 121 Brasilien 292, 316 f., 376 Brendale v. Conf. Tribes & Bands of the Yakima Indian Nation 448 f. Bricker 484 Büffel 396 Bündnispartner 242, 392 Burckhardt 16 Bureau of Indian Affairs ĺ Native Americans Bürgerkrieg 160, 396 Burkina Faso und Mali-Fall 77, 96, 121 Bush 471, 503 Cabot 230 California v. Cabazon Band of Mission Indians 451 Camp-David-Abkommen 138 Canyon de Chelly 370 Capotorti-Studie 100 Carpenter v. Shaw 446 Carson 370 Cayuga Indians-Fall 245, 325, 469 f. CERD 265, 509 Cherokee 393, 395 Cherokee Nation v. Georgia 432 f. Cheyenne 396 Chiapas 171 Chrétien 361, 534 Christlicher Glaube 234 Churchill 21 City of Bourne v. Flores 450 Clausula rebus sic stantibus 180, 326 Clinton 471, 503, 536 Cobell v. Norton / Kempthorne 411 f. Cobo 195, 269, 341 Cohen 402 Collier 402 Co-Management 520 Commissioner of Indian Affairs ĺ Native Americans

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Sach- und Personenverzeichnis

Compacts ĺ Self-Governance Programm Consent of the governed 150 Consuetudo ĺ Völkergewohnheitsrecht Contra preferentem 328 Coon Come 360 Côté v. The Queen 355 Court of Appeals of New Zealand 373 Crazy Horse 396 Cree 361 Cristescu-Report 98 Crow Dog 399, 438 Curtis Act Custer 396, 463 Da Silva 376 Daes 202, 270, 280 Dänemark 140, 142, 247, 267, 333 Dann 466 f. Dawes Severalty Act 399 De Vattel 237 f. Declaration on the Rights of Indigenous Peoples ĺ Deklaration über die Rechte indigener Völker Declarations, USA 478, 483 Deklaration über die Rechte indigener Völker 6, 33 f., 204, 223, 306 ff. – Afrikanische Staaten 344 – Arbeitsrecht 313 – Art. 3 34, 338 – Art. 4 351 – Art. 46 277 – Australien 310, 344, 370, 544 – Autonomie 313, 350 ff. – Bedeutung 307 ff. – Bolivien 312 – Entschädigung 313, 320 – Entscheidungsprozesse des Gesamtstaates 313, 350 ff. – Erziehung 313, 336 – Fehlende Definition des Trägers 223 – Gegenstimmen 309 ff. – Genozid, Schutz vor 313, 334 – Internationale Überwachung 352 ff. – Kanada 309, 345, 362 – Kinderarbeit 313 – Konsensverfahren 309 – Kulturelle Integrität 313, 334 ff., 347

– – – – – – – – –

Landnutzung 313 Landrechte 315 ff. Medizinische Einrichtungen 313 Menschenrechte 306, 312 f., 344 Mexiko 351 Neuseeland 310, 375 Präambel 312 Recht auf Überleben 313 Rechtsverbindlichkeit, fehlende 311 – Rückgabe von Land 313, 319 ff. – Russland 310 – Selbstbestimmungsrecht 313, 338 ff. – Sezession 339 – Struktur 312 ff. – Umsetzung des Selbstbestimmungsrechts 350 ff. – UN-Charta 314 – USA 309, 507 ff. – Verabschiedung 277, 306 ff., 547 – Vertragsschlüsse 314, 323 ff., 333 – Völkerrechtliche Rechtspositionen 306 ff. – Zugehörigkeit 314 Dekolonisierung 24 ff., 113 – Assimilation 249 f. – Blue water-Theorie 249 – Deklarationen 25 f. – Gewaltanwendung 157 – Kolonialvölker 92 ff. – Peaceful change 179 – Sezession 113 f. – Sondertatbestand 96, 111, 113 – Uti possidetis-Prinzip 92 ff. – West-Sahara 76, 123 Delaware Indian Treaty 391 Delgammuukw v. British Columbia 356 Demokratie, demokratisch 14, 128, 149 ff. – Menschenrecht, als 150 Deskaheh 266 Devolution 134 Diskriminierung 268, 306, 362 Distinct cultural appearance 209 Doctrine of discovery ĺ Entdeckungsdoktrin Domaine réservé 134, 155 Domestic dependent nations 432 Domestication 244, 330, 432

Sach- und Personenverzeichnis Domestizierung des Rechtsstatus indigener Völker ĺ Domestication Double jeopardy 441 Draft Declaration 201, 272, 359, 543, 547 Dred Scott v. Sandford 437 Durban Declaration 288 Duro v. Reina 439, 441 Eastern Greenland-Fall 247, 325 ECOSOC 268 Ecuador 299, 376 Effet utile 489 EGMR 489 Eide 100 f., 203 Eingeborene ĺ ethnische Gruppe – Begriff 192 Eisenhower 484 Eiszeit 226 Employment Division v. Smith 450 EMRK 174 Entdeckungen 229, 231 Entdeckungsdoktrin 228, 321, 431, 506 Entschädigung ĺ Wiedergutmachung Entschuldigung 361, 368, 533 ff. Entwicklungsmöglichkeiten 199 Erga omnes-Pflichten 74, 79, 83 Eritrea 126, 149, 163 Eroberung 230 f., 385, 435 Erster Weltkrieg 16, 18 Erziehung 138, 164, 336, 406, 513, 529 Estoppel 330 Ethnische Gruppen 97 ff. – Anwendungsfälle Selbstbestimmungsrecht 170 ff., 338 – Autonomie 134 f., 139 – Cristescu-Report 98 – Defensives Selbstbestimmungsrecht 129 – Definitionsansätze 98 ff. – ILC 99 – Indigene Völker 186, 497 f. – Minderheiten 99 ff. – Native Americans 497 f. – Territorialer Bezug 105 ff., 280, 335, 348, 350, 365 – UNESCO-Expertenkonferenz 98 Ethnische Konflikte 170 ff. Ethnologie 4

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EU 182 Europarat 141, 171, 174, 183 – Charta der Regional- und Minderheitensprachen 171 – Empfehlung 1201 141 – Rahmenabkommen zum Schutz nationaler Minderheiten 141 Expansion, europäische 225 ff. – Auslegungsgrundsätze bei Verträgen 327 ff. – Nordamerika 385 ff. – Päpstliche Bullen 228 ff. – Rechtliche Qualifikation der Verträge 325 ff. – Vertragsschlüsse 242 ff., 280, 323 ff., 370 ff., 428 – Zeremoniell 392 Expansionsstaaten 228, 248, 323, 326 f., 329, 332 – Sichtweise zu indigenen Völkern 228 ff. Fakultativprotokoll, Menschenrechtspakt 50 Faröer-Inseln 140 Federal Indian Law 6, 382, 427, 437 ff. Federally Recognized Tribes 413 f., 496 Finnland 20, 139, 261, 380 First Nations 209 f., 262, 354 ff., 360 Florida Indian Land Claims Settlement Act 519 Föderales Selbstbestimmungsrecht 146 Föderalismus 146 Folterverbot 485 Fontaine 360 Foreign Assistance Act 493 Fort Laramie Treaty 463 Fox 377 Frankreich 142 Französische Revolution 14 Friendly Relations-Deklaration 26, 28 ff., 111 f., 118, 151 – Abs. 7 69, 118 – Gewohnheitsrechtliches Selbstbestimmungsrecht 67 ff. – Konsensverfahren 29 Gambling 423, 451 Gefängnis 450 Gemeinden 135

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Sach- und Personenverzeichnis

General Allotment Act 399 Generalversammlung 25 – Aggressions-Definition 157 – Deklaration 1514 25 – Deklaration über Rechte indigener Völker 204, 276 ff., 307 ff. – Friendly Relations-Deklaration 26, 28 ff. – Indigene Völker 278 – Minderheitenschutzdeklaration 100, 221 – Resolution 49/216 273 – Resolution 60/251 276 – Resolution 61/295 277 – Resolution 275 (III) 267 – Resolution 1541 25, 76 – Selbstbestimmungsrecht 161 – Uti possidetis-Prinzip 94 Genozid 125, 241, 306, 334, 368, 381, 460 ff. ĺ Völkermordkonvention Georgia 387, 432 ff. Gerechter Krieg 233 Gerechtigkeit 8 Geschichte 188, 530 Gleichheit 13 Goldwater v. Carter 454 Gorton 470 Gover 538 Government to government 504, 525 Gräber / Grabbeigaben 336 f., 449 f. Grant 463 Greco-Bulgarian CommunitiesGutachten 99 Grenzen – Administrative 122 – Indigene Völker 527 ff. Grönland 140, 247 Großer Schlangenhügel 517 Grotius 229, 236 Gruppen ĺ Ethnische Gruppen Gruppenidentität ĺ Identität Gruppenrechte 302, 545 Guatemala-Fall 294 f. Habeas corpus 441 Haiti 176 Haka-Tanz 374 Handelsverträge 324 Hans v. Louisiana 451 Harper 361 Harrison 391

Hawaii 414, 531, 537 Healing treaty 11, 514 Heilige Orte 335 Herrschaftsgewalt 118 High Court of Australia 364 f. Hochkommissar für Menschenrechte 161 Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung 23 Home Rule Dänemark 333 Hopi 258, 339 Hopu v. France 264 Huber 20 Human Rights Council ĺ Menschenrechtsrat Humanitäre Intervention 150, 153, 159 f., 175 Identität/Identifikation 103, 138, 182, 189, 210, 212, 222 IGH 73 ff. – Barcelona Traction-Fall 74 – Burkina Faso und Mali-GrenzstreitFall 77, 96, 121 – Genozid-Konvention-Gutachten 490 – Namibia-Rechtsgutachten 75 – Nicaragua-Fall 78 – Ost-Timor-Fall 78 ff. – Rechtsprechung allgemein 73 f. – Selbstbestimmungsrecht 74 ff. – West-Sahara-Gutachten 76 f., 251, 372, 515 ILC 83, 99, 159 ILO 33, 196, 267 – Konvention Nr. 107 196, 267 – Konvention Nr. 169 196, 293, 299, 318, 343, 349 Indian Appropriations Act 397, 399, 464 Indian Child Welfare Act 406 Indian Civil Rights Act 406, 440 Indian Claims Commission 403 f., 447, 464, 466 Indian Court of Claims 404, 464 Indian Gaming Regulatory Act 451 Indian Health Service 406 Indian Nations and Tribes ĺ Native Americans Indian Removal Act 394 ff. Indian Reorganization Act 402

Sach- und Personenverzeichnis Indian Self-Determination and Education Assistance Act 406, 423 Indianer Nordamerikas ĺ Native Americans Indianerkriege 396 ff. Indien 251 Indigene Völker 3, 186 ff. – A.D. v. Canada 254 f. – Anaya 209 f., 281 – Autonomie 139 – Awas Tingni-Fall 292 ff., 318 – Banjul-Charta 207 – Begriffsbestimmung 187 ff., 193 ff., 496 ff. – Bündnispartner 242, 392 – Cayuga Indians-Fall 245, 469 f. – Cobo 195, 269, 341 – Daes 202, 270, 280 – Draft Declaration 201 – Eide 203 – Generalversammlung 276 ff. – Geschichtlicher Hintergrund 225 ff. – Hopu v. France 264 – ILO 196 – Indianer ĺ Native Americans – Interamerikanische Deklaration über Rechte indigener Völker 205 f. – Island of Palmas-Fall 246 – Kinder 306, 368, 406 – Kingsbury 214 f. – Kitok v. Sweden 259 f. – Länsman v. Finland 261 f. – Lovelace v. Canada 258 f. – Marginalisierung 3 – Menschenrechte 268 ff., 281 – Menschenrechtskomission 203 f., 273 ff. – Menschenrechtsrat 276 ff. – Mikmaq Tribal Society v. Canada 256 f., 262 f. – Minderheiten, Abgrenzung gegenüber 219 ff. – Minderheitenschutzrechte 4 – Native Americans 381 ff., 496 ff. – OAS 290 ff. – Objektive Elemente 217 – Ominayak v. Canada 255 f., 260 f. – People/s-Streit 274, 339 – Permanent Forum on Indigenous Issues 282 f., 543 – Rassendiskriminierung 269

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– Rechte, Beispiele für die Ausgestaltung in Staaten 354 ff. ĺ Native Americans – Rechtskategorie, als 224 ff. – Rechtspositionen 304 ff. – Rechtsstellung nach Völkervertragsrecht 252 ff. – Selbstbestimmungsrecht 338 ff., 473 ff., 495 ff., 514 ff. – Selbstbewusstsein 250 ff. – Stavenhagen 281 – Subjektive Elemente 217 – Teilnahme an Wahlen 262, 363 – Territorium 191 – Übereinkommen über die biologische Vielfalt 286 – Umweltschutz 285 ff. – UN 267 ff. – UN Working Group on Indigenous Populations (ĺ WGIP) 201 ff., 270 ff. – UN Working Group on the Draft Declaration on the Rights of Indigenous Peoples (ĺ WGDD) 273 ff. – UN-Jahr und -Jahrzehnt 278 f., 547 – Urrutia 274 – Vernichtung 241 ff., 403 ff. – Verträge sui generis 326 – Vertragsschlüsse in der Expansion 242 ff., 280, 323 ff., 358 f., 391 ff. – Völkerrechtlicher Status zur Expansionszeit 240 – Völkerrechtssubjekte, als 266 ff., 325 f., 515 – Völkervertragsrecht ĺ Rechtsstellung nach Völkervertragsrecht – Weltbank 197 ff. Indigenous Peoples Rights Act Philippinen 379 Individualbeschwerden 50 f. Inka 237 Integration mit Staaten 112 Inter-Amerikanische Deklaration über Rechte indigener Völker ĺ OAS Inter-Amerikanische Menschenrechtskommission 291 f. Inter-Amerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte 292 ff. International Law Commission ĺ ILC

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Sach- und Personenverzeichnis

Internationaler Gerichtshof ĺ IGH Internationaler Strafgerichtshof 174 Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung ĺ AntiRassismus-Konvention Internatsschulen 361, 405 Intervention 127 Inuit 358, 518, 539 IPbpR ĺ Menschenrechtspakt IRA ĺ Indian Reorganization Act Irokesen 266, 385, 401 Island of Palmas-Fall 246, 325 Ius cogens 80 ff., 179, 480 Ius gentium 231 Jackson 395, 436 Jagd- und Fischereirechte 327 f., 358, 446, 449, 468 James Bay Agreement Kanada 333 Jay Treaty 528 Johnson 405 Johnson v. McIntosh 430 ff. Jones v. Meehan 329 Jugoslawien 96, 114, 118, 121, 142, 168, 190 Kanada 119 f., 243 f., 247 f., 254, 258, 260, 262, 277 f., 309, 316 f., 328, 345, 352, 522, 534, 543 – Entschuldigung 361, 534 – Indigene Völker, Ausgestaltung der Rechte 354 ff. – James Bay Agreement 333 – Rechtsprechung 355 ff. – Royal Proclamation 247, 387 – Verfassungsreform 1982 354 Kasinos 451 Katanga 117, 249, 301 Kennedy 405 Key 374 Kingsbury 214 f. Kiowa Tribe of Oklahoma v. Manufacturing Technologies, Inc. 453 Kitok v. Sweden 259 f. Kollektivrechte 256, 294, 297, 321, 510 – Kulturelle Identität 334 ff., 529 ff. – Landbesitz 400 Kolonialvölker 92 ff. Kolonien 23, 324

Kolonisierung 235, 324, 431 Kolumbien 299 Kolumbus 227, 384 f. Kombattanten 242, 392 Kongo 117 Konstitutionalisierung 185 Korsika 142 Kosovo 134, 142, 160, 175 Kriegsverbrecher-Tribunale 174 Kristallisationstheorie ĺ Völkergewohnheitsrecht KSZE 34 f. – Autonomie 133 – Demokratie 149 – Helsinki-Report, USA 502 f. – Kopenhagener Dokument 134 – Schlussakte von Helsinki 34 f., 70, 502 Kulturelle Gemeinsamkeiten 188, 260, 280, 373 Kunst 529 Lakota ĺ Sioux Landrechte 259, 311 f., 315 ff., 356, 358, 505 – Abtretung 327 f., 392 – Entschädigung 320, 519 – ILO Konvention 169 318 – Kollektivrechte 321, 400 – Parzellierung 399 ff. – Rückgabe 319 ff., 357, 365, 373, 394, 403 f., 516 ff. – Völkerrechtlicher Status 321 ff. Länsman v. Finland 261 f. Lappland 379 Las Casas 235 f. Lenin 17 Lex posterior 72 Little Big Horn 396, 463 Lone Wolf v. Hitchcock 444 f. Lovelace v. Canada 258 f. Lyng v. Northwest Indian Cemetery Protective Association 449 Mabo v. Queensland 364 ff. Machu Pichu 376 Maine Indian Claims Settlement Act 519 Major Crimes Act 399, 438 Makah 468 Mandatssystem 75

Sach- und Personenverzeichnis Manifest Destiny 390 Maori 310, 317, 327, 370 ff. Marathen-Vertrag 251 Marbury v. Madison 429, 436, 454 Marshall 429 ff., 453 – Völkerrecht 430 Martínez 244, 280, 331, 537 Mashantucket Pequot Tribe 424 Means 407 Menchu 279 Menominee Tribe v. United States 446 Menschenrechte 32, 116, 158, 170, 213, 487 – 1235-Verfahren 158 – 1503-Verfahren 158 – Autonomie 131 – Domaine réservé 155 – Erga omnes-Pflichten 74, 176 – Indigene Völker 268 ff., 281, 306, 406, 428, 522 – Ökonomische und soziale 539 – Rechtswegerschöpfung bei Verletzungen 126 – UN-Hochkommissar 161 – USA, Haltung der 474 ff. Menschenrechtsausschuss 46 ff. – A.D. v. Canada 254 f. – Allgemeine Bemerkung Nr. 12 (21) 51 ff., 162 – Allgemeine Bemerkung Nr. 23 (50) 220, 253 – Allgemeine Bemerkung Nr. 24 487 – Allgemeine Bemerkungen 49 f., 220, 487 – Fakultativprotokoll 50 – Hopu v. France 264 – Indigene Völker 220 – Individualbeschwerden 50 f., 254 ff. – Kitok v. Sweden 259 f., 380 – Kollektivschutz 256 – Länsman v. Finland 261 f. – Lovelace v. Canada 258 f., 380 – Lubicon Lake Band ĺ Ominayak – Materielle Rechte Indigener 258 ff. – Mikmaq Tribal Society v. Canada 256 f., 262 f. – Mikmaq-Entscheidung 52, 254 f., 258 – Ominayak v. Canada 255 f., 260 f., 317

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Selbstbestimmungsrecht 51 ff. Staatenberichte 48 f. Trinidad und Tobago 485 f. USA 504 ff. Vertretungsberechtigung im Beschwerdeverfahren 255 – Zulässigkeit von Individualbeschwerden 254 ff. Menschenrechtskommission 158, 203, 273 ff. – 1235-Verfahren 158 – 1503-Verfahren 158 – Indigene Völker 268 ff. Menschenrechtspakt 42 ff. – Art. 1 27 f., 42 ff., 108 f., 112, 130, 162, 255 ff., 260, 340 f., 494 f., 542 – Art. 2 488 – Art. 25 137, 150, 253, 262, 505, 521 – Art. 27 100, 102, 130, 220, 252 ff., 255 f., 258 ff., 260, 317, 337, 340 f., 505 – Fakultativprotokoll 50, 485 – Individualbeschwerdeverfahren 50 f. – Menschenrechtsausschuss 46 ff., 158 – Notstand 152 – Selbstbestimmungsrecht 46, 51 ff., 67, 152 – Staatenbeschwerde 158 – Trinidad und Tobago 485 f. – UN-Charta, Verhältnis zur 46 – Universalität 67 – USA 483 ff., 493, 504 ff. – Vorbehalte 43 ff., 483 ff., 487 Menschenrechtsrat 204, 269, 276 ff. – Deklaration über Rechte indigener Völker 277, 308, 508 – Resolution 2006/2 277 – Working Groups 269, 543 Meriam-Report 402 Merrion v. Jicarilla Apache Tribe 447 Mexiko 299, 342, 351 – Indigene Völker, Ausgestaltung der Rechte 375 ff. – Selbstbestimmungsrecht 378 – Verfassungsreform 377 f. – Wiedergutmachung 535 Mikmaq Tribal Society v. Canada 256 f., 262 f.

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Sach- und Personenverzeichnis

Mikmaq-Entscheidung 52, 258 Mikro-Staaten 106 Minderheiten 99 ff. – Art. 27 IPbpR 100, 220, 253 – Autonomie 131, 139 – Capotorti-Studie 100 – Definitionen 100 ff. – Eide 100 f. – Indigene Völker 219 ff. – Minderheitenschutzdeklaration 100, 221 – Nicht-dominante Stellung 102 – Objektive Kriterien 102 – Sami 259 f. – Subjektive Kriterien 103 – Territorialer Bezug 105 ff. – Volk 108 f. – Zahlenmäßige Inferiorität 101, 105 Minderheitenschutzdeklaration 100 Minderheitenschutzrechte 4, 100, 221, 258 – Individualrecht 103, 259 Minnesota v. Mille Lacs Band of Chippewa Indians 449 Miskito 291 Missionare 237, 433 Missionierung 234, 433 Mitchel v. United States 435 Mitchell 407 Mitchell v. United States 447 Mittel- und Osteuropa 141 Mohawk 258, 359 Montana v. United States 448 Morales 376 Morton v. Mancari 443, 540 Mueller-Wilson Report 7 Multiethnische Staaten 189 Mündliche Überlieferung ĺ oral history Murray v. Schooner Charming Betsy 430 Museum of the American Indian 472, 532 Namibia-Rechtsgutachten 75 Nation 15 f., 90 ff. National Congress of American Indian 427, 524 Nation-building 25, 94 Native American Church 427, 532

Native American Graves Protection and Repatriation Act 471, 532 Native Americans 226 ff., 381 ff. – 19. Jahrhundert 398 ff. – 20. Jahrhundert 398 ff. – Alaska Native Villages 414, 518 f. – Alaskan Native Claims Settlement Act 519 – Alcatraz 407 – Alkohol 386, 417 – American Indian Movement 407, 546 – American Indian Religious Freedom Act 406, 449 – Apachen 531 – Arapaho 396 – Arbeitgeber 421, 450 – Assimilationspolitik 401, 461, 511 ff. – Auch-Indianer 418 – Autonomie 512 ff. – Badger Two Medicine 517 – Badlands 517 – Banks 407 – Begriffsbestimmung 382 f. – Bellecourt 407 – Besiedlung 419 ff. – Bevölkerungszahl 416 ff. – BIA 410 ff., 522 ff., 538 – Black Hills 393, 462 ff. – Black Kettle 396 – Blackfeet 517 – Blood test 415 – Büffel 396 – Bureau of Indian Affairs ĺ BIA – Canyon de Chelly 370 – Carson 370 – Cherokee 393 – Cheyenne 396 – Citizenship Act 401, 415 – Cobell 411 f. – Cohen 402 – Collier 402 – Co-Management 520 – Commerce Clause 452 – Commission on Civil Rights 501 – Commissioner of Indian Affairs 401 – Crazy Horse 396 – Curtis Act – Custer 396, 463

Sach- und Personenverzeichnis – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Dann 466 f. Dawes Severalty Act 399 Delaware Indian Treaty 391 Domestic dependent nations 432 Entschädigung 519, 538 ff. Entschuldigung 536 ff. Expansion 385 ff. Extinction 460 ff. Federally Recognized Tribes 413 f., 496 Florida Indian Land Claims Settlement Act 519 Fort Laramie Treaty 463 Frühzeit 384 ff. Gambling 423 f., 451 General Allotment Act 399 Genozid-Konvention 460 ff. Geschichte 381 ff. Gesundheitszustand 422 Großer Schlangenhügel 517 Helsinki-Report 502 f. Immunität 451 Indian Appropriations Act 397, 399, 464 Indian Child Welfare Act 406 Indian Civil Rights Act 406, 440 Indian Claims Commission 403 f., 447, 464, 466 Indian Court of Claims 404, 464 Indian Gaming Regulatory Act 451 Indian Health Service 406 Indian Removal Act 394 ff. Indian Reorganization Act 402 Indian Self-Determination and Education Assistance Act 406, 423 Indianerkriege 396 ff. Indigene Völker 381 ff. Internationale Kontakte, Befugnis zu 527 Internatsschulen 405 Irokesen 266, 385, 401 Justiz ĺ Rechtssystem Kasinos 451 Kollektivrechte 545 Kolonien 500 Korruption im BIA 411 Kulturelle Selbstbestimmung 529 ff. Landforderungen 394, 430, 516 ff. Landzuteilung 444, 505 Leben heute 409

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– Lebensumstände 421 ff. – Little Big Horn 396, 463 – Maine Indian Claims Settlement Act 519 – Major Crimes Act 399, 438 – Makah 468 – Manifest Destiny 390 – Mashantucket Pequot Tribe 424 – Means 407 – Menschenrechtspakt 494 f. – Meriam-Report 402 – Mitchell 407 – Museum of the American Indian 472, 532 – National Congress of American Indian 427 – Native American Church 427, 532 – Native American Graves Protection and Repatriation Act 471, 532 – Navajo 336, 397, 420, 472, 495 – Northwest Ordinance 388, 471 – Nukleartests 466 – Oklahoma 393, 401 – Oregon Trail 394 – Parzellierung von Land 399 ff. – Peltier 450, 471 – Peyote 450, 532 – Pine Ridge-Reservation 407 – Plenary power 438 ff., 455 ff., 505 f. – Politik, Wandel 470 ff. – Powwows 425 – Prärieindianer 396 – Problemfelder, historische und moderne 459 ff. – Pro-Kopf-Einkommen 421 – Public Law 280 404, 439 – Rechtsstatus 381 ff., 427 ff. – Rechtsstatus, geschichtliche Entwicklung 427 ff. – Rechtssystem 526 f. – Red Cloud 463 – Red Power-Bewegung 405 ff. – Reservate 394 ff., 401 – Resolution 108 – Ruby Valley 466 – Sand Creek Massacre 396, 472 – Selbstbestimmungsrecht, Anwendbarkeit 473 ff., 495 ff. – Selbstbestimmungsrecht, Umfang 499 ff.

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Sach- und Personenverzeichnis

– Self-Determination Era 405 ff. – Self-Governance-Programm 412, 505, 513, 521 ff., 546 – Shoshone 446, 466 ff. – Siedlungsgebiet 527 – Sioux 393, 396, 408, 462 ff. – Sitting Bull 396 – Souveränität 515 ff. – Sozialdaten 416 ff. – Soziale Bedingungen 402, 406 – Staatsangehörigkeit 401, 413 ff., 453, 521 – Stadtindianer 421 – Stammesverfassung 402, 522 – Steuern 521 – Strafjustiz 438 – Streitschlichtung, internationale 541 ff. – Supremacy Clause 390 – Supreme Court 429 ff., 453 ff. – Tecumseh 391 – Termination 403 ff. – The Longest Walk 407, 470 – Trail of broken Treaties 407 – Treaty with the Six Nations 393 f. – Treuhänder 403, 436, 455 ff., 517 – Tribal Councils 402, 522 ff. – Tribal Courts 438 – Tribal sovereignty 448, 451, 455 ff., 515 ff., 545 – Ute 519 – Verhältnis zu Staaten und Bundesebene 451 ff., 504 ff. – Vertragsschlüsse 391 ff., 428, 433, 443 ff., 513 f. – Völkerrechtssubjekte, als 515 – Volkszugehörigkeit 413 ff., 440 – Ward-guardian-relationship 455 ff. – Wasserrechte 445 f. – Wiedergutmachung 533 ff. – Wohnungssituation 422 – Wounded Knee 370, 408, 460 Native Title Act 366 Native Village of Venetie v. State of Alaska 448 NATO 175 Naturrecht 236, 431 Navajo 336, 397, 420, 472, 495 Neue Minderheiten 101 Neuseeland 278, 310, 316 f. – Entschädigung 374

– Entschuldigung 533 – Indigene Völker, Ausgestaltung der Rechte 370 ff. – Landrückgabe 373 – New Zealand Maori Council v. Attorney-General 373 – Treaty of Waitangi Act 373 – Waitangi-Vertrag 370 ff. – Wiedergutmachung 374 f. New Zealand Maori Council v. Attorney-General 373 Nicaragua 291, 295 Nicaragua-Fall 78 Niederlanden 246 Nigeria 301 Nighthorse Campbell 472 Nisga’a 357 Nixon 405, 503 Non-self-executing, USA 478, 481 ff. Nordamerika 324 Nordirland 171 Northwest Ordinance 388, 471 Norwegen 247, 341, 380 Notwehrrecht 124 ff. Nukleartests 466 Nunavut 352, 354, 358 f., 534, 541 – UN Draft Declaration 359 OAS 205 – Awas Tingni-Fall 292 ff., 318 – Guatemala-Fall 294 f. – Indigene Völker 290 ff. – Inter-Amerikanische Deklaration über Rechte indigener Völker 205 f., 296 ff., 332 f., 510 ff. – Inter-Amerikanische Konferenzen 290 f. – Inter-Amerikanische Menschenrechtskommission 291 f., 467 – Inter-Amerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte 292 ff. – Mary and Carrie Dann against United States 467 f. – Suriname-Fall 312 – USA 510 ff. OAU ĺ African Union Ogoni People-Fall 301 Okkupation 230 f., 435 Oklahoma 393, 401 Oliphant v. Squamish Indian Tribe 438 Ombudsmann 281

Sach- und Personenverzeichnis Ominayak v. Canada 255 f., 260 f., 317 Oneida Indian Nation v. County of Oneida 447 Opinio juris ĺ Völkergewohnheitsrecht Oral history 356, 529 f. Oregon Trail 394 Österreich 169 Ost-Timor 2, 78 ff., 112, 156, 163 OSZE 35 – Demokratie 149 – Vienna Declaration 71 – Wahlen 156 Pacta sunt servanda 329 Palästina 2, 32, 169 Papst 229, 233 Paquete Habana 479, 490 Paraguay 295 Parzellierung 399 ff. Peaceful change 161, 178 ff. – Gewaltverbot 178 – Völkerrechtsprinzip 178 ff. Peltier 450, 471 Persistent objector 61, 346 Personale Autonomie ĺ Autonomie Personalitätsprinzip 136 Peru 299, 375 Peyote 450, 532 Philippinen 145, 379 Pine Ridge-Reservation 407 Plebiszit 21, 77, 126, 155 ff. Plenary power 438 ff., 455 ff., 505 f. PLO 161, 169 Political question 480 f. ĺ Supreme Court Politikwissenschaft 4 Portugal 79, 228, 241, 251 Potlatch 529 Powwows 425, 529 Prärieindianer 396 Prophettown 391 Puerto Rico 112, 163 Quebec 119 f. Queen Elizabeth I. 230 R. v. Guerin 356 Rahmenabkommen zum Schutz nationaler Minderheiten 141

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Rasse-Begriff 187 Rassendiskriminierung 269, 288 Reagan 503 Rechtsstatus, Inneramerikanischer der Native Americans 427 ff. Reconciliation ĺ Wiedergutmachung Red Cloud 463 Red Power-Bewegung ĺ Native Americans Regierungsform 91 Rehnquist 458 Religion 138, 164, 334 f., 406, 449 ff., 529, 532 Renner 16 Rentierzucht 259, 261 Repression 103, 122, 124, 160 Reservate 316, 376, 394, 401 Reservations ĺ Vorbehalte Ressourcen 280, 319, 322, 357, 360, 374, 423, 445 ff., 517 f., 520 Restitutionsanspruch 106 f., 539 Rio-Deklaration 285 f. Rodriguez-Fernandes v. Wilkinson 481 Rohstoffe ĺ Ressourcen Roosevelt 21, 402 Royal Proclamation 247, 387 Ruby Valley 466 Rudd 368 Russische Föderation 133 Russland 277, 310, 380 Salt Lake City 394 Sami 139, 259, 261, 379 f., 527, 535 Sand Creek Massacre 396, 472 Santa Clara Pueblo v. Martinez 440 Scalia 433 Schleswig-Holstein 142 Schlussakte von Helsinki ĺ KSZE Schweden 259, 380 Schweiz 2, 149, 172 Sei Fujii v. State 482 Selassie 126 Selbstbestimmungsrecht der Völker 12 ff. – Åland-Inseln-Fall 20 ff. – Allgemeine Bemerkung Nr. 12 (21) 51 ff. – Als Prinzip 40 ff. – Anwendungsfälle 167 ff. – Ausübung 155 ff. – Autonomie 131, 143 ff.

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Sach- und Personenverzeichnis

Dauerhaftes Recht 162 f. Defensives 111, 128 ff., 165 Dekolonisierung 24 ff. Demokratie 14 f., 128, 149 ff. Dokumente, grundlegende 13 ff. Domaine réservé 155 Durchsetzung 155 ff. Ethnische Gruppen 129 Externes 111 Friendly Relations-Deklaration 26, 28 ff., 67 ff. Gewaltverbot 153 f., 157 Gewohnheitsrechtlich 64 ff. Hierarchisches Recht 151 ff., 165 Historische Entwicklung 13 ff. Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung 23 Humanitäre Intervention 159 f. Indigene Völker 33 f., 338 ff., 495 ff. Interne Sachverhalte 69 f. Internes 111 Ius cogens 80 ff., 480 Legaldefinition 46 Menschenrechtsausschuss 46 ff., 51 ff. Menschenrechtspakt 27 f., 67, 340 f. Militärische Mittel 157 Nationalstaat 15 f. Native Americans 495 ff. Notwehrrecht 124 ff. OAS 297 Objekt 110 ff. Offensives 111, 112 ff., 165 Ost-Timor-Fall 78 ff. philosophische Vordenker 13 ff. Plebiszit 155 ff. Rechtliche Qualität 37 ff. Rechtlicher Gehalt 86 ff. Repräsentatives Regierungssystem 32, 128 Revolutionäre Bestrebungen 14 f. Sezession 119 f., 124 ff., 164, 343, 500 Sicherung des Weltfriedens 152 f. Sozialistisches 16 f. Staatsgrenzen 93 f. Territoriale Integrität 155, 310 Territorialität 105 ff. UN-Charta 22 ff.

– UN-Deklaration über die Rechte indigener Völker 313 f., 338 ff. – USA, Wirksamkeit im innerstaatlichen Recht 492 ff. – Uti possidetis-Prinzip 92 ff. – Völkerbundära 19 ff. – Zweifel an der rechtlichen Qualität 85 f. – Zwingendes Völkerrecht ĺ Ius cogens Selbstidentifikation ĺ Identität Selbstregierung 133, 343, 521, 526 Selbstverteidigung 153 – Präventive 176 f. Selbstverwaltung 133 Self-Determination Era ĺ Native Americans Self-Governance-Programm 412, 505, 513, 521 ff., 546 Seminole Nation v. United State 457 Seminole Tribe of Florida v. Florida 451 Sepulveda 235 Sezession 113 ff. – Anerkennung 120 – Beurteilung 161 – Dekolonisierung 113 f. – Ethnische Gruppen 170 – Föderalismus 148 – Jugoslawien 168 – Minderheiten 149, 151 – Notwehrrecht 115, 124 ff., 154 – Quebec-Gutachten 119 ff. – Sezessionsrecht indigener Völker 173, 347, 500 – Uti possidetis-Prinzip 93, 121 ff., 168 Sezessionsbestrebungen 117 Shoshone 446, 466 ff. Shoshone Tribe of Indians v. United States 446 Sibirien 226 Sicherheitsrat 159, 161, 175 Sicherung des Weltfriedens 152 f., 161, 176, 349 Siedler 394 Siedlungsgebiet 107, 527 Sioux 393, 396, 408, 462 ff. Sioux Nation v. United States 462 ff. Sitten und Bräuche 188, 259, 336, 378 Sitting Bull 396

Sach- und Personenverzeichnis Sklaverei 288, 306, 461, 536 f. Slowakei 141 Soft law 70 Somalia 176 Souter 452 Souveränität 108, 129, 239, 277, 332, 347, 363, 370 f., 392, 427, 438, 448 – Relativierung 181 ff. Sowjetunion 114, 168, 190 Soziale Bedingungen 402, 406 Soziologie 4 Spanien 141, 228, 241 Sparrow v. The Queen 355 Spätscholastik 234 Sprache 138, 145, 164, 188, 295, 335, 371, 529 Sprachwissenschaften 4 Sri Lanka 149, 171 St. Augustine 386 Staat 136 Staatenberichte 47 f., 485, 509 Staatenverantwortlichkeit 83, 534 Staatsangehörige 136 Staatsangehörigkeit 91, 400 f., 413 ff., 453 Staatsneugründung 112, 162, 499 Stalin 17 Stammesverfassung 402 Ständiger Internationaler Gerichtshof ĺ StIGH Statusbestimmung 112 Stavenhagen 281 Steuern 521 StIGH 99, 247 – Eastern Green-Fall 247 – Greco-Bulgarian CommunitiesGutachten 99 Streitschlichtung 353, 541 ff. Suárez 233 ff. Sub-Commission on the Promotion and Protection of Human Rights 268 f. – Advisory Committee 276 – Cobo-Studie 269, 341 Subsidiarität 182, 343 Südafrika 32, 102, 535 Südamerika 375 ff. Sudan 173 Südtirol 140, 147, 172 Supranationalität 181 Supreme Court of Canada 119, 355 ff.

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– Côté v. The Queen 355 – Delgamuukw v. British Columbia 356, 530 – Quebec-Gutachten 119 – R. v. Guerin 356 – R. v. Marshall 360 – Sparrow v. The Queen 355 Supreme Court of the United States ĺ US Supreme Court Suriname 295, 312 SWAPO 161 Tahiti 264 Tamilen 149 Tecumseh 391, 395 Tee-Hit-Ton v. United States 447 Termination – Native Americans 403 ff. Terra nullius 76, 228, 243, 251, 316, 318, 325 f., 331, 363 Territoriale Autonomie ĺ Autonomie Territoriale Integrität – Defensives Selbstbestimmungsrecht 128 – Deklaration über die Rechte indigener Völker 277, 310, 344 – Peaceful change 180 – Quebec 119 – Selbstbestimmungsrecht 155 – Sezession 115 – Uti possidetis-Prinzip 93, 123 Territorialität 105 ff. – Autonomie 135 f. – Indigene Bevölkerung 109, 191, 280, 348, 350, 365 – Native Americans 419 ff. Terrorismus 176 The Longest Walk 407, 470 Thompson 433 Tibet 2, 172 Tippecanoe 391 Todesstrafe 476, 485 f. Toledo 375 Torres Strait Islanders 362 Tourismus 517 Trade and Intercourse Act 390, 434 Trail of broken Treaties 407 Trail of Tears 396 Treaty monitoring 47 ff. Treaty of Waitangi Act 373 Treaty with the Six Nations 393 f.

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Sach- und Personenverzeichnis

Treuhänder 403, 455 ff. Tribal 197 Tribal Councils 402, 522 ff. Tribal sovereignty 448, 451, 455 ff., 465, 515 ff. Tribes ĺ Native Americans Trinidad und Tobago 485 f., 489 Truman 475 U Thant 117 Übereinkommen über die biologische Vielfalt 286 Uluru 335, 517, 531 UN – ĺ Generalversammlung – ĺ Menschenrechtsrat – Anti-Rassismus-Konvention 264, 509 – Gründung 22 – Hochkommissar für Menschenrechte 161 – ILO 33 – Indigene Völker 267 ff. – Intervention 160, 170 f. – Menschenrechtskomission 203 – Menschenrechtspakt 27 f. – Permanent Forum on Indigenous Issues 282 f., 543 – Reform des Menschenrechtsschutzes 284 f. – Umweltschutz 285 ff. – Wahlen, Überwachung von 156 – Wiener Menschenrechtskonferenz 32 – Wirtschafts- und Sozialausschuss ĺ ECOSOC – Working Group on Indigenous Populations ĺ WGIP – Working Group on the Draft Declaration on the Rights of Indigenous Peoples ĺ WGDD UN-Charta 40 ff. – Art. 1 22, 40, 152 – Art. 2 153, 155 – Art. 14 161 – Art. 55 22, 40 – Art. 73 23, 40 – Art. 76 40 – Deklaration über die Rechte indigener Völker 314 – Gewaltverbot 153

– Interventionsverbot 155 – Menschenrechtspakt 46 – Sei Fujii v. State, USA 482 – Sezession 118 – Travaux préparatoires 40, 91 – Völkervertragsrecht 40 – Volksbegriff 91 – Weltfrieden 152 f. Understanding, USA 478 UNESCO 187 Ungarn 141 United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples ĺ Deklaration über Rechte indigener Völker United Nations Development Programme 286 f. United States v. Antelope 456 United States v. Dann 467 United States v. Kagama 399, 438 United States v. Lara 442 United States v. Sandoval 445 United States v. Shoshone Tribe of Indians 447 United States v. Sioux Nation 458 United States v. United States Fidelity & Guaranty Co. 451 United States v. Wheeler 441 UNPO 208 Unterkommission zur Verhinderung jeder Art von Diskriminierung und zum Schutze der Minderheiten ĺ Sub-Commission on the Promotion and Protection of Human Rights Unzivilisierte Menschen 229 Ureinwohner ĺ ethnische Gruppe – Begriff 190 Urrutia 274 US Citizenship Act 401, 415 US Constitution 387 – XI. Amendment 433 – Art. I 389, 455, 476 – Art. II 477 – Art. III 432, 436, 454 – Art. VI 390, 477 f. – Commerce Clause 452 – Präambel 389 – Supremacy Clause 390, 477 f., 486 US Supreme Court 329, 429 ff. – Alaska v. Native Village of Venetie Tribal Government 448

Sach- und Personenverzeichnis – Baker v. Carr 454 – Brendale v. Conf. Tribes & Bands of the Yakima Indian Nation 448 f. – California v. Cabazon Band of Mission Indians 451 – Carpenter v. Shaw 446 – Cherokee Nation v. Georgia 432 f. – Cherokee Nation-Cases 395 – City of Bourne v. Flores 450 – Crow Dog, Ex parte 399, 438 – Dred Scott v. Sandford 437 – Duro v. Reina 439, 441 – Employment Division v. Smith 450 – Entscheidungen zum Federal Indian Law, Weitere 437 ff., 455 ff. – Goldwater v. Carter 454 – Hans v. Louisiana 451 – Johnson v. McIntosh 430 – Jones v. Meehan 329 – Judicial self-restraint 429, 453 ff. – Kiowa Tribe of Oklahoma v. Manufacturing Technologies, Inc. 453 – Kritik 453 ff. – Lone Wolf v. Hitchcock 444 f. – Lyng v. Northwest Indian Cemetery Protective Association 449 – Marbury v. Madison 429, 436, 454 – Marshall-Trilogie 429 ff., 453 – Menominee Tribe v. United States 446 – Merrion v. Jicarilla Apache Tribe 447 – Minnesota v. Mille Lacs Band of Chippewa Indians 449 – Mitchel v. United States 435 – Mitchell v. United States 447 – Montana v. United States 448 – Morton v. Mancari 443, 540 – Murray v. Schooner Charming Betsy 430 – Oliphant v. Squamish Indian Tribe 438 – Oneida Indian Nation v. County of Oneida 447 – Paquete Habana 479, 490 – Political question 429, 453 ff., 465 – Rolle für Native Americans 409, 429 ff. – Santa Clara Pueblo v. Martinez 440 – Seminole Nation v. United States 457

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– Seminole Tribe of Florida v. Florida 451 – Shoshone Tribe of Indians v. United States 446 – Sioux Nation v. United States 462 ff. – Tee-Hit-Ton v. United States 447 – Todesstrafe 476 – United States v. Antelope 456 – United States v. Dann 467 – United States v. Kagama 399, 438 – United States v. Lara 442 – United States v. Sandoval 445 – United States v. Shoshone Tribe of Indians 447 – United States v. Sioux Nation 458 – United States v. United States Fidelity & Guaranty Co. 451 – United States v. Wheeler 441 – Völkerrecht 430 – Winters v. United States 445 – Worcester v. Georgia 329, 433 f. USA 177, 246, 278, 309 f., 316, 336, 545 f. – Berichte Menschenrechtspakt 485, 504 ff. – Bundesstaaten 393 – Expansion 388 ff. – Federal Government 393 – Foreign Assistance Act 493 – Gewaltenteilung 491 – Ius cogens 480 – Kongress 388, 404, 442, 477, 537 – Krieg von 1812 391 – Manifest Destiny 390 – Menschenrechte 474 ff. – Menschenrechtspakt 483 ff. – Northwest Ordinance 388, 471 – Präsident ĺ US-Präsident – Senat 392, 477 – Siedler 394 – Trade and Intercourse Act 390, 434 – Verfassung ĺ US Constitution – Verhältnis zwischen Indian Nations, Staaten u. Bundesebene 451 ff. – Vertragsschlüsse 391 ff., 397 f., 428, 443 ff., 513 f. – Völkerrecht 474 ff. US-Präsident 18, 21, 389, 391, 395, 402, 405, 436, 463, 471, 475, 477 f., 484, 503 f., 510, 536

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Sach- und Personenverzeichnis

– Kompetenzen bei Völkerrechtsverträgen 477 f. Ute 519 Uti possidetis-Prinzip 92 ff. – Begriff 93 – Dekolonisierung 93 ff. – IGH 93 – Indigene Völker 316 – Jugoslawien 96, 168 – Sezession 96, 121 ff. Venezuela 299 Vereinigtes Königreich / Großbritannien 324 Vereinte Nationen ĺ UN Verhaltenscodes 190 Vertreibung 106, 316 Vertretungsorgane 160 ff. Vielvölkerstaaten 190 Vienna Declaration ĺ OSZE Vitoria 233 ff., 238, 427 Volk 15 – Art. 1 IPbpR 108 – Begriff 87 ff. – Definition Indigene Völker 193 ff. – Ethnische „Gruppen“ 97 ff., 170 – Ethnische Kriterien 95 – Kolonialvölker 92 ff. – Minderheit 108 f. – Nation 90 ff. – Objektive Kriterien 89 f. – Siedlungsgebiet 107 – Staatsvolk 90 ff. – Subjekt des Selbstbestimmungsrechts 87 ff. – Subjektive Kriterien 89 f. – Territorialer Bezug 105 ff. – Vertretungsorgane 160 ff. Völker ĺ Volk Völkerbund 19 ff., 266 Völkergewohnheitsrecht 54 ff. – Beschränkte Praxis beim Selbstbestimmungsrecht 64 ff. – Consuetudo 55, 56 ff. – Desuetudo 72 – Friendly Relations-Deklaration 67 ff. – Kristallisationstheorie 60 – Menschenrechtspakt 67 – Nachweisbares Staatenverhalten ĺ Consuetudo

– – – – –

Opinio juris 58 ff. Persistent objector 61 Praxis der Staaten 66 Rechtsüberzeugung der Staaten 65 Subjektive Überzeugung ĺ Opinio juris – Systematik 54 ff. – Unverbindliche Beschlüsse 61 – USA 474 – Uti possidetis-Prinzip 95 – Verhältnis zu Vertragsrecht 72 f. – Verhinderung der Entstehung 62 ff. – Verträge 60 Völkermordkonvention 125, 460 ff., 475, 490 Völkerrecht – Frühes 231 – Konstitutionalisierung 185 – USA, Geltung als innerstaatliches Recht 474 ff., 483 ff. – Wandel 173 ff., 184 f. Völkervertragsrecht 38 ff. – Declarations 478 – Konkretisierung durch Gewohnheitsrecht 54 – Non-self-executing 478, 481 ff. – Selbstbestimmungsrecht 39 ff. – Understanding 478 – USA 474, 477 f., 483 ff. – Verhältnis zu Gewohnheitsrecht 72 f. – Vorbehalte 478 Vorbehalte, USA 478 Wahrheitskommission 535 Waitangi 310, 327, 370 ff. Waldrodung 318 Walfang 468 Wampum-Gürtel 238 Ward-guardian-relationship 455 ff. Washington 389 Weltbank 197 ff. West-Sahara/-Gutachten 76 f., 156, 372, 515 WGDD 273 ff. – Rolle der indigenen Vertreter 274 – Selbstbestimmungsrecht 339 f. – USA 507 ff. – Verhältnis zur WGIP 275 WGIP 201 ff., 270 ff. – Aufbau 270

Sach- und Personenverzeichnis – Deklarationsarbeiten 272 – Expert mechanism on the rights of indigenous peoples 284 – Konferenzen 279 ff. – Mitwirkung indigener Völker 270 f., 339 – Signalwirkung 283 – Studien 279 ff. – USA 507 – Verhältnis zur WGDD 275 – Verzicht auf Definition der betroffenen Völker 201 Wheeler-Howard Act ĺ IRA White Earth Reservat 391 Wiedergutmachung 312, 320, 357, 367 ff., 374 f., 464 f., 533 ff., 544 Wiedervereinigung Deutschland 167 Wiener Menschenrechtskonferenz 32 Wikinger 227 Wilde 238 ff. Wilson 18 – 14 Punkte 18 Winters v. United States 445

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Wirtschafts- und Sozialausschuss ĺ ECOSOC Wolff 237 f. Worcester v. Georgia 329, 433 f. Working Group on Indigenous Populations ĺ WGIP Working Group on the Draft Declaration on the Rights of Indigenous Peoples ĺ WGDD World Conference against Racism 287 ff., 462 Wounded Knee 370, 408, 460 WVK 38, 487 Yanomami 292, 376 Zapatisten 375, 378 Zerstörung 154, 240, 241 ff. – Kulturelle 125 Zivilisierte Nationen 239, 372 Zweisprachigkeit 145 Zwingendes Völkerrecht ĺ Ius cogens