Arbeitsrecht in kirchlicher Selbstbestimmung: Das kirchenspezifische Arbeitsrecht im Spannungsverhältnis von verfassungsrechtlicher Schutzpflicht und kirchlichem Selbstbestimmungsrecht [1 ed.] 9783428557516, 9783428157518

Das kirchenspezifische Arbeitsrecht in Deutschland bildet die wohl am meisten beachtete Materie des deutschen Religionsv

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German Pages 552 [553] Year 2019

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Arbeitsrecht in kirchlicher Selbstbestimmung: Das kirchenspezifische Arbeitsrecht im Spannungsverhältnis von verfassungsrechtlicher Schutzpflicht und kirchlichem Selbstbestimmungsrecht [1 ed.]
 9783428557516, 9783428157518

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Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Band 58

Arbeitsrecht in kirchlicher Selbstbestimmung Das kirchenspezifische Arbeitsrecht im Spannungsverhältnis von verfassungsrechtlicher Schutzpflicht und kirchlichem Selbstbestimmungsrecht

Von

Volker Herbolsheimer

Duncker & Humblot · Berlin

VOLKER HERBOLSHEIMER

Arbeitsrecht in kirchlicher Selbstbestimmung

Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Herausgegeben von Otto Depenheuer · Ansgar Hense · Alexander Hollerbach Josef Isensee · Matthias Jestaedt · Paul Kirchhof · Joseph Listl (†) Wolfgang Loschelder (†) · Hans Maier · Paul Mikat (†) · Stefan Muckel Sebastian Müller-Franken · Wolfgang Rüfner · Christian Starck Markus Stoffels · Arnd Uhle

Band 58

Arbeitsrecht in kirchlicher Selbstbestimmung Das kirchenspezifische Arbeitsrecht im Spannungsverhältnis von verfassungsrechtlicher Schutzpflicht und kirchlichem Selbstbestimmungsrecht

Von

Volker Herbolsheimer

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Wintersemester 2018/2019 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7247 ISBN 978-3-428-15751-8 (Print) ISBN 978-3-428-55751-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-85751-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinem Vater

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde unter dem Titel „Verfassungsrechtlicher Schutz und kirchenrechtliche Sanktionen im Arbeitsrecht“ im Wintersemester 2018/2019 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-LudwigsUniversität Freiburg im Breisgau als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur konnten bis Dezember 2018 berücksichtigt werden. Ziel dieser Studie ist es, das kirchenspezifische Arbeitsrecht auf seiner verfassungsrechtlichen, genauer: verfassungsrechtsdogmatischen, Ebene zu reflektieren. Dabei ist es mir ein wichtiges Anliegen, die Bedeutung der grundrechtlichen Positionen der kirchlichen Mitarbeiter, stärker als es häufig gerade in der Literatur der Fall ist, einfließen zu lassen. Das Problem einer neutralen Beurteilung ist dabei aber stets, dass sie nur ein Ideal darstellt. Jede menschliche Bewertung wird durch subjektive psychologische und vor allem soziale Faktoren beeinflusst – gerade im Religionsverfassungsrecht, das mit dem Glauben an eine zutiefst subjektive Dimension des Beurteilenden anknüpft. Diese Determination einerseits zumindest theoretisch einzudämmen und andererseits für den Leser sichtbar zu machen vermag nur eine transparente Reflexion der beeinflussenden Faktoren. Insoweit sei an dieser Stelle erwähnt, dass ich der evangelischen Kirche angehöre. Religion ist für mich ein elementares gesellschaftliches System, das sich aber seinen Einfluss auf ein freiheitliches und vor allem tolerantes Verhalten der Individuen zugunsten eines friedlichen Zusammenlebens in der Gesamtgesellschaft stärker bewusst machen sollte. Mein zutiefst empfundener Dank gilt zuvörderst meinem verehrten Doktorvater, Prof. Dr. Matthias Jestaedt, der mir die Chance gegeben hat, mich intensiv und unabhängig diesem spannenden Thema zu widmen. Seine Fähigkeit zum analytischen und scharfsinnigen Betrachten der Dinge sowie seine Liebe zur Wissenschaft haben mir nicht nur zahlreiche Male geholfen, sondern mich auch besonders motiviert. Sie werden mir immer Vorbild sein. Für seine intensive und keineswegs selbstverständliche Unterstützung bin ich ihm unendlich dankbar. Prof. Dr. em. iur., Dr. iur. h.c., Dr. theol. h.c. Alexander Hollerbach danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Dass er sich hierzu bereiterklärt hat, ist mir eine besondere Ehre. Prof. Dr. Ansgar Hense bin ich für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe „Staatskirchenrechtliche Abhandlungen“ sowie für seine freundlichen Worte über die Arbeit dankbar.

8 Vorwort

Ein ganz besonderer Dank gebührt Prof. Dr. Julian Krüper. Er ermöglichte es mir, während meiner Tätigkeit an seinem Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Verfassungstheorie und interdisziplinäre Rechtsforschung an der Ruhr-Universität Bochum die Arbeit zu verfassen. Er hat einen großen Anteil daran, dass sie auch fertiggestellt worden ist. Seien es die unzähligen Gespräche mit ihm, seine Expertise oder das Erteilen auch persönlicher Ratschläge – seine Unterstützungsleistung ist kaum in Worte zu fassen. Insbesondere sein spürbares persönliches Interesse am Gelingen der Arbeit bedeutet mir viel. In den fünf Jahren meiner Tätigkeit für und mit ihm habe ich eine unschätzbare persönliche wie fachliche Entwicklung vollzogen, für die ich ihm immer dankbar bin. Katrin Gerdsmeier, Direktorin des Berliner Büros des Deutschen Caritasverbandes e.V., gab mir dankenswerterweise die Möglichkeit zu einem persönlichen Gespräch und einem wichtigen Meinungsaustausch, der meinen Blick auf die Situation erheblich geprägt und meine Sinne für das Problem weiter geschärft hat. Eine solche Arbeit als „wissenschaftliches Gesellenstück“ entsteht nicht alleine, sondern profitiert unweigerlich durch die Unterstützung von Kollegen und Freunden. In diesem Zusammenhang seien an erster Stelle Dr. Stephanie Große, Christian Kukuczka, Sarah Wedrich sowie meine Schwester Sabine Gurski genannt. Ihnen bin ich für die Korrektur des Manuskripts sowie für ihre wertvollen Anmerkungen mit Dank verbunden. Dr. Stephanie Große bin ich zudem für die hilfreichen, tiefgehenden und manchmal auch besonders humorvollen Gespräche und Diskussionen in höchstem Maße dankbar. Der gleiche Dank gilt meinen Bochumer Kollegen Dr. Jan-Marcel Drossel, Dr. Lukas Lübben, Sebastian Walisko sowie Maximilian KotheMarxmeier für den wissenschaftlichen und auch persönlichen Austausch. Die Arbeit wäre aber definitiv nicht vollendet, wahrscheinlich nicht einmal angefangen worden, wenn ich nicht die bedingungslose Unterstützung und Liebe meiner Ehefrau Jill Herbolsheimer gehabt hätte. Bereits seit dem Studium hat sie gerade in schweren Zeiten zu mir gehalten und mich so gestärkt, dass ich auch besonders herausforderungsvollen Aufgaben gewachsen war. Ihre Art und ihr Einfluss sind es, die mich über mich hinauswachsen lassen. Zusätzlichen bedingungslosen Rückhalt erhielt ich auch stets von meiner Familie, allen voran meiner Mutter Ingeborg Herbolsheimer und meinem Vater Dr. med. Michael Herbolsheimer. Ihnen verdanke ich unendlich viel. Meinem Vater, der mich nicht zuletzt hinsichtlich wissenschaftlicher Sorgfalt prägte, kann ich nicht genug danken. Sein Tod ist für mich ein schmerzlicher Verlust. Ihm ist die Arbeit daher gewidmet. Essen, März 2019

Volker Herbolsheimer

Inhaltsverzeichnis

Einleitung: Die Janusköpfigkeit der Religion als Herausforderung für das Recht 

19

Teil 1

Bestandsaufnahme: das kirchenspezifische Arbeitsrecht und seine rechtliche Ausgestaltung 

25

A. Die Situation in den Kirchen: kein „kirchliches Arbeitsrecht“ . . . . . . . . . . . . 25 B. Der Begriff der Dienstgemeinschaftals Legitimation kirchenrecht­licher Modifikationen im Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 C. Inhalt und Auswirkungen der Modifikationen im Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . 32 I. Die Loyalitätspflichten als erste Säule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 a) Staatliches einfaches Recht als Rahmenordnung . . . . . . . . . . . . . . . 34 aa) Die Zulässigkeit kirchlicher Loyalitätsforderungen: AGG  . . . 34 bb) Rechtssystematische Einordnung der Loyalitätspflichten in das weltliche Zivil- und Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 b) Kirchenrechtliche Gesetzesgrundlagen als Umsetzung . . . . . . . . . . 40 2. Ausgestaltung und Auswirkungen der Loyalitätspflichten . . . . . . . . . . 42 a) Überblick über die Ausgestaltung der Loyalitätspflichten . . . . . . . 42 b) Auswirkung I: Umgang mit Bewerbern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 c) Auswirkung II: Erweiterung der Kündigungsmöglichkeit . . . . . . . 48 II. Das Streikverbot als zweite Säule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 1. Die Ablehnung des Tarifvertragssystems durch die Kirchen . . . . . . . . 52 2. Rechtsgrundlagen für den „Dritten Weg“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 3. Ausgestaltung des Koalitionssystems in den Kirchen . . . . . . . . . . . . . 58 a) Das Koalitionssystem der katholischen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . 59 b) Das Koalitionssystem in den evangelischen Kirchen . . . . . . . . . . . 64 aa) Die Anwendung einer modifizierten Art des „Zweiten Wegs“ in einzelnen Landeskirchen: „kirchengemäße Tarifverträge“ . 65 bb) Die Ausgestaltung des „Dritten Wegs“ in den übrigen Landeskirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 III. Die Mitarbeitervertretung als dritte Säule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 1. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2. Ausgestaltung des Mitarbeitervertretungssystems in den Kirchen . . . . 76

10 Inhaltsverzeichnis Teil 2

Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts 

79

A. Verfassungsrechtliche Grundierung des Problems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrechtund das kirchenspezifische Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 I. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht als Geltungsgrundlage des kirchenspezifischen Arbeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 1. Die sachliche Dimension: das kirchenspezifische Arbeitsrecht als Moment kirchlicher Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 a) Das kirchenspezifische Arbeitsrecht als Ordnen eigener Angelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 aa) Das Selbstverständnis der Kirchen als Bestimmungsfaktor eigener Angelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 bb) Das kirchliche Selbstverständnis und die Modifikationen im Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 (1) Die individualarbeitsvertragsrechtlichen Pflichten als eigene Angelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 (2) Das kircheneigene Koalitionssystem als eigene Angelegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 (3) Das Mitarbeitervertretungssystem als eigene Angelegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 b) Der Modus der Reichweitebestimmung des kirchenspezifischen Arbeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 c) Conclusio: das Verhältnis von staatlichem und kirchenspezifischem Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2. Die personelle Dimension: die Kirchen und ihre selbstständigen Einrichtungen als Begünstigte des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts . 111 3. Die prozuessuale Dimension: das Verhältnis von kirchlichem Selbstbestimmungsrecht und korporativer Glaubensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . 117 II. Die Grundrechte der Mitarbeiter als Schranken des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 1. Keine unmittelbare Geltung der Grundrechte im kirchlichen Bereich . 123 2. Mittelbare Geltung der Grundrechte im kirchlichen Bereich . . . . . . . . 124 a) Anwendbarkeit des staatlichen Justizgewährungsanspruchs . . . . . . 126 b) Kein genereller Vorrang des Justizgewährungsanspruchs . . . . . . . . 129 c) Exkurs: mittelbare Grundrechtswirkung und mittelbare Grundrechtsgeltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 d) Das für alle geltende Gesetz im Bereich des Rechtsschutzes . . . . . 131 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 III. Überlagerung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts durch das Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 1. Europarecht und kirchliche Loyalitätspflichten (Richtlinie 2002 / 78 / EG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

Inhaltsverzeichnis11 a) Religionszugehörigkeit als Einstellungsvoraussetzung (Art. 4 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Religion als Differenzierungskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Keine vollumfängliche Bereichsausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Das Kompetenzproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Auswirkungen des Urteils des EuGH vom 17.04.2018 („Egenberger“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Inkurs: die Beurteilungskompetenz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Europarechtlich induzierte Begrenzung der Loyalitätspflichten auf leitende, erzieherische und pastorale Tätigkeiten?  . . . (1) Fehlende Regelungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Inkurs: die Notwendigkeit der Verhältnismäßigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Zusammenfassung und Ausblick  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die sonstigen Fälle der Loyalitätspflichten und das Urteil des EuGH vom 11.09.2018 („Chefarzt“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Europarecht und kirchliche Mitarbeitervertretung (Richtlinie 2002 / 14 / EG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Der verfassungsrechtliche Schutz der Mitarbeiterals Grenze des kirchenspezifischen Arbeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundrechtliche Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Herleitung grundrechtlicher Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die kirchlichen Mitarbeiter als Schutzberechtigte, der Staat als Schutzverpflichteter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Grundrechte der Mitarbeiter als betroffene Schutzgüter . . . . . . . . a) Loyalitätspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die binäre Prüfungsstruktur und ihre Bedeutung für die Grundrechtsbetroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Erste Stufe: die bürgerliche Wirksamkeit der Loyalitätspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Abhängigkeit des betroffenen Grundrechts vom Inhalt der Loyalitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Konflikte aufgrund konträren außerdienstlichen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Das Verbot praktizierter Homosexualität . . . . . . . . . . (aa) Die Freiheit der Ehe (Art. 6 Abs. 1 GG) . . . . . . (bb) Der Schutz der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . (dd) Das Verbot der Ungleichbehandlung (Art. 3 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Der Verstoß gegen das Sakrament der Ehe . . . . . . . . . (3) Die religionsbezogenen Loyalitätspflichten . . . . . . . . . . . .

133 134 135 136 139 144 147 147 148 149 150 152 153 153 154 161 162 163 163 166 168 170 170 171 179 186 191 206 208

12 Inhaltsverzeichnis (a) Die (negative) Freiheit der Religion (Art. 4 Abs. 1, 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 (b) Das Verbot der Ungleichbehandlung wegen der Religion (Art. 3 Abs. 3 Var. 6 GG) . . . . . . . . . . . . . . . 209 (4) Konflikte aufgrund sachlicher Differenzen . . . . . . . . . . . . 211 cc) Zweite Stufe: kirchenrechtliche Maßnahme im Einzelfall . . . . 214 (1) Die Freiheit des Berufs (Art. 12 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . 215 (2) Das allgemeine Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 b) Der „Dritte Weg“ – Ausschluss des Streikrechts . . . . . . . . . . . . . . . 218 aa) Die individuelle und kollektive Freiheit der Koalitionsbetätigung (Art. 9 Abs. 3 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 bb) Das allgemeine Gleichheitsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) . . . . . . . 223 c) Das kircheneigene Mitarbeitervertretungssystem . . . . . . . . . . . . . . 223 aa) Die Freiheit des Berufs (Art. 12 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . 224 bb) Die individuelle und kollektive Freiheit der Koalitionsbetätigung (Art. 9 Abs. 3 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 cc) Die selbstbestimmungsbezogenen Grundrechte und das Sozialstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 dd) Das allgemeine Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) . 230 d) Exkurs: die Gefahrenschwelle als unzulässige Tatbestandsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 4. Die Verhältnismäßigkeit als Reichweitebestimmung der Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 a) Die Erstreckung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf die Schutzpflichtenkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 aa) Tatbestandslösung versus Abwägungslösung . . . . . . . . . . . . . . 234 bb) Die grundsätzliche Übertragbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf die Schutzpflichtenkonstellationen . . . . . 236 b) Exkurs: die Ausgestaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in Schutzpflichtenkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 aa) Die Anwendbarkeit der Schrankenregelungen . . . . . . . . . . . . . 239 bb) Des Pudels Kern: das indefinite verfassungsmäßige Gegenteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 cc) Das Postulat vom „angemessenen Schutzniveau“ . . . . . . . . . . 242 dd) Die Übertragung der abwehrrechtlich entwickelten Grundsätze des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in der Literatur . . . . . 244 ee) Stellungnahme: die Ausgestaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in Schutzpflichtenkonstellationen . . . . . . . . . . . . . 248 (1) Die genaue Eingrenzung des Prüfungsgegenstands . . . . . . 248 (2) Die Übertragung aller Anwendungsebenen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf Schutzpflichtenkonstella­ tionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 (3) Der Entscheidungsspielraum der staatlichen Gewalt . . . . . 252

Inhaltsverzeichnis13 (4) Kein Unterschied bei Gleichheitsrechten . . . . . . . . . . . . . . 256 ff) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 II. Das Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 1. Tatbestandsimmanente Abwägung als Schrankenersatzkonzept? . . . . . 262 2. Die Reichweite des Rechtsstaatsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 a) Der allgemeine Teil des Rechtsstaatsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 b) Keine mittelbare Geltung des Rechtsstaatsprinzips im kirchlichen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 c) Die rechtsstaatlichen Konkretisierungen als Grenzen kirchlicher Selbstbestimmung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 3. Exkurs: die kirchenrechtlich begründete Geltung des Rechtsstaatsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Teil 3

Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts 

A. Die Abwägung als rationaler Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Rationalitätsproblem und seine Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Abwägungskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Rationalität des Diskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Abwägungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

273 274 275 275 278 282

B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . 284 I. Erste Stufe: die bürgerliche Wirksamkeit der Loyalitätspflichten . . . . . . . 285 1. Das Problem der „intendierten Abwägung“ nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 2. Bewertung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 a) Karlsruhe vs. Straßburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 aa) Der Widerspruch zwischen der Rechtsprechung des BVerfG und des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 bb) Folgerungen für das Abwägungsprogramm . . . . . . . . . . . . . . . 295 b) Der Ansatz des BVerfG: intendierte Abwägung? . . . . . . . . . . . . . . 300 aa) Eingeschränkte Justiziabilität in kircheneigenen Angelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 bb) Anerkennung fremder Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 cc) Die Pflicht des Staates zur Neutralität in religiös-weltanschaulichen Angelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 (1) Strukturelle Betrachtung: die Zirkelschlüssigkeit der Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 (2) Inhaltliche Betrachtung: kein Problem staatlicher Neu­ tralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 dd) Das Schutzniveau des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts . 316 c) Zwingende Abstufung der Loyalitätspflichten? . . . . . . . . . . . . . . . . 319

14 Inhaltsverzeichnis aa) Abstufung hinsichtlich der Nähe zum Verkündigungsauftrag . 320 bb) Abstufung hinsichtlich der Kirchenzugehörigkeit . . . . . . . . . . 322 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 3. Karlsruhe vs. Luxemburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 4. Anerkennung der einzelnen Loyalitätspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 a) Die allgemeingültige Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 aa) Die Bedeutung der Loyalitätspflichten für den kirchlichen Dienstgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 (1) Die Gewährleistung der äußeren Funktion: Glaubwürdigkeitsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 (2) Die Gewährleistung der inneren Funktion: der Sendungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 (3) Zusammentrag: Loyalitätspflichten als Geltungsgarantie christlicher Moralnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 bb) Venire contra factum proprium: die Freiwilligkeit des Vertragsschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 cc) Eingeschränkte kirchliche Selbstbestimmung wegen Daseinsvorsorge? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 b) Die spezifische Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 aa) Das Verbot praktizierter Homosexualität . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 (1) Freiheitsrechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 (a) Keine Beeinträchtigung der Menschenwürde . . . . . . . 344 (b) Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 (aa) Sozialpsychische Bewertung der Loyalitätspflicht als Basis der Intensitätsbewertung . . . . . 351 (bb) Freiwilligkeit der Mitarbeiter und die Glaubwürdigkeit der Kirche als Kontrapunkte . . . . . . 355 (c) Art. 6 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 (d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 (2) Gleichheitsrechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 (a) Bedingungen der Rechtfertigung einer Ungleich­ behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 (b) Ungleichbehandlung von homosexuellen kirchlichen und homosexuellen weltlichen Mitarbeitern . . . . . . . . 364 (c) Ungleichbehandlung von homosexuellen und heterosexuellen kirchlichen Mitarbeitern . . . . . . . . . . . . . . . 365 bb) Verstöße gegen das Sakrament der Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 (1) Freiheitsrechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 (a) Ehebruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 (b) Wiederverheiratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 (c) Das eheähnliche Zusammenleben mit einem Dritten trotz bestehender Ehe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 (d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 (2) Gleichheitsrechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372

Inhaltsverzeichnis15 cc) Religionsbezogenes Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 (1) Freiheitsrechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 (a) Kirchenzugehörigkeit als Einstellungsvoraussetzung . 373 (b) Kirchenaustritt als Kündigungsgrund . . . . . . . . . . . . . 374 (c) Das öffentliche Bekennen zu anderen Religions­ gemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 (d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 (2) Gleichheitsrechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 dd) Sachliche Differenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 ee) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 II. Zweite Stufe: einzelfallbezogene Sanktionsbewertung . . . . . . . . . . . . . . . 382 1. Kündigung des Mitarbeiters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 a) Die Notwendigkeit einer einzelfallbezogenen Interessenabwägung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 b) Verfassungsrechtliche Beeinflussung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 aa) Berücksichtigung der Berufsfreiheit der Mitarbeiter (Art. 12 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 (1) Grundsatz: Zulässigkeit der Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . 387 (2) Keine Anwendung der Drei-Stufen-Lehre . . . . . . . . . . . . . 388 (3) Berücksichtigung aller kündigungsrelevanten Umstände . 389 (4) Insbesondere: Verhältnismäßigkeit und mildere Mittel . . . 391 bb) Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgebots (Art. 3 Abs. 1, 3 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 2. Nichteinstellung eines Bewerbers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 a) Verfassungsrechtliche Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 b) Kein für alle geltendes Gesetz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 III. Zusammentrag und Folgen für die staatliche Rechtsordnung und Rechtsprechung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 1. Staatlicher Gestaltungsspielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 2. Verfassungskonforme Auslegung und Anwendung des § 9 AGG . . . . 397 a) Zulässigkeit der Loyalitätspflichten (§ 9 Abs. 2 AGG) . . . . . . . . . . 398 b) Kirchenzugehörigkeit als Einstellungsvoraussetzung und andere religionsbezogene Ungleichbehandlungen (§ 9 Abs. 1 AGG) . . . . . 399 3. Auslegung der allgemeinen zivil- und arbeitsrechtlichen Vorschriften  400 a) Anerkennung kirchlicher Loyalitätspflichten (§§ 305 ff. BGB) . . . 400 b) Bewertung der Sanktion im Einzelfall (§ 1 KSchG, § 626 BGB; §  1 ff. AGG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 C. Die kirchlichen Koalitionssysteme und die Grundrechte der Mit­arbeiter . . . . I. Freiheitsrechtliche Bewertung – Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Maßstab der Konfliktlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Koalitionsfreiheit als systemunabhängiges und normgeprägtes Grundrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Anwendung eines besonderen Ausgestaltungsmaßstabs . . . . . .

402 402 404 404 404

16 Inhaltsverzeichnis aa) Die Differenzierung zwischen Eingriff und Ausgestaltung . . . 405 bb) Das kirchliche Koalitionssystem als Ausgestaltung . . . . . . . . . 410 cc) Das Verhältnis von privater Ausgestaltung und Schutzpflicht . 414 dd) Der Maßstab privater kirchlicher Ausgestaltungen . . . . . . . . . 416 (1) Statischer Kernbereich, keine Abwägung . . . . . . . . . . . . . 416 (2) Die Maßstabskonkurrenz zwischen der Koalitionsfreiheit und kirchlichem Selbstbestimmungsrecht . . . . . . . . . . . . . 420 c) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 2. Die Zulässigkeit des „Dritten Wegs“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 a) Die Koalitionsautonomie als Kernbereich der Koalitionsfreiheit . . 424 b) Funktionszwingende Merkmale der Koalitionsautonomie und ihre Beachtung im „Dritten Weg“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 aa) Beteiligung der Koalitionen an der Besetzung der Arbeitsrechtlichen Kommissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 bb) Freies, eigenständiges und unabhängiges Handeln . . . . . . . . . 430 (1) Die Problematik des Letztentscheidungsrechts in der katholischen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 (2) Betätigungsrechte der Koalitionen in kirchlichen Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 (3) Parität als funktionszwingendes Moment? . . . . . . . . . . . . 438 cc) Streikrecht als funktionszwingendes Merkmal . . . . . . . . . . . . . 444 (1) Ablehnung des Streikverbots wegen Widersprüchlichkeit des kirchlichen Selbstverständnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 (2) Das Streikrecht als funktionszwingendes Merkmal der Koalitionsfreiheit?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 (a) Die vertretenen Positionen zum Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen in Rechtsprechung und Literatur und ihre kritische Würdigung  . . . . . . . . . . . 451 (b) Die Lösung im Sinne der Kernbereichsdogmatik . . . . 453 dd) Verbindliche Wirkung der Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . 459 c) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 3. Die Zulässigkeit des modifizierten „Zweiten Wegs“ in einzelnen evangelischen Landeskirchen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 II. Gleichheitsrechtliche Bewertung – Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . 464 III. Das Verhältnis zwischen weltlichen Tarifverträgen und kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 1. Die Problematik bei tarifdispositivem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 a) Einfachrechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 b) Verfassungsrechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 aa) Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht (Art. 137 Abs. 3 WRV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 bb) Die Koalitionsfreiheit der Mitarbeiter und Koalitionen (Art. 9 Abs. 3 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 cc) Das allgemeine Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) . 470

Inhaltsverzeichnis17 2. Die Problematik der gerichtlichen Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . 471 a) Einfachrechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 b) Verfassungsrechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 aa) Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht (Art. 137 Abs. 3 WRV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 bb) Die Koalitionsfreiheit der Mitarbeiter und Koalitionen (Art. 9 Abs. 3 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 cc) Das allgemeine Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) . 477 3. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 D. Die kircheneigenen Mitarbeitervertretungssystemeund die Grundrechte der Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 I. Freiheitsrechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 1. Die Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 a) Ausgleich der kollidierenden Rechtsgüter bei eigenen Angelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 b) Ausgleich der kollidierenden Rechte bei nicht eigenen Angelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482 d) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 2. Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 II. Gleichheitsrechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488

Zusammenfassende Thesen 

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549

Einleitung: Die Janusköpfigkeit der Religion als Herausforderung für das Recht Religion ist für das Recht ein schwieriges Phänomen und eine besondere Herausforderung. War sie von Beginn der Gesellschaftsgeschichte an lange Zeit eine Form des Herrschaftssystems und Legitimationsgrundlage für sämtliche politische wie gesellschaftliche Ausgestaltungen, hat sich ihre Bedeutung zumindest in den westlichen Demokratien grundlegend gewandelt.1 Die Religion selbst hat dabei allerdings keineswegs an Bedeutung eingebüßt. Mag sie auch nicht mehr die normative Basisschicht für die staatlich-politische Ausrichtung einer Gemeinschaft bilden, auf gesellschaftlicher Ebene entfaltet sie weiterhin ihre enorme Wirkkraft. Auch wenn der Postmoderne häufig das Etikett der Säkularisierung aufgedrückt und von einem gesellschaftlichen Verblassen der Religion gesprochen worden ist,2 zeigen jüngere Studien das Gegenteil, was teilweise offensiv kenntlich gemacht wird, wenn etwa von einer „Wiederkehr der Götter“3 oder einer „postsäkularen Gesellschaft“4 die Rede ist.5 Religion ist und bleibt ein, wenn nicht das zentrale Moment gesellschaftlicher Orientierung und Sinnstiftung. Sie ist für die 1  Allgemein dazu Pirson, Die geschichtlichen Wurzeln des deutschen Staatskirchenrechts, in: Listl / ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 1; Zippelius, Staat und Kirche – eine Geschichte von der Antike bis zur Gegenwart, 2. Aufl. 2009. 2  Siehe dazu Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. 1, 1988 (1920), S.  5 ff.; Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, 6. Aufl. 2012; Luhmann, Funktion der Religion, 1977, S. 225 ff.; Parsons, Christianity and Modern Industrial Society, in: Tiryakian (Hrsg.), Sociological Theory, Values und Sociocultural Change, 1963, 33 ff.; Pollack, Säkularisierung – ein moderner Mythos?, Studien zum religiösen Wandel in Deutschland, 2003; ders., Rückkehr des Religiösen? – Studien zum religiösen Wandel in Deutschland und Europa II, 2009; ders., Religion und gesellschaftliche Differenzierung – Studien zum religiösen Wandel in Europa und den USA III, 2016. Vgl. auch Dreier, Säkularisierung und Sakralität – zum Selbstverständnis des modernen Verfassungsstaates, 2012, S. 1 ff.; Joas, Glaube als Option, 2. Aufl. 2013, S.  29 ff. 3  Graf, Die Wiederkehr der Götter – Religion in der modernen Kultur, 2004. 4  Habermas, Glauben und Wissen – Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2001, in: ders. (Hrsg.), Zeitdiagnosen, 2003, 249 ff. 5  Weitere Beiträge dazu insbesondere von Rendtorff, Zur Säkularisierungsproblematik – über die Weiterentwicklung der Kirchensoziologie zur Religionssoziologie, in: Internationales Jahrbuch für Religionssoziologie 2 (1966), 51 ff.; Riesebrodt, Die Rückkehr der Religion, 2000; Küenzlen, Die Wiederkehr der Religion – Lage und

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Einleitung: Die Janusköpfigkeit der Religion

Gesellschaft auch deshalb unverzichtbar, weil sie nicht nur Antworten auf aktuell rational nicht beantwortbare Fragen liefert, sondern dem Menschen auch dort Struktur und Orientierung bietet, wo das weltliche, rationale Recht dies nicht zu leisten imstande ist.6 Religion fungiert damit als ein elementares gesellschaftliches Konstruktionsmoment. Das Recht kommt als allgemeine normative Ordnung daher nicht umhin, Religion als sozialen Faktor nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern sie auch zu berücksichtigen und den Umgang mit ihr behutsam zu regeln. Religion ist für die Gesellschaft aber nicht nur ein Stabilisierungsfaktor, sondern auch ein ihren Zusammenhalt gefährdender Risikotatbestand. Denn neben ihrer gesamtgesellschaftlichen Bedeutung erfüllt sie insbesondere individuelle Funktionen. Aufgrund der Entkoppelung der Religion vom staatlichen Bereich und der pluralistischen Ausrichtung der Gesellschaft wird Religion in den westlichen Demokratien primär in ihrer individualistischen Bedeutung angesprochen. Denn verliert Religion ihren staatlich-politischen Bezug bei gleichzeitiger weltlicher Konzentration auf religionsbezogene Freiheitsräume, wird sie dem privaten Bereich des Einzelnen zugeordnet. Staat und Gesamtgesellschaft entziehen sich der Beantwortung der Wahrheitsfrage und überlassen sie dem Individuum. Mangels entsprechenden übergeordneten Vorgaben kann sich dabei jedes Gesellschaftsmitglied zwischen zahlreichen Religionen und Glaubensrichtungen entscheiden. Es entsteht ein „Markt“ für Sinnstiftung und Wahrheitsangebote.7 Dabei gerät Religion für pluralistische Gesellschaften deswegen zu einer Belastungsprobe, weil jede Religion nicht irgendeinen, sondern ausschließlich den wahren und richtigen Glauben verkörpert. Das Moment von Religion, das gerade die für eine Gesellschaft unverzichtbare Sinnstiftung und Orientierung gewährleistet und somit einen Faktor für ihre Einheit bildet – die Absolutheit ihrer Aussagen –, birgt bei pluralistischer Ausrichtung einer Gemeinschaft gleichzeitig in sich die Gefahr sozialen Unfriedens und gesellschaftlicher Destruktion. Ein Wesen der Religion ist ihre „dogmatische Intoleranz“8 gegenüber anderen Religionen oder Weltanschauungen, mit denen sie in Konkurrenz steht. Der Streit um den „richtigen“ Glauben hat nicht nur in der Vergangenheit zu Schicksal in der säkularen Moderne, 2003; Faber / Hager (Hrsg.), Rückkehr der Religion oder säkulare Kultur? – Kultur- und Religionssoziologie heute, 2008. 6  Vgl. insbesondere Luhmann (Fn. 2), 232  ff.; vgl. Pickel, Religionssoziologie, 2011, S. 127. 7  Nicht zufällig bezeichnet Isensee, Diskussionsbeitrag, in: Kämper / Thönnes (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 46 (2012), 7 (41), die besondere Ausrichtung des kirchenspezifischen Arbeitsrechts als einen „Versuch, den ‚Markenartikel Kirche‘ sichtbar zu machen“. 8  Vgl. Kaufmann, Rechtsphilosophie – Einführung in das rechtsphilosophische Denken, 2. Aufl. 1997, S. 295 ff.



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gesellschaftlichen Kämpfen geführt, sondern tut dies auch heute noch – man denke nur an die aktuellen Diskussionen über Einfluss und Ausrichtung des Islams. Religion ist schließlich nicht nur ein gesellschaftlich willkommenes, sondern auch bekämpftes Phänomen. In freiheitlichen und pluralistischen Gemeinschaften steht es jedem Individuum frei, jede Religion für sich auch abzulehnen. Zu einem Problem für das Recht kann dies deshalb werden, weil jemand, der seine „negative Glaubensfreiheit“ in Anspruch nimmt, dies meistens nicht wegen eines konkreten Glaubensinhalts, sondern wegen seiner Haltung zur Religion im Allgemeinen tut. Folglich lehnen viele Agnostiker oder Nichtgläubige die Religion nicht nur für sich selbst, sondern auch als gesellschaftlich relevantes Phänomen ab. Die staatliche Förderung nicht nur einer bestimmten, sondern der Religion an sich wird daher nicht selten kritisch gesehen oder sogar vehement abgelehnt. Einerseits ist die Religion daher ein besonders wichtiges Moment gesellschaftlicher Stabilität, andererseits entstehen im Anspruch auf absolute Wahrheitsgewähr häufig gesellschaftliche Spannungen zwischen einzelnen Reli­ gionen, aber auch zwischen der Religion an sich und ihren Feinden. Das Recht muss im Umgang mit der Religion ihre Janusköpfigkeit berücksichtigen: Es darf um des gesellschaftlichen Friedens willen die Religion nicht negieren oder beiseitelassen, gleichzeitig ihren Einfluss aber nicht überhöhen oder einzelne Religionen zu intensiv fördern. Die Schwierigkeit dieses Balanceaktes zeigt nicht zuletzt auch das spezifische Arbeitsrecht der christlichen Kirchen in Deutschland. Das GG gewährt allen Kirchen, und damit auch der katholischen Kirche sowie den evangelischen Kirchen die Ordnung eigener Angelegenheiten. Dies berechtigt sie dazu, im Individual- wie auch Kollektivarbeitsrecht Modifikationen vorzunehmen, die sich allerdings im Vergleich zu weltlichen Regelungen für die betroffenen Mitarbeiter9 als negativ erweisen, weil sie ihnen entweder mehr Pflichten abverlangen oder weniger Rechte einräumen. Diese Regelungen stellen sich für die Mitarbeiter als Sanktionen dar, die sie alleine deshalb erdulden müssen, weil sie in kirch­ lichen Einrichtungen beschäftigt sind. Gleichzeitig machen diese Sanktionen die Janusköpfigkeit der (christlichen) Religion sichtbar: Einerseits negiert der Staat die Kirchen nicht, sondern erkennt ihre Bedeutung und Funktion an, indem er ihnen bestimmte Rechte einräumt. Andererseits sehen einige darin faktisch eine besondere Bevorzugung der Kirchen oder generell einen religiösen Freiheitsraum, den sie für nicht mehr zeitgemäß und nicht wün9  In dieser Studie wird der von den Kirchen verwendete Begriff der Mitarbeiter, nicht der weltliche Begriff des Arbeitnehmers aus Gründen der Abgrenzbarkeit gebraucht. Zudem wird wegen der Übersichtlichkeit stets die männliche Form verwendet. Mitarbeiterinnen sind damit aber gleichwohl auch gemeint.

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Einleitung: Die Janusköpfigkeit der Religion

schenswert erachten. Letztere Sichtweise ist in den letzten Jahren insoweit gestärkt worden, als zwar nicht von einem Rückgang der Religion, aber von einer zunehmenden Entkirchlichung und Abkehr von den religiösen In­ stitutionen, insbesondere im christlichen Bereich, auszugehen ist.10 Um diesen Balanceakt zu bewerkstelligen, gewährt die Verfassung den betroffenen Seiten jeweils verschiedene Rechtspositionen, deren Ausgleich sich die vorliegende Studie zur Aufgabe gemacht hat. Auf der einen Seite steht das verfassungsrechtlich verbürgte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, auf der anderen Seite stehen den Mitarbeitern verschiedene Positionen zu, aus denen sich möglicherweise für den Staat die Pflicht zu ihrem Schutz ergibt. Dabei stellt sich die Frage, weshalb es einer weiteren Studie zu diesem Themenfeld überhaupt bedarf. Das hier angedeutete Problem ist nicht neu, es gibt bereits zahlreiche Rechtsprechungsfundstellen, selbst von einer mittlerweile gefestigten bundesverfassungsgerichtlichen Judikatur ist auszugehen, und auch die Literatur ist sich mehrheitlich einig, wenn sie jene bundesverfassungsgerichtliche Spruchpraxis anerkennt. Gleichwohl ist der Verfasser der Studie der Ansicht, dass das kirchenspezifische Arbeitsrecht einer grundlegenden Überprüfung bedarf. Das liegt nicht nur an der offenkundigen Tatsache, dass die Judikatur des EuGH zunehmend das deutsche kirchenspezifische Arbeitsrecht umzuwandeln versucht. Auch das Verhältnis von Staat und Kirche hat wie viele andere Verfassungsrechtsnischen eine grundlegende Blickwinkeländerung erfahren, die sich nicht zuletzt in der Ablösung des Begriffs „Staatskirchenrecht“ durch die neuere Bezeichnung des „Religionsverfassungsrechts“ zeigt.11 Dabei ist diese Begrifflichkeitsnovellierung keine Oberflächenpolitur, sondern Ausdruck eines grundlegenden Wandels des allgemeinen Verfassungsverständnisses.12 Insbesondere durch die Judikatur des 10  Ebertz, Säkularisierung, Entchristlichung oder Entkirchlichung? – eine religions­ soziologische Perspektive, in: Dienberg / Eggensperger / Engelt (Hrsg.), Woran glaubt Europa? – zwischen Säkularisierung und der Rückkehr des Religiösen, 2010, 17 ff.; Pollack, Historische Analyse statt Ideologiekritik – eine historisch-kritische Diskussion über die Gültigkeit der Säkularisierungstheorie, in: GuG 37 (2011), 482 ff.; Waldhoff, Neue Religionskonflikte und staatliche Neutralität – erfordern weltanschauliche und religiöse Entwicklungen Antworten des Staates, in: Verhandlungen des 68. Deutschen Juristentages, Bd. 1, 2011, D 1 (16 ff.): „Verlust an volkskirchlicher Sub­ stanz“ (16); vgl. Dreier (Fn. 2), 4 f. 11  Vgl. dazu Walter / Heinig (Hrsg.), Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht? – ein begriffspolitischer Grundsatzstreit, 2007. Der Wechsel ist insbesondere auch an der Umbenennung „des“ Standardlehrbuches von von Campenhausen / de Wall sichtbar: Hieß es bis zur vierten Auflage noch „Staatskirchenrecht“, ist nunmehr „Religionsverfassungsrecht“ der Haupttitel (5. Aufl. 2019). 12  Dazu auch Hense, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht – mehr als ein Streit um Begriffe?, in: Haratsch / Janz / Rademacher / Schmahl / Weiss (Hrsg.), Religion und Weltanschauung im säkularen Staat, 2001, 9 ff.; Unruh, Religionsverfassungsrecht, 4. Aufl. 2018, Rn. 1 ff.



Einleitung: Die Janusköpfigkeit der Religion23

Bundesverfassungsgerichts haben sich dabei die Grundrechte in der Bonner und Berliner Republik als das zentrale Gerechtigkeitsmoment erwiesen und insoweit einen Prozess eines zunehmenden Individualismus in Gang gebracht.13 Grundrechte wurden und werden insgesamt – auch im verfassungsrechtsdogmatischen Sinne – als Werteordnung begriffen und im Zuge dessen sowohl ihr Anwendungsbereich als auch ihre Funktionen und Dimensionen ausgeweitet.14 Grundrechte fungieren mittlerweile faktisch als moralisches Gerechtigkeitskorrektiv staatlicher Entscheidungen. Diese Sichtweise spiegelt sich folglich auch in dem Wechsel von einer institutionell geprägten Sicht auf das als „Staatskirchenrecht“ bezeichnete Staat-Religion-Verhältnis zu einem freiheitszentrierten Blickwinkel auf das nunmehr zu bezeichnende „Religionsverfassungsrecht“ wider. Gleichwohl entstammen die zentralen herrschenden Ansichten zur Zulässigkeit des kirchenspezifischen Arbeitsrechts noch einer primär institutionell interpretierten Sichtweise. Dies gilt insbesondere im Bereich der Loyalitätspflichten, in dem die herrschende Ansicht in Rechtsprechung und Literatur den verfassungsrechtlichen Maßstab zugunsten der Kirchen massiv einschränkt. Aber selbst wenn das kirchenspezifische Arbeitsrecht auf seine Vereinbarkeit mit den Grundrechten der Mitarbeiter hin überprüft wird, ist mehr als eine pauschale Beurteilung nur in den seltensten Fällen festzustellen. Nicht zuletzt wegen der angesprochenen Entkirchlichung in Deutschland mehren sich daher die Stimmen, die das kirchenspezifische Arbeitsrecht zunehmend unter individualfreiheitsrechtlichen Gesichtspunkten kritisch sehen. Insbesondere auch das BAG sowie der EuGH scheinen ein wichtiges Sprachrohr dieser Strömung zu sein. Die vorliegende Studie verfolgt daher das Ziel, eine hinreichende Berücksichtigung der Grundrechte kirchlicher Mitarbeiter zu gewährleisten und dementsprechend die Überprüfung des kirchenspezifischen Arbeitsrechts daran auszurichten, ohne freilich die Bedeutung der kirchlichen Rechtsposition zu verkennen. Im Folgenden soll daher zunächst eine Bestandsaufnahme des kirchenspezifischen Arbeitsrechts erfolgen, um eine grundsätzliche Orientierung über den Gegenstand der verfassungsrechtlichen Bewertung zu liefern (Teil 1). Im Anschluss sind die für beide Seiten 13  Man spricht daher vom GG als „Grundrechtsverfassung“ und vom BVerfG als „Grundrechtsgericht“, siehe Volkmann, Grundzüge einer Verfassungslehre der Bundesrepublik Deutschland, 2013, S. 219 ff.; Schönberger, Anmerkungen zu Karlsruhe, in: Jestaedt / Lepsius / Möllers / ders. (Hrsg.), Das entgrenzte Gericht, 2011, 9 ff.; vgl. auch Jestaedt, Phänomen Bundesverfassungsgericht – was das Gericht zu dem macht, was es ist, in: ders. / Lepsius / Möllers / Schönberger (Hrsg.), Das entgrenzte Gericht, 2011, 77 ff. (insb. 119). 14  Dazu insbesondere Hesse, Bedeutung der Grundrechte, in: Benda / Maihofer / Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl. 1994, § 5; Grimm, Das Grundgesetz nach vierzig Jahren, in: NJW 1989, 1305 ff.; Böckenförde, Zur Lage der Grundrechtsdogmatik nach 40 Jahren Grundgesetz, 1990.

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Einleitung: Die Janusköpfigkeit der Religion

geltenden Verfassungsrechtspositionen und ihre Konfliktlösungsmodelle zu identifizieren, wobei insbesondere die Frage nach der Umsetzung des verfassungsrechtlich verbürgten Schutzes der Mitarbeiter in Rechtsprechung und Literatur noch nicht hinreichend beantwortet zu sein scheint (Teil 2). Schließlich ist der Konflikt zwischen der kirchlichen Verfassungsrechtsposition und den jeweils einschlägigen Verfassungsrechtspositionen der Mitarbeiter entsprechend dem zuvor entwickelten Maßstab aufzulösen, wobei dies für jede kirchenrechtliche Modifikation des staatlichen Arbeitsrechts getrennt erfolgt (Teil 3).

Teil 1

Bestandsaufnahme: das kirchenspezifische Arbeitsrecht und seine rechtliche Ausgestaltung Die (Un-)Zulässigkeit von arbeitsrechtlichen Sanktionen in kirchlichen Einrichtungen ergibt sich erst vor dem Hintergrund des Verfassungsrechts, das beiden Konfliktparteien bestimmte Rechte und Rechtsstatus zuerkennt – den Mitarbeitern in Form von Individualgrundrechten (Art. 1 ff. GG), den kirchlichen Dienstgebern in Form des Selbstbestimmungsrechts (Art. 140 GG i. V. m. 137 Abs. 3 WRV15). Ziel der Arbeit soll es aber sein, bestehende Sanktionen im Arbeitsrecht in den Kirchen vor dem Hintergrund des durch die Individualgrundrechte vermittelten Schutzes zu bewerten. Für dieses Unterfangen bedarf es aber zuvorderst einer Art Bestandsaufnahme. Andernfalls kann nicht festgestellt werden, ob das aktuelle Procedere dem verfassungsrechtlich vorgegebenen Maßstab entspricht. Im folgenden Abschnitt geht es also zunächst nur um die aktuelle Ausgestaltung, wie sie im einfachen staatlichen oder kirchlichen Recht Ausdruck findet, ohne dass eine (verfassungs-) rechtliche Bewertung dieser Normen erfolgt. Soweit allerdings verfassungsrechtliche Grundaussagen den Bestand des kirchenspezifischen Arbeitsrechts erklären oder ihm größtenteils zugrunde liegen, werden sie notwendigerweise bei der Darstellung mitberücksichtigt.

A. Die Situation in den Kirchen: kein „kirchliches Arbeitsrecht“ Von einem katholischen oder evangelischen Arbeitsrecht kann nicht die Rede sein.16 Der Grund liegt darin, dass es keine umfassenden eigenständigen katholischen und evangelischen Arbeitsrechtskodifikationen, sondern nur Modifizierungen des allgemeinen staatlichen Arbeitsrechts und damit höchstens ein kirchenspezifisches Arbeitsrecht gibt. Dies liegt vorwiegend weniger 15  Artikel der WRV werden im Folgenden ohne die Inklusionsvorschrift des Art. 140 GG genannt. 16  Vgl. Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 7. Aufl. 2015, § 4 Rn. 31 ff., 48 ff.; Hammer, Handbuch kirchliches Arbeitsrecht, 2002, S. 109 f.

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Teil 1: Bestandsaufnahme: das kirchenspezifische Arbeitsrecht

daran, dass gewünschte – das gesamte Arbeitsrecht betreffende – Modifizierungen an einer verfassungsrechtlichen Vorgabe scheitern würden, als vielmehr an den sehr überschaubaren, eigenen arbeitsrechtlichen Regelungswerken in der katholischen und in den evangelischen Kirchen, die sich das ergänzende Rekurrieren auf das staatliche Arbeitsrecht wünschen. Für den Bereich der katholischen Kirche wird die nur modifizierende und nicht substituierende Wirkung der eigenen arbeitsrechtlichen Regelungen bereits durch den in Can. 1286 Codex Iuris Canonici von 1983 (CIC) installierten Auftrag sichtbar, grundlegend das staatliche Arbeitsrecht zu respektieren.17 Darüber hinaus fehlt es in beiden Kirchen an einer einheitlichen kirchlichen Arbeitsrechtssammlung. Dies liegt zunächst darin begründet, dass sowohl in der katholischen Kirche als auch in den evangelischen Kirchen die Gesetzgebungskompetenz grundsätzlich ihren Gliedern, also den Bistümern in der katholischen bzw. den Landeskirchen (auch Gliedkirchen genannt) in den evangelischen Kirchen zukommt und es insoweit an einer zentralen Gesetzgebung mangelt. Für die katholische Kirche ist dabei einschränkend zu bemerken, dass dies nur solange gilt, als keine entsprechenden Regelungen vom CIC vorgegeben werden (vgl. can. 381, 391 CIC).18 Der zweite Grund für die fehlende Einheitlichkeit kirchlicher Arbeitsrechtsregelungen liegt in dem Umstand begründet, dass die Diözesen bzw. die Landeskirchen für jeden arbeitsrechtlichen Bereich eigene Regelungen und Kirchengesetze erlassen, so dass ein einheitliches Regelwerk bereits an dem Fehlen thematisch übergreifender Vorschriften scheitert. Dabei ergibt sich für die evangelischen Kirchen ein noch unüberschaubareres Bild als für die katholische Kirche: Kann bei Letzterer für die meisten arbeitsrechtlichen Fragestellungen auf die von der Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands am 27.04.2015 erlassene und von den Diözesen meist nahezu unverändert übernommene Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse (GrO) zurückgegriffen werden, die sämtliche kirchlich notwendige Modifikationen vom staatlichen Arbeitsrecht zumindest in ihren Grundzügen vorgibt, fehlt es im Bereich der evangelischen Kirchen an einer entsprechenden einheitlichen Kodifikation. Zwar besteht die Richtlinie des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) über die Anforderungen der privatrechtlichen beruflichen Mitarbeit in der EKD und des Diakonischen Werkes der EKD vom 04.07.2005 (EKD-RL). Die EKD-RL gilt gemäß 17  So lautet Can. 1286 CIC: „Die Vermögensverwalter haben: 1° bei der Beschäftigung von Arbeitskräften auch das weltliche Arbeits- und Sozialrecht genauestens gemäß den von der Kirche überlieferten Grundsätzen zu beachten“ (Herv. V. H.); vgl. Richardi (Fn. 16), 31. 18  Dazu Schlief, Die Organisationsstruktur der katholischen Kirche, in: Listl / Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 11.



A. Die Situation in den Kirchen: kein „kirchliches Arbeitsrecht“ 27

ihres § 1 allerdings nur für Beschäftigte der EKD und des Diakonischen Werkes der EKD selbst, nicht aber für die Mitarbeiter der 19 einzelnen und selbstständigen Landeskirchen, die entsprechende Fragen eigenständig beantworten müssen.19 Dies zeigt auch § 1 Abs. 1 S. 2 EKD-RL, der den Gliedkirchen und ihren Diakonischen Werken lediglich empfiehlt, „ihre entsprechenden Regelungen auf der Grundlage dieser Richtlinie zu treffen“. An die Richtlinie gebunden sind die Gliedkirchen also nicht. Darüber hinaus fehlen in der EKD-RL Regelungen zum kollektiven Arbeitsrecht, also insbesondere zum Arbeitsrechtsregelungsverfahren und Betriebsverfassungsrecht. Dadurch entsteht die Situation, dass die einzelnen Landeskirchen selbst eigene und daher deutschlandweit uneinheitliche Regelungen zum Arbeitsrechtsregelungsverfahren erlassen und dabei teilweise diesem Verfahren die Gestaltung einzelner arbeitsrechtlicher Fragestellungen überantworten. Nichtsdestoweniger sind die Felder der kirchlichen Abweichungen vom staatlichen Arbeitsrecht in der katholischen Kirche wie den evangelischen Kirchen identisch. Sie konzentrieren sich lediglich auf die Bereiche, in denen aufgrund des christlichen Selbstverständnisses Abweichungen vom staatlichen Arbeitsrecht erforderlich werden: (1) Die Mitarbeiter müssen in beiden Kirchen besondere Loyalitätspflichten erfüllen, die insbesondere gewährleisten sollen, dass die Mitarbeiter auch im Privatleben die katholischen und evangelischen Glaubens- und Sittenlehren befolgen und verwirklichen. Es handelt sich dabei teilweise um tief in die Privatsphäre der Betroffenen einwirkende Anforderungen, die nicht nur das Verhalten während der Ausübung der arbeitsrechtlich geschuldeten Tätigkeit beinflussen und damit beispielsweise eine fristlose Kündigung rechtfertigen können, sondern auch bereits die Kriterien der Personalauswahl und damit die Begründung der Arbeitsverhältnisse betreffen. (2) Das katholische und das evangelische Selbstverständnis lehnen das Tarifvertragssystem mit den damit einhergehenden Streikmaßnahmen beider Seiten überwiegend ab und müssen so teilweise gravierende Abweichungen vom staatlichen Kollektivarbeitsrecht im Bereich des Arbeitsrechtsregelungssystems vornehmen. (3) Eng mit dem Tarifvertragssystem verwandt ist die Frage nach dem Betriebsverfassungsrecht: Auch hier kommt es zu Modifikationen in beiden Kirchen, um „kämpferische“ Handlungen und Beteiligungen der Mitarbeiter durch gemeinsames Verhandeln und gemeinsame Konfliktlösung zu ersetzen. 19  Zum Aufbau und zu den Kompetenzen innerhalb der evangelischen Kirchen in Deutschland insbesondere von Campenhausen, Die Organisationsstruktur der evangelischen Kirche, in: Listl / Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 12; Hammer (Fn. 16), 146 ff.

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Teil 1: Bestandsaufnahme: das kirchenspezifische Arbeitsrecht

Bei der Begründung dieser nicht unwesentlichen Abweichungen wird i­mmer wieder auf das kirchliche Dienstwesen als Dienstgemeinschaft ab­ gestellt.20 Das gilt sowohl für die katholische Kirche als auch für die evangelischen Kirchen, deren Vorstellung von einer Dienstgemeinschaft vergleichbar ist.21, 22 Da es sich hierbei um den zentralen Begriff des kirchenspezifischen Arbeitsrechts handelt, soll im Folgenden dieser zunächst näher erläutert werden (B.). Anschließend werden Inhalt und Bedeutung der jeweiligen kirchlichen Modifikationen im Arbeitsrecht näher herausgestellt (C.).

B. Der Begriff der Dienstgemeinschaft als Legitimation kirchenrechtlicher Modifikationen im Arbeitsrecht Rechtliche Grundlage für die kirchlichen Abweichungen vom staatlichen Arbeitsrecht ist zunächst das kirchliche23 Selbstbestimmungsrecht gem. Art. 137 Abs. 3 WRV, das es den Kirchen erlaubt, „in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes den kirchlichen Dienst nach ihrem Selbstverständnis zu regeln“.24 Das eröffnet den Kirchen zwar – in einer Art technischen Di20  Vgl. Kreß, Die Sonderstellung der Kirchen im Arbeitsrecht – sozialethisch vertretbar?, 2014, S. 48 ff.; Richardi (Fn. 16), 18 ff. 21  von Campenhausen, Die Verantwortung der Kirche und des Staates für die Regelung von Arbeitsverhältnissen im kirchlichen Bereich, in: Krautscheidt / Marré (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 18 (1984), 9 (21); Jurina, Die Dienstgemeinschaft der Mitarbeiter des kirchlichen Dienstes, in: ZevKR 29 (1984), 171 (172 ff.); Richardi (Fn. 16), Rn. 10; Kreß (Fn. 20). 22  Ein Unterschied zwischen katholischer und evangelischer Vorstellung von der Dienstgemeinschaft ergibt sich vor allem aus einem differenten Amtsverständnis: Im Unterschied zur katholischen Kirche sehen die evangelischen Kirchen das Priesteramt als Bestandteil der christlichen Gemeinde an (vgl. dazu Stein, Evangelisches Kirchenrecht, 3. Aufl. 1992, S. 124), während nach katholischem Verständnis das Priesteramt von dem Status des Laien klar zu trennen ist. Obwohl daher die katholische Kirche stärker als die evangelischen Kirchen auf die Unterschiedlichkeit verschiedener Aufgaben zeigt, ändert dies nichts an der gemeinsamen Interpretation der Dienstgemeinschaft als Beschreibung für die Ausrichtung aller Mitarbeiter auf dasselbe Ziel – die Verkündigung des Evangeliums: „Es besteht in der Kirche eine Verschiedenheit des Dienstes, aber eine Einheit der Sendung“ (so Art. 2 des Dekrets über das Apostolat des Laien); vgl. Richardi (Fn. 16), 11 ff.; Hirschfeld, Die Dienstgemeinschaft im Arbeitsrecht der evangelischen Kirche – zur Legitimitätsproblematik eines Rechtsbegriffs, 1999, S. 55 ff. 23  Allgemein muss eigentlich von einem religionsgemeinschaftlichen Selbstbestimmungsrecht gesprochen werden. Da die Studie allerdings nur das Arbeitsrecht in den Kirchen betrifft, wird auch inbsoweit das Selbstbestimmungsrecht nur in Bezug auf die Kirchen angesprochen. 24  BVerfGE 70, 138 (165).



B. Der Begriff der Dienstgemeinschaft29

mension – die Befugnis zur Gestaltung der Arbeitsverhältnisse nach ihrem Verständnis, sagt jedoch noch nichts über deren inhaltliche Dimension aus, berührt also nicht die Frage nach dem Inhalt des Selbstverständnisses. Gerade dieses ist aber entscheidend: Eine Abweichung vom staatlichen Arbeitsrecht verlangt gerade nach einem entsprechenden Selbstverständnis, d. h. die katholische Kirche und die evangelischen Kirchen dürfen nicht „einfach so“ eigene Ausgestaltungsmodalitäten entwerfen, sondern müssen diese gerade mit ihren Glaubensüberzeugungen (plausibel) darlegen. Ihnen kommt insoweit ein Rechtfertigungszwang zu.25 Dabei werden in beiden Kirchen alle drei Säulen der Abweichungen – Loya­ litätspflichten, Arbeitsrechtsregelungssystem und Mitarbeitervertretungen – mit der Idee der Dienstgemeinschaft als „Strukturprinzip des kirchlichen Arbeitsrechts“26, ja als „Schlüsselrolle“27, begründet. Hier ist zunächst anzuführen, dass der Begriff der Dienstgemeinschaft sowohl hinsichtlich seines Ursprungs als auch hinsichtlich seiner normativ-inhaltlichen Ausrichtungen keineswegs als geklärt zu bezeichnen ist.28 So wird ihm einerseits eine unheilvolle Nähe zu dem aus dem nationalsozialistischen Unrechtsstaat stammenden Institut der Betriebsgemeinschaft nachgesagt,29 andererseits 25  Hesse, Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, in: Listl / Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, 521 (543) (Fn. 73): „Eine bloße Behauptung reicht nicht aus. Es bedarf vielmehr schlüssiger Darlegung und ggf. des Beweises. Die Prüfung und Entscheidung obliegt im Streitfall den staatlichen Organen, die allerdings darauf beschränkt sind, das tatsächliche Vorhandensein des Selbstverständnisses festzustellen; eine inhaltliche Prüfung ist ihnen versagt“; vgl. auch Korioth, in: Maunz / Dürig (Begr.), GG, 42. Lfg. 2003, Art. 140 / Art. 137 WRV Rn. 28. 26  Art. 7 Abs. 2 GrO; vgl. auch Weiß, Die kirchliche Dienstgemeinschaft – Beobachtungen zu ihrer Entwicklung im Individualarbeitsrecht der katholischen Kirche Deutschlands, in: Güthoff / Selge (Hrsg.), De processibus matrimonialibus, 8.  Bd., I. Teilbd., 2001, 523 (529 ff.); vgl. ders., Die Loyalität der Mitarbeiter im kirchlichen Dienst – zur Festsetzung der Loyalitätsobliegenheiten in der Grundordnung, in: Rees (Hrsg.), Recht in Kirche und Staat, 1999, 511 ff. 27  Kreß, Das Arbeitsrecht der Kirchen im Meinungsstreit, in: MKI 62 (2012), 53 (53): „Dieser Begriff (d. i. die Dienstgemeinschaft; VH) spielt inzwischen geradezu die Schlüsselrolle, wenn die Kirchen ihr Arbeitsrecht nach innen verteidigen oder es nach außen legitimieren“ (Herv. i. O.). 28  Siehe insbesondere Kreß (Fn. 20); ders., Aktuelle Probleme des kirchlichen Arbeitsrechts, in: ZRP 2012, 103 (104 f.). Siehe dazu auch die Erwiderung von Reichold, Aktuelle Probleme des kirchlichen Arbeitsrechts – zu Kreß, ZRP 2012, 103, in: ZRP 2012, 186 ff.; vgl. auch Richardi (Fn. 16), 14 f., 18 f. 29  So insbesondere Kreß (Fn. 20), 50 f., 53; Herschel, Kirche und Koalitionsrecht, 1978, S. 35; Washner, Kirchlicher Dienst als Lohnarbeit, in: Paech / Stuby (Hrsg,), Wider die „herrschende Meinung“ – Beiträge für Wolfgang Abendroth, 1982, 78 (89). Dagegen Mayer-Maly, Kirchenfreiheit contra Koalitionsrecht?, in: BB 1979, 632 (633 f.); Richardi (Fn. 16), 19.

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Teil 1: Bestandsaufnahme: das kirchenspezifische Arbeitsrecht

werden ihm theologische wie moralisch-ethische Schwächen angeheftet.30 Letztlich sei er angesichts der enormen „konzernartigen“ Ausmaße der als Arbeitgeber tätig werdenden kirchlichen Einrichtungen auch aus soziologischer Perspektive ungeeignet.31 Auf eine Auseinandersetzung mit dieser Kritik ist mangels rechtlicher Relevanz hier nicht einzugehen. Wie die jeweiligen Rechtsgrundlagen bezeugen, stellen die gesetzgebenden Instanzen beider Kirchen weiterhin auf die Dienstgemeinschaft als Zentrum des arbeitsrecht­lichen Selbstverständnisses ab: Sowohl Art. 1 S. 1 GrO, als auch § 2 Abs. 1 EKD-RL erklären die Dienstgemeinschaft zum Grundprinzip und Wesensmerkmal des kirchlichen Dienstes. Solange also der Begriff der Dienstgemeinschaft weiterhin das maßgebliche Selbstverständnis der katholischen Kirche und der evangelischen Kirchen prägt, ist die staatliche Rechtsordnung daran gebunden.32 Eine sozialethische Bewertung der Dienstgemeinschaft mag angebracht sein, hat aber nur innerkirchliche Wirkung und zählt damit zu dem für die staatliche Rechtsordnung „unsichtbaren“ Bereich. Es soll im Folgenden daher ausschließlich auf die für die Rechtsordnung relevanten Maßstäbe der Dienstgemeinschaft abgestellt werden. In diesem Sinne wird unter der Dienstgemeinschaft nach der Legaldefinition des Art. 1 S. 1 GrO das Zusammenwirken aller Einrichtungen der katholischen Kirche einschließlich sämtlicher Mitarbeiter, die an der Erfüllung des kirchlichen Sendungsauftrags beteiligt sind, verstanden. Das bedeutet, dass die Dienstgemeinschaft als oberstes Grundprinzip des kirchlichen Dienstes erfordert, „daß alle in einer Einrichtung der katholischen Kirche Tätigen insbesondere Kreß (Fn. 20), 53 f.; ders. (Fn. 28). (Fn. 20), 55; ders. (Fn. 28). 32  Insoweit verkennt Kreß (Fn. 20), 54, das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gem. Art. 137 Abs. 3 WRV, wenn er argumentiert: „Beide Ebenen, diejenige eines Glaubens- und diejenige eines Rechtsbegriffs, sind deutlich auseinanderzuhalten. Rechtstheoretisch und rechtsethisch ist es unzulässig, religiöse Ideale oder moralische Ge- oder Verbote ohne Weiteres zu juridifizieren. Die moderne Rechtsordnung beruht auf der kategoralen Differenz von Moral und Recht. Dies darf auch für das Arbeitsrecht, das für kirchlich Beschäftigte gilt, nicht außer Kraft gesetzt werden. Faktisch verhält es sich aber immer noch so, dass unter dem Mantel der ‚Dienstgemeinschaft‘ Moral und Recht verschwimmen“. Hierbei wird verkannt, dass die staatliche Rechtsordnung mit Art. 137 Abs. 3 WRV gerade die Vermischung von Recht und Moral (bzw. Religion) im Bereich kirchlicher Angelegenheiten ermöglicht, ja gerade von einer Symbiose beider – zumindest in diesem Bereich – ausgeht. Unabhängig davon, ob die so postulierte Abstrahierung von Recht und Moral – man denke an die Grundrechte, insbesondere an den Gleichbehandlungsgrundsatz – zutreffend ist, ist die Frage, ob die Dienstgemeinschaft der „richtige“ Begriff für das katholische Selbstverständnis ist, daher nicht mit dieser – im staatlichen Bereich geltenden – Trennung von Recht und Moral zu beantworten. Es ist gerade das „Privileg“ der Kirchen, moralisch-religiöse Vorstellungen in Recht zu fassen. 30  Dazu 31  Kreß



B. Der Begriff der Dienstgemeinschaft31

durch ihre Arbeit ohne Rücksicht auf die arbeitsrecht­liche Stellung gemeinsam dazu beitragen, daß die Einrichtung ihren Teil am Sendungsauftrag der Kirche erfüllen kann“.33 Unter dem Sendungsauftrag versteht man die Verkündigung des Evangeliums nach außen mit dem Ziel, andere von ihr zu überzeugen und an ihr teilhaben zu lassen.34 Es geht dabei um die Berufung aller Menschen zur Gemeinschaft mit Gott und untereinander, um deren Willen die Kirchen tätig werden.35 Auch § 2 Abs. 1 EKD-RL versteht unter der Dienstgemeinschaft den Auftrag, „das Evangelium in Wort und Tat zu bezeugen“. Der kirchliche Dienst verfolgt damit nicht allein die Erbringung der jeweiligen Diensttätigkeit, sondern ebenfalls respektive insbesondere die Verkündigung des Evangeliums und die Erfüllung des Sendungsauftrags auch durch und innerhalb der Tätigkeit. Diese funktionale Ausrichtung des Dienstes verbindet dabei alle Betroffenen unabhängig ihrer Aufgabe oder (hierarchischen) Stellung.36 Nach § 2 Abs. 1 S. 2 EKD-RL tragen „alle Frauen und Männer […] in unterschiedlicher Weise dazu bei, dass dieser Auftrag erfüllt werden kann“. Deshalb versteht man unter Arbeit im christlichen Sinne auch die Verwirklichung Gottes Auftrags, die Schöpfungsarbeit fortzusetzen.37 Der Tatbestand der Dienstgemeinschaft ist demzufolge eine Art „Unternehmensphilosophie“38, „ein Versuch, den ‚Markenartikel Kirche‘

33  Richardi, Begründung zu Art. 1, in: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Erklärung der deutschen Bischöfe zum kirchlichen Dienst, Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse, Die deutschen Bischöfe 51, 11. Aufl. 2008, 23 (24). 34  Lehmann, Was heißt Neu-Evangelisierung Europas?, in: IKZ Communio 1992, 312 (316); Lumen Gentium, in: Dokumente des II. Vatikanischen Konzils, 35: „Christus, der große Prophet, der durch das Zeugnis seines Lebens und in Kraft seines Wortes die Herrschaft des Vaters ausgerufen hat, erfüllt bis zur vollen Offenbarung der Herrlichkeit sein prophetisches Amt nicht nur durch die Hierarchie, die in seinem Namen und in seiner Vollmacht lehrt, sondern auch durch die Laien. Sie bestellt er deshalb zu Zeugen und rüstet sie mit dem Glaubenssinn und der Gnade des Wortes aus (vgl. Apg 2,17–18; Offb 19,10), damit die Kraft des Evangeliums im alltäglichen Familien- und Gesellschaftsleben aufleuchte“. 35  Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Erklärung der deutschen Bischöfe zum kirchlichen Dienst, Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse, Die deutschen Bischöfe 51, 11. Aufl. 2008, 7 (7). 36  Vgl. Richardi, (Fn. 16), 15, mit Übernahme des Art. 2 des Dekrets über das Postulat der Laien, LThK, Das Zweite Vatikanische Konzil, Bd. 2, S. 608: „Es besteht in der Kirche eine Verschiedenheit des Dienstes, aber eine Einheit der Sendung“; vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Fn. 35). 37  Overbeck, Die Dienstgemeinschaft und das katholische Profil kirchlicher Einrichtungen, in: Kämper / Thönnes (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 46 (2012), 7 (12). 38  Lehmann, Vorwort, in: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Erklärung der deutschen Bischöfe zum kirchlichen Dienst, Grundordnung des kirch­

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Teil 1: Bestandsaufnahme: das kirchenspezifische Arbeitsrecht

sichtbar zu machen“,39 und damit auch ein normatives Mittel zur Erfüllung des kirchlichen Auftrags.40 Er verknüpft und verbindet die allgemeine – teilweise „weltliche“ – Arbeit mit dem kirchlichen Sendungsauftrag und modifiziert damit das aus weltlicher Sphäre stammende, tradierte Arbeitsvertragsverhältnis, indem es die Mitarbeiter im Rahmen der einenden, funktional auf den Sendungsauftrag ausgerichteten Dienstgemeinschaft verpflichtet, jederzeit die „Teilhabe am Heilswerk Jesu Christi“ zu erbringen.41 Jeder Mitarbeiter darf als Teil der Dienstgemeinschaft nicht nur von einer notwendigen Eigenschaft des Dienstes – so zum Beispiel angstfreies Arbeiten oder gegenseitiger Respekt42 – ausgehen, sondern muss sich insbesondere im Klaren sein, dass seine Mitgliedschaft in der Dienstgemeinschaft eine besondere Aufgabe begründet, zu deren Erfüllung sich die gesamte Dienstgemeinschaft verpflichtet.43

C. Inhalt und Auswirkungen der Modifikationen im Arbeitsrecht Im Folgenden soll auf den Inhalt der jeweiligen kirchenrechtlichen Modifikationen eingegangen werden. Da die evangelischen Kirchen und die katholische Kirche überwiegend das gleiche Selbstverständnis teilen und es daher nicht im Grundsatz, sondern nur in der konkreten Ausgestaltung zu Unterschieden kommt, soll nur dann zwischen katholischen und evangelilichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse, Die deutschen Bischöfe 51, 11. Aufl. 2008, 5 (5); vgl. Overbeck (Fn. 37). 39  Isensee, Diskussionsbeitrag, in: Kämper / Thönnes (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 46 (2012), 7 (41). 40  Overbeck (Fn. 37), 17 f. 41  Joussen, „Ut unum sint“ – Betriebsgemeinschaft und Dienstgemeinschaft im Arbeitsrecht, in: RdA 2007, 328 (333); Weiß (Fn. 26), 531. 42  Vgl. Hammer (Fn. 16), 77  f.; Beyer / Nutzinger, Erwerbsarbeit und Dienstgemeinschaft, Arbeitsbeziehungen in kirchlichen Einrichtungen – Arbeitsbeziehungen in kirchlichen Einrichtungen; eine empirische Untersuchung, 1991. 43  Joussen (Fn. 41): „Die ‚Dienstgemeinschaft‘ ist mehr als nur die Legitimationsbasis in einzelnen Bereichen, und wenn auch ihre eigene Charakteristik noch zu bestimmen ist, muss doch stets berücksichtigt werden, dass Arbeitsverhältnisse in der Kirche insofern von der ‚Dienstgemeinschaft‘ geprägt sind, als dass hier eine funk­ tionale Besonderheit in diese hineinkommt. Es geht eben nicht nur um Arbeitgeber und Mitarbeiter. Zwar soll hier nicht eine Durchbrechung der Bipolarität des Schuldverhältnisses erfolgen, es bleibt auch hier bei seiner Zweiseitigkeit. Aber es muss doch deutlich sein, dass dieses Schuldverhältnis unter der besonderen Prämisse der Dienstgemeinschaft steht, und zwar nach außen wie nach innen. Das bedeutet – und hier findet sich das einende Band – dann auch, dass das Schuldverhältnis im Zweifel immer auch in die Funktion desjenigen Auftrages gestellt ist, den der Dienstgeber Kirche stets verfolgt“.



C. Inhalt und Auswirkungen der Modifikationen im Arbeitsrecht 33

schen Regelungen differenziert werden, wenn entsprechende Unterschiede dies erforderlich erscheinen lassen.

I. Die Loyalitätspflichten als erste Säule Die erste – und nicht nur innerhalb der individualarbeitsrechtswissenschaftlichen Diskussion zentrale – Säule der kirchlichen Modifikationen im Arbeitsrecht bilden die Loyalitätspflichten. Sie sollen sicherstellen, dass die Mitarbeiter auch im Bereich der privaten Lebensführung die kirchlichen Glaubenssätze befolgen und so den Sendungsauftrag der Kirche verwirklichen. Daher erwartet die katholische Kirche, dass ihre Mitarbeiter die „Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre beachten“ (Art. 4 Abs. 1 S. 1 GrO) und so die Glaubwürdigkeit des katholischen Glaubens gewährleisten. Parallel dazu verlangen die evangelischen Kirchen von ihren Mitarbeitern ebenfalls die „glaubwürdige Erfüllung kirchlicher und diakonischer Aufgaben“ (§ 4 Abs. 1 S. 1 EKD-RL) und konstatieren damit eine entsprechende Pflicht, sich „loyal gegenüber der evangelischen Kirche zu verhalten“ (§ 4 Abs. 1 S. 2 EKD-RL). Insoweit sind Loyalitätspflichten „Lebensführungspflichten“, die negative Auswirkungen der außerdienstlichen persönlichen Lebensgestaltung auf die Erfüllung der Dienstpflicht, d. h. auf die Mitwirkung am kirchlichen Sendungsauftrag (vgl. Art. 1 S. 1 GrO, § 2 Abs. 1 EKD-RL), verhindern sollen.44 Dies ist nicht nur das besondere und vor allem wichtigste Fundament des kirchlichen Arbeitswesens, sondern zugleich das Zentrum weltlich-rechtlicher Kritik an diesem modus laborandi, überschreitet er doch den Bereich der reinen Diensttätigkeit um Längen: Die Dienstpflichten enden in den Kirchen „nicht einfach mit dem täglichen Dienstschluss“.45 Dies stellt die Landeskirche Baden beispielsweise besonders deutlich heraus, wenn es ihr um das Verhalten der Mitarbeiter „innerhalb und außerhalb des Dienstes“ geht.46

44  Bock, Arbeitsrecht, kirchliches (J.), in: Heun / Honecker / Morlok / Wieland (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, 4. Aufl. 2006, Sp. 92; Richardi (Fn. 16), § 6 Rn.  24 f.; Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, 2006, S. 100 ff.; Unruh, Religionsverfassungsrecht, 4. Aufl. 2018, Rn. 192; Rüfner, Individualrechtliche Aspekte des kirch­ lichen Dienst- und Arbeitsrechts, in: Listl / Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, 901 (901 f.); Hammer (Fn. 16), 210 f. 45  So treffend Heinig, Dienstgemeinschaft, in: ders. / Munsonius (Hrsg.), 100 Begriffe aus dem Staatskirchenrecht, 2. Aufl. 2015, S. 33. 46  § 9 Abs. 1 S. 3 des Kirchlichen Gesetzes über das Dienstverhältnis der kirch­ lichen Mitarbeiter im Bereich der Landeskirche und des Diakonischen Werkes der Evangelischen Landeskirche in Baden vom 01.05.1984, zuletzt geändert am 19.04. 2013 (MitG-Baden).

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Teil 1: Bestandsaufnahme: das kirchenspezifische Arbeitsrecht

1. Rechtsgrundlagen Die Möglichkeit, von den eigenen Mitarbeitern loyales Verhalten zu fordern, wird zwar zunächst mit dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht gem. Art. 137 Abs. 3 WRV begründet. Dabei bleibt allerdings die Rechtsordnung nicht stehen. Der staatliche wie auch der kirchliche Gesetzgeber haben in Konkretisierung des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen einfach-rechtliche Grundlagen geschaffen, aufgrund derer die Kirchen entsprechende Forderungen in den Arbeitsvertrag aufnehmen dürfen. Diese sind im Folgenden zu beleuchten, wobei zwischen staatlichen (a)) und kirchlichen Regelungen (b)) zu unterscheiden ist. a) Staatliches einfaches Recht als Rahmenordnung Das staatliche einfache Recht kann in Bezug auf kirchliche Loyalitätsforderungen in zweifacher Hinsicht untersucht werden: Einmal kann es Zulässigkeit und Voraussetzungen der Loyalitätsforderungen regeln (aa)), andererseits ist angesichts eines fehlenden eigenständigen kirchlichen Arbeitsrechts die Frage nach der Einordnung kirchlicher Loyalitätspflichten in Bezug auf die staatliche Arbeitsrechtsordnung von nicht unerheblicher Bedeutung (bb)). aa) Die Zulässigkeit kirchlicher Loyalitätsforderungen: AGG Der besondere kirchliche modus laborandi fand zunächst seine rechtliche Grundlage – vom Verfassungsrecht freilich abgesehen – ausschließlich in den entsprechenden Kirchengesetzen. Staatliche einfachrechtliche Bestimmungen fehlten insoweit. Dies hat sich erst 2006 mit der Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG)47 geändert, das sämtliche Diskriminierungen insbesondere auch im Arbeitsrecht zu regeln beabsichtigt und damit auch die kirchlichen Dienstgeber betrifft. Dabei ist zu beachten, dass das AGG nicht auf Initiative des deutschen Gesetzgebers, sondern als obligatorische Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinie 2000 / 78 / EG erlassen worden ist.48 Nach § 7 Abs. 1 AGG sind arbeitnehmerbezogene Diskriminierungen aufgrund der Rasse, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität ausgeschlossen. Allerdings erfährt dieses Verbot auch Ausnahmen: Nach 47  Artikel 1 des Gesetzes vom 14.08.2006 (BGBl. I S. 1897), in Kraft getreten am 18.08.2006. 48  Siehe zur Richtlinie und ihren Auswirkungen ausführlich unten S. 133 ff.



C. Inhalt und Auswirkungen der Modifikationen im Arbeitsrecht 35

§ 8 AGG sind Ungleichbehandlungen aus solchen Gründen zulässig, die „wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstell[en], sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist“. Gerade für Kirchen von Relevanz sind überdies die in § 9 AGG installierten Ausnahmen. Nach dessen Absatz 1 sind Diskriminierungen wegen der Religion zulässig, „wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Kirche oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt“. § 9 Abs. 2 AGG erlaubt darüber hinaus den Kirchen, „von ihren Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses“ zu verlangen. Insbesondere innerhalb des § 9 AGG ergeben sich zahlreiche – einfachrechtliche – Streitigkeiten, die insbesondere auch von der grundlegenden Frage herrühren, ob und – falls ja inwieweit – der Gesetzgeber den von Art. 137 Abs. 3 WRV gesteckten Rahmen verengt respektive angesichts der Vorgaben durch die entsprechende Richtlinie verengen musste. Dazu wurde an anderer Stelle schon hinreichend publiziert.49 Es stellt sich insbesondere die Frage, ob in § 9 Abs. 1 AGG das Selbstverständnis der betroffenen Kirchen die maßgebliche Auslegungsrichtschnur bildet und ob die Norm auch Ungleichbehandlungen aus anderen Gründen als der Religion rechtfertigt.50 In § 9 Abs. 2 AGG hingegen stehen die Fragen, ob nur genuin religiöse Loyalität und ob entsprechende Abstufungen zulässig sind, ganz oben auf der Tagesordnung der Diskussion.51 Diese einfachrechtlichen Streitigkeiten sind jedoch hier zunächst ohne Interesse, geht es doch in dieser Studie um eine verfassungsrechtliche Bewertung. An dieser Stelle genügt eine Bestandsaufnahme bestehender Regelungen und Praktiken. Erst nach erfolgter verfassungsrechtlicher Bewertung sollen einige Hinweise zu der Handhabung des § 9 AGG erfolgen.52 Dabei ist gesondert hervorzuheben, dass sich trotz der 49  Siehe insbesondere Groh, Einstellungs- und Kündigungskriterien kirchlicher Arbeitgeber vor dem Hintergrund des § 9 AGG, 2009; Fink-Jamann, Das Antidiskriminierungsrecht und seine Folgen für die kirchliche Dienstgemeinschaft, 2009; Reichegger, Die Auswirkungen der Richtlinien 2000 / 78 / EG auf das kirchliche Arbeitsrecht unter Berücksichtigung von Gemeinschaftsgrundrechten als Auslegungsmaxime, 2005; vgl. dazu auch Thüsing, in: Säcker / Rixecker / Oetker / Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 1, 8. Aufl. 2018, § 9 AGG; vgl. ebenso Benecke, in: Looschelders (Hrsg.), AGG, in: Gsell / Krüger / Lorenz / Mayer (Hrsg.), Beck-online Grosskommentar Zivilrecht, Stand: Dezember 2018, § 9. 50  Dazu insbesondere Groh (Fn.  49), 52 ff. m. w. N. 51  Ausführlich bei Groh (Fn. 49), 182 ff., 191 ff. jeweils m. w. N. 52  Siehe dazu unten S. 397 ff.

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Teil 1: Bestandsaufnahme: das kirchenspezifische Arbeitsrecht

auf Grundlage des § 9 AGG gewachsenen Front restriktiver Handhabung des kirchenspezifischen Arbeitsrechts dieses de facto nicht geändert hat. bb) Rechtssystematische Einordnung der Loyalitätspflichten in das weltliche Zivil- und Arbeitsrecht Zeigt nun das einfache staatliche Recht, dass es für die Kirchen rechtens ist, entsprechende Loyalität von ihren Mitarbeitern zu fordern, stellt sich angesichts eines fehlenden eigenständigen katholischen oder evangelischen Arbeitsrechts die Frage, inwieweit solche Loyalitätspflichten in das staatliche Zivil- und Arbeitsrechtssystem eingebunden werden können. Immerhin könnten sich daraus weitergehende Informationen über den Umgang mit Loyalitätspflichten, ihre Justiziabilität sowie über die Anwendung anderer staatlicher Normen ergeben. Dies gestaltet sich jedoch schwierig und ist bis heute nicht endgültig geklärt. Klar ist, dass die Loyalitätspflichten keine Nebenpflichten im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB darstellen.53 Zwar ist einem jeden Arbeits- wie sonstigem Schuldverhältnis die zu den in § 241 Abs. 2 BGB installierten Nebenpflichten zählende „Verpflichtung einer Partei, den Vertragszweck nicht zu gefährden oder zu vereiteln, d. h. den Vertragspartner nicht geradezu daran zu hindern, die von ihm mit dem Vertrag angestrebten Vorteile oder Ziele zu verwirklichen“, immanent.54 Diese sog. Leistungstreuepflicht, die gewährleisten soll, dass der Arbeitgeber sein sich aus dem Arbeitsvertrag ergebendes Betriebsziel erreichen kann,55 dass also jeder kirchliche Mitarbeiter seine geschuldete Tätigkeit im Sinne des kirchlichen Auftrags erfüllt,56 bezieht sich aber nur auf die Verrichtung der Diensttätigkeit selbst. Loyalitätspflichten beziehen sich hingegen auch auf den privaten Bereich der Mitarbeiter. Sie betreffen also das allgemeine, d. h. auch außerdienstliche Verhalten des Mitarbeiters und erlauben keine „scharfe Scheidung von dienstlicher Loyalität und außerdienstlicher Ungebundenheit“.57 53  Ausführlich dazu Schliemann, Loyalität und christliche Bindung in kirchlichen Arbeitsverhältnissen, in: Reichold (Hrsg.), Loyalitätspflichten im Umbruch, 2015, 47 (52 ff.); allgemein dazu Richardi (Fn. 16), § 6 Rn. 29 f.; Reichhold, Besonderheiten des kirchlichen Dienstes im Individualarbeitsrecht, in: Kiel / Lunk / Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 2, 4. Aufl. 2018, § 159 Rn. 15 f. 54  Ernst, in: Säcker / Rixecker / Oetker / Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 2, 7. Aufl. 2016, § 280 Rn. 94, mit Verweis auf BGH, NJW 1983, 998 ff.; BGH, NJW-RR 1989, 1393 ff.; BGH, NJW 1995, 1954 ff.; BGH, NJW-RR 1995, 1241 ff.; BGH, NJW 2000, 807 (808). 55  Richardi (Fn. 16), § 6 Rn. 19. 56  Richardi (Fn. 16), § 6 Rn. 20. 57  BAGE 30, 247 (257); vgl. Richardi (Fn. 16), § 6 Rn. 25.



C. Inhalt und Auswirkungen der Modifikationen im Arbeitsrecht 37

Darüber hinaus sind katholische und evangelische Einrichtungen keine Tendenzbetriebe, die Loyalitätspflichten damit keine Tendenzschutzmittel.58 Ein solcher Tendenzschutz wird allein in § 118 BetrVG gesetzlich geregelt und beinhaltet, dass Unternehmen oder Vereinigungen u. a. mit besonderer geistig-ideeller Zwecksetzung bestimmte Veränderungsmöglichkeiten innerbetrieblicher Art nicht zur Verfügung stehen. Allerdings ist anerkannt, dass „tendenzwidriges“ – auch außerdienstliches – Fehlverhalten der Mitarbeiter von Tendenzbetrieben zu (verhaltensbedingten) Kündigungen führen darf.59 Zwar bleibt der allgemeine Kündigungsschutz anwendbar, in der notwendigen Abwägung kann aber das Interesse des Tendenzbetriebs vorrangig sein.60 Daher ist das Argument gegen die Einordnung kirchlicher Einrichtungen als Tendenzbetriebe, § 118 BetrVG legitimiere alleine den Ausschluss bzw. die Beschränkung betriebsverfassungsrechtlicher Rechte und gerade keine außerdienstlich-privaten Verhaltensobliegenheiten,61 wenn überhaupt nur schwach. Auch der zum selben Ergebnis führende Einwand, Tendenzbetriebe und Kirchen seien zu unterscheiden, weil Erstere nur partielle Interessen verträten (z. B. politische, karitative oder erzieherische), während Letztere den Menschen ganzheitlich beträfen und sich damit nicht nur „auf bestimmte Rollen beziehen, die der Einzelne in Staat und Gesellschaft ausübt“,62 ist nicht durchschlagend: Auch partielle Gesellschaftsfelder abdeckende Einrichtungen (z. B. Caritas) können von der Wirkung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts umfasst sein, sind also den Kirchen zuzurechnen, solange sie nach dem Selbstverständnis mit der jeweiligen Kirche als verbunden anzusehen sind.63 Darüber hinaus sind nicht alle Tendenzbetriebe i. S. v. § 118 Abs. 1 BetrVG partielle Gesellschaftsakteure, denkt man beispielsweise an politisch ausgerichtete Betriebe, die zu allen gesellschaftlichen Fragestellungen und Problemen Stellung beziehen. Hier ergeben sich diesbezüglich also keine Unterschiede zu den Kirchen.64 Der am schwersten wiegende Grund im Ergebnis Schliemann (Fn. 53), 52; Richardi (Fn. 16), § 6 Rn. 29 f. Kündigung in Tendenzbetrieben und in kirchlichen Einrichtungen, in: Richardi / Wißmann / Wlotzke / Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 1, 3. Aufl. 2009, § 124 Rn. 9 f.; BAG, NJW 1983, 1221 ff. 60  Siehe insbesondere BAG, NJW 1978, 2116 ff.; vgl. Berkowsky (Fn. 59). 61  So aber Schliemann (Fn. 53), 58. 62  So das Argument von Richardi (Fn. 16), § 6 Rn. 30. 63  S. dazu ausführlich unten S. 111  ff.; siehe dazu auch Richardi (Fn. 16), § 3 Rn. 11 ff.; vgl. auch Overbeck (Fn. 37), 19 ff. 64  Der Grund, weshalb unter § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nur solche konfessionellen Betriebe fallen, die gerade nicht mit der Kirche verbunden sind und so keine kirchliche Einrichtung darstellen (so Forst, in: Richardi [Hrsg.], BetrVG, 16. Aufl. 2018, § 118 Rn. 68 f.), liegt daher weniger an der Tatsache, dass kirchliche Einrichtungen keine Tendenzbetriebe sind, als vielmehr alleine an der Regelung des § 118 Abs. 2 BetrVG, der Religionsgemeinschaften gerade nicht als Tendenzbetriebe anerkennt. 58  Ebenso

59  Berkowsky,

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Teil 1: Bestandsaufnahme: das kirchenspezifische Arbeitsrecht

für die Qualifizierung kirchlicher Einrichtungen als Nichttendenzbetriebe ist daher die Regelung des § 118 Abs. 2 BetrVG, der Religionsgemeinschaften neben den Tendenzbetrieben von den betriebsverfassungsrechtlichen Änderungsmöglichkeiten ausschließt und bereits in der amtlichen Überschrift von Tendenzbetrieben und Religionsgemeinschaften spricht, also eindeutig beide voneinander unterscheidet.65 Ohne die Vorschrift des § 118 Abs. 2 BetrVG wären jedoch kirchliche Einrichtungen überwiegend als Tendenzbetriebe zu qualifizieren. Das zeigt nicht zuletzt der Umstand, dass im Rahmen der Entstehungsgeschichte dieser – damals noch in § 81 BetrVG 1952 festgehaltenen – Regelung darüber gestritten wurde, ob zumindest erzieherische und karitative Einrichtungen der Kirchen als Tendenzbetriebe zu behandeln seien.66 Dies wurde zwar abgelehnt, keinesfalls aber wegen der fehlenden tendenzbedingten Eigenschaft der Einrichtungen, sondern vielmehr wegen der besonderen ihnen zugebilligten gesellschaftlichen und vor allem rechtlichen Autonomie, aber auch wegen rein rechtspolitischer Überlegungen.67 Damit hat der Gesetzgeber zwischen Tendenzbetrieben und kirchlichen Einrichtungen also nicht auf Grund ihrer unterschiedlichen Beschaffenheit, sondern alleine wegen des für Letztere mittelbar geltenden Selbstbestimmungsrechts und des dadurch ihnen zuerkannten höheren Schutzbedürfnisses unterschieden. Man sah demzufolge die Selbstbestimmungsbefugnis der Kirchen als wesentlich stärker an als die hinter den üblichen Tendenzbetrieben stehenden Grundrechtsgewährleistungen. Das drückt sich auch insbesondere dadurch aus, dass der allgemeine Tendenzschutz nach § 118 Abs. 1 BetrVG nur gestuft bzw. sektoral ausgestaltet ist,68 während die betriebsverfassungsrecht­

Gäbe es diese Regelung nicht, ergäbe sich die fehlende Tendenzbeschaffenheit der Religionsgemeinschaften aber nicht allein aus ihrer ganzheitlichen Ausrichtung. 65  Schliemann (Fn. 53), 58. 66  BT-Drs. 1 / 3585, S. 18. 67  So wurde dafür – neben der angemessenen Bedeutung der kirchlichen Selbstverwaltung – der Vergleich zum Hoheitsgebiet der DDR angeführt, siehe BT-Drs. 1 / 3585, S. 18: Durch den Umstand, „daß diese Stellen (d. i. alle kirchliche Einrichtungen; VH) selbst in der sowjetischen Besatzungszone nicht unter das dortige Betriebsverfassungsrecht fallen, da man ihnen eine gewisse Autonomie eingeräumt habe“, befürchtete man, „daß sich wegen einer Nichtzuerkennung dieser Selbstverwaltungsbefugnis durch die Gesetzgebung des Bundes die Lage der kirchlichen Einrichtungen in der Ostzone verschlechtere“ (Herv. VH). 68  Die Regelungen über die Mitbestimmung sind innerhalb der Betriebsverfassung bei allgemeinen Tendenzbetrieben i. S. v. § 118 Abs. 1 BetrVG unanwendbar, soweit sie sich auf die wirtschaftlichen Angelegenheiten beziehen. Für die übrigen Regelungen der Betriebsverfassung, etwa die Beteiligung in sozialen und personellen Angelegenheiten, findet dagegen das Gesetz Anwendung, soweit nicht die Eigenart des Unternehmens oder des Betriebs seine Unanwendbarkeit begründet; vgl. Forst (Fn. 64), 103 ff.



C. Inhalt und Auswirkungen der Modifikationen im Arbeitsrecht 39

lichen Regelungen auf die Kirchen und ihre Einrichtungen gänzlich für unanwendbar erklärt werden. Zusammenfassend lässt sich damit sagen: Loyalitätspflichten sind keine Tendenzschutzinstrumente. Dies aber nicht etwa, weil der Gesetzgeber in kirchlichen Einrichtung keine Tendenzbetriebe sähe, sondern weil für ihn der allgemeine, abgestufte Tendenzschutz gegenüber dem hinter den Einrichtungen stehenden kirchlichen Selbstbestimmungsrecht nicht angemessen erscheint, die kirchlichen Einrichtungen daher politisch als noch schutzwürdiger angesehen werden. Eine in der Beschaffenheit, Struktur oder Qualität der kirchlichen Einrichtungen liegende Begründung gibt es dagegen nicht. Eine Einordnung der Loyalitätspflichten in das staatliche Recht scheint mangels weiterer Alternativen nicht möglich. Das hat aber auch einen guten Grund: Loyalitätspflichten sind – wie soeben gezeigt – keine Produkte staatlicher Rechts-, sondern vielmehr kirchlicher Moralüberlegungen. Loyalität richtet sich gerade nicht nach der staatlichen Rechtsordnung, sondern nach dem Selbstverständnis der Kirchen, die diesbezüglich nicht in den tradierten überkommenen Rechtsbegriffen und -strukturen denken. Daran ändert auch § 9 Abs. 2 AGG nichts, der zwar auf das „loyale“ Verhalten der Mitarbeiter abstellt, allerdings weiter keine Vorgaben zu Form oder Inhalt macht und insoweit hier das Feld den Kirchen überlässt.69 Aus dieser Überlegung ist aber auch zu folgern, dass eine entsprechende Einordnung der Loyalitätspflichten, selbst wenn sie vorgenommen werden könnte, keine Folgen nach sich zöge. Denn nicht nur Inhalt, Beschaffenheit und Anwendungsbereich, sondern auch Rechtsfolgen und -wirkungen sind zunächst von der katholischen wie evangelischen Glaubenslehre abhängig. Ginge man beispielsweise davon aus, dass die Loyalitätspflichten als Nebenleistungspflichten i. S. v. § 241 Abs. 1 BGB einzuordnen wären, könnte man daraus nicht automatisch eine Einklagbarkeit – wie bei Pflichten des § 241 Abs. 2 BGB ansonsten üblich – ableiten, da diese Frage nur von den Kirchen geregelt werden kann. Nur wenn – um in dem Beispiel zu bleiben – die katholische Kirche oder die evangelischen Kirchen die Einklagbarkeit bestimmten, dürfte das staatliche Recht daran anknüpfen. Folglich ist eine Einordnung der Loyalitätspflichten in das staatliche Recht verfehlt; entscheidend ist nicht die Überstülpung der Loyalität mit einem Sack staatlicher Begriffe, sondern die konkrete kirchenrechtliche Ausgestaltung der Loyalitätspflichten. Gleichwohl sind die Loyalitätsanforderungen nach der GrO oder der EKD-RL tatsächlich nicht einklagbar, rechtferigen aber dennoch eine Kündigung, wodurch das Bestehen des gesamten Arbeitsverhältnisses von der Erfüllung entsprechender Pflichten 69  Dies gilt nicht zuletzt, weil das AGG – und damit § 9 AGG – erst im Jahre 2006 und damit bereits bei Bestehen kirchlicher Loyalitätspflichten erlassen worden ist und daher erkennbar die bestehende Rechtslage einfachrechtlich billigen wollte.

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Teil 1: Bestandsaufnahme: das kirchenspezifische Arbeitsrecht

abhängig gemacht wird. Somit ist es überzeugend, nicht von Obliegenheiten oder anderen Instituten, sondern tatsächlich von Pflichten zu sprechen.70 Entscheidend ist dies aber nicht. b) Kirchenrechtliche Gesetzesgrundlagen als Umsetzung Mit der Formulierung, die Kirchen dürften „loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen“, bleibt § 9 Abs. 2 AGG mangels weiterführender Begriffsbestimmungen der herrschenden Dogmatik des Art. 137 Abs. 3 WRV treu und stellt – auch ganz im Sinne des Gesetzgebers71 – bei der Auslegung dieser Begriffe allein auf die eigene Interpretation der jeweiligen Kirche ab.72 Folglich ist es auch Aufgabe der katholischen Kirche und der evangelischen Kirchen festzulegen, zum einen was unter einem loyalen Verhalten ihrer Mitarbeiter zu verstehen ist, zum anderen welche Rechtsfolgen an ein illoyales Verhalten geknüpft werden sollen.73 Das Problem einer zersplitterten Kirchenrechtslage zeigt sich im Bereich der Loyalitätspflichten in nur dezenter Weise. Wegen der grundsätzlichen Selbstständigkeit ihrer Glieder (Bistümer bzw. Landeskirchen) kommt es für eine „allgemeine“ katholische oder evangelische Rechtslage entscheidend darauf an, dass die einzelnen Bistümer bzw. Landeskirchen den Regelungen der übergeordneten, aber diesbezüglich nicht vorgabeberechtigten Instanzen (Vollversammlung der Diözesen Deutschlands bzw. EKD), zugestimmt haben. Für den Geltungsbereich der katholischen Kirche gilt grundsätzlich die GrO, die im Jahre 2015 grundlegend reformiert wurde und der die meisten Bistümer zugestimmt haben, so dass diese das für die katholische Kirche maßgebliche Regelwerk für Fragen der Loyalitätspflichten darstellt.74 Im Bereich der evangelischen Kirchen existieren die zentralen Bestimmungen 70  Dabei ist selbst die Literatur nicht konsequent in der Begriffsverwendung; siehe beispielsweise Starck, Einführung in die Tagung, in: Kämper / Thönnes (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 46 (2012), 3 (4), der auch von „Loyalitätspflicht“ spricht; vgl. zu weiteren unterschiedlich verwendeten Begriffen Schliemann (Fn. 53), 62. 71  Vgl. BT-Drs. 16 / 1780, S. 35 / 36: „Es obliegt den Kirchen und Weltanschauungsgemeinschaften selbst, dementsprechend verbindliche innere Regelungen zu schaffen“. 72  Benecke (Fn. 49), 54 f. 73  Anders hingegen die Begründung zu § 9 Abs. 2 AGG, nach der die Rechtsfolgenkompetenz nicht bei den Religionsgemeinschaften liegen soll, s. BT-Drs. 16 / 1780, S. 36: „Die Frage, welche arbeitsrechtlichen Folgen ein Verstoß gegen derartige Verhaltenspflichten haben kann, beurteilen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit die Arbeitsgerichte“. 74  Richardi, (Fn. 16), § 4 Rn. 31 ff.



C. Inhalt und Auswirkungen der Modifikationen im Arbeitsrecht 41

zur Loyalität in §§ 3 bis 5 EKD-RL. Aber auch trotz ihres nur empfehlenden Charakters können diese Bestimmungen als „allgemeines Recht“ für die evangelischen Kirchen insgesamt bezeichnet werden, da die meisten Landeskirchen die Bestimmungen der EKD-RL übernommen oder gleichlautende eigene Regelungen erlassen haben.75 Eine Besonderheit besteht hier indes in der Landeskirche Bayern, die nach § 2 ihres von ihrer Landessynode am 30.03.1977 beschlossenen Kirchengesetzes über das Verfahren zur Regelung der Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter im Dienst der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und ihres Diakonischen Werkes (ARRG-Bay) die Bildung von aus Vertretern des Dienstgebers und Vertretern der Mitarbeiter bestehenden Arbeitsrechtlichen Kommissionen fordert, um Regelungen zu Abschluss und Inhalt der jeweiligen Arbeitsverträge zu treffen. Aus diesem Grund finden sich die entsprechenden zu beachtenden Anforderungen an die berufliche Mitarbeit in privatrechtlichen Dienstverhältnissen in Bayern nicht in einem Kirchengesetz der Landessynode, sondern in einer Arbeitsrechtsregelung der entsprechenden Arbeitsrechtlichen Kommission, der sog. „Arbeitsrechtsregelung über die berufliche Mitarbeit in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und ihrer Diakonie für den Bereich der privatrecht­ lichen Dienstverhältnisse“ (ARRMit-Bay).76 Die gleiche Besonderheit findet 75  Art. 1 des Zweiten Kirchengesetzes zur Änderung des Kirchengesetzes über die Beschäftigung von Mitarbeitern in kirchlichen und diakonischen Einrichtungen im Bereich der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck vom 27.11.1997 (MitGKurhessen-Waldeck); Art. 1 der Ordnung über die Anforderungen der privatrechtlichen beruflichen Mitarbeit in der Lippischen Landeskirche und ihrem Diakonischen Werk vom 19.06.2007 (MitO-Lippe); § 2 des Kirchengesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Evangelisch-reformierten Kirche vom 23.04.1976 (MitG-Reform.); § 1 des Kirchengesetzes über die Anforderungen der privatrechtlichen beruflichen Mitarbeit in der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche vom 10.02.2006 (MitG-Nord); vgl. MitG-Baden; vgl. Beschluss der Kirchenleitung der Landeskirchen Westfalen vom 24.08.2006; vgl. Verordnung über die Anforderungen der privatrechtlichen beruflichen Mitarbeit in der Föderation Evangelischer Kirchen in Mitteldeutschland (MitVO-Mittel); Art. 1 des Gesetzes über die Anforderungen der privatrechtlichen beruflichen Mitarbeit in der Evangelischen Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche) und im Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche) vom 08.06.2006 (MitG-Pfalz); vgl. Kirchengesetz über die Anforderungen der privatrechtlichen beruflichen Mitarbeit und die Genehmigung von Arbeitsverträgen vom 16.11.2006 (MitGBerlin); Art. 1 des Kirchengesetzes zur Übernahme und zur Ausführung der Richtlinie des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland über die Anforderungen der privatrechtlichen beruflichen Mitarbeit in der EKD und des Diakonischen Werkes der EKD vom 18.05.2006 (MitG-Bremen); vgl. §§ 3 f. Kirchengesetz über die Regelung der privatrechtlichen Dienstverhältnisse der Mitarbeiter der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens vom 26.03.1991 (LMG-Sachsen); vgl. §§ 4 ff. Kirchengesetz der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen über die Rechtsstellung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom 11. März 2000 (MitG-Niedersachsen). 76  Richardi, (Fn. 16), 52, 53.

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Teil 1: Bestandsaufnahme: das kirchenspezifische Arbeitsrecht

sich in den Landeskirchen Württemberg77 sowie Hessen und Nassau.78 Soweit im Folgenden auf die Situation in den evangelischen Kirchen einzugehen ist, wird daher die EKD-RL zu Grunde gelegt und nur bei besonders hervorzuhebenden Abweichungen einzelner Landeskirchen auf die jeweilige landeskirchliche Situation eingegangen. 2. Ausgestaltung und Auswirkungen der Loyalitätspflichten Das staatliche Recht erlaubt zwar Loyalitätsforderungen kirchlicher Dienstgeber an ihre Mitarbeiter, sagt aber nichts über ihren Inhalt aus und bewegt sich hier auf den Bahnen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts gem. Art. 137 Abs. 3 WRV. Es obliegt den Kirchen selbst, Inhalt und Auswirkungen der Loyalität zu bestimmen. a) Überblick über die Ausgestaltung der Loyalitätspflichten Im Rahmen der katholischen Kirche werden in Art. 4 GrO die Loyalitätspflichten abstrakt definiert, während Art. 5 GrO beispielhaft („insbesondere“) schwerwiegende Loyalitätsverstöße aufführt, die die vorab abstrakt aufgeführten Loyalitätsumschreibungen konkretisieren. Das gleiche System ergibt sich dem Grunde nach aus § 4 und § 5 EKD-RL, wobei beispielhafte Loyalitätspflichten in § 5 EKD-RL nicht zu finden sind. Auch viele Landeskirchen begnügen sich mit einer Art Generalklausel.79 Etwas konkreter ist hier die Bayerische Landeskirche, die in § 7 Abs. 3 ARRMit-Bay einzelne schwerwiegende Verstöße anführt, auch wenn die dort verwendeten Begrifflichkeiten ebenfalls eine allgemein-oberflächliche Ebene nicht verlassen.80

77  Vgl. § 2 des Kirchengesetzes über das Verfahren zur Regelung der Arbeitsverhältnisse der privatrechtlich angestellten Mitarbeiter im kirchlichen Dienst vom 27. Juni 1980 (ARRG-Württemberg) i. V. m. Kirchliche Anstellungsordnung vom 10. November 2006 (KAO-Württ.). 78  Vgl. § 5 Kirchengesetz über das Verfahren zur Regelung der Arbeitsverhältnisse im kirchlichen Dienst vom 29. November 1979 (ARRG-Kurhessen und Nassau) i. V. m. Kirchlich-Diakonische Arbeitsvertragsordnung vom 20. Juli 2005 (KDAVOHessen und Nassau). 79  So verlangt § 3 Abs. 2 lit. b LMG-Sachsen nur, dass jeder „bereit ist, seinen Dienst so zu tun und sein Leben so zu führen, wie es von einem Mitarbeiter der Kirche erwartet werden muss.“ Auch § 9 Abs. 3 S. 1 MitG-Baden bestimmt nur: „Der Mitarbeiter ist zur Loyalität der evangelischen Kirche gegenüber verpflichtet“. 80  Ein besonderer Loyalitätspflichtenverstoß liegt demnach z. B. vor bei Austritt (Spiegelstrich 1 und 2), einer „groben Missachtung der evangelischen Kirche und ihrer Ordnungen“ (Spielestricht 3), „kirchenfeindlichem Verhalten“ (Spiegelstrich 4) oder einer „schwerwiegenden persönlichen sittlichen Verfehlung“ (Spiegelstrich 5).



C. Inhalt und Auswirkungen der Modifikationen im Arbeitsrecht 43

Es nimmt kaum Wunder, dass der Inbegriff eines loyalen Verhaltens nach katholischem, aber auch nach evangelischem Selbstverständnis insbesondere an die Einhaltung der jeweiligen Glaubenslehre anknüpft. So gehört zu einem loyalen Verhalten nach beiden Kirchen zunächst das unbedingte Unterlassen kirchenfeindlichen Verhaltens (Art. 4 Abs. 4 S. 1 GrO, § 5 Abs. 2 EKD-RL). Zum anderen aber ist der Glaubwürdigkeit der Kirche wegen nur loyal, wer die kirchliche Glaubensordnung respektiert und nicht missachtet (vgl. Art. 4 Abs. 1 S. 1 GrO, § 5 Abs. 2 EKD-RL). Mit anderen Worten: Die Mitarbeiter sollen sich entsprechend den katholischen bzw. evangelischen Moralnormen verhalten. Hierbei haben sich in der Praxis typische sanktionsrelevante Fallgruppen herausgebildet, deren Darstellung aber erst im Rahmen der verfassungsrechtlichen Bewertung relevant ist.81 Dabei differenzieren beide Kirchen gleichermaßen hinsichtlich des Grades und des Umfangs der Loyalitätsbindung zwischen katholischen bzw. evangelischen Mitarbeitern, katholischen bzw. evangelischen Mitarbeitern mit besonderen Aufgaben, nichtkatholischen bzw. nichtevangelischen, aber christlichen Mitarbeitern und nichtchristlichen Mitarbeitern. Lediglich einzelne evangelische Landeskirchen haben eine solche Differenzierung nicht übernommen, sondern sich mit der Begründung einer „allgemeinen“ Loyalität begnügt.82 Für katholische Mitarbeiter ohne besondere Aufgaben gilt gem. Art. 4 Abs. 1 S. 1 GrO die Bindung an die katholische Glaubenslehre umfassend. Dazu gehört insbesondere, dass nicht eine kirchenrechtlich unzulässige Zivilehe eingegangen wird (Art. 5 Abs. 2 Nr. 2 lit. c GrO). Das Gleiche gilt für evangelische Mitarbeiter ohne besondere Aufgaben, die nach § 4 Abs. 2 S. 1 EKD-RL die Pflicht haben, „Schrift und Bekenntnis an[zu]erkennen“. Katholische Mitarbeiter mit besonderen Aufgaben hingegen müssen über diese Bindung des Art. 4 Abs. 1 S. 1 GrO hinaus ein der Glaubens- und Sittenlehre entsprechendes persönliches Lebenszeugnis vorweisen. Zu diesen besonderen Aufgaben gehört der pastorale, katechetische oder der Dienst aufgrund der missio canonica (insb. Lehramt) oder einer sonstigen schriftlich erteilten bischöflichen Beauftragung, Art. 4 Abs. 1 S. 2 GrO. Parallel dazu bestimmt § 4 Abs. 2 S. 2 EKD-RL, dass Mitarbeiter im Bereich der „Verkündigung, Seelsorge, Unterweisung oder Leitung“ eine der „übernommenen Verantwortung“ entsprechende „inner- und außerdienstliche Lebensführung“ nachweisen müssen. Daraus folgt, dass beispielsweise ein katholischer Religionslehrer nur dann seine jeweilige berufliche Aufgabe erfüllen kann, wenn Interessanterweise kann auch ein „Widerspruch zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ einen Loyalitätspflichtenverstoß begründen, § 7 Abs. 4 ARRMit-Bay. 81  Das gilt insbesondere für die Frage nach dem betroffenen Schutzgut des Mitarbeiters, siehe dazu unten S. 166 ff. 82  So insbesondere §§ 9, 11 MitG-Baden; vgl. § 4 MitG-Niedersachsen.

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Teil 1: Bestandsaufnahme: das kirchenspezifische Arbeitsrecht

er kein partnerschaftliches Zusammenleben ohne kirchenrechtlich gültige Eheschließung praktiziert.83 Nichtkatholische, aber christliche, d. h. der jeweils anderen Konfession zugehörige Mitarbeiter, sind verpflichtet, „die Wahrheiten und Werte des Evangeliums zu achten und dazu bei[zu]tragen, sie in der Einrichtung zur Geltung zu bringen“, Art. 4 Abs. 2 GrO. Nahezu eine identische Formulierung findet sich für die evangelischen Kirchen in § 4 Abs. 3 EKD-RL, der von Mitarbeitern einer anderen christlichen Konfession verlangt, „Schrift und Bekenntnis [zu] achten und für die christliche Prägung ihrer Einrichtung ein[zu]treten“. Sie sind daher nicht wie ihre Kollegen der ersten und zweiten Gruppe strikt an die Glaubenslehre gebunden, müssen aber die zugrundeliegenden christlichen Glaubensinhalte beachten und zu verwirklichen helfen.84 Das bedeutet auch, keine im Widerspruch zu den christlichen Moralnormen stehende Glaubenslehre zu propagieren, vgl. Art. 5 Abs. 2 Nr. 1 lit. d GrO, § 5 Abs. 2 EKD-RL. Die geringsten Loyalitätsanforderungen gelten für nichtchristliche Mitarbeiter, die nach Art. 4 Abs. 3 GrO bzw. § 4 Abs. 4 EKD-RL ihre Aufgaben lediglich im Sinne der katholischen Kirche bzw. der evangelischen Kirchen zu erfüllen haben. Die Kirchen stellen darüber hinaus auch noch einmal die (allgemeine) Bindung auch nichtchristlicher Mitarbeiter an die evangelische Glaubenslehre klar („haben…zu beachten“, § 4 Abs. 4 EKD-RL).85 Das bedeutet zum Beispiel, dass muslimische Mitarbeiter weder im Rahmen ihrer Tätigkeit noch in ihrer Freizeit öffentlich gegen die tragenden Grundsätze der katholischen Kirche eintreten dürfen, Art. 5 Abs. 2 Nr. 1 lit. a GrO, z. B. wenn sie öffentlich für die Abtreibungspraxis einstehen oder diese sogar selbst vornehmen.86

83  Siehe dazu insbesondere Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Richtlinien über persönliche Anforderungen an Diakone und Laien im pastoralen Dienst im Hinblick auf Ehe und Familie, Die deutschen Bischöfe 51, 11. Aufl. 2008; vgl. auch Richardi (Fn. 16), § 6 Rn. 6 f. 84  Dies stellt § 4 EKD-RL deutlich unter Beweis, der bei Mitarbeitern der ersten Gruppe von einer Anerkennung der Glaubenslehre (Abs. 1), bei Mitarbeitern einer anderen christlichen Konfession hingegen „nur“ von einer Achtung der Glaubenslehre (Abs. 3) spricht. Der Grad der Bindung an die Glaubenslehre ist daher in Abs. 3 deutlich abgesenkt. Das Gleiche gilt für Art. 4 GrO, der die Mitarbeiter der ersten Gruppe zur „Bejahung“ der Glaubenslehre (Abs. 1), christliche Mitarbeiter anderer Konfessionszugehörigkeit hingegen nur zur „Erfüllung“ der Glaubenslehre (Abs. 3) verpflichtet. 85  Zu beachten ist aber – zumindest für die Landeskirche in Bayern –, dass nichtchristliche Personen grds. nicht beschäftigt werden sollen, § 4 Abs. 3 ARRMit-Bay. 86  Vgl. zur Kündigung eines katholischen Mitarbeiters (hier eines Arztes) wegen Durchführung einer Abtreibung BVerfGE 70, 138 ff.



C. Inhalt und Auswirkungen der Modifikationen im Arbeitsrecht 45

Bei den Loyalitätspflichten handelt es sich also um teilweise gravierend in das Privatleben der Mitarbeiter eingreifende Verhaltensanforderungen. Auch wenn sie nach kirchenrechtlicher Ausgestaltung keine einklagbaren Ansprüche darstellen, bringt ihre Nichtbeachtung teilweise erhebliche Konsequenzen mit sich, auf die im Folgenden einzugehen ist: Loyalitätspflichten beeinflussen nicht nur die Auswahl der künftigen Mitarbeiter und den Umgang mit entsprechenden Bewerbern, sondern – und das ist sicherlich zentral – erweitern die Kündigungsmöglichkeiten der Kirchen und ihrer Einrichtungen. b) Auswirkung I: Umgang mit Bewerbern Die während des Arbeitsverhältnisses geltendenen Loyalitätspflichten haben nicht nur Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis selbst, sondern freilich auch bereits auf die Einstellungspraxis der Kirchen und ihrer Einrichtungen, handelt es sich doch trotz der besonderen Natur und Ausrichtung der Loyalitätspflichten zunächst auch um allgemeine Pflichten des möglicherweise künftigen Mitarbeiters. Zum ersten ist daher das Fragerecht in Bezug auf die Erfüllung der Loyalitätspflichten zu erweitern.87 Schließlich hat sich zum Beispiel der katholische Dienstgeber nach Art. 3 Abs. 5 GrO bei dem Bewerbungs- bzw. Einstellungsgespräch, also vor Beginn des Arbeitsverhältnisses, zu vergewissern, „dass die Bewerberinnen oder Bewerber diese Loyalitätspflichten erfüllen“. Dasselbe wird in § 2 Abs. 4 ARRMit-Bay für den Bereich der Evangelischen Landeskirche Bayern konstatiert. Zwar schweigt sich die EKD-RL zu diesem Thema aus. Angesichts der Anforderung nach § 4 EKDRL, sich während des Beschäftigungsverhältnisses der Kirche gegenüber loyal zu verhalten, bleibt den für die Einstellung Verantwortlichen aber nichts Anderes übrig, als den Bewerber vorab auf diese Verpflichtung hin zu überprüfen: Kein Arbeitgeber will eine Person einstellen, von der vorab klar ist, dass sie die beruflichen Anforderungen – welche auch immer diese sein mögen – nicht zu erfüllen imstande ist.88 Durch die Erweiterung des Frage- und Prüfungsrechts werden zum Teil nach kirchlichem Verständnis notwendige, höchst intime Fragen nach sexueller Orientierung oder individueller Lebensweise als legitimes Interesse deklariert und gebilligt. Zum Vergleich: Dem „weltlichen“ Arbeitgeber steht zwar bei einem Bewerbungsgespräch mit einem potentiellen Mitarbeiter ebenfalls ein Fragerecht zu. Dieses findet jedoch seine Grenzen insbesondere in der Privatsphäre dieser Person. So sind Fragen zu Schwangerschaft oder zu sexuellen Vorlieben absolut unzulässig und dürfen unbeantwortet bleiben dazu nur Thüsing (Fn. 44), 101 m. w. N. dazu Richardi (Fn. 16), § 6 Rn. 13, 14.

87  Siehe 88  Vgl.

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Teil 1: Bestandsaufnahme: das kirchenspezifische Arbeitsrecht

oder mit unrichtigen Angaben beantwortet werden.89 Bei kirchlichen Arbeitgebern wird der Rahmen zulässiger Fragen erweitert. So werden insbesondere Fragen zu religiösem Verständnis und Religionszugehörigkeit als zulässig angesehen.90 Nach den genannten Bestimmungen muss nämlich darauf geachtet werden, dass die Bewerber „die Eigenart des kirchlichen Dienstes bejahen“. Weiterhin muss der kirchliche Dienstgeber „sicherstellen, dass sie (d. h. die Mitarbeiter; VH) ihren besonderen Auftrag glaubwürdig erfüllen können“. Die zweite Auswirkung wird nach den jeweiligen Regelungswerken zwar nicht unter dem Begriff der Loyalität, sondern unter dem der Einstellungsbedingungen zusammengefasst; nach Art. 4 GrO und § 4 EKD-RL betreffen Loyalitätspflichten nämlich nur Verhaltensanforderungen während eines Beschäftigungsverhältnisses.91 Allerdings handelt es sich de facto um eine Form der Loyalität, wenn bestimmte berufliche Tätigkeiten in kirchlichen Einrichtungen von der Mitgliedschaft der jeweiligen Kirchengemeinschaft abhängig gemacht werden. So müssen nach Art. 3 Abs. 2 GrO bzw. § 4 Abs. 1, 2 EKDRL bestimmte – verkündigungsnahe – Stellen (pastorale, katechetische, erzieherische, leitende bei der katholischen Kirche sowie Verkündigung, Seelsorge, Unterweisung sowie Leitung bei den evangelischen Kirchen) von kirchlichen Mitgliedern besetzt werden.92 Hier kommt es in einzelnen evangelischen Landeskirchen aber zu unterschiedlichen Ausgestaltungen93 bis hin zum Verzicht auf die Notwendigkeit der Kirchenmitgliedschaft.94 Je näher also eine Tätigkeit mit der Verkündigung der Glaubenslehre zusammensteht, 89  Dazu allgemein Wisskirchen / Bissels, Das Fragerecht des Arbeitgebers bei Einstellung unter Berücksichtigung des AGG, in: NZA 2007, 169 ff.; Armbrüster, in: Säcker / Rixecker / Oetker / Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 1, 8. Aufl. 2018, § 123 Rn. 44 ff.; Junker, Grundkurs Arbeitsrecht, 17. Aufl. 2018, § 3 Rn.  151 f.; BAGE 81, 120 (123); E 141, 1 ff.; vgl. auch EuGH 3.2.2000 – C-207 / 98, Slg. 2000, I-549 – Mahlburg. 90  Thüsing (Fn. 44), 101 m. w. N.; Richardi (Fn. 16), § 6 Rn. 13, 14; Adam, Reli­ gionsfreiheit im Arbeitsrecht, in: NZA 2003, 1375 (1379 f.). 91  Besonders deutlich wird dies anhand der Überschrift des § 4 EKD-RL: „Berufliche Anforderungen während des Arbeitsverhältnisses“. 92  Zwar schreibt dies § 4 Abs. 1 EKD-RL zwar grds. für alle Mitarbeiter vor; nach § 4 Abs. 2 EKD-RL kann aber für nicht verkündigungsnahe Bereiche eine Ausnahme zugelassen werden, wenn andere geeignete Mitarbeiter nicht zu gewinnen sind. 93  So bestimmt z. B. § 4 Abs. 3 S. 1 des Kirchlichen Gesetzes über das Dienstverhältnis der kirchlichen Mitarbeiter im Bereich der Landeskirche und des Diakonischen Werkes der Evangelischen Landeskirche in Baden (Rahmenordnung) vom 01.05.1984, dass „Personen, die keiner christlichen Kirche angehören, (…) nur angestellt werden, wenn sich ihr Dienst im wesentlichen auf die Wahrnehmung von internen Aufgaben im Verwaltungs-, Wirtschafts- und Technischen Dienst beschränkt“. 94  So verlangt die Landeskirche Bayern in § 2 Abs. 2 ARRMit-Bay nur, dass alle Mitarbeiter „die kirchliche Prägung und Tätigkeit der Einrichtung anerkennen“.



C. Inhalt und Auswirkungen der Modifikationen im Arbeitsrecht 47

desto eher muss die Mitgliedschaft in der diese Glaubenslehre vertretenden Kirche nachgewiesen werden. Die Beziehung zwischen Kirchenmitgliedschaft und Loyalität ergibt sich damit vor dem Hintergrund, dass Erstere genau wie die Loyalitätspflichten die Glaubwürdigkeit der Kirchen und deren Moralnormen b ­ etrifft. So ist klar, dass von vorneherein ein buddhistischer Mönch die ­katholische Glaubenslehre nur bedingt glaubwürdig vermitteln und somit nicht hinreichend zur Erfüllung des Sendungsauftrags beitragen kann. Andernfalls wird schnell das Bild des Wasser predigenden, aber Wein trinkenden Priesters deutlich. Es ist daher für die Glaubwürdigkeit der Kirchen und ihrer Moralnormen in bestimmten Arbeitspositionen von entscheidender Relevanz, welche formellen Kriterien – seien sie auch privat-intimer Natur – eine die Stelle innehabende Person erfüllt. Dies erkennt auch § 9 Abs. 1 AGG an, der eine „Ungleichbehandlung“ allein wegen der Religionszugehörigkeit dann als zulässig ansieht, wenn eine bestimmte Religion unter Beachtung ihres Selbstverständnisses „nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt“. Der einzige Unterschied zu den „wahren“ Loyalitätspflichten ist, dass es nicht um ein Verhalten, sondern um das formale Kriterium der Repräsentation der Moralnormen geht. Das Kriterium der Kirchenmitgliedschaft installiert also einen Glaubwürdigkeitsschutz a priori. Die besondere Beziehung zwischen Kirchenmitgliedschaft und Loyalitätspflichten ergibt sich nicht nur vor dem Hintergrund bestimmter Tätigkeitsfelder mit besonderer Nähe zum Verkündigungsauftrag. Vielmehr kann das Kriterium der Kirchenmitgliedschaft auch auf anderen Tätigkeitsfeldern vor Begründung des Arbeitsverhältnisses mit der Frage nach der Loyalität verknüpft werden. Dies wird dadurch deutlich, dass der Austritt aus der jeweiligen Kirche als ein besonders schwerwiegender Loyalitätsbruch verstanden wird (Art. 5 Abs. 2 Nr. 2 lit. a GrO bzw. § 5 Abs. 2 EKD-RL). Zwar greifen diese Normen erst ab Bestehen des Arbeitsverhältnisses und nicht bei Begründung desselben. Nichtsdestoweniger liegt bei einem Bewerber, der in der Vergangenheit Mitglied der jeweiligen Kirche gewesen, aber mittlerweile ausgetreten ist, mit hoher Wahrscheinlichkeit die Unfähigkeit zur späteren Erfüllung der Loyalitätspflichten nahe und dementsprechend kann dieser abgelehnt werden. Dies legt § 3 Abs. 4 EKD-RL – im Gegensatz zur GrO – generell fest, wenn jeder Bewerber für (irgend-)eine Stelle als ungeeignet eingestuft wird, der aus der evangelischen Kirche ausgetreten ist.

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Teil 1: Bestandsaufnahme: das kirchenspezifische Arbeitsrecht

c) Auswirkung II: Erweiterung der Kündigungsmöglichkeit Auch Mitarbeiter der katholischen Kirche wie der evangelischen Kirchen unterstehen grds. dem staatlichen Kündigungsschutz (insb. §§ 620 f. BGB, §§ 1 ff. KSchG). Diese Regelungen bilden insoweit die das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen begrenzenden, für alle geltenden Gesetze.95 Das bedeutet zunächst, dass der katholischen Kirche und der evangelischen Kirchen wie auch allen anderen Arbeitgebern weltlicher oder kirchlicher Art die Instrumente der ordentlichen bzw. außerordentlichen (fristlosen) Kündigung nach den allgemeinen Gründen zustehen.96 Daneben steht den Kirchen – zumindest nach geltender Rechtslage – jedoch der Weg der (außerordentlichen) Kündigung wegen Verstoßes gegen Loyalitätspflichten offen. Auch hier gilt: Es ist – nach kirchlichem Verständnis – mit der Glaubwürdigkeit sowie der Erfüllung des Sendungsauftrags nicht vereinbar, wenn die Kirche jemanden beschäftigen muss, der erkennbar und mit Außenwirkung gegen die eigenen Moralnormen verstößt und somit gleichzeitig den Sendungsauftrag ignoriert. Es nimmt daher nicht Wunder, dass Art. 5 Abs. 2 GrO, der „Regelbeispiele“ schwerwiegender Loyalitätspflichten festsetzt,97 entweder auf öffentlich wahrnehmbare Verhaltensweisen (z. B. Art. 5 Abs. 2 Nr. 1 lit. a, c GrO) oder gar direkt auf die Beeinträchtigung der Glaubwürdigkeit der Kirche (Art. 5 Abs. 2 Nr. 1 lit. b, Nr. 2 lit. c GrO) Bezug nimmt. Das Gleiche gilt etwa für die evangelische Landeskirche in Bayern (§ 7 Abs. 3 ARRMit-Bay). Verstöße gegen die Loyalitätspflichten führen jedoch nicht sofort und automatisch zu einer (außerordentlichen) Kündigung. Diesbezüglich sind GrO und EKD-RL stark dem aus dem staatlichen Verfassungsrecht bekannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nachempfunden98 und bestimmen in Art. 5 Abs. 1 GrO bzw. § 5 Abs. 1 EKD-RL, dass in einem solchen Falle 95  BVerfGE 70, 138 (168  ff.); BAGE 34, 195 (202 ff.); Richardi (Fn. 16), § 7 Rn.  1 ff.; Hammer (Fn. 16), 228 f. 96  Allgemein dazu Greiner, Überblick, Geschichte und System des Kündigungsrechts, in: Richardi / Wißmann / Wlotzke / Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 2, 4. Aufl. 2018, § 107; Wank, Kündigung als Rechtsgeschäft, in: Richardi / Wißmann / Wlotzke / Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 2, 4. Aufl. 2018, § 108; ders., Ordentliche Kündigung, Kündigungsfristen, in: Richardi / Wißmann / Wlotzke / Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 2, 4. Aufl. 2018, § 109; siehe zur außerordentlichen Kündigung die Kapitel von Rachor, in: Kiel / Lunk / Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 2, 4. Aufl. 2018, §§ 123 bis 126; Junker (Fn. 89), § 6. 97  So Dütz, Begründung zu Art. 5, in: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Erklärung der deutschen Bischöfe zum kirchlichen Dienst, Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse, Die deutschen Bischöfe 51, 11. Aufl. 2008, 29 (29); vgl. auch Richardi (Fn. 16), § 7 Rn. 31. 98  Vgl. dazu Richardi (Fn. 16), § 7 Rn. 29 f.



C. Inhalt und Auswirkungen der Modifikationen im Arbeitsrecht 49

zunächst durch Beratung oder durch andere, mildere Maßnahmen wie Gespräche, Abmahnungen oder Versetzung der Mangel zu beseitigen versucht werden soll, so dass – um im staatsrechtlichen Jargon zu sprechen – eine Kündigung auch nach katholischem wie nach evangelischem Verständnis nur als ultima ratio „erforderlich“ ist. Sie ist daher in der Regel auch nur bei schwerwiegenden Verstößen angezeigt, wobei hier wiederum zumindest zwischen katholischen respektive evangelischen und den übrigen Mitarbeitern differenziert wird, so dass auch die kündigungsrelevanten Loyalitätspflichten in abgestufter Form vorliegen.99 Aber auch bei kündigungsrelevanten Loyalitätspflichtverstößen ist eine Kündigung nicht pauschal zu erteilen, sondern erfordert vorab – analog zur Angemessenheit innerhalb des staatlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips – eine Interessenabwägung im Einzelfall (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GrO, § 5 Abs. 1 EKD-RL). Lediglich für Mitarbeiter mit besonderen Aufgaben und infolgedessen mit besonderer Bindung zur katholischen Kirche sowie zu den evangelischen Kirchen (vgl. Art. 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 S. 2 GrO, § 3 Abs. 1 EKD-RL) wird eine Weiterbeschäftigung überwiegend ausgeschlossen, wenn nicht ausnahmsweise schwerwiegende Gründe eine Kündigung als absolut unangemessen erscheinen lassen (Art. 5 Abs. 3 S. 4, 5 GrO bzw. § 5 Abs. 2 EKD-RL). An dieser Stelle ist im Hinblick auf die Haltung der katholischen Kirche jedoch eine besondere, die Interessen und Situation der betroffenen Mitarbeiter verstärkt in den Blick nehmende Entwicklung zu verzeichnen.100 Waren in der GrO aus dem Jahre 1993 im Rahmen der Abwägung zwischen Mitarbeiterinteresse und Kircheninteresse überwiegend die Kriterien der „Glaubwürdigkeit von Kirche und kirchlicher Einrichtung“, der „Belastung der kirchlichen Dienstgemeinschaft“, die „Nähe zum kirchlichen Verkündigungsauftrag“ oder der „Stellung der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters in der Einrichtung“ und damit überwiegend kirchliche Interessen maßgebend,101 legt die katholische Kirche in der GrO des Jahres 2015 dagegen ein besonderes Augenmerk auf die individuellen Interessen des Mitarbeiters. So sind für die Einzelfallabwägung nach Art. 5 Abs. 3 S. 3 GrO insbesondere zu berücksichtigen „das Bewusstsein der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters für die begangene Loyalitätspflichtverletzung, das Interesse an der Wahrung des Arbeitsplatzes, das Alter, die Beschäftigungsdauer und die Aussichten auf eine neue Beschäftigung“ und damit primär aus Sicht des Mitarbeiters relevante Kriterien. Zudem wird – im Unterschied zur GrO 1993 – gem. Art. 5 Abs. 3 S. 2 GrO ausdrücklich klargestellt, dass ekklesiastische Interessen 99  Siehe

zu den Abstufungen oben S. 42 ff. dazu insgesamt von Tiling, Blick ins Kirchenarbeitsrecht – die neue Grundordnung für das Arbeitsrecht der katholischen Kirche, in: öAT 2015, 227 ff. 101  Siehe Art. 5 Abs. 4 GrO 1993. 100  Vgl.

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Teil 1: Bestandsaufnahme: das kirchenspezifische Arbeitsrecht

Mitarbeiterbelange nicht pauschal überwiegen. Eine wichtige Neuerung der GrO 2015 ist dabei die Notwendigkeit der Abwägung auch in den Fällen eines Kirchenaustritts und einer Wiederverheiratung, in denen nach Art. 5 Abs. 5 GrO 1993 eine Weiterbeschäftigung in jedem Fall ausgeschlossen war. Damit ist eine ergebnisoffene Abwägung zwischen Kirchen- und Mit­ arbeiterinteressen nunmehr in jedem Fall vorzunehmen. Etwas Anderes gilt ausschließlich – und so war es auch bereits seit 1993 – bei Loyalitätspflichtverstößen i. S. v. Art. 5 Abs. 2 GrO durch besondere und besonders gebundene Mitarbeiter. Hier wird das Abwägungsergebnis im Rahmen einer Art intendierter Entscheidung dem katholischen Arbeitgeber vorgegeben, wenn nach Art. 5 Abs. 3 S. 5 GrO eine Kündigung nur unter schwerwiegenden Gründen und daher nur im Ausnahmefall ausscheiden darf. Diese neue, stärkere Berücksichtigung der Mitarbeiterinteressen setzt sich auch im Kündigungsverfahren fort, in dem nach Art. 5 Abs. 4 GrO erstmals vorab eine Stellungnahme einer sach- und fachkundigen zentralen Stelle eingeholt werden muss. Dieses Vorgehen dient zunächst dem Zweck, fehlerhafte Kündigungen und damit negative Außenwirkung zu vermeiden, vielmehr aber dazu, eine rechtsstaatsähnliche Gleichbehandlungsdirektive umzusetzen.102 Es geht dabei endlich – und so formuliert es die Vorschrift in Abs. 4 S. 1 – um den Ausschluss willkürlicher und die Installation bewusster und transparenter Rechtsanwendung. Der Wehrmutstropfen ist dabei jedoch die fehlende konstitutive Wirkung dieser Stellungnahme für eine wirksame Kündigung (Art. 5 Abs. 4 S. 2 GrO). Abgestufte Loyalitätspflichten, stark konkretisierte kündigungsrelevante Loyalitätspflichtverstöße, die besondere Hervorhebung der im Rahmen einer ausdrücklich installierten Einzelfallabwägung einzustellenden Mitarbeiterinteressen und nicht zuletzt die vorherige Einholung eines Kündigungsgutachtens zeigen also nicht nur einen schärferen mitarbeiterbezogenen Blickwinkel der katholischen Kirche, sondern auch die zunehmende Annäherung der katholischen Kirche an rechtsstaatlich anmutende Grundsätze wie Transparenz, Verhältnismäßigkeit und Individualinteressenschutz. Die Kirche bemüht sich damit insgesamt offenkundig um die verstärkte Anwendung eines bestimmten „Augenmaß(es)“.103 Dies zeigt nicht zuletzt der Auftrag des Art. 5 Abs. 5 GrO, der fünf Jahre nach Inkrafttreten der Ordnung eine kritische Überprüfung der Kündigungsregelungen hinsichtlich Zweckmäßigkeit und Wirksamkeit verlangt.

102  Vgl.

Dütz (Fn. 97), 29 f. der Suche nach einer neuen Grundordnung, in: FAZ v. 23.11.2014,

103  Deckers, Auf

S. 8.



C. Inhalt und Auswirkungen der Modifikationen im Arbeitsrecht 51

II. Das Streikverbot als zweite Säule Das kollektive Arbeitsrecht, das die Regelungen über Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten von Mitarbeiterzusammenschlüssen regelt, gliedert sich allgemein in das Koalitions-, Tarif- (einschließlich Arbeitskampf-) und Betriebsverfassungsrecht.104 Dabei ergeben sich für die Kirchen nicht in allen Bereichen gleichermaßen relevante Abweichungen von den staatlichen Regelungen.105 Im Bereich des Koalitionsrechts gibt es nämlich kaum Unterschiede zwischen staatlichem Arbeitsrecht und katholischen oder evangelischen Regelungen.106 Das in Art. 9 Abs. 3 S. 1, 2 GG installierte Recht, „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig“. Dieses unmittelbar wirkende und damit auch alle Arbeitgeber verpflichtende Grundrecht107 erkennt auch die katholische Kirche an, wenn sie in Art. 6 Abs. 1 GrO dieses individualrechtliche Koalitionsfreiheitsrecht bestätigt.108 Mitarbeiter der katholischen Kirche oder einer ihrer Einrichtungen haben damit das Recht, Gewerkschaften oder vergleichbare Vereinigungen zu bilden und ihnen beizutreten.109 Dies gilt jedoch gem. Art. 6 Abs. 4 GrO nur insoweit, als die Gewerkschaften das Selbstbestimmungsrecht der katholischen Kirche und damit die Eigenart des kirchlichen Dienstes achten und anerkennen.110 Das bedeutet indes, dass Mitarbeiter katholischer Einrichtungen einer Gewerkschaft, die nicht nur in katholischen Betrieben tätig ist oder gar einen außerkirchlichen Schwerpunkt verfolgt, nur dann beitreten dürfen, sofern „ihre spezifisch koalitionsgemäße Betätigung in kirchlichen Einrichtungen mit der Bindung des kirchlichen Dienstes an den Auftrag der Kirche in Einklang steht“.111 Für die evangeli104  Allgemein dazu siehe Dütz / Thüsing, Arbeitsrecht, 23.  Aufl. 2018, Rn. 4; Richardi, Kollektives Arbeitsrecht als Arbeitsverfassungsrecht, in: ders. / Wißmann /  Wlotzke / Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 2, 3. Aufl. 2009, § 152 Rn. 1 ff. 105  Vgl. dazu auch den Überblick bei Hammer (Fn. 16), 133 ff. 106  Hammer (Fn. 16), 134. 107  Allgemein dazu Höfling, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 9 Rn. 66 ff.; Scholz, in: Maunz / Dürig (Begr.), GG, 81. Lfg. 2017, Art. 9 Rn. 171 f. 108  Richardi (Fn. 16), § 9 Rn. 17 f. 109  Richardi. (Fn. 16), § 9 Rn. 15 f., 22 f. 110  Richardi (Fn. 16), § 9 Rn. 22 f. 111  Richardi (Fn. 16), § 9 Rn. 24; vgl. auch Hesse, Grundrechtsbindung der Kirchen, in: Schneider / Götz (Hrsg.), Im Dienst an Recht und Staat  – Festschrift für Werner Weber zum 70. Geburtstag dargebracht von Freunden, Schülern und Kollegen, 1974, 447 (457); Janssen, Das Streikrecht der Angestellten und Arbeiter im öf-

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Teil 1: Bestandsaufnahme: das kirchenspezifische Arbeitsrecht

schen Kirchen gilt faktisch das Gleiche.112 Zu Problemen im Bereich des Koalitionsrechts kommt es allerdings für den Fall des Zutrittsrechts betriebsfremder Koalitionsmitglieder. Denn ein solches Zugangsrecht schließen beide Kirchen mit der Begründung der Dienstgemeinschaft aus, wenn sie zwar das koalitionsmäßige Betätigen bejahen, dies aber für ihre eigenen Einrichtungen hingegen nur betriebszugehörigen Koalitionsmitgliedern gestatten möchten.113 Entscheidender ist überdies das die zweite Säule kirchlicher Modifikationen im Arbeitsrecht bildende Tarifrecht als Teil des kollektiven Arbeitsrechts. Hier kommt es zu solch fundamental unterschiedlichen Selbstverständnissen zwischen staatlicher und kirchlicher Sphäre, dass sich faktisch ein vollumfassendes, eigenes kirchliches Rechtssystem ergibt, das sich maßgeblich durch die Ablehnung des Tarifvertragssystems auszeichnet. Es ist daher angezeigt, nicht vom kirchlichen Tarif- oder Tarifvertragssystem, sondern vom kirch­ lichen Koalitionssystem zu sprechen. Im Einzelnen: 1. Die Ablehnung des Tarifvertragssystems durch die Kirchen Das Tarifvertragssystem ist eine besondere organisatorische Verbindung zwischen den Dienstgebern und den durch Koalitionen (insbesondere Gewerkschaften114) vertretenen Mitarbeitern, aufgrund derer und in deren Rahmen mittels Vertragsvereinbarung das Verhältnis beider Parteien, die Arbeitsbedingungen und die Arbeitssituation insgesamt geregelt werden.115 Man nennt es daher auch Arbeitsrechtsregelungsverfahren, es konkretisiert und erweitert die für die Arbeitsleistung geltenden Bestimmungen um eigenständig vereinbarte Regelungen.116

fentlichen Dienst und der „Dritte Weg“ der Kirchen – zugleich ein Beitrag zur exemplarischen Bedeutung des Kirchenrechts, 1982, S. 37. 112  Vgl. Richardi (Fn. 16), § 11 Rn. 14 ff. 113  Vgl. dazu BVerfGE 57, 220 ff.; dazu auch Dütz, Aktuelle kollektivrechtliche Fragen des kirchlichen Dienstes, in: Marré / Stüting (Hrsg.), Essener Gesrpäche zum Thema Staat und Kirche 18 (1984), 67 (76); Joussen, Grundlagen, Entwicklungen und Perspektiven des kollektiven Arbeitsrechts der Kirchen, in: Kämper / Thönnes (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 46 (2012), 53 (82 f.). 114  Zu dem Begriff Bauer, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2015, Art. 9 Rn.  74 ff. 115  Vgl. Giesen, Tarifautonomie, in: Heun / Honecker / Morlok / Wieland (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, 4. Aufl. 2006, Sp. 2439 f. 116  Vgl. Rüthers, Tarifautonomie und Schlichtungszwang, in: Hueck (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Rolf Dietz, 1973, 299 (307 f.); Richardi (Fn. 16), § 10 Rn. 1 f.; Hammer (Fn. 16), 166 ff.



C. Inhalt und Auswirkungen der Modifikationen im Arbeitsrecht 53

Auch wenn die katholische Kirche sowie die evangelischen Kirchen das Tarifvertragssystem an sich befürworten,117 lehnen sie es für die eigene Sphäre grundsätzlich ab.118 Den Hintergrund dieser an sich paradoxen Haltung bildet auch hier nach kirchlichem Verständnis die Dienstgemeinschaft als „das maßgebende Strukturelement des kirchlichen Dienstes“.119 Denn nach dieser Vorstellung arbeiten alle Mitglieder dieser christlichen Dienstgemeinschaft ungeachtet ihrer Stellung an der Verkündigung des Evangeliums mit, jedes Glied arbeitet mit dem anderen zusammen und ist von ihm abhängig. Allein aus dieser Begriffsbestimmung ergibt sich jedoch noch kein Widerspruch zum Tarifsystem. Darüber hinaus: Seine verfassungsrechtliche Dimension schöpft das Tarifsystem als erheblicher Faktor der bestehenden Arbeits- und damit auch Wirtschaftsbedingungen aus Art. 9 Abs. 3 GG.120 Aus Art. 9 Abs. 3 GG wächst aber generell nicht die Pflicht zum Abschluss von Tarifverträgen. Möchte die Arbeitgeberseite (oder die Mitarbeiterseite), unabhängig davon, ob es sich um einen weltlichen oder kirchlichen Betrieb handelt, keinen Tarifvertrag abschließen – aus welchen Gründen auch immer121 –, hält sie sich im Rahmen der (negativen) Koalitionsfreiheit gem. 117  Siehe Enzyklika Johannes Paul II., Centesimus annus, Nr. 15: „Ferner müssen Gesellschaft und Staat für ein angemessenes Lohnniveau sorgen, das dem Arbeiter und seiner Familie den Unterhalt sichert und die Möglichkeit zum Sparen erlaubt. Es erfordert Anstrengungen, um den Arbeitern stets jenes fachliche Wissen und Können zu vermitteln, damit ihre Arbeit zur Verbesserung der Produktion beiträgt. Es ist ebenso notwendig, darüber zu wachen und gesetzgeberische Maßnahmen zu ergreifen, um die schändliche Ausbeutung insbesondere der Schwachen, der Einwanderer und der an den Rand gedrängten Arbeiter zu verhindern. Hier liegt die entscheidende Aufgabe der Gewerkschaften, die Mindestlohn und Arbeitsbedingungen aushandeln“; vgl. dazu Reuter, Die katholische Soziallehre und das deutsche Arbeitsrecht – Gedanken zu Centesimus annus, in: RdA 1995, 1 ff.; insgesamt dazu auch Thüsing (Fn. 44), 115 f. Für die evangelische Kirche vgl. Brakelmann, Das Recht auf Arbeit, in: ders., Zur Arbeit geboren? – Beiträge zu einer christlichen Arbeitsethik, 1988, 43 (49); vgl. auch Kreß (Fn. 20), 27 f. 118  Vgl. Kreß (Fn. 20), 24 ff.; Thüsing (Fn. 44), 115 ff. 119  Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Fn. 35), 11; siehe dazu bereits oben S.  90 ff. 120  BVerfG, NJW 1982, 815 (816 ff.); BVerfG, NJW 1999, 3033 (3034 ff.); Cornils, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Beck-OK GG, Stand: November 2017, Art. 9 Rn.  61 ff. 121  Der grundlegende Konflikt in Bezug auf das herkömmliche Tarifsystem ergibt sich nach Ansicht der katholischen Kirche auch aus der Ausrichtung der Dienstgemeinschaft auf die Einheitlichkeit des Dienstes, nach der jedes Mitglied der Dienstgemeinschaft unabhängig seiner Stellung und gleichberechtigt an der Verwirklichung des Sendungsauftrags mitwirkt. Denn im Tarifsystem kann es im Zuge der Koali­ tionspluralität zu einer Tarifpluralität kommen, bei der der Dienstgeber – hier also die katholische Kirche und ihre Einrichtungen – an für unterschiedliche Mitarbeitergruppen geltende, verschiedene Tarifverträge gebunden ist. Dies verträgt sich aber grund-

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Teil 1: Bestandsaufnahme: das kirchenspezifische Arbeitsrecht

Art. 9 Abs. 3 GG, zu der gerade auch die Ablehnung des Tarifsystems gehört.122 Wenn also nach beispielsweise Art. 7 Abs. 2 S. 1 GrO das Nichtabschließen von Tarifverträgen mit der Struktur der Dienstgemeinschaft begründet wird, so handelt es sich hier zunächst nur um eine gesellschaftliche Rechtfertigung. Eines Rekurrierens auf die Dienstgemeinschaft und damit auf das besonders geschützte Selbstverständnis der Kirchen bedarf es aber rechtlich für die Ablehnung des Tarifsystems nicht.123 Dies ändert sich aber, wenn das wichtigste Moment, d. i. das zentrale Durchsetzungsmittel des Tarifsystems hinzugedacht wird: der Arbeitskampf. Denn sofern eine Einigung zwischen Arbeitgeber und Mitarbeitern nicht erzielt werden kann, bedarf es zur Durchsetzung der Tarifautonomie gewisser Druckmittel, wobei auf Seiten der Mitarbeiter der Streik, also die Arbeitsverweigerung, auf Seiten der Arbeitgeber die Aussperrung, also die Weigerung zur Bezahlung und Beschäftigung der Mitarbeiter, das jeweils zentrale Kampfmittel darstellen.124 Zwar ist der Arbeitskampf – oder vielmehr: dessen Zulässigkeit – gesetzlich nicht geregelt. Rechtsprechung und Literatur leiten ihn jedoch – mittlerweile – überwiegend aus Art. 9 Abs. 3 GG ab,125 wenn und sofern sie ihn als erforderliches Mittel ansehen, „um eine funktionierende Tarifautonomie sicherzustellen“.126 Das Tarifsystem geht damit von einem „freien Spiel der Kräfte“127 aus, dem der Arbeitskampf als kollektive Druckausübung durch Störung der Arbeitsbeziehung zum Herstellen der Gleichwertigkeit und der Parität beider Seiten inhärent ist.128 Mit anderen Worten: Die strukturelle Unterlegenheit einer Seite ist wesentliches Charakteristikum des Tarifsystems, sind doch beide Seiten auf eine Einigung und damit auf das Wohlwollen der jeweils anderen Seite angewiesen. Der Arbeitskampf wird dabei zur Herstellung struktureller Ebenbürdigkeit ein notwendiges Moment des Tarifsystems, beide bilden zusammen eine funktionale sätzlich nicht mit der Vorstellung, alle Mitarbeiter arbeiteten Hand in Hand gemeinsam und gleichrangig an der Verkündigung des Evangeliums. Siehe dazu auch unten S.  93 ff. 122  Richardi (Fn.  16), §  10 Rn.  3 f. m. w. N.; Hammer (Fn. 16), 178. 123  Hammer (Fn. 16), 178. 124  Junker (Fn. 89), Rn. 590 ff. 125  Dazu insgesamt ausführlich Däubler, Nationale Rechtsgrundlagen des Streikrechts, in: ders. (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, 3. Aufl. 2011, § 9; ders., Herausbildung und Weiterentwicklung der richterrechtlichen Grundsätze zum Arbeitskampfrecht, in: ders. (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, 3. Aufl. 2011, § 7; vgl. auch BAGE 1, 291 ff. 126  BVerfGE 92, 365 (393 f.). 127  BAGE 73, 320 (329). 128  Vgl. Thüsing (Fn. 44), 118 f.; Ricken, Ziele und Beteiligte des Arbeitskampfes, in: Richardi / Wißmann / Wlotzke / Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 2, 3. Aufl. 2009, § 194 Rn. 1 ff.



C. Inhalt und Auswirkungen der Modifikationen im Arbeitsrecht 55

Symbiose.129 Gegenstand eines sogenannten Tarifvertrags können jedoch gem. Art. 9 Abs. 3 GG nur solche Fragen sein, die der „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ dienen und – wie es sich allgemein aus der Grundrechtsdogmatik ergibt – die entgegenstehenden Verfassungs- und Rechtsgüter sowie die mit Art. 9 Abs. 3 GG zu vereinbarenden (einfachen) gesetzlichen Regelungen beachten.130 So bestehen insbesondere Tarifverträge zur Festsetzung des Lohns einer bestimmten Arbeitsgruppe, aber auch zur Festlegung von Urlaubszeiten, Probearbeitsverhältnissen, Leiharbeitsverhältnissen und vielem Anderen.131 Berücksichtigt man nun den Streik als zentrales Moment des Tarifvertragssystems, erkennt man leicht den Konflikt zum System der Dienstgemeinschaft nach kirchlichem Vorbild:132 Eine Vorstellung von einer Gemeinschaft bestehend aus gleichen, auf dasselbe Ziel ausgerichteten und an einem Strang ziehenden Diensttätigen ist mit einem von dem kräftemäßigen Gegeneinander zweier Gruppen und dem notwendigen kämpferischen Kräfteausgleich ausgehenden System nicht in Einklang zu bringen. Darüber hinaus bedeuten Streikmaßnahmen die Niederlegung der christlich geprägten Arbeit, die „Suspendierung des Heilsauftrages“ und damit einen Verstoß gegen das christliche Prinzip der Nächstenliebe.133 So gesehen rekurriert auch hier der mit dem Prinzip der Dienstgemeinschaft begründete Ausschluss des Streiks (und damit verbunden des Tarifsystems) auf den Schutz der Glaubwürdigkeit der Institution und deren Moralnormen, widersprechen doch Arbeitskämpfe der inhaltlichen Orientierung kirchlicher Glaubenslehre.134 Die verfassungsrechtliche Relevanz der Dienstgemeinschaft ergibt sich daher nicht bereits aus der Weigerung der Kirchen, Tarifverträge abzuschließen, sondern erst aus ihrer Ablehnung der aus der Weigerung folgenden und an sich, d. h. für weltliche Arbeitgeber, notwendig zu akzeptierenden Arbeitskämpfe. Das zeigt insbesondere auch der Umstand, dass es – vor allem in einzelnen evangelischen Landeskirchen – zum Abschluss von Tarifverträgen gekommen ist und weiterhin kommt. Wirkungen und Bedingungen der ­Tarifverträge weichen aber teilweise erheblich von denen in der weltlichen 84, 212 (214 f.); vgl. Richardi (Fn. 16), § 10 Rn. 3 f. dazu Rieble / Klumpp, Grenzen der Tarifmacht, in: Richardi / Wißmann / Wlotzke / Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 2, 3. Aufl. 2009, § 169; Junker (Fn. 89), Rn. 510 f. 131  Ausführlich dazu Rieble / Klumpp, Umfang der Tarifmacht, in: Richardi / Wißmann / Wlotzke / Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 2, 3. Aufl. 2009, § 168 Rn. 25 ff. 132  Dazu insbesondere Robbers, Streikrecht in der Kirche, 2010, S. 41  ff.; vgl. dazu Hammer (Fn. 16), 177 ff. 133  Robbers (Fn. 132), 43; vgl. auch Kreß (Fn.  20), 30 f. 134  Robbers (Fn. 132), 47; vgl. auch Kreß (Fn. 20), 31. 129  BVerfGE

130  Allgemein

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Teil 1: Bestandsaufnahme: das kirchenspezifische Arbeitsrecht

Arbeitsrechtsordnung ab. So gilt insbesondere weiterhin das Arbeitskampfverbot, so dass von der Übernahme „des“ herkömmlichen, d. h. weltlichen Tarifvertragssystems nicht gesprochen werden kann.135 Dabei ist zwar die Ablehnung des weltlichen Tarifvertragssystems – einschließlich des Arbeitskampfs – insbesondere mit Hilfe des Begriffs der Dienstgemeinschaft innerkirchlich kritisiert worden;136 aber auch hier gilt, dass solch innerkirch­lichen Streitigkeiten für die „Außenwirkung“, d. h. aus Sicht der staatlichen Rechtsordnung keine Bedeutung haben, solange die zentrale und maßgeb­ liche kirchliche Dogmatik von der Argumentationsfigur der Dienstgemeinschaft nicht abrückt.137 2. Rechtsgrundlagen für den „Dritten Weg“ Anders als bei den Loyalitätspflichten fehlt es im Bereich des Koalitionssystemrechts an staatlichen einfachrechtlichen Legitimationsgrundlagen für einen kirchlichen Sonderweg. Folglich finden sich die Rechtsgrundlagen für den kirchlichen „Dritten Weg“ alleine im Recht der beiden Kirchen. Auch wenn die katholische Kirche das staatliche Tarifvertragssystem ablehnt, erlaubt sie in Art. 7 GrO dennoch die „Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Gestaltung ihrer Arbeitsbedingungen“: Es findet also auch in katholischen Betrieben ein Arbeitsrechtsregelungsverfahren statt. Wurde früher, d. h. vor der Entflechtung von Staat und Kirche ab 1919, der sog. „Erste Weg“ bevorzugt, bei dem die Kirchen als Arbeitgeber die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen einseitig vorgaben, so wird heutzutage – bei Ablehnung des sogenannten „Zweiten Wegs“, d. h. des Tarifsystems, – der sogenannte und in Art. 7 GrO allerdings nur in Grundsätzen festgeschriebene „Dritte Weg“ gegangen.138 Nach diesem Konzept werden gem. Art. 7 Abs. 1 S. 2 GrO die entsprechenden „Rechtsnormen für den Inhalt der Arbeitsverhältnisse“ durch Beschlüsse von arbeitsrechtlichen Kommissionen entwickelt. Streik und Aussperrung scheiden nach Art. 7 Abs. 2 S. 2 GrO ebenfalls aus. Allerdings legt Art. 7 GrO nur die Grundsätze des „Dritten Wegs“ katholischer Prägung fest und verweist für konkrete Fragen in Art. 7 Abs. 1 S. 4 GrO auf entsprechend zu entwickelnde Ordnungen. Die Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands (VDD) hat sich auf ein duales System von Kommissionen zur Ordnung des diözesanen Arbeitsrechts (KODA) geeinigt, wobei für jede Kommission eine geson135  Vgl.

dazu auch ausführlich unten S. 93 ff. Kreß (Fn. 20), 33 ff.; vgl. dazu auch Thüsing (Fn. 44), 117 f. 137  Siehe dazu bereits dieselbe Frage bei der Ausgestaltung sowie der Notwendigkeit des Begriffs der Dienstgemeinschaft oben S. 28 ff. 138  Zur Geschichte und zu den einzelnen Wegen Hammer (Fn. 16), 166 ff., 183 f. 136  Insbesondere



C. Inhalt und Auswirkungen der Modifikationen im Arbeitsrecht 57

derte Kommissionsordnung erlassen worden ist.139 Auf der ersten Ebene existieren entweder für jedes Bistum eine eigenständige KODA (sog. Bistums-KODA) oder für mehrere Bistümer zusammen eine eigenständige KODA (sog. Regional-KODA). Dabei werden die Arbeitsrechtsregelungsverfahren zunächst nur durch die jeweilige Bistums- oder Regional-KODA durchgeführt. Auf zweiter – überdiözesaner – Ebene besteht die ZentralKODA, die im Gegensatz zu den Regional-KODA keine räumliche, aber eine kompetenzrechtliche Beschränkung aufweist, da sie für den Gesamtbereich aller Diözesen nur über bestimmte Fragen entscheiden darf. Das Arbeitsrechtsregelungsverfahren in der katholischen Kirche fußt daher insgesamt auf einer Koppelung von raumbezogener Trennung zwischen den einzelnen Bistums- / Regional-KODA und kompetenzbezogener Trennung zwischen Bistums- / Regional-KODA und Zentral-KODA. Die grundlegenden Bestimmungen zur Bistums- oder Regional-KODA finden sich in einer entsprechenden 1998 von der VDD entworfenen und 2014 nochmalig geänderten Rahmenordnung für die Kommission zur Ordnung des diözesanen Arbeitsvertragsrechts (Rahmen-KODA-Ordnung). Weil auch hier die Gesetzgebungsbefugnis allein beim Diözesanbischof liegt, stellt die Rahmen-KODA-Ordnung zunächst nur eine Empfehlung respektive Leit­ orientierung dar, die von den einzelnen Bistümern übernommen, aber auch modifiziert werden kann. In den letzten Jahren kam es dabei zu zahlreichen eigenständigen, von der Rahmen-KODA-Ordnung teilweise abweichenden Ordnungen, wobei sich von den 27 deutschen Bistümern acht für eigenständige Bistums-KODA-Ordnungen und die übrigen sechzehn Bistümer für insgesamt vier Regional-KODA-Ordnungen entschieden haben.140 Die Idee 139  Allgemein dazu auch Richardi, Neugestaltung im kollektiven Arbeitsrecht der katholischen Kirche, in: NZA 1998, 1305 ff. 140  So existiert die Regional-KODA-Bayern für die Bistümer Würzburg, Bamberg, Eichstätt, Augsburg, Passau, Regensburg und München und Freising (siehe Ordnung zur Gestaltung des Arbeitsvertragsrechts durch eine Kommission für den Bereich der bayerischen [Erz-]Diözesen vom 18. / 19.10.2011); die zweite Regional-KODA besteht als Regional-KODA-Nord Ost (siehe Ordnung für die Kommission zur Ordnung des Diözesanen Arbeitsvertragsrechtes in den [Erz-]Bistümern Berlin, Dresden-Meißen, Erfurt, Görlitz, Hamburg und Magdeburg vom 03.12.2013 [Regional-KODAOrdnung-Nord Ost]); weiterhin existiert die Regional-KODA Nordrhein-Westfalen (siehe Ordnung zur Mitwirkung bei der Gestaltung des Arbeitsvertragsrechtes durch Kommissionen in den [Erz-]Diözesen Aachen, Essen, Köln, Münster und Paderborn vom 03.12.2015 [Regional-KODA-Ordnung-NRW]); schließlich noch die RegionalKODA-Osnabrück / Vechta (siehe Ordnung für die Kommission zur Ordnung des Diö­ zesanen Arbeitsvertragsrechtes für die Diözese Osnabrück und die Römisch-Katholische Kirche im Oldenburgischen Teil der Diözese Münster vom 21.12.2015 [Regional-KODA-Ordnung-Osnabrück / Vechta]). Die übrigen Bistümer haben hingegen eigenständige Bistums-KODA-Ordnungen erlassen: Trier (aktuell vom 19.06.2013), Freiburg (aktuell vom 11.08.2015), Fulda (aktuell vom 09.11.2015), Hildesheim (ak-

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Teil 1: Bestandsaufnahme: das kirchenspezifische Arbeitsrecht

von der Zentral-KODA stammt aus den 1970er Jahren und geht auf den Wunsch zurück, das Arbeitsrechtsregelungsverfahren für alle Bistümer zu vereinheitlichen und gleichzeitig die Einheit der – von den diözesanen Regelungen unabhängigen – Arbeitsvertragsregelungen für den Bereich des Deutschen Caritasverbands nicht zu gefährden.141 Es kam daher durch die VDD am 05.12.1977 zum Beschluss einer entsprechenden Zentral-KODA-Ordnung, die mittlerweile von allen Bistümern unterzeichnet und für ihr jeweiliges Bistum in Kraft gesetzt wurde. Wie bereits erwähnt ist im Bereich der evangelischen Kirchen zu beachten, dass ein einheitliches Regelungswerk fehlt.142 Die EKD-RL schweigt zu Fragen des kollektiven Arbeitsrechts völlig. Am 08.10.1976 erließ die EKD jedoch eine Richtlinie für ein Kirchengesetz über das Verfahren zur Regelung der Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter im kirchlichen Dienst (ARRG-RL), in der den Gliedkirchen eine Art Musterentwurf für den Erlass eines entsprechenden Arbeitsrechtsregelungsgesetzes vorgeschlagen wurde – auch hier freilich ohne Bindungswirkung. Dem ist die EKD für ihre ei­ genen Beschäftigten mit einem entsprechenden Kirchengesetz, dem sog. Arbeitsrechtsregelungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland (ARRG-EKD) am 10.11.1988 nachgekommen. Auch die meisten Landeskirchen sind der Empfehlung der EKD gefolgt und haben entsprechende Landeskirchengesetze erlassen.143 Im Folgenden wird daher überwiegend auf die ARRG-RL bzw. auf das ARRG-EKD Bezug genommen und nur im Einzelfall, d. h. bei Gebotenheit, etwaige landeskirchliche Abweichungen angeführt. 3. Ausgestaltung des Koalitionssystems in den Kirchen Durch die Ablehnung des staatlichen Tarifvertragssystems durch die Kirchen entsteht das Erfordernis eines grundlegenden, eigenen kirchlichen Arbeitsrechtsregelungswesens. Hier kommt es sowohl zwischen den evangelischen Kirchen und der katholischen Kirche als auch innerhalb der evangelischen Kirchen zu teilweise gravierenden Unterschieden, so dass im Folgentuell vom 08.05.2015), Limburg (aktuell vom 19.01.2016), Mainz (aktuell vom 03.07.2013), Rottenburg-Stuttgart (aktuell vom 03.06.2014) und Speyer (aktuell vom 01.10.2015). 141  Schüling, Die Zentral-KODA – eine Kommission im Wandel, in: Schwaderlapp (Hrsg.), Aus der Praxis des Arbeitsrechts und Personalwesens in den deutschen Bistümern, 2006, 27 (27 f.). Zu den Arbeitsrechtsregelungen im Bereich des Deutschen Caritasverbandes siehe sogleich. 142  Siehe dazu bereits oben S. 25 ff. 143  Vgl. insgesamt dazu auch Richardi (Fn. 16), § 9 Rn. 4 ff.



C. Inhalt und Auswirkungen der Modifikationen im Arbeitsrecht 59

den die wesentlichen Grundsätze des Arbeitsrechtsregelungssystems für jede Kirche getrennt dargestellt werden.144 a) Das Koalitionssystem der katholischen Kirche Auch wenn die Bistums- und Regional KODA-Ordnungen von der Rahmen-KODA-Ordnung in zahlreichen Punkten abweichen, genügt für die Darstellung der Grundsätze des Arbeitsrechtsregelungsverfahrens das Rekurrieren auf letztere Ordnung, betreffen die Abweichungen doch nicht das grundsätzliche Verfahren der Kommissionen, sondern nur die Ausgestaltung auf Mikroebene.145 Nach der Rahmenordnung der VDD besteht die Bistumsoder Regional-KODA paritätisch aus der gleichen Anzahl von Dienstgeberund Mitarbeitervertretern, wobei Erstere vom Generalvikar berufen (§ 5 Abs. 1 Rahmen-KODA-Ordnung), Letztere aus verschiedenen Gruppen von den Mitarbeitern gewählt und – das ist seit 2014 neu146 – von Gewerkschaften entsandt werden (§ 6 Abs. 2, § 9 Rahmen-KODA-Ordnung). Diese Kommission setzt sich bei Bedarf (§ 19 Abs. 1 S. 1 Rahmen-KODA-Ordnung) zusammen und berät über neue Regelungsnormen. Stimmen mindestens ¾ der Mitglieder der KODA für eine neue Regelungsnorm, so ergeht sie als Beschluss (§ 20 Abs. 1 Rahmen-Ordnung) und wird dem Diözesanbischof übermittelt, wobei der einzelne Diözesangesetzgeber auch ein Quorum von 2 / 3 festsetzen darf.147 Der Beschluss erlangt Wirksamkeit gem. § 20 Abs. 5 Rahmen-KODA-Ordnung erst dann, wenn der Diözesanbischof ihn in Kraft Thüsing (Fn. 44), 117 f. ergeben sich insbesondere Unterschiede hinsichtlich der Größe der Kommissionen, der notwendigen Beschlussmehrheit oder der Wahl der Kommissionsmitglieder. 146  Die VDD hat damit auf ein Urteil des BAG vom 20.11.2012 (NZA 2013, 448 ff.) reagiert, nach dem die Gewerkschaften als Ausgleich für das Streikverbot am Zustandekommen kirchlicher Arbeitsvertragsbedingungen beteiligt werden müssen. Am 24.11.2014 wurde daher die betroffene Rahmen-KODA-Ordnung von 1998 entsprechend geändert. Zu beachten ist hierbei, dass bislang noch nicht alle Bistümer auf diese Änderung reagiert haben und daher die Beteiligung der Gewerkschaften noch nicht einbeziehen. Alleine für die Bistums-KODA Freiburg (§§ 6 Abs. 2, 9 Bistum-KODAOrdnung-Freiburg), Limburg (§ 6 Abs. 2, § 9 Bistum-KODA-Ordnung-­ Limburg), Speyer (§ 6 Abs. 3, § 9 Bistum-KODA-Ordnung-Speyer), Hildesheim (§ 6 Abs. 2, § 9 Bistum-KODA-Ordnung-Hildesheim) und Fulda (§ 6 Abs. 2, § 9 Bistum-KODA-Ordnung-Fulda) sowie für die Regional-KODA Osnabrück / Vechta (§ 6 Abs. 2, § 9 Regional-KODA-Ordnung-Osnabrück / Vechta), NW (§ 5 Abs. 2a, § 5 Regional-KODAOrdnung-NW) wurde bereits die Entsendung von Gewerkschaftsmitglieder in die KODA installiert. 147  Bislang haben sich bis auf die bayerischen Bistümer, die eine ⅔-Mehrheit für einen Beschluss fordern (siehe § 12 Abs. 1 Regional-KODA-Ordnung-Bayern), sämtliche Bistümer auf eine ¾-Mehrheit geeinigt. 144  Vgl. 145  So

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Teil 1: Bestandsaufnahme: das kirchenspezifische Arbeitsrecht

setzt; dem Diözesanbischof kommt insoweit das Letztentscheidungsrecht zu.148, 149 Stimmt er einem Beschluss nicht zu, kann er dies der Kommission – ggf. mit entsprechendem Gegenvorschlag – mitteilen. Die Kommission hat dann die Aufgabe, einen neuen Beschluss zu fassen oder auf dem alten Beschluss zu beharren. Lehnt der Diözesanbischof den neuen bzw. erneut den alten Beschluss ab, ist das Verfahren beendet, es entsteht keine neue Regelung (§ 20 Abs. 6 Rahmen-KODA-Ordnung). Darüber hinaus besteht die Möglichkeit der Anrufung eines Vermittlungsausschusses in den Fällen, in denen in der Kommission die erforderliche ¾-oder ⅔-Mehrheit nicht zustande kommt (§ 24 Rahmen-KODA-Ordnung).150 Der Vermittlungsausschuss, gem. § 14 Abs. 2 Rahmen-KODA-Ordnung bestehend aus sechs151 gleichermaßen zur Arbeitgeber- bzw. Mitarbeiterseite gehörenden Personen sowie aus zwei von jeder Seite entsendeten Vorsitzenden, beschließt einen Regelungsvorschlag, über den die Kommission anschließend neu beraten und abstimmen muss, vgl. § 26 Rahmen-KODA-Ordnung. Kann sich die Kommission dabei nicht einigen, d. h. kommt auch bezüglich des vom Vermittlungsausschuss vorgelegten Vorschlags ebenfalls keine ausreichende Mehr148  Richardi (Fn. 16), § 14 Rn. 25; Eder, Tarifpartnerin Katholische Kirche? – der „Dritte Weg“ der katholischen Kirche in der Bundesrepublik Deutschland aus kanonistischer Sicht, 1991, S. 78 ff.; Hammer (Fn. 16), 191 f. 149  Teilweise wird behauptet, die Regional-KODA-Ordnung-Bayern habe nicht das Letztentscheidungsrecht des Diözesanbischofs installiert (vgl. Eder, Novellierte Ordnung der Bayerischen Regional-KODA, in: ZMV 2002, 221 ff.); auch wenn dem widersprochen wurde (siehe Richardi [Fn. 16], § 14 Rn. 25, Fn. 33, § 15 Rn. 24 ff.), kann dies jedoch spätestens seit der Novellierung der betroffenen Ordnung zum 23. / 24.03.2011 angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 12 Abs. 4, 6 BayRegKODA-Ordnung nicht mehr behauptet werden. Im Unterschied zur Bistums / Regional-KODA-Musterordnung hat jedoch nach § 12 Abs. 5 BayReg-KODA-Ordnung neben dem Diözesanbischof auch ein höherer Oberer / eine höhere Obere des Instituts des geweihten Lebens päpstlichen Rechts oder der Gesellschaft des Apostolischen Lebens päpstlichen Rechts die Möglichkeit zum Einspruch. Nach § 12 Abs. 5 BayReg-KODAOrdnung darf zwar Einspruch nur der Diözesanbischof einlegen; allerdings ist dieser dazu verpflichtet, sofern ein Oberer / eine Obere i. S. v. § 12 Abs. 5 BayReg-KODAOrdnung dies verlangt. Nichtsdestoweniger erfolgt letztendlich die Inkraftsetzung einer beschlossenen Regelung ausschließlich durch den Diözesan­bischof. 150  Bis 2014 galt hier überdies die Regelung, dass ein Vermittlungsausschuss auch dann angerufen werden kann, wenn der Diözesanbischof den Beschluss nicht innerhalb von zehn Wochen in Kraft setzt (§ 18 Abs. 2 Rahmen-KODA-Ordnung a. F.). Diese Regelung wurde im Zuge der Änderung 2014 allerdings entfernt. Auch die Bistums-KODA-Ordnungen wurden entsprechend geändert (siehe z. B. Art. 1 des Gesetzes zur Änderung der Ordnung zur Mitwirkung bei der Gestaltung des Arbeitsvertragsrechts durch eine Kommission für die Diözese Mainz vom 03.07.2013). 151  Zu Abweichungen kommt es hier in den bayerischen Bistümern und im Bistum Limburg; dort besteht der Vermittlungsausschuss nur aus vier Beisitzern und zwei Vorsitzenden (§ 13 Abs. 2 Regional-KODA-Ordnung-Bayern; § 21 Abs. 2 BistumsKODA-Ordnung-Limburg).



C. Inhalt und Auswirkungen der Modifikationen im Arbeitsrecht 61

heit i. S. v. § 20 Rahmen-KODA-Ordnung zustande, oder entscheidet die Kommission gar nicht, befasst sich der Vermittlungsausschuss gem. § 26 Rahmen-KODA-Ordnung erneut mit der Thematik und ersetzt die Kommissionsentscheidung durch seinen Beschluss. Bemerkenswert ist hier die Abweichung der bayerischen und nordrhein-westfälischen Bistümer, bei denen dem Vermittlungsausschuss kein ersetzendes Entscheidungsrecht zukommt, sondern stattdessen ein Schiedsverfahren durchgeführt wird.152 Allerdings verbleibt in allen Bistümern das Letztentscheidungsrecht beim Diözesanbischof, so dass die Vermittlungsausschuss- oder – in Bayern und NordrheinWestfalen – die Schiedsstellenentscheidung von ihm akzeptiert und in Kraft gesetzt werden muss. Aufgrund des diözesanbischöflichen Gesetzgebungsrechts konnte ein einheitliches, für alle Bistümer identisches Arbeitsrechtsregelungsverfahren zwar nicht realisiert werden; aus diesem Grunde aber besteht auch heute noch die Zentral-KODA, deren Aufgabe die „Sicherung der Einheit und Glaubwürdigkeit des kirchlichen Dienstes in allen Diözesen und für alle der Kirche zugeordneten Einrichtungen“ (§ 1 Zentral-KODA-Ordnung) ist. Sie hat demnach dafür zu sorgen, dass die verschiedenen in den jeweiligen Bistümern und Regionen beschlossenen Regelungen nicht derart auseinandergehen, dass Glaubwürdigkeit und Erfüllung des Sendungsauftrags gefährdet werden. Sie hat dabei grundsätzlich nur die Befugnis zur Empfehlungsgabe (§ 3 Abs. 3 Zentral-KODA-Ordnung) und gem. § 3 Abs. 1 Zentral-KODAOrdnung nur in den Bereichen ein Beschlussfassungsrecht, in denen eine einheitliche Entscheidung aller Bistümer und Einrichtungen um der Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche willen notwendig ist oder die in besonderer Nähe zum Sendungsauftrag stehen (z. B. Loyalitätspflichten).153 So wurden Beschlüsse bislang unter anderem im Bereich des Arbeitszeitschutzes im liturgischen Bereich oder für den Abschluss von betrieblichen Zusatzver­ ­ sicherungen erlassen.154 Neben der Zentral-KODA besteht auch der so genannte Arbeitsrechtsausschuss, dessen Aufgaben nach § 4 Zentral-KODA152  § 16

Regional-KODA-Ordnung-Bayern; § 21a Regional-KODA-Ordnung-NW. hat die Zentral-KODA beispielsweise am 06.11.2008 beschlossen: „Kinderbezogene Entgeltbestandteile, auf die zum Zeitpunkt des Wechsels von einem Dienstgeber im Bereich der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse (GrO) zu einem anderen Dienstgeber Anspruch besteht, werden vom neuen Dienstgeber als Besitzstand weitergezahlt, so lange den Beschäftigten nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) oder nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) Kindergeld gezahlt wird oder ohne Berücksichtigung der §§ 64 oder 65 EStG oder der §§ 3 oder 4 BKGG gezahlt würde“. 154  Siehe Ordnung für den Arbeitszeitschutz im liturgischen Bereich vom 01.07.2004; Ordnung zum Abschluss einer betrieblichen Zusatzversicherung bei der kirchlichen Zusatzversorgungskasse des Verbandes der Diözesen Deutschlands (KZVK) Versorgungsordnung vom 15.04.2002; vgl. auch Schüling (Fn. 141), 40. 153  So

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Ordnung insbesondere in Hilfs-, Vorbereitungs- und Unterstützungstätigkeiten, wie zum Beispiel der Vorbereitung der Sitzungen der Zentral-KODA oder der Erarbeitung von Positionen der Zentral-KODA, liegen.155 Das Regelungssystem im Bereich der Zentral-KODA ist dabei grds. parallel zu dem in der Rahmen-KODA-Ordnung dargestellten Regelungsverfahren ausgestaltet, das insbesondere das Letztentscheidungsrecht des Diözesanbischofs einbindet (§ 13 Abs. 2, 3 Zentral-KODA-Ordnung). Eine zusätzliche Besonderheit in diesem Bereich ist, dass bei Fragen des Arbeitsrechtsregelungsverfahrens der Deutsche Caritasverband die Möglichkeit der Einberufung einer eigenständigen Kommission mit der Befugnis zum Erlass eigener Arbeitsrechtsregelungen (sog. Arbeitsvertragsordnungen) besitzt,156, 157 die die ansonsten allgemein zuständige Bistums- bzw. Regional-KODA gem. § 1 Abs. 3 Bistums / Regional-KODA-Ordnung, nicht aber die Zentral-KODA verdrängt (vgl. § 1 Abs. 3 Ordnung der Arbeitsrechtlichen Kommission). Die dafür eingesetzte Arbeitsrechtliche Kommission (AK) besteht gem. § 2 Abs. 1 der Ordnung der Arbeitsrechtlichen Kommission (AKO) aus einer Bundeskommission und sechs Regionalkommissionen158. Dabei ergibt sich eine Ausschließlichkeitszuständigkeitsordnung, nach der die Bundeskommission nur dann zuständig ist, wenn es die jeweiligen Re­ gionalkommissionen nicht sind (§ 10 Abs. 1 AKO), wobei Letztere nach § 10 Abs. 2, 3 AKO allein zur Regelung von Vergütungshöhe und Beschäftigungssicherung befugt sind und dabei von der Bundeskommission vorgegebene dazu auch Richardi (Fn. 16), § 14 Rn. 28. ist der Geltungsbereich der jeweiligen Bistums- oder Regional-KODAen nur auf solche kirchlichen Rechtsträger beschränkt, welche sich nicht satzungsgemäß für die Anwendung der Arbeitsvertragsrichtlinien des Deutschen Caritasverbands entschieden haben (§ 1 Abs. 3 Rahmen-KODA-Ordnung; in den entsprechenden Bistums- und Regional-KODA-Ordnungen an selber Stelle installiert). Dadurch wird klargestellt, dass der Deutsche Caritasverband eigenständige Arbeitsvertragsrichtlinien in einem eigenständigen Verfahren entwickeln lassen darf. 157  Eine Ausnahme besteht hier für das Bistum Augsburg, für das zwar ein eigenständiges Gesetz zur Arbeitsrechtsregelung im Bereich der Caritas besteht, das aber nicht von den Gremien der Caritas, sondern von der Diözese Augsburg selbst erlassen worden ist, siehe Ordnung der Arbeitsrechtlichen Kommission des Caritasverbandes für die Diözese Augsburg vom 13.01.2009. 158  Dabei besteht eine Regionalkommission für die Region Nord (mit den Bistümern Hildesheim, Osnabrück und Offizialatsbezirk Oldenburg), Region Ost (mit den Bistümern Berlin, Dresden-Meißen, Erfurt, Görlitz, Hamburg und Magdeburg), Region Nordrhein-Westfalen (mit den Bistümern Aachen, Essen, Köln, Paderborn und Münster), Region Mitte (mit den Bistümern Fulda, Limburg, Mainz, Speyer und Trier), Region Baden-Württemberg (mit den Bistümern Freiburg und RottenburgStuttgart) und die Region Bayern (mit den Bistümern Augsburg, Bamberg, Eichstätt, München und Freising, Passau, Regensburg und Würzburg). 155  Vgl. 156  So



C. Inhalt und Auswirkungen der Modifikationen im Arbeitsrecht 63

Bandbreiten – also bestimmte Entscheidungsrahmen159 – zu beachten haben.160 Zu berücksichtigen ist aber auch hier schließlich die Letztentscheidungsbefugnis des Diözesanbischofs, der die jeweils getroffenen Beschlüsse inkraftsetzen muss.161 Insgesamt zeigt sich der sogenannte „Dritte Weg“ der katholischen Kirche als Kombination aus Elementen des „Ersten“ und „Zweiten Wegs“.162 Arbeitsrechtsregelungen werden in der katholischen Kirche entsprechend dem „Zweiten Weg“ über Verhandlungen und (Tarif-)Einigungen erzielt – freilich ohne Arbeitskampfmöglichkeiten. Entscheidend ist aber, dass trotz Einigung eine Regelung dann nicht wirksam wird, wenn der zuständige Diözesanbischof dem Beschluss nicht zustimmt. Dabei ist besonders zu beachten, dass nach der alten Bistums- / Regional-KODA-Ordnung aus dem Jahre 2005 der Diözesanbischof in der Wahl seiner Begründung für die Nichtinkraftsetzung frei war, beschreibt die entsprechende Vorschrift des § 14 Abs. 2 doch nur, dass sich der Bischof „nicht in der Lage [sieht], einen Beschluss in Kraft zu setzen“. Dies wurde indes 2014 geändert: Nunmehr darf der Bischof gem. § 20 Abs. 4 Rahmen-KODA-Ordnung einen Beschluss nur dann nicht inkraftsetzen, wenn der Beschluss „offensichtlich gegen kirchenrechtliche Normen oder gegen Vorgaben der katholischen Glaubens- und Sittenlehre verstößt“.163 Dadurch wurde das Letztentscheidungsrecht des Diözesanbi159  Siehe § 13 Abs. 1 S. 2 Hs. 2, S. 4, 5, 6 AKO: „sie (die Bandbreiten; VH) betragen für die Festlegung der Höhe aller Vergütungsbestandteile von den mittleren Werten 15 v. H. Differenz nach oben und nach unten, für die Festlegung des Umfangs der regelmäßigen Arbeitszeit und des Umfangs des Erholungsurlaubs von den mittleren Werten 10 v.H. Differenz nach oben und nach unten. 3Die Bundeskommission legt die mittleren Werte fest. 4Die Bundeskommission kann die Geltung der mittleren Werte zeitlich befristen. 5Nach Ablauf des Geltungszeitraums besteht für die Regionalkommissionen keine Möglichkeit, neue Werte zur Höhe der Vergütungsbestandteile, zum Umfang der regelmäßigen Arbeitszeit und zum Umfang des Erholungsurlaubs zu beschließen. 6Es gelten die zu diesem Zeitpunkt gültigen Werte der Regionalkommission unverändert fort“ (Herv. VH). 160  § 13 Abs. 3 S. 2 AKO; hat die Bundeskommission nicht innerhalb von sechs Monaten mittlere Werte i. S. v. § 13 Abs. 1 S. 3 AKO festgelegt, sind die Regionalkommissionen berechtigt, entsprechende Werte zu bestimmen, § 13 Abs. 3 S. 3 AKO. 161  § 18 AKO; vgl. dazu Richtlinien für die Inkraftsetzung der Beschlüsse der arbeitsrechtlichen Kommission des Deutschen Caritasverbandes durch die Diözesanbischöfe vom 01.01.2008; vgl. Richardi (Fn. 16), § 14 Rn. 29. 162  So auch Hammer (Fn. 16), 187 f. 163  In der alten Fassung galt gar das Gegenteil: Nach § 14 Abs. 4 Bistums / Regional-KODA-Ordnung war das Verfahren bei Verstößen gegen Kirchenrecht sofort beendet, ohne dass der Diözesanbischof den Beschluss an die Kommission zurückweisen durfte. Folglich konnte sich § 14 Abs. 3 Bistums / Regional-KODA-Ordnung, der den Einspruch des Diözesanbischofs und die dadurch notwendige Neubefassung der Kommission mit dem Beschluss behandelte, ausschließlich auf nicht (kirchen-)rechtliche Gründe beziehen.

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Teil 1: Bestandsaufnahme: das kirchenspezifische Arbeitsrecht

schofs auf die Grenzen beschränkt, die für die entsprechende Kommission ohnehin gelten. Deshalb sind dadurch die Elemente des „Ersten Wegs“ in der katholischen Kirche grundlegend zurückgedrängt worden, auch wenn dem Bischof die formelle Möglichkeit einer – beschränkten – einseitigen Verhinderung getroffener Beschlüsse weiterhin bleibt. b) Das Koalitionssystem in den evangelischen Kirchen Das Arbeitsrechtsregelungsverfahren in den evangelischen Kirchen unterscheidet sich teilweise fundamental von dem der katholischen Kirche. Das liegt zum einen daran, dass das Tarifvertragssystem – trotz der generellen Ablehnung durch die EKD164 – in einzelnen evangelischen Landeskirchen eine weitaus größere Rolle spielt als in der katholischen Kirche (aa)). Zum anderen ist aber auch das Arbeitsrechtsregelungsverfahren in den übrigen evangelischen Körperschaften anders ausgestaltet (bb)). Insbesondere fehlt es hier an einer Koppelung von räumlicher und kompetenzbezogener Trennung, da es an einer überlandeskirchlichen, der Zentral-KODA vergleichbaren In­ stanz fehlt. Statt einer zweistufigen Instanzorganisation, bei der neben den in den Diözesen installierten Instanzen (Bistums- / Regional-KODA) eine übergeordnete und mit eigenen Kompetenzfeldern ausgestattete Instanz (ZentralKODA) steht, ist das evangelische Arbeitsrechtsregelungsverfahren der ­Organisation der evangelischen Kirche gemäß allein durch eine räumliche Trennung bestimmt, so dass jede Körperschaft (Landeskirche) für ihren Raum eigenständige Regelungen erlassen darf. Zwar existiert neben den einzelnen Landeskirchen auch hier eine „Zentralinstanz“ – die EKD; diese darf aber grds. nur bindende Regelungen für ihren eigenen Wirkbereich, also nur für Mitarbeiter der EKD selbst erlassen, ohne den Inhalt der Regelungen in den einzelnen Landeskirchen bestimmen zu können.165 Es gibt dabei nur drei Landeskirchen, die durch landeskirchliches Gesetz die unmittelbare Anwendung des ARRG-EKD erklären.166 Alle anderen Landeskirchen haben eigene, zumeist vom ARRG-EKD (bzw. ARRG-RL) abweichende Regelungen erlassen. 164  Siehe

dazu bereits oben S. 51 ff. kann auch die EKD Gesetze mit Wirkung für die Gliedkirchen erlassen; Voraussetzung dafür ist aber die Zustimmung sämtlicher Gliedkirchen, Art. 10a der Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 13.07.1948; vgl. dazu Munsonius, Evangelisches Kirchenrecht, 2015, S. 180 f.; Stein (Fn. 22), 171 f. 166  Dies ist so in der Landeskirche Pfalz, Baden und der evangelisch-reformierten Landeskirche, siehe Art. 1 Gesetz über die Anforderungen der privatrechtlichen beruflichen Mitarbeit in der Evangelischen Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche) und im Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche) vom 08.06.2006 (ARRG-Pfalz) für die Landeskirche Pfalz; Art. 2 Kirch­ liches Gesetz zur Zustimmung zum Kirchengesetz über die Grundsätze zur Regelung der Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Evangelischen 165  Zwar



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aa) Die Anwendung einer modifizierten Art des „Zweiten Wegs“ in einzelnen Landeskirchen: „kirchengemäße Tarifverträge“ Dass die EKD für den Bereich ihrer Gliedkirchen zunächst nur empfehlenden Einfluss hat, zeigt, dass man sich in bestimmten Landeskirchen entgegen der ARRG-RL der EKD nicht für den „Dritten Weg“, sondern für eine modifizierte Form des „Zweiten Wegs“ entschieden hat. Die Evangelisch-Lutherische Kirche Schleswig-Holstein (Landeskirche Schleswig-Holstein) hatte sich bereits 1951 für den Abschluss von Tarifverträgen entschieden, wozu sich ebenfalls die spätere Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche (Nordelbische Kirche), in der die Landeskirche Schleswig-Holstein aufgegangen ist, 1979 entschlossen hat.167 Dabei handelt es sich deshalb um eine modifizierte Form des „Zweiten Wegs“, weil von den Grundsätzen des staatlichen Tarifvertragsrechts zugunsten des evangelischen Selbstverständnisses teilweise erheblich abgewichen worden ist, indem beispielsweise für die Dauer des Tarifvertrags Arbeitskampfmaßnahmen unzulässig waren oder in Notlagen primär der Dienstgeber in Form eines Kirchengesetzes entscheiden durfte.168 Anders als der „Zweite Weg“ dies eigentlich vorsieht, wurde im Bereich der Nordelbischen Kirche also das kirchliche Selbstverständnis berücksichtigt, so dass häufig auch nicht von einem modifizierten „Zweiten Weg“, sondern nur von einem modifizierten „Dritte(n) Weg“ gesprochen wird, auf dessen Grundlage „nur“ „kirchenmäßige Tarifverträge“ entstünden.169 Zu beachten ist aber, dass die Nordelbische Evangelisch-­Lutherische Kirche in Deutschland und ihrer Diakonie und Ausführungsgesetz zum Kirchengesetz über die Grundsätze zur Regelung der Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Diakonie vom 11.04.2014 (ARRG-Baden) für die Landeskirche Baden; § 1 Kirchengesetz über die Zustimmung und Ausführung des Kirchengesetzes über die Grundsätze zur Regelung der Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Diakonie vom 13.11.2014 (ARRG-Reformiert) für die evangelisch-reformierte Kirche. 167  Vgl. § 1 Kirchengesetz über die Regelung der Rechtsverhältnisse der in einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis beschäftigten Mitarbeiter in der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche vom 09.06.1979 (ARRG-Nord); dazu insgesamt auch Weinmann, Tarifverträge für kirchliche Mitarbeiter? – ein Beitrag zur Entscheidung der evangelischen Landeskirchen, für ihre Mitarbeiter Tarifverträge abzuschließen bzw. mit der Setzung des kirchlichen Arbeitsrechts eine paritätisch besetzte Kommission zu beauftragen, 1983, S. 15 ff.; Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, 1983, S.  10 ff. 168  § 2 Abs. 2 ARRG-Nord (bis zum 31.12.1986); § 4 ARRG-Nord; insgesamt dazu Hammer (Fn. 16), 185 f.; Richardi (Fn. 16), § 14 Rn. 13 ff. 169  Hammer (Fn. 16), 184, bezeichnet daher das System der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche nur als „Alternative zum (…) Arbeitsrechts-Regelungssystem innerhalb des Dritten Wegs“ (Herv. i. O.); auch Richardi (Fn. 16), § 14 Rn. 21, sieht darin nur „eine besondere Form eines kirchlichen Beteiligungsmodells“.

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Teil 1: Bestandsaufnahme: das kirchenspezifische Arbeitsrecht

Kirche zusammen mit der Landeskirche Mecklenburg und der Landeskirche Pommern, die sich beide für den „Dritten Weg“ entschieden haben, seit Januar 2012 die Landeskirche in Norddeutschland bilden, für die eine einheitliche Entscheidung hinsichtlich des Arbeitsrechtsregelungssystems noch aussteht, so dass die bisherigen Regelungen in den einzelnen Landeskirchen und damit das Tarifsystem für den Bereich der ehemaligen Nordelbischen Kirche nur noch einstweilen fortgelten.170 Ebenso hat sich die Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz zumindest für ein fakultatives Tarifvertragssystem entschieden: Hier können Tarifverträge abgeschlossen werden, sofern die Kirchenleitung nicht ein Verfahren nach den Regeln des „Dritten Wegs“ beschließt.171 Allerdings kommt es auch hier zu entscheidenden Abweichungen vom staatlichen Tarifvertragsrecht, wenn beispielsweise Arbeitskampfmaßnahmen dauerhaft – und nicht wie bei der Nordelbischen Kirche befristet – ausgeschlossen werden und im Streitfall ein besonderes Schlichtungsverfahren angeordnet wird.172 Daher wird auch teilweise für die Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz nicht mehr von dem Gang des „Zweiten Wegs“ gesprochen, weil es kaum nennenswerte Unterschiede zu den Modi des „Dritten Wegs“ mehr gebe.173 Interessanterweise erlaubt die Landeskirche zudem den Abschluss von Tarifverträgen nur für Mitarbeiter der landeskirchlichen Körperschaften, während für den Bereich der Diakonie alleine der Gang des „Dritten Wegs“ eröffnet ist.174 Umgekehrt haben dagegen die beiden Landeskirchen Kurhessen-Waldeck und Hessen und Nassau Ende 2015 beschlossen, alleine der Diakonie – und nicht der Landeskirche und ihren Körperschaften selbst – die Möglichkeit zu eröffnen, Tarifverträge abzuschließen.175 Allerdings sind Diakonie und ihre Einrichtungen hier an Vorgaben des ARRG-EKD gebunden, was unter anderem den Ausschluss von Arbeitskampfmaßnahmen und die Pflicht zu einem Schlichtungsverfahren mit sich bringt.176 Weiter gingen sogar noch die Lan170  § 56 Abs. 2 Einführungsgesetz zur Verfassung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland vom 07.01.2012. 171  §§ 3, 4 Abs. 1 Kirchengesetz über die Arbeitsrechtsregelung in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz vom 15.11.2014 (ARRGBerlin). 172  § 2 Abs. 2 ARRG-Berlin. 173  Hammer (Fn. 16), 186 f.; Richardi (Fn. 16), § 14 Rn. 23 f. 174  Vgl. § 2 Abs. 2 ARRG-Berlin, der die §§ 3 f. ARRG-Berlin nicht für Mitarbeiter der diakonischen Werke und Einrichtungen anwenden lässt. 175  § 2 Arbeitsrechtsregelungsgesetz Diakonie Hessen vom 28.11.2015 (ARRG / Diakonie-Hessen und Nassau) für die Landeskirche Hessen und Nassau; § 2 Arbeitsrechtsregelungsgesetz Diakonie Hessen vom 26.11.2015 (ARRG / Diakonie-Kurhessen-Waldeck) für die Landeskirche Kurhessen-Waldeck.



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deskirchen Hannover, Braunschweig und Oldenburg, die 2014 alleine für das Diakonische Werk den Tarifvertrag nicht als fakultativen, sondern gar als obligatorischen Weg der Arbeitsrechtsregelung installierten.177 Aber auch hier zeigt sich die Anwendung eines „kirchengemäßen Tarifvertrags“, also insbesondere das Arbeitskampfverbot.178 Auch wenn teilweise davon gesprochen wird, es gebe auch in den evangelischen Kirchen keinen „Zweiten Weg“, weil gerade zentrale Momente des Tarifvertragssystems modifiziert und ausgeschlossen würden, ist zu konstatieren, dass es einzelne evangelische Landeskirchen gibt, die generell oder zumindest teilweise nicht den „klassischen Dritten Weg“ bevorzugen, sondern eine modifizierte Form des Tarifvertragssystems. Ob dies nun ein modifizierter „Zweiter“ oder „Dritter Weg“ ist, kann dahinstehen. bb) Die Ausgestaltung des „Dritten Wegs“ in den übrigen Landeskirchen Die übrigen Landeskirchen und die EKD folgen dem genuinen „Dritten Weg“ und ermöglichen die Arbeitsrechtsregelung ausschließlich mit Hilfe von Arbeitsrechtlichen Kommissionen. Wie bei der katholischen Kirche sind die Arbeitsrechtlichen Kommissionen in den evangelischen Kirchen paritätisch besetzt und bestehen zu gleichen Teilen aus Vertretern des Dienstgebers und der Mitarbeiter, deren Aufgabe es ist, „Regelungen zu erarbeiten, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen betreffen“ (§§ 2, 5 ARRG-RL). Hinsichtlich der Voraussetzungen, die an die jeweiligen Vertreter der Mitarbeiterseite gestellt werden, bestehen jedoch zahlreiche Unterschiede in den einzelnen Landeskirchen.179 Viele Landeskirchen sind dabei der in § 6 Abs. 2 ARRG-RL geäußerten Empfehlung der EKD gefolgt und verlangen, dass mindestens die Hälfte der Vertreter der Mitarbeiterseite im kirchlichen oder diakonischen Dienst tätig sein muss.180 Die EKD selbst so176  § 2 ARRG / Diakonie-Hessen und Nassau i. V. m. §§ 2, 3, 4, 5, 13, 14 ARRGEKD; § 2 ARRG / Diakonie-Kurhessen-Waldeck i. V. m. §§ 2, 3, 4, 5, 13, 14 ARRGEKD. 177  § 2 des Kirchengesetzes der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen zur Regelung der Arbeitsbedingungen in Einrichtungen der Diakonie vom 08.03.2014 (ARRG / Diakonie-Niedersachsen). 178  §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 2 ARRG / Diakonie-Niedersachsen. 179  Vgl. dazu auch Richardi (Fn. 16), § 14 Rn. 8 f. 180  § 4 Abs. 3 Arbeitsrechtsregelungsgesetz EKD-Ost vom 05.11.2008 (ARRGAnhalt / Mitteldeutschland) für die Landeskirche in Anhalt und Mitteldeutschland; § 6 Abs. 3 Kirchengesetz über das Verfahren zur Regelung der Arbeitsverhältnisse im kirchlichen Dienst vom 29.11.1979 (ARRG-Hessen und Nassau) für die Landeskirche Hessen und Nassau; § 5 Abs. 3 Kirchengesetz über das Verfahren zur Regelung der

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Teil 1: Bestandsaufnahme: das kirchenspezifische Arbeitsrecht

wie einige ihr folgenden181 Landeskirchen stellen dagegen mittlerweile keine besonderen Voraussetzungen mehr an die Möglichkeit der Vertretung der Mitarbeiterseite, sondern verlangen lediglich, dass die Mitarbeiterverbände und Gewerkschaften, die die entsprechenden Vertreter entsenden, einen bestimmten Anteil an in der EKD oder der jeweiligen Landeskirche kirchlich beschäftigten Mitarbeiter aufweisen.182 Welche Eigenschaften die dann entsendeten Mitarbeiter aufweisen, ist für die EKD und die betroffenen Landeskirchen ohne Belang. Daneben haben einzelne Landeskirchen die Empfehlung der ARRG-RL dahingehend modifiziert, dass alle Vertreter der Mitarbeiterseite für eine gewisse Dauer haupt- oder nebenberuflich im kirchlichen Dienst zu stehen haben.183 Dagegen wird in anderen Landeskirchen häufig die Möglichkeit der Vertretung der Mitarbeiterseite entweder von der Wählbarkeit der Betroffenen für ein kirchliches Amt abhängig gemacht,184 oder an die MitgliedArbeitsverhältnisse im kirchlichen Dienst vom 27.05.2002 (ARRG-Lippe) für die Landeskirche Lippe; § 5 Abs. 3 Kirchengesetz über das Verfahren zur Regelung der Arbeitsverhältnisse im kirchlichen Dienst vom 15.11.2001 (ARRG-Westfalen) für die Landeskirche Westfalen; § 5 Abs. 3 Kirchengesetz über das Verfahren zur Regelung der Arbeitsverhältnisse im kirchlichen Dienst vom 11.01.2002 (ARRG-Rheinland) für die Landeskirche Rheinland. Die Landeskirche Kurhessen-Waldeck hingegen verlangt – neben anderen Voraussetzungen (siehe Fn. 172) –, dass alle Vertreter der Mitarbeiterseite in einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis mit der Landeskirche stehen, § 6 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 Kirchengesetz über das Verfahren zur Regelung der Arbeitsverhältnisse der Mitarbeitenden im kirchlichen Dienst vom 26.04.2013 (ARRG-Kurhessen-Waldeck). 181  Gemeint sind damit die Landeskirchen, die das ARRG-EKD gänzlich in ihrem Bereich anwenden, siehe Art. 1 ARRG-Pfalz, Art. 2 ARRG-Baden und § 1 ARRGreformiert. 182  Nach § 4 Abs. 4 S. 1 ARRG-EKD vom 10.11.1988 reicht es für die Entsendung von Vertretern in die Arbeitsrechtliche Kommission der EKD und Diakonie durch Gewerkschaften und Mitarbeiterverbänden aus, „sofern in diesen mindestens jeweils drei vom Hundert der Gesamtzahl der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Zuständigkeitsbereich der Arbeitsrechtlichen Kommission organisiert sind“. Für die Landeskirche Pfalz und die Landeskirche Baden gilt das Gleiche (siehe Fn. 167). Das Gleiche gilt für die Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz mit der Maßgabe, dass „vier vom Hundert“ im Zuständigkeitsbereich der betroffenen Arbeitsrechtlichen Kommission organisiert sein müssen, § 9 Abs. 4 ARRG-Berlin. 183  So verlangt die Landeskirche in Sachsen gem. § 8 Abs. 3 LMG-Sachsen, dass alle Vertreter der Mitarbeiterseite seit mindestens drei Jahren hauptberuflich im kirchlichen Dienst im der Bereich der Landeskirche Sachsen tätig sind; § 7 Abs. 3 lit. b ARRG-Württemberg differenziert für die Landeskirche Württemberg hingegen und verlangt entweder eine bereits einjährig bestehende hauptberufliche oder eine dreijährig bestehende nebenberufliche Tätigkeit im kirchlichen Dienst. 184  § 5 Abs. 3 ARRG-Bayern für die Landeskirche Bayern; § 6 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 ARRG Kurhessen-Waldeck; § 16 Abs. 2 S. 1 Kirchengesetz der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen über die Rechtsstellung der Mitarbeiter vom 11.03.2000 (ARRG-Niedersachsen) für die Landeskirchen Hannover, Braunschweig und Oldenburg.



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schaft der Betroffenen in einer christlichen Kirche oder Gemeinschaft, die der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland angeschlossen ist, geknüpft.185 In der Landeskirche Württemberg und in der Landeskirche Kurhessen-Waldeck kommt es zudem zu einer Kombination mehrerer der genannten Voraussetzungen.186 Anders als in der katholischen Kirche werden die Vertreter der Mitarbeiterseite nicht gewählt, sondern – entsprechend der Empfehlung der EKD187 – von den Gewerkschaften und den Mitarbeitervertretungen entsandt.188 Lediglich in der Landeskirche Württemberg werden die Vertreter gewählt.189 Im Bereich des Verfahrens der Arbeitsrechtlichen Kommission ergibt sich ein weiterer Unterschied zur katholischen Kirche: Hat dort im Falle einer fehlenden Einigung zwischen Arbeitsrechtlicher Kommission und kirchlich zuständiger Stelle (Diözesanbischof) Letztere ein Letztentscheidungsrecht,190 wird in den evangelischen Landeskirchen in solchen Fällen ein Schlichtungsausschuss gebildet, der die Streitfragen endgültig klärt.191 Dabei hat der 185  § 5 Abs. 3 Kirchengesetz über das Verfahren zur Regelung der Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter im Dienst der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs und der Pommerschen Evangelischen Kirche vom 13.11.2011 (ARRG-Mecklenburg / Pommern) für die Landeskirchen Mecklenburg und Pommern; § 7 Abs. 5 Kirchengesetz über das Verfahren zur Regelung der Arbeitsverhältnisse der Mitarbeitenden in der Bremischen Evangelischen Kirche vom 21.05.2014 (ARRG-Bremen) für die Landeskirche Bremen. 186  So darf in Württemberg Vertreter nur sein, wer für ein kirchliches Amt wählbar ist und mindestens ein Jahr hauptberuflich oder mindestens drei Jahre nebenberuflich im kirchlichen Bereich der Landeskirche tätig ist, § 7 Abs. 3 ARRG-Württemberg. Für die Landeskirche Kurhessen-Waldeck gilt dagegen, dass Vertreter für ein kirch­ liches Amt wählbar sein müssen, in einem kirchlichen Dienst- oder Arbeitsverhältnis zu einer Körperschaft der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck stehen und nicht Dienststellenleitung sind, § 6 Abs. 3 ARRG-Kurhessen-Waldeck. 187  § 6 Abs. 1 S. 1 ARRG-RL. 188  § 4 Abs. 4 S. 1 ARRG-EKD; § 6 Abs. 1 ARRG-Bayern; § 5 Abs. 1 S. 1 ARRGAnhalt / Mitteldeutschland; § 8 Abs. 1 LMG-Sachsen; § 7 Abs. 1 ARRG-Hessen und Nassau; § 6 Abs. 1 S. 1 ARRG-Lippe; § 6 Abs. 1 S. 1 ARRG-Westfalen; § 6 Abs. 1 S. 1 ARRG-Rheinland; § 7 Abs. 1 S. 1 ARRG-Kurhessen-Waldeck; Art. 1 ARRG-Pfalz i. V. m. § 4 Abs. 4 S. 1 ARRG-EKD; Art. 2 ARRG-Baden i. V. m. § 4 Abs. 4 S. 1 ARRGEKD; § 6 Abs. 1 S. 1 ARRG-Mecklenburg / Pommern; § 9 Abs. 1, 2 ARRG-Berlin; § 17 Abs. 1 ARRG-Niedersachsen; § 7 Abs. 1 S. 1 ARRG-Bremen; § 1 ARRG-reformiert i. V. m. § 4 Abs. 4 S. 1 ARRG-EKD. 189  § 8 Abs. 1 ARRG-Württemberg. 190  Siehe dazu bereits oben S. 59 ff. 191  § 12 Abs. 1 ARRG-EKD; § 13 Abs. 1 ARRG-Bayern (der Schlichtungsausschuss ist aber gem. § 12 Abs. 3 ARRG-Bayern nur bei Grundsatz- oder wesentlichen Fragen anzurufen); § 12 Abs. 1 ARRG-Anhalt / Mitteldeutschland; § 16 Abs. 1 LMGSachsen; § 14 Abs. 1 ARRG-Hessen und Nassau; § 16 Abs. 1 ARRG-Lippe; § 16 Abs. 1 ARRG-Westfalen; § 16 Abs. 1 ARRG-Rheinland; § 17 Abs. 4 S. 2 ARRG-Kur-

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Teil 1: Bestandsaufnahme: das kirchenspezifische Arbeitsrecht

Schlichtungsausschuss mittlerweile in allen Landeskirchen das Letztent­ scheidungsrecht,192 wenn auch in den Landeskirchen Hannover, Braunschweig und Oldenburg nur unter bestimmten Voraussetzungen.193 Parallel zur katholischen Kirche ist bei den evangelischen Kirchen die Unabhängigkeit194 sozial-karitativer Einrichtungen der Diakonie zu berücksichtigen. Dabei besteht zwischen Diakonie und Kirche insoweit eine institutionelle wie auch inhaltliche Verbindung und Zuordnung, als jene zwar am kirchlichen Selbstbestimmungsrecht partizipiert, aber organisationsrechtlich weiterhin eigenständig bleibt. Das bedeutet aber im Umkehrschluss, dass die Diakonie eigene Vorschriften über Arbeitsrechtsregelungen in ihrem Bereich aufgrund eines religiösen Selbstverständnisses nur dann erlassen darf, wenn sie durch die EKD oder die jeweilige Landeskirche ermächtigt wird. Diakonische Werke sind – ebenso wie die Werke der Caritas – zwar gesellschaftsrechtlich selbstständige juristische Personen, aber genuin keine Kirchen. Die Entscheidungsbefugnis über religiös begründete arbeitsrechtliche Modifikationen verbleibt daher allein bei den evangelischen Kirchen. Für die Anwenhessen-Waldeck; Art. 1 ARRG-Pfalz i. V. m. § 12 Abs. 1 ARRG-EKD; Art. 2 ARRGBaden i. V. m. § 12 Abs. 1 ARRG-EKD; § 14 Abs. 1 ARRG-Mecklenburg / Pommern; § 13 Abs. 5 ARRG Berlin; § 16 Abs. 1 ARRG-Württemberg; § 15 Abs. 4 ARRG-Bremen; § 1 ARRG-reformiert i. V. m. § 12 Abs. 1 ARRG-EKD. 192  So haben früher insbesondere die Landeskirche Baden, Kurhessen-Waldeck und Bremen der Landessynode (Baden und Kurhessen-Waldeck) respektive dem Kirchentag (Bremen) das Letztentscheidungsrecht zuerkannt, vgl. Richardi (Fn. 16), § 14 Rn.  12 m. w. N. 193  In diesen Landeskirchen kommt es ohnehin zu einem besonderen Verfahren: Nach §§ 28 f. ARRG-Niedersachsen kommt es im Falle einer Nichteinigung in der Arbeitsrechtlichen Kommission zunächst zu einem Vermittlungsverfahren nach § 29 ARRG-Niedersachsen, an dessen Ende ein Beschlussvorschlag vorgelegt wird. Kann sich die Kommission auch bezüglich dieses neuen Vorschlags nicht einigen, kommt es nach § 29a ARRG-Niedersachsen zu einem Schlichtungsverfahren. Dessen Ergebnis ist aber nicht letztverbindlich, sondern kann von der Kommission auch abgeändert werden, § 29a Abs. 8 ARRG-Niedersachsen. Dem Schlichtungsspruch kommt dabei nur dann die Letztentscheidungsbefugnis zu, wenn es in der Arbeitsrechtlichen Kommission in einer bestimmten Frist nicht zu einer Beschlussfassung kommt und die Entscheidung des Schlichtungsausschusses mit einer Mehrheit von ¾ der gesetzlichen Mitgliederzahl zustande gekommen ist (§ 29a Abs. 8 S. 2 ARRG-Niedersachsen). Hier bleibt das Letztentscheidungsrecht also grundsätzlich bei der Kommission, die Schlichtung soll nur die Entscheidungsfindung unterstützen. 194  Die Struktur der Diakonie unterteilt sich in solche Einrichtungen und Werke, die der jeweiligen Landeskirche angehören und damit ein Bestandteil von ihr sind, und solche, die organisationsrechtlich unabhängig sind. Der folgende Textabschnitt betrachtet nur letzteren Fall, da sich im ersteren Fall die landeskirchlichen Arbeitsrechtsregelungsvorschriften ohne Weiteres auf die diakonischen Werke anwenden lassen. Vgl. zur Struktur der Diakonie von Tiling, Die karitativen Werke und Einrichtungen im Bereich der evangelischen Kirche, in: Listl / Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 62.



C. Inhalt und Auswirkungen der Modifikationen im Arbeitsrecht 71

dung der Arbeitsrechtsregelungsvorschriften von EKD und den Landeskirchen ergeben sich daher verschiedene Module: Während einige Landeskirchen ihre entsprechenden Arbeitsrechtsregelungsvorschriften auch verbindlich im Bereich der diakonischen Einrichtungen gelten lassen,195 ordnen andere Landeskirchen verbindlich entweder die Arbeitsrechtsregelungsvorschriften der EKD196 oder eigene landeskirchliche, aber speziell auf die Diakonie ausgerichtete Vorschriften an197. Im Gegensatz dazu wird in anderen Landeskirchen der Diakonie die Möglichkeit zum Schaffen eigener Ordnungen gegeben, indem die Anwendung der landeskirchliche Vorschriften – wie von der EKD empfohlen198 – explizit von der Zustimmung und damit der Freiwilligkeit der Diakonie abhängig gemacht wird.199 Dabei weichen die eigens für die Diakonie geltenden Arbeitsrechtsregelungsvorschriften zwar teilweise von den für die jeweilige Landeskirche geltenden allgemeinen Ar195  §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 3 ARRG-Lippe; §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 3 ARRG-Westfalen; §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 3 ARRG-Rheinland; § 2 Abs. 2 ARRG-Mecklenburg / Pommern, der allerdings nur davon spricht, dass Zusammensetzung und Verfahren der Kom­ mission bestimmten Vorschriften des ARRG-Mecklenburg / Pommern „entsprechen“ muss. Zwar ordnet auch § 2 Abs. 2 ARRG-Hessen und Nassau die Anwendung des Gesetzes für den Bereich der Diakonie an; allerdings trat zum 01.01.2016 das ARRG / Diakonie-Hessen und Nassau in Kraft, das die Anwendung des ARRG-EKD begründet (siehe Fn. 183) und als lex posterior dem § 2 Abs. 2 ARRG-Hessen und Nassau vorgeht. 196  Art. 1 ARRG-Pfalz; Art. 2 § 2 ARRG-Baden; §§ 1, 3 ARRG-reformiert; § 1 S. 1 ARRG / Diakonie-Kurhessen-Waldeck, das mit dem ARRG / Diakonie-Hessen und Nassau (vgl. Fn. 182) überwiegend identisch ist. Nach Art. 1, 2 Kirchengesetz über die Zustimmung zum Kirchengesetz über die Grundsätze zur Regelung der Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Diakonie vom 21.03.2014 (ZGARRG-EKD-Bremen) gilt zwar für die Landeskirche Bremen grds. das ARRG-EKD; gem. Art. 2 ZGARRG / EKDBremen wird das Verfahren für die Landeskirche selbst in einem eigenen Gesetz (ARRG-Bremen) geregelt, während für die Diakonie in Bremen keine besonderen Bestimmungen existieren, so dass hier zwangsläufig das ARRG-EKD anzuwenden ist. 197  Siehe Kirchengesetz über das Verfahren zur Regelung der Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter im Dienst des Diakonischen Werkes Evangelischer Kirchen in Mitteldeutschland e. V. vom 07.05.2015 (ARRG / Diakonie-Mitteldeutschland) für die Landeskirche Mitteldeutschland; §§ 6 ff. ARRG-Berlin i. V. m. Rechtsverordnung für die Arbeitsrechtliche Kommission des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz e. V. vom 20.02.2015 (VOARRG-Berlin); Landeskirchliches Mitarbeiterergänzungsgesetz vom 20.11.1997 (LMEG-Sachsen); Kirchengesetz der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen zur Regelung der Arbeitsbedingungen in Einrichtungen der Diakonie vom 08.03.2014 (ARRG / Diakonie-Niedersachsen). 198  § 4 ARRG-RL. 199  § 2 Abs. 1 ARRG-EKD; § 4 ARRG-Bayern; § 3 ARRG-Württemberg. Dabei liegt auf allen Ebenen die entsprechende Zustimmung durch Beschlüsse vor, z. B. Beschluss der Bayerischen Diakonischen Konferenz vom 18.07.1977; § 18 Abs. 1 der 280. Satzung des Diakonischen Werks der evangelischen Kirche in Württemberg.

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Teil 1: Bestandsaufnahme: das kirchenspezifische Arbeitsrecht

beitsrechtsregelungsnormen ab,200 beinhalten jedoch keine Regel, die nicht in irgendeinem anderen landeskirchlichen Regelungswerk auch gilt, fügen sich also im Vergleich zu den übrigen Landeskirchen dem faktisch existierenden Rahmen. Besonderheiten ergeben sich allein für den Bereich der Diakonie in manchen Landeskirchen hinsichtlich der Möglichkeit zum Abschluss von Tarifverträgen. So erlauben die Landeskirche Hessen und Nassau sowie Kurhessen-Waldeck seit 2016 der Diakonie, statt das Verfahren mit Arbeitsrechtlichen Kommissionen durchzuführen, Tarifverträge abzuschließen.201 In den Landeskirchen Hannover, Braunschweig und Oldenburg wurde für die Diakonie hingegen sogar das auf der Arbeitsrechtlichen Kommission basierende Verfahren gänzlich abgeschafft und der Abschluss von Tarifverträgen verpflichtend installiert.202 Interessanterweise spielt zudem die Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz hier eine Sonderrolle, da sie im allgemeinen landeskirchlichen Bereich den Abschluss von Tarifverträgen zulässt, dies für den Bereich der Diakonie hingegen ausschließt.203

200  Beispiele: Während in Sachsen z. B. nach § 8 Abs. 3 LMG-Sachsen allgemein jeder Vertreter der Dienstnehmerseite seit mindestens drei Jahren hauptberuflich im kirchlichen Dienst tätig sein muss, darf Vertreter im Bereich der Diakonie nur sein, wer Mitglied einer christlichen Kirche oder Gemeinschaft ist, die der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Sachsen angeschlossen ist (§ 4 Abs. 3 LMEG-Sachsen); Mitteldeutschland: Während bei Beschlüssen der allgemeinen Arbeitsrechtlichen Kommission die zuständige kirchliche Stelle Einwendungen erheben darf (§ 11 Abs. 1 ARRG-Anhalt / Mitteldeutschland), ist dies bei der Diakonischen Arbeitsrechtlichen Kommission nicht möglich (§ 15 ARRG / Diakonie-Mitteldeutschland). Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz: Während im Bereich der allgemeinen Arbeitsrechtlichen Kommission keine besonderen Voraussetzungen an die Vertreter der Dienstnehmerseite gestellt werden (sondern nur an die Gewerkschaften und Mitarbeiterverbände, vgl. § 9 ARRG-Berlin), dürfen im Bereich der Diakonie Dienstnehmervertreter nur sein, wer in einer Einrichtung des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg tätig ist (§ 7 Abs. 1 S.1 VOARRG-Berlin). 201  § 2 ARRG / Diakonie-Kurhessen-Waldeck sowie § 2 ARRG / Diakonie-Hessen und Nassau. 202  § 2 ARRG / Diakonie-Niedersachsen. 203  Vgl. § 2 Abs. 2 ARRG-Berlin, nach dem für die Diakonie nur die §§ 6 und 7 anwendbar sind, während sich die Vorschriften zu den Tarifverträgen in § 3 wiederfinden. Zudem spricht die VOARRG-Berlin nur von einer Arbeitsrechtlichen Kommission und erwähnt Tarifverträge mit keiner Silbe.



C. Inhalt und Auswirkungen der Modifikationen im Arbeitsrecht 73

III. Die Mitarbeitervertretung als dritte Säule 1. Rechtsgrundlagen Die katholische Kirche sowie die evangelischen Kirchen besitzen ein eigenes „Betriebsverfassungsrecht“, d. h. eine eigenständige Ordnung zur Regelung der Mitarbeitervertretung. Der Grund für ein eigenständiges Mitarbeitervertretungsrecht der Kirchen liegt – unabhängig einer verfassungsrechtlichen Beurteilung – zunächst darin begründet, dass § 130 BetrVG die Nichtanwendbarkeit der staatlichen Regelungen auf Körperschaften des öffentlichen Rechts festlegt. Für Religionsgemeinschaften ohne diesen Körperschaftsstatus sowie für ihre selbstständigen karitativen und erzieherischen Einrichtungen unbeschadet der Rechtsform gilt gem. § 118 Abs. 2 BetrVG das Gleiche.204 Die Vorschrift des § 118 Abs. 2 BetrVG hat daher im Bereich der katholischen Kirche und der evangelischen Kirchen nur insoweit Auswirkungen, als privatrechtliche und von der jeweiligen Kirche insoweit unabhängige Einrichtungen umfasst sind, und sie wegen ihrer organisatorisch-strukturellen Distanz zur Kirche nicht mehr als Bestandteil der Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts gelten, aber dennoch wegen gewisser inhaltlicher wie struktureller Verbundenheit an dem in Art. 137 Abs. 3 WRV verankerten Selbstbestimmungsrecht partizipieren.205, 206 Daraus folgt, dass auf das Tätigkeitsfeld der Caritas und Diakonie im Gegensatz zu einem katholischen und evangelischen Orden das staatliche Mitarbeitervertretungsrecht nicht bereits nach § 130 BetrVG, sondern nur nach § 118 Abs. 2 BetrVG keine Anwendung findet.207 Es überrascht daher nicht, dass die mitarbeitervertretungsrechtlichen Regelungen der Kirchen sich nicht nur auf die einzelnen Diözesen und Landeskirchen, sondern letztlich auch auf den Deutschen Caritasverband und das Werk der Diakonie erstrecken. Die Notwendigkeit der Anwendungsregelung für den Bereich des Deutschen Caritasverbands sowie des Werks der Diakonie ergibt sich dabei auch deshalb, weil zum einen die Caritas und die Diakonie eine eigene Mitarbeitervertretungsordnung – ohne Zustimmung der katholischen Kirche und der evangelischen Kirchen – auch 204  Für die Nichtanwendbarkeit der staatlichen Betriebsverfassungsrechtsregelungen in Bezug auf die katholische Kirche oder die evangelischen Kirchen muss daher nicht auf § 118 Abs. 2 BetrVG abgestellt werden, sondern diese ergibt sich bereits allein aus § 130 BetrVG. So auch Richardi (Fn. 16), § 16 Rn. 39. 205  Siehe zur Reichweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts bezüglich selbstständiger Einrichtungen unten S. 91 ff. 206  Forst (Fn. 64), 22 ff., 179 ff.; Richardi, Mitarbeitervertretungsrecht der Kirchen, in: ders. / Wißmann / Wlotzke / Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 2, 3. Aufl. München 2009, § 331 Rn. 3 ff.; ders. (Fn. 16), § 16 Rn. 38 ff. 207  Richardi (Fn. 206), 3, 4.

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Teil 1: Bestandsaufnahme: das kirchenspezifische Arbeitsrecht

nicht unter Hinzuziehen der privatrechtlichen Satzungsautonomie legitimieren könnten und zum anderen das kirchliche Selbstbestimmungsrecht, das entsprechende eigenständige Mitarbeitervertretungsregelungen grundsätzlich208 zulässt, nur den Kirchen, nicht aber den selbstständigen Einrichtungen zusteht.209 Für die katholische Kirche ergeben sich die entsprechenden Mitarbeitervertretungsregelungen aus der Mitarbeitervertretungsordnung (MAVO) der Vollversammlung des VDD, zu der Art. 8 Abs. 2 GrO ermächtigt. Wichtig ist hierbei, dass wie in anderen (arbeits-)rechtlichen Bereichen mangels entsprechender Regelungen und Ermächtigungen im CIC die Befugnis zum Erlass entsprechender Regelungen alleine dem jeweiligen Diözesanbischof zusteht (can. 381, 391 CIC). Die Regelungen der MAVO wurden dabei als „Rahmenordnung“ von der VDD am 20.11.1995 gefasst, mussten aber durch den jeweiligen Bischof der Diözese in Kraft gesetzt werden. Dabei kam es in einzelnen Bereichen der MAVO zu diözesanen Abweichungen, zu denen die MAVO des VDD aber ausdrücklich ermächtigt. Diese sind insbesondere in dem Bereich des Wahlverfahrens oder der Einrichtung von Arbeitsgemeinschaften, nicht aber im Bereich der Beteiligungsrechte und Kompetenzen der Mitarbeitervertretungen zu finden.210 Im Bereich der evangelischen Kirchen hat die Synode der EKD am 12.11.2013 ein (zweites) Mitarbeitervertretungsgesetz (MVG-EKD) erlassen, das allein zum Zwecke der Harmonisierung und Vereinheitlichung der Rechtslage in den Landeskirchen das zuvor geltende (erste) Mitarbeitervertretungsgesetz vom 6.11.1992 ablöste und gem. Art. 10a Abs. 2 lit. a der Grundordnung der EKD zur Zustimmung allen Landeskirchen vorgelegt wurde.211 Es wundert daher nicht, dass das erste und zweite MVG-EKD in208  Insoweit soll hier noch nicht geklärt werden, inwieweit Art. 137 Abs. 3 WRV tatsächlich eigenständige kirchliche Mitarbeitervertretungsregelungen legitimiert. Dadurch aber, dass entsprechende Regelungen zu den eigenen Angelegenheiten im Sinne des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts und daher wegen des kirchlichen Selbstverständnisses notwendig sein können (vgl. dazu unten S. 94 ff.), ist zumindest von einem grundsätzlichen Eröffnen der Möglichkeit eigener kirchlicher Mitarbeitervertretungsregelungen auszugehen. Der Inhalt solcher Regelungen bleibt hierbei aber außer Betracht. 209  BAG, NZA 1993, 593 ff.; ebenso Richardi (Fn. 16), § 18 Rn. 5 f.; ders. (Fn. 206), 19. 210  Z. B. das vereinfachte Wahlverfahren gem. §§ 11a f. MAVO sowie die Befugnisse der Arbeitsgemeinschaften der Mitarbeitervertretungen (z. B. § 25 Abs. 1 bis 4 MAVO), siehe Hammer (Fn. 16), 439  f.; insgesamt dazu insbesondere Richardi (Fn. 16), § 17 Rn. 17, § 18 Rn. 3 f., der die MAVO zwar nicht als „gemeines“, dennoch aber als „inhaltlich allgemeines Recht“ (§ 18 Rn. 4) bezeichnet. 211  Die Synode begründete den Erlass des Zweiten Mitarbeitervertretungsgesetzes der EKD vom 13.11.2013 überwiegend mit der noch vorherrschenden Zersplitterung



C. Inhalt und Auswirkungen der Modifikationen im Arbeitsrecht 75

haltlich fast identisch sind.212 Dabei haben die meisten Landeskirchen die Zustimmung erteilt und damit inhaltlich – jeweils unter geringfügigen Ergänzungen oder Abweichungen – das MVG-EKD für ihren Wirkungsbereich übernommen.213 Nur die Landeskirchen Hessen und Nassau, Württemberg, Braunschweig, Oldenburg und Hannover haben eigene, jedoch dem MVGEKD sehr ähnliche Kirchengesetze erlassen.214 Für die Landeskirche Nordder Rechtslage in den Landeskirchen. Zwar konnten die Landeskirchen gem. Art. 10 lit. a der Grundordnung der EKD a. F. ebenfalls dem bisher geltenden Ersten Mitarbeitervertretungsgesetz der EKD vom 06.11.1992 zustimmen und es so für ihren Bereich übernehmen; dies haben aber nur elf der zwanzig Landeskirchen gemacht; mit der Neuvorlage eines zweiten Mitarbeitervertretungsgesetzes erhoffte man sich daher eine Zustimmung fast aller Landeskirchen und damit eine Rechtsvereinheitlichung, siehe I. der Nichtamtlichen Begründung zum Zweiten Kirchengesetz über Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Kirche in Deutschland 2013 vom 13.11.2013. 212  Richardi (Fn. 16), § 19 Rn. 9. 213  Kirchengesetz zur Umsetzung des Zweiten Kirchengesetzes über Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Kirche in Deutschland 2013 für die Landeskirche Bayern; Kirchengesetz der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland zur Ausführung des Kirchengesetzes über Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Kirche in Deutschland 16.02.2015 für die Landeskirche Mitteldeutschland; Kirchengesetz zur Zustimmung zum Zweiten Kirchengesetz über Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Kirche in Deutschland 2013 und Änderung des Anwendungsgesetzes vom 16.11.2014 für die Landeskirche Sachsen; Kirchengesetz zur Einführung des Zweiten Kirchengesetzes über Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Kirche in Deutschland in der Lippischen Landeskirche vom 24.05.2014 für die Landeskirche Lippe; Dritte Verordnung über das Inkrafttreten des Zweiten Kirchengesetzes über Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Kirche in Deutschland 2013 vom 13.12.2014 für die Landeskirche Westfalen; Kirchengesetz zur Neuregelung des Rechts der Mitarbeitendenvertretung in der Evangelischen Kirche im Rheinland vom 16.01.2015 für die Landeskirche Rheinland; Zustimmungs- und Ausführungsgesetz zum Zweiten Kirchengesetz über Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Kirche in Deutschland 2013 vom 26.11.2014 für die Landeskirche Kurhessen-Waldeck; Gesetz über das Mitarbeitervertretungsrecht in der Evangelischen Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche) vom 22.11.2014 für die Landeskirche Pfalz; Kirchliches Gesetz zur Änderung des Kirchengesetzes über die Anwendung des Kirchengesetzes über Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 21.10.2015 für die Landeskirche Baden; Kirchengesetz über die Zustimmung zum Zweiten Kirchengesetz über Mitarbeitervertretungen in der EKD und dessen Anwendung in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz vom 04.04.2014; Kirchengesetz zur Reform des Mitarbeitervertretungsrechts vom 26.11.2014 für die Landeskirche Bremen; Kirchengesetz zur Anwendung und Ausführung des Zweiten Kirchengesetzes über Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Kirche in Deutschland 2013 vom 22.05.2014 für die reformierte Landeskirche. 214  Kirchengesetz über Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau vom 02.12.1988 (MVG-Hessen und Nassau); 420. Kirchliches Gesetz zur Ordnung der Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg (MVG-Württemberg); Kirchengesetz der Konföderation evangeli-

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Teil 1: Bestandsaufnahme: das kirchenspezifische Arbeitsrecht

deutschland gilt weder das MVG-EKD noch ein eigenständiges Kirchengesetz, sondern noch das erste Mitarbeitervertretungsgesetz der EKD fort.215 2. Ausgestaltung des Mitarbeitervertretungssystems in den Kirchen Insgesamt ist nur ein geringer Unterschied zwischen staatlichem Betriebsverfassungsrecht und katholischer MAVO respektive evangelischem MVGEKD festzustellen.216 Bei einem allgemeinen Vergleich beider Regelungssysteme fällt zunächst – auf einer Art Makroebene – der fehlende Dualismus von Mitarbeitervertretung und Dienstgeber im Bereich der MAVO / MVGEKD auf. Wie § 26 Abs. 1 MAVO und § 33 Abs. 1 MVG-EKD beinahe gleichlautend bestimmen, geht es im Verhältnis von Mitarbeitervertretung und Dienstgeber gerade darum, „vertrauensvoll zusammen[zu]arbeiten und sich bei der Erfüllung gegenseitig zu unterstützen“ und „für eine gute Zusammenarbeit innerhalb der Dienstgemeinschaft einzutreten“. Zwar sind Mitarbeiter- und Arbeitgeberseite im staatlichen Betriebsverfassungsrecht – wie § 2 Abs. 1 BetrVG zeigt – ebenso zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zum Wohl der Mitarbeiter und des Betriebs verpflichtet.217 Allerdings verbietet das Leitbild der Dienstgemeinschaft auch hier der Mitarbeitervertretung übermäßige Rechte zur Verhinderung von Einzelmaßnahmen in Gestalt einer blockierenden oder „kämpferischen“ Dimension zuzuerkennen – zumindest, oder besser: insbesondere, in eng mit dem Verkündigungsauftrag der Kirche verbundenen Fragestellungen. Aus diesem Grunde ergeben sich die maßgeblichen Differenzen zwischen staatlichem und kirchlichem Mitarbeitervertretungsrecht – auf einer Mikroebene – überwiegend auf der Ebene des Beteiligungsumfangs der jeweiligen Mitarbeitervertretung. Dabei haben die Systeme zunächst die Abstufung der Beteiligungsrechte der Mitarbeitervertretungen gemeinsam, die sich aus einer Differenzierung nach Sachfragen ergibt: Das staatliche wie auch die kirch­ scher Kirchen in Niedersachsen über Mitarbeitervertretungen vom 21.04.2005 (MVGNiedersachsen) für die Landeskirchen Braunschweig, Oldenburg und Hannover. 215  Kirchengesetz über die Zustimmung zum Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 24.09.1994. 216  Ausführlich zu den einzelnen Regelungen der MAVO Richardi (Fn. 16), § 18; Thüsing (Fn. 44), 181 ff.; Hammer (Fn. 16), 437 ff.; Richardi (Fn. 206), 11 ff. 217  Siehe dazu Junker (Fn. 89), 645; von Hoyningen-Huene, Beteiligung des Betriebsrats an Kündigungen, in: Richardi / Wißmann / Wlotzke / Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 2, 3. Aufl. 2009, § 210 Rn. 1 ff.; Koch, in: Müller-Glöge / Preis / Schmidt (Hrsg.), Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 18. Aufl. 2018, § 2 BetrVG Rn. 1; Richardi / Maschmann, in: Richardi (Hrsg.), BetrVG, 16. Aufl. 2018, § 2 Rn. 4 ff.



C. Inhalt und Auswirkungen der Modifikationen im Arbeitsrecht 77

lichen Betriebsverfassungsrechtssysteme kennen für bestimmte Materien nur ein Informationsrecht,218 für andere Fragen ein Mitberatungsrecht,219 und schließlich für ausgewählte Bereiche – als stärkstes Mitwirkungsrecht – ein Zustimmungsrecht der Mitarbeitervertretung,220 wobei allen drei Rechtssystemen eine Art „eingeschränkte Zustimmung“ in bestimmten Bereichen gemein ist, bei der die Zustimmung der Mitarbeitervertretung nur aus bestimmten, ausdrücklich genannten Umständen verweigert werden und unter Umständen durch eine gerichtliche Instanz ersetzt werden darf.221 Unterschiede ergeben sich hier nur insoweit, als die kirchlichen Regelungen auch ein Antrags- bzw. Initiativrecht, aber kein Widerspruchsrecht i. S. v. § 102 BetrVG kennen, während dies im staatlichen Betriebsverfassungsrecht gerade umgekehrt ist. Davon abgesehen aber sind insbesondere die Entscheidungsbereiche, in denen eine Zustimmung der jeweiligen Mitarbeitervertretung notwendig ist, in katholischen (§ 33 i. V. m. §§ 34 f. MAVO), evangelischen (§§ 36 ff. MVG-EKD) und in weltlichen Einrichtungen (§ 87 Abs. 1 BetrVG) überwiegend dieselben. Lediglich zu Lohnfragen wie der Auszahlungsmodalität oder der Leistungsentgelte ist in kirchlichen Einrichtungen keine Mitbestimmung vorgesehen.222 Neben diesen Gemeinsamkeiten konzentriert sich der maßgebliche Unterschied zwischen den Systemen auf die Beteiligung der Mitarbeitervertretung in Fällen ordentlicher Kündigungen. Haben die Mitarbeitervertretungen nach allen Systemen bei außerordentlichen Kündigungen entweder nur ein Anhörungs- oder höchstens ein Mitberatungsrecht,223 ergeben sich bei ordentlichen Kündigungen nicht nur Differenzen zwischen kirchlichem und staatlichem System, sondern auch innerhalb der kirchlichen Mitarbeitervertretungssysteme: Während im Bereich der katholischen Kirche sowohl bei einer ordent218  §§ 106 f. BetrVG; §§ 27, 27a MVO; § 34 MVG-EKD. Eine Ausnahme bildet hier das MVG-Hessen und Nassau, das Informationsrechte als Beteiligungsform nicht kennt. 219  §§ 96 f., 106 f. BetrVG; §§ 29 ff. MAVO; §§ 45, 46 MVG-EKD; in Hessen und Nassau Mitwirkung – im Gegensatz zu Mitbestimmung – genannt: §§ 38, 40 MVGHessen und Nassau. 220  §§ 87, 94, 95, 99 BetrVG; §§ 33 ff. MAVO; §§ 38 ff. MVG-EKD. 221  § 99 BetrVG; §§ 34 Abs. 2, 35 Abs. 2 MAVO; §§ 41 ff. MVG-EKD; das MVGHessen und Nassau kennt hingegen nur umfassende Zustimmungsrechte und keine eingeschränkten Zustimmungs- bzw. Mitwirkungsrechte, vgl. § 39 MVG-Hessen und Nassau. 222  Vgl. §§ 35, 34 MAVO; § 36 MVG-EKD; vgl. auch Richardi (Fn. 16), § 19 Rn. 31. 223  § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG; § 31 MAVO; § 46 lit. b i. V. m. § 35 MVG-EKD. Etwas Anderes gilt für die evangelischen Kirchen nur, sofern entweder ein Wahlvorstand oder ein Mitglied der Mitarbeitervertretung außerordentlich gekündigt werden soll, §§ 13 Abs. 3, 21 Abs. 2 MVG-EKD.

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Teil 1: Bestandsaufnahme: das kirchenspezifische Arbeitsrecht

lichen als auch einer außerordentlichen Kündigung nur ein Anhörungs- und Mitberatungsrecht der Mitarbeitervertretung besteht,224 ermöglicht das staatliche Betriebsverfassungsrecht der Mitarbeitervertretung das Erheben eines Widerspruchs, durch dessen Wirkung in bestimmten Fällen die Weiterbeschäftigung des Betroffenen begründet werden kann.225 Im Gegensatz dazu regelt das Mitarbeitervertretungsrecht der evangelischen Kirchen, dass die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung sowie einer außerordentlichen Kündigung in besonderen Fällen226 von der Zustimmung der Mitarbeitervertretung abhängig gemacht wird. Auch wenn die Zustimmung nur aus bestimmten Gründen verweigert werden darf, es sich also um eine „eingeschränkte Mitbestimmung“ handelt,227 ist das evangelische Mitarbeitervertretungsrecht damit sogar umfassender als das staatliche Betriebsverfassungsrecht.228

224  § 30

MAVO. zu den Rechten des Betriebsrats bei Kündigungen und deren Folgen Junker (Fn. 89), 769 ff.; Matthes, Beteiligung des Betriebsrats an Kündigungen, in: Richardi / Wißmann / Wlotzke / Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 2, 3. Aufl. 2009, § 267; Kania, in: Müller-Glöge / Preis / Schmidt (Hrsg.), Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 18. Aufl. 2018, § 102 BetrVG; Thüsing, in: Richardi (Hrsg.), BetrVG, 16. Aufl. 2018, § 102. 226  §§ 13 Abs. 3, 21 Abs. 2 MVG-EKD. 227  § 102 Abs. 5 BetrVG. 228  § 42 lit. b i. V. m. § 41 MVG-EKD; mangels eingeschränkten Mitbestimmungsrechts für den Bereich der Landeskirche Hessen und Nassau (siehe Fn. 221) gilt hier ein umfassendes Zustimmungsrecht, bei dem die Mitarbeitervertretung innerhalb einer bestimmten Frist der Kündigung unter Angabe von Gründen nicht zustimmen darf. In diesem Fall kommt es hingegen zu einem Schlichtungsverfahren gem. §§ 52 ff. MVG-Hessen und Nassau, in dem dem Auschuss das Letztentscheidungsrecht zukommt (§ 56 MVG-Hessen und Nassau). 225  Vertiefend

Teil 2

Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts A. Verfassungsrechtliche Grundierung des Problems Bei der hier vorliegenden Studie handelt es sich um eine von verfassungsrechtlicher und verfassungsdogmatischer Natur. Der Grund hierfür liegt dabei freilich nicht in der Negierung der grundsätzlichen Relevanz einfachen Rechts oder seines Anwendungsvorrangs, sondern vielmehr in der Bedeutung der Fragestellung und den sich daraus ergebenden Konsequenzen. Dabei sind drei Dimensionen zu unterscheiden: Geht es um die rechtliche Zulässigkeit einer Entscheidung ist häufig aufgrund des „Stufenbaus der Rechtsordnung“ auf die nächsthöhere grundlegendere Stufe abzustellen.229 Insoweit stellt sich auch hier die Frage nach der Geltung bestimmter rechtlicher Entscheidungen und Regelungen, die sich in der Rechtsordnung als „Erzeugungszusammenhang“ grundsätzlich aus der nächsthöheren Rechtsnormstufe ergibt. Daher spielt die Verfassung – zumindest im nationalen Bereich – eine herausragende Rolle als oberste Rechtsnormstufe. Aufgrund ihrer Natur als Grundgerüst der Gesellschaft sind die Normen der Verfassung allerdings meist offen und fragmentarisch formuliert, geben daher häufig nur einen „Rahmen“ oder einen bestimmten Raum vor, dessen Konkretisierung dem Gesetzgeber obliegt.230 Folglich ist die Verfassung in vielen Fällen nicht in der Lage, konkrete Vorgaben aufzustellen. Ihre Aufgabe in einem freiheitlichen Verfassungsstaat liegt vielmehr in der Gewährleistung eines Freiraums und in der Setzung seiner Grenzen – zum Inhalt dieses Freiraums schweigt sie grundsätzlich. Dass dies im Bereich des Religionsrechts und insbesondere auch hier im kirchenspezifischen Arbeitsrecht allerdings ausreicht, ergibt sich aus der der vorliegenden Studie zugrundeliegenden Fragestellung: Untersucht werden soll die Zulässigkeit des kirchenspezifischen Arbeitsrechts. Dabei bietet sich eine einfachrechtliche Untersu229  Dazu und im Folgenden Kelsen, Reine Rechtslehre, Studienausgabe der 1. Aufl. 1934, 2008, S. 73 ff. 230  Böckenförde, Die Methoden der Verfassungsinterpretation – Bestandsaufnahme und Kritik, in: ders. (Hrsg.), Staat, Verfassung, Demokratie, 2. Aufl. 1992, 53 (56 ff.).

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

chung deshalb nicht an, weil die Fragestellung letztendlich gerade die Grenzen eines Freiraums berührt und daher im einfachen Recht keine Antworten zu finden sind. Auch die Natur des betroffenen Objekts erfordert eine verfassungsrecht­ liche Untersuchung. Durch die religiöse Prägung kirchlicher Einrichtungen betrifft die Studie nicht mehr nur die „allgemeine“ Frage nach dem Recht und Unrecht arbeitgeberischen Handelns – dabei wäre das einfache Recht wohl die richtige Adresse. Vielmehr zeigt sich das kirchenspezifische Arbeitsrecht als Ausdruck, als Symptom der allgemeinen Suche nach dem Verhältnis von Staat und Religion. Die Bedeutung des kirchenspezifischen Arbeitsrechts umfasst damit eine grundlegende, politische wie auch gesellschaftstheoretische Dimension. Die Religion als soziales Faktum ist wegen ihrer Bedeutung, ihrer Geschichte und ihres Wesens ein besonderes Moment gesellschaftlicher Agitation und bedarf daher einer besonderen grundlegenden normativen Behandlung. Diese Aufgabe übernimmt im Allgemeinen das Verfassungsrecht.231 Auch deshalb sind die meisten Antworten auf die hier gestellte Frage im Verfassungsrecht zu suchen. Eine freiheitsorientierte Verfassung arbeitet überwiegend durch das Gewährleisten verschiedener Rechtsgüter für verschiedene gesellschaftliche Interessen, deren Ausgleich über die Anwendung der einschlägigen Verfassungsnormen zu suchen ist. Daher gilt es, für jedes in einem Konflikt berührte Interesse ein verfassungsrechtlich verbürgtes Gut zu finden und die dementsprechende Konfliktlösung im Falle eines Widerspruchs zu anderen (Verfassungs-)Gütern zu untersuchen. Im hier gelagerten Fall steht auf der einen Seite das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen (Kap. 2.), auf der anderen Seite das rechtlich geschützte Interesse der Mitarbeiter, vor entsprechenden Sanktionen geschützt zu werden (Kap. 3). Im Folgenden soll beiden Seiten verfassungsrechtliche Güter entsprechend zugeordnet werden.

231  Zur Funktion des Verfassungsrechts als „normative Basisschicht des Zusammenlebens“ insbesondere Volkmann, Grundzüge einer Verfassungslehre der Bundesrepublik Deutschland, 2013, S. 57 ff.



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht81

B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrechtund das kirchenspezifische Arbeitsrecht I. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht als Geltungsgrundlage des kirchenspezifischen Arbeitsrechts Verfassungsrechtliche Grundlage der Eigenständigkeit der Kirchen ist das Selbstbestimmungsrecht in Art. 137 Abs. 3 WRV. Danach ist es den Kirchen grundsätzlich anheimgestellt, die „eigenen Angelegenheiten“ innerhalb des „für alle geltenden Gesetzes“ zu „ordnen“ und zu „verwalten“. Dieses Recht ist zugleich Anknüpfungspunkt für das kirchenspezifische Arbeitsrecht und bedarf daher zu Beginn der Studie einer genaueren Untersuchung. Es stellt sich die Frage, inwieweit das kirchliche Selbstbestimmungsrecht das kirchenspezifische Arbeitsrecht rechtlich legitimiert, umgrenzt und verwirklicht. Daher sind drei Dimensionen zu unterscheiden: einmal die sachliche (1.), weiter die personelle (2.) und schließlich die prozessuale Dimension (3.). 1. Die sachliche Dimension: das kirchenspezifische Arbeitsrecht als Moment kirchlicher Selbstbestimmung Im Rahmen der sachlichen Dimension geht es um die Begründung kirchenspezifischen Arbeitsrechts auf Grundlage des verfassungsrechtlich verbürgten Selbstbestimmungsrechts – im Jargon allgemeiner Grundrechtsdogmatik: Es geht um den sachlichen „Schutzbereich“ des Art. 137 Abs. 3 WRV und seine Schranken.232 Nach der Formulierung der Vorschrift gehört dazu das (selbstständige) Ordnen und Verwalten eigener Angelegenheiten innerhalb der für alle geltenden Gesetze. Es kommt nunmehr darauf an, das kirchenspezifische Arbeitsrecht in diese Gewährleistungsdimension einzuordnen. Entscheidend ist dabei zunächst, dass die Kirchen mit der Konstituierung des kirchenspezifischen Arbeitsrechts tatsächlich eigene Angelegenheiten 232  Allgemein dazu Hillgruber, Grundrechtlicher Schutzbereich, Grundrechtsausgestaltung und Grundrechtseingriff, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 9, 3. Aufl. 2011, § 200; ders., Grundrechtsschranken, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 9, 3. Aufl. 2011, § 201; Merten, Grundrechtlicher Schutzbereich, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. 3, 2009, § 56; ders., Grundrechtlicher Schutzbereich, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. 3, 2009, § 63; Hermes, Grundrechtsbeschränkungen auf Grund von Gesetzesvorbehalten, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. 3, 2009, § 62; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1999, Rn. 308 ff.; Hufen, Staatsrecht II, 7. Aufl. 2018, § 6, § 9.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

ordnen respektive verwalten (a)). Nur bei Bejahung dieser Ebene ist es notwendig, sich nach den Schranken und deren Bestimmung (b)) zu erkundigen, um letztlich das grundsätzliche Verhältnis von staatlichem und kirchenspezifischem Arbeitsrecht zu ermitteln (c)). a) Das kirchenspezifische Arbeitsrecht als Ordnen eigener Angelegenheiten Nach Art. 137 Abs. 3 WRV „ordnen“ und „verwalten“ die Kirchen ihre „eigenen Angelegenheiten“ also selbst. Dabei umfasst der Begriff des Ordnens unstreitig die eigenständige Rechtsetzung im Sinne einer „originären Normsetzungskompetenz“233 und der Begriff des Verwaltens die eigenständige – insbesondere prozessuale – Umsetzung im Rahmen des Ordnens gefasster Rechtsregeln sowie insgesamt die Organisation der kirchlichen Tätigkeit.234 Folglich ist bei der Frage der rechtlichen Grundlage des kirchenspezifischen Arbeitsrechts zunächst auf das Ordnen abzustellen. Damit die Kirchen aber überhaupt ordnen, d. h. eigene Regelungen treffen und insoweit vom staatlichem Recht, dem auch sie grundsätzlich unterliegen,235 abweichen dürfen, muss es sich bei dem kirchenrechtlich zu regelnden Bereich um eigene Angelegenheiten im Sinne von Art. 137 Abs. 3 WRV handeln. Nur dann dürfen sie die betreffenden Bereiche ordnen und eine ihnen insoweit verliehene Normsetzungskompetenz ausüben. Die kirchliche Normsetzungs- und Normumsetzungsbefugnis beginnt und endet damit an der Grenze der eigenen Angelegenheiten. Für das kirchenspezifische Arbeitsrecht bedeutet dies, dass, da die Kirchen kein gänzlich eigenes Arbeits233  Unruh, Religionsverfassungsrecht, 4. Aufl. 2018, Rn. 155, mit Verweis auf von Campenhausen / de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Aufl. 2006, S. 101; ders., in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), GG, Bd. 3, 7. Aufl. 2018, Art. 137 WRV Rn. 26; Hesse, Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, in: Listl / Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2.  Aufl. 1994, 521 (535 ff.); Mager, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 140 Rn. 33; Korioth, in: Maunz / Dürig (Begr.), GG, 42. Lfg. 2003, Art. 140 / 137 WRV Rn. 23, 24; Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2018, Art. 137 WRV Rn.  50 f. 234  Vgl. dazu die Nachweise in Fn. 233. 235  Die Koordinationslehre, nach der Staat und Kirche gleichberechtigte Partner auf Augenhöhe sind, wird heutzutage wegen der Kompetenzkompetenz des Staates nicht mehr vertreten, vgl. Smend, Staat und Kirche nach dem Bonner Grundgesetz, in: ZevKR 1 (1951), 4 ff.; Germann, Koordinationslehre, in: Betz/Browning/Ja­nowski/ Jüngel (Hrsg.), RGG, 4. Aufl. 2001, Bd. 4, Sp. 1668; Munsonius, Beziehungen zwischen Kirche und Staat in Deutschland und in der Perspektive der Errichtung eines neuen Europas, in: GöPRR 3 (2012), 10 (10 f.); Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn.  233), 44 f.



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht83

recht konstituiert haben,236 jede kirchenrechtliche Modifikation eine eigene Angelegenheit sein muss. Anders als die Begriffe des Ordnens und Verwaltens bereitet der Umgang mit dem Konstrukt der eigenen Angelegenheiten indes Probleme. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, sich zunächst die allgemeine Bestimmung der kircheneigenen Angelegenheiten zu vergegenwärtigen (aa)), um anschließend die erworbenen Kenntnisse auf das kirchenspezifische Arbeitsrecht zu übertragen (bb)). aa) Das Selbstverständnis der Kirchen als Bestimmungsfaktor eigener Angelegenheiten Wies zum Zeitpunkt seiner „Erschaffung“ Art. 137 Abs. 3 WRV – und das legt bereits seine systematische Nähe zu Art. 137 Abs. 1 WRV nahe – einen „konstitutive[n] Entflechtungsbezug“237 auf und galten daher die „eigenen“ Angelegenheiten der Kirche als Konträrpunkt zu den staatlichen Angelegenheiten, so hat sich die Perspektive auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht nach heutigem Verständnis gewandelt.238 Die „eigenen“ Angelegenheiten stellen danach weniger einen segregierenden Entflechtungstatbestand, als vielmehr einen integrierenden Freiheitstatbestand dar. Zwar schließen sich institutionelles und freiheitliches Verständnis grundsätzlich nicht aus, sondern unterstreichen unterschiedliche Akzentuierungen derselben Sache.239 Der Schwerpunkt in einer institutionellen Entflechtung liegt primär auf der Segregation, in einer freiheitlichen Entflechtung auf der Integration. Es geht heutzutage nicht mehr um eine reine Lösung einer Verbindung von Staat und Religion, sondern pimär um die Vereinbarkeit beider Sphären unter freiheitlichen Grundsätzen. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht ist damit heute überwiegend Grundlage eines freiheitlichen Anspruchs gegen den Staat.240 Diese freiheitszentrierte Sicht hat interpretationstheoretische Konsequenzen. Wird eine Regelung als Ausdruck eines bestimmten Freiheitsbereichs gesehen, so gehört zu dieser Freiheit auch, den Umfang nach eigenem Verständnis zu bestimmen. Maßgeblich ist daher für die Interpretation des Begriffs der „eigenen Angelegenheiten“ das Selbstverständnis des Rechtsträ236  Siehe

dazu ausführlich bereits oben S. 25 ff. (Fn. 233), 44. 238  Anders Wieland, Die Angelegenheiten der Religionsgesellschaften, in: Der Staat 26 (1986), 321 ff., der weiterhin Art. 137 Abs. 3 WRV als Abgrenzungstatbestand staatlicher respektive religionsrechtlicher Befugnisse ansieht; dagegen überzeugend Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, 1997, S. 186 ff. 239  So auch Hollerbach, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, in: VVDStRL 26 (1986), 57 (60); Morlok (Fn. 233), 44 f. 240  Morlok (Fn. 233), 45. 237  Morlok

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

gers – hier der Kirchen.241 Hintergrund ist das Verständnis, nach dem das Phänomen rechtlicher Freiheit mit der Befugnis einer personalen Selbstbestimmung, d. h. der Lebensgestaltung nach eigenen Maßstäben, gleichgesetzt wird.242 Insoweit wird den Kirchen eine Autonomie verliehen.243 Zur Idee der Autonomie – wie aber der Freiheitsrechte auch – gehört dann folgemäßig das Selbstverständnis als methodischer Maßstab der Auslegung der Tatbestände.244 Danach bedeutet die Autonomie eigener Lebensgestaltung insbesondere die „Abwehr von verbindlichen Entscheidungsvorgaben“245 und jede staatlich vorgegebene Definition bedeutet bereits einen grundrechtlichen Eingriff.246 Daraus folgt, dass zwar die Freiheit selbst nicht unbegrenzt sein muss,247 dass sich aber das „Was“ und das „Wie“ innerhalb des vorgegebenen Freiheitsrahmens nicht objektiv, sondern subjektiv bestimmen lassen müssen – mit nur wenigen Einschränkungen.248 Infolgedessen ergeben sich für die staatliche Gewalt im Rahmen grundrechtlicher Rechtsbegriffe (z. B. Beruf i. S. v. Art. 12 Abs. 1 GG, Religion i. S. v. Art. 4 Abs. 1, 2 GG oder Kunst i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG) ein echtes wie auch ein qualitatives Defini­ tionsverbot.249 Dabei ist jedoch zu sehen, dass das bloße Behaupten eines 241  BVerfGE 24, 236 (248); so auch Morlok (Fn. 233), 49; ders., Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 431 ff.; Isak, Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung für die Auslegung staatlichen Rechts, 1994, S.  219 ff.; Muckel (Fn. 238), 184 ff.; Neureither, Recht und Freiheit im Staatskirchenrecht, 2002, S. 123 f. 242  Morlok (Fn. 241), 375 ff. (insb. 380 f.). 243  Im Unterschied zu einem „bloßen“ Freiheitsschutz bedeutet Autonomie „Freiraumschutz“, d. h. die Befugnis, eigene Ordnungsvorstellungen durchzusetzen. Siehe dazu Engel, Freiheit und Autonomie, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. 2, 2006, § 33 Rn. 15. 244  Morlok (Fn. 241), 69 ff., 386 f., 396 ff.; Häberle, Die offene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten, in: JZ 1975, 297 (298 f.); Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 1987, S. 42, 88 f. 245  Morlok (Fn. 241), 380. 246  Kahl, Vom weiten Schutzbereich zum engen Gewährleistungsgehalt – Kritik einer neuen Richtung der Grundrechtsdogmatik, in: Der Staat 43 (2004), 167 (180 ff.). 247  So ist es zulässig, von vornherein den Grundrechtsschutz z. B. nur auf Deutsche zu beschränken. Wichtig aber ist, dass diese Einschränkung gesetzlich getroffen wird, siehe Morlok (Fn. 241), 393 f. 248  So gelte dies freilich nicht bei „rechtserzeugten“ Schutzgegenständen, also sog. normgeprägten Grundrechten (z. B. Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 14 Abs. 1 GG), da hier die Begrifflichkeiten durch das Rechtssystem vorgegeben würden. Ebenso müssten die den Grundrechten zugrundeliegenden Begrifflichkeiten der Routinemäßigkeit und der Verhinderung willkürlichen Gebrauchens wegen mit Standardisierungen und Plausibilitätserwägungen einen objektivierenden Rahmen erhalten, siehe Morlok (Fn. 241), 400 f. 249  Unter einem echten Definitionsverbot ist die generelle Unzulässigkeit abstrakter begrifflicher Vorgaben, unter einem qualitativen Definitionsverbot die Unzulässig-



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht85

vorliegenden freiheitsrechtlichen Tatbestands freilich nicht auszureichen vermag. Ist das Selbstverständnis deswegen maßgebliches Auslegungskriterium, weil dies bereits notwendig zum Freiheitsbereich des jeweiligen Rechts gehört, muss der Freiheitsträger auch hinreichend begründen, weshalb sein Selbstverständnis tatsächlich von der Eröffnung des Freiheitsbereichs ausgeht. Häufig wird diese Anforderung als Plausibilitätstest250 beschrieben:251 Es muss nach dem Selbstverständnis nachvollziehbar um den Gebrauch der in Frage stehenden Freiheit gehen.252 Insoweit ist die subjektive Tatbestandsbestimmung nicht gänzlich frei von objektiven Grenzen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Plausibilität nicht aus externen, d. h. außerhalb des Selbstverständnisses stehenden, sondern nur aus internen, d. h. sich aus dem angegebenen Selbstverständnis ergebenden Gründen, abgelehnt werden darf.253 Für den Bereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts bedeutet keit inhaltlich-qualitativer Kriterien (z. B. gute oder schlechte Kunst) zu verstehen. Siehe dazu umfassend Höfling (Fn.  244), 28 ff. m. w. N.; Morlok (Fn. 241), 69 ff., 397 f. 250  Im Bereich des Religionsverfassungsrechts insbesondere Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn. 233), 94 ff.; Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit des Grundgesetzes, 2006, S. 251 ff.; vgl. auch bezüglich der Definitionskompetenz des Religionsbegriffs BVerfGE 83, 341 (353): „Zwar können nicht allein die Behauptung und das Selbstverständnis, eine Gemeinschaft bekenne sich zu einer Religion und sei eine Kirche, für diese und ihre Mitglieder die Berufung auf die Freiheitsgewährleistung des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG rechtfertigen; vielmehr muß es sich auch tatsächlich, nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild, um eine Religion und Kirche handeln. Dies im Streitfall zu prüfen und zu entscheiden, obliegt – als Anwendung einer Regelung der staatlichen Rechtsordnung – den staatlichen Organen, letztlich den Gerichten, die dabei freilich keine freie Bestimmungsmacht ausüben, sondern den von der Verfassung gemeinten oder vorausgesetzten, dem Sinn und Zweck der grundrechtlichen Verbürgung entsprechenden Begriff der Religion zugrundezulegen haben“ (Herv. VH). 251  Zuletzt insbesondere BVerfG, Beschl. v. 11.10.2018  – 1 BvR 1984 / 17, das dem Verein „Spaghettimonster“ mangels Plausibilität den Status als Weltanschauungsgemeinschaft nicht zuerkannt hat. 252  Vgl. Schnabel, Die Richtlinie 2000 / 78 / EG und das kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland, in: ZfA 2008, 413 (421): „Theologische Begründungen können für den Außenstehenden nachvollziehbar sein, ohne dass ihm dadurch schon ein sentire cum ecclesia abverlangt würde: Der Bezug zu den konstitutiven Glaubensgehalten muss deutlich werden und die abgeleiteten Regelungen müssen hinreichend bestimmt sein“ (Herv. i. O.). Vgl. auch Germann / de Wall, Kirchliche Dienstgemeinschaft und Europarecht, in: Krause / Veelken / Vieweg (Hrsg.), Recht der Wirtschaft und der Arbeit in Europa – Gedächtnisschrift für Wolfgang Blomeyer, 2004, 549 (561). 253  Vgl. BVerfGE 24, 236 (248); E 70, 138 (164); Czermak, Religions- und Weltanschauungsrecht, 2008, S. 102; Isak (Fn. 241), 219 ff.; Morlok (Fn. 241), 437 ff.; ders. (Fn. 233), 49 f.; Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn. 233), 92 ff.; de Wall, Kirche, in: Heinig / Munsonius (Hrsg.), 100 Begriffe aus dem Staatskirchenrecht, 2. Aufl. 2015, S. 213 f.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

dies, dass die Betroffenheit des Schutzgehalts nicht verneint werden darf, weil das Selbstverständnis der Kirchen selbst etwa als unlogisch oder nicht überzeugend gewertet wird, sondern nur weil die Begründung des Vorliegens des freiheitlichen Tatbestands mit dem vorgetragenen Selbstverständnis nicht in Zusammenhang gebracht werden kann. Denn gerade im letzteren Falle spricht das Selbstverständnis nicht für die Eröffnung des Gewährleistungsgehalts des betroffenen Freiheitsrechts und erfüllt damit nicht die Erwartungen der Tatbestandsauslegung. Insoweit handelt es sich bei der Plausibilitätsprüfung nicht um eine – nachträglich eingebaute – objektive Schranke der Selbstverständnisberücksichtigung, sondern vielmehr um eine a priori sich aus dem Grund der Berücksichtigung des Selbstverständnisses ergebende Anforderung an den Inhalt des Selbstverständnisses.254 Dem Selbstverständnis wird also kein „Freifahrtschein“ gewährt, sondern gerade seine Anforderungen werden an den Grund seiner Berücksichtigung gekoppelt. Gegen eine solche „offene“ Grundrechtsinterpretation werden einerseits häufig die befürchtete Hypertrophie und Konturlosigkeit des Grundrechtsschutzes ins Feld geführt und so ermöglichte allgemeine Verhaltensfreiheiten beklagt, die wiederum bei „falschen“ Folgen – sprich überdimensionaler Schrankenziehung – gar das angestrebte Ziel der offenen Grundrechtsinterpretatoren umkehren und Freiheitsräume verkürzen könnten.255 Stattdessen wird für eine objektive Bestimmung des Schutz- bzw. Gewährleistungsgehalts plädiert, bei der das grundrechtsträgerische Selbstverständnis allenfalls Auslegungs- bzw. Erkenntnishilfe sein könne.256 Teilweise aber wird auch im Sinne einer „aurea mediocritas“ nach horazschem Vorbild sowohl für eine offene, als auch für eine enge Interpretation geworben – allerdings nicht pauschal, sondern für jedes Grundrecht spezifisch.257 Insbesondere geht letztere Ansicht davon aus, dass ein (bloßer) Verweis auf die Grundrechts- bzw. Staatstheorie kaum ausschlaggebend für die daraus abgeleitete Grundrechtsdogmatik sein dürfe, und bezieht damit gleichzeitig klar Stellung für eine Trennung von Verfassungsdogmatik und Verfassungstheorie. Für den Bereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts fordern die Gegner der offenen In-

254  Ähnlich BVerfGE 83, 341 (353), das von dem „von der Verfassung gemeinten oder vorausgesetzten, dem Sinn und Zweck der grundrechtlichen Verbürgung“ spricht. Vgl. auch Fn. 250. 255  Hillgruber, Schutzbereich (Fn. 232), 24 f.; Böckenförde, Kritik gegenwärtiger Grundrechtsdogmatik, in: Der Staat 42 (2003), 165 (167 f., 188 f.); Hoffmann-Riem, Enge oder weite Gewährleistungsgehalte der Grundrechte?, in: Bäuerle (Hrsg.), Haben wir wirklich Recht? Zum Verhältnis von Recht und Wirklichkeit, 2004, 53 (54 f.). 256  Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte?, 1980, S. 59 f. 257  Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 122 m. w. N.; vgl. auch Hillgruber (Fn. 232), Rn. 31 f.



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht87

terpretation dabei überwiegend eine Bestimmung der eigenen Angelegenheiten nach der objektiv zu bestimmenden „Natur der Sache“.258 Welcher Weg ist nun richtig? Vorweg: „Die“ perfekte Lösung gibt es nicht. Ein Spannungsfeld zwischen staatlicher Entscheidungsgewalt bzw. -macht und freiheitlicher Bestimmung des grundrechtlichen Schutzes wird stets bestehen bleiben. Klar ist, dass die Grundrechte als normative Basisschicht259 des freiheitlichen Verfassungsstaates gerade „Stützpfeiler der Individualität“ und die Befugnis zu „personaler Selbstbestimmung“ bilden.260 Klar ist weiterhin, dass eine Auslegung im Sinne der Selbstverständnistheorie dieser grundrechtlichen Normativitätsschicht zunächst am dienlichsten erscheint, ja gar als „Akt freiheitsschonender Selbstbescheidung des Staates, als Öffnung zur pluralistischen Gesellschaft hin, als Integration einer offenen Demokratie, in der jedermann zum Verfassungsinterpreten berufen ist“.261 Hinzu kommt eine grundsätzliche Schwierigkeit einer objektiven juristischen Definition des Schutzes, die einen entsprechenden Definitionsvorschlag entweder als besondere Form des „Dilletantismus“ oder gar als „Anmaßung außerjuristischer Fachkompetenz“ und als „Hybris“ des Juristen, eine objektive Bestimmbarkeit damit gar als unmöglich erscheinen lässt.262 Das zeigt sich auch beim kirchlichen Selbstbestimmungsrecht: So ist doch eine Bereichsscheidung, wie sie von Art. 137 Abs. 3 WRV gefordert wird, objektiv kaum zu bestimmen und gerade von den Selbstverständnissen der jeweiligen Kirchen zumindest mittelbar abhängig.263 Zudem können Begriffe – wie etwa der der „Natur der Sache“ – auch differierende Selbstverständnisse der einzelnen Kirchen mitumfassen, und wären dann allerdings kaum abgrenzungsgeeignet. Richtet sich der Begriff der eigenen Angelegenheit überdies nach 258  So die frühere häufig vertretene Ansicht, siehe Ebers, Staat und Kirche im neuen Deutschland, 1930, S. 258 ff.; BVerfGE 18, 385 (387); vgl. dazu auch Unruh, GG (Fn. 233), 27; Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn. 233), 158. 259  Siehe dazu Volkmann, Grundzüge einer Verfassungslehre der Bundesrepublik, 2013, S. 223; vgl. auch Gutmann, Struktur und Funktion der Menschenwürde als Rechtsbegriff, Preprints of the Centre for Advanced Study in Bioethics, 2010, S. 10 ff. 260  Dreier, Der freiheitliche Verfassungsstaat als riskante Ordnung, in: RW 2010, 11 (19 f.); vgl. auch Hofmann, Menschenrechte und Demokratie, in: JZ 2001, 1 ff.; Maurer, Idee und Wirklichkeit der Grundrechte, in: JZ 1999, 689 ff.; Morlok (Fn. 241), 375 ff. 261  Isensee (Fn. 256), 25; vgl. Häberle (Fn. 244), 297 ff. 262  Isensee (Fn. 256), 23 ff., der auf das Beispiel der Definition des Begriffes „Gewissen“ verweist. 263  Morlok (Fn. 233), 49: „Nach diesem (von dem Selbstverständnis geleiteten; v. H.) Ansatz kann die Unterscheidung unterschiedlicher ‚Bereiche‘ bei der Erschließung des Schutzbereichs schon deswegen nicht hilfreich sein, weil das, was die verschiedenen Glaubensrichtungen als Angelegenheiten ihrer Religion oder ihrer Reli­ gionsgesellschaft ansehen, differiert“.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

den traditionell gefestigten Religionsbereichen – wie soll sich die „Natur“ der Sache anders ergeben als durch gefestigte Gewohnheiten? –, so entspringen die Ergebnisse dieser Auslegungsmethode zum einen gerade dem Selbstverständnis zumindest bestimmter – bekannter und gesellschaftlich maßgebender – Kirchen und begründen zum anderen möglicherweise insoweit eine Beeinträchtigung des Selbstbestimmungsrechts anderer – unberücksichtigt gelassener – Kirchen. Allerdings sieht sich auch die Selbstverständnislehre einem Problem ausgesetzt: Bei einer subjektiven Schutzbereichsbestimmung sind die Schranken auf Kollisionsebene (weiterhin) objektiv zu bestimmen und durchzuführen,264 nicht zuletzt bei vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten, bei denen es gerade auf eine Kollision mit anderen (Verfassungs-)Gütern und -rechten als einzig mögliche Beschränkungsbasis ankommt. Denn hierbei treffen nicht nur zwei (zunächst gleichrangige) Selbstverständnisse aufeinander, deren Ausgleich nur mit objektiven Kriterien und Dogmatiksträngen möglich ist.265 Auch ergibt sich hier das Problem des weiten Schutzbereichs: Ist jedes noch so „banale“ Verhalten geschützt, bedarf es zusätzlicher Schrankenziehung, will man eine Hypertrophie des Grundrechtsschutzes vermeiden.266 Dies wiederum eröffnet ein weiteres Problemfeld: Die Dogmatik der Schrankenprüfung legt die Möglichkeit und die Anforderungen an eine Einschränkung zunächst fest, so dass ein Ausgleich des (sehr) weiten Schutzbereichs nur über neue systemkompatible Ideen geleistet werden kann. Ein besonderes Beispiel bieten hier die vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte, bei denen der weite Schutzbereich insbesondere wegen der eher schwierigen Rechtfertigungsmöglichkeit überwiegend durch Entwicklung und „Erfindung“ neuer kollidierender Verfassungsgüter ausgeglichen wird.267 Dies kann aber unter 264  Isensee (Fn. 256), 33: „Der Grundrechtssubjektivismus ließe sich wenigstens teilweise retten, wenn der Grundrechtskonflikt stets durch einen Kompromiß der Selbstverständnisse gelöst werden könnte. Jedoch sind Gegenstand eines Kompromisses disponible Interessen, nicht Rechtsanschauungen. (…) Die Verfassung selbst ist ein Kompromiß: der Fundamentalausgleich der pluralistischen Gesellschaft. Dieser Ausgleich, einmal getroffen und festgeschrieben, darf nachträglich nicht einseitig verschoben und unterlaufen werden. Die normierten Inhalte stehen nicht mehr zur Disposition“ (Herv. VH). 265  Isensee (Fn. 256), 31 ff. 266  Isensee (Fn. 256), 29 ff. 267  So beispielsweise die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr (BVerfGE 28, 243 [261]), die Krankenversorgung (BVerfGE 57, 70 [99]), die Energieversorgung (BVerfGE 66, 248 [258]) oder gar die Kompetenzordnung als verfassungsimmanente Schranke (BVerfGE 53, 30 [56]; dazu ausführlich Gärditz, Grundrechte im Rahmen der Kompetenzordnung, in: Isensee / Kirchhof [Hrsg.], Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 9, 3. Aufl. 2011, § 189 Rn. 18 ff.); vgl. auch Möllers, Wandel der Grundrechtsjudikatur, in: NJW 2005, 1973 ff.; Dreier (Fn. 257), 140;



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht89

Umständen gar zur Aufopferung möglicher Freiheitssphären zugunsten einer ausgewogenen Grundrechtsdogmatik führen. Denn Problem ist hier insoweit nicht der Gedanke des größtmöglichen Freiheitsraums, sondern der Umstand, dass eine Vergrundrechtlichung, d. h. ein übermäßiges erfolgreiches Berufen auf die Grundrechte bei banalsten Handlungen, von allen Verfassungsrechtlern – auch den Anhängern der Selbstverständnistheorie – verhindert werden soll. Dies hat die Zunahme möglicher Beschränkungen zwingend zur Folge, die stets Gefahr laufen, entweder der Ausweitung des Schutzbereichs nicht mehr zu entsprechen oder aber zwangsläufig den Schutzbereich kollidierender Drittrechte zu beeinträchtigen. Dieser Einwand ist zunächst berechtigt, greift aber am Ende gleichwohl nicht durch: Zwar kann eine Schutzbereichs­ ausdehnung tatsächlich zu Problemen auf der Schrankenebene und zu möglichen Freiheitsbegrenzungen führen. Eine geeignete Lösung – insbesondere in Hinblick auf die Freiheitsausrichtung der Grundrechte und des Grundgesetzes insgesamt – kann aber nicht in der Umgehung dieser Probleme durch Schutzbereichsbeschränkungen und damit definitiven Freiheitsverkürzungen liegen.268 Hinzu kommt des Weiteren, dass die Problemlösung auf Schrankenebene eine größere Begründungslast mit sich bringt und damit eine größere Transparenz und Kontrollierbarkeit der Argumentation ermöglicht.269 Die Eröffnung des Schutzbereichs bedeutet nicht zugleich die Absage einer möglichen Beschränkung durch die staatliche Gewalt, zwingt diese aber, die Beschränkung zu begründen und nach gewissen Kriterien verständlich zu machen. Das gilt auch für zunächst scheinbar nicht diskus­sionsbedürftige „sozialadäquate“ Schutzbereichsbegrenzungen, die insbe­sondere (straf-)rechtlich verbotene oder sozialschädliche Handlungen vom Grundrechtsschutz ausschließen wollen.270 Auf den ersten Blick erscheint eine solche Schutzbegrenzung nachvollziehbar, ja sogar selbstverständlich. Es ist klar, dass zum Beispiel die menschliche Opfergabe nicht von der Religionsfreiheit geschützt werden soll. Dagegen sprechen aber zwei Punkte: Zum einen widerspricht dies dem grundsätzlichen Begriff von (rechtlicher) Freiheit. Im Rahmen meiner Selbstbestimmung kann ich mich dazu entschließen, einen Menschen zu bestehlen, zu verletzen oder gar zu töten. Auch wenn die Eröffnung des Schutzbereichs in symbolischer Weise ein „Grundrecht auf Töten“271 oder anderes suggeriert, bedeutet dies auch hier noch lange nicht die Legalität der schädigenden Handlung. Denn auch hier gilt – zum anderen –, dass der weite Schutzbereich „zum systematischen Abarbeiten von Begründungslasten“ Schneider, Die Güterabwägung des Bundesverfassungsgerichts bei Grundrechtskonflikten, 1979, S. 106 ff. 268  So auch Höfling (Fn. 244), 180 f. 269  Höfling (Fn. 244), 180 f. 270  Dazu Dreier (Fn. 257); Höfling (Fn. 244), 183 f. 271  Starck, Die Grundrechte des Grundgesetzes, in: JuS 1981, 237 (245 f.).

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

zwingt und dadurch rationalitätsfördernde Wirkung entfaltet, zumal bei den meisten betroffenen „sozialwidrigen“ Handlungen die Beschränkungslegitimation leicht herzustellen und zu begründen ist. Andernfalls stellte der Ausschluss auf Schutzbereichsebene ebenso das Resultat einer normativen Wertung dar, für die indes niedrigere Begründungs­anforderungen gelten als auf der Rechtfertigungsebene. Zusammenfassend ergibt sich damit die Qualifizierung des Selbstverständnisses der Kirchen als Auslegungsmoment freiheitsrechtlicher Tatbestände aus der Bewertung des Selbstbestimmungsrechts als Freiheitsrecht selbst.272 Teilweise wird diese Interpretationsregel zwar – zumindest für das kirchliche Selbstbestimmungsrecht – häufig auch mit der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates begründet.273 Da das Bestimmen des Begriffs der „eigenen Angelegenheiten“ durch staatliche Gewalt selbst bereits einen Eingriff in das Freiheitsrecht aus Art. 137 Abs. 3 WRV darzustellen vermag, bedarf es jedoch nicht eines Rückgriffs auf eine dogmatisch zumindest schwierige Konstruktion.274 Maßgebliches Auslegungskriterium für die Bestimmung des freiheitsrechtlichen Tatbestands der eigenen Angelegenheiten bleibt damit das Selbstverständnis des Freiheitsträgers. In den Schutzbereich des Art. 137 Abs. 3 WRV „fällt demnach die gesamte Sphäre, die eine Religionsgesellschaft (plausibel; VH) für ihren Aufgaben- und Tätigkeitsbereich hält“.275 bb) Das kirchliche Selbstverständnis und die Modifikationen im Arbeitsrecht Ist das Selbstverständnis der Kirchen maßgebend für die Bestimmung der eigenen Angelegenheiten, bedeutet dies, dass die Kirchen nur dann das Recht zur Konstitution kirchenspezifischer Arbeitsrechtsvorschriften haben, wenn diese nach den kirchlichen Vorstellungen – eben nach dem Selbstverständnis der Kirchen – erforderlich erscheinen. Nur dann handelt es sich tatsächlich um eigene Angelegenheiten. Da die kirchenspezifischen Arbeitsrechtsvorschriften allerdings die verschiedensten, voneinander grundsätzlich unabhängigen Bereiche des Arbeitsrechtslebens erfassen, ist das Selbstverständnis auch für jeden dieser Bereiche getrennt zu untersuchen.

272  Siehe dazu allgemein bereits oben S. 83  ff.; speziell für diesen Fall auch Morlok (Fn. 233), 49 f.; Mager (Fn. 233), 34. 273  Siehe Hesse (Fn. 233), 538 ff. (insb. 543); Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn.  233), 158 f. 274  Siehe zum Neutralitätsprinzip genauer unten S. 305 ff. 275  Morlok (Fn. 233), 50.



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht91

(1) D  ie individualarbeitsvertragsrechtlichen Pflichten als eigene Angelegenheiten Die Festsetzung der individualrechtlichen Loyalitätspflichten durch die Kirchen ist mithin eine eigene Angelegenheit, wenn die Kirchen nachvollziehbar geltend machen können, dass die Ausgestaltung der individualrechtlichen Ausrichtung der Arbeitsverhältnisse von ihrem theologischen Selbstverständnis inhaltlich geprägt ist und damit in die kirchliche Sphäre fällt. Dies ist bei den Loyalitätspflichten unzweifelhaft der Fall.276 Für die Kirchen ist das Arbeitsverhältnis nicht alleine eine Verbindung des wirtschaftlichen Agierens mit der Grundlage einer Existenz und ihrer Sicherung. Es geht vielmehr um die Erfüllung des kirchlichen Sendungsauftrags und damit unter anderem um den „Dienst am Mitmenschen“.277 Die Dienstverhältnisse und deren Rang in der Kirche sind also unabhängig von der Tätigkeitsfunktion oder Stellung der Person ein Umsetzungsmoment eines Stückes ihres religiösen Auftrags.278 Auch die evangelischen Kirchen können diese religiöse Bedeutung des Dienstverhältnisses plausibel herausstellen, wenn von ihrer Seite zu lesen und zu hören ist, dass der kirchliche Dienst dazu bestimmt sei, „das Evangelium in Wort und Tat zu bezeugen“, wobei alle Mitarbeitenden „in unterschiedlicher Weise dazu bei[tragen], dass dieser Auftrag erfüllt werden kann“.279 Kirchlicher Dienst ist anders als das weltliche Arbeitsverhältnis 276  BVerfGE 70, 38 (164 ff.); Richardi, Die Dienstgemeinschaft als Grundprinzip des kirchlichen Arbeitsrechts, in: Muckel (Hrsg.), Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat – Festschrift für Wolfgang Rüfner zum 70. Geburtstag, 2003, 727 (737 f.); Morlok (Fn. 233), 66; Unruh, GG (Fn. 233), 74 ff.; ders., Religionsverfassungsrecht (Fn.  233), 188 ff.; Classen, Religionsrecht, 2. Aufl. 2015, Rn. 429; Rüfner, Individualrechtliche Aspekte des kirchlichen Dienst- und Arbeitsrechts, in: Listl / Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, 901 ff.; Hanau, Zum Verhältnis von Kirche und Arbeitsrecht, in: ZevKR 25 (1980), 61 (62 ff.); vgl. Kreß, Das Arbeitsrecht der Kirchen im Meinungsstreit – neuralgische Punkte auf evangelischer und katholischer Seite, in: MD 2012, 53 (55); Thüsing, Das kirchliche Arbeitsrecht und die Grundrechte der Mitarbeiter, in: Muckel (Hrsg.), Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat – Festschrift für Wolfgang Rüfner zum 70. Geburtstag, 2003, 901 (914 ff.); Däubler, Das kirchliche Arbeitsrecht und die Grundrechte der Mitarbeiter, in: Hanau / Kühling (Hrsg.), Selbstbestimmung der Kirchen und Bürgerrechte – I. Berliner Gespräch über das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften, 2004, 44 (46 ff., 50 ff.). 277  Vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Erklärung der deutschen Bischöfe zum kirchlichen Dienst, Die deutschen Bischöfe 51, 11. Aufl. 2008, 7 ff. 278  Vgl. BVerfGE 46, 73 (87): „Verwirklichung eines Stückes Auftrag der Kirche im Geist katholischer Religiosität, im Einklang mit dem Bekenntnis der katholischen Kirche und in Verbindung mit den Amtsträgern der katholischen Kirche“. 279  § 2 EKD-RL; vgl. auch Kirchenamt der EKD (Hrsg.), Begründung zur Richt­ linie des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 04.07.2005, S. 6 ff.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

von theologischer Bedeutung und mit religiöser Bestimmung versehen und infolgedessen modifiziert auszugestalten. Das kirchenspezifische Arbeitsrecht ist damit auf individualrechtlicher Ebene zweifellos als eigene Angelegenheiten der Kirche zu werten. Eine andere Sichtweise280 würde das zugrunde zu legende Selbstverständnis des Freiheitsträgers, also der Kirchen, missachten. Dazu gehört folgerichtig auch, die Dienstpflichten religiös aufzuladen, um den kirchlichen Sendungsauftrag zu erfüllen respektive nicht zu gefährden. Dass dies nicht nur die berufliche, sondern unter Umständen auch die private Sphäre der Mitarbeiter betrifft, ergibt sich dabei insbesondere aus der Absolutheit des Sendungsauftrags.281 Etwas Anderes kann auch nicht deshalb gelten, weil die Kirchen primär auf dem Sektor der sozialen Daseinsvorsorge, insbesondere dem Bereich der Wohlfahrtspflege, agieren. Das GG sieht nicht vor, dass Wohlfahrt und andere Bereiche der sozialen Daseinsvorsorge alleine oder überwiegend dem Staat anvertraut sind. Ermöglicht damit die staatliche Gewalt privaten Vereinen und Organisationen, und damit auch den Kirchen, auf diesem Gebiet tätig zu werden, gelten freilich auch die für die jeweiligen Akteure geltenden (Freiheits-)Rechte. Anders gewendet: Dürfen die Kirchen Wohlfahrt betreiben, dürfen sie auf diesem Sektor freilich auch ihr zuerkanntes Selbstbestimmungsrecht in Anspruch nehmen. Insoweit hat das Tätigkeitsfeld an sich keine Auswirkungen auf die Frage nach den eigenen Angelegenheiten der Kirchen. Dies sagt zwar noch nichts darüber aus, welche und wie weitreichend ­ oyalitätspflichten kirchenseitig bestimmt werden dürfen;282 allerdings beL steht zumindest die entsprechende grundsätzliche Berechtigung der Kirchen. Wie weit diese reicht, ist eine andere Frage und im Rahmen der Konfliktauf­ lösung zu beleuchten.283

280  Soweit ersichtlich nur Preuß, in: Stein / Denninger / Hoffmann-Riem (Hrsg.), Alternativkommentar GG, 2001, Art. 140 Rn. 48. 281  Richardi, Arbeitsrecht in den Kirchen, 7. Aufl. 2015, § 4 Rn. 18 ff.; Kreß, Die Sonderstellung der Kirchen im Arbeitsrecht – sozialethisch vertretbar?, 2014, S. 48 ff.; Heinig, Dienstgemeinschaft, in: ders. / Munsonius (Hrsg.), 100 Begriffe aus dem Staatskirchenrecht, 2. Aufl. 2015, S. 32 f.; ebenso Overbeck, Die Dienstgemeinschaft und das katholische Profil kirchlicher Einrichtungen, in: Kämper / Thönnes (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 46 (2012), 7 (19 ff.). 282  Unruh, GG (Fn. 233), 74. 283  Zur Reichweite des Normsetzungs- und Normumsetzungsrechts der Kirchen in Bezug auf Loyalitätsobliegenheiten siehe ausführlich unten S. 91 ff., 284 ff.



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht93

(2) Das kircheneigene Koalitionssystem als eigene Angelegenheit Ähnliches gilt für die zweite Säule – die Frage nach dem kirchenspezifischen Koalitionssystem. Denn auch hier beeinflusst das christlich-theologische Selbstverständnis die Sachfrage und verlangt eine kirchenspezifische Ausrichtung. Das verfassungsrechtlich in Art. 9 Abs. 3 GG verankerte Koalitionssystem284 basiert auf der Idee, dass bestimmte Vereinigungen (Koalitionen) die sie betreffenden Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen im Betrieb mitbestimmen und so wahren und fördern können. Wenn auch diese Grundidee des Koalitionssystems noch nicht mit dem christlichen Selbstverständnis der Kirchen kollidiert, so tut es – nach offizieller kirchlicher Ansicht – seine weltliche Ausrichtung. Denn das weltliche Tarifvertragssystem erlaubt den Mitarbeitern auf der einen Seite mittels Streiks, den Arbeitgebern auf der anderen Seite mittels Aussperrung, kämpferisch die eigene Position durchzusetzen und insoweit die jeweils andere Seite zu Zugeständnissen zu zwingen.285 Dies sei jedoch deshalb mit dem christlichen Selbstverständnis und dem Leitbild der Dienstgemeinschaft nicht vereinbar, weil nicht nur das Mitwirken an der Erfüllung des Sendungsauftrags nicht suspendiert werden könne, sondern auch weil die Dienstgemeinschaft grundsätzlich auf ein gemeinsames Miteinander und nicht auf dem Dissens aufbaue.286 Auch wenn dies von einem wachsenden Teil in der Literatur bestritten und insoweit das Streikrecht mit dem christlichen Selbstverständnis für vereinbar erklärt wird,287 ändert dies nichts daran, dass dennoch eine eigene Angelegenheit der Kirchen vorliegt. Die soeben angesprochene Kritik zielt nämlich bereits auf die Zulässigkeit des Inhalts der kirchenrechtlichen Ausgestaltung und bejaht damit stillschweigend die Frage, ob die Ausgestaltung des Koalitionssystems samt Streikverbots eine kircheneigene Sache ist. Es kommt aber für die hier zu beantwortende Frage zunächst alleine darauf an, ob eine be284  Siehe

dazu ausführlich unten S. 218 ff., 402 ff. Ziele und Beteiligte des Arbeitskampfes, in: Richardi / Wißmann /  Wlotzke / Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 2, 3. Aufl. 2009, § 194 Rn. 1 ff.; Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, 2006, S. 118 ff.; vgl. ausführlich dazu bereits oben S. 51 ff. 286  Ausführlich dazu Robbers, Streikrecht in der Kirche, 2010, S. 41 ff.; Richardi (Fn. 281), § 10 Rn. 10 ff.; Kreß (Fn. 281), 23 ff; vgl. ders. (Fn. 276), 54; Richardi (Fn.  276), 738 ff.; Thüsing (Fn. 276), 913 f. 287  Nitsche, Streik in Sonderbereichen, in: Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, 3. Aufl. 2011, § 18 Rn. 67 ff.; Kreß (Fn. 281), 23 ff.; Kühling, Arbeitskampf in der Diakonie, in: AuR 2001, 241 ff.; Keßler, Die Kirchen und das Arbeitsrecht, 1986, S.  275 ff.; von Nell-Breuning, Mitarbeiter in kirchlichem Dienst, in: AuR 1979, 1 ff.; Hammer, Handbuch kirchliches Arbeitsrecht, 2002, S. 298 ff.; Deutscher Caritasverband u. a., Informationen zum Dritten Weg der Kirchen im Arbeitsrecht, in: Kämper /  Thönnes (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 46 (2012), 198 ff. 285  Ricken,

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

stimmte Angelegenheit vom christlichen Selbstverständnis beeinflusst wird. Falls ja, liegt eine kircheneigene Angelegenheit vor und die Kirchen haben grundsätzlich eine entsprechende Normsetzungsbefugnis. Wie weit diese reicht, ist dabei natürlich noch nicht entschieden.288 (3) Das Mitarbeitervertretungssystem als eigene Angelegenheit Deutlich schwieriger zu beurteilen ist die dritte Säule, die ein kircheneigenes Mitarbeitervertretungssystem beinhaltet. Insbesondere steht im Zentrum die Frage, ob die Kirchen tatsächlich ein gänzlich eigenes Mitarbeitervertretungssystem installieren dürfen. Im Unterschied zum Koalitionssystem, das eine gänzlich andere – auf dem Konsensprinzip aufbauende – Ausrichtung als das staatliche Pendant erfährt, gibt es zwischen weltlichem und kirch­ lichem Mitarbeitervertretungssystem nicht solch wesentliche Unterschiede, dass ein gänzlich eigenes System der Kirchen notwendig wäre. Es ist nachvollziehbar, dass das kircheneigene Koalitionssystem eine vollständige kirchliche Ausgestaltung erfährt – nicht zuletzt, weil staatliche Bestimmungen aufgrund der gänzlich differenten Ausrichtung des Tarifvertragssystems ohnehin nicht, auch nicht teilweise, auf das kirchliche System Anwendung finden könnten. Im Bereich des Mitarbeitervertretungssystems gilt dies jedoch nicht: Beide Systeme haben dieselbe Ausrichtung. Daher ist es an dieser Stelle besonders bedeutsam, inwieweit das kirchliche Selbstverständnis das Mitarbeitervertretungssystem beeinflusst. In Rechtsprechung und Literatur wird überwiegend das gesamte Betriebsverfassungssystem als vom kirchlichen Selbstverständnis beeinflusst angesehen. Das zeige sich insbesondere daran, dass § 118 Abs. 2 BetrVG nach verbreiteter Meinung eine von Art. 137 Abs. 3 WRV geforderte Norm bilde, die nur „das verfassungsrechtlich Gebotene“ widerspiegele.289 § 118 Abs. 2 Be288  Zur Reichweite des Normsetzungsrechts in Bezug auf das Koalitionssystem siehe unten S. 402 ff. 289  BVerfGE 46, 73 (94); BAG, AP Nr. 25 zu Art. 140 GG; Richardi (Fn. 281), § 16 Rn. 19 ff.; ders., Mitarbeitervertretungsrecht der Kirchen, in: ders. / Wißmann / Wlotzke / Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 2, 3. Aufl. 2009, § 331 Rn. 2; ders., Kirchenautonomie und gesetzliche Betriebsverfassung – zum Fall Goch des Bundesverfassungsgerichts, in: ZevKR 23 (1978), 367 ff.; Forst, in: Richardi (Hrsg.), BetrVG, 16. Aufl. 2018, § 118 Rn. 22 ff.; Jurina, Das Dienst- und Arbeitsrecht der Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland, 1979, S.  151 ff.; Rüthers, Kirchenautonomie und gesetzlicher Kündigungsschutz, in: NJW 1976, 1918 (1922); Mayer-Maly, Das staatliche Arbeitsrecht und die Kirchen, in: Krautscheidet / Marré (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 10 (1976), 127 (144 ff.); Kania, in: Müller-Glöge / Preis / Schmidt (Hrsg.), Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 18. Aufl. 2018, § 118 BetrVG Rn. 28; Werner, in: Rolfs /  Giesen / Kreikebohm / Udsching (Hrsg.), Beck-OK ArbR, Stand: Dezember 2018,



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht95

trVG sei – so eine häufige Formulierung – „verfassungsfest“.290 Insbesondere die Anerkennung des § 118 Abs. 2 BetrVG durch das BVerfG291 wird teilweise als Anlass genommen, die Diskussion um die Streichung oder Änderung der Ausklammerungsvorschriften sein zu lassen.292 Zwar wird im gleichen Zuge darüber gestritten, ob § 118 Abs. 2 BetrVG zugleich an die Kirchen nur die Erwartung oder aber auch eine rechtliche Verpflichtung sendet, ein eigenes Mitarbeitervertretungssystem zu schaffen.293 Dies spielt hier jedoch insoweit keine Rolle, als es einmal ein umfassendes kirchliches Regelwerk gibt und zum anderen der Streit keine Auswirkungen darauf hat, dass die Kirchen vom staatlichen Betriebsverfassungssystem vollständig freigestellt sind. In jedem Fall wird nach dieser Vorstellung das gesamte kircheneigene Mitarbeitervertretungssystem vom Selbstbestimmungsrecht der Kirchen getragen. Diese Ansicht vermag jedoch nicht zu überzeugen.294 Hintergrund ist, dass es – zumindest bislang – für eine Notwendigkeit der vollständigen Abspaltung von weltlichem und kirchlichem Mitarbeitervertretungssystem an hinreichenden theologischen Begründungen mangelt. Insbesondere die Literatur, die in § 118 Abs. 2 BetrVG eine einfachgesetzliche Ausdrucksform zwingenden Verfassungsrechts sieht, lässt wie die Kirchen eine hinreichende Legitimationsanzeige vermissen.295 So wird zwar insbesondere von den Kirchen erneut das Leitbild der Dienstgemeinschaft angeführt, dessen Zielrichtungen § 118 BetrVG Rn. 20; Müller, Staatskirchenrecht und normatives Arbeitsrecht – eine Problemskizze, in: RdA 1979, 71 (73 ff.); Thüsing (Fn. 285), 27 m. w. N. 290  Jurina (Fn. 289); Mayer-Maly (Fn. 289), 114; Richardi (Fn. 281); vgl. Bietmann, Betriebliche Mitbestimmung im kirchlichen Dienst, 1982, S. 44 ff. 291  Gemeint ist die „Goch-Entscheidung“: BVerfGE 46, 73 ff. 292  Richardi (Fn. 281), § 16 Rn. 34; vgl. Schwerdtner, Kirchenautonomie und Betriebsverfassung, in: AuR 1979, Sonderheft Kirche und Arbeitsrecht, 21 (21). 293  Vgl. Joussen, Grundlagen, Entwicklungen und Perspektiven des kollektiven Arbeitsrechts der Kirchen, in: Kämper / Thönnes (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 46 (2012), 53 (61 f.); Classen (Fn. 276), 451 f.; Hollerbach, Das Staatskirchenrecht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – Teil 2, in: AöR 106 (1981), 218 (244 ff.); Hanau (Fn. 276), 67; Dütz, Aktuelle kollektivrechtliche Fragen des kirchlichen Dienstes, in: Krautscheidt / Marré (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 18 (1984), 67 (72 f.). 294  So im Ergebnis auch Herschel, Kirchliche Einrichtungen und Betriebsverfassung – zum Beschluß des Bundesverfassungsgerichts v. 11.10.1977, in: AuR 1978, 172 (173 ff.); Ruland, Die Sonderstellung der Religionsgemeinschaften im Kündigungsschutzrecht und in den staatlichen Mitbestimmungsordnungen, in: NJW 1980, 89 (97 f.); Schwerdtner (Fn. 292), 22 ff.; Bietmann (Fn. 290), 48 ff.; Weiss / Weyand, Betriebsverfassungsgesetz, 3. Aufl. 1994, § 118 Rn. 23; vgl. Classen (Fn. 276), 450, der zwar ähnliches Ergebnis formuliert, aber keine richtige Begründung (mit Ausnahme der erhöhten Begründungslasten) liefert und insoweit äußerst vage bleibt. Vgl. Richardi (Fn. 281), § 16 Rn. 20 ff. 295  Schwerdtner (Fn. 292), 24.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

mit einer im Wesentlichen auf Antinomie und Dualismus von Mitarbeiter und Dienstgeber ausgerichteten weltlichen Arbeitswelt in diametralem Widerspruch stünde, die mithin mit der betrieblichen Mitbestimmung den Mitarbeitern ein Recht einräume, Haltungen und Planungen ihres Arbeitgebers „kämpferisch“ blockieren zu können.296 Allerdings endet zumeist hier die Argumentation oder verliert sich in der Wiederholung der These.297 So wird an keiner Stelle hinreichend deutlich gemacht, inwieweit das Leitbild der Dienstgemeinschaft Auswirkungen auf den Inhalt des kircheneigenen Mitarbeitervertretungsrechts hat und gerade eine Abweichung zum weltlichen Vorbild erfordert. Zwar ist zuzugeben, dass „Art und Umfang der innerbetrieblichen Mitbestimmung maßgeblichen Einfluss auf die Leitung und Organisation der Dienststelle haben“.298 Dies erklärt zwar, weshalb es für die Kirchen – nebenbei: dem Grunde nach auch für alle anderen Arbeitgeber – von Bedeutung ist, grundsätzlich ein eigenes System konstituieren zu dürfen. Allerdings erklärt und legitimiert dies keineswegs, inwiefern die einzelne Ausgestaltung des kircheneigenen Mitarbeitervertretungssystems – auf die es ja gerade ankommt – durch das theologische Selbstverständnis begründet wird. Es reicht gerade nicht aus, die grundsätzliche Bedeutung eines eigenen Systems zu beschreiben; es kommt vielmehr auf die Notwendigkeit der einzelnen Inhalte an. Andernfalls dürften die Kirchen auch bei den Loyalitätspflichten lediglich begründen, weshalb über die gewöhnlichen Vertragspflichten hinausgehende Loyalität von entscheidender Bedeutung sei, ohne dies auf den Inhalt der einzelnen Loyalitätspflicht beziehen zu müssen. Das wird dem verfassungsrechtlichen Selbstbestimmungsrecht der Kirchen nach Art. 137 Abs. 3 WRV aber nicht gerecht. Eigene Angelegenheiten liegen nur vor, wenn die Kirchen plausibel darlegen, weshalb die kirchliche Entscheidung auch kirchlich geprägt ist. Das pauschale Verweisen auf die Dienstgemeinschaft reicht für das vollumfassende Mitarbeitervertretungssystem nicht aus. Es stellt sich daher zunehmend die Frage, ob das christlich-theologische Selbstverständnis überhaupt ein umfassendes kircheneigenes Mitarbeitervertretungssystem erfordert. Das zeigt sich nicht zuletzt auch daran, dass die Kirchen selbst zu Beginn der Bonner Republik bei der Frage der Reichweite 296  Scheffer / Leser, Das Mitarbeitervertretungsrecht der evangelischen Kirche und ihrer Diakonie, 2. Aufl. 1990, S. 6; Jurina, Dienst- und Arbeitsrecht in der katholischen Kirche, in: Krautscheidt / Marré (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 10 (1976), 57 (89 ff.); Thimme, Theologische Gründe für ein kirchliches Arbeitsrecht, in: epd-Dokumentation 13, 1978, 39 (39 f.); vgl. Schwerdtner (Fn. 292), 23. 297  Vgl. Bietmann (Fn. 290), 49, der der Literatur vorwirft, „in der ständigen Wiederholung der Hauptthese stecken“ zu bleiben. 298  Jurina (Fn.  289), 151; siehe auch Richardi, Goch (Fn. 289), 381; ders. (Fn. 281), § 16 Rn. 23; Mennemeyer, „Dritter Weg“ und rechtliche Grenzen der Flexibilisierung des Arbeitsrechts der katholischen Kirche, 2012, S. 83 ff.



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht97

des weltlichen Betriebsverfassungs- und Personalvertretungssystems kaum theologische Argumente anführen konnten, sondern lediglich auf eine Kirchenspaltung hinwiesen, waren doch die christlichen Kirchen im System der ehemaligen DDR vom Betriebsverfassungsrecht ausgeklammert.299 Diesem Argumentationsstrang schloss sich der damalige westdeutsche Gesetz­geber zwar an; damit beruht aber die Ausklammerung der Kirchen nach § 118 Abs. 2 BetrVG – bezüglich des Betriebsverfassungssystems, nicht bezüglich des Koalitionssystems!300 – keinesfalls auf einer Respektierung des theologischen Selbstverständnisses, sondern vielmehr auf inhaltlich-rationalen Systemüberlegungen, die ein kircheneigenes Mitarbeitervertretungssystem rechts­ politisch vernünftig erscheinen ließ.301 Insofern ist in § 118 Abs. 2 BetrVG auch kein Spiegelbild verfassungsrechtlicher, weil sich aus Art. 137 Abs. 3 WRV ergebender Gebotenheit zu sehen. Damit soll – entgegen einem Teil der Literatur302 – insgesamt zwar nicht behauptet werden, die Dienstgemeinschaft könne niemals und unter keinen Umständen Legitimationsgrundlage eines vollumfänglichen kircheneigenen Betriebsverfassungssystems sein. Allerdings ist zu konstatieren, dass das pauschale Abstellen auf die Dienstgemeinschaft unergiebig ist und es derzeit an darüber hinausgehenden hinreichend plausiblen Begründungen mangelt.303 Letztlich ist es nahezu bei jeder Regelung der kirchlichen Mitarbeitervertretungsgesetze schwierig, den Inhalt besagter Regelung auf die Dienstgemeinschaft zurückzuführen. Dies liegt zunächst daran, dass die Kirchen selbst die Mitbestimmung per se als Ausfluss der christlichen Dienstgemeinschaft auffassen und damit eigent299  Siehe BT-Drs. 1952, I / 1385, S. 18; vgl. Bietmann (Fn. 290), 41 ff.; Richardi (Fn. 281), § 16 Rn. 6 ff.; Schwerdtner (Fn. 292), 22; Ruland (Fn. 294), 92 (Fn. 50), der allerdings dennoch von einem objektiv festzustellenden Verfassungsbezug ausgeht. 300  Dazu ausführlich oben S. 56 ff. 301  Herschel (Fn. 294), 173, spricht von „parlamentarisch-taktische[n] Gesichts­ punkte[n]“. 302  Aus theologischer Sicht eindeutig von Nell-Breuning, Kirchliche Dienstgemeinschaft, in: Stimmen der Zeit 195 (1977), 705 (706 ff.), der den Ausschluss des weltlichen Arbeitsrechts generell nicht auf die Dienstgemeinschaft stützen will: „Nachdem die Kirche sich darauf eingelassen hat, Mitarbeiter im Lohnarbeitsverhältnis einzustellen, muß sie auch alle rechtlichen Forderungen, die das Lohnarbeitsverhältnis mit sich bringt oder nach sich zieht, gegen sich gelten lassen“. Aus weltlichrechtlicher Sicht insbesondere Bietmann (Fn. 290), 50 f.: „Es ist auch gar nicht einzusehen, warum die Bildung einer Interessenvertretung kirchlicher Mitarbeiter, mag sie nun Betriebsrat, Personalrat oder anders heißen, die Ausübung der Glaubenslehre einschränken soll“; ebenso Ruland (Fn. 294), 97; Schwerdtner (Fn. 292), 23 ff. 303  Vgl. Schwerdtner (Fn. 292), 27, der die staatlichen Ausklammerungen als „sachwidrig“ ansieht. Ebenso Herschel (Fn. 294), 174, nach dem § 118 Abs. 2 BetrVG „weder sachgerecht noch billig und weder mit dem Übermaßverbot noch mit dem Gleichbehandlungsgebot vereinbar“ sei.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

lich – entgegen dem Befund des aktuellen kirchlichen Mitarbeitervertretungssystems – kein Interesse an Abweichungen vom staatlichen Recht zu Lasten der Mitarbeiter haben dürften.304 Aber auch dadurch, dass die Kirchen von Beginn an zugegeben haben, ihr eigenes System eng an das weltliche Personalvertretungsrecht anlehnen zu wollen, wird die Suche nach dem Grund für ein kircheneigenes System problematischer.305 Es ist schwer – etwa anders als bei den Loyalitätsobliegenheiten oder dem Koalitionssystem –, die „Marke Kirche“ aus den vorliegenden Gesetzen herauszulesen: Die Dienstgemeinschaft gibt auf diese Fragen keine Antworten, weil sie dafür zu grobschichtig ist.306 Sie gibt nur Auskünfte über Angelegenheiten, die mit dem grundsätzlichen Verhältnis von Mitarbeitern und Dienstgebern und ihren gemeinsamen Auftrag in Verbindung stehen. Der Umstand, dass alle friedlich und gemeinsam auf ein Ziel hin zusammenarbeiten, erlaubt daher – wenn überhaupt – nur ausnahmsweise Aussagen über einzelne Ausgestaltungen einer Mitarbeitervertretung. So kann zwar mithilfe der Dienstgemeinschaft begründet werden, dass alle Mitabeitervertretungsmitglieder Konfessionsangehörige sein müssen.307 Für konkretere Ausgestaltungen vermag sie allerdings keine Hilfestellung zu geben.308 Selbst für die den Mitarbeitern besonders wichtige Frage, ob die Mitarbeitervertretungen Kündigungen zustimmen müssen oder nicht, ist der pauschale Hinweis auf die Dienstgemeinschaft nicht weiterführend, nicht zuletzt da es hier zu erheblichen Differenzierungen zwischen der katholischen Kirche und den evangelischen Landeskirchen kommt, wenn Letztere sogar über das weltliche Rechtssystem hinausgehen und den Mitarbeitern ein Zustimmungsrecht einräumen, während Erstere ih304  Vgl. Papst Johannes XXIII., Mater et Magistra, 1961, Nr. 91: „In jedem Fall aber sollten die Arbeiter an der Gestaltung der Angelegenheiten ihres Unternehmens aktiv beteiligt werden“; vgl. auch Bietmann (Fn. 290), 52 f. 305  Vgl. Frank, Grundsätze des Dienst- und Arbeitsrechts der evangelischen Kirche, in: Krautscheidt / Marré (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 10 (1976), 1 (16); Jurina (Fn. 289), 162; vgl. auch Bietmann (Fn. 290), 52. 306  Vgl. Bietmann (Fn. 290), 149: „Sie (d. i. die MAVO; VH) gibt zudem keine Antwort auf die Frage nach den Besonderheiten eines kirchlichen Mitbestimmungsrechts. Die MAVO-Präambel betont als Besonderheit das Prinzip der Dienstgemeinschaft. Die Umsetzung des theologisch begründbaren Prinzips im Text der MAVO scheitert jedoch“. 307  Richardi (Fn. 281), § 17 Rn. 12; Mayer-Maly, Erwerbsabsicht und Mitarbeiterbegriff, 1965, S. 21 ff. 308  Vgl. insbesondere auch Ruland (Fn. 294), 97: „Ihr (d. i. die Kirche; VH) verfassungsrechtlich garantiertes Selbstverwaltungsrecht macht zwar Ausnahmeregelungen zum Schutze ihrer religiösen Tendenz notwendig, nicht aber ihre völlige Herausnahme aus der Mitbestimmung. (…) Keine der Fragen (d. i. bestimmte Ausgestaltungsfragen; VH) (…) läßt sich unter Hinweis auf den kirchlichen Charakter der jeweiligen Einrichtung verneinen. Keines der angesprochenen Rechte würde ihn tangieren“.



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht99

ren Mitarbeitervertretungen nur ein Anhörungsrecht gewährt.309 Und diese lückenhafte theologische Legitimationsgrundlage betrifft nahezu alle Regelungen der kircheneigenen Mitarbeitervertretungsgesetze: Ob die Mitarbeitervertretung auf vier oder fünf Jahre gewählt wird, ob sie aus zehn oder zwölf Mitarbeitern besteht, ob nur solche Mitarbeiter gewählt werden können, die seit sechs oder seit neun Monaten im Betrieb mitarbeiten, ob die Mitarbeitervertretung in gleicher und unmittelbarer Wahl gewählt wird oder nicht, ob in ihr eine oder zwei Personen dauerhaft von der Arbeit freigestellt werden, ob sie bei Lohnfragen ein Zustimmungs-, oder nur ein Anhörungs- oder letztendlich gar kein Beteiligungsrecht innehat, ob sie Einfluss auf die an Fortbildungen teilnehmenden Mitarbeiter hat oder nicht, ob sie für betriebsinterne Feiern zuständig ist oder nicht, ob ihr Vorsitzender über Mehrheits- oder Verhältniswahl gewählt wird, ob sie Ausschüsse konstituieren darf oder nicht, ob sie beschlussfähig mit einfacher oder qualifizierter Mehrheit anwesender Mitglieder ist oder ob sie Beschlüsse mit der Mehrheit der anwesenden Mitglieder oder nur der gesetzlichen Mitgliederzahl treffen darf – das alles kann nicht alleine mit der Dienstgemeinschaft begründet werden. Es bedarf hier einer weitergehenden Auseinandersetzung mit den Regelungen der Kirchen und ihren theologischen Hintergründen, soll das kirchliche Mitarbeitervertretungssystem kein unreflektiertes und „verwirrendes Thesen- und Gedankenspiel“310 bleiben und sollen ein „fatal kritikloser Umgang mit den Grundrechten und eine naive Indienstnahme des Verfassungsrechts“ beendet werden.311, 312 Nach alldem lässt sich festhalten, dass ein vollumfängliches kircheneigenes Mitarbeitervertretungssystem zwar theoretisch legitimiert werden könnte, es derzeit aber an hinreichenden Ausführungen mangelt. Das pauschale Arbeiten mit der Dienstgemeinschaft reicht nur aus, um die wenigsten Ausgestaltungen in den Kirchengesetzen theologisch zu begründen. Ein vollumfassendes kircheneigenes Mitarbeitervertretungssystem kann nach derzeitigem Stand nicht mit dem Selbstverständnis und damit dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen legitimiert werden. Dabei ist von den Kirchen zu fordern, die Entscheidungen des kircheneigenen Mitarbeitervertretungssystems theologisch-inhaltlich gefestigt zu legitimieren. Solange dies nicht geschieht, können sich die Kirchen nicht auf ihr Selbstbestimmungsrecht nach Art. 137 Abs. 3 WRV berufen. Daher legen nicht nur die Entstehungsgeschichte der 309  Siehe

dazu bereits oben S. 76 ff. (Fn. 290), 49. Selbst Richardi, Goch (Fn. 289), 387, muss dem insgesamt zustimmen. 311  Schwerdtner (Fn. 292), 23. 312  Vgl. auch das Fazit von Schwerdtner (Fn. 292), 28: „Ebenso wichtig ist es jedoch, die totalen Bereichsausnahmen der §§ 118 Abs. 2 BetrVG und 112 BPersVG überzeugend zu begründen“. 310  Bietmann

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die Kirchen ausklammernden staatlichen Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsrechtsregelungen, sondern auch der derzeitige Fundus an theologischer Begründung diesen Befund nahe: Das kircheneigene Mitarbeitervertretungssystem beruht nicht auf einer Anerkennung des christlich-theologischen Selbstverständnisses, sondern vielmehr auf einem rechtspolitischen Zugeständnis an die Kirchen. Infolgedessen kann § 118 Abs. 2 BetrVG auch nicht als „verfassungsfest“ oder als Ausdruck zwingender „verfassungsrechtlicher Gebotenheit“ bezeichnet werden. Soweit Rechtsprechung313 und Literatur etwas Gegenteiliges behaupten, fehlt es an einer hinreichend differenzierenden und insoweit verfassungsrechtlich notwendigen Auseinandersetzung. Zu beachten ist weiter, dass der Umstand, dass sich die Kirchen im Bereich der Mitarbeitervertretung nicht gänzlich auf ihr Selbstbestimmungsrecht berufen können, nichts an dem persönlichen Anwendungsbereich des § 118 Abs. 2 BetrVG ändert. Nach überwiegender Meinung ist § 118 Abs. 2 ­BetrVG auf alle Einrichtungen anwendbar, die – neben den Kirchen – vom 313  In der Literatur ist die Einordnung der Rechtsprechung des BVerfG umstritten. Während der entsprechende Beschluss teilweise als Anerkennung des § 118 Abs. 2 BetrVG als „verfassungsfeste“ Regelung angesehen wird (insbesondere Richardi, Goch [Fn. 289], 412), verweist ein anderer Teil der Literatur (insbesondere Bietmann [Fn. 290], 45 ff.) darauf, das BVerfG habe nur festgestellt, dass zwischen den Interessen der Mitarbeiter und der Kirchen im Sinne der praktischen Konkordanz ausgeglichen werden müsse. Tatsächlich ist bei der Einordnung der Rechtsprechung zu differenzieren: Einerseits hat das BVerfG in seinem Beschluss, in dem es ohnehin nicht um die verfassungsrechtliche Stellung des § 118 Abs. 2 BetrVG, sondern um den personellen Anwendungsbereich der Ausklammerung vom staatlichen Betriebsverfassungsrecht ging, lediglich erklärt, § 118 Abs. 2 BetrVG nehme auf das „verfassungsrechtlich Gebotene“ Rücksicht, und hierbei direkt auf eine ältere Entscheidung verwiesen, die nur die praktische Konkordanz zwischen Interessen der Kirche und der Mitarbeiter und gerade nicht eine vollständige Ausklammerung der Kirchen erfordere (BVerfGE 42, 312 [331 ff.]). Das bedeutet aber nicht – wie die entsprechende Literatur meint –, dass damit die vollständige Ausklammerung der Kirchen aus dem Betriebsverfassungsrecht verfassungsrechtlich nicht begründet werden könne. Wenn das Gericht die Regelung des § 118 Abs. 2 BetrVG insgesamt als Ausdruck des so verstandenen „verfassungsrechtlich Gebotene[n]“ ansieht, drückt es vielmehr damit aus, dass die vollständige Ausklammerung der Kirchen der praktischen Konkordanz gerade entspreche, also verfassungsrechtlich zulässig sei. Was die Rechtsprechung indes tatsächlich damit nicht konstatiert, ist, dass § 118 Abs. 2 BetrVG zwingend geboten sei, es also keine Alternativen gäbe (so aber Richardi, Goch [Fn. 289], 412). Insoweit ist der ersten Meinung zuzuerkennen, dass das BVerfG § 118 Abs. 2 BetrVG als verfassungskonform ansieht und – das ist zunächst hierfür entscheidend – das gesamte kircheneigene Mitarbeitervertretungssystem auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht stützt. Gleichzeitig ist der letzteren Meinung zuzugestehen, dass eine Einschränkung der Ausklammerung nach der Rechtsprechung nicht per se verfassungswidrig wäre, also in § 118 Abs. 2 BetrVG gerade kein alternativloses verfassungsrechtliches Gebot zu sehen ist.



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht101

Schutzbereich des Art. 137 Abs. 3 WRV umfasst sind.314 Dem ist zuzustimmen.315 Denn auch wenn § 118 Abs. 2 BetrVG kein verfassungsrechtliches Gebot zugrunde liegt, hindert das den Gesetzgeber freilich nicht, aus anderen (rechtspolitischen) Gründen, die entsprechenden Freiheitsrechtsträger zu fördern. Nur weil der Gesetzgeber aus sachlich-inhaltlichen Gründen und nicht aus einer verfassungsrechtlichen Notwendigkeit heraus die Kirchen vom Betriebsverfassungsrecht freistellt, ist es deshalb nicht unzweifelhaft, dass damit alle Einrichtungen profitieren sollten, die auch am Selbstbestimmungsrecht teilhaben.316 Dass dieses Selbstbestimmungsrecht hinsichtlich des sachlichen Schutzes nicht einschlägig ist, spielt dabei keine Rolle. Es bedeutet nur, dass die Kirchen und ihre Einrichtungen in einem verfassungsrechtlichen Streit nicht flächendeckend Art. 137 Abs. 3 WRV ins Felde führen können. Allerdings bedeutet dies noch keineswegs, dass die Kirchen nicht dennoch ihr kircheneigenes Betriebsverfassungssystem errichten dürfen. Die Kirchen können sich in diesem Bereich nur nicht gänzlich auf ihr Selbstbestimmungsrecht berufen. Aber auch wenn Art. 137 Abs. 3 WRV nicht zugunsten der Kirchen in Stellung gebracht zu werden vermag, können sich die Kirchen – wie andere Arbeitgeber auch – auf Art. 12 Abs. 1 GG berufen, ist die Berufsfreiheit doch auf Kirchen und ihre Einrichtungen als juristische Personen wesensgemäß nach Art. 19 Abs. 3 GG anwendbar.317 Die Berufsfreiheit der Kirchen vermag zwar – anders als Art. 137 Abs. 3 WRV – nicht ein kircheneigenes Betriebsverfassungssystem zu legitimieren, ist sie doch nicht auf kircheneigene Regelungen wie das kirchliche Selbstbestimmungsrecht ausgerichtet. Allerdings verbleibt dann die Aufgabe, den Ausgleich zwischen den Grundrechten der Mitarbeiter und den Kirchen als Dienstgeber vorzunehmen, zunächst immerhin – wenn nicht mehr bei den Kirchen – beim staatlichen 314  Insbesondere BVerfGE 46, 73 (85 ff.); vgl. BVerfGE 24, 236 (246 ff.); E 53, 366 (392); anders noch BAG, AP Nr. 12 zu § 81 BetrVG 1952; vgl. zum Umfang des persönlichen Schutzbereichs des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts ausführlich unten S.  111 ff. 315  Richardi (Fn. 281), § 16 Rn. 38 ff.; ders., Mitarbeitervertretungsrecht (Fn. 289), 3 ff.; Kania (Fn. 289), 30 f.; Forst (Fn. 289); Thüsing (Fn.  285), 28 ff. m. w. N.; Löwisch, Einrichtungen der Religionsgemeinschaften i. S. des § 118 Abs. 2 BetrVG und § 112 BPersVG, in: AuR 1979, Sonderheft: Kirche und Arbeitsrecht, 33 ff. 316  Richardi (Fn. 281), § 16 Rn. 55 ff. 317  Vgl. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 12 Rn. 175; BVerfGE 50, 290 (363), das die Anwendbarkeit des Art. 19 Abs. 3 GG auf juristische Personen allgemein wie folgt begründet: „Schutzgut des Art. 12 Abs. 1 GG ist bei juristischen Personen die Freiheit, eine Erwerbszwecken dienende Tätigkeit, insbesondere ein Gewerbe, zu betreiben, soweit diese Tätigkeit ihrem Wesen und ihrer Art nach in gleicher Weise von einer juristischen wie von einer natürlichen Person ausgeübt werden kann“; dies gilt freilich auch für die Kirchen in ihrer Funktion als Dienstgeber.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

Gesetzgeber, der allerdings freilich diese Aufgabe wieder (zurück) zu übertragen befugt ist.318 Insoweit ändert sich für die vom theologischen Selbstverständnis unbeeinflussten Gebiete des Mitarbeitervertretungssystems nur der verfassungsrechtliche Rahmen. Über die (Un-)Zulässigkeit des vollumfänglichen kircheneigenen Mitarbeitervertretungsrechts ist damit jedoch noch nichts gesagt. Dies soll indes an entsprechender Stelle geschehen.319 b) Der Modus der Reichweitebestimmung des kirchenspezifischen Arbeitsrechts Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen gilt nicht unbegrenzt, sondern nur „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“. Die Frage, wie diese Formel inhaltlich mit Leben zu füllen ist, kann man wohl als eine der umstrittensten Fragen des Religionsverfassungsrechts bezeichnen, nicht zuletzt erkennbar an der unüberschaubaren Anzahl an entsprechenden Publikationen.320 Das Problem der inhaltlichen Bestimmung der Schrankenformel liegt dem Grunde nach in der Differenz zwischen Wortlaut und zugewiesener Bedeutung und damit vorwiegend im rechtspolitischen Bereich. Nähme man den Begriff „für alle geltend“ zumindest wörtlich, bedeutete dies, dass jedes Gesetz, das sich an die Allgemeinheit richtet und damit nicht bloßes Sonderrecht für Kirchen oder andere Adressaten darstellt, die Selbstbestimmung der Kirchen zu begrenzen imstande ist.321 Dagegen wird jedoch schnell eingewandt, dass eine solche Auslegung der Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts angesichts dessen funktionaler Nähe zur Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1, 2 318  Allgemein dazu Wieland (Fn. 317), 116 ff.; BVerfGE 50, 290 (333 ff.). Vgl. zur Rückübertragung der Ausgestaltungsaufgabe an die Kirchen durch den Gesetzgeber unten S.  223 ff. 319  Zur (Un-)Zulässigkeit des kircheneigenen Mitarbeitervertretungssystems siehe ausführlich unten S. 479 ff. 320  Ausschnittsweise zu erwähnen sind insbesondere Bock, Das für alle geltende Gesetz und die kirchliche Selbstbestimmung – eine verfassungsrechtliche Untersuchung am Beispiel des Amtsrechts der evangelischen Kirchen, 1996; Borowski (Fn.  250), 599 ff.; Unruh, GG (Fn. 233), 38 ff.; Mikat, Staat, Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Benda / Maihofer / Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl. 1994, § 29 Rn. 25 f.; Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften – Studien zur Rechtsstellung der nach Art. 137 Abs. 5 WRV korporierten Religionsgesellschaften in Deutschland und in der Europäischen Union, 2003, S. 156 ff.; Korioth (Fn.  233), 44 ff.; Germann, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Beck-OK GG, Stand: November 2018, Art. 140 Rn. 41 ff. 321  Dieses formale Verständnis war insbesondere zu Zeiten der Weimarer Republik en vogue, siehe Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, 1987 (14. Aufl. 1933), S. 636 f.; vgl. auch Morlok (Fn. 233), 60 f.



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht103

GG nicht entspreche.322 Denn zu Recht begründet eine solche Auslegung eine enorme Einschränkbarkeit bis hin zur Möglichkeit staatlicher Aufsicht. Das ist aber (rechtspolitisch) nicht gewollt, spricht man der Religion und dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen doch eine viel größere Bedeutung zu. Es geht also um die Diskrepanz zwischen dem, was die Norm eigentlich sagt, und dem, was die Norm bedeuten soll. So nimmt es kein Wunder, dass sämtliche anderen Interpretationsvorschläge mit der Wortbedeutung nicht in Zusammenhang gebracht werden können. Insbesondere Joachim Heckel hat die eingangs dargestellte formale Definition kritisiert und dies – zu Zeiten der Weimarer Republik freilich nicht mittels funktionalen Bezugs zur Religionsfreiheit – insbesondere mit der institutionell-organisatorischen Funktion des Selbstbestimmungsrechts begründet.323 Eine Bestimmung der Schrankenformel als „für jedermann geltend“ sei nur maßgeblich im Falle einer freiheitlichen Sichtweise auf das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. Heckel schlägt insoweit vor, unter dem „für alle geltenden Gesetz“ im Sinne eines institutionellen Verständnisses jede Rechtsnorm zu verstehen, die aus Sicht der Allgemeinheit Schranke der Selbstbestimmung der Kirchen sein und nach der der kirchliche Bereich institutionell verkleinert werden müsse, weil sie ein „für die Gesamtnation als politische Kultur- und Rechtsgemeinschaft unentbehrliche[s] Gesetz“ darstelle.324 Diese häufig als „Heck’sche Formel“ bezeichnete Definition vermag dabei freilich nicht zu überzeugen.325 Der Begriff der Unentbehrlichkeit ist selbst sehr vage und kann daher kein taugliches Kriterium darstellen, zumal die Unentbehrlichkeit – wie verschiedene historische Epochen beweisen – für Kirchen geradezu unerträgliche und religionszerstörende Folgen haben kann. Der Versuch der „praktischen Konkordanz“ und damit eines angemessenen Ausgleichs würde damit nicht unternommen, die allgemeine Freiheitsrechtsdogmatik ohne triftigen Grund verlassen.326 Schließlich entspricht auch die dominierend institutionelle Betrachtungsweise des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts nicht mehr der Realität, zumal die notwendige Verbindung von „für jedermann geltend“ und freiheitlich-individualistischer Bedeutung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts nicht gänzlich einleuchten kann. 322  Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn. 233), 171; Isak (Fn. 241), 231; vgl. Morlok (Fn. 233), 62. 323  Heckel, Das staatskirchenrechtliche Schrifttum der Jahre 1930 und 1931, in: VerwArch 37 (1932), 280 ff.; vgl. auch Hesse (Fn. 233), 544 f. 324  Heckel (Fn. 323), 282. 325  Sie wird daher heute auch nicht mehr vertreten, vgl. dazu insbesondere Hesse (Fn. 233), 544; Morlok (Fn. 233), 60; Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn. 233), 171. 326  Zur „praktischen Konkordanz“ als Moment allgemeiner (Grundrechts-)Dogmatik siehe insbesondere Hesse (Fn. 232), 308 ff.; Dreier (Fn. 257), 149; Hillgruber, Grundrechtsschranken (Fn. 232), 72 ff.; vgl. auch BVerfGE 76, 1 (51).

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

Der besondere Hinweis des Wortlauts „alle“ auf das Verbot von Sonderrecht gegen die Kirchen leuchtet vielen ein, wird aber nahezu einhellig um materiale Kriterien ergänzt,327 um die besondere Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts hervorzuheben – sprich: seine Einschränkbarkeit zu minimieren. Zwei Vorschläge stehen hier im Raum, die jedoch im Ergebnis kaum methodische Unterschiede aufweisen. Im Einzelnen: Die so genannte Bereichslehre328 bleibt bei der formalen Auslegung, d. h. bei dem Verbot von Sonderrecht, beschränkt aber vorab dessen Anwendungsbereich. Insoweit seien die „eigenen Angelegenheiten“ zu unterteilen in einen rein innerkirchlichen und einen außerkirchlichen Bereich. Während in Ersterem überhaupt keine Einschränkung zulässig sei (Kernbereich), gelte in Letzterem der formal verstandene Schrankenvorbehalt. Gegen diese Lehre wird – man mag beinahe „plötzlich“ sagen – der Wortlaut des Art. 137 Abs. 3 WRV angeführt, nach dem der Schrankenvorbehalt für alle Angelegenheiten gelte, eine Unterscheidung zwischen Kern- und Außenbereich mithin nicht ersichtlich sei.329 Wichtiger aber noch sei, dass die Unterscheidung zwischen Kernund Außenbereich nicht auf einer definitorisch festgelegten Grundlage beruhe, sondern selbst das Ergebnis einer nicht offengelegten Wertung darstelle und damit nichts Anderes sei als eine vorgeprägte Abwägungsentscheidung.330, 331 Die heute überwiegende Meinung bevorzugt daher ein Abwägungsmodell.332 Danach wird das kirchliche Selbstbestimmungsrecht vorwiegend im Kontext anderer (Verfassungs-)Güter gesehen, weswegen es nur „in Rücksicht auf das zwingende Erfordernis friedlichen Zusammenlebens von Staat und Kirche“ sowohl die Selbstbestimmung der Kirchen, „als auch den staat327  Morlok

(Fn. 233), 62. wird teilweise auch von der Rspr. vertreten, siehe BVerfGE 18, 385 (387 f.); E 66, 1 (20); vgl. Morlok (Fn. 233), 62 m. w. N.; aus der Literatur siehe nur Quaritsch, Kirchen und Staat, in: ders. / Weber (Hrsg.), Staat und Kirchen in der Bundesrepublik, 1967, 265 (288 ff.); vgl. Bock (Fn. 320), 277 ff. 329  Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn.  233), 172; Bock (Fn. 320), 181  ff.; Hesse (Fn. 233), 550. 330  Insbesondere Morlok (Fn. 233), 62, 63, der von einer „verkappte[n] Abwägungslehre“ (63) spricht. 331  Diese Kritik ist vergleichbar mit der Argumentation bei der Frage nach Tatbestands- oder Abwägungslösung im allgemein grundrechtsdogmatischen Bereich (vgl. unten S. 102, 275 ff.). Dort werden enge Tatbestandsbegrenzungen ebenfalls als vorgezogene Abwägungsergebnisse ohne Argumentationsoffenlegungspflichten angesehen. Zwar geht es hier nicht um den Tatbestand des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts, sondern um die Frage der Schrankenbestimmung. Die Argumentationsstruktur ist aber dieselbe. 332  BVerfGE 53, 366 (400); E 66, 1 (20); E 70, 138 (167); E 72, 278 (289); Hesse (Fn.  233), 549 ff.; Morlok (Fn. 233), 64; Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn. 233), 173; Korioth (Fn. 233), 28. 328  Sie



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht105

lichen Schutz anderer für das Gemeinwesen bedeutsamer Rechtsgüter“ gewährleiste.333 Damit könne die Reichweite des freiheitlichen Selbstbestimmungsrechts der Kirchen nicht anhand formaler Kriterien, sondern (nur) durch im Einzelfall festzustellende materielle Grenzen bestimmt werden.334 Analog zu der bundesverfassungsgerichtlichen Judikatur zur Meinungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG wird hier mit dem Begriff der „Wechselwirkung“ zwischen kirchlichem Selbstbestimmungsrecht und durch die Schranke geschütztem Zweck gearbeitet.335 Der Anwendung der Abwägungslösung, d. h. der Notwendigkeit einer Abwägung, ist im Ergebnis zuzustimmen. Der Grund dafür liegt aber weniger in einer bestimmten Interpretation des Begriffs des „für alle geltenden Gesetzes“ als vielmehr in der konsequenten Anwendung freiheitsrechtlicher Dogmatik. Dem liegt die notwendige Differenzierung zwischen dem räumlichquantitativen und dem qualitativen Anwendungsbereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts – wie aller anderen Freiheitsrechte – zugrunde. Auf räumlich-quantitativer Ebene stellt sich die Frage, auf welchen Gebieten, in welchen Bereichen Kirchen eigene Regelungen setzen und entsprechend umsetzen dürfen. Diese Frage wird aber allein durch den Anwendungsbereich, d. h. den Tatbestand des Art. 137 Abs. 3 WRV, also mittels des Merkmals der „eigenen Angelegenheiten“, beantwortet. Gleichzeitig gestattet Art. 137 Abs. 3 WRV das selbstständige Ordnen und Verwalten eigener Angelegenheiten durch die Kirche nicht unbegrenzt, sondern nur „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“. Es handelt sich damit bei der Schrankenregelung um eine qualitative Begrenzung bzw. um einen qualitati333  BVerfGE 53, 366 (400; Herv. VH); vgl. Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn. 233), 173. 334  BVerfGE 53, 366 (404): „Daß diese Garantie nur ‚innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes‘ gegeben ist, besagt nicht, daß jegliche staatliche Rechtssetzung, sofern sie nur im Sinne eines klassischen Gesetzesbegriffs abstrakt und generell ist und aus weltlicher Sicht von der zu regelnden Materie her als vernünftig erscheint, ohne weiteres in den den Kirchen und ihren Einrichtungen zustehenden Autonomiebereich eingreifen könnte. Unabhängig von seiner formalen Ausgestaltung trifft vielmehr jedes in diesem Sinne dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht Schranken ziehende Gesetz seinerseits auf eine ebensolche Schranke, nämlich auf die materielle Wertentscheidung der Verfassung, die über einen für die Staatsgewalt unantastbaren Freiheitsbereich hinaus die besondere Eigenständigkeit der Kirchen und ihrer Einrichtungen gegenüber dem Staat anerkennt (…). Die Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundsatzes führt im Sinne einer Wechselwirkung dazu, daß über die formalen Maßstäbe des ‚für alle Geltens‘ hinaus sich je nach der Gewichtung der Berührungspunkte staatlicher und kirchlicher Ordnung für die staatliche Rechtsetzungsbefugnis bestimmte materielle Grenzen ergeben“; vgl. auch dazu Bock (Fn. 320), 143 f. (insb. 145). 335  BVerfGE 53, 366 (404); zu Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG siehe nur BVerfGE 7, 198 (208 ff.).

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

ven Geltungsbereich des Selbstbestimmungsrechts. Bereits nach der Formulierung des Art. 137 Abs. 3 WRV ergibt sich daher die Unzulässigkeit einer (nach der Bereichslehre vorgeschlagenen) genuinen Begrenzung der Schrankenregelung nur auf nicht zum kirchlichen Kernbereich gehörende Angelegenheiten. Der Schrankenvorbehalt gilt für den gesamten räumlichen Anwendungsbereich, d. i. für alle eigenen Angelegenheiten. Voraussetzung für eine Beschränkung ist dabei nur das Bestehen eines für alle geltenden (formellen) Gesetzes. Die Formulierung „für alle geltend“ weist dabei allein auf die oben bereits dargelegte Sonderrechtsformel hin. Ein Gesetz gilt für alle, wenn es nicht ausschließlich auf bestimmte Adressaten – in diesem Fall: Kirchen – beschränkt wird (und damit „Sonderrecht“ darstellt).336 Für andere Interpretationen, insbesondere aber für ein Rekurrieren auf eine Abwägung oder andere materielle Kriterien, lässt die Formulierung keinen Raum. Oder gilt ein Gesetz für alle, nur weil es einem Schutzgut dient, das zumindest theoretisch im Vergleich zum betroffenen Schutzgut überwiegt? Nichtsdestoweniger kommt es auf eine Abwägung an. Denn die Frage, inwieweit das Selbstbestimmungsrecht qualitativ reicht, kann nicht nach formellen Kriterien, d. h. pauschal, beantwortet werden. Es bedarf hier einer Betrachtung im Einzelfall. Denn je nach Fallkonstellation, d. h. je nach kirchlicher Regelung, steht der kirchlichen Selbstbestimmung ein anderes (Verfassungs-)Gut entgegen. Die Bestimmung des qualitativen Geltungsbereichs des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts ist dann von der Intensität der Betroffenheit der jeweiligen Güter sowie deren jeweiliger Gewichtung abhängig. Mit anderen Worten: Der qualitative Geltungsbereich ist nur mittels Güterabwägung zu bestimmen. Dies ergibt sich auch bereits aus einer konsequenten Anwendung der allgemeinen freiheitsrechtlichen Dogmatik: Die Abwägung, das Ziel der „praktischen Konkordanz“, ist das anerkannte Grenzziehungsmittel zwischen verschiedenen Freiheitsräumen. Das bedeutet, dass die Regelungsbefugnis der Kirchen in qualitativer Hinsicht nur bis zu einem bestimmten mittels Güterabwägung zu ermittelnden Punkt der zumutbaren Beeinträchtigung entgegenstehender (Verfassungs-)Güter reicht. Umgekehrt legt das Ergebnis der Güterabwägung den Bereich der Rechtfertigung staatlicher, das kirchliche Selbstbestimmungsrecht beschränkender Regelungen fest. Im Ergebnis ist die Güterabwägung nichts Anderes als das allgemein anerkannte Rechtfertigungsmittel staatlicher Freiheitsbeschränkungen. Es wundert daher, dass insbesondere in der Literatur das „Abwägungsmodell“ das Definitionsmoment der „für alle geltenden Gesetze“ zu sein scheint. So wird häufig – zumindest begrifflich – die Rechtfertigung der Beschrän336  Bock (Fn. 408), 277 ff; Korioth (Fn. 233), 48; Muckel (Fn. 238), 276. Insoweit wird an die Dogmatik des Art. 5 Abs. 2 GG angeknüpft, vgl. Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn. 233), 172; Morlok (Fn. 233).



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht107

kung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts mit der Bestimmung des „für alle geltenden Gesetzes“ gleichgesetzt.337 Zwar ist zuzugeben, dass eine „echte“ Schranke nur dann besteht, wenn der ihr zugrundeliegende Eingriff gerechtfertigt ist, also eine Abwägung die Zulässigkeit der staatlichen Regelung ergibt. Zu der allgemeinen freiheitsrechtlichen Typologie passen solche Formulierungen indes nicht. Die Abwägung begründet nicht, wann ein für alle geltendes Gesetz vorliegt, sondern ob ein für alle geltendes Gesetz tatsächlich einen Freiheitsbereich zulässig beschränkt oder nicht. Sie ist damit nicht Definitionsfaktor, sondern Verfassungsmäßigkeitsanforderung der Schranke, begründet also nicht die Zuordnung einer staatlichen Regelung als Schranke des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts, sondern klärt deren zulässige Reichweite. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Schranke des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts das „für alle geltende Gesetz“ ist. Dabei reicht zunächst jedes wirksame formelle Gesetz aus, das hinsichtlich der Kirchen kein Sonderrecht begründet. Erst auf der Ebene der qualitativen Begrenzung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts ist – wie bei jedem anderen Freiheitsrecht auch – mittels Abwägung zu ergründen, ob die staatliche Beschränkung gerechtfertigt ist. Mit der materiellen Bestimmung des Inhalts des „für alle geltenden Gesetzes“ hat die Abwägung dagegen nichts zu tun. c) Conclusio: das Verhältnis von staatlichem und kirchenspezifischem Arbeitsrecht Untersucht man das kirchliche Arbeitsrecht, ist auf erster Ebene nach dem „Wie“ seines rechtlichen Funktionierens, d. h. nach seiner Einordnung in die bestehende Rechtsordnung, zu fragen. Im Bereich der christlichen Kirchen steht stellvertretend dafür die Diskussion um die richtige Begrifflichkeit, die zwischen „kirchlichem Arbeitsrecht“338 und „Arbeitsrecht in der Kirche“339 schwankt340 und dabei nur eines von vielen Symptomen der übergeordneten 337  So erklärt Morlok (Fn. 233), 64, das Abwägungsprogramm als „inhaltliche Komponente, welche die formale beim Verständnis der Schrankenformel des für alle geltenden Gesetzes ergänzt“; auch Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn. 233), 173, sieht die Abwägung als Mittel zur „Bestimmung der Schranken des Selbstbestimmungsrechts“ und Hesse (Fn. 233), 529, 549 ff., definiert die Abwägungslösung als „sachliche(r) Zuordnung von konkret-geschichtlichen Bereichen“ (529). 338  So aber z. B. Richardi, Das kollektive kirchliche Dienst- und Arbeitsrecht, in: Listl / Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 66. 339  So der Titel von Richardi (Fn. 281). Insoweit ist sich Richardi über den richtigen Begriff scheinbar nicht einig (vgl. Fn. 338). 340  Vgl. dazu auch Hammer (Fn. 287), 109 f. Siehe dazu oben S. 25 ff.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

grundlegenden Problematik der Dogmatik des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts bildet. Im Arbeitsrecht zeigen sich deutlich die unmittelbaren Folgen der Auslegung des Art. 137 Abs. 3 WRV, namentlich der „eigenen Angelegenheiten“ oder der „für alle geltenden Gesetze“. Es geht dabei grundlegend um die Verzahnung und Zusammenwirkung und damit insgesamt um das Verhältnis von kirchlich und staatlich gesetztem Recht. So sehr die Frage nach Inhalt und Reichweite des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen in abstracto diskutiert und konkretisiert wurde, so deutlich zeigen sich die Schwierigkeiten bei der Umsetzung der auf diese Weise ermittelten Ergebnisse auf der Einzelfallsebene. Zwar ist klar, dass zu den „eigenen Angelegenheiten“ der Kirchen auch die Beziehungen zwischen ihnen als Dienstgeber und einzelnen Bürgern als Mitarbeiter gehören.341 Inwieweit jedoch das staatliche Recht hier den Kirchen Vorgaben bei Eingehung und Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse zu stellen befugt ist, ist damit keinesfalls klar: Gehört jede einzelne Frage bezüglich des Arbeitsverhältnisses zu den „eigenen Angelegenheiten“ der Kirchen? Oder nur solche, die mit einem religiösen Verständnis eng verbunden sind? Sind die staatlichen Arbeitsrechtsregelungen allesamt „für alle geltende Gesetze“, die die Kirchen wirksam beschränken dürfen? Will man diese Überlegungen auf eine einzige Frage herunterbrechen, so lautet diese: Erlaubt das kirchliche Selbstbestimmungsrecht ein rein kirchliches Arbeitsrecht, das demnach vollständig vom staat­lichen Recht abgekoppelt und selbstständig ist? Bei der Beantwortung dieser Frage stößt man auf ein zentrales Problem: Wie kann das Verhältnis von kirchlichem und staatlichem Recht einheitlich bestimmt werden, wenn es sich nach einem Freiheitsrecht richtet, dessen Anwendungsbereich („Schutzbereich“) vom Selbstverständnis des Freiheitsträgers und dessen Reichweite („Schranken“) von einer Abwägung im Einzelfall bestimmt werden? Beide Umstände lassen eine pauschalierte Antwort, wie sie nahezu einhellig versucht wird, zumindest als schwierig erscheinen. Aber mit der Beschreibung des Problems lässt sich bereits die These widerlegen, nach der auch im Bereich der Kirche ausschließlich das staatliche Arbeitsrecht anzuwenden sei, die kirchlichen Dienstgeber sich mithin nicht von Arbeitgebern weltlichen Charakters unterschieden, weil man sich nicht mehr im Bereich der eigenen Angelegenheiten der Kirchen befinde.342 Sie ist dogmatisch inkonsequent und missachtet das kirchliche Selbstbestimmungsrecht. Der Begriff der eigenen Angelegenheiten fällt nicht in den Defini­tionskompetenzbereich des Staates, sondern wird mit Hilfe des Selbst341  Siehe

dazu S. 81 ff. von Nell-Breuning (Fn. 302), 705 ff.; Herschel, Kirche und Koalitionsrecht, 1978, S.  33 f.; ders. (Fn. 294), 172 ff.; Wieland, Die verfassungsrechtliche Stellung der Kirchen als Arbeitgeber, in: DB 1987, 1633 ff. 342  So



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht109

verständnisses der Kirchen aufgefüllt. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, weshalb das Selbstverständnis und die religiösen Vorstellungen der Kirchen sich nicht auch auf Arbeitsverhältnisse beziehen sollten. Wie mit der Dienstgemeinschaft am Beispiel der christlichen Kirchen gezeigt werden kann, ist sogar das genaue Gegenteil der Fall.343 Eine Dienstleistung, ein Handeln, ein Tun ist in jedem Fall geeignet, religiöse Ansichten und Glaubenslehren zu berühren und von diesen geprägt zu werden.344 Es ist daher nicht verständlich, die Erbringung von Arbeitsleistung als religionsneutral einzustufen. Die vollständige Anwendung staatlichen Rechts und die vollständige Verdrängung kirchlicher Vorstellungen können auch nicht – wie es zum Teil getan wird345 – allein als „schlichte Folge einer Rechtswahl“346 installiert werden, nur weil die Kirchen sich dem Mittel des (staatlich programmierten) Arbeitsvertrags bedienen. Denn dies ist gerade Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts. Sie können je nach ihrem Selbstverständnis das gesamte staatliche Recht anwenden lassen, können es aber auch abändern und ihren religiösen Vorstellungen nach modifizieren, zumindest solange das Selbstbestimmungsrecht das hinter der jeweiligen staatlichen Arbeitsrechtsregelung stehende (Verfassungs-)Gut überwiegt. Es ist aber nicht klar, weshalb die Wahl einer Rechtsform die ansonsten gewährleistete Selbstverwaltung per se verdrängen sollte. Die letzte Überlegung gilt nicht nur für den Fall, dass das gesamte staat­liche Recht für kirchliche Arbeitsverhältnisse anwendbar ist, sondern auch für den Fall, dass eine teilweise Bindung der Kirchen an das staatliche Arbeitsrecht allein damit begründet wird, dass diese durch den Abschluss von Arbeitsverträgen an der Privatautonomie teilnehmen und daher zumindest grundsätzlich staatliches Arbeitsrecht beachten müssten: „Die Kirchen haben nicht die Möglichkeit, sich vom staatlichen Arbeitsrecht völlig zu lösen. Sie sind (…) auf die Nutzung der Formen des weltlichen Arbeitsrechts angewiesen“.347 Zuzugeben ist zwar, dass das staatliche Arbeitsrecht insofern eine Schranke des 343  Siehe

dazu ausführlich oben S. 28 ff. auch Richardi (Fn. 281), § 2 Rn. 14, der hinsichtlich des religiösen Bezugs zwischen Dienstleistungs- und Sachleistungsverträgen unterscheidet, wobei bei Ersteren gerade der organisationale Aspekt eine herausragende Rolle spielt: „Es geht nicht bloß um die Inanspruchnahme einer bestimmten Dienstleistung, sondern um den Eintritt in den Dienst eines der Kirche zugeordneten Arbeitgebers“. 345  von Nell-Breuning (Fn. 302); vgl. Richardi (Fn. 281), § 2 Rn. 5 ff., 21 ff. 346  BVerfGE 70, 138 (165). 347  Rüfner, Das kirchlich rezipierte und adaptierte Dienst- und Arbeitsrecht der übrigen kirchlichen Bediensteten, in: Listl / Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, 877 (880); vgl. auch Niebler, Abgestufte Loyalität?, in: ArchKathKR 159 (1990), 464 (465  f.); Richardi (Fn. 281), § 2 Rn. 2 f.; Hammer (Fn. 287), 112 f. 344  So

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

kirchlichen Selbstbestimmungsrechts darstellen kann.348 Inwiefern aber alleine die Teilnahme an der Privatautonomie einen grundsätzlichen Vorrang der damit verbundenen staatlichen Arbeitsrechtsregelungen begründen kann, ist nicht einleuchtend, zumal hier klare Begründungen vermisst werden, so dass es sich hier nicht um rechtliche Tatsachen, sondern lediglich um Behauptungen handelt.349 Ein Vorrang staatlichen Rechts kann auch nicht damit begründet werden, die Privatautonomie setze die staatliche „Rechtsordnung als Korrelat“350 voraus, weil mit ihr entsprechende „Ordnungsprobleme“ – wie beispielsweise die Frage nach der Geschäftsfähigkeit oder nach den Beendigungsmöglichkeiten des Verhältnisses – einhergingen. Dies mag zwar faktisch für die christlichen Kirchen zutreffen. Allerdings ist es nicht ausgeschlossen, dass nach den religiösen Vorstellungen und dem religiösen Selbstverständnis auch von diesen, ja womöglich von allen staatlichen Ordnungsregelungen Abweichungen erforderlich werden. Sofern eine solche von der staatlichen Ordnungsidee abweichende religiöse Vorstellung existiert, stellt sich die Frage der Zulässigkeit entsprechender Abweichungen allein anhand der Schrankenregelung des Art. 137 Abs. 3 WRV. Es kommt also auf eine Abwägung an, die jede kirchliche Abweichung vom staatlichen Arbeitsrecht begutachtet. Nur dann und anschließend kann eine Aussage darüber getroffen werden, ob und inwieweit staatliches Arbeitsrecht im kirchlichen Bereich Anwendung findet. Dabei zeigt sich wiederum die Funktion des Art. 137 Abs. 3 WRV als Reichweitebestimmungsregler staatlicher und kirchlicher Normen.351 Eine umfassende religionseigene Arbeitsrechtsordnung kann ferner nicht abgelehnt werden mit der Begründung, „daß den Kirchen eine außenwirksame Privatrechtsgesetzgebung grundsätzlich nicht zusteht, und zwar auch nicht gegenüber ihren Mitgliedern“.352 Angesprochen ist hier das Problem der bürgerlichen Wirksamkeit von Kirchennormen,353 wobei diese doch sehr 348  Rüfner (Fn. 347): „Die Normen des Zivilrechts und des Arbeitsrechts als Teil des Zivilrechts sind für alle geltende Gesetze, an die die Kirchen gebunden sind.“. 349  So formuliert, ja behauptet, – freilich ohne nähere Begründung – Rüfner (Fn. 347), 879 ff.: „Die Kirchen haben aber grundsätzlich nicht die Möglichkeit, Rechtsverhältnisse zu Dritten unabhängig von staatlichem Recht zu ordnen. Sie können insbesondere kein eigenes Privatrecht mit Außenwirkung und ähnlichen Folgen, wie sie ausländischem Recht zukommen, erlassen. Sie müssen sich der Gestaltungsmöglichkeiten des staatlichen Privatrechts bedienen, können freilich die Privatautonomie nutzen und damit regelmäßig die Rechtsverhältnisse den kirchlichen Interessen anpassen“; vgl. auch Hammer (Fn. 287), 112 f. 350  Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, 3. Aufl. 1979, S. 1; vgl. Richardi (Fn. 281), § 2 Rn. 32 ff. 351  Siehe dazu bereits oben S. 102 ff. 352  Rüfner (Fn. 347), 881. 353  Gemeint ist damit die Transformation kirchlichen Rechts in die weltliche Rechtsordnung durch einen Geltungsbefehl, vgl. dazu ausführlich unten S. 126 ff.



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht111

strikte These nicht weiter begründet wird. Ein Begründungsversuch könnte auch hier allgemein mit der Beschränkbarkeit des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts unternommen werden; diese Ausführung lässt aber aufgrund der notwendig vorzunehmenden Abwägung keine pauschalisierte Aussage zu. Auch wenn es derzeit nicht der Fall ist, bleibt es vorstellbar, dass nach bestimmten Religionsverständnissen eine solche Abweichung vom staatlichen Recht erforderlich wird, dass nahezu eine eigenständige kirchliche Arbeitsrechtsordnung entsteht. Wird diese Möglichkeit mit der „bürgerlichen Wirksamkeit“ negiert, so handelt es sich hier um einen Zirkelschluss. Zwar bedarf es für die Geltung einer privaten Rechtssetzung im Außen­ bereich eines staatlichen Geltungsbefehls.354 Dieser befindet sich aber gerade in Art. 137 Abs. 3 WRV selbst.355 Daraus folgt, dass all das kirchliche Recht bürgerliche Wirksamkeit entfaltet, das nach Art. 137 Abs. 3 WRV als zulässig anzusehen ist. Mit anderen Worten: Jede kirchliche Arbeitsrechtsregelung, die sich im Rahmen des Art. 137 Abs. 3 WRV bewegt, entfaltet bürgerliche Wirksamkeit. Ob also eine eigenständige kirchliche Arbeitsrechtsordnung bestehen kann, hängt im Einzelfall von der Abwägung mit den staatlichen Gütern ab. Vorab diese Möglichkeit zu verneinen mit dem Hinweis auf fehlende „bürgerliche Wirksamkeit“, ist damit widersprüchlich. 2. Die personelle Dimension: die Kirchen und ihre selbstständigen Einrichtungen als Begünstigte des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts Art. 137 Abs. 3 WRV gewährleistet allen Kirchen die Freiheit des selbstverantwortlichen Ordnens und Verwaltens. Es handelt sich folglich um ein rein korporatives Freiheitsrecht. Gleichzeitig entsteht die Frage, was unter einer Kirche zu verstehen ist, wobei weniger bei dem Begriff der „Gemeinschaft“ als vielmehr bei dem der „Religion“ Probleme aufkommen. Eine Kirche ist eine juristische Person, d. h. „Vereinigung, deren Zweck auf (…) [die] überindividuelle Dimension der Religion (…) gerichtet ist“.356

354  Allgemein dazu Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, 2013, S. 45 ff., mit Hinweis auf Germann, Die Gerichtsbarkeit der evangelischen Kirche, 2001, S. 62 ff. (unveröffentlicht); Kirchhof, Private Rechtssetzung, 1987, S. 107 ff.; Augsberg, Rechtsetzung zwischen Staat und Gesellschaft, 2003; Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, 2004, S. 53 ff. 355  Traulsen (Fn. 354), 45 ff.; Magen (Fn. 354). 356  Germann, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), BeckOK-GG, Stand: November 2018, Art. 4 Rn. 11 ff., 29.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

Es sei nur kurz darauf hingewiesen, dass bezüglich der Definitionskompetenz den Religionsbegriff betreffend Unklarheiten bestehen.357 Dabei wird sowohl das überwiegende358 Abstellen auf das Selbstverständnis der betroffenen Gemeinschaft, als auch das Abstellen auf objektive Kriterien propagiert.359 Dies ist hier allerdings nicht von großer Relevanz, geht es hier doch überwiegend um die katholische Kirche und die evangelischen Kirchen, die zweifelsohne als Kirchen zu qualifizieren sind.360 Für die Untersuchung relevanter, wenngleich nicht leichter zu beurteilen ist die Frage, inwiefern selbstständige, aber mit einer Kirche – thematisch wie organisatorisch – eng verbundene Einrichtungen von der Regelungsautonomie – insbesondere in arbeitsrechtlichen Sphären – profitieren können. Schwierigkeiten ergeben sich aus dem Umstand, dass es sich bei diesen Einrichtungen im Gegensatz zu bislang anerkannten Kirchen nur um die jeweilige Religion partiell und nicht umfassend lebenden und anwendenden Vereinigungen handelt. Im Übrigen weisen sie das Gesicht einer jeden weltlichen Einrichtung auf. Das gilt z. B. für die Caritas, die zwar mit dem katholischen Glauben verwachsen ist, ihn aber nur auf karitative oder gesundheitliche Zwecke (z. B. Kindergarten, Krankenhaus) begrenzt. Klar ist daher, dass es sich bei diesen Einrichtungen selbst nicht um eigenständige Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften handelt, geht es ihnen doch nicht um eine generelle Glaubensverbreitung und -anwendung.361 357  Siehe allgemein dazu Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn. 233), 91 ff.; Germann (Fn. 356), 11 f. 358  So kann das Selbstverständnis der betroffenen Gemeinschaft nicht ausschließlich maßgebend sein, würde dann doch die bloße Behauptung, Religion auszuüben, unter die Religionsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht fallen. Von daher werden objektive Maßstäbe herangezogen, deren Vorliegen jedoch vom Selbstbild der Kirche abhängig ist. So wird eine Religion mehrheitlich als ganzheitliches, sinnstiftendes und transzendentales Deutungssystem verstanden, wobei das Vorliegen dieser Merkmale überwiegend von einer plausiblen Selbstdarstellung der Betroffenen abhängt, vgl. Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn. 233), 95. 359  Für die Maßgeblichkeit des Selbstverständnisses insbesondere BVerfGE 24, 236 (247 ff.); E 46, 73 (85); E 53, 366 (401); Morlok (Fn. 241), 78 ff.; Huster, Die ethische Neutralität des Staates, 2002, S. 382 ff.; Borowski (Fn. 250), 251 ff. Für die Bestimmung des Religionsbegriffs mittels objektiver Kriterien von Campenhausen / de Wall (Fn. 233), 56; Starck, in: von Mangoldt / Klein / ders. (Hrsg.), GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 4 Rn. 10; Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn. 233), 94; Badura, Das Staatskirchenrecht als Gegenstand des Verfassungsrechts, in: Listl / Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, 211 (222). 360  So nennt z. B. Isensee, Die karitative Betätigung der Kirchen und der Verfassungsstaat, in: Listl / Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, 665 (727), die Kirchen als „Prototyp“ der Religionsgemeinschaft.



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht113

Daraus folgt jedoch nicht automatisch der Ausschluss solcher Einrichtungen von der kirchlichen Regelungsautonomie. Diese kann zwar nicht genuin, aber von der jeweiligen Kirche abgeleitet für die Einrichtungen gelten. Dafür spricht, dass ein entsprechender Ausschluss einer staatlichen Vorgabe der Religionsausübung gleichkäme: Es kann gerade die kirchliche Vorstellung von einer Glaubensausübung sein, die eigenen Glaubensvorstellungen im Rahmen partiell tätig werdender, ansonsten weltlich anmutender Organisationen und Vereinigungen zu praktizieren. Immerhin bieten solche spezialisierten Organisationen auch für die Kirchen und ihre Glaubenslehre bestimmte – freilich auch marktwirtschaftliche – Vorteile.362 Wie bereits dargelegt richtet sich die Frage nach dem Ordnen und Verwalten eigener Angelegenheiten aber gerade nach dem Selbstverständnis und nicht nach staatlichen Vorgaben.363 Im Rahmen der Glaubensfreiheit gilt – institutionell gesehen – also eine von der Glaubensfreiheit umfasste Organisationsfreiheit, die auch über Art. 137 Abs. 2 WRV ausgedrückt wird.364 Allerdings kann diese Organisationsfreiheit mit der Folge der Vermittlung kirchlicher Autonomie an die selbstständigen Einrichtungen nicht unbegrenzt gelten. Damit man tatsächlich von einer „Ableitung“ sprechen kann, bedarf es bestimmter Verbindungsmuster zwischen Kirche, die ausschließlich Trägerin der Regelungsautonomie ist, und Einrichtung, die von der Regelungsautonomie allein durch die ihr zugeordnete Kirche profitiert. Hierbei ist eine formelle von einer materiellen, d. h. inhaltlichen, Dimension zu unterscheiden:365 Inhaltlich sind eine hinreichende Verknüpfung und Verbindung der Einrichtung zu den Glaubensinhalten der Kirchen zu verlangen. Das bedeutet, dass die Einrichtung zwar nur partiell tätig wird – beispielsweise allein im Gesundheitssektor –, dort aber umfänglich den Glauben einer Kirche vermittelt. So betrifft dies beispielsweise ein Krankenhaus, das vollends die evangelische Glaubenslehre auf dem Gebiet des Gesundheitswesens anwendet. Die Einrichtung muss eine „Wesens- und Lebensäußerung“ der Kirche darstellen.366 Das 361  Vgl. oben Fn. 358; siehe auch Jeand’Heur / Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, Rn. 173; Muckel (Fn. 238), 194; Morlok (Fn. 233), 53; Hesse (Fn.  233), 534 m. w. N. 362  So spricht insbesondere die Einbindung der kirchlichen Einrichtungen auf sozial-karitativem Gebiet in das marktwirtschaftliche System für eine bestimmte Selbstständigkeit, vgl. Depenheuer, Finanzierung und Organisation der kirchlichen Krankenhäuser, in: Listl / Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundes­ republik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, 757 ff. 363  Siehe dazu oben S. 83 ff. 364  Vgl. dazu Morlok (Fn. 233), 29 f., 53. 365  Insgesamt dazu Thüsing (Fn. 285), 26 ff. 366  BVerfGE 46, 73 (86 f.); E 53, 366 (391 ff.); E 70, 138 (162); Richardi (Fn. 281), § 3 Rn. 8, 12; ders., Sicherung der Privatautonomie für den kirchlichen Dienst durch das kirchliche Arbeitsrecht, in: ZevKR 52 (2007), 182 (191 ff.); Thüsing (Fn. 285),

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

setzt zunächst voraus, dass die Einrichtung „im Auftrag“ der Kirche handelt und für sie eine kirchliche „Grundfunktion“ übernimmt; die Kirche muss also durch die Einrichtung ihren religiösen Auftrag erfüllen.367 In formeller Hinsicht – und diese folgt aus der inhaltlichen Dimension – ist darüber hinaus eine hinreichende organisatorische Verschränkung von Einrichtung und Kirche zu fordern: Es bedarf einer Zuordnung der Einrichtung zur Kirche. Nur dann ist ein hinreichendes Band vorhanden, das die Regelungsautonomie von der Kirche zur Einrichtung zu „transportieren“ imstande ist. Denn die Kirche muss über eine hinreichende Zugriffsmacht über die Einrichtung verfügen, „um auf Dauer eine Übereinstimmung der religiösen Betätigung der Einrichtung mit kirchlichen Vorstellungen gewährleisten zu können“.368 Andernfalls fehlt der „Tatbestand“ der Ableitung, die nur auf Initiative der Kirche als Inhaberin der Regelungsautonomie erfolgen kann. So regelt auch die katholische Kirche, dass sich „keine Unternehmung (…) ohne Zustimmung der zuständigen kirchlichen Autorität katholisch nennen“ und so von der Regelungsautonomie profitieren darf.369 Da es wiederum in der Verantwortung der Kirche selbst liegt, wie die organisatorische Einflussnahme ausgestaltet ist, dürfen auch keine bestimmten Organisationsformen verbindlich vorgegeben werden,370 wie es früher zum Teil der Fall war, wenn z. B. eine „kirchliche Aufsicht“371 oder aber eine Einwirkungsmöglichkeit der Kirche qua Satzung der Einrichtung372 propagiert wurde. 25 ff.; Mayer-Maly, Krankenhausstruktur, Betriebsverfassung und Kirchenautonomie, 1975, S.  43 ff.; Jeand’Heur / Korioth (Fn. 361), 173; Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn. 233), 153, 190. 367  Richardi (Fn. 281), § 3 Rn. 14 ff.; Robbers (Fn. 285), 29 ff.; Glawatz-Wellert, Die Zuordnung der Diakonie zur Kirche, in: ZevKR 51 (2006), 352 ff.; vgl. auch die Nachweise in Fn. 366. 368  BAGE 102, 74 (79); E 103, 163 (167); vgl. Richardi (Fn. 281), § 3 Rn. 19 ff.; Thüsing (Fn. 285), 30 f. 369  Can. 216 CIC; vgl. auch can. 300 CIC: „Kein Verein darf sich ohne die Zustimmung der gemäß can. 312 zuständigen kirchlichen Autorität die Bezeichnung ‚katholisch‘ zulegen“; ebenso can. 803 § 3 CIC: „Keine Schule, selbst wenn sie tatsächlich katholisch ist, darf die Bezeichnung Katholische Schule führen, es sei denn mit Zustimmung der zuständigen kirchlichen Autorität“; zuletzt can. 808 CIC: „Keine Universität, selbst wenn sie tatsächlich katholisch ist, darf die Bezeichnung Katholische Universität führen, es sei denn mit Zustimmung der zuständigen kirchlichen Autorität“; vgl. auch Richardi (Fn. 281), § 3 Rn. 19. 370  Siehe dazu Thüsing (Fn. 285), 28 f., 30 f.; BAG, AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 36; BAG, AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 60; vgl. Thüsing / Börschel, Neuere Entwicklungen in der Rechtsprechung zum kirchlichen Arbeitsrecht, in: NZA-RR 1999, 561 (565 f.); Richardi (Fn. 281), § 3 Rn. 22 f. 371  BAG, AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 6; vgl. Thüsing (Fn. 285), 28; Forst, in: Richardi (Hrsg.), BetrVG, 16. Aufl. 2018, § 118 Rn. 179 ff. 372  So Fitting, in: ders. / Engels / Schmidt / Trebinger / Linsenmaier (Hrsg.), BetrVG, 29. Aufl. 2018, § 118 Rn. 57 ff.



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht115

Zu beachten ist dabei, dass das Vorliegen der „Tatbestandsvoraussetzungen“ einer Regelungsautonomieableitung, d. h. einer entsprechenden inhaltlichen wie einer entsprechenden organisatorischen Verbindung, auch hier nicht dem Staat, sondern vielmehr der Kirche selbst zur Beantwortung überlassen sein muss.373 Diese hat hinreichend plausibel geltend zu machen, dass sie eine hinreichende Einflussmöglichkeit auf die Einrichtung hat und dass diese eine kirchliche Grundfunktion übernimmt. So formuliert das BVerfG zutreffend, die kirchliche Regelungsautonomie gelte in abgeleiteter Weise für alle „der Kirche in bestimmter Weise zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform (…), wenn sie nach kirchlichem Selbstverständnis ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe entsprechend berufen sind, ein Stück Auftrag der Kirche in dieser Welt wahrzunehmen und zu erfüllen“.374 Ein interessantes Beispiel liefert hier die katholische Kirche, die in Art. 2 Abs. 2 GrO kirchliche Rechtsträger, die nicht der bischöflichen Gesetzgebungsgewalt unterliegen, dazu verpflichtet, diese Grundordnung zu übernehmen, oder im Falle einer Verletzung dieser Pflicht die Loskoppelung des Rechtsträgers vom Selbstbestimmungsrecht der katholischen Kirche alleine „im Hinblick auf die arbeitsrechtlichen Beziehungen“ anordnet.375 Auch wenn diese Regelung bereits kirchenrechtlich nicht unproblematisch ist,376 so stellt sich doch insbesondere in Hinblick des Art. 137 Abs. 3 WRV die Frage nach der Zulässigkeit einer solchen „Rosinentheorie“377: Darf die Kirche nur den Ausschluss der Einrichtung von der arbeitsbezogenen Regelungsautonomie beschließen, oder muss sie sich gänzlich von ihr lösen, mit der Folge, dass die Einrichtung nicht mehr als katholische Einrichtung gilt? Bei einer rechtlichen Bewertung dieser Vorschrift aus staatlicher Sicht ist 373  Richardi

(Fn. 281), 21 f. 46, 73 (74: 1. Leitsatz, 87 ff.; Herv. i. O.); vgl. auch Jeand’Heur / Korioth (Fn. 361), 173; Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn. 233), 153; Richardi (Fn. 281), § 3 Rn. 14 ff. 375  Dazu allgemein Tillmanns, Die Geltung des kirchlichen Arbeitsrechts für kirchliche Einrichtungen nach der neuen Grundordnung der katholischen Kirche, in: NZA 2013, 178 ff. 376  Hintergrund ist, dass grds. jede Einrichtung im Bezirk einer Diözese unter die Gesetzgebungsgewalt des Bischofs fällt. Ausnahmen ergeben sich nur im höherrangigen Kirchenrecht, das Laienvereinigungen oder Ordensgemeinschaften eine Autonomie gewährt. Es stellt sich also bereits die Frage, ob durch die Verpflichtung zur Umsetzung bzw. Einsetzung der GrO durch solche Rechtsträger i. S. v. Art. 2 Abs. 2 GrO nicht bereits deren Autonomierecht verletzt wird, wobei es bereits kirchenrechtlich umstritten ist, ob das Arbeitsrecht überhaupt unter die Autonomie der Laienvereinigungen fällt. Siehe zu diesem Problem insbesondere Tillmanns (Fn. 375). 377  So Muckel, Anmerkung zu Tribunal Delegatum et a Supremo Signaturae Apos­ tolicae Tribunali Constitutum, Urt. v. 31.3.2010, in: GesR 2010, 497 ff.; vgl. Tillmanns (Fn. 375), 182. 374  BVerfGE

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

allerdings zu beachten, dass die betroffenen Einrichtungen kein eigenes, sondern nur ein abgeleitetes Selbstbestimmungsrecht haben. Daraus folgt, dass im Falle einer (auch teilweise) Nichtübernahme der Arbeitsrechtsregelungen der Kirchen auf die Einrichtungen das staatliche Arbeitsrecht Anwendung finden muss, da die betroffene Einrichtung nicht befugt ist, eigenständige, von der Kirche abweichende Arbeitsrechtsregelungen zu erlassen.378 Das bedeutet, dass im Falle einer Nichtübernahme der katholischen GrO durch eine Einrichtung das Berufen der Einrichtung auf die Regelungsautonomie nicht erfolgen darf. Eine Einrichtung kann sich nur über die Anwendung des kirchlichen Rechts dem staatlichen Recht entziehen, nicht aber aufgrund eigener Regelungsideen. Wichtig ist demzufolge hierbei, dass die Anwendung des staatlichen (Arbeits-)Rechts auf die betroffene Einrichtung gerade auf der Nichtexistenz einer eigenständigen Regelungsautonomie beruht. Das bedeutet, dass die Frage, ob die betroffene Einrichtung überhaupt von der kirchlichen Regelungsautonomie umfasst ist, aus staatlicher Sicht dadurch gar nicht beantwortet wird, da das staatliche (Arbeits-)Recht unabhängig von der Anwendbarkeit der Regelungsautonomie Anwendung findet.379 Daraus kann geschlossen werden, dass es in diesen Fällen der Nichtanwendung kirchlichen Arbeitsrechts keineswegs ausgeschlossen ist, dass sich die Einrichtung in anderen Bereichen nicht dennoch auf die kirchliche Regelungsautonomie berufen kann, wobei dann auf die allgemeinen Kriterien der inhaltlichen und formellen Verbindung zwischen Kirche und Einrichtung abzustellen ist. Da aber bei Regelungen wie Art. 2 Abs. 2 GrO – wenn überhaupt – nur die „arbeitsrechtliche“ Verbindung zwischen Kirche und Einrichtung seitens der Kirche in Frage steht, kann diese Regelung auch keine Hinweise für andere Bereiche der Regelungsautonomie geben. Es stellt sich dabei allerdings zu Recht die Frage, ob es in solchen Fällen, in denen die Kirche eine Einrichtung nicht zur Anwendung ihres Arbeitsrechts zwingen kann, nicht an einer ausreichenden Einwirkungsmöglichkeit der Kirche auf die Einrichtung mangelt, die Regelungsautonomie indes mangels hinreichender Verbindung zwischen Kirche und Ein378  So auch ArbG Mönchengladbach, ZMV 2001, 244 ff.; dem zustimmend Thüsing (Fn. 285), 30 f.; ders., Das Arbeitsrecht in der Kirche – ein Nachtrag der aktuellen Entwicklungen, in: NZA 2002, 306 (309); Richardi (Fn. 366), § 3 Rn. 10; Tillmanns (Fn. 375), 182. 379  Anders hingegen Tillmanns (Fn. 375), 182 f., der ohne Weiteres fragt, ob Art. 2 Abs. 2 GrO mit Art. 137 Abs. 3 WRV vereinbar ist, ob also der Ausschluss der Einrichtung von der Regelungsautonomie allein hinsichtlich der arbeitsrechtlichen Regelungen zulässig ist. Dies kann zwar kirchenrechtlich eine zulässige Frage sein; durch den Bezug auf Art. 137 Abs. 3 WRV handelt es sich aber insoweit um eine Fragestellung aus staatlicher Sicht, bei der es aber gerade nicht darauf ankommt, ob die Regelungsautonomie sich auch auf die Einrichtung erstreckt, da sie unabhängig davon beantwortet wird.



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht117

richtung sich also nicht auf die Einrichtung erstreckt. Dies ist aber eine ganz andere Frage.380 3. Die prozuessuale Dimension: das Verhältnis von kirchlichem Selbstbestimmungsrecht und korporativer Glaubensfreiheit Eine für die Kirchen besonders bedeutsame Frage ist die nach der prozessualen Durchsetzung ihrer Autonomie. Mit anderen Worten: Welche Mittel stehen den Kirchen zur Verfügung, wenn ihre Selbstbestimmung durch staatliches Handeln beschnitten wird? Zu der Durchsetzbarkeit des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts gehört damit die Frage nach dessen dogmatischer Einordnung als objektives oder subjektives Recht. Insoweit besteht das Problem des Verhältnisses zwischen Art. 137 Abs. 3 WRV und der (allgemeinen) Glaubensfreiheit nach Art. 4 Abs. 1, 2 GG. Ursache für das Problem und Ausgangspunkt der Überlegung ist zweierlei: Zum einen beinhaltet Art. 4 Abs. 1, 2 GG nach heutigem (unumstrittenen) Verständnis nicht nur die individuelle, sondern auch die korporative Glaubensfreiheit, so dass die Kirchen bereits hierüber geschützt werden und eine entsprechende Verletzung unproblematisch im Wege der Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG) geltend machen können.381 Zum anderen weist das kirchliche Selbstbestimmungsrecht in Fragen seiner Natur eine Janusköpfigkeit auf. Obwohl die Vorschrift des Art. 137 Abs. 3 WRV freiheitsrechtlich gefasst ist,382 erscheint sie weder im Grundrechtsabschnitt, noch wird sie als grundrechtsgleiches Recht von der Verfassungsbeschwerde in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG aufgeführt und weist damit insgesamt stärker einen institutionellen Charakter auf. Verstärkt wird letzterer Gedanke auch dadurch, dass die anderen inkorporierten Vorschriften in Art. 136 f. WRV – ggf. mit Ausnahme von Art. 137 Abs. 5 WRV – institutionellen und keinen freiheitlichen Charakter aufweisen. Es ist daher zutreffend, wenn Art. 140 GG insgesamt als grundrechtslos angesehen wird.383 auch Tillmanns (Fn. 375), 182 f. 24, 236 (245 f.); E 105, 279 (293); Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 4 Rn. 100; Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn. 233), 75. 382  Das liegt nicht zuletzt an der wörtlichen Nennung einer „Schranke“, siehe dazu Hesse (Fn. 233), 523 f. 383  BVerfGE 19, 129 (135); E 125, 39 (74); Jeand’Heur / Korioth (Fn. 361), 158; Hesse, Der Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich – zugleich ein Beitrag zur Frage des rechtlichen Verhältnisses von Staat und Kirche in der Gegenwart, 1956, S. 16; Morlok / Heinig, Parität im Leistungsstaat – Körperschaftsstatus nur bei Staatsloyalität? Ein Beitrag zur Dogmatik des Art. 140 GG i. V. mit Art. 137 V 2 WRV, in: NVwZ 1999, 697 (701); Classen, Religionsfreiheit und Staatskirchen380  Dazu

381  BVerfGE

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

Dass Art. 137 Abs. 3 WRV zu Zeiten der Weimarer Republik hingegen als grundrechtliche Bestimmung aufgefasst wurde, kann daran ebenfalls nichts ändern, bedenkt man, dass nunmehr allein die grundgesetzliche Systematik maßgebend ist und dass Bedeutung und Umfang der Grundrechte zu Zeiten der Weimarer Republik anders beurteilt wurden, eine Vergleichbarkeit mithin nicht herzustellen ist.384 Eine Einstufung des Art. 137 Abs. 3 WRV als eigenständiges Grundrecht mit der Folge, dass Art. 137 Abs. 3 WRV unter den Begriff der „Grundrechte“ i. S. v. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG fällt und eine entsprechende Verletzung insoweit unmittelbar geltend gemacht werden kann, ist daher bereits nicht überzeugend.385 Das gilt auch – respektive: erst recht –, wenn man die Vorschrift „nur“ als grundrechtsähnlich ansieht, zumal eine solche Kategorie in der Grundrechtsdogmatik nicht vorkommt bzw. gerade über den Begriff der grundrechtsgleichen Rechte abgedeckt ist.386 Hinter dieser Ansicht steckt wohl eher das Ziel „wohltuende[r] Auswirkungen“.387 Diese können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Art. 137 Abs. 3 WRV einmal nicht im Grundrechtskatalog steht, weiterhin eine institutionelle Sichtweise verdeutlicht und schließlich bei den grundrechtsgleichen Rechten nicht genannt wird. Wieso sollte der Verfassungsgeber nur ausgewählte grundrechtsgleiche Rechte erwähnen, zumal in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG nicht wenige – dann im recht in der Grundrechtsordnung, 2003, S. 5 ff.; Neureither, Subjektivierung des Objektiven, Vergrundrechtlichung des Institutionellen? – zur jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Kontext von Recht und Religion, in: Grzeszick (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen des Kirchen- und Staatskirchenrechts, 2014, 47 (56 ff.) m. w. N. 384  Dazu Anschütz (Fn. 321), 514  ff.; Voigt, Geschichte der Grundrechte, 1948, S.  137 ff.; Dreier, Die Zwischenkriegszeit, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. 1, 2004, § 4; ders. (Fn. 257), 16; Bryde, Programmatik und Normativität der Grundrechte, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. 1, 2004, § 17; vgl. auch Groh, Demokratische Staatsrechtslehrer in der Weimarer Republik, 2010, S. 409 ff. 385  Anders hingegen Ehlers, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 140 Rn. 3 und Art. 140 / 137 WRV Rn. 4, der von einer „grundrechtsähnlichen“ Bestimmung spricht und insoweit auf eine weite Auslegung des Begriffs der Grundrechte zurückgreifen muss. Danach fällt das kirchliche Selbstbestimmungsrecht als grundrechtsähnliche Bestimmung unter den Begriff der Grundrechte; ders., Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung – zugleich eine Besprechung der gleichnamigen Habilitationsschrift von Stefan Muckel, in: ZevKR 44 (1999), 533 (536 ff.); Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, 1971, S. 369; Hollerbach, Urteilsanmerkung, in: JZ 1997, 1117 (1119); Winter, Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 2008, S.  167 ff.; vgl. Neureither (Fn. 383), 60 m. w. N. 386  Vgl. Neureither (Fn. 383), 60 f. 387  Vgl. Neureither (Fn. 383), 61.



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht119

Zuge einer beispielhaften Aufzählung genannte – Rechte angeführt werden. Aus diesem Grunde hilft auch eine analoge Anwendung des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG nicht weiter, denn es ist aus den genannten Gründen kaum überzeugend, die Planwidrigkeit der Regelungslücke zu bejahen.388 Nur weil Art. 137 Abs. 3 WRV eine besondere Beziehung zu Art. 4 GG aufweist, bedeutet dies nicht, dass dem Verfassungsgeber eine versehentlich nicht umgesetzte Regelungsabsicht zugeschoben werden kann. Das GG sagt ganz deutlich, dass Art. 137 Abs. 3 WRV trotz seines freiheitlichen Charakters389 für sich genommen kein eigenständig rügbares und damit für die Verfassungsbeschwerde geeignetes subjektives Recht ist.390 Will man eine Verbindung zwischen Art. 137 Abs. 3 WRV und Art. 4 Abs. 1, 2 GG nicht gänzlich leugnen – und wie gleich gezeigt wird, wäre dies auch nicht überzeugend –, hängt das Verhältnis beider Normen, wie Hesse zu Recht feststellt, von ihrer jeweiligen sachlichen Reichweite ab, insbesondere von der Definition der „Religionsausübung“ i.  S.  v. Art. 4 Abs. 1, 2 GG.391 Dabei wird häufig beiden Vorschriften ein – zumindest teilweise – unterschiedlicher Regelungsgehalt zugeschrieben: Während die Glaubensfreiheit den eigentlichen geistigen „Kern“ der Selbstbestimmung abdecke, sei das kirchliche Selbstbestimmungsrecht eine selbstständige Gewährleistung des von diesem „Kern“ weiter entfernten Bereichs religiöser Freiheit.392 So umfasse Art. 137 Abs. 3 WRV auch an sich einer Glaubenshandlung nicht zurechenbare, ja beinahe „profane“, Tätigkeiten (z. B. Buch-

aber insbesondere Neureither (Fn. 241), 289 ff.; vgl. ders. (Fn. 383), 57 ff. dazu bereits oben S. 83 ff. 390  So führt zwar Neureither (Fn. 383), 61, zumindest für die Lösung über die analoge Anwendung des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG und damit gegen die These von Art. 137 Abs. 3 WRV als Grundrecht oder grundrechtsgleiches / -ähnliches Recht an, dass „sie (die analoge Anwendung; VH) die Nichtnennung des Art. 137 Abs. 3 WRV in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG methodisch [nicht] respektiert und damit beiden, Art. 137 Abs. 3 WRV und Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, gerecht wird. (…) Zudem vergrundrechtlicht sie nichts, was nicht Grundrecht ist“. Das ändert aber nichts daran, dass auch die analoge Anwendung systematischen und methodischen Problemen ausgesetzt ist, die sie nicht zu beseitigen vermag und insofern ebenfalls Art. 137 Abs. 3 WRV „vergrundrechtlicht“ – allerdings mit dem Vorteil, das systematische Problem zumindest offenzulegen. 391  Hesse (Fn. 233), 525. 392  BVerfGE 72, 278 (289); Hesse (Fn. 233), 522 ff.; Korioth, Freiheit der Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. 4, 2011, § 97 Rn. 22; Huber, Die korporative Religionsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht nach Art. 137 Abs. 3 WRV einschließlich ihrer Schranken, in: Heinig / Walter (Hrsg.), Staatskirchenrecht oder Religionsver­ fassungsrecht?, 2007, 155 (162 ff., 170 ff.); Classen (Fn. 276), 107 ff.; Borowski (Fn.  250), 305 ff. 388  So

389  Siehe

120

Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

führung oder Grundstücksverwaltung).393 Insoweit sei das kirchliche Selbstbestimmungsrecht – nicht zuletzt angesichts der unterschiedlichen Schrankenregelungen in Art. 4 Abs. 1, 2 GG und Art. 137 Abs. 3 WRV – eine „spezifische Ausprägung der Religionsfreiheit“,394 die „als notwendige, wenngleich rechtlich selbständige Gewährleistung (…) der Freiheit des religiösen Lebens und Wirkens der Kirchen (…) die zur Wahrnehmung dieser Aufgaben unerläßliche Freiheit der Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung hinzufügt“.395 Teilweise wird der differierende Schutzbzw. Gewährleistungsgehalt von Art. 137 Abs. 3 WRV und Art. 4 GG mit einer soziologisch gefärbten Rechtslehre begründet, die von einer „individualrechtlichen Aufladung“396 des Selbstbestimmungsrechts spricht, das infolgedessen zwar denselben Schutz wie die individuelle Glaubensfreiheit genieße; jedoch auf den Feldern, die einen organisatorischen Charakter besäßen, müsse das Selbstbestimmungsrecht dann aber aus der Natur der Sache heraus einen über Art. 4 GG hinausgehenden Schutzgehalt aufweisen.397 Dieser Vorschlag ist nicht überzeugend.398 Zum einen ergibt sich die Unterscheidung nach der Nähe zum „Kern“ einer religiösen Handlung keineswegs aus dem Gesetz. Zum anderen findet das kirchliche Selbstbestimmungsrecht in allen eigenen Angelegenheiten der Kirchen Anwendung und weist damit stets einen Bezug zu Glauben und auch zu Glaubenshandlungen 393  Die Beispiele werden genannt von Korioth (Fn. 233), 20. Weitere Beispiele finden sich bei Huber (Fn. 392), 172: „Betrieb von Klosterbrauereien, Hotels und Restaurants, den Verkauf von Lebensmitteln, Büchern und Andenken und andere wirtschaftliche Betätigungen …“. 394  Unruh, GG (Fn. 233), 23 f.; ders., Religionsverfassungsrecht (Fn. 233), 152. 395  BVerfGE 53, 366 (401); vgl. Korioth (Fn. 392), 22. 396  Morlok, Die korporative Religionsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht nach Art. 140 GG / Art. 137 Abs. 3 WRV einschließlich ihrer Schranken, in: Heinig /  Walter (Hrsg.), Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, 2007, 185 (194). 397  Morlok (Fn. 396), 194 ff., 201 ff.: „Art. 140 GG / Art. 137 Abs. 3 WRV ist mithin eine spezifische Freiheitsgewährleistung der Religionsausübung in organisatorischer (nicht organisierter) Form. Sie wurzelt in der Religionsfreiheit des einzelnen und bezieht aus Art. 4 GG ihr normatives Gewicht. In dieser Betrachtung wird damit nicht nur und nicht in erster Linie die Freiheit der Korporation als vorgefundene gesellschaftliche Größe geschützt, sondern die Freiheit der Bürger, sich korporativ religiös zu betätigen und ihre Religion zusammen mit anderen auszuüben. (…) Die Aktivitäten von Religionsgemeinschaften sind damit nicht eventuelle Zutat individueller religiöser Betätigung, sondern notwendige Voraussetzung. (…) Das Recht der Reli­ gionsgemeinschaften selbst, dass deutlich in Art. 137 Abs. 3 WRV gewährleistet ist, wird damit nicht zweitrangig, es wird aber ‚transparentʼ gegenüber den einzelnen und deren Bedrüfnissen und Rechten“ (196). 398  Siehe auch Lücke, Zur Dogmatik der kollektiven Glaubensfreiheit, in: EuGRZ 1995, 651 (653 ff.); Listl, Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, in: ders. / Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, 439 (444); vgl. auch Korioth (Fn. 392), 22.



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht121

auf. Eine Trennung eigener religiöser Angelegenheiten von Glaubenshandlungen i. S. v. Art. 4 Abs. 1, 2 GG kann gerade nicht sinnvoll vollzogen werden. Sinn des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts ist, an sich allgemeine Handlungen an der Vorstellung des eigenen, d. h. korporativen Glaubens, auszurichten. Weshalb hier dann eine Abgrenzung zur Glaubensfreiheit erfolgen muss, ist nicht nachvollziehbar. Darüber hinaus hilft auch die soziologische Sichtweise nicht weiter: Nicht nur, dass aus faktischen Beziehungen zwischen zwei Rechten keine rechtliche folgen muss, eine entsprechende Sichtweise hilft auch nicht bei der Begründung, weshalb das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen nach der Konzeption des GG einen – organisatorischen – überschießenden Gewährleistungsgehalt aufweisen soll. Insoweit fehlt es hier an einer rechtsdogmatischen Analyse, die über das Stadium bloßer Behauptung hinausgeht. Letztlich kann die These von (teilweise) differierenden Schutzgehalten das Problem prozessualer Durchsetzung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts nicht lösen: In konsequenter Anwendung käme man zu dem Ergebnis, dass gerade diese – vom „Kern“ der Selbstbestimmung entfernten und damit nur von Art. 137 Abs. 3 WRV umfassten – Handlungen nicht verfassungsprozessual durchsetzbar sind, da sie weder unter Art. 4 Abs. 1, 2 GG fallen, noch das kirchliche Selbstbestimmungsrecht von grundrechtlicher Natur ist. Dies wird zwar durch eine funktionalistische Betrachtung versucht zu umgehen: Die Glaubensfreiheit nach Art. 4 Abs. 1, 2 GG stehe trotz des teilweise unterschiedlichen Regelungsgehaltes in besonderer funktioneller Nähe399 zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht und gebe ihm so einen „normativen Halt“.400 Verfassungsprozessuale Folge sei, dass zwar eine Verletzung nur der Glaubensfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1, 2 GG gerügt werden dürfe, das (Bundesverfassungs-)Gericht jedoch in der materiellen Prüfung allein auf Art. 137 Abs. 3 WRV abstellen könne.401 Die Glaubensfreiheit wird damit zum „verfahrensrechtliche[n] Vehikel für die Verfassungsbeschwerde“.402 Dieser Ansatzpunkt wundert allerdings, ist doch zunächst unklar, was unter einem „normativen Halt“ exakt zu 399  BVerfGE 42, 312 (322): „…daß es Tatbestände innerhalb des Bereichs der Kirche gibt (…), die zugleich als wesentlicher Bestandteil der Kirchenverfassung zur staatskirchenrechtlichen Ordnung (Art. 140 GG) rechnen und in ihrer funktionalen Bedeutung auf Inanspruchnahme und Verwirklichung des Grundrechts der kollektiven kirchlichen Bekenntnis- und Kultfreiheit (Art. 4 GG) angelegt sind“ (Herv. i. O.); ebenso BVerfGE 24, 236 (245 ff.). 400  Korioth (Fn. 233), 20; vgl. Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn. 233), 150. 401  Jeand’Heur / Korioth (Fn. 361), 177; vgl. Unruh, GG (Fn. 233), 25. 402  Korioth (Fn. 233), 20 ff.: „In diesem Sinne ist Art. 4 GG der Schlüssel, welcher der Verfassungsrechtsprechung die Tür öffnet, um eine behauptete Beeinträchtigung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts zu überprüfen. Bei der Begründetheit der Verfassungsbeschwerde ist das Bundesverfassungsgericht nicht darauf beschränkt, zu untersuchen, ob die gerügte Grundrechtsverletzung vorliegt. Es untersucht den ange-

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

verstehen ist. Darüber hinaus kann nicht erklärt werden, dass eine Verletzung der (korporativen) Glaubensfreiheit – und genau darum geht es in der Verfassungsbeschwerde – vorliegen soll, wenn das kirchliche Selbstbestimmungsrecht verletzt ist, schreibt man beiden Vorschriften ja zumindest teilweise unterschiedlichen Regelungsgehalt zu. Der lapidare Verweis auf eine enge, funktionale Beziehung reicht hierbei freilich nicht als Begründung aus. Überzeugender ist es daher, Art. 137 Abs. 3 WRV als eine sich mit Art. 4 Abs. 1, 2 GG deckende Konkretisierung anzusehen.403 Dann stellte jede Beeinträchtigung des Art. 137 Abs. 3 WRV zugleich eine solche des Art. 4 Abs. 1, 2 GG dar. Dafür spricht zunächst die freiheitsrechtliche Fassung des Art. 137 Abs. 3 WRV. Auch ergibt sich diese Überlegung aus der institutionellen Sichtweise des Art. 137 Abs. 3 WRV: Die Vorschrift ist zunächst die notwendige institutionelle Folge der in Art. 137 Abs. 1 WRV gefassten institutionellen Trennung von Staat und Religion.404 Wegen ihrer freiheitsrecht­ lichen Fassung weist das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen aber auch ­einen besonderen Bezug zur Glaubensfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1, 2 GG auf: Es macht deutlich, dass – gerade auch wegen der institutionellen Trennung von Staat und Religion – das selbstständige Ordnen und Verwalten Teil der ­korporativ verstandenen Glaubensfreiheit sein müssen, mithin dass Freiheit der Religion gerade auch institutionelle Freiheit bedeutet. Weiterhin spricht für diese Sichtweise die unmögliche Trennung beider Regelungsgehalte, nicht zuletzt, weil diese vom Selbstverständnis der Kirchen bestimmt werden.405 Dagegen könnte man zwar zunächst den Befund unterschiedlicher Schrankenbestimmungen anführen – Glaubensfreiheit: verfassungsimmanente Schran­ken, Selbstbestimmungsrecht: qualifizierter Gesetzesvorbehalt. Dieser scheinbare Widerspruch kann indes aufgelöst werden, wenn man bedenkt, dass Art. 137 Abs. 3 WRV den institutionell notwendig gewordenen Freiheitsbereich betrifft – die Regelungsbefugnisse in den vom Staat abgetrennten Angelegenheiten –, hierfür ein anderes Gefährdungspotential bestimmt und insoweit spezieller als die Glaubensfreiheit ist.406 Daher überzeugt auch nicht der Einwand, bei Deckungsgleichheit der Schutzgehalte griffenen Rechtsakt unter jedem in Betracht kommenden Gesichtspunkt auf seine verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit“ (22). 403  Isensee (Fn. 360), 724 f.; Morlok (Fn. 233), 46; anders Unruh, GG (Fn. 233), 24. 404  So auch Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 4 / 2, 2011, S. 1241: „Wenn Staat und Kirche getrennt sein sollen, ist es konsequent, dass die Kirche ihre Angelegenheiten auch eigenständig wahrnimmt“. Zu beachten ist aber die notwendige Leseart des Art. 137 Abs. 1 WRV im Zusammenhang mit Art. 137 Abs. 5 WRV, der einer vollständigen institutionellen Trennung Vorschub leistet, siehe auch Mikat (Fn. 320), 21. 405  Siehe dazu bereits oben S. 83 ff.; ebenso Morlok (Fn. 233), 46. 406  Unruh, GG (Fn. 233), 25; ders., Religionsverfassungsrecht (Fn. 233), 152.



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht123

wäre das Selbstbestimmungsrecht überflüssig,407 zumal Art. 137 Abs. 3 WRV die Religionsausübung aus einem anderen – einem institutionellen – Blickwinkel heraus betrachtet. Daraus folgt, dass Art. 137 Abs. 3 WRV den institutionellen wie freiheitsrechtlichen Aspekt der Trennung von Staat und Kirche und der Glaubensfreiheit vereinend klarstellt und auf freiheitsrechtlicher Ebene sich als Bestandteil der allgemeinen (korporativen) Glaubensfreiheit entpuppt. Insoweit ist verfassungsprozessual alleine eine Verletzung der korporativen Glaubensfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1, 2 GG zu rügen, deren inhaltliche Maßstäbe sich indes aufgrund der speziellen Darstellung alleine nach Art. 137 Abs. 3 WRV richten.

II. Die Grundrechte der Mitarbeiter als Schranken des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts Dass die Grundrechte der Mitarbeiter eine Rolle im religionsverfassungsrechtlichen System spielen und es damit zu einer Abwägung zwischen ihnen und dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht kommt, liegt zunächst nicht auf der Hand. Denn hierfür kommen nur zwei Begründungsmöglichkeiten in Betracht: Entweder sind die Kirchen genuin an die Grundrechte gebunden und müssen diese bereits im innerreligionsrechtlichen System berücksichtigen (unmittelbare Geltung; dazu 1.), oder aber kirchenrechtliche Streitigkeiten können vor staatlichen Gerichten ausgetragen werden, so dass zumindest die staat­lichen Gerichte die Grundrechte zu berücksichtigen haben (mittelbare Geltung; dazu 2.). 1. Keine unmittelbare Geltung der Grundrechte im kirchlichen Bereich Eine Grundrechtsbindung der Kirchen wird zu Recht überwiegend verneint. Da diese Frage an anderer Stelle hinreichend diskutiert worden ist,408 bedarf es hier keiner intensiveren Auseinandersetzung. Nur soviel: Kirchen sind selbst grundrechtsfähig und damit kein Teil der staatlichen Gewalt. Soweit Kirchen nicht staatlich übertragene Aufgaben wahrnehmen, sondern im Korioth (Fn.  392), 21 ff. m. w. N. insbesondere Hesse, Grundrechtsbindung der Kirchen?, in: Schneider /  Götz (Hrsg.), Im Dienst an Recht und Staat – Festschrift für Werner Weber zum 70. Geburtstag dargebracht von Freunden, Schülern und Kollegen, 1974, 447 (458 ff.); Barwig, Die Geltung der Grundrechte im kirchlichen Bereich, 2004, S. 57 ff.; Bock (Fn.  320), 290 ff.; Rüfner, Die Geltung von Grundrechten im kirchlichen Bereich, in: Krautscheidt / Marré (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 7 (1972), 9 ff.; Kästner, Die Geltung von Grundrechten in kirchlichen Angelegenheiten, in: JuS 1977, 715 ff. 407  Insbesondere 408  Siehe

124

Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

Rahmen ihres Selbstbestimmungsrechts agieren, fehlt es daher an einer Grundrechtsbindung.409 Das gilt auch für Kirchen, die den Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts verliehen bekommen haben.410 Eine allgemeine Grundrechtsbindung über die Schranke des „für alle geltenden Gesetzes“ (Art. 137 Abs. 3 WRV) herzuleiten, verfehlt den allgemeinen Charakter von Freiheitsbegrenzungen und ist daher nicht überzeugend,411 da nicht zuletzt Grundrechte keine für alle geltende Gesetze darstellen, binden sie doch nur die staatliche Gewalt.412 2. Mittelbare Geltung der Grundrechte im kirchlichen Bereich Ein Konflikt zwischen kirchlichem Selbstbestimmungsrecht und Grundrechten kann jedoch dann bestehen, wenn innerkirchliche Streitigkeiten auch vor staatlichen Gerichten ausgetragen werden können. Denn die Gerichte sind dann als Bestandteil der staatlichen Gewalt gem. Art. 1 Abs. 3 GG selbst an Grundrechte gebunden und dürfen daher keine grundrechtswidrigen Entscheidungen treffen. Dies hat dann aber mittelbar Auswirkungen auf die Auslegung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts und dessen Schranken. Auf dogmatischer Ebene lässt sich die Frage nach der Justiziabilität auf der Grundlage allgemeiner Ausführungen zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht klären. Nach Art. 137 Abs. 3 WRV wird mit dem „Verwalten“ unstreitig auch die eigene Gerichtsbarkeit der Kirchen gewährleistet.413 Da­ raus folgt, dass dem Grunde nach Rechtsstreitigkeiten in eigenen Angelegenheiten alleine innerhalb der Kirchen geklärt werden, zumal sie sich nach innerkirchlichem Recht richten. Aber auch hier gilt der Freiheitsbereich, d. h. 409  Sofern die Kirchen staatlich übertragene Aufgaben respektive staatlich verliehene Befugnisse wahrnehmen (z. B. bei der Einziehung der Kirchensteuer), ist die Grundrechtsbindung allerdings gegeben, siehe nur BVerfGE 30, 415 (422 f.); BVerfG, DÖV 2003, 159 (160); Weber, Grundrechtsbindung der Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Listl / Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl., 1994, 573 ff.; siehe dazu auch Herdegen, in: Maunz / Dürig (Begr.), GG, 44. Lfg. 2005, Art. 1 Abs. 3 Rn. 103. 410  Kirchhof, Die Kirchen und Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, in: Listl / Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl., 1994, 651 (676). 411  So insbesondere Hesse (Fn. 408), 510, der hier die gleichzeitige Grundrechtsfähigkeit der Kirchen über Art. 137 Abs. 3 WRV anspricht, wenn er sagt: „… als solche (d. i. „für alle geltende Gesetze“, d. h. Schranken des Art. 137 Abs. 3 WRV; V. H.) können Grundrechte nicht verstanden werden, ohne in ihr Gegenteil verkehrt zu werden“. 412  Richardi (Fn. 281), § 9 Rn. 7; von Campenhausen / de Wall (Fn. 233), 114 ff.; Hesse (Fn. 408), 456 ff. 413  Siehe dazu die Nachweise in Fn. 233, 234.



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht125

die eigene Gerichtsbarkeit, nicht unbegrenzt, sondern nur innerhalb des für alle geltenden Gesetzes. Auslegung und Bestimmung dieser Schranke bilden damit den Schlüssel für eine mögliche Zuständigkeit staatlicher Gerichtsbarkeit auf dem Gebiet kirchlicher Angelegenheiten.414 Dies zugrunde gelegt kann sich die Reichweite staatlicher bzw. kirchlicher Gerichtsbarkeit – aus den bereits dargelegten Gründen415 – nicht im Sinne der Bereichslehre nach einem kirchlichen Innen- oder Außenbereich richten, wie es die Rechtsprechung früher überwiegend propagierte.416 Die Rechtfertigung einer bestimmten Beschränkung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts ergibt sich vielmehr aus einer Verhältnismäßigkeitsprüfung, d. h. einer Abwägung mit entgegenstehenden (Verfassungs-)Gütern – also im Zuge praktischer Konkordanz.417 Dem die eigene Gerichtsbarkeit umfassenden Selbstbestimmungsrecht der Kirchen wird zumeist der allgemeine staatliche Justizgewährungsanspruch entgegengesetzt und so mittels einer Abwägung beider Güter die – zumindest teilweise bestehende – staatliche Justiziabilität kirchlicher Rechtsstreitigkeiten begründet.418 Voraussetzung für dieses Ergebnis sind dabei drei sich aus den allgemeinen Rechtfertigungsüberlegungen419 ergebende Aspekte: Einmal muss der staatliche Justizgewährungsanspruch anwendbar und einschlägig sein (a)). Nur dann steht dieses (Verfassungs-)Gut tatsächlich dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht als Grenze entgegen. Zum anderen muss die Abwägung das – zumindest teilweise – Überwiegen des staatlichen Justizgewährungsanspruchs ergeben (b)). Letztlich aber bedarf es eines die kirchliche Gerichtsbarkeit beschränkenden Gesetzes, das den Begriff des „allgemeinen“ Gesetzes erfüllt und der Durchsetzung des staatlichen Justizgewährleistungsanspruchs dient (c)).

Jeand’Heur / Korioth (Fn. 361), 358. dazu bereits oben S. 102 ff. 416  BGHZ 34, 372 (373 f.); BVerwGE 66, 241 (247 ff.); vgl. auch Kästner, Staat­ liche Justizhoheit und religiöse Freiheit, 1991, S. 32 ff., 85 ff.; vgl. ebenso von Campenhausen / de Wall (Fn. 233), 312 ff. 417  Allgemein zur praktischen Konkordanz Hesse (Fn. 232), 317 ff.; vgl. auch bereits oben Fn. 326. 418  BGH, NJW 2000, 1555 ff.; Weber, Kirchlicher Rechtsschutz und staatliche Gerichtsbarkeit, in: ZevKR 49 (2004), 385 ff.; von Campenhausen, Neues zum staat­ lichen Rechtsschutz im kirchlichen Bereich, in: ZevKR 45 (2000), 622 ff.; Kästner, Tendenzwende in der Rechtsprechung zum staatlichen Rechtsschutz in Kirchen­ sachen, in: NVwZ 2000, 889 ff.; vgl. Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn. 233), 217 f., 219 ff. 419  Siehe dazu bereits oben S. 102 ff. 414  Ebenso 415  Siehe

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

a) Anwendbarkeit des staatlichen Justizgewährungsanspruchs Der staatliche Justizgewährungsanspruch ist an keiner Stelle – auch nicht im GG – ausdrücklich vorgesehen. Er ergibt sich aber durch Auslegung aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG – und nach teilweise vertretener Ansicht mit Art. 92 GG420 – und begründet einen allgemeinen Anspruch eines jeden Bürgers auf Zugang zu staatlichen Gerichten und auf die dortige Prüfung des Streitgegenstands.421 Interessanterweise wird der Justizgewährungsanspruch sodann ausschließlich auf staatliches Recht beschränkt, so „dass die staatlichen Gerichte grundsätzlich (nur; VH) zur Entscheidung aller Rechtsfragen berufen sind, deren Beurteilung sich nach staatlichem Recht richtet“.422 Angesichts der institutionellen Trennung von Staat und Kirchen wäre ein solcher Befund naheliegend. Im Zuge des Art. 137 Abs. 1 WRV, verstärkt durch die institutionelle Prägung des Art. 137 Abs. 3 WRV, teilt der Verfassungsgeber den zu regelnden (Macht-)Bereich in einen staatlichen und in einen kirchlichen Bereich und erklärt sich – wie Art. 137 Abs. 3 WRV zeigt – in Letzterem für unzuständig. Infolgedessen wurde und wird versucht, die (teilweise) Zuständigkeit staatlicher Gerichtsbarkeit mittels der „bürgerlichen Wirksamkeit“ kirchlich gesetzten Rechts zu lösen.423 Danach müsse von Kirchen erlassenes Recht berücksichtigt, d. h. mit Geltung versehen, werden, 420  So Jeand’Heur / Korioth (Fn. 361), 358 m. w. N.; vgl. auch Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn. 233), 215. 421  BVerfGE 107, 395 (401): „Das Grundgesetz garantiert Rechtsschutz vor den Gerichten nicht nur gemäß Art. 19 Abs. 4 GG, sondern darüber hinaus im Rahmen des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs. Dieser ist Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips in Verbindung mit den Grundrechten, insbesondere Art. 2 Abs. 1 GG (…). Die grundgesetzliche Garantie des Rechtsschutzes umfasst den Zugang zu den Gerichten, die Prüfung des Streitbegehrens in einem förmlichen Verfahren sowie die verbindliche gerichtliche Entscheidung“; siehe auch BVerfGE 93, 99 (107); E 88, 118 (123). Aus der Literatur siehe Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1984, S. 838 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 211 f.; Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 3. Aufl. 2004, § 26 Rn. 71 ff. 422  BGH, NJW 2000, 1555 (1556); Magen, Der Rechtsschutz in Kirchensachen nach dem materiell-rechtlichen Ansatz, in: NVwZ 2002, 897 (898); Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn. 233), 215; vgl. auch BVerfGE 85, 337 (345); BVerfG, NJW 1981, 39 (41), bezieht den allgemeinen Justizgewährungsanspruch hingegen nur auf „bürgerlichrechtliche Streitigkeiten im materiellen Sinn“. 423  Traulsen (Fn. 354), 29 ff., mit Verweis auf Germann, Die Gerichtsbarkeit der evangelischen Kirche, 2001, S. 59 f. et passim (unveröffentlicht); Magen, in: Umbach / Clemens (Hrsg.), GG, Bd. 2, 2002, Art. 137 WRV Rn. 73; Hillgruber, Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und die Jurisdiktionsgewalt des Staates, in: Muckel (Hrsg.), Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat – Festschrift für Wolfgang



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht127

solle das kirchliche Selbstbestimmungsrecht nicht konterkariert und ad absurdum geführt werden.424 Auch wenn dem Staat – u. a. wegen Art. 137 Abs. 3 WRV – kein Rechtssetzungsmonopol zukomme, bleibe bei ihm aufgrund der Letztentscheidungsbefugnis das Rechtsanerkennungsmonopol, infolge dessen das eigene Recht der Kirchen nur durch einen staatlichen Geltungsbefehl425 in die staatliche Rechtsordnung integriert werden könne.426 Infolge staatlicher Geltung gehörten dann kirchlich gesetzte Rechtsnormen zum maßgeblichen staatlichen Recht, nach dem staatliche Gerichte Rechtsstreitigkeiten entscheiden müssten.427 Diese dogmatische Konstruktion zur Begründung zumindest teilweise bestehender staatlicher Gerichtszuständigkeiten im Bereich eigener kirchlicher Angelegenheiten ist dabei dogmatisch nicht konsequent. Denn durch sie werden von vorneherein bestimmte Rechtsfragen – d. i. solche auf dem Gebiet der eigenen kirchlichen Angelegenheiten – von der staatlichen Zuständigkeit ausgenommen und somit der staatliche Justizgewährungsanspruch auf nach staatlichem Recht zu beurteilende Konstellationen beschränkt. Dass über das Konstrukt der bürgerlichen Wirksamkeit kirchlich gesetztes Recht zur staat­ lichen Rechtsordnung gehören kann, ändert an der grundsätzlichen Scheidung von staatlichem Justizgewährungsanspruch und kirchlicher Gerichtsbarkeit nichts. Mit anderen Worten handelt es sich bei diesem dogmatischen Weg also um eine spezielle Form der – abzulehnenden428 – Bereichslehre.429 Rüfner zum 70. Geburtstag, 2003, 297 ff.; dazu auch Weber, Weltlich wirksame Rechtsprechung der Kirchengerichte?, in: DÖV 1970, 250 ff. 424  Magen (Fn. 422), 899 f., führt zwei verschiedene Gründe für die bürgerliche Wirksamkeit religionsgemeinschaftlich gesetzten Rechts an. Dabei seien die eigenen Angelegenheiten auf zwei Ebenen zu betrachten: Einmal gebe es den Bereich, in dem aus verfassungsrechtlichen Gründen – etwa aufgrund grundrechtlicher Schutzpflichten – eine Regelung vorliegen müsse, diese Aufgabe aber – da es sich ja um eigene Angelegenheiten der Kirchen handele – den Kirchen zukomme; dann seien auf der einen Seite die Kirchen gezwungen, von ihrer Rechtsetzungskompetenz Gebrauch zu machen, auf der anderen Seite der Staat verpflichtet, dieses gesetzte Recht zur Geltung gelangen zu lassen. Andererseits gebe es den anderen – fakultativen – Bereich der eigenen Angelegenheiten, in dem die bürgerliche Wirksamkeit mit dem Argument des möglichen Leerlaufens des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen notwendig sei. 425  Die Figur des staatlichen Geltungsbefehls gilt nicht nur für Kirchen, sondern ist generell für privates, eigenständiges Recht entwickelt worden, siehe nur Kirchhof (Fn. 354), 128 f.; vgl. auch Traulsen (Fn. 354), 45 ff. 426  Dazu Muckel (Fn. 238), 121 ff.; Magen (Fn. 422), 900 f., der von „materielle[r] Integration“ (900) spricht; Kästner (Fn. 416), 128, der den Begriff der „materielle[n] Beachtlichkeit“ wählt; Traulsen (Fn. 354), 45 ff. 427  Magen (Fn. 422), 901. 428  Siehe bereits oben S. 102 ff. 429  Vgl. Magen (Fn. 422), 897 / 898: „Die Bereichslehre ist damit allerdings nicht aufgegeben, sondern nur von der prozessualen auf die materielle Ebene verlagert“.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

Tatsächlich kann der Justizgewährungsanspruch nicht pauschal auf staat­ liches Recht beschränkt werden. Das liegt daran, dass die Frage, wie weit die Selbstbestimmungsbefugnisse der Kirchen reichen, stets über Art. 137 Abs. 3 WRV zu klären ist. Diese Vorschrift ist die – staatlich gesetzte – Grundlage für die Abgrenzung staatlicher und kirchlicher (Organisations-)Kompetenzen. Entscheidend ist demnach nicht, ob kirchliches Recht bürgerliche Wirksamkeit entfaltet, sondern inwieweit auf dem Gebiet der kirchlichen Gerichtsbarkeit die Schranke des für alle geltenden Gesetzes greift. Hierfür gelten die allgemeinen, oben dargelegten430 Grundsätze: Jede staatliche Regelung, die der Selbstbestimmung der Kirchen widerspricht und ein allgemeines Gesetz darstellt,431 ist geeignet, die kirchliche Selbstbestimmung zu begrenzen. Ob sie dies auch tatsächlich erfolgreich tut, ist anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, insbesondere der Abwägung zwischen beiden betroffenen (Verfassungs-)Gütern zu entscheiden. Für die Frage nach der Zuständigkeit staatlicher Gerichtsbarkeit in eigenen Angelegenheiten der Kirchen ist damit eine Abwägung zwischen Selbstbestimmungsrecht und Justizgewährungsanspruch erforderlich. Der Weg über die bürgerliche Wirksamkeit wäre nur dann notwendig, wenn es konkrete Anhaltspunkte für eine Beschränkung des staatlichen Justizgewährungsanspruchs auf nur staatliche Rechtsfragen gäbe. Dem ist aber gerade nicht so. Der Justizgewährungsanspruch ist die Kehrseite des staat­ lichen Gewaltmonopols und muss deshalb auch umfassend sein.432 Verzichtet der Bürger um des gesellschaftlichen Friedens willen auf Selbstjustiz, so darf die staatliche Gewalt – nicht zuletzt wegen der Legitimierung ihres Gewaltmonopols – ihm den gerichtlichen Rechtsschutz nicht von vornherein verstellen. Zudem ist der Justizgewährungsanspruch an keiner Stelle ausdrücklich normiert, sondern ergibt sich durch Auslegung überwiegend aus dem im Grundgesetz verbürgten Rechtsstaatsprinzip und damit insgesamt aus dem staatlichen Recht. Folglich ist auch die Reichweite dieses Grundsatzes anhand des staatlichen Rechts zu bestimmen. Dabei gilt es dann aber freilich auch die staatliche Regelung des Art. 137 Abs. 3 WRV zu beachten. Es ist nicht überzeugend, ein staatliches Verfassungsgut im Voraus zu beschränken, obgleich dasselbe staatliche Recht, aus dem dieses Gut abgeleitet wird, die Reichweite einer jeden staatlichen Regelung nach der Festlegung des für alle geltenden Gesetzes zu bestimmen fordert. Wie weit ein staatliches Gut auf eigene Angelegenheiten der Kirchen zugreift, ermittelt man allein anhand Art. 137 Abs. 3 WRV, also durch Abwägung, und nicht durch Definitionsver430  Siehe 431  Ebd.

dazu bereits oben S. 102 ff.

432  Jeand’Heur / Korioth (Fn. 383), 359; Unruh, GG (Fn. 233), 113; Steiner, Staatliche und kirchliche Gerichtsbarkeit, in: NVwZ 1989, 410 (414).



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht129

suche des Begriffs des staatlichen Rechts.433 Andernfalls müsste man bei jedem staatlichen das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen widersprechenden staatlichen Verfassungsgut die Frage nach seiner Reichweite in Bezug auf eigene kirchliche Angelegenheiten stellen. Das ist freilich absurd: Eine Norm, deren Aufgabe die Abgrenzung staatlicher und kirchlicher Kompetenzfelder ist, kann nicht deshalb nicht betroffen sein, weil das in Frage stehende widerstreitende Verfassungsgut nicht auf das kirchliche Kompetenzfeld anwendbar ist. Solange der staatliche Gesetz- und Verfassungsgeber, dem die Aufgabe der Letztentscheidung zukommt,434 erkennbar die Reichweite eines Verfassungsguts nicht ausdrücklich bestimmt, ist jenes angesichts der Letzt­ entscheidungsbefugnis zunächst auch seiner ganzen Bandbreite entsprechend anzuwenden. Durch Art. 137 Abs. 3 WRV zeigt der Verfassungsgeber, dass jedes staatliche Verfassungsgut auch im Bereich eigener Angelegenheiten der Kirchen greifen kann, sofern nicht nach Art. 137 Abs. 3 WRV dem Selbstbestimmungsrecht Vorrang einzuräumen ist. b) Kein genereller Vorrang des Justizgewährungsanspruchs Mit Hilfe der bürgerlichen Wirksamkeit kirchlichen Rechts als dogmatische Hilfsbrücke gelangen auch die Rechtsprechung und die ihr zustimmende Literatur zu einer Abwägung zwischen Selbstbestimmungsrecht und Justizgewährungsanspruch.435 Insoweit könne das Selbstbestimmungsrecht nicht die staatliche Justizgewährung, aber die Justiziabilität einer kirchlichen Rechtssache einschränken.436 Dem ist zuzustimmen. Im Sinne der praktischen Konkordanz ist es richtig, sämtliche Rechtsschutzverfahren auf dem Gebiet der eigenen Angelegenheiten der Kirchen auch vor staatliche Gerichte auszutragen. Das bedeutet aber nicht, dass die staatlichen Gerichte dort alle Fragen inhaltlich zu entscheiden haben. Je nach Gewichtung des Selbstbestimmungsrechts im Einzelfall kann eine bestimmte – ggf. auch präjudizielle – Rechtsfrage allein den Jeand’Heur / Korioth (Fn. 361), 365 ff. Muckel (Fn. 238). 435  Unter Anwendung der Wechselwirkungslehre BGHZ 154, 306 (312): „Inhalt und Umfang der staatlichen Justizgewährung werden davon bestimmt, daß Selbstverwaltungsrecht und allgemeine Gesetze sowie ihre Durchsetzung durch die staatlichen Gerichte in einem Wechselverhältnis stehen. Dem ist durch eine Güterabwägung Rechnung zu tragen, die dem Selbstverwaltungsrecht und Selbstverständnis der Kirchen und Glaubensgemeinschaften gemäß ihrer geistlichen Grundordnung Rechnung trägt“; vgl. auch Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn. 233), 219; Jeand’Heur / Ko­ rioth (Fn. 361), 358 f. 436  BGHZ, 154, 306 (312); Steiner (Fn. 432), 410 ff.; vgl. auch Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn. 233), 219, der zwischen der „Eröffnung des Rechtswegs zu“ und der „Justiziabilität kirchlicher Angelegenheiten vor den staatlichen Gerichten“ unterscheidet (Herv. i. O.). 433  Ebenso 434  Siehe

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

Kirchen zur Beantwortung überlassen sein; staatliche Gerichte sind dann an entsprechende Ergebnisse gebunden.437 Art. 137 Abs. 3 WRV fungiert insoweit als Prüfungsmaßstabsbestimmung staatlicher Rechtsschutzverfahren im Bereich kirchlicher Angelegenheiten.438 Dabei kann pauschal weder der Justizgewährungsanspruch, noch das Selbstbestimmungsrecht als allgemein vorrangig angesehen werden. Entscheidend sind insbesondere die jeweilige Betroffenheit und Beeinträchtigungsintensität und damit die Frage, „ob und inwieweit die jeweils in Rede stehende Maßnahme von ihrem Selbstbestimmungsrecht erfasst ist“.439 Dabei wird deutlich, dass das Abwägungsergebnis recht häufig mit den Ergebnissen der Bereichslehre übereinstimmt. So liegt einhellig die staatliche Justiziabilität in Fragen religiöser Lehre oder religiöser Seelsorge auf dem Nullpunkt.440 Dennoch ist die Abwägungslehre der dogmatisch richtige Weg: Es macht einen nicht unerheblichen Unterschied, ob die Nähe zum Verkündungsauftrag und das Selbstverständnis der Kirchen als Argument oder als festes, vorgegebenes Schema fungieren. c) Exkurs: mittelbare Grundrechtswirkung und mittelbare Grundrechtsgeltung Wurde nunmehr die mittelbare Geltung der Mitarbeitergrundrechte auch im kirchlichen Bereich bejaht, sei nun exkursorisch darauf hinzuweisen, dass 437  Ebenso Jeand’Heur / Korioth (Fn. 361), 366: „Die Respektierung des Selbstbestimmungsrechts verlangt nicht rechtsschutzfreie Zonen, die der staatlichen Gerichtsbarkeit von vornherein entzogen sind. (…) Es ist richtig, daß das kirchliche Selbstverständnis einen von den Gerichten zu beachtenden Maßstab darstellt; dieser Maßstab gelangt jedoch erst oder nur im Rahmen der Entscheidungsfindung zur Wirkung. Indem er den staatlichen Gerichten bestimmte judikativ zu respektierende Prämissen vorgibt, die in die Abwägung einzubeziehen sind, vermag er den materiell-rechtlichen Prüfungsumfang zu beeinflussen“. 438  Ehlers, Staatlicher Rechtsschutz gegenüber den Religionsgemeinschaften in amts- und dienstrechtlichen Angelegenheiten, in: ZevKR 27 (1982), 269 (285); Maurer, Kirchenrechtliche Streitigkeiten vor den allgemeinen Verwaltungsgerichten, in: Erichsen / Hoppe / von Mutius (Hrsg.), System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes – Festschrift für Christian-Friedrich Menger zum 70. Geburtstag, 1985, 285 (289 ff). 439  Unruh, GG (Fn. 233), 118. 440  Unruh, GG (Fn. 233), 120; ders., Religionsverfassungsrecht (Fn. 233), 219; vgl. dazu insgesamt auch Kästner, Zur Funktion kirchlicher Gerichte im Bereich der evangelischen Kirchen, in: Weiss / Ihli (Hrsg.), Flexibilitas Iuris Canonici – Festschrift für Richard Puza zum 60. Geburtstag, 2003, 539 ff.; ders., Evangelische Kirchengerichtsbarkeit zwischen Selbstbehauptung und Selbstüberschätzung, in: ZevKR 49 (2004), 171 ff.; Scheuner, Grundfragen einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: ZevKR 6 (1957 / 58), 337 ff.; vgl. auch Munsonius, Evangelisches Kirchenrecht – Grundlagen und Grundzüge, 2015, § 25.



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht131

es sich hierbei nicht um den „klassischen“ Fall der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte handelt. Letzteres meint den Fall, dass staatliche Gerichte auch im Privatrecht die Grundrechte Betroffener über auslegungsbedürftige Tatbestände – etwa Generalklauseln – berücksichtigen und einfließen lassen müssen.441 Der Unterschied zu der hier dargelegten mittelbaren Geltung (nicht Wirkung!) der Grundrechte liegt dabei bereits in deren Begründung und dogmatischen Grundlage. Während die mittelbare grundrechtliche Drittwirkung überwiegend aus den Grundrechten selbst – herrschend ist insoweit die objektiv-rechtliche Dimension der Grundrechte442 – herzuleiten ist, gelten mittelbar die Grundrechte im kirchlichen Bereich wegen des kirch­ lichen Selbstbestimmungsrechts. Der Hintergrund ist, dass Art. 137 Abs. 3 WRV zwar freiheitsrechtlich gefasst und anzuwenden ist, selbst aber kein Grundrecht ist.443 Vielmehr regelt das Selbstbestimmungsrecht die Reichweite kirchlicher Autonomie unmittelbar, wirkt also auch unmittelbar auf das Kirchenrecht ein. Die Mittelbarkeit der Grundrechtsgeltung ergibt sich dabei gerade über den das kirchliche Selbstbestimmungsrecht begrenzenden Justizgewährungsanspruch. Mit anderen Worten haben die staatlichen Gerichte die Grundrechte nicht wegen einer objektiv-rechtlichen Wirkung der Grundrechte, sondern alleine wegen Art. 137 Abs. 3 WRV in Verbindung mit dem staatlichen Justizgewährungsanspruch zu beachten. Um diesen Unterschied klar herauszustellen, soll im Folgenden nicht von einer mittelbaren Grundrechtswirkung, sondern von einer mittelbaren Grundrechtsgeltung die Rede sein. d) Das für alle geltende Gesetz im Bereich des Rechtsschutzes Keine Probleme verursacht die Suche nach einem allgemeinen, d. h. für alle geltenden, einfachen Gesetz im Bereich des Rechtsschutzes. Hierbei verkörpern die allgemeinen Rechtswegzuständigkeitsregelungen der einzelnen Gerichtsbarkeitsgesetze den allgemeinen Justizgewährungsanspruch und sind daher – zumal es an ausrücklichen Ausnahmen fehlt – dem Grundsatz nach auch für kirchliche Angelegenheiten anwendbar. So sind insbesondere die §§ 13 f. GVG, §§ 1 ff. ZPO für die ordentliche Gerichtsbarkeit, § 40 441  BVerfGE 7, 198 (207); Michael / Morlok, Grundrechte, 6. Aufl. 2017, Rn. 481 ff., 505 ff.; Dreier (Fn. 257), 96 ff.; Hufen (Fn. 232), § 7 Rn. 8 ff. 442  Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3 / 1, 1988, S.  1509 ff.; Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 15. Aufl. 2018, vor Art. 1 Rn. 33; vgl. auch Classen, Die Drittwirkung der Grundrechte in der Rechtsprechung des BVerfG, in: AöR 122 (1997), 65 ff.; Ruffert, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Privatrecht, in: JZ 2009, 389 ff. 443  Morlok (Fn. 233), 45; Muckel (Fn. 238), 187 ff.; siehe auch ausführlich oben S.  83 ff.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

VwGO für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und §§ 1 ff. ArbGG für die Arbeitsgerichtsbarkeit zu beachten. 3. Zusammenfassung Die Grundrechte gelten im Bereich der Kirche nicht unmittelbar. Allerdings gebietet der staatliche Justizgewährungsanspruch, dass dem Grundsatz nach jede Rechtsstreitigkeit – auch im Bereich eigener Angelegenheiten der Kirchen – vor staatlichen Gerichten ausgetragen wird. Dabei ist nicht entscheidend, ob das kirchliche Recht bürgerliche Wirksamkeit entfaltet; die Reichweite des staatlichen Justizgewährungsanspruchs richtet sich nach staatlichem Recht. Dabei ist Art. 137 Abs. 3 WRV Grundlage für die Bestimmung der Reichweite staatlicher Regelungen im Bereich kirchlicher Angelegenheiten. Für die Frage der staatlichen Gerichtsbarkeit auf diesem Felde ist damit allein maßgeblich, zu welchem Ergebnis die Abwägung zwischen Justizgewährungsanspruch und Selbstbestimmungsrecht der Kirchen kommt. Dies ist für jeden Einzelfall zu bestimmen, wobei insbesondere die Nähe der Streitfrage zum kirchlichen Selbstverständnis eine besondere Rolle spielt. Dabei kann das Selbstbestimmungsrecht nicht den Zugang zu, aber den Schutz vor staatlichen Gerichten, also die Justiziabilität der Rechtsstreitigkeiten beschränken.444

III. Überlagerung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts durch das Unionsrecht Möglicherweise könnte aber der Umfang der arbeitsrechtlichen Regelungsbefugnisse der Kirchen nicht erst durch den Ausgleich zwischen den Mitarbeitergrundrechten und dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht, sondern bereits durch den Anwendungsvorrang445 des Unionsrechts modifiziert und insoweit bestimmte Inhalte vorgegeben werden. Denn möglicherweise vermag das Recht der Union insoweit das grundgesetzliche Selbstbestimmungsrecht der Kirchen zu überlagern. Relevant wird dies insbesondere bei den Loyalitätspflichten (1.), aber auch im Bereich der Mitarbeitervertretung (2.) könnten sich europarechtsbedingt Besonderheiten ergeben. 444  Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn. 233), 219; Jeand’Heur / Korioth (Fn. 361),

365 ff.

445  Allgemein zum Anwendungsvorrang siehe nur Herdegen, Europarecht 20. Aufl. 2018, § 10; Frenz, Europarecht, 2. Aufl. 2015, Rn. 126 ff.; vgl. auch Voßkuhle, Der europäische Verfassungsgerichtsverbund, in: NVwZ 2010, 1 ff.; Calliess, in: ders. /  Ruffert (Hrsg.), AEUV / EUV, 5. Aufl. 2016, Art. 1 Rn. 16 ff., 41 ff.; EuGH, verb. Rs. C-10 / 97 bis C-22 / 97, IN.CO.GE., Slg. 1998, I-6307 Rn. 20 f.; EugH, Rs. C-314 / 08, Filipiak, Slg. 2009, I-11049 Rn. 83.



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht133

1. Europarecht und kirchliche Loyalitätspflichten (Richtlinie 2002 / 78 / EG) Eine besondere europarechtliche Bewertung ergibt sich aus der Existenz einer eigenen unionsrechtlichen Antidiskriminierungsrichtlinie  – 2000 / 78 /  EG – aus dem Jahre 2000, die durch das nationale AGG und – speziell auf die Frage kirchenrechtlicher Loyalitätspflicht bezogen – dessen § 9 in nationales Recht umgesetzt wurde.446 In Art. 4 der Richtlinie wird dabei auf arbeitsrechtliche Ungleichbehandlungen Bezug genommen, wobei der zweite Absatz gerade religiös oder weltanschaulich begründete Ungleichbehandlungen im Besonderen in den Blick nimmt. Wegen des Anwendungsvorrangs des (auch sekundären) Unionrechts ist es daher von nicht unerheblicher Bedeutung, ob und ggf. inwiefern die Richtlinie das deutsche Verfassungsrecht überlagert respektive modifiziert.447 Dass die Richtlinie anders als Art. 137 Abs. 3 WRV eine gleichheitsrechtliche Dimension entfaltet, spielt insoweit keine Rolle: Eine freiheitsrechtsorientierte Norm, die eine unionsrechtlich unzulässige Diskriminierung legitimiert, ist ebenfalls unionsrechtswidrig. a) Religionszugehörigkeit als Einstellungsvoraussetzung (Art. 4 Abs. 2) Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie erlaubt den Mitgliedsstaaten grundsätzlich Ungleichbehandlungen zuzulassen, unabhängig davon, wer der Arbeitgeber ist und welches Differenzierungskriterium eingesetzt wird, sofern das die Ungleichbehandlung begründende Merkmal „eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt“. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie begründet dabei eine Ausnahmevorschrift448 gerade für Kirchen und andere Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht. Danach ist es den Mitgliedstaaten erlaubt, Regelungen zu treffen oder beizubehalten, die eine Ungleichbehandlung wegen der Religion zulassen, wenn die Religion „nach Art dieser Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt“.

446  Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz vom 14. August 2006, BGBl. I S. 1897 ff.

447  Nicht von Interesse ist hier freilich die einfachrechtliche Ausgestaltung und Umsetzung der Richtlinie (also insbesondere § 9 AGG), da es hier gerade um die Frage geht, wie angesichts der verfassungs- und nun auch europarechtlichen Maßstäbe das einfache Recht auszugestalten ist. 448  Vgl. Link, Antidiskriminierung und kirchliches Arbeitsrecht, in: ZevKR 50 (2005), 383 (413 f.).

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

aa) Religion als Differenzierungskriterium Zu beachten ist, dass Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie ausschließlich von einer „Ungleichbehandlung wegen der Religion“449 spricht. Es stellt sich insoweit die Frage, auf welche Fälle Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie Anwendung findet. Der Wortlaut legt nahe, dass Diskriminierungen aus einem anderen Grund als die Religion gerade nicht nach Absatz 2 gerechtfertigt werden können. Der Zusatz „wegen“ deutet nämlich darauf hin, dass Religion in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie nur Differenzierungs-, nicht aber Begründungskriterium ist.450 Einige Autoren versuchen zwar,451 die Formulierung „wegen der Religion“ extensiv auszulegen, mit der Folge, dass generell religiöse Aspekte auch als Begründung für Diskriminierungen von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie umfasst sind. Die Richtlinie versperrt einer solchen umfassenden Bereichsausnahme für Kirchen allerdings bereits dadurch den Weg, dass sie die Möglichkeit der Ausnahme für Kirchen in Art. 4 Abs. 2 UA 1 eben nicht auf die Religion an sich, sondern ausdrücklich auf die „Religion dieser Person“ bezieht.452 Wird also einem Mitarbeiter etwa wegen dessen homosexuellen Lebenswandels gekündigt, handelt es sich um eine Diskriminierung nicht wegen der Religion des Mitarbeiters, sondern wegen der Religion des (kirchlichen) Arbeitgebers. Diese kann allenfalls über Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie gerechtfertigt werden.453 Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie schafft also nur kirchenbezogene Ausnahmemöglichkeiten für die Fälle, in denen die Religion des Mitarbeiters Einstellungsvoraussetzung,454 also Differenzierungskriterium ist.455

449  Herv.

VH. auch Fink-Jamann, Das Antidiskriminierungsrecht und seine Folgen für die kirchliche Dienstgemeinschaft, 2008, S. 228 f.; Groh, Einstellungs- und Kündigungskriterien kirchlicher Arbeitgeber vor dem Hintergrund des § 9 AGG, 2009, S. 188. 451  So insbesondere Grabenwarter, Die Kirchen in der Europäischen Union – am Beispiel von Diskriminierungsverboten in Beschäftigung und Beruf, in: ders. / Lüdecke (Hrsg.), Standpunkte im Kirchen- und Staatskirchenrecht, 2002, 60 (77); Kehlen, Europäische Antidiskriminierung und kirchliches Selbstbestimmungsrecht – zur Auslegung von Art. 13 EG und Art. 4 der Richtlinie 2000 / 78 / EG, 2003, S. 195; Mückl, Europäisierung des Staatskirchenrechts, 2005, S. 511; vgl. auch Groh (Fn. 450), 186 f. 452  Herv. VH. 453  Belling, Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinie im Hinblick auf das kirchliche Arbeitsrecht, in: NZA 2004, 885 (886 f.). 454  Vgl. EuGH, NJW 2018, 1869 (1871). 455  Fink-Jamann (Fn. 450), 228 f.; Groh (Fn. 450), 188. 450  So



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht135

bb) Keine vollumfängliche Bereichsausnahme Der Wortlaut des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie schafft keine vollständige Bereichsausnahme für das kirchliche Arbeitsrecht. Dies hat auch der EuGH in seinem Urteil vom 17.04.2018 eindeutig klargestellt, wonach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie zwar einerseits die einzelstaatlich garantierte Autonomie der Kirchen berücksichtigen, zugleich aber dem Schutz der Mitarbeiter vor Diskriminierung Rechnung tragen wolle.456 Die Vorschrift habe sich nach dem Gerichtshof „die Herstellung eines angemessenen Ausgleichs“457 dieser beiden Positionen zum Ziel gesetzt, was zwangsläufig im Vergleich zum deutschen Rechtsstatus eine Beschränkung der kirchlichen Autonomie zur Folge hat. Dass der EuGH hier richtig liegt, zeigt nicht nur der Umstand, dass Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie eine Ausnahme zugunsten der Kirchen unter bestimmte Voraussetzungen stellt („wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung“). Es handelt sich hier um materielle Kriterien, die gerade nicht auf den status quo in den Mitgliedsstaaten abstellen.458 Zwar erlaubt die Richtlinie in Art. 4 Abs. 2 UA 2, dass Kirchen und ihre Einrichtungen von ihren Mitarbeitern loyales und aufrichtiges Verhalten einfordern dürfen. Allerdings gilt dies ausdrücklich nur, „sofern die Bestimmungen dieser Richtlinie im übrigen eingehalten werden“, also gerade nur im Rahmen des Art. 4 Abs. 2 UA 1 der Richtlinie.459 Gegen eine umfassende Bereichsausnahme kann auch nicht der allgemeine Zweck des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie angeführt werden,460 der zwar grundsätzlich in der Gewährung eines kirchlichen Freiheitsraums liegt, aber auch ausdrücklich darauf gerichtet ist, den Mitarbeiter vor Diskriminierungen zu schützen (Art. 1 der Richtlinie). Beide Zweckrichtungen kommen in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie mithin zum Ausdruck, wenn den Kirchen zwar ein Freiraum gewährt wird, dieser aber nicht bedingungslos ist.

456  EuGH,

NJW 2018, 1869 ff. NJW 2018, 1869 (1871). 458  Anders aber Mahlmann, in: Rudolf / ders. (Hrsg.), Gleichbehandlungsrecht, 2007, § 3 Rn. 114; vgl. dazu auch Groh (Fn. 450), 188 f. 459  Groh (Fn. 450), 187; Heinig, Art. 13 EGV und die korporative Religionsfreiheit nach dem GG, in: Haratsch / Janz / Rademacher / Schmahl / Weiß (Hrsg.), Religion und Weltanschauung im säkularen Staat, 2001, 215 (241); Kehlen (Fn. 451), 160. Insoweit greift das Argument nicht durch, Art. 4 Abs. 2 UA 2 der Richtlinie setze sich von Art. 4 Abs. 2 UA 1 der Richtlinie ab; so aber Joussen, Die Folgen der europäischen Diskriminierungsverbote für das kirchliche Arbeitsrecht, in: RdA 2003, 32 (38). 460  So Mückl (Fn. 451), 511 ff. 457  EuGH,

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

cc) Das Kompetenzproblem Mit dem europarechtlichen Ziel der Regelung kirchlichen Arbeitsrechts ist aber noch nichts darüber gesagt, ob die Union überhaupt entsprechende Vorgaben festlegen darf. Insoweit stellt sich die Kompetenzfrage in Bezug auf religionsverfassungsrechtliche Sachverhalte.461 Ausgangspunkt ist Art. 5 Abs. 1 EUV. Nach dem dort verankerten Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung sind die Organe der Union nur für solche Fragen zuständig, zu deren Beantwortung sie durch die Mitgliedsstaaten im Wege der Kompetenzübertragung (vgl. Art. 23 GG) ausdrücklich ermächtigt wurden.462 Zwar ermächtigt Art. 19 Abs. 1 AEUV die Union, diskriminierungsbezogene Regelungen zu erlassen, so dass für den Bereich der Diskriminierungsbekämpfung eine entsprechende Ermächtigung der Union vorliegt.463 Gleichzeitig ist aber zu sehen, dass sie dennoch keine religionsverfassungsrecht­ lichen Kompetenzen besitzt:464 Insbesondere in Art. 4 Abs. 2 EUV wird deutlich, dass die Union die nationale Identität der Mitgliedsstaaten achtet und nicht beeinträchtigt, wozu allgemein auch das Verhältnis von Staat und Kirche gehört.465 Aber selbst wenn man das Religionsverfassungsrecht nicht als Moment nationaler Identität verstehen will,466 wird die fehlende religions­verfassungsrechtliche Kompetenz der Union insbesondere durch die Erklärung Nr. 11 in der Schlussakte zum Vertrag von Amsterdam zum Ausdruck gebracht. Dem kann nicht entgegengehalten werden, die Erklärung Nr. 11 sei lediglich als „soft law“ gänzlich unverbindlich, da solche Erklärungen zum einen zumindest als Auslegungshilfe heranzuzie461  Allgemein dazu de Wall, Das Religionsrecht der EU – Grundstrukturen und Spannungen, in: ZevKR 50 (2005), 383 ff.; Herbolsheimer, Gibt es ein Religionsrecht der Europäischen Union? – religionsrechtliche Kompetenzen der EU, in: KuR 2012, 81 ff.; Mückl (Fn. 451), 409 ff. 462  Dazu allgemein Calliess (Fn. 445), 6 ff.; Kraußer, Das Prinzip begrenzter Ermächtigung im Gemeinschaftsrecht als Strukturprinzip des EWG-Vertrages, 1991, S.  16 ff. 463  Vgl. auch Joussen (Fn. 459), 36. Anders – wie hier – interpretierend Waldhoff, Kirchliche Selbstbestimmung und Europarecht, in: JZ 2003, 978 (986), nach dem folgerichtig Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie primärrechtswidrig wäre. 464  Dazu insbesondere de Wall (Fn. 461); Herbolsheimer (Fn. 461); Mückl (Fn.  451), 409 ff. 465  Hanau / Thüsing, Europa und kirchliches Arbeitsrecht, 2001, S. 21; de Wall (Fn.  461), 388 f.; Bleckmann, Die Wahrung der „nationalen Identität“ im UnionsVertrag, in: JZ 1997, 265 (269); Jeand’Heur / Korioth (Fn. 361), 379. 466  Triebel, Das europäische Religionsrecht am Beispiel der arbeitsrechtlichen Anti-Diskriminierungsrichtlinie 2000 / 78 / EG, 2005, S. 269; Vachek, Das Religionsrecht der Europäischen Union im Spannungsfeld zwischen mitgliedstaatlichen Kompetenzreservaten und Art. 9 EMRK, 2000, S. 274; zumindest das Arbeitsrecht nicht zu der nationalen Identität zählend Groh (Fn. 450), 122 f.; Kehlen (Fn. 451), 222.



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht137

hen sind,467 zum anderen durch die Aufnahme in die Erwägungsgründe zu einem verbindlichen Maßstab heranwachsen.468 Drittens und am entscheidensten ist aber, dass die Erklärung ohnehin über den wortgleichen Art. 17 Abs. 1, 2 AEUV konkret als Schranke europarechtlichen Handelns installiert worden und nunmehr Primärrechtsinhalt ist.469 Danach achtet die Union den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht. Daraus ist zu folgern, dass der Union zwar eine insoweit mittelbar bestehende reli­gionsverfassungsrechtliche Kompetenz zukommen könnte, als Diskriminierungen auch im religionsrechtlichen Bereich stattfinden. Dennoch darf diese Kompetenz nicht dazu genutzt werden, Regelungen der mitgliedstaatlichen Rechtsordnung in Bereichen fehlender europäischer Kompetenzen auszuhebeln. Das stellt auch Art. 19 Abs. 1 AEUV selbst ausdrücklich klar, wenn er den Diskriminierungsschutz nur „im Rahmen der durch die Verträge auf die Union übertragenen Zuständigkeiten“ anordnet. Damit gilt Art. 19 Abs. 1 AEUV – nicht wie teilweise behauptet470 – umfassend, sondern gerade nur innerhalb der europäischen Befugnisse: Eine allgemeine Antidiskri-

467  Vgl. Mückl (Fn. 451), 454; Groh (Fn. 459), 77 ff.; Grzeszick, Die Kirchenerklärung zur Schlußakte des Vertrages von Amsterdam – europäischer Text, völkerrechtliche Verbindlichkeit, staatskirchenrechtlicher Inhalt, in: ZevKR 48 (2003), 285 (296); Reichold, Bedroht das Europäische Recht die Sonderstellung des kirchlichen Arbeitsrechts?, in: ZMV 2001 (Sonderheft), 21 ff.; vgl. Herbolsheimer (Fn. 461), 85; anders hingegen Thüsing (Fn. 285), 221; Vachek (Fn. 466), 135; Mösenthin, Systeme der Kirchenfinanzierung in der Europäischen Union und ihre europarechtlichen Rahmenbedingungen, in: KuR 2000, 139 (149). 468  So Reichold, Europa und das deutsche kirchliche Arbeitsrecht – Auswirkungen der Antidiskriminierungs-Richtlinie 2000 / 78 / EG auf kirchliche Arbeitsverhältnisse, in: NZA 2001, 1054 (1054 f.); de Wall, Europäisches Staatskirchenrecht, in: ZevKR 45 (2000), 157 (158); Winter, Das Verhältnis von Staat und Kirche als Ausdruck der kulturellen Identität der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, in: Bohnert (Hrsg.), Verfassung – Philosophie – Kirche, Festschrift für Alexander Hollerbach zum 70. Geburtstag, 2001, 893 (900 f.); Heintzen, Die Kirchen im Recht der Europäischen Union, in: Isensee (Hrsg.), Dem Staate, was des Staates – der Kirche, was der Kirche ist, Festschrift für Joseph Listl zum 70. Geburtstag, Berlin 1999, 29 (31 ff.); vgl. Joussen (Fn. 459), 36.; Thüsing / Fink-Jamann / von Hoff, Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht als Legitimation zur Unterscheidung nach der Religion – zum Spannungsverhältnis von kirchlicher Dienstgemeinschaft, verfassungsrechtlicher Autonomie und europäischem Diskriminierungsrecht, in: ZfA 2009, 153 (165). 469  Classen, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 53. Lfg. 2014, Art. 17 AEUV Rn. 1. 470  So Joussen (Fn. 459), 36 f.: „umfassend“; Groh (Fn. 450), 122 m. w. N. Es ist daher nicht ersichtlich, weshalb die Erstreckung der Kompetenz aus Art. 19 Abs. 1 AEUV auf arbeitsrechtliche Fälle im kirchlichen Bereich ohne Auseinandersetzung mit dem Wortlaut der Norm bejaht wird.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

minierungsbefugnis ist gerade nicht auszumachen.471 Dies stellt die Richtlinie 2000 / 78 / EG ebenfalls in ihrem Art. 3 Abs. 1 noch einmal deutlich heraus. Das Diskriminierungsrecht ist also kein Freibrief zur Übergehung der Kompetenzordnung. Das bedeutet: Die Union ist zwar befähigt, über Art. 19 Abs. 1 AEUV gewisse Diskriminierungstatbestände zu regeln, allerdings nur soweit, als keine religionsverfassungsrechtlichen Sachverhalte ihrer Regelung unterworfen werden. Der europäische Gesetzgeber ist also nicht befugt, solche Fragen verbindlich zu beantworten, die sich nach nationalen religionsverfassungsrechtlichen Regelungen, also insbesondere nach Art. 137 Abs. 3 WRV richten. Genau dies wäre aber der Fall, wenn Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie nur für religionsbezogene Differenzierungen gelten würde. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, die Union habe hier mit Art. 4 Abs. 2 der Richt­ linie als Ausnahme zu Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie einen Ausgleich zwischen Antidiskriminierungskompetenz (Art. 19 AEUV) und fehlender religionsrechtlicher Kompetenz vorgenommen,472 bedeutet das Ergebnis dieser Abwägung doch gleichwohl weiterhin eine umfassende europarechtliche Überlagerung nationaler (Verfassungs-)Bestimmungen in einem europarechtsfernen Bereich. Zwar soll Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie die Kirchen an sich begünstigen, indem sie vom allgemeinen Diskriminierungsschutz teilweise ausgeschlossen werden. Dies darf man jedoch nicht als besonderes Wohlwollen der Union auslegen, würde man ihr doch dann zugutehalten, sie habe einen Bereich, den sie nicht regeln darf, nur teilweise geregelt.473 Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie ist folglich entweder als primärrechtswidrig anzusehen oder primärrechtskonform im Sinne einer Bereichsausnahme für das kirchenspezifische Arbeitsrecht auszulegen.474 471  Auf den Punkt gebracht von Epiney, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV / AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 19 AEUV Rn. 6: „Daher ist der Anwendungsbereich des Art. 19 auf die materiellen Zuständigkeiten der Union beschränkt, so daß dem Unionsgesetzgeber gerade keine allgemeine Kompetenz zur Bekämpfung von Diskriminierungen aus den genannten Gründen eingeräumt wird, sondern er nur in denjenigen Bereichen tätig werden darf, in denen ihm auch sonst eine Rechtsetzungsbefugnis zusteht, so daß das Bestehen einer sachlichen Zuständigkeit für die Regelung des betreffenden Bereichs ausschlaggebend ist.“ (Herv. VH). 472  So aber Groh (Fn. 450), 118 f., 129. Mittlerweile so auch EuGH, NJW 2018, 1869 (1871), siehe dazu sogleich. 473  Insgesamt so auch Joussen (Fn. 459), der das Ergebnis jedoch überwiegend mit einem „Vorrang“ des Ausnahmeprinzips unter Berücksichtigung des Erwägungsgrundes Nr. 24 der Richtlinie begründet und insoweit nicht dem kompetenzrechtlichen Argument – wie hier vertreten – folgt, sondern die Beantwortung der Frage als Zweckbewertung darstellt. 474  Für die Primärrechtswidrigkeit: Waldhoff (Fn. 463), 986, und Schliemann, Kirchliches Selbstbestimmungsrecht und Europäischer Tendenzschutz, in: Annuss (Hrsg.), Festschrift für Reinhard Richardi zum 70. Geburtstag, 2007, 956 (972 ff.).



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht139

dd) Auswirkungen des Urteils des EuGH vom 17.04.2018 („Egenberger“) Obwohl der Aspekt der Regelungskompetenz für das Verfahren von höchster Relevanz war, hat sich der EuGH in seiner Entscheidung vom 17.04.2018 mit ihm nicht hinreichend beschäftigt.475 Bei dem Verfahren handelte es sich um ein vom BAG angestoßenes Vorlageverfahren nach Art. 267 AEUV.476 Die Richter aus Erfurt hatten die Frage zu entscheiden, ob ein kirchlicher Arbeitgeber die Religionszugehörigkeit als Einstellungsvoraussetzung festsetzen darf, und fragten hierbei explizit nach dem Einfluss durch die Antidiskriminierungsrichtlinie. In ihrem Vorlagenbeschluss wies das BAG dabei ausdrücklich auf die in der Literatur unter Berufung auf Art. 17 AEUV vorherrschende Meinung von der Kompetenzwidrigkeit hin.477 Umso überraschender ist es, dass sich auch die Ausführungen des Generalanwalts vom 09.11.2017, denen sich der EuGH letztlich angeschlossen und auf die er zum Teil verwiesen hat, mit der eigentlichen Problematik letztlich nicht auseinandersetzen.478 Für eine primärrechtskonforme Auslegung: LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 28.05.2014  – 4 Sa 157 / 14 u. a.; Thüsing / Fink-Jamann / von Hoff (Fn. 468), 178 f. Hintergrund letzterer Ansicht ist allerdings, dass nach ihr Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie bereits hinsichtlich des Wortlauts und Telos eine extensive Anwendung festsetze und sich insoweit eine Primärrechtswidrigkeit gar nicht ergebe, sondern die Kompetenzordnung lediglich als zusätzliches, verstärkendes Argument herangezogen werde. Nach dem hier vorgeschlagenen Konzept erscheint indes eine primärrechtskonforme Auslegung deshalb problematisch, weil eine solche die Pluralität möglicher Auslegung erfordert, die wegen des klaren Wortlauts der Norm nach der hier vorgenommenen Auslegung jedoch ausscheidet. Die primärrechtskonforme Auslegung dient jedoch nicht dazu, entgegen dem Willen des europäischen Gesetzgebers eine entsprechende „Korrektur“ vorzunehmen, sondern bezweckt vielmehr, einen Kanon an Auslegungsmöglichkeiten zu verengen (dazu insbesondere Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, 2003, S. 63). Wenn man dagegen die kaum überzeugende extensive Auslegung des Begriffs „Religion“ hinzuzieht und insoweit auch nach hier verstandenem Konzept eine Pluralität von Auslegungen annimmt, ist auch eine primärrechtskonforme Auslegung vertretbar. Für das Ergebnis entscheidend ist dies nicht unmittelbar, kommen doch beide Wege zu dem Ziel, dass die Richtlinie 2000 / 78 / EG nicht für die Wertungen des Art. 137 Abs. 3 WRV und damit nicht für das kirchenspezifische Arbeitsrecht gilt. 475  Vgl. EuGH, NJW 2018, 1869 ff. 476  BAG, Beschl. v. 17.03.2016 – 8 AZR 501 / 14 (A). 477  BAG, Beschl. v. 17.03.2016 – 8 AZR 501 / 14 (A), Rn. 50: „Allerdings wird in der deutschen Rechtsdiskussion teilweise vertreten, (…) Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000 / 78 / EG [sei] seinerseits im Lichte von Art. 17 AEUV (bzw. der Erklärung Nr. 11, die der Schlussakte des Vertrags von Amsterdam beigefügt ist) primärrechtskonform dahin auszulegen (…), dass das kirchliche Selbstbestimmungsrecht des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV in seiner Ausprägung durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (…) vollständig gewahrt werde“. 478  Dazu Tanchev, ECLI:EU:C:2017:851 = BeckRS 2017, 134211.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

Denn zunächst ist zu beachten, dass sich der EuGH wie der Generalanwalt mit der Gesetzgebungskompetenz in concreto gar nicht befassen, sondern lediglich Art. 17 AEUV im Rahmen der Frage erörtern, wem die Beurteilungskompetenz zukommt, ob also staatliche Gerichte die Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie überprüfen dürfen oder ob das Selbstverständnis der Kirchen nach deutschem Religionsverfassungsrecht maßgeblich ist. Man kann insoweit dem Gericht lediglich eine konkludente Primärrechtskonformitätsfeststellung unterstellen,479 denn würde der EuGH der deutschen Literaturmehrheit folgen, hätte er dies auch ausdrücklich kundgetan. Dies ist aber deshalb misslich, weil die Beurteilung der tatsächlichen Voraussetzung einer Vorschrift wiederum die Vorprüfung voraussetzt, ob und inwieweit die Vorschrift überhaupt Anwendung findet. Insofern kann auch nicht eingewandt werden, der EuGH hätte sich mit der Regelungskompetenz nicht auseinandersetzen dürfen, weil das BAG ausdrücklich nur auf die Beurteilungskompetenz abgestellt habe.480 Die Frage der gerichtlichen Überprüfbarkeit stellt sich nämlich dann nicht, wenn die anzuwendende Norm primärrechtswidrig ist oder so auszulegen ist, dass letztlich ausschließlich die nationalen Maßstäbe beachtlich sind. Zudem rücken bei der Frage nach der staatlichen Beurteilungskompetenz gänzlich andere Vorüberlegungen und Aspekte – wie etwa die Frage wirksamen Rechtsschutzes nach Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union481 – in das Blickfeld als bei einer reinen Gesetzgebungskompetenz. Insoweit lassen sich Aussagen zur Regelungskompetenz – wenn überhaupt – nur mittels Rückschlüssen aus den Ausführungen des EuGH zum allgemeinen Status des Art. 17 AEUV treffen. EuGH und Generalanwalt gehen dabei davon aus, dass Art. 17 AEUV nicht die Pflicht beinhalte, den einzelstaatlichen Status der Kirchen „unter allen Umständen zu achten“.482 Vielmehr sei die Vorschrift im Lichte des übrigen Unionsrechts auszulegen. Dabei liefere Art. 17 AEUV keinen Anhaltspunkt dafür, dass „die Regelung der gerichtlichen Überprüfung (und damit auch andere Kompetenzen in diesem Zusammenhang; VH) (…) voll und ganz dem Recht der Mitgliedstaaten übertragen werden sollte“.483 Der Begriff des „Status“ im Sinne des Art. 17 AEUV meine lediglich das Modell für die Beziehung zu religiösen Organisationen.484 479  Junker, Gleichbehandlung und kirchliches Arbeitsrecht – ein deutscher Sonderweg endet vor dem EuGH, in: NJW 2018, 1850 (1852), spricht von „formelhaft“. 480  Vgl. BAG, NZA 2017, 388 (390 f.). 481  Tanchev, ECLI:EU:C:2017:851 = BeckRS 2017, 134211, Rn. 92. 482  Tanchev, ECLI:EU:C:2017:851 = BeckRS 2017, 134211, Rn. 93. 483  Tanchev, ECLI:EU:C:2017:851 = BeckRS 2017, 134211, Rn. 98. 484  EuGH, NJW 2018, 1869 (1871); Tanchev, ECLI:EU:C:2017:851 = BeckRS 2017, 134211, Rn. 99.



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht141

Die Argumentation des Gerichts ist zum Teil lückenhaft und teilweise substanzlos. Denn der zentrale Aspekt, nämlich dass Art. 17 AEUV nicht isoliert, sondern nur in Relation zu den übrigen Vorschriften des Primärrechts gesehen werden müsse,485 wird nicht begründet, sondern lediglich pauschal festgestellt. Gerade dieser Punkt ist aber zweifelhaft. Denn es gibt keine Norm des Unionsrechts, die im Übrigen das Verhältnis der Union zum Religionsverfassungsrecht der Mitgliedstaaten regelt geschweige denn positiv konstatiert, dass die Union entsprechende Kompetenzen hätte. Ist das der Grund, warum sich der EuGH mit Art. 17 AEUV nur auf der Ebene der Beurteilungskompetenz befasst, weil auf ihr eine Betroffenheit entsprechender anderweitiger Primärrechtsnormen (z.  B. Art. 47 der Grundrechtecharta486) leichter bejaht werden kann? Auf Regelungskompetenzebene nämlich finden sich lediglich Normen, die – wie etwa Art. 19 AEUV – wegen des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung gerade nur innerhalb der Zuständigkeiten der Union Wirkung entfalten können und daher nicht fähig sind, die Komptenzen der EU zu erweitern.487 Im Gegenteil: Der Generalanwalt räumt selbst ein, dass gerade in Hinblick auf die in Art. 5 EUV enthaltene Subsidiarität eine Kompetenzlücke der Union angenommen werden könnte.488 Dass EuGH und Generalanwalt dennoch eine relative Position des Art. 17 AEUV bejahen, begründen sie letztlich ausdrücklich damit, dass „auch“ Argumente für eine solche Auslegung sprechen würden.489 Nicht nur dass es an Gründen fehlt, warum die für eine relative Position sprechenden Aspekte gegenüber denjenigen gegen eine solche überwiegen; die folgenden Argumente des Gerichts sind auch keineswegs überzeugend. Zunächst wird angeführt, dass Art. 17 AEUV überhaupt keine Anhaltspunkte dafür gebiete, die Kompetenzen der Union zu beschneiden. Dies wird einerseits mit der Entstehungsgeschichte der Norm begründet, andererseits begründungslos pauschal festgestellt.490 Dass Letzteres nicht überzeugt, bedarf keiner weiteren Erörterung, zumal alleine das Fehlen von Hinweisen in Bezug auf eine Auslegungsmög485  Vgl. auch Tanchev, ECLI:EU:C:2017:851 = BeckRS 2017, 134211, Rn. 91: „… der Wortlaut von Art. 17 Abs. 1 und 2 AEUV bei isolierter Betrachtung darauf hindeuten mag“. Damit bezieht sich der Generalanwalt gerade auf die These, Art. 17 AEUV schließe europarechtliche Regelungen, die den Schutz der Kirchen reduzierten, aus. 486  Tanchev, ECLI:EU:C:2017:851 = BeckRS 2017, 134211, Rn. 92. 487  Epiney (Fn. 471), 6; Waldhoff (Fn. 463), 982; Reichegger, Die Auswirkungen der Richtlinie 2000 / 78 / EG auf das kirchliche Arbeitsrecht, 2005, S. 38 ff.; Triebel (Fn.  466), 68 ff.; Grabenwarter, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 54. Lfg. 2014, Art. 19 AEUV Rn. 11 ff. m. w. N. 488  Tanchev, ECLI:EU:C:2017:851 = BeckRS 2017, 134211, Rn. 94. 489  Tanchev, ECLI:EU:C:2017:851 = BeckRS 2017, 134211, Rn. 95: „Richtig ist aber auch …“. 490  Tanchev, ECLI:EU:C:2017:851 = BeckRS 2017, 134211, Rn. 97, 98.

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lichkeit nicht notwendigerweise zugleich eine andere Auslegungsmöglichkeit legitimiert. Es ist daneben besonders auffällig, dass die sodann angeführte Entstehungsgeschichte letztlich überhaupt keinen Bezug zum Inhalt des Art. 17 AEUV – weder in die eine, noch in die andere Richtung – aufzuweisen vermag. Es wird lediglich auf die Diskussion um das „christliche Erbe“ und die Erklärung Nr. 11 verwiesen. Ob insoweit eine Kompetenzbeschränkung entstehungsgeschichtlich gewollt ist oder nicht, lässt sich dabei nicht im Mindesten ableiten. Der weitere Aspekt ist nach Meinung des EuGH und des Generalanwalts, dass Art. 4 Abs. 2 EUV, der die nationale Identität der Einzelstaaten zu schützen beabsichtige, auch nach der gängigen Rechtsprechung des Gerichtshofs letztlich nur vor einer anwendungsbezogenen Beeinträchtigung schütze und nicht zu einer Geltungsbeschränkung des Unionsrechts a priori führe.491 Art. 4 Abs. 2 EUV sei demnach im Rahmen der Rechtsanwendung „gebührend zu berücksichtigen“, was letztlich auf eine Abwägung hindeutet.492 Es stellt sich dabei aber nicht nur die Frage, aus welchem Grund Art. 4 Abs. 2 EUV nur die Anwendung und nicht die Geltung einer Norm betrifft, zumal Art. 4 Abs. 2 EUV die Funktion als „Gegengewicht zur nicht unerheblichen Kompetenzausweitung der Union“ im Zuge des Lissaboner Vertrags übernimmt und insoweit gerade bei der Kompetenzauslegung eine Rolle spielt.493 Erforderlich ist eine Antwort insbesondere auch auf die Frage, inwieweit die Differenzierung zwischen Anwendung und Geltung überhaupt Einfluss auf die dogmatische Position des Art. 17 AEUV zu entfalten vermag. Denn Art. 17 AEUV ist – auch nach Ansicht des EuGH – eine Konkretisierung des Art. 4 Abs. 2 EUV.494 Unmittelbare Ableitungen bezüglich des Standes der einen und des Standes der anderen Norm sind daher nicht ohne Weiteres möglich. Dabei wurde bereits oben darauf hingewiesen, dass die Regelungskompetenz der EU im religionsverfassungsrechtlichen Bereich gerade auch unabhängig von der Auslegung des Art. 4 Abs. 2 EUV auf selbständiger Basis des Art. 17 AEUV verneint werden muss.495 Schließlich fehlt auch hier das letztentscheidende Argument, warum Art. 4 Abs. 2 EUV eine Abwägung begründen soll und nicht im Sinne eines „Anwendungsverbots“ absolute 491  Tanchev, ECLI:EU:C:2017:851 = BeckRS 2017, 134211, Rn. 95; Kokott, ECLI: EU:C:2016:382 = BeckRS 2016, 81074, Rn. 32 m. w. N. 492  Tanchev, ECLI:EU:C:2017:851 = BeckRS 2017, 134211, Rn. 95; dazu auch Schill / Krenn, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 65. Lfg. 2018, Art. 4 EUV Rn. 43 ff. 493  Calliess / Kahl / Puttler, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV / AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 4 EUV Rn. 22. 494  Tanchev, ECLI:EU:C:2017:851 = BeckRS 2017, 134211, Rn.  95; Kokott, ECLI:EU:C:2017:135 = BeckRS 2017, 101811, Rn. 31. 495  Siehe oben S. 136 ff.



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht143

Wirkung entfaltet. Denn für die Ansicht des EuGH lassen sich letztlich keine überzeugenden Argumente anführen, da eine Verhältnismäßigkeitsprüfung – wie Art. 5 Abs. 1 S. 2 EUV nahelegt – keine Regelungskompetenz begründen kann, sondern eine solche gerade erst voraussetzt.496 Dieselbe Argumentationslücke findet sich bei der ebenfalls nur pauschalen Feststellung des EuGH und des Generalanwalts, „Status“ im Sinne des Art. 17 AEUV bedeute nur das grundlegende religionsverfassungsrechtliche Modell.497 Hierfür wird kein Argument angeführt, auch wenn der Generalanwalt mit dem Adverb „also“ eine conclusio andeutet, wo keine ist.498 Gegen die Deutung des EuGH spricht bereits die grammatikalische Auslegung, wonach der aus dem Lateinischen abgeleitete Begriff laut Duden die „Stellung“ oder die „Lage“ meint. Die „Lage“ der Kirchen in Deutschland definiert sich aber keineswegs ausschließlich aus dem Trennungsprinzip in Art. 137 Abs. 1 WRV, sondern gerade aus dem Konglumerat der normierten Beziehungen zwischen Staat und Kirche. Status ist insoweit umfassend anzusehen. Zusammenfassend ist zu sehen, dass die Entscheidung des EuGH vom 17.04.2018 auch unter Rückgriff auf die Ausführungen des Generalanwalts die Frage nach der Kompetenzwidrigkeit des Art. 4 der Richtlinie nicht überzeugend beantwortet. Es ist bereits misslich, dass sich ausschließlich zur Beurteilungs-, nicht aber zur Regelungskompetenz geäußert wird und es daher notwendig ist, die Ausführungen zur Beurteilungskompetenz zu abstrahieren. Soweit hier überhaupt Rückschlüsse auf die Stellung des Art. 17 AEUV und damit auf seine Fähigkeit zur Kompetenzregelung möglich sind, erreichen sie nicht den notwendigen Grad an Bestimmtheit und Begründungstiefe. Die zentralen Argumente werden pauschal behauptet und nicht hinreichend mit Argumenten unterfüttert. Die wenigen Argumente sind zudem von einer erstaunlich oberflächlichen Natur, suggerieren teilweise einen Zusammenhang, den es tatsächlich nicht gibt, und bleiben letztlich nur „formel­ haft“.499

496  So auch Calliess / Kahl / Puttler (Fn. 493); anders von Bogdandy / Schill, Die Achtung der nationalen Identität unter dem reformierten Unionsvertrag – zur unionsrechtlichen Rolle nationalen Verfassungsrechts und zur Überwindung des absoluten Vorrangs, in: ZaöRV 70 (2010), 701 (725 ff.). 497  EuGH, NJW 2018, 1869 (1871); Tanchev, ECLI:EU:C:2017:851 = BeckRS 2017, 134211, Rn. 99. 498  Tanchev, ECLI:EU:C:2017:851 = BeckRS 2017, 134211, Rn. 99. 499  Junker (Fn. 479).

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

ee) Inkurs: die Beurteilungskompetenz Wenn man entgegen der hier vertretenen Ansicht die Kompetenz der Union zur Regelung der Diskriminierung im kirchlichen Arbeitsrecht bejaht, hängen die weiteren Überlegungen hinsichtlich der Überlagerungskraft des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie tatsächlich von der Frage der Beurteilungskompetenz ab. Denn dürfen die Kirchen selbst die Loyalitätsanforderungen bestimmen, also eis ipsibus festlegen, wann eine berufliche Anforderung eine „wesent­ liche, rechtmäßige und gerechtfertigte“ ist, käme es de facto zu einem Gleichlauf von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie und Art. 137 Abs. 3 WRV.500 Der EuGH sieht die Beurteilungskompetenz hingegen bei den nationalen Gerichten, die insbesondere im Wege einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu klären hätten, ob zwischen Autonomie der Kirchen und Diskriminierungsschutz des Mitarbeiters ein hinreichender Ausgleich geglückt sei.501 Unter der Prämisse, dass Art. 17 AEUV nicht zu einer Kompetenzausnahme führt, sondern im Sinne eines relativen Status lediglich die Notwendigkeit einer Abwägung zwischen der Autonomie der Kirchen und dem entgegenstehenden Zweck (hier etwa Diskriminierungsschutz nach Art. 19 AEUV) begründet, sind die Argumente des EuGH überzeugend. Insoweit wendet der EuGH im Wege klassischer Hermeneutik die gängigen Auslegungsmethoden an, die nachvollziehbar zu einer staatlichen Beurteilungskompetenz führen. Der Gerichtshof betrachtet überwiegend Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie selbst. Zentrales Argument ist wie bei einem Großteil in der deutschen Literatur502 zunächst, dass die einschränkenden Vorgaben der Norm „völlig ins Leere ginge[n]“, sollte eine staatliche Kontrolle nicht stattfinden.503 Das Ziel der Richtlinie – und damit auch des Art. 4 Abs. 2 – sei gerade eine effektive Bekämpfung der Diskriminierung, die durch einen Selbstentzug der Kirchen infolge fehlender Kontrolle konterkariert würde.504 Dies zeigten auch Art. 9 und 10 der Richtlinie, die gerade von den Einzelstaaten verlangten, „dass alle Personen, die sich durch die Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrund500  Vgl. Thüsing / Fink-Jamann / von Hoff (Fn. 468), 167 ff.; vgl. Schoenauer, Die Kirchenklausel des § 9 AGG im Kontext des kirchlichen Dienst- und Arbeitsrechts, 2010, S.  69 ff. 501  EuGH, NJW 2018, 1869 (1870 f.); Tanchev, ECLI:EU:C:2017:851 = BeckRS 2017, 134211, Rn. 66 ff., insb. 76 ff. 502  Budde, Kirchenaustritt als Kündigungsgrund? – Diskriminierung durch kirch­ liche Arbeitgeber vor dem Hintergrund der Antidiskriminierungsrichtlinie 2000 / 78 /  EG, in: AuR 2005, 353 (358); Reichegger (Fn. 487), 204 ff.; Schliemann, Europa und das deutsche kirchliche Arbeitsrecht – Kooperation oder Konfrontation?, in: NZA 2003, 407 (411). 503  EuGH, NJW 2018, 1869 (1870). 504  EuGH, NJW 2018, 1869 (1870).



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht145

satzes in ihren Rechten für verletzt halten, ihre Ansprüche aus dieser Richtlinie auf dem Gerichts- und / oder Verwaltungsweg“ geltend machen dürften.505 Diese Argumentation ist deshalb stichhaltig, weil sie unter Zugrundelegen des Verständnisses des EuGH von Art. 17 AEUV zu Recht auf der Prämisse basiert, dass auch die Kirchen vollumfänglich vom Anwendungsbereich der Richtlinie betroffen sind. Dagegen kann nicht – wie teilweise in der Literatur vertreten506 – der Zweck der Richtlinie angeführt werden, wie er im Erwägungsgrund Nr. 24 Ausdruck findet. Dort wird ausdrücklich auf die Erklärung Nr. 11 in der Schlussakte zum Vertrag von Amsterdam Bezug genommen. Allerdings ist dagegen zu sehen, dass die Europäische Union in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie gerade keine Bereichsausnahme getroffen hat und insoweit allein dadurch in religionsverfassungsrechtliche Gefilde dringt. Darüber hinaus wird im Erwägungsgrund Nr. 24 der Richtlinie ohnehin nur festgehalten, dass die Mitgliedsstaaten „in dieser Hinsicht spezifische Bestimmungen über die wesentlichen, rechtmäßigen und gerechtfertigten beruflichen Anforderungen beibehalten“ können. Dies wiederholt de facto aber nur die Regelung des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie und bedeutet nicht, dass die mitgliedstaatlichen Loyalitätsregelungen an sich, sondern nur hinsichtlich der wesentlichen, rechtmäßigen und gerechtfertigten beruflichen Anforderungen beibehalten werden dürfen.507 Die Union sagt also auch auf der Ebene der Erwägungsgründe nichts über die Beurteilungskompetenz aus. Der EuGH wendet sich damit auch gegen die mögliche Ansicht, über den Verweis in Art. 4 Abs. 2 UA 1 der Richtlinie auf die nationalen Verfassungsbestimmungen verbleibe die Beurteilungskompetenz letztlich bei den Kirchen. Der EuGH wendet insoweit auch konsequent sein Verständnis von Art. 17 AEUV an und sieht Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie gerade als vertretbares Ergebnis der von Art. 17 AEUV geforderten Abwägung zwischen Kirchenautonomie und Diskriminierungsschutz.508 Dem EuGH ist zuzustimmen, denn Art. 4 Abs. 2 UA 1 der Richtlinie verweist zwar auf die nationalen Rechtsvorschriften. Dies betrifft aber deshalb nicht die Beurteilungskompetenz, weil diese letztlich in Art. 9, 10 der Richtlinie unionsrechtlich gesondert geregelt ist und dadurch die nationalen Vorschriften überlagert werden. Darüber hinaus bezieht Art. 4 Abs. 2 UA 1 der Richtlinie den Verweis auf natio505  EuGH,

NJW 2018, 1869 (1870). Thüsing / Fink-Jamann / von Hoff (Fn. 468), 164 f.; Joussen (Fn. 459), 36 f. 507  Interessanterweise fehlt in den Erwägungsgründen der Bezug auf eine ethosbezogene Beurteilung. 508  EuGH, NJW 2018, 1869 (1871): „Art. 4 Abs. 2 der RL 2000 / 78 bezweckt also die Herstellung eines angemessenen Ausgleichs zwischen einerseits dem Recht auf Autonomie der Kirchen (…) und andererseits dem Recht der Mitarbeiter (…)“. Es werde „deutlich, dass der Unionsgesetzgeber (den Art. 17 AEUV; VH) beim Erlass dieser Richtlinie (…) berücksichtigt haben muss“. 506  So

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

nale Bestimmungen nur auf „solche“ Ungleichbehandlungen und knüpft damit an den vorherigen Satz an. Daher müssen nur solche Ungleichbehandlungen mitgliedstaatliche Verfassungsbestimmungen einhalten, bei denen die religionsbedingte Anforderung bereits nach der Richtlinie eine wesentliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt. Die Einhaltung der nationalen Vorschriften knüpft also an eine bereits erfolgte Bewertung an und betrifft damit nicht die Frage der Beurteilungskompetenz, sondern ist ihr nachgereiht. Auch wenn sich der EuGH nicht explizit mit ihm beschäftigt, ist letztlich auch das vorherrschende Argument der Literatur für eine Selbstbeurteilungskompetenz der Kirchen nicht überzeugend: In Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie sei im Gegensatz zu Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie das Ethos der Organisation explizit als Maßstab eingefügt worden, so dass Ersterer subjektiv, Letzterer objektiv auszulegen sei.509 Allerdings wird durch diese Feststellung nicht ausgeschlossen, dass der Staat – objektiv – anhand des Ethos der Organisation bestimmt, was eine wesentliche Anforderung ist. Die Norm sagt nur, dass das Ethos der Organisation Beurteilungsmaßstab ist, nicht aber, wer die Beurteilung vornimmt.510 Sie regelt explizit nur den Beurteilungsmaßstab, nicht aber die Beurteilungskompetenz. Dagegen kann auch nicht eingewandt werden, das Ethos der Organisation könne nur die Organisation selbst be509  Thüsing / Fink-Jamann / von Hoff (Fn. 468), 161  f.; Hanau / Thüsing (Fn. 465), 32; Thüsing (Fn. 285), 312; ders., Handlungsbedarf im Diskriminierungsrecht – die Umsetzungserfordernisse auf Grund der Richtlinien 2000 / 78 / EG und 2000 / 43 / EG, in: NZA 2001, 1061 (1062); ders., Religion und Kirche in einem neuen Anti-Diskriminierungsrecht, in: JZ 2004, 172 (175); ders., Grund und Grenzen der besonderen Loyalitätspflichten des kirchlichen Dienstes – Gedanken zu den verfassungsrechtlichen Garantien und europarechtlichen Herausforderungen, in: Kämper / Thönnes (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 46 (2012), 129 (134 ff.); Waldhoff (Fn. 463), 986; von Campenhausen / de Wall (Fn. 233), 363; Schnabel (Fn.  252), 420 f.; Germann / de Wall (Fn. 20), 576; Mückl (Fn. 451), 511; Preis / Greiner, Religiöse Symbole und Arbeitsrecht, in: Muckel (Hrsg.), Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat – Festschrift für Wolfgang Rüfner zum 70. Geburtstag, 2003, 653 (675); Fink-Jamann (Fn. 450), 209; Belling (Fn. 453), 887; Rüfner, Die Richtlinie 2000 / 78 / EG und das kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland, in: Wallerath (Hrsg.), Fiat iustitia – Recht als Aufgabe der Vernunft, Festschrift für Peter Krause, 2006, 283 (291). 510  Vgl. dazu auch die Befürworter einer objektiven Auslegung, insbesondere Budde (Fn. 502), 357; Schliemann (Fn. 502), 411 ff.; ders., Das kirchliche Arbeitsrecht zwischen Grundgesetz und Gemeinschaftsrecht – Rechtslage und Perspektiven, in: von Campenhausen (Hrsg.), Deutsches Staatskirchenrecht zwischen Grundgesetz und EU-Gemeinschaft, 2003, 113 (125); Kamanabrou, Die arbeitsrechtlichen Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, in: RdA 2006, 321 (328); Kehlen (Fn. 451), 179 ff.; Däubler, Das kirchliche Arbeitsrecht und die Grundrechte der Mitarbeiter, in: RdA 2003, 204 (206); Groh (Fn. 450), 71 ff. (zusammenfassend 178) m. w. N.



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht147

stimmen.511 Zwar ist zuzugeben, dass auch staatliche Stellen – bereits aus faktischen Gründen – auf den Vortrag der betroffenen Organisation angewiesen sind. Das Letztentscheidungsrecht bleibt aber dennoch bei diesen Stellen, die mithin auch entscheiden können, dass ein bestimmter Tatbestand gerade nicht zum Ethos gehört. Mit anderen Worten: Die Bestimmung des Ethos mag zwar aus pragmatischer Sicht lieber der betroffenen Organisation überlassen bleiben, aus rechtlicher Sicht ist dies aber keineswegs notwendig. Hier zeigt sich eher das verinnerlichte deutsche Verständnis von der Berücksichtigung des Selbstverständnisses als logisch-kausale Gesetzmäßigkeit. ff) Europarechtlich induzierte Begrenzung der Loyalitätspflichten auf leitende, erzieherische und pastorale Tätigkeiten? In neuerer Zeit intensiv diskutiert wird die Frage, ob eine zwingende Loya­litätsabstufung aus Gründen der supranationalen Rechtsordnung in Gestalt der Antidiskriminierungsrichtlinie 2000 / 78 / EG vorzunehmen ist. Aus der in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie gestellten Anforderung an die Loyalität, dass sie „angesichts des Ethos“ eine „nach der Art der Tätigkeit“ „wesentliche“ und „gerechtfertigte“ Pflicht darzustellen hat, wird teilweise gefolgert, dass sich die Zulässigkeit alleine nach der Funktion der Tätigkeit – in Bezug auf ihre verkündigungsbezogene Position – richte und insoweit Loyalitätsabstufungen dahingehend notwendig seien, dass entsprechende Loyalitätspflichten überhaupt nur noch leitende, erzieherische oder pastorale Tätigkeitsfelder betreffen dürften.512 (1) Fehlende Regelungskompetenz Eine solche Interpretation der Richtlinie kann jedoch nicht überzeugen, ohne die europarechtliche Kompetenzordnung zu missachten. Wie bereits bei der Frage nach der Beachtlichkeit europarechtlicher Diskriminierungsvorgaben dargelegt, ermächtigt Art. 19 Abs. 1 AEUV die Union nur innerhalb ihres Kompetenzbereichs und damit nicht im Bereich des Religionsverfassungsrechts zu antidiskriminierenden Maßnahmen.513 Das Unionsrecht darf den Kirchen damit auch nicht vorschreiben, welche Loyalitätspflichten und welche Loyalitätspflichtsadressaten sie vorsehen dürfen. Denn dies ist eine rein religionsverfassungsrechtliche Frage, die sich ausschließlich nach Art. 137 Abs. 3 WRV bestimmt. ausdrücklich Thüsing / Fink-Jamann / von Hoff (Fn. 468), 162. Budde (Fn. 502), 357; vgl. Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn. 233), 198. Weitere Nachweise bei Thüsing / Fink-Jamann / von Hoff (Fn. 468), 163. 513  Siehe dazu bereits oben S. 136 ff. 511  So

512  Insbesondere

148

Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

(2) Inkurs: die Notwendigkeit der Verhältnismäßigkeitsprüfung Bei hypothetischer Bejahung der Regelungskompetenz der Union hingen auch hier die weiteren Überlegungen von der Frage der Beurteilungskompetenz ab. Dürften die Kirchen selbst die Loyalitätsanforderungen festlegen und überprüfen, wäre eine Abstufung der Loyalitätspflichten alleine vom kirchlichen Selbstverständnis abhängig und dürfte staatlicherseits nicht pauschal gefordert werden.514 Geht man indes mit dem EuGH und sieht die Beurteilungskompetenz bei den staatlichen Gerichten, hängt die Abstufungsthese von den materiellen Anforderungen des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie ab. Die Luxemburger Richter wie der Generalanwalt bejahen konkludent die Notwendigkeit einer entsprechenden Abstufung, weil sie letztlich die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für verpflichtend erklären.515 Allerdings lesen die Richter die Verhältnismäßigkeit nicht wie der Generalanwalt in die Tatbestandsmerkmale „wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt“,516 sondern sehen sie als eine Art Annex am Schluss der Prüfung.517 Die Verhältnismäßigkeit verlangt automatisch eine entsprechende nach Tätigkeit ausgerichtete Abstufung der Loyalitätspflichten, zumal insoweit – wie der EuGH ausdrücklich formuliert – die berufliche Anforderung nach dem Wortlaut der Richtlinie gerade „aufgrund der Art der in Rede stehenden beruflichen Tätigkeit“ verhältnismäßig sein muss.518 Dem EuGH ist zuzustimmen. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie geht bereits dem Wortlaut nach („angesichts des Ethos der Organisation“) zweifellos davon aus, dass es auch Tätigkeiten gibt, die nicht vom Ethos der Organisation geprägt sind.519 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspringt zudem nicht nur dem primärrechtlichen Grundsatz des Art. 5 Abs. 4 EUV, auf Basis dessen er zu den „allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts“ gezählt wird und insoweit stets zu beachten ist.520 Auch Erwägungsgrund Nr. 37 stellt ausdrücklich auf eine verhältnismäßige Anwendung der Richtlinie ab. Problematisch ist allerdings insoweit, dass eine entsprechende staatlich vorgenommene Abstufung nach deutschem Recht einen Verstoß gegen den Neutralitätsgrundsatz darstellen würde.521 Der EuGH wie der Generalanwalt sehen 514  Thüsing / Fink-Jamann / von

69 ff.

515  EuGH,

Hoff (Fn. 468), 167 ff.; vgl. Schoenauer (Fn. 500),

NJW 2018, 1869 (1872). Tanchev, ECLI:EU:C:2017:851 = BeckRS 2017, 134211, Rn. 111. 517  EuGH, NJW 2018, 1869 (1872). 518  EuGH, NJW 2018, 1869 (1872; Herv VH). 519  So insbesondere betonend Schliemann (Fn. 502), 411. 520  EuGH, NJW 2018, 1869 (1872); dazu Calliess (Fn. 445), 43 m. w. N. 521  BVerfGE 70, 138 (167 ff.); BAG, NJW 2010, 1099 (1101). 516  Vgl.



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht149

aber in der der Verhältnismäßigkeitsprüfung innewohnenden Abstufung eine rein objektive Fragestellung, die das Gebot staatlicher religiöser Inkompetenz nicht beeinträchtige.522 Auf Grundlage des Verständnisses von Art. 17 AEUV als relatives Schutzgut kirchlicher Autonomie ist dem EuGH insoweit Recht zu geben, als dem Schutz der Kirchen angesichts der entgegenstehenden Güter des Diskriminierungsschutzes (Art. 19 AEUV) und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hinreichend dadurch Rechnung getragen wird, dass das Selbstverständnis, d. h. das Ethos, der Kirchen an sich nicht bewertet wird, sondern nur auf Grundlage des behaupteten Ethos die Nähe zur beruflichen Tätigkeit Beurteilungsgegenstand ist. Dies stellt zwar weiterhin nach deutschem Verständnis ein neutralitätswidriges Handeln dar, weil letztlich auch dieses Näheverhältnis vom Selbstverständnis der Kirchen getragen wird. Nach unionsrechtlicher Maßgabe gilt der unter Art. 17 AEUV fallende deutsche Neutralitätsgrundsatz hingegen nicht absolut, sondern nur unter Berücksichtigung der Abwägungsnotwendigkeit des einzelstaatlichen Status der Kirchen mit den Zielen des Unionsrechts. In der Konzeption des EuGH ist aber ein hinreichend schonender Ausgleich zu sehen. gg) Zusammenfassung und Ausblick Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie hat ausschließlich Auswirkungen auf die Fälle, in denen die Religion des Mitarbeiters eine berufliche Anforderung ist. Hierbei versucht die Richtlinie zwar Kirchen ein Stück weit zu schützen; gänzlich herausnehmen will die Richtlinie Kirchen indes nicht. Die Norm ist aber kompetenzwidrig. Wegen Art. 17 AEUV steht der Union keine religionsverfassungsrechtliche Kompetenz zu. Dies hat der EuGH in seinem Urteil vom 17.04.2018 verkannt, in dem er sich zwar nicht mit der Regelungskompetenz der Union beschäftigt hat, dessen Ausführungen zur Beurteilungskompetenz, die auch und insbesondere Art. 17 AEUV umfassen, ermöglichen aber Rückschlüsse auf den luxemburgischen Blick auf diese Vorschrift. Die Argumente können dabei angesichts ihrer teilweisen Lückenhaftigkeit und Formelhaftigkeit nicht überzeugen. Im Übrigen ist das Urteil des Gerichtshofs indes stimmig. Hätte die Union entsprechende Regelungskompetenz, würde das Europarecht das nationale Religionsverfassungsrecht insoweit modifizieren, als bei der Religion als Einstellungsvoraussetzung nationale Gerichte eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Berücksichtigung der Nähe der beruflichen Tätigkeit zum Ethos der Kirchen vorzunehmen hätten. Dies bedeutet keineswegs, dass die Kir522  EuGH, NJW 2018, 1869 (1871 f.); Tanchev, ECLI:EU:C:2017:851 = BeckRS 2017, 134211, Rn. 110.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

chen eine Religionszugehörigkeit nicht mehr als Einstellungskriterium verlangen dürften. Sie müssten nunmehr aber genau prüfen, ob und inwieweit dieses Kriterium für eine bestimmte Stelle angemessen ist. Die „große Wende“ bedeutet das Urteil des EuGH also nicht.523 Allerdings sind die Kirchen in ihren Möglichkeiten zumindest a priori durch das Unionsrecht eingeschränkt – dies allerdings zu Unrecht. b) Die sonstigen Fälle der Loyalitätspflichten und das Urteil des EuGH vom 11.09.2018 („Chefarzt“) Für die sonstigen Loyalitätspflichten außerhalb der Religionszugehörigkeit als Einstellungskriterium gilt ausschließlich Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie, wonach die Zulässigkeit der Diskriminierung davon abhängt, ob es sich bei der jeweiligen Loyalitätspflicht um eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ handelt. Insoweit sind hier wiederum die obigen Ausführungen zur Regelungskompetenz zu beachten: Soweit Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie auch kirchliche Dienstgeber betrifft, ist die Vorschrift mangels unionsrechtlicher Regelungskompetenz primärrechtswidrig respektive dahingehend auszulegen, dass kirchliche Dienstgeber nicht betroffen sind. Insofern wundert es auf den ersten Blick, dass sich der EuGH nunmehr auch im sog. „Chefarzt“-Fall zu Wort gemeldet und sich in seinen Ausführungen ausschließlich auf Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie gestützt hat. Denn in diesem Fall ging es um eine loyalitätsbedingte Kündigung wegen Wiederheirat und damit zunächst nicht um eine Diskriminierung wegen der Religion.524 Allerdings hat der EuGH bei genauem Besehen nicht darüber entschieden, ob die Loyalitätspflicht mit dem Antidiskriminierungsrecht vereinbar ist, sondern deren Abstufung. Konkret ging es um die Konstellation, dass einem Chefarzt wegen Wiederheirat gekündigt wurde, während zuvor anderen Chefärzten in Fällen gleichartigen Loyalitätsbruchs nicht gekündigt worden war.525 Der katholische Arbeitgeber begründete dies letztlich mit einer konfessionsgebundenen Abstufung der Loyalitätspflichten auf Basis des Art. 5 523  Fuhlrott, Anmerkung zu EuGH (Große Kammer), Urt. v. 17.4.2018 – C-414 / 16, in: NZA 2018, 569 (573 ff.). 524  EuGH, NJW 2018, 3086 ff.; zur gerichtlichen „Karriere“ des Falls: ArbG Düsseldorf, Urt. v. 30.07.2009  – 6 Ca 2377 / 09; anschließend LAG Düsseldorf, Urt. v. 01.07.2010  – 5 Sa 996 / 09; daraufhin BAG, Urt. v. 08.09.2011  – 2 AZR 543 / 10 (= NJW 2012, 1099 ff.); nach der seitens der Kirche eingelegten Verfassungsbeschwerde BVerfG, Beschl. v. 22.10.2014 – 2 BvR 661 / 12 – (= BVerfGE 137, 273 ff.); daraufhin erging der Vorlagebeschluss gem. Art. 267 AEUV des BAG am 28.07.2016 – 2 AZR 746 / 14 (A). 525  Vgl. den Tatbestand in BAG, NJW 2012, 1099 (1099).



B. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht151

Abs. 2 Nr. 2 lit. c GrO.526 Denn die betroffenen anderen Chefärzte, die weiterbeschäftigt wurden, waren allesamt – im Gegensatz zu dem nun gekündigten Chefarzt – nicht katholisch. Es ging also ausschließlich um die konfes­ sionsgebundene Abstufung und damit um eine Ungleichbehandlung wegen der Religion, die der EuGH an dem Maßstab des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie gemessen hat. Mit anderen Worten ging es um die Frage, ob die Kirchen auf Basis ihres Selbstbestimmungsrechts unterschiedliche Loyalitätsanforderungen an Mitarbeiter unterschiedlicher Konfession (bzw. an konfessionslose Mitarbeiter) stellen dürfen. Das Ergebnis dürfte angesichts der nur wenige Monate vorher ergangenen Entscheidung des EuGH im Fall „Egenberger“527 nicht überraschen: Die Zulässigkeit der Abstufung hänge von einem „objektiv überprüfbaren Vorliegen eines direkten Zusammenhangs zwischen der vom Arbeitgeber aufgestellten beruflichen Anforderung und der fraglichen Tätigkeit ab“.528 Damit sei es „letztlich Sache des nationalen Gerichts (…) zu bestimmen, ob eine Anforderung, sich loyal und aufrichtig zu verhalten, die nur an diejenigen Beschäftigten in leitender Stellung gestellt wird, die derselben Religion oder Weltanschauung angehören, auf der das Ethos der betreffenden Kirche oder Organisation beruht, einer wesentlichen, rechtmäßigen und gerechtfertigten beruflichen Anforderung i. S. v. Art. 4 Abs. 2 UAbs. 1 der RL 2000 / 78 entspricht“.529 Zur Begründung seiner Ansicht verweist der EuGH dabei ausschließlich auf die Begründung im Judikat „Egenberger“, setzt also seine dort begonnene Modifikation des deutschen Religionsverfassungsrechts im Bereich des kirchenspezifischen Arbeitsrechts konsequent fort.530 Dass dies letztlich nicht überzeugend ist, ergibt sich – wie bereits gezeigt – aus der fehlenden Kompetenz der Union in diesem Bereich.531 Aber auch hier gilt: Wäre Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie nicht kompetenzwidrig, würde das europarechtliche Antidiskriminierungsrecht das deutsche Religionsverfassungsrecht insoweit modifizieren, als auch eine Abstufung der Loyalitätspflichten gerichtlich anhand eines objektiven Maßstabs voll überprüfbar wäre. Ob Mitarbeiter einer bestimmten Konfession strengeren Loyalitätspflichten unterliegen als andere Mitarbeiter, könnte (ja sogar: müsste) demnach das staatliche Gericht entscheiden. Die Kirchen wären diesbezüglich nicht mehr frei und 526  In dem zu entscheidenden Fall war noch die GrO 1993 einschlägig, die sich aber hinsichtlich dieses Aspekts inhaltlich mit der aus dem Jahre 2015 deckt. 527  EuGH, NJW 2018, 1869 ff.; vgl. dazu ausführlich bereits S. 139 ff. 528  EuGH, NJW 2018, 3086 (3088). 529  EuGH, NJW 2018, 3086 (3089). 530  Vgl. auch Bauer / Hofer, Anmerkung zu EuGH, NJW 2018, 3086 ff., in: NJW 2018, 3090 f. 531  Siehe dazu oben S. 136 ff.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

könnten sich nicht mehr uneingeschränkt ihrem Selbstverständnis verpflichten. Dabei stellt sich die Frage, wie sich faktisch die Judikatur des EuGH auf das kirchliche Arbeitsrecht auswirkt. Denn das BVerfG und der EuGH – wie noch zu zeigen sein wird – widersprechen sich in zentralen Punkten diametral. Insoweit werden die tatsächlichen Auswirkungen auf die Rechtsprechung des BVerfG an entsprechender Stelle zu erörtern sein.532 2. Europarecht und kirchliche Mitarbeitervertretung (Richtlinie 2002 / 14 / EG) Auch im Bereich der Mitarbeitervertretung wird teilweise eine Auseinandersetzung mit Art. 137 Abs. 3 WRV insofern für entbehrlich gehalten, als die europäische Richtlinie 2002 / 14 / EG533 eine umfassende Mitarbeiterbeteiligung in allen Unternehmen fordere und insoweit keine Ausnahmen zulasse.534 Dagegen spricht indes Folgendes: Zunächst erlaubt die Richtlinie in Art. 3 Abs. 2 den Mitgliedstaaten, für u. a. konfessionelle Betriebe und Unternehmen Besonderheiten vorzusehen. Das bedeutet zwar, dass einmal die Kirchen nicht gänzlich ausgeklammert werden müssen und dass zum anderen der nationale Gesetzgeber, nicht die Kirchen selbst, entsprechende kirchenbezogene Regelungen erlassen muss.535 Darüber hinaus aber wird nicht zuletzt in Erwägungsgrund Nr. 24 zu besagter Richtlinie davon gesprochen, entsprechende Regelungen der Mitgliedsstaaten zugunsten der Kirchen „unberührt“ zu lassen. Dies schließt dem Wortlaut nach aber auch staatliche Regelungen wie § 118 Abs. 2 BetrVG und § 112 BPersVG mit ein, die den Kirchen die Möglichkeit einer eigenen Ausgestaltung vermitteln. Letztlich aber gelten die oben aufgestellten Grundsätze über die europarechtlichen Kompetenzen im staatskirchenrechtlichen Bereich auch hier: Die Union ist in diesem Bereich nicht kompetent. Das bedeutet, dass – unabhängig von der Regelungsaussage in der Richtlinie 2002 / 14 / EG  – die Richtlinie und ihr Art. 3 Abs. 2 so gedeutet werden müssen, dass die Union das mitgliedsstaatliche Verhältnis zwischen Religion und Staat nicht modifizieren. Es verbleibt damit in der Bundesrepublik Deutschland auch bezüglich des Mitarbeitervertretungsrechts bei der gesetzlichen Maßgabe des Art. 137 Abs. 3 WRV. 532  Siehe

dazu unten S. 324 ff. 2002 L 80 / 29. 534  Classen, Mitarbeiterbeteiligung in religiösen Betrieben, in: Huber / Brenner /  Möstl (Hrsg.), Der Staat des Grundgesetzes – Kontinuität und Wandel, Festschrift für Peter Badura zum siebzigsten Geburtstag, 2004, 671 ff.; ders. (Fn. 276), 452; vgl. auch Hahn, Mitbestimmung in kirchlichen Einrichtungen, 2009, S. 205 ff. 535  So einschränkend auch Classen (Fn. 276), 452. 533  ABl.



C. Der verfassungsrechtliche Schutz der Mitarbeiter153

C. Der verfassungsrechtliche Schutz der Mitarbeiter als Grenze des kirchenspezifischen Arbeitsrechts I. Grundrechtliche Schutzpflichten Geht man der Frage des Daseinsgrundes der Grundrechte nach, interessiert man sich also für den von den Grundrechten verfolgten grundlegenden Zweck, hört man regelmäßig die Antwort, die Abwehrwirkung sei die „klassische“ Grundrechtsfunktion536, ja die „Sinnmitte“ der Grundrechte.537 Zumindest für das bundesrepublikanische Grundgesetz scheint das zuzutreffen, dessen Grundrechte vordringlich die Antwort auf die „traumatische Erfahrung des totalitären Staates“ sind und somit verfassungsdogmatisch den zentralen Grundrechtszweck bilden.538 Gleichwohl hat sich im Laufe der Bonner Republik die Annahme einer grundrechtlichen Schutzpflichtfunktion etabliert. Sie ist heute allgemein anerkannt. Aus den genannten abwehrrechtlich gefärbten Startbedingungen grundgesetzlicher Grundrechte heraus war und ist diese Entwicklung jedoch auch heute noch von erheblichen dogmati536  Die Begriffe der Grundrechtsfunktion und der Grundrechtsdimension werden häufig synonym, zumindest aber nicht ausreichend differenziert verwendet. Dem Grunde nach beschreibt die Grundrechtsfunktion die zielgerichteten Wirkungen der Grundrechte, während die Grundrechtsdimension der bildungssprachlichen Bedeutung des Begriffes „Dimension“ entsprechend das Ausmaß respektive die Ausbreitung der Grundrechtswirkung auf verschiedene Bereiche betrifft. So ist die Feststellung, dass Grundrechte (auch bzw. insbesondere) dem Abwehren staatlicher Eingriffe dienen, eine Funktionsbeschreibung, während die Frage, inwieweit Grundrechte auf die Privatrechtsordnung oder auf die Ausgestaltung von staatlichen Verfahren einwirken, eine Erörterung der Grundrechtsdimension(en) darstellt. Siehe dazu Jarass, Funktionen und Dimensionen der Grundrechte, in: Mertens / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 3. Aufl. 2011, § 38 Rn. 1, 2; ders., Bausteine einer umfassenden Grundrechtsdogmatik, in: AöR 120 (1995), 345 (353); Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 62; anders Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Bd. I, 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 82 ff., der unter den Dimensionen der Grundrechte ihre Wirkungen versteht und insoweit in subjektiv-rechtliche wie objektiv-rechtliche Dimensionen untereilt; siehe auch ders., Dimensionen der Grundrechte, 1993, S.  27 ff., 41 ff. 537  Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: ders. / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 9, 3. Aufl. 2011, § 191 Rn. 17; BVerfGE 61, 82 (101); Jarass (Fn. 1), Rn. 15 ff.; Dreier, Vorb. (Fn. 1), 82 m. w. N. 538  BVerfGE 6, 55 (71); siehe auch Isensee (Fn. 2), 16, 29 f.: „Die Dominanz der Abwehrfunktion läßt sich nicht zuletzt aus dem politischen Grundbedürfnis des Verfassungsgebers erklären, nach der Erfahrung des totalitären Staates und in der fortdauernden Bedrohtheit durch den Totalitarismus die Freiheit der Individuen wie die der gesellschaftlichen Organisationen vor übermäßiger Regulierung durch den Staat und vor seinen Übergriffen zu sichern“ (32).

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

schen Schwierigkeiten begleitet, die sich wie ein roter Faden durch die zentralen Fragen der Konstruktion grundrechtlicher Schutzpflichten ziehen. Dies ist bei der Darstellung des grundrechtlich bedingten staatlichen Auftrages zum Schutze der Positionen kirchlicher Mitarbeiter zu berücksichtigen. Es geht zunächst um die Frage, wie der grundrechtlich induzierte Schutzauftrag des Staates überhaupt zu begründen ist (1.). Anschließend geht es um den Aspekt der Schutzberechtigung (2.) und vor allem des Schutzgegenstands im kirchenspezifischen Arbeitsrecht (3.), bis schließlich die zen­trale Frage nach der Bestimmung der Reichweite grundrechtlicher Schutzpflichten zu erörtern ist (4.). 1. Die Herleitung grundrechtlicher Schutzpflichten Das zentrale Problem der (dogmatischen) Herleitung grundrechtlicher Schutzpflichten ist der Mangel an geeigneten Anknüpfungspunkten. Zum Zeitpunkt der Grundgesetzentstehung wurde die mögliche Idee von der Schutzfunktion – falls sie überhaupt bestand – von der historisch eingebetteten Abwehrwirkung überlagert, was nicht zuletzt die Beratungen des Parlamentarischen Rates nahelegen.539 Zwar wurde auch über ein „Grundrecht auf Sicherheit“ diskutiert;540 unabhängig davon aber, ob diese Beratungen als Ausdruck einer angestrebten allgemeinen Schutzfunktion der Grundrechte überhaupt herangezogen werden können, ist die grundrechtliche Schutzwirkung keinesfalls als allgemeines Grundrechtskonzept erkennbar, zumal das Grundrecht auf Sicherheit nicht verwirklicht worden ist.541 Es nimmt daher nicht Wunder, dass häufig der folgende Schluss gezogen wird: „Die Freiheitsrechte sind durchweg als Abwehrrechte gefasst“.542 Das schließt eine dogmatische Herleitung grundrechtlicher Schutzpflichten zwar noch nicht aus, macht sie aber bedeutend schwieriger. Zu finden sind 539  Isensee

(Fn. 537), 33. zu dieser Debatte Deutscher Bundestag / Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948–1949, Bd. 5 / 2, 1993, S. 925 ff.; dazu auch ausführlich Cremer, Freiheitsrechte, 2003, S. 260 f. 541  Nach Ansicht von Isensee (Fn. 537), Fn. 61, kann das Grundrecht auf Sicherheit im Sinne der Debatte im Parlamentarischen Rat nicht mit einer allgemeinen Schutzpflicht gleichgesetzt werden, da man darunter überwiegend einen (im Kern abwehrrechtlichen) Schutz vor ungerechtfertigter Verhaftung verstanden habe. Dagegen legt Cremer (Fn. 540), 260 f., ausführlich dar, dass im Parlamentarischen Rat das Grundrecht auf Sicherheit tatsächlich auch als Schutz vor Eingriffen durch Dritte konzipiert gewesen sei, jedoch deshalb nicht aufgenommen worden sei, da man einen entsprechenden Schutz bereits in Art. 3 des Grundgesetzentwurfes verankert gesehen habe und man das Grundgesetz möglichst kurz halten gewollt habe. 542  Isensee (Fn. 537), 29; siehe auch BVerfGE 7, 198 (204). 540  Siehe



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insoweit zahlreiche Herleitungsversuche, die im Ergebnis aber allesamt nicht überzeugen können, weil es ihnen letztlich an einem festen und lückenlosen normstrukturellen oder dogmatischen Boden mangelt. Es überrascht daher nicht, dass im Allgemeinen die „über die subjektiv-rechtliche Position hinausreichende Rechtswirkung der Grundrechtsbestimmung … [als] das eigentliche Problem der Grundrechtsdogmatik“543 bezeichnet wird und im Speziellen die Frage nach der dogmatischen Begründung grundrechtlicher Schutzpflichten „das umstrittenste Thema der Schutzpflichtenlehre“ darstellt und „nirgendwo sonst … die Brandbreite der unterschiedlichen Auffassung derart weit gefächert [ist]“.544 Zu nennen sind hier insbesondere die vom BVerfG vertretene Konstruktion der „objektiven Werteordnung“ der Grundrechte545, die Ausweitung des in Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG verankerten Schutzes der Menschenwürde auf alle Grundrechte546, die Konstruktion über das „Recht auf Sicherheit“547 sowie die sogenannte abwehrrechtliche Lösung548, nach der die Schutzpflichtkonstellationen sämtlich von der Abwehrfunktion der Grundrechte mit abgedeckt werden. Alle diese Ansätze wurden bereits an anderer Stelle ausreichend dargestellt und bewertet, so dass es hier keiner 543  Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3 / 1, 1988, S. 908, mit Verweis auf Jarass, Grundrechte als Wertentscheidungen bzw. objektivrechtliche Prinzipien in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: AöR 110 (1985), 363 ff. 544  Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 26. 545  BVerfGE 7, 198 (205); vgl. auch E 39, 1 (42); E 46, 160 (165); E 49, 89 (141); E 77, 170 (214). 546  BVerfGE 39, 1 (41); E 49, 89 (140 f.); E 53, 30 (57 f.); E 88, 203 (251); vgl. dazu auch Calliess, Schutzpflichten, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 2006, § 44 Rn. 5. 547  Cremer (Fn. 540), 234 ff. (insb. S. 255 ff.); vgl. dazu auch Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983; ders., Das staatliche Gewaltmonopol als Grundlage und Grenze der Grundrechte – der Vorbehalt der Friedlichkeit als Kriterium des Grundrechtstatbestands und der Schutzpflicht, in: Franßen / Redeker / Schlichter / Wilke (Hrsg.), Bürger – Richter – Staat, Festschrift für Horst Sendler zum Abschied aus seinem Amt, 1991, 39 (insb. 60 ff.); Stern (Fn. 543), 933 f.; Klein, Grundrechtliche Schutzpflicht des Staates, in: NJW 1989, 1633 (1636); Robbers Sicherheit als Menschenrecht, 1987, S. 27 ff.; ebenso Enders, Die Privatisierung des öffentlichen durch die grundrechtliche Schutzpflicht und seine Rekonstruktion aus der Lehre von den Staatszwecken, in: Der Staat 35 (1996), 351 (352 ff.), der den Schutzpflichten zwar eine „begrenzte Bedeutung“, aber keinesfalls „rechtsverbindliche und individuell einklagbare staatliche Handlungspflichten“ zuschreiben möchte (353). 548  Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 2. Aufl. 1997, S. 212 ff.; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 61 ff.; Holoubek, Grundrechtliche Gewährleistungspflichten, 1997, S. 250 ff.; Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2002, S. 390 ff.; Koch, Der Grundrechtsschutz des Drittbetroffenen, 2000, S.  375 ff.

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Wiederholung bedarf.549 Letztlich aber zwingt das Problem des hinreichenden dogmatischen Ankers jeden der Ansätze in die Knie. Jedem Versuch kann eine fehlende Überzeugungskraft bescheinigt werden, weil die klassische Hermeneutik das jeweilige Ergebnis nicht vollends zu stützen vermag. Aber auch der strukturtheoretische Ansatz der Prinzipientheorie550 ist nicht im Stande weiter zu helfen, weil er letztlich – wie schon andernorts mehrfach gezeigt551 – keine normative, sondern lediglich eine deskriptive Natur aufweist und mithin die herrschende Dogmatik nicht legitimieren, sondern lediglich erklären kann: Ob Grundrechte Prinzipien sind und damit auch wegen des Optimierungsgebots Schutzpflichten umfassen, hängt davon ab, ob die herrschende Dogmatik sie als solche behandelt – nicht umgekehrt. Dass weder der strukturtheoretische noch die dogmatischen Ansätze überzeugen können, ist darin begründet, dass die Legitimation grundrechtlicher 549  Vgl. zur Werteordnungsrechtsprechung: Cremer (Fn. 540), 195 ff., Dirnberger, Grundrechtliche Schutzpflicht und Gestaltungsspielraum – eine kurze Betrachtung zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: DVBl. 1992, 879 ff.; Robbers (Fn. 547), 130 ff.; Unruh (Fn. 544), 29 f.; Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 1999, S. 108 ff.: Isensee (Fn. 537), 171; Goerlich, Wertordnung und Grundgesetz, 1973. Vgl. zur Übertragung der Menschenwürdeschutzpflicht: Kübler, Über Wesen und Begriff der Grundrechte, 1965, S. 151; zit. nach Benda, Menschenwürde und Persönlichkeitsrecht, in: ders. / Maihofer / Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl. 1994, § 6 Rn. 10; Unruh (Fn. 544), 34 f.; Bleckmann, Neue Aspekte der Drittwirkung der Grundrechte, in: DVBl. 1988, 938 (942); vgl. auch Calliess (Fn. 546), 9. Vgl. zum Recht auf Sicherheit: Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 192 ff.; Cremer (Fn. 540), 259; Isensee, Sicherheit (Fn. 547). Vgl. zur abwehrrechtlichen Lösung: Pietzcker, Drittwirkung – Schutzpflicht – Eingriff, in: Maurer (Hrsg.), Das akzeptierte Grundgesetz – Festschrift für Günter Dürig zum 70. Geburtstag, 1990, 345 (353 ff.); Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 2. Aufl. 2005, S. 38 ff.; Unruh (Fn. 544), 44 f.; Starck, Grundrecht­ liche Schutzpflichten, in: ders., Praxis der Verfassungsauslegung, Bd. 1, 1994, 46 (70 ff.). 550  Allgemein zur Prinzipientheorie Alexy, Theorie der Grundrechte, 7. Aufl. 2015, S. 71 ff.; komprimiert abgedruckt in Augsberg / Unger, Basistexte Grundrechtstheorie, 2012, 254 ff.; Borowski, Grundrechte als Prinzipien, 3. Aufl. 2018, S. 101 ff.; Sieckmann, Regelmodelle und Prinzipienmodelle des Rechtssystems, 1990, S. 13  ff.; Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, 1984, S. 54 ff.; Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 4. Aufl. 1990, S. 39 ff.; vgl. Cremer (Fn.  540), 218 ff. m. w. N.; vgl. Klement, Vom Nutzen einer Theorie, die alles erklärt, in: JZ 2008, 756 ff. 551  Klement (Fn. 550), 760 f.; Jestaedt, Die Abwägungslehre – ihre Stärken und ihre Schwächen, in: Depenheuer / Heintzen / ders. / Axer (Hrsg.), Staat im Wort – Festschrift für Josef Isensee, 2007, 253 (261 f.); Poscher (Fn. 549), 78 ff.; ders., Theorie eines Phantoms – die erfolglose Suche der Prinzipientheorie nach ihrem Gegenstand, in: RW 2010, 349 (352 ff.); ders., Einsichten, Irrtümer und Selbstmissverständnis der Prinzipientheorie, in: Sieckmann (Hrsg.), Die Prinzipientheorie der Grundrechte, 2007, 59 (65 ff.).



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Schutzpflichten nach dem Grundgesetz keine dogmatische, sondern vielmehr eine (grundrechts-)theoretische Frage ist. Denn das Ob bestimmter Grundrechtsfunktionen ist keine unmittelbar auf die Anwendung der Grundrechte bezogene – eben dogmatische –, sondern vielmehr eine apriorische Metafrage, d. h. eine theoretische. Etwas Anderes müsste höchstens dann gelten, wenn sich aus der Verfassung erkennbar unmittelbar eine verbindliche Festlegung auf eine oder mehrere bestimmte Grundrechtsfunktionen ergäbe. Dem ist aber gerade nicht so.552 Zwar gibt es vereinzelt ausdrückliche Schutzaufträge im Grundgesetz (z. B. Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG), in der Gänze und als grundlegende Funktion fehlt es aber an hinreichenden Anhaltspunkten.553 Die Dogmatik muss den Grundrechten etwas zurechnen, das sie textual nicht aufweisen können. Die Herleitung der Schutzpflichten kann daher nicht in dogmatischen Kategorien arbeiten, ohne künstlich zu wirken. Gleichzeitig ist aber auch eine erkennbare verbindliche Festlegung ausschließlich auf die Abwehrfunktion, die auch eine grundrechtstheoretische Grundrechtsfunktionsherleitung blockieren würde, durch das Grundgesetz nicht erkennbar. Der Text der Grundrechte ist nämlich trotz seiner historisch bedingten abwehrrechtlichen Färbung insoweit offen, als er auch die Möglichkeit der Schutzpflichten nicht zwanghaft ausschließt. Auch wenn aus historischer Sicht nur die Abwehrfunktion im grundrechtlichen Geiste umherwanderte, können Formulierungen wie „Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen“ (Art. 12 Abs. 1 GG) oder „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln“ (Art. 8 Abs. 1 GG) eine verfassungsrechtlich zwingende Beschränkung der Grundrechtsfunktion auf die Abwehr staatlicher Eingriffe nicht hergeben. Vielmehr lässt sich auch die „Abwehr“ privater Eingriffe durch staatliches Handeln darunter fassen. Daran ändert auch die Bindung ausschließlich der staatlichen Gewalt an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) nichts, bleibt sie doch auch bei einer Schutzpflicht ausschließliche Anspruchsgegnerin. Es zeigt sich, dass die Verfassung insoweit offen ist, als die Beurteilung der Grundrechtsfunktionen kein Bezugsobjekt der anwendungs- und auf die lex lata bezogenen Verfassungsdogmatik, sondern der metabezogenen Verfassungstheorie ist. Die Beantwortung der Frage nach „Zielrichtung und inhaltliche[r] Reichweite der Grundrechte“554 verlangt demnach eine rein (verfassungs- bzw. grundrechts-)theoretische Betrachtung. Dass häufig vom „abwehrrechtliche[n] Duktus“ der Freiheitsrechte 552  Isensee (Fn. 537), 29 f.: „Die Freiheitrechte sind durchwegs als Abwehrrechte gefasst“ (29); siehe auch BVerfGE 7, 198 (204). 553  Siehe zu diesen Ausnahmen Starck (Fn. 549); Unruh (Fn. 544), 26 f. 554  Böckenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, in: ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit, 2006, 221 (222).

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gesprochen wird,555 ergibt sich also nicht aus der text­lichen Fassung derselben, sondern nur in Verbindung mit dem zum Zeitpunkt ihrer Entstehung vorherrschenden Zweck. Es handelt sich lediglich um eine bestimmte vorgeprägte Leseart, die insbesondere die Begrifflichkeiten der „Schranke“ und des „Eingriffes“ mit der vorherrschenden abwehrrechtlichen Dogmatik verbindet. Diese Verknüpfung ist aber freilich nicht selbstverständlich, sondern hängt vom Vorverständnis des Grundrechtsinterpreten – von der Grundrechtstheorie – ab. Unter einer grundrechtstheoretischen Betrachtungsweise ist die Reflexion der Grundrechte und ihrer Dogmatik auf der Metaebene zu verstehen, die sämtliche Einflüsse, Beweggründe und das dem Umgang mit den Grundrechten Vorausgesetzte betrachtet. Als „Verfassungsvorverständnis-Lehre“556 und Sichtbarmacherin des „Norm- wie des Problemverständnisses“557 hat die Grundrechtstheorie die Aufgabe, „den allgemeinen Charakter, die normative Zielrichtung und die inhaltliche Reichweite der Grundrechte“ zu bestimmen.558 In Bezug auf die Schutzpflichtenfunktion der Grundrechte hat sie mithin zu untersuchen, ob die Antworten auf die genannten Fragen dem zugeschriebenen Wesen, dem normativen Charakter und dem Zweck der Grundrechte entsprechen. Zwar liegt hier wiederum das Rekurrieren auf die Sicherheit als Staatszweck nahe. Wegen der Vagheit des Begriffes ist dies aber nicht wirklich überzeugend, zumal der Zusammenhang zwischen Sicherheit und Grundrechten nicht hinreichend stichhaltig ist.559 Die Lösung liegt vielmehr in dem Loslassen der von Abwehr geprägten Interpretationsrichtung. Die These lautet hierbei: Die Grundrechte sowie ihre Funktionen sind aufgrund ihrer allgemeinen Zweckausrichtung nicht statisch, sondern ergeben sich stets anhand der gesellschaftlichen Anforderungen an Staat und Gesellschaft, können also variieren. Denn eine genaue Betrachtung der Grundrechte zeigt, dass Zweck und Ziel ihrer Konstituierung historisch wie auch geographisch-räumlich different sind. Ging es in den Vereinigten Staaten von Amerika, dem Mutterland der Grundrechte, primär um den Schutz vor der englischen Übermacht, soll555  Isensee

(Fn. 537), 29. Die Verfassung hinter der Verfassung, 2009, S. 90. 557  Hesse, Gurndzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1999, Rn. 65. 558  Böckenförde (Fn. 554), 221 f.; vgl. allgemein zur Verfassungstheorie Morlok, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Verfassungstheorie?, 1988, S. 163 f.; Jestaedt, Verfassungstheorie als Disziplin, in: Grabenwarter / Depenheuer (Hrsg.), Verfassungstheorie, 2010, § 1; ders. (Fn. 556), 54 ff.: „Verfassungstheorie (…) versteht sich als Lehre von der der constitutio innewohnenden ratio, die die positivrechtlichen Bestimmungen in einen konsistenten Sinnhorizont stellt … (54)“. 559  Siehe Fn. 549. 556  Jestaedt,



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ten die Grundrechte in Frankreich, dem europäischen Mutterland der Grundrechte, zunächst vielmehr einen Gesellschaftswandel in Gang setzen und somit primär nicht die staatliche Abwehr, sondern die gesellschaftliche Umwälzung gewährleisten.560 Auch in Deutschland kam den Grundrechten eine solche „Doppelrolle“ zu, indem sie zunächst den politischen wie philosophischen Idealen des Vormärz entsprechend eine liberale Sozial- und Staatsform begründen respektive beschleunigen, und erst anschließend, soweit dieses Primärziel erreicht werden würde, die erreichte Freiheit vor staatlichen Aktivitäten abschirmen sollten.561 Es zeigt sich, dass die Bedeutung, die den Grundrechten zugeschrieben wurde und wird, nicht vorgegeben und statisch sein muss. Will man also Zielrichtung und Funktion(en) der Grundrechte grundlegend erfassen, erkennt man bereits anhand des tatsächlichen Umgangs mit den Grundrechten ihre allgemeine Aufgabe der Koordination von staatlicher und gesellschaftlicher Sphäre. Die Verfassung regelt insgesamt die Grundordnung des Gemeinwesens und dessen Verhältnis zur bürgerlichen Sphäre. Sie ist dabei insbesondere von einem Basiskonsens abhängig.562 Die Grundrechte spielen eine herausragende Rolle, da sie einen direkten Kontakt und entsprechende Einflussmöglichkeiten zwischen staatlicher und bürgerli560  Dazu ausführlich Grimm, Rückkehr zum liberalen Grundrechtsverständnis, in: ders., Die Zukunft der Verfassung, 1991, 221 (224 ff.): „Die Grundrechte fungierten (in Frankreich; v. H.) unter diesen Umständen vielmehr als die obersten Leitprinzipien der Sozialordnung, die der langwierigen und komplizierten Rechtsreform Halt und Dauer geben sollten“ (225 / 226); Frotscher / Pieroth, Verfassungsgeschichte, 17. Aufl. 2018, §§ 2, 3. 561  Grimm (Fn. 560), 226 f.; ders., Die Entwicklung der Gundrechtstheorie in der deutschen Staatsrechtslehre des 19. Jahrhunderts, in: ders., Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, 1987, 308 ff. 562  Zum Verfassungsbegriff allgemein Volkmann, Grundzüge einer Verfassungslehre der Bundesrepublik Deutschland, 2013, S. 7 ff., der die verschiedenen Einordnungen erläutert; vgl. auch Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1984, S. 69 ff.; Lerche, Stil und Methode der verfassungsrechtlichen Entscheidungspraxis, in: Badura (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Bd. 1, 2001, 333 (335). Die verschiedenen Ansichten über den Verfassungsbegriff beginnen bereits in der Antike mit Cicero, der mit „constitutio“ jegliche grundlegende Regelung bezeichnete. Bereits 1776 begann man mit der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika diese als rechtliche Grundordnung anzusehen. Seitdem liegt darin ein ungefährer Grundkonsens, der allerdings immer wieder in einzelnen Nuancen unterschiedlich ausgestaltet wird; so kann man insbesondere – um prominente Beispiele zu nennen – zwischen der „positiven“ Verfassung Carl Schmitts (vgl. ders., Verfassungslehre, 10. Aufl. 2010, S. 1 ff.), nach der die Verfassung eine „Gesamtentscheidung über Art und Form der politischen Einheit“ sei, und der „totalen“ Verfassung Peter Häberles (ders., Verfassung als öffentlicher Prozess, 3. Aufl. 1998) unterscheiden, der die Verfassung als kulturelles Phänomen postuliert; vgl. dazu Isensee, Staat und Verfassung, in: ders. / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl. 2004, Bd. 2, § 15 Rn. 191; Stern (Fn.  543), 69 ff.

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cher Sphäre begründen. Grundrechte repräsentieren auch das vom Konsens getragene Bild des aktuellen Staat-Bürger-Verhältnisses. Dabei geht es nicht de lege natura um den Schutz der bürgerlichen Freiheitssphären vor staatlichen Eingriffen, es geht zunächst ganz allgemein um einen angemessenen Ausgleich zwischen beiden Kräften. Die bürgerliche Sphäre kann und muss dabei nicht stets frei von staatlicher Einflussmöglichkeit, sondern auch auf diese angewiesen sein. Die Grundrechte stellen folglich das Regelwerk für das Verhältnis von Staat und Bürger auf. Die einzelnen Regelungen sind freilich nicht statisch, sondern von den Bedürfnissen und den tatsächlichen Umständen des Staates und der Gesellschaft abhängig. In den Zeiten, in denen die staatliche Macht einen zu großen Einfluss nimmt, sollen die Grundrechte diese Macht abwehren; in den Momenten, in denen die Freiheit der Bürger durch andere Einflüsse beeinträchtigt wird, sollen die Grundrechte staatliches Handeln erforderlich werden lassen. Damit liegt die maßgebliche Funktion der Grundrechte in der grundlegenden „Teleologie des Verfassungsstaates“, d. h. in der (aktuellen) Existenzberechtigung des Staates.563 Die Suche nach einer Grundlage für die Konstruktion grundrechtlicher Schutzpflichten entspringt damit einem gesellschaftlichen und staatstheoretischen Bedürfnis. Die den Grundrechten zugedachte fundamentale Aufgabe des gesellschaftlichen Ordnens hat sich hinsichtlich ihres Inhalts und ihres Erscheinungsbildes gewandelt und sich der Vorstellung einer aus Abwehr und Schutz bestehenden „Doppelrolle“ zugewandt, wie sie zu Beginn der Grundrechte in Deutschland schon einmal bestand. Auch wenn aus grundrechtsdogmatischer Sicht die These von der „Wiederentdeckung“564 der Schutzpflichtenfunktion der Grundrechte seit 1949 unzutreffend ist, kann zumindest von ihrer ideentheoretischen Wiedergewinnung gesprochen werden. Schließlich sah man die Grundrechte bereits zu Beginn ihrer Existenz – zumindest in Europa – primär als die „obersten Leitprinzipien der Sozialordnung“565 an. Dieser Gedanken wird heute den Grundrechten erneut zugrunde gelegt. Die Idee von der grundrechtlichen Schutzpflicht wurzelt in der bereits zu Zeiten der „Sozialen Frage“ existierenden Einsicht, dass eine gleiche und freie Gesellschaftsordnung „nicht unabhängig von den tatsächlichen Bedingungen des Freiheitsgebrauchs verwirklicht werden [kann]“.566 Der Staat hat demnach nicht nur dafür zu sorgen, dass eine erworbene Freiheitssphäre erhalten und ein gleichberechtigter Umgang mit ihr gewährleistet bleibt, sondern auch dafür, dass dem Bürger diese Sphäre überhaupt erst eröffnet wird. Verstärkt wird diese Einsicht insbesondere in neuerer Zeit durch den teilweise sehr rasanten Isensee (Fn. 537), 11 ff., 17. Isensee (Fn. 537), 24 f.; Grimm (Fn. 560), 227. 565  Grimm (Fn. 560), 225. 566  Grimm (Fn. 560), 229; siehe auch Isensee (Fn. 537), 24 f. 563  So 564  So



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und risikobehafteten Fortschritt in Technik und Industrie sowie durch zunehmende Umweltprobleme, die – unabhängig vom staatlichen Handeln – die elementaren Freiheitssphären der Bürger zu beeinträchtigen drohen.567 Die Grundrechtsfunktionen werden erweitert, weil sich die Idee von den staatlichen Aufgaben und von der gesellschaftlichen Rolle des Staates gewandelt hat. Dabei steht zwar auch weiterhin das Bild einer staatsfernen Freiheitssphäre des Bürgers im Blickfeld, doch geht man nunmehr zudem von einer zumindest partiellen staatlichen Handlungspflicht aus. Ähnlich zu den Anfängen der Grundrechte in Frankreich geht es auch in Deutschland weiterhin um die Frage nach dem besten Gesellschaftssystem und nach dessen Verwirklichung. Während zu Beginn der Grundrechtsentwicklung aber die Sozialordnung mittels Grundrechten eingeführt werden sollte, geht es nunmehr um ihren Erhalt und um ihre Sicherung. Die Grundrechte sind die maßgeblichen rechtlichen Architekten der Gesellschaftsordnung und werden als Ausdruck eines konsensualen Gerechtigkeitskonzepts „ganz allgemein zu Maßstäben für das gesamte staatliche und gesellschaftliche Leben“.568 Es zeigt sich, dass die Neuentwicklung der Schutzpflichten nur Ausdruck einer Änderung im Staatsbild ist, für das die bereits „latent“569 vorhandene theoretische Schutzpflichtidee erneut in Erscheinung tritt und entsprechend rechtlich verfestigt wird.570 2. Die kirchlichen Mitarbeiter als Schutzberechtigte, der Staat als Schutzverpflichteter Solange der Wortlaut der Grundrechte mit einer allgemeinen Schutzfunktion ohne weiteres konform geht, ergeben sich in Bezug auf den persönlichen Schutzbereich keine Unterschiede zu der grundrechtlichen Abwehrfunktion. Schutzpflichtberechtigt sind dabei alle Menschen, d. h. jede natürliche Person, und – über Art. 19 Abs. 3 GG – auch (inländische) juristische Personen. Allerdings gelten auch für Schutzpflichten dieselben Beschränkungen, wenn das Grundrecht explizit nur Deutsche iSd Art. 116 GG zu schützen beabsichtigt.571 nur Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 30 ff. (Fn. 562), 231. 569  Grimm (Fn. 560), 227: „Die objektivrechtliche Bedeutung entfiel (…) aber nicht, sondern blieb latent vorhanden. Sie verharrte sozusagen in Wartestellung, um sogleich hervorzutreten, wenn Zielabweichungen drohten oder der Automatismus gestört wurde“. 570  Isensee (Fn. 537), 25: „Dem Systemdrang enstpricht das praktische Bedürfnis der Gesellschaft, nach dem Zerfall hergebrachter Selbstverständlichkeiten jedenfalls in der Verfassung eine Konsensbasis zu finden, sich ihres Konsenses durch Interpretation zu vergewissern und ihn juridisch zu verfestigen“. 571  Vgl. Calliess (Fn. 546), 23; Klein, Die grundrechtliche Schutzpflicht, in: DVBl. 1994, 489 (493). 567  Vgl.

568  Volkmann

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Wegen Art. 1 Abs. 3 GG ist Schutzpflichtadressat auch ausnahmslos die staatliche Gewalt, also jeder Träger hoheitlicher Pflichten.572 Das gilt freilich für alle drei staatlichen Gewalten, d. h. Legislative, Exekutive und Judikative. 3. Die Grundrechte der Mitarbeiter als betroffene Schutzgüter Auch hinsichtlich des sachlichen Schutzbereichs und damit des Schutzgegenstands ergeben sich zunächst keine Abweichungen gegenüber den abwehrfunktionsbezogenen Aussagen. Zumindest alle Freiheitsrechte sind Gegenstand grundrechtlicher Schutzpflichten.573 Zwar hat das BVerfG Schutzpflichten überwiegend anhand des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG entwickelt und nur zu wenigen anderen möglichen Schutzpflichten Stellung bezogen.574 Zu Recht wird aber nahezu einhellig die Bedeutung der Schutzpflichten für alle Freiheitsrechte bejaht.575 Dem ist hier auch deshalb zuzustimmen, da die hier angeführte grundrechtstheoretische Begründung der Schutzpflichtfunktion nicht auf einzelne Freiheitsrechte beschränkt werden kann. Damit jedoch die Reichweite der kirchlichen Selbstbestimmung bestimmt werden kann, bedarf es einer exakten Angabe des betroffenen Grundrechtsguts. Es muss genau analysiert werden, welches Grundrecht durch die arbeitsrechtlichen Sanktionen der Kirche beschränkt wird und inwiefern ein Schutztatbestand eröffnet ist. Im Folgenden sollen daher die von den kirchenspezifischen Arbeitsrechtsmodifikationen jeweils betroffenen Grundrechte identifiziert werden. 572  Cremer (Fn. 540), 264  f.; Isensee (Fn. 2), 263  f., der von „Staatsaufgabe“ spricht; Dietlein (Fn. 549), 70, der in Art. 1 Abs. 3 GG nicht nur die Festlegung des Schutzpflichtadressaten sieht, sondern gar die „inhaltliche Verbindung zwischen der allgemeinen staatlichen Schutzaufgabe und den grundrechtlich gesicherten Lebensbereichen, in denen sich die dem jeweils angesprochenen Organ der staatlichen Gewalt bindend aufgegebene Schutzpflicht entfaltet“; weitergehend sogar Stern (Fn. 543), 948, und Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 265, die beide in Art. 1 Abs. 3 GG die (alleinige) rechtliche Grundlage der grundrechtlichen Schutzpflichten sehen. 573  Isensee (Fn. 537), 222 f.; Cremer (Fn. 540), 265 f.; einschränkend dagegen Di Fabio, Risikoentscheidung im Rechtsstaat, 1994, S. 49 ff., und Klein (Fn. 571), die nur bestimmten Freiheitsrechten eine Schutzfunktion zusprechen. Insbesondere ist wegen der Eigenschaft als „normgeprägtes Grundrecht“ eine Schutzpflicht aus Art. 14 Abs. 1 GG zweifelhaft, siehe dazu bejahend Cremer (Fn. 540), 266; Ruffert (Fn. 536), 186 ff.; verneinend dagegen Dietlein (Fn. 549), 78 f.; Ladeur, Entschädigung für Waldsterben?, in: DÖV 1986, 445 (451 ff.). 574  Insbesondere BVerfGE 39, 1 ff.; E 46, 160 ff.; E 53, 30 ff.; E 49, 89 ff.; E 88, 203 ff.; E 77, 170 ff.; E 56, 54 ff.; vgl. zur Rechtsprechung insbesondere Unruh (Fn.  544), 29 ff. 575  Cremer (Fn. 540), 266 m. w. N.; Dietlein (Fn. 549), S. 81 ff.; Unruh (Fn. 544), S. 75; Isensee (Fn. 537), 222; anders Di Fabio (Fn. 573); Klein (Fn. 571).



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a) Loyalitätspflichten aa) Die binäre Prüfungsstruktur und ihre Bedeutung für die Grundrechtsbetroffenheit Anders als bei den beiden anderen Säulen des kirchenspezifischen Arbeitsrechts ergibt sich in den Fällen loyalitätsbedingter Kündigungen die Notwendigkeit einer zweistufigen Prüfung, deren Stufen wegen ihrer gleichlautenden Forderung nach einer Güterabwägung leicht zu verwechseln sind, die Diskussion im Falle ihrer Vermengung aber entsprechend verkomplizieren: Es geht nicht alleine um die Anerkennung, also die Wirksamkeit der Loyalitätspflichten an sich (wie etwa beim Streikverbot), sondern auf zweiter Ebene zudem um die sich aus der Missachtung der jeweiligen Loyalitätspflicht ergebende konkrete Konsequenz – die Sanktionssetzung im Einzelfall durch den kirchlichen Dienstgeber. Die beiden Prüfungsstufen sind dabei hinsichtlich Perspektive, Gegenstand, Rechtsgrundlagen und grundrechtlicher Beeinflussung different. Der fundamentale Unterschied zwischen beiden Prüfungsstufen ergibt sich aus dem jeweils zu betrachtenden Gegenstand der Prüfung. Die anderen bestehenden Unterschiede zwischen den Prüfungsstufen bauen auf dieser Gegenstandsdifferenz auf. Der Unterschied ergibt sich daraus, dass es auf erster Ebene um die Wirksamkeit der Loyalitätspflichten an sich und damit um die staatliche Anerkennung, d. h. die bürgerlich-rechtliche Wirksamkeit von Kirchenrecht geht, während sich die zweite Ebene einem konkreten Kirchenakt und dessen Zulässigkeit im Einzelfall widmet. Die beiden Stufen betreffen folglich auch jeweils andere Rechtspositionen: Während der Erlass der Loyalitätspflicht an sich einerseits die eigenständige Rechtsetzungskompetenz in eigenen Angelegenheiten (Ordnen) im Sinne des Art. 137 Abs. 3 WRV betrifft und andererseits die Grundrechte der Mitarbeiter bezüglich des durch die Loyalitätspflicht untersagten Verhaltens einschränkt,576 unterfällt die Sanktionssetzung auf zweiter Stufe der Umsetzung des kircheneigenen Rechts und damit dem Schutzbereich des Verwaltens der eigenen Angelegenheiten im Sinne des Art. 137 Abs. 3 WRV577 und beeinträchtigt die das Dienstverhältnis an sich schützenden Grundrechte der Mitarbeiter. Daraus ergibt sich, dass je nach Prüfungsebene zumindest auf Mitarbeiterseite unterschiedliche Grundrechte betroffen sind: Auf der ersten, abstrakten Ebene 576  Vgl. BVerfGE 38, 385 (386 ff.); Hesse, Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Listl / Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staats­ kirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, 521 (535); Jeand’Heur / Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, Rn. 179. 577  Vgl. von Campenhausen / de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Aufl. 2006, S. 101; Jeand’Heur / Korioth (Fn. 576), 181.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

geht es alleine um die Frage, welches Verhalten den Mitarbeitern untersagt werden darf, während die zweite, konkrete Ebene alleine die Zulässigkeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (oder anderer Sanktionen) behandelt. Aufgrund des unterschiedlichen Prüfungsgegenstands ergibt sich weiterhin ein Unterschied zwischen den beiden Prüfungsstufen hinsichtlich der Perspektive: Wird auf der ersten Ebene die staatliche Anerkennung von Kirchenrecht geprüft, auf der zweiten Ebene dagegen eine Sanktion im Einzelfall, erfolgt die erste Prüfung abstrakt und die zweite konkret. Daraus ergeben sich wichtige Hinweise für den relevanten Maßstab, sind im Gegensatz zur ersten Prüfungsstufe auf zweiter Prüfungsstufe gerade die Umstände des Einzelfalls von erheblicher Relevanz. Sind aufgrund differenter Prüfungsgegenstände die Blickwinkel auf den jeweiligen Prüfungsstufen unterschiedlich, sind auch jeweils andere einfachrechtliche, das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen möglicherweise beschränkende Rechtsgrundlagen einschlägig: Klar ist zunächst, dass im Falle der Kündigung die staatlichen Kündigungsvorschriften in Gestalt der § 626 BGB, § 1 KSchG auch für kirchliche Dienstgeber gelten und insoweit das Recht aus Art. 137 Abs. 3 WRV beschränken können.578 Die Anwendung der § 626 BGB, § 1 KSchG setzt aber voraus, dass bereits die Loyalitätspflichten an sich – als der Grund der Kündigung – zulässig, d. h. wirksam sind. Die Wirksamkeit und die Anerkennung einer Loyalitätspflicht ist aber eine zunächst von den Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Kündigung unabhängige Frage. Die § 626 BGB, § 1 KSchG regeln nicht die Zulässigkeit einer Loyalitätspflicht an sich, sondern setzen, trotz eines inhaltlichen Bezuges zur Kündigung, zulässige Loyalitätspflichten vielmehr voraus. Daher sind § 626 BGB, § 1 KSchG auch nicht geeignet, das kirchliche Selbstbestimmungsrecht hinsichtlich der Wirksamkeit einer Loyalitätspflicht zu beschränken.579 578  BVerfGE 70, 138 (168 ff.); E 137, 273 (335 ff.); Unruh, in: von Mangoldt /  Klein / Starck (Hrsg.), GG, Bd. 3, 7. Aufl. 2018, Art. 137 WRV Rn. 74; Mager, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 140 Rn. 38; Rüfner, Das kirchlich rezipierte und adaptierte Dienst- und Arbeitsrecht der übrigen kirchlichen Bediensteten, in: Listl / Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, 877 (880); Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 7. Aufl. 2015, § 7 Rn. 1 ff.; Schmitz-Scholemann, Loyalitätsobliegenheiten kirchlicher Arbeitnehmer in der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, in: Reichold (Hrsg.), Loyalitätsobliegenheiten im Umbruch – ist die Kirche bereit für neue Wege der Mitarbeiterführung?, 2015, 11 (23). 579  Interessanterweise wird diese dogmatische Feinheit weder von der Rechtsprechung noch von der Literatur gesehen, die bei Kündigungen ohne Weiteres alleine auf § 626 BGB, § 1 KSchG als ein für alle geltendes und damit das kirchliche Selbstbestimmungsrecht beschränkendes Gesetz abstellen. Zwar mag dies weder am Ergebnis noch an den einzustellenden Überlegungen etwas ändern; dogmatisch korrekt ist es jedoch nicht.



C. Der verfassungsrechtliche Schutz der Mitarbeiter165

Dies erfolgt vielmehr aufgrund anderer Rechtsnormen des staatlichen Rechts: Die Loyalitätspflichten sind Bestandteil des Vertrags und werden damit zur Vertragspflicht.580 Auf der ersten Ebene, auf der es um die abstrakte Anerkennung einer bestimmten Loyalitätspflicht geht, stellt sich also unmittelbar die Frage nach dem zulässigen Inhalt des Arbeitsvertrags. Da die Loyalitätspflichten über die jeweiligen Kirchengesetze Bestandteil des Vertrags werden, handelt es sich de facto um vorformulierte Verträge, die grundsätzlich einer Überprüfung nach den §§ 305 ff. BGB unterliegen.581 Folglich wird das Recht, Loyalitätspflichten überhaupt zu formulieren und dem Arbeitnehmer aufzuerlegen, primär durch die Vorschriften der §§ 305 ff. BGB beschränkt. Ergänzt wird die einfachrechtliche Regelung des zulässigen (Arbeits-)Vertragsinhalts durch die Regelungen des AGG, die eine Ungleichbehandlung zumindest aus bestimmten Gründen verhindern möchten. Zwar nennt § 9 AGG Ausnahmen für Kirchen und sonstige Religionsgemeinschaften als Dienstgeber, knüpft diese jedoch wiederum an bestimmte – die Selbstbestimmung der Kirchen beschränkende – Voraussetzungen. Die Entscheidungsfreiheit gilt also insbesondere wegen § 9 AGG auch für die Kirchen nicht absolut, so dass durch die Vorschriften des AGG das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen grundsätzlich beschränkt wird. Da das AGG jedoch gem. §§ 1, 2 AGG eine Diskriminierung aus bestimmten Gründen fordert, sind entsprechende Beeinträchtigungen durch § 9 AGG nur in bestimmten Fällen zu bejahen. Erst auf zweiter Stufe geht es um die Zulässigkeit der Kündigung im Einzelfall, sodass hier § 626 BGB, § 1 KSchG, die die Zulässigkeit von Kündigungen begrenzen, als für alle geltendes Gesetz heranzuziehen sind. Abweichendes gilt für den Fall der a priori gesetzten Sanktion, also wenn Personen nicht eingestellt werden, weil sie erkennbar oder absehbar die Loyalitätspflichten einzuhalten nicht imstande sind. Hier gilt nämlich nicht nur für weltliche, sondern auch für kirchliche Dienstgeber die Abschlussfreiheit, die in § 105 GewO ausdrücklich normiert ist.582 Danach dürfen auch kirchliche Arbeitgeber grundsätzlich frei entscheiden, wen sie einstellen und wen sie ablehnen. Zwar gilt diese Freiheit nicht unbegrenzt, sondern unterliegt u. a. Abschluss- oder Beschäftigungsverboten oder gar -geboten, wie sie sich bei580  Richardi (Fn. 578), § 6 Rn. 18 ff.; ausführlich Schliemann, Loyalität und christliche Bindung in kirchlichen Arbeitsverhältnissen, in: Reichold (Hrsg.), Loyalitätsobliegenheiten im Umbruch – ist die Kirche bereit für neue Wege der Mitarbeiterführung?, 2015, 47 (52 ff.). 581  Schaumberg, Inhaltskontrolle im kirchlichen Arbeitsrecht – Zulässigkeit und Grenzen beim Rückgriff der Kirchen auf weltliche Instrumente, 2012, S. 148 ff.; vgl. auch BAG, NZA 2012, 443 (445 ff.). 582  Allgemein dazu Junker, Grundkurs Arbeitsrecht, 17. Aufl. 2018, Rn. 168 ff., 180 ff.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

spielsweise aus § 5 JArbSchG, §§ 3 ff. MuSchG oder § 78a BetrVG ergeben.583 Diese Beschränkungen beziehen sich jedoch nicht auf loyalitätsbedingte Ablehnungen, sodass die Kirchen insofern nicht durch einfaches Recht beschränkt werden. Selbst wenn man analog zum Beamtenrecht eine obligatorische Ausrichtung der Einstellungsentscheidung an sachlichen Kriterien einführen möchte,584 ändert sich nichts, ist doch die Nichterfüllbarkeit vertraglich geschuldeter Leistungen als ein sachlicher Grund anzusehen.585 Die einzige mögliche einfachrechtliche Beschränkung ergibt sich auch hier aus den §§ 1 ff. AGG, die grundsätzlich eine Ungleichbehandlung anhand bestimmter Kriterien für unzulässig erklären und auch für die Einstellung eines Mitarbeiters gelten.586 Aber auch hier ist zu beachten, dass das AGG gem. dessen §§ 1 und 2 nur für bestimmte Ungleichbehandlungen gilt. In den übrigen Fällen bleibt es bei dem weiten Anwendungsbereich des § 105 GewO. Andere Rechtsgrundlagen kommen insoweit nicht in Betracht. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Differenzierung zwischen den beiden Prüfungsebenen von nicht zu vernachlässigender Bedeutung ist. Insbesondere ergeben sich je nach Stufe nicht nur unterschiedliche Betrachtungsperspektiven, sondern auch die möglicherweise verletzten Grundrechte der Mitarbeiter unterscheiden sich. Folglich ist auch bei der Frage, welche grundrechtlichen Schutzgüter konkret durch die Loyalitätspflichten berührt werden, zwischen der ersten – abstrakten – und der zweiten – konkreten – Stufe zu differenzieren. bb) Erste Stufe: die bürgerliche Wirksamkeit der Loyalitätspflichten Auf der ersten Stufe ist nach der abstrakten Zulässigkeit der einzelnen Loyalitätspflichten zu fragen. Mit anderen Worten: Welches Mitarbeitergrund583  Dazu insbesondere Richardi, Inhaltliche Ausgestaltung des Arbeitsvertrages, in: ders. / Wlotzke / Wißmann / Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 1, 3. Aufl. 2009, § 33; Benecke, Inhaltliche Ausgestaltung des Arbeitsvertrags und Inhaltskontrolle, in: Kiel / Lunk / Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 1, 4. Aufl. 2018, § 37. 584  So Otto, Personale Freiheit und soziale Bindung, 1978, S. 28 ff. 585  Insoweit wird die Einstellungsentscheidung im privaten Recht der beamtenrechtlichen Entscheidung faktisch gleichgestellt, vgl. zu dem Begriff der sachlichen Kriterien daher insbesondere auch Badura, in: Maunz / Dürig (Begr.), GG, 73. Lfg. 2014, Art. 33 Rn. 25 ff.; Krüger, Das Leistungsprinzip im öffentlichen Dienst, 1957; Battis, in: Sachs (Hrsg.), GG; 8. Aufl. 2018, Art. 33 Rn. 27 ff. 586  § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG: „… die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position“.



C. Der verfassungsrechtliche Schutz der Mitarbeiter167

recht wird durch die einzelne Loyalitätspflicht berührt und inwieweit kann es das kirchliche Selbstbestimmungsrecht einschränken mit der Folge, dass die jeweilige Loyalitätspflicht (teilweise) unzulässig ist? Es gilt dabei zu bedenken, dass die Frage nach dem betroffenen Schutzgut maßgeblich vom Pflichtverstoß abhängig ist. Besonders vielseitig sind die Fälle der ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung der Mitarbeiter wegen Loyalitätspflichtverstößen. Denn hier kommt es gerade auf den konkreten Tatbestand, den genauen Verstoß an. Dennoch können, auch anhand bestehender Rechtsprechung, bestimmte Fallgruppen ausfindig gemacht werden:587 Dabei können grundsätzlich drei Kategorien unterschieden werden: Einmal geht es um außerdienst­ liches Verhalten der Mitarbeiter, das gegen die Grundsätze des Dienstgebers Kirche verstößt, so insbesondere der Ehebruch588, die Heirat zumindest eines Geschiedenen589 oder die praktizierte Homosexualität590. In der zweiten Gruppe geht es um Konflikte zwischen Dienstgeber und Mitarbeiter speziell aufgrund religiös motivierter Überzeugungen und Handlungen. Dazu gehören insbesondere Kirchenaustritte591, Werbung für andere Religionsgemeinschaften592 oder das Eintreten gegen die jeweilige Kirche oder das Tragen kirchen587  Ein guter Überblick findet sich auch bei Däubler, Das kirchliche Arbeitsrecht und die Grundrechte der Arbeitnehmer, in: RdA 2003, 204 ff.; Spengler, Die Rechtsprechung zum Arbeitsrecht in kirchlichen Angelegenheiten – insbesondere zur Loyalitätspflicht der kirchlichen Mitarbeiter, in: NZA 1987, 833 ff.; ebenso Hammer, Handbuch kirchliches Arbeitsrecht, 2002, S. 213  ff. (zu den Loyalitätspflichten), 272 ff. (zur Koalitionsfreiheit), 289 ff. (zur Koalitionsbetätigung), 437 ff. (zum Betriebsverfassungsrecht); Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, 2006, S. 109, 254 ff.; Lodemann, Kirchliche Loyalitätspflichten und die Europäische Menschenrechtskonvention, 2013, S. 36 ff. 588  BAGE 2, 279 ff.; BAG, NJW 1980, 2213 ff.; BAG, NZA 1998, 145 ff.; BAG, Urt. v. 16.09.1999 – 2 AZR 712 / 98; LAG Köln, NZA-RR 1999, 232 ff.; ArbG Oberhausen, Urt. v. 24.05.1994 – 3 Ca 356 / 94. 589  BAGE 28, 14 ff.; E 30, 247 ff.; E 33, 14 ff.; E 34, 195 ff.; E 47, 144 ff.; BAG, AP Nr. 35 zu Art. 140 GG; BAG, AP Nr. 36 zu Art. 140 GG; LAG Saarbrücken, NJW 1976, 645 ff.; BVerfG, NJW 1983, 2570 ff.; BAG, DB 1978, 2175 ff.; LAG Niedersachsen, NJW 1990, 534 ff. 590  BAG, NJW 1984, 1917  ff.; LAG Baden-Württemberg, NZA 1994, 416 ff.; BAG, NJW 1984, 1917 ff.; vgl. auch VG Ausgburg, Urt. v. 19.06.2012 – Au 3 K 12.266, wonach eine Kündigung wegen praktizierter Homosexualität zumindest nicht während der Elternzeit zulässig ist. Zur Kündigung wegen öffentlich erklärter sadomasochistischer Vorlieben ArbG Berlin, NZA-RR 2000, 244 ff. 591  BAGE 45, 250 ff.; E 47, 292 ff.; E 145, 90 ff.; BAG, DB 1985, 1647 ff.; BAG, NJW 1981, 2213 ff.; BAG, DB 1980, 2529 ff.; LAG Mainz, NJW 1980, 2213 ff.; LAG Mainz, MDR 1997, 949 ff.; LAG Brandenburg, LAGE § 611 BGB 2002 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 2; VGH Mannheim, NZA-RR 2003, 629 ff.; BVerfGE 70, 138 ff.; LAG Rheinland-Pfalz, NZA 1998, 149 ff.; LAG Baden-Württemberg, ZMV 2000, 292 ff.; ArbG Celle, Urt. v. 12.01.1988 – 2 Ca 341 / 86. 592  BAG, NZA 2001, 1136 ff.; BVerfG, NJW 2002, 2771 ff.; LAG Berlin, NZA-RR 1997, 422 ff.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

fremder religiöser Symbole (z. B. Kopftuch)593. Letztlich kommen Konflikte auf sachlicher Ebene in Betracht, bei denen fachliche Haltungen, Grundsätze oder Richtlinien des Dienstgebers auch aufgrund grundlegender religiöser Differenz durch die Mitarbeiter bekämpft und missachtet werden, so zum Beispiel das Eintreten für die Abtreibung594 oder die Vornahme künstlicher Befruchtungen595. (1) A  bhängigkeit des betroffenen Grundrechts vom Inhalt der Loyalitätspflicht Geht es um die Zulässigkeit von kirchenrechtlichen Loyalitätspflichten, kommt zu allererst – unabhängig vom Inhalt der Loyalitätspflicht – die Berührung der Berufsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 GG in den Sinn. Immerhin wird durch die Loyalitätspflicht insbesondere die Art der Berufsausübung maßgeblich beeinflusst. Das entgegen seinem Wortlaut einheitliche Grundrecht auf Berufsfreiheit596 schützt nicht nur die Wahl eines Berufs, sondern auch die Wahl der Arbeitsstätte sowie die Berufsausübung an sich.597 Letzteres wird durch Loyalitätspflichten zumindest teilweise beeinträchtigt. Stellen die kirchlichen Dienstgeber besondere – religiös respektive kirchenrechtlich induzierte – Verhaltensanforderungen auf, ist der Mitarbeiter nicht mehr frei in der Berufsausübung. Allerdings gilt dies aufgrund der binären Prüfungsstruktur und der auf der ersten Prüfungsebene vorzunehmenden allein abstrakten Prüfung der Loyalitätspflichten nur für unmittelbar arbeitsbezogene Loyalitätspflichten: Die Berufsfreiheit ist alleine durch den Inhalt der Loyalitätspflicht dann nicht betroffen, wenn es um außerdienstliches Verhalten, also beispielsweise um praktizierte Homosexualität geht. In diesen Fällen ist die Berufsfreiheit erst durch die Sanktion selbst, also etwa durch die Kündigung oder Nichteinstellung, berührt und folgerichtig erst auf zweiter Stufe relevant. Das bedeutet, dass die Berufsfreiheit an dieser Stelle nicht allgemein bei allen Loyalitätspflichten beeinträchtigt ist, sondern nur bei den entsprechenden unmittelbar arbeitsbezogenen Loyalitätspflichten. 593  LAG

Düsseldorf, DB 1985, 391 ff.; BAGE 149, 144 ff. 70, 138 ff.; zur Fachentscheidung: BAG, NJW 1984, 826 ff. 595  BAGE 74, 325 ff. 596  BVerfGE 7, 377 (400 ff.); Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 12 Rn. 48; Mann, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 12 Rn. 14 f.; Epping, Grundrechte, 7. Aufl. 2017, Rn. 381 ff. vgl. Uber, Freiheit des Berufs, 1952. Anders hingegen Hufen, Berufsfreiheit – Erinnerung an ein Grundrecht, in: NJW 1994, 2913 (2917). 597  Ausführlich dazu Scholz, in: Maunz / Dürig (Begr.), GG, 47. Lfg. 2006, Art. 12 Rn.  266 ff.; Ruffert, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Beck-OK GG, Stand: November 2018, Art. 12 Rn. 40 ff.; Wieland (Fn. 596), 48 ff. 594  BVerfGE



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Aber auch in dem Falle unmittelbar arbeitsbezogener Loyalitätspflichten ist die Berufsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 GG ohne besondere Relevanz für die hier vorzunehmende Abwägung. Hintergrund ist, dass Art. 12 Abs. 1 GG (auch) eine besondere Ausprägung der allgemeinen Privatautonomie darstellt und insoweit die selbstständige Ordnung des Arbeitslebens beinhaltet.598 Das bedeutet aber freilich auch, dass die Schutzrichtung der Berufsfreiheit des Mitarbeiters zugleich auch immer die Schutzrichtung der Berufsfreiheit des Dienstgebers berührt; es liegt stets eine binäre Grundrechtsausübung vor.599 Infolgedessen geht Art. 12 Abs. 1 GG vorrangig von einer freien Gestaltung des arbeitsvertraglichen Inhalts durch beide Parteien aus und „mischt sich insoweit nicht ein“.600 Art. 12 Abs. 1 GG beruht auf der Vorstellung von dem Spiel freier Mächte. Wenngleich sich der Staat dementsprechend grundsätzlich zurückzieht, ist das Bestehen einer berufsfreiheitsbedingten staatlichen Schutzpflicht unbestreitbar; allerdings gilt diese angesichts der ebenfalls geschützten privatautonomen Vertragsgestaltung freilich nur insoweit, als ein soziales Machtgefälle zwischen Dienstgeber und Mitarbeiter besteht, welches die wesentlichen Interessen des Mitarbeiters zu missachten droht.601 Einen weitergehenden Schutz bietet Art. 12 Abs. 1 GG nicht. Das bedeutet jedoch weitergedacht, dass die Schutzpflicht des Mitarbeiters aus Art. 12 Abs. 1 GG erst dann Einfluss auf die Zulässigkeit und Wirksamkeit arbeitsvertraglicher Regelungen hat, wenn wichtige Mitarbeiterinteressen massiv missachtet werden. Diese Interessen können jedoch keinesfalls allein darin bestehen, als Mitarbeiter möglichst wenige Verpflichtungen dem Arbeitgeber gegenüber eingehen zu müssen. Mit anderen Worten: Art. 12 Abs. 1 GG ist erst dann verletzt, wenn andere, wichtige Interessen und damit auch die die Interessen repräsentierenden Grundrechte des Mitarbeiters derart missachtet werden, dass die Privatautonomie sowie hier das kirchliche Selbstbestimmungsrecht die Missachtung nicht mehr rechtfertigen können. Die Konsequenz ist, dass 598  BVerfGE 33, 171 (191); E 116, 202 (221); Hillgruber, in: Umbach / Clemens (Hrsg.), GG, Bd. 1, 2002, Art. 2 Abs. 1 Rn. 262; Kämmerer, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art 12 Rn. 44; anders Manssen, Privatrechtsgestaltung durch Hoheitsakt, 1994, S. 183 ff., und Murswiek / Rixen, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 2 Rn. 55a. 599  BVerfGE 81, 242 (254); Fischinger, Grundrechte im Arbeitsverhältnis, in: Kiel / Lunk / Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 1, 4. Aufl. 2018, § 7 Rn. 73 f.; Richardi, Grundrechte im Arbeitsverhältnis, in: ders. / Wlotzke / Wißmann / Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 1, 3. Aufl. 2009, § 12 Rn. 60. 600  Kämmerer (Fn. 598); Wieland (Fn. 596), 145. 601  Richardi (Fn. 599), 60; Wieland (Fn. 596), 142 ff.: „Freiheitsschutz auch gegenüber gesellschaftlichen Kräften“ (142); Badura, Arbeit als Beruf (Art. 12 Abs. 1 GG), in: Hanau (Hrsg.), Festschrift für Wilhelm Herschel zum 85. Geburtstag, 1982, 331 (334 ff.).

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

eine Prüfung des Art. 12 Abs. 1 GG nicht losgelöst von der Prüfung der jeweiligen anderen Grundrechte erfolgen kann. Der allgemeine Schutz der Berufsfreiheit ist angesichts der in ihr ebenfalls verbürgten beruflichen Privatautonomie zu schwach. Werden je nach Inhalt der (arbeitsbezogenen) Loyalitätspflicht andere Grundrechte verletzt, liegt automatisch auch eine Verletzung der Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG vor. Insoweit kommt es auf dieser Ebene zentral auf die Abwägung zwischen kirchlichem Selbstbestimmungsrecht und je nach Loyalitätspflicht betroffener – im Vergleich zum allgemeinen Schutzziel des Art. 12 Abs. 1 GG besonderer – Grundrechte an. (2) Konflikte aufgrund konträren außerdienstlichen Verhaltens Im Rahmen der ersten Fallgruppe – den Konflikten aufgrund konträren außerdienstlichen Verhaltens – ergeben sich bestimmte Unterkategorien, die in der Praxis zentrale pönalisierte Verhaltensweisen der Mitarbeiter beschreiben. Im Folgenden sollen diese jeweils getrennt auf ihre Kollision mit den jeweils betroffenen Mitarbeitergrundrechten untersucht werden. (a) Das Verbot praktizierter Homosexualität Die Haltung der Kirchen zur sexuellen Orientierung wird in jüngerer Zeit zunehemend kritisch betrachtet. Dies ist nicht nur rein rechtlich gemeint, sondern bereits der gesellschaftliche Druck führt dazu, dass die Kirchen ihre Haltung zumindest teilweise überdenken602 oder reformieren.603 Einen nicht allzu kleinen Anteil hat auch hier die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung, die den Staat zunehmend zu mehr Gleichbehandlung – insbesondere im Steuerrecht – zwingt.604 Nichtsdestoweniger sehen beide Kirchen – nach wie vor – in der Ehe allein die Verbindung von Mann und Frau.605 Die Eingehung einer homosexu602  Siehe z. B. Papst Franziskus, Amoris Laetitia, Nachsynodales apostolisches Schreiben, 2016. 603  Siehe Kirchengesetz zur Gleichstellung von Gottesdiensten zur Segnung zweier Menschen in eingetragener Partnerschaft mit Traugottesdiensten der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz vom 09.04.2016. 604  Insbesondere BVerfGE 105, 313 ff.; E 115, 1 ff.; E 124, 199 ff.; E 133, 377 ff.; dazu auch Sanders, Ehegattensplitting für Lebenspartner vor dem BVerfG, in: NJW 2013, 2236 ff.; Gade / Thiele, Ehe und eingetragene Lebenspartnerschaft: Zwei namensverschiedene Rechtsinstitute gleichen Inhalts?, in: DÖV 2013, 142 ff.; Baer, Gleichberechtigung revisited – zur Interpretation des Art. 3 GG und internationaler Gleichbehandlungsgebote, in: NJW 2013, 3145 ff. 605  Siehe auch can. 1055 § 1 CIC: „Der Ehebund, durch den Mann und Frau unter sich die Gemeinschaft des ganzen Lebens begründen, welche durch ihre natürliche



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ellen Beziehung oder einer gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft ist für sie daher ein Verstoß gegen die kirchliche Glaubenslehre. Eine solche Loyalitätspflicht scheint dabei geeignet zu sein, in unterschiedliche Grundrechte der Mitarbeiter einzugreifen. (aa) Die Freiheit der Ehe (Art. 6 Abs. 1 GG) Solange es noch keine gleichgeschlechtliche Ehe, sondern nur das Institut der eingetragenen Lebenspartnerschaft gab, war besonders streitig, ob das Eingehen einer solchen formellen Partnerschaft von Art. 6 Abs. 1 GG geschützt ist, was freilich voraussetzte, dass der Ehebegriff des Art. 6 Abs. 1 GG auch dieses Institut umfasste. Dies wurde überwiegend deswegen verneint, weil der Gesetzgeber die Lebenspartnerschaft gerade als ein zur Ehe bestehendes Aliud verstanden habe und so den Schutzbereich des Ehegrundrechts nicht habe eröffnen wollen.606 Der Gesetzgeber hat aber nunmehr im Jahr 2017 die Öffnung der Ehe auch für gleichgeschlechtliche Verbindungen beschlossen.607 Seitdem ist eine Geschlechtsverschiedenheit nicht mehr Tatbestand des Ehebegriffs. Es stellt sich dabei die Frage, ob das Verbot des Schließens einer gleichgeschlecht­ lichen Ehe den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG berührt. Auf den ersten Blick muss dies bejaht werden: Der Begriff der Ehe greift kein sozial-faktisches, sondern ein rechtliches Phänomen auf. Art. 6 Abs. 1 GG ist insoweit ein normgeprägtes Grundrecht und durch den Gesetzgeber ausgestaltungsbedürftig.608 Eine solche Ausgestaltung ist durch die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Verbindungen auch vorgenommen worden. Die eigentliche Konsequenz wäre dann, dass auch gleichgeschlechtliche Ehen vom Schutzgehalt des Art. 6 Abs. 1 GG umfasst sind. Auf den zweiten Blick ergibt sich aber das Problem des gesetzgeberischen Ausgestaltungsspielraums. Nach Art. 6 Abs. 1 GG steht die Ehe unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Es handelt sich hier – auch trotz Eigenart auf das Wohl der Ehegatten und auf die Zeugung und die Erziehung von Nachkommenschaft hingeordnet ist, wurde zwischen Getauften von Christus dem Herrn zur Würde eines Sakramentes erhoben“. 606  Dazu, dass zwischen Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft – wenn auch nur marginale – Unterschiede bestehen, BVerfGE 105, 313 (351); E 131, 239 (261); Germann, Dynamische Grundrechtsdogmatik von Ehe und Familie?, in: VVDStRL 73 (2013), 257 (259) m. w. N.; Gade / Thiele (Fn. 604), 148 f. 607  Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 20.07.2017, BGBl. I, S. 2787 f. 608  Ausführlich Brosius-Gersdorf, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art.  6 Rn.  49 f., 76 ff.

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einiger grundlegender Bedenken – um eine Institutsgarantie, der zufolge es einen unantastbaren Kernbereich des Ehebegriffs geben muss: Ist der Begriff der Ehe grundsätzlich von der Ausgestaltungsfreiheit des Gesetzgebers abhängig, das Institut „Ehe“ aber gleichzeitig besonders geschützt, müssen Kernelemente der Ehe vorzufinden sein, die auch dem Gesetzgeber nicht zur Disposition stehen.609 Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts und der deutlichen Mehrheit in der Literatur bedeutet entsprechend kulturellen Vorstellungen Ehe bislang aber unter anderem die „Vereinigung eines Mannes und einer Frau zu einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft“.610 Entscheidend für den Ehebegriff sei also unter anderem die Geschlechterverschiedenheit der Betroffenen.611 Eine „Schutzbereichserweiterung“, wie sie der Gesetzgeber 2017 vorgenommen hat, steht demnach unter dem Vorbehalt, dass die Geschlechterverschiedenheit nicht Bestandteil des absolut geschützten Kernbereiches des Ehebegriffes, also nicht von der Institutsgarantie betroffen ist.612 Die Geschlechterverschiedenheit als (einfachrechtlich) unumstößliches Ehemoment wird überwiegend auf drei Argumente gestützt: Einmal wird in 609  Prägnant BVerfGE 105, 313 (345): „Das Grundgesetz selbst enthält keine Definition der Ehe, sondern setzt sie als besondere Form menschlichen Zusammenlebens voraus. Die Verwirklichung des verfassungsrechtlichen Schutzes bedarf insoweit einer rechtlichen Regelung, die ausgestaltet und abgrenzt, welche Lebensgemeinschaft als Ehe den Schutz der Verfassung genießt. Der Gesetzgeber hat dabei einen erheblichen Gestaltungsspielraum, Form und Inhalt der Ehe zu bestimmen (…) Das Grundgesetz gewährleistet das Institut der Ehe nicht abstrakt, sondern in der Ausgestaltung, wie sie den jeweils herrschenden, in der gesetzlichen Regelung maßgebend zum Ausdruck gelangten Anschauungen entspricht (…). Allerdings muss der Gesetzgeber bei der Ausformung der Ehe die wesentlichen Strukturprinzipien beachten, die sich aus der Anknüpfung des Art. 6 Abs. 1 GG an die vorgefundene Lebensform in Verbindung mit dem Freiheitscharakter des verbürgten Grundrechts und anderen Verfassungsnormen ergeben“. 610  von Coelln, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 6 Rn. 4; BVerfGE 105, 313 (345); E 36, 146 (161 ff.); E 37, 217 (249 ff.); E 10, 59 (66); E 29, 166 (172); E 62, 323 (330); Coester-Waltjen, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 6 Rn. 5; Brosius-Gersdorf (Fn. 608), 49. 611  Siehe insbesondere Coester-Waltjen (Fn. 610), 9 m. w. N.; deutlich – allerdings ohne nähere Begründung – auch Badura, in: Maunz / Dürig (Begr.), GG, 69. Lfg. 2013, Art. 6 Rn. 42 f. 612  Die Frage, ob aus Art. 6 Abs. 1 GG ein Abstands-, d. h. Benachteiligungsgebot der Ehe gegenüber anderen Instituten zu erfolgen hat, ist für diese Konstellation ohne Relevanz, weil sie zwei verschiedene Institute voraussetzt und nach der Vergleichbarkeit fragt, also danach, ob Ehe und ein anderes Institut der Ehe hinsichtlich der rechtlichen Wirkungen gleich gesetzt werden dürfen; die Frage nach dem Abstandsgebot setzt also voraus, dass das andere Institut nicht von Art. 6 Abs. 1 GG umfasst ist, da das Grundrecht nicht die Ungleichbehandlung zweier vom Schutzbereich umfassten Gegenstände fordern kann.



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Ansehung der besonderen Verquickung des Ehebegriffs mit kulturellen Vorstellungen und Entwicklungen die Notwendigkeit der Geschlechterverschiedenheit mit einem (noch) nicht vollständig eingetretenen Bedeutungswandel des Eheverständnisses begründet.613 Darüber hinaus wird angeführt, der Parlamentarische Rat habe bei der Entstehung des Grundgesetzes alleine die Verbindung von Mann und Frau wie eine natürliche Selbstverständlichkeit vor Augen gehabt.614 Dies könne auch nicht durch einen pauschalen Verweis auf einen eventuellen Verfassungswandel außer Betracht bleiben. Letztlich wird mit dem wesentlichen Zweck der Ehe argumentiert, der in ihrer Finalität, d. h. in der potentiellen Ausrichtung auf die Gründung einer Familie als „Ausgangspunkt der Generationenfolge“ liege und damit den besonderen Schutz der Ehe überhaupt erst legitimiere.615 Es komme daher auch nicht auf eine im konkreten Fall vorliegende Zeugungsfähigkeit und -willigkeit an; entscheidend sei, dass eine Familie überhaupt nur aus der Verbindung von Mann und Frau entstehen könne, so dass von vorneherein eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft nicht denselben verfassungsrechtlichen Schutz genießen dürfe. Die Frage nach der Geschlechtsverschiedenheit als unabdingbares Moment des Ehebegriffes beherbergt bei genauerem Besehen zwei Teilfragen: Zunächst ist unklar, wie der von der Institutsgarantie betroffene Kernbereich der Ehe bestimmt werden muss, fehlt es doch an genauen grundgesetzlichen Vorgaben. Schwierigkeiten ergeben sich nämlich dadurch, dass es keinen vorgegebenen methodischen Zugriff auf das Problem gibt. Die Problemlösung kann aber diesbezüglich gerade nicht – wie ansonsten bei inhaltlichen Fragen des Ehebegriffes – in der Übertragung der Entscheidungsgewalt an den Gesetzgeber liegen, geht es ja gerade um eine dispositionsfreie Basis des Ehebegriffes. Daher bleibt dem Rechtsanwender nichts Anderes übrig, als 613  Insbesondere Coester-Waltjen (Fn. 610), 9: „Für Deutschland kann von einem derartigen (d. h. auf die mögliche Gleichgeschlechtlichkeit der Ehe abzielenden; VH) Bedeutungswandel des Eheverständnisses bisher jedenfalls noch nicht ausgegangen werden. Dieses Verständnis (…) ist (ergänze: allein; VH) die Legitimation für die Ausgliederung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften aus dem Ehebegriff“ (Herv. VH). Mit Verweis auf BVerfG, NJW 1993, 3058 (3058) und BVerfGE 105, 313 (345), wobei aber erstere Fundstelle bereits zwei Dekaden alt ist und letztere entsprechende Hinweise nicht erkennen lässt. 614  Uhle, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG, 28. Ed. 2015, Art 6 Rn. 4; Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 4 / 1, 2006, S. 373. 615  Pauly, Sperrwirkungen des verfassungsrechtlichen Ehebegriffs, in: NJW 1997, 1955 (1955): „Gerade um die Ehe als potentielle Familie, in der Kinder von ihren leiblichen Eltern erzogen werden, zu schützen und zu fördern, verzichtet die Rechtsordnung darauf, ehehemmend und -hindernd den Willen oder die Fähigkeit zum Kind auszuforschen oder sogar Konsequenzen an das Ausbleiben von Kindern zu knüpfen“; Uhle (Fn. 614); vgl. auch BVerfG, NJW 1993, 3058 (3058).

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auf das kulturell-faktische Moment des Ehebegriffs abzustellen. Zentraler Zugriffspunkt bleibt letztlich die Untersuchung, was in unserer Kultur allgemein unter einer Ehe verstanden wird.616 Der kulturwissenschaftliche Bezug dieser Frage ist unübersehbar: Es geht mit anderen Worten um das Eherecht als Kulturprodukt und damit um die textuelle Kohärenz zwischen kulturellen Vorstellungen und dem Inhalt des Begriffs der Ehe.617 Das kulturell-gesellschaftliche Argument, für eine gleichgeschlechtliche Ehe fehle es bislang an einer hinreichenden kulturellen Verankerung, liegt zwar nahe. Der Hinweis auf einen fehlenden Bedeutungswandel kann aber ebenso wenig für die Geschlechterverschiedenheit ins Feld geführt werden wie das Argument eines gewandelten sprachlich-semantischen Verständnisses vom Ehebegriff gegen eine Geschlechtsverschiedenheit618; beides bedarf nämlich einer soziologischempirischen wie auch soziologisch-semantischen Untersuchung, sollen die Argumente über bloße Plattitüden hinausgehen. Eine präzise Feststellung eines entsprechenden gesellschaftlichen wie sprachlichen Bedeutungswandels ist aber nicht hinreichend möglich. Hilft also eine „aktuelle“ Bedeutungsanschauung der Gesellschaft nicht weiter, liegt es nahe, auf den – in diesem Fall relevanten – Verfassungsgeber abzustellen, für den die Geschlechterverschiedenheit eine absolute Selbstverständlichkeit war. Zweifel bleiben aber hinsichtlich der Relevanz dieser Haltung für heutige Zeiten; denn ist die Ehe ein Kulturprodukt, ein aus kulturellen Vorstellungen und Handlungen entstandenes und sich weiterentwickelndes Gut, bleibt es äußerst fragwürdig, eine bereits zurückliegende Haltung zu berücksichtigen, die qua lege natura aktuelle kulturelle Entwicklungen nicht berücksichtigen kann. So war zu jener Zeit der Entstehung des Grundgesetzes eine – nach außen hin wahrnehmbare – Partnerschaft zwischen zwei Menschen des gleichen Geschlechts unvorstellbar, ja stand sogar gänzlich unter Strafe (§ 175 StGB a. F.).619 Die 616  Siehe daher auch aus zeitgeschichtlicher Perspektive Krüper, Die Verfassung der Berliner Republik, in: Rechtsgeschichte 23 (2015), 16 (27 ff.), der den Streit um die Verschiedengeschlechtigkeit in der Ehe als „kulturverfassungsrechtliche Symboldebatte“ (27) bezeichnet. 617  Zum Begriff der kulturellen Kohärenz insbesondere Assmann, Kulturelles Gedächtnis, 1992, S. 50 ff.; Erll, Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, in: Nünning / Nünning (Hrsg.), Konzepte der Kulturwissenschaften, 2003, 158 (171 ff.); vgl. zu alldem auch Krüper, Kulturwissenschaftliche Analyse des Rechts, in: ders. (Hrsg.), Grundlagen des Rechts, 2. Aufl. 2013, § 14 (insb. Rn. 8, 14). 618  Vgl. Michael / Morlok, Grundrechte, 6. Aufl. 2017, Rn. 252; Uhle (Fn. 614). 619  Ausführlich dazu Brosius-Gersdorf, Die Ehe für alle durch Änderung des BGB – zur Verfassungsmäßigkeit der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare, in: NJW 2015, 3557 (3559 ff.); Ott, Die Begriffe „Ehe und Familie“ in Art. 6 Abs. 1 GG, in: NJW 1998, 117 (117): „Die Entstehungsgeschichte des Art. 6 Abs. 1 GG ist für die Frage, welche Lebenssachverhalte und gesellschaftlichen Strukturen den Schutz des Grundrechts genießen, wenig ergiebig und – da sie dem sozialen Wandel unterliegen – auch rechtlich unerheblich“.



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Bedeutung der Entscheidung des Parlamentarischen Rates schwindet jedoch erheblich, wenn sie unter völlig differenten moralisch- wie geistesphilosophischen Prämissen getroffen wurde.620 Die beiden zuvor genannten und nach der hier vertretenen Auffassung nicht überzeugenden Maßstäbe – Bindung an aktuelle moralische Vorstellungen sowie Bindung an die einstigen Vorstellungen des Verfassungsgebers – verdeutlichen stark das hinter der eigentlichen Frage auf der Metaebene stehende allgemeine Problem des Ausgleiches zwischen Beständigkeit des Rechts einerseits und Weiterentwicklungsfähigkeit und -notwendigkeit des Rechts andererseits, also das Problem des Ausgleichs zwischen Kontinuität und Varietät des Rechts. Dabei zeigt sich, dass die Frage nach dem Maßstab der Kernbereichsbestimmung eng mit der Frage nach dem Entscheidungsbefugten zusammenhängt: Handelt es sich bei der Ehe um ein Kulturprodukt, dessen Interpretation die besondere Beziehung des Rechtsinstitutes mit kulturellen Vorstellungen, Bräuchen und Reformen besonders in den Mittelpunkt stellt, scheint die Frage nicht verfehlt zu sein, ob solche Entscheidungen einem (Verfassungs-)Gericht mit höchstens acht Richter / innen überlassen werden dürfen. So wurde allgemein für den Ehebegriff – wenn auch außerhalb des Kernbereichs – zu Recht konstatiert, er werde ausschließlich „in der Ausgestaltung, wie sie den jeweils herrschenden, in der gesetzlichen Regelung maßgebend zum Ausdruck gelangten Anschauungen entspricht“, gewährleistet.621 Es zeigt sich also, dass grundsätzlich der Gesetzgeber Sprachrohr der herrschenden kulturellen Vorstellungen vom Ehebegriff ist. Dies gilt umso mehr, als man bedenkt, dass Recht und sein Inhalt nicht nur Kulturprodukt, sondern auch Kulturfaktor sind.622 So lässt sich nicht leugnen, dass bei einer „Öffnung“ der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare die kulturelle Vorstellung und Akzeptanz der Homosexualität zumindest maßgeblich verändert oder in ihrer Veränderung verstärkt werden können. Diese Modifikation ist 620  Siehe auch BVerfG, NJW 2013, 847 (849): „Zwar ist angesichts der damaligen Strafbarkeit und der gesellschaftlichen Verpöntheit von Homosexualität im Zeitpunkt der Entstehung des Grundgesetzes davon auszugehen, dass bei Abfassung von Art. 6 Abs. 2 GG ausschließlich an verschiedengeschlechtliche Eltern gedacht war. In der Norm liegt deshalb aber nicht eine bewusste Entgegensetzung zur Anerkennung gleichgeschlechtlicher Eltern; vielmehr lag diese schlicht außerhalb des damaligen Vorstellungshorizonts. Entsprechend konnte es damals anders als heute zur Elternschaft zweier gleichgeschlechtlicher Personen einfachrechtlich in keiner Konstellation kommen. Die Grenzen der damaligen Vorstellungswelt und des dabei unterlegten historischen Begriffsverständnisses sind indessen mit der Veränderung der rechtlichen Einordnung von Homosexualität nach und nach entfallen“; vgl. auch Brosius-Gersdorf, Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaft, in: FamFR 2013, 169 (172). 621  BVerfGE 105, 313 (345). 622  Vgl. Losch, Kulturfaktor Recht – Grundwerte, Leitbilder, Normen, 2006, S. 36 ff., mit dem Hinweis auf die Ordnungs- und Gestaltungsfunktion des Rechts.

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aber eine gesamtgesellschaftliche und auch kultur- bzw. rechtspolitische Entscheidung, die der Kompetenz der Judikative grundsätzlich entzogen und weitestgehend dem Gesetzgeber in Vertretung seiner Bürger / innen überantwortet werden muss.623 Aus den genannten Gründen ist dies bei der Bestimmung des ehelichen Kernbereichs aber nur eingeschränkt möglich, geht es gerade um eine Begrenzung gesetzgeberischer Dispositionsfreiheit. Allerdings sollte das soeben angeführte Argument zum Anlass genommen werden, die Definition der Ehe so weit wie möglich dem Gesetzgeber als kulturellem Sprachrohr der Gesellschaft zu überlassen und tatsächlich dem Gesetzgeber nur die fundamentalen Mindestmomente der ehelichen Vorstellungen zwingend vorzugeben. Nach dem zuvor Gesagten bleibt jedoch als einziges Kriterium das Ansetzen an der basalen, aus der Verfassung herzuleitenden Funktion der Ehe, um den Kernbereich der Ehe heraus zu konkretisieren. Muss die Entscheidung über den Kernbereich der Ehe wegen des stark kukturell geprägten Ehebegriffs weitestgehend dem Gesetzgeber überlassen bleiben, kann die Funktion der Ehe – und daraus abgeleitet die Kernelemente des Ehebegriffs – nur in einer weitestgehend von kulturellen Faktoren „bereinigten“ Ebene gesucht werden. Man kann diese Ebene auch als äußere Funktion bezeichnen. Zum Kernbereich der Ehe gehören also all diejenigen Merkmale, die sich aus der äußeren Funktion der Ehe, d. h. aus dem Grundgerüst des Kulturprodukts „Ehe“ in Bezug auf das gesamtgesellschaftliche System ergeben, ohne dabei tiefgehende kulturelle Entscheidungen vorwegzunehmen. Mit anderen Worten: Zum Kernbereich der Ehe gehören nur diejenigen Tatbestandsmerkmale, die sich aus dem Grund des Eheschutzes ableiten lassen, die für die Erfüllung der gesamtgesellschaftlichen Funktion der Ehe konstitutiv sind. Alle darüber hinausgehenden Momente stehen bereits in tiefer kulturpolitischer Disputation und damit in der Dispositionsbefugnis des Gesetzgebers. Die Notwendigkeit der Geschlechtsverschiedenheit ergäbe sich dann, wenn die Ehe funktional auf die Entstehung einer Familie gerichtet wäre, wie es häufig mit dem Begriff der Finalität der Ehe umschrieben wird. Allerdings hält diese Argumentation einer Plausibilitätskontrolle nicht stand. Selbst wenn man nicht auf die konkrete Zeugungsfähigkeit und -willigkeit abstellt, sondern die „potentielle“ Familiengründung durch eine auf Dauer gerichtete Verbindung von Mann und Frau für den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG ausreichen lässt,624 bleibt der Widerspruch, dass der Parlamentarische Rat selbst 623  Germann (Fn. 606), 260: „Das Grundgesetz rechnet mit Veränderungen des gesellschaftlichen Konsenses. Es organisiert dessen Dynamik in der Macht der parlamentarischen Mehrheit, durch Gesetzgebung die Zukunft zu gestalten“. 624  Die tatsächliche oder potentielle Fortpflanzungsfähigkeit gerade nicht als bestimmend ansehend Ipsen, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts



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den Schutz der Ehe zur Vermeidung der Diskriminierung kinderloser Ehen gerade nicht von der „aus ihr wachsende[n] Familie“ abhängig machen wollte, Familie und Ehe dem grundgesetzlichen Konzept nach also deutlich „entkoppelt“ sind.625 Auch sind bei dieser Entscheidung des Parlamentarischen Rates keine gegenüber der heutigen Zeit differenten geistesphilosophischen Vorzeichen erkennbar, die die Plausibilität und Relevanz der Entscheidung mindern oder aufheben könnten. Selbst wenn aber ihre Ausrichtung auf die Familie maßgeblicher Zweck der Ehe wäre, wäre die Notwendigkeit der Geschlechterverschiedenheit widersprüchlich. Innerhalb des Art. 6 Abs. 1 GG ist anerkannt, dass zu der geschützten „Familie“ auch solche Erwachsenen-Kind-Beziehungen gehören, zwischen denen keine Blutsverwandtschaft besteht, sondern entweder eine rechtliche Anerkennung des Kindes – beispielsweise in Form einer Adoption – stattfindet, oder in denen eine tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen einem Elternteil und einem Kind besteht .626 Insoweit fallen auch solche Paare, die tatsächlich Verantwortung für die Kinder übernehmen – insbesondere in den Fällen, in denen ein Partner sein leibliches Kind zusammen mit seinem gleichgeschlechtlichen Partner großzieht – unter den Begriff der Familie.627 Auch der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 154 Rn. 14 ff.; Robbers, in: v. Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 6 Rn. 46 f.; anders hingegen Brosius-Gersdorf (Fn. 608), 43, 81; Pieroth, in: Jarass / ders., GG, 15. Aufl. 2018, Art. 6 Rn. 4; BVerfGE 49, 286 (300). Dafür spricht, dass die Zeugungsfähigkeit kein taugliches Kriterium ist, um einen besonderen Schutz von Mann-Frau-Partnerschaften gegenüber Mann-Mann- bzw. Frau-Frau-Partnerschaften zu begründen, kommt es doch hinsichtlich der Zeugungsfähigkeit zu Vermischungen beider Gruppierungen (insb. gibt es auch zeugungsunwillige oder -fähige heterosexuelle Partnerschaften, die dann gleichgeschlechtlichen Partnerschaften in diesem Punkt gleichstehen). Das dann von den Befürwortern deswegen notwendig vorzunehmende Abstellen auf die potentielle Fortpflanzungsfähigkeit von heterosexuellen Partnerschaften kann einen besonderen Schutz indes ebenfalls nicht stichhaltig begründen, müssten doch dann nichteheliche, aber fortpflanzungswillige Lebensgemeinschaften den gleichen Schutz erfahren. 625  Brosius-Gersdorf (Fn. 608), 19, 43, die darauf hinweist, dass der Parlamentarische Rat eine entsprechende Formulierung, nach der die Ehe und die „aus ihr wachsende Familie“ besonders geschützt sei, gerade aus diesem Grunde wieder entfernt habe; Böhm, Dynamische Grundrechtsdogmatik von Ehe und Familie, in: VVDStRL 73 (2013), 211 (216 ff.). Anders hingegen Uhle (Fn. 614), 4, der ohne Grund und daher nicht überzeugend die Entkoppelung ablehnt; ebenso von Coelln (Fn. 610), der auf die Frage nach der Entkoppelung von Ehe und Familie gar nicht eingeht und dennoch die Finalität der Ehe als Begründung für die notwendige Geschlechtsverschiedenheit anführt. 626  Hufen, Staatsrecht II, 7. Aufl. 2018, § 16 Rn. 12 ff.; Michael / Morlok (Fn. 618), 255; Brosius-Gersdorf (Fn. 608), 100 ff., Windthorst, in: Gröpl / ders. / von Coelln (Hrsg.), Studienkommentar GG, 2013, Art. 6 Rn. 29 ff. 627  BVerfGE 133, 59 (82 ff.); Brosius-Gersdorf (Fn. 608), 105; von Coelln (Fn. 610), 16; Coester-Waltjen (Fn. 610), 11; Pieroth (Fn. 624), 9.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

Konstellationen, in denen ein Partner das leibliche Kind seines gleichgeschlechtlichen Partners adoptiert, fallen unter den Familienbegriff des Art. 6 Abs. 1 GG.628 Wenn also mit „Familie“ nicht notwendigerweise Mann-FrauKind(er)-Beziehungen gemeint sind, dann ist es nicht überzeugend, die Geschlechterverschiedenheit auf den Familienbezug der Ehe zu stützen. Vielmehr ist das ein Grund gegen die Geschlechtsverschiedenheit. Die Ehe muss also eine andere Zweckrichtung erfüllen. Fällt die Ausrichtung auf Familiengründung als basale Zweckausrichtung der Ehe weg und müssen zentrale kulturelle Entscheidungsmomente dem Gesetzgeber überlassen werden, kann der den ehelichen Kernbereich bildende basale Zweck der Ehe nur noch in der tiefgehenden Verbindung von Menschen an sich gesehen werden. Ehe bedeutet demnach die Begründung eines Verantwortungszusammenhanges verschiedener Personen, die die Gesellschaft stützen und den Staat entlasten.629 Es geht also bei Art. 6 Abs. 1 GG um den Schutz eines autarken wechselseitigen Verantwortungssystems, das den betroffenen Menschen und damit der Gesellschaft insgesamt eine stabile Grundlage für ihre Entwicklung und ihr Handeln gewährt.630 Eine andere Schutzbegründung ist nicht herleitbar. Daraus folgt, dass für den Schutz der Ehe, d. h. für die Entstehung eines personalen Verantwortungssystems das basale Moment „lediglich“ die freiwillige wechselseitige Übernahme von Beistands- und Verantwortungspflichten ist, der man sich nicht ohne Weiteres entziehen kann. Ob die Ehe auf Dauer, ja sogar auf Lebenszeit gerichtet ist, als Einehe ausgestaltet oder durch einen staatlichen Hoheitsträger geschlossen wird, ist für die Erfüllung ihres gesamtgesellschaftlichen Zwecks ohne Belang.631 Es handelt sich allein um kulturgeprägte Kriterien, die folglich der Entscheidungsgewalt des Gesetzgebers überantwortet werden. Dazu gehört folgerichtig auch die Frage nach der Geschlechtsverschiedenheit. Denn ob Mann und Frau, Frau und Frau oder Mann und Mann wechselseitig Verantwortung füreinander übernehmen, ist für die funktionale Ausrichtung der Ehe ohne Belang. Entscheidend ist allein, dass zwei (oder 628  BVerfGE

133, 59 (82 ff.); insbesondere auch Brosius-Gersdorf (Fn. 608), 43, 78. 630  Germann, Dynamische Grundrechtsdogmatik von Ehe und Familie?, in: VVDStRL 73 (2013), 257 (264 ff.): „Die Ratio des besonderen Schutzes von Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 GG umfaßt (…) zugleich ein öffentliches Interesse an Ehe und Familie als elementaren Sozialstrukturen, auf deren regenerative, soziale und kulturelle Leistungen Staat und Gesellschaft für ihr physisches Fortbestehen, ihre ethische Substanz und ihre volkswirtschaftliche Wohlfahrt angewiesen sind“ (264 / 265) m. w. N. 631  Siehe dazu auch Germann (Fn. 630), 266 ff., 284 ff., nach dem ebenfalls nur solche grundrechtsdogmatischen Merkmale der Ehe keiner Dynamik unterliegen, die sich zwingend aus einer der Ratio der Ehe entsprechenden Leitbildgarantie der Ehe ergeben; wie hier auch Brosius-Gersdorf (Fn. 608), 50. 629  So



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ggf. mehrere) Menschen verbindlich Verantwortung übernehmen wollen – unabhängig davon, welche geschlechtliche Situation vorherrscht. Stimmen, die Gegenteiliges fordern, berufen sich zumeist schon auf eine rein kulturell begründete Erklärung, die nicht Sache der (Verfassungs-)Gerichte, sondern alleine des Gesetzgebers als Sprachrohr kultureller Erkenntnis ist; nur er entscheidet, ob ein bestimmtes Eheverständnis den gesellschaftlich-kulturellen Leitvorstellungen entspricht und ob und inwieweit gegebenenfalls das Recht im Sinne eines Kulturfaktors auf die kulturelle Entwicklung einwirkt. Aus diesem Grunde verstößt die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Beziehungen durch den Gesetzgeber nicht gegen dessen Ausgestaltungsgrenzen, so dass die gleichgeschlechtliche Ehe auch am Schutz des Ehegrundrechts aus Art. 6 Abs. 1 GG partizipiert. (bb) Der Schutz der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) Da die Homosexualität eine Veranlagung des Menschen ist, liegt es zunächst nahe, bei (kirchenrechtlichen) Verhaltenspflichten in Bezug auf (praktizierte) Homosexualität an eine Beeinträchtigung der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG zu denken, für die in Satz 2 ausdrücklich ein Schutzauftrag formuliert ist. So wird beispielsweise auch die auf Grundlage des damaligen § 175 StGB getragene Bestrafung homosexuellen Handlungen nachgehender Männer als Verstoß gegen die Menschenwürde gesehen.632 Ob die Menschenwürde aber tatsächlich durch das Verbot praktizierter Homosexualität im Sinne einer subjektiv-rechtlichen Schutzpflicht betroffen ist, verlangt zuvörderst die Beantwortung der Frage, ob die Menschenwürde tatsächlich ein Grundrecht ist, also ob Art. 1 Abs. 1 GG eine eigenständige Grundrechtsgewährleistung bereitstellt oder lediglich einen objektiven „Verfassungswert“ verkörpert. Im letzteren Fall wäre die Menschenwürde gem. Art. 1 Abs. 1 GG kein kollidierendes Verfassungs-„Gut“, sondern „nur“ eine im Rahmen der Kollisionsauflösung zu berücksichtigende Zielbestimmung. Da die ganz überwiegende Ansicht der Systematik des Art. 1 Abs. 1 GG keine hinreichende Bedeutung beimisst – worauf sogleich noch zurückzukommen sein wird –, nimmt es nicht Wunder, dass die Grundrechtsqualität des Art. 1 Abs. 1 GG größtenteils über materielle Kriterien begründet oder abgelehnt wird. Problematisch an allen Argumenten ist jedoch, dass sie nicht beweisbare Axiome voraussetzen, die ihre Überzeugungskraft stets auf niedriger Flamme halten. Exemplarisch dafür wird für die Grundrechtsqualität insbesondere das Argument des besonderen Ranges der Menschen632  BR-Drs. 189 / 15, S. 1; dazu ausführlich Burgi, Rehabilitierung der nach § 175 StGB verurteilten homosexuellen Männer – Auftrag, Optionen und verfassungsrechtlicher Rahmen, 2016, S. 85 ff.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

würde als Basissatz unseres Gemeinwesens ins Feld geführt.633 Insbesondere sei „die Spitzenstellung der Menschenwürde (…) ein Indiz dafür, dass ‚etwas so Wichtigesʼ auch einer effektiven Durchsetzung bedarf“.634 Immerhin diene die Menschenwürde keinem „abstrakte[n] Bild von Mitmenschlichkeit“, sondern aufgrund seines „geistesgeschichtlichen Hintergrundes“ der Durchsetzung eines konkreten Anspruchs.635 An diese Argumentation schließt sich jedoch die Frage an, weshalb aus der inhaltlichen Wichtigkeit der Norm ihre Rechtsgutsqualität folgen muss; dahinter steht doch das Axiom, dass alle wichtigen, basalen Grundsätze ein (einklagbares) Rechtsgut sein müssen. Allerdings ist nicht klar, wo dieser Zusammenhang herkommt. Ist das ein ungeschriebener Rechtsgrundsatz? Aus der Verfassung selbst ergibt er sich jedenfalls nicht. Darüber hinaus ist ein solcher Erstrecht-Schluss636 – wenn bereits etwa die Meinungsfreiheit ein Grundrecht ist, müsse die Menschenwürde erst recht ein solches sein – deshalb unpassend, weil er nur zwischen zwei wesens- oder strukturgleichen Momenten gezogen werden kann;637 dies ist bei der Spitzenstellung einer Norm und deren Grundrechtscharakter aber nicht der Fall. Letztlich setzt das Axiom der effektiven Durchsetzung sämtlicher wichtiger Grundsätze voraus, dass eine Durchsetzungseffektivität nur über eine subjektiv-öffentlichrechtliche Durchsetzung gelingt. Wieso reicht es aber nicht aus, dass die Menschenwürde als Basissatz objektiv auf die gesamte Verfassungsauslegung einwirkt? Art. 1 Abs. 1 GG würde deshalb nicht an Bedeutung verlieren, wirkte er doch gänzlich auf die Grundrechts- und Verfassungsanwendung ein.638 Weiterhin ließe sich ja mit dem Argument ebenfalls begründen, dass das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip wegen ihrer herausragenden Bedeutung jeweils subjektive Rechtsgüter seien.639 Zwar unterscheiden sich das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip von der Menschenwürde durch den ausschließlichen Subjektbezug640 Letzterer. Die Menschenwürde bezieht 633  Herdegen, in: Maunz / Dürig (Begr.), GG, 55. Lfg. 2009, Art. 1 Abs. 1 Rn. 29; vgl. Cremer (Fn. 540), 251 ff.; Calliess (Fn. 567), 439. 634  Cremer (Fn. 540), 252. 635  Herdegen (Fn. 633). 636  Cremer (Fn. 540), 252. 637  Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie, 10. Aufl. 2018, Rn. 897 f. 638  Dazu ausführlich Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 1 Rn. 125. 639  Außer Betracht bleiben soll hier bewusst das (dogmatisch nicht überzeugende) sogenannte „Grundrecht auf Demokratie“, bei dem wahlberechtigte Bürger über die Wahlrechtsgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG die „Sinnentleerung“ des Wahlaktes geltend machen können, vgl. dazu BVerfGE 83, 60 (71 ff.); E 89, 155 (184); E 97, 350 (369); E 123, 267 (330 ff.); E 129, 124 ff.; E 132, 195 (240); E 134, 366 (380 ff.); kritisch dazu insbesondere Jestaedt, Warum in die Ferne schweifen, wenn der Maßstab liegt so nah?, in: Der Staat 48 (2009), 497 ff.



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sich auf die Subjektqualität eines jeden Einzelnen, bedeutet gerade den „höchsten Rechtswert“ für den Menschen, sodass es „geradezu systemwidrig“641 wäre, „wenn gerade das für den Einzelnen wichtigste und höchste Verfassungsprinzip keine subjektive Seite hätte“.642 Aber auch diese Sichtweise setzt ein „System“ voraus, in dem sich die subjektiv-rechtliche Gewährleistung eines Rechts proportional zu seiner Wichtigkeit für den Einzelnen verhält. Eine solche Verbindung ergibt sich nicht zwangsläufig und muss gut begründet sein. So kann nicht geleugnet werden, dass das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot (außerhalb des Strafrechts) oder das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot für den Einzelnen von besonderer Wichtigkeit ist und somit ebenfalls subjektiv-rechtlichen Charakter aufweisen müsste. Da dies jedoch deutlich vom Verfassungsgeber nicht vorgesehen ist (vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG), ist eine proportionale Verbindung auch nicht verfassungsrechtlich verankert. Darüber hinaus ist es gefährlich, „pauschal“ auf den geistesphilosophischen Hintergrund zu verweisen. Denn zunächst stellt sich auch hier die Frage, inwieweit der geistesphilosophische Zusammenhang eine Rechtsgutsqualität begründen kann. Eine zwangsläufige Verbindung existiert gerade nicht. Darüber hinaus haben insbesondere die rechtswissenschaftlichen Debatten gezeigt, dass es „den“ geistesphilosophischen Hintergrund wohl nicht gibt.643 Die Deutungen der Menschenwürde sind zahlreich und können eine einheitliche Ausrichtung des Art. 1 Abs. 1 GG nicht begründen; vielmehr scheint es „gerade die Vielfalt der möglichen Deutungen [zu] sein, die in einer letzten, ironischen Volte das ganze Ausmaß der Verunsicherung in unserem Umgang mit der Menschenwürde“ demonstriert.644 Die gleiche Problemstellung ergibt sich bei dem sehr häufig hervorgebrachten Argument einer umfassenden Schutzgewährleistung durch Art. 1 Abs. 1 GG. Die Menschenwürde als Grundrecht schließe Schutzlücken, zum Beispiel im Falle moderner Technologie645 oder verfassungsändernder Gesetze im Grundrechtsbereich646. Darüber hinaus zeige der Schutzauftrag des 640  Natürlich gehen auch vom Rechtsstaats- und Demokratieprinzip bedeutende Folgen für das Individuum aus. Im Unterschied zur Menschenwürde setzen sie jedoch nicht an ihm an, sondern sind grundsätzlich primär der (Aus-)Gestaltung staatlicher Strukturen gewidmet. 641  Höfling, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 1 Rn. 6. 642  Hufen (Fn. 626), § 10 Rn. 12; vgl. Dreier (Fn. 638), 123. 643  Dazu insbesondere Goos, Innere Freiheit – eine Rekonstruktion des grundgesetzlichen Würdebegriffes, 2009, S. 13 ff. 644  Volkmann, Nachricht vom Ende der Gewißheit – zur Wirkungsgeschichte des Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz, in: FAZ 24.11.2003, S. 8; vgl. auch Goos (Fn. 643), 24 f. 645  Herdegen (Fn. 633). 646  Vgl. ausführlich dazu Cremer (Fn. 540), 253 ff.

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Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG die Grundrechtsqualität der Menschenwürde.647 Aber auch diese Argumentation beruht auf dem Axiom, dass das Grundgesetz einen lückenlosen und – insbesondere – den höchsten Grad an Effektivität schuldenden Schutz verfolge. Dies könnte man zwar beispielsweise mithilfe der Prinzipientheorie begründen; nach der hier vertretenen Auffassung ist diese jedoch nicht in der Lage, normative und auf eine zukünftige Rechtsanwendung bezogene Vorgaben zu setzen.648 Insoweit stellt sich die Frage nach einer hinreichenden Grundlage dieser Prämisse. Darüber hinaus setzt die These der effektiven Schutzgewährleistung voraus, dass nur die Einstufung der Menschenwürde als Grundrecht einen hinreichenden Schutz gewährleisten könne. Dagegen kann eingewandt werden, dass die Menschenwürde durch ihre objektivrechtliche Wirkung ebenfalls Einfluss auf Schutzbereich oder Einschränkbarkeit betroffener Grundrechte ausübt und so Schutzlücken schließen kann, nicht zuletzt, da es bislang keinen einzigen Fall gibt, in dem die Menschenwürde als berührt angesehen wurde und gleichzeitig Schutzbereiche anderer Grundrechte nicht eröffnet waren.649 Das gilt auch für verfassungsändernde Gesetze, da eine entsprechende Missachtung der Menschenwürde in jedem Fall objektiv-rechtlich durch die Gerichte überprüft werden müsste.650 Das Argument der effektiven Schutzgewährleistung lässt sich auch umkehren, wenn man – wie viele Gegner des Menschenwürdegrundrechts es tun – gerade von einer Relevanzeinbuße der Menschenwürde bei Bejahung ihres Grundrechtscharakters ausgeht.651 Dadurch dass die Menschenwürde nicht einschränkbar sei („unantastbar“), führe eine Behandlung derselben als 647  Windthorst, in: Gröpl / ders. / von Coelln, Studienkommentar GG, 2013, Art. 1 Rn. 8; Höfling (Fn. 641), 6. 648  Siehe dazu bereits oben S. 154 ff. 649  Dreier (Fn. 638), 126. 650  Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, 1997, S.  116  ff.; Cremer (Fn. 540), 253, entgegnet dem, diese Überprüfung bringe dann nichts mehr, sollte Art. 2 Abs. 1 GG bereits abgeschafft worden oder es zu anderen „irreparablen Verletzungen in Folge der Verfassungsänderung“ gekommen sein. Dagegen kann jedoch eingewandt werden, dass, wäre die Abschaffung des Art. 2 Abs. 1 GG oder andere Verfassungsänderungen wegen Missachtung der Menschenwürde verfassungswidrig, sich der / die Beschwerdeführer / in im Rahmen der Verfassungsbeschwerde dennoch auf Art. 2 Abs. 1 GG (oder ein entsprechendes Grundrecht) stützen könnte, geht es doch gerade um den Entzug der betroffenen verfassungsrechtlich geschützten Position. So würde doch keiner daran zweifeln, dass sich ein / e Beschwerdeführer / in auf Art. 1 Abs. 1 GG – bejahte man seinen Grundrechtscharakter – berufen könnte, sollte die Menschenwürde durch Verfassungsänderung abgeschafft worden sein. Das Gleiche gilt für Art. 2 Abs. 1 GG oder andere Positionen. 651  Enders (Fn. 650), 105 f.; Herdegen, Das Absolute ist relativ, in: Müller (Hrsg.), 100 Beiträge aus der F.A.Z.-Rubrik „Staat und Recht“, 2011, 98 ff.; vgl. dazu auch Goos (Fn. 643), 208 ff.



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Grundrecht dazu, weitestgehend eine Eröffnung des Schutzbereichs abzulehnen.652 Allerdings erscheinen auch hier pragmatische Relevanzüberlegungen analog zur Effektivität des Schutzniveaus keine feste Argumentationsgrundlage zu bereiten. Auf dem Boden der gleichen Überlegungen ist auch das häufig vorgebrachte Argument der Gegner eines Grundrechts „Menschenwürde“, nach dem Art. 1 Abs. 1 GG wegen seiner Singularität keinesfalls ein Grundrecht sein könne, nicht überzeugend.653 Insbesondere die fehlende Einschränkbarkeit und die sich dadurch ergebende Abwägungs- und Interessensausgleichssperre sei für Grundrechte mehr als nur atypisch.654 Dieses Argument geht von der – schwerlich beweisbaren – Prämisse aus, Grundrechte müssten stets einschränkbar sein. Zwar stimmt es, dass alle „anderen“ Grundrechte eingeschränkt werden können; dies ergibt sich jedoch nicht bei allen Grundrechten unmittelbar aus dem grundgesetzlichen Text, sondern – namentlich für die sogenannten vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte – aus einer herrschenden Dogmatik.655 Darüber hinaus stellt sich die Frage, weshalb alle Grundrechte einschränkbar sein müssen; insbesondere über die starke Stellung der Menschenwürde ließe sich ihre Uneinschränkbarkeit gut begründen. In Ermangelung eines klaren Maßstabes wird der Streit um die Grundrechtsqualität der Menschenwürde auf der Basis von unbeweisbaren Prämissen, Vorverständnissen und rechtspolitisch anmutenden Zwecküberlegungen geführt. Die Frage, die sich aber eigentlich stellt, ist die nach den Voraussetzungen einer Grundrechtsexistenz. Diese lagen bislang immer in der ausdrücklichen Erklärung durch das Grundgesetz. Bedeutungsgrad für den Einzelnen, Schutzeffektivität oder Einschränkbarkeit sind hierbei (kaum hilfreiche) Argumentationshilfsmittel. Zwar sind in den Art. 1 bis 19 GG auch eindeutige Nichtgrundrechte verankert; allerdings erkennt man diese ganz klar an der fehlenden Schutzbereichsmarkierung. Art. 1 Abs. 1 GG bildet hier einen Grenzfall: Ob die Menschenwürde einen Schutzbereich aufstellt, ist eben nicht auf den ersten Blick zu konstatieren. Es ist daher zu begrüßen, sich bei der Interpretation der Menschenwürde zunehmend an allgemeinen verfassungsdogmatischen Grundsätzen zurückzuorientieren. Exemplarisch für ein solches Vorgehen sei auf Christoph Goos verwiesen, der bei der Frage nach dem Inhalt der Menschenwürde primär auf 652  Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die Frage nach der Abwägbarkeit der Menschenwürde intensiv diskutiert wird. 653  Dreier (Fn. 638), 124 f.; vgl. Cremer (Fn. 540), 247 ff. 654  Enders (Fn. 650), 101 ff.; Neumann, Menschenwürde und psychische Krankheit, in: KritV 1993, 276 (285 ff.); vgl. Cremer (Fn. 540), 249 f. 655  Siehe nur Dreier, Vorb. (Fn. 536), 139 m. w. N.

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die Vorstellungen des Verfassungsgebers abstellt.656 Allerdings zeigen die Aufzeichnungen des Parlamentarischen Rates, dass die Frage der Grundrechtsqualität der Menschenwürde nicht direkt Gegenstand der Beratungen war.657 Nichtsdestotrotz scheinen die Diskussionen um den Inhalt der Menschenwürde eher gegen eine Grundrechtsqualität der Menschenwürde zu sprechen. So werden die Grundrechte an sich „als in der Würde des Menschen begründet“658 und Art. 1 GG als allgemeiner Ausdruck dafür gesehen, „daß die Grundrechte auf vorstaatlichen, von Natur gegebenen Rechten beruhen“. Auch der Abgeordnete im Parlamentarischen Rat Hermann von Mangoldt erklärte, Aufgabe des Art. 1 GG „sei, die Freiheits- und Menschenwürde in das rechte Verhältnis zu setzen“. Eindeutig sind die Befunde allerdings nicht, zumal sich in den Berichten auch der Hinweis findet, „daß das Grundrecht der Achtung der Menschenwürde überhaupt nicht suspendierbar sei“. Die Entstehungsgeschichte ist folglich nicht ergiebig. Entgegen einer überwiegenden Meinung ist die Systematik des Art. 1 Abs. 1 GG hinsichtlich des Grundrechtscharakters der Vorschrift aber hinreichend aussagekräftig: Sie legt die rein objektivrechtliche Wirkung der Menschenwürde zumindest nahe. Zwar steht Art. 1 Abs. 1 GG bereits im Abschnitt „Grundrechte“, was zunächst für die Grundrechtsqualität der Norm spricht;659 allerdings verbürgen nicht alle Vorschriften desselben Abschnitts grundrechtliche Gewährleistungen (man denke beispielsweise an Art. 19 Abs. 1 bis 3 GG), sondern weisen lediglich grundrechtsbezogene und grundrechtsrelevante Bestimmungen auf. Ein solcher, die Stellung der Menschenwürde im Grundrechtsabschnitt legitimierender Grundrechtsbezug ist der Menschenwürde bereits deshalb inhärent, weil die Menschenwürde – wie es bereits der Parlamentarische Rat hervorhob – rechtsphilosophisch gesehen die Grundlage der Menschenrechtsgewährleistung bereitet.660 Auch zeigt die Formulierung des Art. 1 Abs. 2 GG die primär symbolische Stellung der 656  Goos (Fn. 643), 1 ff.: „Ziel dieser Arbeit ist es, den Nachweis hierfür (d. h. dass den Vätern und Müttern des Grundgesetzes die Menschenwürde als ein schützendes Gut galt; VH) zu erbringen, den Würde-Begriff der Väter und Mütter des Grundgesetzes unter Einbeziehung des historischen Kontextes zu rekonstruieren und zu zeigen, wie die auf die Würde des Menschen bezogenen Rechtssätze des Art. 1 Abs. 1 GG demnach zu verstehen sind“ (1 / 2). 657  Goos (Fn. 643), 197; Cremer (Fn. 540), 251. 658  Auch im Folgenden Bundestag / Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, 1981, 189 (227); vgl. Goos (Fn. 643), 200. 659  Cremer (Fn. 540), 246. 660  Isensee, Würde des Menschen, in: Mertens / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. 4, 2011, § 87 Rn. 111 ff.; vgl. insbesondere von Doemming / Füsslein / Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, in: Häberle (Hrsg.), JöR n. F. 1, 2. Aufl. 2010 (1951), S. 48 ff.; Dreier, Vorb. (Fn.  536), 6 f.; Enders (Fn. 650), 410 ff.



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Menschenwürde, wenn ausdrücklich erklärt wird, „das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte[n] als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft“. Die Menschenwürde ist also philosophische Grundlage, oberster Grundwert einer jeden freiheitlichen Gemeinschaft. Zudem spricht Art. 1 Abs. 3 GG von den „nachfolgenden Grundrechten“, was die Vermutung zulässt, vorausgehende Bestimmungen nicht als Grundrechte qualifizieren zu können.661 Der dagegen häufig angeführte und vorgeworfene „spitzfindige[n] Formalismus“662 ist zum einen nicht erkennbar, zum anderen nicht allein wegen der Bedeutung der Menschenwürde in philosophischer Hinsicht – wie gezeigt – zu entkräften. Der mit Art. 1 Abs. 3 GG argumentierenden Ansicht kann zwar überdies entgegnet werden, es gäbe auch zumindest grundrechtsähnliche Bestimmungen außerhalb des Grundrechtsabschnitts – genannt seien insbesondere Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG, Art. 103 GG und Art. 104 GG;663 problematisch und daher nicht überzeugend ist an diesem Argument jedoch, dass die grundrechtsgleichen Rechte sämtlich in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG aufgezählt sind, wobei Art. 1 Abs. 1 GG dort keine Erwähnung findet. Folglich kann die Menschenwürde nach dem Konzept des Grundgesetzes nur dann subjektiv-rechtliche Wirkung entfalten, wenn sie selbst als Grundrecht zu qualifizieren ist; dagegen spricht aber gerade der Wortlaut des Art. 1 Abs. 3 GG – kurz: Der Hinweis auf subjektive Rechte außerhalb der Grundrechte ist für die Menschenwürde nicht aussagekräftig. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass nicht von einem Menschenwürdegrundrecht auszugehen ist. Dies liegt insbesondere daran, dass der Umgang mit der Menschenwürde als Grundrecht angesichts der Offenheit, philosophischen Aufladung und Diffusität des Menschenwürdebegriffs kaum händelbar ist.664 Auch die besondere philosophische Ausrichtung der MenCremer (Fn. 540), 246. in: Bettermann / Neumann / ders. (Hrsg.), Die Grundrechte  – Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte, Bd. 2, 2. Aufl. 1968, 1 (13); vgl. Höfling (Fn. 641), 6. 663  Cremer (Fn. 540), 246. 664  Sichtbar ist dies auch anhand der nicht zu überblickenden Menge an Diskus­ sionsbeiträgen in der rechtswissenschaftlichen Literatur, siehe dazu insbesondere aus neuerer Zeit Rothhaar, Die Menschenwürde als Prinzip des Rechts, 2015; Rixen, Deformierte Menschenwürde – neuere philosophische Beobachtungen zur utilitaristischen Versuchung des Rechts, in: JZ 2016, 585 ff.; Basten, Die Menschenwürde des Grundgesetzes auf dem Prüfstand – rechtlich-ethische Entscheidungen für Fallkon­ stellationen der polizeilichen Praxis, 2016; Baldus, Kämpfe um die Menschenwürde, 2016; von der Pfordten, Menschenwürde, 2016; Demko (Hrsg.), Würde und Auto­ nomie, 2015; Gröschner / Lembcke (Hrsg.), Das Dogma der Unantastbarkeit, 2009; Teifke, Das Prinzip Menschenwürde, 2011, S. 33 ff.; vgl. dazu insgesamt auch Goos (Fn.  643), 13 ff. 661  Vgl.

662  Nipperdey,

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schenwürde in Kombination mit ihrer Stellung als erste Rechtsnorm des Grundgesetzes entfaltet eine besondere symbolische Wirkung, was für die Zeit der Entstehung des Grundgesetzes angesichts des gerade zurückliegenden nationalsozialistischen Unrechtsregimes nicht überraschend ist. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass diese auch eine subjektiv-rechtliche Komponente umfasst. In Kombination des unbestreitbaren, symbolischen Charakters des Art. 1 Abs. 1 GG mit seiner systematischen Stellung und vor dem Hintergrund, dass die Wichtigkeit sowie die Schutzeffektivität einer Norm keine hinreichenden verfassungsdogmatischen Argumente sind, gibt es kein überzeugendes Argument, das für die Grundrechtsqualität der Menschenwürde spricht, insbesondere angesichts der Tatsache, dass Art. 1 Abs. 1 GG als objektivrechtliche Bestimmung nicht an Relevanz einbüßt. Es ergibt sich mithin nur ein objektiv-rechtlicher Bezug der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG, der nicht nur den Schutzbereich, sondern insbesondere die Einschränkbarkeit aller Grundrechte zu beeinflussen vermag, wie es der nun folgende Abschnitt exemplarisch aufzeigen wird. (cc) D  as allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) Ein Beleg dafür, dass die Menschenwürde gem. Art. 1 Abs. 1 GG objektivrechtlichen Einfluss auf die Auslegung und Anwendung der Grundrechte hat, ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das in der Verbindung aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG gesehen wird. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird überwiegend als „neues“, d. h. erst im Zuge richterlicher Rechtsfortbildung „geschaffenes“ Grundrecht deklariert. Dies wundert zunächst, lautet Art. 2 Abs. 1 GG doch: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“. Es stellt sich daher einem Leser der Norm die Frage, wieso dann das allgemeine Persönlichkeitsrecht „neu“ sein soll, könnte es doch ohne größere Schwierigkeiten auch unter den Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 GG subsumiert werden. Der Grund dafür liegt überwiegend in der Richtung, die das Bundesverfassungsgericht bereits sehr früh bei der Auslegung des Art. 2 Abs. 1 GG eingeschlagen hat.665 Denn das Gericht verstand und versteht die „Entfaltung der Persönlichkeit“ in einem maximal umfassenden Sinne, nämlich als „jede Form menschlicher Betätigung ohne Rücksicht darauf, welches Gewicht ihr für die Persönlichkeitsentfaltung zukommt“.666 Art. 2 Abs. 1 GG ist damit 665  Kube, Persönlichkeitsrecht, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 148 Rn. 24; vgl. BVerfGE 6, 32 (36 ff.); E 74, 129 (151); E 75, 108 (154 f.). 666  BVerfGE 54, 143 (146); E 80, 137 (152 f.).



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eine „allgemeine Handlungsfreiheit“, deren Schutzbereich auch die profansten Tätigkeiten wie etwa das Reiten im Walde667, das Füttern von Tauben668 oder das Fällen eines Baums669 umfasst.670 Daraus ergibt sich bis dato eine bestimmte grundlegende Ausrichtung des Art. 2 Abs. 1 GG: Die Entfaltung der Persönlichkeit ist extrinsisch, d. h. auf äußere Aktivität, gerichtet671 und hierbei umfassend im Sinne einer allgemeinen Handlungsfreiheit zu verstehen. Mit anderen Worten: „Art. 2 Abs. 1 GG wird so gelesen, als ob dort stünde: Jeder kann tun und lassen, was er will“.672 Diese grundlegende Ausrichtung führte dann zu Schwierigkeiten, als genau die Fälle in Erscheinung traten, die nunmehr über das allgemeine Persönlichkeitsrecht geregelt werden. Diese Fälle haben – neben dem Umstand, dass sie nicht durch „speziellere“ Grundrechte bereits abgedeckt sind – zwei Charakteristika gemein, die sich zugleich von der Ausrichtung der „allgemeinen Handlungsfreiheit“ unterscheiden: Erstens geht es nunmehr um den Schutz der Integrität, d. h. um intrinsische Verhaltensweisen, bei denen nicht wie beim Aktivitätsschutz des Art. 2 Abs. 1 GG die Frage im Fokus steht, welche Handlungen der Betroffene vollzieht, sondern bei denen die Wahrnehmung und Verarbeitung entsprechender Handlungen durch Dritte, ggf. auch die Öffentlichkeit, entscheidend sind. Es geht beim allgemeinen Persönlichkeitsschutz also um „Grundrechtsschutz vor Behandlung durch andere“.673 Nicht die vorgenommene Handlung selbst, sondern der Umgang mit ihr wird geschützt. Der zweite Unterschied zur allgemeinen Handlungsfreiheit ergibt sich in der Bedeutung des Schutzes für den Betroffenen respektive umgekehrt in der Intensität des Eingriffs, was insbesondere durch die Hinzuzie667  BVerfGE

80, 137 ff. 54, 143 ff. 669  Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 2 Rn. 14, 29, mit weiteren Beispielen. 670  Di Fabio, in: Maunz / Dürig (Begr.), GG, 39. Lfg. 2001, Art. 2 Abs. 1 Rn. 12 ff.; Lang, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Beck-OK GG, Stand: März 2015, Art. 2 Rn. 2 ff.; Cornils, Allgemeine Handlungsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 168 Rn. 1 ff., 37 ff.; Degenhart, Die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG, in: JuS 1990, 161 ff. 671  Michael / Morlok (Fn. 618), 419; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 2 Abs. 1 Rn. 22, der zwischen Aktivitätsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG) und Integritätsschutz (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) unterscheidet; ähnlich Kube (Fn.  665), 28 ff. 672  Jarass, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Grundgesetz, in: NJW 1989, 857 (857), mit Verweis auf die Entstehungsgeschichte von Doemming / Füsslein / Matz (Fn.  660), 54 ff. 673  Grimm, Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, in: Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum: Schutz der Persönlichkeit, 1997, 3 (7); vgl. Kube (Fn. 665), 27. 668  BVerfGE

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hung und Mitzitierung des Art. 1 Abs. 1 GG hervorgehoben wird. Die Fälle des allgemeinen Persönlichkeitsrechts intendieren, „die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen zu gewährleisten“, also die Selbstfindung und die persönliche Entwicklung des mit Würde versehenen Menschen zu garantieren.674 Der Umgang nicht mit jeder Handlung, sondern nur mit solchen Handlungen soll geschützt werden, die für die Selbstverwirklichung von elementarer Bedeutung sind und in denen sich die Menschenwürde gerade herauskristallisiert: „Denn erst der Schutz der Privatsphäre (…) gestatte[t] das ungehemmte, identitätsbildende Handeln des Menschen“.675 Daher dient Art. 1 Abs. 1 GG nicht nur dem Verdeutlichen besonders schutzwürdiger Tatbestände, sondern zugleich der Begrenzung des Schutzbereichs und der Rechtfertigung entsprechender Eingriffe: Da es im weiteren Sinne auch um den Schutz der Menschenwürde geht, ist der Tatbestand des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht nur deutlich enger als der der allgemeinen Handlungsfreiheit, sondern auch „lassen sich Eingriffe nicht so leicht rechtfertigen, wie solche Eingriffe in die allgemeine Handlungs­ freiheit“.676 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG dient damit als Lückenfüller und zugleich als Ausgleich der extensiven Auslegung des Art. 2 Abs. 1 GG, wenn es gerade solche Tatbestände schützt, die von anderen, benannten Freiheitsrechten nicht geschützt werden, aber auch eine solche Bedeutung und Intensitätssensibilität aufweisen, dass für sie vom allgemeinen Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG eine sensibilitätsadäquate Behandlung scheinbar nicht erwartet werden kann. Nach überwiegender Mehrheit fällt in den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nunmehr auch der Intim- und Sexualbereich des Menschen, in dem er ungestört „sein Verhältnis zur Sexualität einrichten und grundsätzlich selbst darüber befinden [kann], ob, in welchen Grenzen und mit welchen Zielen er Einwirkungen Dritter auf diese Einstellung hinnehmen will“.677 Immerhin ist der Sexualbereich „zentraler und zugleich intimster Ort personaler Selbstverwirklichung“.678 Es wundert daher nicht, dass Sanktionen wegen Homosexualität häufig als Eingriffe in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts deklariert werden.679

54, 148 (153); Murswiek / Rixen (Fn. 598), 60. (Fn. 665), 29; Dreier (Fn. 671), 25. 676  Murswiek / Rixen (Fn. 598), 62. 677  BVerfGE 47, 46 (73); E 120, 224 (242). 678  BVerfGE 96, 56 (61); Burgi (Fn. 632), 89. 679  Burgi (Fn. 632), 86 ff.; vgl. Risse, Der verfassungsrechtliche Schutz der Homosexualität, 1998, S. 59 ff.; AG Frankfurt, NJW 1993, 940 (941); Rohlf, Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre, 1979, S. 99 ff. 674  BVerfGE 675  Kube



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Dies ist allerdings nicht überzeugend. Unabhängig davon, ob die allgemeine Handlungsfreiheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht tatsächlich zwei verschiedene Grundrechte oder nur zwei Ausprägungen eines einheitlichen Grundrechts sind,680 ist für den hier vorliegenden Fall des Verbots der Auslebung der Homosexualität nur die allgemeine Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG einschlägig. Dies zeigt bereits der ursprüngliche Grund für die Etablierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, nämlich Lücken des Schutzes intrinsischer Verhaltensweisen und der Integrität zu schließen. Eine solche Lücke tut sich hier nicht auf, da das Verbot der Auslebung der Homosexualität nicht an die Tatsache, dass der Betroffene homosexuell ist, sondern, dass der Betroffene homosexuelle Handlungen ausführt und insoweit seiner Neigung nachkommt, anknüpft.681 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht dient nicht dazu, alle über den Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit hinausgehenden Eingriffe abzufangen, sondern nur, die dem Integritätsschutz anhaftenden persönlichkeitsrelevanten Fragestellungen aufzunehmen. Verfehlt wäre es auch, die Eröffnung des Schutzbereichs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts damit zu begründen, dass die Auslebung der eigenen Sexualität „wegen ihres (…) engen Bezuges zur Menschenwürde (…) zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht“ gehöre, und damit von der Intensität der Betroffenheit und des Schutzbedürfnisses abhängig zu machen.682 Zwar wird nicht bezweifelt, dass Sanktionen wegen ausgelebter Homosexualität dazu führen können, die eigene Sexualität entweder zu verleugnen oder zu unterdrücken und dass hierin eine Berührung der Men680  Für Letzteres insbesondere Kube (Fn. 665), 104 ff., der überzeugend auf die prinzipiell „gleichrangige Bedeutung der Integrität, der tätigen Entfaltung und des herausgebildeten Personenbildes für die Persönlichkeit eines Menschen“ (108) hinweist, nicht zuletzt, da zwischen allgemeiner Handlungsfreiheit und allgemeinem Persönlichkeitsrecht strukturelle Ähnlichkeiten festzustellen sind (insb. 109 ff.). Soweit er jedoch auf die philosophische Grundierung des Begriffs der „Person“ und „Persönlichkeit“ für seine Begründung abstellt (104 ff.), kann dem bei der hier vertretenen Auffassung von dem Verhältnis von Verfassungstheorie und Verfassungsdogmatik nicht zugestimmt werden, weil nicht klar ist, inwieweit sich die historische Herausbildung des Persönlichkeitsbegriffs tatsächlich in dem Begriff des Art. 2 Abs. 1 GG widerspiegelt. 681  Zwar betont die katholische Kirche ihren Auftrag, auch homosexuelle Menschen nicht zu diskriminieren und ihnen „mit Achtung, Mitgefühl und Takt zu begegnen“; allerdings ist die Auslebung dieser sexuellen Orientierung ein intrinsece malum und daher ein schwerer Verstoß gegen die Glaubenslehre (vgl. Katechismus der katholischen Kirche, 1993, Nr. 2357 ff.; dazu insbesondere auch Kreß, Die Sonderstellung der Kirchen im Arbeitsrecht – sozialethisch vertretbar?, 2014, S. 86 ff.; ebenso Hammer [Fn. 587], 220 ff.). Diesen Umstand verkennt Burgi (Fn. 632), 86 (Fn. 275), der auch bei der auf Grundlage des § 175 StGB a. F. ergangenen Bestrafung homosexuell agierender Männer auf die „Betroffenheit des Zustandes, homosexuell zu sein“ (Herv. VH) abstellt. 682  So aber Risse (Fn. 679), 60; Kunig (Fn. 669), 30.

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schenwürde angenommen werden könnte;683 es wird aber bezweifelt, dass dies einen überzeugenden Maßstab für die Schutzbereichszuordnung darstellt.684 Unabhängig davon, dass die Frage der Intensität generell nach herrschender Dogmatik nicht auf Schutzbereichsebene gestellt wird, gibt das Grundgesetz an keiner Stelle zu erkennen, dass nur vor bestimmten, intensiven Eingriffen geschützt werden soll. Dies kann folgerichtig auch nicht für innominate Grundrechte gelten, wollen sie demselben Maßstab unterliegen wie benannte Freiheitsrechte. Die Frage nach der Intensität und damit dem „Wie“ des Eingriffs ist daher vielmehr eine klassische Frage der Einschränkbarkeit. Etwas Anderes kann auch nicht deshalb gelten, weil der Schutz ausgelebter Homosexualität über Art. 2 Abs. 1 GG „eine nivellierende Einebnung (ergänze: des Schutzbedürfnisses; VH)“, also „eine Behandlung offenbar ganz unterschiedlicher Interessen anhand gleicher Maßstäbe (…) (etwa: einerseits eine Straße zu überqueren; andererseits das Interesse, ein selbstkritisches Tagebuch mit Einschätzungen der eigenen Persönlichkeit vor dem Zugriff des Staats bewahrt wissen zu wollen)“ begründen würde.685 Das liegt eben nicht nur daran, dass solche Überlegungen verfassungsanwendungspolitischer Natur keine dogmatischen Kategorien bilden, sondern insbesondere auch daran, dass die These und die darin enthaltene Kritik an der allgemeinen Handlungsfreiheit nicht zutreffen. Der Schutz, der sich durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht entfaltet, kann auch über die allgemeine Handlungsfreiheit gewährleistet werden.686 Denn bei beiden Grundrechten kommt es auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung, also auf den Ausgleich gegenläufiger Interessen an. Zwar wurde die Verhältnismäßigkeitsprüfung für das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Zuge der Sphärentheorie, nach der Eingriffe in die Intimsphäre des Betroffenen im Gegensatz zu Eingriffen in die Privat- oder gar Sozialsphäre nicht gerechtfertigt werden können, bereits stärker konkretisiert.687 Es ist aber nicht ersichtlich, dass ein geeigneter, verhältnismäßiger Ausgleich zwischen den Rechtsgütern im Rahmen der allgemeinen Handlungsfreiheit nicht ebenfalls gewährleistet werden kann, da es bei jeder Verhältnismäßigkeitsprüfung für die Intensität des Schutzes auf die Bedeutung des vom Eingriff betroffenen Guts für den Grundrechtsträger ankommt.688 Eingriffe in die Intimsphäre wären auch nicht gerechtfertigt, 683  Dazu

aber ausführlich unten S. 344 ff. auch insgesamt Dreier (Fn. 671), 22. 685  Kunig (Fn. 669), 30. 686  Kube (Fn. 665), 111, 113. 687  Zur Sphärentheorie BVerfGE 101, 361 (382); E 120, 180 (199); Hufen (Fn. 626), § 11 Rn. 4 ff.; Geis, Der Kernbereich des Persönlichkeitsrechts – ein Plädoyer für die „Sphärentheorie“, in: JZ 1991, 112 ff.; Windthorst, in: Gröpl / ders. / von Coelln, Studienkommentar GG, 2013, Art. 2 Rn. 76 ff.; Di Fabio (Fn. 670), 148 ff.; Lang (Fn. 670), 5 ff.; Murswiek / Rixen (Fn. 598), 68 ff. 684  So



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wenn sie dogmatisch über die allgemeine Handlungsfreiheit geprüft würden. Das ergibt sich nicht zuletzt aus der objektivrechtlichen Wirkung der Menschenwürde gem. Art. 1 Abs. 1 GG, die auch auf die Abwägung im Rahmen der allgemeinen Handlungsfreiheit einwirken kann und muss. Der behauptete Unterschied zwischen allgemeiner Handlungsfreiheit und allgemeinem Persönlichkeitsrecht liegt damit dem Grunde nach nur darin, dass die Fragen der Intensität bei Letzterem bereits auf der Ebene des Schutzbereichs eine Rolle spielen und die Abwägungsfragen vorab determinieren. Das bedeutet aber, dass die für das allgemeine Persönlichkeitsrecht postulierte Schutzverstärkung auch im Wege der Anwendung der allgemeinen Handlungsfreiheit erreicht werden kann. Eine Nivellierung der Schutzintensität aufgrund des unterschiedlichen Schutzbereichs ist nicht erkennbar. Es ist daher konsequent, die Zuordnung des Schutzbereichs weiterhin nach formellen Abgrenzungskriterien vorzunehmen und inhaltlich-qualitative Anknüpfungspunkte wie die Intensität des Eingriffs erst auf der Rechtfertigungsebene zu berücksichtigen. Das bedeutet aber, dass die Auslebung der Homosexualität dem Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG unterfällt. Dabei wird nicht die besondere Nähe zur Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und die sich daraus ergebende besondere Intensität und Schutzbedürftigkeit des betroffenen Interesses geleugnet. Diese Gesichtspunkte werden vielmehr erst im Rahmen der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt. (dd) Das Verbot der Ungleichbehandlung (Art. 3 GG) Loyalitätspflichten haben insgesamt nicht nur eine freiheits-, sondern auch eine gleichheitsrechtliche Dimension. Immerhin werden Mitarbeiter kirchlicher Einrichtungen anders behandelt als Mitarbeiter weltlicher Arbeitgeber. Darüber hinaus werden Mitarbeiter auch innerhalb kirchlicher Einrichtungen teilweise unterschiedlich behandelt. Beide Dimensionen zeigen sich im Konkreten insbesondere auch an den Fällen der Kündigung wegen praktizierter Homosexualität. Denn einmal sind weltlichen Arbeitgebern entsprechende Sanktionen insbesondere nach §§ 1 ff. AGG verwehrt, weil sie – überwiegend689 – eine unzulässige Benachteiligung wegen der s­exuellen Identität (§ 1 Var. 8 AGG) darstellen.690 Durch die aufgrund des kirchlichen Selbstbe688  Die Sphärentheorie in ihrer Ausgestaltung gleicht ohnehin typischen Operationalisierungen und Maßstäben einer Abwägung, man denke beispielsweise an die so genannte „Drei-Stufen-Lehre“ im Rahmen der Berufsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 GG (dazu insbesondere BVerfGE 7, 377 [405 ff.]; vgl. auch Mann [Fn. 596], 125 ff.). 689  Es gibt auch – wenn auch nur wenige – Fälle, in denen eine Kündigung gerechtfertigt sein kann, wenn die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AGG vorliegen. 690  Dazu ausführlich Pallasch, Homosexualität als Kündigungsgrund, in: NZA 2013, 1176 (1177 ff.).

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stimmungsrechts zumindest grundsätzlich zulässigen Modifikationen des Arbeitsrechts wird dagegen eine solche Vorgehensweise kirchlicher Dienstgeber auf eine hinreichend breite Rechtsgrundlage gestellt.691 Zum anderen werden homosexuelle Mitarbeiter in kirchlichen Einrichtungen anders behandelt als heterosexuelle Mitarbeiter in derselben Einrichtung, weil Letzteren die Auslebung ihrer (Hetero-)Sexualität gerade nicht verwehrt ist. In beiden Fällen könnte man eine unzulässige Diskriminierung sehen. Entscheidend für eine entsprechende gleichheitsrechtliche Bewertung ist dabei zunächst die Frage, inwiefern Gleichheitsrechte – hier insbesondere Art. 3 GG – eine Schutzpflicht zu entfalten imstande sind. Will man hierbei den Meinungsstand kenntlich machen, so ist zu differenzieren: Während nach überwiegender Meinung Art. 3 Abs. 1 GG keine Schutzpflichten konstituiere, kämen zumindest den speziellen Differenzierungsverboten nach Art. 3 Abs. 2, 3 GG Schutzfunktionen zu.692 Diese Ansicht kann zumindest hinsichtlich des ersten Teils der Aussage nicht überzeugen; vielmehr entfalten alle Absätze des Art. 3 GG Schutzpflichten. Als Argument gegen eine Schutzfunktion des Art. 3 Abs. 1 GG wird die Kollision mit der Privatautonomie angeführt. Insoweit umfasse die Privatautonomie gerade das Recht auf Ungleichbehandlung. Eine Schutzpflicht aus dem allgemeinen Ungleichbehandlungsverbot würde den an die staatliche Gewalt gerichteten Maßstab auf das Privatrecht übertragen, der Ungleichbehandlungsgrundsatz gelte – faktisch – unmittelbar unter Privaten, die Privatautonomie werde ausgehöhlt.693 Aus zweierlei Gründen vermag dies nicht zu überzeugen: Zum einen ist das Argument nicht systemkonform und vermischt die Schutzpflicht mit der (mittelbaren) Drittwirkung von Grundrechten. Im ersteren Fall geht es um einen staatlichen Auftrag, das Verhältnis von Privaten untereinander entsprechend einem bestimmten Schutzniveau zu regeln; im letzteren Fall können sich Private untereinander auf Grundrechte berufen.694 Daraus folgt, dass der Gleichheitsgrundsatz über eine Schutzpflicht 691  Siehe Art. 5 Abs. 2 Nr. 2 lit. d GrO; § 5 EKD-RL; vgl. dazu auch bereits oben S.  42 ff. 692  Vgl. zum Diskussionsstand auch Szczekalla (Fn.  548), 338 ff.; Burkiczak, Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien oder Relevanz grundrechtlicher Schutzpflichten – Erfurter Einerlei?, in: RdA 2007, 17 (20 f.). 693  So Isensee (Fn. 537), 252; vgl. zur Diskussion auch Wollenschläger, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 3 Rn. 175 ff. 694  Allgemein dazu: Dreier, Vorb. (Fn. 536), 96 ff.; Hufen (Fn. 626), § 7 Rn. 8 f.; vgl. auch Classen, Die Drittwirkung der Grundrechte in der Rechtsprechung des BVerfG, in: AöR 122 (1997), 65 ff.; Guckelberger, Die Drittwirkung der Grundrechte, in: JuS 2003, 1151 ff.; Oeter, „Drittwirkung“ der Grundrechte und Autonomie des Privatrechts, in: AöR 119 (1994), 529 ff.; Ruffert (Fn. 536). Ausführlich auch Pietzcker (Fn. 549), 345 ff.



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aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht zwischen Privaten gelten würde; es bliebe weiterhin bei einem staatlichen (Schutz-)Auftrag. Dass die Schutzpflicht freilich Einfluss auf das Verhältnis von Privaten hat, ist unbestreitbar, aber auch gerade ihr Sinngedanke. Insoweit könnte man jede Schutzpflicht – auch bei Freiheitsrechten – mit diesem Argument ablehnen: Hat der Staat beispielsweise die Pflicht, die körperliche Unversehrtheit der Bürger vor privaten Eingriffen zu schützen, so muss er diese auch – oder besser: erst recht – in den Fällen intensiv belastender körperlicher Arbeit erfüllen und entsprechende Arbeitsschutzregelungen erlassen, die der Arbeitgeber als Privater ebenfalls zu beachten hat. Auch hier könnte man argumentieren, der Schutz der körperlichen Unversehrtheit würde zumindest faktisch auf das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und -geber übertragen. Ein Unterschied zu dem Fall des Art. 3 Abs. 1 GG ist gerade nicht erkennbar. Es ist Sinn der Schutzpflichten, auch private Verhältnisse durch staatliche Maßnahme(n) zu modifizieren. Zum anderen kann das Argument mit der Privatautonomie nicht überzeugen, da es die entsprechenden Entscheidungsebenen miteinander vermischt und vertauscht. Eine bestimmte Funktion eines speziellen Grundrechts mit dem Hinweis auf den Schutzbereich eines kollidierenden Verfassungsrechts bzw. -guts abzulehnen, ist nicht kohärent. Zwar ist zuzugeben, dass es grundsätzlich das Recht der Privatautonomie ist, auch Abkommen zu treffen, die die Betroffenen ungleich behandeln;695 inwiefern diese Schutzbereichsbestimmung aber den staatlichen Schutzauftrag zu beschränken imstande ist, kann nicht auf der Ebene der allgemeinen Grundrechtslehren, sondern nur auf der Ebene der konkreten Rechtfertigung entschieden werden. Es kommt auf einen Ausgleich der widerstreitenden Güter und Interessen im Einzelfall an, wobei der Privatautonomie entsprechendes Gewicht beizumessen ist.696 A priori und abstrakt wegen der Ausgestaltung eines Schutzbereichs eines widerstreitenden Rechts einen modifizierenden Einfluss auf die Beurteilung der Grundrechtsfunktionen zu nehmen, ist systemwidrig. Diese Systemwidrigkeit lässt sich wohl nicht mit mangelnder Aufmerksamkeit für das Grundrechtssystem, sondern vielmehr rechts- bzw. wissenschaftspolitisch erklären. Denn zuzugeben ist, dass die Bejahung der grundrechtlichen Schutzpflicht aus 695  Isensee, Privatautonomie, in: ders. / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 150; Di Fabio (Fn.  670), 101 ff.; Dreier (Fn. 671), 35 f. 696  Sehr einfach macht es sich Ruffert (Fn. 536), 175 f., der die (dogmatische) Unstimmigkeit sieht, diese aber aus höchst pauschalisierten Überlegungen heraus zulässt, da „es müßig wäre, die Schutzgutseigenschaft der allgemeinen Gleichbehandlung für das Privatrecht zunächst theoretisch anzuerkennen, dann das Maß des grundrechtlichen Schutzes gleichsam auf ein Nullmaß zu reduzieren. Im Privatrecht erübrigt sich das Grundrechtsgut der Gleichbehandlung, weil ein entsprechender Schutzauftrag nicht mit der Verfassung konform wäre“.

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Art. 3 Abs. 1 GG eine massive Erweiterung dessen Wirkungsbereichs mit sich bringen würde. Die Folge könnten ausschweifende Gleichbehandlungsdebatten sein, die schnell moralisch aufgeladen sein und sich insbesondere im Rahmen der Abwägung entfalten können. Diese Befürchtung berechtigt aber nicht zu dogmatisch unbegründeten Systemverschiebungen und -änderungen. Denn auch das vorherige Ausschließen der Schutzpflicht beruht auf einer abwägenden Wertung – nämlich, dass die Privatautonomie generell gewichtiger sei als das Gleichbehandlungsgebot –, allerdings mit dem Unterschied, dass diese Wertung nicht hinreichend offen gelegt zu werden braucht. Weder dogmatisch, noch rechtspolitisch ist dieses Argument daher überzeugend. Ein weiteres – wohl auf den gleichen rechtspolitischen Motiven basierendes – Argument gegen die Schutzfunktion des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes ist die widersprüchliche Zielrichtung von Abwehr- und Schutzgedanken bei Gleichheitsrechten. Während der allgemeine Gleichheitsgedanke im Sinne des Abwehrgedankens Ungleichbehandlungen verhindern wolle, sei die Umsetzung entsprechender Schutzpflichten, die mit dem oftmals postulierten Anspruch auf „faktische Gleichheit“ gleichzusetzen sei697, ohne die Herstellung von Ungleichbehandlungen und damit ohne Preisgabe des Abwehrgedankens nicht möglich.698 „Ein und derselben Norm (…) ein Prinzip und sein Gegenteil zu entnehmen (…) überzeugt (…) nicht“.699 Aber auch hier werden – parallel zum zuerst genannten Argument der Privatautonomie – allgemeine Folgen der Schutzpflichtumsetzung als Argument gegen die Zuerkennung staatlicher Schutzpflichten im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG angeführt. Ein bestimmtes Rechtsgut zu schützen erfordert regelmäßig – wenn nicht gar ausschließlich – einen Eingriff in die Sphäre eines Dritten. Schutz ist zumeist nur durch einen Eingriff zu verwirklichen.700 Das führt jedoch in abstracto nicht zur Unzulässigkeit von Schutzpflichten, sondern ist eine Frage der Beurteilung in concreto, d. h. im Rahmen einer Einzelfallabwägung. Dass hierbei das beeinträchtigte Gut des Dritten das gleiche Gut ist wie das des Beschützten, darf dabei keine Rolle spielen. Dem Grundrechtsteil des Grundgesetzes kann eine entsprechende Unzulässigkeit weder aufgrund systematischer noch teleologischer oder anderer Auslegung entnommen werden. Auch zum Schutz von Freiheitsrechten kann es notwendig sein, 697  Zu der Gleichstellung von Schutzpflicht und Recht auf „faktische Gleichheit“ Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 3 Rn. 67 f.; zur Unterscheidung zwischen rechtlicher (aktbezogener) und faktischer (folgenbezogener) Gleichheit insbesondere Alexy (Fn.  550), 377 ff. 698  Heun (Fn. 697), 67, 68. 699  Heun (Fn. 697), 67. 700  Siehe auch den entsprechenden Aufsatztitel von Wahl / Masing, Schutz durch Eingriff, in: JZ 1990, 553 ff.



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in das gleiche (Freiheits-)Recht eines Dritten einzugreifen; entscheidend ist dabei nur, dass das Drittrechtsgut nicht verletzt wird. Ansonsten handelt es sich um einen unzulässigen Eingriff, der von der Schutzpflicht nicht mehr gedeckt ist. In bestimmten Fallkonstellationen kann es aber gerechtfertigt sein, den Schutzauftrag höher einzustufen als den Abwehrauftrag.701 Dies ist dann aber keine Frage des betroffenen Schutzguts oder des entsprechenden staatlichen Schutzauftrags, sondern eine des Einzelfalls und der Intensität der Betroffenheit. Das Argument wäre nur dann durchschlagend, wenn es um dieselben Rechtsgüter desselben Grundrechtsträgers ginge. Da dies indes unmöglich ist, kann eine Ungleichbehandlung eines Dritten vonnöten sein, um den – dann überwiegenden – Schutz der Gleichbehandlung des Betroffenen zu gewährleisten. Der Verweis auf die unterschiedlichen Zielrichtungen von Schutz und Abwehr zielt dem Grunde nach auf die Ablehnung der Schutzpflichtfunktion insgesamt und nicht nur auf die Ablehnung der Schutzpflichtfunktion aus Art. 3 Abs. 1 GG. Dies ist aber deshalb nicht überzeugend, zumal das Grundgesetz Eingriffe in Grundrechte grds. vorsieht – unabhängig davon, ob zum Schutz der Grundrechte Dritter oder aus anderen (zulässigen) Motiven. Schwieriger zu bewerten ist das dritte Argument, das auf den Wortlaut von Art. 3 Abs. 1 GG rekurriert und die Formulierung der Gleichheit „vor dem Gesetz“ als Anknüpfungspunkt für die Ablehnung entsprechender Schutzpflichten wählt. Der Wortlaut der Norm deute darauf hin, dass eine Gleichbehandlung nur im Sinne der Rechtssetzung oder der Rechtsanwendung, in jedem Falle aber nur bei aktivem Handeln, erfolgen könne respektive dem Gleichheitsgrundsatz keine schützenswerte Wertigkeit zukomme, solange die staatliche Gewalt nicht aktiv Macht ausübe.702 Klar und insoweit unstreitig ist daher, dass der Gesetzgeber im Bereich des Zivilrechts selbst keine (un701  Vgl. Ullrich, Gefahrenabwehrende Verwaltung und Schutz suchender Bürger im Spannungsfeld von Schutzpflicht, Grundrechtskollision und Ermessen, in: VerwArch 102 (2011), 383 (394 ff.), der entsprechende „Regeln“ für die Kollision von Schutz- und Abwehrfunktion aufstellt, insbesondere dass grundsätzlich aufgrund des Gewaltmonopols des Staates das Abwehrrecht Vorrang genieße. Eine solche Dogmatik findet jedoch weder in der staatstheoretischen Überlegung (siehe dazu bereits oben S. 154 ff.) noch im GG selbst einen hinreichenden Anker. Vielmehr stehen in abstracto beide Grundrechtsfunktionen gleichberechtigt gegenüber. 702  Dietlein (Fn. 549), 84; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 186: „Der Zusatz ‚vor dem Gesetz‘ unterstreicht, daß er (der Gleichheitssatz; V. H.) nicht vor unsachgemäßer Differenzierung Privater schützen kann, denen die Handlungsform des Gesetzes versperrt ist. Der Rechtsetzungs- und Rechtsanwendungsgleichheit des Art. 3 Abs. 1 GG, die ausschließlich staatsbezogene Pflichten darstellen, kann keine Schutzpflicht gegen privates Tun entnommen werden“; Erichsen, Grundrechtliche Schutzpflichten in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: JURA 1997, 85 (87); Ruffert (Fn. 536), 175 ff.; vgl. auch Burkiczak (Fn. 692), 21.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

gerechtfertigte) Ungleichbehandlung konstituieren darf. Wer die Schutzpflicht aber ablehnt, verneint die Pflicht des Staats, Ungleichbehandlungen im privaten Bereich zu beseitigen oder zu verhindern. Ob diese Ablehnung jedoch allein auf der Formulierung „vor dem Gesetz“ beruhen kann, ist äußerst fraglich. Denn zunächst drückt diese Formulierung nur einen Bezug der Gleichbehandlung zu Gesetzen aus, sagt aber über die Pflicht zum Erlass eines Gesetzes, das privatrechtliche Ungleichbehandlungen verhindert, wenig. Würde man weiter den Wortlaut der Norm ernst nehmen, müsste man darin eine Beschränkung des Schutzbereichs (nicht nur bei Schutzpflichten!) sehen, der folglich nur Ungleichbehandlungen umfassen würde, die in einem engen Zusammenhang mit dem Gesetzeserlass stehen. Eine entsprechende beschränkende Interpretation entbehrt aber einer Grundlage. Die Formulierung „vor dem Gesetz“ ist vielmehr so zu erklären, dass bis zum Erlass des Grundgesetzes umstritten war, ob die Gleichheitsforderung auch den Gesetzgeber binden könne oder ob Gleichheit nur Rechtsanwendungsgleichheit bedeute.703 Der Zusatz „vor dem Gesetz“ ist dabei nur Ausdruck der klaren Entscheidung auch für eine Rechtssetzungsgleichheit.704 Das bedeutet aber nicht, dass die Gleichheitsforderung nicht darüber hinausgehen dürfe; vielmehr wurde die Gleichheit im Sinne von Art. 3 GG – analog zum amerikanischen Recht – zu einem „minimum standard of free society“ erklärt, nach dem „jede differenzierende Behandlung – auch seitens des Gesetzgebers – unzulässig sein solle“.705 Der Zusatz „vor dem Gesetz“ hat daher vielmehr klarstellende als beschränkende Bedeutung und kann zur Reichweite der Gleichbehandlungsforderung im privaten Bereich keine Aussagen treffen. Dafür ist allein das Verständnis vom Begriff der (Un-)Gleichbehandlung entscheidend, das aber seit jeher einen starken moralisch-philosophischen Charakter aufweist und Ausdruck einer bestimmten Idee von Gerechtigkeit ist.706 Diese „Gerechtigkeitspostulation“ mag zum Zeitpunkt der Entstehung des Grundgesetzes zwar nur auf den Fall der Gesetzesentstehung und -anwendung beschränkt gewesen sein. Diese Vorstellung hat sich jedoch entschieden geändert und ist ausgeweitet worden. Dabei gilt Art. 3 Abs. 1 GG insgesamt als Ausdruck einer absoluten, allgemeinen Gleichheit, die nicht nur auf die Gesetzesfälle beschränkt ist. So wird beispielsweise im Bereich exekutiven Handelns außerhalb der Gesetzesdurchführung sowie häufig auch im Bereich mittelbarer Diskriminierungen von der Anwendung des Art. 3 703  Heun

(Fn. 697), 67. Doemming / Füsslein / Matz (Fn. 660), 66. 705  Siehe dazu von Doemming / Füsslein / Matz (Fn. 660), 66 ff. (zit. 68; Herv. VH). 706  Heun (Fn. 697), 1 ff.; vgl. Kirchhof, in: Maunz / Dürig (Begr.), GG, 75. Lfg. 2015, Art. 3 Abs. 1 Rn. 1 ff., 13 ff. 704  von



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Abs. 1 GG ausgegangen.707 Es ist nicht ersichtlich, weshalb die Verwaltung im Rahmen der Leistungsverwaltung beispielsweise Betroffene nur deshalb gleich behandeln soll, weil sie aufgrund eines Gesetzes handelt. Folglich ist zwar zuzugestehen, dass der Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 GG einer grundrechtlichen Schutzpflicht tendenziell entgegenstehen könnte, dieses Argument aber deswegen nicht durchschlagend ist, weil die Formulierung „vor dem Gesetz“ eben keine konstitutive, sondern rein deklaratorische Wirkung hat, und – selbst im Falle des Gegenteiles – die aktuelle Vorstellung von Bedeutung und Tragweite der Gleichheit entsprechenden Beschränkungen schon längst überwunden wurde. Schließlich spricht für eine aus Art. 3 Abs. 1 GG ausfließende Schutzpflicht die allgemeine Begründung grundrechtlicher Schutzpflichten, die folgerichtig auch die Gleichheitsrechte umschließt. Insoweit ist nicht nur die Freiheit ein besonderer Wert, der auf Ebene privaten Agierens gefährdet werden kann, sondern auch die Gleichheitsdebatte hat einen enormen Bedeutungszuwachs erfahren. Wenn also zum Freiheitsschutz notwendigerweise auch der Schutz vor privaten Angriffen gehört, gibt es keinen Grund, dies nicht auch auf die Dimension der Gleichheit zu beziehen: Wie die Freiheit, kann auch die Gleichheit – wenn nicht gar viel stärker – beeinträchtigt werden. Zwar ist nicht auszuschließen, dass für private Ungleichbehandlungen nicht ebenso starke Maßstäbe wie für staatliche und staatlich bedingte Ungleichbehandlungen gelten; dies ist aber keine Frage des „Ob“ der gleichheitsrechtlichen Schutzpflicht, sondern nur eine Frage ihrer Ausgestaltung. Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass Art. 3 Abs. 1 GG eine grundrechtliche Schutzpflicht zu entnehmen ist.708 Dabei sind zwar Hypertrophien im Grundrechtsschutz zu befürchten. Diese Befürchtung ist auch verständlich und nicht un­gerechtfertigt. Sie lässt sich aber nicht überzeugend dadurch lösen, dass systemwidrig auf abstrakter Ebene allgemein anerkannte Funktionen und Ausprägungen abgekappt werden. Insoweit handelt es sich um abwägungsbedeutende Argumente, die auch im Sinne der Systemkonsequenz im Rahmen der Abwägung, also auf Rechtfertigungsebene, zu erörtern sind. Anders als Art. 3 Abs. 1 GG wird den Absätzen 2 und 3 der Norm einstimmig eine grundrechtliche Schutzpflicht entnommen.709 Als Begründung wird 707  Heun

(Fn. 697), 67, 109; BVerfGE 64, 135 (157). im Ergebnis auch – allerdings ohne hinreichende Begründung – Unruh (Fn. 544), 75; BAG, NZA 2004, 1399 (1402); BAG, NZA 2005, 1127 (1129); vgl. auch Burkiczak (Fn. 692), 20 / 21. 709  Siehe oben Fn. 692; vgl. auch Uerpmann-Wittzack, Gleiche Freiheit im Verhältnis zwischen Privaten – Artikel 3 Abs. 3 GG als unterschätzte Verfassungsnorm, in: ZaöRV 68 (2008), 359 (364 f.). 708  So

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überwiegend auf den – im Gegensatz zu Art. 3 Abs. 1 GG – vorhandenen Wertentscheidungsgehalt abgestellt, der sich insbesondere aus der Nähe zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht oder anderen thematisch nahestehenden Freiheitsrechten, insbesondere der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 3 GG) ergibt.710 Nach der hier vertretenen Auffassung ist dem Ergebnis zuzustimmen, wobei sich die Begründung aus den soeben bei Art. 3 Abs. 1 GG erläuterten Überlegungen ergibt.711 Damit kann festgehalten werden, dass Art. 3 GG insgesamt und nicht nur partiell Schutzpflichten entfaltet. Anknüpfend an diesen Befund soll zunächst die Frage nach einer Ungleichbehandlung von (homosexuellen) Mitarbeitern in kirchlichen und weltlichen Einrichtungen untersucht werden. Hierfür bedarf es der Klärung, ob überhaupt in dieser Verschiedenbehandlung eine rechtlich relevante Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 GG gesehen werden kann. Die Feststellung einer verfassungswidrigen (Un-)Gleichbehandlung ist für unsere Rechtsordnung aufgrund der moralischen und ideengeschichtlichen besonderen Bedeutung des Gleichheitsbegriffs eine besondere Herausforderung und nicht einfach zu treffen. Klar ist zumindest, dass Gleichheit nicht nur eine natürlich-faktische, sondern stets auch eine wertende Betrachtung erfordert, also eine „Abstraktion von gegebener Ungleichheit“, läge doch ansonsten reine Identität vor.712 Gleichheit weist damit einen relationalen Charakter auf713 und kann nur in Ansehung bestehender Unterschiede wertend festgestellt werden, so dass sie im Endeffekt lediglich eine Aussage darüber trifft, ob „durch die rechtliche Differenzierung zwischen den Vergleichspersonen das gleiche Verhältnis zum Ausdruck 710  BVerfGE 17, 1 (27); E 89, 276 (286); Ruffert (Fn. 536), 177  f.; Dietlein (Fn. 549), 84 f.; anders Krings (Fn. 702), 186 f., der – für seine Darstellung – konsequenterweise bemerkt, dass wegen der Strukturverwandtschaft von Art. 3 Abs. 3 und Art. 3 Abs. 1 GG auch bei den besonderen Diskriminierungsverboten eine ausschließliche Staatsgerichtetheit entsprechende Schutzpflichten ausschließe. 711  Eine Besonderheit könnte sich höchstens im Rahmen der Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts ergeben, weil im Falle einer Schutzpflicht innerhalb des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG der Bedeutungsgehalt des Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG überflüssig sein könnte (vgl. Uerpmann-Wittzack [Fn. 709]). Dies ist aber deshalb nicht überzeugend, weil Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG und Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG unterschiedliche Zielrichtungen einschlagen. Während eine Schutzpflicht im Rahmen des Ersteren den Gesetzgeber verpflichtet, geschlechtsbezogene Ungleichbehandlungen im Privatrecht zu verhindern, geht das Staatsziel aus Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG, das vielmehr auf eine sozialstaatlich-faktische Gleichbehandlung zielt, darüber hinaus und kann vielmehr eine – der Schutzpflicht nicht zu entnehmende – Verpflichtung zur Ungleichbehandlung – insbesondere von Männern – erfordern (siehe Ruffert [Fn. 536], 181, der insbesondere das Beispiel der „Frauenquote“ anführt, welche nicht auf eine Schutzpflicht aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG gestützt werden könne). 712  Radbruch, Rechtsphilosophie, 8. Aufl. 1973, S. 22; vgl. auch Volkmann, Staatsrecht II, 2. Aufl. 2011, § 19 Rn. 35. 713  Wollenschläger (Fn. 693), 51 f.



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gebracht wird wie durch die relevanten Unterschiede zwischen diesen Personen“.714 Aus diesem Grund besteht auch Einigkeit darüber, dass die Pflicht zur Gleichbehandlung stets nur denselben Hoheitsträger treffen darf.715 Sind die zu vergleichenden Sachverhalte unterschiedlichen Kompetenzträgern zugeordnet, kommt ein Verstoß gegen Art. 3 GG grundsätzlich nicht in Betracht. In den Fällen kirchlicher Loyalität könnte man überlegen, ob nicht über das kirchliche Selbstbestimmungsrecht die Kirchen als Loyalitätserschaffer zu einem dem Staat gegenüber fremden Kompetenzträger reifen. Die Verschiedenbehandlung der Mitarbeiter basiert nämlich letztlich darauf, dass die Kirchen über das Selbstbestimmungsrecht aus Art. 137 Abs. 3 WRV die staatlichen Regelungen modifizieren dürfen und insoweit dem Staat verschlossene Kompetenzen wahrnehmen.716 Eine solche Interpretation basiert jedoch auf einer fehlgeleiteten Interpretation des Staat-Kirche-Verhältnisses sowie der Bedeutung und Stellung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts. Denn eine dem Staat gleichwertige, aber abgegrenzt gegenüberstehende Position anzunehmen, entspricht ganz dem Sinn der längst überwundenen Koordinationslehre, die die Kirchen als gleichrangigen „Partner“ des Staates mit genuinen eigenen Kompetenzbereichen ansah und sich verfassungsdogmatisch in der Bereichslehre im Rahmen der Auslegung des Begriffs der „eigenen Angelegenheiten“ nach Art. 137 Abs. 3 WRV widerspiegelt.717 Da der Staat jedoch grundsätzlich frei darin ist, das Verhältnis von Staat und Kirche zu regeln, besteht die kirchliche Selbstbestimmungskompetenz nicht ex natura, sondern alleine ex lege, d. h. aufgrund einer freien staatlichen Entscheidung. Kirchliche Autonomie ist daher nicht staatlich anerkannt, sondern staatlich verliehen.718 Die Letztentscheidungskompetenz liegt gerade beim Staat, so dass die Kirchen folglich nicht neben dem Staat stehen und ihre Rechtsordnung nicht 714  Huster, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum GG, Stand: Mai 2018, Art. 3 Rn. 67, mit Verweis auf die nikomachische Ethik von Aristoteles, Nikomachische Ethik, 8. Aufl. 1983, S. 159; vgl. auch Bumke / Voßkuhle, Casebook Verfassungsrecht, 7. Aufl. 2015, Rn. 454; Heun (Fn. 697), 25. 715  Huster (Fn. 714), 47 f. 716  Vgl. dazu ausführlich unten S. 359 ff. 717  Allgemein zur Koordinationslehre Smend, Staat und Kirche nach dem Bonner Grundgesetz, in: ZevKR 1 (1951), 4 ff.; Germann, Koordinationslehre, in: Betz/Browning/Janowski/Jüngel (Hrsg.), RGG, 4. Auflage, 2001, Bd. 4, Sp. 1668; Munsonius, Beziehungen zwischen Kirche und Staat in Deutschland und in der Perspektive der Errichtung eines neuen Europas, in: GöPRR 3 (2012), 10 (10 f.); Unruh, Religionsverfassungsrecht, 4. Aufl. 2018, Rn. 44 f. 718  Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, 2013, S. 38 ff.; Jurina, Die Religionsgemeinschaften mit privatrechtlichem Rechtsstatus, in: Listl / Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, 689 (703 ff.); Meyer-Teschendorf, Staat und Kirche im pluralistischen Gemeinwesen, 1979, S. 6 ff.

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neben, sondern unter dem Grundgesetz anzusiedeln ist.719 Daraus folgt, dass Kirchen und Staat nicht verschiedene Kompetenzträger sind, sondern dass auch das Handeln der Kirche grundsätzlich unter den Kompetenzanspruch des Staates fällt. Dafür spricht, dass das kirchliche Selbstbestimmungsrecht keinen fest umgrenzten staatsfreien Raum begründet, sondern gerade in Ansehung staatlicher Grenzen gilt, sodass staatliche Interessen im Sinne dieser Wechselwirkung auch auf kirchlichem Terrain zu gelten imstande sind.720 Das kirch­liche Selbstbestimmungsrecht schließt damit nicht aus, die tatsächliche Ungleichbehandlung zwischen Mitarbeitern kirchlicher und weltlicher Dienstund Arbeitgeber als rechtlich relevante Ungleichbehandlung zu werten. Gerade der relationale Charakter einer Ungleichbehandlung führt aber zu dem Feststellungsproblem, wann tatsächlich eine rechtlich relevante Ungleichbehandlung anzunehmen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Umstands wegen – zumindest früher721 – gefordert, dass nur „wesentlich Gleiches“ gleich behandelt werden solle.722 Allerdings ist hierbei unklar, wie das Merkmal der Wesentlichkeit zu verstehen ist: Einerseits könnte unter der Ungleichbehandlung zunächst nur eine deskriptive, d. h. nicht-identische Behandlung zu verstehen sein, so dass sich die Frage nach einer wesentlichen Ungleichbehandlung nur auf die Rechtfertigung bezieht;723 entscheidend ist hier freilich, dass die zu vergleichenden Gruppierungen bestimmte Gemeinsamkeiten haben und der Vergleich an sich „sinnvoll“ ist, also dass zwischen den vergleichbaren Gruppierungen und dem jeweiligen Differenzierungsmerkmal angesichts des Zwecks der Ungleichbehandlung ein „enger innerer Sachzusammenhang“ besteht.724 Zum anderen könnte man die „wesentliche“ Ungleichbehandlung bereits als Schutzbereichsmoment des Art. 3 GG anse719  Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, 1997, S. 121 ff.; Heckel, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, in: VVDStRL 26 (1968), 5 ff.; Hollerbach, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, in: VVDStRL 26 (1968), 56 ff.; vgl. Unruh (Fn. 717), 45. 720  Vgl. dazu – rein dogmatisch – zur Wechselwirkungslehre oben S. 102 ff. 721  Mittlerweile stellt das BVerfG (E 95, 143 [154 f.]) überwiegend auf die sog. „neue Formel“ ab, wenn es formuliert: „Demgemäß ist dieses Grundrecht vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Norm­ adressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten“. 722  Insbesondere BVerfGE 14, 1 (52); E 49, 148 (165); vgl. dazu ausführlich Huster (Fn.  714), 51 ff. m. w. N. 723  So die herrschende Ansicht, siehe nur Jarass, Folgerungen aus der neueren Rechtsprechung des BVerfG für die Prüfung von Verstößen gegen Art. 3 Abs. 1 GG, in: NJW 1997, 2545 ff.; Kingreen / Poscher, Staatsrecht II, 34. Aufl. 2018, Rn. 485 ff.; vgl. dazu auch Huster (Fn.  714), 51 ff. m. w. N. 724  Sodan, in: ders. (Hrsg.), GG, 3. Aufl. 2015, Art. 3 Rn. 10.



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hen, den Begriff der (rechtlich relevanten) Ungleichbehandlung also normativ gebrauchen und ihm damit eine höhere Bedeutung verleihen.725 Die Annahme einer rechtlich relevanten (normativen) Ungleichbehandlung basiert im letzteren Falle auf einer Differenzierung zwischen internen und externen Zwecken: Jeder Ungleichbehandlung liege „intern“ ein eigener, auf die jeweilige Situation zugeschnittener Gerechtigkeitsmaßstab zugrunde, der „auf den relevanten Unterschieden der Vergleichspersonen beruht“.726 Ein „Eingriff“727 in den Schutzbereich von Art. 3 GG, d. h. eine rechtlich relevante Ungleichbehandlung liege dabei erst dann vor, wenn die tatsächliche Ungleichbehandlung nicht mehr (nur) diesem internen Gerechtigkeitsmaßstab diene, sondern entweder den internen Gerechtigkeitsmaßstab vollständig missachte oder maßgebend über externe Nützlichkeitserwägungen begründet werde.728 Dieses freiheitsrechtsähnliche Alternativkonzept hat grundsätzlich den Vorteil, dass es den Gerechtigkeitsbezug des Art. 3 GG unterstreicht und von vorneherein eine „transparentere Aufbereitung des jeweiligen Konfliktpotenzials“ ermöglicht.729 Auch ist das ausdrückliche Aufzeigen unterschiedlicher Vergleichsmaßstäbe für unterschiedliche Komparationssituationen positiv zu werten. Desungeachtet ist die Konstruktion nicht überzeugend. Zum einen, weil sie auf einem verfassungstheoretischen bzw. rechtsphilosophischem Axiom beruht – Gerechtigkeit vor Nützlichkeitserwägung730 –, das im Grundgesetz nicht hinreichend als Grundlage erkennbar ist und dadurch bedingt dogmatisch kaum fruchtbar zu machen ist. Zum anderen, weil sie auf einer nur schwer durchführbaren trennscharfen Abgrenzung von internen und externen Zwecken basiert.731 Letztlich hilft sie aber dabei – und dies sollte bei der Anwendung des herrschenden Modells berücksichtigt werden – den Rechtfertigungsmaßstab zumindest an dem Differenzierungsmaßstab auszu725  So insbesondere Huster, Rechte und Ziele, 1993; ders. (Fn. 714), 78 ff.; vgl. dazu Heun (Fn. 697), 29 ff. Hauptkritik an der herrschenden Dogmatik ist demnach gerade, dass ein deskriptiver Ungleichbehandlungsbegriff, der nur auf eine nichtidentische Behandlung abstelle, keine Auswirkungen und damit kaum Funktionen haben könne. 726  Huster (Fn. 714), 75. 727  Insoweit nähert sich das Hustersche Modell der Prüfung von Freiheitsrechten an. 728  Huster (Fn. 725), 225 ff.; ders. (Fn. 714), 89 ff., 135 ff.; vgl. auch Boysen, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 3 Rn. 58 ff. 729  Vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 4 / 2, 2011, S. 1487, allgemein zum Vorzug abwehrrechtlicher Interpretation des Art. 3 GG. 730  Dazu insbesondere Boysen (Fn. 728), 59. 731  Dazu Heun (Fn. 697), 30; Rüfner, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum GG, Mai 2016, Art. 3 Rn. 98; Kallina, Willkürverbot und neue Formel – der Wandel der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 3 Abs. 1 GG, 2001, S.  177 ff.

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richten.732 Ein starres Bevorzugen von „internen“, d. h. den der Differenzierung zugrundeliegenden „relevanten“ Gerechtigkeitsmaßstäben – welche auch immer diese sein mögen733 – ist jedoch nicht überzeugend. Der Vergleich zwischen Mitarbeitern kirchlicher und weltlicher Dienstbzw. Arbeitgeber ist sinnvollerweise nicht auf einer allgemeinen Vergleichs­ ebene, sondern gerade speziell mit Blick auf die jeweiligen konkreten Loya­ litätspflichten vorzunehmen. Nur so kann das Differenzierungskriterium spezifisch festgestellt und eine entsprechende Bewertung überzeugend vorgenommen werden. Andernfalls müsste man sich damit begnügen, dass Mitarbeiter kirchlicher Dienstgeber in Bezug auf Loyalitätspflichten nicht identisch mit Mitarbeitern weltlicher Arbeitgeber behandelt werden. Das Differenzierungskriterium der Loyalität ist aber zu allgemein gehalten, um hinreichende verfassungsrechtliche Wertungen vorzunehmen. Daher ist in diesem Fall zwischen homosexuellen Mitarbeitern kirchlicher und weltlicher Einrichtungen zu differenzieren und als Differenzierungskriterium das Verbot praktizierter Homosexualität heranzuziehen. Denn während homosexuellen Mitarbeitern weltlicher Arbeitgeber arbeitsrechtlich nicht verboten ist, ihre sexuelle Orientierung auszuleben, ist eine entsprechende Auslebung den Mitarbeitern kirchlicher Einrichtungen verwehrt. Ansonsten sind – abge­ sehen von den anderen Loyalitätspflichten – zwischen beiden Vergleichsgruppen keine relevanten Unterschiede erkennbar – im Gegenteil: Nicht selten verrichten beide Gruppen die gleiche Arbeit unter nahezu den gleichen Umständen. Auch mangelt es nicht an einer hinreichenden Vergleichbarkeit beider Sachverhalte. Zwar kann man insoweit die Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen anführen; dieses ändert aber nichts an der Vergleichbarkeit, sondern höchstens an der Rechtfertigung und damit der Zulässigkeit der Ungleichbehandlung.734 Immerhin besteht die Möglichkeit, dass die Kirchen im Rahmen der von ihnen bewirkten Verschiedenbehandlung in nicht zulässiger Weise an solche Kriterien anknüpfen, die staatlich-rechtlich nicht mehr zu rechtfertigen sind und daher auch das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen wirksam beschränken. Da Anknüpfungspunkt für die Ungleichbehandlung die sexuelle Orientierung der betroffenen Mitarbeiter bilden könnte, stellt sich überdies die Frage, ob die Benachteiligung kirchlicher Mitarbeiter nicht sogar ein besonderes Diskriminierungsverbot berührt und insoweit unter die strengen Rechtfertigungsanforderungen des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG fällt. Allerdings ist die sexuelle Orientierung in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG weder ausdrücklich genannt, noch Boysen (Fn. 728), 59. Schwierigkeit einer entsprechenden Feststellung auch Heun (Fn. 697), 30. 734  Vgl. dazu ausführlichen unten S. 359 ff. 732  Vgl. 733  Zur



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kann sie unter dort genannte Kriterien subsumiert werden.735 Insbesondere das Merkmal des Geschlechts umfasst nicht die sexuelle Orientierung, knüpft es doch an die Unterscheidung des (biologischen) Geschlechts an, während die sexuelle Orientierung unabhängig vom biologischen Geschlecht eine gleichgeschlechtliche Liebe beschreibt. Insoweit werden Männer und Frauen gleich behandelt. Zwar könnte man den Begriff des Geschlechts extensiv auslegen und auch die Ausrichtung der geschlechtlichen Liebe darunter subsumieren.736 Allerdings spricht dagegen, dass zum Zeitpunkt der Entstehung des Grundgesetzes ein besonderer Schutz Homosexueller – insbesondere angesichts der Existenz des § 175 StGB a. F. – sicherlich keinesfalls vorgesehen war. Dies wäre zwar vernachlässigbar, wenn – analog zu den Debatten über den Ehebegriff – eine grundlegende Wandlung in der geistesphilosophischen Grundhaltung von Gesetzgeber und Gesellschaft erkennbar wäre;737 bei der entsprechenden Grundgesetzänderung im Jahre 1994 wurde sich allerdings mehrheitlich ausdrücklich gegen eine Aufnahme der sexuellen Orientierung in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG ausgesprochen.738 Eine Aufnahme der sexuellen Orientierung könnte folglich höchstens über eine analoge Anwendung der Norm erwirkt werden. Häufig wird dabei die Analogiefähigkeit des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG zu Recht verneint, wenngleich der Wortlaut der Norm739 und die systematische Beziehung zwischen Art. 3 Abs. 1 GG und Abs. 3 GG740 eine analoge Anwendung zuließen.741 Auch stellen womögliche Argumente rechtspolitischer Art keine dogmatischen Anhaltspunkte für eine entsprechende Analogie dar.742 Für eine Analogie kann auch nicht angeführt werden, Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG sei Ausdruck zentraler und aufgrund historischer Erfahrungen besonders gefährdeter Persönlichkeitskernmomente,743 so dass ein entsprechen735  Ausführlich dazu Risse (Fn.  679), 114  ff.; Kischel, in: Epping / Hillgruber, BeckOK GG, Stand: November 2018, Art. 3 Rn. 130 f. 736  Dagegen – nur auf die Transsexualität ausweitend – Risse (Fn. 679), 116 ff. 737  Vgl. zu den Debatten über den Ehebegriff oben S. 171 ff. 738  Dazu Rohn / Sannwald, Die Ergebnisse der Gemeinsamen Verfassungskommission, in: ZRP 1994, 65 ff.; Risse (Fn. 679), 111 ff., 118 f. 739  Anders Ipsen, Gleichheit, in: Neumann / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. 2, 2. Aufl. 1968, 111 (145 f.). 740  Vgl. Dürig, in: Maunz / ders. (Begr.), GG, Grundwerk, Art. 3 Abs. 3 Rn. 27 ff. 741  Vgl. dazu insgesamt auch Risse (Fn. 679), 126 ff. 742  Hier handelt es sich alleine um verfassungspolitische (Zweck-)Überlegungen, die eine dogmatisch fundierte Analogie keinesfalls zu stützen vermögen. Zu den einzelnen Überlegungen siehe Risse (Fn. 679), 150 ff. 743  So die herrschende Ansicht, siehe Sachs, Besondere Gleichheitsgarantien, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 8, 3. Aufl. 2010, § 182 Rn. 40; BAG, NJW 1990, 141 (143); Dürig (Fn. 740), 28.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

der Diskriminierungsschutz für die Fälle der Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung angesichts des historischen Umgangs mit Homosexuellen im Dritten Reich und der Unabänderlichkeit der sexuellen Orientierung und der sich insgesamt daraus entwickelnden besonderen Strukturähnlichkeit der sexuellen Orientierung zu den sonstigen Merkmalen in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG notwendig erscheine.744 Denn entscheidend bleiben für eine Analogie die allgemeinen Analogievoraussetzungen und damit neben einer vergleichbaren Interessenlage – die an sich zu bejahen wäre – insbesondere eine planwidrige Regelungslücke. Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen stellt sich heraus, dass eine Planwidrigkeit gerade nicht anzunehmen ist.745 Denn auch wenn tatsächlich eine Regelung bezüglich der Homosexualität oder der Bevorzugung der Heterosexualität dem Grundgesetz nicht zu entnehmen ist, bedeutet dies nicht, dass insoweit eine planwidrige Regelungslücke bestünde.746 Eine solche ist vielmehr erst anzunehmen, falls ersichtlich ist, dass ein strikter Diskriminierungsschutz bezüglich der homosexuellen Minderheit vom Verfassungsgeber nicht gesehen oder vergessen worden ist. Davon ist in diesem Fall aber nicht auszugehen:747 Zunächst wurde in der Gemeinsamen Verfassungskommission 1993 über die Aufnahme der sexuellen Orientierung beraten und diese mehrheitlich abgelehnt.748 Nun kann zwar eingeräumt werden, eine solche Kommission sei kein Gesetzgebervertreter, so dass etwaige Diskussionen in solchen Kommissionen keinerlei Auswirkungen hätten.749 Zwar ist dies grundsätzlich korrekt; doch stellt sich dann die Frage, ob das Parlament, das die Diskussionen in der Kommissionen zur Kenntnis genommen 744  Zur Strukturähnlichkeit der sexuellen Orientierung und der Merkmale des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG insbesondere Risse (Fn. 679), 133 ff. Allerdings begründet Risse die Analogiefähigkeit insbesondere mit dem Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des Art. 3 GG, wonach dessen Absatz 3 mit dem Ziel installiert worden sei, bestimmte Differenzierungskriterien „hervorzuheben“ (vgl. von Doemming / Füßlein / Matz [Fn. 660], 67). Allerdings lässt Risse die Frage außer Betracht, ob der Verfassungsgeber eben nicht nur die genannten Merkmale hervorheben und andere Differenzierungskriterien nur von Art. 3 Abs. 1 GG erfasst wissen wollte. Mit anderen Worten: Zur Planwidrigkeit der Nichtaufnahme der sexuellen Orientierung vermag diese Auslegung gerade nichts auszusagen. 745  Anders hingegen Risse (Fn. 679), 125 ff. 746  So aber Risse (Fn. 679), 131 ff. 747  So auch Hillgruber, Anmerkung, in: JZ 2010, 41 (43). 748  Rohn / Sannwald (Fn. 738), 65 ff.; Risse (Fn. 679), 111 ff. 749  Risse (Fn. 679), 133: „… daß die Diskussion um die sexuelle Orientierung in der Gemeinsamen Verfassungskommission für die Frage einer grundrechtlichen Regelungslücke irrelevant ist. (…) Eine Kommission bereitet Beschlüsse des verfassungsändernden Parlaments aber nur vor und hat weder eine Vertretungsmacht für den Gesetzgeber noch eine die Gerichte bindende Interpretationsbefugnis“. Inwieweit ansonsten der Gesetzgeber bindende Interpretationsbefugnis habe, bleibt hier freilich unklar.



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hat, bei einem entsprechenden Wunsch nicht eine Aufnahme der sexuellen Orientierung in den Katalog des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG selbstständig in Erwägung gezogen und diskutiert hätte. Insoweit scheint das Parlament, obschon die Diskussion bekannt war, kein Interesse an einer entsprechenden Verfassungsänderung gehabt zu haben. Darüber hinaus wurde eine Aufnahme der sexuellen Identität in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG sogar vom Bundestag mehrheitlich abgelehnt.750 Auch wenn die Begründung hierfür darin zu sehen ist, dass die mittlerweile ergangene Rechtsprechung des BVerfG den Schutz vor Diskriminierungen wegen der sexuellen Identität dem Schutz des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG nahezu gleichgesetzt habe, so dass eine entsprechende Änderung des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG nur noch „Symbolismus“ sei und man den Grundrechtsteil als „Herzkammer der Verfassung“ nicht übermäßig modifizieren wolle,751 ändert dies nichts an der Analogieablehnung. Denn auch wenn es dem Gesetzgeber fernlag, den Schutz wegen der sexuellen Orientierung erfolgter Diskriminierung im Vergleich zu dem Schutz aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG wesentlich herabzusetzen, ist aus rein dogmatischer Sicht eine analoge Anwendung des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG auf Fälle der sexuellen Orientierung wegen des klar entgegenstehenden Willens des Gesetzgebers ausgeschlossen. Vielmehr hat der Gesetzgeber akzeptiert, dass der Schutz von Diskriminierungen wegen der sexuellen Orientierung dogmatisch über Art. 3 Abs. 1 GG läuft. Gleichzeitig ist jedoch anzuführen, dass auch der Gesetzgeber davon ausging, dass der Schutz vor Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung über Art. 3 Abs. 1 GG dem entsprechenden Schutz über Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG gleich, nicht aber notwendigerweise identisch sein müsse752: Über Art. 3 Abs. 1 GG sind an Diskriminierungen besonders hohe Rechtfertigungsanforderungen zu stellen, während Diskriminierungen im Sinne von Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG grundsätzlich ausgeschlossen sind.753 Der Gesetzgeber ging lediglich davon aus, dass das gewünschte Schutzniveau betreffend Diskriminierungen Homosexueller ausreichend sei.754

750  Vgl.

BT-Drs. 17 / 4775. 17 / 4775, S. 5. 752  Vgl. BT-Drs. 17 / 4775, S. 5: „Die öffentliche Anhörung habe gezeigt, dass solche Gründe (für eine Änderung des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG; VH) nicht bestünden, weil der angestrebte Schutz in Artikel 3 Absatz 1 GG bereits gewährleistet sei“ (Herv. VH). Insoweit geht der Gesetzgeber davon aus, dass das gewünschte Schutzniveau bereits erreicht ist. Ein ausdrückliches Bekennen zum Schutzniveau des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG für Fälle der Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung fehlt also gerade. 753  Zum allgemeinen Verhältnis von Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 GG allgemein Sachs (Fn.  743), 16 ff.; Heun (Fn. 697), 119; Volkmann (Fn. 712), 61 ff.; Boysen (Fn. 728), 116 ff. 754  Siehe bereits oben Fn. 752. 751  BT-Drs.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass homosexuelle Mitarbeiter kirchlicher Dienstgeber im Vergleich zu homosexuellen Mitarbeitern weltlicher Arbeitgeber in Bezug auf das Verbot praktizierter Homosexualität unterschiedlich behandelt werden. Allerdings handelt es nicht um eine von Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG erfasste Diskriminierung. Es bleibt bei einem Schutz über den allgemeinen Gleichheitssatz gem. Art. 3 Abs. 1 GG. Ob und ggf. inwieweit jedoch die Nähe des Differenzierungskriteriums der sexuellen Orientierung zu den Merkmalen des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG einen erhöhten Rechtfertigungsmaßstab begründet, ist keine Frage der Ungleichbehandlung an sich, sondern eine der Rechtfertigung und daher an entsprechender Stelle zu erörtern.755 Wurde gerade ein Vergleich zwischen kirchlicher und weltlicher Sphäre unternommen, geht es im Folgenden um eine intrakirchliche Perspektive, nämlich um die Verschiedenbehandlung von homosexuellen kirchlichen Mitarbeitern und heterosexuellen kirchlichen Mitarbeitern. Da Erstere im Falle der Auslebung ihrer Sexualität oder eines entsprechenden öffentlichen Bekenntnisses mit Sanktionen zu rechnen haben, während Letztere in denselben Fällen gerade keine Sanktionen befürchten müssen, liegt unzweifelhaft eine Ungleichbehandlung vor. Da das Differenzierungskriterium – die sexuelle Orientierung – dem der soeben diskutierten Ungleichbehandlung von kirch­ lichen und weltlichen Mitarbeitern und Arbeitnehmern identisch ist, ergibt sich aus den genannten Gründen nur eine Berührung des allgemeinen Gleichheitssatzes gem. Art. 3 Abs. 1 GG, nicht des Diskriminierungsverbots des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG. (b) Der Verstoß gegen das Sakrament der Ehe Eine zweite Kategorie pönalisierten außerdienstlichen Verhaltens bilden die Verstöße gegen das kirchliche Eherecht. Nach Ansicht der katholischen Kirche handelt es sich bei der Ehe zwischen Mann und Frau um ein unumstößliches Sakrament,756 dessen wesentliche Charakteristika die „Einheit und Unauflöslichkeit“ seien.757 Dazu gehöre dann auch, dass „die gültige und vollzogene Ehe (…) durch keine menschliche Gewalt und aus keinem Grunde, außer durch den Tod, aufgelöst werden“ könne.758 Mitarbeiter ka755  Siehe

dazu unten S. 359 ff. can. 1055 ff. CIC. 757  Can. 1056 CIC. 758  Can. 1141 CIC; eine gültige und vollzogene Ehe liegt gem. can. 1066 § 1 CIC vor, „wenn die Ehegatten auf menschliche Weise miteinander einen ehelichen Akt vollzogen haben, der aus sich heraus zur Zeugung von Nachkommenschaft geeignet ist, auf den die Ehe ihrer Natur nach hingeordnet ist und durch den die Ehegatten ein 756  Siehe



C. Der verfassungsrechtliche Schutz der Mitarbeiter207

tholischer Dienstgeber haben dies zu beachten, Verstöße können zu Kündigungen führen. Zu beachten ist hierbei, dass das Sakrament der Ehe nur die katholische Kirche, nicht die evangelische Kirche betrifft, dort also per se keine entsprechenden Loyalitätspflichten zu finden sind. Darüber hinaus sieht auch die katholische Kirche faktisch weder den Ehebruch noch die Scheidung alleine als hinreichenden Kündigungsgrund an – auch wenn es formell nach den arbeitsrechtlichen Regelungen in der katholischen Kirche möglich wäre.759 Lediglich die erneute Heirat eines Geschiedenen führt in der Praxis zu entsprechenden Kündigungen, wobei es genügt, dass der (ungeschiedene) Mitarbeiter eine bereits geschiedene Person heiratet. Dies steht jedoch konträr zum Ehegrundrecht der Mitarbeiter gem. Art. 6 Abs. 1 GG. Denn zu beachten ist, dass mit Ehe i. S. v. Art. 6 Abs. 1 GG wegen der Trennung zwischen Staat und Religion (Art. 137 Abs. 1 WRV) nur das entsprechende Institut nach staatlichem, nicht nach kirchlichem Recht gemeint ist.760 Dazu gehört auch die Freiheit, als Geschiedener erneut zu heiraten oder als nicht Geschiedener eine geschiedene Person zu heiraten.761 Auch gehört zum Individualschutz des Art. 6 Abs. 1 GG, sich – nach staatlichem Recht – scheiden zu lassen.762 Soweit Kirchen die Scheidung als kündigungsrelevanten Tatbestand ausreichend lassen, steht hier demnach Art. 6 Abs. 1 GG dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht entgegen. Der (einseitige) Ehebruch an sich ist nicht von Art. 6 Abs. 1 GG geschützt, weil er das zivilrechtliche Institut „Ehe“ zunächst nicht berührt; man kann Art. 6 Abs. 1 GG also auch vor dem Hintergrund seines Schutzauftrags nicht heranziehen, um einen die Ehe gefährdenden Ehebruch zu schützen. Der Ehebruch ist allein von der allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 Fleisch werden“; eine nicht vollzogene Ehe kann dagegen aus „einem gerechten Grund“ (can. 1142 CIC) getrennt werden. 759  Zwar wurde in dem Fall des Kirchenmusikers Schüth aus Essen (siehe BAG, NZA 2000, 208  ff.; EGMR, NVwZ 2011, 482  ff.; vgl. dazu ausführlich unten S. 288 ff.) mit der Begründung des Ehebruchs und der Bigamie gekündigt. Allerdings liegt hier wohl der Schwerpunkt auf der Bigamie, d. h. auf der Tatsache, dass der Mitarbeiter nach seiner Scheidung mit einer anderen Partnerin ein Kind zeugte. Dies legt auch der Umstand nahe, dass zwischen der Scheidung und der schlussendlichen Kündigung mehr als zwei Jahre lagen. 760  Struck, Entwicklung und Kritik des Arbeitsrechts im kirchlichen Bereich, in: NZA 1991, 249 (255 ff.); Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 7. Aufl. 2015, § 7 Rn. 56. 761  Brosius-Gersdorf (Fn. 608), 61; Steiner, Schutz von Ehe und Familie, in: Mertens / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. 4, 2011, § 108 Rn. 10. 762  BVerfGE 53, 224 (245); E 55, 134 (142); E 108, 351 (364); Kingreen, Das Grundrecht von Ehe und Familie (Art 6 Abs. 1 GG), in: JURA 1997, 401 (402); Kingreen / Poscher (Fn. 723), 753.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

GG geschützt. Etwas Anderes könnte jedoch dann gelten, wenn der betrogene Partner den Ehebruch vorher billigt,763 beide also in einer „offenen“ oder „wilden“ Ehe leben. Denn zum Recht der Ehe nach Art. 6 Abs. 1 GG gehört auch die gemeinsame Entscheidung der Eheleute über die Ausgestaltung ihres ehelichen Intimlebens.764 In solchen Fällen kollidieren kirchliche Regelungen – wie beispielsweise auch die der mormonischen Kirche765 –, die den Ehebruch als kündigungsrelevanten Tatbestand ansehen, mit der Ehefreiheit nach Art. 6 Abs. 1 GG. (3) Die religionsbezogenen Loyalitätspflichten (a) Die (negative) Freiheit der Religion (Art. 4 Abs. 1, 2 GG) Innerhalb der zweiten Gruppe, bei der Konflikte aufgrund differierender grundlegender religiöser Ansichten entstehen, geht es um die positive oder negative Religionsfreiheit der Mitarbeiter. So garantiert die negative Flanke des Art. 4 Abs. 1, 2 GG, keiner (bestimmten) Kirche angehören zu müssen.766 Wird nun die Kirchenzugehörigkeit als Einstellungsvoraussetzung vorgeschrieben, könnten einige Betroffene sich gezwungen fühlen, der Kirche beizutreten und auf die Ausübung ihrer negativen Religionsfreiheit zu verzichten. Weiterhin besteht grundsätzlich das auch von Art. 4 Abs. 1, 2 GG umfasste Recht, jederzeit und ohne zeitliche Verzögerung aus einer Kirche auszutreten (Austrittsrecht).767 Ist ein solcher Kirchenaustritt aber mit dem 763  So regelt auch can. 1152 § 1 CIC, dass das „Eheband“ zwischen zwei Eheleuten bei Ehebruch getrennt werden kann, es sei denn, der betrogene Ehepartner hat dem Ehebruch zugestimmt: „Mag es auch nachdrücklich empfohlen sein, daß ein Ehegatte, bewogen von christlicher Nächstenliebe und aus Sorge um das Wohl der Familie, dem ehebrecherischen Partner Verzeihung nicht verweigert und das eheliche Zusammenleben nicht abbricht, so hat er doch das Recht, wenn er dessen Schuld nicht ausdrücklich oder stillschweigend verziehen hat, das eheliche Zusammenleben aufzuheben, außer er hat dem Ehebruch zugestimmt oder dazu Anlaß gegeben oder auch selbst Ehebruch begangen“. 764  Uhle (Fn. 614), 26; Brosius-Gersdorf (Fn. 608), 66. 765  Siehe BAG, NZA 1998, 145 ff. = KuR 1998, 71 ff. (m. Anm. Jurina); Hammer (Fn.  587), 217 f. 766  BVerfGE 93, 1 (15 ff.); Heckel, Religionsfreiheit – eine säkulare Verfassungsgarantie, in: Schlaich (Hrsg.), Gesammelte Schriften von Martin Heckel, Bd. 4, 1997, 647 (765 ff.); Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 4 Rn. 69; von Campenhausen / de Wall (Fn. 577), 59 ff. 767  BVerfGE 30, 415 (423 ff.); von Campenhausen, Der Austritt aus den Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Listl / Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, 755 ff.; Muckel, Körperschaftsaustritt oder Kirchenaustritt?, in: JZ 2009, 174 ff.; Unruh (Fn. 717), 182 f.; Classen, Religionsrecht, 2. Aufl. 2015, Rn. 346 ff.



C. Der verfassungsrechtliche Schutz der Mitarbeiter209

Verlust eines Arbeitsplatzes verbunden, kann dies zur Nichtinanspruchnahme dieses grundrechtlich verbürgten Rechts führen; der Staat hat daher grundsätzlich dafür zu sorgen, dass das Austrittsrecht nicht (faktisch) behindert wird.768 Zur Religionsfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1, 2 GG gehört überdies die Freiheit, sich offen zu einer Religion zu bekennen und deren Lehren auszuleben und zu verbreiten, also auch Werbung für sie zu machen.769 Dies wird freilich durch den Dienstgeber beschränkt, soweit er daran mit der Kündigung seine schärfste Sanktion anknüpft. Das Gleiche gilt hinsichtlich des Tragens (fremd-)religiöser Symbole: Die Kirchen stellen auch nichtkirchliche Mitarbeiter ein, die häufig einen anderen Glauben (z. B. Islam) haben. Dass sie bei der Verrichtung ihrer Arbeit entsprechende Symbole nach außen zeigen, ist dabei ebenfalls von ihrem Menschenrecht auf Religionsfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1, 2 GG gedeckt.770 (b) D  as Verbot der Ungleichbehandlung wegen der Religion (Art. 3 Abs. 3 Var. 6 GG) Gerade weil die Sanktionen in dieser Gruppe an das religiös begründete Verhalten der Mitarbeiter anknüpfen, kommt hier auch eine Kollision mit einer möglichen staatlichen Schutzpflicht aus Art. 3 Abs. 3 Var. 6 GG in Betracht. Nach dieser Vorschrift darf niemand „wegen der Religion“ benachteiligt oder bevorzugt werden. Dass ein Fall des Art. 3 Abs. 3 Var. 6 GG vorliegt, ist dabei unproblematisch. Eine Ungleichbehandlung i. S. v. Art. 3 Abs. 1 GG dadurch begründet, dass man Mitarbeiter bei nichtkirchlichen Dienstgebern und solchen bei kirchlichen Dienstgebern in Bezug auf mögliche Kündigungsgründe (tertium comparationis)771 vergleicht. Mitarbeiter von kirchlichen Dienstgebern sind schlechter gestellt und werden im Vergleich zu Mitarbeitern weltlicher Arbeitgeber benachteiligt. Eine Verletzung des Art. 3 Abs. 3 Var. 6 GG setzt weiter voraus, dass diese Benachteiligung gerade wegen der Religion erfolgt. 768  Morlok

(Fn. 766), 168. 12, 1 (3 ff.); Morlok (Fn. 766), 84; Unruh (Fn. 717), 82; Barczak, „Zeig mir dein Gesicht, zeig mir wer du wirklich bist“ – zur religionsverfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines Burka-Verbots unter dem Grundgesetz, in: DÖV 2011, 54 ff. Zum Verhältnis von Art. 4 Abs. 1, 2 GG und Art. 5 Abs. 1 GG: Staps, Bekenntnisfreiheit – ein Unterfall der Meinungsfreiheit, 1990. 770  BVerfGE 24, 236 (246  ff.); E 91, 1 (19 ff.); E 108, 282 (297 ff.); Unruh (Fn. 717), 82, 83 ff.; Barczak (Fn. 769); Vosgerau, Freiheit des Glaubens und Systematik des Grundgesetzes, 2007, S. 93 ff.; Jeand’Heur / Korioth (Fn. 576), 77 m. w. N. 771  Vgl. BVerfGE 42, 64 (72). 769  BVerfGE

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

Bei der Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals ergeben sich kaum klare Konturen, insbesondere folgt auch die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung keinem klaren Konzept.772 In der Literatur schwankt die Begriffsbestimmung zwischen einem strikten Anknüpfungsverbot, bei dem die Religion gerade nicht Voraussetzung einer Rechtsfolge sein darf,773 einem grundsätzlichen Anknüpfungsverbot, nach dem zwar eine Anknüpfung an die in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Kriterien grundsätzlich verboten sei, jedoch in Abwägung mit den Zielen und Motiven des handelnden Staatsorgans sich etwas Anderes ergeben kann,774 einem Begründungsverbot, bei dem Art. 3 Abs. 3 GG verbiete, die Ungleichbehandlung alleine auf Grundlage der Religion zu begründen,775 und einer funktional verstandenen Auslegung, nach der der Zweck einer Regelung oder Handlung gerade nicht die Differenzierung anhand der Religion sein darf776. Welcher dieser Versuche, eine konkrete Kausalitätsbeziehung zwischen Ungleichbehandlung und Religion herzustellen,777 überzeugt, ist hier ohne Relevanz, weil zum einen eine klare Kontur des jeweiligen Vorschlags nicht zu erkennen ist,778 und weil zum Boysen (Fn. 728), 129 f. Sachs (Fn. 743), 29 ff. 774  BVerfGE 85, 191 (206): „Das (d. i. das Verbot der Anknüpfung an die in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Kriterien; VH) gilt auch dann, wenn eine Regelung nicht auf eine nach Art. 3 Abs. 3 GG verbotene Ungleichbehandlung angelegt ist, sondern in erster Linie andere Ziele verfolgt“. Diese Aussage deutet zwar zunächst auf eine Ausweitung des Verbots auch auf nicht die Ungleichbehandlung bezweckende staatliche Handlungen hin. Überwiegend wird diese Passage jedoch als Ansatz „für mögliche differenzierende Interpretationen“ (Nußberger, in: Sachs [Hrsg.], GG, 8. Aufl. 2018, Art. 3 Rn. 250) bewertet, dem es darum gehe, „das Diskriminierungsverbot im Sinne der Sicherung der Effektivität des Schutzzwecks der Norm von zu weitgehenden Relativierungsmöglichkeiten bereits im Tatbestand frei und damit genügend griffig zu halten, gleichzeitig aber eine gewisse Flexibilität des Gesetzgebers zu bewahren, die eine Berücksichtigung der Intention des Verbots gerade ermöglicht“ (Langenfeld in: Maunz / Dürig [Begr.], GG, 74. Lfg. 2015, Art. 3 Abs. 3 Rn. 25). Kritisch dazu Sachs (Fn.  743), 68 ff. 775  Insbesondere Heun (Fn. 697), 125. 776  BVerfGE 75, 40 (70) – mittlerweile aber aufgegeben, siehe BVerfGE 85, 191 (206). 777  Langenfeld (Fn. 774), 20 f.; Heun (Fn. 697), 121. 778  Im Rahmen der Diskussion zeigt sich überwiegend die gemeinsame Triebfeder, das Diskriminierungsverbot so auszulegen, dass „dem Gesetzgeber genügend Freiraum zu abwägenden und sachlich begründeten Maßnahmen“ verbleibt (Langenfeld [Fn. 774], 21). Daher werden „strikte“ (Langenfeld [Fn. 774], 21) oder „absolute“ (Nußberger [Fn. 774], 239) Deutungen – wie das generelle Anknüpfungsverbot – überwiegend mit dem Hinweis auf die „Heterogenität der einzelnen Tatbestandsmerkmale“ (Nußberger [Fn.  774], 241) oder auf das Diskriminierungsverbot als „freiheitswahrende[n] Integrations- und Identitätsschutz“ (Nußberger [Fn. 774], 245) abgelehnt. Inwieweit die abwägende Lösung jedoch tatsächlich ein überzeugender Maßstab für die Auslegung des Tatbestandsmerkmales „wegen“ ist, bleibt auch ange772  Insbesondere 773  Insbesondere



C. Der verfassungsrechtliche Schutz der Mitarbeiter211

anderen eine Ungleichbehandlung „wegen“ der Religion ohne zu erwartende Gegenstimme angenommen werden kann: Die religiöse Einstellung des Mitarbeiters ist gerade Voraussetzung für die Rechtsfolge der Kündigung, die religiösen Differenzen und die Gefahr religiöser Glaubwürdigkeit des Dienstgebers sind gerade die einzige Begründung für die entsprechende Ungleichbehandlung und auch der Zweck der Kündigungsrechtfertigung liegt ausschließlich darin, Mitarbeiter von weltlichen und kirchlichen Dienstgebern aufgrund unterschiedlicher religiöser Auffassungen und Handlungen unterschiedlich zu behandeln. (4) Konflikte aufgrund sachlicher Differenzen Zudem kann es zu Loyalitätspflichtverletzungen wegen sachlicher Differenzen kommen. Dies meint die Fälle, in denen die Spannungen zwischen Dienstgeber und Mitarbeiter nicht genuin religiöse Bezüge aufweisen, sondern eine Auseinandersetzung in dienstbezogenen sachlichen Fragestellungen stattfindet, wobei der Mitarbeiter stets Handlungen oder Äußerungen nach außen trägt, die die religiös bedingte Haltung der Dienstgeber kritisch berühren. Trotz des fehlenden genuin-religiösen Bezugs aber erscheint das Verhalten des Mitarbeiters wegen der religiösen Basis der sachlichen Haltung der Kirchen gleichwohl als Angriff auf Glaubenslehre und damit Glaubwürdigkeit der Kirchen.779 Hierbei können – je nach Verhalten oder Äußerung des Mitarbeiters – nahezu alle Grundrechte der Mitarbeiter in Betracht kommen. In der Vergangenheit kam es häufig zu kritischen Äußerungen von – meistens medizinisch tätigen – Mitarbeitern bezüglich der Abtreibungshaltung der katholischen Kirche und ihrer Einrichtungen, die eine außerordentliche Kündigung bedingten.780 Hier stand und steht dem Selbstbestimmungsrecht der sichts der sehr häufig im Dunkeln bleibenden Ausführungen unklar. So plädiert auch Langenfeld (Fn. 774), 25, für die flexible, grundsätzliche Anknüpfungsverbotslösung, ohne jedoch genau zu erwähnen, was darunter in concreto zu verstehen ist. Auch das BVerfG bleibt hier sehr unklar, vgl. das Zitat oben in Fn. 774. 779  Hammer (Fn. 587), 219. 780  Insbesondere BVerfGE 70, 138 ff.: Ein Assistenzarzt eines in katholischer Trägerschaft stehenden Krankenhauses hatte – zusammen mit 58 weiteren Ärzten aus ganz Deutschland – einen Leserbrief für die Zeitschrift „Stern“ verfasst, in dem das Abtreibungsverbot, für das die katholische Kirche stand (und steht), kritisiert wurde: „Wir wehren uns mit diesem Aufruf besonders gegen die Angriffe, die von klerikalkonservativer und standesärztlicher Seite gegen die Praxis des derzeitigen Paragraphen 218 geführt werden. So verglich Dr. Holzgartner, CSU-Funktionär und Vorstandsmitglied der bayrischen Ärztekammer, den legalen Schwangerschaftsabbruch mit den Massenmorden der Nazis in Auschwitz. Dr. Karsten Vilmar, Präsident der Bundesärztekammer, wollte sogar bestreiten, daß es in einem so reichen Staat wie der BRD eine Notwendigkeit zum Schwangerschaftsabbruch aus sozialer Notlage geben

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

Kirche das Recht des Mitarbeiters auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) gegenüber, das dem Mitarbeiter erlaubt, seine persönliche Stellungnahme entsprechend seiner geistigen Haltung unabhängig jeglicher Wertigkeit des Dafürhaltens nach außen kundzutun.781 Das Gleiche gilt für ähnliche Fälle, in denen der Mitarbeiter mit Hilfe von Tatsachenbehauptungen gegen die religiös fundierte Haltung seines Dienstgebers spricht, zumindest dann, wenn diese Tatsachenbehauptungen zur Bildung eines Werturteils geeignet sind.782 Ebenso kann es zur Vornahme von – wiederum in der Vergangenheit tatsächlich zumeist medizinischen – Therapien und Behandlungen kommen, die nach dem staatlichen Recht erlaubt, seitens der Kirche aber für unzulässig erklärt werden, wie beispielsweise die künstliche Insemination.783 Auch zählt dazu beispielsweise das bisherige kirchliche Verbot der Verabreichung der „Pille danach“ an vermeintlich schwangere Frauen, unabhängig davon, ob der vorherige Geschlechtsverkehr freiwillig oder auf Grund einer Straftat stattgefunden hat.784 Welches Grundrecht des Mitarbeiters hier betroffen ist, ist nicht ohne Weiteres zu bestimmen. Häufig wird auch für Fälle des Ver­ bots einer bestimmten Therapieform die Wissenschaftsfreiheit in Form der Therapiefreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) ins Feld geführt.785 Dies kann aber nicht könne. Wir sehen unsere Position zum Abtreibungsparagraphen 218 nicht durch die inhumanen Äußerungen des Präsidenten der Bundesärztekammer vertreten und distanzieren uns von diesen und ähnlichen Versuchen, eine notwendige und sinnvolle Entwicklung zu hemmen. Wir kennen aus eigener beruflicher Praxis die zum Teil unlösbaren Schwierigkeiten von Frauen in unserem Land, die ungewollt schwanger geworden sind“ (145 f.). 781  Vgl. BVerfGE 7, 198 (210); 61, 1 (8); 90, 241 (247); 124, 300 (320); SchulzeFielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 5 Rn. 62; Hufen (Fn. 626), § 25 Rn. 6 f. 782  BVerfGE 61, 1 (8); E 97, 391 (400); BVerfG, NJW 2003, 277 (277); Hufen (Fn. 626), § 25 Rn. 7; Depenheuer, in: Maunz / Dürig (Begr.), GG, 82. Lfg. 2018, Art. 5 Abs. 1 Rn. 48; Schulze-Fielitz (Fn. 781), 63. 783  BAG, NJW 1994, 3032 ff.; vgl. auch Däubler (Fn. 587). 784  Ausführlich dazu Schockenhoff, Sexualmoral, in: DuMont (Hrsg.), Wie kurieren wir die Kirche? – katholisch sein im 21. Jahrhundert, 2015, 73 ff. Nachdem ein Fall publik wurde, in dem Ärzte eines katholischen Krankenhauses im Erzbistum Köln einer vergewaltigten Frau die „Pille danach“ verwehrt hatten, erklärte der Erzbischof Kardinal Meisner allerdings kurz darauf, dass die Vergabe der entsprechenden Medikation unter bestimmten Umständen auch nach der katholischen Glaubenslehre zulässig sei. 785  Däubler (Fn. 587), 209; Schumann, Die Therapiefreiheit des Arztes und die Einfuhr von Blut seiner Patienten zu Zwecken der Diagnostik oder der Bearbeitung, in: Ahrens / von Bahr / Fischer / Spickhoff / Taupitz (Hrsg.), Medizin und Haftung  – Festschrift für Erwin Deutsch zum 80. Geburtstag, 2009, 511 (535); BSGE 73, 66 ff.; Tag, Der Körperverletzungstatbestand im Spannungsfeld zwischen Patientenautonomie und Lex artis, 2000, S. 223 m. w. N.



C. Der verfassungsrechtliche Schutz der Mitarbeiter213

pauschal bejaht werden. Von Art. 5 Abs. 3 GG kann nur umfasst sein, was einen Bezug zur Wissenschaft einschließlich Forschung und Lehre aufweist. Unter Wissenschaft und Forschung sind zu verstehen der „nach Inhalt und Form ernsthafte(n) und planmäßige(n) Versuch zur Ermittlung der Wahrheit, und zwar in einem methodisch geordneten Verfahren, (…) sowie die geistige Tätigkeit mit dem Ziele, in methodischer, systematischer und nachprüfbarer Weise neue Erkenntnisse zu gewinnen“.786 Mit anderen Worten: Es geht um das „Streben nach Erkenntnisgewinn“.787 Für die Zugehörigkeit der Anwendung bestimmter Therapieformen zur Wissenschaftsfreiheit spricht, dass von Art. 5 Abs. 3 GG nicht nur die Freiheit umfasst ist, das Forschungsfeld, das Forschungsprogramm oder die Forschungsmethodik zu wählen, sondern gerade auch die Forschungsergebnisse zu verbreiten und entsprechend anzuwenden.788 Da jegliche Therapieform aus einem Forschungsergebnis abzuleiten ist, könnte die Anwendung derselben von Art. 5 Abs. 3 GG umfasst sein. Dagegen kann auch nicht angeführt werden, dass durch die medizinische Behandlung möglicherweise in Rechte Dritter eingegriffen werde und daher Art. 5 Abs. 3 GG nicht berührt sei. Denn eine solche Beschränkung spielt allein auf der Schrankenebene, nicht aber auf der Schutzbereichsebene eine Rolle.789 Gegen die Eröffnung des Schutzbereichs der Wissenschaftsfreiheit spricht aber, dass die meisten Therapieformen mittlerweile zum medizinischen Standard zu zählen und als Bestandteil der lex artis medicinae zu qualifizieren sind. Die Anwendung solcher Therapien weist dann keinen Bezug zur Forschung (mehr) auf, da nicht der Erkenntnisgewinn – und damit nicht die Forschung oder Wissenschaft –, sondern die reine Genesung der Patienten im Vordergrund steht. Etwas Anderes könnte nur gelten, wenn der betroffene Patient in den Genuss der Therapie im Rahmen eines Forschungsprojekts kommt. Solange aber nur bekannte Therapieformen angewandt werden, ist die Verbindung zur Forschung gekappt. Entscheidend für einen Eingriff in die Forschungs-, Lehr- oder insgesamt Wissenschaftsfreiheit ist also, dass durch eine solche Beeinträchtigung die Vereitelung eines methodisch wie systematisch nachprüfbaren Erkenntnisgewinns bedingt ist. Dies ist in den 786  BVerfGE

35, 79 (112, 113). in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art 5 Abs. 3 Rn. 19. 788  BVerfGE 35, 79 (112 ff.); Scholz, in: Maunz / Dürig (Begr.), GG, 82. Lfg. 2018, Art. 5 Abs. 3 Rn. 110 f.; Classen, Wissenschaftsfreiheit ausserhalb der Hochschule – zur Bedeutung von Art. 5 Abs. 3 GG, 1994, S. 76 m. w. N. 789  BVerfGE 128, 1 (40); Britz (Fn. 787), 28; Fehling, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 2016, Art. 5 Rn. 294. Anders und damit für eine entsprechende Schutzbereichsbegrenzung Lerche, Verfassungsrechtliche Aspekte der Gentechnologie, in: Lukes / Scholz (Hrsg.), Rechtsfragen der Gentechnologie, 1986, 88 (90 ff.). 787  Britz,

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

hier gelagerten Fällen, in denen eine zur lex artis medicinae gehörende Therapieform wie die Abtreibung oder die künstliche Insemination verboten wird, aber gerade nicht der Fall. Folglich ist dann auch allein790 die Berufsfreiheit der betroffenen Ärzte gem. Art. 12 Abs. 1 GG betroffen.791 Denn die Berufsfreiheit erlaubt es grundsätzlich, frei zu bestimmen, wie man seinem Beruf, d. h. mit welchen Mitteln und in welcher Ausrichtung man seiner Tätigkeit nachkommt.792 cc) Zweite Stufe: kirchenrechtliche Maßnahme im Einzelfall Gemäß der binären Prüfungsstruktur der loyalitätsbedingten Sanktionen ist auf zweiter Stufe die kirchliche Reaktion auf das Missachten der auf erster Ebene abstrakt für zulässig erklärten Loyalitätspflichten zu prüfen.793 Gemeint sind hier insbesondere die Weigerung der Einstellung sowie die Kündigung oder andere nachträgliche Beeinträchtigungen. Hier geht es anders gewendet nicht mehr um das Verbot eines Verhaltens an sich, sondern um die konkreten Sanktionsreaktionen im Einzelfall, so dass auf der zweiten Stufe andere Grundrechte der Mitarbeiter berührt sind als auf der ersten. Der Hintergrund ist, dass die Sanktionen die Zulässigkeit des Vertragsinhalts, also der Loyalitätspflichten, bereits voraussetzen. Das zeigt sich insbesondere auch bei Kündigungen an § 1 KSchG, § 626 BGB, die nicht die Zulässigkeit irgendwelcher Vertragsinhalte begrenzen oder erweitern, sondern nur die Zulässigkeit der Kündigung an sich betreffen und insoweit an einen Verstoß gegen zulässige Vertragsinhalte anknüpfen.794 Insoweit schützen die Vorschriften nicht solche Grundrechtspositionen, die angesichts 790  Würde man die Eröffnung des Schutzbereichs der Wissenschaftsfreiheit bejahen, wäre auch die Eröffnung des Schutzbereichs des Art. 12 Abs. 1 GG nicht ausgeschlossen, da nach überwiegender Ansicht Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 3 GG in Idealkonkurrenz zueinander stehen, siehe nur BVerfGE 85, 360 (381); Britz (Fn. 787), 105. Angesichts der unterschiedlichen Schrankentypik beider Grundrechte und der Eingrenzung des Art. 5 Abs. 3 GG auf allein wissenschaftliche Tätigkeiten ist diese Annahme aber nicht gänzlich überzeugend. So auch – allerdings ohne Begründung – Hufen (Fn. 626), § 35 Rn. 19. 791  Siehe auch Zuck, Der Standort der besonderen Therapierichtungen im deutschen Gesundheitswesen, in: NJW 1991, 2933 (2933), der ebenfalls für die Therapiefreiheit nur Art. 12 Abs. 1 GG für die betroffenen Ärzte anführt. 792  Wieland (Fn. 596), 51; Hufen (Fn. 626), § 35 Rn. 18; Scholz (Fn. 597), 335; Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 15. Aufl. 2018, Art. 12 Rn. 9 f. 793  Siehe dazu bereits oben S. 163 ff. 794  So stellen die § 1 KSchG, § 626 BGB dem Wortlaut nach auf verschiedene Momente der Kündigungsrechtfertigung ab (Person des Mitarbeiters, Verhalten des Mitarbeiters, betriebsbedingte Gründe), gehen jedoch auf die Zulässigkeit vertrag­ licher Pflichten gar nicht ein, vgl. Junker (Fn. 582), 361 ff.



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der Loyalitätspflichten beeinträchtigt werden. Vielmehr stehen hinter diesen Normen diejenigen Grundrechte, die allgemein den Erhalt und die Ausübung des Arbeitsverhältnisses betreffen. Hierbei kommen insbesondere die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 GG) in Betracht. (1) Die Freiheit des Berufs (Art. 12 Abs. 1 GG) Das „arbeitsrechtliche Muttergrundrecht“795 des Art. 12 Abs. 1 GG schützt nicht nur die freie Wahl des Berufs, sondern darüber hinaus auch den Willen des Einzelnen, den gewählten Arbeitsplatz beizubehalten oder aufzugeben.796 Die Wahl des Arbeitsplatzes ist zweifellos eine Konkretisierung der Berufswahl, bildet sie doch die Grundlage der Umsetzung der Berufswahl und ist Voraussetzung für die Berufsausübung.797 Art. 12 Abs. 1 GG schützt mithin nicht nur das Ergreifen, sondern auch den freien Entschluss zum Behalten einer konkreten Beschäftigungsmöglichkeit innerhalb des gewählten Berufs.798 Auch wenn Art. 12 Abs. 1 GG zunächst primär den Zugang zu Arbeitsplätzen im Blick hat,799 fällt auch der Verlust unter seinen Schutzbereich, so dass das Grundrecht unabhängig vom Inhalt der konkreten Sanktion, also ob eine Nichteinstellung, Abmahnung oder Kündigung vorliegt, einschlägig ist. Dabei ist auch unproblematisch, dass alle Sanktionen nicht nur eine objektive, d. h. faktische, berufsregelnde Tendenz aufweisen, sondern eine finale und unmittelbare Berufsbeeinträchtigung darstellen.800 Allerdings ist zu sehen, dass die Berufsfreiheit nach einhelliger Meinung weder einen Anspruch auf einen bestimmten Arbeitsplatz noch eine Bestandsgarantie für den einmal gewählten Arbeitsplatz enthält.801 Das gilt erst recht für solche Eingriffe, die auf einem bestimmten Fehlverhalten des Betroffenen beruhen. Hintergrund ist, dass Art. 12 Abs. 1 GG (auch) eine besondere Ausprägung 795  Hergenröder, Das Spannungsverhältnis von Art. 12 GG und Art. 14 GG im Verhältnis zwischen Mitarbeiter und Arbeitgeber, in: Häuser (Hrsg.), Festschrift für Walther Hadding zum 70. Geburtstag am 8. Mai 2004, 2004, 81 (81); vgl. Junker (Fn. 582), 55. 796  BVerfGE 7, 377 (401); E 9, 338 (344 ff.); 84, 133 (146); Wieland (Fn. 596), 49; Körner, Diskriminierung von älteren Mitarbeitern – Abhilfe durch das AGG?, in: NZA 2008, 497 (502); Kämmerer (Fn. 598), 26. 797  BVerfGE 84, 133 (146); Richardi (Fn. 599), 59 ff. 798  BVerfGE 84, 133 (146). 799  Siehe dazu Wieland (Fn. 596), 19 f. 800  Zu dieser Kategorisierung und zur als Eingriffsschwelle einzuordnenden objektiv berufsregelnden Tendenz insbesondere Kämmerer (Fn. 598), 46; Mann (Fn. 596), 94 ff.; Wieland (Fn. 596), 71. 801  BVerfGE 84, 133 (146); Richardi (Fn. 599), 61.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

der allgemeinen Privatautonomie darstellt und insoweit auch die selbstständige Ordnung des Arbeitslebens beinhaltet.802, 803 Das bedeutet aber freilich auch, dass die Schutzrichtung der Berufsfreiheit des Mitarbeiters zugleich auch immer die Schutzrichtung der Berufsfreiheit des Dienstgebers berührt; es liegt stets eine binäre Grundrechtsausübung vor.804 Aufgrund dieses Primats eigenständiger Ordnung und der Subsidiarität staatlicher Regelung ist Art. 12 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht imstande, den Verlust oder Nichterhalt eines Arbeitsplatzes abzuwenden, sofern beide in der (absehbaren) Missachtung eines zulässigen Vertragsinhalts begründet sind. Mit anderen Worten: Auf der hier liegenden zweiten Stufe, für deren Betreten gerade die Zulässigkeit des missachteten Vertragsinhalts Voraussetzung ist, entfaltet die Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG nur die Vorsorge einer unzumutbaren und die Interessen des Mitarbeiters besonders missachtenden Behandlung.805 Dass der Arbeitsplatz an sich in Gefahr oder nicht in Aussicht steht, ist wegen der privatautonomen Ordnung des Berufslebens kein gewichtiges Faktum, sondern wird gerade auch von Art. 12 Abs. 1 GG respektiert. Solche Unzumutbarkeiten können sich dabei insbesondere aus den Begleitumständen ergeben, die je nach Sanktion die Eingriffsintensität und dadurch die Rechtfertigungsanforderungen modifizieren können. Dies ändert allerdings allenfalls den Maßstab der Rechtfertigung, nicht das Vorliegen eines Eingriffs und ist daher erst an entsprechender Stelle zu thematisieren.806 (2) Das allgemeine Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) Auch der Einzelakt, die Reaktion auf den Loyalitätsbruch im Einzelfall kann ein gleichheitsrechtliches Problem werden. Voraussetzung dafür ist im Sinne einer Ungleichbehandlung, dass loyalitätsbrechende Mitarbeiter unterschiedlich behandelt werden. Ein Verstoß gegen Art. 3 GG setzt auf dieser Prüfungsstufe voraus, dass zwei Mitarbeiter, die beide eine Loyalitätspflicht missachtet und dem Kirchenrecht gemäß dieselbe Sanktion zu erwarten haben, nicht in entsprechender Weise vom kirchlichen Dienstgeber behandelt werden, etwa weil dem Einen gekündigt wird, dem Anderen hingegen nicht. Entscheidend ist dabei zudem, dass der Grund für die unterschiedliche Sanktionierungspraxis nicht in dem Inhalt der Loyalitätspflicht selbst begründet ist, etwa weil der kirchliche Gesetzgeber entsprechende Abstufungen vorge802  BVerfGE 33, 171 (191); E 116, 202 (221); Hillgruber (Fn. 598), 262; Kämmerer (Fn. 598), 44; anders Manssen, Privatrechtsgestaltung durch Hoheitsakt, 1994, S.  183 ff., und Murswiek / Rixen (Fn. 598), 55a. 803  Siehe dazu auch bereits oben S. 166 ff. 804  BVerfGE 81, 242 (254); Richardi (Fn. 599), 60. 805  Vgl. BVerfGE 84, 133 (147); Richardi (Fn. 599), 61. 806  Siehe dazu ausführlich unten S. 382 ff.



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nommen hat.807 In diesem Fall läge das gleichheitsrechtliche Problem bereits auf der ersten Stufe – die Prüfung der abstrakten Wirksamkeit der Loyalitätspflichten. Dem Grunde nach ist in den gleichheitswidrigen Fällen loyalitätsbedingter Sanktionierung nur der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG betroffen. Für die Einschlägigkeit eines besonderen Diskriminierungsverbots (Art. 3 Abs. 2, 3 GG) bedarf es einer Ungleichbehandlung wegen eines der besonderen Merkmale. Unabhängig davon, was genau unter diesem Tatbestandsmerkmal zu verstehen ist,808 wird es in den seltensten Fällen vorliegen, ergibt sich eine entsprechende Ungleichbehandlung doch nahezu ausschließlich nicht aus Gründen der Religion809, des Geschlechts oder einer Behinderung, sondern aus konkret-individuellen Besonderheiten des betroffenen Mitarbeiters. Vorstellbar ist allerdings eine unterschiedliche Sanktionierungspraxis insbesondere aufgrund des – ebenfalls in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG genannten Merkmals des – Alters, wenn beispielsweise einem Mitarbeiter anders als seinem Kollegen gekündigt wird, weil er kurz vor der Rente steht. Das staatliche (Arbeits-)Gericht hat in Fällen loyalitätsbedingter Sanktionierung also aus Gründen der Schutzpflicht aus Art. 3 GG die Pflicht darauf zu achten, dass hinsichtlich der Sanktionierung im Einzelfall die Mitarbeiter gleich behandelt werden. Davon zu unterscheiden – und hier zu vernachlässigen – ist dabei der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz, der zwar ebenfalls den Arbeitgeber dazu verpflichtet, seine Mitarbeiter im Wesentlichen gleich zu behandeln, sich aber nicht aus Art. 3 Abs. 1 GG, sondern aus dem Gewohnheitsrecht ergibt und insoweit unterhalb der Stufe des einfachen Rechts rangiert.810 Bei einer verfassungsrechtlichen Bewertung spielt er mithin keine Rolle.811

807  So hat das BAG dem EuGH mit Beschluss vom 28.07.2016, 2 AZR 746 / 14 (A), die Frage vorgelegt, inwieweit es zulässig sei, einem katholischen Mitarbeiter wegen Wiederverheiratung zu kündigen, während einem evangelischen Mitarbeiter in derselben Einrichtung gegenüber wegen Wiederverheiratung keine entsprechende Sanktionierung erfolgt ist. Dies ist eine Differenzierung, die bereits in der Loyalitätspflicht selbst angelegt ist (Abstufung zwischen katholisch und nichtkatholisch, aber christlich). 808  Allgemein dazu Heun (Fn. 697), 120 ff. 809  In diesem Fall ist besonders darauf zu achten, dass eine Ungleichbehandlung wegen der Religion zumeist im Inhalt der Loyalitätspflicht angelegt und damit auf erster Prüfungsstruktur zu beachten ist. Auf zweiter Stufe ist eine Ungleichbehandlung wegen der Religion nur denkbar, wenn etwa zwei Mitarbeiter derselben Religion unterschiedlich behandelt werden, weil der eine „religiöser“ ist als der andere. 810  Dazu insbesondere Fischinger, Gleichbehandlungsgrundsatz als Rechtsprinzip des Arbeitsverhältnisses, in: Kiel / Lunk / Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 2, 4. Aufl. 2018, § 14; Wiedemann, Die Gleichbehandlungsgebote

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b) Der „Dritte Weg“ – Ausschluss des Streikrechts Die zweite Säule und zugleich eine der beiden kollektivrechtlichen Modifikationen des kirchenspezifischen Arbeitsrechts betrifft das Arbeitsrechtsregelungsverfahren und sieht die Einführung des „Dritten Wegs“ vor, der unter Ausschluss von Arbeitskämpfen Arbeitsrechtsregelungen im Wege paritätisch besetzter Kommissionen entstehen lassen will.812 Im Rahmen der Diskussion bilden folgerichtig auch diese beiden Modifikationen – Ausschluss des Tarifvertragssystems und Streikverbot – das Zentrum des verfassungsrechtlichen Diskurses, der sich ausschließlich um das Grundrecht der Koalitionsfreiheit gem. Art. 9 Abs. 3 GG dreht (aa)), wobei jedoch auch hier der Vollständigkeit wegen gleichheitsrechtliche Fragen angesprochen werden sollen (bb)). aa) Die individuelle und kollektive Freiheit der Koalitionsbetätigung (Art. 9 Abs. 3 GG) Der kirchenrechtliche Ausschluss des Streikrechts sowie die kirchenrechtliche Ersetzung des Tarifvertragssystems durch das Kommissionssystem wird einhellig als Beschränkung des Grundrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG sowohl hinsichtlich der individuellen als auch hinsichtlich der kollektiven Dimension gesehen.813 Während die Betroffenheit der Grundrechtsträger unproblematisch ist – es ist unstreitig, dass Art. 9 Abs. 3 GG nicht nur individuell den Einzelnen, sondern auch das Kollektiv, d. h. die Koalition in ihrer Betätigung

im Arbeitsrecht, 2001, S. 8 ff.; früh schon Raiser, Der Gleichheitsgrundsatz im Privatrecht, in: ZHR 111 (1948), 75 ff. 811  Zwar wird teilweise behauptet, der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz sei eine Umsetzung des Inhalts des Art. 3 Abs. 1 GG (so BAG 17.11.1998 AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 162). Dies ändert jedoch nichts an dem Umstand, dass er selbst nicht zum verfassungsrechtlichen Maßstab zählt, sondern als gewohnheitsrechtliche Ausprägung zu gelten hat. 812  Siehe zur konkreten Ausgestaltung in den jeweiligen Kirchen ausführlich oben S.  51 ff. 813  Siehe nur BAG, NZA 2013, 448 ff.; BAG, NZA 2013, 437 ff.; LAG Hamm, NZA-RR 2011, 185 ff.; Grzeszick, Das Urteil des BAG zum Streikverbot in Kirchen auf dem Prüfstand des Verfassungs- und Europarechts, in: NZA 2013, 1377 (1378 ff.); Schubert, Rechtmäßigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen gegen kirchliche Einrichtungen auf dem sog. Zweiten Weg, in: RdA 2011, 270 (272 ff.); Rehm, Streikrecht in der Kirche – Vereinbarkeit mit dem Dritten Weg, in: NZA 2011, 1211 (1212 ff.); Reichold, Neues zum Streikrecht in diakonischen Einrichtungen, in: ZevKR 57 (2012), 57 (62 ff.); Richardi (Fn. 578), § 9, § 10; ders., Das BAG zur Streikfreiheit in kirchlichen Einrichtungen, in: RdA 2014, 42 (44 ff.); Hammer (Fn. 587), 272 ff.; Robbers, Streikrecht in der Kirche, 2010, S. 61 ff.; Greiner, Rechtsfragen der Koalitions-, Tarif- und Arbeitskampfpluralität, 2010, S. 140.



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schützt814 –, bedarf die sachliche Dimension des Schutzbereichseingriffs einer genaueren Untersuchung und Begutachtung. Denn an einer hinreichenden Herleitung und Begründung dieser These mangelt es häufig. Selbst in der Rechtsprechung wird meist nur kurz festgehalten, der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG umfasse auch die Tarifautonomie und das Streikrecht und sei daher durch den kirchlichen „Dritten Weg“ beschränkt.815 Auch wenn dem Ergebnis zuzustimmen ist, kann die insofern implizierte Offenkundigkeit und Zweifellosigkeit dieser These auf den ersten Blick nicht nachvollzogen werden. Hintergrund ist, dass die in Art. 9 Abs. 3 GG verankerte Koalitionsfreiheit insofern kein „gewöhnliches“ Grundrecht ist, als sie sowohl systemunabhängig als auch normgeprägt ist und dies gerade Einfluss auf die Wirkungsweise der Koalitionsfreiheit haben kann.816

814  Umstritten ist dabei bekanntermaßen, ob der Schutz der korporativen Koalitionsfreiheit über Art. 19 Abs. 3 GG erfolge oder über das Recht aus Art. 9 Abs. 3 selbst, das insoweit ein „Doppelgrundrecht“ darstelle. Für die herrschende Ansicht zugunsten des Doppelgrundrechts BVerfGE 94, 268 (282); E 100, 214 (221); E 103, 293 (304); BAGE 20, 175 (219); Jarass, in: ders. / Pieroth (Hrsg.), GG, 15. Aufl. 2018, Art. 9 Rn. 43 f.; Rixen, in: Stern / Becker (Hrsg.), GG, 3. Aufl. 2018, Art. 9 Rn. 30; für die – aufgrund der dogmatischen Stringenz überzeugende – Lösung über Art. 19 Abs. 3 GG siehe Höfling, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 9 Rn. 69 f.; Scholz, Koalitionsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 8, 3. Aufl. 2010, § 175 Rn. 100; dagegen für ein „Scheinproblem“ argumentierend, da die kollektive Koalitionsfreiheit sich stets aus der „Summe“ der individuellen Koalitionsfreiheiten ergebe Kemper, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 9 Rn. 138 ff. 815  Vgl. insbesondere BAG, NZA 2013, 448 (462): „Ein Ausschluss von Arbeitskampfmaßnahmen in diakonischen Einrichtungen kollidiert mit der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Koalitionsfreiheit einer Gewerkschaft, mit dem Arbeitgeber die Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder kollektiv im Wege von Tarifverträgen auszuhandeln und hierfür Arbeitskämpfe zu führen. (…) Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet nicht nur die Bildung und den Bestand einer Mitarbeiterkoalition, sondern auch deren koalitionsmäßige Betätigung. Der Schutzbereich dieses Grundrechts ist dabei nicht von vornherein auf einen Kernbereich koalitionsmäßiger Betätigungen beschränkt, die für die Sicherung des Bestands der Koalitionen unerlässlich sind, er erstreckt sich vielmehr auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen (…). Dazu gehört auch die Tarifautonomie als das Recht, Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen mit der Arbeitgeberseite auszuhandeln und durch Verträge verbindlich für die Mitglieder zu regeln. Die Regelung der Arbeitsbedingungen in Kollektivverträgen dient der Verwirklichung der Interessen der strukturell unterlegenen Mitarbeiter. Eine wirkungsvolle Interessendurchsetzung ist den Gewerkschaften nur möglich, wenn sie ihren Forderungen durch Streiks Nachdruck verleihen können. Der Arbeitskampf ist deshalb funktional auf die Tarifautonomie bezogen und insoweit grundrechtlich geschützt“; ebenso kurz LAG Hamm, NZA-RR 2011, 185 (190). 816  Damit ist jedoch nicht ausgesagt, eine dogmatisch saubere Herleitung, Kategorisierung und Anwendung führten zu anderen Ergebnissen als in Rechtsprechung und Literatur. Allerdings kann gleichzeitig nicht ausgeschlossen werden, dass es Fälle

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Ausgangspunkt der Überlegungen ist, dass die Vorschrift des Art. 9 Abs. 3 GG ausdrücklich kein bestimmtes System der Arbeitsrechtsregelung vorschreibt und insofern systemunabhängig ist. Man kann noch nicht einmal überzeugend behaupten, die Koalitionsfreiheit setze ausschließlich an der freien Marktwirtschaft orientierte Koalitionssysteme voraus.817 Art. 9 Abs. 3 GG spricht vielmehr alleine von Vereinigungen mit dem Ziel der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen und gibt damit nur ein Ziel, nicht aber ein Mittel vor, so dass das Tarifsystem nur als eine Möglichkeit unter vielen Systemvarianten verbleibt. Daher ist bei der Auslegung und Anwendung des Art. 9 Abs. 3 GG zu sehen, dass es – zumindest unmittelbar – keinen verfassungsmäßigen Anspruch auf das Tarifvertragssystem geben kann. Auch ein „Grundrecht auf Streik“ kann es demnach unmittelbar nicht geben, zumal „die sinnvolle Ordnung und Befriedigung des Arbeitslebens auf verschiedenen Wegen angestrebt werden“ können.818 Folglich ist es nicht Zweck der Koalitionsfreiheit, ein konkretes Koalitionssystem zu verabsolutieren. Es ist zwar insgesamt anerkannt, dass Art. 9 Abs. 3 GG trotz seines Wortlauts, der ausdrücklich nur von dem Recht auf Bildung einer Koalition spricht, auch alle Formen der koalitionsgemäßen Betätigung erfasst.819 Folglich werden nicht nur Tarifvertragsabschlüsse – quasi als „Schwerpunkt funktionstypischer Koalitionsbetätigung“820 –, sondern auch Arbeitskampfmaßnahmen als notwendiges Korrektiv bestehender sozialer Ungleichgewichtungen821 ebenfalls als Moment der Koalitionsfreiheit deklariert.822 Das gibt, in denen die oberflächliche Handhabe zu widersprüchlichen und nur schwer begründbaren Ergebnissen führen kann. 817  Dazu insbesondere Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, 1983, S. 121; siehe auch Schwegler, Paritätische Mitbestimmung und Koalitionsfreiheit, in: AuR 1975, 27 (32 ff.); Di Fabio (Fn. 670), 76 ff. 818  BVerfGE 50, 290 (371); Unruh (Fn. 717), 201  ff.; Richardi (Fn. 578), § 10 Rn.  5 ff. 819  BVerfGE 57, 220 (246); BVerfG, NZA 1991, 809 ff.; BVerfG (K), NJW 2007, 1672 L; BVerfG, NZA 2014, 493 ff.; Bauer, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 9 Rn. 81 f.; Scholz, in: Maunz / Dürig (Begr.), GG, 81. Lfg. 2017, Art. 9 Rn.  168 ff.; Hufen (Fn. 626), § 37 Rn. 10; Linsenmaier, in: Müller-Glöge / Preis / Schmidt (Hrsg.), Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 18. Aufl. 2018, Art. 9 GG Rn. 39. 820  Bauer (Fn. 819), 83. 821  Dazu bereits oben S. 52 ff. 822  Zum Abschluss von Tarifverträgen als Bestandteil der Koalitionsfreiheit: Scholz (Fn. 819), 165 ff.; BVerfG, NJW 1982, 815 ff.; BVerfG, NJW 1999, 3033 (3034); Höfling, (Fn. 814), Rn. 87 ff.; Dieterich, Tarifautonomie und Bundesverfassungsgericht, in: AuR 2001, 390 ff.; Engel, Garantie der Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG), in: Henssler / Moll / Bepler (Hrsg.), Der Tarifvertrag, 2. Aufl. 2016, 1 ff.; Picker, Die Tarifautonomie in der deutschen Arbeitsverfassung, in: Walter-Raymond-Stiftung (Hrsg.), Tarifautonomie – Informationsgesellschaft – globale Wirtschaft, Bd. 37, 1997, 113 ff.; zu Arbeitskampfmaßnahmen als Koalitionsfreiheitsmoment: BVerfGE 88, 103 (114);



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hat aber keinesfalls zur Folge, dass Tarifvertrag und Arbeitskampf automatisch als notwendige Bestandteile eines jeden Arbeitsrechtsregelungssystems installiert werden müssen. Vielmehr sind sie zunächst nur insoweit verfassungsrechtlich geschützt, als das Tarifvertragssystem auch entweder tatsächlich im betroffenen Bereich gilt oder in rechtlich unzulässiger Weise keine Anwendung findet. In Bereichen, in denen die Nichtanwendung zumindest grundsätzlich zulässig ist – etwa teilweise im Bereich von Presse und Rundfunk823 –, können diese Institutionen nicht oder zumindest nicht ohne Weiteres auf Grundlage des Art. 9 Abs. 3 GG gefordert werden. Daraus folgt, dass die Koalitionsfreiheit zumindest nicht pauschal berührt sein kann, nur weil mit der kirchlichen Arbeitsrechtsregelungsvariante etwa das Tarifvertragssystem als ein bestimmtes, historisch gewachsenes „weltliches“ Koalitionssystem im kirchlichen Bereich nicht übernommen worden ist.824 Die Betroffenheit der Koalitionsfreiheit ergibt sich in solchen Fällen, in denen es nicht um systeminterne, sondern systemübergreifende Fragen geht, allerdings aus einer anderen Begründungsschiene: Aus der Systemunabhängigkeit der Koalitionsfreiheit folgt nämlich, dass es – will die Koalitionsfreiheit nicht ohne Inhalt sein – einen oder mehrere bestimmte Akteure geben muss, die Art. 9 Abs. 3 GG den erforderlichen Inhalt verschaffen. Insofern hat die Verfassung die Koalitionsfreiheit notwendig zu einem normgeprägten Grundrecht werden lassen, das die entsprechende Ausgestaltungskompetenz insbesondere aufgrund der „überragende[n] Bedeutung der Koalition für die Sozial- und Wirtschaftsordnung“825 zunächst der staatlichen Gewalt überlässt.826 Die Koalitionsfreiheit ist mithin als ausgestaltungsbedürftiges BVerfG, NZA 1991, 809 ff.; Hufen (Fn. 626), § 37 Rn. 13; Waas, in: Rolfs / Giesen /  Kreikebohm / Udsching (Hrsg.), Beck-OK ArbR, Stand: September 2018, Art. 9 GG Rn. 21. 823  Zum System des Streikrechts in Presse und Rundfunk siehe Hensche / Nitsche, Streik in Sonderbereichen, in: Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, 4. Aufl. 2018, § 18 Rn.  106 ff. 824  Zur historischen Entwicklung des Tarifvertragssystems siehe nur Löwer, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 9 Rn. 66 ff.; Scholz (Fn.  814), 2 ff. m. w. N. 825  BVerfGE 28, 295 (306); E 50, 290 (368); Scholz (Fn. 814), 17; Höfling (Fn.  814), 80 ff.; Bauer (Fn. 819), 91; Maschmann, Tarifautonomie im Zugriff des Gesetzgebers, 2007, S. 29 ff.; Epping (Fn. 596), 905 f.; Hufen (Fn. 626), § 37 Rn. 19; Michael / Morlok (Fn. 618), 44; Richardi (Fn. 813), § 9 Rn. 29 ff.; Pahlke (Fn. 817), 122 ff. Siehe auch Kemper (Fn. 814), der die Normgeprägtheit ausschließlich mit der Eigenschaft der Koalitionsfreiheit als Einrichtungsgarantie begründet. 826  BVerfGE 50, 290 (368): „…bedarf die Koalitionsfreiheit von vornherein der gesetzlichen Ausgestaltung. Diese besteht nicht nur in der Schaffung der Rechtsinstitute und Normenkomplexe, die erforderlich sind, um die grundrechtlich garantierten Freiheiten ausüben zu können. Die Bedeutung und Vielzahl der von der Tätigkeit der Koalitionen berührten Belange namentlich im Bereich der Wirtschaftsordnung und

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

Grundrecht notwendig entwicklungs-, innovations- und anpassungsoffen.827 Allerdings kann sie, will sie nicht ins Leere laufen, diese Ausgestaltungsfreiheit nicht grenzenlos gewährleisten. Insofern muss Art. 9 Abs. 3 GG auch bestimmte Systemvorgaben enthalten, die in jedem Koalitionssystem erfüllt sein müssen. Jede Ausgestaltung des Koalitionssystems wird – wie im Rahmen von Art. 6 Abs. 1 GG828 – durch einen unabänderlichen Kernbereich beschränkt. Damit umfasst Art. 9 Abs. 3 GG „zwei“ Schutzrichtungen: Einmal schützt die Koalitionsfreiheit diejenigen Betätigungen vor Beeinträchtigungen, die von der staatlichen Gewalt konstituiert wurden und systemintern gewährleistet sind, etwa das Streikrecht. In ihrer zweiten Schutzdimension entscheidet die Koalitionsfreiheit darüber, ob eine bestimmte Koalitionssystemgestaltung zulässig ist oder nicht. Während es also im ersten Fall um „klassische“ Eingriffe geht – dem Gewerkschaftsmitglied wird etwa der Zutritt zur Werkstätte verweigert –, geht es im letzteren Falle um die Zulässigkeit einer Ausgestaltung, wie etwa die allgemeine Regelung eines Betretungsverbots von Gewerkschaftsmitgliedern. Ob im Falle des kirchlichen Arbeitsrechtsregelungssystems allerdings ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff oder aber eine zu überprüfende Ausgestaltung einschlägig ist, bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, weil sich diese Differenzierung nicht auf die Betroffenheit, sondern vielmehr auf den weiter anzuwendenden (Rechtfertigungs-)Maßstab der Koalitionsfreiheit auswirkt, auf den es erst im Rahmen der Konflikt­ lösung ankommt.829 Gleichwohl ist der Rechtsprechung entgegenzuhalten, dass insbesondere wegen der Systemunabhängigkeit der Koalitionsfreiheit die Eröffnung ihres Schutzbereichs nicht alleine damit zu begründen ist, dass Art. 9 Abs. 3 GG Tarifvertragssystem und Arbeitskampffreiheit absolut schütze. Vielmehr muss darauf eingegangen werden, dass die Koalitionsfreiheit daneben auch unzulässige Ausgestaltungen verhindert, und insoweit eine binäre Struktur aufweist. Ohne diese Differenzierung erscheint die Rechtsprechung mithin als zu oberflächlich.

Sozialordnung machen vielmehr vielfältige gesetzliche Regelungen notwendig, die der Koalitionsfreiheit auch Schranken ziehen können; dies um so mehr, als der Gegenstand der Gewährleistung auf sich wandelnde wirtschaftliche und soziale Bedingungen bezogen ist, die mehr als bei anderen Freiheitsrechten die Möglichkeit zu Modifikationen und Fortentwicklungen lassen müssen“; Epping (Fn. 596), 905; Bauer (Fn. 819), 91; Höfling (Fn. 814), 124. 827  So insbesondere Scholz (Fn. 814), 17 m. w. N. 828  Zu Art. 6 Abs. 1 GG oben S. 171 ff. 829  Siehe dazu ausführlich unten S. 402 ff.



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bb) Das allgemeine Gleichheitsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) Darüber hinaus ergibt sich nicht nur bei den Loyalitätspflichten, sondern auch auf der Ebene des Koalitionssystems ein gleichheitsrechtliches Pro­ blem. Denn indem in der katholischen und in den meisten evangelischen Landeskirchen das Tarifvertragssystem durch das eigene Koalitionssystem ersetzt und zudem in allen katholischen wie evangelischen Kirchen das Streikverbot gilt, werden kirchliche Mitarbeiter anders behandelt als welt­ liche Mitarbeiter. Es wurde dabei bereits gezeigt, dass sich die Schutzpflicht aus Art. 3 Abs. 1 GG830 auch im Verhältnis zwischen kirchlichen und welt­ lichen Mitarbeitern entfaltet und den kirchlichen Mitarbeitern Schutz vor übermäßiger Ungleichbehandlung gewähren kann.831 c) Das kircheneigene Mitarbeitervertretungssystem Anders als bei den ersten beiden Säulen spielt das kircheneigene Mitarbeitervertretungssystem ein Schattendasein in juristischer Rechtsprechung und Literatur.832 Hintergrund ist dabei zunächst nicht die nahezu einhellige Akzeptanz des kirchlichen Mitarbeitervertretungssystems,833 sondern vielmehr zunächst der Umstand, dass die Kirchen die Grundausrichtung des weltlichen Betriebsverfassungssystems nicht gänzlich ablehnen, sondern nur modifizieren. Dabei kommt es in nur wenigen Bereichen zu beachtenswerten Unterschieden zwischen dem kirchlichen und dem weltlichen System, die sich dabei insbesondere auf die Frage des Beteiligungsumfangs des Betriebsrats beziehen. Im Bereich der kirchlichen Mitarbeitervertretung ist die maßgeb­ liche verfassungsrechtliche Frage, inwieweit die Kirchen vom weltlichen Standard negativ abweichen dürfen.834 Dabei ergibt sich allerdings das Problem, dass das Mitarbeitervertretungsrecht allgemein und daher auch im kirchlichen Bereich insoweit in eine ver830  Zur

Begründung und Ausgestaltung der Schutzpflicht siehe oben S. 191 ff. dazu bereits S. 191 ff. 832  So auch Joussen, Grundlagen, Entwicklungen und Perspektiven des kollektiven Arbeitsrechts der Kirchen, in: Kämper / Thönnes (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 46 (2012), 53 (58), der von „Oase der Ruhe im kirchlichen kollektiven Arbeitsrecht“ spricht. 833  Dazu ausführlich unten S. 479 ff. 834  BVerfGE 46, 73 (95): „Im vorliegenden Fall geht es (…) nicht um eine Meinungsverschiedenheit über das Ob einer betrieblichen Mitbestimmung der Mitarbeiter, sondern nur um eine Meinungsverschiedenheit über das Wie dieser Mitbestimmung“; Richardi, AR-Blattei „Kirchenbedienstete“, Entscheidung 13; vgl. dazu auch Schwerdtner, Kirchenautonomie und Betriebsverfassung, in: AuR 1979, Sonderheft: Kirche und Arbeitsrecht, 21 (27). 831  Vgl.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

fassungsrechtliche Grauzone eingebettet ist, als eine exakte verfassungsrechtliche Grundlage für das Mitbestimmungsrecht der Mitarbeiter nur schwer auszumachen ist. Das liegt insbesondere daran, dass für die Betriebsverfassung und die Mitbestimmung kein eigenes, gesondertes Grundrecht auszumachen ist wie etwa Art. 8 GG für Versammlungen oder Art. 9 Abs. 3 GG für Koalitionen. Daher muss versucht werden, den betriebsverfassungsrechtlichen Tatbestand anderweitig grundrechtlichen Schutzbereichen zuzuordnen, die sich nicht auf die Betriebsverfassung an sich konzentrieren. In Betracht kommen dabei die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG; aa)), die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG; bb)) sowie Überlegungen zu den selbstbestimmungsaffinen Grundrechten und zum Sozialstaatsprinzip (cc)). Überdies bleibt wie immer eine gleichheitsrechtliche Überprüfung nach dem allgemeinen Gleichheitsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG; dd)). aa) Die Freiheit des Berufs (Art. 12 Abs. 1 GG) Auch wenn das Bundesverfassungsgericht die Frage nach dem verfassungsrechtlichen Rahmen der Mitbestimmung in Unternehmen und Einrichtungen aus dem Blickwinkel des Mitarbeiters im Personalvertretungsrecht nur kurz und im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sogar ausschließlich aus dem Blickwinkel der Dienstgeber behandelt hat,835 ist in seinen Ausführungen zumindest ein kurzer Hinweis auf eine mitarbeiterbezogene Sichtweise enthalten. So konstatiert das Gericht, dass das Unternehmen durch die Mitarbeitermitbestimmung in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG berührt sei, weil es nunmehr die Freiheit nur zusammen mit den Mitarbeitern wahrnehmen könne, „die ebenfalls Träger des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG sind“.836 Weitergehende Hinweise und vor allem Erläuterungen des Gerichts finden sich jedoch nicht. Klar ist somit nur, dass das Bundesverfassungsgericht die betriebliche Mitbestimmung der Mitarbeiter durch die Berufsfreiheit als grundrechtsrelevant ansieht und insoweit die Mitbestimmung als Ergebnis einer Abwägung zwischen den Interessen der Mitarbeiter und des Dienstgebers wertet.837 Dagegen wird zwar häufig angeführt, erst die 835  Für das Personalvertretungsrecht insbesondere BVerfGE 28, 314  ff.; E 51, 43 ff.; E 51, 77 ff.; für das Betriebsverfassungsrecht hingegen insbesondere BVerfGE 50, 293 ff.; E 93, 37 ff.; BVerfG, NJW 1986, 1601 ff.; vgl. auch Clodius, Die Bedeutung der Grundrechte im Betriebsverfassungsgesetz unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 2004, S. 22 f., 36. 836  BVerfGE 50, 296 (365); ebenso in BVerfG, NJW 1986, 1601 (1601); vgl. Clodius (Fn. 835), 35. 837  Die Abwägung deutlich machend insbesondere BVerfG, AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG 1972 Auszahlung: „…wenn sowohl Belange des Betriebes als der Mitarbeiter ausreichend berücksichtigt wurden“. Dem zustimmend Clodius (Fn. 835), 35 ff.



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arbeitsvertragliche Verpflichtung ermögliche dem Mitarbeiter die berufliche Ausübung, weswegen sie auch dann nicht dieselbe beschränken könne.838 Eine solche Sichtweise kann dabei allerdings bereits deshalb nicht überzeugen, weil der Umfang der Berufsausübungsfreiheit nicht vom Arbeitsvertrag bestimmt wird. Der Vertrag schafft zwar durch die Begründung des Arbeitsverhältnisses die Voraussetzungen für die Geltung der Berufsausübungsfreiheit, er gestaltet aber gleichwohl nicht ihren Schutzbereich aus.839 Gänzlich überzeugend ist die pauschale Festsetzung des BVerfG dennoch zumindest für den hier gelagerten Fall des kirchlichen Mitbestimmungssystems nicht. Denn zwar schützt die Berufsfreiheit auch die Berufsausübung, also die „Gesamtheit der mit der Berufstätigkeit, ihrem Ort …, ihren Inhalten …, ihrem Umfang, ihrer Dauer, ihrer äußeren Erscheinungsform, ihren Verfahrensweisen und ihren Instrumenten zusammenhängenden Modalitäten der beruflichen Tätigkeit“.840 Diese ist aber keinesfalls durch sämtliche betriebsverfassungsrechtliche Felder berührt. So ist ein Mitarbeiter nicht deshalb in seiner freien Berufsausübung beschränkt, weil er nicht darüber mitent­ scheiden darf, welchem Kollegen gekündigt wird oder welcher Bewerber neu eingestellt wird. Auch eine fehlende Mitbestimmung bei wirtschaftlichen Fragestellungen vermag die Berufsausübungsfreiheit der Mitarbeiter nicht zu berühren, wenn diese von den Wirkungen und Folgen der Entscheidung gar nicht betroffen sind. Die Berufsfreiheit der Mitarbeiter kann daher von vorne­herein nur in solchen Fragen eine Stütze für das Recht auf betriebliche Mitbestimmung sein, die sich tatsächlich den Berufsausübungsmodalitäten widmen, etwa bei der Bestimmung der Arbeits- oder Urlaubszeiten, und damit den betroffenen Mitarbeiter auch inhaltlich betreffen. In den anderen Bereichen ist jedoch die Berufsausübungsfreiheit nicht berührt. Bei dem grundrechtlichen Schutz der Mitarbeitervertretung handelt es sich nicht um die Bewertung eines staatlichen Eingriffs im abwehrrechtlichen Sinne, sondern es geht um den Schutz der Freiheit der Berufsausübung als ein individualrechtliches Begehren, das nicht nur auf die Mitbestimmung an sich, also auf das „Ob“ der Mitbestimmung, sondern auf eine bestimmte Form und Ausprägung der Mitbestimmung und damit auf das „Wie“ der Mitbestim838  So insbesondere Loritz, Sinn und Aufgabe der Mitbestimmung heute, in: ZfA 1991, 1 (15 ff.); Kraft, Betriebliche Mitbestimmung und unternehmerische Entscheidungsfreiheit in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, in: Löwisch (Hrsg.), Beiträge zum Handels- und Wirtschaftsrecht – Festschrift für Fritz Rittner zum 70. Geburtstag, 1991, 285 (297). 839  Vgl. überdies dazu Clodius (Fn. 835), 27, 36, die damit argumentiert, dass ansonsten sämtliche Arbeitsschutzregelungen überflüssig seien. Dieses Argument ist freilich nur beschränkt überzeugend, weil es gerade keine Antwort auf die Frage liefert, ob es überhaupt Schutzregelungen bedarf. 840  Mann (Fn. 596), 79 m. w. N.; siehe auch BVerfGE 86, 28 (39 ff.); E 87, 287 ff.

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mung gerichtet ist. Es geht mithin um eine objektiv-rechtliche bzw. leistungsrechtliche Grundrechtsfunktion.841 Dies hat zwar noch keinen Einfluss auf die Frage, ob und inwieweit ein Anspruch auf Mitbestimmung im Betrieb besteht. Dennoch kann festgehalten werden, dass die betriebliche Mitbestimmung wenigstens dann über Art. 12 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützt ist, wenn es um Entscheidungen der Berufsausübung geht, die die jeweiligen Mitarbeiter gerade betreffen. bb) Die individuelle und kollektive Freiheit der Koalitionsbetätigung (Art. 9 Abs. 3 GG) Auch unter die Koalitionsfreiheit fällt die Betriebsverfassung nicht gänzlich, ist sie doch dem Grunde nach gänzlich unabhängig vom Tätigwerden einzelner Koalitionen. Gleichwohl kann es Überschneidungen und Konkurrenzsituationen zwischen dem Koalitions- und Betriebsverfassungssystem geben, wie es im staatlichen Recht deutlich zutage tritt und stets zugunsten der Koalitionsfreiheit gelöst wird, wenn etwa nach § 87 Abs. 1 BetrVG der Betriebsrat in bestimmten Eigenschaften nur dann ein Mitentscheidungsrecht hat, wenn keine tarifvertraglichen Regelungen bestehen.842 Grund für diese Vermengung beider Systeme auch im weltlichen Bereich ist wiederum die Systemunabhängigkeit und Ausgestaltungsnotwendigkeit der Koalitionsfreiheit.843 Auch die betriebliche Mitbestimmung dient der Wahrung und Förderung der Wirtschafts- und Arbeitsbedingungen;844 sie wird daher als Alternativsystem neben dem Koalitionssystem von Art. 9 Abs. 3 GG umfasst, sofern Koalitionen davon betroffen sind.845 Betriebsverfassungsrechtliche Regelun841  Vgl. BVerfG, AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG 1972 Auszahlung; BVerfG, AP Nr. 15 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit; siehe auch Plander, Arbeitsrecht: Instrument zur Verwirklichung von Grundrechten der Mitarbeiter – eine Skizze, in: Däubler (Hrsg.), Arbeit und Recht – Festschrift für Albert Gnade zum 65. Geburtstag, 1992, 79 (90); vgl. Clodius (Fn. 835), 38. 842  Vgl. Richardi, in: ders. (Hrsg.), BetrVG, 15. Aufl. 2016, Einleitung Rn. 48. 843  Siehe dazu bereits ausführlich oben S. 218 ff. 844  Richardi (Fn. 842), 42; BVerfGE 50, 290 (371 ff.). 845  BVerfGE 50, 290 (371 f.): „Wenn das Mitbestimmungsgesetz neben dem Tarifsystem als weitere Form der Förderung der Arbeitsbedingungen und Wirtschaftsbedingungen die Unternehmensmitbestimmung ausbaut, so steht Art. 9 Abs. 3 GG dem nicht entgegen. Das Grundrecht enthält (…) keine Garantie des Bestands des Tarifvertragssystems und Arbeitskampfsystems in seiner konkreten gegenwärtigen Gestalt. Art. 9 Abs. 3 GG läßt sich auch nicht dahin auslegen, daß er ein Tarifsystem als ausschließliche Form der Förderung der Arbeitsbedingungen und Wirtschaftsbedingungen gewährleiste. (…)Vielmehr kann die sinnvolle Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens, um die es Art. 9 Abs. 3 GG geht, auf verschiedenen Wegen angestrebt werden: nicht nur durch Gestaltungen, die, wie das Tarifsystem, durch die Grundelemente der Gegensätzlichkeit der Interessen, des Konflikts und des Kampfes bestimmt



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gen ohne Koalitionsbezug hingegen stehen nicht in Berührung mit der individuellen und korporativen Koalitionsfreiheit. Konkurrenzen zwischen Koalitionssystem und Betriebsverfassung können folglich auch im kirchlichen Bereich auftreten, wenn etwa die Koalitionsbetätigung im betriebsverfassungsrechtlichen Bereich ausgeschlossen wird. Infolgedessen ergeben sich auch über Art. 9 Abs. 3 GG zumindest abschnittsweise Vorgaben für die Festlegung des betriebsverfassungsrechtlichen Systems in den Kirchen, die das Verhältnis von Koalitionssystem – im Fall der Kirchen: von „Drittem Weg“ – und Betriebsverfassungsrecht vorgeben. Wie diese Vorgaben nunmehr genau aussehen, ist dabei auf der Konfliktlösungsebene darzustellen.846 An dieser Stelle genügt es, dass entsprechende grundrechtliche Berührungspunkte auszumachen sind. cc) Die selbstbestimmungsbezogenen Grundrechte und das Sozialstaatsprinzip Das BVerfG hat bereits 1970 festgehalten, dass das Personalvertretungswesen „ein wichtiges Mittel zur Wahrung der Menschenwürde und der Persönlichkeitsentfaltung“ sei, und hat dies später auch wiederholt.847 Damit wurde die enorme Bedeutung der betrieblichen Mitbestimmung – insoweit gelten für das Personalvertretungs- und Betriebsverfassungswesen dieselben Vorzeichen848 – für die Selbstbestimmung der Person insgesamt ausgedrückt und auf ein breites grundrechtspolitisches Bett gelegt. So konstatiert das Gericht in gleicher Weise, die betriebliche Mitbestimmung ginge „auf Vorstellungen zurück, die auch den Grundrechtsverbürgungen der Art. 1, 2 und 5 Abs. 1 GG zugrunde liegen“.849 Auch wenn dem zuzustimmen sein mag,850 sind, sondern auch durch solche, die Einigung und Zusammenwirken in den Vordergrund rücken, wenngleich sie Konflikte und deren Austragung nicht ausschließen. (…) Der Gesetzgeber ist daher durch Art. 9 Abs. 3 GG nicht an dem Erlaß von Regelungen gehindert, die eine Mitbestimmung der Mitarbeiter und ihrer Koalitionen im Unternehmen vorsehen. Das Nebeneinander von Tarifvertragssystem und Mitbestimmung, das sich damit ergibt, kann zu Gewichtsverlagerungen, aber auch zu Konkurrenzen führen, die einen Ausgleich erforderlich machen“. 846  Siehe dazu unten S. 479 ff. 847  BVerfGE 28, 314 (323); E 51, 43 (58). 848  Vgl. Clodius (Fn. 835), 22 f. 849  BVerfGE 28, 314 (323); E 51, 43 (58). 850  Battis, Inwieweit ist der in den einzelnen Landespersonalvertretungsgesetzen festgeschriebene Einfluß der Gewerkschaften mit der Verfassung vereinbar?, in: DÖV 1987, 1 (3); Richardi (Fn. 842), 44; von Mutius, Personalvertretungsrecht und Demokratieprinzip des Grundgesetzes, in: Ziemske / Langheid / Wilms / Haverkate (Hrsg.), Staatsphilosophie und Rechtspolitik – Festschrift für Martin Kriele zum 65. Geburtstag, 1997, 1119 (1135); vgl. Clodius (Fn. 835), 22 m. w. N.

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grundrechtsdogmatische Bedeutung kann dieser Aussage freilich nicht entnommen werden. Mag die Selbstbestimmung insgesamt ein Gedanke der Menschenwürde sein oder hinter der Meinungsfreiheit als konstitutionelles Moment stehen, die jeweiligen Schutzbereiche gewährleisten keinen Anspruch auf Einführung und damit erst recht nicht auf eine bestimmte Ausrichtung der betrieblichen Mitbestimmung. Das Recht, frei seine Meinung zu äußern, beinhaltet rechtlich gesehen nicht die Befugnis, betriebliche Entscheidungen aktiv mitzugestalten; das Gleiche gilt für die Menschenwürde, die überdies gar kein subjektiv-öffentliches Recht verbürgt.851 Vielmehr ermöglicht die betriebliche Mitbestimmung als ein Mittel unter vielen erst die Wahrnehmung der genannten Freiheiten, beeinflusst also ihre faktische Geltung, nicht aber ihren rechtlichen Schutzrahmen.852 Sie bleibt lediglich ein Gedanke auf der Metaebene und damit der grundrechtspolitische Ursprung für die einfachgesetzliche Einführung der Betriebsverfassung. Das Gleiche gilt insoweit, als die betriebliche Mitbestimmung dem Sozialstaatsprinzip entspringen soll.853 So ist es zwar Aufgabe und Idee des freiheitlichen Sozialstaates, die sozial Schwachen bei gleichzeitiger Freiheitsgewährleistung zu schützen, ihnen also insbesondere den Gebrauch der Freiheitsrechte insoweit zu ermöglichen, als jene aufgrund ihrer sozial prekären Lage dazu nicht imstande sind.854 Fester Bestandteil einer sozialstaatlich geprägten Gesellschaft ist damit auch der bestehende soziale Ausgleich zwischen zwei unterschiedlich starken Schichten, wie sie sich insbesondere auch im Arbeitsrecht mit dem Arbeitgeber und den Mitarbeitern gegenüberstehen.855 Gleich851  Dazu

ausführlich bereits oben S. 179 ff. auch BVerfGE 50, 290 (349): „Zwar vermögen Grundrechte der Mitarbeiter nicht, (…) unmittelbar kraft Verfassungsrechts das Grundrecht der Anteilseigner aus Art. 14 GG zu begrenzen, weil sie – wie auch Art. 74 Nr. 12 GG – keinen verbindlichen Verfassungsauftrag zur Einführung einer Unternehmensmitbestimmung wie derjenigen des Mitbestimmungsgesetzes enthalten. Doch verdeutlichen und verstärken sie die durch den Gesetzgeber zu konkretisierende soziale Bindung des Anteilseigentums: Mitbestimmung im Unternehmen beeinflußt zu einem nicht unwesentlichen Teil die Bedingungen, unter denen die Mitarbeiter namentlich ihr Grundrecht auf Berufsfreiheit wahrnehmen, das für alle sozialen Schichten von Bedeutung ist“. 853  BVerfGE 28, 314 (323); E 54, 43 (58); E 50, 290 (349). 854  Gröschner, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Sozialstaat) Rn.  2 ff., 16 ff., 21; Ramm, Der Wandel der Grundrechte und der freiheitliche soziale Rechtsstaat, in: JZ 1972, 137 (145); Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 129 m. w. N.; Schmitt Glaeser, Der freiheitliche Staat des Grundgesetzes, 3. Aufl. 2016, S. 239 ff.: „Aber er (der Sozialstaat; VH) hat die Aufgabe, den sozial Schwächeren ein menschenwürdiges Dasein in Freiheit und Gleichheit zu sichern“ (242). 855  Zacher, Das soziale Staatsziel, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 3. Aufl. 2004, § 28 Rn. 34 ff.; Schmitt Glaeser (Fn. 854), 245 ff.; Gröschner (Fn. 854), 38 ff. 852  Ausdrücklich



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wohl ist zu sehen, dass das Sozialstaatsprinzip begrifflich wie inhaltlich insoweit unbestimmt ist, als dem Gesetzgeber einhellig ein erheblicher Gestaltungs- und Konkretisierungsspielraum zugestanden wird.856 Konkrete subjektiv-rechtliche Ansprüche des Bürgers sind daher auf Grundlage des Sozialstaatsprinzips – mit Ausnahme des von der Rechtsprechung gebilligten Anspruchs auf Gewährleistung des Existenzminimums857 – ausgeschlossen.858 Die Frage, was „sozial“ ist, wann ein hinreichender sozialer Schutz besteht, wird damit von der Verfassung nur durch entsprechende Konkretisierungen – etwa in Gestalt der Sozialpflichtigkeit des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG) oder des Schutzes der Mutter durch die Gemeinschaft (Art. 6 Abs. 5 GG)859 –, nicht aber darüber hinaus beantwortet. Daher enthält das Sozialstaatsprinzip von vorneherein nicht das Gebot, die betriebliche Mitbestimmung generell oder besonders im kirchlichen Bereich vorzusehen.860 Vielmehr bildet das ­Sozialstaatsprinzip ebenso wie die soeben dargestellten Grundrechte eine inhaltlich-politische Legitimationsbasis für die Erschaffung eines Betriebsverfassungsrechts, nicht aber eine rechtliche Anspruchsgrundlage. Letztlich verbleibt als einschlägiges Schutzgut der betrieblichen Mitbestimmung das „Auffanggrundrecht“ der allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG, die „jede Form menschlichen Handelns“ und damit auch den Willen, Entscheidungen im Betrieb mitzugestalten, schützt.861 Auch ist über Art. 2 Abs. 1 GG die Schutzfunktion in vollem Umfang gewährleis856  BVerfGE 22, 180 (204); E 125, 175 (222); Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, 7. Aufl. 2014, Art. 20 Rn. 47 ff.; Gröschner (Fn. 854), 32 f.; Schmitt Glaeser (Fn. 854), 240 ff.; Zacher (Fn.  855), 22 ff.; Schnapp, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 20 Rn. 55. 857  BVerfGE 132, 134 (159); E 125, 175 (222); BVerwG, NJW 1954, 1541 (1541); Stein / Frank, Staatsrecht, 21. Aufl. 2010, S. 166 ff.; Schmitt Glaeser (Fn. 854), 244; Schnapp (Fn. 856), der zu Recht darauf hinweist, dass auch der Anspruch auf Existenzminimum nicht unmittelbar auf dem Sozialstaatsprinzip, sondern nur auf der Verbindung mit einem Grundrecht – hier Art. 1 Abs. 1 GG – beruhe. 858  BVerfGE 27, 253 (283); E 41, 126 (153); E 100, 271 (284); E 110, 412 (445); E 94, 241 (263); Gröschner (Fn. 854), 32; Zacher (Fn. 855), 121; Sachs (Fn. 856), 51; ders., in: ders. (Hrsg.), GG, 7. Aufl. 2014, vor Art. 1 Rn. 51 ff.; Heinig, Der Sozialstaat im Dienst der Freiheit – zur Formel vom „sozialen“ Staat in Art. 20 Abs. 1 GG, 2008, S. 17 ff.; vgl. Schnapp (Fn. 856). 859  Zu den Konkretisierungen insbesondere Schmitt Glaeser (Fn. 854), 240; Sachs (Fn.  856), 51 ff. 860  BAG, AP Nr. 10 zu § 118 BetrVG 1972; Richardi (Fn. 578), § 16 Rn. 35 f.; Classen (Fn. 767), 450; im weltlichen Bereich für das Personalvertretungsrecht hingegen offengelassen von BVerfGE 51, 43 (58); E 93, 37 (69); vgl. auch Sachs (Fn. 856), 47. 861  Vgl. BVerfGE 50, 290 (366  ff.); E 90, 145 (171); Horn, in: Stern / Becker (Hrsg.), GG, 3. Aufl. 2018, Art. 2 Rn. 29 ff.; Schmitt Glaeser (Fn. 854), 50 f.; Cornils (Fn.  670), 1 ff., 27 ff.

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tet.862 Zuzugeben ist zwar, dass die „Erfolgsaussichten“ nicht sonderlich hoch sind, handelt es sich doch um ein sehr weit gefasstes und leicht beschränkbares Subsidiaritätsgrundrecht. Dennoch muss davon ausgegangen werden, dass die Frage der Mitbestimmung der Mitarbeiter ihr Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit berührt. Dies gilt jedoch insoweit nicht, als durch bestimmte Formen und Bereiche der betrieblichen Mitbestimmung bereits die Berufs(ausübungs)freiheit als spezielleres Grundrecht betroffen ist und damit die allgemeine Handlungsfreiheit verdrängt wird.863 Zusammenfassend ist die freiheitsverfassungsrechtliche Beurteilung des kirchlichen Betriebsverfassungsrechts aus grundrechtlicher Sicht dreigleisig: Einmal wird die Berufsfreiheit berührt, insofern eine Mitbestimmung für die Berufsausübung relevante Angelegenheiten nicht oder nicht hinreichend gewährleistet wird. Art. 9 Abs. 3 GG ist zudem einschlägig, sofern es zu Konkurrenzsituationen zwischen dem Koalitions- und dem Mitarbeitervertretungssystem kommen sollte. Für die übrigen betriebsverfassungsrechtlichen Fragen verbleibt darüber hinaus nur das Auffanggrundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG. dd) Das allgemeine Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) Wie die anderen Säulen des kirchenspezifischen Arbeitsrechts unterliegt auch das kircheneigene Mitarbeitervertretungssystem einer gleichheitsrechtlichen Bewertung, die durch die allgemeine Handlungsfreiheit auch nicht gesperrt ist.864 Infolge einer im Vergleich zum weltlichen Mitbestimmungssystem fehlenden grundlegend differenten kirchlichen Ausgestaltung erstreckt sich die Frage der Zulässigkeit des kirchlichen Mitarbeitervertretungssystems primär darauf, ob die Kirchen vom weltlichen System abweichen dürfen. Der Schwerpunkt der Bewertung liegt gerade in einer genuin gleichheitsrecht­ lichen Fragestellung.865 Insoweit ist festzustellen, dass die Konstitution und insbesondere die Zuteilung der Befugnisse des Betriebsrats im kirchlichen Bereich anders sind als 862  Cornils (Fn. 670), 22 ff.; BVerfGE 115, 25 (41 ff.); Höfling, in: Friauf / ders. (Hrsg.), Berliner Kommentar zum GG, Stand: Mai 2018, Art. 2 Rn. 49; Robbers (Fn. 549), 199 ff.; an sich kritisch Dreier (Fn. 671), 63, der allerdings eine Schutzpflicht dann anerkennt, wenn es um den Schutz vor Fremdbestimmung geht. 863  Allgemein zu diesem Spezialitäts- bzw. Subsidiaritätsverhältnis zwischen Art. 2 Abs. 1 GG und den übrigen Grundrechten Cornils (Fn. 670), 60 ff.; Dreier (Fn. 671), 28, 98; Murswiek / Rixen (Fn. 598), 137. 864  Zum Verhältnis von Art. 2 Abs. 1 GG und Gleichheitsrechten Murswiek / Rixen (Fn. 598); Dreier (Fn. 671), 98; Lang (Fn. 670), 30. 865  So auch Classen (Fn. 767), 450, der die Abweichungen daher als „begründungsbedürftig“ ansieht.



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im weltlichen. Bei beiden Systemen handelt es sich aber um Mitarbeitervertretungssysteme, die auch nicht zwei verschiedenen Kompetenzträgern zugeordnet werden, sondern die die Anwendung des Gleichheitsgebots zulassen.866 Auch hier schützt Art. 3 Abs. 1 GG den Bürger vor unangemessener Ungleichbehandlung durch Private.867 Insoweit kommt es auf das Begründungskonzept der Kirchen und ihre verfassungsrechtliche Bewertung an.868 d) Exkurs: die Gefahrenschwelle als unzulässige Tatbestandsbeschränkung Die Frage, vor was (respektive: wem) Schutzpflichten schützen, ist im Einzelnen unklar, aber für diese Arbeit in entsprechender Tiefe auch nicht relevant. Schwierigkeiten entstehen auf dieser Ebene insbesondere bei Fragen nach dem Schutz vor Naturgewalten869 oder einer ausländischen Staatsgewalt870.871 Entscheidend aber ist, dass Einigkeit dahingehend besteht, dass Schutz vor Übergriffen und Eingriffen Privater gewährleistet wird.872 Dazu gehören unzweifelhaft auch Kirchen, unabhängig davon, ob sie Körperschaften des öffentlichen Rechts sind.873 Eine Schutzpflicht hat nicht nur die Aufgabe, bereits stattgefundene Eingriffe privater Dritter zu unterbinden, sondern entsprechende Eingriffe vorab abzuwehren. Es geht also im weitesten Sinne auch um „Gefahrenabwehr“. Es stellt sich dann die Frage nach einer möglicherweise vorauszusetzenden Intensität der Gefahr respektive Schwelle zur Schutzpflicht. Ist bei jeder Gefahr 866  Vgl. dazu oben die Ausführungen zur Anwendbarkeit des Art. 3 Abs. 1 GG bei Fragen der Loyalitätspflicht und der Koalitionssystemausgestaltung S. 223 ff. 867  Zur Begründung der Schutzpflicht aus Art. 3 Abs. 1 GG siehe bereits ausführlich oben S. 191 ff. 868  Siehe dazu ausführlich unten S. 479 ff. 869  Dazu Krings (Fn. 702), 217 f.; So Isensee (Fn. 537), 206 f., 243. 870  Dazu Krings (Fn. 702), 194 ff.; Isensee (Fn. 537), 208 ff.; Murswiek, Die Haftung der Bundesrepublik Deutschland für die Folgen ausländischer Nuklearunfälle, in: UPR, 1986, 370 (373 ff.); Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht – eine Untersuchung der deutschen Grundrechte, der Menschenrechte und Grundfreiheiten der EMRK sowie der Grundrechte und Grundfreiheiten der Europäischen Gemeinschaft, 2001, S. 81 ff.; Dietlein (Fn. 549), 120 ff.; Szczekalla (Fn. 548), 437 ff. 871  Vgl. insbesondere Cremer (Fn. 540), 267; Unruh (Fn. 544), 75 ff. 872  Cremer (Fn. 540), 267; Unruh (Fn. 544), 75 ff.; Krings (Fn. 702), 190 f.; Alexy (Fn. 550), 410; Dietlein (Fn. 549), 103 f.; Isensee (Fn. 537), 247 ff. 873  Hintergrund ist schlicht, dass die Kirchen trotz ihres Status als Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht dem Staat zugerechnet werden können, ausführlich dazu Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit – zur Bedeutung des Art. 137 Abs. 5 WRV im Kontext des Grundgesetzes, 2004, S. 23 ff.; Unruh (Fn. 717), 275 ff.

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unabhängig von ihrem Niveau eine Schutzpflicht gegeben? Gibt es eine bestimmte Gefahrenschwelle, die es zu überschreiten gilt? Falls ja, wann ist diese erreicht? Wegen der thematischen Nähe zum allgemeinen Gefahren­ abwehrrecht wird häufig der polizeirechtliche Gefahrenbegriff analog he­ rangezogen.874 Es kommt nach diesem Begriff für die Aktivierung einer Schutzpflicht zunächst im Sinne einer Prognose auf die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Rechtsgutsverletzung an, deren Anforderungen sich insbesondere im Sinne einer „umgekehrten Proportionalität“875 aus dem zu erwartenden Schadensausmaß und der zu erwartenden Eingriffsintensität er­ geben. „Risikovorsorge“ und Abwehr sozialadäquter Belästigungen seien unzulässig, da nicht geboten.876 Auch das BVerfG neigt zu Tatbestandsbeschränkungen, wenn es als Voraussetzung einer Schutzpflicht entweder das Fehlen respektive die offensichtliche Ungeeignetheit getroffener staatlicher Regelungen877 oder eine hinreichende Bedeutung des Schutzguts im Verhältnis zum kollidierenden Rechtsgut878 erfordert. Gegen entsprechende Beschränkungen werden zu Recht einige Argumente vorgebracht, nach denen der Gesetzgeber weder polizeirechtlicher „Nothelfer“ sei noch Einzelfallgesetze erlassen dürfe.879 Dabei ergibt sich die Unzulässigkeit von bestimmten Gefahrschwellen im Rahmen der Schutzpflichtdogmatik allerdings bereits aus zwei grundlegenden Überlegungen: Zum einen ist eine Beschränkung der Schutzpflichten im Grundgesetztext an keiner Stelle vorgesehen und auch nicht über die grundrechtstheoretische Herleitung derselben zu legitimieren.880 Damit begründet sich die Forderung nach bestimmten Gefahrenniveaus auf einer wertenden, ja abwägenden Entscheidung, die nur mit dem allgemeinen Wunsch nach einer Vermeidung einer Hypertrophie der Schutzpflichten, nicht aber dogmatisch zu begründen ist. Zum anderen ist diese wertende Entscheidung ohnehin nicht auf der Tatbe874  Isensee, Sicherheit (Fn.  547), 37  f.; Murswiek (Fn.  548), 80  ff.; Hermes (Fn. 572), S. 236; Kloepfer, Umweltschutz und Verfassungsrecht, in: DVBl. 1988, 311 ff. 875  Hierbei handelt es sich um einen Begriff aus dem Polizeirecht, siehe nur Thiel, Polizei- und Ordnungsrecht, 3. Aufl. 2016, § 8 Rn. 53. 876  Murswiek (Fn. 548), 85; Isensee, Sicherheit (Fn. 547), 37 f.; vgl. auch Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3 / 1, 1988, S. 940; vgl. Unruh (Fn.  544), 76 f. 877  So BVerfGE 79, 175 (202); E 56, 54 (81); E 77, 381 (405); E 77, 170 (214 f.); BVerfG, NJW 2002, 1638 (1639): „… wenn die öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungen überhaupt nicht getroffen hat oder die getroffenen Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen, oder erheblich dahinter zurückbleiben“. 878  So insbesondere in BVerfGE 88, 203 (254). 879  Siehe nur Dietlein (Fn. 549), 107 f.; Unruh (Fn. 544), 77. 880  Ähnlich Cremer (Fn. 540), 286 f.; Unruh (Fn. 544), 77 f.



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standsebene anzusiedeln. Wenn das BVerfG und Teile der Literatur die Reichweite der Schutzpflichten im Blick auf die Bedeutung und Schutzbedürftigkeit des zu schützenden Rechtsguts einerseits und mit ihm kollidierender Rechtsgüter andererseits zu bestimmen beabsichtigen881, greifen sie hierbei auf typische Elemente der rechtfertigenden Abwägung zurück. Analog zu den allgemeinen Schutzbereichsbeschränkungsüberlegungen882 handelt es sich bei der Einschränkung der Reichweite der Schutzpflichten de facto um wertende Aussagen, die nicht die Frage nach dem Anwendungsbereich, sondern nach der im konkreten Fall begründbaren Rechtfertigung eines Verhaltens des Staates – das sich hier freilich in einem entsprechenden Unterlassen ausdrückt – beantworten. Eine vorzunehmende Beschränkung a priori ist damit nicht vorgesehen, zumal es an objektiven Begrenzungsmöglichkeiten mangelt.883 4. Die Verhältnismäßigkeit als Reichweitebestimmung der Schutzpflichten Am schwierigsten und gleichzeitig am bedeutendsten ist die Frage nach der Art und Weise der Realisierung der Schutzpflicht. Was wird gefordert? Wie muss die staatliche Gewalt tätig werden? Welche verfassungsrechtlichen Grenzen sind einzuhalten? Hierbei genügt es für das Thema dieser Arbeit, festzuhalten, dass die Erstreckung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch auf die Schutzpflichtenfunktion der Grundrechte das Moment der Grenzziehung ist (a)). Exkursorisch soll aber auf die dogmatische Ausgestaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei Schutzpflichten eingegangen werden, um das bislang dunkle Bild auf diesem Gebiet zumindest etwas zu erhellen zu versuchen (b)). a) Die Erstreckung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf die Schutzpflichtenkonstellationen So sehr die Existenz der grundrechtlichen Schutzpflichten von Rechtsprechung und Literatur bejaht wird, so unklar und wenig ausdifferenziert ist deren dogmatischer Umfang, was nicht zuletzt an den fehlenden verfassungstextlichen Stützpfeilern liegt.884 Die Probleme konzentrieren sich dabei aus der Makroperspektive auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen der 881  BVerfGE

88, 203 (254). dazu ausführlich unten S. 234 ff. 883  Vgl. insgesamt auch Krings (Fn. 702), 221 f.; Cremer (Fn. 540), 288; Pietrzak, Die Schutzpflichten als verfassungsrechtliche Dimension, in: JuS 1994, 748 (751). 884  Cremer (Fn. 540), 269 (dort auch insb. Fn. 500). 882  Siehe

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

Schutzpflichterfüllung. Klar ist, dass die Schutzpflicht Symptom einer Konflikt- und Sphärenkoordinationsschwierigkeit der staatlichen Gewalt ist: Die Erfüllung der Schutzpflicht erfolgt nicht isoliert, sondern überwiegend in Bezug auf die Abwehrfunktion der Grundrechte eines Dritten.885 Der Schutz des einen Rechtsguts, der einen Sphäre, ergeht dann auf Kosten eines anderen Rechtsguts, der anderen Sphäre. Schutzpflichten sind damit eingebunden in ein Geflecht aus Abwehr- und Unterlassungspflichten. Wenn es damit bei den Schutzpflichten stets um die Koordination zweier Sphären geht, wundert es nicht, dass der Streit um das „Wie?“ der Schutzpflichten überwiegend auf der dogmatischen Grundlage des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausgetragen wird.886 aa) Tatbestandslösung versus Abwägungslösung Dabei ist es nicht selbstverständlich, die Verhältnismäßigkeit und damit letztlich die Abwägung als Reichweitebestimmungsmoment anzuwenden. Insbesondere in letzterer Zeit haben sich Stimmen gehäuft, die nicht nur im Rahmen der Schutzpflichten, sondern generell im grundrechtlichen Bereich von der Abwägung weg hin zu einer tatbestandsorientierten Konfliktlösung gehen wollen. Besondere Beachtung hat dabei das Modell des grundrecht­ lichen Gewährleistungsgehalts erfahren.887 Grob gesprochen verbirgt sich hinter diesem Modell mehrheitlich888 die Idee, die Reichweite eines Grundrechts nicht über die Abwägung auf Schrankenebene, sondern bereits auf der dazu Wahl / Masing (Fn. 700). Cremer (Fn. 540), 269 m. w. N. 887  Zu diesem Modell insbesondere Böckenförde, Kritik gegenwärtiger Grundrechtsdogmatik, in: Der Staat 42 (2003), 165 ff.; Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009; Hoffmann-Riem, Grundrechtsanwendung unter Rationalitätsanspruch, in: Der Staat 43 (2004), 223 ff.; ders., Enge oder weite Gewährleistungsgehalte der Grundrechte, in: Bäuerle (Hrsg.), Haben wir wirklich Recht? Zum Verhältnis von Recht und Wirklichkeit, 2004, 53 ff. 888  Einen anderen Zweig begründet Hoffmann-Riem (Fn. 887), der mit seiner Idee vom Gewährleistungsgehalt die herrschende Dogmatik von Schutzbereich-EingriffRechtfertigung gänzlich verlassen und den Gewährleistungsgehalt eines Grundrechts anhand dessen gesamtgesellschaftlicher Funktion ermitteln will. Insoweit beinhalteten Grundrechte vielmehr analog zu der aus der Verwaltungslehre stammenden Idee vom Gewährleistungsstaat einen objektivrechtlichen Auftrag an den Staat, die Rechtsordnung entsprechend ihrem Gewährleistungsgehalt zu gestalten. Vgl. insgesamt dazu auch Rusteberg (Fn. 887), 94 f.; Bumke, Grundrechte – Theorie, Praxis, Dogmatik, in: Hoffmann-Riem (Hrsg.), Offene Rechtswissenschaft, 2010, 435  ff.; Hellermann, Grundrechtliche Wettbewerbsfreiheit – ein Exempel für die Debatte um den Gewährleistungsgehalt der Grundrechte, in: Appel / Hermes / Schönberger (Hrsg.), Öffentliches Recht im offenen Staat – Festschrift für Rainer Wahl zum 70. Geburtstag, 2011, 323 (insb. 331 ff.). 885  Insgesamt 886  Vgl.



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Ebene des Schutzbereichs festzulegen. Freiheit sei demnach nicht zu verstehen als „Freiheit im umfassenden Sinn (…), derart, daß der Grundrechtsträger sich hinsichtlich des benannten Sach- und Lebensbereichs bzw. in ihm selbstbestimmt und nach seinem Belieben (…) verhalten kann“.889 Ziel sei es, gerade die typische „historische Gefährdungslage“ und dadurch den speziellen Gewährleistungsrahmen des jeweiligen Grundrechts zu erkennen.890 Dabei solle der Gewährleistungsrahmen „nicht als nachträgliche Begrenzung eines ursprünglich umfassend gewährleisteten Freiheitsbereichs“, sondern als konstitutives Merkmal des geschützten Freiheitsraums verstanden werden.891 Das Problem des Modells vom Gewährleistungsgehalt ist der Irrglaube, durch die Bestimmung eines spezifischeren Gewährleistungsgehalts objektiveren Maßstäben zu unterliegen als im Rahmen einer Abwägung. Grund für diesen Irrglaube ist das Werkzeug, mit dem der Gewährleistungsgehalt ermittelt wird: die klassische Hermeneutik, insbesondere die historische Auslegung. Insofern scheint das Modell vom Gewährleistungsgehalt zunächst ra­ tionaler als die Abwägungslösung zu sein, weil anstatt zunächst undefinierter Abwägungskriterien das klassische juristische Handwerkzeug benutzt wird. Dem kann aber deshalb nicht zugestimmt werden, weil auch bei der Verwendung der klassischen Hermeneutik eine eindeutige, ja nicht einmal eine hinreichende Bestimmung des Gewährleistungsgehalts eines Grundrechts kaum möglich ist und zudem die – notwendige – Bewältigung neuer Herausforderungen nicht hinreichend gewährleistet ist.892 Insofern handelt es sich bei der Bestimmung des Gewährleistungsgehalts selbst wiederum um eine normative, abwägende Wertung, die aber im Deckmantel der Hermeneutik nicht einer Abwägung vergleichbar transparent und begründet dargelegt werden muss. So ist etwa die Beschränkung der Versammlungsfreiheit auf die Gewährleistung der Freiheit für ausschließlich politische Versammlungen893 historisch nicht ausreichend gesichert und daher in der Literatur höchst um889  Böckenförde

(Fn. 887), 167. (Fn. 887), 169 ff.; Böckenförde (Fn. 887), 174 ff.; auch andere Autoren suchen nach dem „identitätsbegründenden Merkmal“, siehe Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3 / 2, 1994, S. 876, oder nach der „spezifische[n] Bestimmung“ des jeweiligen Grundrechts, siehe Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 19 Rn. 44. 891  Rusteberg (Fn. 887), 173, mit Verweis auf Hoffmann-Riem, Rationalitätsanspruch (Fn. 887), 224: „Durch die Feststellung eines Lebensbereichs ‚allein‘ lassen sich normative Maßstäbe noch nicht gewinnen“. 892  So auch Kahl, Vom weiten Schutzbereich zum engen Gewährleistungsgehalt – Kritik einer neuen Richtung der Grundrechtsdogmatik, in: Der Staat 43 (2004), 167 ff.; vgl. zu alldem auch Volkmann, Veränderungen der Grundrechtsdogmatik, in: JZ 2005, 261 ff. 893  BVerfG, NJW 2001, 2459 ff. 890  Rusteberg

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

stritten.894 Auch Rusteberg muss bei seinem Versuch, den Schutzbereich der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG durch Ermittlung der „historischen Gefährdungslage“ des Grundrechts einzugrenzen, eingestehen, dass sich aus den gegebenen historischen Materialien „nur sehr wenig über die Bedeutung entnehmen“ lässt, „die der Parlamentarische Rat der Kunstfreiheit genau zumaß“. Es ist dann aber folglich nicht überzeugend, ohne Weiteres zu konstatieren, dass wir „davon ausgehen können, dass die geschichtlichen Erfahrungen mit der Kunstzensur eine wesentliche Rolle gespielt haben“.895 Das Modell des Gewährleistungsgehalts birgt damit die Gefahr zunehmender Intransparenz und Irrationalität der Grundrechtsanwendung in sich, ohne einen erkennbaren Vorteil zu liefern. Ferner ist zu bedenken, dass auch die Abwägungslösung die notwendige Einschränkung des Schutzbereichs aufgrund hermeneutisch gesicherter Thesen nicht bezweifelt.896 bb) Die grundsätzliche Übertragbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf die Schutzpflichtenkonstellationen Selbst wenn grundsätzlich eine grundrechtliche Konfliktsituation über das Modell der Abwägung gelöst wird, bedeutet dies freilich nicht unbedingt, dass dies in Schutzpflichtenkonstellationen über die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfolgen muss. Dass sich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur auf die Abwehrfunktion, sondern darüber hinaus auch auf die Schutzpflichtenfunktion der Grundrechte erstreckt, wird allerdings überwiegend anerkannt.897 Die Frage der Übertragung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf Schutzpflichtenkonstellationen kann beantwortet werden, wenn sich des auf der Metaebene liegenden basalen Problems gegenwärtigt wird. Dabei ergibt sich das wissenschaftstheoretische Problem konsequenter Anwendung (hier juristischer) Institute: Als ungeschriebener (!) Grundsatz wurde der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als dogmatisches Konzept zunächst allein anhand 894  Vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Fn. 416), Art. 8 Rn. 25  ff.; Depenheuer, in: Maunz / Dürig (Begr.), GG, 48. Lfg. 2006, Art. 8 Rn. 30 ff., 46 ff.; Kloepfer, Versammlungsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 164 Rn. 26 ff.; Michael / Morlok (Fn. 618), 269 f.; anders Gusy, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art.  8 Rn.  9 ff., 17 f.; Hufen (Fn. 91), § 30 Rn. 7 f. 895  Rusteberg (Fn. 887), 253, der fußnotarisch selbst darauf hinweist, dass eine solche Interpretationslage u. a. von Ladeur, in: Denninger (Hrsg.), Alternativkommentar GG, 3. Aufl. 2002, Art. 5 Abs. 3, Rn. 7, als zu dürftig angesehen wird. 896  So auch Kahl (Fn. 892), 199. 897  Vgl. insbesondere Unruh (Fn. 544), 79  ff.; Cremer (Fn. 540), 270 f.; Krings (Fn.  702), 297 ff.



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abwehrrechtlicher Konstellationen entwickelt und zunehmend konkretisiert. Er ist daher mittlerweile kein rein abwehrrechtliches Prinzip mehr, sondern stellt ein sich aus dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten selbst ergebendes universales, dogmatisches Konstrukt dar.898 Als Teil der Dogmatik übernimmt das Verhältnismäßigkeitsprinzip daher auch allgemeine dogmatische Aufgaben, d. h. soll für Beständigkeit und Struktur der Rechtsanwendung sorgen.899 Entscheidend ist daher, dass das Konstrukt für möglichst viele Sachverhalte und Konstellationen gleich angewandt wird.900 Dies scheint bei schutzrechtlichen Grundrechtskonstellationen jedoch zumindest schwierig, wenn nicht unmöglich. Eine modifizierende Anpassung an die Schutzpflichtkonstellationen suggeriert aber Beliebigkeit und fehlende Rationalität, ist den Aufgaben der Dogmatik daher nicht ungefährlich. Dies erklärt die in dieser Thematik scheinbar häufig wahrnehmbare „Hilflosigkeit“ der Argumentation und Begründung der am Diskurs Teilnehmenden für die eigenen dogmatischen Konzepte, die sich mangels gesetzestextlicher oder tradierter dogmatisch konstruierter Anhaltspunkte ergibt. Jeder Teilnehmende findet sich in dem Zwiespalt zwischen dem Nachkommen des von Dogmatik Geforderten und dem Ziel sachgerechter Lösungsgenerierung. Denn auf der einen Seite erfordert rationalisierende Dogmatik gerade Rechtsinstitute, die nicht beliebig nur auf geeignete Konstellationen „zugeschnitten“ sind, sondern die möglichst alle weitestgehend vergleichbare Bereiche abzudecken imstande sind. Auf der anderen Seite sollen dogmatische Konstrukte helfen, dauerhaft für alle in Betracht kommende Fälle sachgerechte Lösungen zu liefern und nachvollziehbar zu machen. In Problemfällen scheint das eine Ziel nur auf Kosten des jeweils anderen Ziels erfüllt werden zu können: Entweder man wendet – dem Ziel dogmatischer Konsequenz folgend – den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz parallel zu abwehrrechtlichen Fällen auch auf grundrechtliche Schutzpflichten an, mit dem Preis, mangels hinreichender Anwendungsmöglichkeit sich der Gefahr nicht sachgerechter Ergebnisse auszusetzen, oder man wandelt den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechend um oder entwickelt völlig neue Institutionen, allerdings mit der Gefahr, mit fehlender Anwendungsstringenz einen Hauptzweck der Dogmatik zu missachten. Wie diese beiden Positionen auszugleichen sind, ist nicht leicht, erklärt aber insbesondere die zahlreichen teils sehr unterschied­lichen 898  Siehe dazu Lepsius, Die Chancen und Grenzen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, in: Jestaedt / ders. (Hrsg.), Verhältnismäßigkeit  – zur Tragfähigkeit eines verfassungsrechtlichen Schlüsselkonzepts, 2015, 1 ff.; siehe weitere Nachweise in Fn. 955. 899  Siehe dazu insbesondere Jestaedt (Fn. 556), 17 f., 29 f., 32 ff.; Rüthers / Fischer /  Birk, Rechtstheorie, 10. Aufl. 2018, Rn. 321 ff. 900  Dazu insbesondere – bei kritischer Betrachtung – Lepsius, Kritik der Dogmatik, in: Kirchhof / Magen / Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, 40 (40 f.).

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

dogmatischen Lösungsansätze und der insgesamt fehlende rote Leitfaden für das Verhältnismäßigkeitsproblem bei grundrechtlichen Schutzpflichten. Um im Sinne einer praktischen Konkordanz dogmatischer Aufgaben beide Ziele weitmöglich zu verwirklichen, ist es daher ratsam, so weit wie möglich die etablierten und tradierten Grundsätze eines dogmatischen Konstrukts auf die neue Situation zu übertragen. Nur soweit eine Übertragung gänzlich unmöglich oder entscheidende Fragen nicht zu beantworten und abstrakt sachgerechte Antworten zu liefern imstande ist, sind die Grundsätze zu modifizieren oder zu streichen.901 Eine Abweichung oder Neuschöpfung soll aber im Sinne des Dogmatikprogramms als ultima ratio durchgeführt werden und muss hinreichend begründet werden. Gewollt ist also nicht eine genuine analoge Anwendung eines dogmatischen Konstrukts in einer neuartigen Situation, sondern eine direkte Anwendung, also eine unmittelbare Anwendungserweiterung desselben. Andernfalls verliert das dogmatische Konstrukt eine seiner wichtigsten Eigenschaften – die einer konsistenten Strukturierung. Mit anderen Worten: Solange es grundsätzlich möglich ist, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auf Schutzpflichtenkonstellationen zu übertragen, solange sollte dies auch auch unmodifiziert geschehen. Das bedeutet, dass eine Übertragung nur dann ausscheidet, wenn der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz per se nicht auf Schutzpflichtfälle passt. Dem ist aber gerade nicht so. Es wird zwar teilweise eingewendet, Schutzpflichten seien wegen ihrer Eigenschaft als „mehrdimensionale Freiheitsprobleme“ nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zugänglich, da dieser nur auf einfache Zweck-Mittel-Probleme beschränkt sei.902 Der Einwand ist zwar insoweit überzeugend, als für diese mehrdimensionalen Fälle mangels verfassungsrechtlicher Entscheidungsvorgabe ein staatlicher Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum begründet wird;903 der genaue Unterschied zwischen Problemlösung durch Abwägung (so bei mehrdimensionalen Problemfällen) und durch die Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung (so bei eindimensionalen Problemfällen) wird indes nicht klar, zumal verkannt wird, dass vermeintlich eindimensionale Problemfälle unter bestimmten Blickwinkeln nahezu immer zu mehrdimensionalen Problemfällen geraten können.904 geht insgesamt auch Borowski (Fn. 550), 266 ff., vor. Funktionell-rechtliche Grenzen der Verfassungsinterpretation, 1980, S.  38 ff.; Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt – Untersuchungen über die Begrenzung und Ausgestaltung der Grundrechte, 1998, S. 93 f. 903  Schuppert (Fn. 902), 49 f.; siehe dazu auch unten S. 252 ff. 904  Ursache dafür ist, dass nach Schuppert (Fn. 902) eindimensionale Problemfälle dann bestehen, wenn die Freiheit des Bürgers zugunsten kollektiver Rechtsgüter und Interessen beschnitten wird (so z. B. bei der Impfpflicht zugunsten der Volksgesundheit). Hier wird allerdings verkannt, dass kollektive Rechtsgüter auch zumeist als Summe vieler Individualrechtsgüter beschrieben werden können, die demzufolge zu901  So

902  Schuppert,



C. Der verfassungsrechtliche Schutz der Mitarbeiter239

Andere grundsätzliche Aspekte fehlen insoweit. Allerdings stellt sich nun die Frage, inwieweit der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz konkret übertragen werden kann oder inhaltlich abgeändert werden muss. Dies soll folgend im Rahmen eines Exkurses geschehen. b) Exkurs: die Ausgestaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in Schutzpflichtenkonstellationen Im Folgenden soll auf die dogmatische Ausgestaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in Schutzpflichtenkonstellationen eingegangen werden. Dies hat zwar letztlich auf das Ergebnis dieser Arbeit keine Auswirkungen, soll aber – insofern als Exkurs – aus Gründen dogmatischer Klarheit erfolgen. Denn dieses Feld scheint besonders ungeordnet und unübersichtlich zu sein. Der folgende Abschnitt soll dabei helfen, dieses Thema allgemeiner Grundrechtsdogmatik etwas zu sortieren. Die zentrale Frage ist: Inwieweit kann man nicht die bereits entwickelten und etablierten Grundsätze der Verhältnismäßigkeitsprüfung in abwehrrechtlichen Konstellationen auf die hier vorliegenden Schutzpflichtenkonstellationen übertragen? Dabei zeigen sich insbesondere bei der konkreten Ausgestaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes besondere Ungenauigkeiten in den Ausführungen von Rechtsprechung und Literatur, so dass das Problem im Folgenden vertieft dargestellt werden soll. aa) Die Anwendbarkeit der Schrankenregelungen Problematisch ist bereits der Umgang mit den in den Art. 2 ff. GG enthaltenen Schrankenregelungen im Rahmen der Schutzpflichtfunktion der Grundrechte. Formulierungen wie „in diese Rechte darf nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden“ (Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG) passen zunächst nicht auf Schutzansprüche. Solche Schrankenbestimmungen werden daher häufig für auf die Abwehrfunktion programmiert und folglich für auf Schutzpflichten unanwendbar erklärt.905 Dies ist auch einleuchtend.906 Für eine solche sätzlich in die Konfliktlage hineingezogen werden und somit die vermeintliche eindimensionale Konfliktlage mehrdimensional werden lassen können. So die Kritik auch von Borowski (Fn. 550), 386 f. 905  Krings (Fn. 702), 254 f.; Cremer (Fn. 540), 289. 906  So auch Cremer (Fn. 540), 289 f.; Krings (Fn. 702), 255 f. Es kann daher nicht nachvollzogen werden, dass Dietlein (Fn. 549), 116, ohne Erläuterung einfach feststellt, eine Nichtübertragung der Schrankenregelungen auf die Schutzpflichten bedeute eine „nicht begründbare Inkonsequenz gegenüber der Ableitung positiver Schutzgewährungspflichten“.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

Sichtweise spricht gerade, dass die Schrankenregelungen bereits wegen ihres Wortlauts nicht auf Schutzpflichten anwendbar sind.907 Weiterhin ist zu bedenken, dass in Konsequenz der Schrankenübertragung die staatliche Gewalt nur dann Maßnahmen unterlassen dürfte, sofern Entsprechendes gesetzlich geregelt wäre; dabei ergibt sich aber ein eklatanter Widerspruch zu dem abwehrrechtlichen Auftrag der Grundrechte, da zur Schutzpflichterfüllung ­ häufig Eingriffe in die (Grund-)Rechte Dritter notwendig sind und diese aber gerade entsprechende gesetzliche Grundlagen verlangen.908 Diese Sichtweise ist jedoch in gewisser Weise einzuschränken. Klar ist, dass eine vollständige Übertragung der Schrankenregelungen mit Blick auf den Gesetzesvorbehalt ausgeschlossen ist. Die Schrankenregelungen sind jedoch nicht nur Ausfluss des rechtsstaatlichen Gesetzesvorbehalts, sondern verleihen dem Grundrecht den Ausdruck einer bestimmten Schutzwürdigkeit. Hierbei kommt es auf die Unterscheidung zwischen – im abwehrfunktionalen Jargon gesprochen – (qualifiziertem oder einfachem) Gesetzesvorbehalt und verfassungsimmanenten Schranken an. Denn während Grundrechte mit Gesetzesvorbehalten zu nahezu909 jedem beliebigen (legitimen) Zweck einschränkbar sind, dürfen Eingriffe bei vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten nur zugunsten verfassungsunmittelbarer Güter erfolgen. Vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten wird zwar deswegen keine höhere Bedeutung im Sinne einer Rangordnung zugesprochen;910 durch die Annahme von verfassungsimmanenten Schranken911 werden jedoch Begründungslasten sowie das Rechtfertigungsniveau deutlich erhöht.912, 913 Folglich ergibt sich aus der Schrankenregelung eine besondere Schutzwürdigkeit bestimmter Grundrechte (z. B. Art. 4 Abs. 1, 2 GG), die dabei auf die Schutzpflichtenebene zu übertragen ist. Es gibt keinen Grund, die besondere Schutzbedürftigkeit eines Grundrechts nur auf die abwehrrechtliche Funktion zu beschränken; insoweit bekunden die verfassungsimmanenten Schranken einen absoluten Schutzwürdigkeitsgehalt, der insbesondere auch im Rahmen der Schutzpflichtfunkauch das Beispiel mit Art. 13 Abs. 7 GG bei Cremer (Fn. 540), 290. auch Krings (Fn. 702), 255 f. 909  Bei qualifizierten Gesetzesvorbehalten kann eine Einschränkung der legitimen Zwecke gesetzlich vorgesehen sein, so z. B. bei Art. 11 Abs. 2 oder 13 Abs. 7 GG. 910  Hufen (Fn. 626), § 9 Rn. 30; Hillgruber, Grundrechtsschranken, in: Isensee /  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 9, 3. Aufl. 2011, § 201 Rn. 13 ff. 911  BVerfGE 28, 243 (261); E 81, 278 (292 ff.); E 83, 130 (139); E 84, 212 (228); E 93, 1 (21); Dreier, Vorb. (Fn. 1), 139. 912  Dreier, Vorb. (Fn. 1), 139; Hillgruber (Fn. 910), 15. 913  Teilweise wird argumentiert, bei vorbehaltlosen Grundrechten fehle die Schrankenregelung, weil der Verfassungsgeber dem Grundrecht fehlendes Konfliktpotential und daher fehlende Beschränkungsbedürftigkeit diagnostiziert habe: Hillgruber (Fn. 910), 14; Kingreen / Poscher (Fn. 723), 309 ff.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1999, Rn. 316. 907  Vgl. 908  So



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tion der Grundrechte zum Tragen kommt. Daraus folgt, dass die Schrankenvorbehalte zumindest hinsichtlich der (legitimen) Zwecke des staatlichen Unterlassens als spiegelbildliche Voraussetzungspostulate anzusehen sind.914 bb) Des Pudels Kern: das indefinite verfassungsmäßige Gegenteil Nach einer sehr weit verbreiteten Ansicht in Literatur und Rechtsprechung ist die Antwort klar: Nein, man kann die bekannten abwehrrechtlichen Ebenen und Grundsätze nicht auf Schutzpflichtenkonstellationen übertragen.915 Als Grund wird ein – respektive: der – strukturelle Unterschied zwischen Abwehr- und Schutzpflichtenkonstellationen angeführt, der sich im Gegenstand des verfassungsmäßig Gewollten ausdrücke: Die Frage nach dem, was verfassungsrechtlich angestrebt werde, das verfassungsmäßige Gegenteil916 des tatsächlich Passierten, könne im abwehrrechtlichen Fall klar beantwortet werden, im schutzrechtlichen Fall hingegen nicht. Denn während in den Fällen grundrechtlicher Abwehr das Unterlassen einer konkret vorgenommenen Handlung begehrt werde, sei im Falle grundrechtlicher Schutzpflichten die Vornahme irgendeiner Handlung gewollt, die dem Schutz des betroffenen und angeführten Grundrechts dienen solle. Problematisch sei nun, dass im letzteren Falle nicht konkret benennbar sei, welche Handlung begehrt werde. Ergebnis des strukturellen Vergleichs beider Grundrechtsfunktionen sei, dass das verfassungsmäßige Gegenteil in Schutzpflichtenkonstellationen als indefinit charakterisiert werden müsse. Diese Argumentation wird zum Teil damit kritisiert, dass auch das Abwehrrecht die staatliche Gewalt in bestimmten Fällen zum Handeln verpflichten könne und dabei auch keine bestimmte Handlung vorgeben werden könne.917 Dabei sind die Fälle im Blick, in denen durch die Vornahme einer Handlung oder die aktive Regelung ein an sich unverhältnismäßiger Eingriff im Sinne der Abwehrfunktion „geheilt“, also verhältnismäßig wird.918 Diese Kritik ist zwar im Grunde richtig, jedoch nicht aus jeder Perspektive beachtübereinstimmend mit Dietlein (Fn. 549), 115 f. dazu die Nachweise unten in Fn. 955. 916  Vgl. zu diesem Begriff auch Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 40; Grimm (Fn. 560), 238; Cremer (Fn. 540), 273; Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 1999, S. 114 f. 917  So insbesondere Jestaedt (Fn. 916), 118 f., der u. a. das Beispiel des Volkszählungsgesetzes (vgl. dazu BVerfGE 86, 1 ff.) anführt: „Zwar ist es dem Staat unbenommen, zu statistischen Zwecken zwangsweise personenbezogene Daten zu erheben. Entschließt er sich dazu, ist er jedoch von Grundrechts wegen gehalten, ‚organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen, welche der Gefahr einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts entgegenwirken‘ “ (121). 918  Jestaedt (Fn. 916), 119. 914  Insoweit 915  Siehe

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

lich. Denn nur aus staatlicher Sicht ist die Vornahme einer Handlung respektive das Treffen einer Regelung mit dem Abwehrrecht verbunden. Aus bürgerlicher Sicht, d. h. aus Sicht des Betroffenen, sind Eingriffsabwehr und die Vornahme einer Handlung bzw. das Treffen einer Regelung zu trennen; dem Betroffenen geht es nicht darum, dass ein Eingriff verhältnismäßig wird, er will vielmehr den konkreten Eingriff abwehren. Daher beantwortet aus seiner Sicht das Übermaßverbot nicht die Frage, wie weit der Eingriff gehen darf, sondern wie weit der Eingriff gegangen ist. Die Frage nach einem möglichen Ausgleich der Unverhältnismäßigkeit ergibt sich daher aus der bürgerlichen Sicht alleine aus der Perspektive der grundrechtlichen Schutzpflicht, nicht aus Sicht der Abwehrfunktion. Nur aus staatlicher Sicht können beide Funktionen „verschmelzen“. Zu beachten ist aber, dass in dem hier zu behandelnden sowie im verfassungsprozessualen Rahmen allein die bürgerliche Sicht maßgebend ist. Es geht nicht um die Möglichkeit eines Verhältnismäßigkeitsausgleichs, sondern um die Frage nach einer definiten Grundrechtsverletzung. Das Argument kann daher – zumindest im Rahmen dieser (grundrechtsbetroffenen) Betrachtung – nicht durchschlagen. Entscheidend ist damit nicht, ob die Differenz beider Grundrechtsfunktionen in Gestalt ihres jeweiligen verfassungsmäßigen Gegenteils besteht – sie tut es –, sondern was daraus zu folgern ist. Hier ergibt sich „der“ nun folgende darzustellende große Riss in der dogmatischen Behandlung grundrechtlicher Schutzpflichtenkonstellationen. cc) Das Postulat vom „angemessenen Schutzniveau“ Rechtsprechung und ein Teil der Literatur folgern aus der Indefinitheit des verfassungsmäßigen Gegenteils bei grundrechtlichen Schutzpflichten die Notwendigkeit lediglich eines „angemessenen Schutzes“.919 Voraussetzung sei, dass die staatliche Gewalt ein hinreichendes Schutzniveau gewährleiste; 919  BVerfGE 88, 203 (254): „Der Schutzpflicht ist andererseits nicht dadurch genügt, daß überhaupt Schutzvorkehrungen irgendeiner Art getroffen worden sind. Ihre Reichweite ist vielmehr im Blick auf die Bedeutung und Schutzbedürftigkeit des zu schützenden Rechtsguts – hier des ungeborenen menschlichen Lebens – einerseits und mit ihm kollidierender Rechtsgüter andererseits zu bestimmen (…). Art und Umfang des Schutzes im einzelnen zu bestimmen, ist Aufgabe des Gesetzgebers. Die Verfassung gibt den Schutz als Ziel vor, nicht aber seine Ausgestaltung im einzelnen. Allerdings hat der Gesetzgeber das Untermaßverbot zu beachten (…); insofern unterliegt er der verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Notwendig ist ein – unter Berücksichtigung entgegenstehender Rechtsgüter – angemessener Schutz; entscheidend ist, daß er als solcher wirksam ist. Die Vorkehrungen, die der Gesetzgeber trifft, müssen für einen angemessenen und wirksamen Schutz ausreichend sein und zudem auf sorgfältigen Tatsachenermittlungen und vertretbaren Einschätzungen beruhen (…)“; vgl. dazu auch Unruh (Fn. 544), 80 f.



C. Der verfassungsrechtliche Schutz der Mitarbeiter243

ein definitiver (Handlungs-)anspruch könne nicht existieren.920 Folglich sei auch der Gegenstand der Verhältnismäßigkeitsprüfung indefinit. Es komme allein auf die vorherrschenden, d. h. realen, faktischen Begebenheiten und Unternehmungen des Staates zum Schutze des jeweils betroffenen Grundrechts an. Daraus folge auch, dass bei Unterschreiten des festgestellten Schutzniveaus der Staat zwar zum aktiven Handeln verpflichtet sei; wie er handele und welche Maßnahmen er ergreife, werde dabei nicht vorgegeben; nur in seltenen Ausnahmefällen könne, wenn vorab klar sei, dass aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nur eine – definite – Handlungsmöglichkeit bestehe, eine konkrete Maßnahme gerichtlich vorgegeben werden.921 Aus diesen Argumenten ergibt sich dann aber auch, dass sich die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes „nur“ in einer Abwägung zwischen Schutzgut und Eingriffsgut, d. h. zwischen Förderungs- und Beeinträchtigungsintensität erschöpft. Es kommt nach dieser Ansicht lediglich auf die Verhältnis­ mäßigkeit im engeren Sinne922 an, die im Rahmen der Schutzpflichten auch als Untermaßverbot923 bezeichnet wird.924 Begründet wird diese Ausgestaltung des Untermaßverbotes letztlich mit der Komplexität der zu entscheidenden Frage und einem dazukommenden eingeschränkten Kontrollraum der Gerichte.925 Dadurch dass – im Gegensatz zu den Fällen des Übermaßverbots – das verfassungsmäßige Gegenteil des Unterlassens indefinit sei, mithin überhaupt nur eine unbestimmte Handlungspflicht den Staat treffen könne, und daraus folgernd der staatlichen Gewalt ein weiter Entscheidungsspielraum zukomme, müsse sich die gerichtliche Gewalt auf eine Überprüfung der Nichtunterschreitung der Schutzniveaugrenze beschränken.926 Nur in 920  Ebd. 921  Ebd.

diesem Begriff nur Hufen (Fn. 626), § 9 Rn. 23. Gegensatz zum Übermaßverbot als Begriff der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne bei Abwehrrechten. Der Begriff geht zurück auf den Zivilrechtswissenschaftler Canaris, der die Angabe eines Mindestschutzniveaus im Untermaßverbot sah, siehe Canaris, Grundrechte und Privatrecht, in: AcP 184 (1984), 201 ff.; vgl. dazu auch Krings (Fn. 702), 297 f. 924  BVerfGE 88, 203 (254): „Allerdings hat der Gesetzgeber das Untermaßverbot zu beachten (…); (…) Notwendig ist ein – unter Berücksichtigung entgegenstehender Rechtsgüter – angemessener Schutz; (…) Die Vorkehrungen, die der Gesetzgeber trifft, müssen für einen angemessen und wirksamen Schutz ausreichend sein (…). Soll das Untermaßverbot nicht verletzt werden, muß die Ausgestaltung des Schutzes durch die Rechtsordnung Mindestanforderungen entsprechen“; vgl. auch Unruh (Fn.  544), 82 f.; Szczekalla (Fn. 548), 230 f. 925  Vgl. dazu auch Szczekalla (Fn. 548), 223 ff. 926  BVerfGE 77, 170 (214); Grimm (Fn. 560), 221  ff.; so auch Wahl / Masing (Fn. 700), 558: „Die Schutzpflichten sind (…) ihrem Inhalt nach unbestimmt und unspezifisch. (…) Das Nicht-Handeln hat keinen genauen Gegenstand, es ist unspezifisch. (…) Auch wenn Schutz verfassungsverbindlich zu gewährleisten ist (…), so 922  Zu 923  Im

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

Ausnahmefällen – wenn das Schutzminimum dies erfordere – müsse eine konkret vorzunehmende Handlung vorgegeben werden.927 dd) Die Übertragung der abwehrrechtlich entwickelten Grundsätze des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in der Literatur Dieser Strömung steht die Ansicht eines Teils der Literatur gegenüber, der den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht auf die Abwägung beschränken, sondern sämtliche aus der Abwehrdimension bekannte Strukturebenen – Geeignetheit, Erforderlichkeit, Angemessenheit / Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne – anwenden will. Insbesondere Cremer sieht die Lösung über das hinreichende Schutzniveau als zu oberflächlich an und legt den Gegenstand der Verhältnismäßigkeit auf (eine) bestimmte vorzunehmende Maßnahme(n) fest.928 Insoweit wird kritisiert, dass nach der Lösung insbesondere des Bundesverfassungsgerichts nicht klar werde, „auf welchen Gegenstand, auf welches staatliche Verhalten, sich diese (d. i. die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes; VH) beziehen soll“.929 Begründet wird die notwendige Beziehung des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf bestimmte, konkrete (unterlassene) Maßnahmen zum einen mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip selbst: „Die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes setzt denklogisch einen bestimmten Prüfungsgegenstand voraus (…). Die Abwägung von Grund und Gegengrund bedarf (…) eines konkreten Bezugspunktes, welcher erst eine Gewichtung beider durch eine (unterlassene) Maßnahme berührten Interessen und Rechtspositionen erlaubt. Die bloße Feststellung eines unzureichenden Schutzniveaus ist dagegen nicht Ausdruck einer Verhältnismäßigkeitsprüfung, sondern ein Befund, der nur über die Schutzrechtsseite, nicht aber über die Beeinträchtigung kollidierender Rechtsgüter (z. B. Grundrechte Dritter) (…) Auskunft gibt“.930 Auch Borowski bezieht die Verhältnismäßigkeitsprüfung auf (alle) konkrete(n) unterlassene(n) Maßnahmen, begründet dies aber – nicht überraschend – mit der Prinzipientheorie931, wenn mit dem Argument geworben wird, die im Rahmen der Schutzpflicht gebotene Handsind Schutzmaßnahmen selbst doch inhaltlich nie verfassungsmäßig genau vorgezeichnet, es besteht im Gegenteil regelmäßig sowohl hinsichtlich Art und Weise des Schutzes als auch hinsichtlich Intensität ein weiter Gestaltungs- und Ausgestaltungsspielraum“. 927  BVerfGE 77, 170 (214); Wahl / Masing (Fn. 700), 559. 928  Cremer (Fn. 540), 272 ff.; ausführlich auch ders., Die Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der grundrechtlichen Schutzpflicht – Abwägung von Grund und Gegengrund statt Gewährleistung eines angemessenen Schutzniveaus, in: DÖV 2008, 102 (105 ff.). 929  Cremer (Fn. 540), 274. 930  Cremer (Fn. 540), 276; vgl. auch Borowski (Fn. 550), 262 ff., 273 f. 931  Siehe dazu bereits die Nachweise oben Fn. 550.



C. Der verfassungsrechtliche Schutz der Mitarbeiter245

lungspflicht sei eine universelle prima facie-Handlungspflicht und daher nur im Vergleich zu und in Abwägung mit anderen (möglichen) Handlungspflichten festzustellen.932 Trotz dieser grundlegenden Übereinstimmung unterscheiden sich die Ansätze von Borowski und Cremer dennoch in zweierlei Hinsicht. Auch wenn Cremer „bestimmte staatliche Unterlassungen“ zum Prüfungsgegenstand der Verhältnismäßigkeit bei Schutzpflichten macht und damit seiner Ansicht nach „in Übereinstimmung mit Borowski“ agiert,933 nehmen er und Borowski dabei dennoch unterschiedliche Blickwinkel ein. Borowski bezieht die Verhältnismäßigkeitsprüfung auf konkrete Maßnahmen, allerdings in Form ihres Unterlassens. Gegenstand ist demnach dem Grunde nach das Unterlassen einer konkreten Maßnahme. Die Beeinträchtigung des grundrechtlichen Schutzguts sei demnach gerechtfertigt, wenn das Unterlassen einer konkreten Maßnahme verhältnismäßig sei.934 Aus diesem Grunde sei das Untermaßverbot auch nicht strukturell parallel zum Übermaßverbot: Zwar diene auch ein Unterlassen einem (legitimen) Zweck – die Rechte Dritter – und könne angemessen sein; im Rahmen der Erforderlichkeit aber gebe es zum konkreten Unterlassen keine Alternative, weswegen die Erforderlichkeit bei Schutzpflichtkonstellationen nicht zu prüfen sei.935 Cremer prüft aber tatsächlich nicht wie Borowski die Verhältnismäßigkeit des Unterlassens einer bestimmten Handlung an sich, sondern er fragt sich stattdessen, ob die Vornahme der hypothetischen, konkreten Handlung verhältnismäßig, d. h. geeignet, erforderlich und angemessen ist936 und wider932  Borowski (Fn. 550), 246 ff.; danach müsse zwischen existentiellen und universellen Handlungsgeboten unterschieden werden. Im Falle existentieller Handlungsgebote sei von mehreren Handlungen nur eine Handlung vorzunehmen, im Falle universeller Handlungsgebote seien alle Handlungen, die bestimmte Eigenschaften erfüllten, verpflichtend. Da Grundrechte Prinzipien im Sinne von Optimierungsgeboten seien, seien auch alle Handlungen, die dem Schutz derselben dienten, verpflichtend; bei schutzpflichterfüllenden Handlungen handele es sich um universelle Handlungsgebote. Da allerdings der Staat nicht alle Handlungen vornehmen könne, sondern nur eine davon, sei zwischen Abwägungsstufe und Handlungsstufe zu unterscheiden. Auf Ersterer würden alle schutzpflichterfüllenden Handlungen gegeneinander abgewogen, um herauszufinden, welche Handlung dem Schutzauftrag am besten diene; auf der Handlungsebene sei nur diese Handlung auszuführen. Befände man sich auf der Ebene der Rechtfertigung des staatlichen Unterlassens, bewege man sich noch auf der Abwägungsebene, weswegen dann auch alle Handlungsalternativen zu berücksichtigen und miteinander abzuwägen seien. 933  Cremer (Fn. 540), 275 (Herv. VH). 934  Borowski (Fn. 550), 268 f. 935  Borowski (Fn.  550), 271 f. 936  Cremer (Fn. 540), 276 ff.: „Die konkrete, bislang unterlassene Maßnahme muss zur Förderung des Schutzrechts geeignet sein, sie muss sich im Rahmen der Abwägung gegenüber den mit der Maßnahme verbundenen Rechts- oder Interessenbeein-

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

spricht sich damit selbst.937 Er sieht eine strukturelle Verbindung zwischen Über- und Untermaßverbot und bezieht die Ebenen des Übermaßverbots auf das Untermaßverbot. Es sei in Erfahrung zu bringen, ob „konkrete, noch nicht getätigte Maßnahmen (…) einem Schutzrecht dienen, (…) und ob sie (die Maßnahmen! VH) sich in Abwägung mit kollidierenden Rechtsgütern als definitiv schutzrechtlich geboten durchsetzen“.938 Durch diese Vorgehensweise verschiebt sich aber der Blickwinkel von der Schutzpflichtverletzung auf den möglicherweise zur Erfüllung der Schutzpflicht vorzunehmenden aktiven Eingriff in die Rechtspositionen Dritter: Legitimer Zweck ist demnach nicht der Zweck des Unterlassens, sondern der Zweck der unterlassenen Maßnahme, d. h. die Erfüllung der Schutzpflicht939; die Geeignetheit liegt nicht vor, wenn das Unterlassen dem Zweck dient, sondern wenn die Vornahme der Handlung dem Zweck dient; die Erforderlichkeit ergibt sich nicht im Zusammenhang mit einem Unterlassen, sondern fragt nach anderen gleich geeigneten, aktiven Maßnahmen, die weniger intensiv in die Positionen Dritter eingreifen; und schließlich ist die Angemessenheit dann nicht zu bejahen, wenn das Unterlassen zum angestrebten Ziel (Schutz der Drittrechtsgüter) im Verhältnis, sondern wenn die konkrete (hypothetische) Maßnahme nicht außer Verhältnis zum Eingriffsziel (Schutzpflicht) steht. Demnach ist das Unterlassen nach Cremer nur dann gerechtfertigt, wenn keine verhältnismäßige aktive Handlung in Betracht komme.940 Die Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgt bei Cremer – allerdings nicht ausdrücklich klargestellt – aus Sicht des Dritten und wird insoweit „verabwehrrechtlicht“, bei Borowski dagegen aus Sicht des Inhabers des Schutzguts.

trächtigungen durchsetzen (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) und es darf keine schutzrechtlich gleich geeignete, aber weniger belastende Maßnahme geben (Erforderlichkeit)“ (281). Vgl. auch ders. (Fn. 928), 105: „Schon die Eignungsprüfung setzt eine (unterlassene) Maßnahme voraus, deren Eignung zu beurteilen gilt“. 937  So beschreibt Cremer (Fn. 540) den Gegenstand des Verhältnismäßigkeitsprinzips zunächst noch als „bestimmte staatliche Unterlassungen“ (275), lässt aber sogleich das BVerfG die „konkrete, noch nicht getätigte Maßnahmen“ überprüfen und dreht somit den Prüfungsgegenstand wieder um (276). 938  Cremer (Fn. 540), 276 (Herv. VH). 939  Dies ist nach den oben dargestellten Ausführungen Cremers automatisch so, auch wenn es seinen eigenen abstrakten Ausführungen zum legitimen Zweck widerspricht, vgl. Cremer (Fn. 540), 275 f., 282 ff.: Zwar möchte er den Zweck der staatlichen Unterlassungen prüfen (282 ff.), schreibt aber gleichzeitig, dass die „noch nicht getätigte Maßnahmen daraufhin [geprüft werden müssen; VH], ob sie einem Schutzrecht dienen…“ (276). Zweck der Unterlassung und Zweck der unterlassenen Maßnahme sind aber verschieden. Ersterer liegt im Schutz der konfligierenden Drittgüter, Letzterer im Schutz des die Schutzpflicht begründenden Grundrechts! 940  Cremer (Fn. 540), 282.



C. Der verfassungsrechtliche Schutz der Mitarbeiter247

Der zweite Unterschied zwischen den beiden Ansätzen liegt in der Frage nach der Anzahl der zu prüfenden Handlungsalternativen. Borowski geht im Sinne einer universellen Handlungspflicht und damit der Prinzipientheorie941 davon aus, dass für alle möglichen Handlungsalternativen die Verhältnismäßigkeit festgestellt und untersucht werden müsse. Insoweit schulde der Gesetzgeber das hinsichtlich des Schutzgedankens wirksamste bzw. effektivste Mittel.942 Cremer lehnt dies unter Hinweis auf die praktische Unmöglichkeit ab und fordert „nur“ das Rekurrieren auf „sich aufdrängende Schutz­maß­ nahmen“943. Wichtiger aber noch ist, dass nach Ansicht von Cremer der Gesetzgeber gerade nicht das schutzwirksamste Mittel schulde, sondern der Gesetzgeber bei mehreren Handlungsalternativen die Wahl habe; das Bundesverfassungsgericht müsse (und dürfe) sich dann nicht für eine konkrete Maßnahme entscheiden, sondern für die Schutzpflichtverletzung reiche (irgend-)eine verhältnismäßige, unterlassene Maßnahme.944 Etwas Anderes dürfe im Sinne der Erforderlichkeit nur dann gelten, wenn sich eine andere Handlungsalternative als gleich geeignet, aber weniger eingriffsintensiv (hinsichtlich der Rechtsgüter Dritter) entpuppe. Dann dürfe auch das Bundesverfassungsgericht nur diese (mildere) Maßnahme berücksichtigen.945, 946 Eine dritte Gliederung in der Literatur widerspricht den bereits dargelegten Vorschlägen insofern, als dass es im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung weder um (unterlassene) Maßnahmen (Cremer), noch um konkrete Unterlassungen (Borowski) gehe. Entscheidend sei allein das abstrakte Unterlassen.947 Daraus ergibt sich hiernach insgesamt eine Verhältnismäßigkeitsprüfung ohne Berücksichtigung konkreter Handlungen (bzw. entsprechender Alternativen) aus der Sicht des Schutzbetroffenen.948 941  Siehe

dazu bereits die Nachweise oben Fn. 550. (Fn.  550), 274 ff. 943  Cremer (Fn. 540), 278. 944  Cremer (Fn. 540), 279. 945  Cremer (Fn. 540), 280. 946  Dadurch erfolgt praktisch ebenfalls eine Verpflichtung der staatlichen Gewalt auf das – unter den „sich aufdrängenden Maßnahmen“ – schutzwirksamste Mittel und entspricht der vorher noch von Cremer kritisierten Ansicht Borowskis. 947  Hermes (Fn. 572), 253 f.; daran anschließend Pietrzak (Fn. 883), 751. 948  Hermes (Fn. 572), 253 / 254: „Ist das Ziel oder das Vorhaben, welches die Inkaufnahme von Lebens- oder Gesundheitsbeeinträchtigungen rechtfertigen soll, gemessen an anderen Normen des Grundgesetzes als Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verfassungsgemäß (Vorfrage)? – Ist die Beeinträchtigung der Schutzgüter des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geeignet, die entgegenstehende Position zu verwirklichen (1. Stufe)? – Ist die Zulassung bzw. Inkaufnahme von Beeinträchtigungen für Leben und Gesundheit notwendig, um die entgegenstehende Position zur Geltung zu bringen? Fehlen also Alternativen, welche das entgegenstehende Interesse wahren und dennoch Leben und Gesundheit gar nicht oder weniger stark beeinträchtigen (2. Stufe)? – Besteht ein 942  Borowski

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts BVerfG /  Literatur A

Literatur B Borowski

Cremer

Allgemein: Wann ist Unterlassen gerechtfertigt?

wenn angemessenes Schutzniveau

wenn Unterlassen einer konkreten Maßnahme verhältnismäßig

wenn konkrete unterlassene Handlung nicht verhältnismäßig

Gegenstand der Verhältnismäßig­keit

Schutzniveau

Unterlassen einer konkreten Maßnahme

Unterlassen einer konkreten Maßnahme

Blickwinkel

Staat

Schutzbetroffener

Dritter

Legitimes Ziel /  Geeignetheit



Rechte Dritter

Schutzpflicht

Erforderlichkeit



–, da Alternative zu Unterlassen unmöglich

wenn kein milderes Mittel

Angemessenheit

Abwägung zur Ermittlung des Schutzniveaus

wenn Schutzpflicht stärker wiegt als Eingriffsintensität

wenn Eingriff angemessen

Berücksichtigung von Handlungs­ alternativen



alle Alternativen (universelle Handlungspflicht)

nur die sich aufdrängenden Alternativen

ee) Stellungnahme: die Ausgestaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in Schutzpflichtenkonstellationen (1) Die genaue Eingrenzung des Prüfungsgegenstands Will man die Grundsätze des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf grundrechtliche Schutzpflichten übertragen, ist zunächst am entscheidendsten, was Gegenstand der Betrachtung sein muss. Hier spielt das Problem des indefiniten verfassungsmäßigen Gegenteils in Schutzpflichtkonstellationen eine besondere Rolle. Dass in abwehrrechtlichen Fällen dieses definit, in Schutzpflichtkonstellationen indefinit ist, ist zwar zutreffend. Dieser Befund ist aber nicht imstande, die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf angemessenes Verhältnis zwischen Lebens- und Gesundheitsbeeinträchtigungen einerseits und der entgegenstehenden Position andererseits (3. Stufe)?“.



C. Der verfassungsrechtliche Schutz der Mitarbeiter249

Schutzpflichtkonstellationen zu beschränken oder zu modifizieren. Denn der Gegenstand, um den es in der Verhältnismäßigkeit geht, der Prüfungsgegenstand, ist in beiden Fällen definit. In abwehrrechtlichen Konstellationen ist der konkrete Eingriff in die Grundrechte das Objekt der Prüfung, d. h. er ist es, der verhältnismäßig sein muss. In schutzrechtlichen Konstellationen ist das Unterlassen einer Handlung Gegenstand der Prüfung, so dass auch das Unterlassen an sich verhältnismäßig sein muss. Dass dabei unklar ist, welche Maßnahme unterlassen ist, spielt zunächst keine Rolle. Anlass für die mög­ liche Grundrechtsverletzung ist das Ausbleiben irgendeiner Handlung; der „Eingriff“ erschöpft sich also ebenfalls nicht in Bezug auf eine konkrete (unterlassene) Maßnahme, sondern nur auf die Unterlassung an sich. Wie im Rahmen der einzelnen Anwendungsebenen gezeigt werden kann, ist das Unterlassen an sich auch insoweit konkret, um es zum Gegenstand der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu machen. Ein notwendiges Rekurrieren auf eine konkrete Handlung, wie Cremer es für ein angemessenes Verhältnismäßigkeitsprofil fordert, bedarf es nicht. Dieser und der im gleichen Zuge angeführte Einwand, ohne Bezug auf konkrete Maßnahmen enthalte die Verhältnismäßigkeitsprüfung keinerlei Aussagen zu anderen möglichen Förderungshandlungen949, ist zwar zutreffend, basiert aber auf dem Gedanken, das Bundesverfassungsgericht müsse den Staat im Falle einer Schutzpflichtverletzung zu einer konkreten Handlung zwingen. Dem ist – wie zu zeigen sein wird – aber gerade nicht so. Der Einwand setzt daher bereits voraus, dass Prüfungsgegenstand eine konkrete unterlassene Maßnahme sein muss. Nur wenn der Staat die wirksamste oder bestmögliche Handlung vorzunehmen hätte, wäre der Einwand berechtigt und Prüfungsgegenstand der Verhältnismäßigkeit zwingend eine konkrete unterlassene Maßnahme. Parallel zu der Verhältnismäßigkeitsprüfung in Abwehrkonstellationen geht es bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch bei Schutzpflichten also (nur) um die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs. Wenn Cremer die Verhältnismäßigkeitsprüfung auf eine konkrete (unterlassene) Maßnahme beziehen will, modifiziert er bereits zu Beginn – bei der Festlegung des Prüfungs­ gegenstands – die Grundsätze des Verhältismäßigkeitsgrundsatzes, indem nicht der Eingriff, sondern das verfassungsmäßige Gegenteil zum Prüfungsgegenstand wird. Eine solche Modifikation ist aber nicht geboten. Prüfungsgegenstand der Verhältnismäßigkeit ist in abwehrrechtlichen Konstellationen wie in Schutzpflichtkonstellationen das den Eingriff bildende Verhalten der staatlichen Gewalt und nicht dessen verfassungsmäßiges Gegenteil. Bezugspunkt der Verhältnismäßigkeit ist in Schutzpflichtkonstellationen damit das Unterlassen – ohne Bezug auf eine konkrete Handlung.

949  Borowski

(Fn.  550), 264 f.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

(2) D  ie Übertragung aller Anwendungsebenen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf Schutzpflichtenkonstellationen Parallel zu den abwehrrechtlich konstruierten Grundsätzen ist in einem ersten Schritt entscheidend, dass der Prüfungsgegenstand – hier das Unterlassen – geeignet ist, einen legitimen Zweck zu fördern. Für die Frage nach der Legitimierung des Zwecks ist – wie bereits erwähnt – eine mögliche vorbehaltlose Gewährleistung des Grundrechts zu beachten. Es ist also zu fragen, welche Rechtsgüter und Interessen dadurch gefördert werden, dass die staatliche Gewalt nicht (oder nicht hinreichend) tätig wird. Dies sind – analog zu den aktiven Eingriffen – die Rechtsgüter und Interessen Dritter. Dadurch, dass das betroffene Grundrecht nicht (hinreichend) geschützt wird, werden Rechte Dritter verschont. Wird beispielsweise die körperliche Unversehrtheit eines Bürgers beeinträchtigt, weil die staatliche Gewalt es unterlässt, einem höchst giftige Schadstoffe emittierenden Kraftwerk entsprechende umweltschützende Auflagen zu erteilen, wird die Berufsfreiheit bzw. das Recht auf Eigentum des Kraftwerkbetreibers begünstigt.950 Wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines Bürgers beeinträchtigt, weil die staatliche Gewalt einem Buchautor gestattet, intime Details des betroffenen Bürgers erkennbar zu publizieren, wird beispielsweise die Kunstfreiheit des Autors begünstigt.951 Der legitime Zweck des Grundrechtseingriffs ist stets das entgegenstehende Rechtsgut oder Interesse Dritter. Bereits hier verändert Cremer, ohne es hinreichend kenntlich zu machen, den Blickwinkel der Prüfung, wenn es bei ihm darauf ankommt, welchem Zweck die unterlassene Maßnahme dient. Geeignet muss der Gegenstand der Verhältnismäßigkeit sein, hier also die Unterlassung und keine hypothetische Maßnahme. Dagegen könnte nun eigewandt werden, dadurch würde einer Nichthandlung ein Sinn und Zweck unterstellt werden, den sie ex re natura nicht aufzuweisen vermag. Die Hoheitsgewalt könnte auch deshalb untätig geblieben sein, weil sie das Problem gar nicht gesehen oder entsprechende Zwecküberlegungen nicht angestellt habe. Dagegen ist aber zu sehen, dass es sich – analog zu den abwehrrechtlichen Grundsätzen – nicht um eine subjektive, sondern eine objektive Zweckzurechnung handelt.952 Auch bei einem aktiven Eingriff ist es nicht entscheidend, welcher Zweck tatsächlich dahinter steckt, sondern vielmehr, welchen Rechtsgütern und Interessen die Handlung zu dienen geeignet ist.953 Zwar ist es richtig, dass mit einem aktiven Eingriff im dazu BVerfG, NJW 2002, 1638 ff.; dazu auch Epping (Fn.  596), 122 ff. dazu die sog. „Esra“-Entscheidung, BVerfGE 119, 1 ff. 952  Vgl. zu dieser Argumentation übereinstimmend auch Cremer (Fn. 540), 282 ff. 953  Vgl. Cremer, Rechtfertigung legislativer Eingriffe in Grundrechte des Grundgesetzes und Grundfreiheiten des EG-Vertrages nach Maßgabe objektiver Zwecke, in: 950  Vgl. 951  Vgl.



C. Der verfassungsrechtliche Schutz der Mitarbeiter251

Gegensatz zu einem Unterlassen immerhin ein vorhandener Akt existiert, der Zwecke potentiell erfüllen kann. Allerdings muss gesehen werden, dass Unterlassungen zum einen objektiv gesehen geeignet sind, Zwecke und Ziele zu erfüllen, zum anderen – und das ist entscheidend – dass man im Rahmen des Eingriffs geklärt hat, dass auch Unterlassungen Gegenstände verfassungsrechtlicher Eingriffe und Prüfungen sein können. Es gibt dann aber keinen Grund, als verfassungsrechtlich relevante (Prüfungs-)Gegenstände anerkannte Unterlassungen die für Zweckzurechnungen notwendige Relevanz abzusprechen. Unterlassungen sind zu Recht anerkannte Eingriffsmodalitäten und objektiv geeignet, Rechtsgütern und Interessen zu dienen. Besonders problematisch ist auch die Ebene der Erforderlichkeit. Allgemein muss der Eingriff das mildeste unter gleich geeigneten Mitteln sein, um erforderlich zu sein. Es kommt also auf eine (objektive) Vergleichbarkeit mit anderen ebenfalls demselben legitimen Zweck dienenden Mitteln an. Cremer hat hierbei kein Problem: Bei ihm geht es um hypothetische aktive Maßnahmen, so dass hier eine Reihe von möglichen Vergleichsmaßnahmen in Betracht kommt. Aus den genannten Gründen kann Cremer aber nicht gefolgt werden. Bei (abstrakten) Unterlassungen ist ein Vergleich mit Alternativmaßnahmen hingegen nicht möglich.954 Handelt die hoheitliche Gewalt gar nicht oder nicht ausreichend, gibt es keine andere mögliche Maßnahme, die hinsichtlich des Zwecks dasselbe Förderungsniveau erreichen kann. Will man den betroffenen Zweck in derselben Weise fördern, ist ein vollständiges Ausbleiben drittrechtsbeeinträchtigender Maßnahmen das am stärksten erforderliche Mittel. Hier sind die Erforderlichkeitsmaßstäbe des abwehrrechtlichen Verhältismäßigkeitsgrundsatzes mithin zwar anwendbar, aber ohne Sinn. Das liegt in der Eigenschaft des Unterlassens, für den zu erreichenden Zweck das am meisten geeignete Mittel darzustellen. Will die staatliche Gewalt in den oben genannten Beispielen die Berufsfreiheit bzw. das Eigentum oder die Kunstfreiheit schützen, kann sie dies am besten, indem sie keine diese Güter beeinträchtigenden Maßnahmen ergreift. Auf der dritten und letzten Ebene stellt sich parallel zu den abwehrrecht­ lichen Dimensionen die Frage der Angemessenheit des Eingriffs. Hier folgt eine Güterabwägung, durch die zu ermitteln ist, ob Zweck und Mittel angeNVwZ 2004, 668 ff.; BVerfGE 21, 292 (299); E 33, 171 (186): BVerfG, NJW 1998, 1776 (1777): „Denn das Bundesverfassungsgericht prüft, ob eine gesetzliche Regelung verfassungsgemäß ist, unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte, auch wenn sie in der Gesetzesbegründung keinen Niederschlag gefunden haben“. Vgl. auch Epping (Fn. 596), 50. 954  So auch Borowski (Fn. 550), 271 f.; anders Hermes (Fn. 572), 253 / 254, der auch zu Unterlassungen Alternativmaßnahmen als möglich erachtet, allerdings ohne dies näher zu erläutern oder zumindest Beispiele anzuführen.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

sichts beeinträchtigter Drittgüter in einem vertretbaren Verhältnis zueinander stehen.955 Dem Grunde nach geht es also in der Angemessenheit unter Berücksichtigung des verfolgten Zwecks abstrakt um die Zulässigkeit der Eingriffsintensität.956 Legt man dies den verschiedenen Fällen der Grundrechtsfunktionen zugrunde, geht es in den abwehrrechtlichen Fällen um die Zulässigkeit der Eingriffsintensität qua aktiven Handelns, in Schutzpflichtenkonstellationen um die Zulässigkeit der Eingriffsintensität qua Unterlassung. Folglich steht auch hier – bedingt durch den Gegenstand der Verhältnismäßigkeitsprüfung – nur die Feststellung der Angemessenheit des Unterlassens an sich, nicht der Unterlassung einer konkreten Handlung und erst recht nicht – wie bei Cremer – der Angemessenheit einer hypothetischen aktiven Maßnahme im Fokus. Es geht letztlich – mit dem BVerfG gleichlaufend – nicht darum, eine unterlassene Maßnahme, sondern den eigentlichen Eingriff, das Unterlassen an sich, möglicherweise zu rechtfertigen. (3) Der Entscheidungsspielraum der staatlichen Gewalt Die Beschränkung der gerichtlichen Kontrolldichte nur auf ein abstraktes Unterlassen mit dem Ergebnis nur einer abstrakten Handlungspflicht erklärt sich nicht nur durch eine exakte Eingrenzung des Prüfungsgegenstands, sondern auch aus einer anderen Überlegung. Nach den Vorschlägen von Cremer und Borowski steht am Ende der Verhältnismäßigkeitsprüfung, wenn auch mit unterschiedlicher Begründung, die Pflicht des Staates, eine bestimmte Handlung vorzunehmen, sofern die Unterlassung nicht gerechtfertigt ist. Bei Borowski ergibt sich das aus der Verbindung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mit der Prinzipientheorie: Durch das Rekurrieren auf die Eigenschaft der Grundrechte als Optimierungsgebote schulde der Staat, sofern die Schutzauftragsgrenze überschritten werde, stets das beste Mittel zum Schutz des jeweiligen Grundrechts.957 Ergebe die Angemessenheit, dass der Schutz des Grundrechts höher als die Eingriffsintensität sei, müsse der Staat das sich im Rahmen der Erforderlichkeit herausgebildete Mittel anwenden. Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt Cremer, nach dem unter Wechsel des Blickwinkels im Rahmen der Angemessenheit herauszufinden sei, ob eine konkrete (unterlassene) Maßnahme hinsichtlich ihrer Eingriffs­ intensität in

955  Epping (Fn. 596), 57 ff.; allgemein dazu Dechsling, Das Verhältnismäßigkeitsgebot, 1989; Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 2. Aufl. 1999; Schlink, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, in: Badura (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Bd. 2, 2001, 445 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 67 ff. 956  Schlink (Fn. 955); Schulze-Fielitz (Fn. 955). 957  Borowski (Fn. 550), 266 ff., 275 f.



C. Der verfassungsrechtliche Schutz der Mitarbeiter253

Drittgüter und -interessen eine zulässige Zweck-Mittel-Relation aufweise.958 Sei dies der Fall, habe der Staat die Pflicht, diese Maßnahme auszuführen. Eine Verengung der Rechtsfolge einer positiven Grundrechts- und Verhältnismäßigkeitsprüfung auf eine konkrete Maßnahme begegnet jedoch einigen Bedenken. Zum einen entspricht das Abstellen auf eine konkrete unterlassene Maßnahme per se nicht dem Eingriffs- und Prüfungsgegenstand.959 Des Weiteren ergeben sich Probleme auf der Ebene der Erforderlichkeit. Diese verlangt eine Vergleichsprüfung mit Alternativmaßnahmen, die – sollte man den Prüfungsgegenstand auf eine (unterlassene) konkrete Maßnahmen beziehen – aufgrund der Indefinitheit des verfassungsmäßigen Gegenteils kaum möglich ist. In Betracht kommen zumeist hunderte, wenn auch sich nur geringfügig unterscheidende Alternativmaßnahmen. Ein Überprüfen sämtlicher Maßnahmen, wie es erkennbar Borowski fordert960, ist daher kaum leistbar. Dieses Problem sieht zwar auch Cremer, eine adäquate Lösung schafft aber auch er nicht, will er den Kreis zu beachtender Alternativmaßnahmen nur auf die „sich aufdrängenden Schutzmaßnahmen“ erstrecken.961 Denn um zu wissen, welche Maßnahmen sich aufdrängen und offensichtlich geeignet sind, muss man de facto alle in Betracht kommenden Alternativmöglichkeiten im Auge haben und bewerten. Darüber hinaus laufen Gerichte möglicherweise Gefahr, entsprechende Alternativen zu übersehen. Die gestellten Anforderungen an die Erforderlichkeitsprüfung sind daher praktisch nur schwer zu erfüllen.962 Schließlich stellt sich das rechtliche Problem der Gewaltenteilung. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG teilt die staatliche Gewalt in drei Bereiche, mit dem Ziel, eine gegenseitige Kontrolle und ein hinreichendes Machtgleichgewicht ermöglichen zu können.963 Zwar ist eine absolute oder starre Trennung weder 958  Vgl.

dazu bereits oben S. 236 ff. dazu oben S. 244 ff. 960  Borowski (Fn. 550), 266 ff. 961  Cremer (Fn. 540), 277 f. 962  Anders Borowski (Fn. 550), 266 f., der die „kaum überschaubare Vielzahl“ an Alternativmaßnahmen bereits dadurch händelbar sieht, „daß dem Rechtsanwender aufgrund intuitiv leicht möglicher Gewichtungen die besonders untersuchenswerten Förderungsmittel erkennbar werden. Wenn die fragliche Problematik bereits öffentlich breit diskutiert wurde (…), hat der öffentliche Diskurs in aller Regel die erfolgversprechenden Förderungsmittel recht genau herausgearbeitet“ (Herv. VH). Diese Ansicht verkennt jedoch ihren sehr spekulativen Charakter und leugnet die Problematik möglicherweise zu übersehender Alternativen und deren Folgen. 963  Allgemein zum Gewaltenteilungsgrundsatz Schulze-Fielitz, (Fn. 955), Rn. 67 ff.; Di Fabio, Gewaltenteilung, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts für die Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 3. Aufl. 2004, § 27; Horn, Gewaltenteilige Demokratie, demokratische Gewaltenteilung, in: AöR 127 (2002), 427 ff.; Isensee (Hrsg.), Gewaltenteilung heute, 2000. 959  Siehe

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

möglich, noch vom Grundgesetz vorgesehen.964 Die Vorgabe einer konkreten Maßnahme in einem Feld zahlreicher in Betracht kommender Alternativen geht jedoch zu weit, insbesondere angesichts einer fehlenden im Raum stehenden konkreten Maßnahme. Anders als in abwehrrechtlichen Dimensionen, in denen eine konkrete Maßnahme bewertet werden muss, würde es in Schutzpflichtenkonstellationen um die gerichtliche Vorgabe und direkte Einmischung in den Entscheidungsbereich einer anderen Gewalt gehen. Das Gericht würde de facto für den konkreten Fall den Großteil der Aufgabe der anderen Gewalt übernehmen. Dafür ist es aber im Sinne des Demokratieprinzips nicht legitimiert.965 Es soll staatliches Handeln rechtlich bewerten, nur selten aber Handlungen und Entscheidungen vorgeben. Eine Ausnahme gilt lediglich dann, wenn entsprechende Handlungen verpflichtend aus dem Gesetz abzuleiten sind. Dies ist aber bei Grundrechten nur in seltenen Ausnahmefällen möglich. Denn Grundrechte geben erkennbar Grenzen staatlichen (Nicht-)Handelns, nicht aber konkrete Handlungsvorgaben vor. Dies ergibt sich bereits aus der sehr basalen Regelungsthematik und aus der sehr allgemeinen Formulierungsweise der Grundrechte. Die Judikative soll nicht die allgemeinen staatlichen Aufgaben übernehmen, sondern die Kontrolle und Überprüfung derjenigen, die die Aufgaben ausführen. Insbesondere die genaue Eingrenzung des Prüfungsgegenstands und die Vorgaben von Gewaltenteilung und Demokratieprinzip ergeben für die Angemessenheit Folgendes: Das Gericht hat nur festzustellen, ob die Grenzen des Nichthandelns überschritten sind, d. h. ob das Unterlassen an sich gerechtfertigt ist.966 Folglich kommt es „nur“ zur Feststellung einer abstrakten Handlungspflicht, nicht aber zur Vorgabe einer konkreten Handlung. Sollte eine Handlungspflicht bestehen, liegt es in der Entscheidungsbefugnis der jeweiligen anderen Gewalt, die konkrete Handlung festzulegen. Insoweit besteht ein beachtlicher Entscheidungs- und Prognosespielraum der exekutiven bzw. legislativen Gewalt.967 Die Grundrechte können sich nur auf die Frage nach dem „Ob“ beschränken. Sie bilden nur die Grenzen staatlichen Verhaltens. Daraus folgt aber auch, dass das häufig angeführte Problem des „Schutz[es] durch Eingriff“968 im Rahmen der Schutzpflichtprüfung nicht besteht. Zwar sind entsprechende Schutzmaßnahmen zugleich hinsichtlich der Rechtsgüter 964  Maurer, Staatsrecht I, 6. Aufl. 2010, § 12 Rn. 5; Di Fabio (Fn. 963), 31 ff.; Schulze-Fielitz (Fn. 955), 75. 965  So auch Cremer (Fn. 540), 279. 966  Insoweit wird der Ansicht des BVerfG gefolgt, die ebenfalls nur nach einem „angemessenen Schutzniveau“ fragt, siehe dazu oben S. 242 f. 967  So auch BVerfGE 88, 203 (254): „Art und Umfang des Schutzes im einzelnen zu bestimmen, ist Aufgabe des Gesetzgebers“. Gegen einen Gestaltungsspielraum zumindest für die Exekutive Dirnberger (Fn. 549), 882 ff. 968  Wahl / Masing (Fn. 700).



C. Der verfassungsrechtliche Schutz der Mitarbeiter255

Dritter Eingriffsmaßnahmen und daher hierbei das Übermaßverbot zu beachten. Dies ist aber nicht Gegenstand der grundrechtlichen Schutzpflichtprüfung, die sich nur auf die Frage nach einer Handlungspflicht beschränkt.969 Zu beachten ist aber, dass die Abwägung zwischen Schutzgut und (gegebenenfalls zu beeinträchtigendem) Drittgut freilich die relevanten Überlegungen, die das Übermaßverbot betreffen, ebenfalls enthält. Das Untermaßverbot scheint damit das umgekehrte Übermaßverbot zu sein. Insoweit könnte man behaupten, Unter- und Übermaßverbot betrachteten denselben Gegenstand nur aus verschiedenen Blickwinkeln, weshalb dem Untermaßverbot insoweit keine eigenständige Bedeutung zukomme (sog. Kongruenzthese).970 Dies ist allerdings nicht zutreffend.971 Zwar stimmt es, dass sowohl im Über-, als auch im Untermaßverbot dieselben Gesichtspunkte entscheidend sind, weil es sich in beiden Fällen um dieselbe Abwägung handelt. Eine propagierte Kongruenz kann sich aber zum einen nur in den Fällen eines Dreiecksverhältnisses ergeben, nicht jedoch in den Fällen, in denen Schutz auch ohne Eingriff erfolgen kann. Denn in diesen Bereichen spielt das Übermaßverbot freilich keine Rolle, so dass das Untermaßverbot jedenfalls hier seine Eigenständigkeit unter Beweis stellt.972 Zum anderen weisen – auch in Dreieckskonstellationen – Über- und Untermaßverbot aufgrund verschiedener Blickwinkel und Prüfungsgegenstände nicht dieselben Rechtsfolgen auf. Während das Übermaßverbot eine konkrete Maßnahme für (un-)zulässig erklärt, beschreibt das Untermaßverbot nur das (Nicht-)Bestehen einer abstrakten Handlungspflicht. Unter- und Übermaßverbot fielen damit nur dann direkt zusammen, wenn das Untermaßverbot sich auf die Vornahme einer konkreten (hypothetischen) Maßnahme bezöge. Dem ist aber aus den genannten Grün969  Anders Krings (Fn. 702), 301 ff., nach dem Unter- und Übermaßverbot zusammen zu prüfen seien, so dass ein Unterlassen nur dann gerechtfertigt sei, wenn das Schutzniveau im Sinne des Untermaßverbots unterschritten sei und ein notwendiger Eingriff in die Rechtssphäre Dritter nach dem Übermaßverbot gerechtfertigt sei. Problematisch ist auch hier wieder die Konzentration auf eine konkrete (unterlassene) Maßnahme, die gerade nicht Gegenstand der Schutzpflichtprüfung sein kann. 970  Hain, Der Gesetzgeber in der Klemme zwischen Untermaß- und Übermaßverbot?, in: DVBl. 1993, 982 ff.: „Was sich aus der Perspektive des Beeinträchtigten als Frage nach dem zulässigen Höchstmaß, aus dem Blickwinkel des Schutzsuchenden als Problem der Mindestanforderungen darstellt, wird durch ein und dieselbe Lösung anhand des Verhältnismäßigkeitsprinzips i. w. S.  beantwortet“; Unruh (Fn. 544), 84 ff.; Krings (Fn. 702), 298 f. Vgl. dazu auch Klein, Das Untermaßverbot – über die Justiziabilität grundrechtlicher Schutzpflichterfüllung, in: JuS 2006, 960 (962 ff.). 971  So auch im Ergebnis Dietlein, Das Untermaßverbot, in: ZG 1995, 131 (136 f.), und Krings (Fn. 702), 299 f., die allerdings eine andere (wenn auch ähnliche) Begründung anführen, da sie auch das Untermaßverbot – anders als hier – auf eine konkrete (unterlassene) Maßnahme beziehen. 972  Dies sehen auch die Anhänger der Kongruenzthese ein, siehe nur Hain (Fn. 970), 983.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

den nicht so.973 Das Untermaßverbot ist eine sich aus der Übertragung des Übermaßverbots ergebende eigene Konstruktion, die zwar denselben Regeln und Grundsätzen folgt, aber aufgrund eines abweichenden Prüfungsblicks andere Entscheidungen zu treffen hat.974 Über- und Untermaßverbot agieren mithin auf verschiedenen „normativen Ebenen“.975 Nur in ganz seltenen Fällen kann das Gericht den Staat zu einer konkreten Maßnahme verpflichten, in denen der Gestaltungsspielraum der staatlichen Gewalt „auf Null“ reduziert ist, es mithin nur eine einzig (rechtlich) mögliche Schutzmaßnahme existiert. Man kann dies mit der verwaltungsrechtlichen Verpflichtungsklage in Ermessensfällen vergleichen: Hat der Gesetzgeber einen (Entscheidungs-)Spielraum, darf das Gericht ihm nur aufgeben, bei einem Handeln die (gesetzlichen) Grenzen zu beachten; nur in dem Fall einer „Ermessensreduktion auf Null“ darf das Gericht die Verwaltung zur Vornahme einer konkreten Maßnahme (d. i. ein Verwaltungsakt) verpflichten. Analog für die Schutzpflichten bedeutet dies, dass die staatliche Gewalt einen Gestaltungsspielraum hat, in dem sie die gesetzlichen Grenzen insbesondere in Form des Unter- bzw. Übermaßverbots zu beachten hat; nur aus Gründen einer „Gestaltungsreduzierung auf Null“ kann das Gericht die staatliche Hand zur Vornahme einer konkreten Maßnahme zwingen.976 (4) Kein Unterschied bei Gleichheitsrechten Zuletzt stellt sich die Frage, ob das zuvor entwickelte dogmatische Schutzpflichtenkonzept auch auf Schutzpflichten aus Gleichheitsrechten anwendbar ist. Dabei muss unterschieden werden zwischen der Schutzpflicht aus Art. 3 Abs. 1 GG und der aus Art. 3 Abs. 3 GG.

973  Siehe oben S. 248 ff.; vgl. auch Krings (Fn. 702), 301, der von einer finalen Ausrichtung der Schutzpflicht spricht: „Sofern der Gestaltungsspielraum (der staatlichen Gewalt; VH) nicht im Ausnahmefall auf eine einzige verfassungsgemäße Schutzhandlung schrumpft, statuieren die Schutzpflichten eine Zielvorgabe für das staatliche Handeln. Eine solche Zielvorgabe kann nicht nach dem Vorbild des Zusammenspiels von Abwehrfunktion, Gesetzesvorbehalt und Übermaßverbot ‚eingeschränkt‘, sondern nur präzisiert werden“. 974  Krings (Fn. 702), 300: „Über- und Untermaßverbot begrenzen den staatlichen Konkretisierungsspielraum von je unterschiedlichen Seiten. Das Übermaßverbot deckt nur eine Flanke des staatlichen Handelns ab, nämlich diejenige gegen ein ‚Zuviel‘ an staatlichem Schutz durch Eingriffe in die Freiheitssphären der Bürger. Die andere Flanke eines ‚Zuwenig‘ an staatlichem Schutz bleibt auf das Untermaßverbot angewiesen“. 975  Dietlein (Fn. 971), 137; vgl. auch Unruh (Fn. 544), 86. 976  BVerfGE 88, 203 (253 f.); vgl. auch Unruh (Fn. 544), 82.



C. Der verfassungsrechtliche Schutz der Mitarbeiter257

Auf die Schutzpflichtfälle des Art. 3 Abs. 3 GG lässt sich die hier vertretene Schutzpflichtprüfung ohne Weiteres übertragen. Der Grund liegt in der Prüfungsstruktur des Art. 3 Abs. 3 GG selbst; auf diese Norm wird – im Gegensatz zu Art. 3 Abs. 1 GG – überwiegend die Prüfungsstruktur einer Freiheitsbeeinträchtigung angewandt und eine Rechtfertigung der speziellen Ungleichbehandlung über die Anwendung des (allgemeinen) Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erörtert. Art. 3 Abs. 3 GG wird insoweit freiheitsrechtsähnlich als Abwehranspruch gegen entsprechende Ungleichbehandlungen behandelt.977 Diese Verhältnismäßigkeitsprüfung lässt sich dann ohne Schwierigkeiten in die schutzpflichtbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung umwandeln. Die Ungleichbehandlung erfolgt nicht durch den Staat, sondern durch Dritte (hier: den kirchlichen Dienstgeber). Das Untätigbleiben des Staates kann jedoch zugunsten eines (kollidierenden) Verfassungsguts (hier: das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gem. Art. 137 Abs. 3 WRV) gerechtfertigt sein. Dafür muss die Ungleichbehandlung geeignet sein, das kollidierende Verfassungsgut zu fördern und dabei angemessen sein. Es ergeben sich also keine Unterschiede zu einer Schutzpflichtprüfung bei Freiheitsrechten. Wesentlich schwieriger ist die Beurteilung in Bezug auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Der Grund dafür liegt überwiegend in der Unklarheit der gesamten (Prüfungs-)Struktur der Norm, die sich insbesondere auf der Rechtfertigungsebene widerspiegelt.978 Im Gegensatz zu Art. 3 Abs. 3 GG ist hier der Prüfungsmaßstab insoweit unklar, als keine die Ungleichbehandlung für unzulässig erklärenden Kriterien genannt sind, die analog zu den Freiheitsrechten Inhalt und Wirkung des Gleichheitsrechts aus sich selbst heraus klar benennen.979 Art. 3 Abs. 1 GG ist ein rein relationales Grundrecht, dessen Programm erst in Ansehung des Einzelfalls entwickelt werden muss.980 Daraus ergibt sich folgerichtig auch das Problem der bestehenden Rechtfertigungsmodalität: Anders als bei Art. 3 Abs. 3 GG, der nur Ungleichbehandlung „wegen“ besonders mit der Menschenwürde verwandter Kriterien erfasst, betrifft Art. 3 Abs. 1 GG zunächst jede Ungleichbehandlung; die Frage, wie eine solche „allgemeine“ (Un-)Gleichbehandlung angesichts des sehr weiten Anwendungsbereichs des Ungleichbehandlungsveroder -gebots gerechtfertigt werden kann, ist daher verständlich. Es wundert 977  So wird es auch bereits Studierenden beigebracht, vgl. Gröpl, in: ders. /  Windthorst / von Coelln, GG, 2014, Art. 3 Rn. 85. 978  Ein guter Überblick zu den verschiedenen Strömungen beim Umgang mit der Frage der Rechtfertigung einer (Un-)Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG findet sich bei Kischel (Fn. 735), 24 ff., 28 ff., 30 ff., 34 ff.; vgl. auch Kirchhof, Allgemeiner Gleichheitssatz, in: Isensee / ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 8, 3. Aufl. 2010, § 181 Rn. 232 ff. 979  Volkmann, Staatsrecht II, 2. Aufl. 2011, § 19 Rn. 23; Boysen (Fn. 728), 132. 980  Vgl. Volkmann (Fn. 979).

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

daher auch nicht, dass die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu Beginn jede (Un-)Gleichbehandlung zugelassen hat, für die (irgend-)ein sachlicher, d. h. nicht willkürlicher Grund angeführt werden konnte.981 Jedoch zeigte sich schnell, dass diese dogmatische Linie gerechtigkeitsbezogenen Vorstellungen nicht entsprechen kann, weil sie nur die stärksten Ungleichbehandlungen verhindert. Infolgedessen wandte sich das Bundesverfassungsgericht mit der Mehrheit der Literatur im Rücken einer eigenen Form des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu: Zur Rechtfertigung einer (Un-) Gleichbehandlung genüge nunmehr nicht – zumindest nicht immer – irgendein Grund, sondern nur ein solcher Grund, der die Art und das Gewicht des zwischen den zu vergleichenden Gruppen bestehenden Unterschieds hinreichend widerspiegele.982 Entscheidend sei mithin eine Abwägung zwischen Intensität der (Un-)Gleichbehandlung und bestehender Sachgründe.983 Als legitimer Zweck der (Un-)Gleichbehandlung kommen folglich alleine die der Differenzierung zugrundeliegenden Sachgründe in Betracht.984 Die Anwendung des freiheitsrechtlich orientierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wurde und wird in der Literatur teilweise strikt abgelehnt. Im Folgenden sollen dabei die Argumente dieser Sichtweise untersucht werden, allerdings mit der Einschränkung, dass sie ausschließlich hinsichtlich der schutzpflichtbasierten Verhältnismäßigkeitsprüfung beleuchtet werden. Ein häufig angeführtes Argument gegen die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei Gleichheitsrechten ist, dass eine Zweck-Mittel-Relation bei ihnen nicht möglich sei.985 Denn entweder die (Un-)Gleichbehandlung basiere auf bereits bestehenden, tatsächlichen Unterschieden zwischen beiden Vergleichsgruppen, so dass ein eigentlicher Zweck, zu dem die Ungleichbehandlung in Relation gestellt werden könnte, nicht existiere, oder 981  Zur sog. Willkür-Formel siehe BVerfGE 1, 14 (52); E 50, 57 (77); E 48, 346 (375); vgl. Epping (Fn. 596), 795 ff.; Kischel (Fn. 735), 24 ff., 30 ff. 982  So genannte „neue Formel“, siehe BVerfGE 55, 72 (88); E 87, 234 (255): „Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verbietet es, daß eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten“; vgl. dazu auch Epping (Fn. 596), 797, 798 ff.; Kischel (Fn. 735), 28 ff.; Albers, Gleichheit und Verhältnismäßigkeit, in: JuS 2008, 945 (945 ff.). Teilweise auch als „neueste Formel“ bezeichnet, da mit BVerfGE 88, 87 (89); E 129, 49 (68), Willkür- und „neue Formel miteinander verbunden wurden: „Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können“, vgl. Boysen (Fn.  728), 55 ff. 983  Epping (Fn. 596), 809 ff.; Albers (Fn. 982), 947. 984  Kirchhof, in: Maunz / Dürig (Begr.), GG, 75. Lfg. 2015, Art. 3 Abs. 1 Rn. 250 ff. 985  Heun (Fn. 697), 28.



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aber die (Un-)Gleichbehandlung diene einem externen Zweck mit der Folge, dass Ziel und Differenzierungskriterium sowie gesetzgeberischer und der Ungleichbehandlung zugrunde liegender Zweck nicht identisch seien und damit eine Zweck-Mittel-Relation unmöglich machten.986 Die Kritik kann jedoch für die Schutzpflichtfunktion nicht fruchtbar gemacht werden: Denn hierbei geht es um die Verfassungsmäßigkeit des Verhaltens derjenigen Person – des Staates –, die die (Un-)Gleichbehandlung gerade nicht vorgenommen, sondern vielmehr nicht verhindert hat. Das bedeutet aber, dass Zweck der (Un-)Gleichbehandlung und Zweck der staatlichen Nichtverhinderung nicht deckungsgleich sind.987 Vielmehr besteht der Zweck des Unterlassens wie bereits ausgeführt in der Förderung des verschonten Rechtsguts. In den Fällen kirchlicher Sanktionen im Arbeitsrecht besteht also der Zweck des Unterlassens weiterhin in der Förderung des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen; hierbei kann eine Zweck-Mittel-Relation aber problemlos konstruiert werden: Es geht nicht um das Verhältnis von Zweck der (Un-)Gleichbehandlung und der (Un-)Gleichbehandlung selbst, sondern um das Verhältnis des der Ungleichbehandlung grundsätzlich zugrundeliegenden Rechtsguts und dem Nichtverhindern der (Un-)Gleichbehandlung, also dem Unterlassen. Dagegen mag nun eingewandt werden, diese Zweck-Mittel-Relation entspreche derjenigen bei Freiheitsrechten vorgenommenen Zweck-Mittel-Relation, sei also im Ergebnis überflüssig.988 Dem kann indes nicht zugestimmt werden. Denn die Zweck-Mittel-Relation bei Schutzpflichten erfolgt stets in Ansehung des die Schutzpflicht auslösenden Grundrechts des Betroffenen – hier also in Ansehung der allgemeinen Pflicht des Staates, (Un-)Gleichbehandlungen zu unterbinden. Dies ist aber folglich eine andere Ausrichtung als bei einem Freiheitsgrundrecht (z. B. Art. 12 Abs. 1 GG). Denn im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG wird nicht geprüft, ob die staatliche Gewalt tätig werden muss, weil die individuelle Belastung des Betroffenen zu intensiv ist, sondern es wird geprüft, ob die staatliche Gewalt tätig werden muss, weil es die Intensität der Verschiedenbehandlung fordert. Gleichheitsrechtliche und freiheitsrechtliche Fragen haben also einen unterschiedlichen Blickwinkel, der jeweils auch in den Schutzpflichten eingenommen wird. Es kommt also an auf die Abwägung zwischen dem Interesse, nicht (un-)gleich behandelt zu werden, und dem Interesse, (un-)gleich behandeln zu wollen. Mit anderen Worten: Die staatliche Schutzpflicht aus Art. 3 Abs. 1 GG fragt, ob der den Huster, Rechte und Ziele, 1993, S. 129 ff. kommt es bei Schutzpflichten auch nicht zum Fall des internen Zweckes, vgl. zu dieser Begrifflichkeit Huster (Fn. 986), 142 ff.; Heun (Fn. 697), 28; Epping (Fn. 596), 802 f. 988  Volkmann (Fn. 979), 52; Wollenschläger, in: von Mangoldt / Klein / ders. (Hrsg.), GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 3 Rn. 127 ff. 986  Vgl.

987  Dadurch

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

Betroffenen (un-)gleich behandelnde Dritte solche Gründe anführen kann, die angesichts der Intensität der (Un-)Gleichbehandlung noch angemessen sind. Dem kann auch nicht entgegnet werden, für die Frage nach der Intensität der Ungleichbehandlung mangele es an einem hinreichenden Maßstab, weil hierbei auf den Maßstab der Freiheitsrechte zurückgegriffen werden müsse.989 Unabhängig davon, dass es an einer hinreichenden Begründung dieser These mangelt, verkennt diese These, dass die Frage nach der Intensität nicht alleine den Freiheitsrechten vorbehalten bleibt. Auch eine (Un-) Gleichbehandlung kann verschiedentlich intensiv sein, beispielsweise bei unterschiedlich breiten Auswirkungen der (Un-)Gleichbehandlung oder bei unterschiedlich großen Möglichkeiten, Einfluss auf die (Un-)Gleichbehandlung zu nehmen.990 Darüber hinaus ergeben sich Wechselwirkungen zwischen Freiheits- und Gleichheitsrechten. Je nach Intensität beschränkt eine (Un-) Gleichbehandlung auch die Möglichkeit der Freiheitsausübung und umgekehrt können bestimmte Freiheitsbeschränkungen eine unzulässige (Un-) Gleichbehandlung begründen.991 Letztlich sei angemerkt, dass die hier angeführten Argumente gegen eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG auch bei Art. 3 Abs. 3 GG relevant werden müssten, setzt dieser doch gerade eine (Un-)Gleichbehandlung i. S. v. Art. 3 Abs. 1 GG voraus.992 Hier besteht aber nahezu umfassender Konsens darüber, dass eine Verhältnismäßigkeitsprüfung als Rechtfertigungsmodul vorzunehmen ist. Dies überrascht und lässt die Vermutung nahe liegen, dass das Problem nicht in der dogmatischen Unfähigkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, sondern vielmehr in dem politischen Wunsch liegt, sowohl dem Gesetzgeber als auch dem Rechtsanwender größtmögliche Freiheiten zu lassen. Zusammenfassend lässt sich die Übertragung der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch auf die Gleichheitsrechte bejahen. Das behauptete Auseinanderfallen von Differenzierungsziel und Differenzierungskriterium / -mittel lässt sich für die Schutzpflichten nicht feststellen, da stets das Verhalten des nicht (un-) gleich behandelnden Staates in Rede steht und es mithin auf die Zweck-Unterlassen-Relation ankommt. Letztlich lässt sich auch keine absolute Deckungsgleichheit von Freiheits- und Gleichheitsschutzprüfung erkennen, wird doch im Rahmen der Gleichheitsrechte gerade die Zweck-Mittel-Rela989  Heun

(Fn. 697), 31. der „Verschränkung von Gleichheits- und Freiheitsschutz“ Nußberger (Fn. 774), 15 ff. (Zitat 18). 991  Nußberger (Fn. 774), 17 f. 992  Schrooten, Gleichheitssatz und Religionsgemeinschaften, 2015, S.  62  ff. m. w. N.; Epping (Fn. 596), 822 ff.; Albers, Inländerdiskriminierung am Beispiel des Handwerkrechts, in: JZ 2008, 708 (711 ff.). 990  Zu



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tion angesichts des Verallgemeinerungs- und (Un-)Gleichbehandlungsanspruchs des Betroffenen vorgenommen und individuelle Beeinträchtigungsmerkmale an sich außer Betracht gelassen. ff) Zusammenfassung Wie gezeigt werden konnte, sind die im Umfeld grundrechtsabwehrfunktionaler Konstellationen ermittelten Grundsätze des Verhältnismäßigkeitsprinzips ohne umfangreiche Modifikationen auf Schutzpflichtenkonstellationen übertragbar und werden damit ihren basal-dogmatischen Anforderungen gerecht. Entgegen einiger Strömungen in der Literatur ist Prüfungsgegenstand des Verhältnismäßigkeitsprinzips in abstracto das den Eingriff begründende staatliche Verhalten und damit in Fällen grundrechtlicher Schutzpflichten nicht das Unterlassen einer konkreten Maßnahme, sondern das Unterlassen an sich. Denn auch dieses Untätigbleiben der staatlichen Gewalt kann objektiv geeignet sein, legitime verfassungsrechtliche Zwecke zu fördern. Lediglich im Rahmen der Erforderlichkeit können die abwehrrechtlichen Grundsätze keine Antwort liefern. Ein Nichthandeln ist zum Schutz eines kollidierenden (Rechts-)Gutes stets das effektivste Mittel. Das Begrenzen des Bezugspunkts der Verhältnismäßigkeit in Schutzpflichtenkonstellationen ergibt sich zudem unter Beachtung der Angemessenheit. Hier geht es um einen Ausgleich im Sinne einer Zweck-Mittel-Relation angesichts kollidierender Drittgüter. Würde hier das Unterlassen einer konkreten Maßnahme den Prüfungsgegenstand bilden, müsste das Gericht die staatliche Gewalt möglicherweise zu dieser bestimmten Handlung zwingen. Dies widerspricht aber sowohl der Idee der Gewaltenteilung als auch dem demokratischen Prinzip. Ergebnis kann höchstens das gerichtliche Aussprechen einer abstrakten Handlungspflicht sein, die sich nur in Ausnahmefällen auf eine einzige konkrete Maßnahme beschränkt. Die Angemessenheit hat daher in Anlehnung an die Rechtsprechung nur das Unterschreiten eines angemessenen Schutzniveaus zum Thema.

II. Das Rechtsstaatsprinzip In neuerer Zeit untersucht wurde die Frage, inwieweit Staatsstrukturprinzipien, insbesondere das Rechtsstaatsprinzip, auch außerhalb der staatlichen Sphäre Geltung beanspruchen.993 Für den Bereich kirchlicher Rechtsetzungs993  Das betrifft insbesondere den Anwendungsbereich des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, siehe nur Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke privater Gestaltungsmacht, 2004; vgl. auch Heusch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Staatsorganisationsrecht, 2003.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

autonomie ist namentlich die Studie von Christian Traulsen zu erwähnen, der die Wechselwirkung von Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung genau ausbuchstabiert.994 Trotz der „tiefe[n] Wesensverschiedenheit zwischen staatlicher und kirchlicher Ordnung“995 gelte nach ihm das Rechtsstaatsprinzip in bestimmter Weise zumindest hinsichtlich seiner von der staatlichen Ordnung unabhängig geltenden spezifischen Momente auch für die kirchliche Rechtsordnung und fordere insoweit von ihr insbesondere Verfahrensklarheit, Rechtssicherheit, Normenklarheit, Willkürverbot und Verhältnismäßigkeit.996 Diese These gilt es im Folgenden zu untersuchen. 1. Tatbestandsimmanente Abwägung als Schrankenersatzkonzept? Die Übertragung rechtsstaatlicher Grundsätze auch auf die nichtstaatliche Kirchenordnung ist bereits deshalb mit Schwierigkeiten behaftet, da zur Einschränkung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts ein „für alle geltendes Gesetz“ vorliegen muss.997 Das Rechtsstaatsprinzip an sich ist jedoch dazu nicht imstande, verpflichtet es doch unmittelbar zunächst nur den Staat selbst.998 Aus demselben Grund sind auch die Grundrechte in ihrer Funktion als Schutzpflichten nicht unmittelbar Schranke des Art. 137 Abs. 3 WRV, sondern erst über die Existenz der sie verkörpernden für alle geltenden Gesetze.999 Aber auch einfach-rechtliche Gesetze, die allgemein die Umsetzung rechtsstaatlicher Grundsätze fordern, sind nicht ersichtlich. Damit stellt sich bereits die technische Frage nach der möglichen Bindung kirchlichen Rechts an rechtsstaatliche Grundsätze. Auch Traulsen sieht diese Problematik und umgeht sie, indem er das Rechtsstaatsprinzip als tatbestandlich immanente Schranke anerkennt und insoweit eine Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts a priori verlangt.1000 Als Begründung verweist er auf das fehlende und damit die Subsumtion nicht ermöglichende normative „Rechtsanwendungsergebnis“.1001 Gegen eine solche ab994  Traulsen (Fn. 718); vgl. auch ders., Rechtsstaatliche Grundsätze im Evangelischen Kirchenrecht, in: ZevKR 58 (2013), 138 ff. 995  Traulsen (Fn. 718), 3. 996  Zu den einzelnen geltenden, „zentralen“ Strukturelementen Traulsen (Fn. 718), 115 ff.; ders. (Fn. 994), 155 ff. 997  Siehe zu diesem Merkmal bereits oben S. 102 ff. 998  Allgemein zu der Eigenschaft von Verfassungsnormen als für alle geltende Gesetze siehe Germann, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Beck-OK, GG, Stand: November 2018, Art. 140 Rn. 43.1. 999  Siehe dazu bereits oben S. 102 ff. 1000  Traulsen (Fn. 718), 175 ff. 1001  Traulsen (Fn. 718), 176, mit Verweis auf Couzinet, Die Zulässigkeit von Immissionen im anlagenbezogenen Immissionsschutzrecht, 2007, S. 213 ff.



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wägungsbedingte tatbestandliche Konkretisierung spricht aber, dass es sich hier nicht um eine Konkretisierung an sich, sondern um eine Begrenzung handelt. Dies zeigt sich bereits daran, dass das Rechtsstaatsprinzip gar keinen Einfluss auf den Tatbestand des Art. 137 Abs. 3 WRV hat. Der Tatbestand des Art. 137 Abs. 3 WRV, also die Voraussetzungen für die Rechtsausübung, ist alleine das Vorliegen eigener Angelegenheiten der Kirchen; die Pflicht, verhältnismäßig zu agieren oder normklare Rechtsvorschriften zu erlassen, hat dabei unmittelbar gerade keinen Bezug zu der Entscheidung, ob eigene Angelegenheiten geordnet oder verwaltet werden, sondern besagt höchstens, wie weit das Ordnen und das Verwalten gehen dürfen. Die Abwägung zwischen Selbstbestimmung und Rechtsstaatlichkeit kann daher bei Art. 137 Abs. 3 WRV nur dann tatbestandsimmanent sein, wenn man Tatbestand mit Reichweite gleichsetzt. Die Reichweite des Art. 137 Abs. 3 WRV ergibt sich nach dem Wortlaut der Norm aber erst endgültig in Ansehung der für alle geltenden Gesetze und nicht allein über den Begriff der eigenen Angelegenheiten. Mit anderen Worten: Sollte die Abwägung im Rahmen des Art. 137 Abs. 3 WRV tatbestandsimmanent sein, bräuchte es generell keine Schrankennormen mehr, die Norm bliebe in ihrer Formulierung teilweise nicht angewendet. Damit zeigt sich, dass die entgegengesetzte Ansicht das Fehlen bestehender Schranken über eine Modifikation der allgemeinen Dogmatik erreichen möchte, für die es keinen erkennbaren Grund gibt1002 – im Gegenteil: Nach dem Wortlaut des Art. 137 Abs. 3 WRV ergibt sich die Zulässigkeit einer kirchlichen Handlung erst in Ansehung bestehender Schranken. Gibt es keine Schranken, gilt die kirchliche Autonomie unbeschränkt.1003 2. Die Reichweite des Rechtsstaatsprinzips Selbst wenn entsprechende rechtsstaatlich bedingte „für alle geltende Gesetze“ vorlägen, ergäbe sich ein weiteres Problem: Eine Begrenzung der kirchlichen Selbstbestimmung durch rechtsstaatliche Grundsätze setzt grundlegend die Anwendbarkeit des Rechtsstaatsprinzips auf kirchliche Sachverhalte voraus. Dies ist allerdings unabhängig davon, ob man in dem Rechtsstaatsprinzip ein allgemeines Rechtlichkeitsprinzip (a)) oder nur die grundgesetzlichen Konkretisierungen (c)) sieht, nicht der Fall. Eine mittelbare Geltung kommt ebenfalls nicht in Betracht (b)).

1002  Kritisch auch Unruh, Traulsen, Christian: Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung – Überlegungen zur Rechtsstaatsbindung von Religionsgemeinschaften unter besonderer Berücksichtigung der evangelischen Landeskirchen, Tübingen: Mohr Siebeck, 2013, 426 S., in: ZevKR 59 (2014), 213 (215). 1003  Vgl. dazu bereits oben S. 102 ff.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

a) Der allgemeine Teil des Rechtsstaatsprinzips Ein erstes Problem ist, dass sich der Inhalt der das kirchliche Selbstbestimmungsrecht begrenzenden rechtsstaatlichen Grundsätze selbst aus dem GG ergibt und damit mittelbar von Art. 137 Abs. 3 WRV abhängt, das die Reichweite eigentlich erst bestimmt. Damit kann das allgemeine Rechtstaatsprinzip, sofern man neben den einzelnen grundgesetzlichen Konkretisierungen überhaupt ein übergeordnetes und allgemeines Prinzip der Rechtsstaatlichkeit anerkennt,1004 nicht auf den kirchlichen Bereich erstreckt werden. Die gegenteilige Annahme basiert vor allem auf der Überlegung, dass das Rechtsstaatsprinzip eben nicht nur Anforderungen an die Staatlichkeit und ihr Recht, sondern allgemein an das Recht stelle. Rechtsstaatliche Überlegungen können damit auch nichtstaatliche Akteure betreffen. Insoweit enthalte es einerseits ein Prinzip der „Rechtlichkeit“1005, das für alle Bereiche des Rechts und damit unabhängig von seinem „Schöpfer“ gelte, und andererseits entsprechende Vorgaben, die nur für die staatliche Gewalt von Beachtung seien, etwa die Grundrechtsbindung.1006 Überspitzt formuliert könnte man davon ausgehen, dass hiernach das Rechtsstaatsprinzip in einen allgemeinen und einen besonderen, nur für die staatliche Sphäre geltenden Teil gegliedert werden könnte. Hintergrund dieser Annahme ist dabei wiederum die weitere These, dass das Grundgesetz im Sinne der Inkorporationslehre1007 den Anspruch auf materiale Richtigkeit des Rechts übernommen habe und insoweit von einer „Idee des richtigen Rechts“ eingenommen sei. „Insoweit trifft die Verfassung, indem sie das Rechtsstaatsprinzip konstituiert, nicht nur eine Aussage über den Staat, sondern auch darüber, was in diesem Staat überhaupt Recht sein, wie Recht beschaffen sein soll“.1008 Diese Anforderungen an das Bestehen von Rechtlichkeit würden demnach auch für den kirchlichen Bereich gelten.

1004  Dazu insbesondere Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 3. Aufl. 2004, § 26 Rn. 8 ff.; Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip – Überlegungen zu seiner Bedeutung für das Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1986, S. 85 ff.; Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat – verfassungs- und verwaltungsrechtliche Aspekte, 1997, S. 27 ff.; vgl. Morlok / Michael, Staatsorganisationsrecht, 4. Aufl. 2018, Rn. 319. 1005  Traulsen (Fn. 718), 60 ff., 75 ff.; ders. (Fn. 994), 144 ff. 1006  Vgl. Traulsen (Fn. 718), 107 ff.; ders. (Fn.  994), 147 f. 1007  Nach der Inkorporationstheorie ist die grundgesetzliche Gerechtigkeitsidee kein Querschnitt verschiedener, sondern Ausdruck einer bestimmten Anschauung, siehe Lecheler, Unrecht in Gesetzesform?, 1994, S. 23 ff.; Dreier, Recht und Moral, in: ders., Recht – Moral – Ideologie, 1981, 180 ff.; Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, 1997, S. 40 ff.; vgl. Traulsen (Fn. 994), 146. 1008  Traulsen (Fn. 994), 147.



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Diese Prämisse ist zumindest zweifelhaft und einigen Bedenken ausgesetzt. Denn auch wenn nicht bestritten werden kann, dass das Grundgesetz grundsätzlich nicht von Recht als einer leeren Hülle oder als Begriff beliebigen Inhalts ausgeht, sondern eine bestimmte „Idee“ des Rechts verfolgt,1009 bleibt die Frage, ob es gleichwohl diese Rechtsidee, dieses Rechtsverständnis auch für den kirchlichen Bereich festschreibt. Pauschal kann dies aber nicht angenommen werden. Denn das Rechtsstaatsprinzip ist kein auskonkretisiertes Verfassungsprinzip, sondern muss in Gesamtschau des Grundgesetzes über den Weg der Auslegung zusammengesetzt werden1010 und darf insoweit nicht allgemeinen verfassungstheoretischen Überlegungen unterliegen1011. Insoweit stellt sich gerade die Frage, ob angesichts des Zwecks des Art. 137 Abs. 3 WRV, der grundsätzlich auch darin liegt, im kirchlichen Bereich religionsbedingt andere Vorstellungen auch von Recht zur Geltung zu verhelfen, im Rahmen der Auslegung eine Anwendungsbereichsbeschränkung des grundgesetzlichen Rechtsstaatsprinzips verlangt. Das Recht, die eigenen Angelegenheiten nach den eigenen religiösen Vorstellungen zu ordnen und zu verwalten, ist nicht von vorneherein nur auf besondere Sachfragen beschränkt, sondern kann zumindest theoretisch auch die grundlegenden Fragen des Rechts betreffen. Ein Recht kann aber grundsätzlich nicht ein anderes Recht beschränken, aus dem Ersteres in seiner inhaltlichen Ausrichtung gerade erst abgeleitet wird. Dann wäre aber das Rechtsstaatsprinzip von vorne­ herein auf die weltliche Sphäre beschränkt und folglich gar nicht fähig, die kirchliche Selbstbestimmung zu beschränken. Verfassungsrechtliche Güter können schließlich erst dann mit anderen Gütern kollidieren, wenn diese Anspruch auf den Geltungsbereich jener erheben. Dass allgemein eine „Idee 1009  So auch von Schlieffen, Rechtsstaat (J.), in: Heun / Honecker / Morlok / Wieland (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, 4. Aufl. 2006, Sp. 1933; Pecher, Verfassungsimmanente Schranken von Grundrechten, 2002, S. 54 ff.; Calliess, Gewährleistung von Freiheit und Sicherheit im Lichte unterschiedlicher Staats- und Verfassungsverständnisse, in: DVBl. 2003, 1096 (1100). 1010  So die überwiegende Meinung, siehe BVerfGE 2, 380 (403), wobei das Gericht häufig das Rechtsstaatsprinzip ohne Verankerung nennt (z. B. BVerfGE 89, 28 [35]; E 203, 332 [383 f.]) oder alleine Art. 20 Abs. 2 und 3 GG heranzieht (z. B. BVerfGE 52, 131 [143]); Schulze-Fielitz (Fn.  955), 38  ff.; Schnapp, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 20 Rn. 32; Grzeszick, in: Maunz / Dürig (Begr.), GG, 48. Lfg. 2006, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 22 ff., 32 ff.; Sobota (Fn. 1004), 27 ff.; Morlok / Michael (Fn. 1004), 318; Huster / Rux, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Beck-OK GG, Stand: November 2018, Art. 20 Rn. 140 ff. 1011  Auch Traulsen (Fn. 994), 144 ff., lehnt eine reine verfassungstheoretische Begriffsbestimmung ab und will die Verfassung als Grundlage für die Inhaltsbestimmung des allgemeinen Rechtlichkeitsprinzips heranziehen, geht aber selbst später nicht hinreichend auf die Verfassung und ihren Text ein, sondern erörtert vielmehr allgemeine Überlegungen und ordnet sie ohne hinreichende Begründung dem Grundgesetz zu (149 ff.).

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des Rechts“ im Sinne eines Prinzips der „Rechtlichkeit“ zu bejahen ist, aber nicht automatisch Bedeutung für den kirchlichen Bereich entwickelt, liegt insbesondere darin begründet, dass die üblichen davon betroffenen nichtstaatlichen Akteure der weltlichen Ordnung zugerechnet werden und insoweit zwangsläufig demselben Rechtsverständnis unterliegen. Es spricht aber nicht notwendigerweise dafür, dieses weltliche Rechtsverständnis und damit das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes bereits in seinem Anwendungsbereich auf den kirchlichen Bereich auszuweiten. Voraussetzung dafür wäre nämlich, dass Funktion und Begriff des Rechts in weltlicher und kirchlicher Sphäre identisch wären. Dass dies pauschal vorausgesetzt wird, ist jedoch angesichts des Art. 137 Abs. 3 WRV gerade nicht überzeugend.1012 Da aber das grundgesetzliche Rechtsstaatsprinzip und damit allgemeine Rechtlichkeitsprinzip nicht über dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht „thront“, sondern inhaltlich gerade auch von diesem seine Bestimmung und Konkretisierung erfährt,1013 ist es kaum überzeugend davon auszugehen, dass das Rechtsstaatsprinzip in seiner Anwendung auch Vorgaben für den kirchlichen Bereich festlegt. Dies belegt auch der – noch zu zeigende – Umstand, dass die im Grundgesetz vorzufindenden Konkretisierungen des Rechtsstaatsprinzips allesamt nur auf den staatlichen Bereich anzuwenden sind. Zumindest solche rechtsstaatlichen Elemente, die nicht aus den Vorschriften des Grundgesetzes, sondern aus der „allgemeinen Idee des Rechtsstaats“ abgeleitet werden, so insbesondere das Vertrauensschutzprinzip1014 oder – so zumindest teilweise vertreten1015 – das allgemeine Bestimmtheitsgebot, können damit nicht überzeugend Grenzen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts sein. b) Keine mittelbare Geltung des Rechtsstaatsprinzips im kirchlichen Bereich Kann also nicht mit einer „allgemeinen“ Idee von Recht und Rechtsstaatlichkeit die Bindung der Kirchen begründet werden, könnte der dogmatische 1012  Zwar belegt Traulsen (Fn. 994), 147, dass das Recht der evangelischen Kirchen grundsätzlich dieselben Funktionen wie staatliches Recht aufweist; dies bedeutet indes nicht, dass das Recht jeder Kirche funktional betrachtet dem staatlichen Recht gleicht; dies ist aber Voraussetzung für die Erstreckung des Anwendungsfeldes des verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzips. 1013  Vgl. oben Fn. 1010. 1014  Schulze-Fielitz (Fn. 955), 146 ff.; Schmidt-Aßmann (Fn. 1004), 81. 1015  Insbesondere Kunig (Fn. 1004), 205 ff.; BVerfGE 26, 338 (326 ff.); Papier /  Möller, Das Bestimmtheitsgebot und seine Durchsetzung, in: AöR 122 (1997), 177 (181 f.); vgl. Schulze-Fielitz (Fn. 955), 129. Teilweise wird das Bestimmtheitsgebot auch als Konkretisierung des Prinzips der Rechtssicherheit angesehen, das jedoch selbst wiederum aus dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip gezogen wird (siehe nur Schulze-Fielitz [Fn. 955], 146 ff.), siehe Stern (Fn. 562), 829.



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Weg einer mittelbaren Rechtsstaatsbindung gewählt werden. Dies könnte durch einen Verweis auf einen staatlichen Geltungsbefehl kirchlich gesetzten Rechts erreicht werden: Der Staat, der unzweifelhaft an das Rechtsstaatsgebot gebunden ist, handelt rechtsstaatswidrig, sollte er Kirchenrecht zur Geltung verhelfen, das dem entsprechenden Gebot nicht gerecht wird.1016 Diese Konstruktion hilft aber bei genauem Besehen nicht weiter: Denn die Frage, ob der Geltungsbefehl von der Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze abhängig zu machen ist, richtet sich wiederum alleine nach Art. 137 Abs. 3 WRV,1017 der die Grundlage und die Voraussetzungen eines staat­lichen Geltungsbefehls bildet. Auf die Frage also, ob im Rahmen des Art. 137 Abs. 3 WRV die Rechtsstaatlichkeit abwägend berücksichtigt werden muss, kann nicht mit einer unmittelbaren staatlichen Rechtsstaatsbindung geantwortet werden, weil diese nur insoweit relevant sein kann, als Art. 137 Abs. 3 WRV sie auch vorsieht.1018 c) Die rechtsstaatlichen Konkretisierungen als Grenzen kirchlicher Selbstbestimmung? Allerdings könnten spezielle und geregelte Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips geeignet sein, das kirchliche Selbstbestimmungsrecht zu schmälern. Diese Möglichkeit ergibt sich daraus, dass in diesem Fall die Reichweite anhand der grundgesetzlichen Verankerung bestimmt werden kann, ohne auf eine Gesamtschau des Grundgesetzes und damit Art. 137 Abs. 3 WRV angewiesen zu sein. Eine Bindung der Kirchen an das Rechtsstaatsprinzip kann sich also allein – wenn überhaupt – nur im Wege der einzelnen grundgesetzlichen Konkretisierungen ergeben – vorausgesetzt es gibt insoweit entsprechende für alle geltende Gesetze. Unabhängig davon, ob man diesen Konkretisierungen pauschal eine Schutzpflicht zuerkennen möchte,1019 ist jedoch Voraussetzung, dass die entsprechenden die Schutzpflicht auslösenden Konkretisierungen ihrer Konzeption nach auch durch nichtstaatliche Dritte beeinträchtigt werden können. Denn ist der Staat nicht nur Adressat, sondern auch aus Sicht des Grundgesetzes einziger „Störer“, ausführlich Traulsen (Fn. 718), 86 ff. selbst Traulsen (Fn. 718), 38 ff., 45 ff. 1018  Anders bei den Grundrechten, da hier die mittelbare Grundrechtsbindung nicht über Art. 137 Abs. 3 WRV, sondern über den allgemeinen Justizgewährungsanspruch als kollidierendes Gut hergeleitet wurde, siehe dazu oben S. 124 ff. Hier dagegen wäre das Rechtsstaatsprinzip selbst kollidierendes Gut, um herauszufinden, ob das Rechtsstaatsprinzip mittelbar Geltung erlangen könnte. 1019  Die Begründung der Schutzpflicht des Rechtsstaatsprinzips fußt bei Traulsen (Fn. 718), 75 ff., vielmehr auf allgemeinen Überlegungen, die sich an der Grundidee des Rechtsstaats – Schutz durch Recht – orientieren. 1016  So

1017  Ebenso

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kann auch eine Schutzpflicht nicht dazu führen, dass sich die Kirchen – mittelbar – an rechtsstaatliche Grundsätze halten. Dies bedarf einer entsprechenden Auslegung. Dabei zeigt sich jedoch, dass die zentralen Bausteine des Rechtsstaatsprinzips nichtstaatliche Dritte nicht berücksichtigen, sondern inhaltlich allein Bezug auf die staatliche Gewalt nehmen. So spricht der Grundsatz der Gewaltenteilung aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ausschließlich von der Staatsgewalt („sie“). Wenn der Gewaltenteilungsgrundsatz jedoch den alleinigen Inhalt hat, dass die Staatsgewalt in drei Gewalten gegliedert ist, stellt sich die Frage, inwieweit nun private Akteure wie die Kirchen gegen diesen Grundsatz verstoßen können. Das Gleiche gilt hinsichtlich des Vorrangs sowie des aus Art. 20 Abs. 3 GG abgeleiteten Vorbehalts des Gesetzes1020. Denn Art. 20 Abs. 3 GG behandelt ausschließlich die staatlichen Gewalten der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung und lässt für das Agieren privater Akteure keinen Raum. Dasselbe ergibt sich auch hinsichtlich des Bestimmtheitsgebots, zumindest sofern es nicht aus der „allgemeinen Idee des Rechtsstaatsprinzips“, sondern aus Art. 20 Abs. 3 GG1021 oder anderen Verfassungsnormen (z. B. Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG)1022 abgeleitet wird; alle diese Normen sehen den Staat nicht nur als Adressaten, sondern auch als maßgeblichen Akteur an und erstrecken sich erkennbar nur auf staatliche Rechtsakte.1023 Schwieriger zu beurteilen ist dagegen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.1024 Denn so sehr auch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit anerkannt ist, so unklar ist dessen dogmatische Verankerung. Soweit es – so die überwiegende Ansicht – unmittelbar aus dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip abgeleitet wird,1025 stellt sich die Frage seines Anwendungsbereichs. Denn 1020  Zur Ableitung des Vorbehalts des Gesetzes aus Art. 20 Abs. 3 GG BVerfGE 40, 237 (248 ff.); Hesse (Fn. 913), 201; Stern (Fn. 562), 805; Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970, S. 281; Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, 1988, S. 157; vgl. Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, 1999, S. 31 m. w. N. 1021  Für die Ableitung des Bestimmtheitsgebotes aus Art. 20 Abs. 3 GG (bzw. dem Vorbehalt des Gesetzes) BVerfGE 87, 234 (263); E 86, 288 (311); vgl. Schulze-Fielitz (Fn. 955), 129. 1022  Für eine Zusammenschau mehrerer Konkretisierungen als Grundlage des Bestimmtheitsgebots Michael / Morlok (Fn. 618), 564 ff.; Schmidt-Aßmann (Fn. 1004), 85 (allerdings ohne grundrechtliche Bezüge); vgl. Schulze-Fielitz (Fn. 955), 129. 1023  Gemeint sind insbesondere Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG, Art. 103 Abs. 2 GG und Art. 104 Abs. 1 GG und damit die besonderen Bestimmtheitsregelungen des Grundgesetzes (vgl. Schulze-Fielitz [Fn. 955], 129; Morlok / Michael [Fn. 1004], 342). Aber auch diese richten sich alle an die staatlichen Gesetzgeber oder Gerichte. 1024  Dazu Traulsen (Fn. 718), 160 ff.



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anders als bei anderen ausschließlich durch Auslegung gewonnenen rechtsstaatlichen Konkretisierungen wird hier – wie etwa beim Vertrauensschutz – nicht auf eine Norm wie etwa Art. 20 Abs. 3 GG, sondern viel eher auf die „Idee“ des Rechtsstaates und seine Mäßigungsfunktion abgestellt.1026 Dann ergibt sich aber wieder das Problem, dass eine „allgemeine“ Idee des Rechtsstaates nicht überzeugend das kirchliche Selbstbestimmungsrecht beschränken kann, ist doch der Inhalt dieser Idee allgemein auch von Art. 137 Abs. 3 WRV und dem ganzen Grundgesetz beeinflusst. Unabhängig von diesem Problem ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zudem nicht aus der allgemeinen „Idee“ des Rechtsstaatsprinzips, sondern alleine aus den Grundrechten oder anderen subjektiven Rechten (z. B. aus dem Staatsorganisationsrecht) abzuleiten.1027 Denn Verhältnismäßigkeit bedeutet im Grunde eine vertretbare, d. h. rationale1028 Relation und damit einen entsprechenden Ausgleich zwischen Ziel und Handeln.1029 Um das Verhältnis zwischen Ziel und Handeln, Zweck und Mittel, angeben zu können, bedarf es hingegen eines Indikators, einer bewertenden Messskala. So ist die notwendige Skala für den Zweck dessen Bedeutung und Wichtigkeit für die Allgemeinheit oder für den Einzelnen;1030 für die Bewertung des Mittels hingegen besteht eine hinreichende Skala in Gestalt der Intensität seiner Belastung.1031 Ohne diese Skala kann nicht festgestellt werden, ob der Zweck das eingesetzte Mittel 1025  BVerfGE 19, 342 (348 f.); E 69, 1 (35); E 80, 109 (119 ff.); Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 146; Stern (Fn. 876), 771 ff. 1026  Vgl. Schulze-Fielitz (Fn. 955), 179. 1027  So auch Schnapp (Fn. 1004), 44 f.; Krebs, Zur verfassungsrechtlichen Verortung und Anwendung des Übermaßverbotes, in: JURA 2001, 228 ff.; aus dem Begriff „Freiheit“ ableitend Merten, Zur verfassungsrechtlichen Herleitung des Verhältnismäßigkeitsprinzips, in: Hängstschläger (Hrsg.), Für Staat und Recht – Festschrift für Herbert, 1994, 349 (372 ff.). 1028  Zum Rechtsstaatsprinzip als Rationalitätsinstrumentarium insbesondere Gärditz, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: Mai 2018, Art. 20 Rn. 198; ähnlich Morlok / Michael (Fn. 1004), 371, 375; kritisch Huster / Rux (Fn. 1010), 183.2. 1029  Allgemein zur Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Lepsius, Chancen und Grenzen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, in: Jestaedt / ders. (Hrsg.), Verhältnismäßigkeit, 2015, 2 ff. 1030  Schulze-Fielitz (Fn.  955), 184; Schnapp (Fn.  1004), 44; Dreier, Vorb. (Fn. 536), 149; Huster, Gleichheit und Verhältnismäßigkeit, in: JZ 1994, 541 (542 f.); vgl. auch Engel, Das legitime Ziel in der Praxis des Bundesverfassungsgerichts – eine quantitative Analyse der Entscheidungen des Jahres 2011, in: Jestaedt / Lepsius (Hrsg.), Verhältnismäßigkeit, 2015, 97 ff.; siehe auch Sachs (Fn. 1025), 155, der ­darauf hinweist, dass das Gebot der Abwägung, d. h. der Proportionalität, selbst keine Maßstäbe festlege, sondern insofern auf Wertentscheidungen der Rechtsordnungen zurückzugreifen sei; ebenso Böckenförde / Mahrenholz, Abweichende Meinung, in: BVerfGE 69, 1 (59 ff.). 1031  Siehe die Nachweise in Fn. 1030.

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rechtfertigt. Das bedeutet aber, dass die Verhältnismäßigkeitsprüfung ohne eine eingriffsbezogene Intensitätsbewertung nicht möglich ist.1032 Sie setzt vielmehr das Vorliegen bestimmter beeinträchtigter subjektiver Positionen voraus, die sich aus dem Grundgesetz ergeben. Dies zugrunde gelegt erscheint eine Verortung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im allgemeinen Rechtsstaatsprinzip wenig überzeugend, wenn es sich stets auf subjektive Positionen bezieht und insoweit einen wichtigen Bestandteil ihrer Beschränkungsmäßigung bildet.1033 Ohne beschränkte subjektiv-rechtliche Positionen kann es keine Verhältnismäßigkeitsangabe geben, so dass die Frage, ob das Grundgesetz ein Prinzip der Verhältnismäßigkeit beinhaltet, auch alleine über die subjektiv-rechtlichen Positionen beantwortet werden kann. Das zeigt sich insbesondere bei den Grundrechten, die ohnehin durch ihre Struktur auf einen – verhältnismäßigen – Ausgleich mit kollidierenden Gütern aus­gerichtet sind.1034 Die dogmatische Verankerung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in den subjektiv-rechtlichen Positionen lässt sich auch aus einem anderen Blickwinkel betrachten, der ebenfalls eine Bindung der Kirchen an einen allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz fragwürdig erscheinen lässt: Dadurch dass die Verhältnismäßigkeit stets einer Bezugnahme auf beeinträchtigte subjektivrechtliche Positionen bedarf, folgt im Endeffekt aus der Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips stets die Verletzung der subjektiv-rechtlichen Position. Ist also eine kirchliche Regelung unverhältnismäßig, weil sie etwa zu intensiv in ein Grundrecht eingreift, verletzt sie automatisch auch dieses Grundrecht. Mit anderen Worten: Selbst wenn es ein allgemeines, im Rechtsstaatsprinzip fußendes Verhältnismäßigkeitsprinzip gäbe, würde es bei Beeinträchtigung der Grundrechte – prüfungstechnisch – durch die Grundrechtsprüfung verdrängt. Die vollständige Abdeckung der Verhältnismäßigkeitsprüfung durch die Grundrechtsprüfung bleibt auch dann bestehen, wenn man bedenkt, dass die Grundrechte in der hier liegenden Konstellation nur in ihrer Funktion als Schutzpflichten auftreten und im Rahmen einer schutzpflichtbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung die Frage nach dem „milderen Mittel“ für den be1032  Das ist freilich nicht auf ein aktives Eingreifen beschränkt, sondern umfasst auch unterlassensbezogene Beeinträchtigungen, etwa bei den grundrechtlichen Schutzpflichten. Zur Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf grundrecht­ liche Schutzpflichten siehe ausführlich oben S. 248 ff. 1033  Anders – differenzierend – Grzeszick (Fn. 1010), 108, nach dem gerade der Umstand, dass die Verhältnismäßigkeit auch andere Rechtspositionen als Grundrechte betreffe, den Grund für eine Zuordnung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu einem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip bilde, sofern nicht Grundrechte konkret betroffen seien. 1034  Vgl. dazu ausführlich oben S. 236 ff.



C. Der verfassungsrechtliche Schutz der Mitarbeiter271

troffenen Grundrechtsträger nicht explizit gestellt wird.1035 Dennoch spielt sie eine Rolle. Denn der Vorwurf eines unterlassenen milderen Mittels meint in diesem Fall nicht den Staat (dann wäre es eine expliziter Prüfungspunkt in der Erforderlichkeit), sondern ist gegen den privaten Dritten gerichtet: So kann etwa behauptet werden, die Kirchen hätten wegen eines Loyalitätsbruches dem Mitarbeiter nicht sofort kündigen dürfen, sondern ihn erst abmahnen müssen. Im Rahmen der schutzpflichtbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung wird aber die Rechtfertigung des staatlichen Unterlassens geprüft, so dass der Vorwurf eines von dem Dritten eingesetzten zu intensiven Mittels erst im Rahmen der Angemessenheit eine Rolle zu spielen vermag. Hätte der Dritte problemlos ein anderes Mittel mit derselben Eignung einsetzen können (etwa die Abmahnung statt der Kündigung), erhöhen sich die Intensität der Beeinträchtigung des grundrechtlichen Schutzguts und dadurch die Rechtfertigungsmaßstäbe für das staatliche Unterlassen: Je intensiver der Eingriff des Dritten ist, desto eher muss die staatliche Gewalt aktiv eingreifen. 3. Exkurs: die kirchenrechtlich begründete Geltung des Rechtsstaatsprinzips Freilich ist nicht ausgeschlossen – wie Traulsen anhand der evangelischen Kirchenrechtsordnung unter Beweis stellt1036 –, dass nach kirchenrechtlichen Maßstäben bestimmte rechtsstaatliche Grundsätze installiert sein können. Dies richtet sich aber freilich nach dem jeweiligen kirchlichen Recht und nicht nach der staatlichen Ordnung. So identifiziert Traulsen für die evangelischen Kirchen die Merkmale der Mäßigung von Machtausübung, der Erkennbarkeit und der Gerechtigkeit als die notwendigen Eigenschaften des Kirchenrechts.1037 Selbst wenn aber kirchliches und staatliches Recht zumindest teilweise dieselben Funktionen erfüllen sollten, ist weder gesagt, wie diese Funktionen kirchlicherseits erfüllt werden, noch was aus den Funktionen für die Ausgestaltung des kirchlichen Rechts zu folgern ist. Mit anderen Worten: Die Frage nach der Legitimationsvoraussetzung kirchlichen Rechts hängt – ebenso wie im staatlichen Recht – vom Selbstverständnis des Systems ab. Ob und inwieweit beispielsweise die Legitimation des Rechts eine Machtausübungsmäßigung verlangt, kann nicht für beide Rechtssysteme einheitlich festgelegt werden, nicht zuletzt weil der Maßstab der notwendigen Machtbeschränkung 1035  Der Grund liegt darin, dass aus Sicht des Staates ein milderes, aber gleich geeignetes Mittel neben dem Unterlassen nicht zu existieren vermag. Siehe dazu bereits oben S. 250 ff. 1036  Traulsen (Fn. 994), 138 ff. 1037  Traulsen (Fn. 994), 149 f.

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Teil 2: Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts

different sein kann. Die Abhängigkeit der Anforderungen an das Recht vom Selbstverständnis des rechterzeugenden Systems führt nicht dazu, ein allgemeines, übergreifendes Rechtsstaatsprinzip begründen zu können. 4. Zusammenfassung Die Kirchen sind nicht – auch nicht mittelbar – an das Rechtsstaatsprinzip gebunden. Das gilt zunächst deswegen, weil dieses Prinzip kein für alle geltendes Gesetz ist und keine entsprechenden allgemeinen, einfach-rechtlichen Vorschriften existieren. Selbst wenn es diese jedoch gäbe, kommt dem Rechtsstaatsprinzip keine Beschränkungswirkung gegenüber dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht zu: Sieht man in dem Rechtsstaatsprinzip nicht nur die grundgesetzlichen Konkretisierungen, sondern auch ein allgemeines Rechtsstaats- oder Rechtlichkeitsprinzip, so ist gegen eine Beschränkungswirkung des Letzteren zu sagen, dass dieses – wenn überhaupt – nur über eine Gesamtschau des GG herzuleiten und insoweit selbst von Art. 137 Abs. 3 WRV abhängig ist. Auf die Frage, ob das allgemeine Rechtsstaatsprinzip auch auf den kirchlichen Bereich anwendbar ist, kann damit nicht geantwortet werden. Daher sind ungeschriebene und nur aus der Leitidee eines Rechtsstaatsbegriffs abgeleitete Momente grundgesetzlicher Rechtsstaatlichkeit keine Güter, die das kirchliche Selbstbestimmungsrecht zu beschränken imstande sind. Beschränkungswirkung könnte theoretisch gesehen nur den grundgesetzlichen Konkretisierungen des Rechtsstaates zukommen. Hier zeigt sich aber, dass diese den Staat nicht nur als Adressaten, sondern auch als einzigen Akteur und damit einzigen potentiellen „Störer“ ansehen. Dritte vermögen nach der Konzeption des Grundgesetzes gerade nicht diese Konkretisierungen zu beeinträchtigen. Etwas Anderes gilt auch nicht für den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, weil er, sofern er aus dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip abgeleitet wird, überhaupt keine Beschränkungswirkung entfalten kann, oder, wenn er den Grundrechten und anderen subjektiv-rechtlichen Positionen entnommen wird, durch die Prüfung dieser subjektiv-rechtlichen Positionen vereinnahmt wird. Insoweit sind die das Verhältnismäßigkeitsprinzip inkorporierenden rechtsstaatlichen Konkretisierungen spezieller als ein möglicher „allgemeiner“ Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

Teil 3

Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts In den beiden vorausgehenden Kapiteln wurde festgestellt, dass die kirchlichen Modifikationen im Arbeitsrecht – abstrakt gesehen – von dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht umfasst sind, aber im selben Zuge die staatlich zu schützenden Rechtspositionen der Mitarbeiter in kirchlichen Einrichtungen beeinträchtigen. Ging es bislang um die Feststellung des Normkonflikts und einen für jede Normgruppe getrennten Konfliktlösungsmodus, soll es in diesem Kapitel nunmehr um die Synthese des Vorhergesagten und ihre Eigenheiten gehen. Im Nachfolgenden soll die Abwägung nicht wie bei den meisten Publikationen aus der Sicht der kirchlichen Rechtsposition, sondern aus dem Blickwinkel der Grundrechte der Mitarbeiter vorgenommen werden. In dem vorliegenden Kapitel geht es damit um eine schutzpflichtbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung, wobei der Schwerpunkt hier freilich auf der Abwägung, also auf der Zweck-Mittel-Relation zwischen den Grundrechten der Mitarbeiter und dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen liegt. Denn anders als bei der Zweckfeststellung und der Geeignetheitsprüfung ist die Angemessenheitsprüfung nicht ohne Weiteres zu beantworten: Zweck des staatlichen Unterlassens ist unproblematisch stets objektiv gesehen der Schutz respektive die Förderung der kirchlichen Selbstbestimmung und das dahinterstehende verfassungsrechtlich verbürgte Recht aus Art. 137 Abs. 3 WRV. Auch die Geeignetheit des staatlichen Verhaltens steht außer Zweifel, fördert ein wie hier vorzufindendes Untätigbleiben des Staates1038, sei es in Form des staatlichen Gesetzgebers oder der staatlichen Gerichte, in nicht unerheblichem Maße eine umfassende Selbstbestimmung der Kirchen im arbeitsrechtlichem Bereich. Im Folgenden muss daher mittels Abwägung untersucht werden, ob dieses Untätigbleiben mit dem grundrechtlich induzierten Schutzauftrag des Staates zugunsten der Mitarbeiter kirchlicher Einrichtungen konformgeht. Es ist bemerkenswert, dass trotz der herausragenden Rolle der Abwägung im Allgemeinen eine hinreichend konkrete Abwägungsmethodik noch nicht entwickelt worden ist und die Abwägung daher zunehmend in der Kritik steht. Es ist daher zuvörderst die Diskussion um die Methodik der Abwägung zu erörtern und ein entsprechendes Konzept der hier vorliegenden Arbeit zu1038  Siehe

dazu ausführlich bereits oben S. 248 ff.

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

grunde zu legen (A.). Anschließend ist die Rechtfertigungsprüfung für jede kirchenrechtlich begründete Modifikation vom staatlichen Arbeitsrecht vorzunehmen. Dabei werden dem bereits oben genannten Drei-Säulen-Modell1039 folgend zunächst die Loyalitätsforderungen (B.), anschließend das Streikverbot (C.) und schließlich das kirchliche Mitarbeitervertretungsrecht (D.) überprüft.

A. Die Abwägung als rationaler Diskurs Bereits in der Studienphase der juristischen Ausbildung verbreitet sich unter den angehenden Juristen schnell das Bild von der Abwägung als „Erzählstunde“, als Freibrief für die Inklusion sämtlicher mit dem Thema „irgendwie“ zusammenhängender Interessen, seien sie noch so fernliegend oder pauschaliert. Mag diese Aussage auch sehr überspitzt und im Ergebnis nur teilweise zutreffend sein, so veranschaulicht sie das grundlegende Problem der Abwägung: Als Ausgleich der widerstreitenden Rechtsgüter und der durch sie vertretenen Interessen im Einzelfall1040 schafft Abwägung dem rechtsanwendenden Juristen auf den ersten Blick einen nicht zu vernachlässigenden Freiraum. Die Problematik der Abwägung erklärt dabei zweierlei: Gerade durch die Offenheit der Abwägung gerät sie zu einer Art Allzweckwaffe für die Gerechtigkeit, erfährt einen besonderen „Triumphzug“1041, gilt als „Erfolgsschlager“1042, als „populär und ubiquitär“1043 und begründet sogar die Sprache vom „Zeitalter der Abwägung“1044. 1039  Vgl.

oben S. 32 ff. Begriff der Abwägung auch Alexy, Theorie der Grundrechte, 7. Aufl. 2015, S.  78 ff., 143 f.; da Silva, Der Vergleich des Inkommensurablen – Prinzipien, Abwägung und rationale Entscheidung, in: Klatt (Hrsg.), Prinzipientheorie und Theorie der Abwägung, 2013, 236 (240 f.); Hofmann, Abwägung im Recht – Chancen und Grenzen numerischer Verfahren im Öffentlichen Recht, 2007, S. 146; Reimer, Juristische Methodenlehre, 2016, Rn. 485. 1041  Borowski, Limiting Clauses – On the Continental European Tradition of Special Limiting Clauses and the General Limiting Clause of Art 52 (2) Charter of Fundamental Rights of the European Union, in: Legisprudence 1 (2007), 197 (210); vgl. Klatt / Meister, Verhältnismäßigkeit als universelles Verfassungsprinzip, in: Der Staat 52 (2012), 159 (161). 1042  Jestaedt, Die Abwägungslehre – ihre Stärken und ihre Schwächen, in: Depenheuer / Heintzen / ders. / Axer (Hrsg.), Staat im Wort, Festschrift für Josef Isensee, 2007, 253 (253). 1043  Merten, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. 3, 2009, § 68 Rn. 1; Schauer, Balancing, Subsumption, and the Constraining Role of Legal Text, in: Klatt (Hrsg.), Institutionalized Reasion – The Jurisprudence of Robert Alexy, 2012, 307 ff.; Alexy, On Balancing and Subsumption, in: Ratio Juris 16 (2003), 433 (436); vgl. Klatt / Meister (Fn. 1041), 159. 1040  Zum



A. Die Abwägung als rationaler Diskurs275

I. Das Rationalitätsproblem und seine Lösung 1. Die Abwägungskritik Mit ihrem Siegeszug erfährt die Dogmatik der Abwägung aber auch zunehmende Kritik, die sich gerade an ihrer Offenheit und universellen Einsetzbarkeit abarbeitet.1045 So wird neben dem Umstand, dass die Abwägung überhaupt als Lösung bestehender Normkonflikte herangezogen wird,1046 zunächst die Inkommensurabilität kritisiert.1047 Inkommensurabel sei die Abwägung, weil sie auf einem Vergleich der zu bewertenden Rechtsgüter und Interessen basiere, für den aber die Anwendung eines einheitlichen Maßstabs vonnöten sei, der hier gerade fehle. Diese Kritik überzeugt deshalb nicht, weil die betroffenen konfligierenden Rechtsgüter – wie auch Alexy zu Recht betont – aus einem einheitlichen Sichtfeld – dem der Verfassung – heraus bewertet werden.1048 Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Abwägung 1044  Aleinikoff, Constitutional Law in the Age of Balancing, in: The Yale Journal 96 (1987), 943 (943); vgl. Klatt / Schmidt, Abwägung unter Unsicherheit, in: Klatt (Hrsg.), Prinzipientheorie und Theorie der Abwägung, 2013, 105 (105). 1045  Z. B. Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, 1976; Hillgruber, Ohne rechtes Maß? Eine Kritik der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nach 60 Jahren, in: JZ 2011, 861 (862 f.); Böckenförde, Zur Lage der Grundrechtsdogmatik nach 40 Jahren Grundgesetz, 1990, S. 54; ders., Schutzbereich, Eingriff, Verfassungsimmanente Schranken – zur Kritik gegenwärtiger Grundrechtsdogmatik, in: Der Staat 42 (2003), 165 (190): „Topos für maßstabslose Abwägungen“; Forsthoff, Staat in der Industriegesellschaft, 2. Aufl. 1971, S. 137 ff.; Habermas, Faktizität und Geltung, 1992, S.  309 ff.; Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 1999, S. 206 ff.; Leisner, Der Abwägungsstaat, 1997; Ladeur, Kritik der Abwägung in der Grundrechtsdogmatik – Plädoyer für eine Erneuerung der liberalen Grundrechtstheorie, 2004; Reimer, „… und machet zu Jüngern alle Völker“? Von „universellen Verfassungsprinzipien“ und der Weltmission der Prinzipientheorie der Grundrechte, in: Der Staat 52 (2013), 27 ff.; Christensen / Lerch, Dass das Ganze das Wahre ist, ist nicht ganz unwahr, in: JZ 2007, 438 ff.; Webber, Proportionality, Balancing, and the Cult of Constitutional Rights Scholarship, in: Canadian Journal of Law and Jurisprudence 23 (2010), 179 ff. 1046  Insbesondere Hillgruber (Fn. 1045), der allerdings die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, d. h. die Abwägung nicht per se ausschließen will, sie aber als „besonders begründungsbedürftig“ ansieht und entsprechende Begründungen – zumindest in der Rechtsprechung – vermisst; ähnlich Schlink, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, in: Badura (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Bd. 2, 2001, 445 (446). 1047  Schlink (Fn. 6), 130 ff., 455 ff.; Klatt / Meister (Fn. 2), 174 ff.; Aleinikoff (Fn. 5), 972 ff.; Tsakyrakis, Proportionality – An assault on human rights?, in: International Journal of Constitutional Law 7 (2010), 468 (471 f.); von Bernstorff, Kerngehaltsschutz durch UN-Menschenrechtsausschuss und EGMR – vom Wert kategorialer Argumentationsformen, in: Der Staat 50 (2011), 165 (183 ff.). 1048  Alexy, Die Gewichtformel, in: Jickeli / Kreutz / Reuter (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Jürgen Sonnenschein, 2003, 771 (781 f.).

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

nicht abstrakt, sondern anhand der konkreten Situation erfolgt. Fragt man beispielsweise abstrakt, welcher Wert – Freiheit oder Sicherheit – gewichtiger ist, wird man einen Vergleich kaum anstellen können. Fragt man aber, welcher dieser beiden Werte im Falle von akuter terroristischer Bedrohung Vorrang genießt, wird man einen auf dem Vergleich beider Güter begründeten Vorzug eines der Güter bejahen können. In Bezug auf eine konkrete Situation lassen sich jedem Verfassungsgut Aussagen hinsichtlich seiner Bedeutung und Gewichtung entnehmen, ein vergleichbarer Maßstab also bejahen.1049 Der Grund hierfür liegt in der Auffindbarkeit von Bewertungsargumenten in konkreten Situationen. Unabhängig von einem Einzelfall gibt es kaum überzeugende Kriterien für den Vorrang des einen oder des anderen Prinzips, insbesondere mangels verfassungstextlicher, d. h. verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkte. In konkreten Situationen wird daher eigentlich nicht das Verfassungsgut an sich, sondern die das Gut realisierende Situation bewertet.1050 Dieser Befund führt allerdings zu der These, dass nicht der Maßstab der Gewichtung, also die Kommensurabilität der Abwägungsgüter, sondern vielmehr das fehlende einheitliche Messgerät für die Gewichtung das eigentliche Problem der Abwägungslehre ist. Denn auch wenn alle konfligierenden Rechtsgüter hinsichtlich ihrer – im konkreten Fall auszumachenden – verfassungsrechtlichen Bedeutung bewertet werden, ist doch nicht der Maßstab das Entscheidende, sondern die Gewichtung selbst. So ist ein Vergleich zwischen zwei unterschiedlich schweren Menschen dann ohne Sinn, wenn zwar beide Werte in der einheitlichen Währung (Kilogramm) angegeben werden, die beiden Betroffenen jedoch mit völlig unterschiedlich ausgerichteten und messenden Waagen gewogen werden. Konzentriert man sich nicht auf den vergleichbaren Abwägungsmaßstab, sondern auf die entsprechende Maßstabsanwendung, ergibt sich das zweite – oder besser: das eigentliche – Abwägungsproblem. Die Abwägung ist nach der Ansicht ihrer Kritiker rationalitätsdefizitär, weil die ihr innewohnende Bewertung und Gewichtung der Rechtsgüter und Interessen rein subjektiv erfolgten und die Abwägung letztlich auf einem reinen Werturteil basiere, so dass „funktionalistische auf Kosten normativer Argumente die Oberhand 1049  Dass sich die Kommensurabilität der Prinzipien erst aufgrund der konkreten Bewertungssituation ergebe, erklärt zwar Alexy nicht ausdrücklich; der Gedanke liegt aber erkennbar der Gewichtformel zugrunde, geht es doch bei der Abwägung nach Alexy ausschließlich nicht um den allgemeinen, sondern um den Ausgleich der Prinzipien unter konkreten Bedingungen, siehe Alexy, Theorie (Fn. 1040), 102; ebenso wie hier da Silva (Fn. 1040), 251; Luban, Incommensurable Values, Rational Choice, and Moral Absolutes, in: Cleveland State Law Review 38 (1990), 65 (75 ff.). 1050  Ebenso – allerdings angeführt als Argument für die grundsätzliche Inkommensurabilität von Werten und daher anders als hier – Broome, Incommensurabel Values, in: Crisp / Hooker (Hrsg.), Well-Being and Morality  – Essays in Honour of James Griffin, 2000, 21 (22); vgl. dazu auch da Silva (Fn. 1040), 250.



A. Die Abwägung als rationaler Diskurs277

gewinnen“.1051 Diese Kritik wird von den Befürwortern der Abwägung ernst genommen und dazu genutzt, objektiviert(er)e und rational(er)e Methodikstandards bereitzustellen. Die lange währende Lücke der Selbstreflexion von Rechtswissenschaft und Rechtspraxis im Bereich der Abwägungsvorgehensweise wird dabei zunehmend zumindest zu schließen versucht.1052 So versuchen insbesondere die der Prinzipientheorie zuzuordnende Gewichtformel1053 und neuerdings eine Ausprägung der Strukturierenden Rechtslehre1054, durch Anreichen bestimmter objektiver Kriterien den Abwägungsprozess zu strukturieren, methodisch transparent zu gestalten und so insgesamt zu rationalisieren. Beide Ansätze lösen aber das eigentliche Rationalitätsproblem nicht, weil beide zwar einen dichteren Argumentationsmaßstab vorgeben, aber zu dessen Ausfüllung und damit zum eigentlichen Rationalitätsproblem schweigen. So werden zahlreiche Prüfungsschritte – z. B. Gewichtung des Eingriffs (Gewichtformel) oder Aufstellen eines Wertprogramms (Strukturierende Rechtslehre) – zwar aufgezeigt; wie diese aber umzusetzen sind, d. h. wie das jeweilige Ergebnis dieser Zwischenschritte tatsächlich festzustellen ist, wird gar nicht oder nur sehr oberflächlich behandelt. Die Ansätze geben zwar an, was geprüft wird; zur Frage, wie diese einzelnen Stufen geprüft werden, verhüllen sie sich aber im Mantel des Schweigens. Durch die Mehrung der Prüfungshorizonte kann aber die vermeintliche Subjektivität der Antworten nicht geschmälert werden. Ohne Anknüpfung an die Rationalität der Argumentation können die zahlreichen Argumentationshorizonte hinreichende Rationalität nicht gewährleisten.

1051  Habermas (Fn. 1045), 315 ff.: „Wenn im Kollisionsfall alle Gründe den Charakter von Zielsetzungsargumenten annehmen können, fällt nämlich jene Brandmauer, die mit einem deontologischen Verständnis von Rechtsnormen und -grundsätzen in den juristischen Diskurs eingezogen wird“ (316; Herv. i. O.). 1052  Zuletzt insbesondere Jestaedt / Lepsius (Hrsg.), Verhältnismäßigkeit – zur Tragfähigkeit eines verfassungsrechtlichen Schlüsselkonzepts, 2015. 1053  Alexy (Fn.  1040), 143; ders. (Fn. 1048), 771  ff.; ders. Zur Struktur der Rechtsprinzipien, in: Schilcher / Koller / Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, 2000, 31 ff.; ders. (Fn. 1043), 433 ff.; ders., Zur Struktur der Grundrechte auf Schutz, in: Sieckmann (Hrsg.), Die Prinzipientheorie der Grundrechte, 2007, 105 ff.; da Silva (Fn. 1040). 1054  Windisch, Abwägung als Relationsnorm-Konstruktion – konstruktive Überlegungen zur Abwägung im Kontext der Strukturierenden Rechtslehre, in: Müller / Mastronardi (Hrsg.), „Abwägung“, 2014, 19 ff.; ders., Jurisprudenz und Ethik, 2010, S.  59 ff.; Mastronardi, Vorwort (II.), in: Müller / ders. (Hrsg.), „Abwägung“, 2014, 8 (8). Allgemein zur Strukturierenden Rechtslehre Müller / Christensen, Juristische Methodik, Bd. 1, 11. Aufl. 2013, S. 181 ff.

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

2. Die Rationalität des Diskurses Entscheidend ist also die Rationalität der Anwendung der Abwägungskriterien. Aber nach welchem Maßstab ist diese Anwendungsebene rational gestaltet? Die Antwort ist zunächst ernüchternd: Es gibt keinen – zumindest keinen objektiven – Maßstab. Er ist nicht vorgegeben, er ergibt sich nicht aus Rechtsquellen. Damit ergibt sich zwangsläufig nur eine Möglichkeit der „Maßstabsermittlung“ – oder besser: der Maßstabsentwicklung1055: Sie erfolgt – mangels vorgegebener Befunde und mangels autoritärer Instanzen – im Wege eines Diskurses, einer Argumentation, bei der versucht wird, mit überzeugenden Argumenten einen Maßstab zu kreieren. Vorgegeben ist der Maßstabshorizont also nicht, sondern der Rationalität wegen muss sich erst auf ihn geeinigt werden. Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass die Abwägung deshalb irrational ist. Vielmehr bedarf es nunmehr einer genauen argumentationstheoretischen Untersuchung des Abwägungsdiskurses. Die These lautet hier: Der Diskurs ist bereits rational. Dies ergibt sich aus der funktionalen Ausrichtung des Diskurses. Am Ende des Diskurses soll nicht nur (irgend-)eine Entscheidung stehen, die Entscheidung soll vor allem auch anerkennenswert, also legitim sein. Der Grund für diesen qualitativen Anspruch richterlicher Entscheidungen liegt – erstens – in dem institutionellen Rahmen, in den solche Entscheidungen eingebunden sind: Ziel eines jeden Richters ist es, dass seine Entscheidungen „Wirklichkeit“, also auch umgesetzt werden. Dies ist aber von der „Anerkennung“ der Betroffenen oder anderer Institutionen abhängig. Völlig illegitime Entscheidungen laufen – ohne Sanktionsmöglichkeiten – Gefahr, nicht umgesetzt zu werden. Aber auch alle anderen Gerichte müssen im Rahmen verfassungsrechtlicher Abwägung eine legitime Entscheidung treffen, riskieren sie sonst, dass ihre Entscheidung von einer höheren Instanz (oder vom Bundesverfassungsgericht) aufgehoben wird. Aber wann ist eine Entscheidung legitim? Dies hängt – und das ist der zweite Grund für den Legitimitätsanspruch richterlicher Entscheidungen – mit der Aufgabe und der funktionalen Ausrichtung des Gerichtswesens zusammen. Durch die Bindung der Gerichte an Recht und Gesetz ergibt sich grundlegend1056 die Aufgabe der Gerichte, Recht zu erkennen und (aus-)zusprechen.1057 Jede Erkenntnis basiert dabei 1055  Der Begriff der Maßstabsermittlung hat einen objektiven Charakter, zielt er doch darauf ab, den wahren, existenten, objektiv vorgegebenen, aber (noch) versteckten Maßstab aufzudecken – man vergleiche dies mit einer polizeilichen Ermittlung, die den tatsächlich existierenden Tatsachenbestand aufdecken will. Maßstabsentwicklung eignet sich daher besser als Terminologie, soll doch der Maßstab erst entwickelt, d. h. geschaffen werden. 1056  Dass es bei der Rechtsanwendung auch zur Rechtserzeugung kommt, sei hier außer Acht zu lassen.



A. Die Abwägung als rationaler Diskurs279

auf der Einschätzung der Richtigkeit einer Behauptung oder eines Sachverhalts.1058 Es geht damit den Gerichten um das Finden des „richtigen Rechts“, d. h. das Aufzeigen einer rechtlich richtigen Entscheidung. Das bedeutet umgekehrt, dass der Anspruch legitimer, d. h. anerkennenswerter, „richtiger“ Entscheidungen bereits in der institutionell-funktionalen Ausrichtung des Gerichtswesens begründet ist. Legitimität einer richterlichen Entscheidung ergibt sich also auch durch ihre Richtigkeit. Stellt sich nun die Frage, was unter einer „richtigen“ Entscheidung zu verstehen ist. Nun ist insoweit klar, dass es einen reinen „Juristischen Syllogismus“, nach dem die Entscheidungsfindung sich in einer logischen Deduktion aus dem Gesetz erschöpft, nicht gibt.1059 Die Richtigkeit kann auch nicht alleine im Sinne einer formellen Betrachtungsweise von der Einhaltung bestehender Verfahrensregelungen abhängig gemacht werden1060. Diese Sichtweise macht den Weg frei für einen radikalen Dezisionismus, der verkennt, dass die für Legitimität und Richtigkeit unerlässliche Akzeptanz einer Entscheidung auch auf inhaltlichen Kriterien basiert.1061 Denn eine unter Verletzung von Verfahrensregelungen zustande gekommene materiell „richtige“ Entscheidung verliert nicht ohne Weiteres ihre Legitimität und Akzeptanz – 1057  Vgl. Di Fabio, Systemtheorie und Rechtsdogmatik, in: Kirchhof / Magen /  Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, 63 (66): „Indem der Richter (…) dem allgemeinen Gesetz unterworfen wird, können wir sein Urteil ertragen“; so auch Petersen, Verhältnismäßigkeit als Rationalitätskontrolle – eine rechtsempirische Studie verfassungsrechtlicher Rechtsprechung zu den Freiheitsgrundrechten, 2015, S. 117 m. w. N.; siehe ebenso bereits Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, S. 351 ff., nach dem die Gerichte sich auch der Erkenntnis des Rechts „von innen her“ bedienten (351). 1058  Lege, Was Juristen wirklich tun  – Jurisprudential Realism, in: Brugger / Neumann / Kirste (Hrsg.), Rechtsphilosophie im 21. Jahrhundert, 3. Aufl. 2013, 207 (211 ff.); anders Kelsen (Fn. 1057), nach dem „Richtigkeit“ innerhalb der Erkenntnis keine Rolle spiele, da es sich hierbei alleine um einen auf das Sein gerichteten Willensakt handele; es komme daher hierbei alleine auf die Verbindlichkeit der Erkenntnis an; dagegen spricht jedoch, dass „Erkenntnis“ nicht mit Wahrheit gleichzusetzen ist, sondern vielmehr als „Oberbegriff für alle Ideen, die eine Unterscheidung von gut und schlecht implizieren“ gilt; so Lege, Pragmatismus und Jurisprudenz – über die Philosophie des Charles Sanders Peirce und über das Verhältnis von Logik, Wertung und Kreativität im Recht, 1999, S. 409 ff. (Zitat 414 / 415). 1059  Lege, Pragmatismus (Fn. 1058), 416 ff.; Neumann, Theorie der juristischen Argumentation, in: Brugger / Neumann / Kirste (Hrsg.), Rechtsphilosophie im 21. Jahrhundert, 3. Aufl. 2013, 233 (241). 1060  Vgl. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1975, S. 105 ff. 1061  Vgl. Neumann, Zur Interpretation des forensischen Diskurses in der Rechtsphilosophie von Jürgen Habermas, in: Krawietz / Preyer (Hrsg.), System der Rechte, demokratischer Rechtsstaat und Diskurstheorie des Rechts nach Jürgen Habermas (Rechtstheorie 3), 1996, 415 (422 ff.).

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

umgekehrt hingegen schon.1062 Da es auf die Kongruenz von These und Wahrheit mangels Maßstabs ja gerade nicht ankommen kann,1063 vermag sich auch hier die „Richtigkeit“ nur aus dem Diskurs selbst herauszukristallisieren. Angesichts der durch die Aufklärung in Gang gesetzten Abnabelung der Suche nach Wahrheit und Richtigkeit von gesetzten Autoritäten und der Hinwendung zu „wissenschaftlich-rationaler“ Richtigkeit kann es auch bei juristischer Richtigkeit und ihrer Erkenntnis nur auf die Begründung der These ankommen.1064 Als richtig wird ein juristisches Ergebnis bezeichnet, das im konkreten Fall besser begründet ist, d. h. bei dem Begründung und Ergebnis am besten aufeinander abgestimmt sind.1065 Entscheidend ist also die Qualität der Begründung der These. Aber wie wird diese bestimmt und gemessen? Hier zeigt sich deutlich, dass das Bemühen um Rationalität nicht nur zur Kritik an der Abwägung führen, sondern gerade auch die Abwägungsrationalität festigen und stärken kann. Das Streben nach Rationalität ist ein allgemeines Moment aufgeklärter Gesellschaftssysteme: Andernfalls hätten wir keinen oder einen nur unzureichenden Rechtstext, hätten wir keine Rechtswissenschaften, hätten kein komplexes und auf Kontrolle angelegtes Gerichtswesen. Es zeigt sich also das institutionell-funktionale „Design“ des Gerichtswesens als Ausdruck einer Rationalitätsausrichtung. Die Anforderungen an Begründungsmomente setzen daher nicht an die (individuelle) Überzeugungskraft an, sondern an allgemeine Rationalitätsvoraussetzungen und -bedingungen. Anderenfalls, d. h. im Falle einer rein oder überwiegend dezisionistischen Abwägung, könnte die juristische Argumentation auch ihre Funktion nicht erfüllen. Diese besteht in der Gewährleistung von Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit im Rechtssystem. Dies geht aber überwiegend nur durch eine grundsätzliche Gleichbehandlung der Einzelfälle im Verhältnis zu früheren Entscheidungen, da es anderenfalls zu einer „Desintegration des Systems in eine bloße Menge von Einzelentscheidungen“1066 kä-

1062  Dies zeigt sich auch anhand des einfachen (Verwaltungs-)Rechts: Verfahrensfehler sind für die Aufhebung eines Verwaltungsakts, sofern sie nicht zur Nichtigkeit desselben führen, dann ohne Relevanz, wenn sie keinen Einfluss auf das inhaltliche Ergebnis des Verwaltungsakts haben (vgl. § 46 VwVfG). Dahinter steht zwar grds. die Verfahrensökonomie – es soll verhindert werden, dass ein Verwaltungsakt gerichtlich aufgehoben wird, der sogleich mit demselben Inhalt wieder erlassen werden würde; allerdings liefert dies eben auch Informationen über den Umgang mit der materiellen Legitimität des Verwaltungsakts. 1063  Vgl. Lege, Juristen (Fn. 1058), 211 ff. 1064  Luhmann, Recht der Gesellschaft, 1993, S.  377  ff.; vgl. Lege, Juristen (Fn. 1058), 221, 223; Neumann (Fn. 1059), 258. 1065  Lege, Juristen (Fn. 1058), 216 ff.: „Eine juristische Erkenntnis ist die Entscheidung für das im konkreten Fall besser begründete Ergebnis“ (216; Herv. i. O.). 1066  Luhmann (Fn. 1064), 356; vgl. Neumann (Fn. 1059), 258.



A. Die Abwägung als rationaler Diskurs281

me.1067 Folglich geht es in der juristischen Argumentation um die Frage, inwieweit eine Abkehr von Rechtssicherheit zugunsten der Einzelfallgerechtigkeit zulässig ist. Zur Beantwortung dieser Fragen haben sich zum einen hinreichende Regeln, als auch Kriterien wie Logik, Folgerichtigkeit und – insbesondere – Kohärenz etabliert.1068 Kohärenz1069 ist dabei ein zentrales Kriterium, weil sie die Rechtssicherheit besonders im Blick hat und dabei aufbaut auf Argumenten, d. h. „Gründe[n], die die pragmatische Eigenschaft aufweisen, unter Argumentationsteilnehmern ein rational motiviertes Einverständnis herbeizuführen“.1070 Es geht also darum, zusammenhängende und nachvollziehbare und damit insgesamt am besten begründete Entscheidungen zu treffen. Dies ist auch anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungs­ gerichts erkennbar.1071 Kohärenz als wichtiges Moment von Rationalität begründet auch, weshalb innerhalb der Entscheidungsspielräume regelartige Strukturen und zumindest der Versuch der Bindung an etablierte Vorentscheidungen bemerkbar sind. Das bedeutet also, dass der Abwägungsprozess überwiegend mithilfe einer „topisch-rhetorischen Rechtsanwendungsmethode“ bestritten wird.1072 Die Abwägungsentscheidung ergeht durch die zuständigen Richter im Rahmen eines rationalen Diskurses, an dem nicht nur die betroffenen Parteien, sondern auch Externe (z. B. Rechtswissenschaftler, nicht beteiligte Rechtsanwälte oder Richter usf.) teilnehmen. Dabei sind die entscheidenden Personen allerdings nicht frei, sondern der Legitimität ihrer Entscheidung wegen selbst an die Notwendigkeit einer hinreichenden Begründungskraft ihrer Argumente 1067  Neumann

(Fn. 1059), 258. ausführlich Lege, Pragmatismus (Fn. 1058), 427 ff., der entsprechend der griechischen Gerichtsrhetorik von einem „rhetorischen Syllogismus“ (428) und insgesamt von einer „working logic“ (427, 437 ff.) ausgeht; vgl. Luhmann (Fn. 1064), 356 ff., der diese Frage auch als eine solche nach der (Un-)Gleichbehandlung auffasst; vgl. Neumann (Fn. 1059), 257 f.; Lege, Juristen (Fn. 1058), 222 ff. 1069  Zur Kohärenz insgesamt auch Looschelders / Roth, Juristische Methodik im Prozess der Rechtsanwendung, 1996, S. 173 ff. 1070  Habermas (Fn. 1045), 258. 1071  Petersen (Fn. 1057), 136 ff., der im Rahmen einer empirischen Untersuchung aufzeigt, dass zum einen zahlreiche Urteile des Bundesverfassungsgerichts auf einer in der Abwägung vorgenommenen Konsistenzprüfung beruhen (153 ff. m. w. N.), und dass zum anderen nur rund 25 % aller Gesetzesverwerfungen auf eine Abwägung gestützt werden. Petersen spricht daher auch vom „Mythos vom Abwägungsgericht“ (136). 1072  An dieser Stelle sei noch einmal darauf hingewiesen, dass es sich hier alleine um die Frage nach der Rationalität der Abwägung, nicht der Rechtsanwendung insgesamt handelt. Das heißt: Es wird nicht behauptet, jede Rechtsanwendung sei überwiegend eine rhetorische Anwendungsmethode. Vielmehr verbleibt zumindest der Abwägung alleine das Rekurrieren auf Begründungszusammenhänge, da es an einem „objektiven“ Maßstab fehlt. 1068  Dazu

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

und damit an die Notwendigkeit einer hinreichenden Rationalität gebunden. Dagegen kann man natürlich auf den ersten Blick einwenden, dass alle Diskursteilnehmer sowie institutionellen Ebenen sich auch irren könnten und daher nicht das „richtige“, sondern das falsche Ergebnis zu liefern imstande seien.1073 Das würde dann aber nicht nur für das Ergebnis, sondern auch bereits für die Argumente selbst gelten: So könnten falsche Argumente akzeptiert und daher legitim sein.1074 Eindrucksvoll zeigt dies auch die juristische Praxis in anderen Staatsformen, etwa in Diktaturen.1075 Beide Thesen setzen aber das Vorhandensein eines objektiven Maßstabs voraus. Man kann sich nur irren, wenn man weiß oder zumindest wissen kann, was wahr ist. Ein Argument kann nur falsch sein, wenn es objektiv überprüfbar ist, also ebenfalls auf seine Wahrheit hin beurteilt werden kann. Bei normativen Wertungen fehlt es gerade an solchen Maßstäben. Wird also die Legitimität einer Entscheidung auf ihre Richtigkeit bezogen, bedeutet das lediglich eine Richtigkeit im relativen Sinne, d. h. im Sinne einer konsenstragenden Haltung.

II. Die Abwägungskriterien Können die rationalisierenden Konzepte wie Gewichtformel und Strukturierende Rechtslehre auch nicht die eigentliche Rationalität der Abwägung begründen, werden sie an der Stelle relevant, an der es um die Frage nach den Abwägungskriterien geht. Denn auch wenn der Abwägungsdiskurs rational ist, bleibt die Frage bestehen, auf welche Kriterien dieser Diskurs bezogen ist. Dabei ist zu beachten, dass sich die Abwägungskriterien aus keiner vorgegebenen Quelle herleiten lassen. Insbesondere können sie nicht aus der Verfassung abgeleitet werden, weil Methodenfragen gerade keine Verfassungsfragen sind.1076 Andernfalls ergäbe sich ein unauflösbarer Zirkelschluss: Die 1073  Weinberger, Diskursive Demokratie ohne Diskursphilosophie, in: Krawietz /  Preyer (Hrsg.), System der Rechte, demokratischer Rechtsstaat und Diskurstheorie des Rechts nach Jürgen Habermas (Rechtstheorie 3), 1996, 427 (428); ebenso dies., Habermas on Democracy and Justice – Limits of a Sound Conception, in: Ratio Juris 7 (1994), 239 ff. 1074  Weinberger, Demokratie (Fn. 1073), 430. 1075  Vgl. dazu am Beispiel des Dritten Reichs bzw. der DDR und des Grundgesetzes Rüthers, Die heimliche Revolution vom Rechtsstaat zum Richterstaat – Verfassung und Methoden, 2. Aufl. 2016; ders., Geschönte Geschichten – geschonte Biographien, Sozialisationskohorten in Wendeliteraturen, 2. Aufl. 2015; ders., Die einsamen Außenseiter – deutscher Widerstand im Lichte des wechselnden Zeitgeistes, 2013. 1076  Anders Rüthers, Wer schafft Recht? – Methodenfragen als Macht- und Verfassungsfragen, in: JZ 2003, 995 ff.; ders., Revolution (Fn. 1075), S. V (im Vorwort); vgl. ders., Methodenfragen als Verfassungsfragen?, in: Rechtstheorie 40 (2009), 253 ff.; ders., Klartext zu den Grenzen des Richterrechts, in: NJW 2011, 1856 (1857);



A. Die Abwägung als rationaler Diskurs283

Verfassung enthielte Vorgaben für einen Prozess, der aber wiederum notwendig ist, diese Vorgaben erst herauszufiltern. Sind die Abwägungskriterien nicht vorgegeben, ergeben sie sich folglich zwingend aus dem Diskurs selbst.1077 Dabei zeigt sich, dass der einhellige modus operandi in dem Vergleich der Gewichtung des Eingriffszwecks mit der Gewichtung des betroffenen Grundrechtsguts und den jeweils dahinter stehenden Interessen zu finden ist. Das gilt selbst für die Gewichtformel und die Strukturierende Rechtsformel, zwischen denen diesbezüglich in der Endkonsequenz keine allzu großen Unterschiede bestehen. Beide fragen, „wie wichtig das konkrete Interesse vor dem (…) Zweck-Rechtsgüter-Horizont ist“.1078 Dies ist auch die grundlegende Idee der Abwägung und einhelliger Konsens in Abwägungspraxis und -theorie.1079 ders., Trendwende im BVerfG? – über die Grenzen des „Richterstaates“, in: NJW 2009, 1461 (1462); ders., Gesetzesbindung oder freie Methodenwahl? – Hypothesen zu einer Diskussion, in: ZRP 2008, 48 ff.; ders., Hatte die Rechtsperversion in den deutschen Diktaturen ein Gesicht?, in: JZ 2007, 556 (560); Triepel, Rechtshandwerk, Rechtsgemeinschaft und Rechtsidee, in: AöR 136 (2012), 616 ff.; Wenzel, Die Bindung des Richters an Gesetz und Recht, in: NJW 2008, 345 (349); Würdinger, Das Ziel der Gesetzesauslegung – ein juristischer Klassiker und Kernstreit der Methodenlehre, in: JuS 2016, 1 (1 f.). 1077  Das Gleiche gilt auch hinsichtlich der Auslegungsmethoden. Diese zählen zwar heute zum juristisch unumstößlichen Allgemeingut, aber auch sie sind nicht objektiv vorgegeben, sondern haben sich im Laufe der Zeit – insbesondere durch den Beitrag Friedrich Carl von Savignys – entwickelt. Sie sind also im Rahmen eines Diskurses entwickelt worden, vgl. dazu Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie, 10. Aufl. 2018, Rn. 696 ff.; Reimer (Fn. 1040), 136 ff.; Hassemer, Rechtssystem und Kodifikation  – die Bindung des Richters an das Gesetz, in: Kaufmann / ders. / Neumann (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 8. Aufl. 2011, 251 ff.; Schroth, Hermeneutik, Norminterpretation und richterliche Normanwendung, in: Kaufmann / Hassemer / Neumann (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 8. Aufl. 2011, 270 ff.; Dreier, Zur Problematik und Situation der Verfassungsinterpretation, in: ders., Recht – Moral – Ideologie, 1981, 106 (113 ff.). 1078  Windisch, Abwägung (Fn. 1054), 61. 1079  BVerfGE 13, 97  (113); E 30, 292 (316); E 35, 165 (198 ff.); E 55, 134 (143); E 61, 291 (318); E 67, 157 (178); E 68, 193  (219 f.); E 74, 203 (216 f.); E 77, 84  (111 f.); E 78, 77 (85 ff.); E 79, 84  (111 ff.); E 81, 70  (93); E 83, 1  (19); E 90, 145 (173 ff.); E 92, 262  (274); E 101, 331  (350); E 102, 1 (20); E 104, 357 (368 ff.); E 110, 141 (165 ff.); E 115, 1 (20 ff.); E 205 (233 ff.); Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht – zur Bindung des Gesetzgebers an die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Erforderlichkeit, 2. Aufl. 1999, S. 223 ff.; Michael, Grundfälle zur Verhältnismäßigkeit, in: JuS 2001, 654 ff.; Reuter, Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne – ein unbekanntes Wesen, in: JURA 2009, 511 ff.; Kloepfer, Die Entfaltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips, in: Schmidt-Aßmann / Sellner / Hirsch (Hrsg.) Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 2003, 329 ff.; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 149; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

Ein wichtiger Aspekt ist hierbei, auch die hinter den Rechtsgütern stehenden Interessen mit zu berücksichtigen. Dies betont auch die Strukturierende Rechtslehre:1080 Die Abwägung löse nicht einen Rechtskonflikt anhand eines Interessenausgleichs, sondern einen Interessenausgleich anhand eines Rechtskonflikts. Hierbei müsse nach allen betroffenen Interessen gefragt werden, die Einfluss auf Intensität und Wichtigkeit des Eingriffs bzw. des geschützten Rechtsguts haben könnten. Dies ist auch überzeugend: Wie bereits dargestellt, ergibt sich die Kommensurabilität von Rechtsgütern erst in konkreten Situationen, da ein abstrakter (Wert-)Vergleich zwischen zwei Rechtsgütern mangels hinreichender Gewichtungsargumente nicht möglich ist.1081 In konkreten Situationen spielen dann aber nicht nur reine Rechtsgutsüber­legungen, sondern die dahinter stehenden Interessen eine Rolle, die die Gewichtungsargumente schließlich generieren. Ein Grundrechtskonflikt ist daher auch immer ein Interessenkonflikt. Daher hat die Strukturierende Rechtslehre den Vorteil, die hinter den Rechtsgütern stehenden Interessen hervorzuheben und in rechtlich gewandter Form in Bezug zueinander zu setzen. Folglich muss der Interessenkonflikt zwar im rechtlichen Gewand, also unter rechtlichen Bedingungen gelöst werden, fungiert das Recht – genauer: fungieren die Grundrechte – hier doch als ein Streitentscheidungs- und Interessenausgleichsmechanismus.1082 Dies ändert jedoch nichts daran, dass sich der Inhalt der rechtlichen Kriterien „Eingriffsintensität“ und „Zweckgewichtung“ erst aus einer Interessenbewertung ergibt. Denn ohne die dahinterstehenden Interessen ergeben sich keine Gewichtungsargumente, ohne die eine Abwägung nicht funktioniert.

B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter Wurde nunmehr gezeigt, dass sich die Abwägung in einem rationalen Abwägungsdiskurs abbildet, bei dem es um das Auffinden der „richtigen“, d. h. auf Logik, Folgerichtigkeit und Konsistenz aufbauenden Argumentation geht, soll nunmehr dies für die einzelnen Mofifikationen im Arbeitsrecht in den Kirchen zu zeigen versucht werden. Dabei ist zudem zu beachten, dass sich Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1999, Rn. 318; Grzeszick, in: Maunz / Dürig (Begr.), GG, 48. Lfg. 2006, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 117 ff.; Holländer, Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz – Variabilität seiner Struktur, in: Sieckmann (Hrsg.), Die Prinzipientheorie der Grundrechte, 2007, 179 (181 ff.). 1080  Windisch, Abwägung (Fn. 1054), 61 ff. 1081  Siehe dazu bereits oben S. 275 f. 1082  Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, in: AcP 112 (1914), 1 (17); Dreier (Fn. 1079), 68; vgl. auch Rüthers / Fischer / Birk (Fn. 1077), 88.



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 285

hinsichtlich des loyalitätsbedingten Regelungsbereichs eine zweistufige Prüfung ergibt, auf deren erster Stufe abstrakt die bürgerlich-rechtliche Wirksamkeit der einzelnen Loyalitätspflichten und auf deren zweiter Stufe die Sanktionsanwendung im Einzelfall Gegenstand der Prüfung sind.1083 Das weitere Vorgehen orientiert sich daher an dieser Prüfungsstruktur.

I. Erste Stufe: die bürgerliche Wirksamkeit der Loyalitätspflichten Auf der ersten Stufe ist nunmehr nach der bürgerlichen Wirksamkeit der jeweiligen Loyalitätspflichten zu fragen, also ob die jeweiligen kirchenrechtlichen Bestimmungen in der weltlichen Rechtsordnung Wirksamkeit erlangen.1084 Verfassungsrechtliche Grundlage dieses „staatlichen Geltungsbe­ fehls“1085 für kirchliche Loyalitätspflichten bildet dabei Art. 137 Abs. 3 WRV. Danach gelten die kirchlichen Loyalitätspflichten solange, als sie sich im Rahmen des für alle geltenden Gesetzes halten. Wie schon ausgeführt, bilden sich die entsprechenden Grenzen in den §§ 305 ff. BGB, die grundsätzlich entsprechende Loyalitätspflichten nicht zulassen. Es bedarf folglich für die Feststellung bürgerlicher Wirksamkeit einer jeden Loyalitätspflicht einer Abwägung zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und den hinter den Schranken stehenden Rechtsgütern. Die §§ 305 ff. BGB dienen dabei vor allem dem Schutz der Mitarbeiter und erwachsen damit insgesamt aus grundrechtlichen Schutzpflichten.1086 Dabei ist jedoch zu sehen, dass hinter den §§ 305 ff. BGB nicht stets die gleichen Rechtsgüter stehen, sondern das betroffene Rechtsgut infolge der Offenheit der Formulierung stets variiert. So stehen zwar hinter den Einschränkungen der §§ 308, 309 BGB bestimmte Schutzinteressen, sind hier doch konkrete Vereinbarungen aufgeführt; insbesondere aber über die Generalklausel des § 307 BGB wird deutlich, dass jedes grundrechtlich geschützte Interesse des Mitarbeiters eine solche Schutzbedürftigkeit aufweisen kann, die entsprechende vertragliche Vereinbarungen zu verhindern imstande ist. Es kommt hier also auf die konkrete Loyalitätspflicht und die dabei betroffenen Grundrechte des Mitarbeiters an. Folglich ist für die Anerkennung kirchlicher Loyalitätspflichten die Abwägung zwischen dem Selbstbestimmungsrecht und den jeweils durch die Loyalitätspflicht betroffenen Grundrechten des Mitarbeiters entscheidend. 1083  Dazu

ausführlich oben S. 163 ff. ausführlich Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, 2013, S.  38 ff., 45 ff. 1085  Traulsen (Fn. 1084), 45. 1086  Schaumberg, Inhaltskontrolle im kirchlichen Arbeitsrecht – Zulässigkeit und Grenzen beim Rückgriff der Kirchen auf weltliche Instrumente, 2012, S. 148 ff. 1084  Dazu

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

1. Das Problem der „intendierten Abwägung“ nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Im Laufe der Zeit hat jedoch das BVerfG eigene Direktiven für den Umgang mit loyalitätsbedingten Kündigungsfällen entwickelt und diese jüngst umfangreich bestätigt.1087 Die ersten grundlegenden Ausführungen zu diesem Themenfeld hat das Gericht in seinem Beschluss vom 04.06.1985 angestellt.1088 Dieser Beschluss war der Schlusspunkt eines aus drei1089 Verfassungsbeschwerden zusammengezogenen Verfahrens, das gleich zwei Fälle der loyalitätsbedingten Kündigungen betraf, nämlich einmal den Kirchenaustritt als Kündigungsgrund und einmal eine nach außen getragene sach­ liche Differenz zwischen Mitarbeiter und Dienstgeber – hier in Gestalt eines sich entgegen der kirchlichen Haltung für die Abtreibung aussprechenden Leserbriefs eines Assistenzarztes in der Zeitschrift „Stern“. Neben Ausführungen zu den notwendigen allgemeinen dogmatischen Fragestellungen, wie etwa zum persönlichen und sachlichen Schutzgehalt des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts, stellte das BVerfG hier bereits die Weichen für eine bestimmte Abwägungsprozedur, die im Bereich verfassungsrechtlicher Abwägung ein absolutes Unikum darstellt und die das Gericht in seinem aktuellen Beschluss vom 22.10.2014, in dem es um die Kündigung eines Chefarztes eines katholischen Krankenhauses wegen Wiederverheiratung geht, bestätigt und bekräftigt. Grundlage dieses atypischen Abwägungsmodus ist die These des Gerichts, dass es „grundsätzlich den verfaßten Kirchen überlassen [ist], verbindlich zu bestimmen, was ‚die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung erfordert‘, was ‚spezifisch kirchliche Aufgaben‘ sind, was ‚Nähe‘ zu ihnen bedeutet, welches die ‚wesentlichen Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre‘ sind und was als – gegebenfalls schwerer – Verstoß gegen diese anzusehen ist“.1090 Das Gleiche gelte für die „Entscheidung darüber, ob und wie innerhalb der im kirchlichen Dienst tätigen Mitarbeiter eine ‚Abstufung‘ der Loyalitätspflichten eingreifen soll“.1091 Diese bedeutsame und grundlegende Feststellung betrifft zwar expressis verbis zunächst nur den Schutzgehalt des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts gem. Art. 137 1087  Gemeint ist damit der Beschluss des BVerfG vom 22.10.2014, 2 BvR 661 / 12 (= BVerfGE 137, 273 ff.), der – obwohl es seine bisherige Rechtsprechung de facto nur bestätigt – einen Umfang von 183 Randnummern und 35 Seiten aufweist. 1088  BVerfGE 70, 138 ff.; vgl. dazu ausführlich auch Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 7. Aufl. 2015, § 7 Rn. 18 ff., 22 ff. 1089  Es handelt sich dabei dennoch nur um zwei Rechtsstreitigkeiten, aber drei Verfahren, da im Falle des Leserbriefs zwei Kündigungen durch den Dienstgeber ausgesprochen wurden, siehe BVerfGE 70, 138 (138 ff.). 1090  BVerfGE 70, 138 (168). 1091  BVerfGE 70, 138 (168).



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 287

Abs. 3 WRV.1092 Das Entscheidende – und das macht die Atypik dieses Abwägungsmodus gerade aus – ist aber, dass diese genannten Schutzgehalte nunmehr besondere Auswirkungen auf die Abwägung und damit die Anerkennung kirchlicher Loyalitätspflichten haben, da sie nur besonderen und sehr weiten Schranken unterliegen: Die staatlichen Arbeitsgerichte seien insoweit an die im Rahmen der oben angeführten kirchlichen Bestimmungen fest gebunden, „es sei denn, die Gerichte begäben sich dadurch in Widerspruch zu Grundprinzipien der Rechtsordnung, wie sie im allgemeinen Willkürverbot (Art. 3 I GG) sowie in dem Begriff der ‚guten Sitten‘ (§ 138 BGB) und des ordre public (Art. 30 EGBGB) ihren Niederschlag gefunden haben“.1093 Solange jedoch die kirchlichen Bestimmungen und Festsetzungen sich innerhalb dieses – doch sehr weit gesteckten – Rahmens hielten, seien sie für die staatliche Rechtsordnung und damit für die Gerichtsbarkeit bindend.1094 Mit anderen Worten: Bei der dargelegten Erweiterung der Anerkennung kirchlicher Loyalitätspflichten handelt es sich um eine vom BVerfG gebildete verfassungskonforme Auslegung der §§ 305 ff. BGB. Daher entsteht eine Art von intendierter Abwägung, bei der durch den anzuwendenden verfassungsrechtlichen Maßstab das Abwägungsergebnis – außer in besonderen Ausnahmesituationen – dem Rechtsanwender vorgegeben wird:1095 Bei der Frage der Anerkennung kirchlicher Loyalitätspflichten bleibt es auch nach dem Beschluss vom 22.10.2014 dabei, dass die einzigen Grenzen der Anerkennung im Willkürverbot, den guten Sitten und im ordre public liegen. Eine umfassende Abwägung findet zumindest hinsichtlich der bürgerlich-rechtlichen Wirksamkeit von Loyalitätspflichten hingegen nicht statt, so dass hier kaum Fälle in Betracht kommen, in denen eine Loyalitätspflicht an der verfassungsrechtlichen Hürde scheitern könnte.

1092  Das Gericht spricht hierbei ausdrücklich davon, dass die soeben angeführten kirchlichen Befugnisse „grundsätzlich eine dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht unterliegende Angelegenheit“ seien, vgl. BVerfGE 70, 138 (168). 1093  BVerfGE 70, 138 (168). 1094  Daher sah das BVerfGE 70, 138 (162 ff.), auch die von den jeweiligen (katholischen) Dienstgebern angestrengten Verfassungsbeschwerden in beiden Fällen als begründet an, da die staatlichen Arbeitsgerichte, die die Kündigungen jeweils als sozial ungerechtfertigt angesehen hatten (§ 1 KSchG), in allen beiden Fällen „die Schwere und Tragweite des festgestellten Loyalitätsverstoßes zu gering“ (172) eingeschätzt und damit den Verstößen „nicht das von der Verfassung her gebotene Gewicht beigemessen“ (172) hätten. 1095  Der Begriff ist angelehnt an den aus dem allgemeinen Verwaltungsrecht bekannten Begriff des intendierten Ermessens, siehe dazu BVerwGE 72, 1 (6); E 105, 55 (57 ff.); Schoch, Das „intendierte Ermessen“, in: JURA 2010, 358 ff.; Erbguth / Guckelberger, Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 2018, § 14 Rn. 40.

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

2. Bewertung der Rechtsprechung Auch das BVerfG erkennt in seinem Beschluss vom 22.10.2014 die bereits 1985 angelegte Problematik der Prüfungsdichte, so dass sich das Gericht insgesamt auch überwiegend diesem Themenkomplex widmet.1096 Einmal zeigt sich das Problem rein institutionell, wenn das Gericht nach der Übereinstimmung seiner Rechtsprechung mit der EMRK und der diese konkretisierenden Rechtsprechung des EGMR fragt (dazu a)); andererseits argumentiert das Gericht rein inhaltlich, wenn es die Prüfungskompetenz der staatlichen (Arbeits-)Gerichtsbarkeit hinsichtlich Existenz, Inhalt, Intensität und Gewichtung von Loyalitätspflichten erheblich einschränkt (b)). Mit anderen Worten geht es zugespitzt um folgende Frage: Dürfen die staatlichen (Arbeits-)Gerichte bei loyalitätsbedingten Kündigungen eine „normale“ Interessenabwägung vornehmen, oder sind sie hinsichtlich bestimmter im Rahmen der Interessenabwägung bedeutender Faktoren (insb. Gewichtung der Loyalitätspflicht) an die Vorgaben der betroffenen Kirchen gebunden? a) Karlsruhe vs. Straßburg Das BVerfG bejaht zwar die Notwendigkeit einer Gesamtabwägung zwischen kirchlichen und mitarbeiterbezogenen Interessen, schränkt jedoch die Prüfungsdichte der staatlichen (Arbeits-)Gerichtsbarkeit auf diesem Felde erheblich ein, wenn es die Kirchen insbesondere über Art und Gewichtung der Loyalitätspflichtverstöße verbindlich entscheiden lässt. Die für die Interessenabwägung zentrale Frage nach der Bewertung des die Kündigung möglicherweise legitimierenden Verhaltens des Mitarbeiters wird also von den Kirchen vorgegeben. Hier steht allerdings ein Widerspruch zur Rechtsprechung des EGMR zu loyalitätsbedingten Kündigungen im Raum.1097 Denn nach zumindest einer Entscheidung des EGMR, in der das Vorgehen der deutschen Arbeitsgerichte als menschenrechtskonventionswidrig eingestuft wurde,1098 verlangt die EMRK eine „eigenständige Gewichtung“ der Loyalitätsbrüche durch die staatliche (Arbeits-)Gerichtsbarkeit1099 und verhindert eine „einge1096  Von den 67 sich nur auf die abstrakten Entscheidungsgründe beziehenden Randnummern beziehen sich allein 32 Randnummern – also ungefähr die Hälfte – ausschließlich auf die Frage der Gesamtabwägung und deren gerichtlichen Überprüfbarkeit. 1097  Siehe dazu insbesondere ausführlich Magen, Loyalitätspflichtverletzungen im kirchlichen Arbeitsrecht zwischen Menschenrechtskonvention und Grundgesetz, in: Kämper / Puttler (Hrsg.), Straßburg und das kirchliche Arbeitsrecht, 2013, 41 ff. 1098  EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 1620 / 03 – Schüth . / . Deutschland = NZA 2011, 279 ff. 1099  Vgl. Magen (Fn. 1097), 47.



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 289

schränkte Kontrolle durch die Arbeitsgerichte (…), ohne dass die Art der Stellung des Betroffenen berücksichtigt wird und ohne dass die infrage stehenden Interessen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gegeneinander abgewogen werden“.1100 Der EGMR fordert daher in Widerspruch zum BVerfG eine uneingeschränkte Interessenabwägung durch die staatlichen (Arbeits-) Gerichte. Auf Grundlage dieser Entscheidung des EGMR nahm das BAG in dem Fall, den das BVerfG schließlich mit seinem Beschluss vom 22.10.2014 entschied, ebenfalls eine unbeschränkte Interessenabwägung vor, ohne den Konflikt zwischen BVerfG und EGMR darzulegen; stattdessen blieben die vom BVerfG 1985 aufgezeigten Grenzen der Bewertung der Loyalitätsbrüche durch die staatliche Gerichtsbarkeit ungehört.1101 Aufgrund der – zumindest scheinbaren – Dissonanz zwischen dem Abwägungsprogramm des BVerfG und des EGMR bedarf dies einer genaueren Betrachtung. Dabei steht zunächst die Frage im Raum, ob überhaupt ein entsprechender Widerspruch besteht (aa)) und falls ja, wie dieser aufzulösen ist bzw. welche Folgerungen aus diesem Tatbestand für die Abwägung zu ziehen sind (bb)). aa) Der Widerspruch zwischen der Rechtsprechung des BVerfG und des EGMR Die Frage, ob ein entsprechendes Auseinanderfallen der Positionen von BVerfG und EGMR überhaupt besteht, ist insoweit besonders wichtig, als ein solcher Widerspruch vom BVerfG und teilweise von der Literatur verneint wird.1102 Dabei sind jedoch die Begründungen des Verfassungsgerichts sowie der Literatur, die sich weitestgehend decken, weder stichhaltig noch in der Sache zutreffend. In seinem Beschluss vom 22.10.2014 stellt das BVerfG umfassend die bisherige Rechtsprechung des EGMR zu loyalitätsbedingten Kündigungen dar.1103 Das ist insoweit auch begrüßenswert, da eine Überprüfung der Über1100  EGMR, Urt. v. 23.09.2010  – 1620 / 03  – Schüth . / . Deutschland Rn. 69; vgl. auch Magen (Fn. 1097), 47. 1101  BAG, NJW 2012, 1099 ff., das im Zuge der uneingeschränkten Interessenabwägung die Kündigung als sozialwidrig einstufte; dazu auch Magen (Fn. 1097), 48 ff. 1102  BVerfG, Beschl. v. 22.10.2014 – 2 BvR 661 / 12 – Rn. 127 ff. Aus der Literatur insbesondere Lodemann, Kirchliche Loyalitätspflichten und die Europäische Menschenrechtskonvention, 2013, S. 158 ff.; nahezu gleich Thüsing, Grund und Grenzen der besonderen Loyalitätspflichten des kirchlichen Dienstes – Gedanken zu den verfassungsrechtlichen Garantien und europarechtlichen Herausforderungen, in: Kämper / Thönnes (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 46 (2012), 129 (149 ff.). 1103  BVerfG, Beschl. v. 22.10.2014 – 2 BvR 661 / 12 – Rn. 128 ff.; damit gemeint sind insbesondere vier Urteile des EGMR: EGMR, Urt. v. 06.09.1989  – 12242 / 86  –

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einstimmung der Rechtsprechung von BVerfG und EGMR hier zu diesem Themenfeld seitens des BVerfG zum ersten Mal stattfindet; insoweit werden einige Grundsätze der Rechtsprechung des EGMR aufgeführt, die mit der jeweiligen Position des BVerfG ohne Weiteres in Einklang stehen und eigentlich auch keine Probleme verursachen.1104 An der entscheidenden Stelle – bei der Frage nach der Prüfungsdichte der Abwägung durch staatliche Gerichte – fehlt es allerdings an hinreichenden Darstellungen: Das BVerfG legt dar, dass nach Ansicht des EGMR die Prüfung der Rechtmäßigkeit einer loyalitätsbedingten Kündigung „auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung der widerstreitenden Positionen und aller sie beeinflussenden Faktoren auf den Einzelfall“ zu erfolgen habe.1105 Anschließend werden zahlreiche vom EGMR als relevant eingestufte Abwägungskriterien aufgeführt, zu denen auch die Schwere des Loyalitätspflichtverstoßes gehöre.1106 Anschließend erläutert das BVerfG, dass das staatliche Gericht auch nach der Rechtsprechung des EGMR insbesondere wegen der staatlichen Neutralität in religiösen Angelegenheiten „bei der Gewichtung religiös geprägter Abwägungselemente (…) den Standpunkt der verfassten Kirche (…) seiner Entscheidung zugrunde legen [müsse; VH]; sofern es hierdurch nicht in Widerspruch zu Grundprinzipien der Rechtsordnung gelangt“.1107 Auf diesen Ausführungen aufbauend begründet das BVerfG letztlich den seiner Ansicht nach nicht bestehenden Widerspruch zwischen seiner Rechtsprechung und der des EGMR in dreifacher Hinsicht: Einmal habe der EGMR in dem Fall, in dem er beanstandet habe, die deutschen Gerichte hätten nicht die Frage nach der Nähe der vom Betroffenen ausgeübten Tätigkeit zum Verkündigungsauftrag der jeweiligen Kirche geprüft1108, dies nur aus den Gründen des Einzelfalls moniert, ohne damit eine „abweichende Beurteilung vorstehender konventionsrechtlicher Maßstäbe“ anzustreben.1109 Andernfalls käme es zu einem „unauflösbaren Widerspruch zur sonstigen Rommelfänger . / . Deutschland; EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 425 / 03 bzw. 1620 / 03 – Obst . / . Deutschland; EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 1620 / 03 – Schüth . / . Deutschland; EGMR, Urt. v. 03.02.2011 – 18136 / 02 – Siebenhaar . / . Deutschland. 1104  Das betrifft insbesondere die Frage, ob Kirchen und Religionsgemeinschaften ihren Mitarbeitern Loyalitätspflichten auferlegen dürfen und insoweit ihre Glaubwürdigkeit schützen dürfen, vgl. BVerfG, Beschl. v. 22.10.2014, 2 BvR 661 / 12 Rn. 130 ff. 1105  BVerfG, Beschl. v. 22.10.2014 – 2 BvR 661 / 12 – Rn. 139, mit Hinweis auf EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 1620 / 03 – Schüth . / . Deutschland Rn. 68. 1106  BVerfG, Beschl. v. 22.10.2014 – 2 BvR 661 / 12 – Rn. 141 mit Hinweis auf EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 1620 / 03 – Schüth . / . Deutschland Rn. 72 ff. 1107  BVerfG, Beschl. v. 22.10.2014 – 2 BvR 661 / 12 – Rn. 142 mit Hinweis auf EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 1620 / 03 – Schüth . / . Deutschland Rn. 67. 1108  EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 1620 / 03 – Schüth . / . Deutschland Rn. 69. 1109  BVerfG, Beschl. v. 22.10.2014 – 2 BvR 661 / 12 – Rn. 143.



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 291

Rechtsprechung des Gerichtshofes“.1110 Zudem könnte im Falle des Gegenteils nicht erklärt werden, dass sich der EGMR bislang auch auf den Beschluss des BVerfG aus dem Jahre 1985 berufen habe, ohne dessen Konventionswidrigkeit auch nur zu erwähnen. Alle drei Argumente sind aber nicht überzeugend. Das trifft zunächst auf das letztgenannte Argument des BVerfG zu, der fehlenden Kritik durch den EGMR an der Entscheidung des BVerfG von 1985, in dem es gerade die eingeschränkte Überprüfung religiös beeinflusster Abwägungsbelange (insb. Gewichtung des Loyalitätsbruchs) herausstellt. Dies ist zwar insoweit zutreffend, als der EGMR dazu tatsächlich keine ­Stellung bezieht. Dies leitet sich aber wiederum – wie die Ausführungen des EGMR selbst zeigen – von der speziellen Aufgabe des EGMR ab. Das ­Straßburger Gericht hat die alleinige Aufgabe, zu beurteilen, ob „das Maß des dem Beschwerdeführer eingeräumten Schutzes ausreichend war oder nicht“.1111 Der EGMR prüft deshalb nur, „ob die Auswirkungen der von innerstaatlichen Gerichten ergangenen Schlussfolgerungen mit der Konvention in Einklang stehen“.1112 Begründet wird dies auch insbesondere mit dem Gestaltungsspielraum der nationalen Gerichte, also „dass es in erster Linie den innerstaatlichen Gerichten obliegt, das innerstaatliche Recht auszulegen und anzuwenden“.1113 Mit anderen Worten: Es kommt dem EGMR nicht notwendigerweise auf die Begründung, sondern auf den Inhalt des Ergebnisses der nationalen Gerichte an. Dies zeigt sich insbesondere auch darin, dass der EGMR eine eigenständige Abwägung zwischen den kollidierenden Positionen vornimmt und dies mit dem Ergebnis der nationalen Gerichtsbarkeit abgleicht.1114 Er führt zudem häufig teilweise eigene Abwägungsbelange an und begründet damit sein Ergebnis.1115 Solange also das Ergebnis der natio1110  BVerfG,

Beschl. v. 22.10.2014 – 2 BvR 661 / 12 – Rn. 144. Urt. v. 23.09.2010 – 1620 / 03 – Schüth . / . Deutschland Rn. 57. 1112  EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 1620 / 03 – Schüth . / . Deutschland Rn. 65 (Herv. VH). 1113  EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 1620 / 03 – Schüth . / . Deutschland Rn. 65. 1114  EGMR, Urt. v. 23.09.2010  – 425 / 03 bzw. 1620 / 03  – Obst . / . Deutschland Rn. 50, 52: „Der Gerichtshof hält die Schlussfolgerungen der Arbeitsgerichte, denen zufolge der Beschwerdeführer keinen unannehmbaren Verpflichtungen unterworfen wurde, für nicht unangemessen“ (50; Herv. VH). 1115  Zum Beispiel das „tatsächliche Familienleben des Beschwerdeführers“ oder der „dem Familienleben gewährte Rechtsschutz“ (EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 1620 / 03  – Schüth . / . Deutschland Rn. 67); dabei weicht der EGMR auch teilweise von den Überlegungen der nationalen Gerichte ab: „Nach Ansicht des Gerichtshofs ist die Tatsache, dass die Kündigung auf ein Verhalten aus der Privatsphäre des Beschwerdeführers gestützt wurde, und dies geschah, ohne dass der Fall in die Medien gelangte oder das fragliche Verhalten bedeutende öffentliche Auswirkungen hatte, im vorliegenden Fall nicht ausschlaggebend. Er stellt fest, dass sich die besondere Art 1111  EGMR,

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

nalen Gerichtsbarkeit dem der eigenen Abwägung entspricht, muss der EGMR – auch wegen des (dogmatischen) Spielraums der nationalen Gerichtsbarkeit – auf die grundlegende Vorgehensweise der nationalen Gerichte nicht eingehen. Es wundert daher nicht, dass der EGMR den 1985 entwickelten Grundsätzen des BVerfG bislang keine Beachtung schenkte. Diese soeben dargestellte Ausrichtung des EGMR ist auch der Grund, weshalb das zweite Argument des BVerfG nicht überzeugend sein kann, nach dem das Abstellen des EGMR auf eine staatliche Bewertung des Loyalitätsbruchs zu einem „unauflösbaren Widerspruch“ zu seiner bisherigen Rechtsprechung führe. Das BVerfG führt als konventionsrechtliche Legitimation seiner Haltung das auch vom EGMR bestätigte Neutralitätsprinzip in religiösen Angelegenheiten an, obschon der EGMR dies in den loyalitätsbedingten Kündigungen selbst gar nicht beachtet und insoweit einen Konflikt nicht erkennen kann.1116 Vielmehr formuliert der EGMR jeweils nur, dass er diese Vorgehensweise zur Kenntnis nehme, sie „anmerkt“1117 oder „feststellt“1118. Inhaltlich geht er an keiner Stelle auf eine etwaige (Un-)Zulässigkeit dieses Vorgehens ein. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, dass der Gerichtshof dieses Vorgehen gerade billigt; er sagt zwar ausdrücklich, dass „die Tatsache, dass sie [die nationalen Gerichte; VH] der Auffassung waren, dass (…) der Standpunkt des kirchlichen Arbeitgebers maßgeblich war, und sie schließlich den Interessen der Kirche mehr Gewicht beigemessen haben als den Interessen der Beschwerdeführerin, (…) nach Ansicht des Gerichtshofs eigentlich mit Blick auf die Konvention kein Problem aufwerfen“ könne.1119 Wegen der speziellen Aufgabenausrichtung und Vorgehensweise des EGMR der dem Beschwerdeführer auferlegten beruflichen Anforderungen aus der Tatsache ergibt, dass jene von einem Arbeitgeber festgelegt wurden, dessen Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht“ (EGMR, Urt. v. 03.02.2011 – 18136 / 02 – Siebenhaar . / . Deutschland Rn. 51). 1116  Soweit das BVerfG, Beschl. v. 22.10.2014 – 2 BvR 661 / 12 – Rn. 142, behauptet, der EGMR erkenne wegen des Neutralitätsprinzips an, dass bei religiös geprägten Abwägungselementen der kirchliche Standpunkt allein maßgeblich sei, ist dies irreführend. In keiner der Entscheidungen geht der EGMR auf das Neutralitätsprinzip ein; zudem behauptet der EGMR in den Fällen „Obst“ und „Siebenhaar“, dass ein solches Vorgehen vom Ergebnis her unproblematisch sei (siehe dazu auch die folgenden Ausführungen); im Fall „Schüth“ ist dieses Vorgehen dagegen – gerade auch vom Ergebnis her – vom EGMR doch als problematisch angesehen worden, weshalb er nunmehr den Konventionsverstoß dort auch bejaht hat. Daher ist es vom BVerfG irre­führend, die von ihm propagierte Prüfungsbeschränkung als vom EGMR konventionskonform eingestuft zu bezeichnen. 1117  EGMR, Urt. v. 03.02.2011 – 18136 / 02 – Siebenhaar . / . Deutschland Rn. 43. 1118  EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 425 / 03 – Obst . / . Deutschland Rn. 45. 1119  EGMR, Urt. v. 03.02.2011  – 18136 / 02  – Siebenhaar . / . Deutschland Rn. 45; EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 425 / 03 – Obst . / . Deutschland Rn. 49.



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 293

ist diese Aussage aber alleine hinsichtlich des Ergebnisses zu begründen; dies zeigt nicht zuletzt der Umstand, dass der EGMR in dem Fall, in dem das Ergebnis der nationalen Gerichte gegen die EMRK verstoße, diesen Satz gerade nicht wiederholt, sondern moniert, „die Arbeitsgerichte hätten nicht hinlänglich dargelegt, warum den Folgerungen des Landesarbeitsgerichts nach die Interessen der Kirchengemeinde diejenigen des Beschwerdeführers bei weitem übertroffen haben und sie die Rechte des Beschwerdeführers und diejenigen des kirchlichen Arbeitgebers nicht in einer Weise abgewogen haben, die in Einklang mit der Konvention steht“.1120 Folglich zeigt sich, dass es dem EGMR in den loyalitätsbedingten Kündigungsfällen um das Ergebnis ging, eine allgemeine Billigung des sich nach den Grundsätzen des BVerfG richtenden Vorgehens der (Arbeits-)Gerichte also gerade nicht stattfand. Dass der EGMR im Fall „Schüth“ also nur aus Gründen des Einzelfalls anders entschieden habe und eine Abkehr von den konventionsrechtlichen Maßstäben nicht gewollt habe, kann nach alledem ebenfalls nicht überzeugen. Zunächst belegt das BVerfG weder anhand des Entscheidungstexts des Gerichtshofs noch anhand anderer Überlegungen, weshalb der EGMR selbst nur eine einzelfallbedingte Ausnahmeentscheidung treffen wollte. Der Grund liegt freilich darin, dass der EGMR dies selbst quasi legis naturae causa nicht beabsichtigen konnte und die These des BVerfG also nicht stimmen kann. Das liegt zum einen daran, dass der EGMR stets nur eine ergebnisbezogene Einzelfallbetrachtung in den loyalitätsbedingten Kündigungsfällen vornimmt, so dass jede Entscheidung ihre Ursachen in dem konkreten Einzelfall hatte. Zum anderen ist der EGMR – auch wegen des Gestaltungsspielraums der nationalen Gerichtsbarkeit – nicht auf die grundlegende dogmatische Haltung des BVerfG eingegangen; dennoch hat der Gerichtshof seine Haltung deutlich zu Tage gebracht, die den Konflikt zum BVerfG mittelbar anzeigt: Ihm kam es in allen Fällen stets, wie er auch ausdrücklich erklärte, darauf an, dass durch die nationalen Gerichte „die Umstände des Falles gründlich geprüft und eine eingehende und umfassende Abwägung der in Rede stehenden widerstreitenden Interessen vorgenommen“ werden.1121 Das zeigt klar, dass es dem EGMR generell und grundlegend auf eine umfassende Abwägung ankommt und er Prüfungsbeschränkungen der Gerichte insoweit für unzulässig hält, als sie eine solche Abwägung verhinderten. Nun wurde zwar in nur einem von vier Fällen loyalitätsbedingter Kündigungen ein Konventionsverstoß festgestellt; daraus kann aber eben nur gefolgert werden, dass in den drei anderen Fällen die Abwägung trotz der Prüfungsbeschränkung der (ArUrt. v. 23.09.2010 – 1620 / 03 – Schüth . / . Deutschland Rn. 74. Urt. v. 03.02.2011  – 18136 / 02  – Siebenhaar . / . Deutschland Rn. 45; EGMR, Urt. v. 23.09.2010  – 425 / 03  – Obst . / . Deutschland Rn. 49; EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 1620 / 03 – Schüth . / . Deutschland Rn. 59. 1120  EGMR, 1121  EGMR,

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

beits-)Gerichte zu einem konventionskonformen Ergebnis führte, also dennoch eine hinreichend „eingehende und umfassende Abwägung“ vorgenommen wurde. Eine grundsätzliche Zulässigkeit des vom BVerfG vorgegebenen dogmatischen Vorgehens der nationalen (Arbeits-)Gerichte kann dem EGMR nicht untergeschoben werden, war es doch an sich nicht Gegenstand der Verfahren in Straßburg. Anders gewendet: Solange die nationalen Gerichte das Ziel einer umfassenden Abwägung erreichen und sich dies auch im Ergebnis widerspiegelt, ist das Verfahren vor dem EGMR für die betroffenen Mitarbeiter auch nicht erfolgreich. Im Fall Schüth, der dem BVerfG nach eben nur eine einzelfallbedingte Ausnahmeerscheinung darstelle, war es nunmehr zum ersten Mal so, dass die nationalen Gerichte eben nicht sämtliche Interessen berücksichtigt hatten, sondern insbesondere „die Frage der Nähe der vom Beschwerdeführer ausgeübten Tätigkeit zum Verkündungsauftrag der Kirche nicht geprüft, sondern, wie es scheint ohne weitere Nachprüfungen vorzunehmen, den Standpunkt des kirchlichen Arbeitgebers in dieser Frage übernommen“ hatten.1122 Im Unterschied zu den anderen Fällen ging also der EGMR im Fall Schüth in Bezug auf die Nähe des Gekündigten zum kirchlichen Verkündigungsauftrag nicht konform mit dem Standpunkt des kirchlichen Arbeitgebers und monierte daher zum ersten Mal die prüfungslose Übernahme des kirchlichen Standpunkts durch die Gerichte. In den anderen Verfahren war dies unproblematisch, da der EGMR die entsprechenden Standpunkte teilte und das Ergebnis insgesamt nicht konventionswidrig erschien, also der EGMR aus Sicht der Konvention dem Ergebnis zustimmen konnte. Daher kann das BVerfG nicht aus den das Vorgehen der nationalen Gerichtsbarkeit billigenden Entscheidungen feste konventionsrechtliche Maßstäbe ableiten, von denen die Entscheidung Schüth aus Gründen des Einzelfalls abweiche. Vielmehr bilden alle vier Entscheidung ein einheitliches Vorgehen und eine einheitliche Haltung des Gerichtshofs ab, die im Fall Schüth aus Anlass des Einzelfalls einer Konkretisierung bedurfte. Nicht zuletzt zeigt sich dies auch an der abstrakten und allgemein gehaltenen These des EGMR: „Ein auf eine Verfehlung gegen solche Obliegenheiten gestützter Kündigungsbeschluss [darf] angesichts des Selbstbestimmungsrechts des Arbeitgebers nicht allein einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle durch das zuständige staatliche Arbeitsgericht unterworfen werden, ohne dass dabei die Art der vom Betroffenen bekleideten Stelle berücksichtigt und tatsächlich eine Abwägung der in Rede stehenden Interessen im Licht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit stattfindet“.1123 Einzelfallbegründete Ausnahmeentscheidungen klingen anders.

1122  EGMR, 1123  EGMR,

Urt. v. 23.09.2010 – 1620 / 03 – Schüth . / . Deutschland Rn. 69. Urt. v. 23.09.2010 – 1620 / 03 – Schüth . / . Deutschland Rn. 69.



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 295

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der EGMR eine umfassende und nicht eingeschränkte Abwägung der widerstreitenden Interessen fordert. Dies kann jedoch in Konflikt mit der vom BVerfG propagierten Prüfungsbeschränkung der staatlichen Gerichte in Bezug auf religiös beeinflusste Abwägungskriterien stehen. Der Widerspruch kann auch nicht mit der These geleugnet werden, der EGMR habe bislang die Haltung des BVerfG gebilligt und nur in einem Fall eine einzelfallbedingte Ausnahme getroffen. Ein solches argumentatives Vorgehen verkennt das einzelfallbezogene und ergebnisorientierte Vorgehen des EGMR. Auch wegen des Gestaltungsspielraums der nationalen Gerichtsbarkeiten hat der EGMR solange das grundlegende dogmatische Vorgehen der deutschen Arbeitsgerichte nicht kritisiert, als das Ergebnis konventionskonform war. In dem Fall aber, in dem das Ergebnis konventionswidrig war, nutzte der EGMR dies, um seine Haltung in der Abwägungsfrage bei loyalitätsbedingten Kündigungen zu konkretisieren. Dabei zeigt sich gerade ein deutlicher Widerspruch zu der Position des BVerfG.1124 Die Ausführungen des BVerfG in seinem Beschluss vom 22.10.2014 zeigen unter Berücksichtigung dieses Kontexts, dass dem Gericht vielmehr daran gelegen ist, trotz der Rechtsprechung des EGMR die eigene Haltung aufrecht zu erhalten.1125 bb) Folgerungen für das Abwägungsprogramm Mit der Feststellung eines Widerspruchs zwischen der Rechtsprechung von BVerfG und EGMR steht ein endgültiges Ergebnis in Bezug auf das Abwägungsprogramm bei loyalitätsbedingten Kündigungen jedoch noch nicht fest. Das erkennt auch das BVerfG und verstärkt die Begründung seiner Haltung über die Feststellung eines fehlenden Konflikts zwischen seiner Rechtsprechung und der des EGMR hinaus mit dem Hinweis, dass selbst im Falle eines entsprechenden Widerspruchs zwischen beiden Rechtsprechungen eine 1124  Zu diesem Ergebnis kommen auch Plum, Kirchliche Loyalitätsoblegenheiten im Lichte der Rechtsprechung des EGMR, in: NZA 2011, 1194 ff., und Magen (Fn. 1097), 46 f., die aber bedingt durch den Entstehungszeitpunkt ihrer Beiträge nicht auf die Argumentation des BVerfG vom 22.10.2014 eingehen. 1125  So auch Schmitz-Scholemann, Loyalitätspflichten kirchlicher Mitarbeiter in der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, in: Reichold (Hrsg.), Loyalitätspflichten im Umbruch, 2015, 11 (34): „… dass das BVerfG die ihm offenbar nicht angenehme Auffassung des EGMR im Schüth-Fall zur Berücksichtigung der jeweils vom Mitarbeiter eingenommenen Funktion beiseiteschiebt, indem es die eigentlich sehr grundsätzlich angelegte und kaum missverständliche Entscheidung des EGMR mehr oder weniger als ‚Ausreißerʼ einordnet. ‚By the wayʼ deutet das BVerfG Widerstand an für den Fall, dass der EGMR tatsächlich meinen sollte, was er gesagt hat“. Vgl. auch Edenharter, Loyalitätspflichten in kirchlichen Arbeitsverhältnissen – eingeschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit, in: NZA 2014, 1378 (1380 ff.).

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

Rezeption der EGMR-Grundsätze grundgesetzwidrig sei.1126 Da das Verhältnis zwischen EMRK und GG nicht statisch, sondern flexibel ist, bedarf es nunmehr der Feststellung, ob und inwieweit das vom EGMR propagierte Abwägungsprogramm tatsächlich keinen Einfluss auf die grundgesetzliche Vorgehensweise auszuüben imstande ist. Es geht mit anderen Worten grundsätzlich um die Rezeption der EMRK durch das deutsche Recht. Der Grund für ein nicht gänzlich klares Verhältnis zwischen EMRK und GG ist, dass das GG über Art. 59 Abs. 2 GG völkerrechtlichen Bestimmungen und damit auch der EMRK nur die Position des einfachen Rechts zuerkennt, ihnen also nur eine dem GG untergeordnete Rolle zuschreibt.1127 Gleichzeitig sieht das BVerfG den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit im Grundgesetz verankert, nach dem Widersprüche mit völkerrechtlichen Bestimmungen möglichst vermieden werden müssen.1128 Besondere Bedeutung erlangt dabei gerade die Rechtsprechung des EGMR, die die EMRK als völkerrechtliche Bestimmung konkretisiert und insoweit eine Orientierungsfunktion erfüllt. Damit kommt der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR in ihrer gemeinsamen Bedeutung für das GG eine Zwitterstellung zwischen einfachrechtlichem Schattendasein und verfassungsrechtlicher Leitfunktion zu, die dazu führt, dass die Rezeption entsprechender Entscheidungen des EGMR durch die deutsche Verfassungsrechtsordnung nicht pauschal und einheitlich vorgenommen werden kann. Die EMRK dient insoweit als Auslegungshilfe für die deutsche Verfassungsordnung.1129 Dabei ist zu be1126  BVerfG,

Beschl. v. 22.10.2014 – 2 BvR 661 / 12 – Rn. 144. (Fn. 1097), 51. 1128  BVerfGE 111, 307 (317 f.): „Diese verfassungsrechtliche Bedeutung eines völkerrechtlichen Vertrages, der auf regionalen Menschenrechtsschutz zielt, ist Ausdruck der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, das die Betätigung staatlicher Souveränität durch Völkervertragsrecht und internationale Zusammenarbeit sowie die Einbeziehung der allgemeinen Regeln des Völkerrechts fördert und deshalb nach Möglichkeit so auszulegen ist, dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht entsteht“; vgl. auch Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 6. Aufl. 2013, § 2; Sauer, Staatsrecht III, 5. Aufl. 2018, § 7 m. w. N.; Mellech, Die Rezeption der EMRK sowie der Urteile des EGMR in der französischen und deutschen Rechtsprechung, 2012, S. 41 ff.; Nußberger, Europäische Menschenrechtskonvention, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 10, 3. Aufl. 2012, § 209. 1129  BVerfGE 74, 358 (370); E 82, 106 (115); 111, 307 (316  ff.); E 120, 180 (200 ff.); E 128, 326 (366 ff.); E 131, 268 (295 f.); Mellech (Fn.  1128), 50 ff. m. w. N.; Seibert, Europäische Menschenrechtskonvention und Bundesverfassungsgericht, in: Vogel (Hrsg.), Die Freiheit des Anderen – Festschrift für Martin Hirsch, 1981, 519 (520 ff.); Proelß, Bundesverfassungsgericht und überstaatliche Gerichtsbarkeit: Prozedurale und prozessuale Mechanismen zur Vermeidung und Lösung von Jurisdiktionskonflikten, 2014, S. 43 ff.; Sauer, Die neue Schlagkraft der gemeineuropäischen Grundrechtsjudikatur – zur Bindung deutscher Gerichte an die Entscheidungen des 1127  Magen



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 297

rücksichtigen, dass die EMRK und der EGMR es grundsätzlich den Nationalstaaten überlassen, wie die konventionsrechtlichen Vorgaben umgesetzt werden, so dass – bedingt auch durch die Ergebnisorientierung des EGMR selbst – entsprechende Berücksichtigungen überwiegend nur ergebnisorientiert erfolgen.1130 Der EGMR hat die Aufgabe, ein einheitliches (Mindest-) Schutzniveau der Menschenrechte durchzusetzen und angesichts der sehr unterschiedlichen Grundrechtssysteme der einzelnen betroffenen Nationalstaaten keine dezidierten und insbesondere dogmatischen Vorgaben aufzustellen.1131 Das spiegelt sich auch in der oben dargestellten Vorgehensweise des Gerichtshofs wider. Allerdings setzt nach dem BVerfG der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit der Rezeption der Entscheidungen des EGMR auch Grenzen, die insbesondere auf dem Feld mehrpoliger Grundrechtskonstellationen wirksam werden.1132 Genau hier setzt nun das BVerfG in seinem Beschluss vom 22.10.2014 an.1133 Nach Ansicht des Gerichts dürfe die Umsetzung entsprechender Vorgaben des EGMR nicht zu einem Defizit an Grundrechtsschutz führen; in mehrpoligen Grundrechtskonstellationen bedeute aber „das [vom EGMR geforderte; VH] ‚Mehr‘ an Freiheit für einen Grundrechtsträger zugleich ein ‚Weniger‘ für einen anderen“.1134 Mit anderen Worten: In mehrpoligen Grundrechtskonstellationen führe jede Rezeption der Rechtsprechung des EGMR stets zu einem Grundrechtsdefizit einer Seite und sei daher dort gehemmt. Diese Ansicht nimmt nun das Gericht zum Anlass, die – seiner Ansicht nach mit der eigenen Rechtsprechung nicht in Konflikt stehende – Rechtsprechung des EGMR zu loyalitätsbedingten Kündigungen generell nicht zu rezipieren.1135 Das sieht man auch in der Literatur überwiegend so.1136 Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, in: ZaöRV 65 (2005), 35 ff.; Ress, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Vertragsstaaten – die Wirkungen der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im innerstaatlichen Recht und vor innerstaatlichen Gerichten, in: Maier (Hrsg.), Europäischer Menschenrechtsschutz, Schranken und Wirkungen, 1982, 227 (258 ff.). 1130  Magen (Fn. 1097), 51 f. 1131  BVerfGE 128, 326 (369). 1132  BVerfGE 128, 326 (371); Proelß (Fn. 1129), 48 ff.; Frau, Der Gesetzgeber zwischen Verfassungsrecht und völkerrechtlichem Vertrag, 2015, S. 58; Lodemann (Fn.  1102), 218 ff. 1133  BVerfG, Beschl. v. 22.10.2014 – 2 BvR 661 / 12 – Rn. 128 ff. 1134  BVerfGE 128, 326 (371); BVerfG, Beschl. v. 22.10.2014 – 2 BvR 661 / 21 – Rn. 129. 1135  BVerfG, Beschl. v. 22.10.2014 – 2 BvR 661 / 12 – Rn. 144. 1136  Magen (Fn.  1097), 52  ff.; Plum (Fn.  1124), 1200; vgl. auch Richardi (Fn. 1088), 31 ff.; dagegen Lodemann (Fn. 1102), 219 ff., der allerdings die deutsche Verfassungstradition nicht in gleichem Maße wie als durch den EGMR beeinflusst ansieht.

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

Diese These kann aber nur eingeschränkt überzeugen.1137 Zuzugeben ist, dass ein Rezeptionshindernis dann bestehen muss, wenn die Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR in mehrpoligen Grundrechtspositionen zu einer Reduzierung des Grundrechtsschutzes eines Grundrechtsträgers führt, dessen Positionen der EGMR selbst nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat oder berücksichtigen konnte. Denn dann würde die Rezeption der EGMRRechtsprechung tatsächlich zu einer Schutzreduktion führen, auf die EMRK und EGMR gar keinen Einfluss haben und die deshalb von ihnen nicht gewollt ist. In den Fällen mehrpoliger Grundrechtsverhältnisse, die dem EGMR in gleicher Weise vorliegen und in denen sich der EGMR bewusst für die Bevorzugung des Schutzes eines Grundrechtsträgers entscheidet, ist ein Rezeptionshindernis jedoch nicht einleuchtend. Hat der EGMR also dieselbe Konstellation zu entscheiden, dieselben Menschenrechte gegeneinander abzuwägen wie die nationalen Gerichte, erscheint es nicht plausibel die Rezeption der Entscheidung des EGMR pauschal abzublocken. Denn der EGMR hat sich dann bewusst für die Höherschätzung des einen und gegen die Höherschätzung des anderen Grundrechtsschutzes entschieden und damit angezeigt, dass die Lösung der nationalen Gerichtsbarkeit dem notwendigen durch die Konvention vorgegebenen Schutzniveau gerade nicht entspricht. Dagegen kann auch nicht eingewandt werden, dass die Rechtsprechungsrezeption zu einer Einschränkung des Grundrechtsschutzes führe, die vom GG nicht vorgesehen sei; denn genauso kann umgekehrt gesagt werden, dass die Nichtrezeption der Rechtsprechung des EGMR ebenfalls zu einer Grundrechtsbeeinträchtigung – dieses Mal des anderen Grundrechtsträgers – führe, die das GG wegen des Verfassungsgrundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit grundsätzlich auch nicht wolle.1138 Es besteht also ein Patt zwischen grundgesetzlicher Entscheidung 1137  Vgl. dazu Sauer (Fn. 1129), 51 ff.; Zoellner, Das Verhältnis von Bundesverfassungsgericht und Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte – unter Berücksichtigung der Rolle des EuGH, 2009, S. 200 ff.; Cremer, Grundrechtsvielfalt und Grundrechtskonflikte im europäischen Mehrebenensystem – Lösungsstrategien, in: EuGRZ 2004, 683 (697); Klein, Zur Bindung staatlicher Organe an Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, in: JZ 2004, 1176 (1179); Breuer, Karlsruhe und die Gretchenfrage – Wie hast du’s mit Straßburg, in: NVwZ 2005, 412 (414); Lodemann (Fn.  1102), 250 ff. m. w. N.; Everling, Europäische Union, Europäische Menschenrechtskonvention und Verfassungsstaat – Schlusswort auf dem Symposium am 11. Juni 2005 in Bonn, in: EuR 2005, 411 (416). 1138  Hiergegen einzuwenden, der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit sei ungeschrieben und nur auslegungsbedingt hervorgerufen worden, wäre widersinnig, sind doch nahezu alle Abwägungsentscheidungen nach dem GG ebenso wenig vorgegeben und begründen sich auf der Entscheidung der Gerichte, insbesondere des BVerfG. Es ist also untunlich, hier zwischen Verfassungsvorgaben erster Stufe (unmittelbar im GG erkennbar) und zweiter Stufe (erst durch Auslegung oder Abwägung ermittelbar) zu unterscheiden. Unser Rechtssystem baut darauf auf, dass Gerichtsentscheidungen – hier die des Verfassungsgerichts – unmittelbar im Grundgesetz angelegt sind.



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 299

im Einzelfall und Völkerrechtsfreundlichkeit. Dass hier der die Rezeption der Entscheidungen des EGMR fordernde Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit pauschal zurücktritt, ist aber ebenso wenig überzeugend wie das pauschale Zurücktreten der grundgesetzlichen Einzelfallentscheidung; vielmehr bedarf es hier eines Ausgleichs zweier Verfassungsaufträge. Dabei ist zu beachten, dass sich die Situationen einpoliger Grundrechtskonstellationen, bei denen ein grundsätzlicher Vorrang der EMRK anerkannt ist, und mehrpoliger Grundrechtskonstellationen hinsichtlich der Rezeption der Entscheidung des EGMR solange gleichen, als der EGMR die gleichen Maßstäbe wie die nationale Gerichtsbarkeit anwendet – in beiden Fällen entscheidet der EGMR in Kenntnis und unter Berücksichtigung sämtlicher nationaler (Verfassungs-) Vorgaben. Hier ist es widersprüchlich, die Rezeption der Entscheidungen des EGMR alleine deshalb zu blockieren, weil der Entscheidung mehr­ polige Grundrechtskonstellationen zugrunde liegen. Denn in diesen Fällen besagt das Argument der Mehrpoligkeit des Grundrechtsverhältnisses nichts anderes als den Hinweis, das GG entscheide die Situation anders als die EMRK. Das begründet aber gerade nicht ein Hindernis der Rezeption der EMRK in nationales (Verfassungs-)Recht, wäre ansonsten der Sinn und Zweck der EMRK – Gewährleistung eines angemessenen Mindestschutzniveaus – obsolet. Durch das Bekenntnis Deutschlands zur EMRK zeigt sich gerade der mit dem GG zu vereinbarende Wunsch, dieses Mindestschutzniveau der Menschenrechte auch gegen die Entscheidung des GG im Einzelfall zu verwirklichen. Etwas Anderes kann nur dann gelten, wenn die nationale Gerichtsbarkeit durch die nationale Verfassung bedingte Überlegungen anstellen und Aspekte berücksichtigen muss, die der EMRK und dem EGMR fremd sind, also wenn beispielsweise die EMRK den Grundsatz der staatlichen Neutralität in religiösen Angelegenheiten nicht kennen oder nicht berücksichtigen würde; denn dann erfolgt die maßgebliche Abwägung bei EGMR und nationaler Gerichtsbarkeit unterschiedlich, so dass eine Rezeption des EGMR wesentliche Entscheidungen der nationalen Verfassung aushebeln könnte. Das kann trotz Völkerrechtsfreundlichkeit des GG nicht gewollt sein. Mit anderen Worten: Die Rezeption der Rechtsprechung des EGMR darf erst dort enden, wo nationale Verfassungsvorgaben – sei es auch logischerweise – vom EGMR gar nicht berücksichtigt und so die verfassungsrechtliche Direktivkraft diesbezüglich auf Null gesenkt werden. Solange der EGMR jedoch unter den gleichen Vorzeichen „nur“ eine andere Entscheidung als die nationale Gerichtsbarkeit trifft, ist ein Rezeptionshindernis nicht ersichtlich und verfassungsrechtlich widersprüchlich. Anders gewendet kommt es auf die Differenz zwischen EMRK und GG hinsichtlich des bei der Ergebnisgewinnung zu berücksichtigenden Maßstabs an. Ein genereller Vorrang der EMRK in ein- und ein genereller Vorrang des GG in mehrdimensionalen Grundrechtskonstellationen ist also dem GG nach nicht ersichtlich und auch nicht überzeugend.

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

Betrachtet man die Fälle loyalitätsbedingter Kündigungen, die der EGMR zu entscheiden hatte, fällt auf, dass zwischen dem eigentlichen Inhalt des Prüfungsmaßstabs der EMRK und des GG keine Unterschiede bestehen; so wendet das BVerfG selbst viel Energie auf, um darzulegen, dass sich EGMR und BVerfG in der Beantwortung (fast) aller Fragen entsprechen. Insbesondere das Neutralitätsprinzip ist dem EGMR grundsätzlich ein Begriff. Einziger Unterschied zwischen beiden Gerichten ist, dass der EGMR konventionsrechtlich eine umfassende Abwägung ohne Prüfungsbeschränkung fordert. Dies liegt aber nicht daran, dass ihm bestimmte Entscheidungen, die das GG vorgibt, fremd sind – gemeint ist hier insbesondere der Grundsatz der Neutralität in religiösen Angelegenheiten. Der EGMR missachtet also keine grundlegenden Vorgaben des GG bei seiner Entscheidungsgewinnung, sondern er stellt „lediglich“ fest, dass die Konvention andere Vorgaben an die Abwägung zwischen kirchlicher Selbstbestimmung und Grund- bzw. Menschenrechten der betroffenen Mitarbeiter stellt als das GG. Der Unterschied liegt also alleine im Ergebnisinhalt. Insoweit liegt kein anderer Konfliktfall als in einpoligen Grundrechtskonstellationen vor. Wie bereits dargelegt, wird ein Rezeptionsergebnis aber erst dann begründet, wenn nicht nur der Inhalt des Ergebnisses, sondern die Bedingungen seiner Entstehungen different sind. Dem ist hier aber gerade nicht so. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein Hindernis für die Rezeption der Rechtsprechung des EGMR hier nicht besteht. Die Entscheidung des EGMR, eine umfassende Abwägung zwischen kirchlicher Selbstbestimmung und Grund- bzw. Menschenrechten der betroffenen Mitarbeiter vorzunehmen, ist in das GG einzubeziehen. Es liegt hier ein „reiner“ Widerspruch im Ergebnisinhalt vor, bei dem grundsätzlich die Entscheidung des EGMR „vorgeht“, ist es doch gerade die Aufgabe der EMRK und des EGMR, ein hinreichendes Menschenrechtsschutzniveau herzustellen. Dies kann nicht alleine mit dem Hinweis ausgehebelt werden, das GG vertrete ein anderes Ergebnis. b) Der Ansatz des BVerfG: intendierte Abwägung? Unabhängig davon, dass bereits die EMRK – in Gestalt des Worts des EGMR – eine umfassende Abwägung zwischen kirchlichem Selbstbestimmungsrecht und den Grundrechten der betroffenen Mitarbeiter ohne Einschränkung der Prüfungsdichte fordert, gilt dies grundsätzlich auch nach den Vorgaben des GG selbst. Insoweit sind die vom BVerfG – und ihm folgend der Literatur1139 – vorgenommenen Einschränkungen nicht überzeugend. 1139  Grabenwarter, Die Kirchen in der Europäischen Union – am Beispiel von Diskriminierungsverboten in Beschäftigung und Beruf, in: ders. / Lüdecke (Hrsg.),



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 301

Zwar wird diese Ansicht vielerorts in der Literatur geteilt, dabei allerdings die Rechtsprechung nur punktuell kritisiert und häufig lediglich auf die Grundrechte entweder als Teil der (Verfassungs-)Ordnung und damit als Schranken des Art. 137 Abs. 3 WRV oder als Teil des ordre public – und damit bereits nach der Rechtsprechung des BVerfG als Schranke kirchlicher Loyalitätspflichten – verwiesen.1140 Eine hinreichend tiefgehende Untersuchung – insbesondere angesichts der neueren Entscheidung des BVerfG – fehlt und soll insoweit an dieser Stelle versucht werden. Zentrale Aussage ist, dass – wie das BVerfG bereits 1985 feststellte – die Frage nach einem Loyalitätsbruch und dessen Gewichtung solange alleine von den Kirchen selbst zu beantworten sei, bis die entsprechende Antwort Standpunkte im Kirchen- und Staatskirchenrecht, 2002, 60 (67); Ehlers, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 140 / 137 WRV Rn. 10; Richardi, Kirche und Arbeitsrecht, in: ZevKR 1987, 628 (632); Richardi (Fn. 1088), § 6 Rn. 20 ff.; Rüthers, Wie kirchentreu müssen kirchliche Mitarbeiter sein?, in: NJW 1986, 356 (357); von Campenhausen, Der staatliche Rechtsschutz im kirchlichen Bereich, in: AöR 112 (1987), 623 (650 ff.); Thüsing, Das kirchliche Arbeitsrecht und die Grundrechte des Mitarbeiters, in: Muckel (Hrsg.), Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat – Festschrift für Wolfgang Rüfner zum 70. Geburtstag, 2003, 901 (909); Isensee, Kirchliche Loyalität im Rahmen des staatlichen Arbeitsrechts – verfassungsrechtliche Aspekte des kirchlichen Arbeitsverhältnisses, in: Bartlsperger (Hrsg.), Rechtsstaat, Kirche, Sinnverantwortung – Festschrift für Klaus Obermayer zum 70. Geburtstag, 1986, 203 (206); Dütz, Kirchliche Festlegung arbeitsvertraglicher Kündigungsgründe?, in: NJW 1990, 2025 ff.; Winter, Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 2008, S.  198 ff.; Rüfner, Staatskirchenrecht im pluralistischen Staat – Wertungsdifferenzen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften, in: Bohnert (Hrsg.), Verfassung – Philosophie – Kirche, Festschrift für Alexander Hollerbach zum 70. Geburtstag, 2001, 691 (700); ders., Individualrechtliche Aspekte des kirchlichen Dienstrechts, in: Listl / Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, 901 (906); Heckel, Die staatliche Gerichtsbarkeit in Sachen der Religionsgemeinschaften, in: Badura (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens – Festschrift für Peter Lerche zum 65. Geburtstag, 1993, 213 (228 ff.). 1140  Morlok, Die korporative Religionsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht nach Art. 140 GG / Art. 137 Abs. 3 WRV einschließlich ihrer Schranken, in: Heinig / Walter (Hrsg.), Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, 2007, 185 (206 ff.); Czermak, Bewegung ins Staatskirchenrecht!, in: ZRP 1990, 475 (477); Vogler, Grundrechte und kirchliches Selbstbestimmungsrecht – dargestellt am Beispiel der Kündigung kirchlicher Mitarbeiter wegen Wiederverheiratung, in: RdA 1993, 257 (259); Keßler, Loyalitätspflichten kirchlicher Mitarbeiter und Kündigungsschutz, in: Heinze (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Gitter – zum 65. Geburtstag am 30. Mai 1995, 1995, 461 (476); Weber, Bindung der Kirchen an staatliche und innerkirchliche Grundrechte und das Verhältnis der Grundrechtsgewährleistungen zueinander, in: ZevKR 42 (1997), 282 (314); Wieland, Die Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften, in: Der Staat 25 (1986), 321 (340 ff.); Heinig, Art. 13 EGV und die korporative Religionsfreiheit nach dem GG, in: Haratsch / Janz / Rademacher / Schmahl / Weiß (Hrsg.), Religion und Weltanschauung im säkularen Staat, 2001, 215 (230 f.).

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

gegen das Willkürverbot, gegen die guten Sitten oder den ordre public verstoße.1141 Das bedeutet also, dass das BVerfG nicht eine umfassende Gesamtabwägung verhindert, aber hierbei den Prüfungsrahmen der staatlichen Gerichte (erheblich) begrenzt.1142 Eine dezidierte Begründung fehlt jedoch sowohl im Beschluss von 1985 als auch in dem Beschluss von 2014. In beiden Entscheidungen wird diese Prüfungsbeschränkung einfach festgestellt, ohne zumindest dogmatische Anhaltspunkte für diese nicht unbedeutende Entscheidung anzuführen; immerhin findet man im Beschluss vom 22.10.2014 den – wenn auch wenig aussagekräftigen – Zusatz, dass sich in diesem Recht der Kirchen auf eigene Bewertung der religiös beeinflussten Abwägungspunkte „nicht nur die statusrechtliche Sicherung nach Art. 137 Abs. 3 WRV, sondern vor allem auch die Schutzwirkung der Religionsfreiheit von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG“ entfalte.1143 Der seitens des BVerfG betriebene Begründungsaufwand ist also gering. Gleichwohl scheinen die Formulierungen der verfassungsgerichtlichen Entscheidungen einige dogmatische Überlegungen als Legitimierung der besonderen Haltung des BVerfG nahe zu legen: Zum einen könnte das Rekurrieren auf Willkürverbot, gute Sitten und ordre public als Grenze der Anerkennung religiöser Bewertungen mit einer beschränkten Justiziabilität vor staatlichen Gerichten (aa)) oder mit der Parallele zur Anerkennung fremder Rechtsordnungen (bb)), zum anderen mit der staatlichen Pflicht zur Neutralität in religiösen Angelegenheiten (cc)) und schließlich – und dieses Argument tritt zumindest im Beschluss vom 22.10.2014 offen zutage – mit dem bereits auf Schutzbereichsebene des Art. 137 Abs. 3 WRV angelegten grundrechtlichen Schutzgehalt des Art. 4 Abs. 1, 2 GG begründet werden (dd.). Überzeugend ist allerdings keine davon. aa) Eingeschränkte Justiziabilität in kircheneigenen Angelegenheiten Zunächst liegt es nahe, die vom BVerfG konstatierte Beschränkung des Prüfungsumfangs staatlicher Gerichte bei Loyalitätspflichten mit einer gleichsam beschränkten Justiziabilität in diesem Bereich zu begründen.1144 So wurde bereits gezeigt, dass den Kirchen über Art. 137 Abs. 3 WRV zwar auch das Recht zur eigenen Gerichtsbarkeit zukommt, gleichwohl das staatliche Justizgewährungsgebot es erfordert, entsprechende Fälle auch vor staatlichen Gerichten verhandeln zu dürfen. Das kirchliche Selbstbestimmungs1141  BVerfGE 70, 138 (168); ebenso wiederholt in BVerfG, Beschl. v. 22.10.2014 – 2 BvR 661 / 12 – Rn. 118. 1142  Siehe dazu bereits oben S. 286 ff. 1143  BVerfG, Beschl. v. 22.10.2014 – 2 BvR 661 / 12 – Rn. 118. 1144  Unruh, Religionsverfassungsrecht, 4. Aufl. 2018, Rn. 220; vgl. BVerfGE 70, 138 (168); BGHZ 154, 306 (313).



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 303

recht bewirkt hier allerdings eine entsprechende Beschränkung des gerichtlichen Prüfungsumfangs.1145 Bei genauem Besehen kann dies indes hier nicht angeführt werden. Denn trotz der grundsätzlichen Fähigkeit des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts zur Beschränkung staatlicher Justiziabilität trifft dies für diesen Fall nicht zu. Die hier zu beantwortende Frage ist keine eigene Angelegenheit der Kirchen: Es geht um die bürgerlich-rechtliche Wirksamkeit der Loyalitätspflichten, also um die Anerkennung kirchlicher Rechtsakte durch die staatliche Sphäre. In Frage steht also nicht die „Konkurrenz“ zwischen staatlicher und kirchlicher Gerichtsbarkeit, sondern ausschließlich die Auslegung und Anwendung staatlichen Rechts – genauer: des Art. 137 Abs. 3 WRV –, für die die kirch­ liche Gerichtsbarkeit nicht zuständig ist. Dabei ist zwar weiterhin das staat­ liche Neutralitätsgebot zu beachten, das eine Bewertung und eine inhaltliche Vorgabe der kirchlichen Loyalitätspflichten durch staatliche Gerichte verbietet. Ob allerdings die Loyalitätspflichten in der staatlichen Sphäre wirksam sind, richtet sich alleine nach Art. 137 Abs. 3 WRV und damit nach staat­ lichem Recht. Die Beschränkung staatlicher Justiziabilität kommt nur in den Fällen in Betracht, in denen es um die Auslegung und Anwendung kirch­ lichen Rechts geht, etwa bei kirchlichen Eherechtsfragen. Daher ergibt sich der Maßstab für die bürgerlich-rechtliche Wirksamkeit der Loyalitätspflichten alleine aus dem staatlichen Art. 137 Abs. 3 WRV. Eine Modifikation dieses Maßstabs wegen möglicher kirchlicher Gerichtsbarkeit ist dabei also nicht zu konstatieren, zumal die Kirchengerichte für Fragen der Loyalitätspflichten nicht zuständig sind und insoweit gar kein entsprechendes Kirchengerichtsverfahren existiert.1146 bb) Anerkennung fremder Rechtsordnungen An den Ausführungen des BVerfG zur Begrenzung des Prüfungsumfangs staatlicher Arbeitsgerichte bei loyalitätsbedingter Kündigung fällt zunächst die Parallele zu den allgemeinen Grundsätzen der Anerkennung fremder Rechtsordnungen auf.1147 Dabei gilt diese Parallele zwar auf den ersten Blick nur für den ordre public als in Art. 6 EGBGB ausdrücklich verankerte Rezeptionsgrenze ausländischen Rechts.1148 Das Rekurrieren auf die „guten 1145  Siehe

dazu bereits ausführlich oben S. 124 ff. § 2 KAGO vom 25.02.2010 für die katholische Kirche bzw. § 5 KiGGEKD bzw. für die evangelischen Kirchen. 1147  Vgl. dazu auch Traulsen (Fn. 1084), 87 ff., der allerdings auf eine Bewertung dieser Aussagen insgesamt verzichtet. 1148  Allgemein dazu von Hoffmann / Thorn, Internationales Privatrecht, 9.  Aufl. 2007, § 6 Rn. 137 ff. 1146  Vgl.

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

Sitten“ lässt sich jedoch mit der Vorgängernorm des Art. 6 EGBGB – Art. 30 EGBGB a. F. – begründen, der ausdrücklich auf die „guten Sitten“ als Rezeptionsgrenze abstellte; und auch das Abstellen auf das Willkürverbot hat schließlich ebenfalls eine Parallele zum internationalen Privatrecht, war doch bis zum „Spanierbeschluss“ des BVerfG vom 04.05.1971 in Rechtsprechung und Literatur herrschend, das Prüfungsprogramm des ordre public allein auf ein Willkürverbot zu begrenzen und Grundrechte gerade nicht zu berücksichtigen.1149 Durch den soeben erwähnten Beschluss des BVerfG wurde klargestellt, dass der ordre public neben dem Willkürverbot auch die Grundrechte als Rezeptionsgrenze beinhaltet, was zumindest hinsichtlich der Grundrechte durch die Änderung des EGBGB, in deren Zuge der neue Art. 6 S. 2 EGBGB entstand, eindeutig klargestellt wurde.1150 Folglich haben sowohl die Erwähnung des Willkürverbots, als auch die Erwähnung der guten Sitten und schließlich die Erwähnung des ordre public zumindest ihre gedanklichen Ursprünge im internationalen Privatrecht, nicht zuletzt weil diese Begrifflichkeiten längst aus dieser Rechtsmaterie bekannt waren.1151 Nun könnte für eine Adaption der Grundsätze des internationalen Privatrechts in Rezeptionsfragen insbesondere der Umstand sprechen, dass kirch­ liches Recht ebenfalls eine für die staatliche Rechtsordnung „fremde Rechtsordnung“ darstellt, so dass ein Gleichlaufen entsprechender Rezeptionshindernisse nahe liegt.1152 Problematisch daran ist aber, dass das GG für die Fälle der Anerkennung kirchlich gesetzten Rechts im Unterschied zu Fällen der Rezeption fremder staatlicher Rechtsordnungen und ihrer Teile eine Rezeptions- und Aufnahmenorm in Gestalt des Art. 137 Abs. 3 WRV bereitstellt. Diese betont gerade, dass das eigene Recht der Kirchen nur innerhalb der für alle geltenden Gesetze vom Staat rezipiert werden muss. Diese Schranke des für alle geltenden Gesetzes erfordert aber wie bereits ausgeführt eine umfassende Abwägung zwischen den kollidierenden Rechtsgütern;1153 eine Beschränkung der Grenzen der Rezeption kirchlichen Rechts auf willkürliches, sittenwidriges und den ordre public missachtendes kirchliches Recht ist strukturell gerade nicht vorgesehen. Daraus folgt, dass angesichts der Existenz des Art. 137 Abs. 3 WRV die Parallele zur staatlichen Anerkennung fremder Rechtsordnungen nicht dazu führen darf, dieselben Grundsätze der Rezeption entsprechender Rechtsnormen anzuwenden. Dies würde die Schrankenregelung des Art. 137 Abs. 3 WRV missachten und den Kirchen 1149  Dazu

BVerfGE 31, 58 (73 ff.) m. w. N. zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts vom 25.07.1986, BGBl. 1986, Bd. 1, S. 1142 ff.; vgl. auch Hoffmann / Thorn (Fn. 1148), 140. 1151  So auch Traulsen (Fn. 1147); vgl. auch Mummenhoff, Loyalität im kirchlichen Arbeitsverhältnis, in: NZA 1990, 585 (587 f.). 1152  So eben die Feststellung bei Traulsen (Fn. 1084), 87. 1153  Siehe dazu oben S. 102 ff. 1150  Gesetz



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 305

einen von der Verfassung nicht vorgesehenen Freiraum bereitstellen. Dagegen kann auch nicht pauschal eingewandt werden, dadurch würde das kirchliche Selbstbestimmungsrecht auf einen „bloßen kirchlichen Grundrechtsschutz“ degradiert.1154 Denn im Endeffekt stellt Art. 137 Abs. 3 WRV nichts Anderes dar; es handelt sich bei dieser Norm um einen institutionell geprägten1155 Freiheitsschutz, der in seiner Anwendungsart dem grundrechtlichen Schutz gleicht. Etwas Anderes könnte nur gelten, wenn sich die Bedeutung der Autonomie der Kirchen über den „normalen“ Grundrechtsschutz hinaus verfassungsrechtlich abzeichnen ließe; ein solcher Befund kann jedoch nicht festgestellt werden. Das GG betont vielmehr ausdrücklich, dass Kirchen ihre eigenen Angelegenheiten in Ansehung kollidierender Rechtsgüter innerhalb des für alle geltenden Gesetzes ordnen und verwalten dürfen; eine pauschale Überhöhung kirchlicher Autonomie lässt sich damit jedoch nicht begründen. cc) Die Pflicht des Staates zur Neutralität in religiös-weltanschaulichen Angelegenheiten Ein weiterer Grund für die Erweiterung der Anerkennung kirchlicher Loya­litätspflichten und die daraus folgende Beschränkung ihrer Überprüfung könnte in dem Grundsatz staatlicher Neutralität in religiös-weltanschaulichen Angelegenheiten zu finden sein. Dieses so genannte Neutralitätsprinzip findet seine Grundlage nicht im eigentlichen Verfassungstext, sondern grund­ legender Anknüpfungspunkt ist eine Gesamtschau zentraler religionsverfassungsrechtlicher Vorschriften des Grundgesetzes.1156 Es handelt sich also weniger um ein fest verankertes Strukturprinzip als vielmehr um einen durch Interpretation gewonnenen Verfassungsgedanken.1157 Daher nimmt es nicht Wunder, dass insbesondere der konkrete verfassungsrechtliche Inhalt des Neutralitätsprinzips alles andere als geklärt zu bezeichnen ist.1158 Aus der Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, 2006, S. 213. dazu bereits oben S. 117 ff. 1156  BVerfGE 93, 1 (17); E 102, 370 (394); E 105, 279 (294  f.); E 108, 282 (299 ff.); BVerwGE 107, 75 (80); Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 4 Rn. 161; Germann, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG, Stand: November 2018, Art. 4 Rn. 79 ff.; Jeand’Heur / Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, Rn.  166 ff. 1157  Dazu auch Herbolsheimer / Kukuczka, Der bayerische Kreuzbeschluss im Neutralitätskonflikt, in: ZevKR 63 (2018), 367 (368 ff.). 1158  Ein guter Überblick über die verschiedenen Ansätze zur Bestimmung des Inhaltes des Neutralitätsprinzips findet sich bei Heinig, Verschärfung der oder Abschied von der Neutralität? – zwei verfehlte Alternativen in der Debatte um den herkömm­ lichen Grundsatz religiös-weltanschaulicher Neutralität, in: JZ 2009, 1136 ff.; Czermak, Religions- und Weltanschauungsrecht, 2008, § 10; Holzke, Die „Neutralität“ des Staates in Fragen der Religion und Weltanschauung, in: NVwZ 2002, 903 (904 ff.); 1154  So

1155  Siehe

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

Kombination des relativ „dünnen“ verfassungsdogmatischen Fundaments und der Vagheit des Begriffs lässt sich jedoch eine entscheidende Information für den Umgang mit dem Neutralitätsprinzip und dessen Funktion gewinnen: Aufgrund seiner schwachen Konturen fungiert das Neutralitätsprinzip weniger als Maßstab, als „materielle Größe“, als vielmehr als Argument, als Strukturgewinnungsmethode im Diskurs religionsrechtlicher Konflikte.1159 Es soll helfen, den Ausgleich zwischen den in religiösen Konflikten betroffenen Gütern zu generieren. Es vereinfacht den Abwägungsdiskurs, indem es ein weiteres Kriterium schafft, an dem der Diskurs ansetzen und eine Lösung herbeiführen kann. Das Neutralitätsprinzip ist also weniger ein fester Anker, der dem verfassungsrechtlichen Diskurs klare Vorgaben setzt, als vielmehr ein Segel, das als Werkzeug des verfassungsrechtlichen Diskurses hilft, den richtigen Weg und das richtige Ziel zu finden. Infolgedessen ist es nicht verwunderlich, dass das Neutralitätsprinzip überwiegend dort zu einem maßgeblichen Kriterium mutiert, wo es um Fragen der religiösen Betätigung in oder nahe der staatlichen Sphäre geht, also insbesondere bei Kopftuch tragenden Lehrerinnen1160 und Referendarinnen1161, im Klassenzimmer1162, in Gerichtssälen1163 oder Behörden1164 hängenden Kruzifixen oder in Schulen stattfindenden Gebeten1165. (1) Strukturelle Betrachtung: die Zirkelschlüssigkeit der Argumentation Es liegt daher zunächst nahe, in den Fällen loyalitätsbedingter Kündigungen, die ebenfalls ein Themenfeld staatlicher Religionskonflikte und damit ein „klassisches“ Anwendungsgebiet des Neutralitätsprinzips bilden, den Neutralitätsgrundsatz als Konfliktlösungsinstrument anwenden zu lassen. Allerdings stellt sich bereits zu Beginn die Frage, ob das Neutralitätsprinzip dies überhaupt zu leisten imstande ist. Hintergrund ist folgende Überlegung: Gärditz, Säkularität und Verfassung, in: Depenheuer / Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, 2010, § 5 Rn. 15 ff.; vgl. auch Herbolsheimer / Kukuczka (Fn. 1157). 1159  Krüper, Die grundrechtlichen Grenzen staatlicher Neutralität – zum Inhalt eines Verfassungsprinzips, in: Häberle (Hrsg.), JöR n. F. 53 (2005), 79 (Zitat 82); Heinig (Fn. 1158), 1140: „Durch die Neutralitätsfigur wird die Rede von der gleichen Freiheit anschaulicher, konkreter, spezifischer“; Herbolsheimer / Kukuczka (Fn. 1157). 1160  BVerfGE 108, 282 ff. 1161  HessStGH, NVwZ 2008, 199 ff.; OVG Bremen, NVwZ-RR 2006, 402 ff.; VG Augsburg, Urt. v. 30.06.2016 – Au 2 K 15.457; Wißmann, Justitia mit Kopftuch?, in: DRiZ 2016, 224 ff. 1162  BVerfGE 93, 1 ff. 1163  BVerfGE 35, 366 ff. 1164  Herbolsheimer / Kukuczka (Fn. 1157), 367 ff. 1165  BVerfGE 52, 233 ff.



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 307

Bei der Frage nach der allgemeinen Reichweite der Anerkennung von Loyalitätspflichten (und daraus folgend nach der Überprüfungsdichte von Loyalitätspflichten) handelt es sich basal um die Frage, inwieweit die staatliche Rechts- bzw. Verfassungsordnung allgemein kirchlich gesetztes Recht anerkennt; es geht also um den Inhalt und den Maßstab des Art. 137 Abs. 3 WRV, also um seinen Gewährleistungsgehalt. Das BVerfG formuliert und begutachtet hier die allgemeine Schrankenregelung und damit den allgemeinen Maßstab des Art. 137 Abs. 3 WRV und modifiziert an sich insoweit durch seine vorgenommenen Einschränkungen der Überprüfung bzw. der Nichtanerkennung kirchlicher Loyalitätspflichten den Maßstab des Art. 137 Abs. 3 WRV, indem nicht mehr das für alle geltende Gesetz Schranke sein soll, sondern nur noch das Willkürverbot, die guten Sitten und der ordre public. Problematisch ist die Begründung einer solchen Maßstabsmodifikation mithilfe des Neutralitätsprinzips deshalb, weil Letzteres sich nicht aus dem Verfassungstext, sondern aus einer Gesamtschau verschiedener Normen des GG speist. Zwar wird dagegen teilweise – sieht man von der nicht überzeugenden These der Nichtexistenz eines Neutralitätsprinzips einmal ab1166 – in der Literatur das Neutralitätsprinzip trotz der rein verfassungsdogmatischen Grundlage zumindest auch verfassungstheoretisch entwickelt, wie es beispielsweise die Lehre von der Begründungsneutralität1167 oder die Lehre von 1166  So insbesondere Möllers, Religiöse Freiheit als Gefahr?, in: VVDStRL 68 (2008), 47 (53 ff.), der die notwendige „Parteilichkeit demokratischer Politik“ (57) unterstreicht, deren Grenzen das Verfassungsrecht in Gestalt des Rechtsstaatsgebots sowie der Grundrechte ist. Daraus leitet er ab, dass das Neutralitätsprinzip im Endeffekt nur die „Reflexfigur der gleichen Freiheit“ (58) sei, das „kaum neue Inhalte“ (58) liefere; ebenso Holzke (Fn. 1158). Auch wenn dem insoweit zuzustimmen ist, dass der Inhalt des Neutralitätsprinzips nicht außerhalb des GG liegen kann, verkennt diese Ansicht, dass das Neutralitätsprinzip neben der genannten Reflexionsebene auch eine Konkretisierungsebene aufweist, auf der gerade näher ausgestaltet wird, wie mit der gleichen Freiheit umzugehen ist. Damit ist auch die Funktion des Neutralitätsprinzips als Werkzeug und Strukturierungsmoment angesprochen. Darüber hinaus ist zwar auch ein demokratischer Rechtsstaat gezwungenermaßen nicht neutral, da er an Grundpositionen gebunden ist und im Wege demokratischer Gesetzgebung bestimmte Positionen eingenommen werden; dennoch kann nicht geleugnet werden, dass innerhalb dieses Rahmens staatliche Gewalt doch neutral sein kann – und im Falle des GG auch sein muss. 1167  Hinter dieser Sichtweise steckt der politische Liberalismus: Während das „Rechte“ die für das friedliche gesellschaftliche Zusammenleben essentiellen Grundregeln und damit die vom Staat gesetzten Regeln umfasse (das staatliche Recht), existiere auf der anderen Seite das „Gute“, also die vom Bürger zu entscheidenden moralischen Fragen einer (guten) Lebensführung. Im Gegensatz zum Bereich des „Rechten“ betreffe das „Gute“ damit nicht die – allein vom Staat zu beantwortenden – auf das Leben in der Allgemeinheit beschränkten Fragen, sondern die für das Individuum bedeutsamen und daher von ihm allein zu erlassenden Regeln und zu lösenden Problemfelder. Das Neutralitätsprinzip solle folglich sicherstellen, dass das „Gute“ weiterhin

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

der Hierarchisierung1168 tun. Diese vermögen – unabhängig ihrer inhaltlichen Argumentation – indes nicht zu überzeugen. Durch die Offenheit, Vagheit und Porosität des Begriffs der Neutralität besteht insbesondere bei einem verfassungstheoretisch angeleiteten Neutralitätsverständnis die Problematik, dass sich die Verfassungstheorie verselbstständigt.1169 Die Verfassungstheorie steht dann in Verdacht, sich zu einem „Überverfassungsrecht“ zu entwickeln und über dem eigentlichen Verfassungsrecht zu thronen.1170 Hinreichende

individuell vom Bürger entschieden werden könne und dass der Staat sich keine Legitimationsgrundlage im Bereich des „Guten“ erschaffe, der Staat also nicht seine Funktionsgrundlage in der Beantwortung einer Frage nach dem „Guten“ suche. Begründungsneutralität bedeutet nunmehr, dass – ganz im Sinne des (egalitären) Liberalismus – jede staatliche Gewalt – auch bereits wegen des Gleichheitsgebots (Art. 3 GG) – in der Pflicht ist, ihre Handlungen so zu begründen, dass jedermann sie akzeptieren kann. Voraussetzung dafür sei wegen des Faktums des religiös-weltanschaulichen Pluralismus im Bereich des „Guten“, dass gerade keine Gründe aus diesem Bereich des „Guten“ herangezogen würden. Andernfalls könne eine einheitliche Akzeptanz niemals ermöglicht werden. Siehe dazu ausführlich Huster, Die ethische Neutralität des Staates, 2002, S. 31 f.; ders., Die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates, in: Winfried Brugger / ders. (Hrsg.), Der Streit um das Kreuz in der Schule, 1998, 69 (74 f.); vgl. auch Rawls, Der Vorrang des Rechten und die Ideen des Guten, in: ders., Die Idee des politischen Liberalismus, 1992, 364 (378 ff.). 1168  Nach dieser funktionalistischen Sichtweise wird Religion nicht nur eine individualistische, sondern auch eine besonders wichtige Rolle als (Bau-)Element kultureller Identität zugeschrieben. Ihr komme damit ein kollektives Bewusstsein und eine gesamtgesellschaftliche Funktion zu, die der Staat – auch innerhalb der Religionsfreiheit – beachten müsse. Da jede Kirche indes unterschiedlichen Anteil an der kollektiven Identitätsprägung besitze, müsse der Staat auch unter Berücksichtigung dieses Anteils jede Kirche anders behandeln. Im Sinne Luhmanns Systemtheorie bedeute jede grundrechtlich verbürgte Freiheit – und damit auch die Religionsfreiheit – nicht nur ein individuelles Abwehrschild gegen staatliche Übergriffe, sondern auch eine Garantie für die Ausdifferenziertheit gesellschaftlicher Systeme. Durch die Aufsplittung der Freiheit der Bürger in viele vereinzelte Bereichsfreiheiten werde jede funktionale Differenzierung der Gesellschaft gesichert. Dies müsse die staatliche Gewalt berücksichtigen: Jede Kirche sei demnach – quasi aus Gründen einer Art Selbsterhaltung – je nach dem Grad ihrer Relevanz und Förderung funktionaler Differenzierungsprozesse anders zu behandeln. Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, die eine entsprechende Differenzierung rückgängig machen wollten, seien vom Staat aus Selbstschutzgründen heraus weniger zu fördern. Demnach bedeute Neutralität wegen religions- und grundrechtsfunktionaler Aspekte gerade die Bildung von Religionshierarchien und mithin das Gebot unterschiedlicher Behandlung von Religion- und Weltanschauungsgemeinschaften. Siehe dazu insgesamt Ladeur / Augsberg, Der Mythos vom neutralen Staat, in: JZ 2007, 12 (16 ff.); dies., Toleranz – Religion – Recht, 2007, S. 44 ff. 1169  Heinig (Fn. 1158), 1140: „gefährliche Verselbstständigung des Neutralitätsparadigmas“. 1170  Heinig, Verschleierte Neutralität, in: JZ 2010, 357 (358, 359); ders., (Fn. 1158), 1140; Waldhoff, Die Zukunft des Staatskirchenrechts, in: Kämper / Thönnes (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 42 (2008), 55 (76 ff.).



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Verdachtsmomente sind zumindest auszumachen.1171 Eine solche methodische Herangehensweise ist mit dem Verhältnis von Verfassung, Verfassungstheorie und Verfassungsdogmatik allerdings nicht zu vereinbaren.1172 Sie läuft neben der Sprengung der Gesetzesbindung Gefahr, ein auf verfassungstheoretischen Argumenten basierendes, nicht falsifizierbares Konstrukt zu entwerfen, das sich – wohl auch wegen der schnellen Beliebigkeit und kaum durchführbaren Kontrolle der Anwendung – verselbstständigen und so zur „Übernorm“ werden kann.1173 Will man verhindern, dass objektiv-rechtliche Grundsätze „in methodisch unhaltbarer Weise geschichtsphilosophisch oder staatstheoretisch aufgeladen“ werden1174 und sich so schnell verselbstständigen können – und es wegen ihrer Offenheit und Interpretationsmaßlosigkeit meist auch tun –, ist eine wie hier vertretene stärkere (selbstdisziplinäre) methodische Rückbindung unausweichlich.1175 Geht es um die inhaltliche Bestimmung des Neutralitätsprinzips, sind daher alleine die vorhandenen Normen der zu betrachtenden Verfassung und ihr Inhalt heranzuziehen.1176 Entscheidend ist hierbei die Beschränkung auf den Inhalt der jeweiligen das Neutralitätsprinzip ausbildenden Normen. Vorschläge, die zu einem „lockeren“ Umgang mit der Verfassungstheorie mahnen, sind insoweit abzulehnen, 1171  Die Verfassungstheorie thront in der Begründungsneutralitätsthese über dem Verfassungsrecht, wenn beispielsweise bei fehlender Regelung der verfassungstheoretische Gehalt der Begründungsneutralität herangezogen wird (so Huster, Neutralität ohne Inhalt? – zu Hans Michael Heinig JZ 2009, 1136 ff., in: JZ 2010, 354 [355]: „Ob Beeinträchtigungen durch eine religiös-weltanschauliche Parteilichkeit des Staates gerechtfertigt werden können, ist – jedenfalls unterhalb einer gewissen Intensitätsschwelle – keine originäre Frage der Grundrechte, sondern des in der Verfassung zum Ausdruck gekommenen Selbstverständnisses des jeweiligen Gemeinwesens. Es wird daher der Sinnermittlung nicht viel helfen, das Neutralitätsgebot stärker an die Religionsfreiheit zu binden“) oder eine Grundrechtsverletzung bei der Frage des staatlichen Erziehungsauftrags (Art. 7 Abs. 2 GG) erst mit Verletzung des Neutralitätsprinzips bejaht und geltend gemacht wird (vgl. Huster, Ethische Neutralität [Fn. 1167], 365 ff.; siehe auch Huster, Neutralität [Fn. 1167]). Das Gleiche gilt für die Hierarchisierungsthese, die ein Gebot unterschiedlicher Behandlung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften auf der Grundlage system- und funktionstheoretischer Ideen fordert und somit den Gehalt bestimmter Freiheiten anders auslegen will. 1172  Dazu Jestaedt, Die Verfassung hinter der Verfassung, 2009. 1173  Waldhoff (Fn. 1170); Heinig (Fn. 1158). 1174  Heinig (Fn. 1169), 1140. 1175  Holzke (Fn. 1158), 910 ff.; vgl. auch Heinig (Fn. 1158), 1140; ders. (Fn. 1170), 357 f.; Czermak, Zur Rede von der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates, in: NVwZ 2003, 949 (950 f.). 1176  Ebenso Heinig (Fn. 1170), 358; ders., (Fn. 1158), 1140: „Doch wenn es um rechtliche Aussagen über eine konkrete Verfassungsordnung geht, können verfassungstheoretische Argumente nur insoweit Berücksichtigung finden, als sie sich in das jeweilige positive Rechtssystem übersetzen und von dort aus auch korrigieren lassen“.

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als sie im Folgenden für die Beachtung verfassungstheoretischer Erkenntnisse lediglich fordern, dass die vorgebrachten metaphysischen und verfassungstheoretischen Sätze in Struktur und System der Verfassung erkennbar sein müssen.1177 Denn sie unterliegen dem Problem der Zirkelschlüssigkeit: Wie kann eine solche verfassungssystematisch erkennbare Verfassungstheorie ermittelt werden, ohne auf Erkenntnismittel – insbesondere Auslegungskriterien – abzustellen, deren Anwendung selbst wiederum von verfassungstheoretischen Grundannahmen geleitet werden?1178 Es ist daher von dem verfassungsdogmatisch begründeten Inhalt der einzelnen Normen auf den Inhalt des Prinzips religiös-weltanschaulicher Neutralität zu schließen. Das Neutralitätsprinzip kann also den Verfassungsdiskurs nur insoweit beeinflussen, als der Inhalt dieser Beeinflussung von den grundgesetzlichen Normen gedeckt wird. Bei Zugrundelegung dieses Verständnisses vermag dann jedoch die Begründung der Begrenzung der Nichtanerkennung kirchlicher Loyalitätspflichten mit dem Neutralitätsprinzip gerade nicht zu überzeugen, sondern scheint vielmehr einem Zirkelschluss zu unterliegen. Es stellt sich nämlich die Frage, wie der besondere Maßstab des Art. 137 Abs. 3 WRV mithilfe des Neutralitätsprinzips gebildet werden kann, einem Prinzip, dessen Inhalt sich gerade aus dem noch zu ermittelnden Maßstab eben dieser genannten Norm ergibt. Die Existenz der Norm alleine vermag den Inhalt des Neutralitätsprinzips gerade nicht zu festigen. Ein Prinzip kann aber vorab nicht den Maßstab einer Norm beeinflussen, von dem es gerade selbst inhaltlich und damit in seiner Einflussmöglichkeit abhängig ist. Zwar wird bei der Herleitung des Neutralitätsprinzips Art. 137 Abs. 3 WRV meist nicht zitiert.1179 Allerdings gründet sich der Gedanke staatlicher Neutralität in religiös-weltanschaulichen Angelegenheiten sowohl überwiegend auf die Religionsfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1, 2 GG als auch auf die Trennung von Staat und Kirche gem. Art. 137 Abs. 1 WRV;1180 dass Religionsfreiheit und kirchliches Selbstbestimmungsrecht eine inhaltlich besonders enge Verknüpfung aufweisen, ist kaum bestreitbar: Art. 137 Abs. 3 WRV ist – lediglich – die institutionelle Spiegelseite der korporativen Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1, 2 GG.1181 Das Gleiche gilt bzgl. Art. 137 Abs. 1 WRV: Die Freiheit der Selbstbestimmung der Kirchen folgt unmittelbar und zwangsläufig aus der grund1177  Heinig

(Fn. 1158), 1140. (Fn. 1172), 95, 90 ff. (zum allgemeinen Verhältnis von Verfassungstheorie und Verfassungsinterpretation). 1179  Vgl. nur Unruh (Fn. 1144), 90 f. 1180  BVerfGE 93, 1 (17); E 108, 282 (299); Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip vornehmlich im Kulturverfassungs- und Staatskirchenrecht, 1972, S.  135 ff.; Germann (Fn. 1156), 85; Waldhoff (Fn. 1170), 77; vgl. auch Unruh (Fn.  1144), 90 f. m. w. N. 1181  Siehe dazu auch oben S. 117 ff. 1178  Jestaedt



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sätzlichen Trennung von Staat und Religion.1182 Damit zeigt sich der Gedanke des Neutralitätsprinzips, wenn bereits in der Religionsfreiheit und in der Trennung von Staat und Kirche, zwangsläufig auch in dem mit diesen Säulen nicht zu trennenden kirchlichen Selbstbestimmungsrecht. Folglich gründet sich der Verfassungsgedanke der staatlichen Neutralität in religiösweltanschaulichen Angelegenheiten zumindest auch auf Art. 137 Abs. 3 WRV. Die Frage nach dem Maßstab des Art. 137 Abs. 3 WRV kann also nicht durch das Rekurrieren auf einen Grundsatz beantwortet werden, der inhaltlich selbst auf dem Maßstab des Art. 137 Abs. 3 WRV basiert. Demzufolge ist die Begrenzung der Nichtanerkennung kirchlicher Loyalitätspflichten mithilfe des Neutralitätsprinzips ein Zirkelschluss. Die Feststellung des Inhalts des Art. 137 Abs. 3 WRV ist der des Neutralitätsprinzips mithin vorgeschaltet. (2) Inhaltliche Betrachtung: kein Problem staatlicher Neutralität Unabhängig von dem argumentativ-strukturellen Problem der auf dem Neutralitätsprinzip basierenden Begrenzung der Anerkennungsschranken kirchlicher Loyalitätspflichten stellt sich die Frage, ob das Prinzip religiösweltanschaulicher Neutralität auch inhaltlich einen solchen dogmatischen Schluss legitimieren kann. Dies hängt freilich davon ab, wie der Inhalt der Neutralität überhaupt definiert wird. Nun wurde bereits geklärt, dass sich der Inhalt des Neutralitätsprinzips nach dem Maßstab der ihm zugrunde liegenden Normen des GG richtet. Aus dieser Feststellung alleine lassen sich jedoch konkrete inhaltliche Aussagen noch nicht gewinnen. Ausgangspunkt der Überlegung ist zunächst, dass bereits der Begriff Neutralität im Allgemeinen wegen seiner fehlenden einheitlichen Alltagsbedeutung unklar ist. Er wird in verschiedenen Bereichen auch verschiedentlich verwendet und damit insgesamt relativistisch gebraucht.1183 Im All­gemeinen versteht man unter Neutralität – in negativer Hinsicht – die Nichtbeteiligung und – in positiver Hinsicht – die Unparteilichkeit oder das Gewährenlassen.1184 Je nach Perspektive und nach Funktion des Begriffs innerhalb eines bestimmten Bereichs varriieren indes Inhalt und Bedeutung des Begriffs: Während Neutralität in einem Bereich – zum Beispiel im Bereich 1182  Vgl. auch Hesse, Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Listl / Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, 521 (522 ff.). 1183  Schlaich (Fn. 1180), 218  ff.; Huster, Ethische Neutralität (Fn. 1167), 31 f.; ders., Neutralität (Fn. 1167), 74 f. 1184  Droege, Neutralität, in: Heun / Honecker / Morlok / Wieland (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, 4. Aufl. 2006, Sp. 1620 f.; Schlaich (Fn. 1180), 221 f.

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der Wirtschaftspolitik – den völlig freien Spielraum staatlicher Ordnung bezeichnet1185, wird in anderen Zusammenhängen – zum Beispiel im Rahmen von Gerichtsentscheidungen – von Unparteilichkeit im Sinne von Nichtbeeinflussung1186 oder wieder in anderen – zum Beispiel presse- bzw. rundfunkrechtlichen – Zusammenhängen gerade von besonderer (graduell aber dennoch varriierender) Berücksichtigung sämtlicher Gesellschaftsströmungen1187 gesprochen.1188 Daher ist es tunlich, zunächst die grundsätzliche Ausrichtung der religiös-weltanschaulichen Neutralität festzustellen, bevor ihr konkrete Gehalte zugeschrieben werden. Dabei lässt sich die basale Intention religiös-weltanschaulicher Neutralität leicht aus dem GG selbst erkennen: Staat und Religion sind getrennt (Art. 137 Abs. 1 WRV) bei gleichzeitiger Gewährung eines religiösen Freiraums (Art. 4 Abs. 1, 2 GG), der grundsätzlich allen Religionen und Weltanschauungen in paritätischer Weise zusteht (Art. 3 Abs. 3, 33 Abs. 3 GG). Der religiös-weltanschaulichen Neu­ 1185  Vgl. das eindrucksvolle Beispiel von Huster, Ethische Neutralität (Fn. 1167), 32: „Die (…) These von der ‚wirtschaftspolitischen Neutralität des Grundgesetzes‘ zielt darauf ab, dem Gesetzgeber in den grundsätzlichen Fragen der Wirtschaftspolitik einen Gestaltungsspielraum zu sichern: Da das Grundgesetz keine bestimmte Wirtschaftsverfassung verbindlich vorschreibe, sei der Gesetzgeber insoweit verfassungsrechtlich nicht gebunden. Die Behauptung der Neutralität des Grundgesetzes führt hier also nicht zu einem Gebot staatlicher Zurückhaltung, sondern ganz im Gegenteil dazu, daß die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der jeweiligen politischen Mehrheit die Gestaltung des staatlichen Rechts bestimmen dürfen. Damit hat diese Neutralitätsbehauptung eine ganz andere Stoßrichtung als etwa das Gebot der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates …“. 1186  So soll zum Beispiel die Bindung des Staates an das Gesetz und das Recht (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG) sowie die Unabhängigkeit des Richters (vgl. Art. 92 GG) Neutralität im Bereich der Rechtsprechung gewährleisten. Hier bedeutet Neutralität also nicht wie im wirtschaftspolitischen Bereich die Freiheit des Staates, sondern die Nichtbeeinflussbarkeit durch Parteien oder andere äußere Faktoren. Siehe dazu insbesondere Schlaich (Fn. 1180), 59 f. 1187  So müssen insbesondere die Rundfunkanstalten wegen ihres der individuellen wie öffentlichen Meinungsbildung dienenden Charakters nach der vom Gesetzgeber positiv zu regelnden „Grundversorgung“ insgesamt der pluralistischen Gesellschaftsstruktur entsprechen und den Meinungspluralismus gewährleisten, vgl. BVerfGE 12, 250 (262 / 263): „Art. 5 GG verlangt jedenfalls, daß dieses moderne Instrument (d. i. der Rundfunk; VH) weder dem Staat noch einer gesellschaftlichen Gruppe ausgeliefert wird. Die Veranstalter von Rundfunkdarbietungen müssen also so organisiert werden, daß alle in Betracht kommenden Kräfte in ihren Organen Einfluß haben und im Gesamtprogramm zu Wort kommen können, und daß für den Inhalt des Gesamtprogramms Leitgrundsätze verbindlich sind, die ein Mindestmaß von inhaltlicher Ausgewogenheit, Sachlichkeit und gegenseitiger Achtung gewährleisten“; vgl. auch Starck / Paulus, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 5 Rn. 196 ff. 1188  Vgl. den zusammenfassenden Überblick über die verschiedenen Bedeutungsvarianten des Neutralitätsbegriffs bei Schlaich (Fn. 1180), 22.



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tralität kann es angesichts dieser grundgesetzlichen Regelungsintention nicht um eine umfassende Freiheit der staatlichen Ordnungssetzung oder deckende Berücksichtigung aller Gesellschaftsströme, sondern vielmehr um die Nichtbeteiligung gewisser (religiös-weltanschaulicher) Gesellschaftsfragen bei staatlichen Legitimations- und Entscheidungsprozessen gehen.1189 Der Staat ist in diesem Sinne neutral, wenn gewisse Bereiche ausgeklammert werden – im Gegensatz zum wirtschaftspolitischen Bereich etwa bedeutet Neutralität also hier die Einschränkung staatlicher Ordnungssetzungsfreiheit. Dem Neutralitätsprinzip wird daher in erster Linie der von Krüger entwickelte Teil­ gehalt der Nichtidentifikation zugeordnet.1190 Danach bedeute das interpretatorisch entwickelte Neutralitätsgebot das Verbot, „gezielte Beeinflussung im Dienste einer bestimmten politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung [zu] betreiben oder sich durch von ihm ausgehende oder ihm zuzurechnende Maßnahmen ausdrücklich oder konkludent mit einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten Weltanschauung [zu] identifizieren und dadurch den religiösen Frieden in einer Gesellschaft von sich aus [zu] gefährden (…). Auch verwehrt es der Grundsatz religiös-weltanschaulicher Neutralität dem Staat, Glauben und Lehre einer Kirche als solche zu bewerten“.1191 Der Gehalt der Nichtidentifikation als Moment religiös-weltanschaulicher Neutralität lässt sich dabei leicht anhand der das Neutralitätsgebot bildenden Normen begründen: Sind Staat und Religion getrennt und muss der Staat alle Religionen im Grundsatz gleich behandeln, ist es selbstverständlich, dass sich der Staat keinen Glauben aneignet und sich mit ihm identifiziert. Die Frage, wann eine Identifikation vorliegt, steht allerdings auf einem anderen Blatt.1192 Von hiesigem Interesse ist vielmehr die Frage nach einem Bewertungsverbot, wie es in dem soeben angeführten Ausführungen bereits anklingt und von den meisten Autoren bejaht wird.1193 Auch das Bundesverfassungsgericht hat bereits früh darauf hingewiesen, dass es dem Staat nicht erlaubt sei, 1189  Schlaich (Fn. 1180), 199 ff., 221; Droege (Fn. 1184), 1624; Huster, Ethische Neutralität (Fn. 1167), 10 f., ders., Neutralität (Fn. 1167). 1190  Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1964, S. 257 ff.; Huster, Ethische Neutralität (Fn.  1167), 35 f.; Droege (Fn. 1184); Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, 2. Aufl. 1992, 92 (93 f.); Unruh (Fn. 1144), 90. 1191  BVerfGE 108, 282 (300); vgl. auch Unruh (Fn. 1144), 90. 1192  Dazu ausführlich Krüper (Fn. 1159), 98 ff., der eine Identifikation des Staates mit einer das Neutralitätsprinzip verletzenden Wirkung nur bei einem „materiellen außenwirksamen Aneignungsakt“ (101) bejaht. 1193  Unruh (Fn. 1144), 90; Czermak (Fn. 1158), 166; Wels, Welche Anforderungen stellt die religiös-weltanschauliche Neutralität an den Unterricht des Faches Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde?, in: Kenngott / Englert / Knauth (Hrsg.), Konfessionell – interreligiös – religionskundlich, 2015, 179 (181 f.).

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„Glaube und Lehre einer Kirche als solche zu bewerten“.1194 Die entscheidende Frage ist hierbei freilich, was unter Bewertung zu verstehen ist und wie weit dieses Bewertungsverbot überhaupt reicht. Dabei muss jegliches Ergebnis auf Inhalt und Maßstab der das Neutralitätsprinzip begründenden Normen zurückzuführen sein. Zu überlegen ist hierbei Folgendes: Der Begriff des Bewertens impliziert das Treffen einer Aussage über den Wert einer Sache oder einer Person in Bezug auf bestimmte Maßstäbe. Entscheidend ist also der Maßstab der Bewertung – oder: das „in Bezug auf was“ der Begutachtung. Wegen der Trennung von Staat und Kirche ist klar, dass für staatliche Organe bei religiös-weltanschaulichen Angelegenheiten der Maßstab „richtig / falsch“ oder „gut / schlecht“ ausgeschlossen ist. Dem Staat fehlt es an jeder religiösen respektive weltanschaulichen Kompetenz, er darf keinen inhaltlichen Einfluss auf religiöse und weltanschauliche Fragen und Themen nehmen.1195 Aus den Normen des Grundgesetzes hingegen nicht ableiten lässt sich ein Bewertungsverbot dergestalt, dass jeglicher Maßstab einer Bewertung religiöser oder weltanschaulicher Angelegenheiten dem Staat nicht zur Verfügung stehe – im Gegenteil. Rein weltliche Kriterien stehen dem Staat weiterhin zur Verfügung und müssen dies auch, soll er die ihm gestellten Aufgaben erfüllen.1196 Das liegt auch bereits darin begründet, dass das Verhältnis von Staat und Religion von Ersterem bestimmt wird, es also in staatlicher Kompetenz liegt, religionsrechtliche Streitigkeiten zu klären. Dabei hat sich der Staat dafür entschieden, religionsrechtliche Streitigkeiten der Klärung den Kirchen dann zu überlassen und sich insoweit zurückzuziehen, als eigene Angelegenheiten der Kirchen betroffen sind. Dieser Gedanke kommt in Art. 137 Abs. 3 WRV klar zum Ausdruck. Allerdings hat sich der 1194  BVerfG, Beschl. v. 22.10.2014 – 2 BvR 661 / 12 – Rn. 86 ff.: „Über ihre Funktion als Beeinflussungsverbot (…) und als Identifikationsverbot (…) hinaus verwehrt es die Pflicht zur weltanschaulichen Neutralität dem Staat auch, Glauben und Lehre einer Kirche oder Religionsgemeinschaft als solche zu bewerten (…). Die individuelle und korporative Freiheit, das eigene Verhalten an den Lehren des Glaubens auszurichten und innerer Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln, würde entleert, wenn der Staat bei hoheitlichen Maßnahmen uneingeschränkt seine eigene Wertung zu ­Inhalt und Bedeutung eines Glaubenssatzes an die Stelle derjenigen der verfassten Kirche setzen und seine Entscheidungen auf dieser Grundlage treffen könnte. (…) Er ist vielmehr verpflichtet, auf die Grundsätze der Kirchen und Religionsgemeinschaften Rücksicht zu nehmen und keinen eigenen Standpunkt in der Sache des Glaubens zu formulieren“ (88 / 89); vgl. auch BVerfGE 12, 1 (4); E 41, 29 (50); E 41, 65 (84); E 102, 370 (386). 1195  Vgl. auch BVerfGE 12, 1 (4); E 41, 65 (84); E 72, 278 (294); E 74, 244 (255); E 102, 370 (386): „Der Grundsatz religiös-weltanschaulicher Neutralität (…) verwehrt es dem Staat, Glaube und Lehre einer Kirche als solche zu bewerten. Mangels Einsicht und geeigneter Kriterien darf der neutrale Staat im Bereich genuin religiöser Fragen nichts regeln und bestimmen“. 1196  BVerfG, Beschl. v. 22.10.2014 – 2 BvR 661 / 12 – Rn. 88.



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Staat hierbei vorbehalten, dem kirchlichen Wirken in eigenen Angelegenheiten (staatliche) Grenzen zu setzen („im Rahmen des für alle geltenden Gesetzes“). Da es sich folglich um weltliche Grenzen handelt, kommt der Staat nicht umhin, die Frage nach der Zulässigkeit der Grenze kirchlicher Bewertung nach staatlichen, d. h. weltlichen Kriterien zu beantworten. Insoweit zeigt das GG in Art. 137 Abs. 3 WRV deutlich, dass ein umfassendes Bewertungsverbot nicht vorgesehen, aber auch nicht möglich ist.1197 Daraus ergibt sich für die hier vorliegende Problematik Folgendes: Der Staat ist bei der Untersuchung der Reichweite kirchlichen Wirkens verpflichtet, angesichts des Art. 137 Abs. 3 WRV eine bestimmte weltliche Bewertung religiös motivierten Handelns vorzunehmen. Das gilt auch – oder: erst recht – bei der Anerkennung von Loyalitätspflichten. Verlangt das GG vom Staat, die Anerkennung dieser kirchlichen Regelungen im Rahmen des für alle geltenden Gesetzes vorzunehmen, kommt der Staat nicht umhin, die Loyalitätspflichten insoweit zu „bewerten“, als es für die Abwägung mit kollidierenden Rechtsgütern notwendig ist. Sein Maßstab ist jedoch nur auf weltliche Kategorien beschränkt. Rein inhaltliche, d. h. religiöse oder weltanschauliche Maßstäbe sind ihm verwehrt. Eine solche notwendige Beschränkung auf weltliche Maßstäbe rechtfertigt jedoch keinesfalls die Minimierung der gerichtlichen Prüfungsdichte bezüglich der kirchlichen Loyalitätspflicht auf das Willkürverbot, die guten Sitten und den ordre public. Eine solche Auslegung missachtet den von Art. 137 Abs. 3 WRV ausgehenden Auftrag zur weltlichen Bewertung kirchlichen Wirkens und kann damit erst recht nicht auf das sich unter anderem aus Art. 137 Abs. 3 WRV ergebende Neutralitätsprinzip gestützt werden. Denn Letzteres erfordert gerade die Begutachtung kirchlichen Wirkens nach weltlichen Kriterien und schränkt die Auswahl weltlicher Kriterien gerade nicht ein. Darüber hinaus ist ein solches Vorgehen nicht mit dem von den grundrechtlichen Schutzpflichten ausgehenden Auftrag zu vereinbaren. Diese fordern nämlich in der Tat einen Ausgleich zwischen den zu schützenden und den begünstigten Gütern, hier namentlich dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht.1198 Das setzt aber auch voraus, dass zunächst alle relevanten und für die Abwägung notwendig zu untersuchenden Kriterien und Maßstäbe heranzuziehen sind. Nun wirkt zwar das Neutralitätsprinzip auch auf den Inhalt und die Auslegung der Grundrechte der Mitarbeiter ein. Verbietet das Neutralitätsprinzip dabei aber nur eine inhaltlich-religiöse und keine grundrechtlich-weltliche Bewertung, sind die staatlichen Gerichte durch die Not1197  BVerfGE 102, 370 (386): „Das hindert ihn freilich nicht daran, das tatsächliche Verhalten einer Kirche oder ihrer Mitglieder nach weltlichen Kriterien zu beurteilen, auch wenn dieses Verhalten letztlich religiös motiviert ist“. 1198  Siehe dazu oben S. 233 ff.

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wendigkeit der schutzrechtlichen Güterabwägung verpflichtet, all jene weltlichen Belange zu begutachten und zu berücksichtigen. Das Neutralitätsprinzip verhindert also gerade nicht die Überprüfung der Loyalitätspflichten hinsichtlich solcher Maßstäbe, die angesichts bestehender grundrechtlicher Schutzpflichten Relevanz aufweisen – insbesondere Intensität der Beeinträchtigung, Stellung der Mitarbeiter usf. – und von weltlicher Natur sind. Dies bedingt jedoch, dass eine Überprüfung kirchlicher Loyalitätspflichten weiter gehen muss als die Prüfung eines Verstoßes gegen das Willkürverbot, die guten Sitten und den ordre public. dd) Das Schutzniveau des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts Letztlich könnte die Beschränkung der Nichtanerkennung kirchlicher Loyalitätspflichten auf die das Willkürverbot, die guten Sitten oder den ordre public missachtenden Fälle mit dem Schutzniveau des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts oder der (korporativen) Religionsfreiheit begründet werden. Darauf deutet zumindest das BVerfG hin, wenn es formuliert, in dieser Beschränkung „entfaltet sich nicht nur die statusrechtliche Sicherung nach Art. 137 Abs.  3 WRV, sondern vor allem auch die Schutzwirkung der Reli­ gionsfreiheit“.1199 Auch die Begründung in der Literatur deutet in diese Richtung.1200 Zunächst ist festzuhalten, dass sich die Auslegung des Schutzbereichs von Religionsfreiheit und kirchlichem Selbstbestimmungsrecht nach dem Selbstverständnis des Grundrechtsträgers – hier also den Kirchen – richtet.1201 Die Frage, was „eigene Angelegenheiten“ sind, kann nicht unabhängig von Glauben und Vorstellung der betroffenen Gemeinschaften beantwortet werden. Eine staatliche Definition könnte dabei bereits einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff darstellen. Darüber hinaus handelt es sich bei diesen zur Inhaltsbestimmung herangezogenen Kriterien nicht um weltliche, sondern religiöse Kriterien, die den staatlichen Gerichten – wie soeben gezeigt – auch wegen des Neutralitätsprinzips als Bewertungsmaßstab nicht zur Verfügung stehen. Gleichwohl hat Magen Recht, dass die Autonomie der Kirchen, Loyalitätspflichten selbst zu bestimmen und zu gewichten, dann auch auf der zweiten Ebene, der Interessenabwägung nach § 626 BGB, § 1 KSchG zugestanden 1199  BVerfG,

Beschl. v. 22.10.2014 – 2 BvR 661 / 12 – Rn. 118. (Fn. 1097), 43 ff.: „Allerdings wäre die Autonomie, die den Kirchen auf der ersten Stufe hinsichtlich der Festlegung und Gewichtung von Loyalitätspflichten zunächst eingeräumt wird, wertlos, wenn die Arbeitsgerichte auf der zweiten Stufe bei der Abwägung des kirchlichen Interesses nunmehr eine eigenständige Bewertung des Loyalitätspflichtverstoßes nach eigenen Maßstäben vornehmen könnten“ (44). 1201  Siehe dazu bereits oben S. 83 ff. 1200  Magen



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 317

werden müsse. Die Frage ist jedoch, ob diese Autonomie überhaupt auf erster Stufe bereits gewährt werden darf. Diese Problemstellung ist aber keine reine auf Norminterpretation aufbauende Frage, sondern ein im Zuge der Abwägung, also der Rechtfertigung zu lösender Konflikt.1202 Nur weil der Schutzbereich der Religionsfreiheit und des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts grundsätzlich gewährleistet, Loyalitätspflichten frei zu bestimmen und auch zu gewichten, bedeutet das noch nicht, dass dies angesichts der Schranken beider Rechtsgüter tatsächlich jederzeit zulässig ist. Der Schutzbereich eines Grundrechts sagt noch nichts über die endgültige Entscheidung der Verfassung aus. Im Gegenteil: Art. 137 Abs. 3 WRV legt gerade die Voraussetzungen für die staatliche Anerkennung kirchlich gesetzten Rechts fest: Das Recht muss sich in Zusammenspiel mit dem für alle geltenden Gesetz und dem dahinter stehenden Rechtsgut bewähren, sich durchsetzen. Die Ausgestaltung des Schutzbereichs hat darauf jedoch keinen Einfluss. Wenn also das BVerfG die Anerkennung kirchlicher Loyalitätspflichten alleine auf die Einhaltung des Willkürverbots, der guten Sitten und des ordre public begründet mit dem Hinweis, dies erfordere der Schutzgehalt sowohl der Religionsfreiheit als auch des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts, verändert es den Maßstab des Art. 137 Abs. 3 WRV und hebelt dessen Schrankenregelung vollständig aus. Wie allerdings die Maßstabsänderung einer Norm mit eben derselben Norm begründet werden kann, bleibt ein Rätsel. Daneben bleibt die Legitimation für das Rekurrieren auf Art. 4 Abs. 1, 2 GG unklar, geht es doch alleine um die Frage der Anerkennung kirchlich gesetzten Rechts, bei der aber Art. 137 Abs. 3 WRV als lex specialis der korporativen Religionsfreiheit vorgeht.1203 Wenn das BVerfG also das grundsätzlich geschützte Recht der Kirchen beschreibt, nach dem nur sie alleine Loyalitätspflichten festlegen, gewichten und bewerten dürfen, beschreibt es nicht den Schutzgehalt des Art. 4 Abs. 1, 2 GG, sondern vielmehr den speziellen institutionellen Schutzgehalt des Art. 137 Abs. 3 WRV, geht es doch bei den Loyalitätspflichten um das Ordnen einer eigenen Angelegenheit.1204 Hier sei angemerkt, dass sich der gleiche Widerspruch auch dann ergeben würde, wenn man zwischen Art. 137 Abs. 3 WRV und Art. 4 Abs. 1, 2 GG ein Korrelationsverhältnis, d. h. eine – zumindest überwie-

Unruh (Fn. 1144), 192. Isensee, Die karitative Betätigung der Kirchen und der Verfassungsstaat, in: Listl / Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, 665 (725); siehe dazu auch oben S. 117 ff. 1204  Dabei handelt es sich um einen unstreitigen Tatbestand, siehe nur Classen, Religionsrecht, 2. Aufl. 2015, Rn. 429; BVerfGE 70, 138 (164 ff.); Isensee (Fn. 1203), 730; Czermak (Fn. 1158), 377 ff.; Unruh, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), GG, Bd. 3, 7. Aufl. 2018, Art. 137 WRV Rn. 39, 74 ff. m. w. N. 1202  Vgl. 1203  Vgl.

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gende – Schutzbereichsidentität annehmen würde,1205 da auch dort der Gehalt einer Norm als Grundlage für die Veränderung des Maßstabs einer Norm desselben Gehalts herangezogen würde. Dagegen kann auch nicht überzeugend eingewandt werden, die Auffassung von BVerfG und Literatur, Loyalitätspflichten nur in den Fällen der Missachtung des Willkürverbots, der guten Sitten oder des ordre public nicht anzuerkennen, sei bereits das Ergebnis einer Abwägung zwischen kirchlicher Selbstbestimmung und des für alle geltenden Gesetzes (§ 626 BGB, § 1 KSchG). Denn es fehlt hierfür an jeglicher Begründung durch das Gericht wie auch durch die Literatur. Darüber hinaus ändert dies nichts an dem Umstand, dass das Gericht für Loyalitätspflichten andere Schranken anlegt als von Art. 137 Abs. 3 WRV vorgegeben. Es modifiziert die Schrankenregelung dieses Artikels in erheblichem Maße. Eine Norm (bzw. ein Normteilgehalt) kann aufgrund seiner eigenen Schutzwirkung keinesfalls andere Schranken als die in ihr verankerten verlangen. Darüber hinaus sei exkursorisch angemerkt, dass – auch mangels näherer Begründung – für die Ausführungen des Gerichts wegen ihrer allgemein gehaltenen Formulierung keine Gründe ersichtlich sind, weshalb eine solche Beschränkung nur für Loyalitätspflichten gelten soll. Denn das Gericht legt fest, dass der Staat nicht die Loyalitätspflichten, sondern „das so [d. h. von den Kirchen; VH] umschriebene glaubensdefinierte Selbstverständnis der Kirche (…) vielmehr seinen Wertungen und Entscheidungen zugrunde zu legen [hat], so lange es nicht in Widerspruch zu grundlegenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen steht“.1206 Damit eröffnet das Gericht eigentlich nicht nur der Anerkennung kirchlicher Loyalitätspflichten, sondern der Anerkennung jeglicher auf glaubensdefiniertem Selbstverständnis basierenden – und damit allen – kirchlichen Entscheidungen einen weiten Spielraum, nicht zuletzt weil die „Schutzwirkung der Religionsfreiheit“ dies doch – sollte es zutreffen – nicht nur in dem Bereich des Individualarbeitsrechts, sondern in allen Bereichen fordern würde. Dass eine solche Haltung diametral in Konflikt mit der Regelung des Art. 137 Abs. 3 WRV steht, der diese Anerkennung nur im Rahmen des für alle geltenden Gesetzes erlaubt, ist offenkundig. Interessanterweise wendet das BVerfG die Schranken des Willkürverbots, der guten Sitten und des ordre public nur im Individualarbeitsrecht und nicht etwa im Kollektivarbeitsrecht an, ohne freilich zu erläutern, weshalb dort die Schutzwirkung der Religionsfreiheit die ungeprüfte Zugrundelegung des kirchlichen Selbstverständnisses 1205  Vgl. BVerfGE 53, 366 (401); Hesse (Fn. 1182), 413 ff.; von Campenhausen, Religionsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 157 Rn. 25; siehe dazu auch bereits oben S.  117 ff. 1206  BVerfG, Beschl. v. 22.10.2014 – 2 BvR 661 / 12 – Rn. 118; vgl. auch BVerfGE 70, 138 (168).



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 319

(im Rahmen der genannten weiten Schranken) gerade nicht erfordert. Dieser Umstand lässt vermuten, dass es dem BVerfG im Individualarbeitsrecht tatsächlich bloß um eine Schrankenmodifikation geht. Mit einer Abwägungsentscheidung und mit dem grundrechtlichen Schutzniveau kann die Modifikation jedenfalls nicht begründet werden. Das BVerfG bildet den für die Anerkennung kirchlicher Loyalitätspflichten geltenden veränderten Schrankenmaßstab also nicht in einer Abwägung, sondern vielmehr auf einer Art Zwischenebene vor der eigentlichen Abwägung, indem mithilfe des Schutzniveaus bzw. der Schutzrichtung der Religionsfreiheit und des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts gefordert wird, dass nunmehr nicht, wie Art. 137 Abs. 3 WRV es fordert, das für alle geltende Gesetz respektive das dahinter stehende Rechtsgut der Anerkennung kirchlicher ­Loyalitätspflichten Schranken setzen, sondern vielmehr der – man möchte sagen: aus dem Himmel genommene – Maßstab des Willkürverbots, der guten Sitten sowie des ordre public. c) Zwingende Abstufung der Loyalitätspflichten? Sowohl die katholische als auch die evangelischen Kirchen sehen in ihren Regelungen eine Abstufung der Loyalitätspflichten einerseits nach der Funktion der Tätigkeit und andererseits nach der Konfessionszugehörigkeit vor.1207 So gelten für leitende und dem Verkündigungsauftrag sehr nahestehende Mitarbeiter strengere Loyalitätspflichten als für andere; gleichzeitig gilt für katholische Mitarbeiter von katholischen Einrichtungen sowie für evangelische Mitarbeiter von evangelischen Einrichtungen eine erhöhte Loyalitätspflicht. Diese Abstufung erfolgt allerdings freiwillig. In der Literatur findet sich zunehmend die Ansicht, die eine Abstufung der Loyalitätspflichten unabhängig vom Willen der Kirchen vornehmen will und dies entweder mit einem verfassungs- oder mit einem europarechtlichen Maßstab begründet.1208 Die europarechtliche Beeinflussung des kirchenspezifischen Arbeitsrechts wurde bereits oben beleuchtet und eine entsprechende Abstufung abgelehnt.1209 Ging es aber auf europarechtlicher Ebene um die Abstufung entsprechend der Kirchenzugehörigkeit und damit nur um eine konkrete Loya­ litätspflicht, wird nunmehr das Verfassungsrecht für eine Abstufung aller Loya­litätspflichten herangezogen und mithin für eine allgemeine Abstufung 1207  Siehe

dazu bereits oben S. 42 ff. dazu Unruh (Fn.  1144), 196 ff.; Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2018, Art. 137 WRV Rn. 68; Budde, Kirchenaustritt als Kündigungsgrund? – Diskriminierung durch kirchliche Arbeitgeber vor dem Hintergrund der Antidsikriminierungsrichtlinie 2000 / 78 / EG, in: AuR 2005, 353 (356 ff.). 1209  Siehe dazu ausführlich oben S. 132 ff., 147 ff. 1208  Insgesamt

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unabhängig des Inhalts der Loyalität geworben. Dabei ist zu unterscheiden zwischen einer Abstufung hinsichtlich der Nähe zum Verkündigungsauftrag (aa)), also hinsichtlich der Tätigkeitsfunktion und hinsichtlich der Religionszugehörigkeit (bb)).1210 aa) Abstufung hinsichtlich der Nähe zum Verkündigungsauftrag Teilweise wird vertreten, dass – insbesondere auch wegen der Glaubwürdigkeit von Kirche und ihren Moralnormen – dem Führungs- und Leitpersonal der jeweiligen Einrichtung eine erhöhte Loyalitätspflicht und damit umgekehrt Mitarbeitern mit weniger bedeutenden und vom Verkündigungsauftrag weiter entfernten Tätigkeiten eine reduzierte Loyalitätspflicht zukommen müsse.1211 Meistens wird unter der erhöhten Loyalität die Notwendigkeit der jeweiligen Kirchenzugehörigkeit verstanden.1212 Freilich kann sich eine nach Tätigkeitsfunktion richtende etwaige erhöhte Loyalitätspflicht auch auf andere respektive alle Bereiche der Glaubens- und Sittenlehre ausstrecken, wie es Art. 4 Abs. 1 S. 2 GrO deutlich macht.1213 Unabhängig davon jedoch, dass die Kirchen dies schon längst vorsehen, stellt sich die Frage, ob die Tätigkeitsfunktion seitens des Staates entgegen einer möglichen kirchlichen Haltung zwingend vorgegeben werden darf. Dafür spricht zunächst der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, da je entfernter eine Tätigkeit von genuin religiösen Tätigkeitsfeldern ist, desto eher wird die Glaubwürdigkeit der Kirchen als weniger berührt und infolgedessen der legalitätsbedingte Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Person als intensiver gesehen.1214 Besonders auch öffentlichkeitsaufmerksam wurden daher die Fälle begleitet, in denen 1210  Wenn eine Loyalitätsabstufung hinsichtlich der Religionszugehörigkeit gefordert wird, ist dies nicht das Gleiche, als wenn – europarechtlich – eine Abstufung der Religionszugehörigkeit betreffenden Loyalität gefordert wird. Im ersteren Fall trifft die Loyalitätsabstufung alle Loyalitätspflichten, im letzteren Fall eben nur die Loyalitätspflicht, Mitglied einer bestimmten Religionsgemeinschaft zu sein. 1211  So insbesondere noch die Argumentation des BAG vor dem ersten Beschluss des BVerfG im Jahre 1985, siehe BAG, AP GG Art. 140 Nr. 14, B.II.2.c.: „Nicht jede Tätigkeit in einem Arbeitsverhältnis zur Kirche hat eine solche Nähe zu spezifisch kirchl. Aufgaben, daß der die Tätigkeit ausübende Mitarbeiter mit der Kirche identifiziert und deshalb die Glaubwürdigkeit der Kirche berührt wird, wenn er sich in seiner Lebensführung nicht an die prägenden Grundsätze der kirchl. Glaubens- und Sittenlehre hält. Auch für den Mitarbeiter in kirchl. Einrichtungen ist das Arbeitsverhältnis in aller Regel die Grundlage seiner wirtschaftl. Existenz, mögen daneben auch in vielen Fällen religiöse Motive eine Rolle spielen“. 1212  Insbesondere Unruh (Fn. 1144), 196: „… dass zumindest das Führungs- und Leitungspersonal der jeweiligen Kirche angehört“. 1213  Siehe dazu bereits oben S. 42 ff. 1214  Vgl. Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften – Studien zur Rechtsstellung der nach Art. 137 Abs. 5 WRV korporierten Religionsgesellschaften in



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 321

Hilfstätigen (z. B. Putzhilfe, Hausmeister) wegen Kirchenaustritts oder Ehebruchs außerordentlich gekündigt worden ist.1215 Allerdings stellt sich hier die Frage nach der Feststellung einer verkündigungsbezogenen Tätigkeitsposition. Verlangte der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass staatliche Gerichte für bestimmte verkündigungsnahe oder verkündigungsferne Positionen bestimmte Loyalitätspflichten für (un-)zulässig erachten, bedürfte es grundlegend einer entsprechenden Positionsbestimmung der Tätigkeit durch die staatlichen Gerichte. Eine solche Verortung bestimmter Tätigkeiten basiert aber maßgeblich auf dem Inhalt und der Bedeutung des Verkündigungsauftrags selbst. Das staatliche Gericht müsste festlegen, was der religiöse Auftrag beinhaltet und inwiefern eine bestimmte Tätigkeit damit in engem oder nicht engem Bezug steht. Ohne eine theologisch-innerreligiöse Argumentation ist eine solche Bewertung jedoch schlichtweg nicht möglich. Mit anderen Worten: Eine staatliche Abstufungsbestimmung der Loyalitätspflichten bedarf einer Bewertung des religiösen Glaubensinhalts und verstößt damit gegen den Grundsatz staatlicher Neutralität in religiös-weltanschaulichen Angelegenheiten.1216 Der Staat kann und darf nicht bestimmen, welche Loyalität des Verkündigungsauftrags wegen notwendig ist und welche nicht. Auch das Bundesverfassungsgericht erkennt dies richtigerweise an, auch wenn es nicht auf den Neutralitätsgrundsatz, sondern maßgeblich und insoweit nicht überzeugend auf den Schutzbereich von Art. 137 Abs. 3 WRV abstellt.1217 Den staatlichen Gerichten bleibt daher grundsätzlich nichts Anderes übrig, als die Haltung der Kirchen hinsichtlich Verkündigungsnähe und entsprechender Loyalitätspflicht zu akzeptieren. Auch wenn es nahe liegt, „eine Störung der Tendenzausrichtung um so eher zu besorgen, je enger der Mitarbeiter an eine Glaubensverkündigung im weiteren Sinne mitwirkt“, darf der Staat hier keine eigenständige Bewertung vornehmen, so dass eine seitens des staatlichen Rechts geforderte Loyalitätsabstufung hinsichtlich der Tätigkeitsposition auszuschließen ist.1218 Daraus folgt, dass eine Loyalitätsabstufung nur dann und insoweit vorzunehmen ist, als die betroffene Kirche diese selbst vorsieht; entgegen der kirchlichen Haltung darf sie nicht vorgenommen werden. Deutschland und in der Europäischen Union, 2003, S. 172 f.; Budde (Fn. 1208), 357; ebenso Unruh (Fn. 1144), 196. 1215  Siehe beispielhaft BAG, NJW 1981, 1228 ff.; LSG Sachsen, Urt. v. 27.09.2001 – L 6 KN 35 / 00; BAG, AP BGB § 611 Kirchendienst Nr. 72. 1216  Vgl. dazu bereits oben S. 305 ff. 1217  BVerfGE 70, 138 (168); der Schutzbereich selbst sagt dazu freilich nichts, weil sich die Kompetenzen der staatlichen Gerichte erst aus dem Verhältnis von Schutzbereich und zu rechtfertigender Beschränkung ergeben. 1218  So im Ergebnis – auch wegen des Neutralitätsgrundsatzes – Heinig (Fn. 1214), 172 f. (Zitat 173).

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Etwas Anderes gilt dann aber insoweit, als eine entsprechende Loyalitätsabstufung ohne glaubens- und religionsbezogene Wertung auskommt. Insoweit stimmt die Formel, nach der „die Feststellung der Gefahr für die Tendenzprägung (…) ‚objektiv‘, also staatlich“1219 erfolgt. Dies gilt jedoch nur innerhalb der Schranken des Neutralitätsgebots: Eine „objektive“ Feststellung muss auch objektiv sein und darf nicht religiöse Inhaltsbezüge aufweisen oder implementieren. Bei genauem Besehen ist also eine Loyalitätsabstufung durch die staatliche Rechtsordnung dann möglich, wenn die Glaubwürdigkeit der Kirche in keiner – plausiblen – Beziehung zur Loyalitätspflicht steht, so dass die in Rede stehende Loyalitätspflicht für bestimmte Mitarbeiter nicht deshalb gelten kann, weil die Glaubwürdigkeit berührt ist. Wie noch zu zeigen ist, trifft dies allerdings nur auf die Fälle des Kirchenaustritts von Mitarbeitern zu, die einer anderen Kirche als die des Dienstgebers angehören.1220 Hier basiert die Loyalitätsabstufung nämlich nicht auf einer verkündigungsbezogenen und damit glaubensbezogenen Positionsbestimmung der Tätigkeit, sondern alleine auf der Tatsache, dass die Glaubwürdigkeit der betroffenen Kirche nicht unabhängig von einer bestimmten Glaubenszugehörigkeit betroffen sein kann. bb) Abstufung hinsichtlich der Kirchenzugehörigkeit Ähnliche Überlegungen ergeben sich bei der Frage, ob die weltliche Verfassung – entgegen der kirchlichen Haltung – eine Abstufung der Loyalitätspflichten nach der Kirchenzugehörigkeit verlangt.1221 Grundsätzlich ist zu sehen, dass ein entsprechendes Vorgehen eine Bewertung des betroffenen Glaubensinhalts implementiert und den Grundsatz staatlicher Neutralität missachtet, wenn davon ausgegangen wird, dass bestimmte Loyalitätspflichten um der Glaubwürdigkeit der Kirche willen nur bei Mitgliedern derselben Kirche zulässig seien.1222 Andernfalls würde der Staat mittelbar den Kirchen vorschreiben, welche Loyalitätspflichten für die Erfüllung des Verkündigungsauftrags und die Gewährleistung kirchlicher Moralnormen notwendig seien. Etwas Anderes ergibt sich auch hier nur dann, wenn alleine aus objektiven Gründen, d. h. nicht aufgrund einer Bewertung des religiösen Materials da1219  Heinig

(Fn. 1214), 173. dazu ausführlich unten S. 374 ff. 1221  Vgl. Unruh (Fn. 1144), 196. 1222  Hier sei noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dies nur den Fall betrifft, in dem die Kirchen eine entsprechende Abstufung gerade nicht vorsehen. Das bedeutet aber, dass eine Loyalitätsabstufung staatlicherseits nicht zwingend vorgegeben ist, sondern den Kirchen überlassen bleibt. 1220  Siehe



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 323

von ausgegangen werden kann, dass die Glaubwürdigkeit der Kirchen nicht schwerer wiegt als das betroffene Mitarbeitergrundrecht. Dies kann aber auch hier nicht pauschal vorgenommen werden, sondern bedarf einer auf die jeweilige Loyalitätspflicht bezogenen Prüfung. Die Abwägung kann ergeben, dass nur in bestimmten Fällen und für bestimmte Mitarbeiter die Glaubwürdigkeit aus objektiven Gründen heraus überwiegt und insoweit eine Loyalitätspflicht entsprechend nur für bestimmte Mitarbeiter zuerkannt werden kann. Entsprechende Überlegungen ergeben sich aber erst bei den einzelnen Loyalitätspflichten, auf die im Folgenden einzugehen ist. d) Zusammenfassung Das BVerfG hat in seinen Beschlüssen von 1985 sowie 2014 den Maßstab für die Anerkennung kirchlicher Loyalitätspflichten stark modifiziert und eine reine Überprüfung auf Willkür, Sittenwidrigkeit und Verstoß gegen den ordre public installiert. Allerdings ergeben sich hierfür keine dogmatisch stichhaltigen Stützpfeiler aus dem GG selbst. Weder kann eine Parallele zur Anerkennung fremder Rechtsordnungen, noch das Prinzip staatlicher Neutralität in religiös-weltanschaulichen Angelegenheiten, noch ein bestimmtes Schutzniveau der Religionsfreiheit wie des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts als Modifikationsgrundlage herhalten. Vielmehr ergibt sich der Maßstab für die Anerkennung kirchlicher Loyalitätspflichten aus Art. 137 Abs. 3 WRV selbst. Dieser sieht jedoch als Grenze der Anerkennung generell das für alle geltende Gesetz vor, dessen Schutzgut im Sinne der Abwägungsoder Wechselwirkungslehre mit der kirchlichen Selbstbestimmung in Ausgleich gebracht werden muss. Solange also das Verfassungsgericht diesen Maßstab modifiziert, handelt es sich um einen, da contra legem stattfindenden, illegitimen Verfassungswandel.1223 Die Rechtsprechung des BVerfG führt daher auf dieser ersten Ebene zu einer verfassungswidrigen intendierten Abwägung, hält sie doch den Raum nicht anzuerkennender kirchlicher Loyalitätspflichten entgegen der Verfassung so klein, dass das Ergebnis praktisch vorgegeben ist. Demgegenüber wird hier vertreten, die Anerkennung kirchlicher Loyalitätspflichten in staatlicher Rechtssphäre auf eine umfassende Abwägung zwischen kirchlicher Selbstbestimmung und den über die

1223  Zu Inhalt und Grenzen des Verfassungswandels Michael, Die verfassungs­ wandelnde Gewalt, in: RW 2014, 427 ff.; Badura, Verfassungsänderung, Verfassungswandel, Verfassungsgewohnheitsrecht, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 12, 3. Aufl. 2014, § 270 Rn. 14 ff.; Hesse, Grenzen der Verfassungswandlung, in: Ehmke (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Scheuner zum 70. Geburtstag, 1973, 123 ff.; Voßkuhle, Gibt es und wozu nutzt eine Lehre vom Verfassungswandel?, in: Der Staat 43 (2004), 450 ff.

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

§§ 305 ff. BGB geschützten Grundrechtspositionen der Mitarbeiter zu stützen – eben so, wie es Art. 137 Abs. 3 WRV auch vorsieht. Übereinstimmend mit dem BVerfG werden aber auch nach der hier vertretenen Ansicht kirchliche und kirchenrechtliche Aspekte nicht staatlicherseits bewertet. Das Neutralitätsgebot gebietet insoweit, dass das Selbstverständnis der Kirchen einziger Maßstab für die Beurteilung etwa von Fragen der Abstufung der Loyalitätspflichten oder der Intensitätsbewertung der Loyalitätsbrüche ist. 3. Karlsruhe vs. Luxemburg Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass das kirchenspezifische Arbeitsrecht zunehmend Gegenstand der Judikatur des EuGH geworden ist.1224 In den bislang zwei entschiedenen Fällen „Egenberger“1225 und „Chefarzt“1226 aus dem Jahre 2018 hat sich der EuGH in zwei Punkten diametral dem BVerfG entgegengestellt: Erstens unterliege die Wirksamkeit von Loyalitätspflichten – zumindest in puncto der Konfessionsgebundenheit als Einstellungsvoraussetzung („Egenberger“) und der konfessionsgebundenen Abstufung („Chefarzt“) – einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung durch die staatlichen Gerichte. Dadurch wird die Prüfungsbeschränkung auf Willkür, die guten Sitten und dem ordre public unionsrechtswidrig. Der zweite Punkt betrifft die Frage nach dem Auslegungs- und Subsumtionsmaßstab: Die staatlichen Gerichte dürften ihre Prüfung nicht ausschließlich auf dem Selbstverständnis der Kirchen aufbauen, sondern müssten einen objektiven Maßstab anwenden. Die Entscheidung hänge also von einem „objektiv überprüfbaren Vorliegen eines direkten Zusammenhanges zwischen der vom Arbeitgeber aufgestellten beruflichen Anforderung und der fraglichen Tätigkeit ab“.1227 Für die Beantwortung dieser Frage bezieht sich das BVerfG bislang stets ausschließlich auf das kirchliche Selbstverständnis. Es braucht nicht betont zu werden, dass ein entsprechender Widerspruch zwischen den Gerichten selbst dann anzunehmen wäre, wenn das BVerfG dem hier vertretenen Standpunkt folgen und eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung vornehmen würde. Denn der entscheidende Unterschied zwischen ihm und dem EuGH bliebe weiterhin in dem Aspekt der Berücksichtigung des kirchlichen Selbstverständnisses. Auch nach der hier vertretenen Ansicht bleibt dieses nämlich im Rahmen der Abwägung der einzige 1224  Siehe

dazu bereits oben S. 139 ff., 150 ff. NJW 2018, 1869 ff. 1226  EuGH, NJW 2018, 3086 ff. 1227  EuGH, NJW 2018, 3086 (3088). 1225  EuGH,



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 325

Maßstab für die Beurteilung kirchenrechtlicher Aspekte. Vorgaben zur Intensität des Eingriffs in die Glaubwürdigkeit der Kirchen oder zur Verkündigungsnähe zu machen, ist dem Staat verwehrt.1228 Der EuGH geht damit bewusst auf Konfrontationskurs mit dem BVerfG. Dem EuGH musste die Haltung des BVerfG gerade angesichts des bundesverfassungsgerichtlichen Beschlusses im „Chefarzt“-Fall1229 nur allzu bewusst gewesen sein. Es stellt sich nun die brisante Frage, zu wessen Gunsten dieser Widerspruch aufgelöst werden wird. Klar ist, dass die Kirchen nicht „kampflos“ aufgeben werden. Eine (erneute) Entscheidung des BVerfG gilt insoweit als nahezu sicher. Umso spannender ist dann die Frage, wie sich das höchste deutsche Verfassungsgericht zur luxemburgischen Judikatur verhalten wird. Angesichts der erheblichen Anstrengungen des Gerichts in seinem Beschluss aus dem Jahre 2014, trotz bestehenden Widerspruchs zur Judikatur des EGMR an der eigenen Sichtweise festzuhalten, ist auch ein Umgehen des EuGH zumindest nicht fernliegend. Es ist daher eine dezidierte Auseinandersetzung mit dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts nicht unwahrscheinlich, auch wenn es sich um ein nicht zuletzt auch „gerichtspolitisch“ schwieriges Thema handelt.1230 Unter diesem Gesichtspunkt rückt das Instrument der ultra-vires-Kontrolle verstärkt in das Blickfeld. Sie ist die Konsequenz aus dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und ergibt sich aus der Überlegung, dass der Anwendungsvorrang des Unionsrechts nicht absolut ist, sondern die Union ihre Kompetenz gerade nur durch Übertragung und Ermächtigung durch die jeweiligen Mitgliedsstaaten erhält (vgl. Art. 23 GG).1231 Das BVerfG sieht insoweit nicht nur eine eigene Berechtigung, sondern sogar eine eigene Verpflichtung, Hoheitsakte der Union auf etwaige Kompetenzüberschreitungen hin zu überprüfen.1232 Denn ein Verstoß gegen die Kompetenzordnung bildet 1228  Dazu

bereits oben S. 319 ff. BVerfGE 273, 137 ff.; ausführlich dazu oben S. 150 ff. 1230  Vgl. dazu Classen, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 23 Rn. 53 f.; Grzeszick, in Maunz / Dürig (Begr.), GG, 57. Lfg. 2010, Art. 20 (Demokratie) Rn. 313; Polzin, Das Rangverhältnis von Verfassungs- und Unionsrecht nach der neuesten Rechtsprechung des BVerfG, in: JuS 2012, 1  ff.; vgl. auch Preis / Temming, Der EuGH, das BVerfG und der Gesetzgeber – Lehren aus Mangold II, in: NZA 2010, 185 ff. 1231  BVerfGE 73, 399 (375); E 123, 267 (398); E 126, 286 (302); vgl. auch Schneider, Der Ultra-vires-Maßstab im Außenverfassungsrecht – Skizze sicherer Vollzugszeitumgebungen für zwischenstaatliche und supranationale Integrationsprozesse, in: AöR 139 (2014), 196 (202 f.); Huber, in: Streinz (Hrsg.), EUV / AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 19 EUV Rn. 81 ff. m. w. N. 1232  BVerfGE 126, 286 (303); vgl. dazu auch Wollenschläger, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 23 Rn. 178 m. w. N. 1229  Vgl.

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demnach zugleich einen Verstoß gegen die nationalen Bestimmungen zur Komptenzübertragung. Ohne eine solche Kontrolle „wäre die Disposition über die vertragliche Grundlage allein auf die Unionsorgane verlagert, und zwar auch dann, wenn deren Rechtsverständnis im praktischen Ergebnis auf eine Vertragsänderung oder Kompetenzausweitung hinausliefe“.1233 Die ultra-vires-Kontrolle sieht sich aber dem Problem ausgesetzt, dass ihre Umsetzung die Feststellung eines Kompetenzverstoßes, also die Prüfung unionsrechtlicher Maßstäbe verlangt. Anwendung und Auslegung sind und bleiben aber eine Ausschließlichkeitskompetenz des EuGH (Art. 19 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 2 EUV, Art. 267 AEUV).1234 Das BVerfG betont daher mehrfach die Pflicht zur „zurückhaltenden“ und „europafreundlichen“ Anwendung der ultra-vires-Kontrolle.1235 Im Sinne einer praktischen Konkordanz zwischen der Kontrollpflicht und der eigentlich auf europarechtlicher Ebene verorteten Anwendung und Auslegung der Kompetenzordnung verlangt das BVerfG zunächst die Durchführung eines Vorlageverfahrens nach Art. 267 AEUV, durch das dem EuGH „Gelegenheit zur Vertragsauslegung sowie zur Entscheidung über die Gültigkeit und die Auslegung der fraglichen Rechtsakte“ gegeben wird.1236 Eine ultra-vires-Prüfung ist nach Ansicht des BVerfG zudem erst dann „verhältnismäßig“ und läuft nicht Gefahr, den Anwendungsvorrang gänzlich zu unterlaufen, wenn ein angenommener Komptenzverstoß hinreichend qualifiziert ist, worunter das Gericht ein bestimmtes Maß an Offensichtlichkeit und Erheblichkeit versteht.1237 Demnach müsste das BVerfG – wollte es konsequent sein – in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie in Gestalt des durch den EuGH vorgegebenen Anwendungsmodus einen den Anwendungsvorrang durchbrechenden europäischen kompetenzwidrigen Akt, also einen ultra-vires-Akt sehen. Dass die Union auf dem Gebiet des Religionsverfassungsrechts keine Kompetenz besitzt, wurde bereits ausführlich dargelegt.1238 Gleichwohl haben die Union mit Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie und der EuGH mit seiner hierauf bezogenen Rechtsprechung religionsverfassungsrechtliche Vorgaben aufgestellt, die den Schutz der Kirchen verringern und dadurch ihren national(verfassungs)recht1233  BVerfGE

126, 286 (303); E 123, 267 (370 f.). 126, 286 (303); Wollenschläger (Fn. 1232), 176. 1235  BVerfGE 123, 267 (354); E 126, 286 (303 f., 307); vgl. Huber (Fn. 1231), 82; Wollenschläger (Fn. 1232), 176. 1236  BVerfGE 126, 286 (304); vgl. dazu Calliess, in: Maunz / Dürig (Begr.), GG, 79. Lfg. 2016, Art. 23 Rn. 141; vgl. Wollenschläger (Fn. 1232), 176. 1237  BVerfGE 126, 286 (304 f.); vgl. auch Isensee, Vorrang des Europarechts und deutsche Verfassungsvorbehalte – offener Dissens, in: Burmeister (Hrsg.), Verfassungsstaatlichkeit – Festschrift für Klaus Stern zum 65. Geburtstag, 1997, 1239 (1255). 1238  Siehe dazu oben S. 136 ff. 1234  BVerfGE



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 327

lichen Status beeinträchtigen. Angesichts der dargelegten Argumentationslage zugunsten einer Kompetenzwidrigkeit und der ebenfalls erörterten dürftigen Argumentationsstruktur des EuGH gegen die Kompetenzwidrigkeit dürfte der Verstoß gegen die nationalverfassungsrechtlichen Integrationsgrenzen auch hinreichend offensichtlich sein – was nicht zuletzt die fehlende Auseinandersetzung der luxemburgischen Richter mit der eigentlichen Kompetenzfrage untermauert1239. Auch ergeben sich in Hinblick auf die Erheblichkeit des Verstoßes keine Probleme: Immerhin sind die Auswirkungen der Judikatur des EuGH auf das kirchenspezifische Arbeitsrecht angesichts der grundlegenden Abkehr von der bundesverfassungsgerichtsbasierten Handhabung leicht zu erkennen. Nicht gänzlich unnachvollziehbar werden daher teilweise die europarechtlichen Modifikationen zumindest als dogmatischer „Paradigmenwechsel“ oder als „kopernikanische Wende“ im kirchenspezifischen Arbeitsrecht bezeichnet.1240 Auch wenn einige Autoren zur Besonnenheit aufrufen und darauf verweisen, dass die Rechtsprechung des EuGH womöglich faktisch im Ergebnis die kirchliche Praxis nicht besonders gravierend modifizieren würde, bleibt der Umstand, dass die (dogmatische) Begründung des Ergebnisses – insbesondere was die objektive Überprüfbarkeit kirchlicher Entscheidungen anbelangt – nicht mehr auf den Grundfesten des GG, sondern auf kompetenzwidrigem Unionsrecht basiert. Ein tatsächlicher Ergebnisabgleich hat insoweit keine Auswirkungen auf die Erheblichkeit des kompetenzwidrigen Aktes für die nationale Verfassungsordnung, zumal die tatsächlichen Auswirkungen noch lange nicht abschätzbar sind. Die Feststellung eines ultra-vires-Verstoßes wäre noch nicht einmal von einem Vorlageverfahren gem. Art. 267 AEUV abhängig, bildet gerade die Rechtsprechung des EuGH ein entscheidendes Moment des Verstoßes. Das BVerfG spricht insoweit auch nur davon, dem EuGH die „Gelegenheit“ zur Entscheidung zu geben; ein das BVerfG bindendes Letztentscheidungsrecht gewährt Karlsruhe dem EuGH insoweit nicht, zumal die ultra-vires-Kontrolle letztlich gerade eine nationale Verfassungswidrigkeitsbestimmung darstellt. Zudem hat das BVerfG die Voraussetzung des Vorlageverfahrens erkennbar nur auf solche kompetenzwidrige Akte bezogen, die nicht dem EuGH zugerechnet werden können. Nicht nur dass es bislang nicht um ultra-vires-Ver1239  Der EuGH geht in beiden Entscheidungen nur auf die Beurteilungs-, nicht aber auf die Regelungskompetenz ein, siehe ausführlich dazu bereites oben S. 139 ff., 150 ff. 1240  Junker, Gleichbehandlung und kirchliches Arbeitsrecht – ein deutscher Sonderweg endet vor dem EuGH, in: NJW 2018, 1850 (1853); Greiner, Kirchliche Loyalitätsobliegenheiten nach dem „IR“-Urteil des EuGH, in: NZA 2018, 1289 (1291). Vgl. auch Reichold / Beer, Eine „Abmahnung“ des EuGH mit Folgen – neue Anforderungen an die kirchliche Personalpolitik nach dem Urteil in der Rechtssache Egenberger aus juristischer und theologischer Sicht, in: NZA 2018, 681 ff.

328

Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

stöße seitens des EuGH ging, verlöre ein Vorlageverfahren bei komptenzwidrigen Rechtsprechungsakten auch letztlich seinen Sinn. Inwieweit sich das BVerfG traut und sich offen gegen die Judikatur des EuGH stellt, bleibt offen und ist nicht hinreichend sicher vorhersehbar. Denn neben der soeben dargestellten Dogmatik der ultra-vires-Kontrolle bleibt die politische Ebene: Das Verhältnis von BVerfG und EuGH ist seit jeher nicht unproblematisch. Von daher könnten auch Pragmatismus und politisches Kalkül dafür sprechen, die Entscheidungen des EuGH zu tolerieren und entsprechend umzusetzen. Die Karlsruher Entscheidung mag insoweit auch davon abhängen, inwieweit Inhalt und Auswirkungen der europarechtlichen Judikatur letztlich akzeptiert werden. Die Möglichkeit der zulässigen Nichtanwendung der Judikatur aus Luxemburg besteht. Ob sie tatsächlich genutzt wird, ist letztlich auch eine Frage der Abwägung zwischen gerichtspolitischer und inhaltlicher Überzeugung. 4. Anerkennung der einzelnen Loyalitätspflichten Wurde soeben der Maßstab der Anerkennung kirchlicher Loyalitätspflichten festgestellt, geht es an dieser Stelle um die Anerkennung der einzelnen Loyalitätspflichten. Es kommt insoweit auf eine Abwägung zwischen kirch­ licher Selbstbestimmung und grundrechtlichem Schutz der Mitarbeiter an, die im Zuge des Auffindens rationaler Argumente1241 vorzunehmen ist. Dabei wurde bereits dargelegt, dass sich die zentralen Abwägungskriterien in der Intensität der Beeinträchtigung der Grundrechte sowie in der Bedeutung und Tragweite des geförderten kirchlichen Selbstbestimmungsrechts wiederfinden. Insoweit lassen sich sowohl allgemeingültige Argumente für beide Seiten finden, die zumindest grundsätzlich unabhängig vom konkreten Inhalt der Loyalitätspflicht gelten (a)), als auch solche Argumente, die speziell auf den Inhalt der jeweiligen Loyalitätspflicht zugeschnitten sind (b)). a) Die allgemeingültige Argumentation Zunächst gilt es die Überlegungen und Argumente darzulegen, die in jedem Fall und somit unabhängig vom konkreten Inhalt einer Loyalitätspflicht Berücksichtigung finden müssen, die sich mithin aus der Natur der Loyalitätspflicht im kirchenspezifischen Arbeitsrecht ergeben und sich damit alleine auf der Tatsache gründen, dass kirchliche Dienstgeber Loyalität von ihren Mitarbeitern verlangen dürfen.

1241  Siehe

dazu bereits oben S. 274 ff.



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 329

aa) Die Bedeutung der Loyalitätspflichten für den kirchlichen Dienstgeber Für die Gewichtung der kirchlichen Rechtsposition – ihrem Selbstbestimmungsrecht – ist entscheidend, welche Bedeutung Loyalitätspflichten für den kirchlichen Dienstgeber entwickeln. Erst diese Erkenntnis lässt die Abwägung hinreichend rational gestalten, muss doch geprüft werden, ob eine Loyalitätspflicht gegenüber der ihr folgenden Freiheitseinschränkung der Mitarbeiter tatsächlich überwiegt. Dabei sei ausdrücklich betont, dass es nicht um eine theologische, also innerkirchliche Bewertung geht – die folgerichtig gegen den Grundsatz religiös-weltanschaulicher Neutralität der weltlichen Rechtsordnung verstoßen würde1242 –, sondern um eine weltlich-systematische Bewertung. Es geht um die Erkenntnis, welche Funktion Loyalitätspflichten für das System Kirche und seine Selbstbestimmung erfüllen, ohne dabei eine religiös-inhaltliche Bewertung vorzunehmen. Aus kirchlicher Sicht erfüllen Loyalitätspflichten dem Grunde nach eine Gewährleistungsfunktion, indem sie im Sinne einer Art Garantiemittel die Kongruenz von kirchlicher Glaubenslehre und privater Lebensführung des Mitarbeiters gewährleisten sollen. Dabei könnte man zunächst – was auf der Hand läge – die Loyalitätspflichten als Verwirklichungsgarantie der christlichen Vorstellung von der Dienstgemeinschaft an sich ansehen. Die Loyalitätspflichten und die sich daraus ergebenden Bindungen der Mitarbeiter an die christliche Glaubenslehre erfüllen dabei jedoch keinesfalls einen Selbstzweck, sondern ebnen den Weg für höhere Ziele, indem sie auf der einen Seite auf die kirchliche Gemeinschaft und auf der anderen Seite auf die entsprechende Glaubenslehre ausgerichtet sind. Im ersten Fall – so verraten es auch bereits die Präambel der GrO1243 sowie § 4 Abs. 1, 5 Abs. 2 EKDRL oder besonders deutlich § 9 Abs. 1 S. 3 MitG-Baden – schützen die Loya­litätspflichten die Glaubwürdigkeit der Kirche und deren Einrichtungen nach außen und gewährleisten der Kirche so eine wirksame Wahrnehmung ihres gesellschaftlichen Auftrags. Diesen Zusammenhang macht die Evangelische Kirche in § 5 Abs. 2 EKD-RL deutlich, wenn sie einen Verstoß gegen die Loyalitätspflicht bejaht bei einem Verhalten, „das eine grobe Missachtung der evangelischen Kirche und ihrer Ordnung und somit eine Beeinträchtigung der Glaubwürdigkeit des kirchlichen Dienstes darstellt“.1244 Die Loyalitätspflichten begründen damit eine äußere Funktion. Im zweiten Fall fungieren die Loyalitätspflichten dagegen auch als Durchsetzungsmittel des inneren „Sendungsauftrags“ und damit als Gewährleistung der inneren Funk1242  Siehe

dazu ausführlich oben S. 319 ff. Präambel nach gilt der Auftrag der Sicherung der Glaubwürdigkeit nicht nur angesichts der Loyalitätspflichten, sondern für die gesamte GrO. 1244  Herv. VH.  1243  Der

330

Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

tion der kirchlichen Gemeinschaft.1245 Dabei hängen beide Funktionen eng miteinander zusammen: Die Glaubwürdigkeit außerhalb der Kirche ist Voraussetzung und schafft den notwendigen Raum dafür, ihren inneren Kernauftrag zu erfüllen – die Bezeugung und Verkündigung des Evange­liums.1246 (1) Die Gewährleistung der äußeren Funktion: Glaubwürdigkeitsgarantie Aus der Sicht von außen rechtfertigen sich die Loyalitätspflichten aus der besonderen Verankerung der Kirchen im Allgemeinen und damit auch der katholischen Kirche und den evangelischen Kirchen im Besonderen im moralisch-ethischen Bereich. Religion bezieht sich nicht auf rechtliche, sondern auf moralische Normen und ist damit – im Unterschied zu rechtlichen Normen – stets von der inneren Einstellung des Betroffenen abhängig.1247 Da überdies in pluralistischen Gesellschaften ein regelrechter Wettkampf um die „richtige“ Moral stattfindet und ein Zwang von außen kaum stattfinden kann,1248 ist die Moral, das „innere Sollen“1249, im Gegensatz zum staatlichen Recht nahezu ausschließlich abhängig von subjektiver Beachtung und Akzeptanz des Einzelnen.1250 Im Bereich moralischer Normen gewinnt daher eine Eigenschaft enorm an Bedeutung, die unter dem Begriff der Glaubwürdigkeit1251 zu fassen ist. Der Begriff der Glaubwürdigkeit ist schillernd und nicht im Geringsten hinreichend geklärt. Lediglich im Bereich des Marketings und der Kommunikationswissenschaft findet ein breiterer Diskurs über diesen Begriff statt, wobei hier zumindest teilweise versucht wird, eine allge-

1245  So die Unterscheidung der funktionalen Ausrichtung der Loyalitätspflichten bei Unruh (Fn. 1144), 192, der zu Recht darauf hinweist, dass das BVerfG im Wesentlichen nur auf die äußere Funktion als Glaubwürdigkeitsgarantie hinweist, vgl. BVerfGE 70, 138 (165 f.). 1246  So die Auftragsbeschreibung auch bei Heinig (Fn. 1214). 1247  Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie, 10. Aufl. 2018, § 4 Rn. 99a ff. 1248  Im Unterschied zu staatlichen Rechtsnormen sind Moralnormen nicht mit staatlichen Sanktionen verknüpft. Zwangsmittel sind hier vielmehr der soziale Druck der Gesellschaft und das „innere Schuldgefühl“. Insbesondere Ersteres schwindet aber in pluralistischen Gesellschaften, da ein sozialer Druck ein hinreichendes Maß an Beachtung der jeweils verletzten Moralnorm erfordert. Dadurch sinkt aber ins­ gesamt die Sanktionseigenschaft von Moralverstößen, vgl. Rüthers / Fischer / Birk (Fn. 1247), 99d; Bayertz, Warum überhaupt moralisch sein?, 2006, S. 9 ff. 1249  Hier wird insbesondere an die Philosophie Kants angeknüpft, der den Unterschied zwischen staatlichen und moralischen Normen darin sah, dass Erstere heteronom, Letztere autonom gesetzt würden, vgl. Rüthers / Fischer / Birk (Fn. 1247), 99a. 1250  Rüthers / Fischer / Birk (Fn. 1247), § 10 Rn. 401 ff. 1251  Glaubwürdigkeit ist hier nicht im rein rechtlichen Sinne verstanden, d. h. nicht als Neigung einer Person, die Wahrheit zu sagen.



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 331

meine Glaubwürdigkeitsdefinition zu liefern.1252 Auch wenn hier die angebotenen Definitionsversuche freilich differieren, lässt sich der Begriff der Glaubwürdigkeit im Allgemeinen auf folgende Punkte bringen: Unter Glaubwürdigkeit versteht man die aufgrund einer subjektiven Wertung erfolgte Zuschreibung der Eigenschaft einer Sache, eines Menschen oder einer Botschaft als „wahr“ und demnach eine subjektive Substitution fehlender objektiver Wahrheitsbeweise.1253 Darüber hinaus können auch Institutionen glaubwürdig sein. Dabei bezieht sich die Glaubwürdigkeit nicht auf die „Wahrheit“ der Institution an sich, sondern auf die Kongruenz von Verhalten der Institution und eigens gesetzter Prinzipien und (Moral-)Normen.1254 Auf moralische Normen gewendet erwächst hier die Glaubwürdigkeit zum Indikator für die Geltung solcher metaphysischen Sätze. Denn bei Moralnormen handelt es sich um nicht beweisbare metaphysische Aussagen, deren Geltung folglich ebenfalls nicht objektiv bewiesen werden kann, sondern von einer subjektiven Wertung abhängt.1255 Die Geltung einer Moralnorm basiert auf ihrer subjektiven Zustimmung und damit auf ihrer Akzeptanz und Beachtung.1256 Die Zustimmung bedarf aber einer inneren Anerkennung der Norm als das Moment der „Wahrheit“. Als Wahrheitsersatz fungiert hier dann notgedrungen das Maß der Glaubwürdigkeit der Moralnorm, es entsteht ein reziprokes Verhältnis ihrer Glaubwürdigkeit, Akzeptanz und Geltung: Je mehr eine Moralnorm als glaubwürdig, d. h. als „wahr“ angesehen wird, desto mehr wird sie akzeptiert und desto eher „gilt“ sie tatsächlich. Diskurstheoretisch gewendet verbirgt sich hier grundlegend der so genannte Universalisierungsansatz, nach dem es gerade im Rahmen des praktischen Diskurses – dem Ringen um Werte und moralische Normen – für die Geltung moralischer Normen entscheidend darauf ankommt, dass diese allgemein annehmbar und zustimmungsfähig sind.1257 Daraus ergibt 1252  Vgl. Grünberg, Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Akzeptanz, in: Bentele /  Bohse / Hitschfeld / Krebber (Hrsg.), Akzeptanz in der Medien- und Protestgesellschaft – zur Debatte um Legitimation, öffentliches Vertrauen, Transparenz und Partizipation, 2015, 25 (26 f.); Lis / Korchmar, Digitales Empfehlungsmarketing – Konzeption, Theorien und Determinanten zur Glaubwürdigkeit des Electronic Word-of-Mouth (EWOM), 2013, S. 21 ff. 1253  Bentele, Der Faktor Glaubwürdigkeit, in: Publizistik 33 (1988), 406 (408 f.); ders. / Nothhaft, Vertrauen und Glaubwürdigkeit als Grundlage von Corporate Social Responsibility, in: Raupp / Jarolimek / Schultz (Hrsg.), Handbuch CSR, 2011, 45 (57 f.); vgl. auch Lis / Korchmar (Fn. 1252). 1254  Vgl. Lis / Korchmar (Fn. 1252). 1255  Rüthers / Fischer / Birk (Fn.  1247), 117 ff. 1256  Rüthers / Fischer / Birk (Fn. 1247), 403. 1257  Siehe Habermas, Moralbewusstsein und kommunikatives Handeln, 1996, S. 75 ff.; vgl. auch Volkmann, Einführung in die Diskurstheorie des Rechts, in: JuS 1997, 976 (978).

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sich aber auch umgekehrt ein logischer Schluss von Beachtung bzw. Befolgung einer Moralnorm auf ihre Glaubwürdigkeit: Je mehr und häufiger eine Moralnorm beachtet wird, desto mehr wird sie allgemein als glaubwürdig angesehen. Der Zusammenhang zwischen Loyalitätspflichten und Glaubwürdigkeit katholischer oder evangelischer Moralnormen wird zudem dadurch verstärkt, dass Erstere nicht durch Dritte, sondern durch die Kirche selbst angeordnet werden. Dieser zunächst trivial erscheinende Umstand ist dabei für die Glaubwürdigkeit der Moralnormen entscheidend, denn er verknüpft die Glaubwürdigkeit – teilweise auch als Authentizität beschrieben1258 – der Institution Kirche mit der Glaubwürdigkeit der christlichen Moralnormen. Verstoßen also die Mitarbeiter der Kirche nun gegen katholische respektive evangelische Moralnormen, obschon sie sich mit der Eingehung des Arbeitsverhältnisses mit ihrem Arbeitgeber – der jeweiligen Kirche – vereinigen, so ist zum einen die Kirche als Institution unglaubwürdig, weil sie sich nicht gegen die Missachtung der Moralnorm wehrt bzw. die Mitarbeiter der Kirche dieser zugerechnet oder mit dieser identifiziert werden; darüber hinaus aber werden durch die Unglaubwürdigkeit der Kirche wiederum die Moralnormen selbst unglaubwürdig, zeigt doch die fehlende Akzeptanz, dass die Kirche ihre eigenen Moralnormen selbst für unglaubwürdig hält und ihnen Geltung abspricht. Mit anderen Worten: Dadurch dass Menschen eine Moralnorm nicht beachten, ist diese weniger glaubwürdig und kann weniger Geltung beanspruchen. Wird eine katholische oder evangelische Moralnorm aber nicht von einem „Beliebigen“, sondern von einem Mitarbeiter der jeweiligen Kirche selbst missachtet, zeugt dies von deutlich erhöhter Unglaubwürdigkeit der Norm. (Un-)Glaubwürdigkeit der Institution führt also automatisch zur (Un-)Glaubwürdigkeit der von ihr gesetzten und beherrschten Moralnormen.1259 Es ist daher nicht überraschend, wenn der Bischof des Ruhr-Bistums, Franz-Josef Overbeck, formuliert: „Das inhaltliche Ziel allen kirchlichen Handelns ist schließlich die Evangelisierung und ihr Gelingen korrespondiert notwendig mit der Glaubwürdigkeit ihres gesamten Tuns und 1258  Overbeck, Die Dienstgemeinschaft und das katholische Profil kirchlicher Einrichtungen, in: Kämper / Thönnes (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 46 (2012), 7 (11). 1259  Aus diesem Grund formuliert Overbeck (Fn. 1258) überwiegend übernehmend von Homeyer, Theologische Erwägungen angesichts der Schaffung größerer Pfarrgemeinden, in: Kämper / Thönnes (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, 44 (2010), 9 (12): „,Entsprechend muss der Dienst der kirchlichen Institutionen, zum Beispiel der Caritas, authentisch sein. ‚Authentisch‘ meint, dass zum Beispiel die Caritas sich als Akteur in der Gesellschaft in der Nachfolgepraxis weiß, die Gottesfrage in den alltagsweltlichen Bezügen wachhält und die Deutungs- und Hoheitspotenziale biblischer Traditionen als Orientierung für ihre Dienste und Einrichtungen‘ als Organisationskultur einbringt“.



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 333

Lassens“.1260 Mit anderen Worten: Den kirchlichen Sendungsauftrag zu erfüllen bedeutet, die Glaubwürdigkeit kirchlicher Moralnormen zu fördern, ihnen also Geltung zu verschaffen.1261 Wenn die Kirchen also von ihrer Glaubwürdigkeit sprechen – so u. a. in der Präambel und Art. 4 Abs. 4 S. 2 GrO oder in § 4 Abs. 1 S. 1 EKD-RL –, geht es ihnen eigentlich um die Geltung ihrer eigenen metaphysischen Glaubenssätze, mithin der eigenen Glaubenslehre: „Die Bewahrung des Evangeliums ist ohne Bewährung des Evangeliums in der Gesellschaft nicht möglich“.1262 (2) Die Gewährleistung der inneren Funktion: der Sendungsauftrag Dienen die Loyalitätspflichten einerseits der Gewährleistung der äußeren Funktion der Kirchen, indem die Glaubwürdigkeit und Geltung ihrer Glaubenslehre und Moralnormen (auch nach außen hin) gewährleistet werden, fungieren sie andererseits auch im inneren Bereich der Kirche. Nach Art. 1 S. 1 GrO tragen „alle in einer Einrichtung der katholischen Kirche Tätigen (…) dazu bei, dass die Einrichtung ihren Teil am Sendungsauftrag der Kirche erfüllen kann“. Das Gleiche bestimmt § 4 Abs. 1 S. 2 EKD-RL für die Evangelische Kirche. Unter dem christlichen Sendungsauftrag versteht man allgemein die Vertretung der Glaubenslehre.1263 Im Unterschied zur Glaubwürdigkeits- und Geltungsfrage ist der Sendungsauftrag eine rein innerkirchliche Kategorie, die zwar Wirkung nach außen entfaltet und damit eng mit der Glaubwürdigkeitsfrage verbunden ist, aber eine rein theologische Bedeutung erlangt, weil sie gerade auf die innere Funktionsfähigkeit der katholischen wie evangelischen Glaubensgemeinschaft gerichtet ist und gewährleisten soll, dass die religiös-inhaltliche Pflicht erfüllt wird.1264 Der Sendungsauftrag ist damit anders als die Glaubwürdigkeitsaufgabe selbst Bestandteil des katholischen wie evangelischen Moralnormkorpus. Daraus folgt, dass das gesamte Tätigwerden im Rahmen des Arbeitsverhältnisses, aber auch im Rah1260  Overbeck

(Fn. 1258). anders formuliert bei Homeyer (Fn. 1259), 13: „Evangelisierung heißt heute zentral, das Drama unserer Zeit, nämlich das Auseinanderbrechen von Religion und Kultur, zu überwinden“. 1262  Homeyer (Fn. 1259), 11; vgl. auch Overbeck (Fn. 1258), 10. 1263  Heinig, Dienstgemeinschaft, in: ders. / Munsonius (Hrsg.), 100 Begriffe aus dem Staatskirchenrecht, 2. Aufl. 2015, 32 ff.; Richardi (Fn. 1088), 10 ff.; Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Erklärung der deutschen Bischöfe zum kirchlichen Dienst, Die deutschen Bischöfe 51, 11. Aufl. Bonn 2008, 9 ff.; Schwerdt /  Schobel, Theologische Betrachtungen zu den Rechten der Beschäftigten der Kirche und ihrer Einrichtungen, in: AuR 1979, Sonderheft: Kirche und Arbeitsrecht, 44 (44 ff.); Kreß, Die Sonderstellung der Kirchen im Arbeitsrecht – sozialethisch vertretbar?, 2014, S. 48 ff. 1264  Darauf weist ebenfalls Unruh (Fn. 1144), 192, zu Recht hin. 1261  Oder

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

men der privaten Lebensführung an dem Sendungsauftrag und – wie sich beispielsweise aus Art. 1 S. 2 GrO ergibt – damit an der jeweiligen kirchlichen Glaubenslehre und dem entsprechenden Kirchenrecht ausgerichtet werden muss, um so zu gewährleisten, dass dem Sendungsauftrag – dem Tragen der Glaubensinhalte in die Welt – genüge getan wird. Damit stellen die ­Loyalitätspflichten dem Grunde nach sicher, dass das persönliche Verhalten des Mitarbeiters nicht wider die Glaubenslehre läuft und damit nicht den theologischen Sendungsauftrag gefährdet. Mitarbeiter, die der Glaubenslehre nicht entsprechen, vereiteln nicht nur die Glaubwürdigkeit und damit die faktische Geltung der Moralnormen, sondern erfüllen auch theologisch gesehen den religiösen Auftrag nicht. (3) Z  usammentrag: Loyalitätspflichten als Geltungsgarantie christlicher Moralnormen Aus den vorstehenden Überlegungen zu den Funktionen der Loyalitätspflichten ergibt sich, dass es den Loyalitätspflichten nur vordergründig um die Verwirklichung der Dienstgemeinschaft, hintergründig aber um die Glaubwürdigkeit und damit um die Geltung ihrer Moralnormen geht. Auch hinsichtlich der inneren Funktion der Loyalitätspflichten kann ein unmittelbarer Bezug zur Geltungsfrage vermittelt werden, steht hier doch allein der kirchliche Sendungsauftrag im Zentrum des Funktions- und Legitima­ tionstempels. Loyalität ist für die kirchlichen Dienstgeber also weitaus wichtiger, als es der erste Anschein vielleicht nahelegt. Damit ergibt sich, dass die Loyalitätspflichten gänzlich der Verwirklichung des Sendungsauftrags verschrieben sind – einmal durch die Geltungsgewährleistung der dem Sendungsauftrag zugrundeliegenden Moralnormen, einmal durch die Gewährleistung der unmittelbaren innergemeinschaftlichen Ausrichtung auf die Verkündigung des Evangeliums. Sendungsauftrag und Dienstgemeinschaft ­weisen also eine Verbindung auf, sind aber nicht identisch.1265 Letztere ist vielmehr funktionale Ausprägung – oder besser: notwendiges Organisationsmittel – des Sendungsauftrags. Loyalitätspflichten sind demnach zwar konstitutiver Bestandteil der Dienstgemeinschaft; funktional geht es ihnen aber nicht um die reine Existenz der Dienstgemeinschaft, sondern um die Glaubwürdigkeit und die innergemeinschaftliche Funktionsfähigkeit und damit um die Erfüllung des dienstgemeinschaftlichen Zwecks.1266 Geht es bei den 1265  Overbeck (Fn. 1258), 17: „Eine ‚Dienstgemeinschaft‘ im Sinne einer Unternehmensphilosophie (Kardinal Lehmann) zu erzeugen bzw. zu ermöglichen (…) trägt im kirchlichen Kontext (…) dazu bei, den Sendungsauftrag gut erfüllen zu können“ (Herv. i. O.). Siehe auch oben S. 28 ff., 328 f. 1266  Insoweit liegt es zwar nahe, ist aber nicht gänzlich korrekt, zu formulieren, die Kirchen hätten ein dem Leitbild der christlichen Dienstgemeinschaft entsprechen-



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 335

­oyalitätspflichten also nicht um die Verwirklichung eines bestimmten L Glaubenssatzes, sondern um die Geltung der Glaubenslehre insgesamt und damit um die „Verwirklichung eines Stückes Auftrag der Kirche im Geist katholischer [oder evangelischer; VH] Religiosität, im Einklang mit dem Bekenntnis der katholischen [oder evangelischen; VH] Kirche und in Verbindung mit den Amtsträgern der katholischen [oder Evangelischen; VH] Kirche“,1267 ist die Bedeutung der Loyalität für die Kirche zentral und damit hoch einzuschätzen. Über die Loyalitätspflichten, die Art. 137 Abs. 3 WRV grundsätzlich für zulässig erklärt, wird den Kirchen die Möglichkeit eröffnet, die Geltung ihrer Moralnormen zu festigen und zu erhöhen und dadurch ihren Glauben gestärkt nach außen zu tragen. Loyalität ist das zentrale Mittel der Glaubensverwirklichung. Sie schafft den kirchlichen Dienstgebern innerhalb der säkularen Rechtsordnung einen vom eigenen Glauben durchdrungenen Freiheitsraum. bb) Venire contra factum proprium: die Freiwilligkeit des Vertragsschlusses Auf der anderen Seite ist die Intensität der Beeinträchtigung der Grundrechte durch das kirchliche und vor allem staatliche Verhalten zu begutachten. Dabei ist allgemein zu sehen, dass die Loyalitätspflicht die Mitarbeiter nicht unvorhergesehen trifft, sondern jene sich freiwillig bei Abschluss des Arbeitsvertrags der Loyalität verpflichten. Darauf weisen auch zu Recht regelmäßig Rechtsprechung und Literatur hin.1268 Der Mitarbeiter ist also der Loyalität nicht völlig machtlos ausgeliefert. Hinter diesem Argument steckt der insbesondere aus dem Zivilrecht – genauer: dem römischen Recht – bekannte Gedanke, rechtsmissbräuchliches Verhalten – hier in konkreter Gestalt des sog. widersprüchlichen Verhaltens des Arbeitsrecht geschaffen, vgl. Tillmanns, Die Geltung des kirchlichen Arbeitsrechts für kirchliche Einrichtungen nach der neuen Grundordnung der katholischen Kirche, in: NZA 2013, 178 (180). 1267  BVerfGE 46, 73 (87); vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Erklärung der deutschen Bischöfe zum kirchlichen Dienst, Die deutschen Bischöfe 51, 11. Aufl. 2008, 7 (8). 1268  BVerfG, Beschl. v. 22.10.2014 – 2 BvR 661 / 12 – Rn. 182; BAG, NJW 2014, 104 (108); BAG, NZA 2014, 1407 (1413); so auch EGMR, Urt. v. 03.02.2011 – 18136 / 02 (201)  – Siebenhaar . / . Deutschland Rn. 32; EGMR, Urt. v. 23.09.2010  – 1620 / 03 – Schüth . / . Deutschland Rn. 71; von Tiling, Blick ins Kirchenarbeitsrecht – Kündigung wegen Loyalitätspflichtverletzung, in: öAT 2013, 227 (230); Paul, Kein islamisches Kopftuch in kirchlicher Einrichtung, in: öAT 2015, 15 (15); Neureither, Loyalitätspflichten kirchlicher Mitarbeiter – neue Varianten eines alten Themas, in: NVwZ 2015, 493 (496).

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

(venire contra factum proprium)­ – zu verhindern.1269 Danach handelt jeder rechtsmissbräuchlich, der etwas fordert oder sich in bestimmter Weise verhält, obschon sein vorheriges Verhalten genau entgegengesetzte Zielwirkung ausdrückte.1270 Dieser Grundsatz ist freilich keinesfalls auf das Zivilrecht beschränkt, hat dort jedoch aufgrund einer normsystematischen Zuordnung zu der Generalklausel des § 242 BGB einen breiten Anwendungsbereich.1271 Vielmehr kann dieser Grundsatz grundlegend der Gerechtigkeitsidee des Rechts entnommen werden, er bildet eine „Grundforderung rechtlicher Ordnung“:1272 Hat das Recht die Funktion, Streitigkeiten auf gesellschaftlicher Ebene, d. h. im Bürger-Bürger-Verhältnis aufzulösen und insoweit Inte­ ressen auszugleichen,1273 bedarf es einer Interessenbewertung durch das Recht selbst. Soll dabei jedoch ein bestimmtes Interesse geschützt werden, dessen Beschränkung zuvor durch den Interesseninhaber selbst erfolgt ist, kann dieses Interesse nicht als besonders hoch eingestuft werden. Dahinter steht ebenfalls der Gedanke des durch ein nach außen hin getragenes Verhalten entstandenen Vertrauensschutzes: In einer rechtlich durchdrungenen Gesellschaft mit Ansprüchen und Verbindlichkeiten der einzelnen Glieder muss sich jedes Mitglied auf das durch den jeweils Anderen entstandene und das jeweilige Interesse suggerierende Verhalten verlassen können. Der Grundsatz venire contra factum proprium drückt folglich den allgemeinen Gedanken des Vertrauens auf ein Verhalten und der Vorhersehbarkeit eines Verhaltens aus.1274 Auf die hier zu untersuchende Konstellation bezogen bedeutet das: Die Rechtsordnung kann nicht – zumindest nicht grundsätzlich – ein Schutzinteresse gegenüber Drittinteressen als vorrangig ansehen, wenn der notwendig gewordene Schutz überwiegend „selbstverschuldet“ ist. Grob mit anderen Worten gesprochen: Der Mitarbeiter darf nicht freiwillig eine Verpflichtung eingehen, später aber behaupten, diese Verpflichtung verletze seine Rechte. Die freiwillige Eingehung des Arbeitsvertrags einschließlich bestehender Loyalitätspflichten führt damit aufgrund des grundsätzlichen Verbots rechts-

1269  Zu der zivilrechtlichen Ausgestaltung der Rechtsmissbrauchseinrede allgemein Huber, Der Inhalt der Schuldverhältnisse, in: von Staudinger (Hrsg.), Eckpfeiler des Zivilrechts, 2014, D 26 ff., 53 ff.; Singer, Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, 1993; Griesbeck, Venire contra factum proprium – Versuch einer systematischen und theoretischen Erfassung, 1978; Dette, Venire contra factum proprium nulli conceditur, 1985. 1270  Huber (Fn. 1269). 1271  Dazu Kähler, in: Gsell / Krüger / Lorenz / Reymann (Hrsg.), Beck-online Großkommentar Zivilrecht, Stand: Oktober 2018, § 242 BGB Rn. 1132 ff. 1272  Burmeister, Vertrauensschutz im Prozeßrecht, 1979, S. 115. 1273  Dazu insgesamt Rüthers / Fischer / Birk (Fn. 1247), 87 ff. 1274  Singer (Fn. 1269), 6.



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 337

missbräuchlichen Verhaltens zu einer nur geringen Schutzwürdigkeit des arbeitnehmerbezogenen Interesses. Allerdings steht damit die Frage im Raum, ob der freiwillige Abschluss des Arbeitsvertrags nicht gar einen Grundrechtsverzicht darstellt, bei dem der Grundrechtsträger zunächst auf die Ausübung seiner grundrechtlichen Freiheit dem Staat gegenüber verzichtet und somit das staatliche Verhalten keinen Eingriff (mehr) darstellt.1275 Zwar könnte man die generelle Unzulässigkeit eines Grundrechtsverzichts damit begründen, dass er bei einigen Grundrechten explizit für zulässig und bei anderen Grundrechten explizit für unzulässig erklärt werde, also im Bereich der Grundrechte ohne ausdrückliche Zulassung des Verzichts dieser nicht vorgesehen sein könne; darüber hinaus könnte man der Auffassung sein, die Grundrechte als Verkörperung gemeinwohlbezogener Interessen seien nicht disponibel.1276 Gegen erstere Argumentation ist jedoch einzuwenden, dass sie verkennt, dass die Fälle der expliziten Zulässigkeitsregelung des Grundrechtsverzichts lediglich den Willen – anders als andere Grundrechte – zum Schutzbereichsmerkmal erheben, also zum Grundrechtsverzicht als Moment allgemeiner Grundrechtslehren nichts auszusagen imstande sind. Das zweite Argument verkennt hingegen die (auch) bestehende individuelle Freiheitsbedeutung: Ein Grundrechtsverzicht ist dabei insbesondere deswegen grundsätzlich zulässig, bedeutet er doch nichts Anderes als die Möglichkeit, seinen verfassungsrechtlich zuerkannten Freiheitsraum in der Weise zu nutzen, dass auf den Freiheitsraum insgesamt verzichtet wird – im Sinne eines „Grundrechtsverzicht(s) als Grundrechtsgebrauch“.1277 Freiheitsräume sind nicht allein des Gemeinwohls wegen installiert. Entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht gilt die grundsätzliche Möglichkeit des Grundrechtsverzichts daher auch für die Schutz-

1275  Allgemein zum Grundrechtsverzicht Bethge, Grundrechtswahrnehmung, Grundrechtsverzicht, Grundrechtsverwirkung, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 9, 3. Aufl. 2011, § 203 Rn.  91 ff.; Kingreen / Poscher, Staatsrecht II: Grundrechte, 34. Aufl. 2018, Rn. 193 ff.; Merten, Der Grundrechtsverzicht, in: Horn (Hrsg.), Recht im Pluralismus – Festschrift für Walter Schmitt Glaeser zum 70. Geburtstag, 2003, 53 (60 f.). 1276  So Bussfeld, Zum Verzicht im öffentlichen Recht am Beispiel des Verzichts auf eine Fahrerlaubnis, in: DÖV 1976, 765 (771); vgl. Klein, Das neue Eheverbot der bestehenden Eingetragenen Lebenspartnerschaft gemäß § 1306 BGB am Maßstab des Art. 6 Abs. 1 GG, 2008, S. 160 ff.; Koch, Der Grundrechtsschutz des Drittbetroffenen, 2000, S.  144 f.; Sturm, Probleme eines Verzichts auf Grundrechte, in: Leibholz / Faller / Mikat / Reis (Hrsg.), Menschenwürde und freiheitliche Rechtsordnung  – Festschrift für Willi Geiger zum 65. Geburtstag, 1974, 173 (194 ff.). 1277  Vgl. Kingreen / Poscher (Fn. 1275). Dies gilt jedoch nur solange unzweifelhaft, als nicht der bloße Nichtgebrauch eines Grundrechts als Freiheitsgebrauch angesehen wird, vgl. Bethge (Fn. 1275), 98.

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pflichtenfunktion der Grundrechte.1278 Denn nicht nur dass auch Schutzpflichten eine subjektivrechtliche Dimension aufweisen, zur individuellen Freiheit gehört, sowohl in staatliche Eingriffe als auch in staatliches Unterlassen einwilligen zu können; der einzige Unterschied zur abwehrrechtlichen Funktion ist lediglich, dass die tatsächliche Freiheitsbeschränkung nicht durch den Staat, sondern durch einen (privaten) Dritten entsteht; in beiden Fällen wird jedenfalls auch gegenüber dem Staat auf die eigene Freiheit verzichtet. Es darf aber keinen Unterschied machen, ob ich auf meine Freiheit dergestalt verzichte, dass einmal der Staat tätig werden und einmal der Staat untätig bleiben darf.1279 Dürfte auf staatlichen Schutz nicht verzichtet werden, würde dies wiederum die freiheitliche Selbstbestimmung des Einzelnen einschränken.1280 Damit gilt der Grundrechtsverzicht auch für staatliche Schutzpflichten. Problematisch am Grundrechtsverzicht ist jedoch sein fehlender Maßstab, aber auch seine Beziehung zur Rechtsordnung an sich. Zwar ist die Begründung seiner Zulässigkeit zunächst plausibel; zum Maßstab eines im Einzelfall zulässigen Verzichts kann jedoch aus dem GG nichts Konkretes gezogen werden. Es nimmt daher nicht Wunder, dass die Voraussetzungen eines solchen Grundrechtsverzichts besonders unklar sind.1281 Problemverstärkend kommt hinzu, dass der Grundrechtsverzicht einen teilweise systemfremden Wesenszug aufweist, der zwischen verschiedenen Freiheitsdimensionen eine Art Zwitterstellung einnimmt. Denn auf der einen Seite bedeutet nach hiesigem Verständnis Freiheit, auch auf seine Freiheit verzichten zu dürfen; gleichzeitig ist es für unsere gesellschaftlich-moralische Ordnung in bestimmten Fällen schwierig, einen Grundrechtsverzicht anzuerkennen, bilden insbesondere die Grundrechte – und die Verfassung insgesamt – doch eine Art grundlegende Werteordnung1282, auf die bei einem Grundrechtsverzicht ebenfalls verzichtet wird oder innerhalb derer im Zuge des Grundrechtsverzichts verschiedene Werte kollidieren können; die Freiheit kann also nur im Rahmen der herrschenden Wertevorstellung absolut regieren. Geht es um hochmoralische Themen, wird als Ausweg daher entweder die dem Verzicht zugrundeliegende Autonomie sachlich-inhaltlich eingeschränkt, indem der Grundrechtsverzicht etwa generell ausgeschlossen bleibt, oder die subjektive Fähigkeit des Betroffenen zu einem Grundrechtsverzicht pauschal in Frage 1278  Dabei wird die Ablehnung eines entsprechenden Grundrechtsverzichts mit der objektiv-rechtlichen Wirkung der grundrechtlichen Schutzpflichten begründet, so insbesondere Sturm (Fn. 1276), 197 f.; vgl. zur Gegenrede Michael / Morlok, Grundrechte, 6. Aufl. 2017, Rn. 536. 1279  Fischinger, Der Grundrechtsverzicht, in: JuS 2007, 808 (812). 1280  Insgesamt dazu auch Michael / Morlok (Fn. 1278). 1281  Vgl. dazu Bethge (Fn. 1275), 100 ff. 1282  Damit ist nicht der dogmatische Werteordnungsbegriff des BVerfG gemeint.



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gestellt. Wer nicht die moralisch richtige Entscheidung treffen kann, ist nicht in der Lage, hinreichend autonom zu handeln. Das Kollektiv gibt dann – innerhalb des genuin individuellen Freiheitsraums (!) – bestimmte Entscheidungen vor und bezeichnet dieses Vorgehen als „Schutz des Menschen vor sich selbst“.1283 Autonome Entscheidungen müssen also einen bestimmten qualitativen Standard erreichen, um autonomiewürdig zu sein. Besonders deutlich wird dieser Konflikt etwa in den hochmoralischen Fällen des Suizids, in denen die Freiheitsausübung in Form des Lebensverzichts besonders mit der moralischen Wertevorstellung vom Rang und der Bedeutung individuellen Lebens kollidiert: Entweder die Zulässigkeit des Suizids wird verneint (sachlich-inhaltliche Autonomiebeschränkung)1284 oder die Freiwilligkeit der Entscheidung wird mithilfe psychologischer Argumente bestritten (subjektive Autonomiebeschränkung)1285. In jedem Fall gilt, dass nach unserer Rechts- und Wertevorstellung die Autonomie des Einzelnen nicht absolut, sondern nur relativ sein kann. Die umfassende Autonomie steht damit unter einem Moralvorbehalt. In sensiblen oder komplexen Bereichen fällt es dann schwer, die staatliche Gewalt nicht zur Verteidigung der Werteordnung zu rufen. Aus diesem Grund überrascht es nicht, dass eine Grenze des Grundrechtsverzichts überwiegend in der Bedeutung des betroffenen Rechtsguts, in der Schwere des Eingriffs oder aber in der fehlenden Freiwilligkeit des Entschlusses gesehen wird.1286 Die Abwägung zwischen Freiheit und Werteordnung ergibt in diesen Fällen eben ein Überwiegen der Werteordnung, so dass ein Nichtanwenden der staatlichen Rechtsordnung als unerträglich angesehen und nur von einer eingeschränkten Autonomie ausgegangen wird.

dazu nur den gleichnamigen Titel von Hillgruber, 1992. Fabio, in: Maunz / Dürig (Begr.), GG, 43. Lfg. 2004, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Rn.  47 f.; Schwabe, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, in: JZ 1998, 66 (69); VG Karlsruhe, NJW 1988, 1536 (1537): „Wer das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG nicht für die Selbstentfaltung, sondern für die Zerstörung seiner eigenen menschlichen Existenz in Anspruch nehmen will, kann sich schwerlich auf das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit berufen. Das menschliche Leben stellt nämlich innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung nicht nur einen Höchstwert dar, es ist vielmehr die vitale Basis der Menschenwürde und die Voraussetzung aller anderen Grundrechte“; vgl. auch auf verwaltungsrechtlicher Ebene Schoch, Der Schutz privater Rechte im Polizei- und Ordnungsrecht, in: JURA 2013, 468 (474). 1285  Vgl. Reimer, Suizidbeihilfe – der verfassungsrechtliche Rahmen bundesgesetzlicher Regelungen, in: ZfL 2015, 66 ff.; Ach, Autonomer Suizid?, Preprints of the Centre for Advanced Study in Bioethics, 2011 / 20, 2011. 1286  Vgl. Kingreen / Poscher (Fn. 1275); Bethge (Fn. 1275), 109  ff.; Fischinger (Fn.  1279), 810 ff.; Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, 7. Aufl. 2014, vor Art. 1 Rn. 56; Michael / Morlok (Fn. 1278), 538. 1283  Siehe 1284  Di

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Aus diesem Grund ist in sachlicher Hinsicht der Grundrechtsverzicht zuzulassen.1287 Aus dem GG selbst ergeben sich keine Beschränkungen des Grundrechtsverzichts, sofern er nicht ausdrücklich für unzulässig erklärt wird oder andere Bindungen des Staates – wie beispielsweise das Rechtsstaatsprinzip – etwas Anderes fordern1288; insbesondere aber die Bedeutung des Rechtsguts oder die Intensität des Eingriffs sind erkennbar keine Grundrechtsverzichtshindernisse. Etwas anderes gilt allerdings für die Frage nach der Freiwilligkeit, also der subjektiven Autonomiefähigkeit, die zwar bereits als Verzichtsschranke eingesetzt wird und insoweit tatsächlich einen „Schutz des Menschen vor sich selbst“ generieren kann; anders als teilweise bislang angenommen, darf sie aber nicht als pauschales Korrektiv moralisch unliebsamer Entscheidungen fungieren, sondern bedarf der Prüfung zum einen im Einzelfall und zum anderen beschränkt alleine auf die subjektiven Voraussetzungen. Dabei müssen hinreichende Anhaltspunkte für ein Fehlen der subjektiven Autonomiefähigkeit vorliegen, es reicht nicht – wie etwa im Falle des Suizids –, vom Inhalt der Entscheidung auf eine fehlende Einsichtsfähigkeit zu schließen.1289 Auch für das Fehlen der Freiwilligkeit gelten folglich hohe Anforderungen. Dies liegt in der Bedeutung der Autonomie begründet: Freiheit heißt auch, auf Freiheit zu verzichten. Dagegen kann auch keine kollidierende Wertevorstellung, sei sie auch im GG angelegt, angeführt werden: Zur grundgesetzlichen Werteordnung gehört gerade die Autonomie, die Freiheit, die Selbstbestimmung – auch gegen herrschende Wert- und Moralvorstellungen. Ist jedoch für jeden Grundrechtsverzicht eine Einzelfallprüfung erforderlich, kann auf dieser abstrakten Ebene der freiwillige Abschluss des Arbeitsvertrags (noch) keinen Grundrechtsverzicht begründen. Denn entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalls: Wie viel Druck unterlag der Mitarbeiter beim Abschluss? Wie viele Alternativen hatte er? Wie dachte er tatsächlich über einen loyalitätsbedingten Grundrechtsverzicht? Eine abstrakte, d. h. pauschale Beurteilung eines Grundrechtsverzichts kann nicht erfolgen. Darüber hinaus ist zu sehen, dass die staatliche Gewalt Schutzpflichten nicht nur gegenüber dem einzelnen (ggf. verzichtenden) Mitarbeiter, sondern gegenüber allen einen Arbeitsvertrag mit kirchlichen Dienstgebern abschließenden Mitarbeitern zu erfüllen hat. Das bedeutet: Auf der hier abstrakten ersten Stufe der Anerkennung der Loyalitätspflicht griffe ein Grundrechtsverzicht im Endergebnis Michael / Morlok (Fn. 1278). darf beispielsweise der Staat aufgrund des Grundrechtsverzichts freilich nicht die Kompetenzordnung verlassen oder zwingende Verfahrensgrundsätze missachten, Michael / Morlok (Fn. 1278), 537; Bethge (Fn. 1275), 114 ff. 1289  So kann zum Beispiel eine sterbenskranke, aber psychisch gesunde Person den Selbsttot wünschen. Hier wäre kein objektiver Maßstab vorhanden, der dieser Person dies verwehren dürfte. 1287  Ähnlich 1288  So



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ohnehin nur dann, wenn pauschal alle Mitarbeiter mit dem Abschluss des Arbeitsvertrags zulässigerweise einen Grundrechtsverzicht erklären würden. Dies setzt aber wiederum eine Einzelfallprüfung voraus, so dass ein Grundrechtsverzicht auf abstrakter Ebene nicht geprüft werden kann. Ein Verzicht auf grundrechtlichen Schutz ist folglich nur in der konkreten Einzelbeziehung zwischen Bürger und Staat möglich und daher nur auf zweiter Prüfungsstufe relevant. Insgesamt schwächt das freiwillige Abschließen des Arbeitsvertrags zwar die Grundrechtsposition des betroffenen Mitarbeiters. Darin kann jedoch abstrakt weder ein Grundrechtsverzicht gesehen werden, noch fehlt die Möglichkeit, in Ansehung der konkreten Loyalitätspflicht die Freiwilligkeit des Mitarbeiters möglicherweise als geringgewichtig einzustufen. Allgemeine Aussagen können dementsprechend diesbezüglich nur in geringem Ausmaße getroffen werden. cc) Eingeschränkte kirchliche Selbstbestimmung wegen Daseinsvorsorge? Kirchliche Einrichtungen erfüllen nicht selten Aufgaben der Daseinsvorsorge, insbesondere im Bereich der Wohlfahrtspflege, die sich sozialen und gesundheitlichen Aufgabenfeldern verschrieben hat.1290 Problematisch und daher häufig diskutiert ist dabei der Umstand, dass über 90 % der hierfür notwendigen Kosten von der staatlichen Hand gedeckt werden.1291 Insoweit hört man häufig die Forderung nach einem stärkeren staatlichen Einfluss auf kirchliche Einrichtungen und ihre arbeitsrechtliche Praxis.1292 Daher könnte man über eine nur eingeschränkte kirchliche Selbstbestimmung zumindest in den Bereichen nachdenken, die entweder der sozialen Daseinsvorsorge zugeordnet oder besonders von staatlicher Finanzierung abhängig sind. Auch das BAG stellt bei seinem Vorlagebeschluss an den EuGH im Falle des gekündigten Chefarztes vorsichtig die Frage, „ob es von Bedeutung sein kann, wenn die betroffene Stelle nicht eigenfinanziert, sondern durch Dritte oder den Staat fremdfinanziert wird“.1293

1290  Zum Begriff der Wohlfahrtspflege nur Droege, Wohlfahrt, Wohlfahrtsstaat, in: Heun / Honecker / Morlok / Wieland (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, 4. Aufl. 2006, Sp. 2765 ff. 1291  Insbesondere Frerk, Violettbuch Kirchenfinanzen, 2010, S. 215 ff.; ders., Finanzen und Vermögen der Kirchen in Deutschland, 3. Aufl. 2004, S. 379 ff. 1292  Besonders populär dabei die Publikation von Müller, Gott hat hohe Nebenkosten, 5. Aufl. 2013. 1293  BAG, Beschl. v. 17.03.2016 – 8 AZR 501 / 14 (A), IV.2.

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So sehr die Forderung nach Berücksichtigung der immensen Fremdfinanzierung in der Öffentlichkeit besondere Aufmerksamkeit erhält, so sehr ist diese Erörterung nur verfassungs- respektive rechtspolitischer, nicht aber dogmatischer Art. Der Staat ist mangels grundgesetzlicher Vorgaben und Begrenzungen – etwa wie im Bereich des Eisenbahnwesens (Art. 87e GG) – frei in der Ausgestaltung der sozialen Daseinsvorsorge. War die Wohlfahrtspflege früher überwiegend in staatlicher Hand, hat sich der Gesetzgeber mittlerweile für die freie Wohlfahrtspflege entschieden, in der gemäß dem Subsidiaritätsprinzip gesellschaftliche Kräfte bei der sozialen Daseinsvorsorge Vorrang vor staatlicher Behandlung genießen.1294 Dies verstößt dabei nicht gegen verfassungsrechtliche Bestimmungen, etwa das Sozialstaatsprinzip.1295 Folglich ist es auch unerheblich, ob der Staat diesen Sektor finanziert oder subventioniert: Die Aufgabe, d. h. auch die Kompetenz, bleibt bei den privaten Wohlfahrtsverbänden und damit auch bei den kirchlichen Einrichtungen. Durch die staatliche Finanzierung wird die Wohlfahrtspflege nicht im Mindesten verstaatlicht oder staatsähnlich. Dogmatisch gibt es daher keinerlei Anknüpfungspunkte für eine schwächere Stellung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts. b) Die spezifische Argumentation Unter Berücksichtigung der soeben dargelegten allgemeingültigen Argumente kommen je nach Loyalitätspflicht auch zusätzlich spezifische Argumente in das Blickfeld. Dabei ist zwischen den einzelnen Loyalitätspflichten zu differenzieren.

1294  Siehe nur § 17 Abs. 1 SGB II, § 5 SGB VII, § 4 Abs. 2 SGB VIII, § 11 Abs. 3 GTK; vgl. auch Rock, Wohlfahrt im Wettbewerb, 2010, S. 18 ff.; Gerhard, Die Freie Wohlfahrtspflege – von Menschen für Menschen, 2. Aufl. 2014; Pfannendörfer, Die Freie Wohlfahrtspflege – von Menschen für Menschen, 2003; Vogt-Wuchter, Die freie Wohlfahrtspflege – ein Schwergewicht im sozialen Dienstleistungssektor, in: Neue Caritas 108 (2007), 28 ff. 1295  Im Gegenteil entspricht das Subsidiaritätsprinzip vielmehr dem freiheitlich gefassten Sozialstaatsprinzip, siehe BVerfGE 17, 38 (56); Gröschner, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Sozialstaat) Rn. 18: „Denn dem auf der prinzipiellen Freiheitsvermutung der grundgesetzlichen Ordnung beruhenden rechtsstaatlichen Vorrang des Selbstverständnisses des Grundrechtsträgers entspricht im sozialstaatlichen Bereich der Vorrang der Selbsthilfe“ (Herv. i.O.); ders., Der freiheitliche Staat des Grundgesetzes, 3. Aufl. 2016, S. 245 ff.; Zacher, Das soziale Staatsziel, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl. 2004, § 28 Rn. 33: „Primat der Selbstverantwortung“.



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aa) Das Verbot praktizierter Homosexualität Zunächst soll es um die Bewertung des Verbots praktizierter Homosexualität gehen. Dabei ist jedoch aufgrund des unterschiedlichen Begründungsmaßstabs, d. h. der unterschiedlichen Argumentationsausrichtung, zwischen einer freiheitsrechtlichen ([1.]) und einer gleichheitsrechtlichen ([2.]) zu unterscheiden. (1) Freiheitsrechtliche Bewertung Das Verbot praktizierter Homosexualität spielt dabei aus verschiedenen Gründen eine Sonderrolle, wie die nunmehr folgende Argumentation zeigt. Es wird sich dabei zeigen, dass eine Loyalitätspflicht dergestalt, die eigene Homosexualität nicht ausleben zu dürfen, verfassungsrechtlich unzulässig ist. Dabei ist grundsätzlich zu sehen, dass Homosexualität an sich und christlicher Glauben nicht miteinander unvereinbar sind, sondern sich gerade nicht ausschließen.1296 Es geht insbesondere der katholischen Kirche nicht um die Tatsache, dass jemand homosexuell ist, sondern darum, dass er seine Homosexualität auslebt und damit mit seinem Sexualverhalten für sich die Fortpflanzung ausschließt.1297 Es kann daher nicht pauschaliert davon ausgegangen werden, dass homosexuelle Personen den Arbeitsvertrag mit dem kirchlichen Dienstgeber nur der Arbeitsstelle wegen, sondern – ebenso wie andere Personen – gerade wegen ihres eigenen Glaubens abschließen.1298 Im ersten Falle hätte man ansonsten möglicherweise eine schwächere Grundrechtsposition zuerkennen können. 1296  Vgl. dazu insbesondere Goertz (Hrsg.), „Wer bin ich, ihn zu verurteilen?“ – Homosexualität und katholische Kirche, 2015. 1297  Hammer, Handbuch kirchliches Arbeitsrecht, 2002, S. 220 ff.; vgl. ausführlich zur Haltung der katholischen Kirche LAG Baden-Württemberg, NZA 1994, 416 (418 f.); Katechismus der Katholischen Kirche, 1997, Nr. 2358: „Sie (d. i. homosexuelle Männer und Frauen; VH) haben diese Veranlagung nicht selbst gewählt; für die meisten von ihnen stellt sie eine Prüfung dar. Ihnen ist mit Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen. Man hüte sich, sie in irgendeiner Weise ungerecht zurückzusetzen. Auch diese Menschen sind berufen, in ihrem Leben den Willen Gottes zu erfüllen und, wenn sie Christen sind, die Schwierigkeiten, die ihnen aus ihrer Veranlagung erwachsen können, mit dem Kreuzesopfer des Herrn zu vereinen. Homosexuelle Menschen sind zur Keuschheit gerufen. Durch die Tugenden der Selbstbeherrschung, die zur inneren Freiheit erziehen, können und sollen sie sich – vielleicht auch mit Hilfe einer selbstlosen Freundschaft –, durch das Gebet und die sakramentale Gnade Schritt um Schritt, aber entschieden der christlichen Vollkommenheit annähern“. Siehe dazu auch bereits oben S. 170 ff. 1298  Vgl. Gründel, Haben Homosexuelle Heimat in der Kirche?, in: Rauchfleisch (Hrsg.), Homosexuelle Männer in Kirche und Gesellschaft, 1993, 40 ff.

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Homosexualität1299 ist eine Form menschlicher Sexualität bzw. sexueller Orientierung, die entgegen früherer Ansichten keinen pathologischen Zustand, sondern eine natürliche Veranlagung darstellt.1300 Daraus – und das ist für den rechtlichen Umgang mit diesem Thema entscheidend – ist zu folgern, dass Homosexualität kein Ergebnis freiwilligen Entschlusses und damit für die Betroffenen unausweichlich ist.1301 Die sexuelle Veranlagung ist vielmehr ein Wesensteil der menschlichen Existenz und – da sie nicht nur zu Fortpflanzungs-, sondern auch zu Vergnügungszwecken ausgelebt wird – ein Moment der conditio humana.1302 Dabei wurde bereits herausgearbeitet, dass das aktive Ausleben der eigenen Sexualität grundsätzlich nur von der allgemeinen Handlungs- und Persönlichkeitsentwicklungsfreiheit, nicht aber vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschützt wird.1303 Durch die Bedeutung, Zuordnung und Wesensart der (Homo-)Sexualität zum Menschsein an sich liegt jedoch eine besondere Verbindung zur Menschenwürde gem. Art. 1 Abs. 1 GG nahe, die als objektivrechtliche1304 Maßgabe Einfluss auf grundrechtliche Bestimmungen – insbesondere auch in der Abwägung zwischen kollidierenden (Grund-)Rechten – auszuüben imstande ist. (a) Keine Beeinträchtigung der Menschenwürde Es stellt sich die schwierige Frage, ob durch die Loyalitätsforderung, die eigene (Homo-)Sexualität nicht auszuleben, die Menschenwürde berührt ist. Schwierig ist die Frage deshalb, weil der Rechtsbegriff der Menschenwürde insbesondere aufgrund seiner Vagheit und insbesondere seiner philosophischhistorisch-moralischen Aufladung keinen präzisen Inhalt aufweisen kann. Nicht ohne Grund wird bei der Ermittlung des Inhalts der Menschenwürde häufig von einem „metaphysischen Begründungsbrei“1305 oder von einem „Einfalltor für bestimmte Partikularethiken“1306 oder von einer „nicht inter1299  Zur Begriffsvielfalt insbesondere Risse, Der verfassungsrechtliche Schutz der Homosexualität, 1998, S. 18 ff. 1300  Freud, Die sexuellen Abirrungen, in: ders., Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, 2009 (4. Aufl. 1920), 37 (40 ff.); Haspel, Homosexualität (Th.), in: Heun / Hon­ ecker / Morlok / Wieland (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, 4. Aufl. 2006, Sp. 970; Green, Sexual Science and the Law, 1992, S. 63 ff.; dazu auch Risse (Fn. 1299), 21 ff. 1301  Risse (Fn. 1299), 22 f. 1302  Vgl. zum Begriff der conditio humana allgemein Hartmann, Einführung in die Philosophie, 4. Aufl. 1956, S. 107 ff. 1303  Siehe dazu bereits oben S. 170 ff. 1304  Zur Ablehnung der Grundrechtsqualität der Menschenwürde siehe bereits oben S.  179 ff. 1305  Hofmann, Die versprochene Menschenwürde, in: AöR 118 (1993), 353 (359); vgl. Teifke, Das Prinzip Menschenwürde, 2011, S. 35.



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pretierten These“1307 gesprochen. Die Vorschläge für ein bestimmtes Verständnis von Menschenwürde sind kaum überschaubar und bewegen sich zwischen dem Vorschlag, den Menschenwürdebegriff nicht zu definieren, sondern vom einzelfallbedingten Eingriff her abhängig zu machen,1308 und dem Vorschlag, die Würde des Menschen als Wert, als Gabe der Natur bzw. Gottes1309 oder als durch eigene menschliche Leistung hervorgebrachte (soziale) Achtung zu beschreiben1310. Das BVerfG neigt dabei mit der so genannten Objektformel1311 überwiegend zu einer Begriffsbestimmung ex negativo, nach der die Menschenwürde verletzt sei, sofern der Mensch „einer Behandlung ausgesetzt wird, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt, oder (…) Ausdruck der Verachtung des Wertes, der dem Menschen kraft seines Personenseins zukommt, also in diesem Sinne eine ‚verächtliche Behandlungʼ [ist]“.1312 Die Menschenwürde schütze danach stets vor jeder „Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung, Ächtung usw.“.1313 Allerdings 1306  Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 1 Rn. 51; Nettesheim, in: Die Garantie der Menschenwürde zwischen metaphysischer Überhöhung und bloßem Abwägungstopos, in: AöR 130 (2005), 71 (83 ff.). 1307  Zu diesem Zitat von Heuss: von Doemming / Füßlein / Matz (Hrsg.), Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, in: Häberle (Hrsg.), JöR n. F. 1 (1951), 2. Aufl. 2010, S. 49; vgl. auch Gröschner, Menschenwürde und Sepulkralkultur in der grundgesetzlichen Ordnung, 1995, S. 27 ff.; vgl. auch Dreier (Fn. 1306), 53 f.; Teifke (Fn. 1305), 33. Goos, Innere Freiheit – eine Rekonstruktion des grundgesetzlichen Würdebegriffes, 2009, S. 73 f., legt jedoch überzeugend dar, dass sich diese These Heuss’ nicht auf den Inhalt, sondern auf die Begründung der Menschenwürde bezog, in dessen Augen die Menschenwürde also kein naturrechtliches oder anderweitig in Rechten begründetes Recht ist. 1308  Dazu Höfling, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 1 Rn. 14 f.; Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 1 Rn. 22; so auch BVerfGE 30, 1 (25). 1309  So genannte Mitgifttheorie, siehe Ottmann, Die Würde des Menschen – Fragen zu einem fraglos anerkannten Begriff, in: Beaufort (Hrsg.), Rationalität und Prärationalität – Festschrift für Alfred Schöpf, 1998, 167 (176); vgl. auch Heinig, Menschenwürde (J.), in: Heun / Honecker / Morlok / Wieland (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, 4. Aufl. 2006, Sp. 1520 f.; Hofmann (Fn. 1306), 361; Dreier (Fn. 1306), 57. 1310  Luhmann, Grundrechte als Institution – ein Beitrag zur politischen Soziologie, 4. Aufl. 1999, S. 60 ff.; Krawietz, Gewährt Art. 1 Abs. 1 GG dem Menschen ein Grundrecht auf Achtung und Schutz seiner Würde?, in: Wilke (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Friedrich Klein, 1977, 245 (245 ff.); vgl. Dreier (Fn. 1306), 58; Teifke (Fn. 1305), 47 f. 1311  Diese Formel geht in Anlehnung an das von Immanuel Kant entwickelte In­ strumentalisierungsverbot auf die Kommentierung Dürigs zu Art. 1 GG zurück, siehe Dürig, in: Maunz / ders. (Hrsg.), GG, Grundwerk, Art. 1 Abs. 1 Rn. 28; vgl. auch Dreier (Fn. 1306), 55; Hufen, Staatsrecht II, 4. Aufl. 2014, § 10 Rn. 30. 1312  BVerfGE 30, 1 (26). 1313  BVerfGE 1, 97 (104); vgl. auch Benda, Menschenwürde und Persönlichkeitsrecht, in: ders. / Maihofer / Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl. 1994, § 6 Rn. 15.

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könne diese Formel wegen ihrer allgemein gehaltenen Formulierung nicht absolut gelten, sondern bedürfe der Konkretisierung im Einzelfall.1314 Problematisch an allen Auffassungen ist jedoch nicht nur, dass der Maßstab ihrer Begründung zweifelhaft ist, sondern auch, dass der Umgang mit ihnen aufgrund ihrer Vagheit und Ungenauigkeit im Einzelfall schwierig ist.1315 Für die hier aufgeworfene Frage bedarf es jedoch keiner tiefgehenden Klärung des Menschenwürdebegriffs, abgesehen davon, dass ein solches Vorgehen den hier gespannten Rahmen der Arbeit sprengen würde. Denn unabhängig davon, was genau unter der Menschenwürde zu verstehen ist, bleibt es unstreitig, dass die Menschenwürde als „tragendes Konstitutionsprinzip“1316 tatsächlich nur die grundlegenden Angriffe gegen das Menschsein zu umfassen imstande ist. Die Menschenwürde ist kein Grundrecht, sondern Grund der Grundrechte, die rechtlich-ideelle Basis menschlichen Freiheits- und Gleichheitsschutzes.1317 Daher kann sie keine Fälle umfassen, die bereits vollumfänglich von den Grundrechten geschützt sind. Die Menschenwürde trifft dabei eine weitaus tiefere Schicht staatlicher Eingriffe, die nicht nur die Freiheit an sich beschneiden, sondern grundlegend den Betroffenen das Menschsein, den „Kern der menschlichen Persönlichkeit“1318 absprechen.1319 Ist die Menschenwürde die Basis jeglichen grundrechtlichen Schutzes, müssen Beeinträchtigungen der Menschenwürde das Recht der Betroffenen, wegen des Menschseins Freiheit und Gleichheit zu genießen, missachten. Andernfalls käme es zu einer nicht legitimen Trivialisierung des Art. 1 Abs. 1 GG, bei der 1314  BVerfGE 30, 1 (25 / 26): „Offenbar läßt sich das (d. i. die Verletzung der Menschenwürde; VH) nicht generell sagen, sondern immer nur in Ansehung des konkreten Falles. Allgemeine Formeln wie die, der Mensch dürfe nicht zum bloßen Objekt der Staatsgewalt herabgewürdigt werden, können lediglich die Richtung andeuten, in der Fälle der Verletzung der Menschenwürde gefunden werden können. Der Mensch ist nicht selten bloßes Objekt nicht nur der Verhältnisse und der gesellschaftlichen Entwicklung, sondern auch des Rechts, insofern er ohne Rücksicht auf seine Interessen sich fügen muß. Eine Verletzung der Menschenwürde kann darin allein nicht gefunden werden“. Vgl. auch Heinig (Fn. 1309), 1518 f. 1315  Heinig (Fn. 1309), 1518, spricht von „anmutiger Unbestimmtheit“; Teifke (Fn.  1305), 33 ff.; Dreier (Fn. 1306), 52; Höfling (Fn. 1308), 9. 1316  BVerfGE 61, 126 (137); E 96, 375 (399): st. Rspr.; Isensee, Würde des Menschen, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. 4, 2011, § 87 Rn. 93; vgl. auch Heinig (Fn. 1309), 1518; Teifke (Fn. 1305), 76 f., der viele weitere Betitelungen anführt. 1317  Vgl. dazu bereits oben S. 179 ff. 1318  Hufen (Fn. 1311), 15. 1319  Dies verkennt bspw. das BAG, NJW 1957, 1688 (1690), wenn es behauptet: „Die Würde des Menschen erfordert es, daß er selbst darüber entscheiden kann, wie er sein Leben gestaltet“. Hier werden besonderer Freiheitsschutz und Grund des allgemeinen Freiheitsschutzes unzulässig vermengt.



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 347

die Menschenwürde zu einem „Allesproblemlöser“1320 gezüchtet würde. Die Illegitimität einer solchen Degradierung der Menschenwürde ergibt sich dabei – und das sei eigens betont – nicht aus einem reinen Verfassungspragmatismus, der wegen der möglichen1321 Nichtabwägbarkeit der Menschenwürde ein zu weites um sich greifendes „Alles-oder-Nichts“-Schema verhindern möchte, sondern alleine aus den dogmatischen Befunden über die Stellung der Menschenwürde im GG: Die Menschenwürde ist von den Vätern und Müttern des GG als Grund der Menschenrechte angesehen und damit auf einer tieferen Basisschicht als die Menschenrechte positioniert worden; sie soll(te) eine deutliche Abwendung vom menschenverachtenden Leitbild der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft vollziehen und mithin ein allgemeines – freiheitliches – Menschenbild in der Verfassung und darüber hinaus in der Gesellschaft installieren. Damit ist es aber nicht vereinbar, wenn beispielsweise die Pflicht zum Tragen der anwaltlichen Amtstracht, das Verbot der Unfallflucht oder das Vorlegen von Spesenbelegen als für die Menschenwürde relevante Kategorien angesehen werden.1322 Beeinträchtigungen der Menschenwürde müssen folglich Zweifel am gesamten grundgesetzlichen Menschenbild hervorrufen, soll die Menschenwürde entgegen der Intention ihrer Schöpfer nicht zur „kleinen Münze“1323 verkommen. Die Menschenwürde betrifft damit nur 1320  Dreier

(Fn. 1306), 51. ist es bislang (noch) herrschende Meinung, dass die Menschenwürde nicht abwägungsfähig sei, also Eingriffe in sie nicht rechtfertigungsfähig seien, doch die Gegenansicht zugunsten einer Abwägungsfähigkeit der Menschenwürde wächst. Siehe gegen die Abwägungsfähigkeit nur BVerfGE 75, 369 (380); Höfling (Fn. 1308), 10 f.; Dreier (Fn. 1306), 46, 128 ff.; Ladeur / Augsberg, Die Funktion der Menschenwürde im Verfassungsstaat, 2008, S. 10; Hillgruber, Grundrechtlicher Schutzbereich, Grundrechtsausgestaltung und Grundrechtseingriff, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 9, 3. Aufl. 2011, § 200 Rn. 30 ff.; Heun, Embryonenforschung und Verfassung – Lebensrecht und Menschenwürde des Embryos, in: JZ 2002, 517 (518). Für die Abwägungsfähigkeit dagegen Baldus, Menschenwürdegarantie und Absolutheitsthese, in: AöR 136 (2011), 529 (529 ff.); Kloepfer, Leben und Würde des Menschen, in: Badura (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Bd. 2, 2001, 77 (96 ff); Herdegen, in: Maunz / Dürig (Begr.), GG, 55. Lfg. 2009, Art. 1 Rn. 73 ff.; ders., Die Menschenwürde im Fluss des bioethischen Diskurses, in: JZ 2001, 773 (774 ff.); Suchomel, Partielle Disponibilität der Würde des Menschen, 2010, S. 112 ff.; Teifke (Fn. 1305), 154 f., der die Abwägungsfähigkeit überwiegend mit der Prinzipientheorie begründet (109 ff.). Vgl. zu diesem Problem insgesamt Gröschner / Lembcke (Hrsg.), Das Dogma der Unantastbarkeit – eine Auseinandersetzung mit dem Absolutheitsanspruch der Würde, 2009; Stern, Menschenwürde, in: Kube / Mellinghoff / Morgenthaler / Palm / Puhl / Seiler (Hrsg.), Leitgedanken des Rechts zu Staat und Verfassung (Studienausgabe), 2015, § 16 Rn. 28. 1322  BVerfGE 2, 292 ff.; E 16, 191 ff.; E 26, 14 ff.; Beispiele nach Dreier (Fn. 1306), 49 m. w. N. 1323  Dürig, Zur Bedeutung und Tragweite des Art. 79 Abs. 3 GG des Grundgesetzes (ein Plädoyer), in: Spanner (Hrsg.), Festgabe für Theodor Maunz, 1971, 41 (43); 1321  Zwar

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dasjenige Verhalten, welches das Menschsein in seiner Allgemeinheit angreift oder ablehnt, und ist alleine vom herrschenden Menschenbild an sich und nicht von schwankenden und sich laufend wechselnden moralischen Wertungen und gesellschaftlichen Verhältnissen abhängig: Die Menschenwürde fasst all das zusammen, auf dem das Menschenbild des GG aufbaut und das als Grundlage unserer freiheitlichen Gemeinschaft keinesfalls gesellschaftlichmoralischen Schwankungen unterworfen sein darf. Die Menschenwürde ist also kein „Lückenfüller“, der geänderten moralischen Vorstellungen einen rechtsdogmatischen Platz einräumt, oder auch nicht die „Grundnorm guter Ordnung des Gemeinwesens“1324, keine „politische Option für oder gegen gewisse epochale Entwicklungen“1325. Vielmehr dient die Menschenwürde gerade dem Schutz des Menschen vor Angriffen gegen seinen Status als Mensch und ist die Garantie der Freiheits­gewährung an sich. Bei Anwendung dieser – grundlegenden – Voraussetzungen des Umgangs mit der Menschenwürde ergibt sich bereits, dass eine Verletzung der Menschenwürde durch eine entsprechende Loyalitätspflicht im Bereich praktizierter Homosexualität nicht anzunehmen ist. Parallel gesprochen für den Fall, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht als einschlägig gesehen wird, bedeutet das, dass nicht der unantastbare (von der Menschenwürde beschriebene) Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt ist. Zwar könnte man zunächst in Anlehnung an die nicht wenigen Stimmen in Wissenschaft und Politik, die eine Verletzung der Menschenwürde durch die Bestrafung homosexueller Handlungen (vgl. § 175 StGB a. F.) bejahen, die Überlegung anstellen, dass Betroffene – wie es das BVerfG in der so genannten „Inzest“-Entscheidung1326 ausführte – nicht in „eine mit der Achtung der Menschenwürde unvereinbare ausweglose Lage versetzt werden“ dürfen.1327 Insofern läge es nahe – analog zu der Bestrafung praktizierter Homosexualität –, auch bei kirchenrechtlicher Loyalitätspflicht die Entstehung eines Zustands zu bejaebenso Herdegen (Fn. 1321), 44; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3 / 1, 1988, S. 30; vgl. Dreier (Fn. 1306), 49. 1324  Enders, „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – die Leitidee des Grundgesetzes und ihr europäisches Schicksal, in: Masing / Wieland (Hrsg.), Menschenwürde – Demokratie – Christliche Gerechtigkeit, 2011, 9 (14); vgl. auch Dreier (Fn. 1306), 51. 1325  Dreier (Fn. 1306), 51. 1326  BVerfGE 120, 224 ff. 1327  Burgi, Rehabilitierung der nach § 175 StGB verurteilten homosexuellen Männer – Auftrag, Optionen und verfassungsrechtlicher Rahmen, 2016, S. 88 (mit Verweis auf BVerfGE 120, 224 [243]), der dies zwar im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts behauptet, aber diese Behauptung ausschließlich auf den Menschenwürdegehalt dieses „i.  V. m.“-Grundrechts bezieht („Aber auch unter einem zweiten Blickwinkel ist ein Menschenwürdeverstoß durch die Sanktionierung der sog. einfachen Homosexualität anzunehmen“, 88).



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 349

hen, in dem die Betroffenen nicht in der Lage wären, „ihre homosexuelle Orientierung auszuleben, und (…) somit vor die Wahl gestellt [sind], entweder ihren sexuellen Bedürfnissen völlig zu entsagen oder sich strafbar zu machen. Ihr Recht auf Sexualität [wird] (…) zur Gänze negiert“.1328 Auch wenn die sachlich-tatsächliche Richtigkeit der angeführten Aussagen und Überlegungen nicht anzuzweifeln ist, begründen diese aus zwei Gründen (noch) keine Beeinträchtigung der Menschenwürde: Einmal ergibt sich der Unterschied, dass die Strafbewährung praktizierter Homosexualität im Sinne des § 175 StGB a. F. ohne Zutun der Betroffenen gilt, während im Falle der Loyalitätspflichten sich die betroffenen Mitarbeiter freiwillig der genannten Einschränkung unterwerfen. Es besteht also an sich keine ausweglose Lage, in der die betroffenen Homosexuellen keine Wahlmöglichkeiten mehr haben, zumal jede Kündigung den Ausweg aus der Loyalität bedeutet. Zweitens – und das erscheint ein gewichtigeres Argument zu sein – kann zwar der unbedingte Wunsch des Mitarbeiters, für einen kirchlichen Dienstgeber tätig zu sein, in Verbindung mit der natürlichen Veranlagung, seine Homosexualität auszuleben, zu einer äußerst schwierigen und für die Betroffenen kaum mit Auswegen versehenen Zwangslage führen. Durch das Verlangen einer entsprechenden Loyalität seitens des kirchlichen Dienstgebers wird allerdings kein die Menschenwürde beeinträchtigender, da nicht die Subjektqualität und das Menschsein absprechender Umstand begründet. Das Nichtausleben der Homosexualität wird also nicht „gefordert“, weil die (ausgelebte) Homosexualität nicht als Moment menschlicher Existenz, als „unwürdig“ oder als einem Menschen nicht entsprechend angesehen und deklariert würde. Vielmehr wird die Auslebung der Homosexualität als zu berücksichtigendes Moment des Menschseins akzeptiert, auch wenn ihre Auslebung aufgrund ihrer fehlenden Fortpflanzungszweckrichtung gegen geltende Glaubensinhalte verstößt. Mit anderen Worten: Aus der – seitens des Staates nicht zu bewertenden – Sicht der Kirche sind homosexuelle Handlungen nicht wegen einer entsprechenden Wertung als unmenschlich, sondern wegen innerhalb des Glaubenssystems geltender „rationaler“ Gründe unzulässig. Dies mag zwar – insbesondere aus (säkularer) Sicht der Mehrheitsgesellschaft – als unmoralisch und als dem Menschen einen wichtigen Teil seiner Persönlichkeit absprechend angesehen werden.1329 Allerdings darf die Menschenwürde 1328  Burgi

(Fn. 1327). zeigt sich insbesondere daran, dass nicht selten im politischen Bereich der Verstoß gegen die Menschenwürde ohne Begründung festgestellt wird und die meisten Ausführungen dabei die geänderte Wertevorstellung innerhalb der Gesellschaft betreffen, vgl. BT-Drs. 17 / 4042, S. 1; BT-Drs. 17 / 10841, S. 2; BT-Drs. 14 /  4894, S. 4; BR-Drs. 189 / 15, S. 2 f.; Bruns, Die strafrechtliche Verfolgung homosexueller Männer in der BRD nach 1945, in: Berliner Senatsverwaltung für Arbeit, Inte­ gration und Frauen (Hrsg.), § 175 StGB – Rehabilitierung der nach 1945 verurteilten homosexuellen Männer, 2012, 26 ff. 1329  Dies

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nicht als Korrektiv geänderter gesellschaftlicher Verhältnisse und moralischer Vorstellungen fungieren; im Gegenteil: Die Menschenwürde ist gerade die feste, unumstößliche und absolute Größe, die gegen geänderte Vorstellungen und Verhältnisse immun ist und das Grundgerüst des grundgesetzlichen Menschenbilds gerade unabhängig von sich ändernden Wertvorstellungen verkörpert und gleichzeitig festigt. Auch wenn das Ergebnis sympathisch sein mag, die Einschätzung, die Verpflichtung, seine Homo­sexualität nicht auszuleben, scheint überwiegend auf einem aktuellen Moral- und Verwerflichkeitsurteil zu gründen, nicht zuletzt weil bis vor wenigen Jahrzehnten sogar die Strafbarkeit homosexueller Handlungen gerade auch wegen der gesellschaftlichen Akzeptanz als verfassungskonform angesehen wurde.1330 Ist die Menschenwürde gerade von entsprechenden Überlegungen und Urteilen unabhängig, darf sie nur vor „reinen“ Menschenverachtungen schützen, die jederzeit und unabhängig von schwankenden Moralvorstellungen das Menschsein an sich und damit den Grund, dass es Menschenrechte überhaupt gibt, angreifen.1331 Eine solche menschenverachtende Haltung kann den Kirchen und damit auch dem Staat, der die entsprechende Haltung der Kirchen akzeptiert, nicht zugeschrieben werden. Alles andere würde der Bedeutung und der Stellung der Menschenwürde nicht gerecht.1332 1330  BVerfGE

6, 389 ff. weiteres Indiz dafür, dass es sich bei der Beurteilung der Homosexualität überwiegend nicht um den Kernbereich des Menscheins, sondern um eine moralischgesellschaftliche Bewertung handelt, ist, dass es andernfalls schwierig sein dürfte, Pädophilie oder Inzest nicht als Beeinträchtigung der Menschenwürde anzuerkennen. Zwar werden hierbei insoweit möglicherweise Positionen Dritter (mit) berührt; allerdings geht die Argumentation zugunsten des Menschenwürdeeingriffs nur auf Argumente ein, die sich nicht nur für die Homosexualität, sondern auf sämtliche Formen der Sexualität beziehen. 1332  Vgl. Krieg / Wieckhorst, Bewältigung gravierenden Unrechts im demokratischen Rechtsstaat, in: Der Staat 54 (2015), 539 (542 f.), die aus vergleichbaren Gründen einen Menschenwürdeverstoß auch bei Strafbewährung praktizierter Homosexualität höchstens im Einzelfall anerkennen wollen. Im Ergebnis auch Gärditz, Stellungnahme, in: BT-Drs. 17 / 4042 und BT-Drs. 17 / 10841, 2013, S. 6 (abrufbar unter: http: /  / webarchiv.bundestag.de / archive / 2013 / 0611 / bundestag / ausschuesse17 / a06 / an hoerungen / archiv / 48_Rehabilitierung_und_Entsch__digung / 04_Stellungnahmen /  Stellungnahme_G__rditz.pdf), der eine Banalisierung der Menschenwürde befürchtet. So weit soll nach der hier vertretenen Ansicht allerdings nicht gegangen werden, da zum einen sich die Ausführungen allein auf die Strafbarkeit homosexueller Handlungen beziehen, zum anderen selbst bei loyalitätsbedingter Sanktion praktizierter Homosexualität die Bedeutung und Schwere der Loyalitätspflichten nicht verkannt sein sollen. Allerdings basiert das kirchenrechtliche Verbot praktizierter Homosexualität nicht auf menschenverachtenden Gründen, sondern auf vom Staat nicht zu bewertenden „rationalen“ Glaubensinhalten, die gerade die Achtung homosexueller Menschen fordern. Darüber hinaus basiert die These, die Pflicht zur Nichtauslebung der eigenen Homosexualität beeinträchtige die Menschenwürde, überwiegend auf schwankenden 1331  Ein



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(b) Art. 2 Abs. 1 GG Auch wenn die angestellten Überlegungen eine Beeinträchtigung der Menschenwürde oder des unantastbaren Kernbereichs privater Lebensführung nicht begründen können, kann mit ihnen ein besonders schwerer Eingriff in das Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung gem. Art. 2 Abs. 1 GG angenommen werden, der in Abwägung mit dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht nicht gerechtfertigt werden kann.1333 Dies ergibt sich aus den nachfolgenden Argumenten. (aa) S  ozialpsychische Bewertung der Loyalitätspflicht als Basis der Intensitätsbewertung Die Sexualität ist ein besonders wichtiger Teil der Persönlichkeitsentwicklung und ihre Auslebung nicht nur Ausdruck der eigenen Persönlichkeit, sondern ein kaum selbst zu steuerndes, da biologisch-hormonell1334 vorgegebenes Moment menschlicher Lebensart.1335 Die Sexualität ist ungeachtet ihrer Ausrichtung1336 ein besonderer Bestandteil der Identität.1337 Gleichzeitig ist die Sexualsphäre ein „zentraler und zugleich [der; VH] intimste(r) Ort personaler Selbstverwirklichung“ und der Eingriff in diese damit ein besonders schwerer.1338 Entscheidend für die Beurteilung einer die Praktizierung der Homosexualität verbietenden Loyalitätspflicht ist dabei, dass die betroffene Person diesen Tatbestand, also die eigene Sexualität nicht selbst steuern kann; ein Mensch kann selbst nicht beeinflussen, moralischen Vorstellungen, von denen der Menschenwürdegehalt jedoch gerade unabhängig ist. 1333  Vgl. auch Gärditz (Fn. 1332), der überwiegend auf Art. 2 Abs. 1 GG abstellt. 1334  Vgl. Burr, Du bist, was du bist – die genetische Basis der sexuellen Orientierung, 1997. 1335  Roughgarden, Evolution’s rainbow – diversity, gender, and sexuality in nature and people, 2004. 1336  Freud (Fn. 1300), 37 ff., unterscheidet hier zwischen Abweichungen von der gesellschaftlichen Normalität hinsichtlich des Sexualobjekts sowie des Sexualziels. Im letzteren Falle geht es – unabhängig von der sexuellen Orientierung – um abnormale sexuelle Praktiken (sog. Perversionen) wie beispielsweise Voyeurismus, Fetischismus oder Sadomismus. Im ersten Fall geht es dagegen um die Identität des Objekts, auf das die sexuelle Erregung zielt, und damit um Fragen der Homosexualität, der Bisexualität oder der Pädo- oder Ephophilie. 1337  Vgl. Hill, Soziale Umwelt und sexuelle Identitätsbildung, in: Duttge / Engel / Zoll (Hrsg.), Sexuelle Identität und gesellschaftliche Norm, 2010, 37 ff.; Plett, Begrenzte Toleranz des Rechts gegenüber individueller sexueller Identität, in: Duttge / Engel / Zoll (Hrsg.), Sexuelle Identität und gesellschaftliche Norm, 2010, 53 ff. 1338  Burgi (Fn. 1327), 89; vgl. BVerfGE 96, 56 (61).

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ob er homo- oder heterosexuell ist.1339 Daraus folgt natürlich auch, dass die Auslebung der eigenen Sexualität durch die sexuelle Orientierung vorprogrammiert und gesteuert ist. Die Unterscheidung zwischen dem Umstand, homosexuell zu sein, und dem Umstand, homosexuell zu leben, kann daher die Intensität des Eingriffs nicht abmildern, beides ist untrennbar miteinander verbunden. Hinzu kommt, dass gerade nicht nur die praktizierte Homosexualität, sondern bereits das öffentliche Bekennen zur eigenen Homosexualität den Loyalitätsbruch begründen kann. Folglich kann nicht hinreichend zwischen „homosexuell sein“ und „homosexuell leben“ unterschieden werden. Die entsprechende Loyalitätspflicht bedeutet tatsächlich nichts Anderes als eine Zölibatsklausel.1340 Die Folge für den betroffenen Mitarbeiter ist, entweder der eigenen Natur widerstrebend die Homosexualität nicht auszuleben, oder seine sexuelle Orientierung sowie entsprechende Handlungen zu verbergen. Die Pflicht zur Unterdrückung der eigenen Sexualität ist dabei eine besonders harte und persönlichkeitsmissachtende Aufgabe und stellt einen besonders „schweren und unerträglichen Eingriff“ dar.1341 Gerade wegen des biologisch determinierten Zwangs, die eigene Sexualität auszuleben,1342 wird den meisten Betroffenen jedoch ohnehin nur letztere Möglichkeit übrig bleiben. Dies bedeutet aber einen nicht unerheblichen Druck für die Betroffenen, wenn sie einen wichtigen Teil ihrer Persönlichkeit, auf den sie selbst keinen Einfluss haben, verbergen müssen, um ihren Arbeitsplatz zu behalten. Die Sexualität ist zentraler Bestandteil des menschlichen Lebenswandels und von nicht zu unterschätzender Bedeutung auch für das psychische Wohl und damit die leibliche Integrität. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Unterdrückung der eigenen Sexualität zu psychischen und daraus folgend möglicherweise auch physischen Problemen führen und die körperliche Unversehrtheit der Betroffenen beeinträchtigen kann – ganz abgesehen von dem möglicherweise verinnerlichten Bild, ein nicht beeinflussbarer Tatbestand des eigenen Selbst sei sündig.1343 Dies belegt auch eine sozialtheoretisch wie sozialpsychologisch fundierte Rückkoppelung der Situation auf der Metaebene: Homosexualität ist – unabhängig ihres gesellschaftlichen Standes und der gesellschaftlichen Positionen in Bezug auf sie – in kirchlichen Einrichtungen aufgrund der kirchenrechtlich beBurr (Fn. 1334). auch Hammer (Fn. 1297), 220 f., Fn. 111. 1341  VG Frankfurt, Urt. v. 25.11.2005 – 6 E 1715 / 04.A (1), S. 8, mit Verweis auf VG Gießen, NVwZ-Beilage 1999, 119 ff.; vgl. Burgi (Fn. 1327), 89. 1342  Vgl. Bancroft, Grundlagen und Probleme menschlicher Sexualität, 1985, S.  79 ff., 162 ff. 1343  Zum Verhältnis von unterdrückter Sexualität und körperlich-psychischer Integrität allgemein Göth / Kohn, Sexuelle Orientierung, 2014, S. 16 ff. 1339  Vgl. 1340  So



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gründeten Ablehnung ihrer Auslebung eine „negative Abweichung der tatsächlichen Identität von dem normativen Identitätsstandard“ (d. i. dem Normalen) und damit ein Stigma.1344 Auch hier ist die Unterscheidung zwischen „homosexuell sein“ und „die eigene Homosexualität ausleben“ ohne Belang, da beides untrennbar miteinander verknüpft ist und das öffentliche Bekennen, also die Kenntlichmachung der tatsächlichen Identität, ebenfalls seitens der Kirche als unzulässig angesehen wird. Als Folge daraus ergibt sich, dass der kirchliche Dienstgeber de facto die Heterosexualität als normativen Identitätsstandard installiert. Durch eine Differenz zwischen tatsächlicher Identität (Ist-Identität) und seitens des Arbeitgebers entwickelter erwarteter – d. h. „normaler“ – Identität (Soll-Identität) handelt es sich bei von Stigmata betroffenen Personen um solche mit „beschädigter Identität“, bei denen eine Spannung zwischen dem „Ich-Ideal“ und dem „Ich“ zu beobachten ist.1345 Infolge dieser entstandenen Spannung bedarf es jedoch seitens der Personen mit beschädigter Identität eines „Spannungsmanagements“, also eines Umgangs mit diesem Stigma. Dabei kann grundsätzlich zwischen der Situation, in der das Stigma Dritten bekannt, und der Situation, in der das Stigma Dritten unbekannt ist, unterschieden werden.1346 Für die Fälle homosexueller Mitarbeiter trifft in der Regel nur letztere Situation zu, müssen die Betroffenen doch versuchen, ihre Neigung geheim zu halten. Es handelt sich also um diskreditierbare Personen, die alles daran setzen müssen, ihre das Stigma begründende Identität zu verschleiern.1347 Darin liegt allerdings gleichfalls eine Intensivierung des Eingriffs begründet: Zwar bedeutet bereits die Notwendigkeit eines Spannungsmanagements an sich einen Eingriff in die Persönlichkeitsfreiheit, sind die Betroffenen aufgrund des Stigmas gezwungen, mit einer ihrer Identität innenwohnenden Eigenschaft nach außen hin umzugehen, und zwar auch dann, wenn sie sich und ihre das Stigma begründende Eigenschaft akzeptieren. Dabei sind die Betroffenen jedoch grundsätzlich frei in der Wahl ihrer Managementinstrumente – sie können sich auch für ein „Coming Out“ entscheiden.1348 Im 1344  Goffman, Stigma – über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität, 21. Aufl. 2012; vgl. dazu auch von Engelhardt, Ervin Goffmann: Stigma – über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität, in: Jörissen / Zirfass (Hrsg.), Schlüsselwerke der Identitätsfoschung, 2010, 123 ff. 1345  So bereits der Untertitel bei Goffman (Fn. 1344); ebenso von Engelhardt (Fn. 1344), 129; vgl. Gugutzer, Leib, Körper und Identität – eine phänomenologischsoziologische Untersuchung zur personalen Identität, 2002, S. 38 ff. 1346  Goffman (Fn. 1344), 12, 56 ff.; vgl. von Engelhardt (Fn. 1344), 135 ff. 1347  Goffman (Fn. 1344), 94 ff., sieht ebenfalls die Hauptmöglichkeit des Informationsmanagements bei Diskreditierbaren im „Täuschen“. 1348  Goffman (Fn. 1344), 56 ff., nennt es auch „Informationsmanagement“: „Das entscheidende Problem ist es nicht, mit der Spannung, die während sozialer Kontakte erzeugt wird, fertig zu werden, sondern eher dies, die Information über ihren

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Bereich kirchlicher Dienstverhältnisse ist jedoch selbst diese Freiheit den Betroffenen insoweit genommen, als dass sie – wollen sie ihren Arbeitsplatz behalten – gezwungen sind, den die Sexualität betreffenden Teil ihrer Identität zu verdecken. Sie müssen ihre Ich-Identität, ihre tatsächliche Identität verleugnen und sind damit keineswegs frei in ihrer Selbstverwirklichung. Für die Anerkennung der Homosexualität als Moment der eigenen Identität ist allerdings entscheidend, dass Dritte davon Kenntnis haben.1349 Daher birgt das Spannungsmanagement erhebliche Gefahren, die nicht nur allgemein die Selbstverwirklichung und die Selbstidentität erschweren, sondern gar in einer möglichen Identitätsblockade gipfeln können.1350 Auch in der psychologischen Forschung ist längst bekannt, dass die Triebunterdrückung, das „Sich-Verstecken“ nicht nur subjektiv als belastend empfunden wird, sondern zu einem geringeren Selbstwertgefühl sowie zu einer Zunahme innerer Anspannung und dadurch zu einer signifikant erhöhten Anzahl an psychischen Krankheiten führt.1351 Dies wird freilich dadurch verschärft, dass die betroffenen Mitarbeiter die freie Wahl der Methode des „Coming-Out“ mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes bezahlen müssen. Damit bedeuten die die Auslebung der und das Bekennen zur eigenen Homosexualität verbietenden Loyalitätspflichten das Leugnen der eigenen Identität, des Selbst, und tragen enorm zu einer Erhöhung des nicht ungefährlichen so genannten „Minoritätenstresses“ bei, also dem deutlich erhöhten Stress beim Umgang mit auf Stigmata beruhenden Diskriminierungen, der eine kaum nachzuvoll-

Fehler zu steuern. Eröffnen oder nicht eröffnen; sagen oder nicht sagen; rauslassen oder nicht rauslassen; lügen oder nicht lügen (…)“; vgl. von Engelhardt (Fn. 1344), 136 ff. 1349  Dazu insbesondere Plöderl, Sexuelle Orientierung, Suizidalität und psychische Gesundheit, 2004; ders. / Kralovec / Fartacek / Fartacek, Homosexualität als Risikofaktor für Depression und Suizidalität bei Männern, in: Blickpunkt der Mann 2009, 28 ff. 1350  Vgl. dazu insbesondere Cass, Homosexual identity information – A theoretical model, in: Jorunal of Homosexuality 4 (1979), 219 ff., die anhand sechs Phasen die Entwicklung einer homosexuellen Person bis zu ihrem „Coming Out“ darstellt und in jeder Phase aufgrund äußerer Faktoren – insbesondere die Interaktion des Individuums mit seiner Umgebung – die Möglichkeit einer Identitätsblockade annimmt. 1351  Grundlegend zur Triebunterdrückung als Ursache für Neurosen Freud, Die Zukunft einer Illusion, 1927; Bochow, Zur Situation schwuler Männer in Klein- und Mittelstädten und im ländlichen Raum – Lebensverhältnisse und Bewältigungsstrategien, in: Ferdinand / Pretzel / Seeck (Hrsg.), Verqueere Wissenschaft? Zum Verhältnis von Sexualwissenschaft und Sexualreformbewegung in Geschichte und Gegenwart, 2. Aufl. 2005, 159 ff.; Fiedler, Sexuelle Orientierung und sexuelle Abweichung – Heterosexualität, Homosexualität, Transgenderismus und Paraphilien, sexueller Missbrauch, sexuelle Gewalt, 2004, S. 173 ff.; Plöderl (Fn. 1349), 43 ff.



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 355

ziehende Belastung für die Betroffenen zur Folge hat.1352 Dagegen könnte zwar eingewandt werden, dass das Arbeitsrecht in den Kirchen nicht der einzige Faktor dieses Stigmas darstelle, sondern ein entsprechender „Minoritätenstress“ bereits durch die gesellschaftliche Stigmatisierung begründet werde. Dagegen muss jedoch angeführt werden, dass das kirchenspezifische Arbeitsrecht dieses – möglicherweise (noch) in der Gesellschaft bestehende – Stigma in seinem Anwendungsbereich auf das Arbeitsleben erstreckt und durch die Koppelung mit dem Erhalt des Arbeitsplatzes insbesondere wegen der Einschränkung eines freien Spannungs- und Informationsmanagements nicht unerheblich intensiviert. Daneben wird das Stigma durch die entsprechenden Regelungen im Kirchenrecht und im Arbeitsvertrag nicht nur formalisiert, sondern organisatorisch gefestigt. Erlaubt der Staat den Kirchen, eine entsprechende Loyalität zu fordern, trägt er damit unmittelbar durch sein Unterlassen zu dem die Persönlichkeit schadenden und Identitätsprobleme hervorrufenden Schadensmanagement bei. Mit anderen Worten: Durch das Untätigbleiben des Staates werden nicht nur die Persönlichkeitsentwicklungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), sondern im Zuge des mit dem Informationsmanagement verbundenen Stresses auch die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) mittelbar beeinträchtigt. Zwar könnte man hiergegen einwenden, dass dies eine Frage des Einzelfalls sei, da es auch Betroffene gebe, die keine psychischen Störungen entwickeln. Allerdings ist hier klar hervorzuheben, dass die Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit unabhängig von psychisch-pathologischen Zuständen bereits in dem Tatbestand des erhöhten Minoritätenstresses zu sehen ist. Es kann nicht angezweifelt werden, dass für jeden betroffenen homosexuellen Mitarbeiter die Notwendigkeit des Informationsmanagements eine psychische Belastung und Herausforderung ist, die das körperliche Wohlbefinden nicht unerheblich beeinträchtigt, zumal vom Gelingen des Informationsmanagements der Erhalt des Arbeitsplatzes und damit die Gewährleistung eigener Existenzsicherung abhängen. (bb) F  reiwilligkeit der Mitarbeiter und die Glaubwürdigkeit der Kirche als Kontrapunkte Die entscheidende Frage ist, ob soeben festgestellte Schwere des Eingriffs in die Persönlichkeitsentwicklungsfreiheit sowie in die körperliche Unversehrtheit durch die entgegenstehenden Kriterien der Glaubwürdigkeit der 1352  Dazu insbesondere auch Langner, Beschädigte Identität – Dynamiken des sexuellen Risikoverhaltens schwuler und bisexueller Männer, 2009, S. 46 ff.; Meyer, Prejudice, social stress, and mental health in lesbain, gay, and bisexual populations – Conceptual issues and research evidence, in: Psychological Bulletin 129 (2003), 674 ff.; Göth / Kohn (Fn. 1343), 28 ff.

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

Kirche sowie der Freiwilligkeit des Vertragsschlusses ausgeglichen werden kann. Dies beruht auf einer Wertung des Eingriffs, bei der insbesondere der Umstand, dass die betroffenen Mitarbeiter sich der Loyalität freiwillig verpflichtet haben, eine besondere Rolle zu spielen scheint. Dennoch kann die Freiwilligkeit, soll es eine „wirkliche“ Abwägung sein, kein Ausschließlichkeitskriterium sein, das gleich einer Lawine sämtliche entgegenstehenden Argumente überdeckt.1353 Entscheidend ist dabei nicht nur, dass es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt, sondern insbesondere auch um eine Bewertung der Eingriffsumstände. Folgende Überlegungen sind dabei zu berücksichtigen: Zunächst einmal ist zu sehen, dass eine die Auslebung der und die Bekennung zur Homosexualität verbietende Loyalitätspflicht nicht den Randbereich, sondern geradezu einen Kernbereich der Persönlichkeit umfasst, auch wenn es sich nicht um den Kernbereich im Sinne der Menschenwürde handelt.1354 Wie schon ausgeführt, gehört die sexuelle Orientierung zum innersten Bereich der eigenen Identität und ist an Höchstpersönlichkeit nicht zu übertreffen. Folglich hilft die sozialpsychische Begutachtung nicht nur, um die Intensität des Eingriffs, sondern auch den entgegenstehenden Aspekt der Freiwilligkeit zu bewerten: Je mehr ein personaler Kernbereich berührt ist, desto unglaubwürdiger, zumindest aber desto geringgewichtiger erscheint die Freiwilligkeit der Identitätsunterdrückung oder Identitätsleugnung. Zwar unterdrücken Menschen in den verschiedensten alltäglichen Situationen freiwillig einen Teil ihrer Identität zugunsten Anderer. Sobald eine solche Aufopferung jedoch den Kernbereich der Persönlichkeit berührt, ist es nicht nur schwer, in einer solchen das eigene Wesen leugnenden partiellen Selbstaufgabe eine umfassende Freiwilligkeit zu sehen, sondern auch fraglich, inwiefern die betroffene Person angesichts einer biologischen Determination des Selbst dauerhaft dazu imstande ist. Es ist nicht verwunderlich, dass ein betroffener homosexueller Mitarbeiter – auch aus Glaubensgründen – zunächst versucht, keusch zu leben. Schafft er es allerdings nicht, kann ihm aber insbesondere auch wegen der nur schwer möglichen Steuerung des Loyalitätsverstoßes nicht die Freiwilligkeit seines Versprechens entgegengehalten werden. Eine – wenn auch nur faktische – Zölibatsklausel verlangt ein kaum mögliches Unterdrücken der eigenen Triebe, der eigenen Veranlagung und der eigenen Natur. Dasselbe gilt für den Fall, in dem der betroffene Mitarbeiter von Anfang an die keusche Lebensführung in der Hoffnung abgelehnt hat, seinem kirchlichen Dienstgeber bleibe sein Lebens1353  Ähnlich Budde (Fn. 1208), 358 f.; Groh, Einstellungs- und Kündigungskriterien kirchlicher Arbeitgeber vor dem Hintergrund des § 9 AGG, 2009, S. 159; Ruland, Die Sonderstellung der Religionsgemeinschaften im Kündigungsschutzrecht und in den staatlichen Mitbestimmungsordnungen, in: NJW 1980, 89 (93); anders hingegen Lodemann (Fn. 1102), 69 ff. 1354  Vgl. dazu bereits oben S. 186 ff., 179 ff.



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 357

wandel unbekannt. Hier ist zwar der Vertragsbruch mit anderen Worten von Beginn an in Kauf genommen. Aber auch hier kann dem Betroffenen nicht vorgehalten werden, er habe „vertragswidrig“ nicht auf einen elementaren Teil seiner Identität verzichtet. Darüber hinaus sind bei einer fehlenden oder kaum vorhandenen Steuerbarkeit des von der Loyalitätspflicht geforderten Verhaltens die zeitliche und räumliche Dimension des Eingriffs von Bedeutung. Die Loyalität trifft den Mitarbeiter nicht nur in seiner Gänze, sondern auch dauerhaft. Die sexuelle Orientierung ist kein Schalter, den man an- und wieder ausschalten kann, sie ist ein basales Persönlichkeitsmoment. Damit ist der Mitarbeiter jede Sekunde und an jedem Ort von dieser Loyalitätspflicht umfasst und kann ihr – außer freilich durch Kündigung – nicht entrinnen. Angesichts dessen, dass er selbst kaum Einfluss auf den Tatbestand nehmen kann, wiegen diese Umstände besonders schwer. Damit lässt sich zusammenfassen, dass die auf das Verbot homosexueller Praktiken ausgerichtete Loyalitätspflicht einen den Kernbereich der Persönlichkeit betreffenden, dauerhaften, umfassenden und besonders stigmatisierenden Eingriff in die Freiheitsrechte der betroffenen Mitarbeiter bedeutet. Aufgrund einer Gesamtbeurteilung anhand dieser genannten Kriterien ergibt sich, dass auch die an sich hoch einzustufende Glaubwürdigkeit und der besondere Umstand der Freiwilligkeit des Vertragsschlusses die Schwere des Eingriffs samt seiner besonderen Begleitumstände nicht zu rechtfertigen vermögen. Mit den Grundrechten der Mitarbeiter ist es nicht vereinbar, eine Pflicht zu installieren, die entweder in die Unterdrückung elementarer und kaum zu steuernder Triebe oder aber in die Leugnung eines zentralen Teils der eigenen Persönlichkeit mündet. Der Mensch ist nur bis zu einem bestimmten Teil formbar; ihm können keine Pflichten auferlegt werden, die seiner innersten Identität widersprechen, ohne dass er seine Persönlichkeit negiert. (c) Art. 6 Abs. 1 GG Schwieriger zu beurteilen ist die Frage des Eingehens einer gleichgeschlechtlichen Ehe. Dies betrifft den Fall, dass die Loyalitätspflicht zwar nicht das Ausleben der Homosexualität (dies ist ja gerade unwirksam), gleichwohl aber das Eingehen der (gleichgeschlechtlichen) Ehe verbietet. Zwar greifen auch hier die Überlegungen hinsichtlich der Steuerbarkeit des eigenen Verhaltens, der Freiwilligkeit der Übernahme der Loyalitätspflicht sowie der hohen Bedeutung des ehelichen Sakraments, das kirchlicherseits eine gleichgeschlechtliche Ehe nicht anerkennt. Anders als beim Ausleben der Homosexualität geht es hier aber nicht mehr (nur) um das reine Ausleben eines Verlangens, sondern tiefgreifender um die öffentliche Geltendmachung

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

der Bindung an einen anderen geliebten Menschen. Gerade dies ist aber für das Eheschließen über das starke Recht aus Art. 6 Abs. 1 GG besonders geschützt; erlaubt der Staat also eine entsprechende Loyalitätspflicht, nimmt er billigend in Kauf, dass die betroffenen Grundrechtsträger trotz des besonderen staatlichen Schutzes und der besonderen Förderung der öffentlich wirksamen Ehe entgegen ihrem Wunsch auf die Eingehung einer Ehe verzichten. Eine Wertung des Eingriffs in Art. 6 Abs. 1 GG muss dabei jedoch berücksichtigen, dass der Wunsch, eine Ehe einzugehen, zwar besonders geschützt und Ausdruck der eigenen Persönlichkeit ist. Gleichwohl gehört dies jedoch nicht zum absoluten Kernbereich der eigenen Identität, ist doch der formelle Akt der Eheschließung kein für die Persönlichkeit unabdingbares, elementares und konstitutives Moment. Das Kriterium der Freiwilligkeit des Verzichts spielt folglich hier ebenfalls eine gehobene Rolle. Die Einhaltung der Loyalität ist frei steuerbar und kein Moment der Unterdrückung elementarer Persönlichkeitsbereiche. Dagegen kann auch nicht eingewandt werden, die Loyalität wirke umfassend und dauerhaft. Auch wenn dies zutrifft, ist zu berücksichtigen, dass eine dauerhafte Selbstbeschränkung, solange sie freiwillig erfolgt und insofern keine grundlegenden Persönlichkeits- und Identitätsprobleme in sich birgt, im Vergleich zu einer temporären oder partiellen Selbstbeschränkung die Eingriffsbedeutung nur unwesentlich erhöht. In jedem Fall kann sie angesichts der Glaubwürdigkeit, der besonderen Bedeutung des Ehesakraments und der Freiwilligkeit der Loyalitätsunterwerfung eine verfassungsrechtliche Unzulässigkeit des Verbots der gleichgeschlechtlichen Heirat nicht begründen. (d) Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wegen der fehlenden persönlichen Verantwortung des Betroffenen und der hohen Bedeutung der Sexualität im Allgemeinen für die Persönlichkeit und deren Entwicklung durch die die Auslebung der Homosexualität verbietende Loyalitätspflicht ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Persönlichkeitsentwicklungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) vorliegt, der auch in Ansehung des Zwecks – Schutz der Glaubwürdigkeit und damit Gewährleistung der Geltung kirchlicher Moralnormen – als verfassungswidrig einzustufen ist. Die abstrakte Vereinbarung einer entsprechenden Loyalitätspflicht ist folglich unzulässig. Auch das Recht kann keinem auferlegen, sich selbst bzw. einen Teil von sich aufzugeben oder zu leugnen und naturwidrig zu handeln. Etwas Anderes gilt, sofern „nur“ das Schließen einer gleichgeschlecht­ lichen Ehe untersagt wird. Wegen des fehlenden Bezugs zum Intim- und Kernbereich der Persönlichkeit kann hier der Eingriff in Art. 6 Abs. 1 GG gerechtfertigt werden.



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 359

(2) Gleichheitsrechtliche Bewertung Unabhängig von einer freiheitsrechtlichen Unzulässigkeit einer die praktizierte Homosexualität verbietenden Loyalitätspflicht verbleibt eine gleichheitsrechtliche Bewertung. Nach verfassungsrechtlichem Maßstab wurde bereits festgestellt, dass homosexuelle Mitarbeiter kirchlicher Dienstgeber zum einen anders behandelt werden als homosexuelle Mitarbeiter weltlicher Arbeitgeber und zum anderen anders behandelt werden als heterosexuelle Mitarbeiter kirchlicher Arbeitgeber und damit eine zweifache Ungleichbehandlung gegeben ist, die allerdings keine Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG berührt, sondern dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) zuzuordnen ist.1355 (a) Bedingungen der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung Auch wenn textlich nicht ersichtlich, ist eine Ungleichbehandlung nicht stets verfassungswidrig, sondern kann „gerechtfertigt“ werden – oder mit den Worten des BVerfG: Nur eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem ist eine verfassungswidrige Diskriminierung.1356 Dabei stellt sich nun die Frage, was die korrekten Maßstäbe einer solchen Wesentlichkeitsprüfung sind. Nach der Rechtsprechung des BVerfG kommt es darauf an, ob zwischen den verglichenen Gruppen „Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können“.1357 Entscheidend ist also, dass die rechtliche Differenzierung und die tatsächlichen Unterschiede im Verhältnis zueinander stehen.1358 Dabei ist hier ohnehin modifizierend zu beachten, dass es um die Rechtfertigung eines staatlichen Unterlassens geht, da der Staat – und hierbei insbesondere der Gesetzgeber – entsprechende Ungleichbehandlungen durch Dritte zulässt respektive nicht verhindert. Entsprechend der Schutzpflichtdogmatik kommt es also auf eine Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips an, das schwerpunktmäßig nach einer Zweck-Mittel-Relation fragt, also danach, ob die 1355  Siehe

dazu oben S. 191 ff. Der allgemeine Gleichheitssatz als Methodennorm komparativer Systeme – methodenrechtliche Analyse und Fortentwicklung der Theorie der „beweglichen Systeme“ (Wilburg), 1997, S. 226 ff.; Podlech, Gehalt und Funktionen des allgemeinen verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes, 1971, S. 64 ff.; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 3 Rn. 25. Der Vorteil dieser Konstruktion ist freilich, dass es nicht dem allgemeinen – freiheitsrechtlichen – Schutzbereich-Eingriff-Rechtfertigungsschema entspricht und insoweit die ansonsten notwendige Frage nach den Schranken ausspart. Siehe dazu auch bereits oben S. 191 ff. 1357  So genannte „neue Formel“: BVerfGE 55, 72 (88); siehe auch Hufen (Fn. 1311), § 39 Rn. 16. 1358  Vgl. Huster, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), GG, Stand: Mai 2018, Art. 3 Rn. 73 f. 1356  Michael,

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

durch das staatliche Untätigsein ermöglichte konkrete Ungleichbehandlung im Verhältnis zu dem durch das Unterlassen begünstigten Rechtsgut steht.1359 Hierbei ist natürlich ebenso entscheidend, welches Differenzierungskriterium verwendet wird und wo dieses im Spannungsfeld zwischen Gleichbehandlung und Differenzierung zu verorten ist. Um die wertungsbasierte Verortung des Differenzierungskriteriums zu erleichtern, haben Rechtsprechung und ihr folgend die Literatur eine „dogmatische“ Hilfestellung eingebaut, nach der insbesondere solche Differenzierungskriterien die Anforderungen an die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung stark erhöhen, die personenbezogen sind und sich insoweit den Merkmalen des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG annähern.1360 Denn in diesen Fällen käme es zu zwangsläufigen Diskriminierungen bestimmter die Minderheit bildender Personengruppen, die es zu verhindern gelte.1361 Im Sinne einer methodischen Selbstreflexion ist freilich zu sehen, dass Grundlage dieser „Je-destoFormel“1362 nicht die Verfassung selbst, insbesondere nicht die systematische Beziehung zwischen Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 S. 1 GG sein kann, sondern nur der Drang zu einer rationaleren Kategorisierung und Systematisierung der Argumentation.1363 Die Nähe des Differenzierungskriteriums zu Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG erhöht damit die Rechtfertigungsanforderungen nicht deshalb, weil das GG dies so vorsieht oder erkennen lässt, sondern weil mit diesem Kriterium als Argument die Intensität der Ungleichbehandlung – oder in diesem Fall des staatlichen Unterlassens – deutlich höher eingestuft werden kann. Die hinter der Rechtfertigung stehende Wertentscheidung wird mithilfe dieses Kriteriums transparenter, konkreter und argumentativ stichhaltiger, wenn nicht zuletzt mit Art.  3 Abs.  3 S.  1 GG eine „verfassungsrechtliche 1359  Damit erübrigt sich der Streit um die Frage nach der Möglichkeit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung, d. h. einer Zweck-Mittel-Relation bei Ungleichbehandlungen, da durch das im Wege des Unterlassens bedingte Begünstigen eines bestimmten Rechtsguts in jedem Fall ein „externes“ Ziel mit der Ungleichbehandlung (respektive mit dem entsprechenden staatlichen Unterlassen) verfolgt wird (dazu insbesondere Huster [Fn. 1358], 72 ff.). Zur allgemeinen Schutzpflichtdogmatik und insbesondere zur Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf Schutzpflichten siehe oben S.  233 ff. 1360  BVerfGE 88, 87 (96); E 97, 169 (181); E 124, 199 (219): „Die Anforderungen bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen sind umso strenger, je größer die Gefahr ist, dass eine Anknüpfung an Persönlichkeitsmerkmale, die mit denen des Art. 3 Abs. 3 GG vergleichbar sind, zur Diskriminierung einer Minderheit führt“; Kischel, in: Epping / Hillgruber, BeckOK GG, Stand: November 2018, Art. 3 Rn. 129 ff. 1361  BVerfGE 124, 199 (220 ff.); E 126, 400 (414 ff.). 1362  BVerfGE 96, 1 (6); Boysen, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 3 Rn. 105. 1363  Boysen (Fn. 1362), 104: „Dahinter ist das Bemühen zu erkennen, die den Gesetzgeber verpflichtenden Kontrollmaßstäbe des Gleichheitssatzes auszudifferenzieren und durch Fallgruppenbildungen operabel und damit vorhersehbar zu machen“.



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 361

Wertentscheidung“1364 nutzbar gemacht wird. Hinter dem Argument des personalen Bezugs der Differenzierung steckt nämlich die Wertentscheidung, dass Ungleichbehandlungen, auf die die Betroffenen keinen Einfluss haben, besonders ungerecht und hart sind und eine Diskriminierung insbesondere von Minderheiten legitimieren, die gesellschaftlich-politisch unerwünscht ist. Auch wenn der Rechtsprechung insoweit zuzustimmen ist, dass personenbedingte Differenzierungen tatsächlich die Intensität der Ungleichbehandlung erhöhen, ist stets zu beachten, dass dies nur ein argumentatives Kriterium und kein objektiver Maßstab ist; das gilt insbesondere in den Fällen, in denen eine Unterscheidung zwischen personenbezogenen und verhaltensbezogenen Ungleichbehandlungen nicht oder kaum zu treffen ist,1365 so dass dann nicht versucht werden sollte, auf Kosten der Rationalität und der Stichhaltigkeit der Argumentation den Sachverhalt zwanghaft unter diesen konstruierten Maßstab zu subsumieren. Auch wenn teilweise vertreten wird, eine Kündigung wegen praktizierter Homosexualität sei keine personenbedingte, sondern eine verhaltensbedingte Kündigung,1366 was ebenfalls auch nur eine verhaltensbedingte Ungleichbehandlung zur Folge hätte, ist von einer personenbedingten Kündigung auszugehen. Grundlage ist hier zunächst die kirchenrechtliche Differenzierung zwischen der Veranlagung und der Auslebung der Homosexualität, wonach mit Letzterem nur ein Verhalten abgelehnt und insoweit sanktioniert wird.1367 Auch wenn dies zunächst stichhaltig erscheint, ist zu sehen, dass die Auslebung der Sexualität untrennbar mit der Sexualität an sich verknüpft ist; eine Ablehnung der Auslebung einer bestimmten Sexualität kann nicht erfolgen, ohne die betroffene Sexualität insgesamt abzulehnen; daran ändert auch nichts, dass Anknüpfungspunkt für die Sanktion nur das Ausleben der Sexualität ist, da Anknüpfungspunkt und Ablehnung nicht notwendigerweise deckungsgleich sein müssen. Darüber hinaus wird gerade die Auslebung der Heterosexualität nicht sanktioniert, die Auslebung der Homosexualität hingegen schon, weswegen objektiv betrachtet eigentlicher Differenzierungspunkt gerade nicht die Auslebung, sondern die sexuelle Orientierung und damit die 1364  BVerfGE

10, 59 (67). ist auch die Hustersche Kritik an der herrschenden Dogmatik, siehe Huster (Fn. 1358), 97 ff. 1366  So insbesondere Thüsing, Religion und Kirche in einem neuen Anti-Diskriminierungsrecht, in: JZ 2004, 172 (179), nach dem keine Kündigung wegen der sexuellen Orientierung vorliege; ArbG Stuttgart, NZA-RR 2011, 407 (407); Joussen, Die Folgen der europäischen Diskriminierungsverbote für das kirchliche Arbeitsrecht, in: RdA 2003, 32 (37 f.); Kamanabrou, Die arbeitsrechtlichen Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, in: RdA 2006, 321 (328); vgl. Pallasch, Homosexualität als Kündigungsgrund, in: NZA 2013, 1176 (1178). 1367  Insbesondere Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2358 ff.; siehe dazu auch bereits oben S. 170 ff. 1365  Dies

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

Sexualität an sich ist.1368 Die Sexualität an sich ist jedoch kaum beeinflussbar und insoweit, da identitätsstiftend,1369 personenbedingt. Unabhängig davon, ob man die Intensität der Ungleichbehandlung wegen der sachlichen Nähe der sexuellen Orientierung zu den Merkmalen in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG als hoch einschätzt, sind vorliegend die Rechtfertigungsanforderungen an die Ungleichbehandlung als besonders hoch einzustufen.1370 Denn eine Strukturähnlichkeit der sexuellen Orientierung zu den Merkmalen des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG ergibt sich – wie schon gezeigt1371– zwar bereits daraus, dass die Homosexualität ebenfalls wie die entsprechenden Merkmalen des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG eine besonders beliebte Grundlage für die besonderen Diskriminierungen im Dritten Reich war.1372 Entscheidend für die Beurteilung der Intensität sind aber gerade der Personenbezug und dadurch die Unbeeinflussbarkeit des Kriteriums. Dadurch dass die sexuelle Orientierung ein unabänderliches konstitutives Persönlichkeitsmoment ist,1373 werden Homosexuelle in kirchlichen Einrichtungen aus Gründen einer höchstpersönlichen, nicht beeinflussbaren Eigenschaft anders behandelt. Es handelt sich um eine schwerwiegende Ungleichbehandlung, die nur zugunsten eines besonders wichtigen Rechtsguts von der Verfassung gedeckt sein kann.1374 Die Strukturnähe zu den Merkmalen des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG ist folglich dem Grunde nach unerheblich, macht aber das Gewicht des Arguments deutlich und bedeutet daher eine gewisse Hilfestellung. Häufig wird eine Ungleichbehandlung auch deshalb als personenbezogen und infolgedessen als schwerwiegend angesehen, weil durch sie der Freiheitsgebrauch massiv beeinträchtigt wird.1375 Dafür spricht zwar, dass die 1368  So auch Pallasch (Fn. 1366); Däubler, Das kirchliche Arbeitsrecht und die Grundrechte der Mitarbeiter, in: RdA 2003, 204 (208). 1369  Siehe dazu bereits oben S. 351 ff. 1370  So insgesamt BVerfGE 124, 199 (220 ff.); E 126, 400 (416 f.); vgl. Kischel (Fn. 1360), 130; Risse (Fn.  1299), 154 ff., 157 ff. 1371  Siehe dazu bereits oben S. 191 ff. 1372  Dazu insbesondere Risse (Fn. 1299), 137 f. 1373  Siehe dazu bereits oben S. 351 ff. 1374  Huster (Fn. 1358), 100 ff. 1375  So insbesondere BVerfGE 88, 87 (97): „Überdies sind dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers um so engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann“; E 90, 46 (56); E 112, 164 (174); E 130, 131 (142 f.). Weitere Nachweise auch bei Huster (Fn. 1358), 109; Rohloff, Das Zusammenwirken von Allgemeinem Gleichheitssatz und Freiheitsgewährleistungen – eine Untersuchung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 1992, S. 33 ff.; vgl. auch Heun (Fn. 1356), 38; vgl. allgemein dazu Hofmann, Grundrechtskonkurrenz oder Schutzbereichsverstärkung? – die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum „additiven“ Grundrechtseingriff, in: AöR 133 (2008), 523 ff.



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 363

Frage nach einer (un-)zulässigen (Un-)Gleichbehandlung wertungsbezogen ist und insoweit durch die freiheitsrechtlichen Wertungen des Grundgesetzes beeinflusst wird.1376 Problematisch ist dies aber nicht nur deshalb, weil zumindest bei bestimmten Freiheitsrechten eher eine verhaltens- als eine personenbedingte Ungleichbehandlung anzunehmen ist,1377 sondern auch, weil Freiheitsrechte und Gleichheitsrechte unterschiedliche Zweckrichtungen aufweisen. Während Freiheitsrechte danach fragen, wie weit der Raum zulässigen Handelns einer natürlichen oder juristischen Person reicht, und damit personenbezogen arbeiten, untersuchen Gleichheitsrechte gesellschaftsbezogen, inwieweit Unterschiede zwischen Personen und Gruppen bestehen und diese Anlass für entsprechende staatliche Handlungen geben. Auf die Frage des Verbots der Homosexualität in kirchlichen Einrichtungen gewendet: Im Rahmen der freiheitsrechtlichen Bewertung stellt sich die Frage, wie weit ein Mitarbeiter seine Sexualität ausleben darf (personenbezogen), während die gleichheitsrechtliche Prüfung sich danach richtet, inwieweit die sexuelle Orientierung es rechtfertigt, homosexuelle Gruppen arbeitsrechtlich anders zu behandeln (gesellschaftsbezogen). Dabei zeigt sich, dass zumindest grundsätzlich unterschiedliche Aspekte eine Rolle spielen: In der freiheitsrechtlichen Bewertung ist entscheidend, wie belastend der zwanghafte Nichtgebrauch der Freiheit für den Betroffenen ist, während die gleichheitsrecht­liche Prüfung den Fokus darauf legt, ob die Homosexualität angesichts tatsächlicher Unterschiede zwischen beiden Gruppen homosexueller Mitarbeiter ein angemessenes Differenzierungskriterium darstellt. Auch wenn es zunächst nahe liegt, die Bedeutung der Auslebung der sexuellen Orientierung für die Persönlichkeitsentwicklung heranzuziehen, wie sie für eine freiheitsrechtliche Bewertung zwangsläufig entscheidend ist. Als Kriterium spielt sie bei einer gleichheitsrechtlichen Bewertung keine Rolle, da diese nur das Verhältnis zwischen dem Differenzierungskriterium und den relevanten Unterschieden zu begutachten imstande ist.1378 Würden nunmehr freiheitsrechtliche Bewertungen in die gleichheitsrechtliche Prüfung miteinfließen, würden diese unterschiedlichen Blickwinkel verwischt und es ergäbe sich de facto eine einzige gemeinsame Prüfung.1379 Dies entspricht aber nicht der verfas1376  Vgl. Huster (Fn. 1358), 110, der eine Beeinflussung der Freiheitsbeeinträchtigung zwar sieht, dies jedoch nicht pauschal als besonderes Kriterium heranziehen möchte. 1377  Zum Beispiel bei Art. 12 Abs. 1 GG, 14 Abs. 1 GG; dazu auch Boysen (Fn.  1362), 107 f. 1378  Insbesondere Huster (Fn. 1358), 73 ff. 1379  Etwas Anderes kann freilich nur gelten, wenn ein Freiheitsrecht zwar thematisch berührt, aber nicht beeinträchtigt ist (so Boysen [Fn. 1362], 108), oder in einem Fall ein Eingriff in ein Freiheitsrecht bejaht, in einem vergleichbaren Fall hingegen verneint wurde (so Huster [Fn. 1358], 110).

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

sungsrechtlichen Ausrichtung, die gerade zwischen Freiheit und Gleichheit differenziert. Folglich kann die Unzulässigkeit der Ungleichbehandlung nicht damit begründet werden, dass die Nichtauslebung der eigenen Sexualität besonders persönlichkeitsbeschränkend sei, befände man sich doch ansonsten ausnahmslos in einer freiheitlichen Perspektive.1380 Vielmehr kommt es darauf an, ob das Differenzierungskriterium der sexuellen Orientierung angesichts des Ziels der Ungleichbehandlung angemessen ist.1381 (b) U  ngleichbehandlung von homosexuellen kirchlichen und homosexuellen weltlichen Mitarbeitern Klar ist, dass eine Ungleichbehandlung wegen der sexuellen Orientierung seitens des Staates zumindest in den Fällen, in denen Drittinteressen (z. B. Adoption) nicht berührt werden, keinesfalls angemessen sein kann, fehlt es hier doch zum einen an relevanten tatsächlichen Unterschieden als auch angesichts des Personenbezugs des Kriteriums an angemessenen Zwecküber­ legungen.1382 Im Bereich des kirchenspezifischen Arbeitsrechts kommt aber eine Besonderheit hinzu: das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gem. Art. 137 Abs. 3 WRV. Dieses legitimiert die Kirchen geradezu, aus Glaubensgründen Sachverhalte selbständig und damit anders als in der weltlichen Sphäre zu regeln. Das bedeutet, dass sich angesichts des Vergleichs zwischen weltlicher und kirchlicher Sphäre eine Ungleichbehandlung geradezu zwingend ergeben muss. Eine Diskriminierung zwischen kirchenrechtlich Betroffenen und weltlich Betroffenen ist damit natürliches und konstitutives Merkmal für religions- bzw. kirchenrechtlich modifizierte Bereiche. Allerdings hat – wie Art. 137 Abs. 3 WRV zeigt – auch das Recht zur Ungleichbehandlung in Ansehung entgegenstehender Rechtsgüter Grenzen, hier in Gestalt des allgemeinen Rechts der Mitarbeiter auf Gleichbehandlung. Dieses kann hier aber nicht überwiegen. Nicht nur dass die Ungleichbehandlung zwischen kirch­licher und weltlicher Sphäre allen Sachverhalten des Art. 137 Abs. 3 WRV immanent ist und insoweit der Regelungsgehalt des Art. 3 Abs. 1 GG durch Art. 137 Abs. 3 WRV einschränkend modifiziert wird. Im Bereich der 1380  So aber Risse (Fn. 1298), 137 ff., der zumindest die Strukturähnlichkeit der sexuellen Orientierung mit den Merkmalen aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG mit der „Begründung einer Sphäre äußerster Privatheit“ (139) und die „Vermeidung von Desozialisation“ (139) sowie mit der „Triebhaftigkeit der Persönlichkeitsentfaltung“ (140) begründet. Allerdings ist Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG ebenfalls ein (besonderes) Gleichheitsrecht und daher ohne freiheitsrechtliche Perspektive versehen. 1381  Vgl. Boysen (Fn. 1362), 102 ff.; Heun (Fn. 1356), 26 ff.; Huster (Fn. 1358), 75 ff. 1382  BVerfGE 124, 199 (220 ff.); E 126, 400 (416 f.); vgl. Kischel (Fn. 1360), 130.



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 365

Loyalitätspflichten ist auch zu sehen, dass es um das Gut der Glaubwürdigkeit der Kirchen sowie ihrer Glaubensnormen geht, dem allgemein nicht unerhebliches Gewicht beizumessen ist.1383 Dies reicht bereits aus, um die Verfassungsmäßigkeit der Ungleichbehandlung zu bejahen. Im Vergleich zu welt­ lichen Angelegenheiten kann also auch eine Schutzpflicht des Art. 3 Abs. 1 GG die Verfassungswidrigkeit der die praktizierte Homosexualität verbietenden Loyalitätspflicht nicht begründen. (c) U  ngleichbehandlung von homosexuellen und heterosexuellen kirchlichen Mitarbeitern Eine vergleichbare Argumentation zeigt sich bei der Ungleichbehandlung von homosexuellen und heterosexuellen kirchlichen Mitarbeitern. Zwar könnte man hier zunächst einen Unterschied zur Ungleichbehandlung zwischen kirchlicher und weltlicher Sphäre insoweit sehen, als eine entsprechende Ungleichbehandlung ausschließlich im (inner-)kirchlichen Bereich dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht gem. Art. 137 Abs. 3 WRV nicht automatisch immanent ist: Durch die Wahrnehmung des Rechts auf Selbstbestimmung folgt ex natura eine Ungleichbehandlung in Bezug auf die bestehende weltliche Rechtsordnung, nicht jedoch eine Ungleichbehandlung in Bezug auf dieselbe Rechtsordnung. Hier geht es also um eine Ungleichbehandlung, die auf einer von demselben Organ erlassenen Entscheidung oder Regelung basiert. Allerdings erlaubt das Recht aus Art. 137 Abs. 3 WRV den Kirchen, ihre Angelegenheiten nach den eigenen Glaubensvorstellungen zu regeln. Glaubensbestimmungen sind aber von Natur aus moralisch aufgeladen, unterscheiden also zwischen „gut“ und „schlecht“, geben Handlungsdirektiven vor und bewerten Sachverhalte nicht rein nach im weltlichen Bereich geltenden rationalneutralen Grundsätzen.1384 Eine solche Bewertung verlangt aber gerade eine Ungleichbehandlung. Während nach dem staatlichen Recht alle Anschauungen, Überzeugungen und entsprechenden Verhaltensvarianten grundsätzlich gleich zu behandeln sind, erlaubt das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gerade das Gegenteil. Die Kirchen dürfen ihre Angelegenheiten grundsätzlich so gestalten, wie es ihr Glaube auf der Grundlage ihrer entsprechenden moralischen Differenzierung erfordert. Ungleichbehandlungen sind, solange sie sich aus dem Glauben ergeben, damit auch bei innerkirch­ licher Regelung der Selbstbestimmung immanent und daher besonders geschützt. Insoweit ist Art. 3 Abs. 1 GG auch hier in Ansehung des Art. 137 Abs. 3 WRV zu sehen. Zugunsten der Verfassungsmäßigkeit der Ungleichbehandlung spricht daher 1383  Siehe

dazu bereits oben S. 329 ff. in: von Münch / Kunig (Hrsg.), Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 4 Rn. 12 ff.; Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit des Grundgesetzes, 2006, S. 392 ff.; Unruh (Fn. 1144), 95. 1384  Mager,

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

wiederholt das hohe Gut der Glaubwürdigkeit. Loyalität gewährleistet im Endeffekt die Geltung der kirchlichen Moralnormen, um die es gerade dem Selbstbestimmungsrecht geht. Dagegen steht aber eine Ungleichbehandlung aufgrund eines Kriteriums, auf das die Betroffenen keinen Einfluss haben. Es bleibt also eine besonders intensive Ungleichbehandlung, deren Rechtfertigungsmaßstäbe besonders hoch sind. Entscheidend ist daher – gerade mangels einer mit der soeben erörterten Fallkonstellation vergleichbaren Bedeutung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts –, ob auch hier wie bei der freiheitsrechtlichen Bewertung das Kriterium der Freiwilligkeit greift. Immerhin haben sich die betroffenen Mitarbeiter aus freien Stücken dazu entschlossen, sich der Ungleichbehandlung zu unterwerfen. Dabei ist auch hier ein Grundrechtsverzicht der Abstraktheit der Fragestellung wegen nicht beachtlich.1385 Im Zuge der freiheitsrechtlichen Bewertung wurde dieses Kriterium allerdings – zumindest für die Fälle praktizierter Homosexualität – verworfen, weil hier die Aufgabe eines Persönlichkeitskernmoments im Raum stand und damit die Freiwilligkeit kein besonderes Eigengewicht haben konnte.1386 Angesichts der unterschiedlichen Blickrichtung von Freiheits- und Gleichheitsrechten ist diese Argumentation jedoch nicht gänzlich übertragbar. Es geht hier nämlich um die Einwilligung nicht in den Freiheitsentzug – genauer: in die Beeinträchtigung der Persönlichkeitsentwicklung –, sondern in die Ungleichbehandlung. Daher kann der Freiwilligkeit nicht deswegen fehlende Relevanz bescheinigt werden, weil sie die Aufgabe eines Kernbestands eigener Identität zur Folge hat. Voraussetzung ist vielmehr, dass – analog zur freiheitsrechtlichen Diskussion – die Beeinträchtigung hinsichtlich des Art. 3 Abs. 1 GG so intensiv ist, dass man dem Betroffenen gerade nicht rechtsmissbräuchliches Verhalten vorwerfen kann, also sein Interesse an Schutz trotz freiwilliger Verursachung schützenswert ist. Dem ist aber nicht so. Zwar handelt es sich bei der Sanktionierung wegen der Auslebung der eigenen homosexuellen Orientierung um eine besonders diskriminierende und personenbedingte Ungleichbehandlung. Allerdings basiert diese auf besonderen religiösen Überzeugungen und Glaubensvorstellungen, die über die Glaubwürdigkeit von Kirche und Glaubensnorm geschützt sind. Daneben gibt der betroffene Mitarbeiter bei Unterzeichnung des Arbeitsvertrags gerade keinen Teil seines höchstpersönlichen Selbsts auf, sondern willigt „nur“ in eine religiös bedingte Ungleichbehandlung ein, die von der freiheitsrechtlichen Wirkung zu trennen ist. Angesichts der hohen Schutzwürdigkeit der Selbstbestimmung und der Glaubwürdigkeit der Kirchen ist daher durch das staatliche Untätigsein gegen die die praktizierte Homosexualität verbietende Loyalitätspflicht kein Verstoß gegen die Schutzpflicht aus Art. 3 Abs. 1 GG anzunehmen. 1385  Siehe 1386  Siehe

dazu bereits oben S. 335 ff. dazu bereits oben S. 355 ff.



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 367

bb) Verstöße gegen das Sakrament der Ehe (1) Freiheitsrechtliche Bewertung Ein vergleichbares Problem stellt sich hinsichtlich solcher Loyalitätspflichten, die im Zusammenhang mit dem Sakrament der Ehe stehen. Gemeint sind damit das Verbot des Ehebruchs, das Verbot der Wiederheirat sowie das Verbot eines eheähnlichen Zusammenlebens mit einem Dritten trotz (kirchenrechtlich) bestehender Ehe. Zwar fallen streng genommen die Wiederheirat sowie das eheähnliche Zusammenleben trotz bestehender Ehe unter den Begriff des Ehebruchs. Mit Ehebruch soll hier aber der besseren Systematisierung wegen nur der Fall beschrieben sein, in dem es zu außerehe­ lichem Beischlaf kommt, ohne dass eine neue ernsthafte Partnerschaft oder gar Ehe begründet wird. Dabei wurde bereits erläutert, dass der Ehebruch sowie das eheähnliche Zusammenleben mit einem Dritten trotz (kirchenrechtlich) bestehender Ehe von Art. 2 Abs. 1 GG geschützt sind. Art. 6 Abs. 1 GG greift hingegen bei der Wiederheirat sowie einer den Ehebruch zum Eheleben zählenden Ehe.1387 Im Folgenden sollen diese hinter den einzelnen Loyalitätspflichten stehenden Grundrechte gegen das kirchliche Selbstbestimmungsrecht abgewogen werden. (a) Ehebruch Angesichts der maßgeblichen Kriterien der Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung, der Freiwilligkeit des Vertragsabschlusses als auch der Bedeutung kirchlicher Glaubwürdigkeit ergeben sich bezüglich des Ehebruchs kaum Schwierigkeiten. Insbesondere ist das Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG nur geringfügig beeinträchtigt: Zum einen ist ein ehebrecherisches Verhalten durch den betroffenen Mitarbeiter – anders als das Ausleben der Sexualität – umfassend steuerbar, eine die Persönlichkeit beeinträchtigende „Zwangslage“ entsteht grundsätzlich nicht, da nicht der Sexualtrieb in Gänze, sondern nur in Bezug auf eine bestimmte Person oder Situation gezügelt wird. Ein mit der sexuellen Orientierung vergleichbarer, der notwendigen Persönlichkeitsentwicklung immanenter Drang zur Ausführung des Ehebruchs existiert also nicht. Das Verbot des Ehebruchs berührt folglich auch nicht den Kern-, sondern nur den – äußeren – Randbereich der Persönlichkeitsentwicklungsfreiheit. Die Entscheidung, Ehebruch zu begehen, ist kein zentraler Baustein des Selbst. Hier wird nicht die Entwicklung der Persönlichkeit, die Identität der Person oder ein biologisch-hormonell 1387  Dazu

ausführlich bereits oben S. 206 ff.

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

nicht steuerbares Moment des menschlichen Lebens, sondern das reine steuerbare aktive Verlangen geschützt, dessen Verzicht keinesfalls eine entsprechende Aufgabe eines Teils der Persönlichkeit bedeutet. Daraus folgt, dass der alleine auf Art. 2 Abs. 1 GG begründete verfassungsrechtliche Schutz des Ehebruchs1388 gering ist. Aufgrund dieser Bewertung ist nunmehr zu beachten, dass der betroffene Mitarbeiter den Verzicht auf außereheliches sexuelles Verhalten freiwillig erklärt hat. Denn einen Randbereich der eigenen Identität aufzugeben, kann freiwillig erfolgen, geschieht dies doch ohnehin im alltäglichen Leben mehrmals täglich. Der Mitarbeiter hat sich aus eigenem Antrieb heraus dazu entschlossen, auf Ehebruch während der Dauer seines Arbeitsverhältnisses zu verzichten. Die Freiwilligkeit entwickelt sich hier also im Gegensatz zu den Fällen homosexualitätsbezogener Loyalitätspflicht zu einem maßgeblichen Kriterium. Angesichts der freiwilligen Verpflichtung des Mitarbeiters sowie der Steuerbarkeit des ehebrecherischen Tatbestands kann die geringe Intensität des Eingriffs in Art. 2 Abs. 1 GG letztlich nicht höher wiegen als die für die Kirchen und ihre Moralnormen zentrale Position ihrer Glaubwürdigkeit. Das Gleiche gilt auch für den Fall, in dem zwischen zwei Eheleuten die „offene Ehe“ vereinbart wurde und insofern Ehebrüche Bestandteil des gemeinsam gewünschten Ehelebens sind. Zwar ist dies dann über Art. 6 Abs. 1 GG geschützt.1389 Gleichwohl sind auch hier nicht nur weiterhin die Steuerbarkeit des Verhaltens oder die Freiwilligkeit der Verzichtserklärung, sondern auch die große Bedeutung der Ehe insbesondere seitens der katholischen Kirche zu berücksichtigen.1390 Zwar sind die weltlichen und insbesondere katholischen Vorstellungen von der Ehe verschieden.1391 Allerdings ist die Ehe als Sakrament gerade ein zentrales Moment zumindest des katholischen Glaubens und daher wegen ihrer aus Sicht der Kirche nicht zu unterschätzenden 1388  Siehe

dazu bereits oben S. 206 ff. dazu bereits oben S. 206 ff. 1390  Zur Bedeutung der Ehe als Sakrament siehe Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Auf dem Weg zum Sakrament der Ehe – Überlegungen zur Trauungspastoral im Wandel, 2000; Rabl, Die Ehe als Sakrament im Verständnis der Katholischen Kirche, 2013; Florin, Die Ehe – ein riskantes Sakrament, 2016; Schuhmacher, Ehe als Sakrament verstehen, 2015; Caffarel, Die Ehe auf dem Weg der Heiligkeit, 2014; Kretz, Freiheit und Liebe, 2011; Fischer, Die Problematik der Ehe als Vertrag und Sakrament in der Entwicklung des kirchlichen Eherechts, 2003; Piegsa, Das Ehesakrament, 2002; Rieks, Das Ehesakrament, 1996; Brandt, Die Ehe als Leitbild christlicher Orientierung, in: ZEE 42 (1998), 294 ff.; Müller, Theologische Bemerkungen zum christlichen Eheverständnis, in: ZevKR 47 (2002), 530 ff. 1391  Vgl. nur die Beiträge zum Begriff der Ehe von Gröschner aus juristischer und von Kreuter aus theologischer Sicht in: Heun / Honecker / Morlok / Wiegand (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, 4. Aufl. 2006, Sp. 382 ff., 385 ff. 1389  Siehe



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 369

Wichtigkeit ein besonderer Faktor der Glaubwürdigkeit. Aufgrund der geringen Intensität des Eingriffs, der Freiwilligkeit des Vertragsschlusses sowie der Glaubwürdigkeit der Kirchen und ihrer Moralnormen ist daher eine den Ehebruch verbietende Loyalitätspflicht verfassungsrechtlich zulässig. (b) Wiederverheiratung Für die Frage des Verbots der Wiederheirat gelten dieselben Grundsätze wie im Rahmen des Verbots gleichgeschlechtlicher Ehen.1392 Zwar könnte man für den Fall der Wiederverheiratung zusätzlich auch argumentieren, dass die Ehe nach katholischem Bild der staatlichen Vorstellung von Ehe nicht diametral gegenüberstehe, sondern im Gegenteil durch „die Unauflöslichkeitsforderung (…) die Institutionalisierung der Ehe“ stärke, weil das Verbot der Wiederheirat – anders als das Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe – den Bestand der Erstehe stärke.1393 Bei genauerem Besehen trifft dies aber nicht zu: Zwar kann das Unauflösbarkeitsdogma tatsächlich die betroffenen Personen dazu bewegen, um ihre Ehe zu kämpfen und ihre Ehe stärker zu reflektieren. Anders als bei reinem eheähnlichen Zusammenleben aber stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit der Wiederheirat ohnehin nur, wenn sie nach staatlichem Recht überhaupt zulässig ist, wenn also die Erstehe eine erneute Heirat gar nicht mehr verhindert, beispielsweise wenn sie entweder geschieden wurde oder der Erstehepartner verstorben ist. Inwieweit hier das Verbot der Wiederheirat die Institutionalisierung der Ehe fördert, liegt im Dunkeln. Damit bleibt es bei der bisherigen Argumentation: Das Verbot der Wiederheirat verletzt nicht die Mitarbeiter in Art. 6 Abs. 1 GG. (c) Das eheähnliche Zusammenleben mit einem Dritten trotz bestehender Ehe Anders zu beurteilen ist indes das eheähnliche Zusammenleben mit einem Dritten trotz bestehender Ehe. Insbesondere ergeben sich hier Unterschiede zu den vorherig dargestellten ehebezogenen Loyalitätspflichten hinsichtlich der Intensität des Eingriffs: Die Liebe zu einer anderen Person verheimlichen oder gar aufgeben zu müssen, ist aufgrund der Bedeutung der Liebe für die menschliche Persönlichkeit zum einen nur schwer steuerbar, zum anderen eine nicht zu vernachlässigende Persönlichkeitsbelastung. Hier geht es nicht um die Steuerung eines (einfachen) Verlangens oder die öffentliche Bekun1392  Siehe

1393  BAG,

dazu bereits oben S. 357 ff. AP Nr. 2 zu Art. 140 GG; vgl. auch Richardi (Fn. 1088), § 7 Rn. 56.

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

dung einer Liebe, sondern um die basale Auslebung der eigenen Liebe, der Hingabe zu einer geliebten Person und damit die Verwirklichung der eigenen Persönlichkeit. Das Unterbeweisstellen der Zugehörigkeit zu einer anderen Person ist also Bestandteil höchstpersönlicher Entfaltung. Es ist daher ein nicht unerheblicher Eingriff in die Persönlichkeitsentwicklung, wenn dem Betroffenen möglicherweise jahrzehntelang das Lieben einer anderen Person zumindest wesentlich erschwert wird. Auch dies ist bei der Wiederheirat anders. Sie geht über dieses Grundbedürfnis hinaus. Das Eingehen einer zivilrechtlich gültigen ehelichen Verbindung mag zwar ein besonderer und wichtiger persönlicher Wunsch zweier Menschen sein; im Vergleich zum reinen partnerschaftlichen Zusammenleben befriedigt er aber kein grundlegendes, elementares, aus der Persönlichkeit selbst stammendes Bedürfnis. Bei dem Verbot des eheähnlichen Zusammenlebens trotz bestehender Ehe ist folgerichtig nicht der Randbereich, sondern der Kernbereich der Persönlichkeit betroffen. Ein wichtiger Punkt ist hierbei auch, dass zwar bereits die Liebe zu einer anderen Person an sich einen Loyalitätspflichtverstoß begründet,1394 wegen der notwendig bestehenden Erkennbarkeit des Loyalitätsbruchs nach außen sowie wegen der notwendigen Berührung der Glaubwürdigkeit jedoch kirchlicherseits auf eine öffentliche Geltendmachung der kirchenrechtlich unzulässigen Liebe abgestellt wird.1395 Analog zur Homosexualität ist der betroffene Mitarbeiter also gezwungen, entweder keusch zu leben, d. h. seine Liebe zu unterdrücken, oder seine Liebe zu leugnen. Auch hier kommt die Loyalitätspflicht faktisch einer Zölibatsklausel gleich. Sie installiert ein Stigma, das die betroffenen Personen zu solchen mit beschädigter Identität werden lässt und ein Spannungs- und Informationsmanagement erfordert. Damit ist ein besonders intensiver Eingriff in die Persönlichkeitsentwicklungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG anzunehmen. Aufgrund dieser besonderen Persönlichkeitsprägung ist hier – analog zu den Ausführungen zur Homosexualität – die Freiwilligkeit des Vertragsschlusses als gering einzuschätzen. Anders als die (erneute) Heirat ist das reine partnerschaftliche Zusammenleben mit einer geliebten Person Ausdruck und Grundbedürfnis menschlicher Persönlichkeit, die aufgrund des Verlan1394  Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, 2380: „Ehebruch, das heißt eheliche Untreue. Wenn zwei Partner, von denen wenigstens einer verheiratet ist, miteinander eine, wenn auch nur vorübergehende geschlechtliche Beziehung eingehen, begehen sie Ehebruch. Christus verurteilt schon den Ehebruch im Geiste“ (Herv. VH). 1395  Das ergibt sich auch daraus, dass nach Art. 5 Abs. 2 Nr. 1 lit. b, Nr. 2 lit. c GrO gefordert wird, dass der Verstoß gegen die katholische Ehelehre „objektiv geeignet ist, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen“. Dies setzt in der Regel die öffentliche Kenntnisnahme von dem Verstoß voraus; vgl. auch Richardi (Fn. 1088), § 7 Rn. 34 f., 45 ff.



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 371

gens von den Betroffenen auch nur schwer steuerbar ist.1396 Der betroffene Mitarbeiter kann selbst nicht beeinflussen, ob und in wen er sich verliebt. Hat er sich verliebt, ist das Bekennen zu dieser Liebe analog zur Homosexualität Ausdruck innerster Identität. Darüber hinaus bedeutet die Loyalitätspflicht hier eine umfassende, sich auf alle Lebensbereiche auswirkende und dauerhafte Beschränkung innerlichster Identität. Kirchen können aber nicht auf dem Boden des Grundgesetzes die Selbstaufgabe und -verleugnung des innersten Persönlichkeitskerns verlangen. Die Abwägung zwischen beiden Seiten erfordert indes nicht nur die Begutachtung der jeweiligen Bedeutung eines eheähnlichen Lebens für die Persönlichkeit einerseits, sondern auch für das eheliche Sakrament andererseits. Dabei ist festzustellen, dass das eheähnliche Zusammenleben trotz bestehender Ehe wie die Wiederheirat einen besonderen die katholische Glaubenslehre missachtenden Tatbestand begründet und damit die Glaubwürdigkeit von Kirche und deren Glauben verletzt.1397 Im Sinne einer Abwägung, die die individualrechtliche Seite des Konflikts ernst nimmt, ist es aber angezeigt, trotz des besonderen verfassungsrechtlichen Schutzes des kirchlichen Sakraments der Ehe aufgrund der engen Beziehung von partnerschaftlichem Zusammenleben mit geliebten Menschen und der eigenen Persönlichkeitsentwicklung eine das reine eheähnliche Zusammenleben zweier Menschen verhindernde Loyalitätspflicht als verfassungsrechtlich unzulässig anzusehen. Auch die wichtige Glaubwürdigkeit der Kirche kann es nicht rechtfertigen, dass der identitätsprägende und kaum vom Betroffenen zu missachtende Drang der allgemeinen Persönlichkeit, mit seinem geliebten Menschen das Leben zu verbringen, beiseite geschoben wird. (d) Zusammenfassung Es lässt sich zusammenfassend sagen, dass nur solche Loyalitätspflichten, die den Ehebruch an sich und die Wiederheirat verbieten, zulässig sind, während das Verbieten des eheähnlichen Zusammenlebens mit einem Dritten trotz (kirchenrechtlich) bestehender Ehe eine zu intensive Persönlichkeitsbeeinträchtigung bedeutet und insoweit verfassungsrechtlich unzulässig ist.

1396  Zur Bedeutung des Zusammenlebens für die Persönlichkeitsentwicklung vgl. Hilpert, Liebe und Selbstverwirklichung – das Verhältnis zwischen heutigem Partnerschaftsideal und christlichem Eheverständnis, in: ders. (Hrsg.), Selbstverwirklichung – Chancen, Grenzen, Wege, 1987, 95 ff. 1397  Vgl. Scholl, Wenn die Ehe zerbricht… – zur Frage der Wiederverheiratung Geschiedener, 2015, S. 10 ff.; Kreß (Fn. 1263), 81 ff.

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

(2) Gleichheitsrechtliche Bewertung Im Rahmen einer gleichheitsrechtlichen Bewertung der ehebezogenen ­ oyalitätspflichten ergeben sich keine Überraschungen. Auch hier werden L kirchliche Mitarbeiter anders behandelt als weltliche Mitarbeiter. Insoweit ergeben sich jedoch keine Besonderheiten zu den Ausführungen im Rahmen der homosexualitätsbezogenen Loyalitätspflicht.1398 Eine Ungleichbehandlung von kirchlicher und weltlicher Sphäre ist grundlegend in Art. 137 Abs. 3 WRV angelegt und kann angesichts der Bedeutung der Glaubwürdigkeit als hohes Schutzgut zugunsten der Kirchen gerechtfertigt werden. Letztlich muss auch hier gesehen werden, dass die betroffenen kirchlichen Mitarbeiter freiwillig der Ungleichbehandlung zugestimmt haben und keine Gründe ersichtlich sind, weshalb die Freiwilligkeit – etwa angesichts einer unhaltbaren Beeinträchtigung des Gleichheitsrechts – nicht durchschlagend sein soll. Dies gilt insbesondere auch angesichts des Umstands, dass Ehebruch und Wiederverheiratung verhaltens- und keine personenbedingten und damit weniger intensive Differenzierungskriterien sind. Hinsichtlich des eheähnlichen Zusammenlebens mit einem Dritten trotz kirchenrechtlich bestehender Ehe könnte man wegen der Höchstpersönlichkeit und des engen Bezugs zum Kernbestand der Identität möglicherweise von einem personenbedingten Differenzierungskriterium sprechen; allerdings ändert – ebenso wie bei der Homosexualität – dies nichts an dem Umstand der Freiwilligkeit des Vertragsschlusses, zumal Art. 3 Abs. 1 GG nicht die Persönlichkeitsentwicklung, sondern alleine das Recht auf gleiche Behandlung zu schützen imstande ist. Hierbei ist jedoch gerade bei Freiwilligkeit kein Grund für ein überwiegendes Schutzbedürfnis ersichtlich, zumal eine Annäherung des Differenzierungskriteriums an die Merkmale des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG zumindest hinsichtlich der Wiederverheiratung und des Ehebruchs ausscheidet. cc) Religionsbezogenes Verhalten (1) Freiheitsrechtliche Bewertung Als dritter Punkt ist die abstrakte Zulässigkeit einer solchen Loyalitätspflicht zu klären, die sich auf die Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1, 2 GG) der Mitarbeiter auswirkt. Dabei kann unterschieden werden zwischen der Pflicht, eine bestimmte Kirchenmitgliedschaft aufzuweisen und entsprechend den Kirchenaustritt zu unterlassen, und der Pflicht, bestimmte Symbole anderer Religionsgemeinschaften nicht zu zeigen sowie nicht für andere Religionsgemeinschaften (öffentlich) einzustehen. 1398  Siehe

dazu bereits oben S. 359 ff.



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 373

(a) Kirchenzugehörigkeit als Einstellungsvoraussetzung Sowohl die katholische als auch teilweise die evangelischen Kirchen verlangen für bestimmte – höhere – Tätigkeiten von ihren Mitarbeitern, der eigenen Kirche angehörig zu sein.1399 Damit greift die Kirche in das Recht der Mitarbeiter auf – positive oder auch negative – Religionsfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1, 2 GG ein.1400 Dies stellt bereits deshalb einen nicht unerheblichen Eingriff dar, ist die Glaubens- und Religionsfreiheit doch per se Ausdruck des Kernbereichs persönlicher Identität und gewährt sie doch eine freie Selbst­orientierung und damit Identitätsfindung.1401 Auch hier wird also durch eine bestimmte Loyalitätspflicht der Kern personaler Identität berührt. Ebenso wie die sexuelle Orientierung ist Religion eine stigmatafähige Eigenschaft, die die Notwendigkeit eines Spannungs- und Informationsmanagements begründet und Betroffene zu Personen mit beschränkter Identität werden lässt.1402 Gleichwohl besteht ein gewichtiger Unterschied zu der Situation homosexueller oder in eheähnlicher Lebensgemeinschaft lebender Betroffener: Die Religionszugehörigkeit ist ein formelles, äußeres Merkmal, das bei Einstellung positiv vorgezeigt werden muss; es fehlt an einer Vermutung zugunsten der Erfüllung der Soll-Identität. Das bedeutet, dass die Betroffenen, die gegen diese Loyalitätspflicht verstoßen, zunächst erst gar nicht eingestellt werden. Die Betroffenen sind also Diskreditierte, nicht Diskreditierbare.1403 Das Spannungsmanagement findet hier insoweit nicht statt, als den Betroffenen gar nicht die Möglichkeit gegeben wird, ihren „Makel“ zu überspielen oder nicht sichtbar werden zu lassen. Das bedeutet gleichzeitig aber auch, dass auf die Freiwilligkeit der Betroffenen nicht abgestellt werden kann, da es an einem möglichen freiwillig vorgenommenen Vertragsschluss gänzlich mangelt. Bei einer verfassungsrechtlichen Bewertung der Loyalität ist aber zu ­ erücksichtigen, dass es – im Falle eines Loyalitätsverstoßes – nicht um eine b punktuelle Beeinträchtigung der Glaubwürdigkeit von Kirche und ihres Glaubens geht; die Kirchenzugehörigkeit vermittelt vielmehr per se einen 1399  Siehe dazu ausführlich oben S. 42 ff.; auf die evangelischen Landeskirchen beziehen sich die nachfolgenden Ausführungen freilich nur insoweit, als die Kirchenmitgliedschaft tatsächlich als Einstellungsvoraussetzung gilt. 1400  Siehe dazu bereits oben S. 208 ff. 1401  Dazu Ladeur / Augsberg, Toleranz – Religion – Recht, 2007, S. 59 ff.; Knoblauch, Religion, Identität und Transzendenz, in: Jäger / Liebsch (Hrsg.), Handbuch der Kulturwissenschaften, Bd. 1, 2004, 349 ff.; Morlok (Fn. 1156), 43 ff. 1402  Vgl. dazu oben S. 351 ff.; Goffman (Fn. 1344), 12 ff., der die Eigenschaft der Religion den sog. „phylogenetischen Stigmata“ (13) zuordnet. 1403  Zu der Unterscheidung Goffman (Fn. 1344), 56 ff.

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

umfassenden, absoluten Glaubwürdigkeitsträger. Das bedeutet, dass ein Nicht­ beachten dieser Loyalität die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Moralnormen im Ganzen angreift und unter Umständen sogar unmöglich macht. Bei dem formalen Kriterium der Kirchenzugehörigkeit geht es also um einen zentralen Glaubwürdigkeitsschutz a priori.1404 Darüber hinaus betrifft diese Loyalitätspflicht keineswegs alle Mitarbeiter, sondern gerade nur solche, die leitende oder besondere Aufgaben wahrnehmen, die in enger Verbindung zum Verkündigungsauftrag stehen und bei denen die Glaubwürdigkeit folgerichtig einen besonderen Stellenwert hat, sind es gerade diese Aufgabenfunktionen, die die Glaubwürdigkeit der Institution und ihrer Regelungen maßgeblich steuern. Daher ist in der Forderung einer bestimmten Kirchenzugehörigkeit zwar ein nicht unerheblicher Eingriff zu sehen, der aber in diesem Fall wegen des umfassenden Einflusses der Kirchenzugehörigkeit auf die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Moralnormen und wegen ihrer in Bezug auf die jeweils betroffenen Positionen und Funktionen besonderen Bedeutung der Glaubwürdigkeit an sich nicht durchschlagen kann. Verfassungsrechtlich ist die Forderung nach einer bestimmten Religionszugehörigkeit zumindest für die höheren, verkündigungsnahen Bereiche, wie sie seitens der Kirchen bereits gestellt wird, nicht zu beanstanden. (b) Kirchenaustritt als Kündigungsgrund Ein „klassischer“ Loyalitätsbruch ist hingegen der Austritt aus der Kirche während des Arbeitsverhältnisses. Aus dem soeben Gesagten ergibt sich, dass dies zumindest für die Fälle verfassungsrechtlich zulässig sein muss, in denen die Kirchenzugehörigkeit zulässigerweise Einstellungsvoraussetzung ist. Allerdings ist das „Verbot“ des Kirchenaustritts auch für solche Mitarbeiter vorgesehen, die andere, nichtleitende Stellungen innehaben, bei ihrer Einstellung aber noch Kirchenmitglied waren.1405 Auch hier gilt die Überlegung, dass Religion als stigmatisierende Eigenschaft anzusehen ist, die ein Spannungsmanagement notwendig werden lässt; die Loyalitätspflicht greift also in den Kernbereich der Persönlichkeit ein. Daher ist der Einwand der Freiwilligkeit kein gewichtiges Argument, war der betroffene Mitarbeiter ja bei Einstellung noch Kirchenmitglied und hat freiwillig erklärt, nicht aus der Kirche auszutreten. Andererseits ist der Kirchenaustritt dennoch als beson1404  Siehe

dazu bereits oben S. 42 ff. Abs. 2 Nr. 2 lit. a GrO sieht den Austritt aus der Kirche nicht nur für leitende, d. h. besondere Mitarbeiter, sondern für alle katholischen Mitarbeiter als schwerwiegende Loyalitätspflichtverletzung an. Im Rahmen der evangelischen Kirchen wird dies jeweils auf die Generalklausel gestützt (vgl. § 5 Abs. 2 EKD-RL), siehe dazu von Notz, Lebensführungspflichten im evangelischen Kirchenrecht, 2003, S. 208 ff.; vgl. auch Richardi (Fn. 1088), § 7 Rn. 66. 1405  Art. 5



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 375

ders schwerwiegender Schlag gegen die Glaubwürdigkeit der jeweiligen Kirche und ihrer Moralnormen zu sehen; denn auch hier liegt keine punktuelle, sondern eine umfassende Minderung der Glaubwürdigkeit vor. Der Mitarbeiter zeigt durch seinen Austritt, dass er die Kirche und ihre Moralnormen an sich ablehnt und schwächt dadurch die Glaubwürdigkeit der Kirche erheblich.1406 Folglich kann auch nicht behauptet werden, der Betroffene gleiche jetzt konfessionslosen Mitarbeitern, die ja per se eingestellt würden.1407 Bei einer Abwägung zwischen Schwere des Eingriffs und Glaubwürdigkeit der Kirche und ihres Glaubens obsiegen Letztere zumindest insoweit, als der Betroffene dem Glauben des Dienstgebers angehörte. Denn in diesem Fall ist bei Austritt des Mitarbeiters die Glaubwürdigkeit in ihrer Gesamtheit dezimiert, nicht zuletzt weil der Mitarbeiter sich durch den Austritt auch gegen die durch die Einrichtung für die Erfüllung ihrer Aufgaben selbst gesetzten Maßstäbe und Ideale wendet. Der Mitarbeiter lehnt damit nicht nur einen bestimmten Teil des Glaubens ab, sondern entscheidet sich gegen den Glauben an sich. Er verweigert gänzlich eine Identifizierung mit der kirchlichen Institution und ihrem Glauben. Aufgrund der öffentlichen Wirkung des Austritts kann auch nicht entgegnet werden, durch einen Kirchenaustritt distanziere man sich zunächst nur von der Institution, nicht aber notwendigerweise vom Glauben. Denn dagegen spricht, dass diese Unterscheidung in der Praxis kaum möglich ist und sich daher die Außenwirkung des Austritts auch auf die Glaubwürdigkeit der Glaubensnormen bezieht; darüber hinaus liegt – wie bereits ausgeführt1408 – selbst bei einer Distanzierung von der Kirche an sich auch eine Distanzierung von der kirchlichen Einrichtung und ihrer Ausrichtung im Konkreten vor.1409 Daher ist eine Loyalitätspflicht, die den Kirchenaustritt verbietet, eine verfassungsrechtlich zulässige Selbstbindung des Mitarbeiters.1410 Einschränkend ist jedoch zu sehen, dass diese Loyalität – unabhängig davon, ob etwas Gegenteiliges vom Kirchenrecht überhaupt geregelt wird – nur solche Mitarbeiter treffen darf, die Mitglied derjenigen Kirche sind, die auch Träger der den Mitarbeiter beschäftigenden Einrichtung ist.1411 Denn andernfalls ist die Glaubwürdigkeit der den betroffenen Mitarauch Richardi (Fn. 1088), § 7 Rn. 62 ff. auch BAG AP Nr. 4 zu Art. 140 GG, Bl. 4. 1408  Vgl. dazu bereits oben S. 208 ff. 1409  Auch das Kirchenrecht selbst bezieht ein „erhebliches Ärgernis (…) im beruflichen Wirkungskreis“ (Art. 5 Abs. 2 GrO) mit in die Bewertung ein. 1410  So auch insgesamt BVerfGE 70, 138 (172); BAG, NZA 2013, 1131 (1131); Richardi (Fn. 1088), § 7 Rn. 62 ff.; Jurina, Das Dienst- und Arbeitsrecht im Bereich der Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland, 1979, S. 121 ff.; Dütz, Kirchliche Festlegung arbeitsvertraglicher Kündigungsgründe?, in: NJW 1990, 2025 (2031). 1411  Anders Richardi (Fn. 1088), § 7 Rn. 65, der eine Kündigung auch bei einem Austritt eines Mitarbeiters aus einer anderen christlichen Kirche als zulässig ansieht. Dagegen spricht jedoch, dass hierbei das Argument der Glaubwürdigkeit wegen der 1406  So

1407  Vgl.

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

beiter beschäftigenden Kirche und ihrer Glaubensnormen gar nicht betroffen. Folglich gilt die den Austritt aus einer Kirche untersagenden Loyalitätspflicht nur für Mitglieder der Kirche des Dienstgebers, so dass insofern eine Abstufung der Loyalitätspflicht in Bezug auf die Kirchenzugehörigkeit vorzunehmen ist.1412 (c) Das öffentliche Bekennen zu anderen Religionsgemeinschaften Bezieht man die soeben angeführten Argumente auf eine entsprechende Loyalitätspflicht, die das öffentliche Bekennen zu anderen Religionsgemeinschaften (z. B. Werbung; Tragen von Symbolen) untersagt, ergibt sich Folgendes: Das öffentliche Bekennen zu anderen Religionsgemeinschaften ist ein besonderer Ausdruck der eigenen Persönlichkeit, die sich mit der jeweiligen Religionsgemeinschaft identifiziert und dies wirksam nach außen trägt. Dennoch liegt kein Eingriff in den Persönlichkeitskernbereich vor. Denn eine entsprechende Loyalitätspflicht verbietet nicht, einen entsprechenden anderen Glauben zu haben, sondern ihn nur während der Arbeitszeit und damit zeitlich begrenzt wirksam zu zeigen und nach außen zu tragen.1413 Das öffentliche Sich-Bekennen zu einem Glauben ist zwar von nicht unwesentlicher Bedeutung, jedoch – anders als beispielsweise die Homosexualität – weder zentraler noch nicht steuerbarer Teil der Persönlichkeit, sofern es nicht das grundsätzliche Bekenntnis zu dem eigenen Glauben betrifft; insbesondere wegen der zeitlichen Einschränkung des Verbots ist dies aber nicht der Fall, so dass hier einen Glauben Haben und sich zu dem Glauben offen Bekennen gerade nicht untrennbar miteinander verknüpft sind.1414 Im Folgenden ist daher besonders zu berücksichtigen, dass sich die Betroffenen freiwillig der grundsätzlich geringen Verschiedenheit der basalen Ausrichtungen der betroffenen Glaubenslehren kaum ins Gewicht fällt und die Loyalitätspflicht gleichzeitig den Kernbereich der Persönlichkeit des Mitarbeiters betrifft. Darüber hinaus ist fraglich, ob eine solche Kündigung überhaupt erst nach geltendem Kirchenrecht zuzulassen ist. Nach Art. 5 Abs. 2 GrO ist der Austritt eines Nichtkatholiken aus der Kirche kein ausdrücklich genanntes schwerwiegendes Vergehen. Zwar sind die dort genannten Vergehen nur beispielhaft genannt („insbesondere“). Allerdings ist fraglich, ob der Austritt eines Nichtkatholiken aus der Kirche mit den in Art. 5 Abs. 2 GrO genannten Vergehen vergleichbar ist, die allesamt auf die Beschädigung der Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche abzielen. Das Gleiche ergibt sich für die evangelische Generalklausel, die sämtliche Kündigungsgründe und Loyalitätsbrüche von einer Glaubwürdigkeitsbeeinträchtigung der evangelischen Kirche und Lehre abhängig macht. 1412  Vgl. dazu bereits oben S. 319 ff. 1413  So auch BAG, NZA 2014, 1407 (1413). 1414  Zwar stehen beide Ausrichtungen der Glaubensfreiheit grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander (vgl. nur Borowski [Fn. 1384], 294 ff.); bei einer hier in Bezug auf den für das Kriterium der Freiwilligkeit relevanten Kernbereich der Identität und Persönlichkeit ist aber zu differenzieren.



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 377

Loyalität, also dem nicht-öffentlichen Bekennen unterworfen haben. Weiterhin ist zu sehen, dass das Sich-Identifizieren mit einer anderen Religionsgemeinschaft ebenfalls wie der Kirchenaustritt die Glaubwürdigkeit der Kirche in ihrer Gänze berührt. Der Mitarbeiter zeigt öffentlich, dass er sich mit den Werten, dem Glauben und den Regeln der Einrichtung und ihres Trägers – der Kirche – grundsätzlich nicht identifiziert, sondern sie allenfalls achtet. Dies minimiert jedoch die Glaubwürdigkeit der jeweils betroffenen Kirche in ihrem Ganzen. Daneben ist zu bedenken, dass ein entsprechendes Verbot nicht umfassend, sondern nur für den Bereich des Arbeitsplatzes gilt. In der Freizeit dürfen entsprechende Bekenntnisse erfolgen.1415 Daher ist eine das öffentliche Bekennen zu einer anderen Religionsgemeinschaft verbietende Loyalitätspflicht angesichts der Freiwilligkeit des Vertragsschlusses und der Glaubwürdigkeit der Kirche zu rechtfertigen.1416 Unter anderen Vorzeichen steht allerdings innerhalb dieser Fallgruppe das aktive Eintreten für andere Religionsgemeinschaften, d. h. das Tätigwerden mit dem Ziel der besonderen Hervorhebung der eigenen Religion (zum Beispiel die offensive Werbung). Denn dieses loyalitätsbedingte Verbot gilt nicht zeitlich eingeschränkt und umfassend und verhindert damit dem Grunde nach ein Bekennen zu einer anderen Gemeinschaft grundsätzlich.1417 Damit berührt diese Loyalitätspflicht das grundsätzliche aktive Bekennen zu einer anderen Religionsgemeinschaft und berührt mithin den Kernbereich der Persönlichkeitsfreiheit. Da­raus folgt, dass der Loyalitätspflicht die Freiwilligkeit der Leugnung eines zentralen Identitätsbereichs nicht ohne Weiteres entgegengehalten werden kann. Gleichzeitig ist aber zu beachten, dass in diesen Fällen – quasi proportional – die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Glaubensnormen in Gefahr stehen. Je aktiver, je offenkundiger für eine andere Religion geworben wird, desto deutlicher und sichtbarer ist die Ablehnung des Glaubens, in dessen Namen die Tätigkeit verrichtet wird. Die Glaubwürdigkeit ist also nicht nur in ihrer Gänze, sondern dabei auch besonders intensiv betroffen. Das gilt insbesondere dann, wenn das Eintreten für eine andere Gemeinschaft beinahe feindseligen Charakter dem kirchlichen Träger gegenüber entfaltet. Wegen des hohen Guts der Glaubwürdigkeit ist daher auch eine das umfassende aktive öffentliche Bekennen zu einer anderen Religionsgemeinschaft verbietende Loyalitätspflicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

1415  Vgl. die Ausführungen des BAG, NZA 2014, 1407 (1407 ff.), zum Vortrag der – in diesem Fall betroffenen – evangelischen Kirche. 1416  Siehe dazu insbesondere BAG, NZA 2014, 1407 (1413 ff.), das überwiegend auf die zeitliche Begrenzung der Loyalität (nur die Arbeitszeit) abstellt. 1417  Vgl. Art. 5 Abs. 2 Nr. 1 lit. a GrO.

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(d) Zusammenfassung Im Bereich der Loyalitätspflichten, die sich auf die Religionsfreiheit der betroffenen Mitarbeiter beziehen, zeichnet sich eine herausstechende Rolle der Glaubwürdigkeit der jeweiligen Kirche und ihres Glaubens insgesamt ab. Anders gewendet: In diesen Fällen geht es um die grundlegende Verteidigung der Glaubwürdigkeit an sich und nicht nur in Bezug auf Einzelfälle. Daher ist es trotz des grundsätzlich intensiven, da häufig den Kernbereich der Persönlichkeit betreffenden, Eingriffs in die Freiheiten der Mitarbeiter gerechtfertigt, wenn in kirchlichen Einrichtungen für bestimmte Positionen eine bestimmte Kirchenmitgliedschaft gefordert oder generell der Kirchenaustritt – zumindest in den Fällen, in denen aus der Kirche ausgetreten wird, die selbst Dienstgeber ist – oder das öffentliche Bekennen zu anderen Religionsgemeinschaften verboten wird. (2) Gleichheitsrechtliche Bewertung Dadurch dass einmal bestimmte Konfessionszugehörigkeiten in kirchlichen Einrichtungen bevorzugt bzw. als Einstellungsvoraussetzung für bestimmte Tätigkeiten behandelt werden und andererseits bei bestimmten religiösen Verhaltensweisen Sanktionen verhängt werden, erfahren Mitarbeiter bestimmter Konfession oder Mitarbeiter bestimmten Glaubens eine andere Behandlung als solche Mitarbeiter derselben kirchlichen Einrichtung mit einem anderen oder ohne einen Glauben. Hinzu tritt freilich die Verschiedenbehandlung zwischen kirchlichen und weltlichen Mitarbeitern, da Letzteren etwaige Bevorzugungen oder Sanktionen grundsätzlich wegen §§ 1 ff. AGG nicht zuteil werden.1418 Da Grund und Anknüpfungspunkt der Differenzierung die Religion der Mitarbeiter ist, liegt eine Ungleichbehandlung wegen der Religion nach Art. 3 Abs. 3 S. 1 Var. 6 GG vor. Auch wenn der Normtext dem zunächst zu widersprechen scheint, wird Art. 3 Abs. 3 S. 1 Var. 6 GG in Tradition allgemeiner Grundrechtsdogmatik zu Recht als vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht verstanden.1419 Dieser anscheinende Normtextwiderspruch zeigt sich bei nahezu allen vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten und ergibt sich daraus, dass sich diese Grundrechte so lesen lassen, als könnten Verstöße gegen die Freiheits- oder Gleichheitsgewährleistung nicht zu rechtfertigen sein. Entsprechende Ungleichbe1418  Ausführlich dazu für die weltliche Sicht Kamanabrou (Fn. 1466); Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz – das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und andere arbeitsrechtliche Benachteiligungsverbote, 2. Aufl. 2013; Bauer / Krieger (Hrsg.), AGG, 5. Aufl. 2018. 1419  BVerfGE 85, 191 (207 ff.); 92, 91 (109); E 114, 357 (364); E 132, 72 ff.



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handlungen können also gerechtfertigt werden, allerdings nur im Wege einer „strengen“1420 Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht. Streng vorzunehmen ist die Abwägung gerade deswegen, weil der Grundgesetzwortlaut eindeutig eine Ungleichbehandlung ausschließt.1421 Allerdings trifft diese Überlegung auf alle vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte zu, so dass eine Mahnung zur Strenge – jenseits der Tatsache, dass der Begriff nicht präzise ist und insoweit nicht weiterzuhelfen vermag – überflüssig ist. Lediglich über den Bezug der in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Kriterien zur Menschenwürde lässt sich der Hinweis auf die Notwendigkeit einer „strengen“ Abwägung rechtfertigen, auch wenn dies augenscheinlich und offenkundig ist. Damit ergibt sich, dass sich die Beantwortung der Frage nach der Verletzung dieses Gleichheitsrechts strukturell nicht von der Prüfung eines Freiheitsgrundrechts unterscheidet. Das gilt auch für die Prüfung von Schutzpflichten, so dass sich die Ausführungen zur Schutzpflichtdogmatik auch direkt auf Art. 3 Abs. 3 Var. 6 GG beziehen.1422 Gleichwohl ergeben sich trotz der angemahnten „Strenge“ keine Unterschiede zu den hier vorgenommenen anderen gleichheitsrechtlichen Bewertungen.1423 Art. 137 Abs. 3 WRV impliziert eine Ungleichbehandlung auch und gerade wegen der Religion, darf doch diesbezüglich die Religion als Grund und Basis eigener Regelung dienen. Dass dies religionsbezogene Ungleichbehandlungen hervorruft, ist damit verfassungsrechtlich genuin akzeptiert. Folglich dürfen nur unzumutbare Ungleichbehandlungen nicht vorgenommen werden. Diesbezüglich ist jedoch nicht nur die hohe Schutzwürdigkeit der Glaubwürdigkeit der Kirchen und ihrer Glaubensnormen, sondern auch der Umstand der Freiwilligkeit des Vertragsschlusses durch die Mitarbeiter zu würdigen. Auch hier ergeben sich – gerade angesichts des Religionsbezugs des eine Ungleichbehandlung implizierenden Art. 137 Abs. 3 WRV – keine Hinweise für eine unerträgliche und unzumutbare Ungleichbe1420  Vgl. BVerfGE 88, 87 (96 f.): „Da der Grundsatz, daß alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, in erster Linie eine ungerechtfertigte Verschiedenbehandlung von Personen verhindern soll, unterliegt der Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen regelmäßig einer strengen Bindung (vgl. BVerfGE 55, 72 [88]). Diese Bindung ist um so enger, je mehr sich die personenbezogenen Merkmale den in Art. 3 Abs. 3 GG genannten annähern und je größer deshalb die Gefahr ist, daß eine an sie anknüpfende Ungleichbehandlung zur Diskriminierung einer Minderheit führt“; vgl. Epping, Grundrechte, 7. Aufl. 2017, Rn. 840. 1421  Vgl. Nußberger, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 3 Rn. 254; vgl. auch Epping (Fn. 1420), 839 ff.; vgl. außerdem Wendt, Spezielle Gleichheitsrechte, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. 5, 2013, § 127. 1422  Siehe dazu oben S. 191 ff. 1423  Zur Homosexualität siehe oben S. 359 ff.; zur ehebezogenen Loyalität siehe oben S.  372 f.

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handlung. Dass bei einer selbstbestimmten Regulierung von Kirchen religionsbezogene Differenzierungen stattfinden, ist nicht nur zumutbar, sondern liegt in der Natur der Sache. dd) Sachliche Differenzen Auch die Kategorie solcher Loyalitätspflichten, die bestimmte Verhaltensweisen zur Vermeidung sachlicher Differenzen verbieten, lässt sich mit den soeben angewandten Kriterien beherrschen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die betroffenen Grundrechte der Mitarbeiter je nach Verhalten variieren. Besonders häufig geht es zwar um bestimmte Äußerungen der Mitarbeiter und damit um ihre Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG)1424 oder um die Vornahme medizinischer Maßnahmen und damit um ihre Berufs- oder Wissenschaftsfreiheit (Art. 12 Abs. 1, 5 Abs. 3 GG)1425;1426 dass andere Grundrechte betroffen sind, ist jedoch nicht auszuschließen. Unabhängig davon haben die Fälle sachlicher Differenzen gemein, dass nicht der Kernbereich der Persönlichkeit betroffen ist. Es geht um einen sachlichen Widerspruch zwischen der Haltung der Mitarbeiter und der Haltung ihres Dienstgebers. Hier sind daher keine Konstellationen denkbar, bei denen eine sachliche Haltung Ausdruck der innersten Persönlichkeit und Identität des Mitarbeiters ist. Vielmehr sind sie Ausdruck einer – möglicherweise inneren – Haltung und Ausrichtung der Person, nicht aber des zentralen Identitätskerns. Dies zeigt sich insbesondere auch darin, dass die Einhaltung der Loyalität ausnahmslos umfassend durch die Mitarbeiter gesteuert werden kann. Daher kann insoweit den Mitarbeitern die Freiwilligkeit ihres Vertragsschlusses und ihrer Loyalitätsunterwerfung entgegengehalten werden. Bei Einstellung haben sie zugestimmt, dass sie bestimmte Äußerungen oder bestimmte Handlungen bewusst unterlassen. Darüber hinaus ist in diesen Fällen auch die Glaubwürdigkeit von Kirche und ihrer Glaubensnormen an sich stark betroffen. Die sachliche Haltung der Kirche gipfelt stets in einer religiös-dogmatischen Sichtweise und bildet den Ausfluss einer grundlegenden religiösen Haltung und damit einer Glaubensnorm (z. B. Abtreibung). Da die Mitarbeiter und ihr Verhalten der Kirche zugerechnet werden, haben entsprechende widersprüchliche Aussagen oder Handlungen einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Glaubensnormen. Mögen die vorgenommenen Handlungen und Äußerungen der Mitarbeiter an sich auch harmlos sein, sie können – und werden in der Regel – 1424  So insbesondere das öffentliche Eintreten gegen die Abtreibung, siehe BVerfGE 70, 138 (170 ff.); vgl. Hammer (Fn. 1297), 219 f. 1425  BAG, NJW 1994, 3032 ff. 1426  Siehe dazu bereits oben S. 211 ff.



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 381

der Glaubwürdigkeit der Kirche einen nicht unerheblichen Schaden zufügen, greifen sie doch mit dem produzierten Widerspruch nicht nur die sachliche Haltung der Kirche, sondern die jeweils dahinter stehende Glaubenslehre an.1427 Letztlich ist zu sehen, dass sich auf diesem Felde die kirchlichen Dienstgeber weltlichen Arbeitgebern annähern, die ebenfalls ein großes Interesse haben, dass ihre Ziele und Vorstellungen öffentlich nicht durch eigene Mitarbeiter konterkariert werden und dies entsprechend vertragsrechtlich auch verlangen dürfen.1428 Angesichts der Wichtigkeit der kirchlichen Glaubwürdigkeit und der Freiwilligkeit des Vertragsschlusses sind entsprechende Loyalitätspflichten also verfassungsrechtlich gerechtfertigt. ee) Resümee Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass bei einer ernsthaften das Individuum berücksichtigenden Abwägung die Freiwilligkeit des Vertragsschlusses und der Loyalitätsunterwerfung deshalb keinen absoluten, alle Gegenargumente verwerfenden Charakter hat, weil die kirchenrechtlichen Loyalitätspflichten nicht selten auch einen Eingriff in den Kernbereich der Persönlichkeit und die Identität der Mitarbeiter darstellen und insoweit von den Mitarbeitern die Aufgabe oder – faktisch gesehen – das Leugnen eines wesentlichen und elementaren Teils ihres Selbsts verlangen. Für solche Fälle das Argument der Freiwilligkeit lapidar anzuführen, ist schwierig, soll der individualrechtliche Schutz der Grundrechte tatsächlich Bestand haben. Daher sind die Loyalitätspflichten, die das Ausleben der Homosexualität sowie das eheähnliche Zusammenleben mit einem Dritten trotz bestehender Ehe zum Gegenstand haben, bereits abstrakt gesehen verfassungswidrig und können nicht gegenüber dem Mitarbeiter verlangt werden. In einigen Fällen ist aber durch die geforderte Loyalität der Kernbereich persönlicher Identität nicht verletzt; hier ist sehr wohl den betroffenen Mitarbeitern entgegenzuset1427  Vgl. BVerfGE 46, 73 (95 / 96): „Im vorliegenden Fall geht es (…) nicht um eine Meinungsverschiedenheit über das Ob einer betrieblichen Mitbestimmung der Mitarbeiter, sondern nur um eine Meinungsverschiedenheit über das Wie dieser Mitbestimmung. Dieses Wie hängt nach dem Selbstverständnis der Kirche entscheidend von der Eigenart des besonderen Dienstes ab, zu dem sich alle in der karitativen Einrichtung Arbeitenden zusammengefunden haben. Diese Eigenart des Dienstes besteht hier darin, daß er sich zwar wie in jedem Krankenhaus der bestmöglichen ärztlich-medizinischen Behandlung der Kranken widmet, aber dabei das spezifisch Religiöse karitativer Tätigkeit im Auge behält, das die Behandlung der Kranken durchdringt, sich im Geiste des Hauses, in der Rücksicht auf die im Patienten angelegten religiös-sittlichen Verantwortungen und Bedürfnisse, im Angebot sakramentaler Hilfe usw. und damit notwendigerweise auch im Organisatorischen niederschlägt“. 1428  Rüthers, Wie kirchentreu müssen kirchliche Mitarbeiter sein?, in: NJW 1986, 356 (358); vgl. auch Hammer (Fn. 1297), 219 f.

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zen, dass sie sich freiwillig zur Loyalität verpflichtet haben. Gleichzeitig hat sich auch gezeigt, dass der allgemeine Schutzgedanke der kirchlichen Selbstbestimmung – die Glaubwürdigkeit von Kirche und ihren Glaubensnormen – ernst genommen werden muss. Zusammen ergeben die beiden Kriterien der Freiwilligkeit und der Glaubwürdigkeit häufig die Zulässigkeit von Loyalitätspflichten insbesondere hinsichtlich des Verbots des Ehebruchs, der Wiederverheiratung oder des öffentlichen Äußerns sachlicher Widersprüche. In vielen Fällen wird die Glaubwürdigkeit zudem nicht spezifisch oder punk­ tuell, sondern in ihrer Gänze betroffen und die Geltung der kirchlichen Moralnormen grundsätzlich in Frage gestellt. Gerade um dieses elementaren Schutzes der Glaubwürdigkeit willen verlangt Art. 137 Abs. 3 WRV Schutzmechanismen. Daher sind auch Loyalitätspflichten in Bezug auf religiöses Verhalten der Mitarbeiter verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Ausnahme ist nur der Kirchenaustritt: Hier ist nur der Austritt aus der Kirche des Dienstgebers relevant, da ansonsten die Glaubwürdigkeit der Kirche des Dienstgebers nicht betroffen ist.

II. Zweite Stufe: einzelfallbezogene Sanktionsbewertung Auf zweiter Ebene findet nunmehr eine einzelfallbezogene Sanktionsbewertung statt, bei der nicht die Loyalitätspflicht an sich, sondern das Sanktions­ mittel verfassungsrechtlicher Beobachtung unterliegt. Anders gewendet: Es geht nicht darum, ob sanktioniert, sondern wie sanktioniert werden darf. Der Loyalitätsverstoß an sich steht gerade nicht mehr im Blickfeld. Bei den arbeitsrechtlichen Sanktionen gegenüber Mitarbeitern ist grundsätzlich zwischen zwei zentralen Formen zu differenzieren: Einmal kann der kirchliche Dienstgeber dem betroffenen Mitarbeiter wegen Loyalitätsbruchs kündigen (1.) und einmal bei einem (abzusehenden) Loyalitätsbruch den Betroffenen gar nicht erst einstellen (2.). 1. Kündigung des Mitarbeiters Zentrales Instrumentarium bei Loyalitätspflichtsverstößen ist die Kündigung, also die Auflösung des Dienstverhältnisses. Selbst wenn jedoch die Loyalitätspflicht an sich zulässig ist, bedeutet dies nicht automatisch die Zulässigkeit der Kündigung. Dies beurteilen zu können, ist Aufgabe der einzelfallbezogenen Sanktions- und damit hier Kündigungsprüfung. Es geht mit anderen Worten um die Frage, ob im konkreten Fall – trotz Loyalitätsverstoßes – tatsächlich dem Mitarbeiter gekündigt werden darf. Die kirchlichen Regelungen sehen dies grundsätzlich vor. Allerdings gilt auch diese kirch­liche Regelungsfreiheit nicht absolut, sondern nur im Rahmen des für alle geltenden Gesetzes. Wie schon ausgeführt, sind hier § 626 BGB, § 1



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 383

KSchG die entsprechenden Grenzen, die es in die Prüfung mit einzubeziehen gilt.1429 a) Die Notwendigkeit einer einzelfallbezogenen Interessenabwägung Dabei ergibt sich mit § 1 KSchG, § 626 BGB bereits aus dem einfachen Recht eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem Interesse des Dienstgebers und des Mitarbeiters. Denn insbesondere nach § 1 Abs. 1 KSchG bedarf es für die wirksame Kündigung eines Tatbestands sozialer Rechtfertigung, wobei sich dieser nach allgemeiner Meinung aus einer Abwägung der betroffenen Interessen im Einzelfall ergibt.1430 Dabei ist es zumindest für den Fall der loyalitätsbedingten Kündigung unerheblich, ob es sich um eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung handelt.1431 Bei der Interessenabwägung ist jedoch zu beachten, dass sie sich auf die vom Gesetzgeber in § 1 KSchG vorgesehenen Tatbestände beschränkt, insbesondere also keine „in den Grundrechten zum Ausdruck kommenden Wertentscheidungen der Verfassung“ berücksichtigt werden.1432 Umstritten ist dabei, ob die Interessenabwägung nur auf unmittelbare vertrags- bzw. kündigungsbezogene Belange beschränkt ist, oder darüber hinaus auch andere (mittelbare) Punkte zu berücksichtigen sind.1433 Dabei bietet sich jedoch keine pauschale Antwort an, 1429  Siehe

dazu bereits oben S. 48 ff., 91 ff., 214 ff. 9, 36 ff.; Oetker, in: Müller-Glöge / Preis / Schmidt (Hrsg.), Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 18. Aufl. 2018, § 1 KSchG Rn. 82 ff.; Dütz / Thüsing, Arbeitsrecht, 23. Aufl. 2018, Rn. 403; Junker, Grundkurs Arbeitsrecht, 17. Aufl. 2018, Rn. 364; Hergenröder, in: Säcker / Rixecker / Oetker / Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 4, 7. Aufl. 2016, § 1 KSchG Rn. 119 ff. 1431  Für die außerordentliche Kündigung wird die Interessenabwägung zudem in § 626 BGB festgeschrieben; für die ordentliche Kündigung gilt sie zumindest nach ganz überwiegender Meinung, siehe nur BAG, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 49; BAG, NJW 1983, 700 ff.; Oetker (Fn. 1430), 82 f.; Rolfs, in: ders. / Giesen / Kreikebohm / Udsching (Hrsg.), Beck-OK ArbR, Stand: Dezember 2018, § 1 KSchG Rn. 84; anders hingegen Bitter / Kiel, 40 Jahre Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Sozialwidrigkeit von Kündigungen, in: RdA 1994, 333 (336 ff.); Löwisch / Schlünder / Spinner / Wertheimer, KSchG, 11.  Aufl. 2018, §  1 Rn. 61, die in § 1 Abs. 2 KSchG bereits eine gesetzlich vorgenommene Abwägung behaupten und daher eine weitere Interessenabwägung als gesetzlich nicht gewollt ansehen. Einschränkend ist zu sagen, dass auch die Rechtsprechung eine Interessenabwägung bei ordentlichen Kündigungen nicht im Falle betriebsbedingter – und daher hier irrelevanter – Gründe zulässt, gerade weil in diesem Falle eine gesetzliche Abwägung bereits erfolgt sei, siehe BAG, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 42; vgl. Hergenröder (Fn. 1430), 122. 1432  Zitat Hergenröder (Fn. 1430), 121; näher dazu auch BAG, NZA 1998, 323 (325); Oetker (Fn. 1430), 84. 1433  Gegen eine Begrenzung auf zumindest unmittelbare vertragsbezogene Interessen BAG, AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 38; BAG, NZA 2000, 768 (770 f.); 1430  BAGE

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sondern vielmehr ist im Einzelfall zu prüfen, inwieweit etwaige infrage kommende Interessen tatsächlich Auswirkungen auf das allgemeine Interesse am Erhalt oder an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entfalten; nur solche Interessen, die keinerlei vertragsbezogene oder kündigungsrelevante Eigenschaften aufweisen, können nicht über § 1 KSchG eingebunden werden, stellt die Norm erkennbar doch nur auf vertrags- und kündigungsbezogene Anhaltspunkte ab.1434 Daraus folgt, dass § 1 KSchG, § 626 BGB bereits unabhängig vom Verfassungsrecht eine einzelfallbezogene Interessenabwägung fordern und insoweit Punkte wie Lebensalter, Unterhaltspflichten, Dauer der Beschäftigung oder gar – sofern sie Auswirkungen auf die vertragsbezogenen Interessen haben – Unterhaltspflichten von sich aus berücksichtigen.1435 b) Verfassungsrechtliche Beeinflussung Zu beachten ist aber, dass – entgegen der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte – das kirchliche Selbstbestimmungsrecht die § 1 KSchG, § 626 BGB unmittelbar beeinflusst und daher eine Anwendung der Kündigungsschutzregeln bei kirchlichen Arbeitgebern stets in Ansehung des Art. 137 Abs. 3 WRV zu erfolgen hat. Diese unmittelbare Einwirkung des Art. 137 Abs. 3 WRV bedingt dabei zugleich eine mittelbare Geltung der Grundrechte der Mitarbeiter, durch die ebenfalls die Interessenabwägung der § 1 KSchG, § 626 BGB modifiziert und beeinflusst werden kann. Die staatlichen Gerichte sind folglich bei der Vornahme der Abwägung gehalten, die Freiheits- und Gleichheitsrechte auf beiden Seiten hinreichend zu berücksichtigen. Etwas Anderes könnte sich jedoch möglicherweise aus der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ergeben. Wie schon gezeigt, ist es nach Ansicht des BVerfG „grundsätzlich den verfaßten Kirchen überlassen, verbindlich zu bestimmen, was ‚die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung erfordert‘, was ‚spezifisch kirchliche Aufgaben‘ sind, was ‚Nähe‘ zu ihnen bedeutet, welches die ‚wesentlichen Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre‘ sind und was als – gegebenenfalls schwerer – Verstoß gegen diese BAG, AP BGB § 626 BGB Nr. 58; BAG, NZA 1990, 305 ff.; NZA 1991, 185 ff.; Kittner / Däubler / Zwanziger, KSchR, 10. Aufl. 2017, § 1 KSchG Rn. 52, 83. Für eine entsprechende Begrenzung dagegen Rolfs (Fn. 1431), 85; Hergenröder (Fn. 1430), 121; Bezani, Die krankheitsbedingte Kündigung, 1994, S. 120; Lepke, Kündigung bei Krankheit, 15. Aufl. 2015, S. 89; vgl. Berkowski, Die personen- und verhaltensbedingte Kündigung, 6. Aufl. 2008, § 3. 1434  So auch zustimmend das BAG, AP BGB § 626 BGB Nr. 58; vgl. Rolfs (Fn. 1431), 85. 1435  BAG, NZA 1998, 323 (325); vgl. Hergenröder (Fn. 1430), 121; Oetker (Fn.  1430), 84 ff.



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 385

anzusehen ist“.1436 Diese Feststellung hat aber nicht nur Auswirkungen auf der Ebene der Anerkennung kirchlicher Loyalitätspflichten,1437 sondern – zumindest theoretisch – auch auf der Ebene der Einzelfallabwägung. Denn für diese zweite Prüfungsebene ergab sich dabei nach dem Beschluss von 1985 zunächst lange das Problem, dass es an hinreichenden Ausführungen bezüglich der Umsetzung des vorgegebenen Maßstabs durch das Gericht mangelte. Aufgrund der oben angeführten These des Gerichts von der Bindung der staatlichen Rechtsordnung an die kirchliche Position ging die Mehrheit in der Literatur daher teilweise davon aus, dass es bei loyalitätsbedingten Kündigungen gerade nicht zu einer Abwägung zwischen kirchlichem Selbstbestimmungsrecht und Grundrechten der Mitarbeiter kommen würde; vielmehr seien (auch hier) die einzigen Grenzen das Willkürverbot, die guten Sitten und der ordre public.1438 Grundlage dieser Haltung war insbesondere der Umstand, dass das BVerfG in seinem Beschluss nicht auf (irgend-)welche Grundrechte der gekündigten Personen einging, sondern alleine die bereits dargestellten Grenzen erläuterte und sogar festhielt, der Kläger könne sich „nicht mit Erfolg auf grundrechtlichen Schutz (…) berufen“1439.1440 Erste Zweifel an dieser Interpretation des Beschlusses von 1985 kamen insbesondere durch zwei Kammerbeschlüsse des Gerichts aus den Jahren 2001 und 2002 auf.1441 In den beiden Entscheidungen wurde nunmehr ausdrücklich auf eine Kollision von kirchlichem Selbstbestimmungsrecht und den Grundrechten der betroffenen Mitarbeiter abgestellt, die im Zuge einer Güterabwägung zu lösen sei.1442 Auch wurde in der Literatur die Forderung einer umfassenden Güterabwägung zunehmend spürbar.1443 Das BVerfG nutzte nunmehr am 22.10.2014 die Möglichkeit eines Versuchs, diese Pro­blematik aufzulösen, indem es klarstellte: „Auf einer zweiten Stufe haben die Gerichte sodann die Selbstbestimmung der Kirchen den Interessen und Grundrechten der Mitarbeiter in einer offenen Gesamtabwägung gegenüber­zustellen“.1444 Mit anderen Worten: Hier 1436  BVerfGE

70, 138 (168). dazu oben S. 328 ff. 1438  Dazu insbesondere Thüsing, Grundrechtsschutz und kirchliches Arbeitsrecht, in: RdA 2003, 210 (211 ff.); ders. (Fn. 1154), 17; vgl. Hammer, Europäische Wende im Kirchlichen Arbeitsrecht?, in: AuR 2011, 278 (281). 1439  BVerfGE 70, 138 (172). 1440  Thüsing (Fn. 1438), 212 m. w. N. 1441  BVerfG, ArbuR 2001, 356 ff.; BVerfG, EzA Nr. 47a zu § 611 BGB Kirchliche Mitarbeiter; dazu auch Thüsing (Fn. 1438), 212 f. 1442  Vgl. das Zitat bei Thüsing (Fn. 1438), 212: „Dass das Landesarbeitsgericht bei der hiernach gebotenen Güterabwägung der Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin nicht den Vorrang eingeräumt hat, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden“. 1443  Kühling, Arbeitskampf in der Diakonie, in: AuR 2001, 241 (243 ff.); Budde (Fn. 1208); vgl. auch Thüsing (Fn. 1438), 212. 1444  BVerfG, Beschl. v. 22.10.2014 – 2 BvR 661 / 12 – Rn. 120. 1437  Siehe

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

werden nun die Interessen des konkreten Falls miteinander in Ausgleich gebracht, wobei das Gericht hier besonders stark nicht nur die Notwendigkeit der Abwägung, sondern auch die Aufgabe der praktischen Konkordanz betont.1445 Auch sieht das Gericht die mit dem von ihm erschaffenen Prüfungsprogramm entstehende Problematik einer Scheinabwägung, in der wegen der weitreichen kirchlichen Vorgaben das Zurücktreten der Mitarbeitergrundrechte strukturell vorgegeben ist, wenn es klar stellt, dass die kirchlichen Interessen nicht prinzipiell überwögen und daher „,absolute Kündigungsgründe“‘ gerade nicht existierten.1446 Trotz des seitens des BVerfG unternommenen Versuchs, den von ihm befürworteten Abwägungsmodus zu legitimieren, bleibt auch auf zweiter Ebene das Problem der intendierten Abwägung trotz der Ausführungen des Gerichts bestehen: Selbst wenn absolute Kündigungsgründe nicht existieren und auch wenn eine umfassende Abwägung stattzufinden hat, bleibt es dabei, dass die Kirchen selbst bestimmen dürfen, welche Loyalität erwartet wird und insbesondere welches Gewicht entsprechenden Verstößen zukommt. Für die staatliche Gerichtsbarkeit bleibt also kaum ein Raum der eigenen Bewertung. Die Folge – so liegt es nahe – ist vielmehr, dass zwangsläufig nahezu immer das kirchliche Selbstbestimmungsrecht überwiegt, geben die Kirchen doch im Endeffekt gerade die zentralen Abwägungsgesichtspunkte – insbesondere die Schwere des Verstoßes – vor. Aus den bereits zur ersten Prüfungsstufe angeführten Gründen ist aber auch auf der zweiten Stufe eine – wie vom EGMR und BAG vorgenommene – umfassende Abwägung zwischen Selbstbestimmungsrecht und kollidierenden Grundrechten der Mitarbeiter vorzunehmen.1447 Das liegt nicht nur daran, dass Art. 137 Abs. 3 WRV dies in diesem Umfange auch fordert;1448 auf der zweiten, der Einzelfallebene tauchen gerade auch andere Fragestellungen auf, die auf der abstrakten ersten Ebene unberücksichtigt blieben.1449 Insoweit reicht es nicht, auf die im Rahmen der Prüfung der bürgerlichrechtlichen Wirksamkeit der Loyalitätspflichten vorgenommene Argumentation zu verweisen; vielmehr steht auf zweiter Ebene die Kündigung (oder die Nichteinstellung im Einzelfall), also der Verlust oder das Nichterhalten des Arbeitsplatzes im Vordergrund. Dies bedeutet zwar nicht, dass das kirchliche Selbstbestimmungsrecht hier ohne Relevanz wäre: Die Kündigung ist die 1445  BVerfG, Beschl. v. 22.10.2014 – 2 BvR 661 / 12 – Rn. 81, 124 ff.; siehe dazu auch Neureither (Fn. 1268), 493 ff., der die besondere Betonung der praktischen Konkordanz durch das Gericht begrüßt, die seiner Ansicht nach „in nicht wenigen eigenen (d. h. des BVerfG; VH) Entscheidungen, vor allem aber auch der Instanzgerichte, allzu sehr in Vergessenheit geraten zu sein scheint“ (497). 1446  BVerfG, Beschl. v. 22.10.2014 – 2 BvR 661 / 12 – Rn. 125. 1447  Vgl. auch Magen (Fn. 1097), 46 ff., 48 ff. 1448  Dazu ausführlich oben S. 300 ff. 1449  Siehe dazu bereits oben S. 163 ff., 214 ff.



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 387

Umsetzung der kirchenrechtlich beeinflussten Arbeitsverträge und damit als „Verwalten“ einer eigenen Angelegenheit i. S. v. Art. 137 Abs. 3 WRV zu werten.1450 Gleichwohl stehen auf Seiten der Mitarbeiter nicht die durch die Loyalitätspflicht an sich berührten, sondern vielmehr die vom Verlust des Arbeitsplatzes betroffenen Grundrechte, insbesondere also Art. 12 Abs. 1 GG (aa)) und Art. 3 GG im Mittelpunkt (bb)). aa) Berücksichtigung der Berufsfreiheit der Mitarbeiter (Art. 12 Abs. 1 GG) Die Berufsfreiheit ist von nicht zu unterschätzendem Wert, sichert sie doch die Berufswahl und -ausübung und damit die Existenz.1451 Gleichzeitig schützt Art. 12 Abs. 1 GG wegen seiner binären Grundrechtsausübung sowie seiner Implementierung der privatautonomen Gestaltung des Berufs­ lebens und der damit verbundenen nicht existenten Arbeitsplatzgarantie und Arbeitsplatzsicherung jedoch nur vor besonderen Unzumutbarkeiten und Interessenbeeinträchtigungen.1452 Fraglich ist dabei – gerade in Ansehung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts aus Art. 137 Abs. 3 WRV –, ob und gegebenenfalls inwieweit Art. 12 Abs. 1 GG die Interessenabwägung nach § 1 KSchG, § 626 BGB zu modifizieren imstande ist. (1) Grundsatz: Zulässigkeit der Sanktion Insbesondere aus der Implementierung der privatautonomen Gestaltung des Berufslebens in Art. 12 Abs. 1 GG folgt: Ist ein Vertragsinhalt zulässig, d. h. wurde die erste Prüfungsstufe bejaht, ist eine Kündigung bei entsprechender Missachtung durch den Mitarbeiter grundsätzlich gerechtfertigt. Das gilt erst recht angesichts des auf Seiten der Dienstgeber hinzutretenden und die Glaubwürdigkeit in hohem Maße schützenden kirchlichen Selbstbestimmungsrechts – zumindest, sofern kirchenrechtlich begründete Vertragsinhalte, also insbesondere Loyalitätspflichten, missachtet werden. Gleichwohl kann nicht jede Sanktion ohne Weiteres gerechtfertigt sein, soll der Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG nicht leerlaufen. Es muss daher Fälle und Situationen geben, in denen aufgrund ihrer Atypik die an sich zulässige Sanktion nicht gerechtfertigt werden kann. Die Frage, die sich nun dabei stellt, ist, welche Faktoren und welche Besonderheiten insoweit berücksich1450  Siehe dazu bereits oben S. 91  ff., 214 ff.; leider wird in Rechtsprechung und Literatur diese feine Unterscheidung vergeblich gesucht. 1451  BVerfGE 7, 377 (397); Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 12 Rn. 19 ff. 1452  Vgl. dazu bereits oben S. 215 ff.

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

tigungsfähig sind, mit welcher Begründung also die Unzulässigkeit der Sanktion (ausnahmsweise) legitimiert werden kann. Klar ist lediglich, dass nur solche Tatsachen beachtlich sind, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit den Loyalitätspflichten an sich stehen.1453 Bei der Bewertung der Sanktion im Einzelfall geht es nicht darum, aufgrund welchen Verhaltens – dies ist gerade die Frage auf erster Stufe –, sondern insbesondere wie und unter welchen Umständen sanktioniert wird. Dass sanktioniert werden darf, wird auf erster Stufe implementiert und auch nicht grundsätzlich von Art. 12 Abs. 1 GG verhindert. (2) Keine Anwendung der Drei-Stufen-Lehre Eine methodische Möglichkeit einer Identifizierung der die Sanktion ausschließenden Fälle könnte die Anwendung der allgemeinen Dogmatik des Art.  12 Abs.  1 GG in Form der Drei-Stufen-Lehre sein. Wie bereits angedeutet,1454 hängt bei der Berufsfreiheit wie auch bei anderen Grundrechten die Möglichkeit einer abwägungsbedingten Rechtfertigung eines Eingriffs von der Eingriffsintensität ab, wobei jedoch im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG mit der Drei-Stufen-Lehre eine besondere dogmatische Konstruktion entwickelt worden ist. Herkömmlich wird danach die Eingriffsintensität anhand der Unterscheidung zwischen Berufswahl- oder Berufsausübungsbetroffenheit getroffen und innerhalb des ersten Kriteriums noch einmal nach „objektiven“, d. h. von der betroffenen Person unbeeinflussbaren, und „subjektiven“, also entsprechend beeinflussbaren, Kriterien differenziert.1455 Je nach Zuordnung ändern sich die Rechtfertigungsanforderungen;1456 die Eigenschaft dieser Zuordnung als Strukturierung und Rationalisierung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist dabei unverkennbar.1457 Von daher sollte sie bereits allgemein nicht zu strikt, sondern vielmehr im Sinne einer argumentativen Hilfe und Empfehlung benutzt werden.1458 Zu beachten ist allerdings, dass die Drei-Stufen-Lehre zumindest auf die hier vorliegende Konstellation aus mehreren Gründen nicht anwendbar ist: Es geht hier losgelöst vom Inhalt der missachteten Pflicht um die Bewertung der Begleitum1453  Vgl.

dazu auch bereits oben S. 163 ff., 214 ff. dazu bereits oben S. 215 ff. 1455  Zu dieser Drei-Stufen-Lehre insbesondere BVerfGE 7, 377 (405 ff.); E 16, 286 (297); E 65, 116 (125); E 114, 196 (251 ff.); weitere Nachweise bei Mann, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 12 Rn. 125 ff.; siehe auch Scholz, in: Maunz / Dürig (Begr.), GG, 47. Lfg. 2006, Art. 12 Rn. 335 ff. 1456  BVerfGE 7, 377 (406  ff.); Kämmerer, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 12 Rn. 59. 1457  Mann (Fn. 1455), 142 ff. 1458  So auch Mann (Fn.  1455), 142 f. m. w. N. 1454  Siehe



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 389

stände der Sanktion, die nicht in das Schema Berufszulassung – Berufsausübung passen wollen. Letztlich ist hier nicht die abwehrrechtliche, sondern die Schutzpflichtfunktion betroffen und damit hinsichtlich der Beeinträchtigung das Bürger-Bürger-Verhältnis; daraus ist vor allem zu folgern, dass angesichts der bestehenden beruflichen Privatautonomie bereits wegen des Aspekts der Freiwilligkeit des Arbeitsvertrags und damit der Sanktionslegitimation eine Zuordnung von Stufenfeststellung und Eingriffsintensität nur schwer möglich ist. Mit anderen Worten: Der Zweck der Drei-Stufen-Lehre – die Rationalisierung und Strukturierung des Argumentationsprozesses – würde hier schnell vereitelt werden können. (3) Berücksichtigung aller kündigungsrelevanten Umstände Auch wenn die Berufsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 GG in diesem Fall nicht im Sinne der Drei-Stufen-Lehre zu behandeln ist, so bleibt ihr Einfluss auf die Interessenabwägung der § 1 KSchG, § 626 BGB bestehen. Um die Rolle der Berufsfreiheit bei loyalitätsbedingter Kündigung im Einzelfall heraus­ zukristallisieren, bedarf es einer Analyse ihrer funktionalen Beschaffenheit. Sinn und Zweck von Art. 12 Abs. 1 GG ist es bekanntermaßen, unzumutbare Beeinträchtigungen trotz bestehender beruflicher Privatautonomie zu verhindern.1459 Damit sind die § 1 KSchG, § 626 BGB selbst als Konkretisierung und Ausfluss der Berufsfreiheit anzusehen, so dass es einer verfassungsrechtlichen Modifikation dem Grunde nach nicht bedarf.1460 Das Ziel des Ausgleichs sozialer (Macht-)Gefälle ergibt sich freilich unabhängig vom Arbeitgeber, also auch im Bereich des kirchenspezifischen Arbeitsrechts. Daraus ist zu folgern, dass der Einfluss von Art. 12 Abs. 1 GG in Fällen loyalitätsbedingter Kündigung darin bestehen muss, im Sinne des allgemeinen Kündigungsschutzsystems sämtliche Umstände für beachtlich zu erklären, die das Inte­resse des Mitarbeiters vergrößern und insoweit die Eingriffsintensität in Art. 12 Abs. 1 GG erhöhen. Mit anderen Worten: Die Berufsfreiheit fordert in ihrer Schutzpflicht gerade trotz Bestehens des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts die Konservierung und Nichtveränderung bestehender Schutzvorschriften (§ 1 KSchG, § 626 BGB). Sie erstrebt folglich keine Modifikation, sondern die Beibehaltung allgemeiner Regelungen. Mag das kirchliche Selbstbestimmungsrecht auch wegen seiner besonderen Gewichtung dem entgegenstehen, die Schutzpflicht aus der Berufsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 GG verlangt gleichwohl die Berücksichtigung sämtlicher die Interessenlage 1459  Siehe

dazu bereits oben S. 215 ff. dazu Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen – eine Untersuchung zum Recht des materiellen Kündigungsschutzes, insbesondere zur Theorie der Kündigungsgründe, 1987, S. 117 ff.; Hergenröder (Fn. 1430), 121. 1460  Ausführlich

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

der Mitarbeiter beeinflussender Umstände. Inwieweit diese dann geeignet sind, das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen zu überwiegen und die Kündigung für unzulässig zu erklären, bleibt freilich eine andere Frage. Auch bei loyalitätsbedingten Kündigungen müssen die staatlichen Gerichte also vertrags- und kündigungsrelevante Umstände berücksichtigen wie das Alter, die Dauer der Beschäftigung oder finanzielle Belastungen der Mitarbeiter. Daraus folgt, dass die staatlichen Gerichte alle Umstände umfassend zu berücksichtigen haben, die das vertragliche Interesse des Mitarbeiters, wegen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts aber auch der Kirchen, zu beeinflussen imstande sind. Allerdings ist dies eine Frage des Einzelfalls und kann folglich abstrakt nur schwer ausbuchstabiert werden. Zu beachten sind jedenfalls alle solchen Faktoren, die den Loyalitätsverstoß – und damit die Beeinträchtigung der Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Moralnormen – oder aber die Kündigung als intensiver erscheinen lassen. So ist beispielsweise bei sachlichen Differenzen entscheidend, ob sie öffentlich – etwa in den Medien – ausgetragen und bekannt gemacht wurden.1461 Bei Ehebruch oder etwa Werbung für andere Religionsgemeinschaften kann ebenfalls von Beachtung sein, inwieweit dieses Fehlverhalten öffentlich bekannt war und ist. Auch die Kirchen selbst richten sich darauf ein und verzichten teilweise in Fällen fehlender Öffentlichkeitskenntnis auf eine Kündigung, sondern erteilen nur eine Versetzung in eine andere Gemeinde.1462 Ein an sich allgemeiner Interessenbelang auf Seiten des Mitarbeiters ist die Bewertung der weiteren Beschäftigungsmöglichkeit, die bei loyalitätsbedingten Kündigungen allerdings von besonderer Relevanz sein kann. Denn einmal gibt es in kirchlichen Einrichtungen teilweise Beschäftigungsfelder, für die es in weltlichen Betrieben nicht zwangsläufig entsprechende Arbeitsplätze gibt, etwa bei Kirchenmusikern. Darüber hinaus ist dieses Kriterium auch für „gewöhnliche“ Tätigkeitsfelder wie die medizinische oder erzieherische Arbeit auch dann von besonderer Bedeutung, wenn in räumlicher Nähe gar nicht die Möglichkeit der weltlichen Beschäftigung existiert, etwa weil sich alle relevanten Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft befinden und bei ihnen eine Weiterbeschäftigung gerade ausgeschlossen ist. Beide Faktoren können die Intensität des Eingriffs in die Berufsfreiheit so stark erhöhen, dass auch das entgegenstehende Selbstbestimmungsrecht der Kirchen eine Kündigung nicht mehr rechtfertigen kann. So hat auch der EGMR die deutsche Gerichtsbarkeit gerügt, sie habe in einem loyalitätsbedingten Kündigungsfall nicht hinreichend die beruflichen Folgen für den betroffenen Mitarbeiter berücksichtigt, insbesondere weil er als Kirchenmusiker nur schwer eine Neuanstellung finden könne.1463 auch EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 1620 / 03 – Schüth . / . Deutschland Rn. 72. für die katholische Kirche in dem Tatsachenbericht von Müller (Fn. 1292). 1461  So

1462  Beispiele



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 391

(4) Insbesondere: Verhältnismäßigkeit und mildere Mittel Weiterhin ist ein besonderes Kriterium respektive ein besonderer Umstand im weitesten Sinne der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Damit sind insbesondere die Einwände gemeint, nach denen die Kirche – nicht der Staat! – im Einzelfall mildere Mittel (als etwa die Kündigung) hätte einsetzen müssen.1464 Selbst Stimmen in der Literatur, die der Rechtsprechung folgen und insoweit nur zum ordre public zählende Grundsätze als Grenze loyalitätsbedingten kirchlichen Agierens ansehen, bejahen häufig das Verhältnismäßigkeitsprinzip als entsprechende Begrenzung.1465 Es wurde allerdings bereits erörtert, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip im Sinne eines eigenständigen (rechtsstaatlichen) Grundsatzes keine Grenze des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts bilden kann, sondern nur im Wege der Prüfung kollidierender subjektiv-rechtlicher Positionen Einfluss auf die Zulässigkeit kirchlichen Handelns zu gewinnen vermag.1466 Diese subjektiv-rechtlichen Positionen sind hier die Grundrechte. Daraus folgt, dass der Einwand eines milderen Mittels nicht eine eigenständige Begrenzung, sondern nur ein Argument innerhalb der grundrechtlichen Beschränkung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts sein kann. Dieses ist aber von nicht unerheblicher Bedeutung: Je stärker das Sanktionsmittel, desto belastender der Eingriff durch die Kirchen, desto intensiver die grundrechtliche Beschränkung durch das staatliche Unterlassen; je stärker also das Sanktionsmittel belastet, desto höher sind die Rechtfertigungsanforderungen. Allerdings ist weiterhin die grundrechtliche Freiheit gegen das kirchliche Selbstbestimmungsrecht, konkret: die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Moralnormen, abzuwägen. Daraus folgt, dass – wie bereits soeben angeführt – auch hier insbesondere die Aspekte eine Rolle spielen, die eine Abschwächung der Glaubwürdigkeitsbeeinträchtigung begründen. So ist etwa 1463  EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 1620 / 03 – Schüth . / . Deutschland Rn. 73: „Dass ein Mitarbeiter, dem von seinem kirchlichen Arbeitgeber gekündigt wurde, nur begrenzte Möglichkeiten hat, eine neue Beschäftigung zu finden, hat aber besondere Bedeutung. Das umso mehr, wenn der Arbeitgeber praktisch eine dominierende Position in einem gegebenen Tätigkeitsfeld hat und einige gesetzliche Privilegien für ihn gelten, wie das der Fall der zwei großen Kirchen in einigen Regionen Deutschlands insbesondere im Sozialbereich ist, z. B. für Kindergärten und Krankenhäuser (…), oder wenn die Ausbildung des gekündigten Mitarbeiters so geartet ist, dass er, wie in diesem Fall, außerhalb der Kirche als Arbeitgeber eine neue Beschäftigung nur schwer oder gar nicht finden kann“. 1464  Unruh (Fn. 1144), 195, spricht von „unannehmbaren Anforderungen“ ebenso wie die Rechtsprechung, siehe BVerfG, Beschl. v. 22.10.2014 – 2 BvR 661 / 12 – Rn. 121. 1465  So insbesondere Budde (Fn. 1208), 354, – freilich ohne nähere Begründung; in ähnliche Richtung Morlok (Fn. 1208), 64, und Unruh (Fn. 1144), 195. 1466  Siehe dazu bereits oben S. 267 ff.

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

das öffentliche Verbreiten einer Wiederheirat ein besonderer Eingriff in die kirchliche Glaubwürdigkeit; sollte hingegen die Eheschließung nach gesicherter Erkenntnis nicht nach außen gedrungen sein, könnte unter Umständen eine vorherige Abmahnung für den Mitarbeiter milder, aber für den Schutz kirchlicher Glaubwürdigkeit gleich geeignet sein. Es kommt auch hier maßgeblich auf den Informationsstand der Öffentlichkeit an. Dabei sei – exkursorisch – gesagt, dass die Frage nach einem milderen Mittel zumindest für die christlichen Kirchen kaum ein Problem sein dürfte, sind doch ihre Regelungen – und dabei insbesondere die der katholischen Kirche – am Verhältnismäßigkeitsprinzip ausgerichtet.1467 So beschreibt die neue Regelung in Art. 5 Abs. 3 GrO gerade die Abhängigkeit vom Einzelfall und von den die Mitarbeiter betreffenden äußeren Umständen („Interesse an der Wahrung des Arbeitsplatzes, das Alter, die Beschäftigungsdauer und die Aussichten auf neue Beschäftigung“). Selbst bei Loyalitätsverstößen verkündigungsnaher Beschäftigter ist eine Kündigung nicht unbedingt das einzige vorgesehene Mittel (Art. 5 Abs. 3 S. 4 GrO). bb) Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgebots (Art. 3 Abs. 1, 3 GG) Die Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgebots gem. Art. 3 Abs. 1 oder 3 GG gilt hier wohl faktisch wie bei weltlichen Arbeitgebern1468. Die Kirchen dürfen bei Anwendung der Sanktion ihre Mitarbeiter nicht aus Willkür oder nicht vertretbaren Gründen unterschiedlich behandeln, etwa dem einen Mitarbeiter kündigen, dem anderen hingegen nicht, gleichwohl derselbe Tatbestand gebrochener Loyalität vorliegt.1469 Insoweit wird hier kaum das kirchliche Selbstbestimmungsrecht berührt sein, beruhen doch etwaige Ungleichbehandlungen in der Regel nicht auf religiösen Vorstellungen oder Begründungen. Insoweit liegt keine „eigene Angelegenheit“ vor, sondern die Kirche bedient sich eines auch dem weltlichen Arbeitgeber zur Verfügung stehenden Instrumentariums. Insoweit gelten hier die allgemeinen dogmatischen Ausführungen zu einer Schutzpflicht aus Art. 3 Abs. 1 oder 3 GG.1470 1467  Siehe

dazu bereits oben S. 42 ff. trennen ist die Geltung des Art. 3 GG von der des zivilrechtlichen Gleichbehandlungsgebots, das nach umstrittener aber wohl herrschender Meinung in Kündigungsfällen keinen Anwendungsbereich entfaltet. Siehe nur Oetker (Fn. 1430), 90; vgl. Rolfs (Fn. 1431), 86. 1469  Vgl. BAG, NJW 1982, 2687 ff.; LAG Hessen, Urt. v. 19.12.2011 – 17 Sa 1973 / 10  – Rn. 36; Preis, Die unwirksame Kündigung, in: Stahlhacke / ders. / Vossen (Hrsg.), Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 11. Aufl. 2015, § 13 Rn.  252 f.; Oetker (Fn. 1430), 90 f.; dazu auch Rolfs (Fn. 1431), 86 ff. 1470  Dazu insbesondere bereits oben S. 191 ff. 1468  Zu



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 393

Es sei sogleich erwähnt, dass – zumindest sofern ein Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG nicht betroffen ist und auch kein den in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Kriterien nahekommendes Merkmal als Differenzierungsgrundlage dient –, eine Rechtfertigung des Unterlassens nicht sonderlich hohen Hürden unterliegt, bedarf es doch in diesem Fall (irgend-)eines hinreichenden Grundes für die Ungleichbehandlung.1471 Dadurch dass bei Kündigungen stets der Einzelfall zu betrachten ist und insoweit nicht wenige zu berücksichtigende Umstände Beachtlichkeit erlangen, steht hier selbst ein vom Gesetzgeber über § 1 KSchG, § 626 BGB zugelassener weiter Spielraum zur Verfügung.1472 Ein möglicher Verstoß führt zwar nicht dazu, dass eine Kündigung deswegen automatisch sozial gerechtfertigt ist, sondern hat nur ausnahmsweise Tatbestandswirkung;1473 gleichwohl führt die Bindung der staatlichen Gerichte an Art. 3 GG dazu, dass bei willkürlichen oder sonst gleichheitsrechtlich nicht gerechtfertigten Kündigungen ein Verfassungs- und damit Rechtsverstoß vorliegt und insoweit das die Kündigung bestätigende Urteil aufgehoben werden muss. Ebenso wie beim Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist auch hier zumindest für die katholische Kirche festzustellen, dass sie um Gleichbehandlung bei loyalitätsbedingten Sanktionen besonders bemüht ist. So richtet jede (Erz-) Diözese nach Art. 5 Abs. 4 GrO eine zentrale Stelle ein, die die Gleichbehandlung berücksichtigen und sicherstellen soll. Gleichzeitig lässt jedoch auch Art. 5 GrO die Abhängigkeit der Entscheidung vom Einzelfall besonders durchblicken und dadurch die leichte Begründbarkeit unterschiedlicher Sanktionierung zumindest erahnen. 1471  Zu dem so genannten Willkürverbot, das sich aber bei entsprechend intensiv wirkenden Differenzierungsmerkmalen auch zu einer Verhältnismäßigkeitsprüfung gerieren kann Boysen (Fn. 1362), 103 ff.; Kirchhof, in: Maunz / Dürig (Begr.), GG, 75. Lfg. 2015, Art. 3 Abs. 1 Rn. 264 ff.; Heun (Fn. 1356), 32; Machado, Verhältnismäßigkeitsprinzip vs. Willkürverbot – der Streit um den allgemeinen Gleichheitssatz, 2015; Kallina, Willkürverbot und neue Formel – der Wandel der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 Abs. 1 GG, 2001; grundlegend Hartmann, Willkürverbot und Gleichheitsgebot, 1972. 1472  Vgl. dazu nur BAG, NZA 1998, 323 (325). 1473  Rolfs (Fn. 1431), 87.1, sieht zu Recht darin überwiegend eine Frage der Beweiswürdigung: „Allerdings sind an die Darlegung und den Nachweis höhere Anforderungen zu stellen, wenn der Mitarbeiter seinerseits dartun kann, dass der Vorfall nicht gegenüber allen, sondern nur einzelnen Beteiligten zum Anlass für die Kündigung genommen worden ist. Dann nämlich liegt die Vermutung nahe, dass der Anlass allein objektiv nicht ausreichend gewichtig war, die Kündigung sozial zu rechtfertigen, sondern dass auch andere Umstände eine Rolle spielen. In diesem Rahmen kann, wenn der Mitarbeiter seine gem. § 7 AGG ungerechtfertigte Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität (§ 1 AGG) rügt, ihm die Beweiserleichterung des § 22 AGG zugutekommen“.

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

2. Nichteinstellung eines Bewerbers a) Verfassungsrechtliche Ausgangslage Neben einer Kündigung kommt insbesondere auch die Nichteinstellung eines Bewerbers in Betracht, wenn vorab klar oder absehbar ist, dass die Loyalitätspflichten nicht eingehalten werden, etwa weil der Bewerber nicht die passende Religionszugehörigkeit aufweisen kann oder erkennbar öffentlich gegen die kirchliche Haltung zu Abtreibungsfragen agieren wird. Dabei ist auf Seiten der kirchlichen Dienstgeber nicht nur das kirchliche Selbstbestimmungsrecht als Glaubwürdigkeitsschutz, sondern eine jedem Arbeitgeber zustehende spezifische Ausprägung der Berufsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 GG zuzugestehen, nach der auch dem Arbeitgeber die freie Berufsausübung und insoweit die freie Entscheidung über die Wahl der eigenen Mitarbeiter gewährleistet werden;1474 eine Pflicht gar zur Schaffung von Arbeitsplätzen besteht gerade nicht.1475 Diese Ausprägung kann auch als Unterfall der berufsbezogenen Vertragsfreiheit gezählt werden, zu der folgerichtig auch die freie Wahl des Vertragspartners gehört.1476 Zwar sind beide Rechte – Art. 137 Abs. 3 WRV und Art. 12 Abs. 1 GG – nicht unbeschränkt gültig und insoweit die Mitarbeitergrundrechte mit zu berücksichtigen.1477 Zumindest jedoch bezüglich solcher Loyalitätspflichten, die verfassungsrechtlich zulässig sind, kann eine Nichteinstellung als Glaubwürdigkeitsschutz a priori gerechtfertigt werden. Entsprechend anders sieht es bei solchen Loyalitätspflichten aus, die verfassungsrechtlich unzulässig sind; hier ist eine Nichteinstellung mangels schutzwürdiger Glaubwürdigkeit verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. 1474  BVerfGE 81, 156 ff.; Benecke, Grundsatz der Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien, in: Kiel / Lunk / Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 1, 4. Aufl. 2018, § 31 Rn. 1 ff.; Schmidt, in: Müller-Glöge / Preis / ders. (Hrsg.), Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 18. Aufl. 2018, Art. 12 GG Rn. 30 ff.; Hillgruber, Abschied von der Privatautonomie, in: ZRP 1995, 6 ff. 1475  Vgl. BVerfGE 81, 156 (188 ff.); Benecke (Fn. 1474), 32 ff. 1476  Isensee, Der Zugang zum öffentlichen Dienst – objektive Erfordernisse des öffentlichen Amtes und subjektiver Rechtsstatus des Bewerbers, in: Bachow / Heigl (Hrsg.), Verwaltungsrecht zwischen Freiheit, Teilhabe und Bindung – Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Bundesverwaltungsgerichts, 1978, 337 (347 ff.); Scholz, Die Berufsfreiheit als Grundlage und Grenze arbeitsrechtlicher Regelungssysteme, in: ZfA 12 (1981), 265 (275 ff.); Gitter / Boerner, Altersgrenzen in Tarifverträgen, in: RdA 1990, 127 (133); vgl. insbesondere Benecke (Fn. 1474), 1 ff., 36. 1477  Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Rechtsordnung auch zum Schutz der (künftigen) Mitarbeiter gesetzliche Abschlussgebote kennt (z. B. § 71 SGB XI), siehe dazu Benecke (Fn. 1474), 28; dies., Rechtliche Bindung der Vertragsfreiheit des Arbeitgebers, in: Kiel / Lunk / Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 1, 4. Aufl. 2018, § 32.



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 395

Aufgrund der nicht zu vernachlässigenden generellen Freiheit der Mitarbeiterwahl sind im Vergleich zu Kündigungsfällen auch kaum Einzelumstände beschreibbar, die ein jeweils anderes Ergebnis rechtfertigen können. Dahinter steht natürlich auch der allgemeine Gedanke einer vertrauensbedingten Schutzwürdigkeit: Im Falle der Kündigung ist der Mitarbeiter bereits angestellt gewesen, so dass sich die Sphäre des Mitarbeiters mit der Sphäre des kirchlichen Dienstgebers vereinigt hat und sich insoweit ein beiderseitiger (!) Vertrauenstatbestand entwickelt hat, als der Mitarbeiter auf die Beschäftigung und damit verbunden auf die Existenzsicherung durch den kirchlichen Dienstgeber vertraut hat. Im Falle der Nichteinstellung geht es hingegen gerade erst um die Anstellung und damit die einen Vertrauenstatbestand erst entwickelnde Sphärenvermengung. Es nimmt daher nicht Wunder, dass im ersten Fall aufgrund der überhaupt bestehenden vertrauensbedingten Schutzwürdigkeit die Umstände des Einzelfalls eine höhere Rolle spielen als in letzterer Konstellation. Mit anderen Worten können – wenn überhaupt – nur solche Umstände des Einzelfalls hier ein anderes Ergebnis liefern, die im Zusammenhang mit einem ausnahmsweise bestehenden besonderen Vertrauensverhältnis erscheinen. So kann eine loyalitätsbruchbezogene Nichteinstellung etwa dann trotz Zulässigkeit der entsprechenden Loyalitätspflicht unzulässig sein, wenn der Betroffene durch die Kirche bereits ausgebildet wurde und eine andere Beschäftigungsmöglichkeit gar nicht in Betracht kommt. Dabei ist es dann auch unerheblich, ob der Loyalitätsbruch bereits in der Ausbildungszeit vorgelegen hat bzw. bekannt gewesen ist. b) Kein für alle geltendes Gesetz? Probleme ergeben sich allerdings auf der Ebene der einfachrechtlichen Grundlage. Denn damit die Grundrechte der Bewerber im Verhältnis zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht angemessene Berücksichtigung finden können, bedarf es nach Art. 137 Abs. 3 WRV eines hinreichenden für alle geltenden Gesetzes. Zwar scheint dies zunächst unproblematisch zu sein, erfüllen doch grundsätzlich die Vorschriften des AGG eben jene Voraussetzungen, zumal in § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG ausdrücklich Ungleichbehandlungen in Bezug auf „die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg“ für unzulässig erklärt werden.1478 Allerdings kommt es für den das kirchliche Selbstbestimmungsrecht einschränkenden Charakter der §§ 1 ff. AGG ausschließlich auf die Interpretation der 1478  Dazu Schlachter, in: Müller-Glöge / Preis / Schmidt (Hrsg.), Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 18. Aufl. 2018, § 2 AGG Rn. 4 ff.

396

Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

für die Kirchen geltenden Ausnahmen in § 9 AGG an. Denn man könnte davon ausgehen, dass § 9 AGG denselben Umfang und dieselben Grenzen zu installieren beabsichtigt, die über Art. 137 Abs. 3 WRV aufgestellt werden.1479 So liegt die Behauptung nahe, in einer Norm, die ein Freiheitsrecht in identischer Form auf die einfachrechtliche Ebene ziehe, könne keine Beeinträchtigung desselben Freiheitsrechts gesehen werden.1480 Daher wird – auch bereits vor dem Erlass des AGG – teilweise eine Beschränkung der Mitarbeiterauswahl in § 75 BetrVG gesehen.1481 Allerdings ist das gesamte BetrVG nach § 118 Abs. 2 BetrVG nicht auf kirchliche Dienstgeber anwendbar, so dass auch § 75 BetrVG nicht imstande ist, das kirchliche Selbstbestimmungsrecht zu beschränken. Auch die Grundrechte sind keine Schranken an sich, binden sie doch ausschließlich den Staat und gelten mithin nicht für jedermann.1482 Auch wenn § 9 AGG letztendlich denselben Umfang wie das verfassungsrechtlich verbürgte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen aufweist, ist in dieser Vorschrift ein die Kirchenautonomie beschränkendes und für alle geltendes Gesetz zu sehen.1483 Denn § 9 AGG erlaubt eine entsprechende Ungleichbehandlung bei Einstellung des Mitarbeiters nur dann, sofern die aufgestellten Kriterien eine „gerechtfertigte berufliche Anforderung“ (Abs. 1) darstellen oder die Kirchen tatsächlich eine entsprechende Loyalitätspflicht (Abs. 2) verlangen dürfen. Die Freiheit der Kirchen wird also von Voraussetzungen abhängig gemacht, die die Autonomie beschränken. Insoweit ist es nicht das Ziel des § 9 AGG, die kirchliche Autonomie nicht zu verkürzen, sondern die Kirchenautonomie insoweit zu gewähren, als kollidierende Verfassungsgüter, insbesondere die Grundrechte der Betroffenen, dies überhaupt zulassen. § 9 AGG deckt sich also mit dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht nur in Ansehung der Grundrechte. Soweit die Abwägung zwischen beiden Verfassungsgütern das Zurücktreten der kirchlichen Selbstbestimmung verlangt, liegt der Ausnahmetatbestand des § 9 AGG nicht mehr vor und ist in den §§ 1 ff. AGG folglich die einfachrechtliche Grundlage der entsprechenden Beschränkung zu sehen. Die gewährleistungsinhaltliche Kongruenz von § 9 AGG und Art. 137 Abs. 3 WRV ergibt sich daher nicht aus der Vorschrift des § 9 AGG selbst, sondern aus der entsprechenden verfassungsrechtlichen Beeinflussung durch Art. 137 Abs. 3 WRV und die Grundrechte. 1479  Thüsing, in: Säcker / Rixecker / Oetker / Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 1, 8. Aufl. 2018, § 9 AGG Rn. 20 ff. (insb. 20). 1480  Vgl. Thüsing (Fn. 1479). 1481  Otto, Personale Freiheit und soziale Bindung, 1978, S. 28 ff. 1482  Siehe bereits oben S. 123 ff.; vgl. insbesondere Germann, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Beck-OK GG, Stand: November 2018, Art. 140 Rn. 43.2. 1483  Dazu auch Richardi (Fn. 1088), § 6 Rn. 4 ff.



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 397

III. Zusammentrag und Folgen für die staatliche Rechtsordnung und Rechtsprechung In diesem Kapitel wurden die loyalitätsbezogenen Sanktionen der kirch­ lichen Dienstgeber auf ihre Kompatibilität mit den grundrechtlichen Schutzpflichten der betroffenen Mitarbeiter untersucht. Abschließend sollen nunmehr etwaige Folgen der vorangegangenen verfassungsrechtlichen Untersuchung auf die einfache staatliche Rechtsordnung sowie Rechtsprechung aufgezeigt werden. 1. Staatlicher Gestaltungsspielraum Dabei ist zunächst in Erinnerung zu rufen, dass schutzpflichtbedingt notwendige Änderungen grundsätzlich einem staatlichen Gestaltungsspielraum unterliegen, so dass nur in Ausnahmefällen konkrete Maßnahmen vorzuschreiben sind.1484 Infolgedessen kann auch nicht sorgsam zwischen Änderungen in der staatlichen Rechtsordnung und Änderungen im Bereich der staatlichen Rechtsprechung unterschieden werden. Inwiefern die staatliche Schutzpflicht umgesetzt wird, obliegt der Entscheidung des Staates selbst. Das bedeutet, dass der Gesetzgeber auf eine bestehende schutzpflichtbedingte Änderung in Form eines Gesetzerlasses reagieren kann – und nur unter besonderen Umständen muss. Sofern er dies nicht tut, obliegt es allerdings der Rechtsprechung, die bestehenden Schutzpflichten umzusetzen, würden diese doch ansonsten obsolet werden. 2. Verfassungskonforme Auslegung und Anwendung des § 9 AGG Wie bereits dargestellt, sind die einzigen staatlichen ausdrücklich zu den Loyalitätspflichten in der Kirche gefassten Regelungen im AGG, und hier konkret in § 9 AGG, zu finden. Dabei ergeben sich bei der Auslegung und Anwendung des § 9 AGG im Spannungsfeld zwischen möglichen europarechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2000 / 78 / EG und verbindlichen verfassungsrechtlichen Wertungen besondere Probleme, die erhebliche Auswirkungen auf die Praxis des § 9 AGG haben. Die Untersuchungen haben zunächst gezeigt, dass § 9 AGG europarechtskonform dahingehend zu verstehen ist, dass die Fragen des Arbeitsrechts in den Kirchen durch die Europäische Union nicht geregelt werden dürfen.1485 1484  Siehe

dazu ausführlich bereits oben S. 252 ff. dazu bereits oben S. 136 ff.; vgl. dazu auch Richardi (Fn. 1088), 10 ff.; Mohr / von Fürstenberg, Kirchliche Arbeitgeber im Spannungsverhältnis zwischen grundrechtlich geschütztem Selbstbestimmungsrecht und europarechtlich gefordertem 1485  Siehe

398

Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

Europäische Vorgaben sind für das Verhältnis Staat-Kirche auch im Arbeitsrecht nicht ersichtlich und auch nicht zulässig. Sofern also in der Literatur eine bestimmte Auslegung des § 9 AGG maßgeblich auf die europäische Antidiskriminierungsrichtlinie 2000 / 78 / EG gestützt wird, wird dies nach hier vertretener Auffassung ausdrücklich nicht vertreten. Nichtsdestoweniger könnte der deutsche Gesetzgeber – unabhängig von europarechtlichen Vorgaben – zugunsten der Mitarbeiter weitergehenden Schutz gewollt haben. Dies ist auch europarechtlich nicht ausgeschlossen.1486 Dennoch bleibt insoweit die allgemeine Heuristik unter Beachtung der soeben festgestellten verfassungsrechtlichen Wertung maßgeblich. a) Zulässigkeit der Loyalitätspflichten (§ 9 Abs. 2 AGG) Nach § 9 Abs. 2 AGG ist es den Kirchen grundsätzlich erlaubt, „von ihren Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen zu können“. Dabei wird im Rahmen der einfach-rechtlichen Diskussion teilweise vertreten, dass damit nur „rein religiöse Pflichten“ gemeint seien, so dass nur solche Loyalität verlangt werden dürfe, die genuin religiösen Bezug aufweise, etwa das Nichteintreten gegen entsprechende Glaubenspositionen.1487 Andererseits wird vertreten, dass § 9 Abs. 2 AGG den verfassungsrechtlichen Gewährleistungsrahmen auf die einfach-rechtliche Ebene transferieren möchte.1488 Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist dem zuzugestehen, dass das Verbot praktizierter Homosexualität und das Verbot eheähnlichen Zusammenlebens sowie das Verbot des Austritts aus der Kirche des Dienstgebers trotz kirchenrechtlich gültiger Ehe unzulässig sind. Alle anderen Loyalitätspflichten, seien sie genuin religiös oder nicht, sind hingegen zulässig, so etwa auch das Verbot der Wiederheirat. Ein Diskriminierungsschutz, in: BB 2008, 2122 ff.; Pallasch, Kirchenaustritt als Kündigungsgrund  – zugleich Besprechung des Urteils BAG v. 25.4.2013, 2 AZR 579 / 12, in: RdA 2014, 103 (107). 1486  Zu der allgemeinen Möglichkeit der Nationalstaaten, ein von der Europäischen Union verfolgtes Ziel umfangreicher zu verfolgen, siehe nur Streinz, Europarecht, 10. Aufl. 2016, Rn. 482 ff.; Maier, Grundrechtsschutz bei der Durchführung von Richtlinien – eine Analyse im Spannungsfeld von Grundrechten der Europäischen Union, nationalen Grundrechten und EMRK-Rechten, 2014, S. 42 ff. 1487  Groh (Fn. 1353), 182 ff.; Schlachter, in: Müller-Glöge / Preis / Schmidt (Hrsg.), Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 18. Aufl. 2018, § 9 AGG Rn. 4; Kamanabrou (Fn. 1366), 328; Däubler, Was bedeutet „Diskriminierung“ nach neuem Recht?, in: ZfA 2006, 479 (485). 1488  Fink-Jamann, Das Antidiskriminierungsrecht und seine Folgen für die kirch­ liche Dienstgemeinschaft, 2008, S. 337 ff.; Voggenreiter, Der arbeitsrechtliche Teil des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, in: Rudolf / Mahlmann (Hrsg.), Gleichbehandlungsrecht, 2007, § 8 Rn. 33.



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 399

anderes Verständnis des § 9 Abs. 2 AGG würde angesichts der getroffenen Abwägung nicht durch die Grundrechte der Mitarbeiter gerechtfertigt werden können und damit einen unzulässigen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen darstellen.1489 Sofern man den Anwendungsrahmen des § 9 Abs. 2 AGG als mit dem Gewährleistungsgehalt des Art. 137 Abs. 3 WRV deckungsgleich ansieht, sind die oben erwähnten Einschränkungen vorzunehmen. Sollte man ein enges Verständnis des § 9 Abs. 2 AGG vertreten, muss im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung der Anwendungsrahmen der Vorschrift entsprechend erweitert werden. Soweit für § 9 Abs. 2 AGG vertreten wird, die Vorschrift verlange eine – staatlich beurteilte – Abstufung der Loyalitätspflicht,1490 ist zu konstatieren, dass ein solches Verständnis nicht nur Art. 137 Abs. 3 WRV unzulässig verkürzen würde, sondern auch gegen den Grundsatz staatlicher Neutralität in religiös-weltanschaulichen Angelegenheiten verstoßen würde.1491 Damit ist hinsichtlich der Frage, inwieweit Loyalität verlangt werden darf, ausschließlich auf das Selbstverständnis der Kirchen abzustellen.1492 b) Kirchenzugehörigkeit als Einstellungsvoraussetzung und andere religionsbezogene Ungleichbehandlungen (§ 9 Abs. 1 AGG) Da § 9 Abs. 1 AGG speziell für Ungleichbehandlungen wegen der Religion gilt, wird die Zulässigkeit der Kirchenzugehörigkeit als Einstellungsvoraussetzung über diese Vorschrift geprüft. Danach ist Entsprechendes rechtmäßig, sofern die „bestimmte Religion unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Kirche im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt“. Sofern – wie teilweise der Fall – vertreten wird, § 9 Abs. 1 AGG rechtfertige eine entsprechende Praxis nur bei verkündigungsnahen und nicht bei „glaubensfernen“ Tätigkeiten (z. B. Putzdienst),1493 wird nach hier vertretener Auffassung das kirchliche Selbstbestimmungsrecht unzulässig verkürzt 1489  Siehe

dazu ausführlich bereits oben S. 343 ff., 369 ff. in: Däubler / Bertzbach (Hrsg.), AGG, 4. Aufl. 2018, § 9 Rn. 58; Groh (Fn.  1353), 191 ff. 1491  Vgl. dazu ausführlich oben S. 319 ff. 1492  So auch Willemsen / Schweibert, Schutz der Beschäftigten im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, in: NJW 2006, 2583 (2585); Klostermann, Antidiskriminierung und das Arbeitsrecht in der evangelischen Kirche, in: KuR 2006, 112 (119); Joussen (Fn. 1366), 37. 1493  Schliemann, Europa und das deutsche kirchliche Arbeitsrecht – Kooperation oder Konfrontation?, in: NZA 2003, 407 (413); Thüsing (Fn. 1479), 11 f.; Schlachter (Fn. 1487), 1; Wendeling-Schröder / Stein, AGG, 2008, § 9 Rn. 33; Benecke, in: Loo1490  Wedde,

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

und – wegen der Notwendigkeit einer (staatlichen) Einstufung der Verkündigungsnähe – gegen den Grundsatz staatlicher Neutralität in religiös-weltanschaulichen Angelegenheiten verstoßen.1494 Die Kollision mit den Grundrechten der Mitarbeiter kann eine entsprechende Auslegung gerade nicht rechtfertigen. Selbst wenn jedoch eine solche Differenzierung notwendig und verfassungsrechtlich zulässig wäre, müsste aus Gründen des Art. 137 Abs. 3 WRV das kirchliche Selbstbestimmungsrecht eine maßgebliche Auslegungsrichtschnur bilden, denn eine objektiv-rechtliche Beurteilung – wie teilweise gefordert1495 – seitens des Staates verstößt gegen den Neutralitätsgrundsatz.1496 Eine staatliche Beurteilung, wann eine Loyalitätspflicht eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt, ist verfassungsrechtlich unzulässig. 3. Auslegung der allgemeinen zivil- und arbeitsrechtlichen Vorschriften § 9 AGG weist somit den gleichen Anwendungsrahmen auf wie Art. 137 Abs. 3 WRV, so dass insofern keine Beschränkung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts stattfindet. Die Existenz der Norm lässt sich dabei aus der angesichts der Richtlinie 2000 / 78 / EG bestehenden Notwendigkeit einer einfach-rechtlichen Regelung erklären. Insoweit gelten für die Begründung von Loyalitätspflichten und die entsprechende kirchliche Sanktionierung keine besonderen, sondern nur die allgemeinen Vorschriften des staatlichen Zivilrechts. a) Anerkennung kirchlicher Loyalitätspflichten (§§ 305 ff. BGB) Im Rahmen der (abstrakten) Anerkennung kirchlicher Loyalitätspflichten ist eine umfassende Abwägung zwischen Grundrechten der Mitarbeiter und kirchlichem Selbstbestimmungsrecht vorzunehmen und die bislang bestehende Rechtsprechung des BVerfG aufzugeben. Sofern der staatliche Gesetzgeber untätig bleibt, sind die §§ 305 ff. BGB durch die staatlichen Gerichte bei der Gestaltung kirchlicher Arbeitsverträge im Lichte der Grundrechte der schelders (Hrsg.), AGG, in: Gsell / Krüger / Lorenz / Reymann (Hrsg.), Beck-online Grosskommentar Zivilrecht, Stand: Dezember 2018, § 9 Rn. 30 ff. 1494  Vgl. dazu bereits oben S. 319 ff. 1495  Groh (Fn. 1487), 52 ff., 175 f. (Zusammenfassung). 1496  So im Ergebnis auch Schlachter (Fn. 1487), 1; Deinert, Mitarbeiterschutz vor Diskriminierung in kirchlichen Einrichtungen, in: EuZA 2009, 332 (336); Reichold, Europa und das deutsche kirchliche Arbeitsrecht – Auswirkungen der Antidiskriminierungs-Richtlinie 2000 / 78 / EG auf kirchliche Arbeitsverhältnisse, in: NZA 2001, 1054 (1059); Fink-Jamann (Fn. 1488), 311 ff.



B. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter 401

Mitarbeiter so auszulegen, dass das Verbot der praktizierten Homosexualität sowie des eheähnlichen Zusammenlebens mit einem Dritten trotz kirchenrechtlich bestehender Ehe als unzulässig eingestuft und insoweit nicht anerkannt werden. Im Übrigen sind die bestehenden Loyalitätspflichten verfassungsrechtlich zulässig. b) Bewertung der Sanktion im Einzelfall (§ 1 KSchG, § 626 BGB; § 1 ff. AGG) Auch hier gilt, dass, soweit der staatliche Gesetzgeber untätig bleibt, die staatlichen Gerichte die kirchliche Sanktion im Einzelfall unter Berücksichtigung der Grundrechte der Mitarbeiter wie auch des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts zu bewerten haben. Dabei müssen die staatlichen Gerichte insbesondere aus Gründen der Gleichbehandlung darauf achten, dass es innerhalb eines (Erz-)Bistums respektive einer Landeskirche nicht zu willkürlichen oder unverhältnismäßigen Ungleichbehandlungen von Mitarbeitern kommt, die dieselben Sanktionsvoraussetzungen erfüllen. Im Falle einer Kündigung sind die § 1 KSchG, § 626 BGB insoweit anzuwenden, dass im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung sämtliche Interessen von Mitarbeiter wie auch kirchlichem Dienstgeber Berücksichtigung finden. Dabei gilt zwar, dass eine Kündigung wegen Verstoßes gegen eine zulässige Loyalitätspflicht zulässig ist; dennoch können besondere Umstände des Einzelfalls die Intensität der Beeinträchtigung und damit die Schutzwürdigkeit auf beiden Seiten erhöhen und ein anderes Ergebnis rechtfertigen. So sind auf Mitarbeiterseite insbesondere die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit und die öffentliche Wirkung des Loyalitätsverstoßes zu berücksichtigen. Auf Seiten der Dienstgeber ist dagegen insbesondere zu untersuchen, inwiefern der Mitarbeiter den Loyalitätsverstoß als Mittel nimmt, die kirchliche Haltung in der Öffentlichkeit zu diskreditieren. Geht es um eine Kündigung aufgrund nichtkirchenspezifischer Umstände, etwa aus betrieblichen oder sonstigen verhaltensbedingten Gründen (z. B. häufiges Fehlen bei der Arbeit), gelten die § 1 KSchG, § 626 BGB für die Kirchen wie für alle anderen (weltlichen) Arbeitgeber, kann doch in diesem Fall das kirchliche Selbstbestimmungsrecht nicht in Stellung gebracht werden. Im Falle einer Nichteinstellung ist zu sehen, dass es grundsätzlich an einer den § 1 KSchG, § 626 BGB vergleichbaren gesetzlichen Grundlage fehlt und insoweit ausschließlich auf §§ 1 ff. AGG abzustellen ist, die nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG auch auf die Einstellung von Mitarbeitern in kirchlichen Einrichtungen Anwendung finden. Folglich richtet sich die Praxis zulässiger (Nicht-) Einstellung nach der oben beschriebenen Auslegung des § 9 Abs. 1, 2 AGG: Eine Nichteinstellung wegen des (vorhersehbaren) Verstoßes gegen das Ver-

402

Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

bot der praktizierten Homosexualität, das Verbot des Austritts aus der Kirche des Dienstgebers als auch das Verbot des eheähnlichen Zusammenlebens trotz kirchenrechtlich bestehender Ehe ist unzulässig, sofern nicht besondere Umstände des Einzelfalls eine Nichteinstellung legitimerweise als unzumutbar erscheinen lassen. Sofern also eine Nichteinstellung wegen (absehbaren) Verstoßes gegen die Loyalitätspflichten erfolgt, ist der in § 9 Abs. 2 AGG genannte Begriff des „loyalen und aufrichtigen Verhaltens“ entsprechend den oben dargestellten Grundsätzen auszulegen. Geht es hingegen um die Nichteinstellung wegen fehlender Kirchenzugehörigkeit, ist § 9 Abs. 1 AGG insoweit anzuwenden, als die Zugehörigkeit eine entsprechende „gerechtfertigte berufliche Anforderung“ darstellt. Darüber hinaus gelten die §§ 7 ff. AGG – wie auch die § 1 KSchG, § 626 BGB bei Kündigungen – auch insoweit, als eine Nichteinstellung aus nichtkirchenspezifischen Gründen, etwa fehlender fachlicher Qualifikation oder zu erwartender Unzuverlässigkeit, erfolgt. Denn für diese Fälle greifen § 9 Abs. 1, 2 AGG, die nur kirchenspezifische Anwendungsfälle im Blick haben, nicht.

C. Die kirchlichen Koalitionssysteme und die Grundrechte der Mitarbeiter Im Vergleich zu der Beurteilung loyalitätsbedingter Sanktionen ergeben sich bei der verfassungsrechtlichen Bewertung des „Dritten Wegs“ einige Unterschiede: Zunächst ist die Prüfung nicht zwischen einer abstrakten und einer konkreten Ebene zu gliedern, sondern es geht alleine um die (abstrakte) Anerkennung und Wirksamkeit des in den einschlägigen Kirchengesetzen verankerten Arbeitsrechtsregelungssystems, einschließlich des Streikverbots. Darüber hinaus gibt es keine vergleichbare Anzahl verschiedener betroffener Grundrechte, sondern insgesamt sind nur Art. 9 Abs. 3 GG – sowohl individuell als auch kollektiv – (I.) und Art. 3 Abs. 1 GG (II.) betroffen.

I. Freiheitsrechtliche Bewertung – Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG Ein kircheigenes Koalitionssystem kollidiert auf der Ebene der Mitarbeiter und Koalitionen mit der Koalitionsfreiheit gem. Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG, die sich der Frage der Zulässigkeit koalitionsbezogener Maßnahmen widmet. Dabei ist freilich der Maßstab des Konflikts zwischen grundrechtlicher Freiheit und kirchlicher Selbstbestimmung wegen der Struktur der Koali­ tionsfreiheit gesondert zu erörtern. Dies soll zunächst erfolgen (1.). Anschließend sind daran einmal die Variante des „Dritten Wegs“ in der katholischen und in den meisten evangelischen Kirchen (2.) und einmal die Variante des kirchengemäßen „Zweiten Wegs“ in zwei evangelischen Landeskirchen (3.)

Sachliche Differenzen

Religiös motivierte Konflikte

Außerdienst­ liches Verhalten

z. B. Verbot des öffentlichen Werbens für Abtreibungen; Verbot bestimmter Behandlungsmethoden (z. B. „Pille danach“)

Kirchenaustritt; fremde Symbole; öffentliches Entgegentreten insb. Art. 5 GG

Art. 3 III

Art. 4 I, II

Art. 3 III

Art. 4 I, II



Art. 2 I

Eheähnliches Zusammenleben

Kirchenzugehörigkeit

+

Art. 6 I

Neuverheiratung

+

+

+

+

Art. 2 I (ggf. Art. 6 I)

+

+

+



+

+



– (Verbot der gleich­geschl. Ehe +)

Ehebruch

Kündigung (§ 1 KSchG, § 626 BGB; §§  7 ff. AGG)

+

+

+



+

+



Nichtein­ stellung (§§  7 ff. AGG)

zudem: Art. 3 I (Gleichbehandlung bei gleichem Loyalitätsbruch)

aber: Umstände des Einzelfalls (z. B. Beschäftigungsmöglichkeiten; Kenntnis der Öffentlichkeit)

Betroffenes Grundrecht: Art. 12 I

2. Stufe: Einzelfallbewertung der Sanktion

Zulässigkeit

Art. 2 I (ggf. Art. 6 I GG)

Betroffene Grundrechte (neben Art. 12 I; Art. 3 I)

Praktizierte Homo­ sexualität

Loyalitätspflicht

1. Stufe: abstrakte Anerkennung (§  305 ff. BGB; §  7 ff. AGG)

C. Die kirchlichen Koalitionssysteme und die Grundrechte der Mitarbeiter 403

404

Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

zu messen. Im Zuge dessen lassen sich zudem weitere Aussagen über das Verhältnis von Tarifverträgen und kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen treffen, das Letzteren unterliegenden Mitarbeitern und Koalitionen teilweise nachteilig zu sein scheint (4.). 1. Der Maßstab der Konfliktlösung a) Die Koalitionsfreiheit als systemunabhängiges und normgeprägtes Grundrecht Um die Frage nach der Zulässigkeit des kirchlichen Arbeitsrechtsregelungssystems zu beantworten, bedarf es zunächst des Vergegenwärtigens des hierfür einschlägigen Maßstabs. Dies ist in diesem Fall deshalb von Bedeutung, da die Koalitionsfreiheit gem. Art. 9 Abs. 3 GG kein „gewöhnliches“ Grundrecht, sondern – wie bereits gezeigt1497 – ein systemunabhängiges und normgeprägtes Freiheitsrecht ist, was nicht zuletzt besondere Auswirkungen auf den Maßstab der Rechtfertigung hat. Denn dadurch, dass die Koalitionsfreiheit kein festes Koalitionssystem vorgibt und darüber hinaus der staatlichen Gewalt die Ausgestaltung des Koalitionssystems eröffnet, könnte hier mit der kirchenrechtlichen Gestaltung eines eigenen Koalitionssystems ohne Streikrecht kein „klassischer“ Eingriff (durch Unterlassen), sondern eine Form der Ausgestaltungsgewährung der Koalitionsfreiheit vorliegen, für die ein anderer Rechtfertigungsmaßstab als für Eingriffe gelten könnte. b) Die Anwendung eines besonderen Ausgestaltungsmaßstabs Es ist nunmehr zu klären, ob auf das kirchenrechtliche Koalitionssystem ein besonderer Ausgestaltungsmaßstab anzuwenden ist. Voraussetzung dafür ist, dass die Ausgestaltung und damit ein ihr eigens zugeordneter Ausgestaltungsmaßstab von den anderen Funktionen der Koalitionsfreiheit – namentlich der Abwehr- und Schutzfunktion – abgegrenzt werden kann. Bildet die Ausgestaltung hingegen nur einen entsprechenden Unterfall der herkömm­ lichen Funktionen, kann ein eigenständiger Maßstab freilich keine Anwendung finden. Erst wenn die Ausgestaltung als eigenständige Funktion der Koalitionsfreiheit zu qualifizieren ist, kann geprüft werden, ob ein gesonderter Ausgestaltungsmaßstab überhaupt existiert und ob respektive gegebenenfalls inwieweit er auf die hier liegende Situation des kirchlichen Koalitionssystems Anwendung findet. 1497  Siehe dazu ausführlich oben S. 218 ff.; die Unterscheidung zwischen Eingriff und Ausgestaltung hat keine Auswirkungen auf die Frage des Schutzbereichs, weswegen sie erst an jetziger Stelle ausgeführt wird.



C. Die kirchlichen Koalitionssysteme und die Grundrechte der Mitarbeiter 405

Die Einordnung und Klassifizierung der Ausgestaltung in das Spektrum der Koalitionsfreiheit erfolgen üblicherweise ausschließlich im Verhältnis zur Abwehrfunktion, also in Abgrenzung zum aktiven Eingriff in die Koalitionsfreiheit. Dem ist daher zunächst nachzugehen (aa)). Kann dabei die Ausgestaltung als eigenständige Funktion vom Eingriff unterschieden werden, stellt sich die Frage, ob die Generierung des kirchlichen Koalitionssystems danach überhaupt als Ausgestaltung zu bezeichnen wäre – zunächst ungeachtet der Tatsache, dass es sich keinesfalls um eine staatliche Ausgestaltung handeln kann (bb)). Erst wenn auch dies zu bejahen ist, kann der Punkt berücksichtigt werden, dass nicht der Staat, sondern die Kirchen das Koalitionssystem „geschaffen“ haben. Insofern ist dann zu prüfen, ob eine Differenzierung zwischen Beeinträchtigung und Ausgestaltung entsprechend auch im Rahmen der Schutzpflichtenfunktion der Koalitionsfreiheit durchführbar ist (cc)). Erst wenn auch dies bejaht werden kann, ist dieser eigene Ausgestaltungsmaßstab, der auch für die kirchenrechtliche Ausgestaltung des eigenen Koali­ tionssystems gilt, zu bestimmen (dd)). aa) Die Differenzierung zwischen Eingriff und Ausgestaltung Die teilweise Normgeprägtheit der Koalitionsfreiheit führt zu dem Problem der Einordnung einer staatlichen Koalitionssystemausgestaltung. Schwierigkeiten ergeben sich insbesondere bei der Bestimmung des Verhältnisses zwischen abwehrrechtlichem Eingriff und staatlicher Ausgestaltung. Insoweit wird teilweise behauptet, eine (staatliche) Ausgestaltung sei – wenn überhaupt – nur ein Unterfall des (abwehrrechtlichen) Eingriffs und daher mit demselben Maßstab zu behandeln.1498 Dies hätte allerdings automatisch zur Folge, dass Ausgestaltungen denselben Schranken wie Eingriffe unterlägen, so dass es einen besonderen Ausgestaltungsmaßstab gar nicht geben könnte. Begründet wird dies überwiegend damit, dass jede Ausgestaltung zumindest die (negative) Wahlfreiheit der Betroffenen berühre und damit einen klassischen Eingriff darstelle, weil sie eine für die Grundrechtsträger bindende organisatorische Neuausrichtung begründe.1499 In der Konsequenz bedeute ein eigenständiger Ausgestaltungsmaßstab trotz bestehender freiheitsbeschränkender Wirkung die Umgehung des entsprechenden Eingriffs- bzw. 1498  Scholz, in: Maunz / Dürig (Begr.), GG, 81. Lfg. 2017, Art. 9 Rn. 72 ff.; Cornils, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Beck-OK GG, Stand: November 2017, Art. 9 Rn. 72 ff. et passim; gänzlich gegen eine Unterscheidung zwischen beiden Instituten Hillgruber, Grundrechtlicher Schutzbereich, Grundrechtsausgestaltung und Grundrechtseingriff, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 9, 3. Aufl. 2011, § 200 Rn. 62 ff. 1499  Cornils (Fn. 1498), 79.1.; Hopfner, Grundgesetz und gesetzliche Tarifeinheit bei Tarifpluralität, 2015, S. 229 ff.

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Schrankenmaßstabs.1500 Andererseits wird zugegeben, dass zwar grundsätzlich zwischen Eingriff und Ausgestaltung zu trennen sei. Allerdings komme es insbesondere dann zu Überschneidungen und Zusammenfällen, wenn die Ausgestaltung bestehende Systemregelungen für die Betroffenen nachteilig abändere (sog. Umgestaltungen) oder wenn die Ausgestaltung der Grundrechtskollisionslösung diene, also die typisch abwehrrechtliche Aufgabe eines Grundrechtsausgleichs übernehme.1501 Denn in diesen Fällen bleibe es zwar bei einer Ausgestaltung, die jedoch gleichzeitig die Kriterien eines Eingriffs erfülle und damit insgesamt wie ein solcher zu behandeln sei.1502 Auch eine entsprechende Gleichbehandlung hätte zumindest in dem Fall des kirch­lichen Koalitionssystems zur Folge, dass eine mögliche Ausgestaltung wie ein klassischer Eingriff zu behandeln wäre, weil sie zumindest dem Ausgleich zwischen Koalitionsfreiheit der Mitarbeiter und kirchlichem Selbstbestimmungsrecht diene. Unabhängig davon, dass es sich hier um keine staatliche Ausgestaltung handelt, wäre ein besonderer Ausgestaltungsmaßstab dann ohnehin nicht möglich. Für diese Sichtweise spricht zunächst Zweierlei: Einmal wird ein Eingriff als jedes staatliche Verhalten bezeichnet, das den Schutzbereich verkürzt.1503 Eine solche Wirkung können folgerichtig aber auch Ausgestaltungen der Materie aufweisen – zumindest unter der Voraussetzung, dass sie im Vergleich zu dem früheren Schutzbereich tatsächlich eine Schutzreduzierung begründen. So kann es doch eigentlich keinen Unterschied machen, ob einem Gewerkschaftsmitglied etwa durch den Arbeitgeber oder durch eine staatliche Regelung das Betreten eines Betriebs untersagt wird. In beiden Fällen handelt es sich um eine belastende und damit eingreifende Maßnahme, eine genaue Differenzierung zwischen Eingriff und Ausgestaltung ist zumindest schwierig. Eine darauf aufbauende Gleichstellung von Eingriff und Ausgestaltung hätte – zweitens – zur Folge, dass Ausgestaltungen, die faktisch Eingriffe (für die Zukunft) darstellen, hinsichtlich ihrer belastenden Wirkung 1500  Hillgruber

(Fn. 1498), 64 ff. Koalitionsautonomie im Zugriff des Gesetzgebers – verfassungsrechtliche Grundlagen einer Änderung des Tarifrechts und Möglichkeiten zur Anpassung von Tarifverträgen an geändertes Gesetzesrecht, 2007, S. 122 ff.; Gellermann, Grundrechte im einfachgesetzlichem Gewande – Untersuchung zur normativen Ausgestaltung der Freiheitsrechte, 2000, S. 398 ff.; Butzer, Verfassungsrechtliche Grundlagen zum Verhältnis zwischen Gesetzgebungshoheit und Tarifautonomie, in: RdA 1994, 375 ff.; Söllner, Tarifmacht – Grenzen und Grenzverschiebungen, in: NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, 33 (36); Kingreen / Poscher, Grundrechte, 34. Aufl. 2018, Rn. 270, die allgemein einen Eingriff bei Umgestaltungen annehmen, die historisch betrachtet „mit der Tradition brechen“; i. E. auch Hopfner (Fn. 1499). 1502  Maschmann (Fn. 1501); Gellermann (Fn. 1501); Hopfner (Fn. 1499). 1503  Zum Begriff des Eingriffs allgemein Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 123 ff. 1501  Maschmann,



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für den Grundrechtsträger nicht degradiert werden würden und eine „künst­ liche“ Trennung zwischen Ausgestaltung und Eingriff vermieden werden würde.1504 Eine Gleichstellung von Eingriff und Ausgestaltung ist aber letztlich weder inhaltlich noch strukturell überzeugend. Denn ihr liegt zunächst inhaltlich der Gedanke zugrunde, dass dem Gesetzgeber auch bei der Ausgestaltung „eine Grenze gezogen werden“1505 müsse. Dies wird aber auch nach der hier vertretenen Ansicht gar nicht bestritten; vielmehr wird aus strukturellen Gründen, die sich aus der Normgeprägtheit der Koalitionsfreiheit ergeben1506, „nur“ ein Gleichlaufen des Schrankenmaßstabs von Eingriff und Ausgestaltung abgelehnt und damit für einen differenten Schrankenmaßstab beider Institute geworben: Das Vorliegen eines Eingriffs ist gerade von der Reichweite des Schutzbereichs abhängig („Eingriff in den Schutzbereich“). Denn bei einem klassischen Eingriff bleibt der an sich bestehende Schutzbereich statisch und wird nur im konkreten Fall verkürzt; bei Ausgestaltungen hingegen wird gerade auf die Reichweite des Schutzbereichs an sich und generell eingewirkt: Art. 9 Abs. 3 GG überlässt die Definition des Schutzbereichs überwiegend dem Gesetzgeber. Solange er den Schutzbereich definiert, kann also begriffslogisch kein Eingriff in den Schutzbereich vorliegen. Eine Ausgestaltung ist also einem Eingriff formell vorgelagert, weil er zunächst allein den Schutzbereich und dessen Reichweite berührt. Wird also gerade kein zwingendes Koalitionssystem vorgegeben und ist die staatliche Gewalt grundsätzlich zur Ausgestaltung des Systems zuständig, so kann ein Eingriff de facto nur vorliegen, wenn es gerade nicht um die schutzbereichskonstituierende Änderung oder Erweiterung eines Systems geht. Daher ist auch das Argument mit der freiheitsbeschränkenden Wirkung einer Ausgestaltung denklogisch nicht überzeugend: Für eine freiheitsbeschränkende Wirkung bedarf es überhaupt erst einmal eines Freiheitsraums; dieser wird aber gerade erst durch die Ausgestaltung konstituiert. Etwas Anderes kann nur gelten, wenn man von einem von vornherein existierenden, „natürlichen“ und allumfassenden Freiheitsraum ausgeht, der durch die Ausgestaltung erst beschränkt wird. Dies ist aber nicht der Fall, vielmehr entscheiden 1504  Vgl. Cornils (Fn. 1498), 73 f.; zur vergleichbaren Problematik bei Art. 14 GG siehe insbesondere Epping, Grundrechte, 7. Aufl. 2017, Rn. 460 ff.; Hufen, Staatsrecht II, 7. Aufl. 2018, § 38 Rn. 21 ff. 1505  So ausdrücklich Kingreen / Poscher (Fn. 1501). 1506  Vgl. zu dieser Argumentation insbesondere auch Döttger, Der Schutz tariflicher Normsetzung, 2003, S. 124 f.; Friese, Kollektive Koalitionsfreiheit und Betriebsverfassung, 2000, S. 228; Dörner, Die Anrechnungsbestimmungen des § 4a I EFZG und des § 10 I BUrlG und die Tarifautonomie, in: NZA 1998, 561 (563 f.); allgemein dazu auch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1999, Rn. 303 ff.; dagegen insbesondere Hillgruber (Fn. 1498).

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die Grundrechte, welcher Freiheitsraum gewährleistet wird.1507 Im Falle der Koalitionsfreiheit hat das Grundgesetz diese Aufgabe überwiegend dem Gesetzgeber überlassen. Von einem vorgelagerten, allgemeinen Koalitionsfreiheitsraum ist daher nicht zu sprechen. Infolgedessen kann auch nicht der Einwand erhoben werden, die Exklusivität von Eingriff und Ausgestaltung schwäche den Grundrechtsschutz durch Umgehung der Schrankenregelungen.1508 Denn dadurch, dass Eingriff und Ausgestaltung unterschiedliche Strukturebenen treffen und damit unterschiedliche Wirkungsweisen entfalten, ist gerade eine Differenzierung zwischen Ausgestaltungs- und Eingriffsschranken notwendig. Ziel einer Ausgestaltung ist es, insbesondere (rechts-) kulturell vorgeprägte Institutionen und Tatsachen durch die Übertragung der Verantwortung auf den Gesetzgeber einer flexiblen, praxistauglichen und entwicklungsoffenen Behandlung zu unterwerfen.1509 Dies würde ausgehöhlt, wenn der Gesetzgeber demselben Maßstab eines Eingriffs unterläge und es insoweit keinen Unterschied mehr machen würde, ob er den Schutzbereich konstituiert oder einen bestehenden Schutzbereich beeinträchtigt. Darüber hinaus beinhalten Eingriffe und Ausgestaltungen unterschiedliche Aufgaben an den Staat: Zum einen die Pflicht des Unterlassens eines konkreten Vorhabens und zum anderen das aktive Gestalten eines nicht konkretisierten Vorhabens. Daher erfüllen beide auch unterschiedliche Grundrechtsfunktionen: Ein Eingriff betrifft die abwehrrechtliche, eine Ausgestaltung jedoch eine leistungsrechtliche Grundrechtsfunktion.1510 Analog zu den Schutzpflichten1511 unterliegt diese damit auch einem grundsätzlich unterschiedlichen Maßstab und wegen der Unbestimmtheit des verfassungsmäßigen Gegenteils einem weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers.1512 insbesondere Hesse (Fn. 1506), 304. aber Hillgruber (Fn. 1498), 67. 1509  Rüthers, Funktionswandel in der Koalitionsautonomie, in: Walter-RaymondStiftung (Hrsg.), Die Zukunft der sozialen Partnerschaft, 1986, 43 ff.; Adomeit, Das Arbeitsrecht und unsere wirtschaftliche Zukunft, 1985, S. 13 ff.; Scholz, Koalitionsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 8, 3. Aufl. 2010, § 175 Rn. 17 f. m. w. N. 1510  Allgemein Gellermann (Fn. 1501), 51  f. m. w. N.; für die Koalitionsfreiheit Scholz (Fn. 1509), 14 ff.; Teubner, Organisationsdemokratie und Verbandsverfassung, 1978, S.  261 ff.; Gerhardt, Das Koalitionsgesetz, 1977, S. 177 ff.; auch das BVerfG spricht bei der Ausgestaltungsdimension ausdrücklich von einem „objektiv-rechtlichen Gehalt“, siehe BVerfG, NJW 1996, 185 (186); Kemper, in: von Mangoldt / Klein /  Starck (Hrsg.), GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 9 Rn. 141, spricht etwa bei der Koali­ tionsautonomie davon, dass sie sich als Bestandteil der Koalitionsfreiheit „nicht in der reinen Abwehr staatlicher Eingriffe“ erschöpfe, sondern eine leistungsrechtliche Gewährleistung enthalte. 1511  Siehe dazu bereits ausführlich oben S. 251 ff. 1512  So auch die Argumentation bei Gellermann (Fn. 1501), 57 ff.: „Während das dem Gesetzgeber im Bereich der Eingriffsabwehr untersagte Handeln zumindest auf 1507  Dazu 1508  So



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Eine Gleichstellung von Eingriff und Ausgestaltung ist also nicht überzeugend.1513 Vielmehr lässt sich ein entsprechender Wunsch nach einer Gleichstellung von Eingriff und Ausgestaltung möglicherweise sowohl mit dem Ziel eines möglichst geringen staatlichen Gestaltungsspielraums, als auch mit der lange Zeit geltenden Rechtsprechung begründen. Denn trotz ihrer grundsätzlichen Forderung nach einer Trennung von Eingriff und Ausgestaltung hat die Rechtsprechung aufgrund ihrer undogmatischen Ausrichtung ein kaum zu durchschauendes Labyrinth geltender Maßstäbe entwickelt und insoweit gerade der Abgrenzung von Eingriff und Ausgestaltung erhebliche Schwierigkeiten bereitet.1514 Die Möglichkeit einer Abgrenzung beider Institute wurde sogar unmöglich gemacht, indem nach Ansicht der Rechtsprechung „gesetzder abstrakten Ebene präzise festgelegt und sein Verhalten ‚konditional programmiert‘ wird, ist die Auftragsseite als ein ‚Finalprogramm‘ zu begreifen, dessen Erfüllung von zahlreichen Faktoren abhängt und in dessen Logik es liegt, daß seine Ausführungen, insbesondere die Auswahl der Mittel sowie die Auflösung etwaiger Zielkonflikte, grundsätzlich dem Gestaltungsermessen des Gesetzgebers überlassen bleibt“ (78), mit Verweis auf Brohm, Soziale Grundrechte und Staatszielbestimmungen in der Verfassung, in: JZ 1994, 213 (218), und Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 2. Aufl. 2005, S. 112. 1513  BVerfGE 50, 290 (368); E 92, 365 (394); E 4, 96 (106); E 19, 303 (321 f.); E 44, 322 (341 f.); vgl. E 93, 352 (358); E 94, 268 (283); vgl. zur Rechtsprechung auch den Überblick bei Kemper (Fn. 1510), 82 ff., 141 ff., und Bauer, in: Dreier (Hrsg.); GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 9 Rn. 85 f.; weiterhin Greiner, Rechtsfragen der Koalitions-, Tarif- und Arbeitskampfpluralität, 2010, S. 146 ff.; Jarass, Grundrechte als Wertentscheidungen bzw. objektiv-rechtliche Prinzipien in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: AöR 110 (1985), 363 (391 f.); HoffmannRiem, Grundrechtsanwendung unter Rationalitätsanspruch, in: Der Staat 43 (2004), 203 (223 f.); Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht – zur Problematik des kirchlichen Arbeitsrechtsregelungsverfahrens insbesondere des sog. Dritten Weges der Kirchen, 1983, S.  128 ff.; Höfling, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 9 Rn. 124; Löwer, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 9 Rn. 74 f. 1514  So auch die zusammenfassende Bewertung bei Volkmann, Staatsrecht II, 2. Aufl. 2011, § 17 Rn. 106 ff.; Bauer (Fn. 1513), 91; Cornils (Fn. 1498), 95 ff.: „Die Rspr. des BVerfG ist insoweit von vielen Unklarheiten gekennzeichnet, die eine wesentliche Ursache schon in der unscharfen Abgrenzung zum Grundrechtseingriff haben. Elemente der Eingriffsrechtfertigung (Verhältnismäßigkeitsprinzip!) und einer spezifisch anders gearteten Ausgestaltungsbindung vermischen sich daher häufig zu einer unklaren Gemengelage, siehe etwa: BVerfG NJW 1995, 2339 ff.: Einstieg in die Prüfung als Ausgestaltung, dann aber ‚normale‘ Eingriffsprüfung (‚Beschränkung‘) am Maßstab der Verhältnismäßigkeit; BVerfG NJW 1991, 2549 ff., wo zwar ständig von der Ausgestaltung, simultan aber auch von der ‚Beschränkung‘ der koalitionsmäßigen Betätigung die Rede ist sowie – ganz irritierend – davon, dass die Frage, inwieweit Arbeitskampfmittel eingesetzt werden dürften, ‚keine Frage des Schutzbereichs, sondern der Ausgestaltung des Grundrechts durch die Rechtsordnung‘ sei (S. 2550)“ (95).

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liche Regelungen (…) der Koalitionsfreiheit auch Schranken ziehen“ konnten.1515 Daneben wechselte das BVerfG zudem so häufig die Prüfungsebene, dass eine strukturierte bundesverfassungsgerichtlich angeleitete Grundrechtsanwendung zumindest bezüglich der Koalitionsfreiheit nicht mehr möglich war.1516 Eine verwirrende Rechtsprechung mag den Gedanken an eine Gleichstellung von Eingriff und Ausgestaltung nachvollziehbar erscheinen lassen, ein dogmatisches Argument ist es aber freilich nicht. bb) Das kirchliche Koalitionssystem als Ausgestaltung Tritt die Ausgestaltungsfunktion neben die Abwehrfunktion, bleibt die Frage, wie beide voneinander abzugrenzen sind und ob der kirchenrechtliche Ausschluss des Tarifvertragssystems und des Streikrechts überhaupt eine Ausgestaltung sein kann. Da die Kriterien für das Vorliegen einer Ausgestaltung – wenn überhaupt – stets nur im Rahmen staatlicher Maßnahmen bestimmt werden, ist zunächst außer Acht zu lassen, dass das kirchliche Koalitionssystem zweifellos keine staatliche, sondern nur eine private Ausgestaltung sein kann. Das Verhältnis von privater Ausgestaltung und dann entsprechend einschlägiger Schutzpflicht ist dann erst im nächsten Schritt zu betrachten. Auch wenn im Wege neuerer Entscheidungen des BVerfG viele rechtsprechungsbedingten Unklarheiten und Inkonsistenzen wieder bereinigt worden sind,1517 widmet sich die gerichtliche „Klarstellung“1518 zumeist der Frage des richtigen Prüfungsmaßstabs, nicht jedoch der Frage nach der kategorialen Abgrenzung von Eingriff und Ausgestaltung. Es nimmt daher nicht Wunder, dass die Begrifflichkeiten von Eingriff und Ausgestaltung häufig vermengt werden und sich eine Abgrenzung zwischen beiden – wenn überhaupt – nur verschwommen abzeichnet. So neigt die Rechtsprechung – und ihr folgend ein Teil der Literatur – dazu, Ausgestaltungen nur als das Schaffen von zur Ausübung der Koalitionsfreiheit notwendigen Regelungen, also als das Ermöglichen der Koalitionsfreiheit, und Eingriffe als Erschwerung der Koalitionsfreiheit zu qualifizieren.1519 Dafür spricht zwar, dass die Ausge1515  BVerfGE 50, 290 (368); ebenso BVerfGE 58, 233 (247); vgl. dazu insbesondere Volkmann (Fn. 1514), 108; Bauer (Fn. 1513), 91. 1516  Kemper (Fn. 1510), 108 ff.; Höfling (Fn. 1513), 76 ff. 1517  Insbesondere durch BVerfGE 93, 352 (358); E 94, 268 (283); ausführlich dazu sogleich unten S. 435 ff. 1518  So die Qualifizierung durch das BVerfG selbst, siehe BVerfGE 93, 252 (358); vgl. Löwer (Fn. 1513), 75. 1519  BVerfGE 77, 275 (284), E 118, 1 (17  ff.); Bauer (Fn. 1513), 91; Cornils (Fn.  1498), 79 f.; Löwer (Fn. 1513), 74; Michael / Morlok, Grundrechte, 6. Aufl. 2017, Rn.  41 ff.; Mager, Einrichtungsgarantien – Entstehung, Wurzeln, Wandlungen und



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staltung das Moment einer leistungsrechtlichen Dimension der Koalitionsfreiheit darstellt; das würde aber andererseits bedeuten, dass nur „positive“ Regelungen zugunsten des Grundrechtsträgers Ausgestaltungen wären.1520 Dies entspricht jedoch nicht dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, zu dem freilich auch spätere Begrenzungen eines Freiheitsraums gehören, ohne die dieser a priori keine Konturen erlangen könnte.1521 Daher wird auch als Gegenmodell vorgeschlagen, dann von einer Ausgestaltung auszugehen, wenn die Regelung nach ihrem objektiven Zweck darauf gerichtet sei, den Ausgestaltungsauftrag zu verwirklichen, indem verschiedene von dem auszugestaltenden Freiheitsraum betroffene Rechtssphären ausgelotet werden würden.1522 Ein Eingriff bedeutete demnach eine Regelung, die zugunsten „externer“ Rechtsgüter erfolge und mit dem Ausgleich der Rechtssphären nicht in Verbindung stehe.1523 Die Abgrenzung zwischen Eingriff und Ausgestaltung gründet sich auf der Betrachtung der Ursache der strukturell notwendigen Differenzierung der beiden Ebenen. Eine Ausgestaltung ist dem Eingriff vorgelagert, weil sie erst den Schutzbereich konstituiert, dessen Konturen für die Qualifizierung einer Maßnahme als Eingriff unabdingbar sind. Eine Ausgestaltung muss damit jede Regelung sein, die sich der grundlegenden Ausrichtung des Koalitionssystems widmet und allgemeine Strukturen vorgibt. Dabei kann dies nicht – wie die herrschende Ansicht vertritt – subjektiv nach dem Willen des Gesetzgebers zu beurteilen sein, ergibt sich die Ausgestaltungsdimension doch – objektiv – aus Art. 9 Abs. 3 GG, zumal ansonsten der Gesetzgeber die Anforderungen an sein Handeln selbst steuern könnte. Aber auch eine entsprechende objektive Beurteilung hätte das Problem, dass nur „positive“ Regelungen, die dem Betroffenen bestimmte Strukturen zugunsten der Koalitionsbetätigung gewähren, Ausgestaltungen sein könnten. Dies ist bereits deshalb nicht überzeugend, da sich der Unterschied zwischen Ausgestaltung und Eingriff nicht grundgesetzgemäße Neubestimmung einer dogmatischen Figur des Verfassungsrechts, 2003, S. 435; Aulehner, Grundrechte und Gesetzgebung, 2011, S. 418; etwas genauer Volkmann (Fn. 1514), der insbesondere die Zweckausrichtung der Maßnahme als Kriterium heranziehen will: „Geht es darum, Voraussetzungen für die Grundrechtswahrnehmung zu schaffen, liegt eine Ausgestaltung vor; geht es um die Beförderung sonstiger Gemeinwohlbelange, handelt es sich dagegen um einen Eingriff“; ebenso Dieterich, Flexibilisiertes Tarifrecht und Grundgesetz, in: RdA 2002, 1 (11 f.), der auf den Bezug der Maßnahme zur Funktionsfähigkeit des Koalitionssystems abstellt. 1520  Vgl. Epping (Fn. 1504), 435 ff. 1521  Epping (Fn. 1504), 435. 1522  Insbesondere Gellermann (Fn.  1501), 269  ff.; vgl. dazu auch Aulehner (Fn.  1519), 58 ff. 1523  Vgl. Gaier, Sondervotum, in: BVerfGE 118, 1 (30 ff.); Epping (Fn. 1504), 435.

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aus einer Positiv / Negativ-Differenzierung ergibt, sondern aus einer strukturell begründeten Differenz zwischen den unterschiedlichen Zielebenen von Ausgestaltung und Eingriff: Die Ausgestaltung will Umfang und Grenzen des Schutzbereichs festlegen – und damit auch Regelungen „zulasten“ des Grundrechtsträgers –, während Eingriffe diesen konstituierten Schutz einzelfallbedingt zu beeinträchtigen beabsichtigen. Entscheidend ist daher vielmehr – im Sinne der zweiten Ansicht –, ob die Regelung in ihrer objektiven Bedeutung struktur- und systemkonstituierend ist und somit ein bestimmtes Geflecht erst erschaffen oder modifizieren will – dann: Ausgestaltung –, oder ob sie Einzelfragen beantworten und allgemein im System geltende Institute beschränken will – dann: Eingriff. Es geht mit anderen Worten um die Bestimmung einer generellen-systembezogenen – dann: Ausgestaltung – oder einer fallbezogenen Regelung – dann: Eingriff. Dabei ist zu beachten, dass Eingriffe nicht notwendigerweise einen konkret-individuellen Fallbezug aufweisen müssen; auch abstrakte Regelungen wie formelle Gesetze können Eingriffe sein. Mit dem Fallbezug einer Regelung ist vielmehr die Situation umschrieben, bei der es aus besonderen, zumeist „externen“ Gründen, um die nähere Justierung und Einordnung von an sich anerkannten und zuerkannten Systemausprägungen geht. Entscheidend für die Differenzierung zwischen Ausgestaltung und Eingriff ist damit, ob mit der im Raum stehenden Maßnahme Grundsatzfragen des Systems beantwortet werden oder ob aufgrund bestimmter Umstände an sich bestehende Systemfragen für bestimmte Fälle und Bereiche anders beantwortet werden müssen. So ist die Frage, ob im (weltlichen) Koalitionssystem generell gestreikt werden darf, eine Ausgestaltungsfrage, und zwar auch dann, wenn sich dagegen entschieden wird. Ausgestaltung bedeutet nicht nur positive Gewährung, sondern auch negative Umgrenzung a priori. Entscheidet sich der Ausgestaltungsbefugte für ein Streikrecht, möchte dies jedoch in bestimmten Bereichen beschränken (z. B. Gesundheitswesen), handelt es sich dagegen um einen Eingriff, geht es doch hier nicht mehr um ein allgemeines Strukturprinzip, sondern um die fallbezogene Beschränkung eines an sich im System bestehenden Instituts. Geht es generell um die Frage der Zulässigkeit der Mitgliederwerbung durch Koalitionen im Betrieb, sind sowohl eine entsprechende Regelung, als auch entsprechende Änderungen dieser Regelung als Ausgestaltung zu qualifizieren. Geht es dagegen darum, dass die Mitgliederwerbung in bestimmten Betrieben – etwa aus Sicherheitsgründen – untersagt wird, handelt es sich um die Beschränkung eines grundsätzlich gewährleisteten Rechts und damit um einen (fallbezogenen) Eingriff.



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Zwar mag eine derartige Differenzierung in Grenzfällen problematisch sein,1524 zumal zahlreiche Unschärfen verbleiben.1525 Für den Fall des kirchlichen Koalitionssystems ist dies jedoch auf der Grundlage der bisherigen Überlegungen nicht problematisch: Es geht um die Gestaltung eines generellen „neuen“ Koalitionssystems für einen bestimmten Bereich des Arbeitsmarkts und damit um eine Ausgestaltung. Zwar könnte man argumentieren, dass mit der kirchlichen Entscheidung für den „Dritten Weg“ bestehende Koalitionsrechte abgeschnitten würden und daher ein Eingriff vorläge. Dies würde allerdings den Umstand verkennen, dass das weltliche Koalitionssystem wegen Art. 137 Abs. 3 WRV und § 118 Abs. 2 BetrVG nicht auch für das kirchliche System gilt. Für die Kirchen stellt sich daher nur die Frage nach einer gänzlichen Neuausrichtung des Koalitionssystems und nicht nach der bezogenen Modifikation. Da das weltliche System wegen der eigenen Entscheidung, die es in Art. 137 Abs. 3 WRV bzw. § 118 Abs. 2 BetrVG selbst getroffen hat, das eigene Koalitionssystem nicht auf die kirchliche Sphäre zu übertragen, liegt im kirchlichen System ohne entsprechende kirchliche Bestimmungen noch gar kein Schutzgehalt der Koalitionsfreiheit vor. Die Kirchen müssen ihn erst konstituieren. Die Regelungen, um die es hier geht – insbesondere der Ausschluss des Streikrechts und die Art der Entscheidungsfindung –, sind folglich generelle systemkonstituierende Vorgaben, ohne die eine Koalitionsfreiheit (im kirchlichen Bereich) gar nicht existieren würde. Die Regelungen bedeuten mithin keine fallbezogene (Fein-) Justierung bereits bestehender Institutionen, sondern erst die Entstehungsgrundlage eines neuen Koalitionssystems. Hier zeigt sich, dass durch die Regelungen die Ausübung „der“1526 Koalitionsfreiheit der Mitarbeiter nicht erschwert werden kann, weil es ohne diese Regelungen noch gar kein Koalitionssystem im kirchlichen Bereich gibt. Allerdings muss beachtet werden, dass es sich unmittelbar nicht um eine staatliche, sondern eine kirchliche, also private „Ausgestaltung“ handelt, auf die die Differenzierung zwischen Eingriff und Ausgestaltung möglicherweise nicht passt. Damit ist die Frage aufgeworfen, ob bei privaten „Ausgestaltungen“ die Differenzierung zwischen abwehrrechtlichem Eingriff und Ausgestaltung anwendbar ist oder ob im Bereich der grundrechtlichen Schutzpflicht der Koalitionsfreiheit nicht generell nur unterlassensbedingte Eingriffe vor1524  Die Frage wird hier insbesondere bei der staatlichen Entscheidung nochmals relevant, ob bestimmte Rechte nur Tarifvertragsparteien oder auch kirchlichen Arbeitsrechtsregelungsparteien zustehen. Siehe dazu unten S. 483 ff. 1525  Vgl. auch Volkmann (Fn. 1514), 108. 1526  Hier zeigt sich die notwendige Unterscheidung von Ausgestaltung und Eingriff: Solange der Gesetzgeber (oder hier die dazu ermächtigte Kirche) keine Ausgestaltung vorgenommen hat, kann noch gar nicht von „der“ Koalitionsfreiheit gesprochen werden!

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liegen können, es mithin auf Ausgestaltungen gar nicht ankommt. Es geht mit anderen Worten um das Verhältnis von Schutzpflichtfunktion bei Grundrechtsberührung durch Private und die Ausgestaltungsfunktion, auf das es nunmehr einzugehen gilt. cc) Das Verhältnis von privater Ausgestaltung und Schutzpflicht Man könnte überlegen, ob eine Differenzierung zwischen Beeinträchtigung und Ausgestaltung in dieser Konstellation bereits deshalb obsolet ist, weil die Koalitionsfreiheit hier nicht in ihrer abwehrrechtlichen, sondern nur in ihrer Schutzpflichtfunktion betroffen ist. Denn auch wenn teilweise vertreten wird, die Ausgestaltungsdimension sei Ausprägung der Schutzfunktion der Koalitionsfreiheit,1527 ist dennoch strukturell zwischen beiden Strängen zu differenzieren:1528 Die Ausprägungsfunktion verlangt vom Staat im Allgemeinen eine entsprechende staatliche konkretisierende Normsetzung, während die Schutzfunktion allein vor Beeinträchtigungen privater Dritter zu schützen beabsichtigt. Auch wenn Ausgestaltung und Schutz zwei Stränge einer objektiv-rechtlichen oder leistungsrechtlichen Dimension bilden, die den Bürgern ein bestimmtes (Schutz- oder Regelungs-)Niveau an Koalitionsfreiheit garantiert,1529 und es freilich Überschneidungen geben mag – etwa wenn eine konkrete Ausgestaltung zum Schutz des Bürgers erforderlich ist –, setzt die Schutzpflichtfunktion ein privates Handeln voraus und versucht Grundrechtskollisionen aufzulösen, während die Ausgestaltungsdimension dagegen grundsätzlich ein staatliches Handeln voraussetzt und nicht ausschließlich auf den Grundrechtsausgleich ausgerichtet ist. Demnach schließen 1527  Nur eine Minderheitsansicht leitet die koalitionsbezogene Ausgestaltungspflicht des Gesetzgebers aus den grundrechtlichen Schutzpflichten her, siehe Kemper, Staatliche Schutzpflicht gegenüber der Tarifautonomie?, in: Heinze (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Gitter, 1995, 427 ff.; dagegen möchte Kemper (Fn. 1510), 143 ff., eine Ausgestaltungspflicht aus der institutionellen Garantie des Art. 9 Abs. 3 GG ableiten, die jedoch ausschließlich auf die Tarifvertragsfreiheit beschränkt sei, weil auch die institutionelle Garantie entsprechend nur die Tarifvertragsfreiheit betreffe. Ob dies zutrifft oder nicht, ist allerdings an dieser Stelle, an der es nur um das Verhältnis Ausgestaltung – Schutzpflicht geht, ohne Relevanz. 1528  Zu den folgenden Argumenten siehe die herrschende Meinung, die die Aus­ gestaltungspflicht als eigenständige Gewährleistungsfunktion ansieht, Döttger (Fn.  1506), 112 ff., 125 ff.; Bauer (Fn. 1513), 92; Höfling (Fn. 1513), 81, 87 ff. Allgemein zum Verhältnis Schutzpflicht, Einrichtungsgarantie und Ausgestaltung Dreier (Fn. 1503), 107; Alexy, Theorie der Grundrechte, 7. Aufl. 2015, S. 444; Böckenförde, Grundrechte als Grundsatznormen – zur gegenwärtigen Lage der Grundrechtsdogmatik, in: Der Staat 29 (1990), 1 (17). 1529  Das BVerfG spricht bei der Ausgestaltungsdimension ausdrücklich von einem „objektiv-rechtlichen Gehalt“, siehe BVerfG, NJW 1996, 185 (186); vgl. Cornils (Fn. 1498), 98; auch Kemper (Fn. 1510), 141; vgl. auch Dreier (Fn. 1503), 107.



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sich Ausgestaltungsdimension und Schutzpflichtfunktion grundsätzlich gegenseitig aus. Da es hier um die kirchlichen Koalitionssysteme geht und damit um ein privates Handeln, scheint eine Differenzierung zwischen Ausgestaltung und Eingriff grundsätzlich nicht notwendig und die Schutzpflichtlehre als allein maßgebend. Folglich muss strukturell nicht nur zwischen Abwehrfunktion (Eingriff) und Ausgestaltung, sondern zusätzlich auch zwischen Schutzfunktion (Unterlassen) und Ausgestaltung unterschieden werden. Da es sich hier um den kirchlichen Bereich handelt, müsste eigentlich von einem Schutzpflichtenfall auszugehen sein. Dabei ist jedoch im Fall des kirchlichen Koalitionssystems zu beachten, dass es ja weiterhin nicht um eine Beeinträchtigung eines bestehenden, sondern um die (Neu-)Gestaltung eines kircheneigenen Koalitionssystems und damit per se um eine – wenn auch private – Ausgestaltung des Koalitionssystems geht. Insoweit konstruiert die Kirche den Schutzbereich der Koalitionsfreiheit ihrer eigenen Mitarbeiter und der Koalitionen in ihrem Bereich. Auch im kirchlichen Bereich ist die (private) Ausgestaltung dem (unterlassensbedingten) Eingriff vorgelagert. Es handelt sich dabei de facto auch nicht um einen schutzpflichtbezogenen Eingriff, also einen durch staatliches ­Unterlassen bedingten privaten Eingriff, sondern weiterhin um eine private Ausgestaltung. Zu beachten ist, dass private Ausgestaltungen freilich nur dann relevant sein können, wenn sie durch die staatliche Hand zugelassen werden. Immerhin kann es ja nicht jedem Privaten erlaubt sein, sein eigenes Koalitionssystem zu gestalten. Dass eine solche Ausgestaltungsmacht den Kirchen jedoch grundsätzlich zuerkannt ist, ergibt sich nicht nur im Wege des Art. 137 Abs. 3 WRV, nach dem auch die Gestaltung des Koalitions­ systems eine eigene Angelegenheit ist,1530 sondern auch einfachrechtlich aus § 118 Abs. 2 BetrVG.1531 Insoweit erkennt der Staat grundsätzlich die kirchliche Befugnis an, ein eigenes Koalitionssystem zu kreieren, so dass es sich nicht nur um eine rein private, sondern um eine staatlich zugelassene private Ausgestaltung handelt. Der Staat hat mithin seine Ausgestaltungskompetenz für den kirchlichen Bereich – sofern sie angesichts Art. 137 Abs. 3 WRV besteht – gänzlich (§ 118 Abs. 2 BetrVG!) auf die Kirchen übertragen. Damit ist im Falle des kirchlichen Koalitionssystems nicht die Schutzpflicht-, sondern die Ausgestaltungsfunktion des Art. 9 Abs. 3 GG berührt. Es stellt sich jedoch die Frage, wie eine solche verfassungsrechtlich zu behandeln ist. Darauf ist im Folgenden einzugehen.

1530  Siehe 1531  Vgl.

dazu bereits oben S. 93 ff. dazu bereits oben S. 58 ff.

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dd) Der Maßstab privater kirchlicher Ausgestaltungen Es stellt sich im Folgenden die Frage, wie weit diese kirchliche Ausgestaltungskompetenz verfassungsrechtlich reicht, mit anderen Worten, welcher Maßstab für eine private staatlich zuerkannte Ausgestaltung zu gelten hat. Da es sich nicht um einen Fall der Schutzpflichtenfunktion handelt, kann nicht einfach die oben entwickelte Dogmatik des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes angewandt werden. Vielmehr handelt es sich um eine besondere leistungsrechtliche Ausgestaltungsfunktion des Art. 9 Abs. 3 GG, die entsprechend ihre eigene Dogmatik aufweist. (1) Statischer Kernbereich, keine Abwägung Die Rechtsprechung hat lange Zeit den Ausgestaltungsmaßstab mit der so genannten „Kernbereichslösung“ beschrieben.1532 Problematisch war jedoch lange Zeit, dass eine hinreichende Differenzierung zwischen Eingriff und Ausgestaltung hinsichtlich der jeweils verschiedenen Rechtfertigungsmaßstäbe nicht erkennbar war und damit die geltende Dogmatik bezüglich Schutzbereich, Schranke und Schranken-Schranke völlig vermischt wurde.1533 In den Jahren 1994 und 1995 stellte die Rechtsprechung jedoch klar, dass mit dem „Kernbereich“ keine Schutzbereichsbestimmung, sondern vielmehr die Festlegung einer Ausgestaltungsschranke gemeint sei.1534 Dabei müsse der Kernbereich insbesondere im Wege einer Abwägung mit kollidierenden (Verfassungs-)Rechtsgütern ermittelt werden. Der Schutzbereich der Koalitionsfreiheit erstrecke sich zunächst auf „alle koalitionsspezifisch[en]“ Verhaltensweisen, die ihre Grenze dann fänden, „soweit einschränkende Regelungen nicht mehr zum Schutz anderer Rechtsgüter von der Sache her geboten sind“.1535 In letzteren Entscheidungen hat das Gericht hingegen den Kernbereich nicht mehr erwähnt, sondern unmittelbar eine Abwägung zwischen Ausgestaltungsfreiheit und kollidierenden Verfassungsgütern vorge1532  BVerfGE 4, 96 (106); E 19, 303 (321 f.); E 28, 295 (305); E 28, 310 (313); E 38, 281 (305); E 38, 386 (393); E 42, 133 (139); E 44, 322 (341 f.); E 50, 290 (368); E 88, 103 (115); E 93, 352 (358); E 94, 268 (283); vgl. dazu auch Kemper (Fn. 1510), 108 f. 1533  Siehe dazu bereits oben die Nachweise in Fn. 1514. 1534  BVerfGE 93, 352 (358); E 94, 268 (283); dazu auch Löwer (Fn. 1513), 75. Teilweise wird die Rechtsprechung jedoch nicht als „Klarstellung“, sondern als reine „Modifikation“ bezeichnet, siehe Höfling, Grundelemente einer Bereichsdogmatik der Koalitionsfreiheit – Kritik und Reformulierung der sog. Kernbereichslehre, in: Wendt (Hrsg.), Staat, Wirtschaft, Steuern – Festschrift Festschrift für Karl Heinrich Friauf zum 65. Geburtstag, 1996, 377 (381 ff.); vgl. Kemper (Fn. 1510), 109. 1535  BVerfGE 93, 352 (359), Herv. VH.



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nommen.1536 Nicht nur die Rechtsprechung, sondern auch einige Vertreter der Literatur wollen die Feststellung der Zulässigkeit einer Ausgestaltung auf Basis einer Verhältnismäßigkeitsprüfung und damit einer Abwägung treffen.1537 Dies wird teilweise nicht nur damit begründet, dass auch der Ausgestaltung bestimmte Rechtsgüter entgegenstünden,1538 sondern interessanterweise auch mit der „negativen Rückwirkung“ von Ausgestaltungen, also mit der nachteiligen Wirkung der Ausgestaltung auf die bislang konstituierte Koalitionsfreiheit, die eine erhöhte Rechtfertigungsmaxime notwendig erscheinen lässt.1539 Eine abwägungsgeleitete Ausgestaltungsgrenze ist jedoch aus mehreren Gründen nicht überzeugend: Zunächst ist sich zu vergegenwärtigen, dass eine Ausgestaltung keinen schutzbereichsverengenden Eingriff darstellt, sondern vielmehr überhaupt erst einen Schutzbereich konstituiert.1540 Diese strukturelle Differenzierung kann auch nicht umgangen werden durch die Hintertür einer „eingriffsähnlichen“ Wirkkraft der Ausgestaltung. Die Ausgestaltung ist dem Eingriff vorgelagert und damit auch anderen Fragen ausgesetzt. Für eine Verhältnismäßigkeitsprüfung bedarf es jedoch einer Schutzbereichsverengung, der zudem hinreichende Aussagen über ihre Intensität und Qualität zu entnehmen sein müssen. Bei Ausgestaltungen ist dies gerade nicht der Fall. Bei ihnen geht es vielmehr gerade um die Frage, wie der Schutzbereich der Koalitionsfreiheit ausgestaltet sein muss und nicht inwieweit er verengt werden darf. Solche Aussagen können allerdings nicht aus anderen Grundrechten oder Verfassungsgütern ermittelt werden, sagen sie doch nichts über den Schutzbereich eines von ihnen differenten Grundrechts, sondern nur über die Wirkkraft ihres eigenen Rechts aus. Darüber hinaus würde eine abwägungsorientierte Handhabung die System­ unabhängigkeit der Koalitionsfreiheit überspielen und aushöhlen und der Ausgestaltungsfreiheit einen Maßstab auferlegen, der ihrem Sinn und Zweck 1536  BVerfGE 100, 214 (221 ff.); E 100, 271 (282 ff.); E 103, 293 (304 ff.); vgl. Kemper (Fn. 1510), 109. 1537  Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, 2006, S. 143 ff.; Löwer (Fn. 1513), 74 f.; Volkmann (Fn. 1514), 109 ff.; Bauer (Fn. 1513), 96 ff.; Greiner (Fn. 1513), 141 ff.; Robbers, Streikrecht in der Kirche, 2010, S. 79 ff.; Unruh, Religionsverfassungsrecht, 4. Aufl. 2018, Rn. 205; Reichold, Wege zu einem Streik zur „Systemstabilisierung“ im Dritten Weg, in: ders. (Hrsg.), Streik im Dritten Weg? – Analysen und Argumente zur kirchlichen Konfliktkultur, 2013, 51 (51 f.): „Abzuwägen sind die Grundrechte der Kirchen auf Schutz ihrer Religionsautonomie gegen die Grundrechte der Gewerkschaften auf ihre Koalitionsbetätigung im Wege des schonenden Ausgleichs nach dem Grundsatz praktischer Konkordanz“ (52). 1538  So unter anderem aber auch Greiner (Fn. 1513), 141. 1539  Greiner (Fn. 1513), 141 ff.; vgl. Hopfner (Fn. 1499), 212 ff. 1540  Siehe dazu bereits oben S. 405 ff.

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zuwiderlaufen würde: Ist jede koalitionsspezifische Betätigung – unabhängig davon, dass die Bestimmung eines solchen Verhaltens Schwierigkeiten bereiten dürfte1541 – und dabei nur dann vor einer abweichenden Ausgestaltung geschützt, wenn Drittinteressen dies ergeben, müssten viele solcher systembezogenen Betätigungen eines bestimmten Koalitionssystems in andere Systeme übertragen werden, und dies nicht etwa, weil diese Betätigungen elementar und unabkömmlich für ein hinreichendes Koalitionssystem a lá Grundgesetz sind, sondern alleine weil Drittinteressen überwiegen. Obwohl also Art. 9 Abs. 3 GG systemoffen und -unabhängig ist, könnte es dazu kommen, dass Elemente eines bestimmten Koalitionssystems – zum Beispiel die Aussperrung – aufgrund der Abwägung zur Ausgestaltungspflicht gezogen und zwangsläufig auf andere Systeme übertragen werden müssen. Dies fordert die Verfassung aber nicht – zumindest nicht aufgrund entsprechender (Dritt-)Verfassungsgüter. Dass die Koalitionsfreiheit dennoch häufig zum Schauplatz eines „Kampfes der Systeme“ wird, zeigt nicht zuletzt der Umstand, dass es bei der Bewertung des kirchlichen Koalitionssystems allein um die Frage geht, inwieweit dieses ein „Tarifsurrogat“ darstelle.1542 Der Koalitionsfreiheit geht es in ihrer Ausgestaltungsfunktion aber gerade nicht um Momente eines bestimmten Koalitionssystems, die nur aufgrund einer Interessenabwägung übertragen werden. Vielmehr fordert Art. 9 Abs. 3 GG die Verpflichtung zu einer bestimmten Struktur nur dann, wenn eine solche Übertragung unabdingbar ist für den Erhalt und die Gewährleistung des verfassungsrechtlich gewünschten Koalitionswesens. Dies ergibt sich aber grundsätzlich systemunabhängig; es geht nicht um einzelne und konkrete Schutzmomente, sondern um das „Wesen“ und der allgemeinen Struktur der Koa­litionsfreiheit. Von daher ist die vom Verfassungsgericht verwendete Begrifflichkeit des „Kernbereichs“ überzeugend.1543 Der Kernbereich des Art. 9 Abs. 3 GG ist aber nicht systembezogen zu ermitteln, sondern umfasst gerade die Strukturen und Vorgaben, die systemunabhängig die von der Norm des Art. 9 Abs. 3 GG gestellten Aufgaben erfüllen.1544 Dass ein wie hier verstandener Kernbereich sich dem Wesensgehalt der Koalitionsfreiheit anlehnt, der generell über Art. 19 Abs. 2 GG geschützt ist, ist dabei insofern unproblematisch, als es keinen ersichtlichen Grund gibt, dass jede Grundrechtfunktion über den Wesensgehalt hinausgehen muss. Ein solcher Kernbereich lässt sich also – parallel zum Ehegrundrecht – nicht mit einer „simplen“ Interessenab1541  Kemper

(Fn. 1510), 111. zeigt sich insbesondere bei der Frage nach der Notwendigkeit der Parität und hierbei konkret nach der Zulässigkeit des Streikverbots. Siehe dazu ausführlich unten S.  438 ff., 444 ff. 1543  So auch Höfling (Fn. 1513), 80 ff.; Scholz (Fn. 1509), 87 ff. 1544  Vgl. dazu auch Gellermann (Fn. 1501), 314 ff. (allgemein), 160 ff. (speziell für die Koalitionsfreiheit). 1542  Dies



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wägung ermitteln, sondern bedarf der Ermittlung und Bestimmung des fundamentalen und elementaren Zwecks der vom Verfassungsgeber verfolgten Koalitionsfreiheit unter Berücksichtigung der Art und Weise der Formulierung des Art. 9 Abs. 3 GG.1545 Dabei sind auch die Koalitionsfreiheit und das entsprechende Koalitionssystem ein besonders historisch-kulturell geprägtes Phänomen.1546 Würde man der Ausgestaltung enge und hohe Grenzen setzen, würde die Entscheidung über die Notwendigkeit bestimmter Strukturelemente überwiegend auf das BVerfG verlagert, gleichwohl eine Entscheidung über kulturelle Prozesse genuin beim Gesetzgeber zu liegen hat. Zwar wird das hiesige Tarifsystem auch besonders stark durch die bundesarbeitsgerichtliche Rechtsprechung beeinflusst;1547 allerdings ist diese stärker an gesetzgeberische Entscheidungen gebunden und kann – das ist entscheidend – jederzeit durch den Gesetzgeber durch entsprechende Gesetzesvorhaben modifiziert und beeinflusst werden. Das „Letztentscheidungsrecht“ verbleibt dem Grunde nach beim Gesetzgeber. Nicht zuletzt ist dies auch erkennbar die Vorgabe des Art. 9 Abs. 3 GG, der gerade ein normgeprägtes Grundrecht beinhaltet und den verfassungsrechtlichen Einfluss zu minimieren beabsichtigt. Daraus folgt, dass nur solche grundlegenden Elemente und Strukturen Ausgestaltungsgrenzen bilden können, die der Vorschrift des Art. 9 Abs. 3 GG auch – zumindest mittelbar – zu entnehmen sind. Dabei ist dem Gesetzgeber weitestgehend ein Gestaltungsspielraum zu überlassen. Wie bei dem Institut der Ehe können folglich nur solche „Kernbereich“-Momente existieren, die als basale und reine, d. h. keinen zentralen Kulturvorstellungen unterliegende Entscheidungen des Verfassungsgebers zu akzeptieren sind.1548 Ist der Kernbereich schließlich gefunden, findet folglich auch keine Abwägung statt: Vielmehr müssen die kernbereichsimmanenten Vorgaben des Art. 9 Abs. 3 GG umgesetzt und berücksichtigt werden. Etwas Anderes kann nur dann gelten, wenn die Ausgestaltung eines Grundrechts selbst auf einen Grundrechtsausgleich gerichtet ist, wenn also etwa eine bestimmte Regelung aus Gründen des Datenschutzes (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) der Mitarbeiter getroffen wird. Dann ist Maßstab auch Scholz (Fn. 1509), 87 f. BVerfGE 4, 96 (101 ff.); E 18, 18 (28 ff.); Scholz (Fn. 1509), 17. 1547  Insbesondere das Arbeitskampfrecht ist – notgedrungen – durch die bundesarbeitsgerichtliche Judikatur ausgestaltet worden, siehe ausführlich Däubler, Herausbildung und Weiterentwicklung der richterrechtlichen Grundsätze zum Arbeitskampfrecht, in: ders. (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, 3. Aufl. 2011, § 7; die zentralen Entscheidungen sind dabei insbesondere BAG, AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG, AP Nr. 43 zu Art. 9 Arbeitskampf; BAG, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG, NZA 2007, 987 ff.; BAG, NZA 2007, 1055 ff.; BAG, NZA 2009, 1347 ff.; BVerfGE 84, 212 ff. 1548  Vergleiche dazu insbesondere oben S. 171 ff. 1545  So

1546  Vgl.

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die Abwägung zwischen den beiden Grundrechten, deren Ausgleich die Ausgestaltung sucht. Dabei gilt jedoch, dass es sich stets um von dem auszugestaltenden Grundrecht differente Grundrechte handeln muss, weil ein Grundrechtsausgleich eine vorherige Schutzbereichsbeschränkung erfordert, die gerade bei dem noch auszugestaltenden Grundrecht nicht vorliegen kann. Daraus folgt, dass eine Ausgestaltungsgrenze dann nicht der statische Kernbereich, sondern eine grundrechtskollisionsausgleichende Abwägung ist, sofern die Ausgestaltung als Medium des Grundrechtsausgleichs verwendet wird. (2) D  ie Maßstabskonkurrenz zwischen der Koalitionsfreiheit und kirchlichem Selbstbestimmungsrecht Schwierigkeiten ergeben sich jedoch bei einem Wechsel des maßstabsbezogenen Blickwinkels. Untersucht man die Zulässigkeit des Koalitionssystems der Kirchen aus grundrechtlicher Sicht des Art. 9 Abs. 3 GG, ergeben sich – wie soeben gezeigt – die jeweiligen Grenzen der Ausgestaltung aus dem Kernbereich der Koalitionsfreiheit. Nähert man sich hingegen von der Seite der Kirchen über ihr Selbstbestimmungsrecht gem. Art. 137 Abs. 3 WRV der Thematik, ergeben sich die Grenzen in Gestalt des für alle geltenden Gesetzes und der Abwägungslehre.1549 Es wird eine Art Maßstabskonkurrenz sichtbar, die bei unterschiedlichen Blickwinkeln völlig unterschiedliche dogmatische Wege – einmal die Relativität der Abwägungslehre, einmal die Statik des Kernbereichs – verlangt. Es nimmt daher nicht Wunder, dass insbesondere in der Literatur der Weg über das Selbstbestimmungsrecht gewählt wird, und dabei nicht nur die gewöhnliche Abwägungslösung, sondern gar in Tradition der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung die Grenzen des ordre public, der guten Sitten und des Willkürverbots postuliert werden.1550 Unabhängig davon, dass es nicht nur bereits fraglich ist, ob und inwieweit dieser von dem BVerfG explizit nur auf die Loyalitätspflichten bezogene Maßstab auf andere kirchliche Entscheidungen anzuwenden ist, stellt sich die Frage nach der Rolle und Bedeutung des Art. 137 Abs. 3 WRV im System der Ausgestaltung des Koalitionssystems und nach einer Auflösung der Konkurrenz zwischen dem Konfliktlösungsmaßstab des Art. 137 Abs. 3 WRV und dem Ausgestaltungsmaßstab des Art. 9 Abs. 3 GG.

1549  Siehe

dazu ausführlich oben S. 102 ff. Kein Arbeitskampf in der Diakonie, in: AuR 2002, 94 (97); Thüsing, Zwanzig Jahre „Dritter Weg“ – Rechtsnatur und Besonderheiten der Regelungen kirchlicher Arbeitsverhältnisse, in: RdA 1997, 163 (164); ders. (Fn. 1537), 147 f.; vgl. Kühling, Arbeitskampf in der Diakonie, in: AuR 2001, 241 (243 f.). 1550  Richardi / Thüsing,



C. Die kirchlichen Koalitionssysteme und die Grundrechte der Mitarbeiter 421

Für eine Anwendung des Maßstabs des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts spricht, dass Art. 137 Abs. 3 WRV auch die Grundlage für die kirch­ liche Ausgestaltungsbefugnis ist. Wird dabei den Kirchen ein bestimmter Inhalt der Ausgestaltung verwehrt, liegt ein Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht vor, der über die allgemeine Dogmatik des für alle geltenden Gesetzes zu lösen ist.1551 Dagegen spricht aber, dass eine solch begründete Lösung eine Abwägung zwischen dem Schutz des Selbstbestimmungsrechts und dem Schutz der Koalitionsfreiheit und damit eine Abwägung mit dem Kernbereich der Koalitionsfreiheit bedeuten würde. Eine solche Relativierung des Kernbereichs steht aber dessen – statischen – Konzept diametral entgegen. Darüber hinaus widerspricht die Dogmatik der abwägungsgeleiteten Festlegung des Ausgestaltungsrahmens der Ausgestaltungsidee, weil über eine Abwägung die notwendigen Informationen – wie bereits gezeigt1552 – nicht beschafft werden können: Eine in Gestalt der Verhältnismäßigkeit gewandte Abwägung ergibt sich also grundsätzlich nur sowohl in abwehrrechtlichen als auch schutzrechtlichen Konfliktfällen, in denen ein Rechtsgut zugunsten eines anderen Rechtsguts beschränkt wird. Bei Ausgestaltungen ist dies – hinsichtlich der Frage des zulässigen Inhalts der Ausgestaltung – jedoch grundsätzlich nicht der Fall. Letztlich ergibt sich die ausschließliche Anwendung des koalitionsfreiheitsrechtlichen Kernbereichsmaßstabs im Wege einer Grundrechtskonkurrenz auch dann, wenn man den Blickwinkel des Art. 137 Abs. 3 WRV wählt. Denn für den Fall, dass der Staat den Kirchen die Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit zugesteht, stehen das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, das die Regelung eigener Angelegenheiten ermöglicht, und die Koalitionsfreiheit, die erst den Kirchen ihre Ausgestaltung ermöglicht, nebeneinander. Angesichts dessen, dass Art. 9 Abs. 3 GG – anders als Art. 137 Abs. 3 WRV – ausschließlich auf das Koalitionssystem und nicht auf alle Angelegenheiten beschränkt ist und dessen Maßstab sich nicht aus dem Zusammenspiel kollidierender Normen, sondern alleine aus Art. 9 Abs. 3 GG ergeben kann, ist der Ausgestaltungsmaßstab der Koalitionsfreiheit dem Maßstab des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts als speziellerer Maßstab vorzuziehen. Durch die Übertragung der eigenen Ausgestaltungsbefugnis durch den Staat auf die Kirchen wird der Ausgestaltungsmaßstab nicht verändert. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht ist zwar Grund, nicht aber Maßstab der staatlich anerkannten kirchlichen Koalitionssystemausgestaltung. Der Maßstab des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts hat damit nur Einfluss auf die Reichweite der Übertragung der staatlichen Ausgestaltungsbefugnis auf die Kirchen, nicht aber auf die Grenzen des Ausgestaltungsmaßstabs selbst, der im Sinne einer regula specialis dem Maßstab des kirch­lichen 1551  Ausführlich 1552  Siehe

zu dieser Dogmatik oben S. 102 ff. dazu oben S. 405 ff.

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

Selbstbestimmungsrechts vorgeht. Daraus folgt, dass sich im Sinne des allgemeinen Spezialitätsgrundsatzes1553 die Reichweite der kirchlichen Ausgestaltungsbefugnis alleine nach dem spezielleren Ausgestaltungsmaßstab des Art. 9 Abs. 3 GG und nicht nach dem allgemeinen Regelungsmaßstab des Art. 137 Abs. 3 WRV richtet. Auf Grundlage dieser Überlegung kann auch einer Ansicht in der Literatur entgegnet werden, nach der das kirchliche Koalitionssystem zumindest hinsichtlich des Streikverbots deswegen ohne Weiteres zulässig sei, da es für diese Frage an einem die Kirchen beschränkenden für alle geltenden Gesetz fehle.1554 Da das Streikrecht insgesamt gesetzlich nicht geregelt, sondern nur auf Basis von Richterrecht bestehe,1555 wird eine Beschränkung des kirch­ lichen Streikverbots abgelehnt. Dagegen ist wieder zu sehen, dass den Kirchen gerade ein umfassender Ausgestaltungsrahmen überlassen wird, so dass es an einem Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht mangelt. Das hat aber nicht zur Folge, dass die Kirchen nicht den vorgegebenen Kernbereich der Koalitionsfreiheit zu beachten haben. Das Grundgesetz sieht von vorneherein nur einen bestimmten Rahmen möglicher Ausgestaltung vor, der auch durch Art. 137 Abs. 3 WRV nicht abgeändert werden kann. Eines für alle geltenden Gesetzes bedürfte es folglich nur für den Fall, in dem der Staat den Kirchen ein Weniger an Ausgestaltung zuerkennen würde, als ihm selbst zuerkannt wird. Da dem hier nicht so ist, ist das Argument des fehlenden für alle geltenden Gesetzes hier ohne Relevanz. Das kirchliche Koali­ tionssystem muss den Kernbereich der Koalitionsfreiheit beachten. Die Dogmatik des Art. 137 Abs. 3 WRV ist nicht heranzuziehen. c) Resümee Es wurde gezeigt, dass die Koalitionsfreiheit nicht nur die Abwehr- und die Schutzfunktion, sondern eine Ausgestaltungsfunktion als eigenständige Funktion anerkennt. Es ist strukturell notwendig, zwischen Eingriff / Unterlassen und Ausgestaltung zu trennen. Dies gilt auch für den Fall einer privaten Ausgestaltung, die nichts an der Qualifizierung als Ausgestaltung ändert. Der Maßstab einer Ausgestaltung ist grundsätzlich der statische Kernbereich, der allerdings nicht über eine Abwägung, sondern über eine Bestimmung der 1553  Allgemein

393 f.

dazu Hillgruber (Fn. 1498), 108 ff.; Kingreen / Poscher (Fn. 1501),

1554  So insbesondere Hesse, Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und Reli­ gionsgemeinschaften, in: Listl / Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Auf. 1994, 521 (554); vgl. BVerfGE 57, 220 (245); vgl. dazu auch Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 7. Aufl. 2015, § 9 Rn. 32 ff. 1555  Zur Entwicklung dieses Richterrechts Däubler (Fn.  1547); vgl. Richardi (Fn. 1554); 33, § 10 Rn. 22 ff.; BAG, NZA 2013, 448 (449 ff.).



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elementaren, für ein vom Grundgesetz vorgesehenes Koalitionssystem unabdingbaren, und nicht von politischen und kulturellen Einflüssen getränkten Strukturelemente zu ermitteln ist. Eine Interessenabwägung setzt eine Schutzbereichsverengung voraus, die es strukturell hier nicht geben kann. Eine Interessenabwägung würde zudem die Normgeprägtheit der Koalitionsfreiheit massiv missachten und kann insofern keine Auskünfte über notwendige Strukturelemente eines jeden Koalitionssystems geben. Etwas Anderes gilt nur, sofern die Ausgestaltung als Mittel zur Auflösung eines Konflikts zwischen anderen Grundrechten benützt wird; in diesem Fall ist der Grundrechtsausgleich tatsächlich der Maßstab der Ausgestaltung, würde doch ansonsten durch die Ausgestaltung des Art. 9 Abs. 3 GG der Maßstab anderer Grundrechte unzulässigerweise modifiziert werden. An der Maßgeblichkeit des Kernbereichs als Ausgestaltungsgrenze ändert sich auch nichts, wenn man die Zulässigkeit des kirchlichen Koalitionssystems über Art. 137 Abs. 3 WRV bewertet. Zwar verlangt diese Norm grundsätzlich ein für alle geltendes Gesetz und eine Abwägung mit kollidierenden Verfassungsgütern. Im Falle der Koalitionssystemausgestaltung tritt aber Art. 9 Abs. 3 GG als speziellerer Maßstab neben das kirchliche Selbstbestimmungsrecht, da der Maßstab des Art. 137 Abs. 3 WRV auf Rechtskonflikte, nicht aber auf Ausgestaltungen bezogen ist und insoweit die Koalitionsfreiheit den Fall der Ausgestaltung an sich spezieller regelt. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gewährt den Kirchen lediglich einen Anspruch auf Umfang der staatlichen Übertragung der Ausgestaltungsbefugnis, nicht aber auf den Inhalt der Ausgestaltung selbst. 2. Die Zulässigkeit des „Dritten Wegs“ Sowohl die katholische als auch – bis auf wenige Ausnahmen1556 – die evangelischen Kirchen schließen keine Tarifverträge ab, sondern gehen den Weg von Mitarbeitern und Dienstgeber gemeinsam beschlossenen Arbeitsrechtsregelungen. Ein solcher kirchlicher „Beschluss“ ist allerdings nur solange zulässig, als das Tarifvertragssystem nicht zum Kernbereich der (kollektiven) Koalitions(betätigungs)freiheit gehört und insoweit keiner Gestaltungsfreiheit unterliegt (a)). Ist dies nicht der Fall, bleibt dann jedoch die Frage offen, ob ein Alternativkonzept nicht bestimmte Vorgaben erfüllen muss, die sich wiederum aus dem Kernbereich der Koalitionsfreiheit ergeben (b)). 1556  Gemeint sind die evangelische Nordkirche sowie die Landeskirche BerlinBrandenburg-schlesische Oberlausitz, die den Abschluss von Tarifverträgen zulassen und auf die die nunmehr folgenden Ausführungen mithin nicht anzuwenden sind. Siehe zur einfachrechtlichen Ausgestaltung des Koalitionssystems in diesen beiden Kirchen bereits oben S. 65 ff.

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a) Die Koalitionsautonomie als Kernbereich der Koalitionsfreiheit Der Kernbereich der Koalitionsfreiheit ist entsprechend anhand der zen­ tralen, unabdingbaren Strukturelemente zu bestimmen, die für ein Gelingen der vom Grundgesetz vorgesehenen Koalitionsfreiheit unerlässlich sind. Dabei können verschiedene Dimensionen unterschieden werden: Zum Kernbereich können ein bestimmter Koalitionszweck, ein Koalitionsverfahren als auch ein bestimmtes Koalitionsverfahrensmittel gehören.1557 Der Ausschluss des Abschlusses von Tarifverträgen beeinträchtigt aber weder einen den ­Koalitionen gesetzten Zweck noch eine bestimmte Art von Verfahrensgrundsätzen, sondern stellt vielmehr ein bestimmtes (Verfahrens-)Mittel zur Erreichung des Koalitionszwecks dar.1558 Es stellt sich daher die Frage, ob der Tarifvertragsabschluss Bestandteil einer Koalitionsmittelgarantie ist. Art. 9 Abs. 3 GG fordert jedoch lediglich die „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ und gibt insofern ausschließlich nur den Koalitionszweck, aber keine Mittel zur Erreichung dieses Auftrags vor.1559 Das bedeutet aber, dass tatsächlich zum Kernbereich der Koalitionsfreiheit nur solche Mittel sowohl hinsichtlich ihrer Art als auch hinsichtlich ihres Inhalts gehören können, die zur Zweckerreichung unverzichtbar sind. Andere Vorgaben enthält Art. 9 Abs. 3 GG schließlich nicht. Insoweit geht es bereits zu weit, wenn man zwar der Kernbereichslehre folgt, jedoch als unverzichtbares und damit zum Kernbereich gehörendes Koalitionsmittel auch solche Instrumentarien zählt, die „zum unverzichtbaren, nach Situation, Entwicklung und Zeitgemäßheit funktionstypischen Instrumentarium gehören“.1560 Denn der Kernbereich muss von diesen entwicklungsabhängigen Einschätzungen und Vorstellungen gelöst werden. Das liegt nicht nur daran, dass etwas Gegenteiliges in Art. 9 Abs. 3 GG nicht erkennbar ange1557  Dazu insbesondere Säcker, Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit – Rechtsquellen- und interpretationstheoretische Bemerkungen zur legislativen und judikativen Konkretisierung des Art. 9 Abs. 3 GG, 1969, S. 33 ff., 39 ff., 69 ff.; Scholz, Besprechung von Franz-Jürgen Säcker, Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit, in: RdA 1970, 210 (212); ders. (Fn. 1509), 100 ff.; Hölters, Harmonie normativer und schuldrechtlicher Abreden in Tarifverträgen, 1973, S. 66; Zöllner, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 9 Abs. 3 GG, in: AöR 98 (1973), 71 ff.; Pahlke (Fn. 1513), 128 ff. 1558  So die Einordnung auch bei Scholz (Fn. 1509), 116 ff.; Kemper (Fn. 1510), 146 ff.; Pahlke (Fn. 1513), 134 ff. 1559  So auch Scholz (Fn. 1509), 115: „Prinzipiell sind die Koalitionen bei der Wahl der Mittel, die sie zur Erreichung des jeweiligen Koalitionszwecks einsetzen, frei. Art. 9 Abs. 3 GG kennt mit anderen Worten keinen geschlossenen Kanon von bestimmten, verfassungsrechtlich vorgegebenen oder gar vorgeschriebenen Koalitionsmitteln“. 1560  Scholz (Fn. 1509), 88, 115.



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legt ist, sondern auch daran, dass ein grundrechtlicher Kernbereich vom Recht selbst und nicht nur von den das Recht begleitenden Zeitumständen abzuleiten ist. Nicht zuletzt scheitert das Rekurrieren auf funktionstypische Instrumentarien zur Bestimmung des koalitionsbezogenen Kernbereichs deswegen, weil gerade solche kulturell-historischen Begutachtungen und Entscheidungen dem Gesetzgeber zu überlassen sind.1561 Der Kernbereich kann nur solche Instrumentarien beinhalten, die nicht für unsere Zeit „typisch“, sondern die funktionszwingend und damit nahezu „zeitlos“ sind. Daraus folgt, dass die Koalitionsautonomie sowie der darin gesehene Abschluss von Tarifverträgen keinesfalls in ihrer historisch gewachsenen und insoweit einfachgesetzlich1562 zementierten Erscheinung, sondern vielmehr „ganz allgemein“, in ihrem „Grundsatz“ und damit nur hinsichtlich ihres Gerüsts geschützt sind.1563 Das gilt selbst dann, wenn Koalitionsautonomie und der Abschluss von Tarifverträgen im Sinne eines „funktionstypische(n) Koalitionsmittel[s]“ von Art. 9 Abs. 3 GG als geschützt und gewährleistet angesehen werden.1564 Denn die Koalitionsautonomie besagt zunächst nichts Anderes als die „eigenverantwortliche Ordnung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch Gesamtvereinbarung“.1565 Art. 9 Abs. 3 GG verlangt nämlich nur, dass die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch entsprechende „Vereinigungen“ erfolgen und diese hierbei staatlich unbeeinflusst sind.1566 Funktionszwingend ist damit zunächst kein bestimmter Inhalt der Koalitionsautonomie – wie etwa der Abschluss von Tarifverträgen –, sondern nur die Koalitionsautonomie selbst, d. h. die autonome Aushandlung der entsprechenden Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch die Vereinigungen.1567 Insofern kann auch nicht das Tarifvertragssystem, das nur eine historisch gewachsene Ausgestaltung der Koaliti1561  Siehe dazu auch oben S. 416  ff.; vgl. dazu bereits zur Ehefreiheit oben S.  171 ff. 1562  Siehe dazu das Tarifvertragsgesetz (TVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25.08.1969 (BGBl. I S. 1323), zuletzt geändert durch Gesetz vom 03.07.2015 (BGBl. I S. 1130) m.W.v. 10.07.2015. 1563  So auch die herrschende Meinung, siehe BVerfGE 20, 312 (317); E 44, 322 (340 ff.); E 50, 290 (367 ff.); E 58, 233 (248 f.); Bauer (Fn. 1513), 83; Höfling (Fn. 1513), 88; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 4 / 1, 2006, S. 2055. 1564  Scholz (Fn. 1509), 116  ff.; Höfling (Fn. 1513), 87 f.; Bauer (Fn. 1513), 83; Pahlke (Fn. 1513), 134 f. 1565  Höfling (Fn. 1513), 87. 1566  BVerfGE 96, 268 (283); BVerfGE 20, 312 (317); Pahlke (Fn. 1513), 134; Höfling (Fn. 1513), 87; Kemper (Fn. 1510), 147. 1567  Schwarze, Der Betriebsrat im Dienst der Tarifvertragsparteien, 1991, S. 87; vgl. Gellermann (Fn. 1501), 163 ff.

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onsautonomie darstellt,1568 als Kernbereichsmoment der Koalitionsfreiheit angesehen werden. Die Koalitionsautonomie ist ein zwingendes Koalitionsmittel, ohne das „sonst die Koalitionen ihre Funktion, in dem von der staatlichen Rechtsetzung frei gelassenen Raum das Arbeitsleben (…) zu ordnen, nicht sinnvoll erfüllen könnten“.1569 Die Behauptung, auch das Abschließen von Tarifverträgen gehöre zu „den wesentlichen Zwecken der Koalition“1570 und die grundlegende Funktion der Koalitionsfreiheit sei das „Abschließen von Tarifverträgen“1571, kann so nicht gehalten werden. Denn nicht nur, dass die Koalitionsautonomie einhellig als „kollektive Privatautonomie“ gesehen wird, die gerade den Abschluss von Tarifverträgen nicht zwingend vorschreibt;1572 für die Koalitionsautonomie und die von ihr geforderten Bestimmung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen kann es auch von nicht entscheidender Bedeutung sein, wie die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen geschlossenen Vereinbarungen konkret ausgestaltet sind. Genauso gut können auch andere Vereinbarungstypen, die sich von der Gestaltung der Tarifverträge nach TVG unterscheiden, in gleicher Weise den Koalitionszweck erfüllen. Daraus folgt, dass die Koalitionsautonomie nur im Allgemeinen, in ihrem Grundgerüst als Grundlage selbstständiger Ordnung des Arbeits- und Wirtschaftslebens wegen ihrer Eigenschaft als funktionszwingendes Instrumentarium zum Kernbereich der Koalitionsfreiheit gehört. Ein bestimmter Privatautonomieinhalt wird zunächst nicht vorgegeben. Die Kirchen müssen folglich nur dafür sorgen, dass die Koalitionen (sowie die Dienstgeberseite) unabhängig und selbstständig Vereinbarungen treffen können. Tarifverträge abschließen müssen sie hingegen nicht, das Tarifvertragssystem ist konkreter, historisch gewachsener Inhalt der Privatautonomie, nicht jedoch Kernbereich der Koalitionsfreiheit. Damit kann festgehalten werden, dass die Kirchen nicht das Tarifvertragssystem übernehmen müssen, sondern entsprechende Alternativsysteme installieren dürfen.

1568  Dazu insbesondere Dreschers, Die Entwicklung des Rechts des Tarifvertrags in Deutschland – eine rechtshistorische Untersuchung über den Verlauf der Durchsetzung des Kollektivvertragsgedankens, 1994. 1569  BVerfGE 20, 312 (317). 1570  BVerfGE 96, 268 (283); siehe auch Höfling (Fn. 1513), 87. 1571  BVerfGE 20, 312 (317). 1572  Scholz (Fn. 1509), 117; Richardi (Fn. 1554), § 10 Rn. 3.



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b) Funktionszwingende Merkmale der Koalitionsautonomie und ihre Beachtung im „Dritten Weg“ Zwar verlangt die zwingend zu installierende Koalitionsautonomie nicht den Abschluss von Tarifverträgen an sich. Damit ist aber noch nichts über mög­liche Anforderungen an entsprechende Alternativen des Tarifvertragssystems gesagt. Denn jedes Koalitionssystem muss bestimmte, vom Kernbereich der Koalitionsfreiheit vorgegebene, funktionszwingende Elemente erfüllen. Insoweit könnten die Kirchen bestimmte Eigenschaften des Tarifvertragssystems deswegen auch in ihrem kirchlichen Koalitionssystem übernehmen müssen, weil diese Elemente zum Kernbereich der Koalitionsfreiheit zu zählen sind. aa) Beteiligung der Koalitionen an der Besetzung der Arbeitsrechtlichen Kommissionen Bis zu einem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahre 2012 verhandelten im Zuge des „Dritten Wegs“ auf Seiten der Mitarbeiter keine Koalitionen – insbesondere keine Gewerkschaften –, sondern es wurden lediglich einzelne Mitarbeiter in die Kommissionen gewählt. Das Bundesarbeitsgericht kritisierte dies und verlangt nunmehr, dass die Kirchen den Koalitionen ein koalitionsgemäßes Wirken ermöglichen, zu dem insbesondere auch die Teilnahme an Arbeitsrechtsregelungsverhandlungen gehört.1573 Allerdings ist zu beachten, dass dieses Ergebnis auf dem Weg der Abwägung zwischen Koalitionsfreiheit und kirchlichem Selbstbestimmungsrecht erreicht wurde, der hier nicht gegangen wird.1574 Vielmehr ist zu untersuchen, ob und ggf. inwieweit eine Ausgestaltung des Koalitionssystems eine Berücksichtigung von Koalitionen verlangt und damit die Koalitionsbetätigung zum Kernbereich der Koalitionsfreiheit zu zählen ist. Auf den ersten Blick ist klar, dass eine Nullbeteiligung der Koalitionen bei der Gestaltung und Anwendung des Koalitionssystems keinesfalls zulässig sein kann.1575 Art. 9 Abs. 3 GG überlässt die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ausschließlich den Vereinigungen im Sinne der Norm. Daraus folgt, dass die Gestaltung der Arbeits- und Wirt1573  BAG,

NZA 2013, 448 (464). BAG, NZA 2013, 448 (464): „Das würde die durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Freiheit koalitionsspezifischer Betätigung über Gebühr beschneiden. Diese vom Leitbild der Dienstgemeinschaft nicht gebotene Beschränkung ist von besonderem Gewicht, da sie sich auch verzerrend auf die Tarifpolitik der einzelnen Gewerkschaften auswirkt“. 1575  Vgl. Pahlke (Fn. 1513), 129 ff.; Willemsen / Mehrens, Weltliches Arbeitsrecht und christliche Dienstgemeinschaft, in: NZA 2011, 1205 (1208). 1574  Vgl.

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schaftsbedingungen nicht ausnahmslos von einzelnen Mitarbeitern unternommen werden darf. Insoweit fehlt es klar an einem entsprechenden Verfassungsauftrag. Inwieweit das Grundgesetz jedoch neben der Beteiligung der Vereinigungen im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG auch die Beteiligung vereinigungsunabhängiger Mitarbeiter (oder anderer Personen) zulässt, ist dabei nicht ersichtlich. Gegen die Zulassung anderer Beteiligter spricht, dass die Koalitionsfreiheit gerade auf das Handeln der Koalitionen zugeschnitten ist. Daher kann der Kernbereich, also das Fundamentale, das Unabdingbare der Koalitionsfreiheit folgerichtig nur auf Koalitionen bezogen sein. Würde Art. 9 Abs. 3 GG auch anderen Gruppierungen oder Einzelnen die Beteiligung am Koalitionssystem ermöglichen, würde die Vorschrift nicht nur entsprechende Vereinigungen erwähnen. Insoweit kann alles, auf das die Koalitionsfreiheit abzielt – und damit erst recht ihr Kernbereich – nur auf das Tätigwerden der Koalitionen bezogen sein. Dieses Ergebnis ergibt sich auch aus einem Blick auf die Reichweite der kirchlichen Regelungsbefugnis. Denn es handelt sich zwar grundsätzlich um eine (private) Ausgestaltung, die nur den Grenzen des Kernbereichs der Koalitionsfreiheit gem. Art. 9 Abs. 3 GG unterliegt. Gleichzeitig muss jedoch bei privaten Ausgestaltungen beachtet werden, dass sie nur insoweit relevant sind, als sie von staatlicher Seite für zulässig erachtet werden.1576 In dem Fall des kirchlichen „Dritten Wegs“ ergibt sich die Zulässigkeit der privaten, d. h. kirchlichen Ausgestaltung einfach-rechtlich aus §§ 130, 118 Abs. 2 BetrVG, nach denen u. a. das Tarifvertragssystem grundsätzlich für die Kirchen und ihre Einrichtungen nicht gilt. Diese Norm stellt jedoch keine Grenzen und damit insgesamt keinen Rahmen auf, sondern enstpricht exakt dem Umfang des Art. 137 Abs. 3 WRV.1577 Daher ist überwiegend auf Art. 137 Abs. 3 WRV abzustellen: Die Kirchen dürfen nur im Rahmen des für alle geltenden Gesetzes eigene Angelegenheiten regeln. Die Frage, wann eigene Angelegenheiten vorliegen, lässt sich maßgeblich anhand des kirchlichen Selbstverständnisses beantworten.1578 Es stellt sich jedoch die Frage, ob bezüglich der Bestimmung der (Nicht-)Teilnahme der Koalitionen am Koalitionssystem überhaupt eine eigene Angelegenheit i.  S.  v. Art.  137 Abs. 3 WRV gegeben ist. Insofern ist zu beachten, dass das kirchliche 1576  Siehe

dazu bereits oben S. 410 ff. 46, 73 (95); BAG, AP Nr. 24 zu BetrVG 1972 § 118; BAG, AP Nr. 36 zu BetrVG 1972 § 118; BAG, AP Nr. 48 zu BetrVG 1972 § 118; Kania, in: Müller-Glöge / Preis / Schmidt (Hrsg.), Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 18. Aufl. 2018, § 118 BetrVG Rn. 28; Forst, in: Richardi (Hrsg.), BetrVG, 16. Aufl. 2018, § 118 Rn. 22 ff.; vgl. Richardi, Mitarbeitervertretungsrecht der Kirchen, in: ders. / Wißmann / Wlotzke / Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 2, 3. Aufl. 2009, § 331 Rn. 2. 1578  Siehe dazu ausführlich oben S. 83 ff. 1577  BVerfGE



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Selbstverständnis die Grundlage dafür bilden muss, dass die Kirchen die Besetzung der Arbeitsrechtlichen Kommissionen entgegen den staatlichen Regelungen (teilweise) unabhängig von den Koalitionen durchführen müssen. Eine pauschale Erlaubnis widerspricht der Dogmatik des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts, da nicht angenommen werden kann, dass das theologische Selbstverständnis ein umfassendes Regeln aller Situationen des Koalitionssystems erfordert. Auch die Rechtsprechung konstatiert: „[E]in am Leitbild der Dienstgemeinschaft ausgerichtetes kollektives Regelungsverfahren [steht] (…) einer gewerkschaftlichen Unterstützung der Dienstnehmerseite nicht entgegen“.1579 Mit anderen Worten: Es gibt keinen theologischen Grund, weshalb im System des „Dritten Wegs“ sowohl keine, als auch nur teilweise Koalitionsmitglieder in die Arbeitsrechtlichen Kommissionen entsendet werden dürfen. Weder bekämpfen die Kirchen die Koalitionen, noch hat die koalitionsbedingte Entsendung der Kommissionsmitglieder Einfluss auf das Wesen der Dienstgemeinschaft. Damit kann eine „eigene Angelegenheit“ im Sinne des Art. 137 Abs. 3 WRV jedoch nicht begründet werden. Daraus ist zu folgern, dass für die Frage des Entsendens von Koali­tionsmitgliedern keine staatliche Befugnis zur privat-kirchlichen Ausgestaltung gegeben ist. Insoweit ist zu konstatieren, dass die Kirchen ihre Arbeitsrechtlichen Kommissionen ausschließlich mit Koalitionsmitgliedern besetzen müssen. Denn die Koalitionsfreiheit gem. Art. 9 Abs. 3 GG erlaubt lediglich Vereinigungen, also Koalitionen, die Wahrung und För­ derung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen und damit das koalitionsmäßige Verhalten. Andere Parteien und Teilnehmer sieht das Grundgesetz gerade nicht vor. Aber selbst wenn die Notwendigkeit der nicht-koalitionsmäßigen Entsendung der Mitarbeiter in die Arbeitsrechtliche Kommission theologisch plausibel dargelegt würde, würde eine entsprechende kirchenrechtliche Regelung am Kernbereich der Koalitionsfreiheit scheitern. Damit stellt sich auch nicht die Frage nach dem Anteil der gewerkschaftlich und den anderweitig aus der Mitarbeiterschaft entsendeten Mitarbeitern,1580 sondern die Verfassung verlangt die ausschließliche Beteiligung der Koalitionen an der Besetzung der Kommissionen. Es ist zu beachten, dass sich der Begriff der Koalition nach Art. 9 Abs. 3 GG und nicht nach § 2 TVG, der nur die Gewerkschaften im Blick hat, richtet. Vielmehr sind alle Koalitionen, die die Begriffsmerkmale der Koalition nach verfassungsrechtlichem 1579  BAG, NZA 2013, 448 (464). So stellt das Gericht weiter fest: „Das Leitbild der Dienstgemeinschaft ist nicht darauf gerichtet, Gewerkschaften von Verhandlungen in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen oder Schiedskommissionen fernzuhalten und sie daran zu hindern, auf Grund eigener Entscheidung ihr Sach- und Fachwissen in das Verfahren zu Gunsten der Dienstnehmer einzubringen“ (464). 1580  Dazu insbesondere Joussen, Das neue Arbeitsrecht der Evangelischen Kirche in Deutschland, in: ZevKR 59 (2014), 50 (57 ff.).

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Verständnis erfüllen, an der Besetzung der Arbeitsrechtlichen Kommissionen zu beteiligen.1581 Daher sind insbesondere die Mitarbeiterverbände in den Kirchen als zu beteiligende Koalitionen zu werten.1582 In welchem Verhältnis diese untereinander zu beteiligen sind, ergibt sich allerdings nicht aus Art. 9 Abs. 3 GG und kann auch nicht dem Kernbereich zugeordnet werden: Das Elementare der Koalitionsfreiheit, also ihr unabdingbares und von jeder kulturellen Wertung freie Gerüst, ist auf die Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gerichtet und gibt keine Auskünfte über das Verhältnis und eine mögliche Gleichberechtigung der Koalitionen untereinan­der;1583 auch ohne eine Festlegung dieses Verhältnisses wird der elementare Auftrag der Koalitionsfreiheit gewährleistet. Die Behandlung der betroffenen Koalitionen durch die Kirchen verbleibt damit in dem Bereich der Ausgestaltungsfreiheit. bb) Freies, eigenständiges und unabhängiges Handeln Wie bereits soeben angeklungen, ist Hauptwesen der Koalitionsautonomie kein bestimmter Systeminhalt, aber das funktionszwingende Merkmal der Eigenständigkeit der Koalitionsparteien. Art. 9 Abs. 3 GG setzt zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gerade auf ein autonomes, d. h. von irgendwelchen Kräften unabhängiges Abredesystem.1584 Das betrifft sowohl die Unabhängigkeit der Parteien von staatlichen Einwirkungen als auch von Einwirkungen der jeweils anderen Partei.1585 Das bedeutet, dass die Koalitionsparteien frei sein müssen, selbst zu entscheiden, ob und 1581  De facto werden dies tatsächlich „nur“ die jeweils betroffenen Gewerkschaften sein; denn Koalition i. S. v. Art. 9 Abs. 3 GG sind nicht nur Vereinigungen i. S. v. Art. 9 Abs. 1 GG, die auf die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gerichtet sind, sondern die überdies gegnerfrei, gegnerunabhängig, überbetrieblich und durchsetzungsfähig sind, siehe dazu insbesondere BVerfGE 50, 290 (368 ff.); E 4, 96 (106); E 58, 233 (249); E 19, 303 (312); E 28, 295 (305); Bauer (Fn.  1513), 73 ff.; Höfling (Fn. 1513), 56 ff.; Hufen (Fn. 1504), § 37 Rn. 7 f.; Greiner (Fn.  1513), 81 ff. 1582  Ausführlich dazu Bietmann, Mitbestimmung im kirchlichen Dienst – arbeitsrechtliche Probleme der kirchlichen Mitarbeitervertretungsordnungen, 1982, S. 155 ff. 1583  Vgl. dazu ausführlich oben S. 416 ff. 1584  Vgl. BVerfGE 88, 103 (114): „Mit der grundrechtlichen Garantie der Koali­ tionsautonomie wird ein Freiraum gewährleistet, in dem Mitarbeiter und Arbeitgeber ihre Interessengegensätze in eigener Verantwortung austragen können“; Höfling (Fn. 1513), 87; Richardi (Fn. 1554), § 15 Rn. 4 ff.; Löwisch / Rieble, Koalitionsfreiheit der Koalition, in: Richardi / Wlotzke / Wißmann / Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 2, 3. Aufl. 2009, § 157 Rn. 18 ff. 1585  Vgl. BVerfG, NJW 1982, 815 (815 f.); Thüsing / Hütter, Gegnerunabhängigkeit als Voraussetzung der Tariffähigkeit auf der Arbeitgeberseite?, in: RdA 2018, 129 (130 f.).



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welche Abrede sie eingehen. Eine Einigung darf ihnen nicht diktiert werden.1586 Dies ist im Bereich des kirchlichen Koalitionssystems unproblematisch der Fall: „Die Arbeitsrechtliche Kommission ist von der Kirchenleitung unabhängig und paritätisch mit gewählten Repräsentanten der Mitarbeiter und der Arbeitgeber besetzt. Die Beschlüsse bedürfen der Mehrheit von drei Viertel der Mitglieder der Arbeitsrechtlichen Kommission. Die Kommissionsmitglieder unterliegen keinen Weisungen und haben eine gleichermaßen unabhängige Stellung wie die Angehörigen der Mitarbeitvertretungen der Kirchen“.1587 Insoweit erfüllt das kirchliche Koalitionssystem dieses funk­ tionszwingende Merkmal. (1) D  ie Problematik des Letztentscheidungsrechts in der katholischen Kirche Die koalitionsbezogene Freiheit und Unabhängigkeit bedeuten aber nicht nur, dass Abschluss und Inhalt einer Vereinbarung nicht von einer Seite vorgegeben werden dürfen, sondern auch – umgekehrt –, dass eine Seite weder den Abschluss einseitig verhindern noch für den Inhalt einer Vereinbarung einseitig Vorgaben machen darf. Denn andernfalls wäre die andere Seite, die keine einseitige Einflussmacht ausübt, nicht mehr frei in ihrer Entscheidung und nicht mehr unabhängig.1588 Dies ist im Bereich der katholischen Kirchen deshalb problematisch, weil dort letztendlich nur der Diözesanbischof alleine entscheidet, ob eine Arbeitsrechtsregelung in Kraft tritt und damit wirksam wird (§ 20 Rahmen-KODA-Ordnung);1589 infolgedessen kann der Bischof nicht nur eine von der Kommission beschlossene Vereinbarung verhindern, sondern auch auf die Verhandlungen einwirken und einen bestimmten Inhalt der Vereinbarung vorgeben. Insofern wird teilweise die Vereinbarkeit des (katholischen) „Dritten Wegs“ mit den Kernpunkten der Koalitionsautonomie verneint.1590 Dem ist für den Fall zuzustimmen, in dem der Bischof aus ver1586  BVerfGE

58, 233 (249). NZA 2006, 872 (874). 1588  Zumeist wird dieses Problem unter dem Stichwort „Parität“ diskutiert. Da nach der hier vertretenen Auffassung Parität nur ein „Scheinbegriff“ ist und sich nicht von der gebotenen Freiheit und Unabhängigkeit der Parteien unterscheidet, wird die Problematik bereits an dieser Stelle besprochen. Siehe ausführlich zur Bedeutung der Parität sogleich unten S. 438 ff. 1589  Zu dem Problem auch vor allem Richardi (Fn. 1554), § 15 Rn. 16 ff. 1590  Vorneweg insbesondere Pahlke, Der „Dritte Weg“ der Kirchen im Arbeitsrecht, in: NJW 1986, 350 (354); ders. (Fn. 1513), 220 f.; Hammer, Handbuch kirch­ liches Arbeitsrecht, 2002, S. 368 ff.; Schmidt, in: Müller-Glöge / Preis / ders. (Hrsg.), Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 18. Aufl. 2018, Art. 4 GG Rn. 55; Kühling (Fn. 1550), 244; Däubler, Das kirchliche Arbeitsrecht und die Grundrechte der Mit­ arbeiter, in: RdA 2003, 204 (209); vgl. Richardi (Fn. 1554), § 15 Rn. 16 ff. 1587  BAG,

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schiedenen, nicht benannten Gründen eine von der Kommission getroffene Vereinbarung verhindern kann.1591 Dann ist es den Koalitionen bzw. den Mitarbeitervertretern nicht mehr möglich, frei und unabhängig zu entscheiden, weil sie von der Haltung und der Einwirkungswilligkeit des Bischofs abhängig sind und ggf. ihre eigene an der bischöflichen Haltung ausrichten müssen, wollen sie eine Arbeitsrechtsregelung zustande bringen.1592 Insoweit kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein koalitionsfreiheitswidriges Koalitionssystem erst dann vorliegt, wenn der Bischof einseitig Regelungen treffen kann.1593 Verhindert der Bischof eine Arbeitsrechtsregelung, wird die KODA alles daran setzen, um dennoch eine Arbeitsrechtsregelung beschließen zu können; dann muss sie aber den Vorgaben des Bischofs entsprechen, so dass ein nicht zu vernachlässigender einseitiger Einfluss des Bischofs anzunehmen ist. Dagegen kann grundsätzlich auch nicht angeführt werden, der Diözesanbischof sei nicht mit dem kirchlichen Dienstgeber gleichzusetzen, da er als einziger Gesetzgeber in der Diözese die Gestaltung des Arbeitsrechts in der Kirche nicht auf andere Einrichtungen übertragen dürfe.1594 Denn zum einen ist der Diözesanbischof oberster Dienstherr in allen kirch­ lichen Angelegenheiten und damit auch der Dienstgeberseite und kann insbesondere sämtliche dem Dienstgeber zustehenden Rechte ausüben.1595 Zum anderen kann aber nicht der pauschale Hinweis auf das Kirchensystem und das Gesetzgebungsrecht genügen, geht es doch gerade um die Zulässigkeit dieses Systems angesichts der kollidierenden Koalitionsfreiheit der Mitarbeiter. Es soll gerade geklärt werden, ob das Letztentscheidungsrecht des Bischofs mit dem Kernbereich der Koalitionsautonomie harmoniert. Daran ändert auch nichts, dass dem Bischof kirchenrechtlich wegen seiner Verantwortung für den Verkündigungsauftrag gewisse Einflussmöglichkeiten bestehen bleiben müssen.1596 Dass der Diözesanbischof die Leitung nicht nur der Dienstgeberseite, sondern der gesamten Dienstgemeinschaft und damit auch der Mitarbeiterseite übernimmt,1597 vermag an der Bewertung nichts zu än1591  So etwa noch § 14 Abs. 2 Rahmen-KODA-Ordnung vom 15.06.1998, in der Fassung vom 20.06.2005: „Sieht sich der Diözesanbischof nicht in der Lage, einen Beschluss in Kraft zu setzen…“. 1592  So auch Willemsen / Mehrens (Fn. 1575), 1210 f.; siehe auch Däubler (Fn. 1590), 209. 1593  So aber Richardi (Fn. 1554), § 15 Rn. 18. 1594  So insbesondere Richardi (Fn. 1554), § 15 Rn. 17; Joussen, Grundlagen, Entwicklungen und Perspektiven des kollektiven Arbeitsrechts der Kirchen, in: Kämper / Thönnes (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 46 (2012), 53 (72 f.); Thüsing (Fn. 1537), 128 ff. 1595  Vgl. Hammer (Fn. 1590), 368 f. 1596  Richardi (Fn. 1554), § 15 Rn. 19. 1597  So insbesondere Thüsing (Fn. 1537), 129, der dieses Argument jedoch auf die These von der durch das Letztentscheidungsrecht bedingten fehlenden Parität bezieht.



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dern. Denn es ist zu sehen, dass die Koalitionsautonomie insgesamt ein freies, unabhängiges und eigenständiges Tätigwerden der Koalitionen im Tarifsystem unabdingbar fordert und es folglich hierbei gar nicht maßgeblich darauf ankommt, ob die beeinflussende Instanz einer der beiden Parteien vollständig zugeordnet werden kann. Auch Dritte können eine freie Entscheidung erschweren oder unmöglich machen und insoweit koalitionsfreiheitswidrig sein, weil Art. 9 Abs. 3 GG nur die Koalitionen und die verantwort­ lichen Arbeitgeber als Vereinbarungsparteien anerkennt. Demnach wäre der „Dritte Weg“ in der katholischen Kirche deshalb koalitionsfreiheitswidrig, weil durch das Letztentscheidungsrecht des Diözesanbischofs eine unabhängige und freie Entscheidung der Mitarbeitervertreter bereits strukturell als unmöglich erscheint. Auch Teile der Rechtsprechung deuten mittlerweile darauf hin.1598 Allerdings ist zu beachten, dass im Zuge des Neuerlasses der RahmenKODA-Ordnung im Jahre 2014 auch das Letztentscheidungsrecht des Diözesanbischofs modifiziert wurde. Danach darf der Bischof das Inkraftsetzen einer Arbeitsrechtsregelung nunmehr nur dann verweigern, wenn diese „offensichtlich gegen kirchenrechtliche Normen oder gegen Vorgaben der katholischen Glaubens- und Sittenlehre verstößt“.1599 Das bedeutet aber, dass der Diöze­ sanbischof in seiner Verweigerungsentscheidung nicht mehr frei ist, sondern nur die Grenzen einhalten muss, die ohnehin für die entsprechende KODA bestehen. Aus arbeitspolitischen Gründen etwa kann ein Beschluss gerade nicht verhindert werden. Daraus folgt, dass die KODA nicht dem Wohlwollen des Bischofs, sondern ausschließlich dem Kirchenrecht und der katholischen Moralnormlehre unterliegen. Dies schränkt zwar ebenfalls die Freiheit und Unabhängigkeit der Mitarbeitervertreter ein; dadurch aber, dass auch die andere Seite, der Dienstgeber, daran gebunden ist, ergibt sich keine erhöhte Einflussmöglichkeit einer der beiden Seiten. Die Koalitionsautonomie verhindert nicht, dass beide Koalitionsparteien bestimmten Ausrichtungen, Bestimmungen und Zielsetzungen unterworfen sind, sondern nur, dass eine der beiden Seiten eine höhere Einflussmöglichkeit auf die jeweils andere Partei besitzt und insoweit den Inhalt und das Ergebnis der Vereinbarungen 1598  Siehe insbesondere BAG, NZA 2011, 634 (636): „Eine Verweisungsklausel in einem Arbeitsvertrag mit einem kirchlich-diakonischen Anstellungsträger, die nicht ausschließlich auf die auf dem Dritten-Weg von einer paritätisch mit weisungsunabhängigen Mitgliedern besetzten Arbeitsrechtlichen Kommission beschlossenen Arbeitsvertragsregelungen Bezug nimmt, sondern darüber hinaus – etwa bei einem kirchenrechtlich vorgesehenen Letztentscheidungsrecht der Synode oder des Bischofs – auch einseitig von der Dienstgeberseite vorgegebene Regelungen erfasst und damit inhaltlich ein Vertragsänderungsrecht der Dienstgeberseite darstellt, dürfte zu weit gefasst und damit insgesamt unwirksam sein“; ArbG Hamburg, Urt. v. 18.03.2011 – 14 Ca 223/10; vgl. Joussen (Fn. 1594), 72. 1599  § 20 Abs. 4 Rahmen-KODA-Ordnung in der Fassung vom 24.11.2014.

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bestimmen kann. Dies ist aber ausgeschlossen, wenn der Diözesanbischof an dieselben Regelungen und Grundsätze gebunden ist wie sowohl die Dienstgeber-, als auch die Mitarbeiterseite. So kann beispielsweise auch die Mitarbeiterseite von der Bindung an das Kirchenrecht profitieren, etwa wenn man an can. 1286 °2 CIC denkt, nach dem die Kirche verpflichtet ist, „denjenigen, die aufgrund eines Vertrages Arbeit leisten, einen gerechten und angemessenen Lohn zu zahlen“. Das Gleiche gilt entsprechend für die evangelischen Kirchen. Lange Zeit lag dort das Letztentscheidungsrecht bei der jeweiligen Synode, was häufig als „Verstoß“ gegen die Koalitionsautonomie aufgefasst worden ist.1600 Da mittlerweile alle Landeskirchen sowie die EKD, jeweils einschließlich der Diakonie, das Letztentscheidungsrecht einem paritätisch besetzten Schlichtungsausschuss übertragen haben, ist die These von der koalitionsfreiheitswidrigen Gestaltung des evangelischen „Dritten Wegs“ passé.1601 Zwar wird weiterhin behauptet, auch eine solche „Zwangsschlichtung“ verhindere eine freie und unabhängige Entscheidung der Mitarbeiter, weil über sie der Dienstgeber seine Wunschregelung „gegen den Willen der Mitarbeiterseite und ohne Zugeständnisse bei der Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen der kirchlichen Mitarbeiter an anderer Stelle erreichen“ könne.1602 Dagegen spricht aber, dass die Schlichtungskommission paritätisch besetzt ist. Ein strukturelles Übergewicht einer Seite ist mithin ausgeschlossen, der Vorsitzende ist ein neutrales Mitglied und damit kein Vertreter der Dienstgeberseite und insgesamt sind die Mitglieder der Schlichtungskommission an keiner Stelle weisungsgebunden. Es kann sehr wohl ausgeschlossen werden, dass eine Seite ihre Wünsche mittels Schlichtung entgegen der Haltung der anderen Seite einseitig durchzusetzen vermag. Eine freie, eigenständige und unabhängige Entscheidung beider Seiten ist damit durch die Schlichtungskommission gewährleistet.1603

insbesondere Hammer (Fn. 1590), 369 f.; Pahlke (Fn. 1513), 221 f. beachten ist, dass sich die jeweils gegen die Konformität des Dritten Wegs mit der Koalitionsautonomie angeführte Literatur auf ältere Vorschriften bezog, die etwa das Letztentscheidungsrecht der Synode noch kannte oder eben dem Diözesanbischof keinen festen Kanon an Verhinderungsgründen bereitstellte. Entsprechend den jeweils aufgestellten Vorgaben müssten aber die Autoren unter Berücksichtigung der heutigen kirchenrechtlichen Regelungen einen Verstoß gegen die Koalitionsautonomie verneinen, vgl. insbesondere Pahlke (Fn. 1513), 354; Hammer (Fn. 1590), 368 ff. 1602  BAG, NZA 2009, 1417 (1423); ebenso Kühling (Fn. 1550), 245. Dazu auch Reichold, Neues zum Arbeitsrecht der Kirchen – Konsolidierung oder Irritation durch das BAG?, in: NZA 2009, 1377 (1379 ff.); vgl. auch Joussen (Fn. 1594), 68 f. 1603  So die herrschende Ansicht, siehe BAG, NZA 2006, 872 (874); Reichold (Fn. 1602), 1380; Joussen (Fn. 1594), 69 f.; Thüsing (Fn. 1537), 126 ff., 151. 1600  Dazu 1601  Zu



C. Die kirchlichen Koalitionssysteme und die Grundrechte der Mitarbeiter 435

(2) Betätigungsrechte der Koalitionen in kirchlichen Einrichtungen Zur Freiheit und Eigenständigkeit der Koalitionen gehört nicht nur die reine Entscheidungsfindung, sondern grundsätzlich auch die koalitionsmäßige Betätigung. Ein viel beachtetes Feld nicht nur im Bereich des kirchlichen Koalitionssystems ist daher die Frage nach den Betätigungsrechten der Koalitionen in Betrieben. Dabei gilt auch hier: Solange es dabei um die generelle Gewährleistung von bestimmten Rechten geht, kommt der Ausgestaltungsmaßstab zur Anwendung, andernfalls handelt es sich um einen Eingriff, der mittels Abwägung gerechtfertigt sein kann.1604 Die Rechtsprechung und ihr folgend die Literatur bejahen dabei grundsätzlich das Recht der Koalitionen und ihrer Mitglieder, in Koalitionen zu werben und die Mitarbeiter zu informieren, um so ihre Mitgliederzahl zu erhöhen und hinreichend Einfluss auf die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen im Betrieb nehmen zu können.1605 Auch wenn dieses Ergebnis letztlich überwiegend im Wege einer Abwägung begründet wird, ist dem zuzustimmen. Da es um das generelle „Ob“ der Koalitionsbetätigung geht, liegt eine Ausgestaltungsfrage vor, die ihre Grenzen allerdings nur im Kernbereich der Koalitionsfreiheit findet. Dazu gehört die Gewährleistung eines freien und unabhängigen Koalitionshandelns. Ein solches Handeln bedeutet nicht nur das Treffen einer eigenen Entscheidung, sondern auch eine freie und unabhängige Vorbereitung und Gewährleistung koalitionsbezogener Maßnahmen.1606 Dabei ist die Mitgliederwerbung unerlässlich für die Sicherstellung eines künftigen effektiven 1604  Vgl.

dazu bereits oben S. 404 ff. NJW 1967, 843  ff.; Richardi (Fn. 1554), § 11 Rn. 15; Bietmann (Fn.  1582), 159 ff.; Robbers (Fn. 1537), 73 f.; Naendrup, Kirchenbezogene Aspekte der Zutritts- und Informationsrechte von Gewerkschaften, in: AuR 1979, Sonderheft: Kirche und Arbeitsrecht, 37 ff.; Joussen (Fn. 1594), 82 f., 84 f.; Dütz, Aktuelle kollektivrechtliche Fragen des kirchlichen Dienstes, in: Krautscheidt / Marré (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 18 (1984), 67 (76); allgemein auch ­Säcker, Gewerkschaftliches Zutrittsrecht zum Betrieb, in: AuR 1979, 39 ff.; vgl. Richardi, Der CGM-Beschluss des ArbG Stuttgart – Tariffähigkeit und Tarifzensur, in: NZA 2004, 1025 ff. 1606  Vgl. BAG, NJW 1967, 843 (844): „Wenn aber die Gewerkschaften hinsichtlich ihres Bestandes und ihrer Betätigung in einem Kernbereich grundrechtlich geschützt sind, so muß dieser Schutz ihre Informations- und Werbetätigkeit umfassen. Denn diese ist eine notwendige Voraussetzung für den Bestand und die Betätigung der Koalition. Die Information ihrer Mitglieder hält sie zusammen; die Werbung gibt ihr die Möglichkeit, in erweitertem Umfang tätig zu sein und damit ihre Aufgabe, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zu fördern, besser und weitergehend zu erfüllen und so ihrer verfassungsmäßig geschützten Aufgabe sachgemäß gerecht zu werden. Die spezifisch koalitionsgemäße Information und Werbung sind schlechthin sowohl in persönlicher wie in sachlicher Beziehung Voraussetzungen für die erfolgreiche Tätigkeit der Gewerkschaften in dieser ihrer Eigenschaft, die ihrerseits grundrechtlich anerkannt ist“; vgl. auch BAG, NJW 1979, 1844 (1845). 1605  BAG,

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Wirkens. Auch die Informationsrechte gegenüber den Mitarbeitern sind Bestandteil eines freien inhaltlichen Entscheidungsprozesses, durch den die Koalitionen nicht nur die für sie nicht unmaßgebliche Haltung der Mitarbeiter erfahren, sondern auch für ihre eigenen Standpunkte entsprechend werben können. Daher müssen entsprechende Werbe- und Informationsrechte auch in kirchlichen Einrichtungen grundsätzlich vorgesehen werden. Allerdings leuchtet ein, dass diese Rechte nicht uneingeschränkt gelten können. Daher werden auch entsprechende, sofort einleuchtende Grenzen aufgezogen, die sich im Wege einer Abwägung der konfligierenden Rechtsgüter von Mitarbeitern und Kirchen ergeben. Dann liegt keine generell ausgerichtete Ausgestaltungs-, sondern vielmehr ein für die Abwägung notwendiger Eingriff in bereits bestehende Rechtsausgestaltungen (Werbe- und Informationsrecht) vor.1607 Besonders umstritten war und ist insbesondere die Frage, ob Werbe- und Informationsrechte auch betriebsfremden Koalitionsmitgliedern zustehen, insbesondere ob sie dabei ein Zutrittsrecht zu den Betrieben haben. Das BAG hatte die Frage zunächst bejaht und dies mit dem besonderen Gewicht des Art. 9 Abs. 3 GG begründet.1608 Das BVerfG hob diese Entscheidung mit der Begründung auf, Art. 9 Abs. 3 GG umfasse auf der Ebene des Schutzbereichs gerade kein Zutrittsrecht betriebsfremder Koalitionsmitglieder, zumal auch eine gesetzliche das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen beschneidende Regelung fehle.1609 Damals ging das Verfassungsgericht aber aus Sicht mancher Stimmen in Rechtsprechung und Literatur noch von einem dem Kernbereich entsprechenden Schutzbereich der Koalitionsfreiheit aus.1610 Nachdem das BVerfG allerdings seine schutzbereichsbezogene Kernbereichsthese aufgab, entschied das BAG 2006 erneut, dass betriebsfremden Koali­ tionsmitgliedern ein Zutrittsrecht zustehe, wenn auch die Grenzen im Wege der praktischen Konkordanz zu ermitteln seien.1611 Bemerkenswert ist hierbei, dass zwar auch das BAG das Fehlen einer das Selbstbestimmungsrecht 1607  Zusammenfassend Richardi (Fn. 1554), § 11 Rn. 22: „Eine kirchliche Einrichtung muss daher dulden, dass Mitarbeiter für ihre Gewerkschaft tätig werden, sofern sie die Grenzen beachten, die für innerbetriebliche Koalitionswerbung und -betreuung gelten“; vgl. auch Joussen (Fn. 1594), 82; zu solchen Grenzen gehören insbesondere die Funktionsfähigkeit des Betriebs, in kirchlichen Einrichtungen aber besonders auch die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Glaubenslehre, so dass beispielsweise nicht für eine Abtreibungskampagne geworben werden darf. 1608  BAG, NJW 1979, 1844 (1846 ff.); vgl. auch ausführlich Bietmann (Fn. 1582), 159 ff.; Joussen (Fn. 1594), 82. 1609  BVerfGE 57, 220 (245 ff.); vgl. auch Richardi (Fn. 1554), § 11 Rn. 14 ff.; Bietmann (Fn. 1582), 161 ff. 1610  Siehe dazu ausführlich bereits oben S. 424 ff. 1611  BAG, NZA 2006, 798 (800 ff.); bestätigt in BAG, AP Nr. 142 zu Art. 9 GG; dazu insbesondere Joussen (Fn. 1594), 84 ff.; Richardi (Fn. 1554), § 11 Rn. 17 f.



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der Kirchen einschränkenden Regelung sieht, dies aber dadurch umgeht, dass die Kirchen „auf Grund ihrer grundrechtlichen Schutzpflicht im Wege der Rechtsfortbildung eine entsprechende Ausgestaltung vornehmen“ müssten.1612 Trotz dieser doch abenteuerlich anmutenden dogmatischen Begründung neigt mittlerweile ein großer Teil der Literatur, zumindest dem Ergebnis des BAG zuzustimmen.1613 Unabhängig vom Ergebnis kann grundsätzlich weder der Rechtsprechung – und hierbei beiden Teilen – noch der Literatur gefolgt werden: Immerhin wird an keiner Stelle zwischen Eingriff und Ausgestaltung differenziert und dementsprechend das Ergebnis entweder über eine Abwägung1614 oder durch eine differente Schutzbereichsbeschreibung erzielt1615. Nach der hier vertretenen Ansicht gilt hingegen Folgendes: Bei der Frage, ob betriebsfremde Koalitionsmitglieder Zutrittsrechte zu kirchlichen Einrichtungen haben, handelt es sich um eine private Ausgestaltungsfrage, für die als Maßstab nur der Kernbereich der Koalitionsfreiheit Anwendung findet. Folglich wäre ein entsprechendes Zutrittsrecht nur dann erforderlich, wenn andernfalls funktions­ zwingende Merkmale der Koalitionsautonomie gefährdet wären. Als geeignetes funktionszwingendes Merkmal kommen hier im Vorhinein nur die Freiheit und Unabhängigkeit der Koalitionen in Betracht. Dabei ist aber klar zu sehen, dass die Funktionsfähigkeit der Koalitionen als freie, unabhängige und eigenständige Akteure der Gewährleistung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingung nicht davon abhängt, dass betriebsfremde Koalitionsmitglieder die NZA 2006, 798 (800 f.); vgl. Joussen (Fn. 1594), 84 ff. Werbung und Information durch Beauftragte der Gewerkschaften in Betrieben und kirchlichen Einrichtungen – ein Gutachten zu der von den Orthopädischen Anstalten Volmarstein, Rehazentrum, erhobenen Verfassungsbeschwerde – 2 BvR 384 / 78 – gegen das Urteil des BAG vom 14. Feb. 1978 – 1 AZR 280 / 77 – und das Urteil des LAG Hamm vom 21. Jan. 1977 – 3 Sa 941 / 76, 1980, S. 87 ff.; Schmidt (Fn. 1590), 56; Naendrup (Fn. 1605), 39 ff.; Bietmann (Fn. 1582), 162 ff.; Unruh (Fn. 1537), 207; Classen, Religionsrecht, 2. Aufl. 2015, Rn. 454; anders hingegen Richardi (Fn. 1554), § 11 Rn. 14 ff.; ders., Anmerkung zu BAG, AP Nr. 127 zu Art. 9 GG; Klosterkemper, Zugangsrecht der Gewerkschaften – unter besonderer Berücksichtigung der Tendenzbetriebe und kirchlichen Einrichtungen, 1980, S. 152 ff.; Dütz, Gewerkschaftliche Betätigung in kirchlichen Einrichtungen, 1982, S. 23 ff.; differenzierend Joussen (Fn. 1594), 91, der je nach Zweck, Zeit und Umständen des Zutritts zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt. 1614  So das BAG, NZA 2006, 798 (800 ff.), und die Literatur, insbesondere Naendrup (Fn. 1605), 41 f.; Joussen (Fn. 1594), 91; Unruh (Fn. 1537), 207. 1615  So aber konsequent BVerfGE 57, 220 (245 ff.), sowie insbesondere Richardi (Fn. 1554), § 11 Rn. 17, da sie weder Art. 9 Abs. 3 GG für einschlägig halten, noch eine hinreichende Schranke erkennen mögen; vgl. auch – bezogen auf die Entscheidung des BVerfG – Bietmann (Fn. 1582), 161: „Hervorzuheben ist insbesondere, daß eine Abwägung zwischen dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht auf der einen und dem gewerkschaftlichen Zutrittsrecht auf der anderen Seite nicht stattfindet“. 1612  BAG,

1613  Ruland,

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kirchlichen Einrichtungen betreten und entsprechend handeln dürfen. Die Freiheit der Koalitionen bedeutet nicht, dass sie völlige Handlungsfreiheit innehaben, sondern – wegen des Funktionsbezugs der Koalitionen – frei und unabhängig ihre Aufgaben, also die Pflicht zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen erfüllen können. Diese Möglichkeit verbleibt bei den Koalitionen auch bei einem Zutrittsverbot betriebsfremder Koalitionsmitglieder, können doch betriebszugehörige Mitglieder die in Frage stehenden Rechte in vollem zulässigen Umfang wahrnehmen. Die Sacharbeit der Koalitionen wird mithin nicht eingeschränkt und die Koalitionen verlieren auch nicht eine ihrer maßgeblichen Funktionen, nur weil Betriebsfremde keinen Zutritt haben. Etwas Anderes gilt allerdings dann, wenn die Koalition keine betriebszugehörigen Mitglieder hat – dann würde ein entsprechendes Zutrittsverbot die „Arbeitsunfähigkeit“ der Koalitionen zumindest für die betroffene Einrichtung bedeuten und ihre Funktionsfähigkeit auf Null senken lassen.1616 Insofern bleibt festzuhalten: Die Entscheidung, ob betriebsfremden Koalitionsmitgliedern ein Zutrittsrecht zur Einrichtung zusteht, wird von der Verfassung nicht zwingend vorgegeben, sondern steht im Ermessens- und Gestaltungsspielraum des Ausgestaltenden. Solange die Kirchen ein solches Zutrittsrecht jedoch nicht vorsehen, dürfen sie Betriebsfremden entsprechend den Zutritt zu kirchlichen Einrichtungen dann nicht versagen, sofern betroffene Koalitionen gar keine betriebszugehörigen Mitarbeiter aufweisen. (3) Parität als funktionszwingendes Moment? In der Literatur wird häufig die Notwendigkeit der Parität der Tarifparteien unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 GG abgeleitet und daraus entsprechende Konsequenzen für die Auslegung der Koalitionsfreiheit gezogen.1617 Auch die Rechtsprechung erkennt den Grundsatz der Parität an, dessen Ziel es ist, „die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Mitarbeiter beim Abschluß von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen und damit ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Löhne und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen“.1618 Unter Parität ist daher grundsätzlich die Notwendigkeit der Chancen- und „Waffen“-Gleichheit zu verstehen, mit deren Hilfe „die Regelung der Arbeitsbedingungen nicht einem Diktat einer Seite entspringt, 1616  Säcker (Fn. 1605), 40; Bietmann (Fn. 1582), 162  ff.; Naendrup (Fn. 1605), 43 f.; vgl. Joussen (Fn. 1594), 82 f.; dagegen Richardi, Zugangsrecht der Gewerkschaften zum Betrieb, in: DB 1978, 1736 (1739 f.). 1617  Siehe statt vieler nur Robbers (Fn. 1537), 50 ff.; Löwer (Fn. 1513), 83. 1618  BVerfGE 92, 365 (395); BAG, NZA 2013, 448 (463  f.); vgl. Robbers (Fn.  1537), 67 f.



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sondern ausgehandelt wird“.1619 Es geht mit anderen Worten um ein Gleichgewicht zwischen beiden Interessenvertretern – den Koalitionen auf der einen, dem Dienstgeber auf der anderen Seite. Ein solches verfassungsrechtliches Gebot ist jedoch erheblichen Schwierigkeiten ausgesetzt. Nicht nur, dass die Frage nach dem konkreten Inhalt, der konkreten Bedeutung und dem konkreten Maßstab der Parität keinesfalls als hinreichend geklärt zu bezeichnen ist,1620 stellt sich die Frage nach ihrer verfassungsrechtlichen Grundlage, deren Nichtexistenz zwar nicht mit der mangelnden Begriffsklarheit begründet werden kann, jedoch durch diese induziert ist.1621 Dennoch wird teilweise mit großem Aufwand versucht, der Parität eine stichhaltige Verfassungsgrundlage zu bereiten, nicht zuletzt um bestimmte (politische) Zielvorstellung über die Parität als Steigbügel der Koalitionsfreiheit umsetzen zu können. Im Folgenden soll daher die Frage aufgeworfen werden, ob es für die Parität tatsächlich eine entsprechende verfassungsrechtliche Existenzberechtigung gibt, ob die Parität also tatsächlich funktionszwingendes Merkmal der Koalitionsfreiheit ist. Insbesondere zwei Stränge der verfassungsrechtlichen Fundierung des zwingenden Paritätsgebots lassen sich hierbei unterscheiden. Beide haben gemeinsam, dass sie jeweils eine unabdingbare Funktion und damit ein funktionszwingendes Moment der Koalitionsautonomie begründen und insoweit eine bestimmte Gleichwertigkeit zwischen Koalition und Dienstgeber erfordern. Daneben gibt es zwar auch noch eine weitere, auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip abstellende verfassungsrechtliche Verortung der Parität;1622 diese kann jedoch nicht auf die Frage nach dem Kernbereich der Koalitionsfreiheit bezogen werden, ergibt sich die Parität nach dieser Lehre doch nicht aus dem Kernbereich, sondern einer Abwägung. Danach ist die Parität kein funktionszwingendes Merkmal, sondern nur Moment des allgemeinen, eingriffsbezogenen Schutzbereichs der Koalitionsfreiheit. In neuerer Zeit wird besonders häufig davon gesprochen, dass die Koalitionsautonomie nicht nur eine unabhängige private Koalitionsabrede, sondern darüber hinaus auch eine „materielle Richtigkeitsgewähr“ erfordere.1623 Voraussetzung für diese Richtigkeits58, 233 (249); vgl. Kemper (Fn. 1510), 157. dazu Kemper (Fn. 1510), 157 ff. 1621  So auch Kemper (Fn. 1510), 161 f., der ebenfalls darauf hinweist, dass eine fehlende hinreichende Begriffsbestimmung – entgegen häufiger Ausführungen – keinen Einfluss auf die Beantwortung der Frage nach der Existenz eines Verfassungsgebots haben kann. 1622  BAGE 33, 140 (176); E 46, 322 (346); E 48, 195 (207); vgl. Kemper (Fn. 1510), 163. 1623  BAGE 33, 140 (149); Raiser, Der Kampf um die Aussperrung, in: ZRP 1978, 201 (203); Scheuner, Verfassungsrechtliche Gesichtspunkte zu der Fortbildung des Arbeitskampfrechts im Beschluß des Großen Senats vom 21. April 1971, in: RdA 1619  BVerfGE

1620  Ausführlich

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anforderung sei jedoch eine hinreichende Gleichgewichtigkeit zwischen beiden Parteien, ohne die die Koalitionsautonomie nicht ihre Aufgabe erfüllen könne: „Funktionsfähig ist die Koalitionsautonomie folglich nur, solange zwischen den Tarifvertragsparteien ein ungefähres Kräftegleichgewicht – Parität – besteht“.1624 Damit wird die Richtigkeitsgewähr funktional untrennbar mit der Koalitionsautonomie verknüpft und folglich als funktionszwingendes Merkmal deklariert. Teilweise wird die „Richtigkeit“ gar als Geltungsgrund entsprechender Arbeitsrechtsregelungen angesehen.1625 Unter Richtigkeit wird dabei eine hinreichende Vertretbarkeit oder Angemessenheit des getroffenen Inhalts der Arbeitsrechtsregelung verstanden.1626 Daraus wird gefolgert, dass ein Koalitionssystem nur insofern zulässig sei, als es die Parität gewährleiste, was wiederum die Voraussetzung für „richtige“ Inhalte bilde. Die Verbindung Koalitionsautonomie – Richtigkeit – Parität führt damit zu dem Verständnis der Parität als grundlegendes Richtigkeitsgebot.1627 Dieses Konzept kann jedoch nicht überzeugen. Denn inhaltliche Vorgaben für vereinbarte Arbeitsrechtsregelungen lassen sich der Verfassung, die nur die Wahrung und Förderung der Wirtschafts- und Arbeitsbedingungen verlangt, gar nicht entnehmen. Gewährt sein muss daher – allein unter Berücksichtigung des Wortlauts des Art. 9 Abs. 3 GG – lediglich, dass entsprechende autonom vereinbarte Abreden zur Gestaltung des Arbeits- und Wirt1971, 327 (332); Ricken, Arbeitskampfrecht in der Verfassung, in: Richardi /  Wlotzke / Wißmann / Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 2, 3. Aufl. 2009, § 196 Rn. 4 ff.; Löwer (Fn. 1513), 66; vgl. Kemper (Fn. 1510), 162. 1624  BVerfGE 92, 365 (3985); E 84, 212 (229); BAGE 33, 140 (149); E 40, 327 (335); E 48, 195 (202); Krejci, Aussperrung – Verfassungs- und Privatrechtsfragen nach deutschem Recht, 1980, S. 48. Vgl. dazu insgesamt Kemper, Die Bestimmung des Schutzbereichs der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) – zugleich ein Beitrag zur Lehre von den Einrichtungsgarantien, 1990, S. 181 f.; Robbers (Fn. 1537), 68; Säcker, Gruppenparität und Staatsneutralität als verfassungsrechtliche Grundprinzipien des Arbeitskampfrechts – eine arbeits- und sozialrechtliche Untersuchung zu § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes vom 25. Juni 1969, 1974, S. 99: „Die gegenseitige Unabhängigkeit und Gleichheit (…) [sind] Voraussetzung für eine funktionserfüllte Inanspruchnahme der Vertragsfreiheit“ (Herv. i. O.). 1625  Picker, Der Warnstreik und die Funktion des Arbeitskampfes in der Privatrechtsordnung, 1983, S. 159 f.; Raiser (Fn. 1623), 203; Brox, Fragen der rechtsgeschäftlichen Privatautonomie, in: JZ 1966, 761 (762). 1626  Rüthers, Zur Kampfparität im Arbeitskampfrecht, in: JURA 1970, 85 (106); ders., in: DB 1973, 1649 (1651); Evers, Arbeitskampffreiheit, 1969, S. 30; Raiser, Die Aussperrung nach dem Grundgesetz – unter welchen Voraussetzungen kann die Aussperrung durch Bundesgesetz für sich allein oder im Zusammenhang mit einer allgemeinen gesetzlichen Regelung des Arbeitskampfrechts verboten oder eingeschränkt werden?, 1975, S. 68. Vgl. dazu insgesamt Kemper (Fn. 1624), 181 f.; ders. (Fn. 1510), 158. 1627  Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, 1972, S. 118; vgl. Kemper (Fn. 1624), 184.



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schaftslebens getroffen werden. Inwieweit diese „richtig“ sein sollen, entscheidet die Koalitionsfreiheit nicht.1628 Darüber hinaus stellt sich die Frage, was eine „richtige“ Entscheidung sein soll. Insoweit müsste auch ein konkreter Richtigkeitsmaßstab aus der Verfassung abzuleiten sein, wäre es doch nicht überzeugend, der Verfassung ein Richtigkeitsgebot zu entnehmen, nicht jedoch einen dazu passenden Richtigkeitsinhalt. Andernfalls müsste man ausführlich – und im Ergebnis erfolglos – begründen, warum die Verfassung „richtige“ Arbeitsrechtsregelungen wünscht, sie aber zugleich offen lässt, was eine richtige Entscheidung überhaupt bedeutet. Weiter ist der Begriff der „Richtigkeit“ ein aus der Sphäre der Moralität stammender Ausdruck, der insofern einer grundlegenden – subjektiven – Wertung bedarf.1629 Eine solche Wertung lässt sich daher keinesfalls aus dem einzigen – wenn überhaupt – Bezug nehmenden Satz der Verfassung in Art. 9 Abs. 3 GG herauslesen. Das der Koalitionsautonomie entlehnte Richtigkeitsgebot kann darüber hinaus auch nicht mit dem Argument begründet werden, auch die allgemeine Vertragsfreiheit sei „leitenden Gerechtigkeitsvorstellungen“ und Gemeinwohlbelangen unterworfen, so dass für die Koalitionsautonomie nichts Anderes gelten dürfe.1630 Denn Inhalt und Sinn jeglicher (Privat-) Autonomie ist es gerade, Entscheidungen grundsätzlich unabhängig von „objektiven“ Vorgaben und Maßstäben zu treffen: „Voluntas, non veritas facit contrac­tum“.1631 Zwar unterliegt jede Autonomie auch gewissen Schranken. Diese ergeben sich jedoch nicht aus allgemeinen Gerechtigkeits- und Richtigkeitsvorstellungen, sondern aus konkreten Vorgaben, wie etwa einer bestimmten Schutzpflicht zugunsten betroffener Dritter.1632 Es ist – wenn überhaupt – kaum begründbar, zum einen weshalb die Richtigkeit nur bei autonomiebezogenen Handlungen, nicht aber bei anderen Freiheitsbereichen eine Schranke bilden soll, und zum anderen auf welcher dogmatischen Grundlage die Richtigkeit neben den anerkannten Schranken anzuerkennen sein soll, wie beispielsweise das kollidierende Verfassungsrecht. Schließlich stellt sich die Frage – einmal unterstellt, die Richtigkeit sei funktionszwin1628  So auch Kemper (Fn. 1624), 183; zumindest zweifelnd Richardi (Fn. 1554), § 15 Rn. 239. 1629  Zöllner, Aussperrung und arbeitskampfrechtliche Parität, 1974, S. 34. 1630  Rüthers (Fn. 1626), 105 ff.; Raiser, Vertragsfreiheit heute, in: JZ 1958, 1 (3); Evers, Arbeitskampffreiheit, Neutralität, Waffengleichheit und Aussperrung – Rechtsgutachten zum Aussperrungsverbot der Hessischen Landesverfassung, 1969, S. 30; Richardi, Das Ordnungsmodell des Tarifvertragssystems und der Arbeitskampf, in: JZ 1985, 410 (413); Säcker (Fn. 1624); vgl. auch Kemper (Fn. 1624), 184 ff. m. w. N. 1631  Insbesondere Isensee, Die verfassungsrechtliche Verankerung der Koalitionsautonomie, in: Walter-Raymond-Stiftung (Hrsg.), Die Zukunft der Partnerschaft, 1986, 159 (178); Kemper (Fn. 1624), 188 f.; ders. (Fn. 1510), 151. 1632  Vgl. Kemper (Fn.1510 ), 116 ff.

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gendes Moment der Koalitionsautonomie –, inwiefern die Parität stets ein Garant richtiger Entscheidungen sein kann. Es ist immerhin auch denkbar, dass beide – gleichwertig aufgestellte – Tarifparteien etwas „Falsches“ vereinbaren.1633 Insofern kann die Richtigkeit höchstens (materielle) Schranke der Wirksamkeit einer konkreten Arbeitsrechtsregelung sein, ein allgemeines Strukturelement der Parität kann sie hingegen nicht legitimieren: Richtigkeit und Parität hängen funktional gerade nicht zusammen. Dass dies dennoch vertreten und gefordert wird, begründet sich nicht mit dogmatischen Argumenten, sondern vielmehr mit einem dahinter stehenden Ziel. Parität wird zumeist als Anlass genommen, um das Streikrecht als zentrales, unabdingbares und funktionszwingendes Moment der Koalitionsautonomie zu beschreiben und entgegenstehende „Beeinträchtigungen“ mit einem Schlag abzuwehren. Daher liegt es zumindest nahe, nicht nur weil das Richtigkeitsgebot selbst von rechtspolitischem Charakter ist, das Ein­stehen für richtigkeitsbegründete Parität als Moment einer politisch beeinflussten Gerechtigkeitsvorstellung anzusehen, deren Ziel es ist, bestimmte Betätigungsfelder als unverrückbaren Bestandteil der Koalitionsfreiheit zu legitimieren.1634 Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass das Bundesarbeitsgericht das Gebot der (Sach-)Richtigkeit zwar erwähnt, dieses aber generell durch die Wahrnehmung der Koalitionsautonomie im Sinne einer „unwiderlegbare[n] Vermutung“ als erfüllt ansieht und sich aus der Schusslinie zieht,1635 während das BVerfG das Richtigkeitsgebot nicht einmal erwähnt.1636 Die Rechtsprechung geht aber dennoch von einer notwendigen, d.  h. funk­ tionszwingenden Parität aus, jedoch ohne den Zwischenschritt des Richtigkeitsgebots zu nehmen.1637 Hintergrund ist, dass von einer grundsätzlichen strukturellen Unterlegenheit der Mitarbeiterseite im Vergleich zur Dienstgeberseite ausgegangen wird, die der Funktion der Koalitionsautonomie nicht zuträglich sei. Ist Aufgabe der Koalitionsautonomie, einen freien und unabhängigen Abschluss von Arbeitsrechtsregelungen zu gewährleisten, sei das nur möglich, „solange zwischen den Tarifvertragsparteien ein ungefähres Kräftegleichgewicht – Parität – besteht“.1638 Die Koalitionsautonomie verhindere damit entsprechend ihrer Funktion, dass „die Regelung der Arauch Kemper (Fn. 1624), 162. auch Schmidt-Rimpler, Grundfragen einer Erneuerung des Vertragsrechts, in: AcP 147 (1941), 130 ff.; Kemper (Fn. 1510), 162. 1635  BAGE 40, 327 (335). 1636  Kemper (Fn. 1510), 162. 1637  BAGE 23, 292 (308); E 220 140 (153 f.); E 46, 322 (350); BVerfGE 92, 365 (395); E 84, 212 (229); vgl. Robbers (Fn. 1537), 68; Kemper (Fn. 1624), 178. 1638  BVerfGE 92, 365 (395); E 84, 212 (229). 1633  So

1634  Vgl.



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beitsbedingungen (nicht) einem Diktat der einen Seite entspringt, sondern ausgehandelt wird, wobei dann die unterschiedliche Stärke (der Koalitionsparteien; VH) ins Gewicht fällt“.1639 Auch die Literatur sieht das teilweise so.1640 Problematisch ist diese Ansicht nicht etwa wegen einer schwierig anzunehmenden Ausgangssituation – die Beschreibung der Koalitionsautonomiefunktion ist zutreffend –, sondern aufgrund einer nur schwerlich anzunehmenden Konnexität von Koalitionsautonomie(-funktion) und Parität.1641 Kernbereich der Koalitionsfreiheit und funktionszwingendes Merkmal der Koalitionsautonomie sind alldiejenigen Elemente, die eine freie und unabhängige Regelung des Arbeits- und Wirtschaftslebens durch Koalitionen und Dienstgeber ermöglichen. Für diesen Auftrag bedarf es aber keiner Parität, also keiner „strukturelle[n] Verhandlungsfähigkeit“.1642 Die Koali­ tionsautonomie erfordert in ihrem Grundgerüst lediglich, dass eine unabhängige Entscheidung beider Seiten möglich ist. Dafür bedarf es aber nicht notwendigerweise eines „ungefähren Verhandlungsgleichgewicht[s]“.1643 Koalitionen können auch bei einem stärkeren, strukturellen Gefälle frei entscheiden. Davon ist allerdings eine Ausnahme zu machen: Eine freie Entscheidung über die Vereinbarung einer Arbeitsrechtsregelung ist dann nicht mehr möglich, wenn aufgrund eines solch großen Strukturgefälles die eine Seite der anderen Seite den Inhalt der Arbeitsrechtsregelung diktieren kann.1644 Ist dies der Fall, liegt allerdings bereits keine Unabhängig- und Selbstständigkeit der Parteien vor. Damit zeigt sich, dass die Rede von der Parität – unabhängig ihres konkreten Inhalts – de facto ohne Relevanz und – zumindest für die Frage nach der funktionszwingenden Eigenschaft – nur eine „Leerformel“ ist.1645 Dabei kommt es auch nicht darauf an, ob man die Parität formell-normativ1646 im Sinne einer unbeeinflussten Hand1639  BVerfGE

58, 233 (249). Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie als Verfassungsproblem, 1965, S.  41 f.; Richardi, Die Verhältnismäßigkeit von Streik und Aussperrung, in: NJW 1978, 2057 (2061); Robbers (Fn. 1537), 68 f. 1641  Dazu auch Kemper (Fn. 1624), 178 f.; ders. (Fn. 1510), 158. 1642  Kemper (Fn. 1510), 83, 158 (Herv. VH). 1643  BVerfGE 92, 365 (395); vgl. Löwer (Fn. 1513), 83. 1644  BAG, DB 1986, 755 (755  f.); Zachert, Verfassungsrechtlicher Schutz für „Gelbe“ Gewerkschaften?, in: AuR 1986, 321 (324 f.); vgl. Kemper (Fn. 1624), 179. 1645  Däubler (Fn. 1547), 32 ff.; Benda, Sozialrechtliche Eigentumspositionen im Arbeitskampf – ein Beitrag zur Diskussion um die Änderung d. § 116 Arbeitsförderungsgesetz, 1986, S. 165; Bieback, Streikfreiheit und Aussperrungsverbot – Beitrag zur Diskussion einer gewerkschaftlichen Forderung, 1979, S. 252 ff.; Hensche, Zur Praktikabilität und Nutzen des arbeitskampfrechtlichen Paritätsprinzips, in: RdA 1996, 293 ff.; Löwer (Fn. 1513), 83. 1646  So Scheuner, Der Inhalt der Koalitionsfreiheit, in: Weber / ders. / Dietz (Hrsg.), Koalitionsfreiheit – drei Rechtsgutachten, 1961, 27 ff. 1640  Weber,

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lungsfähigkeit oder materiell im Sinne eines realen Gleichgewichts der beiden Parteien versteht1647.1648 cc) Streikrecht als funktionszwingendes Merkmal Zentrale Begutachtung im Streit um den „Dritten Weg“ der Kirchen ist die Frage des Arbeitskampfs, genauer: des Streikrechts. Bei einer entsprechenden Untersuchung ist jedoch Vorsicht walten zu lassen: Denn einmal befassen sich Rechtsprechung und Literatur beim Streikrecht „lediglich“ mit der Frage, ob dieser durch die Koalitionsfreiheit geschützt wird – ohne auf die Systemunabhängigkeit des Art. 9 Abs. 3 GG Rücksicht zu nehmen. Daher wird häufig lediglich festgestellt, das Streikrecht sei vom Schutzbereich der Koalitionsfreiheit umfasst und müsse nunmehr in praktische Konkordanz mit dem kirchlichen Selbstverständnis gebracht werden.1649 Andererseits wird das Streikrecht auf den Plan gerufen, wenn es um die Frage der Vergleichbarkeit bzw. „Ebenwürdigkeit“ des „Dritten Wegs“ der Kirchen mit dem weltlichen Tarifvertragssystem – genauer: der kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen mit den weltlichen Tarifverträgen – geht.1650 Beide Ansätze interessieren hier jedoch insofern nicht, als es nach hier vertretener Vorgehensweise zum einen nur um den Kernbereich der Koalitionsfreiheit geht und es nicht auf eine Abwägung mit Art. 137 Abs. 3 WRV ankommt, und zum anderen das weltliche Tarifvertragssystem wegen der Systemunabhängigkeit der Koalitionsfreiheit nicht mit deren Kernbereich gleichgesetzt werden darf.1651 Im Sinne einer strukturierten Vorgehensweise zeigt es sich aber an, zunächst die Darstellungen in Literatur und Rechtsprechung darzulegen; dabei soll sogleich entsprechende Argumentation – falls möglich – auf die hier gewählte 1647  BAGE 48, 195 ff.; E 33, 140 ff.; BVerfGE 84, 212 (230); E 92, 365 (395); Raiser (Fn. 1626), 59 ff.; Löwisch, Das Übermaßverbot im Arbeitskampfrecht, in: ZfA 1971, 391 (325); Scholz (Fn. 1498), 292 f.; vgl. Löwer (Fn. 1513), 83; Kemper (Fn. 1510), 162. 1648  Gegen eine rein materielle Deutung der Parität spricht bereits die fehlende Feststellbarkeit der Gleichwertigkeit (so insbesondere Däubler [Fn. 1547], 36). Daher wird teilweise versucht, nur auf eine abstrakte Untersuchung der realen Gleichwertigkeit abzustellen (so insbesondere Löwisch [Fn. 1647]), auch wenn unklar ist, wie dies ausgeführt werden soll, schließen sich tatsächlich und abstrakt doch eigentlich aus (dazu Löwer [Fn. 1513], 83; Kemper [Fn. 1510], 162). 1649  Insbesondere BAG, NZA 2013, 448 ff.; Robbers (Fn. 1537), 68 ff.; Richardi (Fn. 1554), § 15 Rn. 1 ff.; Hensche / Nitsche, Streik in Sonderbereichen, in: Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, 4. Aufl. 2018, § 18 Rn. 60 ff. 1650  Insbesondere auch bei Richardi (Fn. 1554), § 15 Rn. 3 ff. 1651  Zu der Ablehnung der Anwendung der praktischen Konkordanz siehe bereits oben S. 436 ff.; zu der Frage der Ebenbürtigkeit der kirchlichen Arbeitsrechtsregelung mit dem weltlichen Tarifvertrag dagegen unten S. 483 ff. (insb. S. 490 ff.).



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Vorgehensweise angewandt und bewertet werden. In diesem Zuge kann differenziert werden zwischen einer Haltung, die das Streikverbot bereits deshalb ablehnt, weil das theologische Selbstverständnis dies gar nicht erfordere, und einer Haltung, die zumindest einen Ausgleich zwischen kirchlicher Selbstbestimmung und Koalitionsfreiheit vornimmt. Im Folgenden soll zunächst der Argumentation mit dem christlichen Selbstverständnis nachgegangen werden ([1.]). Anschließend werden die Sichtweisen der anderen Strömung dargelegt und – soweit erforderlich – auf die hier vertretene dogmatische Linie angewandt, also letztendlich gefragt, ob der Arbeitskampf ein funktionszwingendes Moment der Koalitionsfreiheit ist ([2.]). (1) A  blehnung des Streikverbots wegen Widersprüchlichkeit des kirchlichen Selbstverständnisses Eine stets wachsende Gruppe in der Literatur verneint die Zulässigkeit des Streikverbots in kirchlichen Einrichtungen bereits deswegen, weil das Selbstverständnis nicht nur ein entsprechendes Verbot nicht legitimiere, sondern darüber hinaus mit ihm in eklatanten Widerspruch stehe.1652 Hintergrund dieser Haltung ist der Umstand, dass sowohl die katholische Kirche als auch die evangelischen Kirchen das Streikrecht an sich, d. h. im weltlichen Recht bejahen. Hier wird der Streik nicht nur als „rechtmäßig“1653, sondern gar als „unentbehrlich“1654, als „eine der am härtesten erkämpften Errungenschaften“1655 und als Freiheitsrecht verstanden.1656 Für die eigene, d. h. kirchliche Sphäre hingegen wird der Streik insbesondere aus drei Gründen abgelehnt. Erstens verstoße ein Streik, der das Ziel verfolge, „durch die gemeinschaftliche Vorenthaltung der Arbeitsleistung Druck auf den Kampfgegner auszuüben, um dessen Verhandlungsbereitschaft zu beeinflussen“,1657 gegen das Konzept der Dienstgemeinschaft und dem Prinzip der Nächstenliebe, weil er einer „Suspendierung des Heilsauftrags“1658 gleichkomme und 1652  Hensche / Nitsche (Fn. 1649), 67 ff.; Kreß, Die Sonderstellung der Kirchen im Arbeitsrecht – sozialethisch vertretbar?, 2014, S. 23 ff.; Kühling (Fn. 1550), 241 ff.; Keßler, Die Kirchen und das Arbeitsrecht, 1986, S. 275 ff.; von Nell-Breuning, Mitarbeiter in kirchlichem Dienst, in: AuR 1979, 1 ff.; Hammer (Fn. 1590), 298 ff. 1653  Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und Frieden, Kompendium der Soziallehre der Kirche, 2006, S. 207 ff. 1654  Gaudium et spes, Nr. 68. 1655  Kompendium der Soziallehre der Kirche (Fn. 1653), 228. 1656  Vgl. insgesamt dazu Kreß (Fn. 1652), 23 ff. Siehe dazu auch bereits oben S.  52 ff. 1657  Linsenmaier, in: Müller-Glöge / Preis / Schmidt (Hrsg.), Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 18. Aufl. 2018, Art. 9 GG Rn. 161. 1658  Robbers (Fn. 1537), 43; vgl. Kreß (Fn. 1652), 30.

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zudem ein „bellum omnia contra omnes“1659 bedeute, der die Einheit des kirchlichen Dienstes zerstöre.1660 Darüber hinaus bedeute der Streik zweitens eine Beeinträchtigung der Glaubensfreiheit der Mitarbeiter, die den Streik mit ihrem Glauben nicht vereinbaren könnten.1661 Drittens führe ein Streik zu der notwendigen Folge, dass der Dienstgeber im Zuge der Herstellung struktureller Gleichgewichtung zwischen Mitarbeiter und Dienstgeber zur Ausübung der Aussperrung verpflichtet sei, was mit seinem Selbstverständnis nicht zu vereinbaren sei.1662 Bei einer Bewertung dieser Diskussion ist zunächst hervorzuheben, dass auch nach der hier bevorzugten dogmatischen Vorgehensweise die Plausibilitätsbegutachtung des christlichen Selbstverständnisses eine entscheidende Rolle spielt. Denn die staatliche Befugnis zu einer privat-kirchlichen Ausgestaltung reicht nur soweit, als das kirchliche Selbstbestimmungsrecht dies vorgibt.1663 Sollte nun das Selbstverständnis unplausible, d. h. offensichtlich widersprüchliche Vorgaben erkennen lassen, wäre davon auszugehen, dass der Streikausschluss überhaupt gar keine „eigene Angelegenheit“ im Sinne des Art. 137 Abs. 3 WRV wäre. Daher ist sich diesem Streitthema besonders zu widmen. Zunächst ist klar, dass das letzte und das vorletzte Argument tatsächlich kaum Plausibilität aufweisen. Das Argument der Notwendigkeit der Aussperrung ist aus zwei Gründen nicht plausibel: Zum einen muss die Unverträglichkeit der Aussperrung mit dem Selbstverständnis auf Dienstgeberseite nicht per se zur entsprechenden Unverträglichkeit des Streiks führen. Zum anderen haben die Folgekonsequenz des Streiks nicht automatisch in der Aussperrung zu liegen, nicht zuletzt weil auch mildere Alternativen (z. B. Streikbrecher; Ersatzdienste)1664 zur Verfügung stehen, die das strukturelle Ungleichgewicht zwischen Mitarbeiter und Dienstgeber, das durch einen

1659  Willemsen / Mehrens

(Fn. 1575), 1209; vgl. Kreß (Fn. 1652), 36. (Fn. 1537), 41 ff.; Richardi (Fn. 1554), § 15 Rn. 10 ff. 1661  Robbers (Fn. 1537), 59 f. 1662  Vgl. Kreß (Fn. 1537), 37 f., der allerdings für diese Ansicht keine Nachweise anführt. 1663  Siehe dazu bereits oben S. 218 ff. 1664  Vgl. LAG Hamburg, Urt. v. 23.03.2011 – 2 Sa 83/10. Soweit allerdings darauf abgestellt wird, die Kirchen könnten geistliches Personal und geistliche Beamte einsetzen (so Kühling [Fn. 1550], 250), ist dies nicht nur angesichts der doch sehr geringen Zahl an solchem Personal – das überdies eine hinreichende Qualifizierung (z. B. als Krankenpfleger) aufweisen muss –, sondern auch angesichts der Religionsgemeinschaften, die mangels Körperschaftsstatus (Art. 137 Abs. 5 WRV) überhaupt nicht über entsprechendes Personal verfügen, nicht tragfähig. Vgl. dazu auch Robbers (Fn.  1537), 44 f. 1660  Robbers



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Streik entstehen könnte1665, auszugleichen imstande sind.1666 Daneben ist auch das Argument mit der Glaubensfreiheit der Mitarbeiter unplausibel: Meint das Argument die individuelle Glaubensfreiheit im Sinne einer Kongruenz mit den Lehrinhalten der Kirche, ist zu sagen, dass sich mit einem Wechsel der Glaubenslehre wegen innerer Widersprüchlichkeit auch die individuelle Glaubensrichtung mit ändern würde; zielt dagegen das Argument darauf ab, dass der Glaube des individuellen Mitarbeiters zumindest in diesem Punkt von der institutionellen Glaubenslehre different ist, überzeugt das Argument deshalb nicht, weil eine solche Differenz stets und daher auch in anderen Bereichen auftreten kann und dies dort jedenfalls bislang keine Rolle spielte. Es handelt sich dabei also um ein reines Hilfsargument. Insoweit könnte man ja auch argumentieren, dass ein Streikverbot die Glaubensfreiheit derjenigen Mitarbeiter berühre, die den Streik aus Glaubensgründen für notwendig erachten.1667 Entscheidend ist damit die Bewertung des ersten Arguments, das die Idee der Dienstgemeinschaft, des Verkündigungsauftrags sowie der Nächstenliebe anführt. Es ist zunächst zu konstatieren, dass die Unplausibilität nicht allein damit zu begründen ist, dass die Kirchen den Streik außerhalb ihrer Sphäre erlauben. Denn aus Sicht der Kirchen ist das weltliche Arbeitsleben gerade nicht von der Dienstgemeinschaft geprägt, so dass eine Gleichstellung beider Sphären an der Wesensfremdheit beider Sphären scheitert. Vielmehr erkennen die Kirchen den Streik im weltlichen Arbeitsleben gerade deshalb an, weil es dort an dem Leitbild der Dienstgemeinschaft mangelt. Will man allerdings die kirchliche Haltung weiter auf ihre Plausibilität hin untersuchen, muss besonders auf den Grundsatz staatlicher Neutralität in religiös-weltanschaulichen Angelegenheiten geachtet werden. Insoweit darf eine Bewertung nicht an die Stelle der Kirchenmeinung treten und nicht die kirch­liche Heilslehre durch die eigene Beurteilungskompetenz ersetzt werden.1668 Denn insoweit ist zu beachten, dass das kirchliche Selbstverständnis nicht unbedingt denselben rationalen wie philosophischen Maßstäben unterliegt, wie es in der 1665  Ausführlich dazu Robbers (Fn. 1537), 45 f., der zudem meint, der Streik verfehle seinen Zweck, der gerade in der Herstellung des Gleichgewichts liege. 1666  Dazu insgesamt auch Kreß (Fn. 1652), 37 f., der insbesondere auch auf die „moralische Heteronomie“ (37) der Argumentation abstellt: „Normlogisch kann es nicht überzeugen, aufgrund der eigenen Ablehnung einer bestimmten Handlung – hier: der Aussperrung – einem Anderen das Mittel seiner Wahl und seiner Verantwortung – hier: den potenziellen Streik – per se, von vornherein und sogar durch recht­ liche Vorgaben zu verbieten“ (37 / 38). 1667  Nicht zufällig hat Kreß (Fn. 1652), 32, dieses Argument auch als „Zusatzargument“ bezeichnet. 1668  Zu dem Prinzip religiös-weltanschaulicher Neutralität des Staates siehe oben S.  305 ff.

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weltlichen Sphäre üblich sein mag.1669 Insoweit kann die pauschale Behauptung, das kirchliche Selbstverständnis sei „wahrheitsunfähig und irrational“, keinesfalls eine Widersprüchlichkeit desselben begründen, zumal sie selbst die notwendige Maßstabsdifferenz missachtet und mithin selbst ein Stück weit irrational ist.1670 Aus diesen genannten Gründen kann der kirchlichen Haltung die Plausibilität nicht abgesprochen werden. Die Kirche legt dar, dass ihre Vorstellung vom Dienstleben von der Idee der Dienstgemeinschaft geprägt sei, nach der alle Mitarbeiter trotz unterschiedlicher Funktionen in gleicher Weise am Verkündigungsauftrag mitarbeiteten. Das schließt folgerichtig auch diejenigen Personen auf der Dienstgeberseite ein. Die Dienstgemeinschaft geht damit – entgegen der weltlichen Sphäre – nicht von einem Antagonismus, sondern von der verkündigungsbezogenen Gleichwertigkeit und einer Konsensualstruktur aus, die einen auf Konfrontation und Druck ausgerichteten Arbeitskampf – unabhängig auf welcher Seite – ausschließen. Dagegen kann auch nicht angeführt werden, dass die Dienstgeberseite Zwangsmaßnahmen und Strafen (z. B. Kündigung) anwenden dürfe und insofern das Argumentieren mit der Konfrontationsfreiheit der Dienstgemeinschaft unglaubwürdig sei. Zwar stimmt es, dass der Dienstgemeinschaft bestimmte Druck- und Einwirkungsmittel zur Verfügung stehen; diese unterliegen jedoch gänzlich dem Vorbehalt der Erfüllung des Verkündigungsauftrags: Insbesondere Kündigungen und andere Strafmittel setzen einen Widerspruch des Mitarbeiterverhaltens zur christlichen Heilslehre und damit eine Missachtung des Verkündigungsauftrags voraus. Damit ist nachvollziehbar aus Sicht der Kirchen kein Widerspruch auffindbar: Während Arbeitskämpfe dem Heilsauftrag schaden, sind die entsprechenden Straf- und Druckmittel allesamt Methoden zur Wiederbeachtung des Verkündigungsauftrags und damit diametral den Arbeitskämpfen entgegengerichtet. Ein weiterer plausibler Ansatzpunkt der Kirchen ist das Wesen des Verkündigungsauftrags. Dieser unterliegt, wie bereits die Loyalitätspflichten zeigen1671, keiner zeitlichen oder räumlichen Begrenzungen oder Eingruppierungen, sondern bedeutet nach christlichem Verständnis eine grundlegende, dauerhafte und absolute Aufgabe. Ein Streik würde diesen Verkündigungsauftrag unterbrechen und damit das Leitbild der Dienst­ gemeinschaft als maßgebliches Instrument des Verkündigungsauftrags entzerren. Dabei ist zu beachten, dass es der kirchlichen Haltung hier um eine 1669  So auch Robbers (Fn. 1537), 46: „Philosophische Verantwortungsethik ist nicht Maßstab kirchlicher Lehre, auch wenn es Parallelen zwischen den Lehrgebäuden gibt“. 1670  Naendrup, Tarifverträge mit kirchlichen Einrichtungen, in: Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht 1979, 353 (360); vgl. auch Pahlke (Fn.  1513), 161 f. 1671  Siehe dazu ausführlich oben S. 28 ff., 91 ff.



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prinzipielle und abstrakte Begutachtung, also um das Wesen von Streik und Verkündigungsauftrag geht. Daher würde eine Argumentation die Idee der Dienstgemeinschaft als allgemeines Prinzip verkennen, der zufolge ein Streik den Verkündigungsauftrag deshalb nicht berühre, weil er ohnehin ultima ratio sein und insoweit geordneten Bahnen folgen müsse und er zum Schutze der Rechte Dritter auch Ausnahmen erfahre (etwa im medizinischen Bereich mit der Verpflichtung zur Gewährleistung einer Notfallversorgung).1672 Die Dienstgemeinschaft erfährt ihre Bedeutung nicht erst im konkreten Einzelfall, sondern bereits auf allgemeiner Ebene. Denn zwar könnte im Einzelfall ein Streik faktisch den Heilsauftrag nicht gänzlich suspendieren; der Kirche geht es aber bereits prinzipiell und damit abstrakt um die Durchsetzung des Heilsauftrags und damit um den „Gesamtzusammenhang des kirchlichen Auftrags“.1673 Es zeigt sich, dass die Argumentation gegen die Widerspruchsfreiheit der kirchlichen Haltung insbesondere darauf abzielt, dass Streik und Arbeitskampf deshalb zulässig seien, weil sie das arbeitsrechtliche Leitbild der Kirchen nur berührten, nicht aber hinreichend beeinträchtigten.1674 Das bedeutet aber gerade, dass diese Kritiker – ob innerkirchlich oder außenstehend – den Kirchen den Maßstab des Erfüllungsgrads der Verkündigungsaufgabe vorgeben wollen. Denn während die Kirchen den Verkündigungsauftrag als absoluten Auftrag ansehen, gehen die Kritiker davon aus, dass Arbeitskampfmaßnahmen „christlich genug“ seien.1675 Die Kirche selbst wendet also einen starren, die Kritiker einen abwägend-relativen Maßstab an. Dies ist insofern unschädlich, als innerkirchlich eine solche Diskussion nicht ohne Schaden sein wird. Für die externe Sicht sind jedoch allein die herrschende Lehre der kirchlichen Instanzen und ihre Widerspruchsfreiheit maßgeblich.1676 Es kann kein Grund dafür gefunden werden, dass die Anwendung eines absoluten Verkündigungsauftragsmaßstabs widersprüchlich zu anderen kirchlichen Haltungen wäre – im Gegenteil. Dahinter stehen wie bei den Loyalitätsobliegenheiten die Glaubwürdigkeit von Kirche und ihrer Glaubenslehre und damit die Geltung ihrer Moralnormen.1677 Gehen die Kirchen in ihrer abstrakten Sichtweise davon aus, dass die konsensual strukturierte Dienstgemeinschaft insbesondere wegen des absolut geltenden Verkündi1672  Kühling (Fn.  1550), 248  f.; Keßler (Fn. 1652), 276; Hammer (Fn. 1590), 301 ff.; vgl. Kreß (Fn. 1652), 36 f. 1673  Robbers (Fn. 1537), 43. 1674  Dass der Verkündigungsauftrag und die Dienstgemeinschaft in keiner Weise betroffen seien, behauptet in der Tat keiner, vgl. Richardi (Fn. 1554), § 10 Rn. 12. 1675  So auch Robbers (Fn. 1537), 42 (Herv. VH). 1676  Vgl. BVerfGE 70, 138 (166 ff.); Richardi (Fn. 1554), § 4 Rn. 7 ff. 1677  Siehe zur Bedeutung der Loyalitätsobliegenheiten für die Glaubwürdigkeit bereits ausführlich oben S. 329 ff.

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gungsauftrags ebenfalls absolut gilt, ist es nur folgerichtig, den Streik abstrakt als unzulässig anzusehen. Es nimmt daher auch nicht Wunder, dass die Rechtsprechung und die herrschende Ansicht in der Literatur ebenfalls von einem Verstoß des Streiks gegen das kirchliche Selbstverständnis ausgehen.1678 Die Grundlagen der Dienstgemeinschaft, insbesondere also das Konsensualprinzip, gelten gerade deshalb absolut, um den ebenfalls absolut geltenden Verkündigungsauftrag durchzusetzen. Die Gegenargumente, die an theologische und philosophische Überlegungen anknüpfen, sind rechtlich ohne Relevanz, und diejenigen Argumente, die an faktische Begebenheiten anknüpfen oder einen rela­tiven Maßstab für vertretbar halten, verkennen den plausiblen abstrakten Maßstab der kirchlichen Haltung. Man kann keine Widersprüchlichkeit dadurch suggerieren, dass man den angewandten Maßstab durch einen anderen Maßstab einfach austauscht. Vielmehr kann sich eine Widersprüchlichkeit allein innerhalb des angewandten Maßstabs ergeben. Es ist für das kirch­liche Streikverbot zu konstatieren, dass die kirchliche Haltung, die eine abstrakte und absolute Geltung von Dienstgemeinschaft und Verkündigungsauftrag propagiert, widerspruchsfrei argumentiert, wenn sie den Streik als „Suspendierung des Heilsauftrags“ und als systemfremdes Moment der Dienstgemeinschaft bewertet. Es bleibt also dabei: „Arbeitskampf durch Streik oder Aussperrung ist mit den Grunderfordernissen des kirchlichen Dienstes unvereinbar“.1679 (2) D  as Streikrecht als funktionszwingendes Merkmal der Koalitionsfreiheit? Entspricht das Streikverbot dem christlichen Selbstverständnis, sind die Kirchen grundsätzlich seitens des Staates dazu befugt, diesbezüglich eine eigene Ausgestaltung des Koalitionssystems zu treffen. Sie sind dabei nur an den ausgestaltungsfesten Kernbereich der Koalitionsfreiheit gebunden. Das bedeutet, dass in den Kirchen nur dann ein Streikrecht bestehen muss, sofern es Bestandteil dieses Kernbereichs ist. Wie bereits gesagt bedeutet der Kernbereich das Fundamentale und Unabdingbare, ohne das die Koalitionsfreiheit nach den Vorgaben des Art. 9 Abs. 3 GG nicht mehr funktionieren würde.

1678  BAGE 29, 405 (411): „Das streng dualistische System des Betriebsverfassungsgesetzes widerspricht dem Wesensgehalt der christlichen Kirche“ – insofern muss dies erst recht für das Streikrecht gelten; siehe auch Richardi / Thüsing (Fn.  1550), 95 ff.; Joussen (Fn. 1594), 83 f.; Richardi (Fn. 1554), § 10 Rn. 10 ff.; ders., Tarifvertrag mit Arbeitskampf oder „Dritter Weg“ in der Kirche?, in: NZA 2002, 932 ff.; Pahlke (Fn. 1513), 352; vgl. auch Robbers (Fn. 1537), 41 f. 1679  Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Grundordnung des kirchlichen Dienstes, Die deutschen Bischöfe Nr. 51, 1993, 7 (11).



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(a) Die vertretenen Positionen zum Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen in Rechtsprechung und Literatur und ihre kritische Würdigung Neben der Gangart über die Widersprüchlichkeit des kirchlichen Selbstverständnisses gibt es verschiedene Möglichkeiten, ein Streikverbot in kirchlichen Einrichtungen entweder abzulehnen oder zu bejahen.1680 Teilweise wird ein Streikverbot mit dem Hinweis für zulässig erachtet, der Arbeitskampf widerspreche so eklatant dem kirchlichen Selbstverständnis, dass der Arbeitskampf die Idee der Dienstgemeinschaft nahezu vollständig verdränge und insoweit das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gegenüber der Koali­ tionsautonomie gänzlich überwiege.1681 Umgekehrt wird jedoch nicht nur in der Literatur, sondern auch in nichthöchstrichterlicher Rechtsprechung häufig wegen der Ungleichgewichtung zwischen Mitarbeiter- und Dienstgeberseite in Ansehung der Notwendigkeit der Parität das Streikrecht nahezu unbeschränkt für zulässig erklärt.1682 Ein stark wachsender Anteil in der Literatur 1680  Es sei hier allerdings noch einmal erwähnt, dass diese Ergebnisse dogmatisch sämtlich auf Abwägungen – und damit anders als hier vertreten – gestützt werden. Dennoch kann es sich lohnen, die Argumente zu hören und gegebenenfalls für die Kernbereichsdogmatik nützlich zu machen. Lediglich Kühling (Fn. 1550), 243 ff., prüft auch die Vereinbarkeit des kirchlichen Koalitionssystems mit dem ordre public, vgl. dazu auch Thüsing (Fn. 1537), 147 f. 1681  Thüsing (Fn. 1537), 139 ff., 146 ff.; ders., Streikverbot im kirchlichen Dienst – kein „überholtes Privilegienbündel“, sondern Ausdruck des Selbstverständnisses und Selbstbestimmungsrechts der Kirchen, in: Waldhoff / ders. (Hrsg.), Verfassungsfragen des Arbeitskampfes, 2014, 125 ff.; Kemper (Fn. 1510), 200; Robbers (Fn. 1537), 80; Richardi (Fn. 1554), § 10 Rn. 10 ff., 39 ff.; ders., Das BAG zur Streikfreiheit in kirchlichen Einrichtungen, in: RdA 2014, 42 (44 ff.); ähnlich Reichold, Neues zum Streikrecht in diakonischen Einrichtungen, in: ZevKR 57 (2012), 57 (68 ff.); Frank, Entwicklungen und Probleme des kollektiven Arbeitsrechts in der evangelischen Kirche, in: RdA 1979, 86 (93); Jurina, Das Dienst- und Arbeitsrecht im Bereich der Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland, 1979, S. 84; Pahlke (Fn. 1513), 163 ff.; Schmidt (Fn. 1590); Waldhoff, Kirche und Streikrecht – Streikrecht in der Kirche?, in: Söllner (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Meinhard Heinze, 2005, 995 (1001 ff.); Schilberg, Rechtsschutz und Arbeitsrecht in der Kirche – zum Rechtsschutz bei arbeitsrecht­ lichen Streitigkeiten in den Evangelischen Kirchen und ihren Diakonischen Werken in der Bundesrepublik Deutschland, 1992, S. 41 ff.; vgl. Unruh (Fn. 1537), 205. 1682  LAG Hamm, NZA-RR 20011, 185 (189 ff.); diese Position vertritt in der Regel die ältere Literatur, siehe insbesondere Kühling (Fn. 1550), 241 ff.; Schmidt-Eichstaedt, Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts?, 1975, S. 107; Naendrup (Fn. 1670), 368; Birk, Koalitionsfreiheit und Koalitionsautonomie im Bereich der Kirchen und ihrer Einrichtungen, in: AuR 1979, Sonderheft Kirche und Arbeitsrecht, 9 (18 ff.); aus neuerer Zeit insbesondere Hammer (Fn. 1590), 300 ff.; Hensche / Nitsche (Fn. 1649), 60 ff., 100 ff. (Zusammenfassung); Däubler, Das kirchliche Arbeitsrecht und die Grundrechte der Mitarbeiter, in: RdA 2003, 204 (209); Gamillscheg, Kirchliche Selbstverwaltung und Art. 9 III GG, in: Bettermann (Hrsg.), Festschrift für Albrecht Zeuner zum 70. Geburtstag, 1994, 39 (46 ff.); Otto, Arbeitskampf- und

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nimmt hingegen – angeleitet von der höchstrichterlichen Rechtsprechung – die Abwägung und den Auftrag der praktischen Konkordanz insoweit ernst, als im Sinne eines tatsächlichen Ausgleichs ein Mittelweg aufgezeigt wird. Dabei wird einerseits das Streikverbot für zulässig erachtet, sofern das kirchliche Koalitionssystem den Anforderungen der Parität tatsächlich genügt und diesbezüglich ein hinreichendes Ersatzkonzept des Tarifvertragssystems darstellt – was für die derzeitige Lage in Deutschland aufgrund der paritätisch besetzten Kommissionen und des Letztentscheidungsrechts der Schlichtungskammern einhellig bejaht wird.1683 Ein anderer Teil versucht andererseits eine Abstufung des Streikrechts anhand der Verkündigungsnähe durchzusetzen und insoweit ein Streikrecht verkündigungsfernen Mitarbeitern zuzugestehen.1684 Anhand der soeben dargelegten Ansätze zeigt sich besonders deutlich, dass Ausgestaltungsfragen nicht über Abwägungen zu lösen sind: Denn einmal sagt das (alleinige) Abstellen auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht in keiner Weise etwas über den Rahmen und die Grenzen einer Ausgestaltungsfunktion aus, zum anderen widerspricht es der Abwägungsdogmatik, als es nicht um Intensitäts- und Gewichtungsfragen geht, die das Überwiegen eines Rechtsguts gerade erst in Ansehung des anderen Rechtsguts (bzw. des Eingriffs in das Rechtsgut) ermöglichen. Andererseits verkennt das (alleinige) Abstellen auf das Streikrecht und die Koalitionsautonomie entweder die Systemunabhängigkeit der Koalitionsfreiheit, weil das Streikrecht als Moment des herkömmlichen Tarifvertragssystems anderen Systemen „aufgedrängt“ wird, oder aber, soll das Streikrecht systemunabhängig gelten, die Abwägungslösung entspricht genau der Kernbereichslösung und beinhaltet Schlichtungsrecht, 2006, § 9 Rn. 28 ff.; vgl. Richardi (Fn. 1554), § 10 Rn. 10 ff.; Pahlke (Fn. 1513), 161 ff. 1683  BAG, NZA 2013, 448 ff.; aus der Literatur insbesondere Reichold, Ein „Ja, aber“ zum Streikverbot in den Kirchen und ihren Einrichtungen, in: NZA 2013, 585 (587 ff.); ders., (Fn. 1681), 68 ff.; Grzeszick, Das Urteil des BAG zum Streikverbot in Kirchen auf dem Prüfstand des Verfassungs- und Europarechts, in: NZA 2013, 1377 (1378 ff.); Krause, Arbeitskampf in kirchlichen Einrichtungen – Dritter Weg, in: JA 2013, 944 (945 ff.); Schubert, Rechtswidrigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen in kirchlichen Einrichtungen auf dem Zweiten und Dritten Weg – Kirchliche Selbstbestimmung und kollektive Koalitionsfreiheit im Konflikt, in: Schmidt (Hrsg.), Jahrbuch des Arbeitsrechts 50 (2013), 101 (117 ff.); Rehm, Streikrecht in der Kirche – Vereinbarkeit mit dem Dritten Weg?, in: NZA 2011, 1211 (1212 ff.); Willemsen / Mehrens (Fn. 1575), 1205 ff.; vgl. von Tiling, Blick ins Kirchenarbeitsrecht – was bedeuten die „Streik-Urteile“ des BAG für die Praxis?, in: öAT 2013, 160 ff. 1684  LAG Hamm, NZA-RR 2011, 185 (192 ff.); Kocher / Krüger / Sudhof, Streikrecht in der Kirche im Spannungsfeld zwischen Koalitionsfreiheit und kirchlichem Selbstbestimmungsrecht – ein goldener Mittelweg zwischen Kooperation und Konflikt?, in: NZA 2014, 880 (883 ff.); Otto (Fn. 1682), 31; vgl. Rehm (Fn. 1683), 1214; Richardi (Fn. 1554), § 10 Rn. 12 f.



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letztendlich keine Abwägung, weil das Streikrecht als unabdingbar und verbindlich eingestuft wird. Die vermittelnde Lösung hingegen verkennt, dass die Ausgestaltungsfreiheit nicht abhängig vom Einzelfall und von entgegenstehenden Rechtsgütern ist, sondern absolut gelten muss. Daneben verlangt die Abwägung gerade Aussagen über die Intensität des „Eingriffs“ in die Koalitionsfreiheit. Das funktioniert allerdings nur, sofern das Streikrecht überhaupt zum Schutzbereich der Koalitionsfreiheit gehört. Zumindest zur Unterstellung dieser These sind die Vertreter dieser Lösung folgerichtig gezwungen und missachten dabei ebenfalls die Systemunabhängigkeit und Ausgestaltungsbedürftigkeit der Koalitionsfreiheit. Da dies aber hier gerade nicht der Fall ist, kann auch diese Lösung nicht überzeugen. Hinzu kommt bei der zuletzt dargestellten Ansicht, die hinsichtlich der Verkündigungsnähe differenziert, dass das Gebot staatlicher Neutralität in religiös-weltanschau­ lichen Angelegenheiten missachtet wird.1685 Es zeigt sich daher, dass eine Abwägung in dem Fall einer privaten, staatlich zugebilligten Ausgestaltung weder in abstracto, noch angesichts der konkreten Fragestellung – der Zulässigkeit des Streiks – dogmatisch konsistent ist. Entweder wird mit der Systemunabhängigkeit und Ausgestaltungsbedürftigkeit das Wesen der Koalitionsfreiheit oder mit einer pauschalen Berufung auf eine Seite ohne hinreichende Bewertung und Berücksichtigung der anderen Seite das Wesen der Abwägung missachtet. (b) Die Lösung im Sinne der Kernbereichsdogmatik Die Zulässigkeit des Streikverbots in den Kirchen richtet sich nach dem Gesagten nach den Grenzen des Kernbereichs der Koalitionsfreiheit. Die Kirchen müssen folglich ein Streikrecht nur dann gewährleisten, wenn es als ein elementares und unabdingbares Moment zur Erreichung des grundgesetzlichen Koalitionszwecks zwingend erforderlich, also ein funktionszwingendes Merkmal der Koalitionsfreiheit ist. Es zeigt sich interessanterweise, dass für die Beantwortung dieser Frage einige der von den oben dargestellten Ansichten angeführte Argumente fruchtbar zu machen sind, die wegen der Unfähigkeit der Abwägung, überzeugende Ergebnisse zu liefern, gerade mit der Kernbereichszugehörigkeit des Streikrechts argumentieren. So versucht insbesondere Reichold als einer der wenigen Autoren neben der Rechtspre1685  Richardi (Fn. 1554), § 10 Rn. 13; Krönke, Arbeitskampf in den Kirchen? Das Verbot von Streikmaßnahmen gegen kirchliche Einrichtungen aus grundgesetzlicher und völkerrechtlicher Sicht, in: ZfA 2013, 241 (256 ff.); vgl. insgesamt BVerfGE 70, 138 ff.; E 46, 73 ff. Vgl. zu dieser Problematik bereits ausführlich die Diskussion um mögliche Abstufungen der Loyalitätspflichten nach der Verkündigungsnähe oben und m. w. N. S.  319 ff.

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chung eine umfangreiche Abwägung durchzuführen, und fragt, ob Tarifvertrag und Streikrecht „so wesentliche Ausprägungen der (kollektiven) Koali­ tionsfreiheit [sind], dass das damit kollidierende Verfahren des sog. ‚Dritten Wegs‘ mit anerkennenswerten Besonderheiten des Selbstverwaltungsrechts der Kirchen nicht mehr gerechtfertigt werden kann“ und untersucht damit nichts Anderes als den Kernbereich der Koalitionsfreiheit.1686 Als Ausgangspunkt ist zu sehen, dass Art. 9 Abs. 3 GG lediglich von den Koalitionen die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen erfordert. Mehr verlangt die Koalitionsfreiheit nicht und sie gibt auch kein bestimmtes Koalitionsmittel vor. Das Streikrecht ist damit nur dann vom Kernbereich dieser Norm umfasst, wenn es funktionszwingend ist, also wenn ohne Streikrecht die grundgesetzliche Aufgabe der Koalitionen, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen mitzugestalten, gar nicht erfüllt werden könnte. Teilweise wird dies mit Hinweis auf den Antagonismus zwischen Mitarbeiter und Dienstgeber bejaht.1687 Die Notwendigkeit des Streikrechts wird mithin eng mit dem Erfordernis hinreichender Parität verknüpft.1688 Diese These ist jedoch insgesamt voraussetzungsreich. Sie gründet sich auf den Überlegungen, dass zum einen von vorneherein ein Ungleichgewicht zwischen Mitarbeiter- und Dienstgeberseite vorherrscht, dass zum anderen die Koalitionsfreiheit die – zumindest ungefähre – Gleichgewichtung verlangt und dass schließlich der Streik das einzig mögliche Mittel zur Gleichgewichtsherstellung darstellt. Zumindest der ersten Voraussetzungen ist zuzustimmen.1689 Es ist klar, dass die Mitarbeiterseite zunächst nicht die gleichen Mög1686  Zitat: Reichold (Fn. 1681), 69; siehe auch BAG, NZA 2013, 448 (463): „Der Grundsatz praktischer Konkordanz verlangt nach einem schonenden Ausgleich der gegenläufigen, gleichermaßen verfassungsrechtlich geschützten Interessen mit dem Ziel ihrer Optimierung (…). Die durch die Rücksichtnahme auf kollidierende Verfassungswerte notwendig werdende Annäherung kann nicht generell, sondern nur im Einzelfall durch Güterabwägung vorgenommen werden. Eine damit einhergehende Begrenzung verfassungsrechtlich geschützter Interessen darf dabei nicht weiter gehen, als es notwendig ist, um die Konkordanz konfligierender Rechtsgüter herzu­ stellen (…). Das Zurückweichen einer grundrechtlichen Gewährleistung muss zum Schutz der anderen geboten sein (…). Für die erforderliche Abwägung gibt die Verfassung kein bestimmtes Ergebnis vor, verwehrt aber pauschale Vorrangentscheidungen, wie sie die Parteien des Verfahrens jeweils für sich in Anspruch nehmen“. 1687  Insbesondere Scholz (Fn. 1509), 120, der aber nur auf die Funktionstypik des Mittels abstellt; vgl. auch Säcker (Fn. 1557), 81 ff.; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht – ein Arbeitskampfrechtssystem auf der Grundlage subjektiv-privater Kampfrechte, 1975, S. 83 ff. 1688  So auch BAG, NZA 2013, 448 (463). 1689  Allgemein zur Ungleichgewichtung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern insbesondere Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, 1964, S. 74 ff.; Wiedemann, in: ders. (Hrsg.), TVG, 7. Aufl. 2007, Einleitung Rn. 3 ff.; BVerfG, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 117.



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lichkeiten des Einflusses und der betrieblichen Bestimmung haben wie die Dienstgeberseite, die nicht nur über Art, Inhalt und Umfang der zu erbringenden Arbeit, sondern sogar über die entsprechenden Rechtsgrundlagen entscheiden kann.1690 Insofern dagegen für den Bereich der Kirchen angeführt wird, der Antagonismus sei nicht oder nur kaum ausgeprägt, da er „durch die Dominanz des der Kirche von ihrem Stifter gegebenen Laien abgemildert“ werde, kann dem nicht zugestimmt werden.1691 Denn selbst wenn die Kirchen ein anderes Bild von ihren Mitarbeitern pflegen – was nicht bestritten werden kann –, verbleibt eine strukturelle Ungleichgewichtung, die insbesondere in der soeben beschriebenen Kompetenz der Kirche zur grundlegenden Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse zu sehen ist. Der Heilauftrag ändert nichts an der grundsätzlichen Abhängigkeit der Mitarbeiter von den Entscheidungen der Dienstgeberseite. Etwas Anderes würde nur gelten, wenn es gerade nicht zu Streitpunkten zwischen beiden Seiten kommen könnte. Nicht zuletzt zeigen jedoch die praktischen Fälle, in denen die Gewerkschaften zum Streik aufgerufen haben, das Gegenteil.1692 Es ist gerade nicht ausgeschlossen, dass es auch in den Kirchen zu Streikpunkten zwischen Mitarbeitern und Dienstgebern hinsichtlich der Arbeitsmodalität oder des Arbeitslohns kommt. Die Existenz paritätisch besetzter Arbeitsrechtlicher Kommissionen kann ebenfalls nichts an dieser Einschätzung ändern, stellen sie nur ein Modell der Auflösung des Antagonismus dar und sagen nichts über die grundsätzliche Verhältnisstruktur zwischen Mitarbeiter und Dienstgeber aus. Entscheidend ist jedoch auf zweiter Stufe, ob – und ggf. inwieweit – die Koalitionsfreiheit die Gleichgewichtung – also die Parität – erfordert, sei sie auch nur „annähernd“ gewährleistet.1693 Darauf wurde bereits oben eingegangen und insoweit festgehalten, dass die Parität zwischen Mitarbeitern und Dienstgebern gerade nicht zum Kernbereich der Koalitionsfreiheit gehört.1694 Art. 9 Abs. 3 GG kommt es entscheidend darauf an, dass die Koalitionen die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen mitbestimmen, und verlangt insoweit ein freies, unabhängiges und eigenständiges Handeln. Dieses kann zwar durch fehlende Parität gestört sein. Allerdings verlangt der Kernbereich des Art. 9 Abs. 3 GG gerade keine „ungefähre Gleichgewichtung“, sondern möchte „lediglich“ eine Fremdbestimmung und ein einseitiges Diktieren verhindert wissen. 1690  Vgl. BAG, NZA 2013, 448 (463); BVerfGE 84, 212 ff. Dabei werden auch die jeweiligen Mitglieder der Kirchenleitung der Dienstgeberseite zugeordnet, insbesondere der Diözesanbischof, vgl. dazu oben S. 431 ff. 1691  So aber Richardi (Fn. 1554), § 10 Rn. 14. 1692  Gemeint sind die Verfahren des BAG, NZA 2013, 448 ff. bzw. LAG Hamm, NZA-RR 2011, 185 ff. 1693  So verlangt es zumindest das BAG, NZA 2013, 448 (463). 1694  Siehe dazu ausführlich oben S. 438 ff.

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Diese Prämisse hat allerdings beachtlichen Einfluss auf die Bewertung auf dritter und letzter Stufe, auf der es um das Streikrecht als funktionszwingendes Moment der Koalitionsfreiheit geht. Es ist dabei kaum haltbar, den Streik angesichts der vorstehenden Überlegungen als zwingendes Element eines jeden Koalitionssystems darzustellen. Allerdings bedarf es in jedem Koalitionssystem entsprechender Elemente, die für ein eigenständiges, freies und unabhängiges Handeln beider Seiten garantieren. Dies muss allerdings nicht ausschließlich der Streik sein. Insoweit können auch andere Systemmomente, die dieselbe Aufgabe erfüllen, neben dem weltlichen das Streikrecht beinhaltenden Tarifvertragssystem stehen.1695 Alles Andere würde nur – entgegen der Intention der Koalitionsfreiheit – zu einer „Verabsolutierung der Leitbildfunktion des säkularen Modells der kollektiv ausgeübten Privatautonomie“ führen und zu einem Kampf der Systeme und der Ideo­ logien aufrufen, der verfassungsrechtlich nicht legitimiert ist.1696 Der Arbeitskampf mag historisch verfestigt und zum weltlichen Kulturgut gereift sein; verfassungsrechtlich wird er aber gerade weder vorausgesetzt noch zum Allgemeingut erklärt. Die Koalitionsfreiheit sorgt in ihrer Ausgestaltungsfunktion dafür, dass es in freier und unabhängiger Weise zur Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch die Koalitionen kommt; dabei bedarf es freilich Instrumente zur Sicherung der Unabhängigkeit und Freiheit der Parteien. Diese sind dabei bereits in den oben dargestellten funktionszwingenden Merkmalen enthalten.1697 Das bedeutet Viererlei: Erstens, dass die Verhandlungen zu den Arbeitsrechtsregelungen auf Seiten der Mitarbeiter durch die Koalitionen organisiert und durchgeführt werden; zweitens, dass keiner kirchlichen oder anderen dritten Position ein „politisches“ oder sonst über die ohnehin geltenden Beschränkungen hinausgehendes Einfluss- und Letztentscheidungsrecht zukommt; drittens, dass die mitverhandelnden Mitarbeiter ohne äußeren – und insbesondere kirchlichen – Einfluss oder Abhängigkeit entscheiden dürfen, also insbesondere nicht weisungsgebunden sind; und viertens, dass die getroffenen Vereinbarungen und Regelungen allgemein verbindlich sind und nicht von einer Seite geändert, abgemildert oder gar aufgehoben werden können.1698 1695  So auch – wenn auch zumeist auf Grundlage des Paritätserfordernisses – vertreten von Thüsing (Fn. 1537), 147 ff.; Reichold (Fn. 1602), 1379 ff.; ders. (Fn. 1681), 68 ff.; Joussen (Fn. 1594), 67 ff.; Richardi (Fn. 1554); § 10 Rn. 39 ff.; Belling, Streik in der Diakonie?, in: ZevKR 48 (2003), 407 ff.; Schmidt (Fn. 1590); Otto (Fn. 1682), 33; Briza, „Tarifvertrag“ und „Dritter Weg“ – Arbeitsrechtsregelungsverfahren der Kirchen, 1987, S. 130 ff.; Robbers (Fn. 1537), 50 ff., 65 ff., 92 ff.; Willemsen / Mehrens (Fn. 1575), 1206 ff.; BAG, NZA 2013, 448 (463 ff.); BAG, NZA 2011, 634 ff.; grundsätzlich auch BAG, NZA 2009, 1417 ff., auch wenn es die Erfüllung der notwendigen Strukturelemente durch den „Dritten Weg“ verneint. 1696  Reichold (Fn. 1681), 71 / 72. 1697  Siehe ausführlich oben S. 424 ff.



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Schwierigkeiten ergeben sich bei der Frage nach einer Zwangsschlichtung, also wenn in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen keine Einigung erzielt werden kann und daher ein anderes Gremium – die Schlichtungskommissionen – an Stelle der Kommission entscheidet. Teilweise wird hier vertreten, als Ausgleich für das Streikverbot müsse ausschließlich eine verbindliche Zwangsschlichtung vorgesehen sein, da ansonsten ohne Weiteres Verhandlungen „platzen“ würden und sich beide Seiten auf den „status quo“ zurückziehen könnten, ohne dass die andere Seite etwas dagegen unternehmen könne.1699 Dagegen ist jedoch die Anlegung eines unrichtigen Maßstabs zu monieren. Denn weder geht es darum, dass das kirchliche Koalitionssystem exakt denselben Standard wie das weltliche Tarifvertragssystem zu erreichen hat – es geht lediglich um die Erfüllung der funktionszwingenden Merkmale –, noch kann mit der Notwendigkeit des Verhandlungsgleichgewichts argumentiert werden, weil dieses zum einen gerade kein funktionszwingendes Merkmal ist, zum anderen weil ein solches Gleichgewicht durch eine fehlende oder unverbindliche Zwangsschlichtung gar nicht berührt wird. Denn ein Verhandlungsungleichgewicht bedeutet, dass eine der beiden Seiten von vorneherein eine schwächere Position einnimmt, und nicht, dass eine Vereinbarung um jeden Preis, insbesondere mittels einer kompromisslosen Durchsetzung der Vorstellung einer Seite erzielt wird. Ein solches Ungleichgewicht ist im kirchlichen Koalitionssystem gerade auch deshalb nicht festzustellen, weil in der Arbeitsrechtlichen Kommission beide Seiten gleichberechtigt und gleichstark Einfluss auf die Verhandlungen nehmen können. Verbindliche Zwangsschlichtungen sind daher nicht zwingend erforderlich. Vielmehr stellt sich aus diesen Überlegungen heraus nicht die Frage nach der Notwendigkeit, sondern gerade nach der Zulässigkeit verbindlicher Zwangsschlichtungen, wie sie in einigen Diözesen und allen Landeskirchen vorgesehen sind.1700 Denn ist der (Kernbereichs-)Maßstab nicht die Parität, sondern das funktionszwingende Moment der Freiheit und Unabhängigkeit, könnte man nun argumentieren, eine verbindliche Zwangsschlichtung laufe diesem Maßstab gerade zuwider. Denn zu einer Entscheidungsfreiheit gehört 1698  Dies deckt sich mit den Forderungen der herrschenden Meinung, siehe Robbers (Fn. 1537), 92 ff.; Thüsing (Fn. 1537), 139 ff.; BAG, NZA 2013, 448 (463 ff.); Joussen (Fn. 1594), 72 ff.; Reichhold (Fn. 1681), 68 ff.; ders. (Fn. 1683), 587 ff.; Pahlke (Fn. 1513), 353 ff.; Schubert (Fn. 1683); Grzeszick (Fn. 1683), 1381; Unruh (Fn. 1537), 205. 1699  So insbesondere Willemsen / Mehrens (Fn. 1575), 1209 f.; Kühling (Fn. 1550), 244 f. 1700  In der katholischen Kirche gilt dies für die bayerischen und nordrhein-westfälischen Diözesen (vgl. § 16 Regional-KODA-Ordnung-Bayern; § 21a RegionalKODA-Ordnung-NW), in den evangelischen Kirchen grundsätzlich für alle Gliedkirchen, siehe dazu bereits oben S. 58 ff.

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auch das Recht, etwas abzulehnen oder nicht zu akzeptieren. Bei verbindlichen Zwangsschlichtungen hingegen sind beide Parteien verpflichtet, eine Entscheidung zu treffen, und insoweit nicht frei in ihrem Entschluss. Es wundert daher nicht, dass staatliche Zwangsschlichtungen nahezu einhellig als mit Art. 9 Abs. 3 GG unvereinbar angesehen werden.1701 Einschränkend ist sich zu vergegenwärtigen, dass dieses Ergebnis nicht nur wegen der Systemunterschiede zwischen weltlichem und kirchlichem Koalitionsrecht nicht automatisch auch für die kirchliche Sphäre gelten muss,1702 sondern auch auf der Parität als funktionszwingendes Argument basiert und insoweit für die hier vertretene Ansicht nicht von besonderer Bedeutung ist. Entscheidend ist allein, ob im kirchlichen System die negativen Auswirkungen einer Zwangsschlichtung auf die Freiheit und Unabhängigkeit der Entscheidungsfindung beseitigt werden und als verfassungsgemäße oder -widrige Ausgestaltung anzusehen sind. Dabei ist von Ersterem auszugehen, weil zunächst jedes Koalitionssystem, und damit auch das kirchliche, grundsätzlich auf eine Einigung und Regelungsfindung und nicht auf den Erhalt des status quo ausgerichtet ist. Eine Zwangsschlichtung dient unmittelbar nicht der Einschränkung der freiheitlichen Entscheidung, sondern der Funktionsgewährleistung des „Dritten Wegs“.1703 Dass eine Zwangsschlichtung im weltlichen Bereich abgelehnt wird, liegt weniger an der durch sie verursachten fehlenden Entscheidungsfreiheit, als vielmehr an der fehlenden Kampfmöglichkeit und damit wieder beschränkten Parität. Eine Zwangsschlichtung beschneidet nämlich die Streik- oder Aussperrungsfreiheit und vermindert damit die Druckausübungsmöglichkeiten. In einem System, das gerade auf Druck bei fehlender Einigung ausgerichtet ist, ist das verständlicherweise eine entscheidende – negative – Auswirkung. Gleichwohl werden Entscheidungsfreiheit und -unabhängigkeit nicht berührt. Das gilt freilich auch im kirchlichen Bereich, nicht zuletzt, weil dort die Schlichtungsausschüsse weiterhin paritätisch von Mitarbeiter- bzw. Koalitions- und Dienstgeberseite besetzt werden und für ihre Entscheidungen stets eine Mehrheit benötigen.1704 Es bleibt den 1701  Kühling (Fn. 1550), 245; Gamillscheg (Fn. 1682), 1304; vgl. aber Joussen, Das Modell der Zwangsschlichtung im kirchlichen Arbeitsrecht, in: NZA 2007, 730 ff., der Beispiele der Zwangsschlichtung aus dem weltlichen Bereich nennt. 1702  So auch BAG, NZA 2013, 437 (444). 1703  So auch Joussen (Fn. 1701), 733 ff. 1704  Siehe stellvertretend für die evangelischen Landeskirchen insbesondere § 12 Abs. 4 S. 2 ARRG-EKD; für die katholische Kirche § 21 Abs. 2, § 26 Abs. 2 Rahmen-KODA-Ordnung (dort steht zwar nur, der Vermittlungsausschuss entscheide „mit e­ iner Mehrheit von vier Stimmen“; angesichts der Mitgliederzahl des Vermittlungsausschusses von sieben stimmberechtigten [zwar acht Mitglieder, aber die beiden Vorsitzenden haben zusammen nur eine Stimme, vgl. § 26 Abs. 3 S. 3 RahmenKODA-Ordnung] Mitgliedern ergibt sich insgesamt eine Mehrheitsentscheidung). Zu dieser Voraussetzung gerade auch Joussen (Fn. 1701), 733 f., der überdies einen



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koalitionszugehörigen Mitgliedern der Schlichtungsausschüsse weiterhin die Möglichkeit, frei und unabhängig zu entscheiden. Hinter dem Versuch der Verhinderung von Zwangsschlichtungen steht also vielmehr der Gedanke der notwendigen Druckausübung, der im kirchlichen Koalitionssystem wegen dessen Struktur gar keinen Platz hat. Damit lässt sich zusammenfassen, dass nicht nur das Streikrecht kein funktionszwingendes Moment der Koalitionsfreiheit ist, sondern der kirch­ liche „Dritte Weg“ als zulässig zu qualifizieren ist. dd) Verbindliche Wirkung der Vereinbarungen Unproblematisch funktionszwingendes Merkmal der Koalitionsautonomie ist letztlich, dass die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarungen verbindliche Wirkungen nicht nur unter den Parteien haben.1705 Das weltliche Tarifvertragssystem hat daher über § 4 TVG den jeweiligen Tarifverträgen normativ-gesetzliche Wirkung verliehen.1706 Unabhängig davon, dass die dogmatische Begründung der den Tarifparteien zuerkannten Rechtsetzungsmacht umstritten ist,1707 wird einer kirchlich vereinbarten Arbeitsrechtsregelung hingegen keine normative Wirkung zugedacht. Die Regelung wird gerade nicht als „gewöhnlicher“ Tarifvertrag behandelt, was nicht zuletzt daran liegt, dass § 4 TVG auf kirchliche Vereinbarungen keine Anwendung findet.1708 Allerdings ist dies für die Erfüllung des vom Kernbereich der Koa­ litionsfreiheit aufgestellten Mindeststandards an Koalitionsautonomie auch wirksamen Kontrollmechanismus verlangt, um Fehler und Irrungen auszubügeln (734). 1705  Siehe dazu nur Kemper (Fn. 1510), 147; Höfling (Fn. 1513), 94. 1706  Belling, Die Verantwortung des Staates für die Normsetzung durch die Tarifpartner, in: ZfA 1999, 547 (579 ff.); Rieble, Der Tarifvertrag als kollektiv-privatautonomer Vertrag, in: ZfA 2000, 5 (12 ff.); Kemper (Fn. 1624), 67 ff.; Höfling (Fn. 1513), 98. 1707  Ausführlich dazu insbesondere Kluth, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum GG, Stand: Mai 2018, Art. 9 Rn. 192 ff.; Höfling (Fn. 1513), 95. Unterschieden werden kann grob die Delegationslehre (BAGE 1, 258 [264]; Scheuner [Fn. 1646], 67; Pahlke [Fn. 1513], 134 f.), nach der die Gesetzgebung den Tarifparteien Gesetzgebungsmacht überträgt, die Integrationslehre (Weber [Fn. 1640], 24), die die normative Wirkung unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 GG herleitet, und die Sanktionslehre (Scholz [Fn. 1498], 301), nach der die normative Wirkung sich aus einem nach Abschluss des Tarifvertrags erfolgenden Akt der Anerkennung durch das TVG ergibt. 1708  BAGE 130, 146 ff.; BAG, NZA 1997, 55 ff.; BAG, NZA 2002, 1402 ff.; BAGE 66, 314 (320); BAG, NZA 1997, 55 ff.; BAG, NZA-RR 1998, 429 ff.; Reichold (Fn.  1602), 1377 ff.; Unruh (Fn. 1537), 204; Pahlke (Fn. 1513), 229 ff.; Hammer (Fn.  1590), 405 f.

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nicht notwendig. Hintergrund ist, dass die Koalitionsautonomie, die ihre Aufgabe in der ungestörten und selbstständigen Ordnung des Arbeits- und Wirtschaftslebens durch die Koalitionsparteien hat, lediglich funktionszwingend voraussetzt, dass die zur Ordnung getroffenen Vereinbarungen zumindest für alle betroffenen Mitarbeiter, also nicht nur inter partes, verbindlich sind. Andernfalls kann nicht sinnvoll von einer „Ordnung“ des Arbeits- und Wirtschaftslebens gesprochen werden.1709 Wie diese Verbindlichkeit indes zustande kommt, gibt die Koalitionsfreiheit nicht vor, weil die (dogmatische) Grundlage für die Verbindlichkeit keinen Einfluss auf die Funktionserreichung haben kann. Im Bereich des kirchlichen Koalitionssystems ist es unstreitig, dass die vereinbarten Arbeitsrechtsregelungen allgemein verbindlich sind und insoweit dem individuellen Arbeitsvertrag vorgehen.1710 Allerdings wird auch viel darüber gestritten, ob den kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen nicht nur reine Verbindlichkeit, sondern tarifvertragsgleich Normativität zukommt.1711 Teilweise1712 wird dies aufgrund privatrechtlicher Gestaltung bejaht, teilweise1713 die Normativität direkt aus der Verfassungsgarantie des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts abgeleitet oder letztlich1714 die Normativität zumindest solange abgelehnt, bis ein entsprechendes Kirchengesetz die Normativität – analog zum weltlichen § 4 TVG – anordnet1715. Unabhängig davon, 1709  Kemper

(Fn. 1510), 147 f.; Höfling (Fn. 1513), 98. insbesondere Richardi (Fn. 1554), § 15 Rn. 3 ff. 1711  Dazu ausführlich Hammer (Fn. 1590), 389 ff., 411 ff. 1712  So insbesondere Richardi (Fn. 1554), § 15 Rn. 59 ff. 1713  Pahlke (Fn. 1513), 235 ff.; ders. (Fn. 1590), 354 f. 1714  So insbesondere BAG, NZA 2002, 1402 (1404 f.): „Das säkulare Recht ordnet für kirchliche Arbeitsrechtsregelungen keine unmittelbare und zwingende Geltung, d. h. normative Wirkung an. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG können kirchliche Arbeitsrechtsregelungen die Arbeitsverhältnisse nicht unmittelbar und zwingend gestalten, sondern bedürfen stets der vertraglichen Transformation durch Einzelvertrag, Gesamtzusage oder Einheitsregelung. Aus dem Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften (…), hier der Kirchen, lässt sich keine normative Geltung kirchlicher Arbeitsrechtsregelungen herleiten. Zwar ermöglicht das kirchliche Selbstbestimmungsrecht, auf dem Dritten Weg Arbeitsrechtsregelungen herbeizuführen. Indessen enthält das säkulare Recht keine Bestimmung, die die normative Wirkung kirchlicher Arbeitsrechtsregelungen anordnet. Insbesondere kann insoweit nicht auf das Tarifvertragsgesetz – TVG –, dort vor allem auf § 4 I, zurückgegriffen werden. Eine unmittelbare Anwendung dieses Gesetzes scheidet schon deshalb aus, weil es sich bei den kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen nicht um Tarifverträge handelt“; vgl. Richardi (Fn. 1554), § 15 Rn. 53 f. 1715  Für den Bereich der katholischen Kirche könnte dieser Ansicht nach deswegen von einer normativen Wirkung der getroffenen Arbeitsrechtsregelungen auszugehen sein, weil nicht nur die GrO in Art. 7, sondern auch die jeweiligen Diözesangesetze stets von „Rechtsnormen“ sprechen. 1710  Siehe



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ob die Wirkung der kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen als Normativität einzustufen ist, kommt den Vereinbarungen hinreichende Verbindlichkeit zu, wie § 3 ARRG-EKD für die EKD und (über § 4 ARRG-EKD) ihre Diakonie, die entsprechenden landeskirchlichen Normen für die Landeskirchen und ihre Diakonien, § 3 Abs. 1 S. 1 a. E. Rahmen-KODA-Ordnung für die katholische Kirche und § 1 Abs. 4 S. 1 AKO für die Caritas ausdrücklich anordnen.1716 Damit weisen die kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen die notwendige Verbindlichkeit auf, auch wenn ihnen womöglich keine normative Wirkung tarifvertragsentsprechend zukommt. c) Resümee Die Ausführungen haben gezeigt, dass der „Dritte Weg“ der Kirchen zulässig ist, sofern er die Freiheit, Unabhängigkeit und Eigenständigkeit der in den Verhandlungen agierenden Koalitionen strukturell und institutionell absichert. Daher muss der „Dritte Weg“ folgende Eigenschaften und Merkmale aufweisen: (1) Die Mitarbeiterseite darf ausschließlich von Koalitionen besetzt und bestimmt werden, da nur diese überhaupt den entsprechenden Betätigungsfreiraum gewährt bekommen. (2) Die Mitarbeiter- sowie die Dienstgeberseite dürfen nicht weisungsabhängig oder sonst abhängig oder beeinflusst sein. Eine freie und unabhängige Entscheidung muss gewährleistet werden. Insbesondere dürfen keine Letzt- oder Beeinflussungsrechte Dritter bestehen, die über die an sich bestehenden (kirchen-)rechtlichen Grenzen der Arbeitsrechtlichen Kommissionen hinausgehen. (3) Die getroffenen Vereinbarungen und Arbeitsrechtsregelungen müssen für jeden Betroffenen verbindlich sein und dürfen nicht einseitig abänderbar oder aufhebbar sein. (4) Parität, also Verhandlungsgleichgewicht und Arbeitskämpfe (Streik), gehört nicht zu den unabdingbaren Momenten und muss daher nicht von den Kirchen gewährleistet werden, sofern eine freie, unabhängige und eigenständige Entscheidung der betroffenen Parteien möglich ist.

1716  § 3 ARRG-EKD: „verbindlich“; § 3 Abs. 1 S. 1 a.  E. Rahmen-KODA-Ordnung: „…gelten unmittelbar und zwingend“; § 1 Abs. 4 S. 1 AKO: „… gelten unmittelbar und zwingend“.

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3. Die Zulässigkeit des modifizierten „Zweiten Wegs“ in einzelnen evangelischen Landeskirchen. In der evangelischen Landeskirche Norddeutschland hat man sich – zumindest bislang – gegen den „Dritten“ und für einen „kirchengemäßen Zweiten Weg“ entschieden. Auch die Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz hat sich zumindest für ein fakultatives Tarifvertragssystem entschieden.1717 Das bedeutet, dass in diesen Landeskirchen kein konsensualgeprägtes Kommissions-, sondern ein „gewöhnliches“ Tarifvertragsverfahren stattfindet – allerdings mit dem Unterschied, dass Arbeitskämpfe (weiterhin) unzulässig sind. Im Streitfalle soll eine Schlichtung Abhilfe schaffen.1718 Bei der Bewertung und Begutachtung des „kirchengemäßen Zweiten Wegs“ hinsichtlich seiner verfassungsrechtlichen Zulässigkeit gelten grundsätzlich die zum „Dritten Weg“ getroffenen Überlegungen.1719 Da der Unterschied zwischen dem „kirchengemäßen“ und dem „gewöhnlichen Zweiten Weg“ in der kirchenrechtlich angeordneten Friedenspflicht und Schlichtung liegt, beschränkt sich die verfassungsmäßige Begutachtung auch nur auf diesen Punkt. Die anderen beim „Dritten Weg“ anfallenden Probleme bestehen nicht. Es verbleibt die Frage, ob Beschäftigte in kirchlichen Einrichtungen streiken dürfen, wenn die Einrichtungen Tarifverträge abschließen. Zunächst ist festzuhalten, dass die Koalitionsfreiheit systemunabhängig und ausgestaltungsbedürftig ist. Über Art. 137 Abs. 3 WRV haben die Kirchen vom Staat die Erlaubnis bekommen, ihr eigenes Koalitionssystem auszugestalten. Das bedeutet, dass mit der Übernahme des Tarifvertragssystems allein kein Streikrecht verbunden ist. Zwar gehört das Streikrecht in welt­ licher Sphäre zum Tarifvertragssystem, allerdings haben die Kirchen das Recht, ein eigenes System zu entwickeln, wobei sie nicht gehindert sind, Teile eines anderen Systems zu übernehmen. Das Tarifvertragssystem ist also zumindest für die Kirchen kein Komplettsystem, das im Ganzen übernommen werden muss.1720 Dabei haben sich die betroffenen Landeskirchen dazu entschlossen, das weltliche Tarifvertragssystem einzuführen, jedoch mit der 1717  Siehe dazu ausführlich bereits oben S. 65  ff.; dazu auch ausführlich Schubert, Rechtmäßigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen gegen kirchliche Einrichtungen auf dem sog. Zweiten Weg, in: RdA 2011, 270 (271 ff.). 1718  Siehe dazu auch die Schlichtungsvereinbarung zwischen der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und einzelnen Gewerkschaften vom 9.7.2008 sowie die Schlichtungsvereinbarung zwischen der Landeskirche Nord­ elbien und dem Verband Kirchlicher Mitarbeiter Nordelbien vom 5.11.1979. 1719  Siehe dazu ausführlich oben S. 423 ff. 1720  Schubert (Fn. 1717), 275: „Die Nordelbische Kirche ist allerdings nicht daran gehindert, ihr kirchliches Selbstbestimmungsrecht auszuüben, indem sie für alle Gewerkschaften verbindlich eine absolute Friedenspflicht regelt und eine Schlichtung



C. Die kirchlichen Koalitionssysteme und die Grundrechte der Mitarbeiter 463

Ausnahme, den Arbeitskampf durch Friedenspflicht und Schlichtung zu ersetzen. Das ist ihnen grundsätzlich auch nicht verwehrt, da ihr Selbstverständnis plausibel ein Arbeitskampfverbot legitimiert und eine solche Ausgestaltung von der staatlich nach Art. 137 Abs. 3 WRV erteilten Ausgestaltungsbefugnis umfasst ist. Die Befugnis endet jedoch an den Grenzen des Art. 9 Abs. 3 GG. Diese beschränken sich aber auch bei privaten, staatlich zugelassenen Ausgestaltungen nur auf den Kernbereich der Koalitionsfreiheit. Dieser umfasst sämtliche Merkmale eines Koalitionssystems, die – frei von kulturellen Wertungen – als unabdingbar und elementar zur Funktionserreichung gelten. Das bedeutet vor allem, dass jedes Koalitionssystem eine freie, unabhängige und eigenständige Entscheidung und Verhandlung auf beiden Seiten gewährleisten und insoweit eine einseitige inhaltliche Vorgabe oder Modifizierungsmöglichkeit verhindern muss. Parität ist hingegen nicht erforderlich. Das Streikrecht ist nur eine Option, nicht aber notwendig zu installieren. Voraussetzung ist für ein Streikausschluss, dass andere Systemmomente eine vom Kernbereich der Koali­tionsfreiheit geforderte Koalitionsautonomie gewährleisten. Dies ist deshalb für die beiden landeskirchlichen Tarifvertragssysteme zu bejahen, weil sie eine paritätisch besetzte und von einem neutralen Vorsitzenden geleitete Schlichtungsstelle vorsehen.1721 Diese Aspekte garantieren – wie im „Dritten Weg“ –, dass jede Seite selbstständig und unbeeinflusst ihre Entscheidungen treffen kann und nicht aufgrund struktureller Ungleichheiten mittelbar bestimmte Entscheidungen vorgegeben bekommt.1722 Allerdings ist zu sehen, dass die staatlich anerkannte Ausgestaltungsbefugnis über Art. 9 Abs. 3 GG ohnehin nur für die Fälle der Wahrung und Förderung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch Koalitionen gilt.1723 Das bedeutet: Die Tarifverträge sowie die Schlichtung dürfen mitarbeiterseitig nur durch Koalitionen, d. h. insbesondere Gewerkschaften erfolgen.1724 Andere Mitarbeitervertretungen, die keine Koalitionen i. S. v. Art. 9 Abs. 3 GG bilden, vorsieht. Die Entscheidung für die Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen durch Tarifvertrag muss nicht mit Arbeitskampfmaßnahmen verbunden sein“. 1721  Siehe § 2 der Schlichtungsvereinbarung zwischen der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und einzelnen Gewerkschaften vom 9.7.2008; § 2 der Schlichtungsvereinbarung zwischen der Landeskirche Nordelbien und dem Verband Kirchlicher Mitarbeiter Nordelbien vom 5.11.1979; vgl. Schubert (Fn. 1717), 272. 1722  Vgl. dazu bereits oben zum Dritten Weg S. 430 ff. 1723  Ausführlich bereits oben S. 427 ff. 1724  Siehe auch Schubert (Fn. 1717), 274 ff., die zu einem ähnlichen – dogmatisch aber anders, nämlich abwägungsbedingt begründeten – Ergebnis kommt „Letztere (d. i. die Schlichtungsvereinbarung; VH) muss allerdings eine angemessene Beteiligung der Gewerkschaft sicherstellen, um einen schonenden Ausgleich zwischen den grundgesetzlich gesicherten Rechten aus Art. 9 Abs. 3 GG und Art. 137 Abs. 3 Satz 1

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können nicht beteiligt werden, ohne den Ausgestaltungsrahmen zu sprengen. Soweit erkennbar sehen dies die jeweiligen Schlichtungsvereinbarungen auch verfassungsgemäß vor.1725

II. Gleichheitsrechtliche Bewertung – Art. 3 Abs. 1 GG Im Rahmen der gleichheitsrechtlichen Bewertung ergeben sich kaum Unterschiede zu den Ausführungen im Bereich der Loyalitätspflichten, durch die kirchliche und weltliche Mitarbeiter unterschiedlich behandelt werden.1726 Es ist daher festzuhalten, dass die Ungleichbehandlung an sich verfassungsrechtlich durch die Gewährleistung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts institutionalisiert und akzeptiert ist. Zwar schützt Art. 3 Abs. 1 GG weiterhin vor unangemessenen Ungleichbehandlungen durch die Kirchen. Geht es allerdings nur um eine Differenzierung zwischen weltlichem und kirchlichem Bereich, ist zu konstatieren, dass für die Zulässigkeit einer Ungleichbehandlung beider Gruppierungen insbesondere das hohe Gut des kirchlichen Selbstverständnisses, also insbesondere die Leitvorstellung der Dienstgemeinschaft, sowie die Glaubwürdigkeit von Kirchen und ihren Glaubensvorschriften streiten. Insoweit ist kein hinreichender Grund ersichtlich, für das kirchliche Koalitionssystem eine unzulässige Ungleichbehandlung anzunehmen. Darüber hinaus muss auch hier – analog zu den Loyalitätspflichten – im Sinne des venire contra factum proprium-Grundsatzes die Freiwilligkeit der Unterwerfung der Ungleichbehandlung durch das Eingehen des Arbeitsverhältnisses berücksichtigt werden. Ein Verstoß gegen die Schutzpflicht aus Art. 3 Abs. 1 GG kann nicht festgestellt werden.

III. Das Verhältnis zwischen weltlichen Tarifverträgen und kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen Ging es bislang um die Frage, wie das Koalitionssystem an sich ausgestaltet sein und wie das Verfahren der Vereinbarung kirchlicher Arbeitsrechtsregelungen ablaufen muss, geht es nunmehr um die Rechtsfolgen bei und die Wirkungen von bereits bestehenden Arbeitsrechtsregelungen. Es ergibt sich das Problem, dass Tarifverträge und kirchliche Arbeitsrechtsregelungen zwar WRV i. V. Art. 140 GG zu gewährleisten“ (280); LAG Hamm, NZA-RR 2011, 185 (195). 1725  § 2 Abs. 1 S. 1 der Schlichtungsvereinbarung zwischen der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und einzelnen Gewerkschaften vom 9.7.2008; § 2 Abs. 1 S. 1 der Schlichtungsvereinbarung zwischen der Landeskirche Nordelbien und dem Verband Kirchlicher Mitarbeiter Nordelbien vom 5.11.1979. 1726  Siehe dazu ausführlich oben S. 359 ff., 372 ff., 378 ff. und 392 ff.



C. Die kirchlichen Koalitionssysteme und die Grundrechte der Mitarbeiter 465

beide kollektivarbeitsrechtliche Vereinbarungssysteme, jedoch dennoch nicht identisch sind.1727 Diese Erkenntnis ist indes nicht zwingend, sondern ergibt sich aus der Verschiedenhaftigkeit der die Vereinbarungen konstituierenden Koalitionssysteme und aus der daraus folgenden unterschiedlichen Behandlung beider Vereinbarungsarten durch den staatlichen Gesetzgeber. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die Verleihung normativer Wirkung durch § 4 TVG nur weltliche Tarifverträge, nicht aber kirchliche Arbeitsrechtsregelungen trifft.1728 Im Ausgangspunkt sind kirchliche Arbeitsrechtsregelungen keine Tarifverträge.1729 Hintergrund ist aber nicht eine grundlegende Differenz im Wesen der beiden Vereinbarungsarten, sondern vielmehr die Differenz in der für die Argumentation und den Umgang mit beiden Vereinbarungsarten notwendigen Berücksichtigung der tatsächlich bestehenden Strukturunterschiede. Nur durch eine Betrachtung der bestehenden Unterschiede lässt sich ein angemessener Umgang mit beiden Vereinbarungsarten erst gewinnen. Das bedeutet keineswegs, dass beide unterschiedlich behandelt werden müssten. Vielmehr wird durch die Berücksichtigung der strukturellen Differenzen gewährleistet, dass eine unsachgemäße Behandlung beider Vereinbarungsarten ausgeschlossen werden kann. Gleichwohl ist eine absolute Gleichbehandlung nicht ausgeschlossen. Die Streitfrage der Gleichbehandlung beider Regelungsarten ergibt sich insbesondere auf zwei Feldern – dem der Tarifdisposivität (1.) und dem der Durchführung einer Inhalts- und Billigkeitskontrolle (2.). 1. Die Problematik bei tarifdispositivem Recht a) Einfachrechtliche Bewertung Der Staat hat bei der Ausgestaltung „seines“ Koalitionssystems in zahlreichen Vorschriften so genanntes tarifdispositives Recht installiert, also Regelungen, die durch koalitionsgemäße Vereinbarungen – etwa Tarifverträge – abgeändert werden dürfen. Es fällt auf, dass es sowohl staatliche Regelungen gibt, die ausschließlich auf Tarifverträge abstellen, als auch solche Vorschriften, die darüber hinaus auch kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen die Abänderbarkeit ermöglichen. Für erstere Gruppe lassen sich etwa § 14 Abs. 2 1727  So insbesondere BAGE 101, 9 (20); Joussen (Fn. 1594), 63  ff.; Schmidt (Fn. 1590), 54; Dütz, Kirche und Koalitionsrecht – zur Problematik des kirchlichen Arbeitsrechtsregelungsverfahrens, insbesondere des sog. Dritten Wegs der Kirchen, in: ZevKR 30 (1985), 77 (83 ff.); vgl. Schaumberg, Inhaltskontrolle im kirchlichen Arbeitsrecht – Zulässigkeit und Grenzen beim Rückgriff der Kirchen auf weltliche Instrumente, 2012, S. 235 ff. 1728  Vgl. Joussen (Fn. 1594), 63 ff. 1729  Richardi (Fn. 1554), § 15 Rn. 3.

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TzBfG, für letztere etwa § 7 Abs. 4 ArbZG oder § 21 Abs. 3 JArbSchG anführen.1730 Allein anhand dieses Befundes lässt sich sehen, dass die staat­ lichen Regelungen zwischen Tarifverträgen und Arbeitsrechtsregelungen differenzieren und sie nicht per se gleichbehandeln.1731 Dagegen kann nicht eingewandt werden, dass nur ältere Vorschriften die Arbeitsrechtsregelungen ausdrücklich erwähnen, weswegen man neuere Vorschriften gegebenenfalls so zu interpretieren hätte, dass sie sowohl Tarifverträge als auch Arbeitsrechtsregelungen erfassen würden. Denn im Zuge der neueren Mindestlohngesetzgebung wurden wiederum Arbeitsrechtsregelungen in den §§ 10 ff. Mindestlohngesetz (MiLoG) ausdrücklich berücksichtigt.1732 b) Verfassungsrechtliche Bewertung Unter Berücksichtigung dieses Befundes stellt sich die Frage, ob aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Gleichstellung und -behandlung von Tarifverträgen und Arbeitsrechtsregelungen erfolgen muss. Dies wird überwiegend bejaht1733 und insbesondere mit der Vergleichbarkeit von Tarifvertrag und Arbeitsrechtsregelung und der fehlenden Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung begründet.1734 Sofern die Argumentation jedoch auf die einfachrechtliche Ebene abzielt, widerspricht diese Haltung klar dem Wortlaut der jeweiligen staatlichen Normen und dem Willen des Gesetzgebers. Es kommt dann auch nicht mehr darauf an, ob die kirchliche Arbeitsrechtsregelung tatsächlich eine Garantie für Richtigkeit und Sachlichkeit bietet. Fraglich ist, inwiefern die Argumentation auf verfassungsrechtlicher Ebene durchschlagend ist. Insoweit kommen mehrere verfassungsrechtliche Anhaltspunkte in Betracht. aa) Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht (Art. 137 Abs. 3 WRV) Durch staatliche Regelungen, die allein dem weltlichen Koalitions-, d. h. Tarifvertragssystem eine abweichende und selbstgestaltende Regelungsmöglichkeit eröffnen, den Kirchen aber nicht, wird der Raum staatlich anerkannter kirchlicher Koalitionsausgestaltung verengt. Die Kirchen haben nicht die dazu auch Joussen (Fn. 1594), 68; Richardi (Fn. 1554), § 8 Rn. 11 ff. insbesondere auch BAG, NZA 2009, 1417 (1418 ff.). 1732  Dazu ausführlich Richardi (Fn. 1554), § 15 Rn. 22 m. w. N. 1733  Richardi (Fn. 1554), § 15 Rn. 21 f.; Müller-Volbehr, Teilzeitarbeit und kirch­ liche Arbeitsverhältnisse, in: NZA 2002, 301 (303); Thüsing (Fn. 1550), 168 ff.; ders. (Fn.  1537), 125 ff.; Pahlke (Fn. 1513), 251 f. 1734  Insbesondere dargestellt bei Thüsing (Fn. 1537), 126 ff., der mit der Sachnähe und der Richtigkeitsgewähr sowohl von Tarifverträgen, als auch von Arbeitsrechts­ regelungen argumentiert. 1730  Vgl. 1731  So



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Möglichkeit, das von ihnen ausgestaltete Koalitionssystem zur Anwendung kommen zu lassen. Es wird zwar nicht der Inhalt der Ausgestaltung des kirchlichen Koalitionssystems, wohl aber die Anwendungsbreite des eigens ausgestalteten kirchlichen Koalitionssystems staatlich bestimmt und insoweit verkleinert, als das weltliche Koalitionssystem mithin einen breiteren Anwendungsbereich findet. Dies stellt folgerichtig zwar keine Beschränkung der Ausgestaltungsfreiheit, aber der Regelungsfreiheit der Kirchen und damit einen Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gem. Art. 137 Abs. 3 WRV dar.1735 Der Eingriff kann aber gerechtfertigt werden, wobei – anders als bei Vorgaben der inhaltlichen Ausgestaltung des Koalitionssystems – nicht der Maßstab des Art. 9 Abs. 3 GG, also der Kernbereich der Koalitionsfreiheit, sondern der allgemeine Maßstab des Art. 137 Abs. 3 WRV Anwendung findet.1736 Es kommt also auf ein für alle geltendes Gesetz und eine damit verbundene Einzelfallabwägung zwischen kirchlichem Selbstbestimmungsrecht und kollidierendem (Verfassungs-)Recht an. Etwas Anderes kann sich auch nicht aus der Überlegung ergeben, bei der Erstellung der tarifdispositiven staatlichen Regelung handele es sich eigentlich um eine staatliche Ausgestaltung,1737 die alleine dem Kernbereich des Art. 9 Abs. 3 GG unterliege.1738 Denn es geht hier nicht allgemein um die Zulässigkeit der staatlichen tarifdispositiven Regelung an sich – dann läge eine Ausgestaltung vor –, sondern um die zulässige Gewährung des kircheneigenen Ausgestaltungsraums, die mit der Ausgestaltung des eigentlichen Tarifvertragssystems gerade nicht verknüpft ist. Wenn also eine staatliche Regelung etwa Tarifvertragsparteien ermöglicht, Ausnahmen vom Befristungsverbot zu machen, nicht aber den Kirchen, geht es nicht um die staat­liche Ausgestaltung, dass Ausnahmen gemacht werden dürfen, sondern allein im Verhältnis zu den Kirchen um die Beschränkung des kircheneigenen Regelungsraums.1739 Prüfungsgegenstand ist nicht die Gestaltung eines kirch­lichen Koalitionssystems, sondern die Gewährung eines kirchlichen Freiraums. Im Rahmen der notwendigen Abwägung zwischen Selbstbestimmungsrecht und den für eine Beschränkung der Tarifdisposivität auf weltliche Tarifparteien streitenden Rechtsgütern ist zu beachten, dass es für die Kirchen schwer darzulegen ist, dass das kirchliche Selbstverständnis den nur dem staatlichen 1735  So

auch BAG, NZA 2009, 1417 ff. dieser Unterscheidung bereits oben S. 439 ff. 1737  So aber BAG, NZA 2009, 1417 (1419 ff.); ebenso Reichhold (Fn. 1602), 1379: „Gestaltungsermessen des Gesetzgebers“. 1738  Vgl. zur Anwendung des Kernbereichsmaßstabs bereits ausführlich oben S.  436 ff. 1739  § 14 Abs. 2 TzBfG; dazu insbesondere BAG, NZA 2009, 1417 ff.; Reichhold (Fn.  1602), 1377 ff. 1736  Zu

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Koalitionssystem vorbehaltenen Dispositionsrahmen gerade auch auf die Kirche zu erstrecken fordert. Dies zeigt sich insbesondere auch an dem vom BAG entschiedenen Fall der zeitlichen Befristung von Arbeitsverträgen.1740 Hier hat der staatliche Gesetzgeber in § 14 Abs. 2 TzBfG aus arbeitspolitischen Interessen1741 heraus nur den weltlichen Tarifparteien ermöglicht, Abweichungen vom Befristungsverbot zu treffen. Zwar stellt dies einen Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht dar, weil den kirchlichen Kommissionen per Arbeitsrechtsregelung etwas Vergleichbares nicht gewährt wurde. Allerdings ist es schwer zu begründen, weshalb das Selbstverständnis und die Glaubwürdigkeit der Kirchen eine Abweichung vom Befristungsverbot durch Arbeitsrechtliche Kommissionen verlangen.1742 Damit bleibt festzuhalten, dass über den Weg des Art. 137 Abs. 3 WRV eine pauschale Gleichstellung von Tarifvertrag und Arbeitsrechtsregelung – wie sie häufig von der Literatur gefordert wird1743 – nicht erfolgen kann, sondern es auf eine Einzelfallabwägung ankommt. Es ist einschränkend zu bemerken, dass es nur wenige Fälle geben wird, in denen das Selbstverständnis und die Glaubwürdigkeit der Kirchen so schwer wiegen, dass eine entsprechende Angleichung erforderlich scheint, zumindest sofern die staatliche Gewalt hinreichende Rechtsgüter für ihre Differenzierung anführen kann. bb) Die Koalitionsfreiheit der Mitarbeiter und Koalitionen (Art. 9 Abs. 3 GG) Die staatliche Beschränkung des kirchlichen Ausgestaltungsbereichs stellt sich zudem als Beschränkung der Koalitionsfreiheit der im kirchlichen Bereich tätigen Mitarbeiter und Koalitionen dar. Durch die staatlich bedingte Nichtöffnung des tarifdispositiven Rechts für kirchliche Arbeitsrechtsregelungen ist es den Mitarbeitern und Koalitionen nicht möglich, dem Koali­ 1740  BAG,

NZA 2009, 1417 ff. BT-Drs. 14 / 4374, S. 12 ff.; vgl. BAG, NZA 2009, 1417 (1421). 1742  So auch BAG, NZA 2009, 1417 (1421): „Es ist nicht ersichtlich und von der Revision auch nicht näher ausgeführt, dass die gesetzliche Ausgestaltung der sachgrundlosen Befristung in § 14 Abs. 2 TzBfG die Evangelische Kirche in Deutschland und die ihr zugeordneten Einrichtungen in ihrer Entscheidung darüber beschränkt, welche Dienste es bei ihnen geben soll und in welchen Rechtsformen sie wahrzunehmen sind. Ebenso wenig ist erkennbar, inwieweit der Bekl. durch die in § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG bestimmte Befristungsdauer die Erfüllung der von ihr übernommenen Aufgaben erschwert wird“. Das Gericht argumentiert allerdings vielmehr, das Selbstverständnis der Kirchen sei gar nicht betroffen, was jedoch nicht überzeugt. Zum selben Ergebnis gelangt Reichold (Fn. 1602), 1379 f. 1743  Richardi (Fn. 1554), § 15 Rn. 3 ff.; Unruh, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), GG, Bd. 3, 7. Aufl. 2018, Art. 137 WRV Rn. 91; Classen (Fn. 1613), 458. 1741  Vgl.



C. Die kirchlichen Koalitionssysteme und die Grundrechte der Mitarbeiter 469

tionszweck entsprechend tätig zu werden, da entsprechende Arbeitsrechtsregelungen diesbezüglich keine Wirkkraft entfalten. Dabei handelt es sich hierbei ebenfalls nicht um eine staatliche Ausgestaltung, sondern um einen Eingriff.1744 Dem Staat geht es nicht um die generelle Gestaltung eines Systems, in dem Rechte und Pflichten verteilt werden, sondern nur um die Einschränkung bereits ausgestalteter Rechte und damit um die fallbezogene Justierung eines bereits bestehenden Instituts – dem Arbeiten in der Arbeitsrechtlichen Kommission. Denn nicht nur, dass an dieser Stelle der kirchliche Ausgestaltungsbereich endet, wird außerdem der an sich geltende koalitionsbezogene Freiheitsraum für die kirchlichen Bereiche verkürzt. Zwar könnte man argumentieren, zur Ausgestaltung des Systems gehöre es auch zu bestimmen, wann und wo bestimmte erschaffene Rechte und Institutionen ausgeübt werden dürften. Dagegen spricht aber, dass eine solche Bestimmung für die betroffenen Grundrechtsträger tatsächlich keine generelle systemkonstituierende Bedeutung entfaltet – an der Gestaltung des Systems ergeben sich keine Änderungen. Vielmehr handelt es sich um eine fallbezogene Justierung des Systems sowie dessen bereits generell bestehenden Institutionen, die bereits eingreifende Wirkung entfaltet. Denn in diesem Fall gibt es bereits ein vom Ausgestaltungsbefugten geschaffenes bestimmtes System, bestimmte Rechte, bestimmte Abläufe und damit einen Schutzbereich der Koalitionsfreiheit. Darüber hinaus handelt es sich um einen klassischen Eingriff des Staates, da der staatliche Gesetzgeber gezielt die Reichweite der durch die Kirchen bereits ausgestalteten Koalitionsfreiheit beschneiden möchte. Folglich findet nicht der Kernbereich, sondern finden die allgemeinen Schrankenregelungen des Art. 9 Abs. 3 GG Anwendung, die auf eine Abwägung im Einzelfall mit kollidierendem Verfassungsrecht abstellen.1745 Aus diesem Grunde ist auch hier zu konstatieren, dass eine pauschale Antwort 1744  Vgl.

ausführlich zur Abgrenzung bereits oben S. 405 ff. Rahmen von Art. 9 Abs. 3 GG ist streitig, ob die Schrankenregelung des Art. 9 Abs. 2 GG Anwendung findet. Dafür spricht, dass eine Koalition i. S. v. Abs. 3 nur ein Spezialfall der allgemeinen Vereinigung i. S. d. Abs. 1 darstellt, für die wiederum die Schranken des Abs. 2 gelten (so insbesondere Löwer [Fn. 1513], 45, 110; Bauer [Fn. 1513], 93; Kemper [Fn. 1624], 195 ff.; Scholz [Fn. 1509], 140; Pieroth, Koalitionsfreiheit, Koalitionsautonomie und Mitbestimmung, in: Badura [Hrsg.], Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Bd. 2, 2001, 293 [307 ff.]). Dagegen spricht aber aus systematischen Gründen, dass die Schranke nach der Vereinigungs-, aber vor der Koalitionsfreiheit steht; eine Anwendung des Abs. 2 auf Fälle des Abs. 3 ist daher wie bei Art. 5 GG insgesamt nicht überzeugend, zumal Koalitionen i. S. v. Abs. 3 ohnehin – wie die Spruchpraxis des BVerfG auch zeigt (vgl. Bauer [Fn. 1513], 93) – kaum mit den Schranken des Abs. 2 in Berührung kommen dürften, so dass auch ein sachlich-inhaltlicher Grund gegen eine solche Anwendung spricht (so insbesondere Höfling [Fn. 1513], 135 ff.; Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 15. Aufl. 2018, Art. 9 Rn. 17; wegen der kaum vorstellbaren Berührung eher offenlassend Epping [Fn.  1504], 907 f.). 1745  Im

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auf die Frage des Verhältnisses zwischen Tarifvertrag und Arbeitsrechtsregelung nicht möglich ist. Allerdings bedarf es für eine Beschränkung der Güter der im kirchlichen Bereich Tätigen Güter von Verfassungsrang, was die (staatliche) Gesetzgebung unter erhöhten Rechtfertigungsdruck stellt. So ist es im oben bereits angesprochenen Beispiel der Befristung der Arbeitsverträge nach § 14 TzBfG äußerst zweifelhaft, ob verfassungsrechtliche Gründe dafür streiten, dass im kirchlichen Bereich solch besondere Umstände herrschen, dass eine Beschränkung der an sich bestehenden Freiheit – die Tarifdisposivität der Befristungszeit – gerechtfertigt werden kann. So nimmt es besonders Wunder, dass das BAG in diesem Falle nur mit der Nichtberührung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts argumentiert und Art. 9 Abs. 3 GG völlig außer Acht lässt.1746 cc) Das allgemeine Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) Als letzte Möglichkeit kann für eine Gleichstellung von Tarifvertrag und Arbeitsrechtsregelung möglicherweise Art. 3 Abs. 1 GG bemüht werden.1747 Danach muss der Gesetzgeber „wesentlich Gleiches gleich behandeln“.1748 Dass dem grundsätzlich in den Fällen, in denen Regelungen nur Tarifparteien zur Disposition stehen, so nicht ist, wird kaum bestritten.1749 Trotz der zum Teil zahlreichen Unterschiede zwischen Tarifvertrag und Arbeitsrechtsregelung werden beide als wesentlich gleich beschrieben: Sowohl Tarifvertrag als auch kirchliche Arbeitsrechtsregelung sind aufgrund einer eingeräumten Autonomie getroffene Koalitionsvereinbarungen zur Gestaltung, Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen.1750 Sie erfüllen damit denselben Zweck und haben grundsätzlich denselben Stellenwert. Sie sind in jedem Fall grundsätzlich vergleichbar. Ob allerdings die bestehenden Unterschiede zu einer gerechtfertigten Ungleichbehandlung führen, lässt sich nicht pauschal entscheiden. Dies beginnt bereits bei der Wahl des anzuwendenden Maßstabs. Nach gängiger Dogmatik ist bei weniger intensiven Ungleichbehandlungen (irgend-)ein Sachgrund für die Rechtfertigung ausreichend, während bei intensiveren Ungleichbehandlungen die Verhältnismäßigkeit und damit die Abwä1746  Vgl.

BAG, NZA 2009, 1417 ff. dazu insbesondere Müller-Volbehr (Fn. 1733), 304. 1748  Dazu insbesondere Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 3 Rn.  20 ff.; Huster, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum GG, Stand: Mai 2018, Art. 3 Rn. 78 ff. 1749  Müller-Volbehr (Fn.  1733), 303 f. m. w. N. 1750  So auch grundsätzlich Müller-Volbehr (Fn. 1733), 304; die Frage offengelassen dagegen vom BAG, NZA 2009, 1417 (1422 ff.). 1747  Vgl.



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gung entscheidet.1751 Die Intensität der Ungleichbehandlung lässt sich aber nicht pauschal feststellen, sondern bedarf der genauen Begutachtung der jeweiligen staatlichen Norm, die die Anwendung auf die kirchliche Arbeitsrechtsregelung ausschließt.1752 Darüber hinaus ergeben sich die Sachgründe nicht notwendigerweise aus dem Allgemeinen, wie es teilweise jedoch in der Literatur propagiert wird.1753 Zwar verfolgen Öffnungsklauseln, also die In­ stallierung tarifdispositiven Rechts, grundsätzlich bestimmte Zwecke. Wie stark diese jedoch im Einzelfall zu werten sind, oder ob noch zusätzliche Zwecke hinzutreten, kann hingegen nicht pauschal festgehalten werden. Diese Überlegungen sind jedoch elementar für die Frage, ob und ggf. in­ wieweit ein Grund für die Nichtöffnung des tarifdispositiven Rechts für kirch­liche Arbeitsrechtsregelungen gerechtfertigt ist. So ist es denkbar, dass staatliche Regelungen einen bestimmten Zweck verfolgen, der durch die ­ kirch­lichen Arbeitsrechtsregelungen aufgrund einer strukturellen Eigenschaft ­ausnahmsweise nicht hinreichend verfolgt wird. Die Folge ist, dass eine Ungleichbehandlung der Tarifverträge und kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen gerechtfertigt erscheint. Das Gleiche gilt auch umgekehrt: Etwaige Unterschiede zwischen Tarifvertrag und kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen können im Einzelfall – je nach Zweckverfolgung der Öffnungsklausel – eine Ungleichbehandlung gerade nicht rechtfertigen.1754 Damit ergibt sich, dass eine mögliche Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung auch hier stark von der einzelnen, ungleich behandelnden Regelung abhängig ist und sich insoweit eine pauschale Beurteilung verbietet. 2. Die Problematik der gerichtlichen Inhaltskontrolle Sind kirchliche Arbeitsrechtsregelungen keine Tarifverträge, stellt sich die Frage nach der Behandlung beider Institute durch staatliche Gerichte – genauer: nach der Dichte ihrer Überprüfbarkeit. 1751  Heun (Fn. 1748), m. w. N.; BVerfGE 4, 144 (155); vgl. ebenso BVerfGE 112, 164 (174); E 112, 268 (279); E 116, 164 (180); E 117, 1 (30). 1752  So auch BAG, NZA 2009, 1417 (1422): „… dass die Rechtsfrage (d. i. die Gleichstellung von Tarifvertrag und Arbeitsrechtsregelung; VH) nicht für alle tarifdispositiven Vorschriften einheitlich, sondern nur normbezogen zu beantworten ist“. Es geht allerdings anschließend in einem obiter dictum darauf ein, dass eine Nichtgleichstellung bereits aufgrund der „Unterschiede bei dem Zustandekommen von Tarifverträgen und kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen“ (ebd.) gerechtfertigt sei und verwickelt sich so in Widersprüche. Dazu auch Reichold (Fn. 1602), 1379 f. 1753  Insbesondere Thüsing (Fn. 1537), 126 ff., der auf die Sachnähe und Richtigkeitsgewähr abstellt. 1754  So aber insbesondere Däubler, in: ders. (Hrsg.), TVG, 4. Aufl. 2016, Einleitung Rn. 1026; Kempen / Zachert, TVG, 5. Aufl. 2014, Grundlagen Rn. 185.

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

a) Einfachrechtliche Bewertung Tarifverträge wie auch kirchliche Arbeitsrechtsregelungen fallen zunächst unter den Begriff der Allgemeinen Geschäftsbedingungen i. S. v. §§ 305 ff. BGB.1755 Allerdings findet auf Tarifverträge gem. § 310 Abs. 4 S. 1 BGB nicht die Billigkeits- bzw. Inhaltskontrolle der §§ 307 ff. BGB, sondern alleine eine Rechtmäßigkeitskontrolle Anwendung.1756 Eine Inhaltskontrolle ist demnach klar von einer Rechtmäßigkeitskontrolle zu trennen.1757 Da in § 310 Abs. 4 BGB jedoch ausschließlich von Tarifverträgen gesprochen wird, gilt eine entsprechende Billigkeitskontrollausnahme nicht für kirchliche Arbeitsrechtsregelungen.1758 Wie allerdings im Folgenden mit den kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen zu verfahren ist, ist sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur umstritten.1759 So verfolgt die Rechtsprechung im Grunde zwei Linien: Ein Teil der Rechtsprechung hat lange Zeit auf die Notwendigkeit einer Verhandlungsparität abgestellt und kirchliche Arbeitsrechtsregelungen als Entscheidungen betrachtet, „die der Arbeitgeber kraft seiner strukturellen Überlegenheit einseitig in abstrakt vorformulierten Arbeitsvertragsbestimmungen festlegt“ und daher eine vollumfängliche Billigkeitskon­ trolle zumindest dann angewendet, wenn tatsächlich eine bestimmte Verhandlungsparität zwischen Mitarbeitern und Dienstgebern nicht ersichtlich war.1760 Zudem wurde gerade in neuerer Zeit häufig geurteilt, dass eine Inhaltskon­ trolle der kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen dann nicht erforderlich sei, wenn die kirchliche Einrichtung zumindest inhaltlich entsprechende Tarifverträge übernehme, da hier von einer entsprechenden Parität und Richtigkeitsgewähr a priori auszugehen sei.1761 Durch ein obiter dictum im Rahmen einer Entscheidung des sechsten Senats des BAG angestoßen, kommt ferner zunehmend in der Literatur die Ansicht auf, Tarifverträge und kirchliche Arbeitsrechtsregelungen seien gleichzustellen, da beide wegen ihrer paritätischen Besetzung und der Weisungsunabhängigkeit der entscheidenden Mitarbeiter mittlerweile eine hinreichende Richtigkeitsgewähr zumindest nahelegten.1762 1755  Richardi

(Fn. 1554), § 15 Rn. 28. AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Süßwarenindustrie; Thüsing (Fn. 1537), 132. 1757  Vgl. BAG, AP Nr. 45 zu § 611 BGB Kirchendienst; Joussen (Fn. 1594), 65. 1758  Siehe nur Joussen (Fn. 1594), 64 f.; Däubler, Die Auswirkungen der Schuldrechtsmodernisierung auf das Arbeitsrecht, in: NZA 2001, 1329 (1334). 1759  Vgl. dazu ausführlich Hammer (Fn. 1590), 377 ff. 1760  BAGE 14, 61 (63); E 23, 160 (163  ff.); BAG, AP Nr. 40 zu § 242 BGB Gleichbehandlung. 1761  BAGE 84, 282 (288 ff.); BAG, AP Nr. 53 zu § 611 BGB Kirchendienst; vgl. Joussen (Fn. 1594), 64 f.; Hammer (Fn. 1590), 380 ff. 1762  BAG, AP Nr. 45 zu § 611 BGB Kirchendienst; von Tiling, Die Regelungen des Dritten Weges im System des weltlichen Arbeitsrechts, in: NZA 2007, 78 (79); 1756  BAG,



C. Die kirchlichen Koalitionssysteme und die Grundrechte der Mitarbeiter 473

Für eine Gleichstellung von Tarifvertrag und Arbeitsrechtsregelung wird von einer anderen Literaturströmung insbesondere auch die historische Auslegung des § 310 Abs. 4 S. 2 BGB angeführt. Danach seien bei der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB „die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten angemessen zu berücksichtigen“. Nach ausdrücklichem Gesetzgeberwillen soll es sich dabei insbesondere um die kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen handeln.1763 Allerdings kann deswegen wohl „erst-recht“ keine Bereichsausnahme wie für Tarifverträge gestattet werden, hat der Gesetzgeber doch „nur“ angeordnet, die kirchlichen Besonderheiten zu berücksichtigen und nicht auszuklammern.1764 Ein zweiter Teil der Rechtsprechung – und hierbei insbesondere der zehnte Senat des BAG – hat eine Inhalts- und Billigkeitskontrolle bei Arbeitsrechtsregelungen nunmehr über den § 317 Abs. 1 BGB begründet, der die Anwendung des Billigkeitsmaßstabs des § 319 BGB zur Folge hat.1765 Hintergrund dieser Wertung ist eine Abkehr von der zuvor genannten Rechtsprechung, infolgedessen kirchliche Arbeitsrechtsregelungen nicht mehr als vom Dienstgeber einseitig, sondern von der Arbeitsrechtlichen Kommission als Dritter i. S. v. § 317 Abs. 1 BGB gesetzte Bestimmungen angesehen werden.1766 Dies wird in der Literatur jedoch teilweise kritisch gesehen und daher weiterhin auf eine Lösung über § 310 BGB gedrängt.1767 b) Verfassungsrechtliche Bewertung Unabhängig davon, welcher Ansicht auf einfachrechtlicher Ebene zuzustimmen ist, ergibt sich die Antwort auf die Frage der weltlichen Behandlung kirchlicher Arbeitsrechtsregelungen letztlich durch einen Rückgriff auf verfassungsrechtliche Aspekte. Anders als bei der Frage der Tarifdisposivität handelt es sich nicht um im Einzelfall möglicherweise differierende Regelungen und Regelungszwecke, sondern um nur eine zentrale gesetzgeberische Entscheidung und damit um eine zentrale Norm (§ 310 Abs. 4 BGB bzw. Richardi (Fn. 1554), § 15 Rn. 44 ff.; Thüsing (Fn. 1537), 133  ff.; vgl. Joussen (Fn.  1594), 65 f. 1763  BT-Drs. 14 / 6857, S. 17; vgl. Thüsing (Fn. 1537), 137 f.; Richardi (Fn. 1554), § 15 Rn. 41. 1764  Anders im Ergebnis aber Thüsing (Fn. 1537), 138; ebenso zweifelnd Richardi (Fn. 1554), § 15 Rn. 41. 1765  BAG, ZevKR 42 (1997), 62 ff.; BAG, AP Nr. 52 zu § 611 BGB Kirchendienst; BAG, AP Nr. 54 zu § 611 BGB Kirchendienst; vgl. dazu auch ausführlich Richardi (Fn. 1554), § 15 Rn. 38 ff.; Thüsing (Fn. 1537), 132 f.; Joussen (Fn. 1594), 66 ff. 1766  BAGE 105, 148 (157); E 106, 318 (325); BAG, NZA 2003, 1296 ff.; vgl. Joussen (Fn. 1594), 66. 1767  Ausführlich Thüsing (Fn. 1537), 134 ff.; Richardi (Fn. 1554), § 15 Rn. 38 ff.; Reichold (Fn. 1602), 1381 f.

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

§ 317 Abs. 1 BGB). Es geht um die (einmalige) abstrakte Entscheidung des staatlichen Gesetzgebers, die inhaltliche Kontrolle kirchlicher Arbeitsrechtsregelungen durch staatliche Gerichte nicht der von Tarifverträgen gleichzusetzen. Dies ist sowohl unter Berücksichtigung des Art. 137 Abs. 3 WRV als auch des Art. 9 Abs. 3 GG als auch des Art. 3 Abs. 1 GG bedenklich. aa) Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht (Art. 137 Abs. 3 WRV) Aus freiheitsrechtlicher Sicht ergibt sich das Problem, dass die kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen und ihre Umsetzung grundsätzlich eigene Angelegenheiten der Kirchen sind.1768 Das gilt insbesondere deshalb, weil diese Regelungen unter Berücksichtigung des kirchlichen Leitbilds der Dienst­ gemeinschaft und des Sendungsauftrags geschaffen werden.1769 Werden die Arbeitsrechtsregelungen staatlich vollumfänglich überprüft, wird zwar nicht in das Recht auf ein eigenes Koalitionssystem und dessen Ausgestaltung, aber dafür in das Recht der Kirchen auf eigene Gerichtsbarkeit („verwalten“) eingegriffen. Es kommt folglich zu einer Kollision zwischen staatlichem Justizgewährungsanspruch und kirchlicher Selbstbestimmung, die einer abwägenden Auflösung bedarf.1770 Es wurde bereits herausgearbeitet, dass das kirchliche Selbstbestimmungsrecht zwar nicht den Zugang zu staatlichen Gerichten, aber die Prüfungsdichte und die Justiziabilität der kirchlichen (Arbeitsrechts-) Regelungen vor staatlichen Gerichten einschränken kann.1771 Es stellt sich daher hier die Frage, ob die Justiziabilität aufgrund des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen auf das Niveau der staatlichen Tarifverträge sinkt. Dabei ist ganz klar zu sehen, dass die Justiziabilität dann nicht mehr besteht, wenn die Überprüfung von kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen die Grundsätze der Glaubenslehre miteinschließen würde, etwa wenn es um die Auslegung der Angemessenheit des Lohns im Sinne von can. 1286 °2 CIC geht. Denn hier fehlt es den staatlichen Gerichten an einer hinreichenden Überprüfungskompetenz, die aufgrund des Grundsatzes der Neutralität in 1768  Pahlke (Fn. 1513), 96 ff.; Unruh (Fn. 1743), 74 ff.; Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2018, Art. 137 WRV Rn. 66 f. 1769  BAG, NZA 2013, 448 (456  f.); Korioth, in: Maunz / Dürig (Begr.), GG, 42. Lfg. 2003, Art. 140 / 137 WRV Rn. 41; Traulsen, Abwägungslinien zwischen kirchlicher Selbstbestimmung und Koalitionsfreiheit, in: Reichold (Hrsg.), Streikrecht im Dritten Weg?, 2013, 37 (37 ff.); Schlaich, Der „Dritte Weg“ – eine kirchliche Alternative zum Tarifvertragssystem?, in: JZ 1980, 209 ff. 1770  Vgl. dazu bereits oben S. 124 ff. 1771  Prägnant Unruh (Fn. 1537), 219: „Wenn das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften nicht die Eröffnung des Rechtswegs zu, sondern nur die Justiziabilität religionsgemeinschaftlicher Angelegenheiten vor den staatlichen Gerichten begrenzen kann…“ (Herv. i. O.).



C. Die kirchlichen Koalitionssysteme und die Grundrechte der Mitarbeiter 475

religiös-weltanschaulichen Angelegenheiten1772 nur auf weltliche Fragen beschränkt bleibt. Daher dürfen staatliche Gerichte die kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen nicht hinsichtlich solcher Inhalte überprüfen, die auf religiös-theologischen Gründen beruhen. Fraglich ist jedoch die Justiziabilität in anderen Bereichen, etwa bei „weltlichen“ Bestimmungen, die weder ihrem Inhalt, noch ihrer Ursache nach auf religiösen Entscheidungen beruhen. Dies hängt von der Gewichtung des staatlichen Justizgewährungsanspruchs ab. Dieser verlangt grundsätzlich eine angesichts des staatlichen Gewaltmonopols effektive Rechtsschutzgewährung durch staatliche Gerichte.1773 Allerdings könnten kirchliche Arbeitsrechtsregelungen Eigenschaften aufweisen, die auch Tarifverträge besitzen und aufgrund derer Tarifverträge gerade von der gerichtlichen Kontrolle ausgenommen sind. Dann könnte bereits aufgrund dieser Eigenschaften eine effektive Rechtsschutzgewährung nicht von großem Gewicht sein. So hat sich der Gesetzgeber gegen eine Inhaltskontrolle weltlicher Tarifverträge gerade deshalb entschieden, weil es sich bei ihnen nicht nur um Verträge, sondern gerade um verbindliche Normen handelt, die einem Billigkeitsvorbehalt – auch aus Gründen der Koalitionsautonomie – entzogen sein sollen.1774 Darüber hinaus würden die gegenläufigen Interessen von Mitarbeitern und Dienstgeber durch eine Verhandlung auf Augenhöhe zwischen den Tarifparteien hinreichend ausgelotet und dadurch eine bereits ausreichende Richtigkeitsgewähr sichtbar.1775 Mit anderen Worten: Der Ausgleich der im kollektiven Arbeitsrecht maßgeblichen Interessen wird den Parteien selbst überlassen, weil ihnen eine größere Sachnähe und aufgrund einer abgesicherten Parität und einer garantierten Bindungswirkung ein hinreichendes Niveau an Gerechtigkeits- und Richtigkeitssicherheit zugeschrieben wird, das die staatlichen Gerichte zumindest nicht übertreffen können.

1772  Vgl.

ausführlich oben S. 305 ff. in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 211. 1774  BT-Drs. 14 / 6857 S. 54: „Die Bereichsausnahme muss allerdings weiterhin für Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen bestehen bleiben. Sie stellen nicht nur ausgehandelte Verträge zwischen den beteiligten Kollektivvertragsparteien dar, sondern enthalten zugleich Rechtsnormen, die unmittelbar und zwingend für die Arbeitsverhältnisse der betriebsangehörigen bzw. tarifgebundenen Arbeitnehmer gelten (§ 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG, § 4 Abs. 1 Satz TVG). In diesen gewissermaßen normsetzenden Bereich kann und darf eine AGB-Kontrolle nicht eingreifen, da anderenfalls das System der Koalitionsautonomie konterkariert würde“; vgl. Basedow, in: Säcker / Rixecker / Oetker / Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 2, 7. Aufl. 2016, § 310 Rn. 95. 1775  BAG, Urteil vom 28.6.2007  – 6 AZR 750 / 06 – Rn. 27; Fuchs, in: Ulmer /  Brandner / Hensen (Hrsg.), AGB-Recht, 12. Aufl. 2016, § 307 BGB Rn. 431. 1773  Schulze-Fielitz,

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

Allerdings ist zu sehen, dass die kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen – trotz des fehlenden Streikrechts – dieselben Eigenschaften und Qualifikationen aufweisen und insoweit die anfängliche strukturelle Ungleichgewichtung zwischen Mitarbeitern und Dienstgeber durch entsprechende Mittel ausgeglichen wird.1776 Es wurde bereits gezeigt, dass ein institutionelles Übergewicht einer Seite – insbesondere der Seite des Dienstgebers – wegen des paritätisch besetzten Schlichtungsausschusses nicht gegeben ist und eine Weisungsabhängigkeit der Mitarbeiter ebenfalls nicht festzustellen ist, so dass zumindest eine hinreichende Verhandlungsgleichgewichtung zu konstatieren ist.1777 Darüber hinaus entwickeln kirchliche Arbeitsrechtsregelungen zwar keine normative Wirkung im Sinne von § 4 TVG. Dennoch sind sie generell – wie bereits gezeigt – für die Betroffenen verbindlich und können nicht einseitig abgeändert oder nur wahlweise angewandt werden.1778 Insofern weisen die Arbeitsrechtsregelungen zumindest eine solche Wirkung auf, die sie von gewöhnlichen Vereinbarungen á la §§ 305 ff. BGB analog zu den Tarifverträgen unterscheiden. Auch wenn insbesondere das Verfahren von Tarifverträgen und kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen different ist, gibt es keinen hinreichenden strukturellen Unterschied zwischen den beiden Instituten, aufgrund dessen eine umfassende Billigkeits- und Inhaltskontrolle nicht auch für beide auszuschließen wäre. Denn auch kirchliche Arbeitsrechtsregelungen verfügen über ein Verhandeln der Parteien auf Augenhöhe, bieten eine hinreichende Sachnähe und gehen über bloße Vertragsabreden hinaus, weswegen eine Inhaltskontrolle bei ihnen nicht überzeugend ist. Dass auch kirchliche Arbeitsrechtsregelungen weiterhin an den für sie geltenden rechtlichen Rahmen gebunden sind, steht außer Frage. Eine Überprüfung der Regelung auf die Angemessenheit ihres Inhalts ist allerdings aufgrund der genannten Eigenschaften für einen effektiven Rechtsschutz – analog zu den Tarifverträgen – nicht erforderlich. Damit ist zu konstatieren, dass das kirchliche Selbstbestimmungsrecht die staatliche Justizgewährungspflicht im Bereich der kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen überwiegt, so dass eine entsprechende Justiziabilität des Inhalts der kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen auch außerhalb religiöstheologischer Sachverhalte nicht gegeben ist.

1776  Dazu auch ausführlich Thüsing (Fn. 1537), 126 ff.; Richardi (Fn. 1554), § 15 Rn.  4 ff., 44 ff.; anders Hammer (Fn. 1590), 383 ff., und Pahlke (Fn. 1513), 229 ff., die sich beide insbesondere auf das Letztentscheidungsrecht des Bischofs / der Synode stützen und insoweit eine (materielle) Parität im kirchlichen Koalitionssystem verneinen. Allerdings sind insoweit die zwischenzeitlich eingetretenen Änderungen der Kirchengesetze zu beachten, vgl. dazu bereits oben S. 431 ff. 1777  Siehe dazu bereits ausführlich oben S. 444 ff. 1778  Siehe ebenfalls dazu bereits oben S. 459 ff.



C. Die kirchlichen Koalitionssysteme und die Grundrechte der Mitarbeiter 477

bb) Die Koalitionsfreiheit der Mitarbeiter und Koalitionen (Art. 9 Abs. 3 GG) Darüber hinaus stellt eine Billigkeitskontrolle der kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen einen Eingriff in die individuelle wie auch kollektive Koalitionsfreiheit der im kirchlichen Betrieb agierenden Mitarbeiter und Koali­ tionen dar. Denn bereits zum Kernbereich der Koalitionsfreiheit gehört die (Tarif-)Autonomie, d. h. die verfassungsrechtlich verbürgte Gewähr für eine freie, eigenständige und unabhängige Koalitionsvereinbarung.1779 Diese Autonomie würde indes durch eine staatliche Angemessenheits- und Inhaltskontrolle konterkariert, hätte das staatliche Gericht mithin ein „Letztentscheidungsrecht“, das über die Grenzen der Rechtmäßigkeit hinausgeht. Insbesondere können die Koalitionsparteien durch eine bereits bestehende „Rechtsprechungslinie“ insoweit beeinflusst werden, als sie sich künftig an dieser Linie orientieren und mithin nicht mehr unabhängig und frei Entscheidungen treffen. Zwar würde diese Einschränkung beide Seiten betreffen, so dass analog zu der Frage der Zulässigkeit des bischöflichen Letztentscheidungsrechts, das sich auf die Einhaltung des Kirchenrechts beschränkt,1780 eine Beeinträchtigung der Koalitionsautonomie ausgeschlossen werden müsste. Der Unterschied zwischen dem Einfluss staatlicher Rechtsprechung und bischöflicher Letztentscheidung ist aber, dass das bischöfliche Letztentscheidungsrecht an bestimmte, vor der Vereinbarung der Arbeitsrechtsregelung bekannte kirchenrechtliche Grundsätze gebunden ist, während die staatliche Billigkeitskontrolle vollumfassend ist und letztlich auf einer allgemeinen Abwägung beruht. Das bischöfliche Letztentscheidungsrecht entspricht damit letztlich lediglich einer Rechtmäßigkeitskontrolle. Das staatliche Gericht hätte hingegen ein inhaltliches Letztentscheidungsrecht. Ein solches ist aber mit der Koalitionsautonomie nicht zu vereinbaren. Dem Ausschluss der Arbeitsrechtsregelungen aus der Inhaltskontrolle der §§ 307 ff. BGB steht zwar grundsätzlich auch der staatliche Justizgewährungsanspruch gegenüber. Aus den im Rahmen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts genannten Gründen kann jener aber auch hier eine Billigkeitskontrolle staatlicher Gerichte keinesfalls rechtfertigen. cc) Das allgemeine Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) Mit Tarifverträgen und kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen werden kollektivarbeitsrechtliche Vereinbarungen (Oberbegriff) hinsichtlich der Überprüfungsdichte – genauer: der Inhaltskontrolle – (tertium comparationis) wegen 1779  Dazu

1780  Siehe

ausführlich oben S. 424 ff. dazu oben S. 431 ff.

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

der Unterschiedlichkeit ihres Verfahrens (Differenzierungskriterium) unterschiedlich behandelt. Dabei wurde soeben bereits die wesentliche Gleichartigkeit von Tarifvertrag und kirchlicher Arbeitsrechtsregelung ausbuchstabiert. Fraglich ist nunmehr, ob eine solche Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist. Voraussetzung ist wegen der anzunehmenden geringeren Intensität der Ungleichbehandlung im Zuge der „Willkür“-Rechtsprechung1781 das Vorliegen lediglich (irgend-)eines Sachgrunds. Von einem solchen ist jedoch aus den bekannten Gründen nicht auszugehen, wobei es letztlich nicht einmal darauf ankommt, ob man der „Willkürlehre“ folgt oder eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vornimmt. Zwar sind Tarifvertrag und kirchliche Arbeitsrechtsregelung unterschiedlich. Die bloße Unterscheidbarkeit alleine genügt jedoch für eine Rechtfertigung nicht, da bei fehlender Unterscheidbarkeit von Identität auszugehen wäre und somit jede Ungleichbehandlung gerechtfertigt wäre. Es bedarf mithin sachlich fundierter Unterschiede, die gerade die Ungleichbehandlung hinsichtlich des tertium comparationis – hier also in Bezug auf die Durchführung einer Billigkeitskontrolle – rechtfertigen könnten.1782 Wie jedoch bereits gezeigt, sind keine Unterschiede ersichtlich, die eine unterschiedliche Behandlung in puncto Kontrolldichte rechtfertigen. Beide erfüllen dieselben Eigenschaften, aufgrund derer sich der Staat für eine Zurücknahme der staatlich-gerichtlichen Überprüfungsdecke entschieden hat. Da das kirchliche Koalitionssystem dieselben Anforderungen erfüllt, kann eine Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt werden. Die unterschiedliche Handhabung von Tarifvertrag und kirchlicher Arbeitsrechtsregelung hinsichtlich der Anwendung einer Billigkeitskontrolle verstößt daher gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG.1783 3. Resümee Im Verhältnis zwischen Tarifvertrag und kirchlicher Arbeitsrechtsregelung ergeben sich insbesondere Probleme bei der Gleichstellung beider Institute bei tarifdispositivem staatlichem Recht und bei der Durchführung einer staatlich-gerichtlichen Inhaltskontrolle. Im ersten Falle zeigt sich ein deutlicher Hang in Rechtsprechung und Literatur zur pauschalen Beurteilung. Einfachrechtlich wie verfassungsrechtlich ist dies jedoch nicht überzeugend. 1781  Etwa

BVerfGE 1, 14 (52). Heun (Fn. 1748), 26 ff.; Boysen, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 3 Rn. 100 ff.; Huster (Fn. 1748), 58: „Eine nicht-identische und in diesem Sinne ungleiche Behandlung zweier Vergleichspersonen ist gerechtfertigt, wenn zwischen ihnen relevante tatsächliche Unterschiede bestehen, denen die rechtliche Differenzierung entspricht“. 1783  So im Ergebnis insbesondere auch Thüsing (Fn.  1537), 138; Richardi (Fn. 1554), § 15 Rn. 44 ff. 1782  Vgl.



D. Die kircheneigenen Mitarbeitervertretungssysteme479

Auf einfachrechtlicher Ebene zeigt der Gesetzgeber, dass er zwischen beiden Instituten differenziert, wenn er mal beide, mal nur eine von beiden in seiner Regelung berücksichtigt. Verfassungsrechtlich ergibt sich stets das Bedürfnis der Abwägung: Ob ein Eingriff in Art. 137 Abs. 3 WRV, in Art. 9 Abs. 3 GG oder eine Ungleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG vorliegt, am Ende bedarf es einer Einzelfallentscheidung, die insbesondere von der genauen Regelung und den dahinter stehenden Zielen abhängig ist. Mit anderen Worten hängt die Frage der Zulässigkeit der weltlichen Behandlung kirchlicher Arbeitsrechtsregelungen entscheidend davon ab, wie und weshalb der welt­liche Gesetzgeber Tarifverträge und Arbeitsrechtsregelungen different behandelt. Einschränkend sei gesagt, dass eine entsprechende Rechtfertigung insbesondere hinsichtlich des Eingriffs in Art. 9 Abs. 3 GG der kirchlichen Mitarbeiter und Koalitionen nur unter erschwerten Voraussetzungen gelingen mag, bedarf es doch verfassungsrechtlicher Gründe für eine Beschränkung gerade des kirchlichen Bereichs. Im Falle der Inhaltskontrolle ist festzuhalten, dass die kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen die Voraussetzungen, aufgrund derer Tarifverträge nach staatlichem Recht von einer Billigkeits- und Inhaltskontrolle ausgenommen sind, in gleicher Weise erfüllen. Sie gewähren grundsätzlich durch ihre paritätische Besetzung und der strukturell gleichgewichteten Einflussnahme auf die Verhandlungen und ihre Ergebnisse eine vergleichbare Richtigkeitsgewähr, die durch eine verbindliche Wirkung hinreichend institutionell gewährleistet wird. Daher überwiegt nicht nur das kirchliche Selbstbestimmungsrecht, infolgedessen die Justiziabilität der kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen vor staatlichen Gerichten hinsichtlich einer Inhaltskontrolle ausgeschlossen ist. Auch das Recht der Mitarbeiter und Koalitionen in kirchlichen Einrichtungen auf freie, unabhängige und eigenständige Koalitionsbetätigung, die durch ein gerichtliches „Letztentscheidungsrecht“ im Bereich der Angemessenheit des vereinbarten Inhalts massiv beeinträchtigt wird, überwiegt das kirchliche Selbstbestimmungsrecht. Letztlich ergibt sich eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung beider kollektivarbeitsrechtlichen Vereinbarungs­ systeme. Tarifvertrag und kirchliche Arbeitsrechtsregelung sind zumindest hinsichtlich der staatlich-gerichtlichen Überprüfbarkeit gleichzustellen.

D. Die kircheneigenen Mitarbeitervertretungssysteme und die Grundrechte der Mitarbeiter Für die dritte und letzte kirchenrechtliche Modifikation im Arbeitsrecht – das kircheneigene Mitbestimmungssystem – ergab sich, dass es im Kern nicht um das „Ob“, sondern nur um das „Wie“ und das Gewährleistungs­ niveau der Mitbestimmung der Mitarbeiter in kirchlichen Einrichtungen

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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts

geht.1784 Dabei können freiheitsrechtliche (I.) und gleichheitsrechtliche (II.) Aspekte herausgefiltert werden, die es in Ansehung der mit ihnen kollidierenden Rechtsgütern im Folgenden getrennt zu behandeln gilt.

I. Freiheitsrechtliche Bewertung Die freiheitsrechtliche Begutachtung hat gezeigt, dass es weder ein genuin betriebsverfassungsrechtliches Grundrecht gibt, noch ein Grundrecht sämt­ liche Aspekte „nebenher“ mitumfasst. Vielmehr werden nur bestimmte Teile der betrieblichen Mitbestimmung unter bestimmten Voraussetzungen von verschiedenen Grundrechten berührt. Innerhalb dieses grundrechtlichen Potpourris konnten die Berufsausübungs- bzw. die allgemeine Handlungsfreiheit (1.) sowie die individuelle wie kollektive Koalitionsfreiheit (2.) als einschlägige Rechtsgüter festgestellt werden.1785 Im Folgenden soll nun jeweils eine Konfliktlösung zwischen den Grundrechten und dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht erarbeitet werden. 1. Die Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) Durch ein fehlendes oder möglicherweise nicht hinreichend ausgestattetes Mitbestimmungsrecht der Mitarbeiter in kirchlichen Einrichtungen wird insoweit ihr Recht auf freie Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) berührt, als sie nicht solche Entscheidungen mitbeeinflussen können, die Auswirkungen auf ihre Berufsausübung haben. In den übrigen Bereichen, in denen die Berufsausübung nicht betroffen ist, streitet subsidiär die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) für ihr Recht, an Entscheidungen ihres Betriebs mitzubestimmen. Im Folgenden geht es um die Frage, ob diese Grundrechte eine Modifikation des kirchenrechtlichen Betriebsverfassungssystems notwendig werden lassen. Streiten auf Seiten der Mitarbeiter die Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 bzw. Art. 2 Abs. 1 GG für eine betriebliche Mitbestimmung, liegt es nahe, für die Kirchen ihr Selbstbestimmungsrecht nach Art. 137 Abs. 3 WRV in Stellung zu bringen. Dabei wurde jedoch bereits gezeigt, dass zu differenzieren ist zwischen solchen mitarbeitvertretungsrechtlichen Bereichen, die theologisch beeinflusst sind, und solchen, die vom kirchlichen Selbstverständnis unabhängig sind.1786 Daher kann sich die Kirche nur teilweise auf ihr Selbstbe1784  Siehe

dazu ausführlich oben S. 223 ff. bereits oben S. 223 ff. 1786  Siehe dazu bereits ausführlich oben S. 94 ff. 1785  Dazu



D. Die kircheneigenen Mitarbeitervertretungssysteme481

stimmungsrecht berufen. Dies ändert allerdings auch den Maßstab und möglicherweise den Inhalt der Konfliktlösung, weshalb auch im Folgenden zwischen der Abwägung bei kircheneigenen Angelegenheiten (a)) und bei nicht kircheneigenen Angelegenheiten (b)) differenziert wird. a) Ausgleich der kollidierenden Rechtsgüter bei eigenen Angelegenheiten In solchen betriebsverfassungsrechtlichen Fragen, die vom christlichen Selbstverständnis beeinflusst sind und insoweit eigene Angelegenheiten nach Art. 137 Abs. 3 WRV darstellen, kommt es zwangsläufig zu einem Ausgleich zwischen den Grundrechten der Mitarbeiter (Art. 12 Abs. 1 bzw. Art. 2 Abs. 1 GG) und der kirchlichen Autonomie nach Art. 137 Abs. 3 WRV. Dabei ist zu sehen, dass die Beeinträchtigung der Berufsausübungsfreiheit durch die Kirchen als nicht intensiv einzuschätzen ist. Denn die Mitarbeiter werden nicht gänzlich von der Mitbestimmung ausgeschlossen, sondern sogar – in einem umfassenden Blick – intensiv am Geschehen der kirchlichen Einrichtung beteiligt. So ist insbesondere zu berücksichtigen, dass bei den maßgeblichen die Berufsausübungsfreiheit konfligierenden Entscheidungen wie Urlaubs- und Arbeitszeiten eine hinreichende und mit der weltlichen Ausgestaltung nahezu identische Mitbestimmung besteht.1787 Lediglich in Lohnfragen und in Fragen der ordentlichen Kündigung bestehen sichtbare Unterschiede, die jedoch auf die Berufsausübung der Mitarbeiter kaum oder keine Auswirkungen zu entfalten vermögen. So haben die Höhe des Lohns und die Modalität seiner Auszahlung keine hinreichenden Einflussmöglichkeiten auf die Entscheidung, wie die Arbeit verrichtet wird. Das Gleiche gilt für die Mitentscheidung über Kündigungen der Kollegen. Dabei ist jedoch zumindest auf dem Feld der ordentlichen Kündigungen ein Mitbestimmungstatbestand in den Kirchengesetzen vorhanden, auch wenn dieser in der katholischen Kirche nicht wie im staatlichen Bereich als Widerspruchsrecht, sondern nur als Anhörungsrecht formuliert ist. In den evangelischen Kirchen geht dagegen das Mitbestimmungsrecht bei ordentlichen Kündigungen selbst über die staatliche Mitbestimmungsausgestaltung hinaus, wenn ein Zustimmungsrecht formuliert wird.1788 Schließlich ist – analog zu den Loyalitäts­ pflichten1789 – auch hier die Freiwilligkeit des Vertragsschlusses zu berücksichtigen. Zwar ist dies kein absolutes Argument, durch das jede Grundrechtsbeeinträchtigung ihre Bedeutung verlöre. Allerdings sind zumindest vorlie1787  Vgl. § 33 i. V. m. §§ 34 f. MAVO bzw. §§ 36 ff. MVG-EKD einerseits und § 87 BetrVG andererseits. Siehe dazu auch bereits oben S. 76 ff. 1788  Näher dazu bereits oben S. 76 ff. 1789  Ausführlich dazu insbesondere oben S. 335 ff.

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gend keine Tatbestände erkennbar – etwa ein besonders intensiver Eingriff in die Identität der Person –, die die Freiwilligkeit der „Unterwerfung“ unter die bestehenden Regelungen als nicht oder nur minder entscheidungsrelevant erscheinen lassen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der betroffene Mitarbeiter nicht gezwungen ist, für die kirchlichen Einrichtungen und unter einer geringeren Mitbestimmungsquote zu arbeiten. Aus diesen Gründen ist auch von einem Überwiegen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts auszugehen, nicht zuletzt, da Berufsausübungsbeeinträchtigungen nach gängiger Dogmatik bereits bei Vorliegen eines hinreichenden Sachgrunds gerechtfertigt sind.1790 Es ist hier nicht einmal von entscheidender Bedeutung, welchen Stellenwert die Dienstgemeinschaft und die sich daraus ergebenden Anforderungen an die betriebliche Mitbestimmung besitzen. Dadurch, dass die kirchlichen Regelungen über die betriebliche Mitbestimmung die Berufsausübungsfreiheit – wenn überhaupt – nur marginal berühren, reicht bereits das Recht, die eigenen Angelegenheiten selbstständig zu regeln, aus, um die Berufsfreiheit der Mitarbeiter gem. Art. 12 Abs. 1 GG als nicht verletzt anzusehen. Ähnliches gilt in dem Bereich, in dem die Berufsausübung von einer betrieblichen Mitbestimmung gänzlich unabhängig ist. Auch hier ist die Beeinträchtigung keinesfalls als intensiv zu qualifizieren. Grund dafür ist ebenfalls, dass zum einen eine umfassende Mitbestimmung durch die Kirchen – wenn auch nicht gänzlich identisch mit dem staatlichen System – gewährt wird, und dass zum anderen die betroffenen Mitarbeiter den Vertrag freiwillig eingehen. Darüber hinaus reicht auch für die Rechtfertigung von Beeinträchtigungen ein hinreichend sachliches Ziel aus, so dass hier das kirchliche Selbstbestimmungsrecht es in jedem Fall rechtfertigt, Abweichungen vom staatlichen System zuzulassen. b) Ausgleich der kollidierenden Rechte bei nicht eigenen Angelegenheiten Stellt sich nunmehr die Frage, wie verfassungsrechtlich solche betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen zu beurteilen sind, die nicht (hinreichend) mit dem christlich-theologischem Selbstverständnis legitimiert werden können. In diesen Fällen können sich die Kirchen nämlich nicht auf ihr Selbstbestimmungsrecht nach Art. 137 Abs. 3 WRV berufen, mangelt es doch an 1790  Allgemein dazu BVerfGE 7, 377 (405 ff.); E 16, 286 (297); E 65, 116 (125); E 114, 196 (251 ff.); weitere Nachweise bei Mann, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art.  12 Rn.  125  ff.; siehe auch Scholz, in: Maunz / Dürig (Begr.), GG, 47. Lfg. 2006, Art. 12 Rn. 335 ff.; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG; Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 12 Rn. 92 ff.; Kämmerer, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 12 Rn. 59 ff.



D. Die kircheneigenen Mitarbeitervertretungssysteme483

eigenen Angelegenheiten. Die naheliegende Folge wäre, für diesen Fall die Anwendung des staatlichen Betriebsverfassungs- bzw. Personalvertretungsrechts zu konstatieren.1791 Insofern müsste § 118 Abs. 2 BetrVG verfassungskonform dahin ausgelegt werden, die Ausklammerung nur auf eigene Angelegenheiten der Kirchen zu beschränken.1792 Dies ist aber nicht überzeugend. Eine einschränkende Auslegung des § 118 Abs. 2 BetrVG scheitert nicht daran, dass die Vorschrift möglicherweise gar kein für alle geltendes Gesetz ist und insoweit die Kirchen gar nicht beschränken kann;1793 denn für den hier gelagerten Fall mangelt es gerade an der Anwendbarkeit des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts, so dass es auch nicht auf seine Einschränkbarkeit ankommen kann. Vielmehr scheitert eine Beschränkung der Ausklammerung nur auf eigene Angelegenheiten der Kirchen an einer materiellen Abwägung. Denn auch wenn Art. 137 Abs. 3 WRV nicht zugunsten der Kirchen in Stellung gebracht zu werden vermag, können sich die Kirchen – wie andere Arbeitgeber auch – auf Art. 12 Abs. 1 GG berufen,1794 wobei allerdings die Aufgabe, den Ausgleich zwischen den Grundrechten der Mitarbeiter und den Kirchen als Dienstgeber vorzunehmen, beim Gesetzgeber 1791  Siehe dazu Herschel, Kirchliche Einrichtungen und Betriebsverfassung, in: AuR 1978, 172 (174 ff.); Schwerdtner, Kirchenautonomie und Betriebsverfassung, in: AuR 1979 – Sonderheft: Kirche und Arbeitsrecht, 21 (25 ff.); Ruland, Die Sonderstellung der Religionsgemeinschaften im Kündigungsschutzrecht und in den staatlichen Mitbestimmungsordnungen, in: NJW 1980, 89 (97 f.), die allesamt zumindest nur einen Tendenzschutz für die Kirchen nach § 118 Abs. 1 BetrVG verlangen. 1792  Ausdrücklich Herschel (Fn. 1791), 174: „Dieser Mangel [an Sachrichtigkeit; VH] läßt sich (…) durch eine einengende verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift abmildern oder gar beseitigen“. Ebenso Bietmann, Betriebliche Mitbestimmung im kirchlichen Dienst – arbeitsrechtliche Probleme der kirchlichen Mitarbeitervertretungen, 1982, S. 53 ff. 1793  So aber an sich zu recht BVerfGE 46, 73 (95); Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 7. Aufl. 2015, § 16 Rn. 21, 22 ff.; ders., Kirchenautonomie und gesetzliche Betriebsverfassung – zum Fall Goch des Bundesverfassungsgerichts, in: ZevKR 23 (1978), 367 (381 ff.); dagegen – wenn auch mit anderer Begründung – Herschel (Fn. 1791), 174 f., der § 118 Abs. 2 BetrVG als ein für alle geltendes Gesetz ansieht. Dagegen spricht aber bereits, dass § 118 Abs. 2 BetrVG sich nur an die Kirchen wendet und insofern keine gleiche Wirkung für alle hat. Anders wiederum Smend, Rechtsgutachten des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 18.9.1951 (unveröffentlicht), teilweise abgedruckt in Richardi, Arbeitsrecht (s.o.), § 17 Rn. 6 (Fn. 9), nach dem die betriebliche Mitbestimmung der Mitarbeiter ein wesentliches Moment der Sozialordnung ist und aus sozialstaatlichen Gründen bereits der Gedanke der Mitbestimmung ein für alle geltendes Gesetz ist. Dagegen spricht jedoch bereits, dass „Gesetz“ i. S. v. Art. 137 Abs. 3 WRV im Sinne der allgemeinen Grundrechts- und Freiheitsrechtsdogmatik ein formelles Gesetz sein muss (dazu BVerfGE 57, 220 [245]; Richardi, Arbeitsrecht [Fn. 1793], § 2 Rn. 38 f., § 16 Rn. 22 ff., § 17 Rn. 6). 1794  Siehe bereits oben S. 218 ff.; vgl. Wieland (Fn. 1790), 175; BVerfGE 50, 290 (363).

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verbleibt.1795 Dieser ist aber keineswegs gehalten, für alle Bereiche und für alle Arbeitgeber dasselbe Betriebsverfassungswesen vorzuhalten. So hat er in § 118 Abs. 1 BetrVG auch andere Tendenzarbeitgeber – etwa politische Parteien – teilweise aus dem Anwendungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes ausgenommen. Insoweit verbleibt dem Gesetzgeber nach allgemeiner Grundrechtsdogmatik ein Gestaltungsspielraum, der nur durch die verfassungsrechtlichen Grenzen eingezäunt ist.1796 Das bedeutet, dass der Gesetzgeber keine Bestimmungen treffen darf, die die Schutzpflichten aus den Grundrechten der Mitarbeiter oder der Arbeitgeber in ungerechtfertigter Weise, also unangemessen1797 beschränken. Ansonsten ist er aber in der Gestaltung der Mitbestimmung der Mitarbeiter in betrieblichen Einrichtung weitestgehend frei. Mit anderen Worten: Solange der Gesetzgeber nicht die berufsausübungsfreiheitsbezogenen Schutzpflichten einer der beiden Seiten verletzt, kann er für die Kirchen ein eigenes Mitarbeitervertretungssystem vorsehen.1798 Nun kann zwar argumentiert werden, der Staat habe gerade kein kirchenbezogenes Mitarbeitervertretungssystem geschaffen, sondern sich über § 118 Abs. 2 BetrVG zurückgezogen. Dies ist aber deshalb nicht überzeugend, weil er den Kirchen gerade nicht anheimstellt, ob sie ein eigenes Mitarbeitervertretungswesen schaffen.1799 Deutlich wird dies in § 112 Hs. 2 BPersVG, in dem der Gesetzgeber den Kirchen klar den Auftrag erteilt, ein eigenes Mitarbeitervertretungssystem zu konstituieren.1800 Das bedeutet, dass der Gesetzdazu Wieland (Fn. 1790), 116 ff.; BVerfGE 50, 290 (333 ff.). insbesondere auch Ruland (Fn. 1791), 97; BVerfGE 50, 290 (362 ff.); Bietmann (Fn. 1792), 53 ff. 1797  Vgl. dazu allgemein bereits oben S. 224 ff. 1798  Ähnlich Säcker, Die Grundrechtsbindung der Kirchengewalt, in: DVBl. 1969, 5 (6); Ruland (Fn. 1791), 98. 1799  So auch Joussen, Grundlagen, Entwicklungen und Perspektiven des kollektiven Arbeitsrechts der Kirchen, in: Kämper / Thönnes (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 46 (2012), 53 (61 f.); Hollerbach, Das Staatskirchenrecht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – Teil 2, in: AöR 106 (1981), 218 (244); Mayer-Maly, Erwerbsabsicht und Mitarbeiterbegriff, 1965, S. 19; Richardi, Arbeitsrecht (Fn. 1793), § 17 Rn. 9 ff.; ders., Das kollektive Dienst- und Arbeitsrecht, in: Listl / Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, 927 (947 f.); anders hingegen Dütz, Aktuelle kollektivrechtliche Fragen des kirchlichen Dienstes, in: Krautscheidt / Marré (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 18 (1984), 67 (72 f.), der nur eine „Erwartung“ staatlicherseits erkennen will, und Bietmann (Fn. 1792), 93, der gar eine gänzliche Freistellung ohne Pflicht zur kirchengemäßen Regelung annimmt. Dagegen spricht aber bereits die Gesetzesintention als auch das Verfassungsrecht. Im Gegensatz zur Ansicht von Bietmann (Fn. 1792), 93, streiten Grundrechte der Mitarbeiter für eine Mitbestimmung, die zumindest Mindestanforderungen genügt. 1800  „… ihnen bleibt die selbständige Ordnung eines Personalvertretungsrechtes überlassen“. 1795  Allgemein 1796  So



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geber seine Aufgabe, die konfligierenden Interessen auszuloten, den Kirchen lediglich übertragen hat. Zwar gibt es dafür kein verfassungsrechtliches Gebot – Art. 137 Abs. 3 WRV ist ja gerade nicht anwendbar –, ein verfassungsrechtliches Verbot besteht aber deshalb gleichsam nicht. Der Gesetzgeber hat das Recht, einen entsprechenden Ausgleich von Dritten vornehmen zu lassen – Bedingung ist aber, dass die Schutzpflichten nicht verletzt werden. Damit erkennt der staatliche Gesetzgeber in § 118 Abs. 2 BetrVG sowie § 112 BPersVG das kirchliche Mitarbeitervertretungswesen an. Etwas Anderes darf nur gelten, wenn das kirchliche Mitarbeitervertretungswesen die Freiheiten von Mitarbeitern oder Dienstgebern verletzt. Auch wenn das kirchliche Mitarbeitervertretungswesen unter dem Standard des staatlichen Betriebsverfassungs- und Personalvertretungssystems liegt,1801 werden die Freiheiten der Mitarbeiter nicht verletzt. Berücksichtigt man den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, besteht kein Anspruch auf ein bestimmtes System der betrieblichen Mitbestimmung, sondern nur auf Gewährleistung des schutzbedingten Minimums. Letzteres wird durch die Kirchen gewährt.1802 Die Mitarbeiter werden – wenn auch nicht gleich intensiv wie in weltlichen Bereichen – umfassend beteiligt und haben die Möglichkeit, auf betriebliche Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Das gilt für berufsausübungsbezogene wie sonstige Bereiche. Der Dienstgeber hat bereits aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht die Pflicht, die Mitarbeiter in sämtlichen Fragen mitentscheiden zu lassen.1803 Kirchliche Bedienstete wer1801  Richardi, Arbeitsrecht und kirchliche Ordnung, in: ZevKR 15 (1970), 219 (238 ff.); Schwerdtner (Fn. 1791), 24; Ruland (Fn. 1791), 90; Naendrup, Kirchenbezogene Aspekte der Zutritts- und Informationsrechte von Gewerkschaften, in: AuR 1979, Sonderheft Kirche und Arbeitsrecht, 37 (42); Bietmann (Fn. 1792), 149. 1802  So auch Bietmann (Fn. 1792), 56: „Die völlige Bereichsausnahme im Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsrecht ist mithin ebensowenig verfassungsfest wie verfassungswidrig“. 1803  Vgl. BVerfGE 50, 290 (365). Dabei wird darüber gestritten, ob es nicht eine durch den Kernbereich geschützte Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers gebe, in dem die Mitarbeiter keinesfalls mitbestimmen dürften (dafür Papier, Der verfassungsrechtliche Rahmen für Privatautonomie im Arbeitsrecht, in: RdA 1989, 137 [143]; Scholz, Verdeckt Verfassungsneues zur Mitbestimmung?, in: NJW 1986, 1587 [1589]; dagegen BVerfG, AP Nr. 15 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit; Clodius, Die Bedeutung der Grundrechte im Betriebsverfassungsgesetz – unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 2004, S. 42 ff.). Unabhängig davon aber ist nicht zu leugnen – und wird auch nicht geleugnet –, dass jede betriebliche Mitbestimmung der Mitarbeiter die Freiheit des Arbeitgebers einschränkt – unabhängig davon, ob es einen mitbestimmungsfreien Kernbereich gibt oder nicht. Siehe dazu Schmidt, in: Müller-Glöge / Preis / Schmidt (Hrsg.), Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 18. Aufl. 2018, Art. 12 GG Rn. 41 f.; Dieterich, Unternehmerfreiheit und Arbeitsrecht im Sozialstaat, in: AuR 2007, 65 (66 ff.); Müller, Die Berufsfreiheit des Arbeitgebers, 1996, S. 214 ff.

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den jedoch in den zentralen Fragen zumindest angehört und haben Einflussmöglichkeiten. Es gibt keinen für die Mitarbeiter wesentlichen Bereich, in dem es an einer Mitbestimmung mangelt. Dass in manchen Bereichen nur eine eingeschränkte Mitbestimmungsmöglichkeit besteht, ist angesichts der Rechte des Dienstgebers vertretbar, zumal dies im weltlichen Bereich nicht anders ist. Es sind daher keine Entscheidungen der Kirchen erkennbar, die die Freiheiten insbesondere ihrer Mitarbeiter wesentlich unberücksichtigt lassen. Insbesondere ist der Wunsch der Kirchen spürbar, das Mitbestimmungsrecht ihrer Mitarbeiter anzuerkennen und zu verwirklichen. Dass bestimmte Inhalte anders – und zuungunsten der Mitarbeiter – als die weltlichen Bestimmungen ausgestaltet sind, ist angesichts des Gestaltungsspielraums und des fehlenden Anspruchs auf bestimmte Mitgestaltungsmomente nicht als verfassungswidrig anzusehen. Sofern Autoren etwas Gegenteiliges behaupten,1804 kann dies nicht überzeugen, verkennen sie doch den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers und setzen insoweit voraus, dass eine insbesondere durch Sachlichkeit bedingte Rechtfertigung der kirchlichen Modifikationen nur bestehen könne, wenn auch ein entsprechendes Verfassungsgebot existiere. Sie bleiben zudem bei der bloßen Wiederholung ihrer Thesen stehen, so dass nach einer hinreichend sachlichen Auseinandersetzung vergeblich gesucht wird.1805 Dass der Gesetzgeber jedoch die Kirchen und ihre Selbstbestimmung fördern möchte, gleichwohl Art. 137 Abs. 3 WRV dies in diesem Falle nicht verlangt, ist nur dann unzulässig, wenn die Grundrechte der Mitarbeiter dagegen sprechen. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass – selbst wenn in einem oder mehreren Angelegenheiten die Grundrechte der Mitarbeiter verletzt würden – auch dann nach der hier vertretenen Schutzpflichtdogmatik dem staatlichen Gesetzgeber ebenfalls ein Gestaltungsspielraum zukäme.1806 Das bedeutet 1804  Gemeint sind insbesondere Herschel (Fn. 1791), 174  f., und Schwerdtner (Fn. 1791), 23 ff., die die betriebsverfassungsrechtliche Ausklammerung der Kirchen als Verstoß gegen die Sachlichkeit und das Übermaßverbot ansehen. Vgl. dazu auch Bietmann (Fn. 1792), 55 ff. 1805  So stellt Herschel (Fn. 1791), 174, lediglich fest: „…ist es weder sachgerecht noch billig und weder mit dem Übermaßverbot noch mit dem Gleichbehandlungsgebot vereinbar“, begründet dies jedoch kaum oder nur mit allgemeinen Ausführungen zum Tendenzschutz, der auch auf die Kirchen passe, und verspielt somit den staatlichen Gestaltungsspielraum. Auch Ruland (Fn. 1791), 97, konstatiert nur: „Ihr (d. i. die Kirche; VH) verfassungsrechtlich garantiertes Selbstverwaltungsrecht macht zwar Ausnahmeregelungen zum Schutze ihrer religiösen Tendenz notwendig, nicht aber ihre völlige Herausnahme der Mitbestimmung. Diese Differenzierung ist auch wieder Ergebnis einer Abwägung“. Allerdings fehlt es auch hier an abwägungsbezogenen Aspekten, sondern es wird lediglich der Hinweis angeführt, das kirchliche Selbstverständnis – was zutrifft – decke ein eigenes Recht nicht ab. Aber auch hier wird folglich der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers ausgelassen.



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aber, dass auch in diesem Fall nicht automatisch die Geltung des staatlichen Betriebsverfassungs- oder Personalvertretungsrechts die notwendige Folge wäre. Vielmehr könnte der Gesetzgeber auch hier verschiedene Regelungen entwerfen und Entscheidungen treffen, die vom weltlichen System abweichen, zumindest solange diese verfassungsmäßig sind und damit die entsprechende weltliche Regelung nicht die einzig verfassungsgemäße Alternative ist. d) Resümee Unter ausschließlicher Berücksichtigung von Art. 12 Abs. 1 GG bzw. Art. 2 Abs. 1 GG auf Seiten der Mitarbeiter ist festzuhalten, dass das kirchen­ eigene Mitarbeitervertretungssystem verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Das liegt aber nicht – wie im Sinne der herrschenden Ansicht – daran, dass Art. 137 Abs. 3 WRV ein entsprechendes System erfordere. Vielmehr greift das kirchliche Selbstbestimmungsrecht nur für die wenigsten kirch­ lichen Regelungen – zumindest solange, bis eine hinreichend plausible theologische Legitimationsgrundlage angezeigt wird. Diese wenigen Regelungen sind dann aber aufgrund des Art. 137 Abs. 3 WRV gerechtfertigt. Aber auch bei den übrigen kirchlichen Bestimmungen erfordern die Grundrechte der Mitarbeiter weder ein bestimmtes Mitarbeitervertretungswesen – und damit erst recht nicht die Geltung des staatlichen Betriebsverfassungs- oder Personalvertretungssystems –, sondern erlauben dem Gesetzgeber die Festlegung eines kirchenbezogenen und gesonderten Mitarbeitervertretungssystems. Dass er dabei über § 118 Abs. 2 BetrVG bzw. § 112 BPersVG den Kirchen die Ausgestaltung überlässt, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn das kirchliche Mitarbeitervertretungswesen verletzt auch ohne Berücksichtigung des Art. 137 Abs. 3 WRV nicht die Schutzpflichten der Mitarbeiter. Der reine Befund, dass sich weltliches und kirchliches Mitarbeitervertretungssystem unterscheiden, ist freiheitsrechtlich kein hinreichendes Argument. 2. Art. 9 Abs. 3 GG Über die Individualrechte der Mitarbeiter nach Art. 12 Abs. 1 GG bzw. Art. 2 Abs. 1 GG hinaus stellt auch die Koalitionsfreiheit gem. Art. 9 Abs. 3 GG bestimmte Anforderungen an das Mitarbeitervertretungssystem der Kirchen. Klar ist dabei, dass die Verfassungswidrigkeit des kirchlichen Mitarbeitervertretungssystems freilich nicht durch Art. 9 Abs. 3 GG herbeigeführt 1806  Vgl.

ausführlich dazu oben S. 252 ff.

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werden kann. Denn wie bereits gezeigt,1807 greift die Koalitionsfreiheit nur, als tatsächlich Koalitionen betroffen werden. Dies ist bei einem Mitarbeitervertretungsrecht jedoch nur insofern der Fall, als es zu Konkurrenzen zwischen Koalitions- und Mitbestimmungssystem kommt. Daher stellt Art. 9 Abs. 3 GG Anforderungen nur bezüglich der Regelungen im kircheneigenen Mitarbeitervertretungssystem, die zum Koalitionssystem und insbesondere den Gewerkschaften in Verbindung stehen. Solche sind indes vorliegend nicht ersichtlich. Ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3 GG kann daher nicht ausgemacht werden.

II. Gleichheitsrechtliche Bewertung Einen anderen Blick als die freiheitsrechtliche Schutzpflicht nimmt die Schutzpflicht aus dem allgemeinen Gleichheitsgebot gem. Art. 3 Abs. 1 GG ein. Für sie geht es alleine darum, ob das kirchliche Mitarbeitervertretungssystem ausschließlich im Vergleich zum weltlichen Betriebsverfassungs- und Personalvertretungssystem unzumutbare Modifikationen trifft. Es geht also nicht um die Frage, ob der einzelne Mitarbeiter mitbestimmen darf, sondern ob der Staat tatsächlich zwischen beiden Systemen in der hier vorliegenden Weise unterscheiden darf. Dabei kommt es nach der allgemeinen Schutzpflichtendogmatik auch bei Art. 3 Abs. 1 GG auf eine Abwägung mit dem durch das Untätigbleiben des Staates geförderten Schutzgut an. Hierbei muss – analog zu den Freiheitsrechten – zwischen eigenen Angelegenheiten und nicht eigenen Angelegenheiten differenziert werden. Hinsichtlich solcher kirchlichen Regelungen im Mitarbeitervertretungssystem, die theologisch induziert und insoweit durch das Selbstverständnis der Kirchen legitimiert sind, greift das kirchliche Selbstbestimmungsrecht. In diesem Fall ist – analog zu den Loyalitätspflichten und dem Koalitionssystem – zu konstatieren, dass eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebots nicht in Betracht kommt.1808 Denn insoweit ist über Art. 137 Abs. 3 WRV eine Ungleichbehandlung zum weltlichen Bereich systemlogisch und verfassungsrechtlich gebilligt. Anhaltspunkte für eine in Ansehung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts bestehende unzumutbare Ungleichbehandlung ergeben sich aber insbesondere auch angesichts der bereits festgestellten Unterschiedlichkeiten der Mitarbeitervertretungssysteme nicht. Fraglich ist jedoch, wie sich dies in den Bereichen verhält, die nicht vom kirchlichen Selbstbestimmungsrecht beeinflusst werden, weil insofern keine 1807  Siehe

dazu ausführlich oben S. 427 ff. dazu ausführlich bereits oben S.  191  ff., 209  ff., 216  ff., 223  ff., 359  ff., 372  ff., 378  ff. (Loyalitätspflichten) und S. 223  ff., 464  ff. (Koalitionssystem). 1808  Vgl.



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eigenen Angelegenheiten vorliegen. Spätestens hier wird in der Literatur häufig ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG gesehen.1809 Klar ist jedenfalls, dass ein bloßer Verweis auf den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum insoweit nicht greift, als es auf das kirchliche Mitarbeitervertretungssystem im Verhältnis zu dem weltlichen System ankommt, andere Alternativen der Ausgestaltung also keine Rolle spielen. Insoweit wird verlangt, dass der Gesetzgeber eine Regelung, sofern er sie einmal erlassen hat – unabhängig davon, ob er sie erlassen musste –, auch solange auf alle Bereiche anwendet, bis Sachgründe etwas Gegenteiliges legitimieren.1810 Damit kommt es entscheidend darauf an, aus welchen Gründen die Ungleichbehandlung erfolgt und inwieweit diese im Verhältnis zur beeinträchtigten Gleichbehandlungsforderung der betroffenen kirchlichen Mitarbeiter steht. Nicht überzeugend ist es zu argumentieren, dass jede kirchliche Regelung, die das kirchliche Selbstverständnis nicht berühre, auch nicht sachlich sein könne.1811 Denn der Gesetzgeber kann auch bestimmte Güter fördern und bewahren, auch wenn es die Verfassung nicht zwingend erfordert. Nur weil verfassungsrechtlich keine eigenen Angelegenheiten im Sinne von Art. 137 Abs. 3 WRV vorliegen, bedeutet dies nicht automatisch, dass der Gesetzgeber nicht den Kirchen an sich staatliche Gestaltungsfelder überlassen darf. Grenzen sind allein die aus den Grundrechten erwachsenden Schutzpflichten sowie andere Verfassungsgüter, die in einem für alle geltenden Gesetz zum Ausdruck kommen. Solange also das kirchliche Mitarbeitervertretungssystem die Rechte der Mitarbeiter aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht unangemessen beschränkt, ist dem Staat eine entsprechende Kirchenförderung möglich. Daher reicht es grundsätzlich auch aus, wenn der Staat die Ausklammerung der Kirchen aus dem Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsrecht aus Gründen der Verhinderung einer Kirchenspaltung zwischen West- und Ostdeutschland beschließt.1812 Auch dies ist zunächst ein Differenzierungsgrund, der in Relation zu dem durch Unterlassen bedingten Eingriff in Art. 3 Abs. 1 GG gestellt werden muss. 1809  Ruland (Fn. 1791), 97: „Nachdem er (d. i. der Staat; VH) sie (d. i. Betriebsverfassungsrechtsregelungen; VH) aber statuiert hat, kann er sie aus Gründen der Gleichbehandlung kirchlichen Mitarbeitern nur insoweit vorenthalten, als sie die Selbstverwaltung gefährden würden“; Classen, Religionsrecht, 2. Aufl. 2015, Rn. 451, der zumindest auf erhöhte Begründungsanforderungen hinweist, jedoch nicht erläutert, ob diese derzeit eingehalten wurden oder nicht. Vgl. dazu auch insgesamt Krüger, Die Eigenständigkeit der Kirchen im Personalvertretungsrecht, in: Die Personalvertretung 1988, 42 (43 f.). Anders hingegen Schwerdtner (Fn. 1791), 27, der eine Unsachlichkeit der Differenzierung gerade verneint. 1810  Ruland (Fn. 1791), 97. 1811  So aber insbesondere Ruland (Fn. 1791), 97. 1812  Vgl. dazu Richardi, Arbeitsrecht (Fn. 1793), § 16 Rn. 6 ff.

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Es ist nur eine leichte, nicht-intensive Beeinträchtigung der Mitarbeiter feststellbar. Denn in zahlreichen – auch zentralen – Bereichen unterscheiden sich weltliches und kirchliches Mitarbeitervertretungssystem nicht oder nur kaum; der hauptsächliche Unterschied ist in dem Umfang der Beteiligungsrechte der Mitarbeiter zu finden.1813 Hierbei erfahren Mitarbeiter in kirchlichen Einrichtungen weniger und teilweise schwächere Mitbestimmungsrechte als in der weltlichen Sphäre. Allerdings handelt es sich keinesfalls um gravierende oder elementare Bereiche, die unzweifelhaft der Mitbestimmung bedürfen. Alleine die Anzahl der nicht gewährten oder der in geringerem Umfang gewährten Beteiligungsrechte reicht für eine unsachgemäße Ungleichbehandlung nicht aus. Es müssen gerade solche Unterschiede bestehen, die angesichts des Zwecks – der Gewährung eines Freiraums für die Kirchen über Art. 137 Abs. 3 WRV hinaus – unangemessen sind. Das kann letztendlich daher nur solche Bereiche betreffen, die für die Mitarbeiter von erheblicher arbeitsbezogener Bedeutung sind. Denn je zentraler ein Bereich für die Wesensart der beruflichen Tätigkeit ist, desto entscheidender ist hierbei eine gleiche Behandlung der Mitarbeiter. Solche Bereiche, in denen Unterschiede bestehen, sind – zumindest solche, die nicht vom theologischen Selbstverständnis der Kirchen beeinflusst werden – indes nicht ersichtlich. Eine Ausnahme könnte dabei höchstens die Frage der Mitbestimmung bei Gestaltung des Lohns bilden: Hier fehlt es in kirchlichen Einrichtungen im Gegensatz zu weltlichen Betrieben gänzlich an Mitbestimmungsrechten der Mitarbeiter.1814 Das bedeutet, dass im weltlichen Bereich die Mitarbeiter stets über die Angemessenheit und Durchsichtigkeit des innerbetrieblichen Lohngefüges und die innerbetriebliche Lohngerechtigkeit mitentscheiden dürfen.1815 Da es sich um die kollektiven Grundsätze des Lohnwesens und nicht um die individuelle Lohnvereinbarung handelt,1816 bildet dieser Bereich einen der zentralen Gesichtspunkte des Arbeitslebens, in dem Gleichheit und Gerechtigkeit eine herausragende Rolle spielen und den betrieblichen Frieden in hohem Maße beeinflussen. Daher reicht für einen Ausschluss der betrieblichen Mitbestimmung in diesem Bereich der pauschale Hinweis auf die Gewährung des kirchlichen Freiraums nicht aus. Allerdings ist zu sehen, dass die Fragen des Lohns auch in besonderem Maße theologisch geprägt und beeinflusst sind. 1813  Eine Aufstellung sämtlicher Unterschiede zwischen weltlichem Personalvertretungsrecht und katholischem Mitarbeitervertretungsrecht hinsichtlich des Mitbestimmungsumfangs findet sich insbesondere bei Bietmann (Fn. 1792), 134 ff. 1814  Vgl. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, § 75 Abs. 3 Nr. 4 BPersVG im Gegensatz zu §§ 38 ff. MVG-EKD, §§ 26 ff. MAVO; vgl. dazu auch Bietmann (Fn. 1792), 135 ff.; vgl. dazu auch bereits oben S. 76 ff. 1815  Siehe dazu Kania, in: Müller-Glöge / Preis / Schmidt (Hrsg.), Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 18. Aufl. 2018, § 87 BetrVG Rn. 96; BAG, AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972; Richardi, in: ders. (Hrsg.), BetrVG, 15. Aufl. 2016, § 87 Rn. 747 ff. 1816  Ausführlich dazu Richardi (Fn. 1815), 751.



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Das zeigt bereits die Existenz des can. 1286 °2 CIC, der die kirchenrechtliche Verpflichtung eines „gerechten Lohns“ statuiert. Insbesondere scheint das Leitbild der Dienstgemeinschaft durch, das gerade auch auf eine hinreichende Lohngerechtigkeit einzuwirken vermag.1817 Damit aber ist die Frage der Lohngestaltung ein Bereich, der von dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht gem. Art. 137 Abs. 3 WRV getragen ist und daher eine entsprechende Ungleichbehandlung gerade wieder zu rechtfertigen vermag. Folglich sind keine solch gravierenden Unterschiede feststellbar, die nicht aufgrund des sachlichen Motivs der Förderung der kirchlichen Selbstverwaltung gerechtfertigt werden können. Soweit eine unsachgemäße Ungleichbehandlung der kirchlichen Mitarbeiter insbesondere auch deshalb vorliegen soll, weil die Justiziabilität und damit die Durchsetzung der mitarbeitervertretungsrechtlichen Rechte in erheblicher Weise erschwert seien,1818 kann dieser Befund nicht auf die Bewertung des Mitarbeitervertretungsrechts selbst bezogen werden. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine Frage des Rechtsschutzes und damit der Justizgewährung, die mit der Ausgestaltung des Mitarbeitervertretungssystems unmittelbar nicht in Verbindung stehen. Zu beachten ist schließlich wie bei der freiheitsrechtlichen Bewertung, dass die Mitarbeiter sich freiwillig und in Kenntnis der Mitarbeitervertretungsrechte für das Begründen eines Arbeitsverhältnisses mit der Kirche entschieden haben. Angesichts der eher geringen Differenzen vermag dies ein gewichtiges Kriterium zu sein, zumal keine besonders intensiven oder stark personenbezogenen Unterschiede und Beeinträchtigungen erkennbar sind, die die Freiwilligkeit der Handlungen der Mitarbeiter weniger gewichtig erscheinen ließen.1819 Daraus ergibt sich, dass die bestehenden Unterschiede zwischen welt­ lichem und kirchlichem Mitarbeitervertretungssystem nicht außer Verhältnis zu dem vom Gesetzgeber anvisierten Ziel der Gewährung eines kirchlichen, über das Selbstbestimmungsrecht hinausgehenden Freiraums stehen. Das gilt erst recht für solche Regelungsbereiche, die vom kirchlichen Selbstverständnis beeinflusst und daher vom kirchlichen Selbstbestimmungsrecht getragen werden. Aber auch in den übrigen Bereichen betreffen die Differenzen nicht solch elementare Bereiche, die eine strikte Gleichbehandlung in diesem Fall erfordern könnten.

ausführlich dazu Richardi, Arbeitsrecht (Fn. 1793), § 4 Rn. 20 ff. ausdrücklich Bietmann (Fn. 1792), 149. 1819  Vgl. zu der Rolle der Freiwilligkeit bei stark personenbezogenen Beeinträchtigungen die Diskussion um die Zulässigkeit des kirchlichen Verbots praktizierter Homosexualität bzw. des kirchlichen Verbots des Zusammenlebens mit einem Dritten trotz bestehender kirchenrechtlich gültiger Ehe oben S. 355 ff. bzw. S. 369 ff. 1817  Vgl. 1818  So

Zusammenfassende Thesen Im Folgenden sollen die zentralen Thesen jeweils nach den vorangegangenen Kapiteln geordnet kurz genannt werden:

I. Gegenstand: Das kirchenspezifische Arbeitsrecht nach dem einfachen Recht (1) Es gibt kein „kirchliches Arbeitsrecht“, sondern nur kirchenrechtliche Modifikationen vom weltlichen Arbeitsrecht, die zum Teil in Form einer Ergänzung, zum Teil in Form einer sektoralen Ersetzung für den kirch­ lichen Bereich von Bedeutung sind. Als Legitimationsgrundlage und zur plausiblen Darlegung einer eigenen Angelegenheit der Kirchen im Sinne von Art. 137 Abs. 3 WRV dient das Leitbild der Dienstgemeinschaft, nach dem alle Mitarbeiter in kirchlichen Einrichtungen ungeachtet ihrer Funktion gemeinsam an der Verwirklichung des Sendungsauftrags mitwirken. (2) Die kirchenspezifischen Modifikationen können in drei Säulen dargestellt werden: Einmal gelten im Individualarbeitsrecht neben den allgemeinen Vertragspflichten Loyalitätspflichten, die die Beachtung des christlichen Sendungsauftrags und der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre auch im Privatleben sicherstellen. Entsprechend haben die Kirchen modifizierte Umgangsrechte mit Bewerbern und letztlich bei Loyalitätsbruch die Möglichkeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Im Kollektivarbeitsrecht gilt als zweite Säule ein kircheneigenes Koalitionssystem, das das weltliche Tarifvertragssystem mit seinem Arbeitskampfrecht durch paritätisch besetzte Arbeitsrechtsregelungsverhandlungen ohne Arbeitskampf ersetzt. Nur in einzelnen evangelischen Landeskirchen werden Tarifverträge abgeschlossen – allerdings auch dort unter Ausschluss jeglichen Arbeitskampfs. Die dritte Säule bildet das kircheneigene Mitarbeitervertretungsrecht, das allerdings nur wenige basale Unterschiede zum weltlichen Betriebsverfassungsrecht aufzuweisen vermag, die insbesondere in dem Umfang der Mitwirkungsrechte der Vertretungen zu finden sind.



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II. Die verfassungsrechtliche Reflexion des Konflikts. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht und das kirchenspezifische Arbeitsrecht (1) Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gem. Art. 137 Abs. 3 WRV bildet die Grundlage für die Wirksamkeit kirchlicher Regelungen und Akte. Ob eigene Angelegenheiten vorliegen, richtet sich nach dem Selbstverständnis der Kirchen, so dass auf Grundlage der Dienstgemeinschaft das kirchenspezifische Arbeitsrecht als eine solche Angelegenheit zu werten ist. Eine Ausnahme ist allerdings bei weiten Teilen des Mitarbeitervertretungssystems zu machen: Das christliche Bild der Dienstgemeinschaft ist bei derzeitiger Ausgestaltung nicht in der Lage, sämtliche Regelungen zur Mitarbeitervertretung – etwa Anzahl der Mitarbeiter, die genaue Festlegung eines Mitbestimmungsrechts oder die Festlegung des Wahlsystems – als notwendig den Kirchen zu überlassende Materie zu qualifizieren. (2) Die Reichweitebestimmung des Selbstbestimmungsrechts erfolgt über die Abwägungslösung. Ein für alle geltendes Gesetz ist dabei jedes formelle Gesetz, das nicht als kirchenbezogenes Sonderrecht zu werten ist. Desweiteren gelten die allgemeinen Grundlagen der Grundrechtsdogmatik, nach der jedes beschränkende Gesetz insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – also letztlich der Angemessenheit – entsprechen muss. Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen ist zwar kein Grundrecht, als Freiheitsrecht ist es aber der (freiheits-)grundrechtlichen Dogmatik unterworfen. (3) Wegen der Organisationsfreiheit gilt die Kirchenautonomie nicht nur für die Kirchen selbst. Die Kirchen können diese zumindest partiell auf selbstständige Einrichtungen übertragen, sofern eine hinreichende inhaltliche wie organisatorische Verbindung zwischen Kirche und Einrichtung festzustellen ist. (4) Art. 137 Abs. 3 WRV ist die deckungsgleiche institutionelle Seite der Glaubensfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1, 2 GG, die allerdings für institutionell geprägte Fragestellungen dieser vorgeht und insofern lex specialis ist. (5) Die Grundrechte der Mitarbeiter gelten nur mittelbar für die Kirchen. Aufgrund des Justizgewährungsgebots müssen die grundrechtsgebundenen staatlichen Gerichte auch über kirchenbezogene Angelegenheiten entscheiden, auch wenn die Justiziabilität eingeschränkt sein kann. Die Reichweite der Beschränkung bestimmt sich im Einzelfall durch eine Abwägung zwischen Justizgewährung und kirchlicher Selbstbestimmung.

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(6) Etwaige Modifikationen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts nach der Konzeption des Grundgesetzes durch das Unionsrecht – insbesondere die Richtlinie 2000 / 78 / EG  – sind nicht anzunehmen, da die Union wegen Art. 17 AEUV auf dem Gebiet des Staat-Religion-Verhältnisses keine Regelungsbefugnisse besitzt. Der EuGH hat in seinen Urteilen vom 17.04.2018 und 11.09.2018 die Frage der Regelungskompetenz außer Acht gelassen und nur formelhaft zu Art. 17 AEUV Stellung genommen, was einen hinreichenden Grad an Argumentationskraft vermissen lässt. Der Gerichtshof verlangt für die Fälle, in denen die ­ Religionszugehörigkeit eine Einstellungsvoraussetzung ist, eine uneingeschränkte und ausschließlich aus weltlicher Sicht vorgenommene Verhältnismäßigkeitsprüfung. Dies schränkt die bislang bestehenden Rechte der Kirchen nach Art. 137 Abs. 3 WRV zwar ein. Ein „Paukenschlag“ ist dies indes nicht, zumal eine Abwägungsprüfung auch nach der hier vertretenen grundgesetzlich ausgerichteten Ansicht vertreten wird (siehe dazu sogleich III.).

III. Der verfassungsrechtliche Schutz der Mitarbeiter als Grenze des kirchenspezifischen Arbeitsrechts (1) Aus den Grundrechten erwachsen dem Staat Schutzpflichten. Diese können allerdings nicht verfassungsdogmatisch, sondern allein verfassungsbzw. grundrechtstheoretisch hergeleitet werden. Allein ihr Anwendungsmechanismus ist verfassungsdogmatisch zu bestimmen. Dabei ist zu sehen, dass die Grundrechte allgemein als gesellschaftliches Konstruk­ tionsmittel installiert sind, deren Aufgabe es ist, das Verhältnis zwischen Staat und Bürger grundlegend zu regeln. Grundrechtsfunktionen entspringen gesellschaftlichen Bedürfnissen, wie es auch die Verfassungsgeschichte eindrucksvoll zeigt. Der Verfassungstext schließt eine schutzbezogene Grundrechtsfunktion nicht aus. (2) Durch die Loyalitätspflichten werden unterschiedliche Grundrechte berührt. Dabei ist zwischen der abstrakten Wirksamkeit der Pflichten (Stufe 1) und der Zulässigkeit der konkreten sanktionierenden Kirchenakte (z. B. Kündigung; Stufe 2) zu differenzieren. Auf ersterer Ebene hängt die Grundrechtsbetroffenheit von dem jeweiligen Loyalitätsinhalt ab: – Das Verbot praktizierter Homosexualität berührt zunächst allein Art. 2 Abs. 1 GG, da die Menschenwürde nur ein objektivrechtlicher Grundsatz ist und Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG nur den Inte­ gritätsschutz gewährleistet. Sofern das Verbot an das Eingehen einer gleichgeschlechtlichen Ehe anknüpft, ist auch das Recht aus Art. 6



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Abs. 1 GG betroffen. Darüber hinaus wird auch Art. 3 Abs. 1 GG berührt, aus dem ebenfalls Schutzpflichten erwachsen. Ein besonderes Diskriminierungsverbot wird nicht berührt. – Das Verbot der Wiederheirat beeinträchtigt das Recht der Mitarbeiter aus Art. 6 Abs. 1 GG. Der Ehebruch dagegen wird – sofern nicht eine „wilde Ehe“ zwischen den Ehepartnern vereinbart ist – nur durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt, ebenso das Zusammenleben mit einem Dritten trotz kirchenrechtlich wirksamer Ehe. – Religionsbezogene Loyalitätspflichten berühren die Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1, 2 GG) sowie das besondere Diskriminierungsverbot gem. Art. 3 Abs. 3 S. 1 Var. 6 GG. – Sanktionen wegen sachlicher Differenz berühren je nach Gegenstand ebenfalls Grundrechte. In der Vergangenheit waren Verbote der Insemination, die Art. 12 Abs. 1 GG berühren, sowie Verbote bestimmter Aussagen, die mit Art. 5 Abs. 1 GG der Mitarbeiter in Konflikt stehen, häufig. Zudem besteht auch hier das Problem der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG). Auf zweiter Stufe steht insbesondere das den Bestand sowie den Erhalt des Arbeitsverhältnisses schützende Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG in Konflikt mit der kirchlichen Selbstbestimmung. Darüber hinaus müssen die Kirchen den Grundsatz der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) berücksichtigen. (3) Das kircheneigene Koalitionssystem berührt sowohl auf individueller wie auf kollektiver Ebene die Koalitionsfreiheit gem. Art. 9 Abs. 3 GG, wobei allerdings die Systemunabhängigkeit und Normgeprägtheit dieses Grundrechts bei der Festlegung des zutreffenden Maßstabs der Konfliktlösung berücksichtigt werden müssen. Die Koalitionsfreiheit ist nicht deshalb berührt, weil etwa das Streikrecht allgemein durch die Koali­ tionsfreiheit geschützt ist, sondern weil es möglicherweise stets vorgesehen sein muss. (4) Das Mitarbeitervertretungssystem berührt nicht ein allgemeines auf es bezogenes Grundrecht, sondern je nach Blickwinkel verschiedene Rechte, etwa die Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) oder das Recht auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG). (5) Die Feststellung, ob der Staat aufgrund einer Schutzpflicht handeln muss, ergibt sich nicht durch ein irgendwie ausgestaltetes „Mindestschutzniveau“, sondern durch die konsequente Übertragung der (abwehrrechtlichen) Ausgestaltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf Schutzkonstellationen. Entgegen der teilweise verwirrenden und undurchsichti-

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gen Literatur gilt daher: Gegenstand der Prüfung ist alleine das abstrakte Untätigsein des Staates, das zugunsten des geförderten Rechtsguts geeignet sein muss, wobei hier auf vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte zu achten ist. Die Erforderlichkeitsstufe entfällt, gibt es doch kein milderes, aber gleich geeignetes Mittel neben dem völligen Ausbleiben einer Handlung. Daher kommt es maßgeblich auf die Abwägung zwischen zu schützendem und geschütztem Rechtsgut an. Dabei ist zu berücksichtigen, dass aufgrund des indefiniten verfassungsrechtlichen Gegenteils dem Staat bei der Umsetzung ein Gestaltungsspielraum verbleibt. (6) Das Rechtsstaatsprinzip gilt nicht – auch nicht mittelbar – für die Kirchen. Eine möglicherweise bestehende „allgemeine Vorstellung“ vom Recht ergibt sich erst in Ansehung des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen und kann es daher auch nicht beschränken. Auch die rechtsstaatlichen Konkretisierungen können keine Schranken kirchlicher Selbstbestimmung sein, richten sie sich doch ausschließlich an den Staat und sind keine für alle geltenden Gesetze.

IV. Die verfassungsrechtliche Auflösung des Konflikts. 1. Die Abwägung als rationaler Diskurs (1) Gleichwohl häufig die Abwägung mit Dezisionismus und Irrationalität in Verbindung gebracht wird, ist sie hinreichend rational. Herrschende Theorien, die sich diese Tatsache zu beweisen zur Aufgabe gemacht haben, leiden allerdings unter dem Mangel, dass sie nur weitere Abwägungskriterien vorgeben, nicht aber die Rationalität der Anwendung dieser Kriterien als das eigentliche Rationalitätsproblem angehen. Eine einheitliche Messeinheit nützt indes nichts, wenn mit unterschiedlich arbeitenden oder unbekannten Messgeräten gearbeitet wird. (2) Die Rationalität der Abwägung ergibt sich aus ihrer Eigenschaft als Diskurs, der das Auffinden des „richtigen“ Ergebnisses zur Aufgabe hat. Richtig ist dabei das am besten begründete Ergebnis. Daher erfolgt die Abwägung über das Auffinden und Bewerten von Argumenten. Andere Maßstäbe gibt es nicht. Das Gewärtigen dieses Umstands ist für eine reflektierte Abwägung elementar. 2. Die Loyalitätspflichten und die Grundrechte der Mitarbeiter (1) Das BVerfG beschränkt die Grenzen der Wirksamkeit der Loyalitätspflichten zu Unrecht auf den ordre public, das Willkürverbot und die guten Sitten. Denn das Gericht modifiziert dadurch den Maßstab des



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Art. 137 Abs. 3 WRV im Wege eines illegitimen Verfassungswandels ohne dogmatisch haltbare Grundlage. Weder die eingeschränkte Justiziabilität kirchlicher Angelegenheiten, noch die Parallele zum bürgerlichen (internationalen) Recht, noch das Neutralitätsgebot, noch die Bedeutung der Glaubensfreiheit können diese Maßstabsmodifikation legitimieren. Das Grundgesetz fordert eine unbeschränkte Prüfung der Verhältnismäßigkeit und damit die Anwendung der allgemeinen Grundrechtsdogmatik. (2) Die Rechtsprechung des BVerfG steht überdies im Konflikt mit den Vorgaben des EGMR und damit der EMRK, die ebenfalls eine umfassende Abwägung erfordert. Die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes verlangt auch hier eine entsprechende Berücksichtigung dieser Vorgaben. Dass ein mehrpoliges Grundrechtsverhältnis vorliegt, kann daran nichts ändern, weil der EGMR inhaltlich denselben Vorgaben wie das BVerfG unterliegt und damit kein Unterschied zu eindimensionalen Grundrechtskonstellationen zu erkennen ist. (3) Die Anerkennung der einzelnen Loyalitätspflichten unterliegt nicht nur allgemeinen Argumenten, die je nach Loyalitätspflicht anders einzusetzen sind, sondern auch spezifischen Argumenten: – Das Verbot praktizierter Homosexualität ist unzulässig. Dafür streitet allerdings nicht die Menschenwürde, die nur bei Negierung des Menschseins an sich berührt ist. Ferner gilt: Zwar ist der Schutz der Glaubwürdigkeit der Kirche sowie ihrer Glaubensnormen, deren Gewährleistung die Loyalitätspflichten dienen, als hoch einzuschätzen. Allerdings bedeutet das Verbot einen massiven Einschnitt in einen nicht steuerbaren Teil der Persönlichkeit des Betroffenen und die Generierung eines Stigmas, dessen Bewältigung mithin zu einer Leugnung oder Negierung des Selbsts führt, so dass auch das Argument des freiwilligen Vertragsabschlusses (venire contra factum proprium) nicht zu überzeugen vermag. – Das Gleiche gilt analog für das Verbot des Zusammenlebens mit einem Dritten trotz bestehender wirksamer Ehe. Auch hier wird ein nicht steuerbares, die innerste Persönlichkeit ausdrückendes Bedürfnis untersagt, das trotz Freiwilligkeit des Betroffenen das hohe Gut kirchlicher Glaubwürdigkeit nicht zu übertreffen vermag. – Das Verbot des Kirchenaustritts darf sich nur auf die Kirche des Dienstgebers beziehen, weil nur insoweit die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Glaubenslehre in Gefahr steht. – Die übrigen Loyalitätspflichten sind verfassungsrechtlich zulässig. Insbesondere ist dabei die Freiwilligkeit der Mitarbeiter, die Verbindlichkeit der Loyalitätspflicht ausdrücklich zu erklären, ein starkes Ar-

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gument. Auch das Gebot der Ungleichbehandlung verhindert die Wirksamkeit nicht, ist dem Selbstbestimmungsrecht eine solche Differenzierung doch immanent und daher vom Grundgesetz akzeptiert. (4) Abstufungen der Loyalitätspflichten sind nur insofern zu berücksichtigen, als die Kirchen diese selbst bestimmen (etwa bei der Notwendigkeit der Kirchenzugehörigkeit ausschließlich bei bestimmten Positionen), um nicht den Neutralitätsgrundsatz zu verletzen. Etwas Anderes gilt allerdings bei dem Verbot des Austritts aus einer Kirche, das aufgrund der Abwägung nur für die Mitglieder derjenigen Kirche gilt, die auch Dienstgeber ist (s. o.). (5) Sanktionen (insb. Kündigungen) durch die Kirchen im Einzelfall sind grundsätzlich zulässig, sofern nicht besondere Umstände eine Unzumutbarkeit für den betroffenen Mitarbeiter begründen. So müssen die Kirchen insbesondere die Möglichkeit einer künftigen Beschäftigungsmöglichkeit außerhalb kirchlicher Dienststätten sowie die Gleichbehandlung der Mitarbeiter bei der Sanktionsanwendung berücksichtigen. Die Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG erfordert über die Anwendung der § 1 KSchG, § 626 BGB in jedem Fall die Berücksichtigung sämtlicher kündigungsrelevanter Umstände. 3. Die kirchlichen Koalitionssysteme und die Grundrechte der Mitarbeiter (1) Bei der Gestaltung des kircheneigenen Koalitionssystems handelt es sich nicht um einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG, sondern um die Konstituierung des Schutzbereichs und damit um eine (private) Ausgestaltung. Die Kirchen haben dazu die Ausgestaltungsbefugnis vom Staat übertragen bekommen und unterliegen daher denselben Ausgestaltungsgrenzen. Dabei geht der Maßstab des Art. 9 Abs. 3 GG dem des Art. 137 Abs. 3 WRV als speziellerer Ausgestaltungsmaßstab vor. (2) Ausgestaltungen haben ausschließlich den Kernbereich der Koalitionsfreiheit zu beachten. Dabei handelt es sich nicht um ein abwägungsbasiertes Relationsmodell, sondern um einen statischen Bereich, der über eine Bestimmung der elementaren, für ein vom Grundgesetz vorgesehenes Koalitionssystem unabdingbaren, und nicht von politischen und kulturellen Einflüssen getränkten Strukturelemente zu ermitteln ist. (3) Das Tarifvertragssystem gehört selbst nicht zum Kernbereich der Koalitionsfreiheit, sondern nur die Koalitionsautonomie, also das freie, eigenständige und unabhängige Tätigwerden der beteiligten Parteien. Insbesondere die Koalitionen dürfen nicht abhängig von Dritten agieren und



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getroffene Entscheidungen dürfen nicht einseitig durch Dritte oder die andere Partei geändert oder aufgehoben werden. (4) Durch diese grundlegende Gewährung der Koalitionsautonomie ergeben sich indes weitere Folgerungen für die Ausgestaltung kirchlicher Koali­ tionssysteme, die infolgedessen bestimmte Eigenschaften aufweisen müssen: – Auf Seiten der Mitarbeiter dürfen grundsätzlich nur Koalitionen beteiligt werden, da nur ihnen überhaupt das entsprechende Recht des Art. 9 Abs. 3 GG zusteht. Alleine die Koalitionen entscheiden, wer für sie die Arbeitsrechtsregelungen vereinbaren soll. – Ein Letztentscheidungsrecht Dritter, durch das getroffene Vereinbarungen einseitig geändert oder verhindert werden können, ist auszuschließen. Ein solches inhaltliches Letztentscheidungsrecht gilt nicht zu besorgen, sofern der Dritte – wie etwa der Diözesanbischof in der katholischen Kirche – zwar ein Letztentscheidungsrecht innehat, dies aber exakten rechtlichen Grenzen unterliegt, die auch die Arbeitsrechtsregelungskommission binden. Das Gleiche gilt für paritätisch besetzte Zwangsschlichtungen etwa in den evangelischen Kirchen, da auch hier eine einseitige Einwirkung auf getroffene Vereinbarungen nicht zu besorgen ist. – Ein Zutrittsrecht betriebsfremder Koalitionsmitglieder in kirchlichen Einrichtungen gehört nicht zum Kernbereich und ist daher nicht zu gewährleisten. Etwas Anderes gilt allerdings dann, wenn die Koalitionen keine betriebszugehörigen Mitglieder aufweisen. Dann steht ihnen ein Zutrittsrecht zu. – Die Parität, also ein ungefähres Gleichgewicht zwischen den Parteien, ist kein funktionszwingendes Merkmal der Koalitionsfreiheit. Die Koa­ litionsautonomie als Kernbereich der Koalitionsfreiheit verlangt allein eine freie, eigenständige und unabhängige Entscheidung der Parteien. Die entgegengesetzte Argumentation mithilfe der Richtigkeitsgewähr durch Parität gewährter Entscheidungen ist verfassungsrechtlich nicht haltbar. – Die Kirchen sind nicht verpflichtet, Arbeitskampfmaßnahmen zu gewährleisten. Weder kann ein Widerspruch im Selbstverständnis festgestellt werden, noch ist im Streikrecht ein funktionszwingendes Koalitionsfreiheitsmoment zu sehen. – Getroffene Arbeitsrechtsregelungen müssen verbindliche Wirkung entfalten. Eine normative Wirkung i. S. v. § 4 TVG muss ihnen allerdings nicht zukommen. Es genügt, wenn die Möglichkeit der Nichtanwendung ausgeschlossen ist.

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(5) Der „modifizierte Zweite Weg“ in einzelnen evangelischen Landeskirchen ist nach dem Vorgesagten ebenfalls zulässig, sofern die Tarifverhandlungen mitarbeiterseitig durch die Koalitionen bestimmt werden. (6) Eine Gleichbehandlung von weltlichen Tarifverträgen und kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen ist bei tarifdispositivem Recht nur im Einzelfall erforderlich, sofern eine Abwägung zwischen dem gesetzgeberischen Grund für die Nichtgleichstellung und kirchlichem Selbstbestimmungsrecht, der Koalitionsfreiheit oder dem Gleichbehandlungsrecht der Mitarbeiter dies ergibt. Wegen der Vergleichbarkeit von weltlichen Tarifverträgen und kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen sind beide allerdings bei der Inhaltskontrolle durch staatliche Gerichte gleich zu behandeln und damit nur einer Rechtmäßigkeitskontrolle zu unterwerfen. 4. Das kircheneigene Mitarbeitervertretungssystem und die Grundrechte der Mitarbeiter (1) Sofern die Regelungen zum kirchlichen Mitarbeitervertretungssystem vom Selbstverständnis der Kirchen beeinflusst sind, ist von einer entsprechenden verfassungsrechtlichen Zulässigkeit auszugehen, da das hohe Gut kirchlicher Glaubwürdigkeit den nicht intensiven Eingriff in das Recht der Mitarbeiter aus Art. 12 Abs. 1 GG bzw. Art. 2 Abs. 1 GG zu rechtfertigen vermag. (2) Aber auch im Bereich nicht eigener Angelegenheiten der Kirchen, also bei vom Selbstverständnis der Kirchen unabhängigen Regelungen, ist das Mitarbeitervertretungssystem der Kirchen gerechtfertigt. Hintergrund ist, dass der Staat in diesem Fall zwar grundsätzlich die Aufgabe zur Bereitstellung eines entsprechenden Systems hat, hier jedoch einen Gestaltungsspielraum besitzt und insoweit auch den Kirchen die Ausgestaltung überlassen darf, zumindest sofern nicht dabei der Schutz der Mitarbeiter missachtet wird. Eine solche unangemessene Ausgestaltung durch die Kirchen ist aber nicht ersichtlich, zumal relativ wenige gravierende Unterschiede zwischen weltlichem System und kirchlichen Systemen ersichtlich sind. (3) Auch gleichheitsrechtlich verstoßen die kirchlichen Regelungen zum Mitarbeitervertretungssystem nicht gegen den grundgesetzlichen Schutzauftrag. Zu berücksichtigen sind hier die aufgrund der nur geringen Unterschiede zum weltlichen System festzustellende geringe Beeinträchtigungsintensität und die Freiwilligkeit des Vertragsabschlusses.

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Sachwortverzeichnis Abwägung  273 ff. –– Abwägungskriterien  282 ff. –– Abwägungskritik  275 ff. –– als rationaler Diskurs  274 ff., 278 ff. –– Europäischer Gerichtshof  133 ff. –– Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte  288 ff. –– intendierte  286 ff., 300 ff. –– Prinzipientheorie  277 –– rationalitätsdefizitär  275 ff. –– Strukturierende Rechtslehre  277, 283 f. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz  34 ff., 133, 165, 191, 378, 395 f., 397 ff., 401 f. allgemeine Handlungsfreiheit  siehe Handlungsfreiheit allgemeines Persönlichkeitsrecht  siehe Persönlichkeitsrecht Arbeitsrecht der Kirchen  siehe kirchenspezifisches Arbeitsrecht Arbeitsrechtliche Kommissionen –– Arbeitsrechtsregelungen  siehe Arbeitsrechtsregelung –– Besetzung durch Koalitionen  427 ff. Arbeitsrechtsregelung –– Inhaltskontrolle  471 ff. –– verbindliche Wirkung  459 ff. –– Verhältnis zu Tarifverträgen  464 ff. Ausgestaltung –– Abgrenzung zum Eingriff  405 ff. –– Kernbereich  172 ff., 416 ff. –– Verhältnis zur Schutzpflicht  414 ff. Berufsfreiheit  168 ff., 387 ff., 480 ff. Bundesverfassungsgericht

–– Rechtsprechung zur Loyalitätspflicht  286 ff., 384 ff. –– ultra-vires-Kontrolle  324 ff. –– und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte  288 ff. –– und der Europäische Gerichtshof  324 ff. bürgerliche Wirksamkeit  126 ff. Chefarzt-Fall 150 ff. Dienstgemeinschaft –– allgemein  28 ff. –– und Loyalitätspflichten  91 f. –– und Mitarbeitervertretung  94 ff. –– und Streikverbot  53 ff. Diskriminierung  siehe Ungleichbehandlung Diskurs  278 ff. Drei-Stufen-Lehre  388 f. Dritter Weg  56 ff., 218 ff., 423 ff. Egenberger-Fall  139 ff. Ehe  siehe Freiheit der Ehe Einstellung  45 ff. Europäische Menschenrechtskonven­tion  288 ff. Europäische Union –– Europäischer Gerichtshof  siehe Europäischer Gerichtshof –– Kompetenzen  135 ff. Europäischer Gerichtshof  133 ff., 150 ff., 324 ff. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte  288 ff. Familie  178 f. Freiheit der Ehe

550 Sachwortverzeichnis –– als Kulturfaktor  175 f. –– als Kulturprodukt  175 f. –– basaler Zweck  178 f. –– eheähnliches Zusammenleben  369 ff. –– Ehebruch  367 f. –– Geschlechtsverschiedenheit  173 ff. –– Kernbereich  172 ff. –– und Homosexualität  171 ff., 357 ff. –– Wiederverheiratung  369 Freiwilligkeit Geschlechtsverschiedenheit  siehe Freiheit der Ehe Gewichtformel  274 ff., 283 f. Glaubwürdigkeit  siehe Loyalitätspflichten Gleichheitsrecht –– als Schutzpflicht  191 ff. –– gleichheitsrechtliche Bewertungen  191 ff., 209 f., 216 f., 223, 230 f., 359 ff., 372 ff., 378 ff., 392 ff., 464, 470 f., 488 ff. –– Verhältnismäßigkeitsprüfung (bei Schutzpflichten)  256 ff. Grundrechte –– als Schranken des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen  123 ff. –– als Schutzpflichten  153 ff. –– mittelbare Geltung im kirchlichen Bereich  124 ff. –– unmittelbare Geltung im kirchlichen Bereich  123 f. Grundrechtliche Schutzpflichten  siehe Schutzpflichten Grundrechtsgeltung  130 f. Grundrechtstheorie  157 f. Grundrechtsverzicht  337 ff. Grundrechtswirkung  130 f. Gute Sitten  300 ff. Handlungsfreiheit  186 ff. –– und betriebliche Mitbestimmung  480 ff.

–– und eheähnliches Zusammenleben  369 ff. –– und Ehebruch  367 ff. –– und Homosexualität  188 ff. Homosexualität –– allgemeine Handlungsfreiheit  188 ff. –– allgemeines Persönlichkeitsrecht  188 ff. –– als Teil der Persönlichkeit  351 ff. –– betroffene Grundrechte  170 ff. –– gleichheitsrechtliche Bewertung  359 ff. –– Stigma  353 ff. –– Zulässigkeit des Verbots der praktizierten Homosexualität  343 ff. Inhaltskontrolle  471 ff. Justizgewährungsanspruch  124 f., 126 ff. Justiziabilität  302 f. Kirchenaustritt  42 ff., 208 ff., 374 f. kirchengemäße Tarifverträge  65 f. kirchenspezifisches Arbeitsrecht –– Begriff  25 ff. –– und das staatliche Arbeitsrecht  107 ff. Kirchenzugehörigkeit  322 ff., 373 ff., 399 ff. kirchliches Selbstbestimmungsrecht  ­siehe Selbstbestimmungsrecht der Kirchen Koalitionsfreiheit  468 ff., 477 ff., 487 f. –– als normgeprägtes Grundrecht  404 ff. –– Ausgestaltung  404 ff. –– Betätigungsrechte der Koalitionen  435 ff. –– freies, eigenständiges und unabhängiges Handeln  430 ff. –– Kernbereich  416 ff., 427 ff. –– Parität als Moment des Kernbereichs  438 ff. –– Streikrecht als Moment des Kernbereichs  444 ff.

Sachwortverzeichnis551 –– und das kirchliche Letztentscheidungsrecht  431 ff. –– und der modifizierte „Zweite Weg“  462 ff. Koalitionssystem der Kirchen  siehe auch Tarifvertragssystem –– als eigene Angelegenheit der Kirchen  93 ff. –– als rechtliche Ausgestaltung  410 ff. –– Ausgestaltung 58 ff. –– Zulässigkeit  402 ff. Kompetenzproblem  136 ff. Kündigung  48 ff., 164 f., 382 ff. Kündigungsschutz  siehe Kündigung Letztentscheidungsrecht  59 f., 69 f., 431 ff. Loyalitätspflichten –– Abstufung  43 ff., 147 ff., 319 ff. –– als eigene Angelegenheit der Kirchen  91 ff. –– Ausgestaltung  42 ff. –– binäre Prüfungsstruktur  163 ff. –– bürgerliche Wirksamkeit  166 ff., 285 ff. –– einzelfallbezogene Sanktionsbewertung  382 ff. –– Freiwilligkeit  355 ff. –– Funktionen  329 ff. –– Glaubwürdigkeit  330 ff. –– gleichheitsrechtliche Bewertung  359 ff., 364 ff., 378 ff., 392 ff. –– Inhalt  42 ff. –– Kategorien  167 ff. –– Kirchenaustritt  374 ff. –– Kirchenzugehörigkeit  373 ff. –– Kündigung  164 f., 382 ff. –– Nichteinstellen des Bewerbers  394 ff. –– öffentliches Bekennen –– Rechtsgrundlagen  33 ff. –– sachliche Differenzen  380 ff. –– und Europarecht  133 ff. –– und Nebenpflichten  36 ff.

–– Verbot praktizierter Homosexualität  siehe Homosexualität Menschenwürde  179 ff. –– als Grundrecht  179 ff. –– Inhalt  344 ff. –– und allgemeines Persönlichkeitsrecht  186 ff. Methodenfragen als Verfassungsfragen  282 f. Mitarbeitervertretung –– als eigene Angelegenheit der Kirchen  94 ff. –– Ausgestaltung  76 ff. –– betroffene Grundrechte  223 ff. –– Rechtsgrundlagen  73 ff. –– und Europarecht  152 ff. –– Zulässigkeit  479 ff. Neutralität  305 ff. Ordre public  300 ff. Parität  438 ff. Persönlichkeitsrecht  186 ff. –– Abgrenzung zur allgemeinen Handlungsfreiheit  186 ff. –– Sphärentheorie  190 Prinzipientheorie  156, 277 Rationalität  278 ff. Rechtsstaatsprinzip  261 ff. –– allgemeiner Teil  264 ff. –– grundgesetzliche Konkretisierungen  267 ff. –– kirchenrechtliche Geltung  271 ff. –– mittelbare Geltung im kirchl. Bereich  266 f. –– Reichweite  263 ff. Religion  19 ff. Religions- und Glaubensfreiheit  372 ff. –– Verhältnis zum Selbstbestimmungsrecht der Kirchen  117 ff. Religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates  siehe Neutralität

552 Sachwortverzeichnis Rezeption  siehe Europäische Menschenrechtskonvention Schutzberechtigte Schutzniveau  242 ff. Schutzpflichten  153 ff. –– aus dem Rechtsstaatsprinzip  261 ff. –– Gleichheitsrechte  256 ff. –– Grundrechtsverzicht  337 ff. –– Herleitung  154 ff. –– Schutzberechtigte  161 f. –– Schutzgüter  162 ff. –– Schutzverpflichteter  161 f. Selbstbestimmungsrecht der Kirchen  81 ff., 466 ff., 474 ff. –– Abwägungslösung  102 ff. –– als institutionelles Freiheitsrecht  117 ff. –– Arbeitsrecht als eigene Angelegenheit  90 ff. –– eigene Angelegenheiten der Kirchen  81 ff. –– Maßstabskonkurrenz zur Koalitionsfreiheit  420 ff. –– personelle Dimension  111 ff. –– prozessuale Dimension  117 ff. –– Rechtsstaatsprinzip als Grenze  261 ff. –– Rechtsträger  111 ff. –– Regelungsautonomieableitung  111 ff. –– Reichweitebestimmung  102 ff. –– und Arbeitsrechtsregelungen  466 ff. –– und das Unionsrecht  132 ff. –– und Glaubensfreiheit  117 ff. –– Verhältnis zu Grundrechten  123 ff.

–– Verhältnis zur Glaubensfreiheit  117 ff. Selbstverständnis der Kirchen  83 ff. Sendungsauftrag 333 f. Stigma  53 ff. Streikverbot –– Ausgestaltung  51 ff. –– im Widerspruch zum kirchlichen Selbstverständnis  445 ff. –– Rechtsgrundlagen  56 ff. –– und der Kernbereich der Koalitionsfreiheit  450 ff. Strukturierende Rechtslehre  277, 283 f. Tarifvertragssystem –– Ablehnung durch Kirchen  52 ff. –– als Gegenstand der Koalitionsfreiheit  218 ff., 424 ff. –– Tarifverträge  464 ff. ultra-vires-Kontrolle  324 ff. Ungleichbehandlung  359 ff., 364 ff., 378 ff., 392 ff, 470 ff., 477 f., 488 f. venire contra factum proprium 335 f. Verfassungstheorie 307 f. Verfassungstheorie  siehe Grundrechtstheorie Verhältnismäßigkeitsprinzip  256 ff., 391 ff. Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes  288 ff. Willkür  286 ff. Willkürverbot  300 ff. Zweiter Weg  65 ff., 462 ff.