Heimat und Ökonomie: Historische Verortungen zur Interdependenz eines nachhaltigen Heimat-Konzeptes und zukunftsfähiger wirtschaftlicher Aktivität [1 ed.] 9783428581672, 9783428181674

Kaum ein Begriff steht häufiger in der öffentlichen Diskussion und im Mittelpunkt verschiedener Fachrichtungen als der B

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Heimat und Ökonomie: Historische Verortungen zur Interdependenz eines nachhaltigen Heimat-Konzeptes und zukunftsfähiger wirtschaftlicher Aktivität [1 ed.]
 9783428581672, 9783428181674

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CHEMNITZER EUROPASTUDIEN

Band 24

Heimat und Ökonomie Historische Verortungen zur Interdependenz eines nachhaltigen Heimat-Konzeptes und zukunftsfähiger wirtschaftlicher Aktivität

Von Sebastian Schmidt

Duncker & Humblot · Berlin

SEBASTIAN SCHMIDT

Heimat und Ökonomie

Chemnitzer Europastudien Herausgegeben von Frank-Lothar Kroll und Matthias Niedobitek

Band 24

Heimat und Ökonomie Historische Verortungen zur Interdependenz eines nachhaltigen Heimat-Konzeptes und zukunftsfähiger wirtschaftlicher Aktivität

Von Sebastian Schmidt Mit einem Geleitwort von Frank-Lothar Kroll

Duncker & Humblot · Berlin

Die Philosophische Fakultät der Technischen Universität Chemnitz hat diese Arbeit im Jahr 2020 als Dissertation angenommen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Satz: Textforma(r)t Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany

ISSN 1860-9813 ISBN 978-3-428-18167-4 (Print) ISBN 978-3-428-58167-2 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für Tami und Thius

Geschichte – Heimat – Wirtschaft. Ein Geleitwort Von Univ.- Prof. Dr. Frank-Lothar Kroll Kaum ein seit Jahrhunderten vielfältig genutzter und bewährter Begriff der deutschen Alltagssprache ist in den letzten Jahren stärker in den Mittelpunkt öffentlicher Diskussionen und politischer Tagesdebatten gerückt worden als der Begriff „Heimat“. Seine gerade im deutschen Sprachgebrauch – unabhängig von allen politischen Einstellungen – lange Zeit positiv besetzten Sinnstiftungen werden neuerdings fragwürdigen Konnotationen zugeordnet, seine Verwendung wird „hinterfragt“, teilweise sogar geflissentlich gemieden. Die Dissertationsschrift von Sebastian Schmidt löst den Heimatbegriff wohltuend aus den ihn aktuell umbrandenden Erregtheiten und stellt ihn in einen überraschend originellen, so in dieser Form bisher noch nicht eingehender erörterten Deutungszusammenhang. Des Verfassers Augenmerk gilt den ökonomischen Aspekten des Begriffsfeldes „Heimat“. Ihn interessiert die Interdependenz von „Heimat“ und „Wirtschaft“. Er fragt nach der Wechselbeziehung zwischen Heimatbindung und wirtschaftlicher Aktivität. Was auf den ersten Blick vielleicht als rasch abzuhandelndes Randphänomen gelten könnte, gerät in der Darstellung Sebastian Schmidts zu einer kritischen, ebenso durchdachten wie innovativen Auseinandersetzung mit Grundfragen und Grundproblemen der modernen Wirtschaft. Dabei werden seine Ausführungen nicht nur historisch unterfüttert. Sie verbinden sich zudem mit der Präsentation einer eigenständigen These – einer These, die nichts Geringeres zu geben verspricht, als Fingerzeige und Handlungsanweisungen zur Überwindung der gegenwärtig vorherrschenden globalen Überflussökonomie mit ihren ressourcenvergeudenden und umweltbelastenden Begleiterscheinungen und ihren hohen sozialen Folgekosten. Angesichts der grundsätzlichen Infragestellung der durch die „Corona“-Pandemie mit allen ihren gegenwärtig noch gar nicht abzuschätzenden Langzeitschäden einmal mehr in die Kritik geratenen Globalisierung wirtschaftlicher Handelsströme besitzt eine solche Fragestellung ein hohes, kaum zu übertreffendes Maß an Aktualität. Sebastian Schmidt gliedert sein Vorhaben in sechs Kapitel von unterschiedlicher Gewichtung. Das erste Kapitel dient der Begriffsklärung, das dritte Kapitel widmet sich der Kritik des Systems der Überflussökonomie. Es orientiert sich an den Leitbegriffen „Wertschöpfung“ und „Wertschätzung“ und führt hinüber zu den beiden zentralen Abschnitten der Untersuchung: dem im vierten Kapitel vorgetragenen Entwurf eines „nachhaltigen Heimat-Konzeptes“ und eines daran orientierten hei-

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Geschichte – Heimat – Wirtschaft. Ein Geleitwort

matbezogenen Wirtschaftsbewusstseins „als Voraussetzung der Realisierbarkeit zukunftsfähigen Wirtschaftens“, sowie den im sechsten Kapitel präsentierten praktischen Vorschlägen heimatbezogener Wertschöpfungsansätze. Ein als fünftes Kapitel eingeschalteter knapper Exkurs wertet Interviews aus, die der Verfasser mit diversen Akteuren nachhaltig heimatbezogenen Wirtschaftens geführt hat und dient zur empirischen Untermauerung des von ihm entwickelten Ansatzes. Das zweite Kapitel, das umfänglichste der ganzen Arbeit, skizziert in problemorientierter Bündelung die historische Entwicklung des Heimatbegriffs im 19. und 20. Jahrhundert vor dem Hintergrund der Wirtschafts-, Gesellschafts- und Konsumgeschichte Deutschlands. In seinen historischen Darlegungen greift Sebastian Schmidt bis weit zurück an den Beginn des 19. Jahrhunderts. Während damals viele Vertreter der deutschen Romantik den Heimatbegriff nicht selten noch mit naturmystischen Konnotationen versahen, erblickte Johann Gottlieb Fichte in ihm – wohl als einer der Ersten – bereits Potenziale zu seiner ökonomischen Nutzbarmachung. Verbunden mit dem wirtschaftlichen Aufschwung im Deutschen Bund seit Mitte der 1830er Jahre und dem zeitgleich beginnenden Prozess der Hochindustrialisierung, offenbarte der Heimatbegriff dann jene Doppelgesichtigkeit, die ihn fortan charakterisieren sollte, und deren Entwicklung der Verfasser in seiner historischen Darlegung eingehend nachzeichnet: Heimat als Wirtschaftsfaktor einer modernen, mobilen und konsumorientierten Gesellschaft einerseits – Heimat als Rückzugsort für ein großstadtmüdes, zunehmend bindungslos werdendes Publikum andererseits, das in einer ländlich-ruralen Umgebung sein Ideal eines „einfachen Lebens“ suchte, fern aller urbanen Dynamik und hektisch bedienten Wachstumseuphorie. In dieses ambivalente Spannungsfeld war der Heimatbegriff auch im 20. Jahrhundert eingebunden. Die Parameter, an denen sich die dabei um ihn geführten Diskussionen und Kontroversen orientierten, lauteten: Industrialismus versus Natur-, Landschafts- und Umweltschutz / Kapitalismus versus Zivilisationskritik / ​ Konsum versus Heimatschutz und Heimatpflege. In den 1930er Jahren erlebte der Heimatbegriff dann jene ihm bis heute angelastete partielle semantische Gewichtverlagerung zu „völkischen“, teilweise rassenideologisch imprägnierten Deutungsvarianten, ohne dass er indes völlig in solchen Untiefen verkam und versank. Parallel dazu gab es nämlich schon damals im Rahmen einer neuerlichen Wertschätzung des Regionalen eine verstärkt ökonomische Nutzung „heimatlicher“ Güter, Produkte und „Marken“– bis hin zu deren touristischer Aktivierung im Umfeld lokaler Traditionen, etwa dem „Christkindlsmarkt“ in Nürnberg, dem „Striezelmarkt“ in Dresden oder dem „Oktoberfest“ in München. Über die wachsende Vermarktung regionaler Waren und die damit verbundene steigende Bedeutung des Regionalismus als Wirtschaftsfaktor gelangte dann in den Jahrzehnten nach 1945 die identitätsstiftende Wirkung des Heimatbegriffs zunehmend in den Fokus verstärkter wirtschaftlicher Aktivitäten. Diese von Sebastian Schmidt in langen Linien historisch zurückverfolgte und bis heute unverändert anhaltende Tendenz zur Regionalisierung des Konsums,

Geschichte – Heimat – Wirtschaft. Ein Geleitwort

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maßgeblich gefördert durch den millionenfach entwurzelnden Heimatverlust der Exilanten, Flüchtlinge und Vertriebenen im Gefolge des Zweiten Weltkriegs, bildet in seiner Untersuchung das thematische und inhaltliche Scharnier. Es leitet von der historischen Analyse hinüber zu gegenwartsaktuellen Entwicklungen und zur Entfaltung der eigenen Konzeption des Verfassers von einem heimatbezogenen Wirtschaftsmodell. Im Blick auf die spätestens seit den 1970er Jahren einsetzende und seitdem anhaltend positive Neueinschätzung der „Region“ und ihrer Gefühlswerte – selbst in der DDR („Werte unserer Heimat“) – sowie einer damit einhergehenden Wiederbelebung des Heimatbegriffs (Heimatmuseen, Dorferneuerungen, „Romantik-Hotels“) konstatiert Sebastian Schmidt ein erhebliches Potenzial an wirtschaftlichen Vermarktungsmöglichkeiten regionaler, lokaler und heimatbezogener Erzeugnisse  – im gastronomischen Bereich und in der Nahrungsmittelbranche ebenso wie auf dem Feld eines allgemeinen „Lifestyles“. Dieser Beobachtung kontrastiert indes der weit verbreitete Hang zum Massenkonsum als Folge wie auch als Beschleunigungsfaktor der Globalisierung. Für diese Untugend bietet sich der Begriff „Überflussökonomie“ an, deren Modalitäten und Mechanismen vom Verfasser einer eingehenden Analyse und Kritik unterzogen werden. Güteranhäufung und Überproduktion, Wegwerfmentalität, Billigpreise und Haltbarkeitsbegrenzungen – mit solchen Stichworten wird das Problempotenzial der „Überflussökonomie“ markiert. Und es wird als Gegenmodell eben jenes „heimatbezogene Wirtschaftsbewusstsein“ präsentiert, das dem Ziel jeden Wirtschaftens – der Befriedigung von Bedürfnissen – Rechnung trägt, zugleich jedoch das entstandene Missverhältnis von Wertschöpfung („Erstellung von Dingen“) und Wertschätzung („Umgang mit den Dingen“) ausgleicht. Der „Einfluss von Heimatbewusstsein im Sinne eines mehrdimensionalen Verständnisses von Heimat auf die wirtschaftliche Tätigkeit“ kann mit den Worten des Verfassers auf diese Weise nutzbar gemacht werden. Diese Konzeption betont die ethische Dimension der Wirtschaft, ihre Lebensdienlichkeit und Gemeinwohlorientierung. Sie zielt auf die Schaffung wertvoller Güter. Und sie bezieht in weitgespannter Perspektive Erfahrungen und Erkenntnisse der Glücksforschung in ihren Argumentationsgang ein. Den unbestreitbaren Beziehungsverlusten globalen Wirtschaftens stellt Sebastian Schmidt sein Modell kleinteiliger, heimatbezogener Wertschöpfungsprozesse gegenüber, die, eingebunden in regionale Wirtschaftskreisläufe, zur Neubildung verlorengegangener Identitäten beitragen können. Ein solches Modell dürfte, nicht zuletzt, auch für jene, die im Gefolge der „Flüchtlingskrise“ seit 2015 von weither nach Deutschland kommen und in Deutschland bleiben wollen, mancherlei verlockende Integrationsangebote zu einer „Heimat-Anverwandlung“ bereithalten. Mit alledem stellt sich die Frage nach den Realisierungschancen des vom Verfasser entwickelten Konzepts „heimatbezogenen Wirtschaftens“. Er hat hierzu in einem „Exkurs“ an Hand von Befragungen ausgewählter Unternehmer zu den

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Möglichkeiten des von ihm entwickelten Modells heimatbezogener Wertschöpfungsansätze erste, durchaus vielversprechende Ansätze ermittelt. Und er hat dann selbst, darauf aufbauend, eventuelle Erfolgsfaktoren solchen Wirtschaftens benannt: örtliche Genossenschaften mit überregionalem Trägerverband / „Regionalwerkstätten“ / Rekultivierung von lokalen Wirtschaftstraditionen / politische Begleitmaßnahmen zur Schaffung einer neuen Regionalkultur. Es bleibt abzuwarten, wie sich ein solches, am Institut für Europäische Studien und Geschichtswissenschaften der Technischen Universität Chemnitz entwickeltes, in hohem Maße innovatives Konzept im Spannungsfeld unterschiedlicher wirtschaftspolitischer Konkurrenzmodelle zukünftig bewähren wird.

Vorwort Dem vorliegenden Werk liegt meine Dissertation zugrunde, welche die Philosophische Fakultät der Technischen Universität Chemnitz am 13. Mai 2020 angenommen hat. Das Promotionskolloquium fand am 20. Juli 2020 statt. Im Zuge der Drucklegung wurde das Manuskript geringfügig überarbeitet, jedoch in seiner ursprünglichen Gestalt nur unwesentlich verändert. Dass eine Lehrveranstaltung zum Thema „Buchführung und Bilanzierung“ auch einen philosophischen Anspruch haben kann, und dass es lohnt, sich mit deutschen Ökonomen des 19. Jahrhunderts zu befassen, lernte ich bereits zu Beginn des ersten Semesters meines Diplomstudiums an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig von Prof. Dr. Rüdiger Ulrich. Seither blieben wir auf verschiedenen Ebenen im intensiven Austausch: im Studium selbst, in der gemeinsamen ehrenamtlichen Tätigkeit und zum Studienende im Rahmen meiner Diplomarbeit. Mit dem sehr komplexen Thema der vorliegenden Dissertation schloss sich nahtlos eine neue Herausforderung an. Sehr dankbar bin ich meinem zweiten Doktorvater Prof. Dr. Frank-Lothar Kroll für eine vertrauensvolle und überaus fruchtbare hochschul- und fachbereichsübergreifende Zusammenarbeit. Von meinen beiden Doktorvätern durfte ich sehr viel lernen, der Erkenntnisgewinn bleibt für mich unbezahlbar. Danken möchte ich sodann meiner Familie und insbesondere meinen Eltern, die meinen Lebensweg geebnet, mich über die Jahre in verschiedentlicher Art und Weise unterstützt, mir Kraft gegeben und damit maßgeblich zum Erfolg der Arbeit beigetragen haben. Vor allem mein Vater, dessen analytische Fähigkeiten ich sehr schätze, gab mir wertvolle Anregungen. All das wäre nicht ohne die bedingungslose Unterstützung meiner Frau möglich gewesen. Sie hielt mir immer den Rücken frei und zeigte für die unzählbaren verlorenen Stunden Verständnis. Eine Dissertation parallel zum eigenen Berufseinstieg zu meistern, war in mehrfacher Hinsicht kein einfaches Unterfangen. Mit der Geburt unseres Sohnes gewann unser Leben eine Vervielfachung des Glücks. Beiden sei die Arbeit gewidmet. Leipzig, im August 2020

Sebastian Schmidt

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 II. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 A. Annäherungen an den Heimatbegriff anhand des Forschungsstandes . . . . . . . . 23 I. Etymologische Einordnung und Begriffsspezifika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 II. Aus internationaler Perspektive und im europäischen Vergleich . . . . . . . . . . . . . 25 III. Verdichtung von Heimat-Dimensionen auf Basis des Forschungsstandes . . . . . . 26 IV. Erste Zwischenbilanz und ein hypothetischer Definitionsansatz . . . . . . . . . . . . . 34 B. Historische Analyse des Wandels deutscher Heimatvorstellungen unter besonderer Berücksichtigung ökonomischer Aspekte vom 19. Jahrhundert bis heute . . 37 I. Vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis zur Reichsgründung . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 II. Während des Kaiserreiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 III. In der Weimarer Republik und im Dritten Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 IV. Im geteilten Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 V. Von 1990 bis heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 C. Im Kontext der Überflussökonomie: Zur Notwendigkeit eines nachhaltigen Heimat-Konzeptes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 I. Einleitende Gedanken zu Grundintentionen der Ökonomie und zum Wertschöpfungs- und Wertschätzungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 1. Wirtschaftliche Aktivität zum Zweck der Bedürfnisbefriedigung . . . . . . . . . . 143 2. Der Wertbegriff und der Prozess der Wertbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 II. Wesentliche Charakteristika des Systems der Überflussökonomie . . . . . . . . . . . 151 1. Das Problem des Preises und der sozialen Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 2. Die Diskrepanz zwischen erwarteter und realisierbarer Bedürfnisbefriedigung 155 a) Der Aspekt der Güterhäufung – Materialismus als Sinngeber . . . . . . . . . 155 b) Das Ziel des guten Lebens: Befunde der Glückforschung . . . . . . . . . . . . 162

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Inhaltsverzeichnis 3. Die Internationalisierung der wirtschaftlichen Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 4. Weitere gegenwärtige und zukünftige Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 III. Das Ergebnis der Überflussökonomie: Vom Heimatverlust zum Heimatfähigkeitsverlust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 IV. Vergegenwärtigung des natürlichen Rhythmus’ und der Begrenzung: Das Prinzip der Nachhaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190

D. Die Gestalt eines nachhaltigen Heimat-Konzeptes unter Integration wirtschaftlicher Aktivität innerhalb des Bewusstwerdungsprozesses der Heimat-Anverwandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 I. Erweiterte Zwischenbilanz und Idee der Konzeptgestalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 II. Die Bestandteile des mehrdimensionalen Konzeptes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 1. Geographische und soziale Einbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 2. Kulturelle und nationale Identifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 3. Heimatbezogene und individuelle Wertschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 4. Natureinbindung und -sensibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 5. Muße und Spiritualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 III. Der Bewusstwerdungsprozess der Heimat-Anverwandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 IV. Definitionsversuch und Gesamtdarstellung der dynamischen Theorie des nachhaltigen Heimat-Konzeptes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 V. Heimatbezogenes Wirtschaftsbewusstsein als Voraussetzung der Realisierbarkeit zukunftsfähigen Wirtschaftens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 E. Exkurs: Exemplarische Darstellung heimatbezogener Wertschöpfungsansätze . 219 I. Methodische Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 II. Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 III. Resultate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 1. Unternehmenshistorische und -strategische Ebene: Unternehmung und Geschäftsidee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 2. Stofflich-prozessuale Ebene: Wertschöpfung und Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . 224 3. Sozio-kulturelle Ebene: Kundschaft und Nachbarschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 4. Zukunftsbezogene Ebene: Künftige Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 5. Schlussfolgerung im Gesamtkontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228

Inhaltsverzeichnis

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F. Ansatzpunkte zukunftsfähiger heimatbezogener wirtschaftlicher Aktivität . . . . 229 I. Gedanken zum künftigen wirtschaftlichen Umfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 II. Erfolgsfaktoren heimatbezogener Wirtschaftsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 III. Das Modell örtlicher Genossenschaften mit übergeordnetem Trägerverband . . . 238 1. Gemeinnützig-genossenschaftlicher Ansatz, Struktur und Ziele . . . . . . . . . . . 238 2. Regionalwerkstätten als stufenweise Annährung und Übergangsform . . . . . . 242 3. Gestaltungsprinzipien der örtlichen Genossenschaften und Beispiele zur praktischen Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 IV. Vorschläge politischer Begleitmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1:

Annäherung an mögliche Heimat-Dimensionen auf zwei Ebenen, basierend auf dem Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

Abbildung 2:

Natürlicher Regelkreis und künstlicher Produktionskreis (nach Gruhl) 101

Abbildung 3:

Die zwei Grundfragen lebensdienlichen Wirtschaftens (nach Ulrich) . . 146

Abbildung 4:

Die Handlungskette der Wertbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148

Abbildung 5:

Die Handlungskette der wirtschaftlichen Tätigkeit und der Wertbildung 150

Abbildung 6:

Prinzipskizze über den Zusammenhang von erwarteter und realisierbarer Bedürfnisbefriedigung durch den Besitz materieller Güter im Zeitverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

Abbildung 7:

Glücksempfinden und Wohlergehen: verschiedene Ansätze in einer Darstellung (nach Bergheim) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

Abbildung 8: Prinzipskizze zur historischen Entwicklung des Intensitätsgrades der Internationalisierung in Verbindung mit dem Maß der Heimatbindung / ​ Wertschöpfung / ​Wertschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 Abbildung 9:

Ursachen für Erlebens- und Bindungsverluste gegenüber der Umwelt . . 183

Abbildung 10: Ursachen für Erlebens- und Bindungsverluste zum Metaphysischen . . 183 Abbildung 11: Ursachen für Erlebens- und Bindungsverluste zum sozialen und territorialen Umfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Abbildung 12: Ursachen für Erlebens- und Bindungsverluste gegenüber der persön­ lichen Geschichte und den Narrativen sowie Wertvorstellungen der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Abbildung 13: Ursachen für Erlebens- und Bindungsverluste gegenüber der Wertschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 Abbildung 14: Dimensionen des nachhaltigen Heimat-Konzeptes . . . . . . . . . . . . . . . . 194 Abbildung 15: (Teil-)Darstellung des nachhaltigen Heimat-Konzeptes . . . . . . . . . . . . 195 Abbildung 16: Gegenüberstellung der Konzeptbestandteile „geographische und soziale Einbindung“ sowie „kulturelle und nationale Identifikation“ . . . . . . . . 200 Abbildung 17: Geographische Rangfolge heimatbezogener Wertschöpfung . . . . . . . . . 201 Abbildung 18: Matrix der heimatbezogenen Wertschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Abbildung 19: Wahrnehmungsöffnung durch Aneignung und Verwandlung (Anverwand­ lung): der leiblich-seelische Charakter von Heimat . . . . . . . . . . . . . . . . 210

Abbildungsverzeichnis

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Abbildung 20: Stufenmodell des Bewusstwerdungsprozesses der Heimat-Anverwandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Abbildung 21: Gesamtdarstellung des nachhaltigen Heimat-Konzeptes innerhalb des Bewusstwerdungsprozesses der Heimat-Anverwandlung . . . . . . . . . . . 213 Abbildung 22: Zur Herausbildung und Verwirklichung heimatbezogenen Wirtschafts­ bewusstseins innerhalb des Bewusstwerdungsprozesses der Heimat-Anverwandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Abbildung 23: Übersicht der befragten Experten im Rahmen der Interviews . . . . . . . . 220 Abbildung 24: Aspekte heimatbezogenen Wirtschaftsbewusstseins im Kreislauf von Wertschöpfung und Wertschätzung im Kontext der Interdependenz von Heimat und Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Abbildung 25: Strukturbild der örtlichen Genossenschaften mit übergeordnetem Trägerverband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 Abbildung 26: Möglicher Projektverlauf einer Regionalwerkstatt . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Abbildung 27: Mögliches Projektorganigramm einer Regionalwerkstatt . . . . . . . . . . . 244 Abbildung 28: Ideal-Prämissen der gesamten Wertschöpfungskette von Gütern der Unternehmen einer örtlichen Genossenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248

Einleitung I. Problemstellung Als Namensgeber für populäre Kochbücher, staatliche Ministerien, zahlreiche Romane und mediale Themenwochen1: der Begriff „Heimat“ ist seit einigen Jahren in verschiedenen Zusammenhängen omnipräsent, und die Interpretationsvielfalt ist hoch – ob als Synonym oder als Gegenbegriff zum Globalen, als etwas ganz Konkretes wie der Geburtsort, als Sammelbegriff stellvertretend etwa für die Nation oder als etwas Metaphysisches oder als eine Utopie. Unabhängig davon, was genau „Heimat“ für den Einzelnen bedeuten mag, weisen empirische Erhebungen nach, dass der Heimatbegriff für die Deutschen seit jeher sehr positiv besetzt ist2. Eingedenk seiner Interdisziplinarität und seiner historischen Prägung bezeichnet er ein dezidiert deutsches Phänomen, womit sich deshalb unzählige (populär-)‌wissenschaftliche Autoren jüngst, aber auch schon vor Jahrzehnten, auseinandergesetzt haben. Gerade in Phasen ökonomischer Veränderungen, die Auswirkungen auf Mensch und Natur mit sich bringen, gerät der Heimatbegriff besonders in den Fokus. Gleichwohl behandeln selbst integrale Betrachtungsweisen, wenn überhaupt, die ökonomische Dimension von Heimat nur peripher. Dass es einen fundamentalen Zusammenhang zwischen Heimat und Ökonomie gibt, der sich täglich zeigt, nämlich in der wirtschaftlichen Aktivität eines jeden Bürgers, lässt sich beispielhaft anhand einer Studie der Universität Kassel zum Lebensmittelkonsum nachweisen3: Dass Lebensmittel eine regionale Herkunft aufweisen, ist den Konsumenten sehr wichtig, mehrheitlich sogar noch wichtiger als die ökologische Verträglichkeit der Produktion. Viele Konsumenten sind bereit, für Produkte aus ihrer nahen Umgebung einen höheren Preis zu zahlen, was vor dem Hintergrund des ansonsten etablierten Kalküls des Kaufs zu einem möglichst niedrigen Preis erstaunlich erscheint. Am Beispiel der Lebensmittel wird deutlich, dass Heimatverbundenheit offenbar eine maßgebliche Einflussgröße innerhalb der wirtschaftlichen Aktivität 1 Formaler Hinweis: Etwaige Hervorhebungen in Zitaten (wie z. B. fett, kursiv) wurden nicht übernommen. Kochbuch, z. B. „Heimat. Kochbuch“, vgl. Mälzer 2014; Ministerien, z. B. bundesweit vgl. Scharrenbach 2018, S. 88 sowie im Bundesland Nordrhein-Westfalen, vgl. Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen 2018b; Roman, z. B. „Und doch ist es Heimat“, vgl. Metzger 2016; Themenwoche, z. B. „Themenwoche Heimat“ vom 04. bis 10. Oktober 2015, vgl. Südwestrundfunk (ARD.de) 2016. 2 90 Prozent der Deutschen empfinden „Heimat“ als „sehr wichtig“ und „wichtig“, vgl. Südwestrundfunk 2015. 3 Studie der Universität Kassel: „Zielkonflikt beim Lebensmitteleinkauf: Konventionell regional, ökologisch regional oder ökologisch aus entfernteren Regionen?“, vgl. Busch et al. 2016.

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Einleitung

und also des Wertschöpfungs- und Wertschätzungsprozesses ist. Heute muss jedoch konstatiert werden, dass unter anderem aufgrund des hohen Internationalisierungsgrades der Wertschöpfung der Heimatbezug von und zu vielen Produkten abhandengekommen ist, sodass sich Heimatverbundenheit schon deshalb nicht (mehr) im Konsum äußern kann. Die sozialen Kosten zulasten des Menschen und der Umwelt infolge des globalen Systems der Überflussökonomie sind erheblich. Hierauf wurde schon vor Jahrzehnten hingewiesen und heute sollten solche sozialen Kosten das Hauptthema einer ernstzunehmenden Klima- und Umweltdiskussion sein, wenn langfristig positive Veränderungen herbeigeführt werden sollen. Häufig ist gar nicht nachvollziehbar, woher ein Produkt mitsamt seinen Rohstoffen tatsächlich stammt. Verstärkt werden diese Beziehungsverluste durch den Umstand, dass der Eigenanteil und der Handarbeitsgrad am Wertschöpfungsprozess marginal geworden sind. Insgesamt beläuft sich die Bindungsintensität und damit die Wertschätzung der Menschen gegenüber den Dingen, den Mitmenschen und der Natur aus den genannten Gründen auf ein Mindestmaß. Zugleich hat ein großer Teil der Menschheit noch nie zuvor in seiner Geschichte so viele Dinge besessen wie heute. Die erwartete und die tatsächlich realisierbare Bedürfnisbefriedigung durch die Anhäufung von Gütern der Überflussökonomie liegen weit auseinander. Hier kommt ein „Heimatverlust“ zum Ausdruck, der ursächlich ökonomischen Charakters ist. Dass dieser Heimatverlust ganzheitlich und immer in einer Wechselseitigkeit mit der wirtschaftlichen Aktivität zu betrachten ist, versucht die vorliegende Arbeit nachzuwiesen. Sie verfolgt das Ziel einer möglichst umfassenden Darstellung der Mannigfaltigkeit des Heimatbegriffs und setzt an einem Forschungsdesiderat an, nämlich der Berücksichtigung und weiteren Verdichtung der ökonomischen Dimension von Heimat. Mithilfe der historischen Analyse des deutschen Heimatbegriffs unter besonderer Berücksichtigung der ökonomischen Entwicklung im zugrundeliegenden Betrachtungszeitraum von Anfang des 19. Jahrhunderts bis heute wird dieser Zusammenhang untersucht. Hierdurch soll verständlich gemacht werden, wie es um die heutige Konnotation des Heimatbegriffs bestellt ist. Denn nur aus diesem historisch hergeleiteten Verständnis kann eine nachhaltige Genese des Heimatbegriffs auf Basis eines ganzheitlichen Konzeptes angestoßen werden. Das Heimat-Konzept soll schließlich als theoretische Grundlage für zukunftsfähige, heimatbezogene Wirtschaftsansätze dienen, die sich maßgeblich an der Heimatverbundenheit der Menschen orientieren. Heimatbezogene Wirtschaftsansätze als Alternativen zur aktuellen, internationalisierten und globalisierten Überflussökonomie und ihren negativen Auswirkungen auf Mensch und Natur könnten aufgrund ihres ganzheitlichen Ansatzes im Sinne des hier zu entwickelnden Heimat-Konzeptes nachhaltig erfolgversprechender sein, als allein technokratische Maßnahmen beispielsweise zum Klima- und Umweltschutz. Ein solcher zukunftsfähiger Ansatz soll im Rahmen der Abhandlung entworfen werden.

II. Gang der Untersuchung

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II. Gang der Untersuchung Zu Beginn der Arbeit wird der Heimatbegriff abgegrenzt, indem in Kapitel A. zunächst die Darstellung der etymologischen Herkunft sowie der Begriffsbedeutung in internationaler Perspektive erfolgt. Anschließend wird die Dimensionsvielfalt von „Heimat“ anhand eines vielfältigen Quellenkorpus mit Literatur aus unterschiedlichen Fachbereichen und Epochenabschnitten veranschaulicht. Aufgrund des sehr heterogenen und umfänglichen Quellenmaterials kann hier nur eine subjektive und zur Zielerreichung sinnvoll erscheinende Auswahl erfolgen. Darauf aufbauend werden eine erste Zwischenbilanz sowie ein hypothetischer Definitionsansatz geliefert. In Kapitel B. wird der Wandel deutscher Heimatvorstellungen im Untersuchungszeitraum von Anfang des 19. Jahrhunderts bis heute historisch analysiert. Die Herleitung unter besonderer Berücksichtigung ökonomischer Aspekte erfolgt mit Hilfe einer fächerübergreifenden Literatursichtung, um Wirkzusammenhänge und Interdependenzen zwischen der ökonomischen Entwicklung und dem zeitgenössischen Verständnis von Heimat kenntlich machen zu können. Herangezogen werden dabei relevante zeitgenössische Arbeiten zum Heimatbegriff, zum Begriffsumfeld von „Heimat“ und Publikationen mit einem direkten und indirekten Einfluss auf die Konnotation des Begriffs vor allem aus der Epoche der Romantik, aus der Heimatbewegung und aus der Umweltbewegung. Damit in Zusammenhang gebracht werden Quellen zur Konsum- und Wirtschaftsgeschichte Deutschlands. So kann gerade durch die Zusammenführung der Forschungsergebnisse unterschiedlicher Fachbereiche ein Erkenntnisgewinn erzielt werden. Basierend auf der historischen Analyse erfolgt im Kapitel C. die Klärung von Grundintentionen der Ökonomie und von Grundbegriffen sowie Zusammenhängen des Wertschöpfungs- und Wertschätzungsprozesses anhand ausgewählter wirtschaftswissenschaftlicher Grundlagenliteratur. Daran anknüpfend wird eine Charakteristik des Systems der Überflussökonomie entwickelt, die insbesondere die Diskrepanz zwischen der erwarteten und realisierbaren Bedürfnisbefriedigung, das Problem des Preises und der sozialen Kosten, die Internationalisierung der wirtschaftlichen Tätigkeit und gegenwärtige sowie prognostizierte Entwicklungen beinhaltet. Vor dem Hintergrund dieser Aspekte wird das Ergebnis der Überflussökonomie im Begriff des Heimat(fähigkeits)verlustes verdichtet und die Notwendigkeit eines ganzheitlichen, interdisziplinären Konzeptes von Heimat nachgewiesen, das maßgeblich auf dem Prinzip der Nachhaltigkeit basiert. Das Kapitel D. präsentiert den Entwurf eines mehrdimensionalen Heimat-Konzeptes, dessen Bestandteile einzeln erläutert werden. Der Bewusstwerdungsprozess der Bildung von Heimatverbundenheit umgibt dieses Konzept und wird als Prozess der „Heimat-Anverwandlung“ dargelegt. Der darauf aufbauende Definitionsversuch leitet dann über in eine dynamische Theorie des „nachhaltigen Heimat-Konzeptes“. Heimatbezogenes Wirtschaftsbewusstsein erscheint hier als Voraussetzung der Realisierbarkeit zukunftsfähigen Wirtschaftens.

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Einleitung

In Kapitel E. werden im Rahmen eines Exkurses exemplarisch bereits existente heimatbezogene Wertschöpfungsansätze mit Hilfe der empirischen Sozialforschung in Form der qualitativen Methode des Experteninterviews näher betrachtet und in den Gesamtkontext der Abhandlung einbezogen4. Das Kapitel F. entwickelt zunächst Szenarien des künftigen nationalen und internationalen wirtschaftlichen Umfelds und benennt ferner Erfolgsfaktoren heimatbezogener Wirtschaftsansätze. Anschließend wird anhand des Modells örtlicher Genossenschaften mit übergeordnetem Trägerverband ein konkreter, ganzheitlicher Ansatz zukunftsfähigen Wirtschaftens geliefert. Struktur und Ziele des Modells werden dargelegt und „Regionalwerkstätten“ als stufenweise Annäherung und Übergangsform erläutert. Als konkrete Gestaltungsprinzipien der örtlichen Genossenschaften gelten die heimatbezogene Wertschöpfungssouveränität, die Rekultivierung von lokalen Traditionen, die Schaffung einer neuen Regionalkultur sowie die Etablierung gemeinschaftsbildender Aspekte, die mit Beispielen unterlegt werden. Die dabei zugrunde gelegten Prinzipien wurden auf Basis des nachhaltigen Heimat-Konzeptes entwickelt. Abschließend werden Vorschläge politischer Begleitmaßnahmen aufgezeigt.

4 Der eingereichten Dissertation lagen die vollständigen Mitschriften aller Interviews in elektronischer Form bei.

A. Annäherungen an den Heimatbegriff anhand des Forschungsstandes I. Etymologische Einordnung und Begriffsspezifika Die etymologischen Wurzeln des Begriffs „Heimat“ mit dem Wortstamm „Heim“ sind bis in das 10. Jahrhundert (15. Jahrhundert nach Grimm1) n. Chr. zu datieren2. „Heim“ ist auf „heima“ (10. Jahrhundert, „Wohnsitz, Heim, Heimat“3); aengl. „hām“ („Dorf, Haus“4); mhd., ahd. „heim“ („Haus, Wohnort, Heimat“); „heime“ „zu Hause“, „am Heimatort, am Wohnort“; „in der Heimat, im Vaterland“5 sowie got. „haims“ („Dorf“6) und „faterheim“/„faterheima“ (12. Jahrhundert, „Heimat, Vaterland, Geburtsland“) zurückzuführen7. „Heimatlich“ (mdh.), auch „heim(e) lich“, steht für „geheim, verborgen, früher […] vertraut, traulich, anheimelnd, […] auch heimelich (eig. was ans Heim erinnert, aufs Heim Bezug hat)“8. „Heimat“, f., mhd. „heimō(e)“9/„heim(u)ot(e)“10, ahd. „heim-uoti, -ôti“, ist der „Ort, wo man daheim ist, Vaterhaus, Geburtsort od. -land“11. Der Begriff ist seit dem 15. Jahrhundert nachgewiesen und wurde im 19./20. Jahrhundert „emotional und ideologisch beladen“12. Nach Grimm ist „Heimat“ 1. „das land oder auch nur der landstrich, in dem man geboren ist oder bleibenden aufenthalt hat: der got des himels, der mich von meines vaters hause genomen hat, und von meiner heimat. 1 Mos 24, 7“13. Hier wird auf den biblischen Ursprung („dem christen ist der himmel die heimat“14) hingedeutet. Erwähnung findet der Begriff zum Beispiel in einem Lied Gerhardts mit der Zeile „Mein’ Heimat ist dort droben“15;

1

Vgl. Grimm / Grimm 1877, S. 864–866. Pfeifer 1989, S. 667–668. 3 Ebd. 4 Paul et al. 1992, S. 397. 5 Große 2002, S. 844–846. 6 Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG 2007, S. 330. 7 Pfeifer 1989, S. 667–668. 8 Bergmann / Fuchs 1923, S. 119. 9 Pfeifer 1989, S. 667–668. 10 Drosdowski / Berger 1979, S. 1178. 11 Bergmann / Fuchs 1923, S. 119. 12 Paul et al. 1992, S. 397. 13 Grimm / Grimm 1877, S. 864–866. 14 Ebd. 15 Gerhardt / Wackernagel 1853, S. 187. 2

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A. Annäherungen an den Heimatbegriff 

2. „der geburtsort oder ständige wohnort“16 bzw. „Land, Landesteil oder Ort, wo jmd. [geboren und] aufgewachsen ist, woher jmd. / etwas stammt“ („die Gastarbeiter reisten in ihre H. zurück; er hat in Deutschland eine neue H. gefunden“)17; 3. „selbst das elterliche haus und besitzthum heiszt so, in Baiern“18; 4. „in freierer anwendung. a) dem christen ist der himmel die heimat […] b) dichterisch […] c) redensarten“19. Neben der nach den vorgenannten Punkten definierten „ersten Heimat“ definie­ ren Götz et al. 5. „die zweite H. [als] ein fremdes Land, e-e fremde Gegend, ein fremder Ort, wo man sich nach einiger Zeit sehr wohl fühlt“ („Wahlheimat“)20. Heimat gilt „oft als gefühlsbetonter Ausdruck enger Verbundenheit gegenüber einer bestimmten Gegend“21. Synonym werden „Geburtsland, Geburtsort, Heimatland, Heimatort, Herkunftsland, Ursprungsland, Vaterland“22 sowie „Heimatboden“, „Verteidigung, Schutz der Heimat, Landesverteidigung“23 genannt. Antonym sind beispielsweise „unheimlich“, „nicht vertraut, fremd“24. Folgende Begriffskombinationen sind exemplarisch nachweisbar: Heimatberechtigung, -bewegung, -dichter, -dichtung, -erde, -fest, -film, -forscher, -hafen, -kunde, -kunst, land, -liebe, -lose, -losigkeit, -museum, -ort, -pflege, -recht, -schein, -schutz, -staat, -stadt, -urlaub, vertriebene25. Zusammengefasst lassen sich die definitorischen Varianten in eine „irdische“ (Arbeitsort / Geburtsort / Wohnort) Ebene und eine „transzendente“ (religiöse, himmlische Heimat / Ästhetik / Gefühl) Ebene verdichten. Letztere verweist auf den metaphysischen Charakter des Heimatbegriffs. Die „Brockhaus Enzyklopädie“26 weist ihn als „Schlüsselbegriff“ aus und stellt ihn in eben jenen beiden für den Begriff spezifischen Ebenen dar: Danach ist Heimat allgemein ein Ort der „frühen Sozialisationserlebnisse […], die weithin Identität, Charakter, Mentalität, Einstellungen und schließlich auch Weltauffassung prägen“ (= irdische Ebene in Verbindung mit metaphysischen Dimensionen). Zudem kommt dem Heimatbegriff „eine meist stark gefühlsbetonte, ästhet., nicht zuletzt ideolog. Komponente“ zu (= metaphysische Ebene).27 16

Grimm / Grimm 1877, S. 864–866. Eckey / Müller 1985, S. 328. 18 Grimm / Grimm 1877, S. 864–866. 19 Ebd. 20 Götz et al. 2010, S. 535. 21 Drosdowski / Berger 1979, S. 1178. 22 Eckey / Müller 1985, S. 328. 23 Görner / Kempcke 1989, S. 303. 24 Benecke et al. 1990, S. 654. 25 Mackensen 2006, S. 487. 26 Vgl. Brockhaus Enzyklopädie in 24 Bänden 1989. 27 A. a. O., S. 617–618. 17

II. Aus internationaler Perspektive und im europäischen Vergleich 

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II. Aus internationaler Perspektive und im europäischen Vergleich Schon die etymologische Einordnung zeigt die Vielschichtigkeit eines Begriffs, der zudem ein dezidiert deutsches Phänomen darzustellen scheint, vor allem als Resultat „der bürgerlichen Sonderentwicklung im Deutschland des 19. Jahrhunderts“28. „Der Begriff ‚Heimat‘ ist im Deutschen untrennbar mit der Geschichte Deutschlands verbunden. Zu den anderen deutschsprachigen Nationen gibt es viele Verbindungen und Verweise, und doch ist die Biografie des Wortes nicht deckungsgleich. Oft wird behauptet, dass der deutsche Begriff ‚Heimat‘ geradezu einzigartig ist. Das gilt sicher für die Vielfalt seiner Bedeutungen innerhalb der deutschen Sprache. Vielleicht ist die deutsche Bezeichnung im Vergleich zu anderen Sprachen auch besonders präzise.“29

Das „Duden-Herkunftswörterbuch“30 definiert Heimat als ein „auf das dt. Sprachgebiet beschränkte[s] Wort“31. Über den komplizierten Umstand einer adäqua­ ten Übersetzung des deutschen Heimatbegriffs äußerte sich unter anderem Frisch: „Was der Duden darunter versteht, ist nicht ohne weiteres zu übersetzen. My country erweitert und limitiert Heimat von vornherein auf ein Staatsgebiet. Homeland setzt Kolonien voraus, Motherland tönt zärtlicher als Vaterland, das mit Vorliebe etwas fordert und weniger beschützt als mit Leib und Leben geschützt werden will. La patrie, das hisst sofort eine Flagge – und ich kann nicht sagen, daß mir beim Anblick eines Schweizerkreuzes sofort und unter allen Umständen heimatlich zumute wird.“32

Durch die Werke verschiedenster Fachrichtungen im Heimatkontext – wie zum Beispiel jüngst bei Zöller – zieht sich die Feststellung, „dass es schwer ist, in anderen Sprachen ein Wort zu finden, das der Heimat entspricht“33. In seiner Festrede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels im Jahr 1954 formulierte Burckhardt: „Heimat ist ein Wort, das unser Sprachgeist geschaffen hat, das in andern Sprachen nicht zu finden ist und das völlig andere Gefühle weckt, stillere, stetigere, zeit- und geschichtslosere, als das leidenschaftliche Wort Vaterland“34.

Tatsächlich bieten andere Sprachen keine vergleichbaren Übersetzungen an. Die Begriffe, mit denen der Begriff „Heimat“ üblicherweise übersetzt wird, bedeuten wiederum hauptsächlich das Land, in dem man geboren wurde und / oder lebt35. 28

Bausinger 1990, S. 79. Egger 2014, S. 31. 30 Vgl. Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG 2007. 31 A. a. O., S. 330. 32 Frisch 1976, S. 509. 33 Zöller 2015, S. 18. 34 Burckhardt 1954, S. 5. 35 Wie z. B. im Spanischen „patria“ – „Vaterland“, Forßmann 2007, S. 251; im Französischen „pays“ – „Land“, March et al. 2006, S. 545, 1112; im Polnischen „ojczyzna“ – „Mutterland“, Forßmann 2008, S. 260, 895 oder im Englischen „home“ – Zuhause, Forßmann 2009, S. 820. 29

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A. Annäherungen an den Heimatbegriff 

Applegate machte in ihrem Werk „A nation of provincials. The German idea of Heimat“36 deutlich, dass Begriffe wie „Heimat“, „Heimatliebe“ oder „Heimat­ gedanken“ über keine direkten Übersetzungen in der englischen Sprache verfügen37. „Heimat has been at the center of a German moral – and by extension political – discourse about place, belonging, and identity“38. Die Autorin betonte „its centrality to German history development“ und fasste den Heimatbegriff als „most sleepily persistent of historical terms“ zusammen39. Nollendorfs konstatierte ähnliches: „Thus the German word Heimat has no English equivalent. Its sound and associations connect it with traditions and feelings the English word ‚home‘ does not convey.“40 Die besondere Relevanz und Prägekraft der Heimatschutzbewegung im Blick auf den deutschen Heimatbegriff stellte Rollins heraus: „[T]he Heimat­ schutz movement was among the largest, and was certainly the most coherent and most engaged proponent of Heimat ideas“41. Boa und Palfreyman resümieren: „The core meaning […] is ‚home‘ in the sense of a place rather than a dwelling, but as the many combinations such as [Heimatstadt, -land, -liebe, -recht, -vertriebene, -kunde] suggest, it bears many connotations, drawing together associations which no single English word could convey“42.

Einer der Hauptgründe liege in „the troubled history of the German-speaking lands“43. Was macht den Begriff als Phänomen des deutschen Sprachraumes einzigartig und erschwert eine Übersetzung? Wie lassen sich die metaphysischen Ebenen des Begriffs verdichten?

III. Verdichtung von Heimat-Dimensionen auf Basis des Forschungsstandes Nachfolgend werden einige Begriffseinordnungen und -besonderheiten auf Basis des aktuellen Forschungsstandes, der Publikationen verschiedener Fachbereiche umfasst, dargestellt. Eingedenk der Vielzahl von Werken im „Wirkungskreis Heimat“ kann nur eine Auswahl erfolgen, die zur Verdichtung als Basis der Formulierung von Grundannahmen sowie eines hypothetischen Definitionsansatzes genügen soll.

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Vgl. Applegate 1990. Vgl. a. a. O., S. 3 ff. 38 A. a. O., S. 4. 39 Applegate 2000, S. 110. 40 Nollendorfs 1996, S. 26. 41 Rollins 1996, S. 89. 42 Boa / Palfreyman 2000, S. 1. 43 Ebd. 37

III. Verdichtung von Heimat-Dimensionen 

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Es lassen sich mehrere Interpretationsstränge feststellen, die bereits unter A. I. offensichtlich wurden. Unter der räumlichen Dimension lassen sich alle Ansätze zusammenfassen, die Heimat geographische Bezüge (z. B. Geburtsort) zuordnen. Hinzu kommen die Narrative, die den Orten angehören (z. B. Kindheitserlebnisse). In der aktuellen öffentlichen Wahrnehmung44, wie auch in der Mehrzahl der Publikationen erhält der Heimatbegriff diese räumliche Interpretation. Heimat sei der Wohnort, der Arbeitsort, Ort der Kindheit und der Jugend oder die Umgebung mit Familie und Freunden. Insbesondere als Ort der Geburt sowie der Kindheit und also als Ort des ersten Erlebens (frühkindliche Prägung) wird Heimat interpretiert: „Heimat ist die erste Umgebung, der Menschen nach ihrer Geburt anwachsen.“ 45 „Heimat hat zutiefst mit Kindheit zu tun“ 46, verlautbarte auch Türcke. Für Spranger hingegen sei es „eine ganz falsche Vorstellung, daß man schon in eine Heimat hineingeboren werde. Zur Heimat wird diese gegebene Geburtsstätte erst dann, wenn man sich in sie hineingelebt hat.“ 47 Vielmehr als „bloßer Geburtsort“ sei Heimat „geistiges Wurzelgefühl“ 48. „Heimat ist die Umgebung, die uns geprägt hat. Sie ist dort, wo wir verstehen, was die Menschen um uns denken und fühlen“ 49, schrieb Böhmer. Für ihn sei Heimat „die Landschaft“ oder „der Ort“, in der er sich „zu Hause“ fühle50. Nach Greverus finde der Mensch „seine Identität in einem Territorium […], das ihm Verhaltenssicherheit gewährt, da in diesem Territorium Umwelt als ‚Lebenswelt‘ zur ‚Eigenwelt‘ geworden ist“ 51. Für Schultheiß erinnere Heimat „an die räumliche Verankerung sozialer Lebenswelten“ als Pendant „zu einem vornehmlich zukunftsorientierten Fortschrittsdenken mit seinen rasch wechselnden Horizonten“ 52. Neumeyer deklarierte „Heimat als spezielle kulturelle Variante der Territorialität“ 53. Safranski war sich sicher: „Je mehr emotional gesättigte Ortsbindung, desto größer die Fähigkeit und Bereitschaft zur Weltoffenheit“54. Buchwald fasste zusammen, dass zur Heimat „ein begrenzter, persönlicher erfahrbarer Bereich unserer mitmenschlichen, unserer gebauten und natürlichen Umwelt werden“ könne. Mit dieser Umwelt könne sich der Mensch in emotionaler und rationaler Verbundenheit identifizieren, sich geboren und heimisch fühlen.55 44

Auf die Aussage „Heimat bedeutet für mich“ antworteten im Jahr 2015 im Rahmen einer repräsentativen Befragung von infratest dimap im Auftrag des SWR 88 Prozent („sehr stark“ bzw. „stark“) der Deutschen „Mein Zuhause  – da wo ich lebe“, 79 Prozent „Landschaften, Städte, Umgebung“ und 66 Prozent „Der Ort, wo ich aufgewachsen bin“. Vgl. Südwestrundfunk 2015. 45 Türcke 2006, S. 10. 46 Reinhardt 2016, S. 25. 47 Spranger 1952, S. 14. 48 A. a. O., S. 14–15. 49 Böhmer 2012, S. 34. 50 A. a. O., S. 33. 51 Greverus 1979, S. 35. 52 Schultheiß 1990, S. 11. 53 Neumeyer 1992, S. 126. 54 Safranski 2003, S. 24. 55 Buchwald 1979, S. 43.

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A. Annäherungen an den Heimatbegriff 

Diesen begrenzten Bereich stellt zuvorderst eine Nation dar, wobei die Meinungen vor allem in der Literatur nach 1945 auseinandergehen, inwieweit nationale Bezüge überhaupt noch zum Heimatbegriff gehören sollten. Beispielsweise plädierte Türcke für eine Trennung von Heimat und Nation, gerade vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung Deutschlands.56 „[E]ine Nation ist nicht die heimatliche Umgebung, der man als Kind anwächst. Daher ist Nation auch nicht mit Heimat identisch. Wenn man beide gleichsetzt, wird die Heimat national aufgeblasen. Die Schwäbische Alb ist dann deutsch. Da können nur Deutsche zu Hause sein. Dass ein syrisches Migrantenkind ihr anwächst und dort seine Heimat findet, ist nicht vorgesehen.“57

Er hielt es für „misslich“, wenn Menschen stolz auf ihre nationale Zugehörigkeit seien. Man könne „nur auf eigene Leistungen stolz sein, nicht darauf, irgendwoher zu stammen“ 58. Der Begriff „Staat“ sei für Bastian „am besten geeignet, die zentralen Begriffsinhalte von ‚Heimat‘ zu erfassen“ 59. „Meine Heimat ist Deutschland“60, war sich Vogel sicher. „Heimatliebe ist der Quellgrund, aus dem die Vaterlandsliebe erwächst“61, schrieb Neumann im Jahr 1939 in seinem Werk „Heimaterleben. Von tausend Wundern der Äcker, Heiden, Moore, Binnengewässer und Meeresküsten“ 62. „Vaterland, Heimat und Natur – es läßt sich nicht kürzer zusammenfassen, was unverlierbar, erhebend und fördernd uns alle in tiefster Seele erfüllt“ 63. Der Begriff des „Vaterlandes“ geht für Patzelt über den der Heimat hinaus, vielmehr vereint er viele Heimaten in sich. Patrioten, also Menschen, die ihr Vaterland im Großen und ihre Heimat im Kleinen lieben, zeichne aus, dass sie sich um ihr Vaterland, um ihre Heimat kümmern.64 „Und sie [Anmerkung des Autors: die Patrioten] freuen sich ebenso, wenn aus der praktizierten Heimatliebe allenthalben gute Vaterländer entstehen – und aus praktizierter Vaterlandsliebe überall glückliche Nationen mit je guter Ordnung. Jedenfalls wird Patrioten die Einsicht nicht schwerfallen, dass jedem seine Heimat besonders am Herzen liegt […], dass trotzdem aber nie die Heimat des einen wichtiger ist als die Heimat des anderen.“65

Gerade mit Blick auf die fortwährende deutsche Diskussion über Nationalstolz und Patriotismus ist das eine wichtige Erkenntnis, worauf auch dieses Werk fundiert. Eine gesunde Verbundenheit zur eigenen Nation als Teil der individuellen Heimatbindung impliziert selbstverständlich und unbestritten die Achtung und den Respekt gegenüber anderen Nationen. Denn ein „Wir“ schließt nicht zwangs 56

Vgl. Türcke 2006, S. 76–80. Im Interview mit Türcke, Reinhardt 2016, S. 27. 58 Ebd. 59 Bastian 1995, S. 116. 60 Vogel 2012, S. 76. 61 Neumann 1939, S. 11. 62 Vgl. a. a. O. 63 A. a. O., S. 9. 64 Vgl. Patzelt 2013, S. 644–645. 65 A. a. O., S. 645. 57

III. Verdichtung von Heimat-Dimensionen 

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läufig das „Ihr“ aus, wie es zum Beispiel Krauss behauptete66. Verbunden mit dem nationalen Bezug des Heimatbegriffs sind es die Geschichte und die Narrative des Sprach- und Kulturraumes, die schließlich die Nation prägten. Hoffmann definierte Heimat in den 1920er Jahren wie folgt: „Unter Heimat verstehen wir ja nicht nur das Land, in dem wir geboren sind, geschweige denn unsere staatliche Existenz, sondern vor allem auch den Charakter unseres Lebens, so wie er sich aus den Naturbedingungen des heimischen Bodens, aus dem Volkscharakter und aus der Geschichte unseres Volkes herausgebildet hat“67.

Dix formulierte Heimat als „nicht nur gefühlsmäßige Bindung an das Gehöft oder das Haus der Unterkunft, an die Gemeinde und an persönliche Erlebnisse“, vielmehr sei sie „die bewährte, die Vielfalt deutscher Kultur prägende Kraft des politischen, des wirtschaftlichen und religiösen Lebens in überschaubaren Bereichen.“68 Schon Kapitel A. II. offenbarte, dass der Heimatbegriff ein deutsches Phänomen ist. Auch Rosa69 und Krockow sprachen vom dezidiert deutschen Heimatbegriff gerade mit Blick auf den „deutschen Sonderweg“70. Heimat „hat eine dunkle Geschichte, die der Erhellung bedarf, und es hat womöglich mehr Zukunft, als uns lieb ist“71, schrieb Türcke in diesem Kontext. Sie stehe „in der Dauergefahr, zum Objekt semantischer Kriegsführung zu werden“72. Patzelt fasste den zeitgenössischen Umgang mit dem Heimatbegriff wie folgt zusammen: „Und schon die Grundierung all dessen in nicht nur empfundener, sondern auch zum Ausdruck gebrachter Heimatliebe wirkt problematisch, zumal ihrer Bildung bewusste Deutsche ‚Heimattümelei‘ als irgendwie gefährlich empfinden – und einen ‚Heimatabend‘ als nichts anderes denn ziemlich lächerlich. Es scheint, als sei Ihnen ‚Heimat‘ ein zu deutscher Begriff, ‚Heimatliebe‘ eine zu deutsche Empfindung, die Rede von der Heimat eine zu deutsche Reflexion, obwohl doch das alles, wenngleich in anderer semantischer Codierung und vielleicht mit anderem ‚Sitz im Leben‘, auch weit über Deutschland hinaus verbreitet ist.“73

„Patriotismus“, der dem Heimatbegriff innerhalb derartiger Diskussionen als inhärent betrachtet wird, würde häufig als „etwas potentiell Gefährliches“ dar­ gestellt, „sozusagen ein wildes Tier, das man besser schlafen lasse“74. Türcke wiederum drückte eben dies aus: „Ich möchte sie alle nicht geschenkt haben, diese Lokalpatriotismen und Schrumpfnationalismen. Dennoch artikuliert sich in ihnen auf schaurige Weise etwas ganz Legitimes: das 66 Krauss 2009, S. 35: „Es entsteht so ein ‚Wir‘, dem dann zwangsläufig ein ausschließendes ‚Ihr‘ gegenübersteht.“ 67 Hoffmann 1924, S. 313. 68 Dix 2012, S. 49. 69 Rosa 2012, S. 157: „Der emphatische deutsche Heimatbegriff […].“ 70 Krockow 1989, S. 110: „Es ist die politische Frage, die Frage nach Vaterland und Nation, die auf einen deutschen Sonderweg führt.“ 71 Türcke 2006, S. 8. 72 Schmidt 1978, S. 55–56. 73 Patzelt 2013, S. 654–655. 74 A. a. O., S. 656.

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A. Annäherungen an den Heimatbegriff  Bedürfnis nach einer vertrauten, überschaubaren Umgebung, die unter den Imperativen der Mobilität, Flexibilität und Innovation rapide verloren geht, kurzum, nach etwas, wofür das deutsche Wort Heimat steht.“75

Joisten konstatierte, Heimat sei „kein feststehender Begriff, der sich eindeutig bestimmen ließe, sondern vielmehr ein schillerndes Phänomen, das im Laufe der Zeit immer wieder neue Seiten seiner Selbst zum Vorschein treten lässt“76. Das „Urphänomen“77 des Heimatbegriffs lässt sich nicht nur auf der irdischen Ebene fassen, sondern muss vielschichtig verstanden werden. In „Das Prinzip Hoffnung“78 wählte Bloch nicht ohne Grund „Heimat“ – als etwas, „worin noch niemand war“ – als bedeutungsstarkes und seither vielzitiertes Schlusswort: „Der Mensch lebt noch überall in der Vorgeschichte, ja alles und jedes steht noch vor Erschaffung der Welt, als einer rechten. Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende, und sie beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, das heißt sich an der Wurzel fassen. Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfaßt und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“79

Etwas „worin noch niemand war“ – Thoemmes nannte es die „denkerisch durchaus anregende Ungenauigkeit des Heimatbegriffs.“ Heimat wirke im Bereich einer „Sinnlichkeit, die nie ganz faßbar sind wird“80 und sei von daher kein Ort, sondern vielmehr ein Zustand.81 Klausa formulierte es ganz ähnlich: „Die Umwelt des Menschen ist seine Heimat. Umwelt gehört zur Heimat, aber sie ist sie nicht alleine“, und brachte es auf die Formel „Heimat ist mehr als Umwelt: Heimat ist Umwelt plus Seele!“82 Greverus prägte den Terminus „Satisfaktionsraum Heimat“83, Neumeyer bezeichnete „Heimat als satisfaktionierende Lebenswelt“84. Mit Blick auf den starken metaphysischen Gehalt des Heimatbegriffs auf der einen Seite und des Merkmals als ein menschliches Grundbedürfnis auf der anderen Seite war und ist seine Überdehnung evident. Ohne dem Kapitel B. vorgreifen zu wollen, so sei vorzeitig das Beispiel einer Überdehnung in der Verbindung von Heimat mit rassentheoretischen sowie expansiven Vorstellungen durch den nationalsozialistischen Staat erwähnt. „Man kann Heimat schwerlich schätzen lernen, ohne sie zunächst zu überschätzen“85, war sich Türcke sicher. „Entscheidend für einen vernünftigen

75

Türcke 2006, S. 62. Joisten 2012, S. 17. 77 Bossle 1990, S. 133. 78 Vgl. Bloch 1985. 79 A. a. O. 80 Thoemmes 2012, S. 29. 81 Vgl. a. a. O., S. 19–20. 82 Klausa 1979, S. 9. 83 Greverus 1979, S. 35. 84 Neumeyer 1992, S. 127. 85 Türcke 2006, S. 28. 76

III. Verdichtung von Heimat-Dimensionen 

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Umgang mit Heimat ist, daß ihre Überschätzung sich zur Schätzung mäßigt“86. Heimat jedoch gehöre dem Menschen und „nicht dem Wahn“87, schrieb Krockow. Bausinger erkannte Heimat als „Kompensationsraum, in dem die Versagungen und Unsicherheiten des eigenen Lebens ausgeglichen werden, in dem aber auch die Annehmlichkeiten des eigenen Lebens überhöht erschienen“88. Auch zeitgenössische Akteure vom Anfang des 20. Jahrhunderts, wie zum Beispiel Spann, wiesen auf den Umstand des potenziellen Missbrauchs hin: „So schön und unentbehrlich für echt völkisches Leben die Liebe zur Heimat ist, so verhängnisvoll kann sie werden, wenn sie übertrieben wird, in Eigensucht ausartet und vergißt, daß Heimat nur auf dem Mutterboden des Volkstums Heimat sein und bleiben kann“89.

Unmittelbar verbunden mit dem Heimatbegriff und sehr häufig zu finden – besonders in der Poesie – ist die Natur beziehungsweise die natürliche Landschaft. In „Deutschland – schöne Heimat“90 findet sich eine ganz typische Beschreibung: „Wenn wir an unsere Heimat denken, dann sehen wir ein von Geschichte und Poesie überglänztes Bild unendlich reicher, mannigfaltiger Landschaften vor uns: Wälder und Wiesen breiten sich aus, ein Fluß schlängelt sich durchs Land, und am Horizont verblauende Höhen begleiten seinen Lauf. Dörfer schmiegen sich in sanfte Talfalten. Über einem alten, mauer­ geschützten Städtchen liegt der Klang der Abendglocken. Langsam senkt sich die Dunkelheit in schmale, spitzgiebelige Gassen, und für den Wanderer wird es Zeit, an eine Bleibe zu denken. Anheimelnd lädt ihn ein Wirtshausschild über breitem Torbogen ein. Dankbar empfindet er das Trauliche, die beschauliche Geborgenheit – die Heimat.“91

Neben der räumlichen Verbundenheit kommen im Heimatbegriff also auch sinnliche, überirdische Merkmale zum Tragen, einhergehend mit der Manifestation von Heimat als anthropologisches Grundbedürfnis. So wurde Heimat als „mütterliche Lebenslandschaft“92 und „Mutter Erde“93 bezeichnet oder gar mit dem Begriff der „Mutter“ gleichgesetzt94. Für Améry bedeute Heimat, „reduziert auf den positivpsychologischen Grundgehalt des Begriffs, Sicherheit“95. Lange definierte Heimat als „einen menschlichen Grundwert von ausgesprochen ethischer Bedeutsamkeit […], sie ist für die Ausprägung der sozial-kulturellen Persönlichkeit des Menschen von grundlegender Bedeutung.“96. Krauss dagegen kolportierte, dass man heute wisse, „dass Heimat nichts Absolutes […], nichts ‚natürlich Gewachsenes‘, nichts Gottgegebenes“ sei, sondern „soziologisch ausgedrückt, eine soziale Konstruk 86

Türcke 2006, S. 29. Krockow 1989, S. 146. 88 Bausinger 1990, S. 80. 89 Spann 1929, S. 13–14. 90 Vgl. Beyer / Bessiger 1956 (bereits vor 1945 publiziert). 91 A. a. O., S. 7. 92 Möbus 1959, S. 41. 93 Gäng 1973, S. 135. 94 Zuhorn 1954, S. 51: Zitat nach Winnig: „Das letzte Gleichnis der Heimat aber ist die Mutter.“ 95 Améry 2008, S. 81. 96 Lange 1965, S. 51. 87

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A. Annäherungen an den Heimatbegriff 

tion, eine Vorstellung, die ein Stück Zugehörigkeit und Identität, Sicherheit und Geborgenheit“ vermittle97. Das Gottgegebene, Natürliche, Gewachsene spielte (besonders in der Literatur vor und um 1900) in Bezug auf den Heimatbegriff eine tragende Rolle. Trenker beispielsweise schrieb im zeitgenössischen Pathos: „Die Heimat ist etwas Heiliges und Großes und Unersetzliches: sie ist das Glück auf Erden, die Wurzel des Seins und soll die Krone allen Wünschens sein“ 98. „Die Mutter, der Vater, die Wiese, der Berg, der Weg und die Blume: Sie sind die Heimat“99. Bastian bezeichnete Heimat als „urbiblisches Thema“ 100. „Glaube und Heimat sind und bleiben die beiden Kraftquellen unseres Volkslebens“101, so Hoffmann. „Die religiös verankerte Heimatverbundenheit geht auf die Durchdringung von christlichem und germanischem Brauchtum im Mittelalter zurück. Heimatbewußtsein und Heimatgefühl sind über lange Zeit untrennbar mit der Religion verknüpft, ebenso wie der gesamte Alltagsbereich.“102

In seinem Werk „Theologie der Heimat“103 kam Lange zu dem Schluss, dass der Mensch Heimat brauche. „Sie gehört zur Schöpfungsordnung Gottes“104 und „das Bedürfnis des Menschen nach Heimat ist […] ein ausgesprochen existentielles“105. „Im alttestamentlichen Heilsverständnis ist die Heimat eine theopolitische Größe. Vom religiös-sittlichen Verhalten des einzelnen Israeliten hängt sein und seiner Volksgenossen Heimathaben ab. […] So steht das Verhältnis des Menschen zu seiner irdischen Heimat und ihrem Lebensgefüge unter der Verantwortung für sein Heil.“106

Nach Lange seien christlicher Glaube sowie die Institution der Kirche heimatbildend107. „In der kirchlichen Praxis versucht man bis in die Gegenwart, Religion und Heimat zum Zwecke einer christlichen Lebensgestaltung zu verbinden“108, konstatierte Bastian. Im unmittelbaren Sinnzusammenhang zum „Heimathaben“ findet sich der Heimatverlust, die Entfremdung oder auch das Heimweh in vielen Texten wieder. Bausinger nannte Heimat „ein bilderschwangeres Wort, das […] vielfach für Identität steht, auf Identität zuführt – Identität als Übereinstimmung des Menschen mit sich und seiner Umgebung, Identität als Gegenbegriff zu Entfremdung“109. „Schätzen

97

Krauss 2009, S. 34. Trenker / Schmidkunz 1933, S. 132. 99 A. a. O., S. 5. 100 Bastian 1995, S. 172. 101 Hoffmann 1924, S. 316. 102 Bastian 1995, S. 167. 103 Vgl. Lange 1965. 104 A. a. O., S. 151. 105 A. a. O., S. 120. 106 A. a. O., S. 152. 107 Vgl. a. a. O., S. 293 ff. 108 Bastian 1995, S. 172–173. 109 Bausinger 1980, S. 19–20. 98

III. Verdichtung von Heimat-Dimensionen 

33

lernt man Heimat erst, wenn man sie verloren hat.“110, schrieb Türcke. Auch Thoem­mes erklärte, Heimatverlust scheine „häufig erst das Heimatbewusstsein zu schärfen“.111 Für Schlink ist Heimat eine Utopie112. „Am intensivsten wird sie erlebt, wenn man weg ist und sie einem fehlt; das eigentliche Heimatgefühl ist das Heimweh“113. Stavenhagen war sich sicher: „Heimat schützt den Menschen davor, daß er der kosmischen Verlassenheit und Heimatlosigkeit verfällt“114. „Hat man […] keine Heimat, verfällt man der Ordnungslosigkeit, Verstörung, Zerfahrenheit“115, gab Améry zu verstehen und brachte damit zum Ausdruck, dass mit dem Heimatverlust – auf welcher Ebene dieser auch stattgefunden haben mag – immer der Verlust einer psychischen und / oder physischen Ordnungskraft einhergeht. „[D]er Mensch schafft sich selbst noch auf Ruinen seine Heimat“116. Buchwald führte, die vorgenannten Gedanken zusammenfassend, aus, dass hinter dem menschlichen Bedürfnis nach Heimat – basierend auf den „im Instinktbereich verankerte[n] Wunsch nach dem eigenen ‚Territorium‘ als eines begrenzten Raumes, den das Individuum als eigen, ihm besonders zugehörig betrachtet“117 – drei Grundbedürfnisse liegen: „Das Verlangen nach Identität, aufs engste verbunden mit dem Wunsche nach Identifizierung mit einem bestimmten Raum; Der Wunsch nach Sicherheit und Schutz; Der Wunsch nach Stimulierung, nach anregenden Reizen im Raum der eigenen Wahl, nach eigenständiger Kreativität“118.

Der kontrovers diskutierte und mehrdimensional interpretierte Heimatbegriff zeichnet sich, so viel lässt sich bereits feststellen, durch seine Vielschichtigkeit aus, was nicht nur in der Philosophie eine gängige Erkenntnis ist119. Auch Bastian widersprach einer isolierten Betrachtungsweise des Heimatbegriffs und unterstrich die Zusammenwirkung der zentralen Elemente (räumlich, sozial, emotional) des Heimatbegriffs. Sie wies nach, „daß es sich bei den am häufigsten im Zusammenhang mit Heimat genannten emotionalen Elementen um anthropologische Grundbedürfnisse handelt.“120 Hinzu kommt die Feststellung einiger Autoren, dass es möglich sei, mehrere Heimaten zu haben. „Es ist ein altes Fehlverständnis anzunehmen, der Mensch habe nur eine Heimat. Dies stimmt schon häufig in topographischer Hinsicht kaum.“121 „Es gibt niemals ‚die‘ Heimat, sondern unterschied 110

Türcke 2006, S. 27. Thoemmes 2012, S. 11. 112 Vgl. Schlink 2000. 113 A. a. O., S. 32. 114 Stavenhagen 1948, S. 85. 115 Améry 2008, S. 83. 116 Lange 1965, S. 120. 117 Buchwald 1979, S. 44. 118 Ebd. 119 U. a. Reusch 2007, S. 4: „Heimat ist ein vielschichtiger Begriff“. 120 Bastian 1995, S. 72. 121 Thoemmes 2012, S. 35. 111

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A. Annäherungen an den Heimatbegriff 

lichste Heimaten“122, war sich Krauss sicher. Joisten kam zu dem Schluss, dass es „als heimatliches Wesen“ für den Menschen „ein unermüdlicher, buchstäblich lebenslanger Prozess von Heim- und Wegsetzungen zugleich [sei], der erst mit dem Tod des Menschen sein absolutes Ende findet“123.

IV. Erste Zwischenbilanz und ein hypothetischer Definitionsansatz Aus der Analyse des Forschungsstandes lässt sich ableiten, dass sich Heimat in unterschiedlicher Weise interdisziplinär angenähert wurde und es vielseitige Ansätze zur Definition und Darstellung dessen gibt, was Heimat zu bedeuten habe. Demgemäß können die bisherigen Erkenntnisse – wie schon unter A. I. andeutungsweise dargestellt – auf zwei Ebenen gebündelt werden, wie in Abbildung 1 ersichtlich ist. Hiernach wird Heimat aufgesplittet in eine irdische und eine transzendente Ebene, wobei unterschiedliche Dimensionen jeweils den Ebenen inbegriffen sind. Den Dimensionen zugeordnet wurde zum einen der geographische Aspekt. Das heißt, die Zuordnung von „statisch“ bedeutet, dass diese Dimension über einen festen, erdhaften (geographischen) Bezugspunkt verfügt. „Dynamisch“ hingegen erklärt etwas nicht Erdhaftes ohne festen (geographischen) Bezugspunkt. Überdies wurde den Dimensionen eine zeitliche Komponente zugeteilt und also beurteilt, ob sie über vergangenheits-, gegenwarts- oder zukunftsbezogene Orientierungen verfügen. Beispielsweise sind die Orte der Kindheit feste (und somit statische) Orte der Vergangenheit, sofern die Kindheit vorbei ist; Narrative einer Nation oder eines Individuums haben hingegen Vergangenheits-, Gegenwarts- und Zukunftsbezüge inne, die sowohl statisch als auch dynamisch im Sinne ihres variablen Pathos‘ und ihrer veränderlichen Erzähl- und Interpretationsweisen sein können. Vorläufig ergibt sich der folgende hypothetische Definitionsansatz: Der Begriff „Heimat“ ist in seiner Mehrdimensionalität ein Phänomen des deutschen Sprachraumes und es kann demgemäß auch vom deutschen Heimatbegriff gesprochen werden. Er ist ein vielschichtiger, mit unterschiedlichen Dimensionen ausgestatteter Begriff, der ein anthropologisches Grundbedürfnis darstellt, weil er irdische Bindungen (wie Orte, Natur, Traditionen) und transzendente Bindungen (wie Narrative, Gefühle, Identität, Glaube) in sich vereint. Mithin beinhaltet Heimat statische und dynamische Elemente in sich, die Anknüpfungspunkte und Orientierungen in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufweisen. Ergänzend ist festzuhalten, dass der Heimatbegriff, auch wenn er in seiner Mehrdimensionalität ein Phänomen des deutschen Sprachraumes ist, gerade weil Heimat ein anthropologisches Grundbedürfnis darstellt, selbstverständlich auch für Menschen außerhalb des deutschen Sprachraumes existiert. In anderen Sprachen 122 123

Krauss 2009, S. 47. Joisten 2012, S. 13.

IV. Erste Zwischenbilanz und ein hypothetischer Definitionsansatz 

35

Irdische Ebene (greifbare, territoriale Elemente von Heimat) – Geburtsort (vergangenheitsbezogen, statisch) – Orte der Kindheit (vergangenheits- und gegenwartsbezogen, statisch) – Wohnort, Arbeitsort, Region, Vaterland (gegenwartsbezogen, statisch) – Natur und Umwelt (vergangenheits-, gegenwarts- und zukunftsbezogen, statisch und dynamisch) – Tradition, Riten, Bräuche (vergangenheits-, gegenwarts- und zukunftsbezogen, statisch und dynamisch) – Familie, Freunde und soziales Umfeld (vergangenheits-, gegenwarts- und zukunftsbezogen, statisch und dynamisch) Transzendente Ebene (nicht greifbare, metaphysische Elemente von Heimat) – Narrative in Bezug auf die Abstammung (Stammbaum, nationale Geschichte) und Geschichte des Individuums (Kindheit, Jugend) oder der ihm zugehörigen Kultur / Nation (vergangenheits-, gegenwarts- und zukunftsbezogen, statisch und dynamisch) – Empfindungen / Gefühle, wie z. B. Atmosphäre, Ästhetik, Geborgenheit, Liebe, Ruhe, Sicherheit, Verlässlichkeit, Wärme (vergangenheits-, gegenwarts- und zukunftsbezogen, dynamisch) – Identitätsbildende Aspekte für Charakter und Mentalität einer Nation / eines Kulturkreises, kulturelle Eigen-/Gegebenheiten (vergangenheits-, gegenwarts- und zukunftsbezogen, statisch und dynamisch) – Spirituelles / Glaube / Religion (vergangenheits-, gegenwarts- und zukunftsbezogen, statisch und dynamisch) Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 1: Annäherung an mögliche Heimat-Dimensionen auf zwei Ebenen, basierend auf dem Forschungsstand

ist jedoch eine Vielzahl von Begriffen notwendig, um das auszudrücken, was der deutsche Heimatbegriff in sich zu vereinen scheint. An den bisherigen Ausführungen wird deutlich, dass der ökonomischen Komponente von Heimat beziehungsweise einer etwaigen Wechselbeziehung zwischen Heimat und Wirtschaft keine nennenswerte Bedeutung innerhalb der Forschung, selbst im Rahmen von Konzeptualisierungen von Heimat, beigemessen wird. Eine noch tiefere Analyse des Forschungsstandes wird hierzu keine weiteren Erkenntnisse erbringen, sodass im Folgenden dieses Forschungsdesiderat mittels der historischen Analyse des Wandels deutscher Heimatvorstellungen unter besonderer Berücksichtigung ökonomischer Aspekte von Anfang des 19. Jahrhunderts bis heute ergründet wird. Mit Wittgensteins Satz „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache“124 sei darauf verwiesen, dass die historische sowie 124

Wittgenstein 2014, S. 262.

36

A. Annäherungen an den Heimatbegriff 

gegenwärtige Sprachpraxis einen entscheidenden Einfluss auf die Bedeutung des Wortes selbst ausgeübt haben und weiterhin ausüben werden. Dies gilt – das wird auch die Darstellung der historischen Entwicklung aufzeigen – insbesondere für den Heimatbegriff und seine metaphysische Färbung.

B. Historische Analyse des Wandels deutscher Heimatvorstellungen unter besonderer Berücksichtigung ökonomischer Aspekte vom 19. Jahrhundert bis heute I. Vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis zur Reichsgründung Schon im 18. Jahrhundert setzten sich auf dem deutschen Gebiet vor allem die bürgerlichen Kreise mit der Frage auseinander, was „das Deutsche“ sei und wohin es gehen solle mit dem Volk in der Mitte Europas. Diese Zeit ab etwa 1770 bis zur Gründung des Deutschen Reichs im Jahr 1871 legte die Basis für die Identitätsbildung der Deutschen und ihrer Nation.1 Eng verwoben ist auch die Prägung des Heimatbegriffs, der seine Bedeutung als Rechtsterminus abstreifte und eine ideelle Dimension erfuhr. Walder stellte drei Entwicklungsstufen heraus: Schon im 16. Jahrhundert entstand die Heimat zunächst „als armenrechtlicher Verweisungsort“2. Mit Ende des 18. Jahrhunderts stellte sie dann die bindende Gemeindeangehörigkeit samt weiterführenden Rechten unterschiedlicher Natur dar. Sie bezeichnete das Eigentum beziehungsweise väterliche Erbe an Grund und Boden sowie Haus und Hof. „Das neue Heimath kostet ihn wohl 10,000 Gulden“, ist beispielsweise bei Gotthelf zu lesen3. Der Unterstützungsanspruch für den Fall der Verarmung bedingte das Heimatrecht.4 Demnach gab es durchaus auch besitzlose Menschen, wie zum Beispiel Tagelöhner, die aus juristischer Warte kein Heimatrecht besaßen und heimatlos waren. Letztlich verlor die Heimat gen Ende des 19. Jahrhunderts ihre (armen-)rechtliche Relevanz5. Walder unterschied hierbei in älteres (ab Reformation bis Ende 18. Jahrhundert) und neueres (ab 19. Jahrhundert) Heimatrecht6. „Im Anschluß an die Französische Revolution wurde auch in Deutschland die individuelle Freiheit geschaffen; die Leibeigenschaft und Erbuntertänigkeit wurden aufgehoben, Abzugsgelder und Nachsteuer beseitigt“7. Ein juristisch freier Begriff wurde „Heimat“ mit der Gründung des Norddeutschen Bundes und dem Freizügigkeitsgesetz im Jahr 1867, wonach das Heimatrecht vom 1

Vgl. Giesen 1993, S. 233. Walder 1908, S. 2 und Bastian 1995, S. 101: „Das Heimatrecht entwickelt sich im 16. Jh. ‚Heimat‘ ist Garant für die existentielle Sicherheit des Menschen.“ 3 Gotthelf 1854, S. 19. 4 Vgl. Piepmeier 1990, S. 95. 5 Vgl. Walder 1908, S. 2. 6 Vgl. a. a. O., S. 8 ff. 7 A. a. O., S. 15–16. 2

38

B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen

„Recht des Unterstützungswohnsitzes“ sowie anschließend durch den „Grundsatz des gewöhnlichen Aufenthalts“ abgelöst wurde8. Die Ursprünge und Grundlagen für die ideelle Dimension des Heimatbegriffs sind jedoch schon in der Zeit zu verorten, als ihm noch eine dezidiert juristischsachliche Bedeutung zukam und die tiefgreifenden, vor allem auch ökonomischen Veränderungen infolge der Industrialisierungsprozesse im 19. Jahrhundert noch nicht vorhanden waren9. Beispielhaft für die Stimmung des ausgehenden 18. Jahrhunderts ist von Mosers Werk „Von dem Deutschen Nationalgeist“ aus dem Jahr 1766: „Wir sind Ein Volk, von Einem Nahmen und Sprache, unter Einem gemeinsamen Oberhaupt, unter Einerley unsere Verfassung, Rechte und Pflichten bestimmden Gesezen, zu Einem gemeinschaftlichen grossen Interesse der Freyheit verbunden, auf Einer mehr als hundertjährige Nationalversammlung zu diesem wichtigen Zweck vereinigt, an innerer Macht und Stärke das erste Reich in Europa, dessen Königscronen auf Deutschen Häuptern glänzen und so, wie wir sind, sind wir schon Jahrhunderte hindurch ein Räthsel politischer Verfassung, ein Raub der Nachbarn, ein Gegenstand ihrer Spöttereyen, ausgezeichnet in der Geschichte der Welt, uneinig unter uns selbst, kraftlos durch unsere Trennungen, stark genug, uns selbst zu schaden […] ein in der Möglichkeit glückliches, in der That selbst aber sehr bedauernswürdiges Volk. […] Wir kennen Uns selbst nicht mehr; Wir sind Uns unter einander fremde geworden, Unser Geist ist von Uns gewichen. […] Wir werden uns untereinander fremd, und die Gleichgültigkeit und Kaltsinn einer deutschen Provinz gegen die andere steigt immer höher.“10

Im Jahr 1780 erstellte Pestalozzi ein – in der Folgezeit vielzitiertes – HeimatKonzept, das, wenngleich er es nicht so betitelte, die Vielschichtigkeit der anthropologischen Verwurzelung darstellt. Er nannte es die „innere Ruhe“, die im Wechselspiel mit den äußeren Verhältnissen steht: Dem „Vaterhaus“ (Sinnbild für Eltern, zu Hause), dem Berufsleben, der Nation sowie der Beziehung zu Gott11. Unglaube war für ihn die „Quelle der Zernichtung aller innern Bande der Gesellschaft“12. „Sicherheit, Unschuld und Gefahrlosigkeit, diese Quellen reiner Volkstugend, diese Folgen einer weisen und väterlichen Gerechtigkeit, sind Folgen des Glaubens. […] Also ist Volksglauben an die Gottheit Quelle aller reinen Nationaltugend, alles Volkssegens und aller Volkskraft.“13

Fichte griff dies ab 1807 in seinen „Reden an die deutsche Nation“ auf und forderte eine neue deutsche Nationalerziehung auf Basis Pestalozzis14. Er gilt als ers-

8

Vgl. Walder 1908, S. 41 ff. und vgl. Piepmeier 1990, S. 95. Vgl. Klueting 1998, S. 47 und vgl. Bastian 1995, S. 216. Jens 1985, S. 14 ist deshalb nicht zu folgen, er schrieb dazu: „Heimat – das war bis Mitte des neunzehnten Jahrhunderts ein nüchternes Wort: von Traulichkeit, Poesie und sentimentalem Glanz keine Rede.“ 10 Moser 1766, S. 6, 7, 28. 11 Pestalozzi / Scheuenstuhl 1845, S. 18–19. 12 A. a. O., S. 27. 13 A. a. O., S. 26. 14 Vgl. Fichte 1944, S. 148. 9

I. Vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis zur Reichsgründung 

39

ter Kritiker des ökonomischen Liberalismus, der damals noch am Anfang stand15, und verfasste seine Reden vor dem Hintergrund der französischen Besatzung, die exemplarisch den damals vor allem unter den Romantikern immanenten nationalen Pathos veranschaulichen16. Spranger, später wichtiger Protagonist der Heimatschutzbewegung ab Ende des 19. Jahrhunderts, bezeichnete das Werk im Geleitwort von 1944 als „das Grundbuch unsres deutschen Nationalbewußtseins […], die Magna Charta, in der die unzerstörbaren Pflichten und Rechte unsres Wesens verzeichnet sind“17. Fichte hob die Einzigartigkeit der deutschen Sprache hervor18 und wies Gründlichkeit, Ernst und Denkweise als besondere Merkmale der Deutschen aus19. Teil vorgenannter Nationalerziehung sollte auch die ökonomische Selbstständigkeit der Deutschen mithilfe eigener Wertschöpfung (auch: Subsistenz) sein. „Diese Hauptarbeit ist die Ausübung des Acker- und Gartenbaus, der Viehzucht, und derjenigen Handwerke, deren sie in ihrem kleinen Staate bedürfen. […] Das Grundgesetz dieses kleinen Wirtschaftsstaates sei dieses, daß in ihm kein Artikel zu Speise, Kleidung usw. noch, soweit dies möglich ist, irgendein Werkzeug gebraucht werden dürfe, das nicht in ihm selbst erzeugt und verfertiget sei.“20

Bereits aus dem Jahr 1800 stammt Fichtes Entwurf des „geschlossenen Handelsstaates“21, worin er noch konkreter auf seine ökonomischen Vorstellungen einging und die Notwendigkeit eines vom internationalen Handel weitestgehend autarken Wirtschaftssystems betonte. Im offenen Handelsstaat entwickle sich „ein endloser Krieg aller im handelnden Publicum gegen alle, als Krieg zwischen Käufern und Verkäufern; und dieser Krieg wird heftiger, ungerechter und in seinen Folgen gefährlicher, je mehr die Welt sich bevölkert, der Handelsstaat durch hinzukommende Acquisitionen sich vergrössert, die Production und die Künste steigen, und dadurch die in Umlauf kommende Waare an Menge und mit ihr das Bedürfnis aller sich vermehrt und vermannigfaltigt. Was bei der einfachen Lebensweise der Nationen ohne grosse Ungerechtigkeit und Bedrückung abging, verwandelt sich nach erhöhten Bedürfnissen in das schreiendste Unrecht, und in eine Quelle grossen Elends.“22

Infolge des freien Handels würden aus der Not Waren „weit unter ihrem Werte“ verkauft23. Aus diesen Erkenntnissen resultierte seine Idee des geschlossenen Handelsstaates24: Alles im Land Produzierte und Verkaufte solle auch in demselben

15

Vgl. Bechtel 1956, S. 101. Fichte 1944, S. 246: An die Deutschen: „[W]enn ihr versinkt, so versinkt die ganze Menschheit mit, ohne Hoffnung einer einstigen Wiederherstellung.“ 17 A. a. O., S. III. 18 Vgl. a. a. O., S. 58 ff. 19 Vgl. a. a. O., S. 217. 20 A. a. O., S. 171–172. 21 Vgl. Fichte 2015. 22 A. a. O., S. 59. 23 Ebd. 24 Er sah die Einführung einer nationalen Währung („Landesgeld“) vor und unterschied grundsätzlich in drei Stände: Produzenten, Künstler, Kaufleute, vgl. a. a. O., S. 15–16, 100. 16

40

B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen

gehandelt, gebraucht sowie verkauft werden25. „Aller Verkehr mit dem Ausländer muss den Unterthanen verboten seyn und unmöglich gemacht werden“26. Fichte wies darauf hin, dass dadurch die Einnahmen (und damit auch die Abgaben an den Staat) durch den inländischen Handel vollständig im Inland verbleiben und nicht mehr an ausländische Staaten gehen würden27. Die Schließung nach Außen sei keine „Verzichtleistung und bescheidene Beschränkung auf den engen Kreis der bisherigen Erzeugungen“ des Staates, sondern vielmehr eine intensiviere Ausnutzung und Ausbau der zur Verfügung stehenden, eigenen Ressourcen28. Neben der Arbeit, die den Menschen nicht zum „Lastthier“ werden lassen dürfe und ihm vielmehr „Lust“ und „Freudigkeit“ bereiten solle, müsse der Mensch „Zeit übrig behalten, seinen Geiste und sein Auge zum Himmel erheben, zu dessen Anblick er gebildet ist“29. In einer solchen geschlossenen Nation im Sinne Fichtes würde sich „sehr bald ein hoher Grad der Nationalehre, und ein scharfbestimmter Nationalcharakter“ entwickeln. Ihr Volk würde eine „besondere Lebensart, Einrichtungen und Sitten durch jene Maassregeln“ entfalten und das „Vaterland und alles Vaterländische mit Anhänglichkeit“ lieben.30 War die Idee eines deutschen Nationalstaates erst nur von wenigen Intellektuellen getragen, verdichtete sie sich vor dem Hintergrund der französischen Besatzung und wurde nun – forciert durch die Epoche der Romantik – von einer breiten soziokulturellen Basis der Bevölkerung getragen. „Nationalbewußtsein zeigten nicht mehr nur das gebildete Publikum oder die esoterischen Zirkel der Romantiker, sondern auch das Kleinbürgertum der Städte und später selbst die reisenden Handwerksgesellen des Vormärz.“31 Giesen bezeichnete die Romantik als „eine deutsche Achsenzeit, in der die Nation an die Stelle der Kirche und die romantischen Intellektuellen32 an die Stelle der Priester traten.“33 Arndt erlangte in dieser Zeit Bekanntheit mit patriotischen Texten und Gedichten romantischer Prägung. Im „Gruß der Heimat“34 (1817) bringt er seine Heimatverbundenheit zum Ausdruck, und blickt mit Schwermut und Freude zugleich auf Erinnerungen an die heimatlichen Flure. In der Dichtung fungierte der Heimatbegriff häufig als Motiv, wie in „Die Heimath“ (um 1800) von Hölderlin. Auch hier kommt der ganz typische Antagonismus Heimweh beziehungsweise Heimatverlust und Heimatliebe zum 25

Vgl. Fichte 2015, S. 97. Lediglich den Naturalienhandel mit anderen Staaten ohne Gewinnerzielungsabsichten (z. B. Wein gegen Korn) hielt er für denkbar. 26 A. a. O., S. 28. 27 Vgl. a. a. O., S. 66. 28 A. a. O., S. 76. 29 A. a. O., S. 30. 30 A. a. O., S. 100. 31 Giesen 1993, S. 163. 32 Wie z. B. Arndt, Arnim, Eichendorff, Görres, Hegel („Volksgeist“), Herder („Volksseele“; „Heimat ist da, wo man sich nicht erklären muss“), Jahn („Volkstum“), Körner, Rückert und Schlegel. 33 Giesen 1993, S. 158. 34 Vgl. Arndt 1860, S. 324–326.

I. Vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis zur Reichsgründung 

41

Ausdruck. Verse wie: „Verehrte sichre Grenzen, der Mutter Haus“ verdeutlichten die Assoziation von Heimat mit Sicherheit und Geborgenheit. Jugenderinnerungen wurden wach („Ihr Wälder meiner Jugend“) und Naturverbundenheit wird deutlich („traute Berge, Die mich behüteten einst“).“35 Im Gedicht „Des Deutschen Vaterland“36 (1813) thematisierte Arndt die französische Besatzungszeit und plädierte für einen deutschen Nationalstaat. Davon war das aus über 200 Einzelstaaten37 bestehende Heilige Römische Reich Deutscher Nation um den Jahrhundertwechsel weit entfernt. Seit Ende des 18. Jahrhunderts war es von den napoleonischen Kriegen erschüttert, die 1815 ihr Ende fanden. Im Anschluss konstituierte sich mit der Bundesakte im Jahr 1815 der Deutsche Bund als Zusammenschluss der deutschen Staaten, bestehend aus dem Kaisertum Österreich, den Königreichen Bayern, Hannover, Preußen, Sachsen und Württemberg, dem Kurfürstentum Hessen(-Kassel), 28 Fürstenstaaten sowie vier freien Städten38. Humboldt soll die Bundesakte als „schändlich, unnational, ein denkendes Volk aufregend“ bezeichnet haben39. Wenngleich die Akteure der nationalen Einheitsbewegung den Wunsch eines deutschen Nationalstaates nicht verwirklicht sahen, begann mit der Epoche der Romantik eine Zeit der Sensibilisierung für die deutsche Art und Kunst40 sowie die deutsche Geschichte, Landschaft und Natur. Die sogenannte „Deutsche Bewegung“, „als Gesamtheit aller philosophisch-weltanschaulichen Überzeugungen und Leistungen der Goethezeit (1770–1830)“ sowie „die internationale Romantik“ trugen maßgeblich zur Prägung des Heimatbegriffs bei, wie sie auch die Grundlagen für die Heimatbewegung zum Ende des 19. Jahrhunderts darstellten41. Spätere Protagonisten dieser Heimatbewegung wie zum Beispiel Schultze-Naumburg markierten 1832, das Todesjahr Goethes und faktisch auch das Ende der Deutschen Bewegung, als „Kulturwende“42 und als „den Abschluß einer Zeit […], die sich noch auf lebensgesetzlichen Vorstellungen aufbaute, während nun das kapitalistische Zeitalter des Händlers anbricht“43. Er brandmarkte insbesondere die (Bau-)Kunst, die durch den steigenden Einfluss von Händlern zum „Betrieb“ wurde: „Der Geist des Warenhauses und der Konfektion zog ein“44. Das lag nach Schultze-Naumburg auch am Bedeutungsverlust des individuellen, wertschöpfenden Handwerks aller Zweige45 als Basis für eine „wirklich im deutschen Volkstum wurzelnde Kunst“46.

35

Hellingrath 1943, S. 19. Vgl. Arndt 1860, S. 233–235. 37 Vgl. Schmitz 2013, S. 575, 589. 38 Vgl. Stadtmüller 1984, S. 84 und vgl. Scherr 1929, S. 626. 39 Vgl. Scherr 1929, S. 626. 40 Vgl. Goethe et al. 1978 – Von deutscher Art und Kunst (Erstausgabe 1773). 41 Gollwitzer 2008, S. 334. 42 Schultze-Naumburg 1928, S. 124. 43 A. a. O., S. 81–82. 44 A. a. O., S. 110. 45 Dergleichen konstatierte u. a. auch Sombart 1954, S. 279 ff. 46 Schultze-Naumburg 1934, S. 112. 36

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B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen

Bevor sich die Industrialisierungsprozesse durchsetzten, bildete sich „ein bürgerlicher, positiver, utopischer Heimat-Begriff heraus“47, hauptsächlich mit Bezug zu den Schönheiten und der Ursprünglichkeit der Natur. Heimat war so „ursprünglich ein romantischer, d. h. ein gegenrevolutionärer Entwurf“ und eine harmonische Symbiose von „Volk, Natur und Individuum.“ Immer stärker artikulierten romantische Kreise, wie auch die allgemeine Kunst und Kultur eine Sehnsucht nach dem, was zuvor als unausgesprochener und selbstverständlicher Zustand galt.48 Spann bezeichnete die Romantik als „die erste Gegenbewegung gegen Aufklärung, Humanismus und Renaissance. In ihr strebt der deutsche Geist wieder zu seinem ursprünglichen Wesen, das er im Mittelalter ausgebildet hatte, zurück.“49 Der Rückzug in das Private und Eigene sowie die Genügsamkeit charakterisieren diese Zeit, die auch „Biedermeier“ genannt wird50. In den folgenden Jahrzehnten wurden zahlreiche identitätsprägende nationale Denkmäler errichtet, wie zum Beispiel die Walhalla, die Befreiungshalle, die Bayerische Ruhmeshalle, beide Pinakotheken in München oder das Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald51. Es entstand patriotisches Liedgut, wie zum Beispiel das „Deutschlandlied“ mit dem Text von Fallerslebens, das eingedenk der einzelstaatlichen Aufsplitterung Deutschlands und der Herrschaft der Briten auf der Insel Helgoland einen patriotischen Ruf nach Einigkeit, Recht und Freiheit bedeutete52. Am „Lieblingssitz der patriotischen Romantik“53, den deutschen Universitäten, gründeten sich ab 1815 Burschenschaften sowie Turner- und Sängervereine. Gutsmuths und Jahn begründeten – unter dem Wahlspruch: „Frisch, fromm, fröhlich, frei!“ – den Turnsport. Es war auch die Zeit des Ursprungs zahlreicher Feste, Riten und Traditionen (wie z. B. das Wartburgfest oder das Hambacher Fest), die einen prägenden Einfluss auf die Entwicklung des Heimatbegriffs hatten.54 „Dahinter stand der Gedanke, das Fest als universale Vergemeinschaftungsform stärke das Zusammengehörigkeitsgefühl der Region“55. Der Konsum – als die „soziale Identitätsbildung“ beeinflussendes „aktives Erleben“56 – nahm während dieser Zusammenkünfte einen hohen Stellenwert ein, wenngleich nicht vergessen werden darf, dass er im 19. Jahrhundert eher noch „als zweitrangig, als die Zerstörung von Gütern und Werten – als Negativ zur Produktion“57 galt. Exemplarisch sei das Oktoberfest in München zu nennen, das Anfang des 19. Jahrhunderts entstand und sich anfangs durch eine starke Vernetzung mit der Landwirtschaft (deshalb auch: „Landwirtschaftsfest“) auszeichnete, 47

Bastian 1995, S. 121. Sieferle 1985, S. 38. 49 Spann 1928, S. 90. 50 Vgl. Bechtel 1956, S. 354–356. 51 Vgl. Stadtmüller 1984, S. 85–86. 52 Vgl. a. a. O., S. 86. 53 Scherr 1929, S. 630. 54 Vgl. a. a. O., S. 630–633 und vgl. Giesen 1993, S. 164–165. 55 Göbel 2005, S. 192. 56 A. a. O., S. 193. 57 Triebel 1997, S. 371. 48

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die jedoch mit der Industrialisierung fortwährend an Bedeutung verlor. Adressat waren vor allem die Bewohner Bayerns, deren Nationalgefühl stimuliert werden sollte. Das Fest war ausgestattet mit bayrischen Symboliken des Konsums und der Volkskunst.58 Neben der territorialen Zersplitterung verfügten die durch Zollschranken59 getrennten Mitglieder des Deutschen Bundes über unterschiedliches Handelsrecht, verschiedene Münzen, Gewichte und Maße60. Die merkantilistisch geprägte deutsche Wirtschaft61 konnte sich nach den Befreiungskriegen zunächst nur sehr langsam erholen, Hungersnöte prägten die Zeit, seit den 1820ern entfachte die Schutzzollpolitik des Auslandes eine Agrarkrise, Überangebot und Preissenkungen betrafen den landwirtschaftlichen Sektor, dem damals wichtigsten Wirtschaftsfaktor62. Die Industrielle Revolution ging seit etwa 1760 von Großbritannien aus, das bereits über vergleichsweise gut ausgebaute internationale Handels- und Kolonialverbindungen verfügte. Neue Produktionsweisen sowie gesamtgesellschaftliche Veränderungen stellten sich dort nach circa 1820 vollkommen ein.63 Mit der weiteren Etablierung von neuen Methoden und Maschinen in den anderen europäischen Gebieten begann ab Mitte des 19. Jahrhunderts die „Ära des Freihandels“, das Welthandelsvolumen weitete sich bis 1913 in bisher ungeahntem Maße aus und umfangreiche Wanderungsbewegungen fanden statt64. Auf deutschem Gebiet kamen die Industrialisierungsprozesse viele Jahrzehnte später als in Großbritannien ab etwa 1850 zum Tragen65, wenngleich einigen Regionen eine Vorreiterrolle zukam: Beispielweise im Rheinland, in Sachsen, oder in Schlesien fanden sich Anfänge der aufkommenden Industriellen Revolution bereits ab Ende des 18. Jahrhunderts66. Einzelne Unternehmen (z. B. Weberei, Bergbau) setzten mechanische Hilfsmittel zur Gütererzeugung oder zum Antrieb von Maschinen ein. Infolge der schwierigen Wirtschaftslage nach den napoleonischen Kriegen entwickelte sich dies erst langsam fort.67 Der deutsche Wald, als romantisches Motiv im Rahmen der avisierten Hinwen­ dung zur Natur68 vielfach in Gedichten, Märchen und Sagen (z. B. „Hermannsschlacht“ von Kleist69) bedient sowie genutzt „als Projektionsfläche für kulturelle

58

Vgl. Göbel 2005, S. 218 ff., 229, 269 ff. Vgl. Sombart 1954, S. 37. 60 Vgl. Bechtel 1956, S. 73. 61 Vgl. Fuchs 1925, S. 43–48. 62 Vgl. Bechtel 1956, S. 100–106. 63 Vgl. Osterhammel / Petersson 2006, S. 46, 50, 52. 64 Osterhammel / Petersson 2006, S. 61–62. 65 Vgl. Sombart 1954, S. 40. 66 Vgl. Kroll 2014, S. 73–74. 67 Vgl. Bechtel 1956, S. 155. 68 Vgl. Ziegler 1899, S. 52–53. 69 Vgl. a. a. O., S. 95–97. 59

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und politische Auffassungen“70, stand auch sinnbildlich für die Wirtschaftsstrukturen, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts vorherrschten. Er stellte als Haupt- und Nebenstoff die Lebensgrundlage vieler Menschen dar, hier „wurzelte auch die materielle Kultur der nordischen Länder“71. Insoweit lässt sich hieran beispielhaft sehr gut die Wechselbeziehung zwischen der wirtschaftlichen Tätigkeit – der Wald mit dem Rohstoff Holz – und der Natur als Heimat-Dimension – der Wald als Sinnbild von Lebensqualität, Schutz und Ruhe – aufzeigen. Zunächst herrschte eine Vereinzelung der Produktionsstätten, denn insbesondere Holz war notwendig für die Eisenindustrie – also in waldreichen Regionen –, sukzessive folgten aber Ballungsstätten und die Zentralisierung von Produktionsstätten sowie großen Fabriken72. Sombart verwies auf den großen Vorteil, den die deutschen Länder aufgrund ihrer geologischen Beschaffenheit und der zahlreichen Bodenschätze (wie z. B. Eisen und Kohle) auswiesen73. Dem deutschen Volk attestierte er insgesamt ein „Talent zum Kapitalismus“. Denn dem Deutschen mangele es „an sinnlich-künstlerischer Veranlagung“, hingegen zeichne ihn Pflichtbewusstsein und das „Talent zum Teilmenschen“ (d. h. „Spezialistentum“) aus. Zudem liege des Volkes Kraft im „Gemisch von allerhand Völkern“74. Dass Deutschland „an der Spitze der Nationen“ stünde, rechnete er der speziellen Eigenarten des Volkes zu: „Ordnung, Disziplin, Pflichttreue“75. Die Bevölkerung lebte überwiegend von der Vieh- und Landwirtschaft und dem Gartenbau. Die große Mehrheit der Gebrauchsgüter (wie Kleidungs-, Wohn-, Nahrungsbedarf) wurde eigens hergestellt und verbraucht.76 Der Haus-/Eigenproduktionsanteil und damit die individuelle Wertschöpfungsquote (d. h. vereinte Güterproduktion und -verbrauch, kein nennenswerter Güterverkehr [Handel] – Haus und Hof als weitestgehend autarke Zelle) waren dementsprechend hoch77. Weber bezeichnete diese Form des Wirtschaftens „Bedarfswirtschaft“ im Gegensatz zur „Erwerbswirtschaft“78. Die Wirtschaftsstruktur war organisiert,

70 Zechner 2016, S. 12: In diesem Zusammenhang nennt Zechner folgende Autoren: Arndt („von bäuerlichen Bedürfnissen bestimmter Wald der gemischten Nutzungen“, S. 82), Eichendorff (Wald wird zum „emotionalmetaphorischen Bedeutungsträger“, a. a. O., S. 60), Grimm („ein von menschlicher Einwirkung fast unberührt gebliebener Vorzeitwald“; Raum „der Bedrohung wie Bewährung“, a. a. O., S. 103), Riehl und Tieck. 71 Sombart 1954, S. 12. 72 Vgl. a. a. O., S. 301. 73 Vgl. a. a. O., S. 97. 74 A. a. O., S. 106–111. 75 A. a. O., S. 274. 76 Vgl. a. a. O., S. 14, 29. 77 Fuchs 1925, S. 32: „Bei der geschlossenen Hauswirtschaft vollzieht sich der ganze Kreislauf der Güter von der Produktion bis zur – Konsumtion nur im Haus; Erwerb und Haushalt […] lassen sich nicht unterscheiden.“ 78 Weber 1980, S. 200: „Denn alle auf Bedarfsdeckung, gleichviel welcher Art, gerichteten Gemeinschaften bedienen sich des Wirtschaftens nur soweit, als dies nach Lage der Relation von Bedarf und Gütern unumgänglich ist. Die Wirtschaft einer Familie, einer milden Stiftung oder Militärverwaltung, einer Vergesellschaftung zur gemeinsamen Rodung von Wald oder zu einem gemeinsamen Jagdzuge stehen darin einander gleich.“

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übersichtlich und einfach, da maßgeblich ackerbaulich79 geprägt80. Bauern- und Gutswirtschaften deckten den wesentlichen Teil an Bedarfsgütern selbst, auch die Bevölkerung in den Städten betrieb in gewissem Maße Eigenproduktion81. Die Hauswirtschaft nannte Weber „die urwüchsige Grundlage der Pietät und Autorität“, die „Solidarität nach außen und kommunistische Gebrauchs- und Verbrauchsgemeinschaft der Alltagsgüter (Hauskommunismus) nach innen“ lebte82. Neben der Hauswirtschaft existierte die kleinteilige regionale beziehungsweise städtische Wirtschaft (d. h. direkter Verkehr von Produzenten an Konsumenten, lokaler / regionaler Güterverkehr – Stadt als weitestgehend autarke Zelle)83. Demnach erstellte der Produzent (z. B. Bäcker, Schneider, Schlachter) seine Ware zur Eigennutzung (zumeist Produktions- gleich Wohnort) und verkaufte die Überschüsse direkt am Produktionsort auf einem (Wochen-)‌Markt. Zum Teil wurden die den Eigenbedarf übersteigenden Bestände an Nahrungsmitteln und Rohstoffen darüber hinaus auch in das Ausland exportiert84. „Bei diesem Wirtschaftstil [sic!] wurde die alltägliche Arbeit fast als eine aus sich selbst verständliche Beschäftigung gewertet, die bereits befriedigte, wenn sie den notwendigen Lebensunterhalt gewährte, und nicht als ein Mittel angesehen, um unbegrenzt Schätze anzusammeln. Demgemäß verharrte auch die Bedarfsdeckung in den gewohnten Bahnen. Wirtschaftsphantasie und Wirtschaftswille griffen nicht nach fernen Zielen aus.“85

Einhergehend mit der wirtschaftlichen Dominanz der Landwirtschaft wohnten zu Beginn des 19. Jahrhunderts etwa drei Viertel der Deutschen auf dem Land. Aber selbst die städtische Bevölkerung war großteils mit der Landwirtschaft verbunden und in ihr tätig.86 Mit der Gründung des deutschen Zollvereins 1834 veränderte sich der innerdeutsche Handel entscheidend und man trat als ökonomischer Binnenmarkt auch nach außen hin schrittweise vereint auf87. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden überwiegend deutsche Agrarerzeugnisse exportiert und Kolonialwaren importiert. Seit der Mitte des Jahrhunderts nahmen die Ausfuhr von Industrieerzeugnissen und die Einfuhr von Roh- und Halbstoffen stetig zu. Der Handel beschränkte sich bis in die 1860er Jahre auf das europäische Gebiet, danach wurden die Verflechtungen mit dem außereuropäischen Markt vor allem mithilfe der Linienschifffahrt immer enger.88 Politisch scheiterte im Jahr 1848 die bürgerlich 79

Vgl. Spann 1928, S. 1. Vgl. Sombart 1954, S. 29. 81 Vgl. a. a. O., S. 30–32. 82 Weber 1980, S. 214. 83 Vgl. Fuchs 1925, S. 36. 84 Vgl. Bechtel 1956, S. 174: Deutschland war bis Mitte des 19. Jahrhunderts ein Getreideausfuhrland. 85 A. a. O., S. 437. 86 Vgl. Sombart 1954, S. 35. 87 Vgl. a. a. O., S. 37–38. 88 Vgl. Bechtel 1956, S. 330. 80

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nationale Reform- und Einheitsbewegung mit ihrer Revolution „von unten“, trug jedoch maßgeblich zur späteren Reichsgründung „von oben“ im Jahr 1871 bei89. Unter den Einflüssen der Revolution trat Riehl (Schüler Arndts90) als Begründer der deutschen Volkskunde („soziale Volkskunde“) in Erscheinung91. Er nahm rege – über Fachkreise hinaus – an gesamtgesellschaftlichen Debatten teil92: „In einer Übergangszeit tief greifender demographischer und sozialer Veränderungen gelang es ihm, dem Kontinuitätssymbol des deutschen Waldes eine bis dahin ungekannte Popularität als Kriterium nationaler Definition und Exklusion zu verschaffen“93, stellte Zechner fest. In seinem bedeutendsten, ab 1851 verfassten Werk „Naturgeschichte des deutschen Volkes“ thematisierte er unter anderem die Land-Stadt-Flucht und die wirtschaftlichen Entwicklungen: „Nicht die notwendigen, den unabweislichen Lebensbedürfnissen dienenden Gewerbe vermehren sich auffallend rasch in den Großstädten, sondern die kurzlebigen Luxusgewerbe, denen das Proletariat im Schoße sitzt.“94

Die daraus resultierende Vereinzelung95 und Auflösung der Familie als „das natürliche Vorgebilde der Volkspersönlichkeit“96 geißelte er als Gefahr für das gesamte Volksleben97. „Die großen und kleinen Großstädte, in denen jede Eigenart des deutschen Städtewesens abstirbt, sind die Wasserköpfe der modernen Zivilisation“98. Bergmann bezeichnete Riehl als „Begründer der Agrarromantik und Großstadtfeindschaft“99, gerade weil er das wissenschaftliche Fundament für das aufkeimende Milieu der Heimatschutzbewegung bildete. Nicht nur aufgrund seiner Prophezeiungen über die tiefgreifenden sozioökonomischen Entwicklungen wurden seine Begriffe und Motive um die Jahrhundertwende wieder aufgegriffen und weiterentwickelt. Für Riehl kam die Nationalstaatsidee sozialer und politischer Gleichmacherei gleich und die einhergehende „Uniformierung des Gemeindewesens läuft jenem germanischen Freiheitssinn geradezu wider die Natur. […] So gewiß das Streben jedes deutschen Patrioten auf eine nach außen geschlossene staats- und völkerrechtliche Einigung des großen Vaterlandes gerichtet ist, so gewiß würde es eine Sünde gegen den Geist der deutschen Nation sein, wollte man das Gemeindewesen, wollte man die gesellschaftsbürgerliche Ordnung der einzelnen Länder und Landschaften über einen Kamm scheren.“100 89

Vgl. Stadtmüller 1984, S. 88 und Riehl 1935, S. 330: „Aus dem Schoße des deutschen Bürgertums ging der ideelle Anstoß zu der Märzbewegung von 1848 als einer nationalen und konstitutionellen Reformbewegung hervor.“ 90 Vgl. Klueting 1998, S. 47. 91 Riehl 1935, S. 1. 92 Vgl. Bechtel 1956, S. 126 ff. 93 Zechner 2016, S. 126. 94 Riehl 1935, S. 109. 95 Vgl. a. a. O., S. 197. 96 A. a. O., S. 185. 97 Vgl. a. a. O., S. 109. 98 A. a. O., S. 108. 99 Bergmann 1970, S. 38 ff. 100 Riehl 1935, S. 130.

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Mit Blick auf die offensichtlichen gesellschaftlichen Veränderungen infolge der Industrialisierungsprozesse idealisierte er zugleich den Bauernstand zur Zukunft der deutschen Nation101, als „eine unüberwindliche konservative Macht“102. Das Bürgertum hingegen stehe für seine „gleichmäßige äußere Physiognomie“ und Uniformität, das Bauerntum für das Besondere103. List hingegen erachtete „die Nationalität“ als Garant des nationalen Wohlstandes sowie Bindeglied „zwischen Individualität und Menschheit“ und deklarierte diese Grundannahme als „charakteristischen Unterschied“ seiner (Politischen) Ökonomie gegenüber dem „System der Schule“ von Smith et al., das „an drei Hauptgebrechen“ leide104: „[E]rstens an bodenlosem Kosmopolitismus, welcher weder die Natur der Nationalität anerkennt, noch auf die Befriedigung ihrer Interessen Bedacht nimmt; zweitens an einem toten Materialismus, der überall hauptsächlich den Tauschwert der Dinge ins Auge faßt, ohne die geistigen und politischen, die gegenwärtigen und die zukünftigen Interessen und die produktiven Kräfte der Nation zu berücksichtigen; drittens an desorganisierenden Partikularismus und Individualismus, welcher, die Natur der gesellschaftlichen Arbeit und die Wirkung der Kräftevereinigung in ihren höheren Konsequenzen verkennend, im Grunde nur die Privatindustrie darstellt, wie sie sich im freien Verkehr mit der Gesellschaft, d. h. mit der gesamten Menschheit entwickeln würde, im Fall sie nicht in besondere Nationalgesellschaften getrennt wäre.“105

Zum Schutz der Manufakturwaren der Nation plädierte er für Schutzzölle, wenngleich er den Freihandel nicht kategorisch ablehnte, wie es beispielsweise Fichte106 tat. Besonders hob List die Notwendigkeit der Ausgewogenheit vom geistigen und materiellen Geschäft hervor, beides bedinge sich wechselseitig.107 Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts blieb der Anteil in der Landwirtschaft tätigen Menschen auf einem hohen Niveau, danach nahm der Anteil der gewerb­ lichen und handeltreibenden Bevölkerungsteile zur Gesamtbevölkerung zu108. Den Wirtschaftszweig des Handels übte man zunächst vor allem in Kombination mit der Produktion von Waren aus109: Beim sogenannten „Lokohandel“ wurden die produzierten Waren auf Märkten verkauft. „Die wichtigste Versorgungsinstitution bildete dabei der Wochenmarkt“110. Schrittweise folgte der „Typenhandel“, Einzel- wurde durch Kommissionshandel ersetzt.111 Im „Detailgeschäft“ (Klein-

101

Vgl. Riehl 1935, S. 222. A. a. O., S. 221. 103 A. a. O., S. 307. 104 List 1910, S. 40, 267 und vgl. a. a. O., S. 40, 254–255, 267–268. 105 A. a. O., S. 267. 106 Vgl. Fichte 2015. 107 Vgl. List 1910, S. 234, 251. 108 Vgl. Sombart 1954, S. 35: Beispielsweise im Königreich Preußen waren im Jahr 1843 97 je 10.000 Einwohner im Handel tätig; 1907: 333. 109 Vgl. a. a. O., S. 34. 110 Spiekermann 1999, S. 30. 111 Vgl. Sombart 1954, S. 206 ff., 213. 102

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handel112) trat erstmals im großen Stil der Effekt zu Tage, dass der Bedarf nicht produzierten Mengen entsprach, sodass Instrumente der Verkaufsförderung wie Schaufenster113 mit Reklame notwendig wurden114. Das Tagesgeschäft spaltete sich in „Qualitätswarengeschäft“ und „Schund- und Massenartikelgeschäft“. Es kam zur Spezialisierung der Geschäfte und der Kombination verschiedener Warengruppen.115 Die Anfänge des modernen Warenhauses waren geboren116. Dem Kleinhandel kam eine steigende volkswirtschaftliche Bedeutung zu und der Laden übernahm schrittweise die Grundversorgung, die zuvor im Rahmen der individuellen Wertschöpfung großteils „zu Hause“ abgedeckt wurde117. Es erfolgte der Übergang der Bedarfs- zur Erwerbswirtschaft. „Der formale Wandel hin auf eine ladengebundene Funktionsausübung war die bedeutendste mikroökonomische Innovation im 19. Jahrhundert, der sich die so zahlreichen betriebsinternen Veränderungen erst anschlossen“118.

Auch wenn es zum wesentlichen Ausbau des Verkehrs- und Transportwesens kam, konnte aber aufgrund der gefestigten, regionalen Diversität noch nicht von einer Einheitlichkeit des deutschen Konsumgütermarktes gesprochen werden119. Für große Teile der Bevölkerung war mit dem Beginn der Industrialisierung insgesamt ein ökonomischer Wohlstandszugewinn zu verzeichnen, vorher „herrschten unter den Massen des Volkes in Stadt und Land Not und Elend, die öfters zur Hungersnot ausarteten.“ Bauern, Handwerker und Krämer lebten ärmlich, das (höhere) Bürgertum bescheiden und lediglich der hohe Adel, Handelsherrn und Bankiers galten als bessergestellt beziehungsweise reich.120 In den Zeitraum der Pauperismuskrise von etwa 1830 bis 1850 fand auch deshalb die Bevölkerungstheorie von Malthus aus dem Jahr 1798 ihre breite Entfaltung auf deutschem Gebiet. Hiernach drohe mit der beginnenden Industrialisierung die Überbevölkerung und „die Lage der Menschheit gravitiere naturnotwendig zu einem Zustand allgemeinen Elends, so daß die Existenz von Armut zu den Naturbedingungen der bürger-

112

Spiekermann 1999, S. 134: Kleinhandel „ist eine wirtschaftliche Tätigkeit, welche durch Absatz von Waren an Endverbraucher Auskommen bzw. Gewinn erzielen will.“ 113 Vgl. a. a. O., S. 573–574, 585. „Aus dem Luxuswarengeschäft entlehnt, bildete es [Anmerkung des Autors: das Schaufenster] das Hauptwerbemedium gerade mittlerer Geschäfte.“ A. a. O., S. 585. 114 Vgl. Sombart 1954, S. 224–225. 115 A. a. O., S. 231–233. 116 A. a. O., S. 235: „Ein modernes Warenhaus ist dort vorhanden, wie die drei Eigenarten der kapitalistischen Detailhandelsentwicklung sich vereinigt finden: 1. die großkapitalistische Basis; 2. der kapitalistische Geist, d. h. die Modernität der Geschäftsprinzipien; 3. die Neuordnung der Waren nach dem Gesichtspunkt höchster Bedarfsanpassung, somit a) Differenzierung in der Qualität, b) Kombinierung verschiedener Branchenartikel.“ 117 Vgl. Spiekermann 1999, S. 506, 615. 118 A. a. O., S. 135. 119 Vgl. a. a. O., S. 506. 120 Sombart 1954, S. 21–22.

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lichen Gesellschaft gehört“121. Nach Malthus bestehe kein harmonisches Verhältnis (mehr) zwischen der Bevölkerung und der Subsistenz, was vor allem mit der natürlichen Endlichkeit der Ertragsfähigkeit der Agrarproduktion zusammenhinge. Auf letzteren Zusammenhang vom Malthusischen Bevölkerungsgesetz und vom Gesetz vom sinkenden Grenzertrag der Agrarproduktion wies wiederum Ricardo hin. „Der Pauperismus, die neue Massenarmut, war das wahre Gespenst des Vormärz“122 und verdeutlichte, dass „die Bevölkerung über das Maß der verfügbaren Subsistenzmittel hinaus gewachsen war“123 – in diesem Zeitraum stieg die Bevölkerungszahl um circa 20 Prozent. Die Angst vor Verarmung stand im deutlichen Gegensatz zur nicht minder verbreiteten Hoffnung auf umfassendem materiellen Wohlstand und technischen Fortschritt.124 Tatsächlich wuchs die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit deutlich, vor allem dank technischer Neuerungen in der Landwirtschaft, und der Nationalreichtum überholte die gleichzeitige Bevölkerungszunahme125. Für Paech beruhe das enorme materielle Wohlstandswachstum seit der Industrialisierung „allein auf ökologischer Plünderung.“ „Der Mythos vom Effizienzfortschritt oder anderen Ausprägungen menschlicher Schaffenskraft“ sei „abstrus“: Zwar mögen technische Innovationen und Erfindungen diese Entwicklung maßgeblich geprägt haben, jedoch „entpuppt sich dieser ‚Fortschritt‘ lediglich als effektiver Hebel, der dazu befähigt, sich mit minimalem eigenem physischem Einsatz ein zunehmendes Quantum an physischen Leistungen anzueignen.“ Paech sprach von einer Entgrenzung in dreifacher Form: der Rückgang individueller körperlicher, handwerklicher Fähigkeiten (Rückgang individueller Wertschöpfung), die Entstehung internationaler Wertschöpfungsketten (Ausbau der Infrastruktur, internationale Vernetzung) und gegenwartsorientiertem Agieren mittels zum Beispiel Verschuldung (Gründung von Banken und Aktiengesellschaften).126 Soziokulturell bahnten sich erhebliche Veränderungen an, ein zunehmender Prozess der „Entpersönlichung der wirtschaftlichen Tätigkeit“ und „Versachlichung aller Beziehungen“127 war zu verzeichnen, der aber zunächst vom Wohlstandsgewinn überdeckt wurde. Sombart konstatierte, was viele Fortschrittskritiker teilten und im Kern die Dialektik langsam aufkommender Reform- und Erneuerungs­ bewegungen in sich trug: „Alle feste Materie, alles Erdenhafte und damit auch alles Bodenständige, Wurzelhafte verschwindet. Die Welt der Werte löst sich in ein unsichtbares Netz von unpersönlichen Beziehungen auf, die allein noch von der Quantität beherrscht werden.“128

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Sieferle 1990, S. 171. A. a. O., S. 147. 123 A. a. O., S. 153. 124 Vgl. a. a. O., S. 81, 130–137, 147–153, 171, 221. 125 Vgl. Sombart 1954, S. 395. 126 Paech 2013, S. 56–57. 127 Sombart 1954, S. 237. 128 A. a. O., S. 200. 122

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Hier nahm er unter anderem Bezug auf den sinkenden Eigenproduktionsanteil, die zunehmende Mobilität, die Massenproduktion und die Land-Stadt-Flucht. Nunmehr folgte eine Umkehr des deutschen Im-/Exportverhältnisses, die Abhängigkeit von internationalen Handelspartnern wuchs. Für Sombart war „die Geburtsstunde des neuen Deutschlands“ angebrochen: Erwerbsstreben, Gewinnsucht, Unternehmergeist erwachten und „der Taumel [ergriff] die gesamte Kulturwelt Europas.“129 War der frühkapitalistische Geist bis Ende des 18. Jahrhunderts noch gebunden an „Sitte und Sittlichkeit, wie sie vor allem die christlichen Konfessionen lehrten“, trage der kapitalistische Geist nunmehr „einen wesentlich freien Charakter“130. ­Sieferle unterschied zwei Funktionen der sich etablierenden Fortschrittsvorstellung: (1) die „Mobilisierung“ sowie (2) die „Sinnstiftung“131: (1) „Der mobilisierende Fortschrittsgedanke verspricht somit, daß das Leben besser werden kann, er soll zum Handeln aufrütteln und ist daher gegen eine überkommene Wirklichkeit gerichtet, die als bloß vorläufig, als vorübergehend und überwindbar erscheint.“ (2) „Der Fortschrittsgedanke half somit bei der Sinnfindung innerhalb eines erschütterten Lebens, er half bei der Bewältigung der Irritationen, die von Industrialisierung und Rationalisierung des Lebens ausgingen.“132

Insbesondere der „sinnstiftende Fortschrittsgedanke“ gehöre „seit dem 19. Jahrhundert zum elementaren Bestandteil des europäischen Denkens“, konstatierte Sieferle. „Der Fortschritt konnte so zur Basisideologie einer mobilgemachten Welt werden.“133 Ebenso kam Fromm zu dem Schluss, dass der unbegrenzte Fortschritt als „große Verheißung […] die Hoffnung und die Zuversicht von Generationen seit Beginn des Industriezeitalters aufrechterhielt“134. „Diese Dreieinigkeit von unbegrenzter Produktion, absoluter Freiheit und uneingeschränktem Glück bildete den Kern der neuen Fortschrittsreligion, und eine neue irdische Stadt des Fortschritts ersetzte die ‚Stadt Gottes‘“135.

Die Grundfrage des Wirtschaftssystems hieß nicht mehr: „Was ist gut für den Menschen?“, sondern „Was ist gut für das Wachstum des Systems?“136. Im Zuge der Industrialisierung ergaben sich ab der zweiten Jahrhunderthälfte hauptsächlich die folgenden Veränderungen137: In der Landwirtschaft kam es zu Rationalisierungsprozessen, zur Infrastrukturplanung („rationelle Landwirtschaft“), zur Privatisierung von Ländereien und zur Einführung neuer Maschinen

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Sombart 1954, S. 80 und vgl. a. a. O., S. 80–87. Sombart 1913, S. 461. 131 Sieferle 1990, S. 113. 132 A. a. O., S. 114. 133 A. a. O., S. 114–115. 134 Fromm 1976, S. 11. 135 A. a. O., S. 12. 136 A. a. O., S. 17. 137 Zum Teil in Anlehnung an Sieferle 1985, S. 38–39. 130

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und Methoden138. In der Forstwirtschaft lag der Fokus auf einer Ökonomisierung des Waldes, bei der Aufforstung wurden ertragreiche Arten bevorzugt. Infolge der bisher unbekannten Strapazierung von Gewässern, Böden und der Luft sowie der Nutzung neuer Chemikalien entwickelten sich Umweltprobleme. Die Bürger zogen zunehmend aus den ländlichen Bereichen in die Ballungsgebiete (LandStadt-Flucht139) und die Bevölkerungszahl140 wuchs. Die Bauwirtschaft veränderte sich durch die allgemeine Verfügbarkeit von Baumaterialen (u. a. Eisenbahntransport). Hierdurch homogenisierten sich Baustile und regionale Eigenarten nahmen ab: Bauwerke und Straßen wuchsen nicht mehr in Anpassung an die Natur und in Synergie mit der Natur, sondern die Natur wurde ihnen angepasst. Der Personen-, Waren-, und Nachrichtentransport und die Infrastruktur im Allgemeinen veränderten sich infolge der Schaffung von Eisenbahnstrecken141 und der (Dampf-)Schifffahrt142. Straßen wurden errichtet und begradigt, Brücken wurden erbaut – zugunsten des Nahverkehrs und der Kraftwagen. Das Post- und Telefonwesen wurde wesentlich ausgebaut143. Als Energiequellen lösten Elektrizität, Gas und Dampf natürliche Energielieferanten wie Wind und Wasser ab144. Unternehmensgründungen145 und die Kreditwirtschaft prägten die Zeit: Börsen, Bankinstitute und Aktiengesellschaften146 entwickelten sich. Der Kapitalverwaltung und -schaffung kam eine steigende Bedeutung zu. In der Arbeitswelt kann der Übergang vom Agrar- zum Industriestaat festgestellt werden. Die Zahl der Arbeiter und Angestellten wuchs, vor allem in Großbetrieben organisiert, und die Zahl der Selbstständigen ging zurück147. Unterstützend kam es im Zusammenhang mit der Reichsgründung 1871 zur Ordnung sowie Vereinheitlichung des Gewerbe- und Handelsrechts (d. h. Gewerbe-, Vertragsfreiheit, Freiheit des Eigentums und der Vererbung, Schutz der Privatrechte)148, des Geldwesens und der Maße und Gewichte (metrisches System).149 138 Sombart 1954, S. 151–152: z. B. Dreschmaschinen in Stk. 1882: 268.367, 1893: 596.869, 1907: 947.003. 139 A. a. O., S. 395: Anteil Stadt von gesamt: 1871: 36,1 %, 1875: 39,0 %, 1880: 41,4 %, 1885: 43,7 %, 1890: 47,0 %, 1895: 49,8 %, 1900: 54,3 %, 1905: 57,4 %, 1910: 60,0 % (davon höchster Anteil in Großstädten ab 100.000 Einwohner: 21,3 %). 140 A. a. O., S. 103: 1816: rd. 24,8 Mio. Menschen lebten auf dem Gebiet des Deutschen Reiches (Basis 1910); 1910: rd. 65,0 Mio. Menschen. 141 A. a. O., S. 164: Erfindung der Dampfeisenbahn 1825, erste Strecke Nürnberg-Fürth 1835. 142 Vgl. a. a. O., S. 238 ff., 252 ff. 143 Vgl. Bechtel 1956, S. 69 und vgl. Sombart 1954, S. 271 ff.: Zahl der Telefon-Sprechstellen 1881 1.504; 1910 1.039.200. 144 Vgl. Bechtel 1956, S. 166. 145 Vgl. a. a. O., S. 158 ff. Wie z. B. Krupp, Siemens, Benz, Daimler, Abbe, Zeiss. 146 Sombart 1954, S. 86: 1851 bis 1870 295 Neugründungen von AG mit Kapital von 2.404 Mrd. Mark, allein zwischen 1870 bis 1874 857 AGs mit 3.306 Mrd. Mark. 147 Bechtel 1956, S. 167 und 28: Erwerbstätige in Millionen 1882/1907; Landwirtschaft: 7,1/8,6; Handel: 5,7/9,8; Verkehr: 1,4/3,5 und vgl. Sombart 1954, S. 276: Industrie (einschl. Bergbau und Baugewerbe): 5,9 (= 336,9/1.000)/10,9 (= 386,3/1.000). 148 Vgl. Sombart 1954, S. 131–132. 149 Vgl. Bechtel 1956, S. 77–89.

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B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen

Der Zeitforscher Geißler verdeutlichte den Zusammenhang zwischen der Etablierung der Uhrzeit und den Veränderungen der Lebens- und Arbeitswelt. Die Arbeitszeit in der vorindustriellen Arbeitswelt richtete sich nach den Jahreszeiten, der zyklischen Grundgeschwindigkeit der Natur. Er nannte diese „praktizierte Einheit von Arbeit und Leben“ die „organische Zeit“150. Das Zeitliche erlebte man „durch die Rhythmen des Lebendigen“151 in Einheit mit der Natur. Als maßgeblicher, dominanter Bestandteil der industriellen Moderne hatte die „Zeit der Uhr“ nun „der Welt eine neue Ordnung gegeben“, die enge Naturbindung der Zeit aufgelöst und der Zeit „der Neubewertung als ökonomischer Ressource“ (Zeit ist / als Geld) geöffnet152. Arbeiten und Leben wurde dadurch deutlich beschleunigt. Geißler sah die „Geburt des Kapitalismus aus dem Geist der Uhr“: Durchsetzung und Akzeptanz der Uhrzeit als Bezugspunkt sei mit dem Aufkommen des Kapitalismus „untrennbar wechselwirksam verknüpft“.153 Die Zeit avanciere zum „Gegenstand des Mangels: Es gibt immer zu wenig. Man arbeitet daher schneller, konsumiert schneller, läuft schneller, fährt schneller, isst schneller, redet schneller, kurzum, man lebt schneller“154. Der statische Takt der Uhr im allgemeinen Tagesablauf beziehungsweise die Maschine oder des Fließbandes im speziellen Arbeitsablauf löste den lebendigen Rhythmus im Einklang mit der Natur ab.155 Die wirtschaftliche Aktivität der Deutschen hatte sich in diesem 19. Jahrhundert maßgeblich geändert und die deutsche Volkswirtschaft nahm eine entscheidende Wandlung. Fuchs unterschied drei Perioden. Die erste Periode bis Mitte des 19. Jahrhunderts trug die bereits ausgeführten merkantilistischen Wesensmerkmale mit Haus- und städtischer Wirtschaftsstruktur innerhalb eines nationalen Absatz- / ​ Binnenmarktes beziehungsweise einer weitestgehend geschlossenen Staatswirtschaft. Die zweite, „liberale“ Periode verlief teils in Überschneidung zur ersten bis zum letzten Viertel des 19. Jahrhunderts und zeichnete sich durch den schrittweisen Abbau staatlicher Regulierungen, die Bauernbefreiung, die Handels- / Gewerbefreiheit und die Freizügigkeit aus. Darauf folgte bis zu Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 die dritte, „soziale“ Periode mit dem Aufkommen der Sozialgesetzgebung sowie des Nationalitätsprinzips, worin zur „Sicherung der nationalen Existenz und Unabhängigkeit“ teilweise wieder auf merkantilistische Mittel zurückgegriffen wurde. Dennoch existierten bis 1914 starke Verstrickungen mit dem Weltmarkt und die deutsche Wirtschaft war geprägt von einer Kombination aus Haus-, Stadt-, Staats-, und Weltwirtschaft.156 So wie sich die wirtschaftliche Tätigkeit der Menschen in dieser Zeit vom eigenen Haus und Hof im dörflich geprägten Umfeld schrittweise auf die Klein-/Großstadt und deren Agglomerations 150

Geißler 2014, S. 39. A. a. O., S. 61. 152 A. a. O., S. 90. 153 A. a. O., S. 109. 154 A. a. O., S. 127. 155 Vgl. a. a. O., S. 38–39, 129. 156 Vgl. Fuchs 1925, S. 43–55. 151

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räume und dann auf das Staatsgebiet verlagerte, so erfuhr auch der Heimatbegriff eine fortlaufende Erweiterung und Veränderungen. „Fast nur noch innerhalb des Bauerntums ist das Haus das Ganze eines Zusammenlebens in Arbeit und Festen. Bei den anderen Ständen ist der Schwerpunkt des Daseins der Glieder nach außen verlagert, und das Haus ist nur Stätte flüchtiger Unterkunft und gelegentlichen Sichtreffens.“157

Eine entscheidende Wegmarke für den Niedergang der Hausgemeinschaft/-wirtschaft bildete demnach die örtliche Trennung von Beruf und Haus, der „Haushalt [war] nicht mehr Stätte gemeinsamer Produktion, sondern Ort gemeinsamen Konsums“158. Gen Jahrhundertwende avancierte der Begriff „Vaterland“ zum populärsten Synonym, besonders im Politischen, für den Begriff „Heimat“159. Es kam zur Verknüpfung „des eher politischen Begriffs mit der Vorstellung natürlicher, gewachsener Bindung“160. Bindungen gingen durch die zunehmende Mobilität verloren, der Wohn- war vielfach nicht mehr zugleich Arbeitsort. Konsumiert wurden mehrheitlich nicht mehr die aus Eigenproduktion kreierten Güter, sondern die Produkte vom Laden im Ort oder in der nächstgelegenen Stadt. „Die alte, aus dem juristischen Bereich stammende Gleichsetzung von Heimat mit Haus und Hof bietet für weite Bevölkerungsteile keine Identifikationsmöglichkeit mehr“161, schon weil sie mit dem Freizügigkeitsgesetz von 1868 keine Geltung mehr besaß162.

II. Während des Kaiserreiches Insbesondere vor dem Hintergrund der allgemeinen Gewerbefreiheit gab es insbesondere in der Lebensmittelbranche eine „beschleunigte Zunahme der Betriebsziffer, die den Bevölkerungszuwachs weit übertraf“163. Es etablierten sich neue Be- und Vertriebsformen in Konkurrenz zum Laden, wie zum Beispiel Kaufhäuser, Bazare, Versandgeschäfte, (Massen)Filialisten und Konsumvereine164, die auf alleinige Distribution fokussiert waren und eine starke Gewinnorientierung hatten. In dieser Phase entwickelte sich der Preis zu der kaufleitenden Funktion im Rahmen der Kaufentscheidung, wodurch natürlich die Massenproduktion pro 157

Stavenhagen 1948, S. 9. Weber 1980, S. 226. 159 Vgl. Bastian 1995, S. 144. 160 Bausinger 1990, S. 81. 161 Bastian 1995, S. 122. 162 Vgl. Walder 1908, S. 41 ff. und vgl. Piepmeier 1990, S. 95. 163 Spiekermann 1999, S. 615. 164 Vgl. Bechtel 1956, S. 323 ff.: Konsumvereine: Verkauf an Mitglieder von im Massenabsatz hergestellten Gütern des täglichen Bedarfs – einwandfreie Qualität und mäßige Preise, Erwerb direkt von Fabrik, Einsparung Zwischenhandelsgewinne, keine Auslage, Werbung, Ausstattung; 1905 über 900.000 Mitglieder. 158

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fitierte. Zwischen 1880 und 1900 sanken die Preise der 30 Hauptbedarfswaren um 21 bis 22 Prozent, zum Beispiel beim Produkt Zucker sank der Preis gar um zwei Drittel165. Neben dem bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts etablierten Schaufenster prägten die Zeit des erhöhten Wettbewerbs weitere, neue Methoden der Kundenansprache, wie zum Beispiel Zeitungsannoncen, Außenwerbung mit Reklameschildern und durchdachte Innenausstattung des Ladens. Im Kleinhandel, der vom allgemeinen Wachstum im Lebensmittelsektor sowie der Kaufkraftsteigerung profitieren konnte, bildete sich heraus, dass man dem entstandenen Konkurrenz- und Absatzdruck entweder über den Preis oder über den Service standzuhalten versuchte. So kristallisierten sich „deutliche Ansätze einer beginnenden Dienstleistungsgesellschaft“ heraus166. Der traditionelle Jahrmarkt verlor mit der Etablierung zentralistischer Verkaufsformen an Bedeutung.167 „Nicht mehr die Herkunft, nicht mehr das Material der Sortimente war entscheidend, es dominierte vielmehr ihr Zweck.“168 Der Lebensmittelhandel / markt spiegelte die Klassengesellschaft im Kaiserreich wider und man unterschied „entlang der sozialen Hierarchie Straßenhandel – Kleiner Nachbarschaftsladen – Konsumverein – Kolonialwarengeschäft – Delikatessenhändler“169. Mithin resultierte die neue Angebotsvielfalt im Lebensmittelbereich aus dem Einsatz neuartiger chemischer Ergänzungen, Färbungs- und Konservierungsmittel sowie technischer Verfahren170. Mit der erhöhten Produktvariation und -diversifikation kam die „Mode“ in Mode, Markenartikel prägten fortan den Markt und Kaufentscheidungsparameter wie Reputation und Ästhetik hatten eine Bedeutung171. Der Bereich der Kleidung „als regionalkultureller Indikator“ spiegelte exemplarisch den Wandel „am schnellsten und tiefgreifendsten“ wider, die Tracht avancierte vom Alltagskleidungsstück zum „zweckgebundenen Kostüm für bestimmte Anlässe“172. Sombart nannte es „[d]ie völlige Umschichtung des systematischen Aufbaues unseres Gewerbewesens durch den Kapitalismus“173. Das angebotene Produktspektrum weitete sich infolge von Lohnsteigerungen und industrieller (Massen-)Fertigung auf alle Bevölkerungsschichten aus. Beispielweise Fahrräder, Grammophone oder Pharmazeutika wurden fortan massenhaft industriell erzeugt und mit vielen anderen Erzeugnissen im Warenhaus, dem Inbegriff des Wandels zur Konsumgesellschaft, angeboten. Erstmals sollten Kundenansprache und -service zu einem Kauferlebnis beitragen. Neben dem Konsum lag 165

Vgl. Fuchs 1925, S. 104. Spiekermann 1999, S. 620. 167 Vgl. a. a. O., S. 585–602, 616–618. 168 A. a. O., S. 504. 169 A. a. O., S. 505. 170 Vgl. Baumgartner 1998, S. 117–118. Wie z. B. „die Konservendose mit luftdichtem Abschluß, die Sprühtrocknung, das Pasteurisierungs- und Vakuumsverfahren, die Fortschritte in der Kältetechnik“. A. a. O., S. 117. 171 Vgl. Spiekermann 1999, S. 507. 172 Göbel 2005, S. 271. 173 Sombart 1954, S. 295. 166

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der niederschwellige Besuchsgrund eines Warenhauses darin, Ausstellungen oder Konzerte renommierter Künstler zu sehen sowie weitere Freizeitaktivitäten wahrzunehmen. Ferner wurde der Zugang zu „ehemaligen“ Luxusprodukten wie zum Beispiel Porzellan und Schmuck geschaffen.174 Je höher die individuellen Gesamtausgaben waren, desto geringer wurde der Anteil an Ausgaben für Nahrungs- und Genussmittel und die Ausgaben für statusorientierten Konsum, Kultur, Bildung, Reisen, Körperpflege und Gesundheit stiegen175. Vor dem Hintergrund einer Studie aus dem Jahr 1912 sah Sombart eine wichtige Ursache für Ausbreitung des Kapitalismus – ausgehend vom 16. bis 18. Jahrhundert – vorrangig nicht in der territorialen Absatzausweitung, sondern vielmehr in dem starken Einfluss des Luxuskonsums auf die Produktion. Er machte deutlich, dass die „Entstehung der modernen Welt aus dem Geist der Verschwendung“ resultiert. Ein Geist, der den Luxus nachfragt, und vor allem aus der Veränderung des Geschlechterverhältnisses sowie der Bedeutung der Liebe und des Ehebundes fußt. Weniger das arbeitende Bürgertum, sondern vielmehr Könige und Hofdamen hätten danach den Kapitalismus erzeugt.176 Auf europäischer Ebene sei exemplarisch das anfängliche Luxusgut Schokolade zu nennen, das am Beispiel der Schweizer Schokolade – ebenso wie die Uhr oder der Käse – nicht nur zum Massenprodukt, sondern zugleich zu einem Symbol nationaler Identifikation der Schweizer avancierte. Es fand eine Verbindung zwischen natürlichen Motiven (z. B. Alpen und Milchkuh) und Werten (natürliche Reinheit) statt und schaffte erst das dezidiert nationale Image der Milchschokolade. Allerdings konnte dabei der offenkundige „Widerspruch zwischen der industriellen Verarbeitung der Waren, einer schon um 1900 zunehmend ins Ausland verlagerten Produktion und dem nationalen Image der Produkte“177 nicht wirklich unterdrückt werden.178 Bausinger sah hierbei eine „unheilige Allianz aus Kommerz und Heimatpflege“, da sich Unternehmen auf den regionalen Bezug und ihre Heimatverwurzelung beriefen, zugleich aber maßgeblich zur „Heimatzerstörung“ beitrugen179. Nach Giesen brach mit der Reichsgründung im Jahr 1871 „die elementare Spannung zwischen der kulturellen Identität und der Partikularität von Staat und Politik“ zusammen und „die Begriffe der Klasse, Rasse und Gesellschaft als ultimate Codierungen kollektiver Identität und als bewegende Kräfte der Geschichte“ traten in Erscheinung. Es handelte sich bei der Reichsgründung insgesamt nicht um eine Gründung „von unten“, wie es das Bildungsbürgertum 1848 versuchte, sondern „von oben“ infolge von Krieg und Diplomatie. Das war nicht im Sinne vieler Intellektueller.180 Davon unbenommen erkannte Ditt ein ausgeprägtes Nationalgefühl 174

Vgl. Spiekermann 1999, S. 142 ff., 380, 617–618. Vgl. Fischer 2011, S. 263 ff. 176 Sombart 1984, S. 192. 177 Rossfeld 2012, S. 77–78. 178 Vgl. a. a. O., S. 47, 77–78. 179 Bausinger 1990, S. 84. 180 Giesen 1993, S. 235. 175

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nach 1871 und insbesondere in der wilhelminischen Zeit, resultierend aus dem Akt der Reichsgründung und der guten wirtschaftlichen Entwicklungen181. Für Fuchs wirkte die nationale Einigung „wie ein fruchtbarer Frühlingsregen auf alle Gebiete der deutschen Kultur. […] Wenn auch das deutsche Wirtschaftsleben zunächst noch eine Zeitlang unter der Herrschaft des wirtschaftlichen Liberalismus stand, so finden wir doch sonst schon überall, und bald auch hier, eine zunehmende Betonung des nationalen Moments, die Entwicklung eines starken Nationalgefühls, und damit auch wieder eine wachsende Schätzung des Heimatlichen, des Nationalen und Lokalen in Literatur, Musik und Kunst.“182

Wohl auch maßgeblich aufgrund auftretender, vielschichtiger Fehlentwicklungen durch den „Bedeutungsrückgang traditioneller Zentrum und Räume“ sowie die „Ablösung sogenannter deutscher Werte und Ideale durch ‚materialistische‘ Ziele“ entwickelte sich in der Bevölkerung zunehmende Kritik und Sensibilisierung gegenüber der „‚Durchindustrialisierung‘ ganzer Landstriche“ sowie der „Zerstörung von Substanz, die jahrhundertelang gegolten hatte und bis dahin unzerstörbar schien“183. Seit den 1870ern schlossen sich deshalb Kreise des Bildungsbürgertums184 in fachspezifisch bis universalistisch ausgerichteten Erneuerungs­ bewegungen sowie Wissenschafts- und Heimatvereinen zusammen. Sieferle sah eben diese Bildungsbürger und folgende Hauptprotagonisten der Heimatschutzbewegung als Verlierer der Industrialisierung an, die eine „Kompensation durch Waren, die das Industriesystem für den zerstörten Naturgenuß und als Entschädigung für Disharmonie und Häßlichkeit der Industrielandschaft und der Siedlungen anbot“, nicht akzeptierten.185 Auch für Christiansen lag der Grund für das Aufkommen der Heimatbewegung im Bedeutungs- und Statusverlust des Bildungsbürgertums innerhalb der sich verändernden Gesellschaft. Diese Schicht versuche hiermit ihre „spezifischen Verlusterfahrungen“ zu kompensieren. „Der Verlust an Bedeutung im gesellschaftlichen Leben ließ die Angehörigen des Bildungs­ bürgertums den Schwerpunkt auf den geistig-kulturellen Bereich verlegen.“186 Nach Bastian wurde seither „der Heimat-Begriff mit utopischen Bedeutungselementen verbunden, um die Unsicherheiten des eigenen Lebens auszugleichen und die Annehmlichkeiten zu überhöhen“187. Der Musiker Rudorff gilt als Schöpfer des Begriffs „Heimatschutz“188. Mit seiner Zivilisationskritik erlangte er bereits um 1880 eine gesellschaftliche Breiten 181

Vgl. Ditt 1990, S. 135–136. Fuchs 1907, S. 19. 183 Bausinger 1990, S. 83. 184 Ditt 1990, S. 136: „Die Gründer und treibenden Kräfte der Heimatvereine […] waren Professoren, Museumsdirektoren, Gymnasiallehrer, Rechtsanwälte, Pfarrer, Architekten, höhere Justiz. und Verwaltungsbeamte“. 185 Sieferle 1985, S. 39. 186 Christiansen 1978, S. 106–107. 187 Bastian 1995, S. 122. 188 Vgl. Rudorff 1938, S. 285. 182

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wirkung189. In seinem wohl bekanntesten Aufsatz „Heimatschutz“ fragte er: „Was ist aus unserer schönen herrlichen Heimat mit ihren malerischen Bergen, Strömen, Burgen und alten Städten geworden?“ Er kritisierte die „Ausbeutung aller Schätze und Kräfte der Natur durch industrielle Anlagen aller Art“, die „Vergewaltigung der Landschaft durch Stromregulierungen, Eisenbahnen, Abholzungen und andre schonungslose, lediglich auf Erzielung materieller Vorteile gerichtete Verwaltungsmaßregeln“, die „Spekulationen auf Fremdenbesuch“, die „widerwärtige Anpreisung landschaftlicher Reize“ und die „Zerstörung jeder Ursprünglichkeit.“190 Der Wald sei zur Ware, zum Kapital degradiert worden191. Er forderte zum Beispiel die Beschränkung des Baus von Fabriken, da dem Handwerk die Maßanfertigung gehöre: „Nicht nur daß auf diesen Gebieten die Übergriffe der Fabrik zur Herrschaft unsolider Arbeit geführt haben und führen müssen, nicht nur daß die handwerksmäßige Herstellung solchen Gegenständen einzig und allein einen wirklichen Wert zu verleihen imstande ist, weil sie die Spur der lebendigen und Leben schaffenden Menschenhand empfinden läßt, während die Maschine tote Phrasen an die Stelle des Lebens setzt und damit alle Geschmacksbildung untergräbt.“192

Mit der maschinellen Massenfertigung und internationalistischen Produktimitation würde versucht, „die herrlichen Handwebereien des Orients oder die mit der Hand gefertigten Metallarbeiten Marokkos auszurotten“193. Rudorff war sich sicher, die Welt würde „nicht nur häßlicher, künstlicher, amerikanisierter mit jedem Tag, sondern mit unserm Drängen und Jagen nach den Trugbildern vermeintlichen Glücks unterwühlen wir zugleich unablässig, immer weiter und weiter den Boden, der uns trägt“194. In der Tat konnte das Handwerk gegenüber dem Preisdruck der Industrie nicht standhalten. Es hielt sich hauptsächlich in den Branchen, wo die maschinelle Fertigung nicht oder nur schwer möglich war, wie zum Beispiel bei tierischen Rohstoffen unterschiedlicher Beschaffenheit (z. B. Leder). Seine Daseinsberechtigung behielt es auch bei der Anfertigung von Einzelstücken, die nicht durch die Massenanfertigung erstellt wurden. Fällt der Blick auf die vergangenen Jahrhunderte, so konnte sich das Handwerk stets den vorherrschenden Stilschwankungen anpassen (wie z. B. in Barock, Rokoko oder Biedermeier). Erst mit der vereinfachten, massenhaften Fertigung unterschiedlicher Stile verlor das Handwerk an dieser Kontinuität.195

189

Vgl. Sieferle 1985, S. 39. Rudorff 1897, S. 401–402. 191 Vgl. a. a. O., S. 408. 192 A. a. O., S. 413. 193 A. a. O., S. 414. 194 A. a. O., S. 465. 195 Vgl. Bechtel 1956, S. 288–295. 190

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B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen „Das ehemals von der Hand gestaltete Zierwerk der Gebrauchsgüter verlor weiter an Berechtigung und Sinn, seitdem es Maschinen in unbegrenzter Menge gleichförmig wiederholten; unter dem ständigen Modewechsel entartete es zu einer äußerlichen, entbehrlichen Zutat“196.

Die Gesetzgebung brachte hingegen im Jahr 1897 eine Neuerung der Gewerbeordnung (z. B. Initiierung von Handwerkskammern) auf den Weg, um das Handwerk zu stärken. Die erhöhte Widerstandsfähigkeit des Handwerks seit der Jahrhundertwende gegen die Bedrohung durch industrielle Großbetriebe war zweifellos ein Erfolg der Gewerbeförderung, der durch Gesetzesvorschriften allein nicht hätte erreicht werden können. Die „große Entwicklung“ zur modernen Konsumgesellschaft – einhergehend mit dem Niedergang des Handwerks – konnte dadurch aber nicht aufgehalten werden.197 Zur Jahrhundertwende entwickelten sich „fortschrittliche, linke Gesellschaftskritik und konservative, rechte Zivilisationskritik“ – beide einte die ablehnende Haltung gegenüber der modernen, kapitalistischen Entwicklung, die Ziele beider Bewegungen gingen jedoch auseinander. Der vom „rechten“ Lager fokussierten Traditionsbewahrung, einhergehend mit der Kritik an Vereinheitlichung und Vermassung stand der „linke“ Modernitätsbegriff unvereinbar gegenüber, die die vernunftgetragene Einheit von Egalisierung, Industrie und Technik sowie Aufklärung vorsah. Sieferle erkannte hierbei, dass beide Seiten „von einer spiegelbildlich verkehrten Utopie ausgingen.“ Wie die Heimatbewegung und ihr Wirkumfeld die Kehrseiten der vorindustriellen Gesellschaft sowie den Wohlstandgewinn der industriellen Zeit übersahen, so wiesen die sozialdemokratischen, linken Hauptströmungen den Auswirkungen auf Natur und Tierwelt und der Urbanisierung keine übermäßige Bedeutung zu.198 Sombart hob zum einen die Beispiellosigkeit des 19. Jahrhunderts hervor, mit der etwa 40 Millionen zusätzliche Menschen ernährt wurden und zugleich der gesamtgesellschaftliche Lebensstandard konstant blieb beziehungsweise sogar anstieg: „Der Kapitalismus hat uns die Masse beschert, er hat unser Leben der inneren Ruhe beraubt, er hat uns der Natur entfremdet, er hat uns den Glauben unserer Väter genommen, indem er die Welt in ein Rechenexempel auflöste und eine Überbewertung der Dinge dieser Welt in uns wach rief; er hat die große Masse der Bevölkerung in ein sklavenartiges Verhältnis der Abhängigkeit von einer geringen Anzahl von Unternehmern gebracht. Aber dafür hat er eines gerade in bewundernswürdiger Weise geleistet: er hat eine riesig angewachsene Menschenmenge auf das beste mit Unterhaltungsmitteln zu versehen vermocht, er hat gerade das Futterproblem meisterhaft gelöst, besser als irgendeine Wirtschaftserfassung vor ihm.“199

Immerhin stieg die Bevölkerungszahl von 1800 mit rund 24,5 Millionen Menschen auf rund 65 Millionen Menschen im Jahr 1914200, sodass eine Neuordnung 196

Bechtel 1956, S. 289. Vgl. a. a. O., S. 288–295. 198 Sieferle 1985, S. 40. 199 Sombart 1954, S. 457. 200 Vgl. Bechtel 1956, S. 286: Mit einer Bevölkerungszunahme um rund 36 % von 1882 bis 1907. 197

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der wirtschaftlichen Verhältnisse zwangsläufig notwendig schien. Die Gründe für den enormen Anstieg lagen unter anderem an der steigenden Geburtenhäufigkeit, an der steigenden Lebenserwartung und der sinkenden Säuglingssterblichkeit – insbesondere sowohl aufgrund gesünderer und ausgewogenerer Ernährung als auch infolge medizinischen Fortschritts mit verbesserter Versorgung und Vorsorge sowie Krankenkassen.201 Während die Zahl der Landbevölkerung nicht so stark anstieg wie die der Stadtbevölkerung, so deckte sie teilweise ihren Nahrungsbedarf selbst. Der Anteil der Eigenproduktion sank jedoch insgesamt drastisch, mit der Jahrhundertwende wurde schließlich „nur noch in verschwindend geringem Umfange der Bedarf an gewerblichen Erzeugnissen durch Backen, Schlachten, Gerben, Spinnen, Weben, Schustern, Schneidern“202 selbst gedeckt.203 „[V]or hundert Jahren trug der deutsche Boden die deutsche Volkswirtschaft ganz und einige Teile fremder Volkswirtschaften außerdem, heute ist das Fundamentum der deutschen Volkswirtschaft weit über die Grenzen Deutschlands hinaus, tief in fremde Länder ausgedehnt worden.“204

Ein Beleg für die bestehenden Vernetzungen der europäischen Volkswirtschaften auf dem Weltmarkt ist die (Börsen-)Krise im Jahr 1873, die weitreichende Folgen hatte und im Rahmen dessen zahlreiche Finanzmärkte zusammenbrachen205. Ab 1880 setzten umfangreiche europäische Kolonialexpansionen ein, laut Osterhammel und Petersson ist ab diesem Jahrzehnt vom „Weltkapitalismus“ zu sprechen, der vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte206. Lag der Anteil der weltweiten Im- und Exporte am weltweiten Bruttoinlandsprodukt im Jahr 1500 noch zwischen rund einem bis zwei Prozent sowie im Jahr 1820 zwischen rund zwei und zehn Prozent, so war dieser im Jahr 1912 bereits zwischen rund 21 und 30 Prozent zu beziffern207. Auch der deutsche Wirtschaftsraum erweiterte sich ab Ende des 19. Jahrhunderts durch „Pflanzungsund Handelskolonien“208 in Afrika mittels Vereinbarungen und Verträgen209. Die deutsche Außenpolitik änderte sich mit der Entlassung Bismarcks, der ein Netz an außenpolitischen Beziehungen und Verträgen gesponnen hatte, unter anderem 201 Vgl. Bechtel 1956, S. 19–24 und S. 22: Durchschnittliche Lebenserwartung für Neugeborene: 1871/80: 37,0; 1891/1900: 42,0; 1924/26: 57,4 und Fuchs 1925, S. 154–156: Nach Jahren Geburten / Todesfälle / Überschuss: 1871/1880: 40,7/28,8/11,9; 1901/1910: 33,9/19,7/14,3; 1913: 27,5/15,0/12,5. 202 Sombart 1954, S. 277. 203 Vgl. Bechtel 1956, S. 25. 204 Sombart 1954, S. 380. 205 Vgl. Bechtel 1956, S. 188. 206 Osterhammel / Petersson 2006, S. 60 ff. und S. 17: 1911 – Gründung „Institut für Weltwirtschaft“ in Kiel. 207 Vgl. Beltekian et al. 2014. 208 Bechtel 1956, S. 95. 209 Vgl. a. a. O., S. 89–95. Bis 1914 betrug das deutsche Kolonialgebiet rd. 2,6 Mill. km² (5x Reichsgebiet), aber deutlich geringer als die Kolonien z. B. von England (30 Mill. km²), Belgien oder Portugal. Vgl. a. a. O., S. 94–95.

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B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen

erfolgte die Abwendung von Russland. Der Fokus der Ein- und Ausfuhr lag insgesamt deutlich auf dem europäischen Markt (vor allem Großbritannien, ÖsterreichUngarn, Frankreich). Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs konnte die deutsche Außenwirtschaft trotz außenpolitischer Bedrohungen und des zunehmenden Protektionismus’ wachsen und zur Welthandelsmacht aufstiegen.210 Die Exporte überflügelten die Importe211, wohingegen zugleich im Deutschen Reich als ehemaligen Agrarstaat nun mehr Getreide und Nahrungsmittel im- als exportiert wurden212. Die Gründung erster regionaler Heimatvereine erfolgte zunächst in kleinen und mittelgroßen Städten, wo Veränderungsprozesse noch nicht so etabliert waren, wie in den größeren Industriestädten. Die Bandbreite der Zielsetzungen reichte ebenso breit gefächert von antiquarisch-wissenschaftlich bis ästhetisch-emotional. Es erfolgte die wissenschaftliche Fundierung, Bewahrung, Erfassung, Sammlung und Untersuchung von Zeugnissen der Kultur, Kunst und Natur, zunächst auf lokaler Ebene. Auf der Agenda standen die Gründung von Heimatmuseen zur Bildungsarbeit, der Erhalt von Denkmälern und verfallenen Gebäuden oder die Verschönerung der Dörfer und Städte.213 „Letztlich verstanden die Heimatschützer ihre Arbeit auch als einen Beitrag zur Erhaltung der Kultur der deutschen Nation; Heimatliebe war ihnen Voraussetzung und Teil der Vaterlandsliebe“214. Eine Mitgliedschaft stand grundsätzlich jedermann offen. „Informelle Voraussetzungen waren jedoch ein gewisses Bildungsniveau […] sowie eine gewisse Ortsverbundenheit und Seßhaftigkeit.“ Somit war zunächst „der soziale Einzugsbereich der Heimatvereine auf die Ober- und Mittelschichten begrenzt.“215 Zunehmend agierte die Heimatbewegung in „nahezu alle Kreise des geistigkulturellen Lebens“216. Kramer hob für das Entstehen der Heimatbewegung besonders den Einfluss der Agrarbewegung hervor, die sich bei Ende der Schutzzölle zugunsten der Landwirtschaft nach 1890 und zunehmender Importe von Agrarerzeugnissen politische sowie wirtschaftliche Bedeutung zurückgewinnen versuchte217. Im Jahr 1893 gründete sich der „Bund der Landwirte“218 und drei Jahre später der „Ausschuß für Wohlfahrtspflege auf dem Lande“, ferner umbenannt in „Deutscher Verein für ländliche Wohlfahrtsund Heimatpflege“, der das Hauptthema der Landflucht vertrat. Einher ging die 210

Vgl. Bechtel 1956, S. 336–338. Sombart 1954, S. 521, Anlage 33: Deutscher Außenhandel in Mio. Mark: 1830 (660), 1840 (1.120), 1850 (2.100), 1860 (3.200), 1870 (4.240), 1880 (5.976), 1890 (7.472), 1900 (10.376), 1910 (16.409). 212 Vgl. Bechtel 1956, S. 148. Einfuhrüberschuss von Getreide (Weizen, Gerste, Mais, Reis, Roggen, Hafer) – 1872: 76 Mill. Mark, 1910: 578 Mill. Mark; 16 % des Getreidebedarfs aus dem Ausland. Die Einfuhr von Eiern, Butter, Käse, Fleisch und Vieh stieg um das 6,5-fache. A. a. O., S. 174–176. 213 Vgl. Ditt 1990, S. 135–138. 214 A. a. O., S. 136. 215 A. a. O., S. 137. 216 Kramer 1973, S. 6. 217 Vgl. a. a. O., S. 6–8. 218 Vgl. Bergmann 1970, S. 17. 211

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Initiierung der „Wandelvogelbewegung“ oder der „Dorfkirchenbewegung“219. Die sogenannte „Gartenstadtbewegung“, die ihre Ursprünge im deutlich früher industrialisierten Großbritannien um ihren Erfinder Howard hatte, wollte ebenso die Landflucht verhindern sowie ein ausgewogenes Zusammenspiel zwischen Stadt und Land beziehungsweise ökonomisch betrachtet zwischen Landwirtschaft und Industrie realisieren. Angedacht war der Mittelweg zwischen Kapitalismus und Sozialismus innerhalb eines autarken, genossenschaftlich organisierten Gemeinwesens, Grund und Boden in Gemeinschaftseigentum, jedoch mit ständischer Ordnung. Nahziel stellte – aufgrund hoher Bodenpreise sowie schlechter Wohnsituation – eine Boden- und Wohnreform dar. Das Fernziel bestand in einer grundlegenden Lebensreform – hier waren viele weitere Reformströmungen, wie zum Beispiel Sexual-, Tanz- oder Ernährungsreform impliziert. Im Jahr 1902 gründete sich die „Deutsche Gartenstadtgesellschaft“, die erste deutsche Gartenstadt war in Hellerau bei Dresden zu verorten. Erfolge der Gartenstadtbewegung waren beispielsweise die Sensibilisierung bei der Auswahl von Industriestandorten und eine „grünere“ Stadtplanung vor allem industriell geprägter Städte. Die Vernetzung zwischen den Heimatinitiativen und Reformbewegungen markierten nicht nur inhaltliche, sondern auch personelle Schnittmengen, im Vorstand der Deutschen Gartenstadtgesellschaft waren unter anderem Fuchs und Schultze-Naumburg.220 Insgesamt gehörte die Heimatschutzbewegung zum Wirkungsfeld einer „breiten Reform- und Erziehungsbewegung […] seit der Jahrhundertwende in Reaktion auf die Kulturkrise“221, zu der unter anderem der Dürerbund, Bewegungen der Bodenreform, der Körperkultur, der Naturheilkunde sowie die deutsche Jugendbewegung (Lebensreform-, Sexualreform-, Sozialhygienereform-, Wandervogelbewegung, Jugendherbergswesen), die Kunsterziehungsbewegung und die pädagogische Reformbewegung (Landerziehungsheime, Heimvolkshochschulen) zählten – letztere thematisierten das Fach Heimatkunde und nahmen Einfluss auf die Pädagogik 222. Die Mehrzahl dieser Initiativen und Bewegungen befassten sich indirekt oder direkt mit dem Heimatthema und wirkten ideell wie personell maßgeblich an der Gründung des Bundes Heimatschutz mit223. Zur reichsweiten Konstitutionalisierung der Heimatschutzbewegung und Zusammenfassung vieler, heterogener heimatkultureller Bestrebungen kam es am 30.04.1904 mit der Gründung des Dachverbandes, dem „Deutschen Bund Heimatschutz“ (DBH), durch Rudorff, damals Professor an der Königlichen Hochschule für Musik in Berlin. Mit Blick auf die oben aufgezeigte interdisziplinäre Ausrichtung und Vernetzung in andere Bewegungen greift die Einschätzung von Bausinger, in der er die Motive der Heimatschutzbewegung zum ersten auf die Hin 219

Vgl. Bergmann 1970, S. 89. Vgl. a. a. O., S. 135–163 und vgl. Hartmann 1998, S. 290–295. 221 Ditt 1990, S. 141. 222 Vgl. Gollwitzer 2008, S. 334–335, vgl. Bergmann 1970, S. 134 und vgl. Reulecke 1991, S. 2, 18. 223 Vgl. Bergmann 1970, S. 89. 220

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wendung zum Bäuerlichen infolge Landflucht sowie Industrialisierung und zum zweiten auf die Kritik an wachsender Industrialisierung bei gleichzeitiger Hinwendung zur Nation verdichtet, zu kurz.224 Satzungsgemäß hieß es: „Der Zweck des Bundes ist, die deutsche Heimat in ihrer natürlichen und geschichtlich gewordenen Eigenart zu schützen.“ Die Arbeitsfelder unterteilten sich wie folgt: „a) Denkmalpflege. b) Pflege der überlieferten ländlichen und bürgerlichen Bauweise; Erhaltung des vorhandenen Bestandes. c) Schutz des Landschaftsbildes einschließlich der Ruinen. d) Rettung der einheimischen Tier- und Pflanzenwelt sowie der geologischen Eigentümlichkeit. e) Volkskunst auf dem Gebiete der beweglichen Gegenstände. f) Sitten, Gebräuche, Feste und Trachten.“225

Ditt bezeichnete die Arbeit der Heimatschutzbewegung als „gegenwarts- und zukunftsorientierte kulturpolitische Konzeption aus neoromantischen Geist“ und nannte sie insgesamt eine moderne Bewegung, die sich „mit ihrem sachlichen Programm, ihrer Hochschätzung der Volkskultur gegenüber der offiziellen Hohenzollernkultur“ schichtenübergreifend an das gesamte Volk wandte226. „Es mag überraschen, daß die Heimatschutzbewegung, anders als ihr Name vermuten läßt, nicht primär nationalistisch orientiert war. Dies wird in den Ansätzen zur internationalen Zusammenarbeit deutlich“227, wie zum Beispiel der ab 1909 stattfindende „internationale Kongress für Heimatschutz“ (1909 in Paris, 1912 in Stuttgart) veranschaulichte228. Gollwitzer definierte die Heimatbewegung als „eine internationale kulturelle Erneuerungsbewegung“229. Daneben gab es sehr wohl auch expansive Stimmen innerhalb der Bewegung, wie etwa vom Schöpfer des Begriffs „Heimatkunst“, Bartels: „Das deutsche Volk soll die Kunst haben, die die Wurzeln seiner Existenz befruchtet und stärkt, die sein Leben schön, reich, groß macht, die seine nationale Widerstands- und Expansionskraft hebt“230. Besonders die Heimatkunst als „deutsch-nationale Gegen-Kultur“231 sollte später im Nationalsozialismus im Zusammenhang mit der Blut-und-Boden-Ideologie aufgegriffen werden. Neben einer forcierten Zentralisierung zur besseren Koordination, zur Steigerung des Bekanntheitsgrades und zum gemeinsamen Austausch lag der Haupt 224

Vgl. Bausinger 1980, S. 14–15 und vgl. Gollwitzer 2008, S. 331. Bund Heimatschutz und Geschäftsstelle Charlottenburg 1905, S. 7. 226 Ditt 1990, S. 152–153. 227 Sieferle 1985, S. 40. 228 Vgl. Gollwitzer 2008, S. 331. 229 A. a. O., S. 325. 230 Bartels 1904, S. 18. 231 Neumeyer 1992, S. 28. „Ein wichtiger Bestandteil der Heimatbewegung mit den vielleicht weitreichendsten Folgen für den Heimatbegriff war die sogenannte Heimatkunst, die vordergründig die Schaffung einer neuen Art von Literatur zum Gegenstand hatte. […] Ziel der Heimatkunst war eine nationale Gesundung durch Rückbesinnung auf das ländliche Volk und dessen Werte.“ A. a. O., S. 27–28. 225

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grund der Gründung des DBH darin, entgegen der Krise der deutschen Kultur zu arbeiten und aktiv mitzugestalten. Daneben unterschied sich seine Zielsetzung dahingehend, dass die historische Forschung an Relevanz verlor, wissenschaftliche Materialien wurden zunehmend popularisiert und der bürgerlichen Mitte urbar gemacht. Die historische Forschung sollte durch die Sammlung und Pflege von volkskundlichen Zeugnissen ersetzt werden. „Mit dieser neoromantischen Zielsetzung und der Methode der empirischen Feldforschung waren sie innovativ, dominierte doch um die Jahrhundertwende ein Kulturbegriff, der im wesentlichen nur die Schönen Künste als kulturell wertvoll ansah.“232 Überdies gewann der Naturschutz eine noch höhere Bedeutung. Es galt, die Natur „gegenüber der Häßlichkeit und Zweckhaftigkeit des modernen städtischen Lebens“ zu verteidigen. Entgegen der aufklärerischen Begriffsgleichsetzung von Kultur und Natur, wurde dem Naturbegriff eine höhere Relevanz beigemessen. Neben dem Denkmalschutz versuchten die Protagonisten auch, die regionale Bautätigkeit zu beeinflussen.233 Schultze-Naumburg ist hier als entscheidender Initiator zu nennen. Zur Heimatbewegung im Allgemeinen stellte er fest: „Keine Bewegung in der Tiefe eines Volkes entsteht ohne allgemeinen Zusammenhang mit der inneren Entwicklung des Volkes und es ist kein Zufall, dass die Gedanken, die sich zum Teil unter dem Namen ‚Heimatschutz‘ zusammenfanden, zeitlich mit Ideen zusammengehen, die ein neues Volksethos schaffen wollten.“234

Im Speziellen machte er maßgeblich die Industrialisierung für die Zerstörung der Schönheit von Natur und Orten verantwortlich: „Für das, was ohne Not und gedankenlos zerstört wurde, war kein Verlustkonto angelegt, und an die Möglichkeit, auch die Industrieanlage schön und harmonisch zu gestalten, dachte man nicht.“235 Es gäbe noch wichtigere Dinge, „als das, was sich verkaufen lässt, und dass Verkaufswaren zwar Materialien für die Notdurft des Lebens, aber keine Güter bedeuten, die selbständig Glück verleihen vermöchten.“236. Hier wird exemplarisch deutlich, dass die Heimatbewegung auch ökonomische Stoßrichtungen verfolgte. Zur Gründung des DBH sagte Fuchs, einst Professor der Nationalökonomie an der Universität Freiburg: „Die moderne wirtschaftliche Entwicklung ist es ja vor allem, gegen deren Auswüchse wir die deutsche Heimat schützen möchten. […] [D]ie Frage des ‚Industriestaats‘“ sei „die schwierigste Frage der heutigen deutschen Nationalökonomie.“237 Denn innerhalb der deutschen Volkswirtschaft loderte spätestens mit der Jahrhundertwende ein Meinungsstreit um den Wandel vom Agrar- zum Industriestaat. Die Gegner von der Entwicklung zum Industriestaat argumentierten mit der zu starken Abhängigkeit vom Weltmarkt, der Gefährdung des sozialen Friedens und dem Verlust jeglicher Bindungen – ideell wie materiell. 232

Ditt 1990, S. 138–140. A. a. O., S. 141. 234 Schultze-Naumburg 1915, S. 22. 235 A. a. O., S. 21. 236 A. a. O., S. 12–13. 237 Fuchs 1905, S. 6, 20. 233

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B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen

Die Befürworter verwiesen auf die Reallohnsteigerungen in Verbindung mit dem allgemeinen Wohlstandsanstieg und zeigten auf, dass die Industrialisierung als einziger Weg in Frage käme, das hohe Bevölkerungswachstum aufzufangen. Der Fortschrittsglaube wurde durch die tatsächlich schnelle sowie umfassende und das Maß der vergangenen Jahrzehnte übertreffende Bedarfsdeckung genährt.238 In die Kerbe der Gegner schlugen auch die Protagonisten der Heimatschutzbewegung. Man wolle dabei „das Rad der Entwicklung, auch der wirtschaftlichen“ nicht grundsätzlich aufhalten, es aber lenken, bevor „die Schönheiten unserer Heimat zermalmt“ werden239. Beispielsweise setzte sich der DBH gemeinsam mit dem Dürerbund für den Erhalt der „Laufenburger Stromschnellen“ – „eines der schönsten Landschaftsbilder Deutschlands, ja der ganzen Welt“240  – und gegen den Bau eines Kraftübertragungswerkes ein. Namhafte Unterstützer waren neben dem Architekten Schultze-Naumburg unter anderem der Politiker Naumann, der Volkswirt Sombart und der Nationalökonom Weber 241. Wiederum aus Sicht einflussreicher Größen der Industrie wurden die fortschrittskritischen Tätigkeiten der Heimatschutzbewegung „belächelt, ihre Vertreter diskriminiert, wenn nicht verfolgt.“ 1911 setzte zum Beispiel der „Bund der Industriellen“ eine „Kommission zur Beseitigung der Auswüchse der Heimatschutzbestrebungen“ ein.242 Laut Röpke war es in dieser Phase „eine fast unwiderstehliche Versuchung, reich zu werden und am sogenannten Fortschritt teilzuhaben, indem man die traditionelle Denkweise gegen die neudeutsche Smartheit eintauschte. Daß man dadurch seine Seele verkaufte, wurde damals kaum bemerkt, geschweige denn als ein starker Einwand empfunden.“243

Auf die zunächst nur partielle finanzielle Unterstützung durch staatliche Stellen folgte – eingedenk der zunehmenden Bekanntheit im bürgerlichen Lager – eine der Heimatbewegung gewogene Gesetzgebung in den Einzelstaaten des Reiches bis hin zu „außerordentlicher staatlicher Förderung“, sodass „der freien gesellschaftlichen Initiative von unten eine institutionelle Aktivität von oben entsprach“244. Beispielsweise erließ Preußen 1902 und 1907 die sogenannten „Verunstaltungsgesetze“, die Forderungen des DBH im Hinblick auf die Denkmal- und Landschaftspflege umsetzten. Europaweit wurden Anfang der 20. Jahrhunderts Initiativen der Heimatschutzbewegung aufgegriffen und staatliche Stellen für Denkmalschutz sowie Naturschutz ins Leben gerufen.245 Zudem wurde in dieser Zeit die Heimatkunde246, hauptsächlich in Kooperation mit den jeweiligen Vereinen, in den Schulunter 238

Vgl. Bechtel 1956, S. 168, 170–171. Fuchs 1905, S. 22. 240 Bund Heimatschutz und Geschäftsstelle Charlottenburg 1905, S. 131. 241 Vgl. a. a. O., S. 131–133, 151–153. 242 Sieferle 1985, S. 40. 243 Röpke 1948, S. 228. 244 Gollwitzer 2008, S. 332. 245 Vgl. ebd. 246 Einführung des Heimatkundeunterrichts im Jahr 1908, vgl. Barlmeyer 2013, S. 120. 239

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richt eingeführt. Laut Greverus fungierte der Heimatkundeunterricht des 19. und 20. Jahrhunderts als Wegbereiter der nationalsozialistischen Phase infolge zweier Handlungsstränge: Der Unterricht wurde zur „Gesinnungskunde“ erklärt und „fixierte zum anderen durch ihre heimatgeschichtliche Orientierung positive ‚Land und Leute‘-Stereotype über die regionale Vergangenheit, die Einordnungsbereitschaft lehrten“247. Insgesamt wurden die Heimatvereine staatlicherseits als in kultureller und nationaler Hinsicht wertvolle Organisationen unterstützt. Vielfach lag nicht nur eine staatliche Förderung, sondern eine Mitgestaltung vor, viele Heimatschützer waren in den öffentlichen Verwaltungen tätig und lieferten „Grundsteine für den Aufbau einer staatlichen und landschaftlichen Kulturpolitik“248 sowie der Denkmalpflege.249 „Es gelang dem Bund Heimatschutz, der Denkmalpflege, dem Naturschutz und der Heimatpädagogik in der Politik und in der Öffentlichkeit ein beträchtliches Ansehen zu verschaffen und zumindest in Teilbereichen zu einer differenzierteren Haltung gegenüber dem Fortschritt anzuregen“250.

Trotzdem es sich bei der Heimatschutzbewegung zunächst um eine „spezifische Aktion der Intelligenz“ handelte, konnte sie mit einem „erstaunlich kräftigen und vielfältigen Echo in den sogenannten einfacheren Schichten der Bevölkerung“ – wie auch in allen weiteren Bevölkerungskreisen und Sektoren des geistigen, kulturellen und öffentlichen Lebens – Wirkung erzielen sowie die inhaltliche Färbung des Heimatbegriffs maßgeblich prägen251. Neben der teilweisen politischen Funktionalisierung aus staatlicher Perspektive, entwickelte die Heimatbewegung auch „eine Integrationsdynamik, der sich sogar linksliberale Kreise nicht entziehen konnten“252. Diese Breitenwirkung war vor allem auch deshalb möglich, weil sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts eine volkstümliche Geselligkeitskultur entwickelt hatte und in der neoromantischen Bewegung nun ihre intellektuelle Fundierung fand. Es bildeten sich wieder neue Reiter-, Schützen-, Trachten- und Wandervereine sowie Sanges- und Tanzgruppen.253 Mittelständische Händler und Unternehmen statteten ausgewählte Güter und Dienstleistungen mit regionalen Termini aus, versuchten die fortgleitende „Heimat“ ökonomisch urbar zu machen „und verliehen alltäglichen wie festtäglichen Inhalten und Formen des Konsumierens durch die Einbettung in regionale Inszenierungen und Meistererzählungen einen spezifischen Sinn“254. Das Weihnachtsfest im Erzgebirge erfuhr um 1900

247

Greverus 1979, S. 10. Ditt 1990, S. 152. 249 Vgl. a. a. O., S. 141 ff., 152–153. 250 Knaut 1991, S. 48–49. 251 Gollwitzer 2008, S. 331–332. 252 Kramer 1973, S. 11. 253 Vgl. Gollwitzer 2008, S. 331–332 und vgl. Neumeyer 1992, S. 25. 254 Siegrist / Schramm 2003, S. 21. 248

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B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen

seine Konsuminszenierung255. Im Rahmen des Münchner Oktoberfestes wuchs auf Initiative der Heimatschutzbewegung zunächst die Ausgestaltung des Festes mit Bezugspunkten zu bayerischer, bäuerlicher Kultur. Jedoch bestimmten Profitinteresse und ökonomische Optimierung bald die Festgestaltung und trivialisierten den heimatlichen beziehungsweise regionalen Inhaltskern: „Im Mittelpunkt stand nicht mehr die Feier der bayrischen Nation, sondern das kommerzielle Interesse der Brauereien“256. Die internationale Popularisierung verbunden mit der touristischen Nutzung führte sukzessive zur Negation von regionalen Spezifika.257 So gesellten sich zu den heimatlichen Selbstbildern zum Teil Fremdbilder, die Eigenarten überstilisierten. Beispielsweise in Sachsen hatte die handwerkliche Volkskunst Erfolg im Bereich der Spielwaren: Der Konsum lag hier nicht nur in der bekanntermaßen hohen Qualität, sondern auch in der Reaktion auf ökonomische Industrialisierungsprozesse begründet, was im Übrigen kein sächsisches Phänomen darstellte258. „Die Erfindung der Volkskunst durch die Heimatschützer war eine Reaktion auf die Krise der erzgebirgischen Spielwarenindustrie“259. Auch im Werbediskurs drehte sich nach der Jahrhundertwende die Debatte vor allem um die drei Stoßrichtungen Antiamerikanismus, Antimodernismus und Heimatschutz260. Noch vor Jahrzehnten bedurfte es seitens des Handwerks keiner identitätsstiftenden Vermarktungstermini mit den Zusätzen „Heimat- oder Volks-“, war doch die heimatliche Herkunft und Herstellung selbstverständlich und nicht zu hinterfragen. Insgesamt offenbarte sich an diesem Punkt einmal mehr das untrennbare Wechselspiel zwischen der individuellen ökonomischen Tätigkeit und Heimat im mehrdimensionalen Sinne – die aktive Heimat-Bewusstwerdung erfolgte erst, nachdem individuell erfahrener Heimatverlust eintrat. „Der Einzelne musste also erst zum Konsumenten – zum Verbraucher mit Auswahlmöglichkeit – werden, bevor sich ihm die Frage nach der regionalen Identifikation stellen konnte, beziehungsweise an ihn herangetragen wurde. Durch die Differenzerfahrung kamen Identifikationsprozesse in Gang.“261

Volksgewerbe und Volkskunst hatten sich infolge der Industrialisierung von­ einander getrennt, zuvor wurden im Rahmen der geschlossenen Hauswirtschaft die zur Bedürfnisbefriedigung notwendigen Produkte selbst erzeugt. Langsamer als in urbanisierten Regionen kam es jedoch auch auf dem Land zur „Bedrängung 255

Vgl. Schramm 2003, S. 170–171. Göbel 2005, S. 251. 257 Vgl. a. a. O., S. 229–232, 251. 258 Vgl. Schramm 2003, S. 157–158, 275 ff. „Die Spielwarenhersteller produzierten nicht nur Qualitätsprodukte, sondern auch ein Stück ‚Heimat‘. Dies kann als eine Innovation bei der Vermarktung der Produkte angesehen werden, die erhebliche Auswirkungen auf die Region hatte, vor allem bei der Entwicklung des Tourismus.“ Göbel 2005, S. 338. 259 Schramm 2003, S. 157–158. 260 Vgl. Göbel 2005, S. 275–276. 261 A. a. O., S. 337–338. 256

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und Verdrängung durch die billigeren Erzeugnisse des Fabrikbetriebes“262. Fuchs verwies auf die hohe Bedeutung der Volkskunst und insgesamt auf die längere Haltbarkeit von heimatlich gefertigten Gütern, die Ausbildung von handwerklichen Fertigkeiten und die Ausfüllung von Freizeit, insbesondere traditionell für die ländliche Bevölkerung während des Winters. Die Zukunft der deutschen Volkswirtschaft läge „in der Schaffung von qualifizierter Arbeit: also nicht in der Herstellung von geringen internationalen Durchschnittswaren […], sondern in der nationalen Spezialisierung auf hochqualifizierte gewerbliche Arbeit“263. Die Grenzen der wirtschaftlichen Wiederbelebung der  Volkskunst sah er im Kapitalismus, denn jede über den Eigenbedarf produzierende „Hausindustrie“ werde sofort kapitalistisch ausgebeutet. Die Bewahrung der Volkskunst vor dem Kapitalismus sei die einzige Chance. „In diesem Sinn und in dieser Form aber ist ihre Erhaltung und Neubelebung von größter, auch volkswirtschaftlicher Bedeutung.“264 Schramm und Siegrist markierten seit circa 1880 „[d]ie erste große Welle der modernen Regionalisierung des Konsums […] im späten 19. Jahrhundert“265. Dem gegenüber stand zugleich aber auch eine Entregionalisierung (was die Regionalisierung evozierte), forciert durch die Großindustrie und mit dem Warenhaus als Sinnbild für den modernen, ortlosen Konsum. In Europas „hochindustrialisierten und stärker urbanisierten Regionen wie Sachsen und Lancashire kauften städtische Arbeiter und Angestellte indes zunehmend und bewusst ortlose standardisierte moderne Güter.“266 Es lässt sich konstatieren, dass die vielfach neuen Arbeitsbedingungen, zum Beispiel mit den neuartigen Arbeitsorten in der Fabrik oder in Büros, mit einem neuen Konsumverhalten einhergingen. Nach Fuchs zeigte sich – als ein Merkmal der Konsumgesellschaft –, dass zwei Drittel des nationalen Konsums von drei Vierteln der Bevölkerung getragen wurden.267 „Begrenzte Wohlfahrt, Selbstdisziplinierung und ein funktionsfähiges Versorgungssystem“ bildeten die Grundlage für einen modernen Lebensstil, in dem der Konsum eine zentrale Rolle spielte. Die Arbeitsmotivation lag nicht mehr nur in der individuellen Existenzsicherung, sondern der Konsum als neuer Motivationsaspekt und Sinnperspektive kam hinzu.268 Der Massenmarkt, unter anderem gekennzeichnet durch Massenkommunikation (Elemente wie Presse, Kino, Film), Massenkonsumption (z. B. durch neue Be- und Vertriebsformen, Standardisierung, Vereinheitlichung) und Massenmobilisierung (Bewegungen, Vereine; Popularisierung des Sportes) kennzeichnete die Lebenswirklichkeit des wilhelminischen Deutschlands269.

262

Fuchs 1907, S. 19. A. a. O., S. 20. 264 A. a. O., S. 21 und vgl. a. a. O., S. 19–21. 265 Siegrist / Schramm 2003, S. 22. 266 A. a. O., S. 23 und vgl. a. a. O., S. 22–24 sowie vgl. Schramm 2003, S. 275 ff. 267 Vgl. Fuchs 1925, S. 143–145. 268 Spiekermann 1999, S. 621. 269 Vgl. Kroll 2013, 89 ff. 263

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B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen

Im Vorfeld sowie während des Ersten Weltkriegs ab 1914 wurde die identitätsstiftende Wirkung des Heimatbegriffs genutzt, um laut Kramer „den imperialistischen Charakter des Krieges durch die Behauptung zu verschleiern, es gehe darum, die Heimat zu verteidigen“270. Zu Beginn des Krieges agierte das Deutsche Reich als „unbestritten die wirtschaftlich kräftigste Macht auf dem europäischen Kontinent“ sowie „eine der potentesten Wirtschaftsmächte auf dem Weltmarkt. […] Deutschland war nicht länger relativ ‚geschlossener Handelsstaat‘, der seine Bedürfnisse weitgehend aus der eigenen Produktion befriedigen konnte und befriedigte, sondern relativ ‚offener Handelsstaat‘, in die Weltwirtschaft verflochten und stärker als je zuvor in die Abhängigkeit der weltwirtschaftlichen Entwicklung geraten.“271

Die wirtschaftlichen Ressourcen wurden im Kriegsverlauf weitestgehend der Rüstungsindustrie zugeordnet, der weltwirtschaftliche Handel war unterbrochen. Der Erste Weltkrieg hatte letztlich die Auflösung des europäischen Mächtesystems und einen Bedeutungsverlust Europas zur Folge. Deutschland, wie auch andere Staaten, verschuldeten sich infolge der zu leistenden Reparationszahlungen und Kriegskosten, die USA agierten dabei als wichtigster Gläubiger. Die Intensität dieser internationalen Vernetzung in Arbeit, Kapital und Produktion wurde spätestens im Zuge der Weltwirtschaftskrise im Jahr 1929 einmal mehr deutlich. Finanzströme kamen zum Erliegen, der weltweite Handel brach bis 1935 deutlich ein.272

III. In der Weimarer Republik und im Dritten Reich Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges stellte sich in Deutschland eine Vielzahl negativer ökonomischer Veränderungen ein. Der deutsche Wirtschaftsraum verkleinerte sich infolge der Gebietsabtretungen, und in Verbindung damit sanken die Bevölkerungszahl um mehr als 10 Millionen Menschen (inklusive der Kriegsverluste) sowie die verfügbaren Rohstoffvorkommen. Alle Kolonien gingen verloren und die internationalen Verstrickungen waren einer kompletten Neuordnung unterworfen. Eine hohe finanzielle Belastung resultierte aus den auferlegten Reparationszahlungen und der negativen Handelsbilanz, denn durch den Verlust eines Teils der landwirtschaftlich geprägten Ostgebiete stieg der Bedarf an Nahrungsmitteln aus dem Ausland. Ferner kam es bis zum und unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg aufgrund einer erheblichen Landflucht der einheimischen Bevölkerung bei zeitgleicher Zunahme der Einwanderung von „Lohndrückern“ ohnehin zu einem Schaden der Landwirtschaft.273 Einhergehend mit den hohen Staatsschulden aus den Vorjahren stellten das die Vorboten der Inflation mit ihrem Höhepunkt im Jahr 1923

270

Kramer 1973, S. 16. Bergmann 1970, S. 19. 272 Vgl. Osterhammel / Petersson 2006, S. 76–82. 273 Vgl. Bechtel 1956, S. 273–274. 271

III. In der Weimarer Republik und im Dritten Reich

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dar274. Deutschland musste zur Wahrung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit beim Wiedereinstieg in den Weltmarkt ein verändertes Warenportfolio aufbieten, statt Grobwaren (wie Eisen, Stahl) rückten Fertigwaren (in der Chemie, Elektrotechnik, Optik) weiter in den Vordergrund. Im Binnenhandel war direkt nach dem Krieg, im Jahr der Inflation 1923 sowie zur Weltwirtschaftskrise weitere Optimierung und Rationierung zu verzeichnen.275 Wie Diwald im Kontext vom „Schuldartikel Nr. 231 der Versailler Bestimmungen“ Jahrzehnte später die „moralische Ächtung des deutschen Volkes“276 resümierte, so lagen auch für Bang in den Verträgen von Versailles die äußeren Ursachen für den weiteren Niedergang der deutschen Wirtschaft nach dem Ersten Weltkrieg: „Seitdem man unsere Wirtschaft auf die beiden elendesten Lügen gestellt hat, die je diese Erde geschändet, auf die Kriegsschuldlüge und auf die marxistische Wirtschaftslüge, ist ihre Seele und ihr Geist erstorben und hat die den tiefsten und heiligsten Grund aller Daseinsberechtigung verloren: die Wahrhaftigkeit“277.

Neben den äußeren Gründen, wie Versailles, verwies er zudem auf innere Gründe, die vor allem mit einem „geistigen Auflösungsprozeß“278 in Zusammenhang stünden. In seinen Ausführungen nimmt er, wie so viele Protagonisten der vergangenen Jahrzehnte, Bezug auf das Werk Fichtes. Bang konstatierte für den Beginn der 1920er Jahre, die deutsche Wirtschaft sei keine Volkswirtschaft mehr, da sie „Inhalt und Form“279 verloren habe und „undeutsch“280 geworden sei. Er kritisierte die „jüdischen Wirtschaftsauffassungen“281, machte sich selbst jedoch frei davon, Antisemitismus zu betreiben. Die deutsche Nationalökonomie, die für ihn schon vor dem Ersten Weltkrieg eine „Internationalökonomie“282 gewesen war, sei „aus einer selbständigen Bedarfsbefriedigungswirtschaft zu einer unselbständigen Bedürfniserregungswirtschaft“ sowie zu einem „völlig unselbständigen Anhängsel der sogenannten ‚Weltwirtschaft‘“ geworden, die er umfassend kritisierte283. „Wir sehen auch hier wieder, daß die Wirtschaftsgestaltung als geistiges Ausdrucksmittel, als Ausdruck der Denkweise eines Volkes, durchaus völkisch bedingt ist, daß Wirtschaft, um überhaupt zu sein, ein Stück Volkstum sein muß, und daß Wirtschaftsgeschichte stets ein Stück Volkstumsgeschichte ist“284.

274

Vgl. Bechtel 1956, S. 380–383. Vgl. a. a. O., S. 421 ff., 430 ff. 276 Diwald 1988, S. 53. 277 Bang 1924, S. 11. 278 A. a. O., S. 41. 279 A. a. O., S. 21. 280 A. a. O., S. 13. 281 A. a. O., S. 46. 282 A. a. O., S. 29. 283 A. a. O., S. 54. 284 A. a. O., S. 34. 275

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B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen

Schon vor dem Krieg hätten die Deutschen vergessen, „daß im Mittelpunkte des Wirtschaftens nicht die Ware steht, noch viel weniger das Geld, sondern der Mensch“285. Als Lösung sah er die „Wiederherstellung der völkischen Arbeitsgemeinschaft zwischen Kapital und Arbeit“286. „Erst müssen wir wieder ein Volk werden, ehe wir eine Volkswirtschaft haben können.“287 Die Kritik am Verlust der menschlichen Bindungen gegenüber den Dingen machte auch Rilke in „Briefe aus Muzot“ deutlich: „Noch für unsere Großeltern war […] fast jedes Ding ein Gefäß, in dem sie Menschliches vorfanden und Menschliches hinzusparten. Nun drängen, von Amerika her, leere gleichgültige Dinge herüber, Schein-Dinge, Lebens-Attrappen […]. Die belebten, die erlebten, die uns mitwissenden Dinge gehen zur Neige und können nicht mehr ersetzt werden. Wir sind vielleicht die Letzten, die noch solche Dinge gekannt haben. Auf uns ruht die Verantwortung, nicht allein ihr Andenken zu erhalten […], sondern ihren humanen […] Wert.“288

Spann stieß in diese Richtung ebenso vor und hob das Metaphysische der Dinge, er nannte es die „innere Natur der Dinge“289, hervor, das auch Rilke vermisste. Es sei „Deutsches Tun“ und gehöre zum „Deutschen Wesen“, sich dem Gegenstand hinzugeben, dessen Wert aus der Hingabe selbst erwachse290. „Hingabe heißt: sich selbst aufgeben, sich selbst dem Dinge innerlich untertan machen. Das hindert nicht die praktische Verwendung und Nutzung, bringt aber einen andern Stil, eine andere Weise der Nutzung mit sich. Das Werk muß als Bestes zustande gebracht werden, als ein Werk, ein Ding mit seiner eigenen Wesenheit, der ich voll Achtung gegenüberstehe.“291

Lange resümierte, dass das „besonders in Brauchtum und Sitte auslebende heimatbezogene Christentum für immer größere Volksschichten in seiner beheimatenden Kraft“ ausfiel. Als symptomatisch für den Verlust der „heimatprägen­ den Konturen“ des kirchlichen Lebens führte er „die Stillosigkeit des Kirchenbaus dieser Zeit bis in die zwanziger Jahre“ auf. Heimat habe in Verbindung mit dem „modernen Massentum“ fortschreitend „ihre ethischen Bindungskräfte“ verloren.292 In die politische und wirtschaftliche Instabilität der 1920er Jahre stieß einmal mehr die sogenannte „Untergangsthese“ vor, die auch in sozialistischen Kreisen etabliert war, wohingegen sie andere Ziele verfolgten als die Heimatschützer oder das deutschnationale Spektrum. Als populärster „Ideologe eines kulturpessimisti-

285

Bang 1924, S. 31. A. a. O., S. 60. 287 A. a. O., S. 65 und vgl. a. a. O., S. 11, 21 ff., 29–31, 34–35, 50–54. 288 Sieber-Rilke / Sieber 1935, S. 335–336. 289 Spann 1929, S. 24. 290 Vgl. a. a. O., S. 24–29. 291 A. a. O., S. 25. 292 Lange 1965, S. 243. 286

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schen Bürgertums“293 ist Spengler zu nennen, der in seinem Werk „Der Untergang des Abendlandes“294 auch bekannte Motive der Heimatschutzbewegung (z. B. die Land-Stadt-Kontroverse) aufgriff.295 Die Geisteshaltung der kulturkritischen Bewegung dieser Zeit spiegelt sich verdichtet in den Zeilen Spenglers wider. Anstelle „eines formvollen, mit der Erde verwachsenen Volkes“ existiere seiner Auffassung nach „ein neuer Nomade, ein Parasit, der Großstadtbewohner, der reine, traditionslose, in formlos fluktuierender Masse auftretende Tatsachenmensch, irreligiös, intelligent, unfruchtbar, mit einer tiefen Abneigung gegen das Bauerntum.“296 Den Heimatbegriff definierte er als ein mehrdimensionales Gebilde: „Jede Kultur besitzt ihren eigenen Begriff von Heimat und Vaterland, schwer greifbar, kaum in Worte zu fassen, voller dunkler metaphysischer Beziehungen, aber trotzdem von unzweideutiger Tendenz. Das antike Heimatgefühl, das den einzelnen ganz leibhaft und euklidisch an die Polis band, steht hier jedem rätselhaften Heimweh des Nordländers gegenüber, das etwas Musikhaftes, Schweifendes und Unirdisches hat. Der antike Mensch empfindet als Heimat nur, was er von der Burg seiner Vaterstadt aus übersehen kann.“297

Und weiter: „Uns ist sie [Anmerkung des Autors: die Heimat] eine ungreifbare Einheit von Natur, Sprache, Klima, Sitte, Geschichte; nicht Erde, sondern ‚Land‘, nicht punktförmige Gegenwart, sondern Vergangenheit und Zukunft, nicht eine Einheit von Menschen, Göttern und Häusern, sondern eine Idee, die sich mit rastloser Wanderschaft, mit tiefster Einsamkeit und mit jener urdeutschen Sehnsucht nach dem Süden verträgt, an der von den Sachsenkaisern bis auf Hölderlin die Besten gestorben sind.“298

Vor dem Hintergrund seiner enormen Breitenwirkung ist Spengler in einer Reihe mit Riehl zu betrachten. Bergmann sah Spenglers Untergang des Abendlandes als Station zwischen „neoromantischen“ und nationalkonservativen Kreisen um die Agrarbewegung und den kommenden „antifatalistischen und voluntaristischen Denkschemata des Nationalsozialismus“299. Sedlmayr setzte sich später im Jahr 1948 mit Spenglers Lehre auseinander und konstatierte am Beispiel der bildenden Kunst – als „Symptom und Symbol der Zeit“ – einen „Krankheitsverlauf“300 seit dem Beginn der „Moderne“ um 1760, der insbesondere aus „der Kluft zwischen Gott und den Menschen“ resultierte301. Viel stärker als Spengler also, sah er die Krise der westlichen Kultur im Bedeutungsverlust Gottes. Besonders deutlich sei dies im Zeitabschnitt von 1900 bis 1930 geworden: Nunmehr hätten sich auch

293

Bergmann 1970, S. 179. Vgl. Spengler 1920. 295 Vgl. Bergmann 1970, S. 178–179, 189, 191. 296 Spengler 1920, S. 45. 297 A. a. O., S. 461. 298 A. a. O., S. 462. 299 Bergmann 1970, S. 365. 300 Sedlmayr 1969, S. 149. 301 A. a. O., S. 174. 294

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Mensch und Natur voneinander entfremdet, beherrschende Affekte seien Angst und Verzweiflung. Er erkannte ein „Erkalten der Formen“ und „Zersetzung“, „Gespaltenheit“, „Labilität“ sowie „Unruhe, Hast, Gejagdheit“ – einen Verlust der Mitte302. Die Heimatbewegung, insbesondere die Agrarbewegung sowie weite Teile der Bevölkerung wurden in ihrer Hoffnung enttäuscht, der Erste Weltkrieg würde aufzeigen, der Weg in den Industriestaat sei falsch gewesen303. Es herrschten Zweifel ob des fortwährenden Glaubens an die „Wiedererweckung des Heimatsinns“304. Laut Kramer kam es nach 1918 zum Bruch zwischen den beiden vorgenannten Bewegungen305. Wohingegen die Heimatbewegung im Allgemeinen nationalsozialistischen Ideen „eher skeptisch“ gegenüberstand, sollten sich die Ziele der Agrarbewegung für den Nationalsozialismus noch als sehr brauchbar erweisen306. Die Weltwirtschaftskrise im Jahr 1929 und ihre Folgen bestärkten großstadtkritische Bewegungen. Die Nationalsozialisten und ihre NSDAP vergrößerten fortan ihren Fokus auf die Agrarpolitik und unterhielten enge Kontakte zur Agrarbewegung und deren Wirkungskreisen. Als wichtigster Vertreter der Agrarbewegung galt Tanzmann, dessen zentrale Forderung in der Rückkehr vom Industrie- zum Agrarstaat lag. Er vertrat die Auffassung, dass die Deutschen ein von Grund auf bäuerliches Volk seien – dies musste nur wieder bewusst gemacht werden. Die Bauernhochschulen „sollten deutschen Menschen, politische Führernaturen und eine bäuerliche Avantgarde heranbilden und sie überall in Deutschland einsetzen, um das gesamte Landvolk mit dem Geist der Bauernhochschule zu erfüllen“307. Die Bewegung lebte laut Bergmann wesentlich von der oben beschriebenen Untergangsthese. Tanzmanns Ziele sind als Vorläufer der nationalsozialistischen Blutund-Boden-Ideologie anzusehen. Die Artamanenbewegung, deren Begründer er war, bündelte verschiedene Jugendbewegungen – wie Adler und Falken, Bündische Jugend, Wandervögel – und forcierte eine bäuerliche Volksordnung und die Rückgewinnung von Land im Osten. Die Quelle des deutschen Geistes läge auf dem Land und es brauche eine starke, gesunde und enthaltsame Jugend. „Von der Tanzmannschen Ideologie der deutschen Bauernhochschulbewegung zog sich eine direkte Linie zu der Ideologie der Artamanenbewegung und hin zur Agrarideologie des Nationalsozialismus.“308 Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg setzte sich umso stärker der Drang der Heimatschutzbewegung nach spürbarer Einflussnahme in Politik und Gesellschaft fort. Mit Erfolg: Sie „war ein wichtiger Ideengeber für die staatliche und landschaftliche Kulturpolitik und Gesetzgebung“309. 302

Sedlmayr 1969, S. 150–151. Vgl. Bergmann 1970, S. 174–177. 304 Knaut 1991, S. 49. 305 Vgl. Kramer 1973, S. 16 ff. 306 A. a. O., S. 19. 307 Bergmann 1970, S. 241. 308 A. a. O., S. 273 und vgl. a. a. O., S. 219 ff., 240, 246 ff., 276 ff., 314, 364. 309 Klueting 1998, S. 54. 303

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„Heimat war nicht mehr nur ein Begriff der geographischen und emotionalen, sondern auch der sozialen und politischen Einheit. Heimatbewußtsein und Heimatliebe wurden zu kulturellen Komplementärerscheinungen des politischen Nationalismus und des auflebenden Regionalismus.“310

Mithin deckten sich die Zielsetzungen von Initiativen in den deutschen Grenzgebieten zur „nationalen Wiedergeburt“ mit denen der Heimatbewegung, und es wurde kooperiert. Neben dem nationalen Einheitsgedanken erlebte der Regionalismus in der Weimarer Republik einen großen Aufschwung, der vielfach auch von der Heimatbewegung gefördert wurde. Die Bewegung erhielt in den 1920ern „bis zu einem Drittel ihrer Ausgaben aus öffentlichen Mitteln“311 und das Fach Heimatkunde gewann weitere Bedeutung in der Schulbildung.312 Sie hatte auch hier gesetzgeberischen Einfluss, es erfolgte die Zusammenarbeit mit Universitäten und Volkshochschulen313. Beispielsweise in den amtlichen Richtlinien von 1921 stand geschrieben: „Im Mittelpunkt dieses Gesamtunterrichts steht der heimatkundliche Anschauungsunterricht“314. Großen Einfluss auf die Heimatkunde übte Spranger aus, der mit seinem Denken den „Bildungswert der Heimat“ manifestierte. Er hob insbesondere die Interdisziplinarität der Heimat(kunde) hervor und bezog auch die Wirtschaftswissenschaft ein. Heimatkunde sei „das bisher eindrucksvollste Beispiel einer Überwindung der abstrakten Fächertrennung“.315 In die Heimat werde der Mensch nicht einfach „hineingeboren“. „Zur Heimat wird diese gegebene Geburtsstätte erst dann, wenn man sich in sie hineingelebt hat.“ „Heimat ist geistiges Wurzelgefühl.“316 Volk entstehe nach Spranger aus den Faktoren: „Abstammungsgemeinschaft […], heimischen Siedlungsboden, gemeinsame Geschichte und Tradition, gemeinsame Sprache, gemeinsame Kulturgüter in Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst. Manchmal tritt auch ein Staat hinzu, der vom Volk selbst geschaffen ist.“317

Überdies war die Bewegung noch stärker im öffentlichen Bereich beratend im Baubereich tätig und fokussierte die Synergien zwischen der Denkmalpflege und dem Heimatschutz. Zum Austausch kam es auf Veranstaltungen und Tagungen zu Baufragen (wie in den 1920er Jahren: „neues Bauen“), erstellt wurden diverse Publikationen, Museen und Archive. Eine Zusammenarbeit erfolgte unter anderem mit dem „Deutschen Werkbund“ und dem „Verein Deutscher Ingenieure.“ Auf europäischer Ebene wurden die „internationalen Kongresse für Heimatschutz“ fortgesetzt, wie 1929 in Bregenz.318 Wie schon in den Gründungsjahren, als die Anpassung von Außenwerbung an die Gebäudearchitektur sowie die damit ver 310

Ditt 1990, S. 145. A. a. O., S. 147. 312 Vgl. a. a. O., S. 145–147. 313 Vgl. Zuhorn 1954, S. 26 ff. 314 Gollwitzer 2008, S. 330. 315 Spranger 1952, S. 26 und vgl. a. a. O., S. 13. 316 A. a. O., S. 14. 317 A. a. O., S. 59. 318 Vgl. Zuhorn 1954, S. 27, 33 ff. 311

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bundene Zusammenarbeit mit den Behörden gefordert wurde319, prangerte man weiterhin zum Beispiel die „Verunstaltung des Stadtbildes“ durch Reklame an Gebäuden und generell in der Öffentlichkeit an320. Auch in der Kritik standen im Allgemeinen der Rückgang der individuellen Wertschöpfung (Handarbeit) oder im Speziellen die „elektrischen Christbaumkerzen“, die mit einem Verlust der Ursprünglichkeit verbunden wurden321. Das nationale Moment gewann in der Weimarer Republik deutlich an Relevanz und stärkte auch die Heimatbewegung322. Ein Betrag in der „Monatsschrift des Landesvereines Sächsischer Heimatschutz“ verdeutlicht den Nationsbezug: „Wie warm und herdfroh liegt es im milden Glanz der Abendsonne! Wie friedlich stehen seine Häuser beieinander! Wie ist das alles selig, still und schön! Ein Heimatdorf! Ein deutsches Dorf! Deutschland! Daß du unsre Heimat bist, das ist unser Herzensglück…“323

Die wachsende Bedeutung des Heimatschutzes wirkte sich auf ökonomische Bereiche aus, „die folkloristische Darbietung (Klöppelstube, Weihnachtshalle) nahm größeren Raum ein, vor allem in Bezug auf erzgebirgische Produkte. Das Publikum nahm diese Form der Präsentation gut auf“.324 „Durch politische Diskurse und gesetzliche Maßnahmen wurde der Anti-Krisen-Regionalismus vielerorts mit der Protektion des Mittelstands und der nationalen Wirtschaft verknüpft.“ Der Konsum wurde „zum Element eines nationalistischen, in immer mehr Ländern nationalsozialistischen oder faschistischen Regionalismus“. Auch zur Kompensation sinkender Exporte und touristischer Aktivitäten wurden „Konsumgüter und Dienstleistungen […] verstärkt regional oder national interpretiert, um sie im Hinblick auf die Stimulierung des Binnenmarktes attraktiver zu machen“.325 Es fanden Feste und Ausstellungen statt, wie zum Beispiel in Sachsen die „Jahresschauen Deutscher Arbeit“ in Dresden 1922 bis 1929326. „Auf allen Ausstellungen präsentierte sich Sachsen als modernes Industrieland und alle hatten das Ziel, über den Stolz der Bürger auf die sächsischen Qualitätsprodukte ihre Identifikation mit Sachsen, aber auch mit der Stadt und der Nation, zu stärken“327.

Auch „folkloristische Elemente wie Trachtenvorführungen“ erfuhren positive Resonanz beim Konsumenten328. Die Weihnachtszeit spielte nach wie vor eine bedeutende Rolle für die „ökonomische Heimat“. Angeboten wurde regionale Handwerkskunst, wie in Sachsen zum Beispiel Holzkunst aus dem Erzgebirge, „Lausit 319

Vgl. Conradin 1915, S. 19–20. Goldhardt 1923, S. 172. 321 Hoffmann 1924, S. 315. 322 Vgl. Bausinger 1980, S. 15. 323 Zeibig 1923, S. 174. 324 Schramm 2003, S. 50. 325 Siegrist / Schramm 2003, S. 25. 326 Schramm 2003, S. 50. 327 A. a. O., S. 57. 328 Ebd. 320

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zer und Frohburger Ziergefäße“, „Grünhainichener Spankörbe“ oder „Kohrener Tonvögel“329. „In wirtschaftlich schlechten Zeiten, nach den Weltkriegen oder während der Weltwirtschaftskrise wollten die Besucher auf bierselige Geselligkeit nicht verzichten“330. Ditt fasste die Stellung der Heimatbewegung wie folgt zusammen: „Gegen Ende der Weimarer Republik war die Heimatbewegung damit nicht nur durch ihren zivilisationskritischen Ansatz, sondern auch durch ihr Engagement zugunsten des Nationalismus und Regionalismus zu einer außerparlamentarischen politischen Kraft geworden.“331

Dennoch wurde Teilen der Heimatschutzbewegung und auch im weiteren Sinne des Bürgertums  – wie schon nach Ende des Ersten Weltkriegs  – bewusst, dass ihnen keine wirkliche Errettung der Natur und Städte gelungen war. Aufgrund dessen wurde der aufkommende Nationalsozialismus als alternativer Weg der Zielerreichung interessant332. Hierdurch erhielt der Heimatbegriff schrittweise eine rassistisch-biologistische Dimension („Blut und Boden“). Exemplarisch ist Schultze-Naumburg zu nennen, der sich mit seiner Schrift „Kunst und Rasse“ der Rassenkunde zuwandte und seine Erkenntnisse in Beziehung mit der Kunst und Kultur setzte. Auch die Baukunst und die Landschaftsgestaltung bezog er mit ein. Er kann als geistiger Wegbereiter der Begrifflichkeit „Entartete Kunst“ angesehen werden. Das in den von ihm dargestellten, zeitgenössischen Werken ausgedrückte Schönheitsideal offenbare die innere Verfasstheit der Künstler sowie der Gesellschaft, die von „Untermenschen“ durchzogen und in „einem starken rassischen Niedergang“ befallen sei, „der sich sowohl im Verhältnissatz der schöpferischen Menschen zur Gesamtzahl, als auch in der Prägung der menschlichen Typen selber ausdrückt“333. Er vertrat die Auffassung, dass nunmehr die „Schicht der Gesunkenen, der leiblich und geistig Tiefstehendsten“ das Schönheitsideal der Kunst bestimmen würden334. „Verschlechterung der Rasse und der das gleiche bedeutende Niedergang der körperlichen und geistigen Eigenschaften“ seien der Grund für die gesellschaftlichen Veränderungen, die in Kunst und Kultur ihren Ausdruck fänden335. Dabei sah er das Wesen der Maschine und deren Verwendung nicht als das Hauptübel (nur Mitursache) an und grenzte sich damit von der Fortschritts-/Technikkritik ab, die mitunter stark in der Heimatbewegung und deren Wirkungskreis verortbar war. Nach Schultze-Naumburg hätte die veränderte Wirtschaftsstruktur – inklusive der verbesserten ärztlichen Versorgung – dazu geführt, dass „mehr Hände als Köpfe“ zur Arbeit gebraucht und so „Lebensuntaugliche“ „künstlich am Leben erhalten“ und Nachkommen zeugen würden336. „Überläßt man ihm

329

Enderlein 1925, S. 396–399. Göbel 2005, S. 236. 331 Ditt 1990, S. 147. 332 Vgl. Sieferle 1985, S. 38–41. 333 Schultze-Naumburg 1928, S. 100–101. 334 A. a. O., S. 100. 335 A. a. O., S. 121. 336 A. a. O., S. 124–125. 330

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[Anmerkung des Autors: dem Untermenschen] die Aufgabe, die künftige Welt aufzubauen, so wird ihr Aussehen dem seiner Bilder gleichen.“337 Mit der Machtübergabe an Hitler – der letztlich die damals konkurrierenden sozialistischen und nationalistischen Vorstellungen im Nationalsozialismus zusammenfügte338 – im Jahr 1933 war vielfach eine (anfängliche) Euphorie verbunden. Bei den Heimatschützern überwog zunächst der Glaube an die steigende Bedeutung ihrer Bewegung gegenüber dem Widerstand gegen eine etwaige nationalsozialistische Vereinnahmung339. Als Erfolge für die Heimatbewegung sind unter anderem „das erste Tierschutzgesetz“ (1933), „das erneuerte Reichsnaturschutzgesetz“ sowie die Einrichtung der „Reichsstelle für Naturschutz“ (beide 1935) zu werten340. Hansen, damals Professor an der Hochschule für Lehrerbildung in Kiel, verfasste beispielsweise ein euphorisches Plädoyer für den „Neubau der Heimat- und Erdkunde auf nationaler Grundlage“. „Erst in neuester Zeit besinnt man sich, aufgerüttelt durch die nationalsozialistische Bewegung und der mit ihr verbundenen Renaissance des Heimatsinnes, auf die unterrichtliche und erziehliche Bedeutung der Erdkunde für den vaterländischen Gedanken und stellt sie bewußt in den Mittelpunkt des gesamten Unterrichts“341.

Der Unterricht als dreifache Aufgabe müsse „das Wissen fördern, die geistigen Kräfte stärken und Gesinnungen schaffen“342. Er definierte Heimat als „ein Gefäß, dessen Inhalt man nicht nur verstandesmäßig erfassen kann; es enthält vielmehr auch etwas Irrationales, Metaphysisches, Religiöses, etwas, wonach sich unsere Zeit besonders sehnt“343. „Landschaft und Volkstum, Blut und Boden, Raum und Schicksal“ machte er als „untrennbare Gegebenheiten“ aus344. Seine Ausführungen befanden sich in einer Linie mit der Sprache und Ideologie der Nationalsozialisten: „Das historische Schicksal, Blut und Boden schaffen ein besonderes Gepräge, das nicht verwischt werden kann. […] Wir sind ein ‚Volk ohne Raum‘ geworden und können nicht genug immer wieder betonen, daß wir ein Recht auf die Wiedererstattung unseres ehemaligen Kolonialbesitzes haben. Diese Forderung ist ein Hauptziel unserer deutschen Politik, in dessen Anerkennung alle Kreise des deutschen Volkes sich einig sind.“345

Die Heimatbewegung blieb zunächst staatlich unterstützt, da ihre Grundsätze insbesondere zur Existenz des konfessions- und klassenübergreifenden „Volkstums“ übereinstimmten. Der Großteil der Heimatschützer rekrutierte sich wie oben beschrieben aus der bürgerlichen Mittelschicht und war konservativ beziehungs 337

Schultze-Naumburg 1928, S. 142 und vgl. a. a. O., S. 106, 121–124. Vgl. Stadtmüller 1984, S. 92–93. 339 Vgl. Ditt 1990, S. 153. 340 Vgl. Rudorff 1938, S. 286 und vgl. Zöller 2015, S. 21. 341 Hansen 1933, S. 3. 342 A. a. O., S. 11. 343 A. a. O., S. 13. 344 A. a. O., S. 22. 345 A. a. O., S. 68, 71. 338

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weise deutschnational, jedoch waren auch wichtige Protagonisten, wie zum Beispiel Schultze-Naumburg als ehemaliger Vorsitzender des Bundes, nunmehr im nationalsozialistischen Lager zu verorten. Die Mitgliederzahlen und Aktivitäten stiegen zunächst an, jedoch gelang keine Erschließung weiterer Bevölkerungsschichten. Die Unterschicht verfügte über neue Freizeitaktivitäten, die sich immer mehr aus dem nationalsozialistischen Kulturangebot speisten. Der Staat wollte die Unterschicht insbesondere mit Brauchtum und Unterhaltung ansprechen, weniger durch kontinuierliche Bildungsarbeit, einer Grundkonstante der Heimatschützer. Es zeichnete sich ab, dass gegenläufige, mithin konkurrierende Vorstellungen vorlagen und sich mit dem Zeitverlauf weiter offenbarten, sodass die Heimatschutzbewegung wie auch viele andere Initiativen und Bewegungen dieser Zeit der nationalsozialistischen Zentralisierung zum Opfer fielen, überwacht oder gar verboten wurden. Für den Nationalsozialismus kam dem Rasse-Begriff eine zentrale Bedeutung zu, wohingegen die Heimatbewegung von einem „breiten Ursachenspektrum von landschaftlichen, geschichtlich-kulturellen, stammlich-rassistischen Prägekräften“ mit gleichwertiger Relevanz ausging.346 Zudem sah der Nationalsozialismus Massenkultur und -wirtschaft, Kapitalismus und Technik – Aspekte also, die zum Heimatverlust geführt hatten – deutlich weniger kritisch und deutlich pragmatischer, was etwa ökonomisch in der Initiation der standardisierten „Volksprodukte“ oder in der Architektur zum Ausdruck kam. Daneben wurde eine national-zentralistische Ausrichtung verfolgt, wohingegen die Heimatbewegung zwar das Nationale wertschätzte, aber noch stärker das Dezentrale und Regionale (als kleinräumige Heimat) lancierte und sich zum Beispiel für Elemente der Selbstverwaltung aussprach. Aufgrund dessen positionierten sich nationalsozialistische Kreise zunächst personell in den Heimatvereinen, bis es schließlich zur Gleichschaltung und Eingliederung in staatliche Strukturen kam.347 Auch Novy stellte fest, dass die im Laufe der 1930er Jahre etablierte konsequente Gleichschaltungspolitik, die unter anderem durch die vielseitige Heimatbewegung kultivierten kulturell unverwechselbaren kommunalen Strukturen schrittweise zerstörte348. „Die Konstruktion der Reihung von Heimat, Volk und Vaterland ist neben der Mystifizierung als Kernpunkt des faschistischen Heimatbegriffs zu sehen. Sinn und Zweck dieser Verknüpfung war es, die emotionale Bindung zur direkten Lebenswelt auf das größere – und notwendigerweise abstraktere – Gebilde Staat zu übertragen, um damit den Staat zu einer persönlichen Angelegenheit zu machen.“349

Die Vereinnahmung in Verbindung mit der Zentralisierung traf auch auf den Widerstand der Vereine, kam dies letztlich ja einer Auflösung gleich. Es war der 346

Ditt 2003, S. 24 und vgl. a. a. O., S. 151. Vgl. a. a. O., S. 24–25 und vgl. Ditt 1990, S. 147 ff., 151. 1937 erfolgte die Umbenennung in „Deutscher Heimatbund“, Klausa 1979, S. 7. 348 Vgl. Novy 1990, S. 399–415. 349 Neumeyer 1992, S. 38. 347

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B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen

Verlust der Vielfalt und eine „Vermassung“ zu konstatierten, womit noch 1933 nicht gerechnet wurde.350 Der „Verein für Eichsfeldische Heimatkunde“ stellt zusammenfassend ein gutes Beispiel für die allgemeine Entwicklung der Heimatbewegung und letztlich des Heimatbegriffs in den vergangenen Jahrzehnten dar. Behrens beschäftigte sich mit dem in der Region Eichsfeld tätigen Verein, der insbesondere Lehrer und Geistliche, also ein breites bürgerliches Spektrum, aktivieren konnte. In den 1920er Jahren stiegen die Mitgliederzahlen und es entstanden neue Publikationen, gerade weil der Bezug zur Nation einer steten Wandlung unterworfen schien. Es bildeten sich zudem sogenannte Verkehrsvereine, deren Protagonisten aus dem Umfeld der Heimatschutzbewegung stammten, heraus, die die „Förderung des Fremdenverkehrs“ und die „Verbesserung der Anbindung und der wirtschaftlichen Situation der Region“351 zum Ziel hatten. Behrens konstatierte dem Eichsfelder Heimatverein eine antimodern und zivilisationskritisch geprägte Konnotation, wobei daneben der Glaube eine wichtige Kategorie einnahm. „Basierend auf einer durchaus realen Verankerung im katholischen Milieu werden hier Frömmigkeit und Heimatliebe zu überzeitlichen und -räumlichen ‚Wesensmerkmalen‘ der Eichsfelder, die eine dauerhafte Bindung an die Heimat begründen sollen und zudem jegliche soziale Unterschiede nivellieren“352.

Wohingegen im Kaiserreich „Erforschung, Darstellung und Pflege heimischer Kultur und Geschichte“, „Brauchtum und Glauben verhaftete Region“ im Vordergrund standen, folgte in der Weimarer Republik eine „zunehmende politische Ideologisierung“ und der Nationsbegriff gewann an Bedeutung353. Mit Beginn der 1930er Jahre existierte eine „partielle ideologische Übereinstimmung“354 mit der nationalsozialistischen Bewegung einhergehend mit der anfänglichen Hoffnung der Durchsetzung der eigenen Ideale sowie der (finanziellen) Förderung. Im Dritten Reich erfolgte keine Auflösung des Vereins, aber eine Gleichschaltung, vor allem aufgrund inhaltlicher Konflikte – der Heimatverein kritisierte das „Verschwinden regionaler Unterschiede im Rahmen einer Volksgemeinschaftsideologie“355, verbunden mit der staatlichen Überwachung sowie insgesamt eine Politisierung im Sinne der NSDAP. „Glaube und Heimat sind und bleiben die beiden Kraftquellen unseres Volkslebens“ hieß es seit jeher als Leitspruch der Heimatschützer356. Insbesondere dieser religiöse Bezug erfuhr eine zunehmende Zurückdrängung. „In den Kriegsjahren kam es schließlich zu einem nahezu vollständigen Erliegen der heimatkulturellen Aktivitäten.“357 350

Vgl. Zuhorn 1954, S. 46–50. Behrens 2003, S. 36. 352 A. a. O., S. 37. 353 A. a. O., S. 46. 354 A. a. O., S. 38. 355 A. a. O., S. 46. 356 Hoffmann 1924, S. 316. 357 Behrens 2003, S. 39 und vgl. a. a. O., S. 34–39. 351

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Die Wirtschaftspolitik des Dritten Reichs zeichnete sich durch sein zentrales Ziel der Autarkie aus. Für Freizeit und Konsum avisierte der Staat einen einheitlichen Lebensstandard und Massengüter, sogenannte „Volksprodukte“  – standardisierte, staatlich subventionierte und für alle Schichten der Bevölkerung zugängliche Produkte und Dienstleistungen.358 Der Urlaub im Reich sollte durch die „Kraft durch Freude Reisen“ als massentouristisches Konzept dominiert werden359. Traditionelle Festivitäten und Veranstaltungen der Gemeinschaftsbildung wurden ausgebaut und propagandistisch unterfüttert. Laut Schramm lag eine der wichtigsten Phasen für den weiteren Ausbau des Striezelmarktes in Dresden „von einem lokalen Markt zu einer sächsischen Inszenierung“ in der allgemeinen Nationalisierung der 1930er Jahre. Der Markt schien „für bürgerliche Konsumenten ein wirksames Identifikationsangebot gewesen zu sein“.360 Auch das Münchner Oktoberfest bildete sich heraus als „eine rein kommerzielle Massenveranstaltung, die professionell organisiert werden musste und zunehmend Effekte und Sensationen einbezog. Einzig die nationalsozialistischen Stadtverwaltungen griffen in die Festgestaltung ein.“361 Im Nationalsozialismus wandelte sich das Fest von bayrischer Inszenierung zur (teilweise propagandistisch inszenierten) großdeutschen Festivität. Des Weiteren wurde im Jahr 1933 der Nürnberger Christkindlesmarkt „als bewusste Neuinszenierung wieder eingeführt“.362 Es kam es laut Schanetzky insgesamt zu einer Verringerung der Produktvariation und einer Verschlechterung der Qualität363. Produkte deutscher Produktion im Allgemeinen erfuhren eine staatliche Unterstützung und konnten sich erfolgreich als deutsche Mode oder Güter positionieren, wie zum Beispiel die Automobile aus Zwickau oder die „Plauener Spitze“364: „Für die einheimischen Konsumenten war die Plauener Spitze ein Qualitätsprodukt, auf das man stolz sein konnte. Identifikation mit der Region über die Plauener Spitze fand durchaus statt, allerdings weniger über den Konsum als über die Produktion der Dinge.“365

Der Volksempfänger, als Radio für jedermann, galt als konsumpolitischer Erfolg: „Das Kalkül der Konsumförderung durch Massenproduktion ging beim Volksempfänger noch auf, obwohl Handel und Industrie beträchtliche Zugeständnisse zu machen hatten – auch, um den Interessen des Propagandaapparates zu genügen. Nach diesem Vorbild wurde schon bald über viele weitere Volksprodukte nachgedacht, die das Kunststück schaffen sollten, den Traum von der nationalsozialistischen Konsumgesellschaft trotz stagnierender Löhne Wirklichkeit werden zu lassen. Sie alle scheiterten.“366 358

Vgl. König 2004, S. 226 ff., 245 ff. Vgl. Schanetzky 2015, S. 101 ff. 360 Schramm 2003, S. 73. 361 Göbel 2005, S. 268. 362 A. a. O., S. 192 und vgl. a. a. O., S. 252. 363 Vgl. Schanetzky 2015, S. 94 ff. 364 Vgl. Schramm 2003, S. 238 ff. 365 A. a. O., S. 238. 366 Schanetzky 2015, S. 108. 359

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B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen

Langlebige, über Grundbedürfnisse hinausgehende Güter, wie der „Volksfernseher“, der „Volkskühlschrank“ oder der „Volkswagen“, konnten sich vor allem aufgrund der geringen Kaufkraft nicht wie geplant durchsetzen.367 Neu waren die mit „Volk“ konnotierten Produkte keineswegs, wenngleich sie ab 1933 variantenreicher und gezielt staatlich inszeniert wurden sowie insgesamt einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert gewannen. Ein Fokus lag auf wenigen, in großer Masse fertigbaren Produkten, die bald in ihrer Sparte staatlich forcierte Monopolstellungen einnahmen. Zum Nachteil von mittelständischen Unternehmen, die staatliche Reglementierungen erfuhren. König sprach insgesamt von Produkten des gehobenen Konsums, die ein Luxusimage innehatten und Prestige sowie technischen Fortschritt vermittelten. Eine strategische Planung zur Volksprodukt-Einheit erkannte er – bei aller Zentralisierung im NS-System – nicht, sie entstanden vielmehr aus nicht untereinander abgestimmten institutionellen Aktivitäten. Die Wirtschaft sollte, zum Teil mittels staatlicher Subventionen, möglichst geringe Preise zu guter Qualität erzeugen und gegebenenfalls auch auf Gewinne verzichten, was zu Konflikten mit der Politik führte. In diesem Fall erhöhten sich das Engagement staatlicher Stellen und der Einfluss auf die Betriebe. Einen wichtigen Faktor bildete das Propagandaministerium, das den ideologischen Unterbau zum Beispiel über den Volksempfänger, der zu einem wichtigen Unterhaltungsmedium wurde, kommunizierte. Neben dem Freizeit- und Konsumelement stellten die Volksprodukte auch ein wichtigen Bestandteil innerhalb der Ideologie dar: Sie unterstützten die national­ sozialistische Expansionspolitik. König kam zu dem Schluss, dass die nationalso­ zialistische Konsumgesellschaft letztlich sozial- und wirtschaftsgeschichtlich, aber nicht kulturgeschichtlich scheiterte. Expansion, Autarkie und Aufrüstung gingen ökonomisch nicht mit der hohen staatlichen Konsumförderung zusammen.368 Auch die Agrarwirtschaft wurde durch hohe staatliche Subvention unterstützt, so gab es staatlich festgesetzte Preise, Schutzzölle sowie Steuervorteile. Der tatsächliche landwirtschaftliche Produktionsanstieg federte aber letztlich nur das Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum ab. Der Anteil der auf dem Land wohnenden Menschen sank, was in absoluter Diskrepanz zur Propagierung und Idealisierung des Bauern- beziehungsweise Landlebens stand.369 Bergmann markierte „Anti-Urbanität als Kennzeichen der nationalsozialistischen Ideologie“370 und den Staat als „ins Gigantische übersetzte Gartenstadtidee“371. Den Bedeutungsrückgang der Landwirtschaft „angesichts der massiven Rüstungsindustrie“, der „aber durch ideologisch-folkloristische Demonstration kompensiert wurde“, stellte auch Bausinger fest372. Das Ziel des Staates der autarken Lebensmittelversorgung hatte letztlich wenig Erfolg, wodurch sich Hitler darin bestätigt sah, 367

Vgl. Schanetzky 2015, S. 106–109, 110 ff. Vgl. König 2004, S. 226 ff., 245 ff., 261. 369 Vgl. Schanetzky 2015, S. 131–133, 141. 370 Bergmann 1970, S. 354. 371 A. a. O., S. 360. 372 Bausinger 1989a, S. 8. 368

III. In der Weimarer Republik und im Dritten Reich

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„dass eine dauerhafte Lösung nur in der Eroberung von Lebensraum liegen könne. Weil der Krieg nun immer näher rückte, sollte die Moral der Bevölkerung nicht mehr länger unter dem Importstopp und der Lebensmittelknappheit leiden.“373

Amerikanische Massenkonsummuster wurden insbesondere im Hinblick auf die Massenproduktion und Standardisierung adaptiert. Auch das Modell des modernen Warenhauses erfreute sich weiterer Beliebtheit, das noch zuvor als ein Sinnbild des Kapitalismus und Anknüpfungspunkt für antisemitische Positionen und die nationalsozialistische Ideologie dienlich war374. Es wurde (zwangsläufig) national konsumiert, es gab keinen kleinteiligen, regionalisierten Produktreichtum, sondern rationalisierte Massenprodukte375. „In diesem Sinne war Konsum ein dezidiert politisches Programm, das die ‚Volksgenossen‘ für den NS-Staat gewinnen sollte“376. Ein Großteil der Lebensmittel musste über Karten erworben werden, während des Zweiten Weltkrieges herrschte Mangelwirtschaft und die volle Ausrichtung auf die Rüstungsindustrie377. Insgesamt handelte es sich um eine zentralistisch-nationale Produktion und Konsumpolitik378. Wie auch Wahl hat der Autor festgestellt, dass die wissenschaftlichen Beiträge zum Lebensstandard im Dritten Reich vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 einerseits entweder eine Verbesserung der gesellschaftlichen Stimmung und einen Wohlstandsgewinn oder andererseits eine Stagnation des Lebensstandards konstatieren. Auch mit Blick auf dieses „Zufriedenheitsparadox“379 untersuchte Wahl die Entwicklung aus glücksökonomischer Perspektive und kam zu dem Schluss, dass vor dem Hintergrund der „untersuchten Glücksdeterminanten sowie die Weltwirtschaftskrise und die mit ihr verbundenen Adaptionsprozessen sowie deren Folgen auf die Ansprüche der Menschen […] eine insgesamt positive Entwicklung der Lebenszufriedenheit in den Friedensjahren des Dritten Reiches“380

nahezulegen ist. Er führte dies auf die massive Senkung der Arbeitslosigkeit381, die (im Vergleich zur Weimarer Republik) niedrige Inflation und den Anstieg des realen Pro-Kopf-Konsums ab 1933.382 Resümierend betrachtet, wurde die Konnotation des Heimatbegriffs maßgeblich durch die Zeit des Nationalsozialismus von 1933 bis 1945 beeinflusst. Dies betont die Forschung unterschiedlicher Fachbereiche – wie nachfolgend noch auf 373

Schanetzky 2015, S. 141. Vgl. Hoffmann 1996, S. 558 ff. 375 Vgl. König 2004, S. 258–262. 376 Schanetzky 2015, S. 142. 377 Vgl. a. a. O., S. 197 ff., 220 ff. 378 Vgl. Siegrist / Schramm 2003, S. 25. 379 Wahl 2011, S. 1. 380 A. a. O, S. 20. 381 Rund sechs Millionen Menschen fanden eine neue Arbeit, vgl. Haffner 1989, S. 34. 382 Vgl. Wahl 2011, S. 1 ff., 20–21. 374

  

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B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen

gezeigt wird – um den Begriff nach Ende des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1945. Neu waren etwa das nationale Pathos, die Betonung der Abstammung des deutschen Volkes nicht, dies kennen wir bereits, seitdem der Heimatbegriff seine juristische Dimension Mitte des 19. Jahrhunderts schrittweise verlor und an eben jener Mehrdimensionalität gewann, die wir heute versuchen zu ergründen. Entscheidend war – auf Basis der weiteren Ideologisierung und Mystifizierung in der 1920er Jahren – schließlich die expansorische Verknüpfung („Volk ohne Raum“) und die Erweiterung um den Rasse-Begriff beziehungsweise die Verknüpfung mit der rassetheoretischen Blut-und-Boden-Ideologie.383 „Heimat schützt den Menschen davor, daß er der kosmischen Verlassenheit und Heimatlosigkeit verfällt“384. Das formulierte Stavenhagen, der beispielhaft zu nennen ist für den Umstand, dass der für den Nationalsozialismus so zentrale RasseBegriff („Grundgegebenheit der Rasse“) keinen Eingang in die Wissenschaft von Personen fand, die sich in ihrem Denken und ihrer Sprache sehr deutlich für eine Verknüpfung des Heimatbegriffs mit den Dimensionen Nation und Volk einsetzten. Trotz universitären Protests und Anfeindungen ließ er sich nicht instrumentalisieren.385 Stavenhagen schrieb 1939 (und 1948) von der „Heimat als Grundlage menschlicher Existenz“ beziehungsweise „Heimat als Lebenssinn“. Die „Walze der Standardisierung, die das Charaktervolle einstampft“ zerstöre genauso den Heimatsinn, wie das „Wanderleben“: Die Arbeit werde eben nicht mehr an Haus und Hof ausgeübt, sondern andernorts386. Er war davon überzeugt, „daß Heimat die innere Basis für sinnvolles äußeres Wirken ist“387. „Denn Heimat ist ja, wie sich zeigen wird, nur eine besondere Art wie der Mensch auf die Gegenständlichkeiten der Welt bezogen und in ihnen verhaftet ist“388. Die Nation bildete für ihn eine „Schicksalsgemeinschaft und geistige Gemeinschaft“389, das Volk gehört zu den „[s]eelisch bedingte[n] Schicksalsgemeinschaften“.390 Nach Sieferle ist es eine Fehleinschätzung, dass es sich beim Nationalsozialismus „in erster Linie um eine ‚romantische‘, volkstümliche Blut-und-Boden-Bewegung“391 handeln würde. Der Punkt weitete den Zuspruch zum Nationalsozialismus in bürgerlich-konservative Kreise aus und ermöglichte erst die Machtergreifung, jedoch lagen die realen Ziele zuvorderst in der territorialen Ausbreitung des Lebensraums und der Vernichtung des Judentums. Insofern sei die anfängliche Einbindung der Heimatschutzbewegung als wohlkalkuliertes Kalkül zu werten. Im Grundsatz benötigte der Nationalsozialismus eine starke industrielle Produktion, 383

Zu diesem Schluss kamen u. a. auch Neumeyer 1992, S. 122 und Bastian 1995, S. 136, 145. Stavenhagen 1948, S. 85. 385 Vgl. Tilitzki 2002, S. 805–809. 386 Stavenhagen 1948, S. 11. 387 A. a. O., S. 83. 388 A. a. O., S. 13. 389 A. a. O., S. 113. 390 A. a. O., S. 118. 391 Sieferle 1985, S. 41. 384



III. In der Weimarer Republik und im Dritten Reich

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setzte auf Vereinheitlichung und Zentralisierung. Hier standen die Ideale der Heimatschutzbewegung deutlich entgegen. Sieferle wertete den Nationalsozialismus als „technokratische Bewegung in romantischem Gewand“392, die letztlich aber die Heimatschutzbewegung und ihr Umfeld in die Blut-und-Boden-Ideologie aufnahm. Das Dritte Reich „formulierte sie [Anmerkung des Autors: die Ideale der Heimatschutzbewegung] jedoch rassentheoretisch, antisemitisch und letztlich auch technokratisch um, so daß sie zur Legitimation einer Praxis verwandt werden konnte, die im totalen Krieg und im Völkermord kulmulierte“.393 Gollwitzer fasste es wie folgt zusammen: „Wer sich einmal darüber klar geworden ist, was der Faschismus war und was er wollte und wie er andererseits mit dem Selbstverständnis und den Zielsetzungen der Heimatbewegung stand, kann nur folgern, daß die Kernzonen beider nicht zur Deckung zu bringen sind. Nicht nur die Festlegung der Heimatbewegung auf faschistisch oder präfaschistisch, auch die auf rechts oder konservativ schlechthin ist unzutreffend.“394

Auch in der Brockhaus Enzyklopädie wird ausgeführt, dass der Nationalsozia­ lismus in Deutschland eine Zäsur im Hinblick auf die Konnotation des Heimat­ begriffs darstellte  – hier kam das kompensatorisch-ideologische Moment besonders zum Tragen. Das Dritte Reich war  – und das ist eine entscheidende Feststellung in Abgrenzung zur nach 1945 sehr geläufigen nationalsozialistischen Konnotation des Heimatbegriffs – aber letztlich eingedenk der „zentralisierenden, andererseits expansionist. Tendenzen und unter den Anforderungen von Parteidiktatur, Gleichschaltung industrieller und rüstungswirtschaftl. Interessen insgesamt weit weniger heimatfreundlich als angenommen.“395 Haffner markierte Hitler, auf den faktisch die gesamte Macht und Ideologie zugeschnitten waren, letztlich als Zerstörer des Deutschen: „Sein letztes Programm für Deutschland war der Volkstod. Spätestens in seiner letzten Phase wurde Hitler zum bewußten Verräter an Deutschland.“396 Er wollte „den totalen Ruin ­ itler Deutschlands“397, was seine Befehle „vom 18. und 19. März 1945, mit denen H Deutschland zum Volkstod verurteilte“398, belegen. Der sogenannte Nerobefehl vom 19. März 1945 sah vor, allen Deutschen ihre Überlebensmöglichkeit zu nehmen und die Infrastruktur und Versorgungseinrichtungen zu zerstören. Haffner machte deutlich, dass Hitler nicht in einer historischen Kontinuität von Luther, Friedrich den Großen oder Bismarck zu sehen sei.399

392

Sieferle 1985, S. 91. Ebd. und vgl. a. a. O., S. 40–41. Dergleichen resümierten u. a. auch Schaarschmidt / Schmiechen-Ackermann 2003, S. 14–15. 394 Gollwitzer 2008, S. 333. 395 Brockhaus Enzyklopädie in 24 Bänden 1989, S. 618–619. 396 Haffner 1989, S. 143. 397 A. a. O., S. 144. 398 A. a. O., S. 151–152. 399 Vgl. a. a. O., S. 153–156. 393

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B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen „Hitler steht in keiner deutschen Tradition, am wenigsten in der protestantisch-preußischen, die […] eine Tradition nüchtern-selbstlosen Dienstes am Staatswohl gewesen ist. Nüchternselbstloser Dienst am Staatswohl aber ist das letzte, was man Hitler – auch dem erfolgreichen Hitler der Vorkriegsjahre – zubilligen kann.“400

Und weiter führte Haffner dazu mit einem Gegenwartsbezug aus: „Und noch weniger gut ist, daß viele Deutsche sich seit Hitler nicht mehr trauen, Patrioten zu sein. Denn die deutsche Geschichte ist mit Hitler nicht zu Ende. Wer das Gegenteil glaubt und sich womöglich darüber freut, weiß gar nicht, wie sehr er damit Hitlers letzten Willen erfüllt.“401

Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse entbehrt sich jede Reduktion des Heimatbegriffs auf die Zeit des Nationalsozialismus, der verdichtet seine Personifi­ kation im „Führer“ Hitler fand. Denn er stand seinerseits für Entgrenzung, Respektlosigkeit sowie Hass gegenüber anderen Völkern und Kulturen. Zu diesem Schluss kommt auch Weil, die Hitler als Beispiel für die Entwurzelung des Menschen von sich selbst und der ihn umgebenden Welt aufführte. „Die Deutschen waren, als Hitler sich ihrer bemächtigte, tatsächlich, wie er unaufhörlich wiederholte, eine Nation von Proletariern, das heißt von Entwurzelten; die Demütigung von 1918, die Inflation, die auf die Spitze getriebene Industrialisierung und vor allem die ungeheure Krise durch die Arbeitslosigkeit hatten die geistige Krankheit in einem Ausmaß verschärft, dass sie nur noch Verantwortungslosigkeit zur Folge haben konnte.“402

Sie definierte die Verwurzelung als „wohl das wichtigste und am meisten verkannte Bedürfnis der menschlichen Seele“403, die Entwurzelung hingegen „ist mit Abstand die gefährlichste Krankheit der menschlichen Gesellschaften, denn sie vervielfacht sich selbst“404. Im Nationalsozialismus vervielfachte sich die Entwurzelung auf Basis von Hitlers „Prinzip der biologisch-rassisch bedingten Herrschaft des Stärkeren“405 bis im Jahr 1945 ein in jeglicher Hinsicht zerstörtes Deutschland übrig blieb.406

IV. Im geteilten Deutschland „Nach diesen Exzessen blieb von der ‚deutschen Heimat‘ nur ein schwarzes, verwüstetes Loch. Sie schien unwiderruflich verbrannt“407. Die Nachkriegszeit – mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland (BRD) im Westen und der 400

Haffner 1989, S. 156. A. a. O., S. 158. 402 Weil 2011, S. 47. 403 A. a. O., S. 43. 404 A. a. O., S. 46. 405 Grieswelle 1984, S. 99. 406 Vgl. Weil 2011, S. 43–47. 407 Zöller 2015, S. 21. 401

IV. Im geteilten Deutschland

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Deutschen Demokratischen Republik (DDR) im Osten – prägte den Heimatbegriff des physisch und psychisch durch den Krieg sowie die nationalsozialistische Entgrenzung zerstörten Deutschlands mit den Themen Exil, Flucht und Vertreibung. Der damit verbundene Heimatverlust sollte noch Jahrzehnte ein Teil der öffent­ lichen Debatte sein.408 Vor und während des Zweiten Weltkrieges lebten viele Deutsche im Exil und kamen nun zurück oder mussten aus ehemaligen deutschen Gebieten in das territorial stark verkleinerte Deutschland fliehen beziehungsweise zurückkehren409. Für Neumeyer kam vor dem Hintergrund der tiefgreifenden Veränderungen jedoch keine „zunehmende Sachlichkeit des Begriffs oder gar keine Klärung seines Inhaltes“ infolge der „Fülle der sich mit den Flüchtlingsströmen anhäufenden persönlichen, sozialen, politischen und ökonomischen Probleme“ auf und trieb den Heimatbegriff „sehr schnell wieder in emotionale und interessen­ behaftete Grenzen“410. In der intellektuellen Diskussion der Nachkriegszeit fand der mithin kontaminierte Heimatbegriff insgesamt nicht statt. „Im Nachkriegsdeutschland war ‚Heimat‘ – ebenso wie ‚Nation‘ – ein verpönter Begriff. […] Es drohte zum Sprachfossil zu verkommen“411. Das übrig gebliebene Heimatbild fand in den 1950er Jahren lediglich in populärem Gewand Einzug in den „Heimatroman“ oder in den „Heimatfilm“, wodurch es „massenhaft nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten produziert und vermarktet“ wurde und auch dadurch letztlich „stereotyp und klischeehaft, unbestimmt und vielseitig interpretierbar“ blieb412. Gemäß Cremer und Klein wurde Heimat zum „Thema der Kulturindustrie, zur freimontierbaren Kulisse aus vorfabrizierten Fertigbauteilen“ 413. Schlink fasste den Zeitgeist wie folgt zusammen: „Exil war Freiheit, Heimat war der Muff der Vertriebenen und ihrer Verbände“414. Einen Grund für „sein baldiges Verschwinden aus der offiziellen politischen Diskussion (ausgenommen im Umfeld der Heimatvertriebenen-Verbände)“ sah Bastian in dem sich infolge der guten wirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik „schnell stabilisierenden, kollektiven öffentlichen Selbstbewußtsein“415. „Leistungsbereitschaft und Mobilität der Heimatvertriebenen waren eine wesentliche Bedingung des westdeutschen ‚Wirtschaftswunders‘ als kleinstem gemeinsamen Nenner einer tief verunsicherten Gesellschaft“416. Für Röpke begann mit Erhard und den weiteren Protagonisten des Wirtschaftswunders Dank der Einführung der Sozialen Marktwirtschaft in der noch jungen Bundesrepublik ein neuer Abschnitt

408

Vgl. u. a. Bastian 1995, S. 140. Es handelte sich nach 1945 um über 11,5 Mio. Heimatvertriebene, vgl. Cremer / Klein 1990, S. 35. 410 Neumeyer 1992, S. 40. 411 Schlapp 1988, S. 215. 412 Neumeyer 1992, S. 44. 413 Cremer / Klein 1990, S. 36. 414 Schlink 2000, S. 14–15. 415 Bastian 1995, S. 140. 416 Cremer / Klein 1990, S. 35. 409

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B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen

der Wirtschaftsgeschichte. Mit einer „epischen Eindruckskraft“ kamen auf den tiefen Fall des deutschen Volkes und seiner Wirtschaft der Wiederaufstieg und das „Wiederemporklimmen“417. Siegrist formulierte bezüglich der aufkommenden Konsumkultur, die sich – wie wir noch sehen werden – in der Bundesrepublik als wesentlicher Bestandteil der Massenkonsumgesellschaft etablierte, das Folgende: „Konsumieren erlaubte nach den Jahren des Faschismus, des Krieges und der Not überdies eine Distanzierung von einer – aus welchen Gründen auch immer – unangenehmen Vergangenheit; der Warenkonsum übernahm die Funktion von moralischer Reinigung, Verdrängung von Schuld und Linderung von schmerzlicher Erinnerung an Verlust, Hunger, Kälte, Demütigung und Not“418.

Letztlich nahm nach den Zweiten Weltkrieg „das gesamte nationalstaatlich geprägte Europa“419 sein Ende und die moderne Wirtschaft fungierte als „das neue Paradigma“ und „die Antwort des Westens auf den Verlust des Alten, des Nationa­ len“. Mithin diente die Anhäufung materiellen Wohlstands nicht nur der materiellen Bedürfnisbefriedigung, sondern auch als „Kompensation für die verbrannte Nation“420. „Profit und Konsum wurden zur Droge – weg vom rassistischen Größenwahn und hin zur wirtschaftlichen Größensucht“421. Im Allgemeinen erfuhr der Heimatbegriff international in Bezug auf seine juristische Dimension mit der UNO-Menschenrechtserklärung aus dem Jahr 1948, die „Freizügigkeit und das Recht der Rückkehr“ in die jeweilige Heimat einforderte, eine Kopplung des Heimatrechts „an die Existenz der Person und nicht mehr an die besondere Rechtslage eines Ortes oder an das Vorhandensein von Besitz“422. In der Publikation „50 Jahre Deutscher Heimatbund“ forderte Arnold 1954 aufgrund des politischen Missbrauchs im Dritten Reich eine „Unabhängigkeit von der Parteipolitik“423 bezüglich des Heimatbundes ein. Die Zeit nach 1945 zeige, dass der „Zweiklang“ Volk(-stum) und Heimat sehr wichtig sei. Gerade „das Vorhandensein von Verschiedenartigkeiten und Individualitäten“ sah Arnold als wertvoll an: „Gesundes Volkstum ist dort vorhanden, wo sich der einzelne ohne Zwang aus innerer Berufung und aus bewußter Überzeugung zu seinem Volk bekennt.“424 Wie schon die Ursprünge der Heimatschutzbewegung forderten, plädierte er – nachdem „die nationalistische Hybris vorbei ist, nachdem auch die seltsamen Umerzieher der Nachkriegszeit unser Land wieder verlassen haben“ – für den befreiten Gebrauch der „schönen Worte: ‚Volkstum, Heimat, Vaterland‘“425.

417

Röpke 1979, S. 43–44. Siegrist 1997, S. 27. 419 Miegel 2011, S. 48. 420 A. a. O., S. 50. 421 Maaz 2017, S. 141. 422 Brockhaus Enzyklopädie in 24 Bänden 1989, S. 618. 423 Arnold 1954, S. 8. 424 A. a. O., S. 9–10. 425 A. a. O., S. 10–11. 418

IV. Im geteilten Deutschland

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„Wer selbst eine natürliche Liebe zu seinem Volk, zu seiner Heimat, zu seinem Vaterland empfindet, wird auch Achtung und Ehrfurcht vor den kulturellen Leistungen der anderen Völker unseres Kontinents empfinden“426.

Insgesamt wurde die Heimatbewegung im Ganzen mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus „weniger als Opfer denn als Mittäter betrachtet“ und diskre­ ditiert427. Das Kriegsende markierte letztlich das Ende des Einflusses der Heimat­ bewegung (ab 1951 „Deutscher Heimatbund“428) auf die Prägung des Heimatbegriffs  – seither ist die Relevanz der Nachfolgeorganisation sowie diverser Heimatvereine zum Beispiel in der (Bau)Wirtschaft, der Bildung oder im Allgemeinen in der öffentlichen und politischen Debatte als sehr gering und nicht mehr nennenswert zu betrachten429. „Daß ein großer Teil der Intelligenz mit Reserve oder Ablehnung“ dem maßgeblich von der früheren Heimatbewegung geprägten Heimatbegriff gegenüberstand, unterlegte Gollwitzer am Beispiel der in der Bundesrepublik vollzogenen Umbenennung der „Bundeszentrale für Heimatdienst“ in „Bundeszentrale für politische Bildung“ (1963) und des „überkommenen“ Schulfaches „Heimatkunde“ in „Sachkunde“ (1969).430 Davon unbenommen werden wir feststellen, dass in den folgenden Jahrzehnten zahlreiche Themenfelder (wie die Fortschritts-, Konsum- und Kulturkritik, Nachhaltigkeit, Umweltschutz) im öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs aufgegriffen werden, die um die Jahrhundertwende von der Heimatbewegung und weiteren Strömungen behandelt wurden. Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg blieben die „Intensität von Handels- und Kapitalbeziehungen […] hinter dem Niveau von 1913 zurück“ und es fand zunächst eine „Entflechtung“ der internationalen Beziehungen statt431. Es entstanden im Osten und Westen des unter den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs aufgeteilten Deutschlands zwei politisch verschiedene Machtblöcke und von Grund auf unterschiedliche Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme, die den internationalen Handel und die Weltpolitik bestimmten. Die Vereinigten Staaten von Amerika als Teil der Alliierten im Westen verfolgten dabei „das dreifache Ziel der Eindämmung des Kommunismus, der Absicherung und Institutionalisierung einer offenen, kapitalistischen Weltwirtschaft und der Befriedung Westeuropas, sprich der Einbindung (West-)Deutschlands.“432

Als Folge des erheblichen Einflusses der amerikanischen Konsumkultur auf die (west-)‌europäische Konsumgesellschaft entwickelte sich in einigen Staaten eine „Nationalisierung des Konsums und ein konsumbasiertes Nationalbewusst-

426

Arnold 1954, S. 11. Ditt 1990, S. 154 und vgl. Mitzscherlich 2013, S. 52–53. 428 Vgl. Gollwitzer 2008, S. 331. 429 Das stellte u. a. auch Schramm 2003, S. 278 ff. fest. 430 Gollwitzer 2008, S. 336 und vgl. Barlmeyer 2013, S. 120. 431 Osterhammel / Petersson 2006, S. 94, 100. 432 A. a. O., S. 88 und vgl. a. a. O., S. 87–88. 427

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B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen

sein“433. Dergleichen war hingegen in der unter besonders hohem amerikanischen Einfluss stehenden Bundesrepublik nicht zu beobachten. Einzig für die unmittelbare Nachkriegszeit der 1950er Jahre war vor dem Hintergrund der allgemeinen Rationierung und Knappheit sowie des Wiederaufbaus ganz zwangsläufig eine „Welle“ der Regionalisierung des Konsums zu verzeichnen.434 Allgemein verortete Kaelble den Übergang der USA in eine Massenkonsumgesellschaft in den 1930er beziehungsweise 1940er Jahren. Für die westeuropäischen Staaten geschah dies aufgrund der Kriegseinwirkungen etwas später in den 1950er beziehungsweise 1960er Jahren – auch mit Blick auf die endgültige Verdrängung der Landwirtschaft als größtem Arbeitgeber – und für die osteuropäischen Staaten in den 1970er beziehungsweise 1980er Jahren beziehungsweise spätestens mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Systeme in Osteuropa nach 1990.435 ­Reckendrees markierte den entscheidenden Zeitpunkt des Durchbruchs in der Bundesrepublik zur Massenkonsumgesellschaft („Konsumwunder“436) im Jahrzehnt zwischen 1968/1969 und 1977/1978.437 „Indem traditionslose Konsumentengruppen (wie Migranten und kaufkräftige Jugendliche) zahlreicher und wichtiger wurden und Arbeiter und Angestellte sich den Restriktionen und Diskriminationen des traditionellen Konsums entzogen, verblasste das Leitbild des kollektiv verbindlichen regionalen Konsumierens rasch wieder. ‚Internationale‘, ortlose und ‚amerikanische‘ Güter überstrahlten die regionalen.“438

Die Massenkonsumgesellschaft bildet dabei einen Bestandteil der globalisierten Gesellschaft. Über den Beginn der Globalisierung – als Inbegriff der internationalen, ökonomischen Vernetzung bis heute omnipräsent – existieren unterschiedliche Zeitangaben, die sich um die 1960er Jahre verdichten, was letztlich einhergeht mit der Etablierung der Massenkonsumgesellschaft als Merkmal und Bestandteil der Globalisierung. Es ist grundsätzlich Sloterdijk zu folgen, der formulierte, dass der Auftakt der Globalisierung deutlich früher anzusetzen ist, nämlich bereits bei der ersten Kolumbusfahrt im Jahr 1492. Aus Sicht der Europäer war das Thema der territorialen und ökonomischen Erschließung und „Erreichbarkeit“439 dann für Jahrhunderte ein weitestgehend einseitig Positives: „Die Europäer sind die Hinfahrer par excellence im Globalisierungsprozeß gewesen, sie haben die Erst 433

Kühschelm et al. 2012, S. 39. Siegrist und Schramm markierten im späten 19. Jahrhundert mit dem Aufkommen der Heimatbewegung eine erste große Welle der Regionalisierung des Konsums, die zweite Welle folgte in der Zwischenkriegszeit. Als dritte Welle nannten sie die Nachkriegszeit der 1950er Jahre. Bis zu den 1970er Jahren sprach man insgesamt von einer Entregionalisierung, gerade weil es zu diversen regionalen Neuaufteilungen kam, vgl. Siegrist / Schramm 2003, S. 21–26 und vgl. Schramm 2003, S. 275 ff. 435 Vgl. Kaelble 1997, S. 169, 189–191. 436 Reckendrees 2008, S. 11. 437 Vgl. a. a. O., S. 10. 438 Siegrist / Schramm 2003, S. 26. 439 Sloterdijk 2016, S. 86. 434

IV. Im geteilten Deutschland

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schlagkapazität in Globalisierungsangelegenheiten besessen und haben den Primat der Hinfahrt radikal ausgekostet“440. Das sollte sich ab Mitte des 20. Jahrhunderts ändern, indem sich mit der Angleichung der internationalen Kommunikations-, Transport- und Warensysteme eine „Gegenerreichbarkeit“441 entwickelte, die bis heute ihren Höhepunkt noch nicht erreicht zu haben scheint.442 Osterhammel und Petersson hielten fest, dass die Zeit von 1945 bis in die 1970er Jahre „die umfassendsten Transformationen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur mit sich [brachte], die sich jemals im Zeitraum weniger Jahrzehnte ereignet hatten“443. Zu nennen sei in diesem Zusammenhang unter anderem auch die Institutionalisierung der Weltwirtschaft mit der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds. Es kam zur Entstehung von multikulturellen Megastädten, die kommunistische Welt in Osteuropa gehörte dabei nicht zur globalisierten Welt westlicher Prägung. Oster­ hammel und Petersson nannten es die „kulturelle Amerikanisierung“444, die die Bundesrepublik insbesondere verbunden mit der Amerikanisierung des Konsums sowie – im Vergleich zum Aufkommen der Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts – deutlich schnelleren Adaption von internationalen und hauptsächlich amerikanischen Konsumpräferenzen überkam.445 „Die Globalisierung von Massenproduktion, Massenkonsum und Massenmedien war das explizite Ziel modernisierungstheoretisch inspirierter Zukunftsentwürfe, und Wachstum war der gemeinsame Nenner der großen gesellschaftlichen Projekte im Westen, im Osten und in der Dritten Welt.“446

Nach den Prinzipien des Freihandels und der Globalwirtschaft sei die internationale Vernetzung förderlich (= Steigerung der Wohlfahrtsgewinne): Erstens sei Wettbewerb innovationsanregend und folglich produktivitätssteigernd, das sänke die Preise. Zweitens erlaube Arbeitsteilung Spezialisierung, die ebenso produktivitätssteigernd sei und ebenfalls die Preise sänke. Umso größer drittens eine Produktionsanlage, desto stärker seien Arbeitsteilung sowie Spezialisierung zum Vorteil aller.447 „Welche Implikationen haben diese Leitsätze des Freihandels? Gemeinschaften und Länder sollen die Selbstversorgung sein lassen und sich in Abhängigkeit begeben. Wir sollen uns von der Produktion vieler Güter abwenden und uns auf einige wenige konzentrieren. Wir sollen importieren, was wir brauchen, und exportieren, was wir herstellen.“448 440

Sloterdijk 2016, S. 86. Ebd. 442 Vgl. Sloterdijk 2016, S. 77 ff. 443 Osterhammel / Petersson 2006, S. 86. So z. B. auch Mander 2004, S. 9: „Die wirtschaftliche Globalisierung hat wahrscheinlich die fundamentalste Umstrukturierung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf unserem Planeten mindestens seit der Industriellen Revolution zur Folge.“ 444 Osterhammel / Petersson 2006, S. 107. 445 Vgl. a. a. O., S. 93, 100–102. 446 A. a. O., S. 102. 447 Vgl. Morris 2004, S. 164–166. 448 A. a. O., S. 166. 441

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Eine wichtige Grundlage für diese Entwicklungen hin zur Massenkonsumgesellschaft bildete der weitere technische Fortschritt, den Jünger in „Die Perfektion der Technik“ bereits Ende der 1940er Jahre brandmarkte. Zum einen ist sein Werk als eine fortgesetzte Technikkritik unter anderem Spenglers zu verstehen, zum anderen finden sich zahlreiche Inhalte wieder, die die erst Jahrzehnte später folgende Fortschrittskritik und die Umweltbewegung in der Bundesrepublik einbrachte. Die „Ideologie des technischen Fortschritts“449 sei „ein Raubbau, wie ihn die Erde noch nicht gesehen hat“450, und der aus ihr entstehende Reichtum und individuelles Glück eine Illusion. Denn die Auswirkungen der von der Technik geschaffenen „Leerräume“ seien „Depression, Langeweile, Empfindung des Sinnleeren und Sinnlosen, der Unruhe und des mechanischen Gehetztseins“451. Mit Bezug auf die „Totale Mobilmachung“452, von der Jüngers Bruder schrieb, formulierte er: „Die Technik ist eine Mobilmachung alles Immobilen“453. Als Resultate blieben „Stumpfsinn des Arbeits- und Erwerbslebens“ und „Verödung des geistigen Lebens“454. Mit der Nutzung technischer Geräte und der damit einhergehenden Abnahme der individuellen Wertschöpfung sinke letztlich der Dingbezug, verbunden mit dem Bindungsverlust gegenüber sich selbst, der Umwelt und der Natur. Die Funktionsbasis hierfür sei nicht die Kategorie „Volk“, sondern die „Masse“, die „willenlos zu funktionieren und mechanische Funktionen auszuüben“ habe. Dieser Zustand breche „gewisse Widerstände, er beraubt ihn [Anmerkung des Autors: dem Masse-Menschen] unter der Maske eines Ordnungsvorgangs jener Selbständigkeit, die ihn befähigt, chaotischen Vorgängen Widerstand zu leisten.“455 Der Entwicklung zur Massenkonsumgesellschaft, als Weiterentwicklung der sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts etablierenden modernen Konsumgesellschaft, in der Bundesrepublik als Bestandteil der globalisierten Gesellschaft lagen unter anderem folgende, hervorzuhebende Faktoren zu Grunde: Rund um die Warenwelt waren sinkende Produktpreise, die Standardisierung der Güter (weitere Abnahme des Handarbeitsfaktors, Technisierung) einhergehend mit der Produktvariation und -diversifikation, die Allverfügbarkeit und die Abnahme der Lebensdauer von Gebrauchsgütern zu erkennen. Den tatsächlichen Bedarf an Grund- und Luxus­ gütern übersteigende Mengen wurden konsumiert456. Von einer Kommerzialisie 449

Jünger 1946, S. 144. A. a. O., S. 19. 451 A. a. O., S. 112. 452 Jünger 2002, S. 135. 453 Jünger 1946, S. 121. 454 A. a. O., S. 136. 455 A. a. O., S. 120–121 und vgl. a. a. O., S. 155–156. 456 „Die Wahlmöglichkeiten betrafen immer weniger alternative Entscheidungen (Anzug oder Fahrrad, Kühlschrank oder Fernsehgerät), sondern fast alle Wünsche konnten nun erfüllt werden. […] Überproportional ausgedehnt wurden die disponiblen, unmittelbar konsumtiven Ausgaben, zunächst vor allem die anteiligen Ausgaben für Urlaub sowie für Freizeit, Unterhaltung, Bildung. Der besser verdienende Vier-Personen Angestellten- und Beamtenhaushalt hatte ein vergleichbares Niveau sehr viel früher, wohl bereits am Ende der 50er Jahre erreicht, 450

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rung des Konsums ist zu sprechen aufgrund des Verlusts des direkten Kontakts des Erwerbers zum Produzenten, der Marginalisierung des Eigenanteils an der Wertschöpfung, der Verschiebung von Konsumgüter-Präferenzen, der Schaffung neuer Konsumentengruppen und -typen (Kinder, Jugendliche, Erwachsene etc.), neuer Handelsformen (Selbstbedienung, massenhafte Etablierung von Supermärkten) und der Schaffung transnationaler Märkte (Europa). Die Realeinkommen stiegen in Verbindung mit der Erhöhung privater (Konsum-)Ausgaben (veränderte Nachfragesituation), die durchschnittliche Arbeitszeit sank und erhöhte sich damit die verfügbare Nicht-Arbeitszeit. Es kam zur Angleichung von sozialen Hierarchien und Milieus (z. B. Fußball, allgemeiner Zugang zu ehemaligen Luxusgütern wie Auto, TV usw.), zur Bildung konsumistischer Lebensstile (Distinktionsfunktion des Konsums: Mode, Marken) sowie zur Veränderung des Diskurses (Konsumkultur). Die Internationalisierung und Standardisierung forcierende Werbung wurde multipräsent.457 „Nicht mehr Eltern, Lehrer und Geistliche, sondern Massenmedien und Freizeitindustrie vermittelten nun in erster Linie die Normen eines Lebensstils, der Arbeitsleistung mit dem Anspruch auf eine eigene Jugendkultur und konsumistische Kompensation in der Freizeit zusammenführte.“458

Seit Beginn der Industrialisierung zur Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelten sich diese Faktoren, beginnend bei der Etablierung des Ladengeschäfts und der Reklame (Bedürfnisweckung), der Warenhäuser (Standardisierung), und immer einhergehend mit der Abnahme des Anteils heimatbezogener und individueller Wertschöpfung sowie der Trennung von Wohn- und Arbeitsort. Dem Wandel des Besitzes und seiner Wertschätzung seit dem 19. Jahrhundert fasste Fromm wie folgt zusammen: „Früher hegte und pflegte man alles, was man besaß, und benützte es solange nur irgend möglich. Man kaufte, um zu ‚behalten‘. Das Motto lautete: ‚Alt ist schön!‘ Heute kauft man, um wegzuwerfen.“459 Diesen Zustand machte er am Beispiel des Auto(kauf)s deutlich. Die Beziehung zu einem Auto ist zunächst „entpersönlicht“ worden und also „ein Symbol meines Status, meines Ichs, eine Ausdehnung meiner Macht“. Der Erwerb kommt demnach (1.) einem Erwerb eines neuen Teil-Ichs gleich, und (2.) steigert er, je häufiger er erfolgt, den Lustgewinn. (3.) Besteht die Chance auf Profit beim Wechsel im Rahmen des Neuerwerbs (Profitwunsch). Als (4.) werden neue Reize aktiviert, die alten Reize werden abgelöst. Der (5.) „und wichtigste Faktor liegt in der Verändeentsprechende empirische Daten liegen erst seit 1965 vor. Der Arbeitnehmerhaushalt, dessen Anteil an der Gesamtbevölkerung gegenüber dem Angestellten- und Beamtenhaushalt höheren Einkommens mehr als achtmal so hoch war, erreichte dessen Konsumniveau mit einem (anhaltenden) Rückstand von ca. zehn bis 15 Jahren.“ Reckendrees 2008, S. 10. 457 Vgl. Jeggle 1983, S. 13–17, 20–21, vgl. Kaelble 1997, S. 175 ff., vgl. Mander 2004, S. ­11–12, vgl. Reckendrees 2008, S. 9–11, vgl. Schildt 1997, S. 344–354, vgl. Siegrist / Schramm 2003, S. 25–26, vgl. Spiekermann 1999, S. 572 und vgl. Wildt 1997, S. 321–324. 458 Schildt 1997, S. 345. 459 Fromm 1976, S. 75.

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rung des sozialen Charakters im Laufe des letzten Jahrhunderts vom ‚hortenden‘ hin zum ‚marktorientierten‘ Charakter.“460 Röpke, der den Leitspruch „Das Maß der Wirtschaft ist der Mensch und das Maß des Menschen ist sein Verhältnis zu Gott“461 prägte, vertrat die Auffassung, dass über das Schicksal einer Marktwirtschaft „jenseits von Angebot und Nachfrage“ entschieden würde. Jenseits davon seien „Sinn, Würde und innere Fülle des Daseins […], die Zwecke und Werte, die dem Reiche des Sittlichen im weitesten Verstande angehören.“462 Bekannt geworden als einer der Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft nahm Röpke in erster Linie mit seinem Werk „Jenseits von Angebot und Nachfrage“ kulturkritische Positionen ein, die sich nicht (mehr) mit der realpolitischen Entwicklung deckten. Als einer „gesunden, und dem Menschen gemäßen Gesamtordnung“ abträglich, benannte er Konzentration, Zentrismus und Masse, die er in Gestalt von Entwurzelung, Massenarbeitsstätten und -organisationen sowie „gestaltlosen Menschenanhäufung“ der Groß- und Industriestädte erkannte463. Das sei „das Krankheitsbild“ der Gesellschaft bereits vor dem Zweiten Weltkrieg gewesen, inzwischen sei es „nur noch ernster und eindeutiger geworden“464. Am tiefsten sitze die Krankhaftigkeit der Kultur „in der geistig-religiösen“ Krise eines jeden Einzelnen. Das Problem der „modernen Massengesellschaft“ sei das „eines chronischen Zustandes“, der sich zuvorderst als Vorgang „geistig-moralischer Natur“ auszeichne: Ihn charakterisiere „Verflachung, Einebnung, Unselbständigkeit, Herdenhaftigkeit und banale Durchschnittlichkeit des Denkens“465. Die Individuen der Massengesellschaft seien nie „abhängiger […], ungeprägter und unpersönlicher […], isolierter, entwurzelter, verlassener, gemeinschaftsärmer [und] sozial desintegrierter“ gewesen466. Als Instrumente der „geistigen Massen­ beeinflussung“467 etikettierte er das Fernsehen, das Kino und das Radio. Eine tödliche Bedrohung ginge vom „Zerfall eines kulturtragenden Wertsystems“ und dem daraus resultierenden „geistig-moralische[n] Vakuum“ aus468. Er stellte fest, dass „Unzufriedenheit und Unbehagen“469 mit der individuellen Güteranhäufung steigen, jedoch nicht das erhoffte individuelle Glücksmoment. Die „Langeweile“ der „dem materiellen Genuß ergebenen Gesellschaft“ werde durch immer weiteren Konsum getrieben, jedoch dadurch nicht gestillt470. Röpke fragte grundsätzlich: „Was [passiert] mit den nicht produzierbaren, nicht in Geld ausdrückbaren und einzuhandelnden, aber entscheidenden Bedingungen seines Glücks, seiner 460

Fromm 1976, S. 76–77. Röpke 1964, S. 355. 462 A. a. O., S. 22, 60. 463 A. a. O., S. 23–24. 464 A. a. O., S. 24. 465 A. a. O., S. 85. 466 A. a. O., S. 109. 467 A. a. O., S. 87. 468 Röpke 1979, S. 89. 469 A. a. O., S. 117. 470 A. a. O., S. 123. 461

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lebenswerten, menschenwürdigen Existenz?“471 Er meinte damit zum Beispiel Glücksfaktoren wie die Natur mit ihren Vögeln und Blumen, Wald und Wiese sowie Privatheit, Schönheit und Würde, Ungehetztheit und Muße „und nicht etwa dem ‚Freizeit‘ genannten Zeitloch, das von einer geschäftigen Industrie auszufüllen ist“472. Kleinere und mittlere Einheiten in Verbindung mit Selbstverantwortung, Eigenständigkeit sowie auch Nachbarschaft und Gemeinschaftssinn seien es, die eine gesunde Ordnung begründen. Die „Krankheit“ könne nur mittels Dezentralisierung, „Wiederverwurzelung“, „Entmassung“ und „Entproletarisierung“ therapiert werden473. „Familie, Kirche, echte Gemeinschaften und Überlieferung“ müssten den Menschen mit Normen wie Ehrlichkeit, Fairness, Gemeinsinn, Gerechtigkeitssinn, Maßhalten, Ritterlichkeit und Selbstdisziplin ausstatten474. Jedoch sei es der „destruktive Geist des Modernismus, der überall triumphiert und immer frecher die ehrwürdige Physiognomie unserer europäischen Städte antastet, mit dem Ergebnis, daß sie schließlich so langweilig werden wie die amerikanischen.“475 Die „sozialen Kosten“ der Marktwirtschaft, die Röpke unter anderem in Gestalt des „Krankheitsbildes“ der physischen und psychischen Entwurzelung der Menschen verdeutlichte, thematisierte Kapp vor allem in seinem beiden ­Werken „Volkswirtschaftliche Kosten der Privatwirtschaft“ und „Soziale Kosten der Marktwirtschaft“476 Die Hauptintention des erstgenannten Werkes lag in dem Nachweis, dass die Ausgaben von Unternehmen wichtige volkswirtschaftliche, mit der Produktion verbundene Kosten nicht implizieren und aufgrund dessen nicht als tatsächliche Gesamtkosten aufgewiesen werden können. Synonym zu den „volkswirtschaftlichen Kosten“ sind die „sozialen Kosten“, die „Sozialkosten“ oder die „gesellschaftlichen Kosten“. Die Sozialkosten sind nach Kapp „alle direkten und indirekten Verluste, die Drittpersonen oder die Gesamtheit als Folge der privaten Wirtschaftstätigkeit erleiden“. Das sind beispielsweise „Schäden der menschlichen Gesundheit“, die „Vernichtung oder Minderung von Vermögenswerten“, die „Erschöpfung von Naturschätzen“ oder die „Beeinträchtigung weniger greifbarer Werte“.477 Wenn die Sozialkosten überhaupt in einer Unternehmung oder Marktwirtschaft ihre Berücksichtigung fänden, dann würden sie bestenfalls „als ‚externe‘ Kosten betrachtet, die außerhalb des Bereiches der eigentlichen Nationalökonomie liegen“478, wie zum Beispiel Natur, Tierwelt, Luft, Wasser, Arbeiter (geistig, körperlich), Kosten des technischen Fortschritts, Arbeitslosigkeit, Distribution und Transportwesen, Fauna (Landwirtschaft, Wald) und so weiter. Die Auswirkungen für den Einzelnen sind laut Kapp selten spürbar, die Abwälzung erfolge auf die 471

Röpke 1979, S. 78. Ebd. 473 A. a. O., S. 24. 474 A. a. O., S. 186. 475 A. a. O., S. 125 und vgl. a. a. O., S. 22–24, 69–70, 117–118, 130–131, 338 ff. 476 Englische Erstausgabe 1950, deutsche Übersetzung 1958 (Volkswirtschaftliche Kosten der Privatwirtschaft) bzw. 1963/1978 und 1979 (Soziale Kosten der Marktwirtschaft). 477 Kapp 1958, S. 12. 478 A. a. O., S. 13. 472

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gesamte Gesellschaft.479 Ein grundlegender Irrtum sei, dass die moderne Preistheorie „von der stillschweigenden Annahme ausgeht, daß die Aufwendungen des Unternehmers die gesamten Produktionskosten umfassen“480. Kapp konstatierte, „daß die traditionelle Gleichsetzung privater Kosten mit den gesamten Produktionskosten völlig falsch und unhaltbar ist“481. Vielmehr sollte die moderne Preistheorie mittels einer „Theorie des gesellschaftlichen Wertes“ ergänzt werden482. Zusammenfassend stellte er diesbezüglich fest: „Sobald man jedoch die herkömmlichen Abstraktionen in der Selbstkostenanalyse fallen läßt und die übergangenen Sozialkosten in die Theorie einbezieht, wird klar, daß die vermeintlich wohltätige Ordnungskraft des Wettbewerbsprozesses nichts als ein Mythos ist. Denn wenn die Kosten des Unternehmers nicht die gesamten Produktionskosten darstellen, dann sagt das Preis-Kostenkalkül der Wettbewerbswirtschaft nicht nur nichts aus, sondern ist weiter nichts als eine institutionalisierte Tarnung, unter der es dem Privatunternehmer möglich wird, einen Teil der Kosten auf die Schultern anderer abzuwälzen und eine Form großangelegter Ausbeutung zu betreiben, die alles übertrifft, was sich die frühen Sozialisten vorstellten, als sie von der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen sprachen.“483

Mithin widersprach er dem Grundmodell der Wirtschaftswissenschaft des „homo oeconomicus“, denn in der modernen Industriegesellschaft würden weder der Konsument noch der Unternehmer rational handeln. Wettbewerbsbedingtes Gleichgewicht gehe nicht einher mit maximaler Gesamtbefriedigung.484 „Denn wenn die Konsumenten nicht in der Lage sind oder durch kommerzielle Manipulationen davon abgehalten werden, von ihrem Einkommen den besten Gebrauch zu machen, wenn ferner wichtige Sozialgewinne nicht in Privatgewinnen und daher auch nicht in den Wirtschaftsrechnungen der wettbewerbsorientierten Marktwirtschaft erscheinen, und wenn schließlich die Aufwendungen der Privatunternehmer nicht die wirklichen Gesamtkosten der Produktion repräsentieren, dann schließt das konkurrenzwirtschaftliche Gleichgewicht notwendigerweise eine willkürliche und hochgradig verschwenderische Nutzung von Produktionsmitteln ein.“485

Er plädierte für eine Erweiterung des Wirtschaftens im Sinne einer „umfassenderen Sinngebung“, worin „sozialer Wert“ als „wichtigste Kategorie der neuen Wirtschaftswissenschaft“ zu etablieren sei486. In seinem Jahre später folgenden Werk „Soziale Kosten der Marktwirtschaft“ ging er besonders auf die Rolle der Massenmedien beziehungsweise der Werbung und der Wertschöpfung in der Marktwirtschaft ein. Auch hierin plädierte er für die

479

Vgl. Kapp 1958, S. 11–13, 201–202, 218–220. A. a. O., S. 201. 481 Ebd. 482 A. a. O., S. 225. 483 A. a. O., S. 201. 484 Vgl. a. a. O., S. 201–202. 485 A. a. O., S. 202. 486 A. a. O., S. 218–220. 480

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Erweiterung der Preistheorie durch eine „Theorie des sozialen Wertes“487 und eine Neuformulierung der Begriffe „Reichtum“ und „Produktion“ unter Einbezug der Sozialkosten in der Wirtschaftsanalyse. Er kritisierte den „ungehemmten Wachstum des Verbrauchs“, der unter anderem durch die „mächtigen Überzeugungsund Manipulationsmittel der modernen Massenmedien“ befördert werde488. Der wachstumsfördernde Konsum werde durch Preisunterbietungen, künstliche Verringerung der Lebensdauer von Gütern („Obsoleszenz“) und Qualitätsverschlechterung sowie „Verführung des Konsumenten zum verschwenderischen Verbrauch“ stetig unterstützt.489 „Beispielsweise hat die wirtschaftliche Modenbildung die Wirkung, den wirtschaftlichen Nutzen von dauerhaften Gütern zu schmälern oder sogar zu vernichten, lange bevor diese aufhören, Dienste leisten zu können. Indem die Lebensdauer vieler Güter künstlich verkürzt wird, tragen Stil und Mode und deren kommerzielle Förderung zu erheblichen Verlusten in der modernen Gesellschaft bei.“490

Die Verkaufsförderung beeinflusse „die Struktur der menschlichen Persönlichkeit und trägt wesentlich zur Verarmung der modernen Gesellschaft bei“491. Der Mensch als „Gegenstand kommerzieller Überredung und Manipulation“ werde „psychisch äußerst verwundbar“ und zur „entfremdeten und isolierten Persönlichkeit“492. Die Sozialkosten, resultierend aus den vorgenannten Praktiken innerhalb der Marktwirtschaft, seien auch als „entgangene Einsparmöglichkeiten“493 zu bezeichnen, die sich in überflüssigen Reparaturkosten oder vorzeitigem Neuerwerb dauerhafter Produkte niederschlagen. Die Verschwendung habe das Sparsamkeitsideal abgelöst.494 Den Wandel der Wertschöpfung vom Gebrauch zum Verbrauch von Dingen beschrieb auch Arendt im Jahr 1958 am Übergang des Menschen vom „Homo faber“495 zum „Animal laborans“496. Der „Homo faber“, auch der „Herr seiner Hände“497 oder der „Herr seiner selbst“498, stelle im wahrsten Sinne des Wortes „wertvolle“, dauerhafte (Gebrauchs-)Güter her. Wohingegen der „Animal laborans“ nützliche, vergängliche (Gebrauchs-)Güter fertige, die über eine geringe Haltbarkeit verfügen, schnell auf den Markt treten und wieder verschwinden. „Die Häuser, das Mobiliar, die Autos, alle Dinge, die wir benutzen und die uns umgeben, müssen 487

Kapp 1979, S. 219. A. a. O., S. 87. 489 A. a. O., S. 163 und vgl. a. a. O., S. 211–212. 490 A. a. O., S. 168. 491 A. a. O., S. 173. 492 A. a. O., S. 175–176. 493 A. a. O., S. 169. 494 Vgl. a. a. O., S. 173–176. 495 Vgl. Arendt 2015, S. 138–139. 496 Vgl. a. a. O., S. 138–139, 158. 497 A. a. O., S. 139. 498 A. a. O., S. 170. 488

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so schnell wie möglich verbraucht, gleichsam verzehrt werden“499. Wie auch Kapp diagnostizierte sie, dass die Preise der am Markt gehandelten Güter in keinem gesunden Verhältnis zu ihrem eigentlichen Wert stehen. Genauso wie Röpke stellte sie den negativen Zusammenhang der Massengesellschaft mit dem Glück her.500 „Daß die Massengesellschaft zudem weit davon entfernt ist, den Zustand des ‚Glücks für die größte Anzahl‘ zu verwirklichen, hat sich inzwischen herumgesprochen; gerade ein dem akuten, virulenten Unglücklichsein schon sehr nahekommendes, allgemeines Unbehagen ist die Stimmung, von der moderne Massen im Überfluß ergriffen werden“501.

Der Heimatbegriff war gemäß Lange vor dem Hintergrund der vorgenannten Veränderungen, wie der Individualisierung von Gütern und der Gesellschaft oder auch der weiteren Trennung von Wohn- und Arbeitsort in den 1950er Jahren in einer „Übergangsphase“ begriffen502. Mit der „Verarmung an lebendigem Brauchtum“ werde „die schwindende gesellschaftliche Formkraft heutigen Heimathabens“ deutlich503. Wenngleich es keine relevante Heimatbewegung oder ihr nahestehende, sinnverwandte Bewegungen und Wissenschaftler mehr gab, so machten Autoren unterschiedlicher Fachbereiche auch in den folgenden Jahrzehnten auf die Veränderungen ihrer Lebenswelt aufmerksam und prägten damit direkt oder indirekt den Heimatbegriff. Beispielhaft ist Mitscherlich mit „Unwirtlichkeit unserer Städte“ aus dem Jahr 1965 zu nennen, worin er zuvorderst die Architektur der modernen Städte kritisierte und auch Bezug zum Heimatbegriff nahm. „Die gestaltete Stadt kann ‚Heimat‘ werden, die bloß agglomerierte nicht, denn Heimat verlangt Markierungen der Identität eines Ortes“504. Wenngleich er sich auf andere Stile bezog, fand sich der Autor in inhaltlicher Tradition der Heimatbewegung wieder – das unterstreichen Aussagen wie: „Alte Städte hatten ein Herz“505 oder „Städte werden produziert wie Automobile“506. Mitscherlich brandmarkte die moderne Stadtplanung als „eine pur rationale Schematisierung der Bebauungsweise“507. Es käme zur „Stadtzerstörung durch schier endlose Gefilde mit Einfamilienhäusern“508. Bemerkenswert ist die Feststellung ob der Einzigartigkeit dieser Vorgänge: „Noch nie zuvor in der Geschichte hat eine so bedenkenlose und vorerst noch keineswegs abgeschlossene Traditionsvernichtung stattgefunden“509. Er erkannte eine Entwurzelung des Menschen von sich selbst und der ihn umgebenden Dinge sowie der Natur.

499

Arendt 2015, S. 149 Vgl. a. a. O., S. 136–139, 147–149, 157–158, 201. 501 A. a. O., S. 157–158. 502 Lange 1965, S. 129 und vgl. a. a. O., S. 93. 503 A. a. O., S. 95. 504 Mitscherlich 1965, S. 15. 505 A. a. O., S. 19. 506 A. a. O., S. 33. 507 Ebd. 508 A. a. O., S. 38. 509 A. a. O., S. 47. 500

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„Natürlich kann man Kinder mit homogenisierter, pasteurisierter, getrockneter und dann wieder aufgelöster Milch aufziehen, ohne daß sie je eine Kuh sehen. Es ist nur die Frage, ob das Ausbleiben der Begegnung mit Tieren ein folgenloses, ein überspielbares Faktum ist.“510

Der Wunsch nach Einsamkeit und Stille als menschliches Grundbedürfnis und Garant psychischen Gleichgewichts sei immer schwerer realisierbar511. Insgesamt steht die „Unwirtlichkeit unserer Städte“ sinnbildlich für eine Vielzahl von ökonomischen, ökologischen und soziokulturellen Veränderungsprozessen, die schon seit dem Aufkommen der Industrialisierung kritisiert worden sind: Land-StadtWanderungen, Internationalisierung und Angleichung von Gütern und Lebensumfeld, Distanz zwischen Mensch, Natur und Dingen sowie der Arbeitstätigkeit, Auflösung von Traditionen und Identität und Entwurzelung. Nach 1945 löste die Globalisierung die Industrialisierung seit Mitte des 19. Jahrhunderts als Projektionsfläche für Wachstums-/Fortschritts- und Kulturkritik ab, ökologische, ökonomische und soziokulturelle Veränderungsprozesse schritten weiter voran. Im Jahr 1972 veröffentlichten Meadows et al. eine Studie im Auftrag des „Club of Rome“ zu den „Grenzen des Wachstums“, die weltweite Beachtung fand und folglich für die Globalisierungs-/Wachstumskritik wie auch für die Umweltbewegung (Klimadiskussion) eine wichtige Argumentationsgrundlage darstellte: Im Laufe der kommenden einhundert Jahre werde die Erde an ihre Wachstumsgrenzen stoßen, maßgeblich herbeigeführt durch die Bevölkerungszunahme, die Industrialisierung, den Verbrauch von natürlichen Rohstoffen und die Umweltverschmutzung.512 „Sobald eine Gesellschaft erkennt, daß sie nicht alles für jedermann maximal zur Verfügung stellen kann, muß sie wählen: Will sie mehr Menschen oder mehr Wohlstand, mehr ursprüngliche Natur oder mehr Kraftwagen, mehr Nahrung für die Armen oder mehr Dienstleistungen für Reiche“513?

Etwaige Änderungen des konstatierten Zustands bedürfen jedoch eine „geistige Umwälzung kopernikanischen Ausmaßes“514. Den Auftakt für neue Bewegungen in der Bundesrepublik machte die sogenannte „Studentenbewegung der 1968er“, die ihre Elterngeneration und deren Werte hinterfragten515. „Dadurch war in den 70er Jahren der Weg freigeräumt, den Begriff der Heimat neu zu besetzen: als Symbol für Autonomie und Selbstbestimmung für diejenigen, die gegen das marktorientierte, rationalistische Denken der Nachkriegszeit rebellierten“516.

510

Mitscherlich 1965, S. 47. Vgl. a. a. O., S. 52. 512 Vgl. Meadows et al. 1973, S. 15 ff. 513 A. a. O., S. 162. 514 A. a. O., S. 175. 515 Vgl. Zöller 2015, S. 23 und vgl. Lipp 1990, S. 166–168. 516 Zöller 2015, S. 23. 511

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Es folgten die Aktivitäten der Anti-Atom- und der Umweltbewegung. „Der Kampf gegen sie [Anmerkung des Autors: die Kernkraftwerke] wurde für große Teile der jüngeren Generation zum Symbol des Kampfes für Natur, Leben und Heimat, gegen überzogenes Wachstumsdenken und Stress“517. Zahlreiche Vereine und Initiativen, die sich für Landschaft, Natur, Umweltschutz und Ökologie einsetzen, gründeten sich.518 Eine Wiederbelebung des Heimatbegriffs Ende der 1960er/1970er Jahre war erkennbar, was Lipp auch als Folge der Studentenbewegung und der damit verbundenen Kritik an den Zwängen der modernen globali­ sierten Gesellschaft sah. Auch hierin steckt der Wunsch nach Grundidealen der einstigen Heimatbewegung: Gegen die Dominanz der Industrie, gegen Fernräume und Anonymität. „Links und rechts […] fließen in diesen Prozessen ineinander über.“519 Cremer und Klein erkannten in der erneuerten Aufmerksamkeit „eine erwachende Fortschrittsskepsis“520. Ebenso konstatierte Mitzscherlich, dass die ­Heimat-Wiederentdeckung „diesmal nicht im konservativen, sondern im eher linken, ökologisch orientierten Spektrum“ anzusiedeln gewesen sei. Das Lokale wurde als Anknüpfungspunkt des gesellschaftlichen Aufbegehrens entdeckt, was unter anderem in öffentlichen Debatten (z. B. Ostermärsche, Anti-Atom-Bewegung) oder in kulturellen Initiativen (z. B. Reitz’ Heimatfilme)  Ausdruck fand. „In gewissen Sinn ist der diskreditierte Heimatbegriff der Nachkriegszeit nicht nur neu angeeignet und besetzt, sondern in praktisches Heimathandeln überführt worden.“521 Für Gollwitzer sind Lebensqualität, Denkmalschutz, Umweltschutz dezidiert der Heimatbewegung entlehnte Begriffe: „Sie zuallererst hat gegen Naturzerstörung, Zersiedlung, Verschandlung von Ortsbildern und Landschaft protestiert“522. Lühning machte an drei Beispielen deutlich, dass sich neues Bewusstsein für Heimat in der Bundesrepublik etablierte, vor allem als Resultat der Kompensation von verloren gegangenen Werten. Erstens kam es zur Verdopplung der Besucherzahlen in deutschen Museen von 16 Mio. auf 32 Mio. von 1971 bis 1977. Hohe Zuwachsraten hatten insbesondere kulturgeschichtliche Regionalmuseen (FreilichtHeimat-, Stadt-, Landmuseen) als „ein Stück geistiger Heimat“ und „Katalysatoren und Multiplikatoren im Sinne einer Bewusstwerdung von Werten“ zu verzeichnen523. Zweitens wurde die „erste große Museumsgründerzeit nach 1871“524 übertroffen und es gründeten sich zahlreiche Museen und Sammlungen seit den 1960er Jahren. Drittens bildeten sich, auch als „Erscheinung einer Überflußsitua-

517

Buchwald 1979, S. 35. Vgl. Egger 2014, S. 65 und vgl. Buchwald 1979, S. 35. 519 Lipp 1990, S. 166 und vgl. a. a. O., S. 166–168. 520 Cremer / Klein 1990, S. 36. 521 Mitzscherlich 2013, S. 52–53. Egger 2014, S. 117: Reitz’ Heimatfilme (1982 bis 2004) bestanden aus 30 Episoden in drei Teilen zu insgesamt rund 52 Spielstunden. 522 Gollwitzer 2008, S. 337. 523 Lühning 1980, S. 131. 524 A. a. O., S. 127. 518

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tion“525, neue Antiquitätenläden und ein gesteigerter Antiquitätenhandel war zu vermerken. Der Antikhandel leistete sozusagen die ökonomische Verbindung des Erwerbs eines Stücks „echter“ Heimat für zu Hause. Es etablierten sich zudem neue Stadtfeste, Heimattage, Publikationen, Volkstrachten und sogenannte Romantik-Hotels.526 Kruse verdeutlichte die Hochkonjunktur des Heimatbegriffs in den 1970er Jahren anhand des Beispiels Schleswig-Holstein: Es wurde ein stärkerer Fokus auf Denkmalpflege, Altstadtsanierung, Dorferneuerung, Altstadtfeste und Jubiläen gelegt. „Es liegt auf der Hand, daß die Anhebung des Stellenwertes der Denkmalpflege dem Neuaufkommen des Heimatgedankens förderlich ist.“527 Bausinger zog die Parallele zwischen der Zeit des Aufkommens der Heimatbewegung um 1900 und den 1970er Jahren und beobachtete „die Veräußerlichung des Heimatbegriffs, die kommerzielle Wendigkeit, mit der auf der Klaviatur sentimentaler Heimatgefühle gespielt wird, das Massenprodukt der Discountheimat aus der Retorte“528. Ebenso erkannte Neumeyer „geradezu verblüffende Ähnlichkeiten und Parallelen […] mit der Zeit um die Jahrhundertwende“ sowie eine „Neue Heimatbewegung“, „die in einer Zeit, wo die Bindungen zur Vergangenheit und das Vertrauen in die Zukunft schwinden und so Heimatlosigkeit hervorgerufen wird, als Reaktion auf Mißstände nicht die nostalgische Regression, sondern einen auf Veränderungen in der Gegenwart abzielenden, zukunftsorientierten Heimatbegriff propagiert.“529

Heimatverbände hingegen spielten, anders als um 1900, bei dieser Entwicklung eine untergeordnete Rolle und setzten sich hauptsächlich mit der Denkmalpflege auseinander.530 Sieferle machte insgesamt gravierende Unterschiede zwischen der Heimatbewegung um 1900 und der zeitgenössischen Heimatbewegung fest: Damals war man für die Bewahrung von Zustand und Tradition der Zeit vor der Industrialisierung. „Heute gibt es dagegen keine Tradition mehr, an die man anknüpfen könnte, keinen Bestand, der zu wahren ist.“ Er sprach von der „Musealisierung“ von Heimat, historische Altstädte bildeten die Kulissen.531 „Die Moderne schafft keine bleibenden Gegenstände. Alles ist vorläufig, zum alsbaldigen Gebrauch bestimmt, Sperrmüll auf Abruf. […] Die Relikte der Vergangenheit sind davon nicht ausgenommen; sie werden nur um den Preis ihrer totalen Entleerung und Isolation konserviert, nur ihre äußere Hülle bleibt erhalten eine Ahnung ihrer ursprünglichen Form, während sie zugleich entkernt, saniert und modernisiert werden.“532

Er war der Auffassung, „[d]ie romantische Heimat-Utopie“ habe ausgedient.

525

Lühning 1980, S. 129. Vgl. a. a. O., S. 123–124, 127–131. 527 Kruse 1978, S. 43 und vgl. a. a. O., S. 39 ff. 528 Bausinger 1980, S. 17. 529 Neumeyer 1992, S. 53. 530 Vgl. ebd. 531 Sieferle 1985, S. 42. 532 Ebd. 526

100

B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen

„Die alten ideologischen Komplexe haben nichts Zwangsläufiges mehr; eine Kontinuität ästhetischer, kultureller und sozialer Tradition existiert nicht. Es steht daher jedem frei, sich aus der Geschichte zu holen, was ihm gefällt und was er heute, in der Gegenwart, in der er selbst lebt, für angemessen und richtig hält.“533

Einhergehend mit der Wiederbelebung des Heimatbegriffs in verschiedenen Zusammenhängen verorteten Schramm und Siegrist für die 1970er Jahre (bis 1990er) die vierte Welle der Regionalisierung. Die jedoch weniger aus der „Identifizierung mit der eigenen Region“ resultierte, sondern vielmehr „durch individuelle Distinktionswünsche der Konsumenten“ hervorgerufen wurde. Die konsumierten Güter veranschaulichten die „Zugehörigkeit zu einem frei gewählten und in gewisser Weise auch ortlosen Konsum- und Lebensstilmilieu“.534 Göbel nannte dies den „Way-of-live-Regionalismus“: Die Region erhielt eine „erlebnisästhetische Funktion“ und gewann an Relevanz aufgrund des aufkommenden Gesundheits- und Umweltbewusstseins535. Der Handel versuchte die im Überfluss vorhandenen Güter im Rahmen von regionalen Inszenierungen (Marktveranstaltungen) zu präsentieren. Das Münchner Oktoberfest und der Nürnberger Christkindlesmarkt als zwei Beispiele historisch gewachsener heimatlicher Inszenierungsplattformen erfuhren in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls eine weitere Kommerzialisierung, Professionalisierung, Standardisierung und Technisierung als Bestandteil der Massenkultur.536 Der historisch geprägte regionale Konsum, der sich durch gemeinschaftlichen Gebrauch und einen individuellen oder gemeinschaftlichen Anteil an der Wertschöpfung auszeichnete, verlor aber weiterhin an Bedeutung. „Der Stollen konnte beim Bäcker gekauft werden, anstatt ihn wie früher selbst zu backen.“537 Den Trend zu regionalen Speisen, wie schon Ende des 19. Jahrhunderts, sah Göbel als Reaktion auf Veränderungsprozesse: „Der im Kaiserreich einsetzende Modernisierungsschub führte zu einer Aufwertung des Regionalen. […] Ende des 20. Jahrhunderts bedeutete der Kauf von regionalen Produkten aus ökologischen Erwägungen einen Gewinn an kultureller Qualität und diente der Kompensation entregionalisierter Universalisierungsprozesse.“538

Gruhl prangerte 1978 die „Plünderung des Planeten“539 an – sein Werk ist im Kontext der, wie er sie nannte, „humanistischen Protestbewegung“540 einzuordnen.

533

Sieferle 1985, S. 42. Siegrist / Schramm 2003, S. 26. 535 Göbel 2005, S. 342. 536 Vgl. a. a. O., S. 192, 253. 537 Schramm 2003, S. 281 und vgl. a. a. O., S. 278 ff. und vgl. Siegrist / Schramm 2003, S. 26. 538 Göbel 2005, S. 187. 539 Vgl. Gruhl 1981. 540 A. a. O., S. 10. 534

IV. Im geteilten Deutschland

Natürlicher Regelkreis

Künstlicher Produktionskreis

endlose Sonnenwelt

kurzfristige Ersatzwelt

unbedingt

bedingt durch die Natur

selbstregulierend

ohne Steuerung

organisch

überwiegend anorganisch

geringer Energieaufwand

riesiger Energie- und Rohstoffaufwand

Verwertung aller Reste

umweltbelastende Reststoffe

dauernde Knappheit

vorübergehende Fülle

Nahversorgung

Fernversorgung

verstreute Besiedlung mit Ausweich­ möglichkeit

geballte Besiedlung ohne Ausweich­ möglichkeit

überschaubare Wirtschaft

anonyme, mit Papier (Geld) gesteuerte Wirtschaft

handwerkliche Vollendung

zersplitterte Arbeitsgänge

Gesamtschau

Expertenchaos

individueller Tod

Gesamttod

101

Quelle: Eigene Darstellung, vgl. Gruhl 1981, S. 345.

Abbildung 2: Natürlicher Regelkreis und künstlicher Produktionskreis (nach Gruhl)

Laut Gruhl würden die Gesellschaften im Osten wie im Westen „von der totalitärsten Ideologie beherrscht […]: der Lehre vom sogenannten ‚ständigen wirtschaftlichen Wachstum‘. Sie forderte ‚Unterwerfung‘ im Denken und im Verhalten: ‚beim Arbeiten, Kaufen, Konsumieren und Wegwerfen‘.“541 Er hob die Einzigartigkeit der gegenwärtigen Situation weltweit hervor: Nie zuvor hatte die Welt eine Bevölkerung von vier Milliarden zu versorgen. Überdies verdeutlichte er das Versagen der Wirtschaftswissenschaft insbesondere im Hinblick auf die Umweltschäden, die verursacht werden. Umweltgüter seien fälschlicherweise als „freie Güter“542 eingestuft worden, die demnach beliebig und unendlich benutzt werden könnten. Er plädierte für die Aneignung „neuer Werte als Ersatz für den geist­losen Materialismus“, die die Aufgabe „jedes einzelnen Menschen und des Staates“ sei543. Den natürlichen Regelkreis, wie in Abbildung 2 veranschaulicht, stellte er dem zeitgenössischen, künstlichen Produktionskreis gegenüber.544 541

Gruhl 1981, S. 3–4. A. a. O., S. 121. 543 A. a. O., S. 341. 544 Vgl. a. a. O., S. 3–4, 341–345. 542

102

B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen

Nachdem der Heimatbegriff also nach 1945 aus dem wissenschaftlichen Diskurs nahezu verschwand, kam er spätestens Ende der 1970er Jahre wieder auf die Agenda545. Beispielweise im Rahmen einer Tagung der Evangelischen Akademie Nordelbien im Jahr 1977 in Bad Segeberg oder zum Volkskundekongress im Jahr 1979 in Kiel setze man sich umfangreich mit Heimat (und Identität) auseinander546. „‚Heimat‘ wurde inzwischen zum Anliegen vieler Schriftsteller“547. Auf die Frage, woran der Befragte denke, wenn er das Wort „Deutschland“ hört, dachten laut einer Umfrage im März 1976 an erster Stelle 96 Prozent an das Wort „Industrie“ und an zweiter Stelle 87 Prozent an das Wort „Heimat“548. Der nationale, geographische Charakter des Heimatbegriffs war demnach weiterhin wichtig. Diesen geographischen Bezug von Heimat stellte Greverus mit ihrem Werk von 1979 „Der territoriale Mensch“ heraus, nachdem die Autorin bereits 1972 mit „Auf der Suche nach Heimat“ eine Identitätsdiskussion angestoßen hatte. Sie definierte dabei den heimatlichen Raum als anthropologisches Grundbedürfnis, den sie als „Satisfaktionsraum Heimat“ bezeichnete – ein seitdem in vielen Publikationen häufig aufgegriffenes Begriffspaar549. Den territorialen Menschen beschrieb sie wie folgt: „Dieser wurde zunächst als ein Mensch beschrieben, der seine Identität in einem Territorium findet, das ihm Verhaltenssicherheit gewährt, da in diesem Territorium Umwelt als ‚Lebenswelt‘ zur ‚Eigenwelt‘ geworden ist.“550

Kurz vor seinem Tod im Jahr 1976 identifizierte Heidegger die Grundsatzfrage: „Denn es bedarf der Besinnung, ob und wie im Zeitalter der technisierten gleichförmigen Weltzivilisation noch Heimat sein kann“551 und fasste damit die Basis der vorgenannten Werke zusammen, die in der Bundesrepublik besonders in den 1970er/1980er Jahren publiziert wurden. Im Osten Deutschlands nahm der Heimatbegriff eine andere Entwicklung, auch weil staatlicherseits eine konkrete Einbindung erfolgte. Laut Behrens hatte in der DDR „die Pflege des Brauchtums in ihren traditionellen Formen einen größeren Stellenwert […] als in der pluralistisch verfassten Bundesrepublik“552. Palmowski diagnostizierte insbesondere einen „starken Aufschwung der Heimatkultur in der Gründungsphase der DDR“553. Um die Kontrollfunktion und den Einfluss gewährleisten zu können, fingen die „Freie Deutsche Jugend“ (FDJ) sowie der „Freie Deutsche Gewerkschaftsbund“ (FDGB) Freizeitaktivitäten auf, „alle unabhängigen Hobby- und Folkloregruppen“554 wurden großen Organisationen zugeordnet. 545

Vgl. Neumeyer 1992, S. 121–123. Vgl. Juhl / Kruse 1978 und vgl. Köstlin / Bausinger 1980. 547 Schlapp 1988, S. 215. 548 Vgl. Scheuch 1984, S. 168. 549 Vgl. Neumeyer 1992. 550 Greverus 1979, S. 35. 551 Heidegger 1983, S. 243. 552 Behrens 2003, S. 46. 553 Palmowski 2016, S. 39. 554 Ebd. 546

IV. Im geteilten Deutschland

103

„Heimatfans“555 fasste die DDR als „Natur- und Heimatfreunde“ zusammen. Nicht den Massenorganisationen zugeordnete Heimatfreunde erhielten kaum praktische Unterstützung.556 „Heimat entwickelte sich zu einem Bezugsrahmen für Antifaschismus und die Verwirk­ lichung des Plans, doch auf der Ebene des gesellschaftlichen Alltags fiel es den sozialistischen Parteiführern der SED schwer, die traditionellen Heimatpraktiken mit dem kulturellen Neuanfang in Einklang zu bringen, den der Sozialismus verlangte“557.

Der Heimatbegriff erlangte mit den 1950er Jahren, gerade weil die deutsche Teilung Fortbestand haben sollte, eine zentrale Bedeutung für die Partei zur Prägung einer eigenen Identität in Abgrenzung zur Bundesrepublik im deutschen Westen558. Grundsätzlich verfolgte die DDR beim Heimatbegriff eine Doppelstrategie: zum einen stand die Einbettung in das sozialistische Weltbild im Vordergrund und zum anderen die Aufdeckung der nationalsozialistischen Interpretation559. Das Schulfach Heimatkunde wurde im Jahr 1955 auf Basis des Geschichtsbeschlusses des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) wiedereingeführt. Es sei eine Aufgabe der Historiker, „die Liebe zur Heimat zu stärken.“560 Für Hoffmann entsprach dies „der konstatierten, massiven Entkernung des Heimatbegriffs in der DDR um alle topografische Konkretheit.“ Heimat sollte gleichbedeutend sein „mit einem gesellschaftlichen Zustand des gesamten Staats DDR.“561 Im Gegensatz zur Bundesrepublik blieb die Heimatkunde im Rahmen des Deutschunterrichts bis zur Wiedervereinigung Deutschland 1989 in den Schulklassen eins bis vier562. „Natur und Heimat“ war eine ab dem Jahr 1952 erscheinende Monatsschrift mit verschiedenen Themen, wie im Speziellen zum Beispiel zur Elbschifffahrt im 18. Jahrhundert, zu Trachten aus der Magdeburger Börde oder zur Geschichte des Waldes – also im Allgemeinen zu Geschichte, Kunst, Museen und Ausstellungen, Dichtung und Literatur, Denkmalpflege, Naturschutz und Botanik563. Unter „Erfolge und Ziele“ formulierte man hier in der noch jungen DDR des Jahres 1954: „Unsere Liebe zur Heimat ist eine tätige Liebe, die uns danach trachten läßt, Deutschland schöner, reicher und angesehener zu machen. […] So tragen sie [Anmerkung des Autors: die Natur- und Heimatfreunde] dazu bei, die Liebe zur deutschen Heimat zu vertiefen und einen demokratischen Patriotismus zu entwickeln.“564

555

Palmowski 2016, S. 39. Vgl. a. a. O., S. 39, 56. 557 A. a. O., S. 56. 558 Vgl. ebd. 559 Vgl. Riesenberger 1991, S. 320. 560 Hoffmann 2009, S. 99. 561 A. a. O., S. 101. 562 Vgl. Barlmeyer 2013, S. 120. 563 Vgl. Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands 1954. 564 A. a. O., S. 97. 556

104

B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen

Timm, ein Autor dieser Ausgabe aus dem Jahr 1954, schrieb, „Demokratie ist auch, wenn die Deutschen in Deutschland, die Franzosen in Frankreich und die Amerikaner in Amerika regieren“565. Zudem rief er auf, die Heimat „vor dem Irrsinn der Kriegshetzer“ zu schützen und „die Propagandisten der ‚Europäischen Verteidigungsgemeinschaft‘ nicht in eure Häuser, in eure Familien, in eure Städte und eure Dörfer“ zu lassen566. Auch der Blick auf die „sozialistischen Bruderstaaten“ im Osten kam nicht zu kurz. Nachdem „[d]as fünf Jahrhunderte dauernde grausame türkische Joch […] die allgemeine ökonomische und kulturelle Entfaltung des Landes“ Bulgarien gehemmt hatte, konnte auch der Kapitalismus „die Wurzeln des gestalterischen Volksschaffens“ nicht „ausrotten“567: Hergestellt wurden Trachten, Gebrauchsgegenstände und Möbel aus Holz und „Volkskeramik“568. Insgesamt war der Inhalt dominiert durch Antiamerikanismus, Kapitalismuskritik und Preisung der Volkskunst, die Sprache trug zum Teil pathetische und kämpferische Züge. Wie im Allgemeinen „[d]ie Omnipräsenz der Heimat im Leben der sowjetischen Menschen […] von einer dezidiert emotionalen Sprache begleitet“ wurde. „Sie sollte in ständiger Wiederholung bestimmte Gefühlslagen evozieren, die zu kontrollieren und zu lenken der Partei und dem Staat oblag.“569 Nach Mitzscherlich versuchte sich die DDR „zwar als neue, sozialistische Heimat der Arbeiter und Bauern darzustellen“, stieß jedoch vor dem Hintergrund der realen Lebensumstände „nicht unbedingt auf einhellige Begeisterung, sondern bedurfte einer fast unüberwindlichen Staatsgrenze um die selbigen in der Heimat zu halten“570. „Heimatlieder, Heimatkunde und die Verteidigung der Heimat gehörten zwar zum Kanon sozialistischer Erziehung, blieben aber eher Worthülsen, als emotional besetzte Begriffe (bis zu dem Zeitpunkt, als wiederum die DDR abhanden kam)“571.

Eine Vielzahl von Volksliedern trug den Heimatbegriff inne, wie zum Beispiel „Heimatland, reck deine Glieder“572, „Heimat in sonnigem Kleide“573, „Die Heimat hat sich schön gemacht“574, „Liebe Heimat, deine Weiten“575 oder „Deutsche Heimat, sei gepriesen“576. Das wohl bekannteste war „Unsre Heimat“ mit unter anderem den folgenden Zeilen:

565

Timm 1954, S. 162. A. a. O., S. 163. 567 Bachmann 1954, S. 267. 568 Vgl. a. a. O., S. 267–269. 569 Donig 2009, S. 79. 570 Mitzscherlich 2013, S. 52. 571 Ebd. 572 Vgl. Bimberg 1971, S. 28–29. 573 Vgl. a. a. O., S. 108–109. 574 Vgl. a. a. O., S. 126–127. 575 Vgl. a. a. O., S. 128–129. 576 Vgl. a. a. O., S. 138–139. 566

IV. Im geteilten Deutschland

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„Unsre Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer, unsre Heimat sind auch all die Bäume im Wald. Unsre Heimat ist das Gras auf der Wiese, das Korn auf dem Feld, und die Vögel in der Luft und die Tiere der Erde und die Fische im Fluß sind die Heimat. Und wir lieben die Heimat, die schöne, und wir schützen sie, weil sie dem Volke gehört, weil sie unserem Volke gehört.“577

Neben dem offensichtlichen, politischen Bezug, wie in „Heimatland, reck deine Glieder“, bildete das Hauptmotiv dieser Lieder das Naturerlebnis. Insgesamt spielte „innerhalb des marxistischen Internationalismus erlaubten nationalen Spielraums“ die Folklore „als Schmuck des Daseins, als wohlgelittene und wohlkalkulierte Idylle, als Erwerbszweig, als touristischer Werbefaktor, als kulturpropagandistisches Requisit“ eine gewichtige Rolle578. Popularität genoss die Buchreihe „Werte unserer Heimat“579. „Es gab nie ein deutscheres Deutschland als die DDR“, war sich Münkler mit Blick auf den geringen Umfang von Migration in die DDR sicher580. „Zur marxistischen Auffassung des Heimatbegriffs“581 schrieb Lange, dass sich das Bekenntnis der Sozialisten zur Heimat mit der „Tat für den sich entwickelnden Sozialismus“ verbinde. „Die Heimat, das schon Errungene, ist die Bedingung für das noch zu Erkämpfende – ist also Ausgangspunkt und Ziel zugleich.“582 Ferner richte man sich „gegen alle Schattierungen der spätbürgerlichen Heimatideologie“583, die „von den Bedürfnissen und Interessen der Großbourgeoisie“584 ausgehe. „Unter kapitalistischen Verhältnissen dient die Heimattümelei dazu, die Köpfe von werktätigen Menschen mit Illusionen zu vernebeln, damit sie von ihren bürgerlichen ‚Heimatfreunden‘ politisch unterdrückt, in Kriege gehetzt und auch in Friedenszeiten ausgebeutet und korrumpiert werden können“585.

In Bezug auf Spranger  – als Vertreter der einstigen Heimatbewegung  – sei „[d]ie geistige Verwandtschaft mit der vom Hitlerfaschismus zur vollen Sumpfblüte gebrachten ‚Blut- und Boden‘-Mystik […] unverkennbar“586. Lange kam aber auch zu der Erkenntnis, dass „offenbar nicht jede beliebige Umwelt von Menschen als Heimat“ bezeichnet werden könne587. Die Bourgeoisie mache die Heimat der Arbeiter, die stellvertretend für die gesamte Gesellschaft stehen, zur Fremde. Die „Entfremdung der Arbeit“ erweise sich dabei als deckungsgleich „mit dem Verlust an Heimat für den Arbeiter“.588 Als Grund des Übels wies er „das System“ („die 577

Bimberg 1971, S. 134. Gollwitzer 2008, S. 334. 579 Vgl. Kruse 1978, S. 49. 580 Lehmann 2016. 581 Vgl. Lange 1973. 582 A. a. O., S. 10. 583 Ebd. 584 A. a. O., S. 45. 585 A. a. O., S. 19. 586 A. a. O., S. 19–20. 587 A. a. O., S. 29. 588 A. a. O., S. 33 und vgl. a. a. O., S. 34. 578

106

B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen

Bourgeoisie“), sprich „den Kapitalismus“, aus, wobei er unter anderem in Bezug auf die Bundesrepublik die dortige Umweltverschmutzung erwähnte und den Westen als eine „fortexistierende bürgerliche Nation“ und „keine harmonische soziale Gemeinschaft“ bezeichnete589. Höher als die „nationale Vereinigung“ stehe die „sozialistische Nation“590. Heimat sei im Kapitalismus „eine illusorische Gemeinschaft“, die Klassengegensätze verhülle und vorrangig eine „integrierende Funktion“ für die Werktätigen in das System habe591. Heimat und Vaterland setzte er gleich: „Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß die Bewertung der Heimat von den gleichen Kriterien auszugehen hat wie beim Vaterland. Wo der Arbeiterklasse das Vaterland vorenthalten ist, findet sie im vollen Sinne des Wortes auch keine Heimat. […] Unser Vaterland ist folglich die besondere Form der sozialistischen Verhältnisse, die sich historisch in den Grenzen der DDR herausgebildet hat.“592

Für Lange war die sozialistische Heimat „das sich ständig auf höherer Stufe reproduzierende Lebenselement freier, sich entwickelnder und mit dem Welt­ sozialismus in schöpferischer Wechselwirkung stehender Menschen“593. Die „engere Heimat“ sei eine Region innerhalb des Vaterlandes, wo die „gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse und natürlichen Bedingungen der Menschen zu ihrer Umwelt besonders intensiv und kontinuierlich sind.“594 Auch Hühns kam in „Einführung in die Heimatgeschichte“ 1959 zu dem Schluss, dass die „Bourgeoisie“ den Heimatbegriff dazu genutzt habe, um „chauvinistische und faschistische Gedanken in der Bevölkerung zu verbreiten.“ „Heimat­ geschichtsschreibung“ sei deshalb ein Mittel zur „Erziehung zum sozialistischen Patriotismus, d. h. zur aktiven Mitarbeit am Aufbau des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik und an der Verteidigung des Arbeiter-undBauern-Staates“. Durch die Heimatliebe erwachse die Liebe zum Vaterland, „der Deutschen Demokratischen Republik, dem ersten Arbeiter-und-Bauern-Staat in der deutschen Geschichte.“ Es bedürfe „des Schutzes und der Verteidigung gegen ihre Feinde, die Imperialisten und Militaristen, besonders in Westdeutschland.“595 Nach Donig erwies sich das Konzept der großen sowjetischen Heimat lange Zeit als eine gelungene Integrationsstrategie, die verschiedenartigen sozialistischen Staaten zusammenzuhalten und innerhalb der Bevölkerungen zu verankern596. Denn viel mehr als ein Territorium bezeichnete es „ein ganzes symbolisches System mit seinen Ritualen, Praktiken, Diskursen, emotionalen Codes und ausgebau 589

Lange 1973, S. 110. A. a. O., S. 112. 591 A. a. O., S. 44. 592 A. a. O., S. 63, 117. 593 A. a. O., S. 80. 594 A. a. O., S. 132. 595 Hühns 1959, S. 7, 14. 596 Vgl. Donig 2009, S. 62. 590

IV. Im geteilten Deutschland

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ten Kontrollmechanismen“597. Analog zum deutschen Kriegspathos der Weltkriege mit der „Heimatfront“ und dem „Kampf für die Heimat“ implizierte „die Liebe zur sowjetischen Heimat […] für die Heimat zu sterben und die Bereitschaft, für sie zu töten“598. Mit der Ära Honecker der 1970er Jahre unterstützten Partei und Staat noch stärker heimatbezogene Aktivitäten, wie die regionale Geschichtsforschung sowie Heimat- und Volksfeste. Die sozialistische Heimat bildete das Leitmotiv für Beiträge im Fernsehen, Zeitungen und anderen Publikationen und „erlaubte der SED die Konstruktion eines idealtypischen sozialistischen Heimatlands, das sie auch über die Presse zu verbreiten versuchte“.599 Insgesamt stattete der Heimatbegriff den Staat mit einer Authentizität und Bodenständigkeit aus, wozu allein der Sozialismus nicht ausgereicht hätte. „Die Konstruktion der sozialistischen Heimat war in vielerlei Hinsicht bemerkenswert erfolgreich.“600 Zumal dieser wohl im Zusammenhang mit der Tatsache zu sehen ist, dass Arbeit und Freizeit keine dezidiert voneinander getrennten Bereiche darstellten. Im Gegensatz zur in der Bundesrepublik etablierten Vereinskultur, geschah die Verbindung mit freizeitlichen Aktivitäten im Betrieb als „eine soziale und kulturelle Institution“. Neben dem ideologischen Ziel der Gemeinschaftsbildung entwickelte sich so ganz zwangläufig ein starkes soziales Bindungssystem, inhärent des heimatbildenden Charakters.601 Nicht nur in Bezug auf die Konnotation des Heimatbegriffs nahm der Osten Deutschlands eine gänzlich andere Entwicklung, damit einher ging auch differente ökonomische Entwicklung. Die Zeit zwischen 1945 und 1958 war bestimmt durch die Verstaatlichung und materielle Grundsicherung sowie Rationierung. Es handelte sich insgesamt um eine Bedarfsdeckungsgemeinschaft bei fester Preispolitik. Der wirtschaftliche Fokus lag auf der Schwerindustrie, der Konsumgüterbereich wurde vernachlässigt. Besonders zum Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre kam es zu Versorgungsproblemen. Diese fast 20-jährige Rationierungserfahrung hinterließ natürlich ihre Spuren im Konsumverhalten der kriegserfahrenen Generationen.602 Den folgenden Zeitraum von 1959 bis 1970 bezeichnete Merkel als Phase der nachholenden Bedürfnisbefriedigung, was nicht nur auf die Einführung der 5-Tage-Arbeitswoche (1967) zurückzuführen war. Das Volumen der individuellen Konsumtion erhöhte sich, auch weil sich die Menschen etwas mehr Kaufwünsche erfüllen konnten. Wenngleich die Nachfrage höher war als das verfügbare Angebot. Es herrschte somit eine Kombination aus Mangel und Überfluss: Ladenhüter und Überangebot standen dem Mangel hinsichtlich Menge, Neuheiten, Qualität, Sortimentsstruktur sowie Verpackung und im Allgemeinen Engpässen gegenüber.

597

Donig 2009, S. 69. A. a. O., S. 81. 599 Palmowski 2016, S. 126 und vgl. a. a. O., S. 124–126. 600 A. a. O., S. 325. 601 Merkel 1999, S. 307. 602 Vgl. a. a. O., S. 33, 310 ff. 598

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B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen

Hinzu kam die Tatsache, dass vor dem Hintergrund des Bedarfs eine überdurchschnittlich hohe Menge an vor Ort produzierten, vor allem hochwertigen Waren und Neuheiten gen Westen exportiert wurde. Das durch Fernsehen und Werbung sowie etwaige Verwandtschaft verzerrte Bild des Westens von Überfluss und Vielfalt galt stets als Referenzpunkt, was auch den ostdeutschen Staat indirekt unter Druck setzte und die Konsumkultur der DDR nicht als „autarkes System“ bezeichnen lässt. „Der sozialistische Staat hatte sich durch seine Überlegenheitsrhetorik selbst unter diesbezüglichen Erfolgsdruck gesetzt“603. Auch deshalb standen Sicherung und Steigerung des Wohlstands für breite Bevölkerungsschichten, analog zur Bundesrepublik, im Hauptfokus der Konsumpolitik in den 1960er Jahren.604 Merl vertritt die Auffassung, dass „[d]er Traum vom ‚neuen Menschen‘, dessen Arbeitsenthusiasmus ungeahnte Leistungsreserven freisetzen und die Arbeitsproduktivität revolutionieren sollte“, frühzeitig zerplatzte und bereits Anfang der 1960er Jahre die kommunistischen Oststaaten „endgültig den Wettlauf mit dem ‚Kapitalismus‘ verloren“ hatten. „Ein Abrücken von der vergleichsweise umfassenden sozialen Absicherung war überdies nicht möglich, da sie zum sozialistischen Kalkül gehörte.605 Die Geschichte verschiedener regionaler Produkte wurde auch in der DDR weitergeschrieben. Beispielsweise materialisierte der „Nordhäuser Doppelkorn“ die lokale Heimatbeziehung, zudem erbrachte das Produkt als Exportschlager einen Devisenerfolg. Es wurde „unangreifbar“, obwohl sich bekanntermaßen der ideologisch aufladbare Kyffhäuser-Mythos im Produkt wiederfand.606 Wie schon zur Nationalisierung in den 1930er Jahren erfuhren beispielsweise auch Automobile aus Zwickau eine staatliche Subventionierung. In Abgrenzung zur Bundesrepublik etablierte sich der „Trabant“ als Identifikationsmerkmal für DDR-Bürger, der zugleich aber auch zu einem Symbol der wirtschaftlichen Unterlegenheit gegenüber dem Westen entwickelte. Eine staatliche Unterstützung erfuhr auch wieder die Plauener Spitze, besonders in den 1970ern. Meißner Porzellan, seit Jahrzehnten als eines der populärsten Qualitätsprodukte Sachsens bekannt, sollte in der DDR um 1950 für alle Gesellschaftsschichten urbar gemacht werden, was aber nicht realisiert wurde. Es behielt aber stets seinen Ruf als identitätsstiftendes Produkt aus Sachsen vor allem „Stolz auf ein berühmtes Qualitätsprodukt“607, konsumieren konnte es nur ein kleiner Teil der Bevölkerung.608 Siegrist und Schramm konstatierten, dass sich der regionale Konsum letztlich aber im Vergleich zur Bundesrepublik weniger qualitativ als quantitativ aufgrund der Planwirtschaft unterschied609.

603

Merkel 1999, S. 312. Vgl. a. a. O., S. 16, 33, 89, 159, 354. 605 Merl 1997, S. 240. 606 Vgl. Gries 2003, S. 71–72. 607 Schramm 2003, S. 210. 608 Vgl. a. a. O., S. 208–210, 238 ff. 609 Vgl. Siegrist / Schramm 2003, S. 27. 604

IV. Im geteilten Deutschland

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„Insgesamt waren traditionelle regionalistische Diskurse und Inszenierungen im Felde des Konsums verpönt, weil sie nicht zur Vorstellung einer modernen, universalistischen sozialistischen Lebenskultur passten“610.

Wenngleich sich mit den 1970er Jahren „eine neue qualitative Regionalisierung des Konsums“ entwickelte, da „einzelne Produzenten und Kulturfunktionäre regionale Stil- und Geschmacksvarianten als Ausdruck der vielseitigen und entwickelten sozialistischen Lebenskultur propagierten“611. „DDR-Bürger benutzten nun den Verweis auf eine alte regionale Tradition oder lokale Eigenart, um das moralische Recht des Konsumenten auf eine höhere Qualität und Quantität der Güterversorgung in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft einzufordern“612.

Als Phase vom „Abschied von der Utopie“613 benannte Merkel die Zeit von Beginn der Ära Honecker bis zum Zusammenbruch der DDR im Jahr 1989, die unter anderem beeinflusst wurde durch die Energiekrise der 1970er, dem Anstieg der Erdölpreise in den 1980er und der Staatsverschuldung. Die Parteiführung verabschiedete sich von ihrem Anspruch, „ein originär sozialistisches Konsummodell zu kreieren. Damit wurde das Konzept einer Gegenmoderne aufgegeben“614. Es vollzog sich ein Dominanzwechsel „von den Bedürfnissen der einfachen Reproduktion (Wohnen, Ernähren, Bekleiden) hin zu Bedürfnissen der Lebensgestaltung (Einrichtung, Mode, Urlaub, Wochenende, Heimwerken, Garten usw.)“615, der sich vor allem am Wandel der Ausgaben zur Lebenserhaltung und Lebensgestaltung offenbarte. Kleidung und Wohnung dienten nicht mehr zuvorderst dem Arbeitsprozess, sondern dem Zwecke der Geselligkeit, Muße und Unterhaltung. Zudem griffen insgesamt drei Prozesse um sich, die in der Massenkonsumgesellschaft der Bundesrepublik noch früher und tiefgreifender zum Tragen kamen: (1.) Die Le­ bensdauer von Konsumgütern wurde Modezyklen angepasst und entsprach nicht mehr der Maximalgrenze des natürlichen Verschleißes. „Die für ältere Generationen charakteristische Unfähigkeit, etwas wegzuwerfen und ein langanhaltendes Sichwehren gegen haushaltstechnische Neuerungen ist einer Wegwerfmentalität gewichen“616. Einhergehend mit einem langsam wachsenden Lebensstandard wurden immer weniger noch funktionstüchtige Güter aufbewahrt. (2.) kam es damit einhergehend – wenngleich in geringem Maße – „zum spontanen Kauf nach Lust, wenn nötig auf Kreditbasis“617, der zuvor lange geplante, abgewogenen oder aufgeschoben wurde. Sprich, das Ideal der Sparsamkeit, geprägt durch die rationierungserfahrende Nachkriegsgeneration, verlor an Bedeutung. (3.), anknüpfend an (1.) ging die individuelle Vorratswirtschaft zurück, auch durch neue Verkaufsfor 610

Siegrist / Schramm 2003, S. 27. Ebd. 612 Ebd. 613 Merkel 1999, S. 327. 614 A. a. O., S. 15. 615 A. a. O., S. 329. 616 A. a. O., S. 329–330. 617 A. a. O., 330. 611

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B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen

men der Selbstbedienung, Versandhandel, Kaufhallen, Werbung und letztlich das Sicherheitsgefühl, keine Knappheit zu erfahren.618 Die drei Prozesse bildeten sich auch deshalb heraus, weil sich eine Nachkriegsjugend als Konsumentengruppe etablierte, die die Erfahrungen der Kriegsgeneration nicht erlebt hatte: „Motorrad, Transistorradio, Campingausstattung. Die nachwachsende junge Generation schien außerordentlich liquide“619. Besagte Konsumentenschaft legte „ein anderes Kaufverhalten an den Tag: schnelle Kaufbereitschaft, rasche Änderung des modischen Geschmacks, höherer moralischer Verschleiß“620. Ende der 1960er gab es deshalb „Jugendmode“ und spezielle auf junge Menschen ausgerichtete Sortimente, wie zum Beispiel Jeans, Kosmetik und Schallplatten. Zudem etablierte sich ein für den höheren Bedarf vorgesehener Konsumsektor mit „Intershop“ (Bezahlung nur mit Devisen), „Exquisit“ und „Delikat“, der im weiteren Widerspruch zum sozialistischen Anspruch stand. Es resultierten soziale Ungleichheiten und ausdifferenzierte Lebensstile, die zunehmend an westlichen Idealen orientiert waren.621 Beide beiden deutschen Staaten hatten letztlich als „gemeinsames Glücks- und Heilsversprechen […] die Mehrung materiellen Wohlstands für alle“622 und das damit verbundene übergeordnete Ziel des Wirtschaftswachstums623 inne, wenngleich sich die Art der Umsetzung zu diesem Ziel deutlich unterschied. Die Wirtschaft der DDR zeichnete sich alles in Allem durch eine weitgehende Gesamtverstaatlichung, in der Lohn- und Preispolitik durch ein Festpreissystem und demzufolge eine fehlende Marktdynamik aus. Gebrauch, Produktion und Verteilung von Konsumgütern gestalteten sich nach klaren Plänen und Regeln. Der Handel fungierte im Grunde als Annahme- und Verteilstelle, schon deshalb war eine umfassende Werbung nicht notwendig. Die Festpreise sollten republikweit Geltung haben und bildeten sich unabhängig von Angebot und Nachfrage.624 „Nahrung, Kleidung und Wohnung sind in der sozialistischen Gesellschaft von den persönlichkeitsdeformierenden Auswirkungen befreit, die der Profitmechanismus der spätkapitalistischen Gesellschaft diesen Bedürfnissen und der Aktion ihrer Befriedigung aufzwingt“625.

Der Staat nutzte die Festpreise im Rahmen der Propaganda stark als Zeichen der Abgrenzung und Überlegenheit gegenüber dem Westen, ökonomisch war dies aber wenig effizient und hemmte das Wirtschaftswachstum.626 Obschon grund 618

Vgl. Merkel 1999, S. 327–330, 415. A. a. O., S. 348. 620 A. a. O., S. 349. 621 Vgl. a. a. O., S. 299, 348–349. 622 Miegel 2011, S. 58. 623 „Wirtschaftswachstum wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu einem wichtigen Ziel aller Industrieländer, sowohl der kapitalistischen wie der kommunistischen, etwas später dann auch der sogenannten Entwicklungsländer.“ Seidl / Zahrnt 2010, S. 26. 624 Vgl. Merl 1997, S. 206, 232, 239 ff. 625 Döbler 1969, S. 8. 626 Vgl. Merl 1997, S. 213. 619

IV. Im geteilten Deutschland

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sätzlich der politisch gesteuerte Konsum in den kommunistisch regierten Staaten dennoch stets auch eine „Überlebensvoraussetzung für das Fortbestehen dieser Systeme“627 darstellte. Da sich der Preis einer Dienstleistung oder Ware zumeist nicht mit dem realen, respektive Gefühlswert der Bevölkerung deckte, ging mithin „das Gefühl der Konsumenten für kulturelle und soziale Werte verloren“628. Die Konsumpolitik sollte idealerweise zugleich als Sozialpolitik fungieren, „weil sie nach einer Egalisierung der Lebensverhältnisse strebte“629. Der Fokus lag auf sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit sowie der Orientierung an den Bedarfen der einkommensschwächsten Bevölkerungsgruppen. Die „gelenkte Bedürfnisentwicklung“ und die damit verbundene Findung vom „Optimum von Bedürfnisentwicklung und Bedürfnisbefriedigung“ gelang jedoch nicht630. Merkel konstatierte, dass die Probleme und Widersprüche der sozialistischen Konsumpolitik letztlich „im Wesen der sozialistischen Gesellschaft selbst begründet“ waren631. Die kommunistische Idealvorstellung nach Marx: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“632, stand in Diskrepanz zur tatsächlichen Umsetzbarkeit. Zugleich drängten sich fortwährend die erfolgreiche ökonomische Entwicklung und der Güterüberfluss im Westen Deutschlands auf.633 Nach der Auffassung von Wyrwa habe der Zusammenbruch der kommunistischen Systeme im Osten Europas „die gesellschaftliche Sprengkraft unterdrückter Konsumwünsche deutlich gemacht“634. Auch für Kaelble und Merl hatte die osteuropäische Konsumgesellschaft einen systembedrohenden Charakter und mit dem Ende der kommunistischen Staaten wurde die „systemsprengende Kraft der Konsumorientierung“ deutlich635. „Die zunehmend unfinanzierbaren Subventionen zur Stützung des leistungsunabhängigen Konsums und die Unfähigkeit, einen Leistungsanreiz zu schaffen, wurden dem System zum Verhängnis“636.

Palmowski warf die These auf, dass es der SED in den 40 Jahren letztlich nicht gelang, die „sozialistische Heimat“ als „eine wirklich populäre ‚nationale‘ DDRIdentität zu konstruieren“ – wohl auch deshalb, weil mit der Friedlichen Revolution im Jahr 1989 kein wirksamer Ruf nach dem Erhalt derselben aufkam637.

627

Merl 1997, S. 206. Merkel 1999, S. 45. 629 A. a. O., S. 412. 630 Döbler 1969, S. 82, 230. 631 Merkel 1999, S. 18. 632 Marx / Engels 1973, S. 21. 633 Vgl. Merkel 1999, S. 44–45, 412–415 und vgl. Siegrist / Schramm 2003, S. 27. 634 Wyrwa 1997, S. 762. 635 Merl 1997, S. 235 und vgl. Kaelble 1997, S. 178 ff. 636 Merl 1997, S. 241. 637 Palmowski 2016, S. 332. 628

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B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen

V. Von 1990 bis heute „Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus und in der Phase der krisenhaften Transformation nahm in den neuen Bundesländern die Rolle der regionalen oder regionalisierten Güter erheblich zu“638, stellten Schramm und Siegrist fest. Die 1990er Jahre wurden als fünfte Phase der Regionalisierung festgestellt, Regionalisierungstendenzen – auch infolge der Standardisierung – setzten sich fort und wurden durch neue Freiheiten sowie Werbemöglichkeiten nun auf dem gesamtdeutschen Absatzmarkt verstärkt. „Diese fünfte Phase ist ein Spezifikum von Transformationsgesellschaften, die durch die Regionalisierung des Konsums versuchen, die sozialen Folgen der Transformationskrise abzufedern“639. Am Beispiel des Freistaats Sachsen sei aber keine Verstärkung vorrangig sächsischer Assoziationen festzustellen. Vielmehr musste sich Sachsen „als Wirtschaftsregion in einen Wettbewerb um Investitionen zur Konkurrenz mit anderen Regionen und die regional ansässigen Unternehmen zur Konkurrenz mit auswärtigen“640 behaupten. Sodass insgesamt in den 1990er Jahren zum einen Regionalisierungen unabhängig von der Produktgruppe in der Werbung platziert wurden. In der Produktwelt der ehemaligen DDR erfolgte ein schneller Austausch und die DDR-Produkte verschwanden aus dem Handel641. Dennoch erfolgte zum anderen eine Rückbesinnung und Nostalgie insbesondere als Reaktion auf Enttäuschungen und Transformationsprozesse der Wiedervereinigung.642 Am Beispiel des Freistaates Bayern untersuchte Göbel den Regionalismus im 20. Jahrhundert. Die kontinuierliche Wiederkehr von regionalen Produkten (wie z. B. Bier) und Festivitäten (wie z. B. Oktoberfest, Christkindlesmarkt) zeigte, dass die „Homogenisierungsthese“, wonach es zur vollständigen Angleichung und Internationalisierung verbunden mit dem Verschwinden des Regionalen infolge der Globalisierung käme, nicht vollends zutrifft. Der Erfolg des Nürnberger Christkindlesmarktes und dessen Export belegen, „dass es sich hierbei nicht um ein Relikt vormoderner Handels- oder Festkultur handelt, sondern Weihnachtsmärkte inzwischen zur modernen Freizeitindustrie gehören“643. Die Intention der Marktbesucher änderte sich jedoch über die Zeit: Weniger (regionale) Waren, vor allem Weihnachtsartikel, stünden mittlerweile im Vordergrund, sondern vielmehr der Konsum des Ambientes. Göbel erkannte eine Neuinszenierung: „Nicht mehr die Region wird erlebt, sondern ein Ereignis in der Region“644. Der Nürnberger Wirtschaftsdezernent Fraas verlautbarte in einem Interview 2015: „Unser Markenkern ist, dass wir ein wirklich traditioneller Weihnachtsmarkt sind – ohne großes 638

Siegrist / Schramm 2003, S. 28. Schramm 2003, S. 286. 640 A. a. O., S. 283. 641 Vgl. Merkel 1999, S. 327 ff. 642 Vgl. Schramm 2003, S. 282–285. 643 Göbel 2005, S. 215. 644 A. a. O., S. 217. 639

V. Von 1990 bis heute

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Halligalli.“ Der Markt verfüge über eine „gesunde Mischung aus Kunsthandwerk, Geschenkartikeln und Speisen und mit einer Vielfalt im Angebot. Der Christkindlesmarkt ist keine Ess- und Trinkmeile.“ Zudem wirkten die circa 2,3 Millionen Besucher (2014) als ein „riesiger Wirtschaftsfaktor“, ein Umsatz von circa 130 Millionen Euro werde in der Stadt gelassen, was rund acht Prozent aller touristischen Umsätze pro Jahr in Nürnberg ausmache.645 Auch das Münchner Oktoberfest blieb erhalten und „entwickelte sich zu einem modernen Volksfest“646. Die Vergnügungsangebote erweiterten sich deutlich. „Die Trivialisierung der Festinhalte diente dem Profitinteresse“647. Wie auch in Nürnberg wurde insgesamt die traditionelle, regionale Festausrichtung weiter zurückgedrängt „durch eine marketinggesteuerte Mischung alter und neuer Symbole und Praktiken, die Bayern symbolisieren sollen“648. Innerhalb der Konsumgesellschaft erhielt sich also das Oktoberfest als „ein polyfunktionales Volksfest“649, wo das Bayrische inszeniert wird. Nach den Ergebnissen der Studie blieben regionsbezogene Identifikationsprozesse auf gewisse Güter und Anlässe beschränkt. „Eine Polarisierung von regionaler und globaler Kultur konnte nicht festgestellt werden“650. Die Ergebnisse kommen der „Glokalisierungsthese“ am nächsten, wonach es ein Nebeneinander vom Regionalen und vom Globalen gäbe. Auch Tanner stellte in diesem Zusammenhang fest, dass „die paradoxe Koexistenz von Vermassung / Homogenisierung und Individualisierung / Differenzierung, die das Spiel der Möglichkeiten in Gang gehalten haben“ anzudauern scheint651. Erst die Globalisierungsprozesse hätten den Bedarf nach kultureller Differenz und gemeinschaftlicher „Sinnsysteme auf kleinerer Ebene“652 geschaffen und Behauptungsdruck auf Regionen ausgeübt. „Bayerische Konsumgüter fungierten als ‚Soul-Food‘, als emotionales Zeichen für die Region und die Heimatverbundenheit des Konsumenten“653. Göbel bezeichnete den Prozess der regionalen Identifikation als „Lebensstilregionalismus“654, auch weil das Regionale eine Distinktionsfunktion erhielt.655 „Die Regionalisierung des Konsums ist hier eine Strategie der Singularisierung und Individualisierung, die in der sich ständig erweiternden und diversifizierenden Warenwelt Orientierung verspricht, indem sie das Eigene, Besondere und Nahe identifiziert und vom Anderen, Allgemeinen und Fernen unterscheidet und abgrenzt. Konsumgüter können also weiterhin als kulturelle Symbole für die Region stehen.“656 645

Fraas / Exuzidis 2015, S. 24–25. Göbel 2005, S. 268. 647 A. a. O., S. 226. 648 Ebd. 649 Ebd. 650 A. a. O., S. 350. 651 Tanner 1997, S. 613. 652 Göbel 2005, S. 352. 653 A. a. O., S. 350. 654 A. a. O., S. 352. 655 Vgl. a. a. O., S. 216–217, 226, 251, 350–352. 656 A. a. O., S. 352. 646

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B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen

Neller führte im Rahmen ihres im Jahr 2006 erschienenen Werkes zur sogenannten „DDR-Nostalgie“ eine Erhebung (1990 bis 2004) in den neuen Bundesländern durch. Als Vorteile der deutschen Wiedervereinigung wurden die Meinungs-, Reise- und Konsumfreiheit gesehen, demgegenüber stand die hohe Arbeitslosigkeit ab 1990. Sie konstatierte eine überwiegend positive Retroperspektivbewertung der ehemaligen Bürger gegenüber der DDR vor allem aufgrund der sozialintegrativen Fähigkeit, die im Vergleich zu den Bundesbürgern nach 1945 als signifikant höher eingeschätzt wurde. Zudem stellte sie eine mangelnde Verbundenheit mit Gesamtdeutschland, eine geringe Identifikation mit der Demokratie und nachgelagerte Identifikation mit der sozialistischen Ideologie fest. Zahlreiche weitere Untersuchungen wurden insofern bestätigt, als dass die nationale Einheit und das politisch-kulturelle Zusammenwachsen als langfristige Prozesse zu sehen sind.657 Wie schon in den 1970er und 1980er Jahren in der Bundesrepublik wurden – getragen von der Wiedervereinigung – zahlreiche Publikationen in den 1990er Jahren zum Heimatbegriff veröffentlicht. Die Bundeszentrale für politische Bildung tat dies in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Heimatbund658 im Jahr 1990 mit einem knapp 1.500 Seiten starken Doppelband zu den folgenden Kernpunkten: Begriff, Historischer Abriss, Didaktik, Heimat als sozialer Raum, Umwelt, Tradition, Kultur und Unterricht659. Eine Wechselbeziehung zwischen Heimat und wirtschaftlicher Aktivität wurde nicht analysiert. „Die Renaissance des Themas Heimat in Literatur, Massenmedien und Unterricht ist unübersehbar“, war sich Schultheiß im Vorwort sicher. „Im Gegensatz zu einem vornehmlich zukunftsorientierten Fortschrittsdenken mit seinen rasch wechselnden Horizonten erinnert Heimat an die räumliche Verankerung sozialer Lebenswelten.“660 „Der neue Heimatbegriff“ sei laut Piepmeier nunmehr „nicht mehr kompensatorisch“, er beanspruche „Heimat als Bereich realer Lebenswelt“. Entgegen der Komplexität und „Undurchschaubarkeit gesellschaftlicher Zusammenhänge“ würde „Heimat als Nahwelt gefordert“.661 „Man wendet sich gegen die beschleunigte Veränderung der gewohnten Umwelt, das heißt, gegen den Verlust der Vertrautheit alltäglicher Lebenswelt. Gegen Zentralisierung von Planungs- und Entscheidungsmechanismen wird Dezentralisierung gefordert. Gegen Anonymität setzt man Versuche der Kommunikation in überschaubaren sozialen Räumen. Gegen den Schwund der Tradition wird ein Kampf um die Erinnerung geführt.“662

Weinbrenner erkannte eine „innere Heimatlosigkeit“663, die infolge der allgemeinen Globalität entstehe, denn der Mensch sei nur noch ein „Mitbewohner

657

Vgl. Neller 2006, S. 97 ff., 291–297. Umbenennung von „Deutscher Heimatbund“ in „Bund Heimat und Umwelt in Deutschland“ im Jahr 1998. Klueting 1998, S. 56. 659 Vgl. Althoetmar-Smarczyk et al. 1990. 660 Schultheiß 1990, S. 11. 661 Piepmeier 1990, S. 96. 662 Ebd. 663 Weinbrenner 1990, S. 594. 658

V. Von 1990 bis heute

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des Planeten Erde“664. Als „zehn Vorboten der Apokalypse“ sieht er die Punkte: 1) Bevölkerungsexplosion, 2) Gefährdung natürlicher Lebensgrundlage, 3) Müllaufkommen, 4) Waldsterben, 5) Klimaveränderung, 6) Ozonloch, 7) Regenwaldabholzung, 8) Aussterben von Tier- und Pflanzenwelt, 9) Eigene Vergiftung und 10) Unbewohnbarkeit der Städte.665 Für Miegel entwickelte sich insgesamt ein „tiefgreifender Wandel von Sicht- und Verhaltensweisen“ innerhalb der „frühindustrialisierten“ Gesellschaft und die Natur als „das größere Ganze, in das sich die Menschen eingebunden fühlten“, verlor an Bedeutung666. An den Aspekt der Natur anknüpfend schrieb Sieferle, es gäbe „kein harmonisches Gleichgewicht von ‚Natur‘ und ‚Ökonomie‘ mehr“667. „Im ausgehenden 20. Jahrhundert ist der Gedanke wieder weit verbreitet, daß die wirtschaftliche Expansion des Industriesystems an bestimmte physische Schranken stößt, die in Form von Umweltzerstörungen, Ressourcenverknappung, aber auch eines wachsenden Mißverhältnisses der Weltbevölkerung zur Subsistenzbasis sichtbar werden“668.

Daneben waren zahlreiche, auch oben bereits zitierte, Publikationen zum Thema Regionalisierung / Regionalismus zu verzeichnen, viele davon aus dem Fachbereich der Geographie. Beispielsweise führte im Rahmen des Forschungsprojektes „Regionale Identität in Europa“ Schuhbauer im Jahr 1995 eine empirische Erhebung zum Faktor Wirtschaft für regionale Identifikation durch. Der Fragebogen ging an Führungskräfte aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft in den europäischen Großund zugleich Partnerregionen Baden-Württemberg in Deutschland und Rhône-Alpes in Frankreich.669 Der Autor kam dabei zu folgendem Schluss: „Die besondere Bedeutung des Faktors Wirtschaft für die Regionale Identität konnte zwar in beiden Regionen nachgewiesen werden, er stellt jedoch bei weitem nicht die einzige und vor allem nicht die wichtigste Dimension regionaler Identifikation dar. Insbesondere die landschaftlichen Vorzüge einer Region werden von der Bevölkerung als identitätsstiftend anerkannt.“670

Wenig aussagekräftig erscheint die Erhebung aufgrund der Auswahl der Adressaten, die nicht in einem repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung, sondern in regionalen Funktionseliten liegt, die wiederum als solche in ihrer Rolle nicht weiter thematisiert werden. Zudem erhielt der schlagwortartige „Faktor Wirtschaft“ innerhalb der Erhebung keinerlei Vertiefung. Somit spielte das Thema der regio­ nalen, kleinteiligen Wertschöpfung als etwaiger Einflussfaktor auf die Menschen in ihrer Identitätsbildung keine Rolle innerhalb der Erhebung. Die für die Bundesrepublik beschriebenen Entwicklungen hin zu einer „total durch Entfremdung defi­ 664

Weinbrenner 1990, S. 595. A. a. O., S. 594–595. 666 Miegel 2011, S. 70. 667 Sieferle 1990, S. 247. 668 A. a. O., S. 116. 669 Vgl. Schuhbauer 1996. 670 A. a. O., S. 186. 665

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B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen

nierten“671 Massenkonsumgesellschaft setzten sich nach 1990 für Gesamtdeutschland fort, der Osten Deutschlands wurde als neuer Absatzmarkt erschlossen. Die moderne Konsumwelt des ausgehenden 20. Jahrhunderts, die sich in Europa verfestigte, beschrieb Augé in seinem Werk „Nicht-Orte“ als „Übermoderne“, die bestimmt sei „von drei Figuren des Übermaßes“: (1) der „Überfülle der Ereignisse“, (2) der „Überfülle des Raumes“, (3) der „Individualisierung der Referenzen“672. Die räumliche Dimension von Heimat, der anthropologische und traditionell geprägte Ort, vereine Geschichte, Identität und Relation. Der Nicht-Ort stehe somit im Gegensatz zu diesem Orts-Begriff, der mit „einer in Zeit und Raum lokalisierten Kultur verknüpft“ sei. Nicht-Orte existieren zwar wie Orte nicht „in reiner Gestalt“, dennoch lassen sie sich quantifizieren aus der Summe aller Flugstrecken, Bahnlinien, Autobahnen, Verkehrsmittel, Flughäfen, Bahnhöfe, Raumstationen, Hotelketten, Freizeitparks und Einkaufszentren673. Es sind demgemäß „die für den beschleunigten Verkehr von Personen und Gütern erforderlichen Einrichtungen […] ebenso wie die Verkehrsmittel selbst oder die großen Einkaufszentren“674. Die Übermoderne bringe nun eben solche Nicht-Orte hervor, die „die alten Orte nicht integrieren; registriert, klassifiziert und zu ‚Orten der Erinnerung‘ erhoben, nehmen die alten Orte darin einen speziellen, festumschriebenen Platz ein“675. Die Nicht-Orte der Übermoderne schaffen somit keine Synthese „zum Alten“, es fungiert lediglich als „Spektakel eigener Art“ und hat „stets einen speziellen Platz“, zum Beispiel in einem Schaufenster676. Sie verweisen gegenseitig auf sich, Augé nannte es „das ‚wechselseitige Zuarbeiten‘ der Reklameapparate“, beispielsweise wirbt das Flugzeug für das Hotel677. Der Autor konstatierte: „Der Raum des Nicht-Ortes schafft keine besondere Identität und keine besondere Relation, sondern Einsamkeit und Ähnlichkeit“678. Im Nachwort des Jahres 2012 in Bezug auf die Ersterscheinung formulierte er, dass sich die „Megastädte“ weiter ausbreiten679. Die Bedeutung der Räume würde mithin nach ihrer verkehrstechnischen Erschließung gemessen. „In den Wohnungen nehmen Fernseher und Computer den Platz ein, der einst dem Herd zukam“680. Mit dem multifunktionalen Handy ausgestattet könne jeder „in einer intellektuellen, musikalischen oder visuellen Umwelt leben, die vollkommen unabhängig von seiner aktuellen physischen Umgebung ist“681. Der Nicht-Ort habe sich zum kombinierten Kommunikations-, Konsum- und Ver-

671

Bausinger 1989b, S. 211. Augé 2012, S. 110. 673 A. a. O., S. 84–85. 674 A. a. O., S. 42. 675 A. a. O., S. 84–85. 676 A. a. O., S. 110. 677 A. a. O., S. 106. 678 A. a. O., S. 104. 679 A. a. O., S. 123. 680 Ebd. 681 A. a. O., S. 124. 672

V. Von 1990 bis heute

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kehrsraum erweitert. „Dieselben Hotelketten, dieselben Fernsehsender umspannen den Globus und vermitteln den Eindruck, die Welt sei überall gleich, überall dieselbe, und nur die Spektakel wechselten wie am Broadway oder in Disneyland“682. Die Priorisierung des Globalen vor dem Lokalen habe „Folgen für den Bereich der Ästhetik, der Kunst und der Architektur“683. Es fehle die notwendige Verknüpfung von Objekt und Ort. Die neuen Formen und deren Maßlosigkeit, die abwechselnd beklagt oder bewundert würden, „verweisen auf die beiden Horizonte unserer Zukunft: die Utopie einer geeinten Welt und den Traum von der Erforschung des Universums.“684 Ullrich vertrat hingegen die Auffassung, dass der Bezug des Menschen zu den ihn umgebenden Dinge heute in keiner kritischen Beziehung im Sinne eines Beziehungsverlustes stehe. Die moderne Konsumwelt sei vielmehr „zu einer großen Fürsorgemaßnahme für das Individuum geworden. Einzelne Dinge nehmen dabei die Rollen von Lehrern, Therapeuten, Trainern oder besten Freundinnen ein.“685 Er erkannte die „Vermenschlichung der Marke“686, dem Konsum käme somit „nicht nur eine individualitätsstützende, sondern genauso eine soziale Dimension zu: Er konstituiert die Milieus, innerhalb deren Individualität jeweils erst einen Schutzraum besitzt“687. Im Vergleich zu Produkten von vor dreißig Jahren würden die Hersteller nicht mehr darauf vertrauen, dass ein Artikel „gut und preiswert“ sei, vielmehr sei „die Seele des Konsumenten“, „die individuellen Ebenen seiner Persönlichkeit“ zu erreichen688. „Sofern das gelingt und ein Produkt wegen der Werte, die es verkörpert, oder wegen der Launen, die es fördert, gekauft wird, gehen die Besitzer aber auch eine innigere Beziehung als früher dazu ein“689. Zudem nahm Ullrich Bezug auf die unterschiedlichen Studien zur Lebensstil- und Konsumforschung und stellte fest, dass durch eben jene Studien „linke und alternative Lebensstile gefördert worden sein dürften“. Dies führte er darauf zurück, dass der Fokus der modernen Markt- und Konsumforschung auf der Bildung sowie Festigung von Milieus als Vehikel neuer Entwicklungen läge. „Wer konservativ denkt und weitgehend zufrieden ist, bietet der Marktforschung hingegen weniger Profilierungschancen.“690 Es gäbe insgesamt „keinen aufmerksameren Verstärker linker und alternativer Lebensgefühle als die heutige Marktwirtschaft. So wurde

682

Augé 2012, S. 126. A. a. O., S. 127. 684 A. a. O., S. 132 und vgl. a. a. O., S. 42, 60, 84–85, 126 ff. 685 Ullrich 2006, S. 34. 686 A. a. O., S. 35. 687 A. a. O., S. 39. 688 A. a. O., S. 75. 689 Ebd. 690 Am Beispiel der sogenannten Sinus-Milieu-Studien: Laut Ullrich seien vier von zehn Milieus „links“ („Postmaterialisten“, „Hedonisten“, „Experimentalisten“, „Moderne Performer“). Im Jahr 1982 waren das am Anfang der Studie noch zwei von zehn („Hedonisten“, „Alternative“). Vgl. a. a. O., S. 134. 683

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B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen

jede Protestbewegung seit 1968 insofern begrüßt, als sie Ansprüche formulierte, die nur mit neuen oder modifizierten Produkten erfüllbar waren.“691 Ullrichs Erkenntnisse untermauern die Tatsache, dass sich im 21. Jahrhundert weitere, neue Lebensstile herausbildeten, die wiederum im Wechselspiel mit dem Markt ganz aktiv im Warenangebot und in der Präsentation unterstützt sowie verstärkt werden. Adjektive wie „glutenfrei“ oder „laktosefrei“ werden aktiv von der Lebensmittelindustrie als Verkaufsstrategie genutzt, wohingegen nur ein Bruchteil der Nutzer tatsächlich gesundheitliche Intoleranzen ausweist. „Glutenfrei als Verkaufsargument und Qualitätsmerkmal. Aber besser und gesünder sind die Produkte nicht.“692 Ein Beispiel für eine erfolgreiche Verkaufsstrategie bilden zudem Produkte aus ökologischer Herkunft, die sogenannten „Bio-Produkte“. Das Zeitgeist-Panorama unterstreicht die aktuelle Bedeutung der Bioprodukte: Es wurde gefragt, was in der deutschen Gesellschaft als „in“ beziehungsweise „out“ befunden werde. Im Jahr 2016 hielten 92 Prozent der Befragten Bioprodukte für „in“ (out: „4“); 2006 waren dies noch 65 Prozent („in“) beziehungsweise 18 Prozent („out“)693. Patriotismus wurde im Jahr 2016 von 37 Prozent als „in“ und von „22“ als „out“ wahrgenommen694. „Wollte man den Zeitgeist im Deutschland des Jahres 2016 in einer Schlagzeile zusammenfassen, dann könnte diese ‚Grün, gesund und bürgerlich‘ lauten“695. Beispielhaft für die heutige Nutzung von Heimat als Vehikel und Fassade innerhalb der weltweiten Vermarktung und als Qualitätssiegel sei Kley zitiert, 2015 noch Vorsitzender der Geschäftsleitung des Unternehmens Merck, der in einem Interview darauf abstellte, dass auch global agierende Unternehmen – wohl­wissend um die Glokalisierungsthese – national verwurzelt bleiben sollten. Womit aber nicht die Produktion hierzulande gemeint war, sondern vielmehr lediglich das Belassen des Hauptsitzes im Stammland Deutschland: „BMW wirbt in der ganzen Welt mit seinem Münchener Vierzylinder-Gebäude. Solche wiedererkennbare Verwurzelung ist Gold wert.“ Kley war sich sicher, dass die Wirtschaft „einen wichtigen Teil unserer Identität“ präge. „Ob Arbeitsplätze, sozialer Ausgleich oder eben Produkte, die uns weltweit bekannt machen: Deutschland als Heimat ist ohne Wirtschaft kaum zu denken.“ Heimat biete Orientierung für weltweit agierende Unternehmen, „um die eigene wiedererkennbare Identität zu bewahren und nicht im Einheitsbrei zu versinken“. Es handele sich um einen „Spagat zwischen globalen Geschäften und Heimatverwurzelung“, dem sich jeder Unternehmer als „strategische Frage des zukünftigen Erfolgs in der Welt“ zu stellen habe.696

691

Ullrich 2006, S. 135. Fröhndrich 2015. 693 John Stuart Mill Institut für Freiheitsforschung e. V. 2016, S. 37. 694 A. a. O., S. 35. 695 A. a. O., S. 21. 696 Kley 2015, S. 72. 692

V. Von 1990 bis heute

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„Heimat ist in“, so zeigte sich Marschall auch in Bezug auf die Vermarktung von Bier überzeugt697. „In Zeiten, in denen Heimat wieder als Wert angesehen werde, könnten Heimatbiere punkten. Und die Brauer ihre Verwurzelung in der Region auch ganz gezielt einsetzen.“698 Bier als „Stück Heimat im Glas“ – „handwerklich gebraut nach traditionellen Verfahren, mit Rohstoffen aus der Region und langen Reifezeiten“ – nutzen Brauereien als Aspekt der Verkaufsförderung699. Zöller wies darauf hin, dass Heimat als Marketinginstrument „fast beliebig zu werden“ drohe. Den Lebensmitteln mit ihren „Etiketten von glücklichen Familien vor Berglandschaften“ stünden in Wirklichkeit industrielle Landwirtschaft und Massentierhaltung gegenüber.700 „Frisch, regional, traditionell: Das neue Heimatbewusstsein hat auch die ganz normale deutsche Gastronomie erreicht.“ Viele Menschen wollen die Heimat des Essens kennen und wissen, wie die Tiere versorgt und die Felder bestellt werden. „Im besten Fall sollen die Lebensmittel bitte schön aus der Region stammen, in der sie gegessen werden, und sie sollen ihren Eigengeschmack bewahren. Eine Art Heimatkunde für die Geschmacksnerven.“701 An den hohen Absatzzahlen der Zeitschrift „Landlust“ mit Themen wie Einrichtung, Ernährung, Garten, Handarbeit, Traditionen, Märchen und Sagen702, lässt sich das Interesse an der ländlichen Idylle und den Landleben, wie auch am Gartenarbeit sowie Naturerlebnis ablesen. Die Zeitschrift (Preis: 4,20 Euro) rangiert mit einer verkauften Auflage von über 900.000 Exemplaren auf Platz fünf der meistverkauften Kaufzeitschriften in Deutschen, davor liegen nur Fernsehzeitschriften (zwischen 1,00 bis 1,95 Euro).703 Egger nannte es „eine richtige Do-it-yourselfWelle“704, die in den vergangenen Jahren aufgekommen sei. Dies unterstreichen auch die aktuellen Bestrebungen des sogenannten „Easy Gardening“, wobei der Nutzer den eigenen Balkon oder Kleingärten unterstützt durch Geräte zur leichten Nutzung mit Pflanzen zur Eigenernte anpflanzt. Als Rückzugsorte erfreuen sich auch „Schrebergärten“ großer Beliebtheit, beim sogenannten „Urban Farming“ wird dieser Garten zum Teil zum Nutzgarten. Mit einem Umsatz in der Sparte Gartenmarkt von 18,1 Mrd. Euro705 (2014) ist Deutschland der größte Gartenmarkt in Europa.706 „Die Heimatbegeisterung der vergangenen Jahre hat viel mit dieser Idee des Selbermachens und damit vielleicht auch Sich-selbst-Findens, auf jeden Fall aber mit einem Sich-mit-sich-selbst-Beschäftigen zu tun“707. Marschall zeigte 697

Marschall 2015, S. 61. Starke 2016, S. 6. 699 A. a. O., S. 5. 700 Zöller 2015, S. 25. 701 Kronsbein 2016, S. 31–32. 702 Vgl. Egger 2014, S. 124–126. 703 Stand: 1. Quartal 2017, vgl. Landlust 2017. 704 Egger 2014, S. 123. 705 Im Jahr 2014; Verglichen mit Spielwaren: 2,7 Mrd. Euro oder Büchern: 3,6 Mrd. Euro. Vgl. Terpitz 2015, S. 26. 706 Vgl. a. a. O., S. 26–27. 707 Egger 2014, S. 123–124. 698

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sich im „Handelsblatt“ überzeugt, dass die Wirtschaft „den Trend erkannt“ hätte und nun „mit Freude und Innovationen den Wunsch nach dem kleinen heimeligen Glück“ bediene708. Egger führte weiter aus: „Heimat ist längst Teil der Popkultur.“ „Heimat“, so führte sie an, nennen sich beispielsweise eine Berliner Werbeagentur, eine Karlsruher Diskothek oder ein Kölner Kleidungsgeschäft.709 Die Heimatsehnsucht drücke sich nach Dierig beispielsweise auch beim Kauf von Möbeln oder Weihnachtsbäumen aus. Die Menschen seien überfordert, ob „der Schnelligkeit der Ereignisse“ und würden sich zurückziehen. „Heimatdesign“ habe „einen kultigen Charakter“ bekommen, sagte Geismann, Trendexpertin des Verbandes der Deutschen Möbelindustrie. „Dazu gebe es derzeit einen Hang zu regionalen Kulturthemen, die bestimmte Traditionen widerspiegeln, etwa eine Oktoberfest-Romantik mit Kuckucksuhren, Holzstühlen mit einem ausgesägten Herz oder einer rustikalen, offenen Feuerstelle.“710 Auch für vollständig im Inland erzeugte Kleidung habe sich ein sehr kleiner, langsam wachsender Markt etabliert. Der Großteil der Kleidung – auch häufig die, die „Made in Germany“ kommuniziere  – werde zwar hierzulande gefertigt, aber aus Kostengründen im Ausland konfektioniert (Nähen, Zuschneiden). „Inzwischen ist das Bewusstsein für nachhaltige Mode generell gewachsen“ (sogenannte „Slow Fashion“)711. Anbieter regionaler Kleidung würden versuchen, Werbe- und Verwaltungskosten sowie Produktvariation gering zu halten; die Gewinnmargen seien insgesamt gering.712 Am Beispiel der Lebensmittel beweisen aktuelle Studien, dass die Nachfrage der Deutschen nach Produkten aus ökologischer Herstellung sowie auch regionaler Herkunft stark ansteigt. Wohingegen es bei Öko-Lebensmitteln anerkannte, einheitliche Definitionen beziehungsweise Standards gibt, unterliegen RegioLebensmittel jedoch keinerlei Standards oder Kontrollen. Die starke Nachfrage stehe jedoch einem deutlich schwächeren inländischen Angebot gegenüber, sodass Öko-Lebensmittel importiert werden müssen. An der Universität Kassel wurde der „Zielkonflikt beim Lebensmitteleinkauf“ untersucht. Die Herkunft von Lebensmitteln spiele laut den Ergebnissen der Studie zu Folge beim Einkauf „eine sehr bedeutende Rolle“, insbesondere für Gemüse, Fleisch und Obst. Deutlich mehr Befragte (53 Prozent) sahen die regionale Herkunft als „sehr wichtig“ an, die ökologische Herkunft fanden dagegen 33 Prozent sehr wichtig. Insgesamt wurde auch bei den Öko-Lebensmitteln den Produkten aus Deutschland eine hohe Bedeutung sowie viel Vertrauen beigemessen. Öko-Lebensmittel aus dem Ausland sahen die Befragten „eher kritisch“.713

708

Marschall 2015, S. 60. Egger 2014, S. 128. 710 Dierig 2017. 711 Brenk-Lücke 2016, S. 25. 712 Vgl. a. a. O., S. 24–25. „Deren Marktanteil liegt in Deutschland noch bei weit unter fünf Prozent bei einem Gesamtvolumen laut t+m von rund 74 Milliarden Euro.“ A. a. O., S. 25. 713 Vgl. Busch et al. 2016, S. 97–99. 709

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„Ein unerwartetes Ergebnis dieser Studie ist die insbesondere bei Öko-Lebensmitteln, aber auch bei konventionellen Lebensmitteln sehr viel höhere Wertschätzung und Zahlungsbereitschaft der Konsumenten für Lebensmittel aus Deutschland gegenüber einer Herkunft aus anderen Ländern“714.

Dass die hohe Wertschätzung und Zahlungsbereitschaft vom Handel erkannt und zum Teil missbräuchlich oder intransparent ausgenutzt werden, fand „ÖKO-TEST“ heraus. „Siegel, die Produkten Regionalität bescheinigen, sind beim Einkauf keine große Hilfe.“ Selbst das staatlicherseits forcierte sogenannte „Regionalfenster“ erhielt negative Kritik. „Nicht der Trägerverein definiert hier, was eine Region ist, sondern der Hersteller selbst. Einzige Bedingung des Vereins: Die Region muss kleiner sein als die Bundesrepublik Deutschland.“ Letztlich stammten unter den von „ÖKO-TEST“ definierten Rahmenbedingungen715 lediglich bei 26 von 106 getesteten Produkten die Rohstoffe aus der ausgewiesenen Region, wurden dort also verarbeitet, verpackt und vertrieben.716 Daneben darf nicht die Tatsache vergessen werden, dass ein Drittel aller weltweit erzeugten Lebensmittel vor dem Verzehr verdirbt beziehungsweise weggeworfen wird717. In der Bundesrepublik sind das etwa 6,7 Millionen Tonnen aus Haushalten generierte Lebensmittelabfälle pro Jahr718. Verschwendergeist unter anderem aufgrund des Werteverfalls (mangelnde Sparsamkeit und Achtung vor dem Dingen) und natürlich auch die vergleichsweise geringen Lebensmittelkosten719 überwiegen ganz offensichtlich der Wertschätzung gegenüber den erworbenen Gütern. Mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts setzten sich unzählige Autoren unterschiedlicher Fachbereiche – von der philosophischen Grundlegung bis zum Kochbuch  – mit dem Heimatbegriff auseinander, wie zum Beispiel Costadura, Ries (Hg.) mit „Heimat gestern und heute“720, Donig, Flegel et al. (Hg.) mit „Heimat als Erfahrung und Entwurf“721, Egger mit „Heimat. Wie wir unseren Sehnsuchtsort immer wieder neu erfinden“722, Joisten mit „Philosophie der Heimat – Heimat der

714

Busch et al. 2016, S. 99. „Öko-Test“ zog im Rahmen des Tests von insgesamt 106 Produkten (mit Siegeln von Unternehmen oder Initiativen, Länderzeichen oder Regionalfenster) die Grenze einer Region bei 60 Kilometern (sowie Bundesländer als Region) und erwartete klare Festlegungen im Hinblick auf das Erzeugungsgebiet, das Verarbeitungsgebiet sowie die Vertriebsregion. Mindestens 95 Prozent der Rohstoffe mussten aus der Region kommen. Vgl. Öko-Test Verlag GmbH 2016. 716 Vgl. ebd. 717 Vgl. Thurn 2015, S. 84. 718 Vgl. Universität Stuttgart und Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz 2012, S. 16. 719 Vgl. Thurn 2015, S. 84: Heute macht der Ausgabenanteil „Essen“ am Einkommen in den Industrieländern nur noch zehn bis 20 Prozent aus, noch in den 1970er Jahren waren das etwa 40 bis 50 Prozent. 720 Vgl. Costadura / Ries 2016. 721 Vgl. Donig 2009. 722 Vgl. Egger 2014. 715

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Philosophie“723, Mälzer mit „Heimat. Kochbuch“724, Pöttering (Hg.) mit „Wir sind Heimat. Annäherungen an einen schwierigen Begriff“725, Schlink mit „Heimat als Utopie“726, Schorlemmer mit „Wohl dem, der Heimat hat“727, Türcke mit „Heimat. Eine Rehabilitierung“728 oder Zöller mit „Was ist eigentlich Heimat? Annäherung an ein Gefühl“.729 Heimat bildete überdies das Thema von Tagungen (z. B. zum 100-jährigen Jubiläum des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz mit „Zwischen Emotion und Kalkül. ‚Heimat‘ als Argument im Prozess der Moderne“730) und Veranstaltungsreihen (z. B. der Konrad-Adenauer-Stiftung mit dem zugehörigen Werk „Heimatschichten. Anthropologische Grundlegung eines Weltverhältnisses“731). Keineswegs unproblematischer oder befreiter entwickelte sich die Wahrnehmung des Heimatbegriffs, wie es sich an der teilweisen Tilgung des Begriffs ausdrückt, wie exemplarisch die Umbenennung des „Heimatmuseums Neukölln“: „2004 haben wir das Heimatmuseum Neukölln umbenannt – weil der Begriff ‚Heimat‘ so eng ist, Leute eher ausgrenzt, geschweige denn reflexiv wäre.“732 In demselben Jahr kürte das Goethe-Institut gemeinsam mit der Gesellschaft für deutsche Sprache „[d]as schönste deutsche Wort“. Nach „Liebe“, „Gemütlichkeit“ und „Sehnsucht“ rangierte „Heimat“ dabei auf dem vierten Platz733. Mitzscherlich erkannte Heimat heute „in erster Linie als ein historisches Konstrukt“, „das man vielleicht hinter sich lassen muss“. Es sei in begrenzter Form oder überhaupt nicht mehr geeignet sei, „den Herausforderungen einer globalisierten und risikoreichen Spätmoderne zu begegnen.“734 Ein deutlicher Schub innerhalb der öffentlichen Diskussion in Verbindung mit zahlreichen neuen Publikationen setzte mit dem Beginn der sogenannten Flüchtlingskrise im September 2015 ein. Bei der Massenimmigration handelt es sich um Wanderungsbewegungen aus sehr dünn besiedelten Staaten in sehr dicht besiedelte Länder der Erde735. Sogenannte „Wirtschaftsflüchtlinge“ (Grund: Verbesserung der individuellen, vor allem ökonomischen Chancen, Erhöhung des Lebensstandards = „eingeforderte Teilnahme an einem besseren Leben“736) und „Asylanten“ beziehungsweise „Bürgerkriegsflüchtlinge“ (Grund: Flucht vor politischer Unter 723

Vgl. Joisten 2003. Vgl. Mälzer 2014. 725 Vgl. Pöttering 2012. 726 Vgl. Schlink 2000. 727 Vgl. Schorlemmer 2009. 728 Vgl. Türcke 2006. 729 Vgl. Zöller 2015. 730 Vgl. Seifert 2010. 731 Vgl. Klose 2013. 732 Bahr-Reisinger / Kern 2016, S. 29. 733 Deutscher Sprachrat 2004. 734 Mitzscherlich 2013, S. 53. 735 Die Bevölkerungsdichte beträgt weltweit 54 Menschen / km², in Europa (EU) 117 Menschen / km², in Deutschland 228 Menschen / km² und in wichtigen Herkunftsländern wie z. B. in Syrien 115 Menschen / km² oder in Afghanistan 39 Menschen / km². Vgl. Sieferle 2017a, S. 12. 736 Maaz 2017, S. 152. 724

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drückung und Konflikten) werden unterschieden, wobei in Summe eine neue soziale Unterschicht geschaffen wird737. „Die Immigranten befinden sich damit in einer paradoxen Situation: Ihre materielle Lage hat sich verbessert, ihre soziale Position hat sich dagegen verschlechtert“738. Denn für den komplexen und noch komplexer werdenden deutschen (und europäischen) Arbeitsmarkt „sind sie fast alle untauglich, und es würde mehrere Generationen dauern, bis sie akkulturiert bzw. assimiliert sind“739. Maaz bezeichnete die Flüchtlingspolitik Deutschlands auch deshalb als „vor allem heuchlerisch und irrational“ – die Bundesrepublik befinde sich in einer fundamentalen Gesellschaftskrise“740. Infolge von anhaltenden Migrationsbewegungen nach Europa und insbesondere nach Deutschland wurde hierzulande ganz zwangsläufig die Frage danach gestellt, was denn „Heimat“ für die Deutschen, wie auch im Besonderen für die Neuankömmlinge sein kann oder soll – vor allem in einer Zeit, in der im Allgemeinen „Hiersein“ durch „Überallsein“ eingetauscht wird und die Grundfrage lauten muss: „Droht Heimat auf dieser Welt heimatlos zu werden?“741 Im Speziellen kommt für die Bundesrepublik Deutschland die darstellte historische Entwicklung hinzu. Heimat rangierte auf Titelseiten von Zeitungen742 und Zeitschriften743, bildete das Thema von Sendungsreihen im Radio744 und im Fernsehen745. Zumal sich Initiativen wie die sogenannte „Pegida“-Bewegung sowie die Partei „AfD“ als Folge der politischen Entwicklungen etablierten746. Zu Pegida veröffentlichten Klose und Patzelt eine umfangreiche Studie. Das Phänomen sei, so die zentrale These als Resultat der Studie, metaphorisch als „Magma“ (mit dem „Vulkanschlot“ Dresden als Hauptaustragungsort der Demonstrationen) zu betrachten, das unter der deutschen sowie auch der Oberfläche vieler anderer Staaten in Europa brodele.747 Als Ursachen wurden unter anderem festgemacht: „das sich ausbreitende Gefühl, europäische Sozialstaatlichkeit werde brüchig; der soziale Druck innerstaatlicher Globalisierungsfolgen; das als fremdbestimmt empfundene Einwanderungsgeschehen; die wahrgenommene Auflösung gesellschaftlichen Zusammenhalts unter den Fliehkräften schwer einzugehender Multiethnizität und Multikulturalität; die veränderten

737

Sieferle 2017a, S. 16. A. a. O., S. 18. 739 Sieferle 2017a, S. 25. 740 Maaz 2017, S. 151. 741 Thoemmes 2012, S. 24–25. 742 Wie auf der Titelseite von „Die Zeit“ vom 29.09.2016, vgl. Die Zeit 2016. 743 Die Ausgabe von „Der Spiegel Wissen“ aus Dezember 2016, vgl. Der Spiegel Wissen 2016, S. 3. 744 Wie die „Gesprächsreihe“ des „Deutschlandfunk“ vom 27.07–04.09.2016, vgl. Deutschlandfunk 2016. 745 Z. B. „Themenwoche Heimat“ des „ARD“ vom 04.–10.10.2015, vgl. Südwestrundfunk (ARD.de) 2016. 746 Vgl. Patzelt / Klose 2016; Pegida / PEGIDA: „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“; AfD: „Alternative für Deutschland“. 747 A. a. O., S. 16. 738

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Strukturen der Öffentlichkeit, die neuen Empörungsbewegungen besonders viel Resonanz verschafften; der Verlust des Vertrauens in jene politischen und sozio-kulturellen Eliten“748.

Pegida sei insgesamt ein „prägnanter Teil jenes größeren Ganzen“: Einem aufsteigenden Rechtspopulismus in Europa749. Für Klose gehe es in dieser Krise zudem „um Fragen der persönlichen Verortung und Teilhabe.“ Viele Bürger würden einen Heimatverlust spüren. „Die gegenwärtige gesellschaftliche Unruhe“ wirke „dem Heimatgefühl entgegen“ und sei zugleich „ein Indikator, dass es gestört ist.“750 Deutschland befinde sich laut Fritze mitten im „Kulturkampf“ in dessen Mittelpunkt die Frage stehe, „ob nationale Identität und kulturelle Homogenität weiterhin als Werte gelten, die zu verteidigen rational und legitim sein kann“751. Sieferle erkannte in Bezug auf Bewegungen wie Pegida einen Protest zuvorderst kulturellen Charakters752 mit der Wendung gegen den Verlust der „Bürgerschaftsrente“ (als Resultat des massiven Wohlstandsgewinns seit der Industrialisierung) verbunden mit der Forderung nach Aufrechterhaltung des „exklusiven sozialstaatlichen Leistungsniveaus“, relativer Autarkie sowie Protektionismus753 und der Wendung des autochthonen Volkes gegen „Überfremdung und kulturelle Marginalisierung“754. Auf der Internetseite des „Deutschlandfunk“ wird zur vergangenen Heimat-Gesprächsreihe wie folgt Stellung bezogen: „Egal wohin man schaut, ob in Politik oder Kultur, der Begriff ‚Heimat‘ erlebt zurzeit ein echtes Revival. In Zeiten, in denen tausende Flüchtlinge bei uns eine neue Heimat suchen, wird um die Definition dieses Begriffs gerungen wie lange nicht mehr. Während die Alternative für Deutschland einen eher folkloristischen, deutsch-nationalen Heimatbegriff propagiert, wird in vielen Museen und Theatern ein neues, multikulturelles Heimatkonzept erprobt.“755

In der Tat gehen die Auffassungen, wie mit Heimat und nationaler Identität umgegangen werden sollte, weit auseinander. Die letzte Integrationsbeauftragte der deutschen Bundesregierung verlautbarte, dass „jenseits der Sprache […] eine spezifisch deutsche Kultur nicht identifizierbar“ sei756. „Heimat lebt“, war sich hingegen Scharrenbach, Ministerin des neuen „Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung“ im Bundesland Nordrhein-Westfalen, sicher757. Erklärtes Ziel der Landesregierung sei es „Heimat zu stärken“: „Nordrhein-Westfalen bietet uns allen eine lebenswerte Heimat im Herzen Europas. Weltoffenheit und Toleranz, Verantwortungsgefühl und Gemeinsinn schaffen einen starken gesell 748

Patzelt / Klose 2016, S. 16. Ebd. 750 Klose 2016, S. 582. 751 Fritze 2016, S. 7. 752 Vgl. Sieferle 2017a, S. 29–30. 753 A. a. O., S. 29. 754 Ebd. 755 Deutschlandfunk 2016. 756 Müller 2018. 757 Scharrenbach 2018, S. 88. Auch die neue Bundesregierung führt ein neues Ministerium namens „Inneres, Heimat und Bauen“, Müller 2018. 749

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schaftlichen Zusammenhalt – ob in den großen Städten oder in den ländlichen Regionen. […] Denn wo das Heimatgefühl stark ist, fühlen sich Menschen wohl und sicher.“758

„Heimat ist die Klammer, die alle Themenbereiche miteinander verknüpft“, heißt es offiziell weiter. Mehr als eine dem Staatssekretär angeschlossene Stabsstelle wurde „Heimat“ jedoch nicht zugestanden.759 „Neun von zehn Deutschen empfinden ihre ‚Heimat‘ als wichtig und positiv“ ergab eine Umfrage zum Heimatbegriff im Rahmen der „Themenwoche Heimat“. Die Aussage „Heimat bedeutet für mich“ wurde wie folgt vervollständigt: „Menschen, die ich liebe bzw. mag – z. B. Familie, Freunde, Verwandtschaft“ mit 92 Prozent (Prozentangabe als Summe aus den Wertungen „sehr stark“ und „stark“); „Mein Zuhause – da wo ich lebe“ (88 Prozent); „Gefühle und Empfindungen – z. B. Wohlfühlen, Geborgenheit, Sicherheit, Zufriedenheit usw.“ (86 Prozent); „Landschaften, Städte, Umgebung“ (79 Prozent); „Kulturelles  – z. B. Sprache, Mundart, Traditionen, Gebräuche usw.“ – (75 Prozent); „Der Ort, wo ich aufgewachsen bin“ (66 Prozent). Die „Veränderung der Bedeutung von ‚Heimat‘ durch derzeitige Zuwanderung“ hatte für 15 Prozent „an Bedeutung gewonnen“. für 9 Prozent „an Bedeutung verloren“ und für 76 Prozent hatte sich an der Bedeutung „nicht viel verändert“. 52 Prozent der Befragten schätzten die „Aufnahme von Flüchtlingen“ als größere Herausforderung ein als die Wiedervereinigung (40 Prozent) für Deutschland.760 Auch Zöllers Werk zum Heimatbegriff stand maßgeblich unter dem Einfluss der Flüchtlingsbewegungen. Wie zahlreiche andere Autoren plädierte sie für eine „doch erst unlängst rehabilitierte Liebe zur Heimat“, die – „angesichts der vielen Flüchtlinge, die derzeit in Europa auf eine Zukunft hoffen“ – gefährdet ist durch „imaginäre Gemeinschaftsvorstellungen“ und Abgrenzungen nach außen.761 Sie plädierte für universalistisch-egalitäre Bedeutung des Heimatbegriffs, schon eingedenk der Ausweglosigkeit von Grenzziehungen. Die Welt wachse „immer mehr zusammen.“ Heimat „abzuschotten“ sei „nicht nur inhuman, sondern auch schlicht vergebens“762. Eine Abgrenzung „gegen andere“ bedeute, Heimat „schwach und angreifbar zu machen.“ Die Bedeutung von Heimat bemesse sich letztlich an der Quantität der Heimat-Liebenden: „Je mehr, desto besser“763. Die Idee der „neuen Deutschen“, wie sie unter anderem Münkler kolportierte, impliziere einen inklu­ 758 Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes NordrheinWestfalen 2018a. 759 Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes NordrheinWestfalen 2018b: „Das Ministerium besteht aus einer Zentralabteilung und fünf Fachabteilungen, die wiederum in Gruppen und Referate untergliedert sind: Zentralabteilung, Gleichstellung, Kommunales, Wohnungsbau, Wohnungs- und Siedlungsentwicklung, Stadtentwicklung und Denkmalpflege, Bauen.“ 760 Südwestrundfunk 2015. 761 Zöller 2015, S. 222. 762 A. a. O., S. 223. 763 A. a. O., S. 225.

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siven Nationsbegriff, orientiert an den universalistischen Werten des Grundgesetzes. „Eine kulturalistische oder gar ethnische Idee einer deutschen Nation […] schließt die Neuen automatisch aus.“764 Einen solchen sogenannten „Verfassungspatriotismus“765 bewertete Patzelt wiederum als „Aushilfskonstruktion“766 und „eher schwach“ im Hinblick auf die Integrationsfähigkeit767. „Er ist zwar ethisch und intellektuell höchst attraktiv; doch seinem Empfindungsspektrum fehlt jene emotionale Bindung an die Leute im Land, die für zusammenhaltenden Gemeinsinn so wichtig ist“768. Nach Costadura und Ries sei Heimat heute „weder ‚rechts‘ noch ‚links‘ zuzuordnen“769. Aktuell bringe die Flüchtlingsthematik „Heimat-Konzeptionen an die Oberfläche des Bewusstseins und politischen Diskurses, die unsere modernen Gesellschaften meist überwunden wähnten“770. Sie bezeichneten die Bundesrepublik als ein „verhältnismäßig ‚junges‘ Einwanderungsland“, das „ihr Selbstverständnis überdenken und sich Fragen der kulturellen beziehungsweise nationalen Identität stellen“ müsse771. In „Die Welt Kompakt“ vom Oktober 2016 wurde die Frage aufgetan: „Was ist Deutsch?“ und schlüsselte die Frage mit Begriffen auf, wie „Angst“, „Autobahn“, „Bürokratie“, „Bier“, „DIN“, „Fußgängerzone“, „Identität“, „Lied“, „Lufthansa“, „Mannschaft“, „Märchen“, „Sehnsucht“, „Sonntag“, „Volkswagen“ oder „Vollkorn“772. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ widmete im September 2016 neben der Titelseite ihr Magazin dem Titelthema „Wozu ist Heimat gut? Auf der Suche nach einem strapazierten Gefühl“773. Auch die Zeitschrift „Psychologie heute“ verdeutlichte ebenso die Aktualität und zugleich den Umgang des Zeitgeistes mit dem Begriff: „Heimat ist wieder Thema. Lange Zeit als rückwärtsgewandt und spießig eingestuft, rückt es plötzlich in den Mittelpunkt des Interesses. Das ist natürlich kein Zufall. Die Flüchtlingsströme der vergangenen Monate drängen uns die Frage nach der Bedeutung von Heimat geradezu auf.“774

Im Titelaufsatz verweist Stern auf den positiven Einfluss der territorialen Verwurzelung auf die Gesundheit. „Wer sich ‚angekommen‘ fühlt und Wurzeln schlagen kann, hat ein geringeres Erkrankungsrisiko: weniger Herzinfarkte, weniger Schlaganfälle, weniger Angstzustände und geringere Schmerzen“775. Daneben 764

Lehmann 2016. Der Begriff wurde erstmals geprägt von Sternberger im Jahr 1979 und im sogenannten „Historikerstreit“ 1986/1987 wieder aufgegriffen. Vgl. Kronenberg 2008, S. 125–126. 766 Patzelt 2013, S. 657. 767 A. a. O., S. 658. 768 Ebd. 769 Costadura / Ries 2016, S. 18. 770 A. a. O., S. 19. 771 Ebd. 772 Die Welt Kompakt 2016, S. 2–3. 773 Vgl. Die Zeit Magazin 2016. 774 Nuber 2016, S. 3. 775 Stern 2016, S. 21. 765

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binde ein Ort zwar nicht so stark wie „eine glückliche Ehe“, „ein erfüllender Job“ oder „eine gute Beziehung zu den eigenen Kindern“, dennoch sei ein sinn- und erinnerungsaufgeladener Ort ein für die Glücksforschung im positiven Sinne zu berücksichtigender Aspekt776. Die Wechselbeziehung zwischen Heimatbindung und wirtschaftlicher Tätigkeit wird innerhalb des anwachsenden öffentlichen Diskurses nicht oder nur indirekt, zum Beispiel – wie bereits oben beschrieben – im Zusammenhang mit regionalen Lebensmitteln, offenbar. In der Heimat-Ausgabe der „Psychologie heute“ kam Hartmann, Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Universität ErlangenNürnberg, zum Thema Konsumverzicht zu Wort und fragte sich, „warum wir uns so wenig dafür interessieren, unter welchen skandalösen Bedingungen die Lebensmittel, Kleider und Smartphones produziert werden, die wir so gerne einkaufen“777. Sie plädierte für eine „moralische Kaufentscheidung“778. Die Zeitschrift-Serie „Spiegel Wissen“ nannte sich im Dezember 2016 „Heimat. Annäherung an ein schwieriges Gefühl“. Auf der rückseitigen Umschlagsseite der Zeitschrift warb die KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit „Yasmin, Assistant Manager Consulting“ und dem Slogan „Mein Zuhause? Die ganze Welt!“.779 Da in Deutschland „mehr als 70 Jahre nach dem völkischen Wahn der Nationalsozialisten gerade wieder rechte Ideologen dumpfe Parolen schreien“, sei für viele, auch junge, Menschen wichtig zu wissen, „welches Gefühl der Verbundenheit zu einer modernen Gesellschaft passt“780. Laut Editorial lag die Intention der Ausgabe vor allem darin, folgende Fragestellungen zu erörtern: „Wie lässt sich die innere Distanz zu Deutschland, wie das schlechte Gewissen, das Deutschen wegen des Holocausts oft gerade im Ausland spüren, mit neuer Heimatliebe vereinbaren? Wie trennt man eine private Sehnsucht nach Zugehörigkeit, Wärme und Wurzeln von den Versuchen, daraus eine kollektive politische Identität zu formen, die andere Menschen ausschließt?“781

Die zwei „Heimat-Experten“ Kaschuba und Mitzscherlich führten in der Ausgabe ein Gespräch zum Heimatbegriff und veranschaulichen sehr greifbar die öffentliche Auseinandersetzung in der Bundesrepublik bezüglich des Begriffs, insbesondere seit Anbeginn der sogenannten „Flüchtlingskrise“. Kaschuba betonte die Tatsache, dass es ein „Wir“ nicht ohne ein „Die“ gäbe. Die Begrenzung von Heimat bedinge somit immer auch das Ausgrenzende. Eine „gemeinsame Idee“ einer „deutschen Heimat“ existierte daneben „ganz eindeutig nicht“.782 Ebenso passe die nationale Dimension seiner Auffassung nach „nicht mehr in die Welt“, sie sei lediglich „historisch“. Mithin gab sich Mitzscherlich sicher, dass „ein schwacher 776

Stern 2016, S. 24. Schönberger 2016, S. 13. 778 A. a. O., S. 15. 779 Der Spiegel Wissen 2016. 780 A. a. O., S. 3. 781 Ebd. 782 Musall / Wellershoff 2016, S. 17. 777

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Heimatbegriff“ nicht verantwortlich sei für das Aufkommen der Pegida-Bewegung. „Aber das zunehmende Auseinanderdriften der Gesellschaft wird verstärkt wahrgenommen, seit die Flüchtlinge angekommen sind“. Weiter leitete Kaschuba auf die Grundfrage über, wofür Deutschland stehen solle: „Sollen da biodeutsche Werte befördert werden, wie Geburtsort und Abstammung?“ Jugendliche würden viel seltener „checken“: „Wo kommst du her? als: Was ist dein Musikgeschmack? Welche Klamotten trägst du? Was isst du? Da werden Lebensstile verglichen, das ist der Identity-Check.“783 Mit jener Idee der einen, weltweiten Heimat des „globalen Menschen“ innerhalb einer egalitären Gesellschaft, die von der „Gewalt des Gleichen“784 dominiert sei, befasste sich Han in die „Austreibung des Anderen“. Aufgrund ihrer positiven Artikulation käme sie „unsichtbar“785 daher: „Die Wucherung des Gleichen gibt sich als Wachstum. Ab einem gewissen Punkt ist aber die Produktion nicht mehr produktiv, sondern destruktiv, die Information nicht mehr informativ, sondern deformativ, die Kommunikation nicht mehr kommunikativ, sondern bloß kumulativ.“786

Er nannte es den „Terror des Gleichen“787, der alle Lebensbereiche umfasse. Zwar bestehe die Möglichkeit, jederzeit die gesamte Welt zu bereisen, jedoch mache der Mensch keine Erfahrungen mehr. Der Mensch nehme von den Dingen Kenntnis, erlange aber keine Erkenntnis. Er häufe Daten und Informationen an, ohne dabei Wissen zu erhalten. In den „sozialen Medien“ – als „absolute Schwundstufe des Sozialen“788 – würden „Friends“ und „Follower“ generiert, ohne diesen jemals zu begegnen.789 In dieser heutigen „Hyperkommunikation“790 würden Beziehungen durch Verbindungen ersetzt, die Menschen seien „Insassen des digitalen Panoptikums“791. Wie schon Augé792 in Bezug auf die Digitalisierung feststellte, verdeutlichte auch Han das Fehlen der „Gegenkörper“ und der „Schwere“ als Elemente der Wertschätzung, wie die Natur und das aktive Erleben, innerhalb der digitalen Welt. Die Gleichheitsideologie stehe in Verbindung mit der individuellen Selbstoptimierung: „Der neoliberale Imperativ von Leistung, Sexyness und Fitness nivelliert den Körper letztlich zu einem Funktionsobjekt, das es zu optimieren gilt.“793 Auf die Selbstausbeutung folge die Selbstentfremdung und damit Krankheiten, wie zum Beispiel Bulimie und Magersucht. Das Individuum artikuliere sich vor allem 783

Musall / Wellershoff 2016, S. 20. Han 2016, S. 8. 785 Ebd. 786 Ebd. 787 A. a. O., S. 9. 788 Ebd. 789 Vgl. ebd. 790 A. a. O., S. 52. 791 A. a. O., S. 67. 792 Vgl. Augé 2012, S. 124. 793 Han 2016, S. 14. 784

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im Konsum, der aber letztlich „komplett vom Kommerz vereinnahmt“794 werde. Die Objektbindung sei vakant und aufgrund dessen werde „das Ich auf sich selbst zurückgeworfen. Es zerbricht an sich selbst.“795 „Der übersteigerte Narzissmus“796 führe dann zur Destabilisierung der Gesellschaft, innerer Leere und Krankheiten wie Persönlichkeitsstörungen und Depressionen seien die Folge. Erscheinungen der heutigen Zeit, wie Extremismus und Terrorismus sowie Krankheiten und Kriminalität seien unmittelbare Auswirkungen vom „Terror des Gleichen“. Nach Han schaffe der Neoliberalismus die soziale Marktwirtschaft ab und zugleich eine „verunsicherte, angstgesteuerte Masse, die sich leicht von den nationalistischen, völkischen Kräften vereinnahmen lässt.“797. Einher mit dem Gleichen gehe „die Beseitigung jeder Negativität.“798. Die moderne Gesellschaft beinhalte die „Logik des Ver-Gleichens“, die „das Anderssein ins Gleichsein umschlagen“ lässt.799 Vor dem Hintergrund der Finanzkrise im Jahr 2009 zog Miegel eine Bilanz und bezeichnete sie als ein „Fest“ und das „gigantischste kreditfinanzierte Konjunkturprogramm, das es je gegeben hat“800. Als Grundübel machte er die Wachstumsfixierung als Ideal der Massenkonsumgesellschaft aus: „Wachstum hat sich in gewisser Weise zur Religion unserer Zeit entwickelt und bedarf als solche keiner rationalen Begründungen mehr“801. Eine tatsächliche Symbiose, wie kolportiert würde, gäbe es – vor allem mit Blick auf die fortschreitende Erschöpfung nicht erneuerbarer Energien, „Schäden“ an Gesellschaft, Natur und Umwelt – zwischen Wachstum und Wohlstand nicht802. Zwar führe die Bevölkerungsmehrheit „heute materiell und immateriell reichere Leben als Burgherren von einst“803 – immerhin besitzt ein Europäer heute durchschnittlich etwa 10.000 Dinge804. Die Menschen seien jedoch „zermürbt“ und „zerbrechlicher, unmündiger, hilfloser und überforderter denn je“805. Eine Hauptursache dafür könnte in dem liegen, was Sloterdijk das „Streben nach Erlösung in die Suche nach Erleichterung“806 als „das leitende Märchenmotiv der modernen Welt“807 bezeichnete. „Es geht von jetzt an immer darum, zu arbeiten, um nie mehr arbeiten zu müssen“808. Der Mensch strebt nach etwas in der undefinierten Zukunft – und das ist sein Hauptantrieb –, was er nie erreichen wird. Sieferle fasste die Kerngedanken der vorangestellten Werke (wie 794

Han 2016, S. 31. A. a. O., S. 32. 796 A. a. O., S. 33. 797 A. a. O., S. 21–22. 798 A. a. O., S. 34. 799 A. a. O., S. 29–30 und vgl. a. a. O., S. 20, 32 ff., 54–55, 57 ff. 800 Miegel 2011, S. 21. 801 A. a. O., S. 56. 802 Vgl. a. a. O., S. 160–161. 803 A. a. O., S. 154. 804 Vgl. Bigalke 2011. 805 Miegel 2011, S. 154. 806 Sloterdijk 2016, S. 132. 807 A. a. O., S. 133. 808 Ebd. 795

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B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen

z. B. Individualisierung, Wachstums-/Fortschrittsdogma, Entgrenzung / Entwurzelung, Wohlstand) in der „Topik der Zivilisationskritik“ wie folgt zusammen: „Keine Gesellschaft wußte je so viel; keine war je so antiintellektuell. Keine Gesellschaft war je so wohlhabend; keine war je so besessen vom Reichtum. Keine Gesellschaft war je so differenziert; keine war je so eindimensional. Keine Gesellschaft glaubte je so sehr an die Politik; keine verachtete die Politiker so gründlich. Keine Gesellschaft war je so zahlreich; keine schätzte das Individuum höher. Keine Gesellschaft war zivilisierter; keine war vulgärer. Keine Gesellschaft war satter; keine war gieriger. Keine Gesellschaft lebte sicherer; keine war ängstlicher. Keine Gesellschaft war pazifistischer; keine war besser gerüstet.“809

Geißler beobachtete neben den aktuellen Trends von gesunder, regionaler Ernährung in der „Wohlfühlindustrie mit ihren vielen Gesundheits- und Besinnungsangeboten“810 wie Klosteraufenthalten, Wellness- und Gesundheitsangeboten oder Selbstfindungstagen keine „Gegenwelt“811 zur umgreifenden Beschleunigungsspirale. Sie seien ebenso „von jenem Nützlichkeitsdenken infiziert“812. „Entschleunigung“ sei längst „ein profitables Mittel zur Beschleunigung“ geworden813. Die Beschleunigung unterstützen „Externe“, indem zum Beispiel Güter und Dienstleistungen nach Hause bestellt werden. Er resümierte: „Dass die Menschen für die Industriegesellschaft funktionierten, hat die Uhr besorgt, dass sie für die Zeitverdichtungsgesellschaft funktionierten, dafür sorgen Mobiltelefon und Internet“814. Wie Han verdeutlichte er den Aspekt der Ort- und Zeitlosigkeit innerhalb der globalisierten Welt. Es führe mithin zur Auflösung der Trennung zwischen Arbeit und Freizeit. Für Han finde dabei Freizeit als Zeitraum der „Selbst-Verwirklichung“ und „Selbst-Optimierung“ statt815. „Der Zeitgeist der Beschleunigung und der Zeitverdichtung hat zur Entwertung von Traditionen geführt“, formulierte Geißler weiter816. Aktuell folge auf die Beschleunigung (das Nacheinander) eben jene Verdichtung (das Gleichzeitige). Die praktizierenden Verdichter nannte er „Simultanten“.817 „Ihr nautischer Blick sieht kein festes Land, kennt nur eine unendlich große Anzahl liquider, verwirbelter, labyrinthischer Möglichkeitsräume. Alles fließt, nichts ruht, nichts ist fest verankert, nur selten mehr etwas stabil. Es ist die chamäleonhafte Hyperflexibilität, die sie bewundern und anstreben.“818

Die Simultanten sind es, die ihre Zeit durch parallele Aktivitäten verdichten. „Sinn“ stellt für sie keine wesentliche Kategorie dar, sie verstehen das Leben als „Projekt“. Simultanten versuchen jederzeit und überall, sich mehreren Aufgaben 809

Sieferle 2017b, S. 91–92. Geißler 2014, S. 150–152. 811 A. a. O., S. 150. 812 Ebd. 813 A. a. O., S. 152. 814 A. a. O., S. 206. 815 Han 2016, S. 53–54. 816 Geißler 2014, S. 230. 817 A. a. O., S. 160 und vgl. a. a. O., S. 156, 205, 213, 216. 818 A. a. O., S. 166. 810

V. Von 1990 bis heute

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gleichzeitig zu widmen. Daneben sind sie jederzeit und überall erreichbar. Zu Hause sind sie „im Unterwegs des ort- und zeitlosen Netzes“819. Ihr ineinander verzahntes Arbeits- und Privatleben ist sehr flexibel und möglichst unverbindlich geregelt. Geißler fragte, ob der Mensch überhaupt physisch und psychisch dafür ausgelegt sei, eine derartige Zeitverdichtung praktizieren zu können. „Ist die Hoffnung, durch das Wachstum der Zeitverdichtung immer mehr Leben ins Leben bringen zu können, eventuell der größte der an Irrtümern nicht armen heutigen Zeit?“820 Die Bedeutung des Zeitfaktors im „globalen Konsumtempel“821 stellte auch ­ aech heraus: „Moderne Gesellschaften haben […] ein Stadium erreicht, in welP chem längst nicht mehr Kaufkraft, sondern Zeit den Engpassfaktor des individuellen Strebens nach Glück darstellt“822. Heinberg prägte die Begrifflichkeit „peak everything“, womit er nicht nur auf das bereits in der öffentlichen Diskussion eingeführte Thema der Erschöpflichkeit der weltweiten Ölverkommen hinwies, sondern weiterhin die Verknappung und / oder Nutzung vieler weiterer Ressourcen, wie Frischwasser, Gas, Getreide, Kohle, Metalle, Mineralien, Uran, über ihr natürlich gegebenes Maximum hinaus ins Feld führte823. Wie beispielsweise Sombart824 schon Jahrzehnte zuvor feststellte, verursache laut Paech auch heute einmal mehr das „System der Fremdversorgung“825 inklusive der „Ressourcenplünderung“826 (peak everything), dass „die Existenzsicherung schicksalhaft äußeren Umständen aufgeliefert“827 sei. Die Bedürfnisse würden sukzessive durch käufliche Dienstleistungen und Produkte sowie Bequemlichkeit schaffende Automatisierung abdeckt und nicht mehr durch handwerkliche Eigenarbeit, Subsistenz, lokale Versorgung und Netzwerke oder gar Entsagung. „Der solchermaßen von äußerer Zufuhr abhängige homo consumens wäre zum Aussterben verdammt, wenn alle Supermärkte der Welt vier Wochen lang geschlossen wären“828. Die gängige Kapitalismuskritik der heutigen Zeit übersehe das Faktum der Fremdversorgung, was auch „marxistisch grundierten Zukunftsentwürfen“ innewohne und worauf das die unterschiedlichen Entwürfe einende „Freiheits- und Fortschrittsideal“ beruhe829. „Sowohl die immense soziale Fallhöhe als auch die ruinösen Entgrenzungstendenzen“830 ließen sich nicht durch gerechtere Güter- oder Eigentumsverteilung beseitigen, sofern der Output weiterhin auf der massiven Res-

819

Geißler 2014, S. 189. A. a. O., S. 194–195 und vgl. a. a. O., S. 172, 189, 193–195. 821 Paech 2012, S. 2. 822 Paech 2013, S. 127. 823 Vgl. Heinberg 2010, S. 4 ff. 824 Vgl. Sombart 1954, S. 380. 825 Paech 2013, S. 64. 826 A. a. O., S. 67. 827 A. a. O., S. 64. 828 A. a. O., S. 64–65. 829 A. a. O., S. 67. 830 Ebd. 820

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B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen

sourcenausnutzung beruhe. Paech geißelte „grünes Wachstum“ als „Märchen“831, da eine Entkopplung von ökonomischem Wachstum und ökologischen Schäden auch mithilfe technischer Entwicklungen schlichtweg nicht möglich sei. Er erkannte in diesem Zusammenhang die Verlagerung von ökologischen Problemen: 1. zeitlich (Einsatz von Materialien vor allem der ersten Einsatzjahre, deren Entsorgung nicht geklärt ist, wie zum Beispiel bei Solar- und Photovoltaikanlagen oder Wärmedämmverbundsystemen), 2. medial und systemisch (Austausch von Emissionen wie Kohlenstoffdioxid gegen Fläche / Landschaft sowie Eingriff in die Natur- und Tierwelt, wie zum Beispiel durch die Errichtung von Windrädern), 3. materiell (Verbrauch seltener Rohstoffe / seltener Erden, wie zum Beispiel durch den Einsatz von Elektromobilität, Solar- und Photovoltaikanlagen oder Smartphones), 4. räumlich (Verlagerung in Richtung internationaler Wertschöpfung beziehungsweise die Bildung multinationaler Wertschöpfungsketten) sowie 5. technisch (digitale [Energie-]Effizienzsteigerungen stehen der notwendigen, massenhaften und umweltschädigenden Entsorgung vom hieraus resultierenden Elektroschrott, wie zum Beispiel Energiesparlampen, gegenüber).832 Eine weitere Beobachtung sei das „Greenwashing“, das die Idee beinhaltet, „Nachfragern eine zur ökologisch weißen Weste passende Konsumsymbolik anzudienen“833. Beispielhaft seien hier die zahlreichen Plaketten und Siegel, die auf regionale und / oder ökologische Herstellung / Herkunft hinweisen oder „aus der Heimat“ sind. Diese Tatsache bedient eben jenes Greenwashing-Phänomen, denn eine Einheitlichkeit und normierte Regularien der Gütesiegel in Form und Inhalt bestehen nicht und werden hauptsächlich aus dem Hauptaspekt der Verkaufsförderung genutzt.834 Die Quintessenz im Werk Paechs, der das Modell der „Post­ wachstumsökonomie“ entwickelte, ist insbesondere die Feststellung, dass Lebensstile nachhaltig sein können, nicht aber Technologie und Objekte allein aus sich selbst heraus835. Der Aspekt der Heimat(-verbundenheit), verstanden als vielschichtiges Konstrukt, und insbesondere als anthropologisches Grundbedürfnis nach Sicherheit und Zugehörigkeit ist innerhalb dieses und anderer aus dem Wirkumfeld des Konzeptes, das unbestritten zahlreiche dienliche Ansätze liefert, kein zentraler Begriff und Einflussfaktor. Norberg-Hodge ist mit ihrem Beitrag im „Schwarzbuch 831

Paech 2013, S. 72. In Anlehnung an a. a. O., S. 81–84. 833 A. a. O., S. 98. 834 Vgl. Ludowig 2014, S. 24 sowie vgl. Buchenau / Kolf 2015, S. 18: Beispielsweise die Lebensmittelmärkte mit ihren eigens erstellten Marken / Siegeln zur Verkaufsförderung: „Lidl“: „Ein gutes Stück Heimat“; „Rewe“: „Rewe Regional“; „Real“: „Gutes aus der Heimat“; „Edeka“: „Unsere Heimat“ bzw. „Bauerngut“. 835 Paech 2013, S. 99. 832

V. Von 1990 bis heute

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Globalisierung“836 beispielhaft für andere Autoren zu nennen, die ebenso heute das globalistische Wirtschaftssystem kritisieren und Alternativen gesucht haben. Es sei ein „fundamentaler Prioritätenwechsel […] in der Wiederherstellung eines Gefühls der Verbundenheit mit dem Ort, an dem wir leben“ notwendig837. Sie schrieb von einem „spirituellen Erwachen“, das mit dem Rückbezug zur Natur und zu den Mitmenschen entstehe. Hines und Lang formulierten es so: „Wir sind uns sicher, dass es eines ‚geistigen Rucks‘ bedarf, um über den bloßen Widerstand gegen die Globalisierung zu einer echten Alternative zu gelangen – der Lokalisierung“838. Letztendlich ist die Frage nach der praktischen Umsetzbarkeit und Wirklichkeitstauglichkeit von theoretischen, alternativen Wirtschaftsansätzen der neuralgische Punkt: Die heute in der Tat notwendige Veränderung des Lebensstils (jener geistiger Ruck) kann, gerade weil sich die Strukturen bereits zu verhärtet haben, nur an den Grundlegendem anknüpfen. Eine wesentliche These der vorliegenden Arbeit besteht darin, dass Heimatverbundenheit im Sinne eines heimatbezogenen Wirtschaftsbewusstseins dabei ein wesentlicher Einflussfaktor sein kann. Hierauf wird im weiteren Verlauf der Abhandlung noch detaillierter eingegangen. Gleiches gilt auch für die Klima- und Umweltschutzinitiativen vor allem seit den 1970er Jahren bis heute. Wenngleich die Maßgabe des „Global denken, lokal handeln“839 auf die bewusst gewordene Notwendigkeit der lokalen Anbindung hindeutet, ist deren Ausrichtung seit jeher global und die lokale Anbindung lediglich ein Mittel zum Zweck. „Sie sehen das Lokale eher als kleinere Version des Universalen“840, formulierte Scruton. Der vernachlässigte, jedoch erfolgskritische, Fokus auf die Nähe und insbesondere auf das Nationale beziehungsweise den Nationalstaat geht historisch wesentlich auf die Hybris des Nationalsozialismus zurück. Insgesamt sind viele aktive Initiativen und Nichtregierungsorganisationen im Kern internationalistisch, ohne Berücksichtigung der notwendigen heimatbezogenen Bindungen, die wesentlich auch auf historischen Errungenschaften basieren, die die Menschen – beginnend in ihrem unmittelbaren Umfeld – erst nachhaltig dazu bewegen würden, aus sich selbst heraus aktiv ihren Lebensstil beispielsweise zugunsten des Schutzes der Natur (der Umwelt, des Klimas) zu gestalten. Das Kernmotiv wird vernachlässigt, womit der Heimatverlust infolge der Etablierung der Überflussökonomie und ihrer Folgen wirksam überwunden werden könnte.

836

Vgl. Mander / Goldsmith 2004. Norberg-Hodge 2004, S. 462. 838 Hines / Lang 2004, S. 464. 839 Scruton 2013, S. 26. 840 Ebd. 837

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B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen

VI. Zusammenfassung Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts galt der Heimatbegriff vorrangig als Rechtsterminus und markierte die Zugehörigkeit zu einer Gemeinde sowie den Besitz von Grund und Boden. Diese juristische Bedeutung streifte der Begriff mit der Gründung des Norddeutschen Bundes und dem Freizügigkeitsgesetz im Jahr 1867 ab. Die Grundsteinlegung seiner Vielschichtigkeit verbunden mit der ideellen Färbung erlangte der Heimatbegriff allerdings schon früher, nämlich vor allem in der Epoche der Romantik mit der Deutschen Bewegung und der Biedermeierzeit. Immer stärker artikulierten romantische Kreise in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Sehnsucht nach dem, was zuvor als unausgesprochener und selbstverständlicher Zustand galt. Zudem setzte man sich mit Fragen um eine Einheit der Deutschen Nation auseinander, die damals angesichts territorialer Zersplitterung noch in weiter Ferne schien. Es entwickelte sich patriotisches Liedgut, Denkmäler wurden errichtet und es etablierten sich Turner- und Sängervereine sowie Feste, Riten und Traditionen. In Gedichten von Arndt oder Hölderlin fand sich der Antagonismus Heimatweh und Heimatliebe ebenso wieder wie die Heimatmotive Natur (verbunden mit dem Mythos des deutschen Waldes), Sicherheit und Geborgenheit. Fichte hob in seinen „Reden an die deutsche Nation“ die Einzigartigkeit der deutschen Sprache hervor und markierte darin „deutsche“ Werte wie Gründlichkeit, Denkweise und Ernsthaftigkeit. Teil seiner Forderung nach einer neuen Nationalerziehung auf Basis des Heimat-Konzeptes Pestalozzis sollte auch die ökonomische Selbstständigkeit der Deutschen durch eigene Wertschöpfung sein. Bis dahin war die merkantilistisch geprägte deutsche Wirtschaft maßgeblich von dieser individuellen Wertschöpfung (Haus- beziehungsweise Eigenproduktion) gekennzeichnet. Einhergehend mit der wirtschaftlichen Dominanz der Landwirtschaft wohnten etwa drei Viertel der Deutschen auf dem Land. Aber selbst die städtische Bevölkerung war großteils mit der Landwirtschaft verbunden und in diesem Wirtschaftszweig tätig. Überwiegend deutsche Agrarerzeugnisse wurden exportiert und Kolonialwaren importiert. Der Konsum, sofern er überhaupt außerhalb der eigenen Familie erfolgte, wirkte zuvorderst als Form des sozialen Miteinanders und war „als Negativ zur Produktion“841 konnotiert. Haus und Hof bildeten insgesamt also den Lebens-, Arbeits- und Konsumort zugleich: Das Volk lebte dort zum Teil bereits seit Generationen in Familie, bestellte die Felder, hielt das Vieh und erntete – in Abhängigkeit der Jahreszeiten als der zyklischen Grundgeschwindigkeit der Natur – die Früchte der eigenen, körperlichen Arbeit, die wiederum auf den erlernten und über Generationen entwickelten Narrativen sowie handwerklichen Erfahrungen und Fähigkeiten basierte. Der Mensch als homo faber842 fungierte damit als ein maßgeblicher Einflussfaktor auf die Wertschöpfungskette der die Grundbedürfnisse stillenden Güter: Saat, Anbau, Ernte und Verzehr entstammten der familiären Hand. In Wechselbeziehung zur individuellen Wertschöpfung stand die individuelle Wert 841 842

Triebel 1997, S. 371. Vgl. Arendt 2015, S. 138–139.

VI. Zusammenfassung

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schätzung gegenüber den geschaffenen Dingen, zum einen auf natürlicher Ebene als Teil der Wertschöpfungskette in psychischer (eigene Kreativität und Ideen) und physischer (eigene „Schweiß und Tränen“) Verbundenheit zu den Rohstoffen und dem Endprodukt sowie zum anderen ganz zwangsläufig aufgrund der herrschenden Knappheit resultierend aus der Abhängigkeit zur Witterung. Den Bedarf übersteigende Bestände wurden als Vorräte angelegt oder zumeist im Tauschgeschäft mit der Nachbarschaft gehandelt. Der Bestand an auf Dauerhaftigkeit und Haltbarkeit ausgelegten Geräten und Mobiliar unterstand besonderer Behütung, Schäden wurden eigenhändig ausgebessert. Damit verbunden waren Genügsamkeit und Sparsamkeit auch deshalb selbstverständlich, weil aufgrund des fehlenden Angebots und der mangelhaften Mobilität nicht einfach neue Güter zu erwerben oder Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen waren. Diese Form des Wirtschaftens, auch Bedarfswirtschaft, wurde sukzessive mit dem Aufkommen der Industrialisierung auf deutschem Gebiet ab Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Erwerbswirtschaft843 abgelöst. Die individuelle Wertschöpfung ging deutlich zurück, verbunden mit der schrittweisen Rückbildung handwerklicher Fähigkeiten: Der Mensch avancierte zum animal laborans844. Der soziale Charakter des Menschen wandelte sich, um mit Fromm zu sprechen, vom „hortenden“ zum „marktorientierten“ Charakter845. Sombart sah „ein Geschlecht von Menschen“ heranwachsen, „ohne rechte Fühlung mit der lebendigen Natur“. Es sei ein „künstliches Geschlecht“, das mit elektrischem Licht, Gummischuhen, Regenschirmen und Taschenuhren agiere, jedoch „die Sonne nicht mehr grüßt, das nicht mehr in den Sternenhimmel hineinträumt, das nicht mehr die Stimmen der Singvögel kennt und nicht die weiße Winternacht, wenn der Vollmond auf den Schneefeldern glitzert“.846 Lokale Trachten, Volkslieder sowie Gebräuche und Sitten würden aufgrund der tiefgreifenden Industrialisierungsprozesse den Gewohnheiten der Großstädte weichen847. Merkmale einer Konsumgesellschaft traten hervor: Dem Kleinhandel kam eine steigende volkswirtschaftliche Bedeutung zu und der Laden übernahm schließlich die Grundversorgung. Es entwickelten sich internationale Wertschöpfungsketten, die „Ära des Freihandels“848 begann und das Welthandelsvolumen weitete sich bis zu Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 in bisher ungeahntem Maße aus. Seither nahmen die Ausfuhr von Industrieerzeugnissen und die Einfuhr von Roh- und Halbstoffen stetig zu. Der Umfang der Exporte überstieg den Umfang der Importe, folglich wuchs die Abhängigkeit von internationalen Handelspartnern. Die tiefgreifenden Veränderungen infolge der Industrialisierungsprozesse, wie beispielsweise die Urbanisierung, die Vereinzelung und die Auflösung der Familie, thematisierte vor allem Riehl als Begründer der deutschen 843

Vgl. Weber 1980, S. 200. Vgl. Arendt 2015, S. 138–139, 158. 845 Fromm 1976, S. 76–77. 846 Sombart 1954, S. 416. 847 Vgl. a. a. O., S. 419. 848 Osterhammel / Petersson 2006, S. 61–62. 844

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B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen

Volkskunde. Mit der Gründung des Deutschen Reiches im Jahr 1871 kam es zur weiteren Vereinheitlichung des Gewerbe- und Handelsrechts, des Geldwesens und der Maße und Gewichte. Es entwickelte sich ein weitestgehend vereinheitlichter deutscher Binnenmarkt. Die wirtschaftliche Aktivität der Menschen hatte sich in diesem 19. Jahrhundert maßgeblich geändert und die deutsche Volkswirtschaft nahm eine entscheidende Wandlung vom Agrar- zum Industriestaat. In unmittelbarer Wechselbeziehung zur wirtschaftlichen Entwicklung stand die Prägung des Heimatbegriffs. Heimat, das waren Haus und Hof mit Feld und Vieh, Familie sowie Freundeskreis und Nachbarschaft, Abstammung und Narrativ, Liedgut und Feste, Riten und Traditionen – all diese Dimensionen und Facetten einer natürlichen Bindung veränderten sich: In territorialer Hinsicht (Veränderung der Ortsbindung) infolge des Wandels vom Besitz- zum Mietverhältnis, der Herausbildung von industriell geprägten Städten, die als Wohnort dienen sollten, woraus eine Landflucht resultierte (Urbanisierung), der Trennung von Wohn- und Arbeitsort, der Herausbildung des Konsumortes (ungleich Wohn-/Arbeitsort) und der Verschiebung des Lebensmittelpunktes zwischen Wohn-, Arbeits- und Konsumort. Und in anthropologischer Hinsicht (Veränderung menschlicher Bindung) sank die familiäre Geschlossenheit sowie die Einbindung in das Gemeindeleben (infolge der örtlichen Trennungen) verbunden mit der sinkenden Bedeutung von Festen, Riten und Traditionen, womit ein allgemeiner Bindungsverlust und eine Vereinzelung einherging, Maßgeblich änderte sich mit dem Fehlen beziehungsweise der deutlichen Abnahme an eigener Wertschöpfung die individuelle Wertschätzung. Der Bezug zu den umgebenden Gütern ging verloren. Der natürlichen Knappheit wich die (Über-)Fülle. Mit der gesteigerten Produktvariation und Produktdiversifikation kamen die Mode und Markenartikel auf und Kaufentscheidungsparameter wie Reputation und Ästhetik hatten eine Bedeutung, wobei der Preis zu der kaufleitenden Funktion avancierte. Die Frage nach dem Industriestaat wurde „die schwierigste Frage der […] deutschen Nationalökonomie“849. Für große Teile der Bevölkerung war Dank der wirtschaftlichen Entwicklungen der Industrialisierung insgesamt ein ökonomischer Wohlstandszugewinn, einhergehend mit Reallohnsteigerungen, zu verzeichnen, was sich gerade mit Blick auf den Anstieg der Bevölkerungszahl von rund 24,5 Millionen Menschen (1800) auf rund 65 Millionen Menschen (1914) umso bemerkenswerter darstellte. Auch dadurch verfestigte sich zu dieser Zeit die bis heute mobilisierende und sinnstiftende Fortschrittsvorstellung der „Dreieinigkeit von unbegrenzter Produktion, absoluter Freiheit und uneingeschränktem Glück“850, die vor allem die Befürworter der Entwicklung zum Industriestaat vertraten. Die Gegner argumentierten mit der zu starken Abhängigkeit von internationalen Handelspartnern, der Gefährdung des sozialen Friedens und der Gemeinschaft sowie dem Verlust ideeller und materieller Bindungen. 849 850

Fuchs 1905, S. 6, 20. Fromm 1976, S. 12.

VI. Zusammenfassung

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Um die Jahrhundertwende entwickelte sich eine Vielzahl von Initiativen und Bewegungen, die als Reaktion auf die genannten, mittlerweile immer spürbareren Veränderungen indirekt oder direkt Einfluss gewinnen wollten. Die für den Heimatbegriff prägendste Initiative war die Heimatschutzbewegung als „eine internationale kulturelle Erneuerungsbewegung“851, die im Jahr 1904 ihre reichsweite Konstitutionalisierung im Deutschen Bund Heimatschutz erfuhr. Denkmalpflege, Pflege und Erhalt überlieferter Bauweisen, Schutz der Landschaft und der Tier- und Pflanzenwelt, Volkskunst sowie Feste, Gebräuche, Sitten und Trachten bildeten die Hauptarbeitsfelder des Bundes, der insgesamt zum einen ein breitgefächertes, ganzheitliches Heimat-Konzept lieferte und zum anderen auch dessen praktische Umsetzung forcierte. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges konnte die Heimatschutzbewegung (regionalen) gesetzgeberischen Einfluss nehmen und eine gewisse Breitenwirkung über ihren zunächst bildungsbürgerlich-intellektuellen Wirkungskreis hinaus erzielen. Mit Blick auf die Wiederkehr romantischer Motivik852 sowie auf die Herausbildung einer neuen volkstümlichen Geselligkeitskultur sowie von Reiter-, Schützen-, Sanges-, Trachten- und Wandervereinen wird insgesamt auch von einer neoromantischen Epoche gesprochen. Wobei sich nun die ökonomische Heimat deutlich gewandelt hatte. Damals bedurfte es keiner identitätsstiftenden Vermarktungstermini wie „Heimat“- oder „Volks“Produkte, die heimatbezogene Herkunft und Herstellung war inhärent. Heimat wurde um die Jahrhundertwende ökonomisch urbar gemacht, um ihren Verlust (nicht nur ökonomisch) zu kompensieren. Das nationale Moment, geweckt durch die Reichsgründung, als Heimat-Dimension allein konnte nicht über diesen Verlust hinwegtäuschen. Der Verlust von Heimatbindung in geographischer, sozialer und ökonomischer Hinsicht hängt, das lässt sich bereits um die Jahrhundertwende feststellen, unmittelbar mit der Veränderung der wirtschaftlichen Aktivität der Menschen infolge der Entwicklung Deutschlands von einem Agrar- zu einem Industriestaat zusammen. In die politische und wirtschaftliche Instabilität der 1920er Jahre stieß die sogenannte „Untergangsthese“, die Spengler mit „Der Untergang des Abendlandes“ maßgeblich prägte. Er definierte Heimat als ein mehrdimensionales Gebilde, als dynamische, „rastlose Wanderschaft“853 mit Vergangenheits- und Zukunftsbezügen. Die nationale Dimension und das Regionale gewannen in der Weimarer Republik deutlich an Relevanz und stärkten den Heimatschutz, der zur außerparlamentarischen Kraft wurde. Die Bewegung erhielt öffentliche Mittel und hatte gesetzgeberischen Einfluss, es erfolgte die Zusammenarbeit mit Universitäten und Volkshochschulen. Autoren wie Spranger („Bildungswert der Heimat“) betonten 851

Gollwitzer 2008, S. 325. Zechner stellte am Beispiel seiner ideengeschichtlichen Analyse zum Deutschen Wald fest, dass „als silvapolitische Konstante“ bezeichnet werden könne, „dass Rückbezüge auf die Wald- und Baumsphäre vornehmlich zu vermeintlichen oder tatsächlichen Krisenzeiten der Nation erfolgten.“ Zechner 2016, S. 215. 853 Spengler 1920, S. 462. 852

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B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen

seither die Interdisziplinarität von Heimat und bezogen auch die Wirtschaftswissenschaft ein. Von diesem steigenden Einfluss unbenommen setzte sich jedoch die wirtschaftliche Entwicklung fort: Standardisierung und Massenproduktion charakterisierten die Warenwelt. Rilke bezeichnete diese Waren als leere und gleichgültige „Schein-Dinge“ und „Lebens-Attrappen“854. Nachdem der Heimatbegriff also seine Bedeutung als Rechtsterminus im 19. Jahrhunderts verlor und zunehmend an Vielschichtigkeit – insbesondere durch die Epoche der Romantik und mit den Aufkommen der Heimatschutzbewegung – gewann, hatte die Heimatbewegung samt ihrer Wirkungskreise und verwandten Bewegungen und Initiativen bis 1933 den größten Einfluss auf die Begriffsprägung. Es kristallisierte sich heraus, dass die „große“ ökonomische Entwicklung nicht aufzuhalten war und eine Errettung der Natur und Städte nicht gelang. Aufgrund dessen wurde der aufkommende Nationalsozialismus als alternativer Weg der Zielerreichung für einige Heimatschützer interessant. Exemplarisch war hier Schultze-Naumburg als einer der Gründungsväter der Heimatschutzbewegung, der sich der Rassenkunde zuwandte und die Auffassung vertrat, dass die gesellschaftlichen Verwerfungen in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Niedergang der Rasse stünden. Mit der Machtübergabe an die Nationalsozialisten im Jahr 1933 spekulierten die Heimatschutzkreise auf einen steigenden Einfluss und die Durchsetzung ihrer Ziele. Es zeichnete sich aber alsbald ab, dass gegensätzliche beziehungsweise konkurrierende Vorstellungen vorlagen, sodass die Heimatschutzbewegung wie auch viele andere Initiativen und Bewegungen dieser Zeit der Zentralisierung zum Opfer fiel, überwacht oder gar verboten wurde. Heimat erhielt eine expansorische Bedeutung und die Erweiterung um den Rasse-Begriff beziehungsweise die Verknüpfung mit der rassetheoretischen Blut-und-Boden-Ideologie. Hier standen die Ideale der Heimatschutzbewegung deutlich entgegen. Überdies sah der Nationalsozialismus die Massenkultur und -wirtschaft, den Kapitalismus und die Technik weniger kritisch und pragmatischer, gerade weil eine starke industrielle Produktion, Vereinheitlichung und Zentralisierung notwendig waren, um zugleich die Rüstungswirtschaft und die Kriegsvorbereitungen realisieren zu können. Alles in allem wurden im Dritten Reich amerikanische Massenkonsumaspekte adaptiert, vor allem im Hinblick auf die Massenproduktion und Standardisierung. Es wurde (zwangsläufig) national konsumiert, es gab keinen regionalisierten Produktreichtum, sondern rationalisierte („Volks“-/)‌Massenprodukte. Im Nationalsozialismus setzte sich insgesamt die Entwurzelung der Menschen weiter fort, bis im Jahr 1945 ein in jeglicher Hinsicht zerstörtes Deutschland übrigblieb. Zerstört waren nach Ende des Zweiten Weltkriegs infolge der expansiven Hybris der Nationalsozialisten auch die Integrationskraft und die Vielschichtigkeit des Heimatbegriffs. Vor dem Nationalsozialismus, das verdeutlicht die vom Au 854

Sieber-Rilke / Sieber 1935, S. 335–336.

VI. Zusammenfassung

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tor durchgeführte umfangreiche und vor allem auch fachbereichsübergreifende Literaturauswertung, war der Umgang mit dem Heimatbegriff in einem positiven Sinne unbefangen, pathetisch-gefühlsbetont, bodenständig und verwurzelt. Die deutsche Heimat hatte eine Mitte: Sie stand für Besonderheit, Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit zum Beispiel deutscher Art, des deutschen Erfindergeistes, der deutschen Kunst und Kultur, deutscher Narrative und Traditionen, der deutschen Natur und Landschaft und so weiter, aber nicht im Sinne der Ausgrenzung anderer Nationen und Kulturen. Der Verlust der Mitte, der sich in individueller Entfremdung (= Heimatverlust) und Oikophobie855 äußert, hält faktisch seit 1933 an. Die öffentliche Wahrnehmung, wie auch die wissenschaftliche Debatte in Bezug auf den Heimatbegriff ist seither stets überdeckt, kontaminiert und verzerrt. Bis heute lastet die Fragestellung an: Darf es vor dem Hintergrund der Verbrechen der Nationalsozialisten für die Deutschen überhaupt noch möglich sein, eine auf regionaler und nationaler Identität gegründete Heimatbindung zu entwickeln? Strauß bezeichnete diesen Zustand im vereinten Deutschland in den 1990er Jahren als „verklemmten deutschen Selbsthaß“856. „Eine nur ritualisierte allgemeine Schuld- und Erinnerungskultur ist nicht wirklich befreiend und reinigend, wenn individuelle Entfremdung und Verstörung unangetastet bleiben“857. Für das Jahr 1945 ist insgesamt das Ende des durch souveräne Nationalstaaten geprägte Europas zu konstatieren. Überdies sollte es seither keine Nachfolgeorganisation des Heimatbundes schaffen, nennenswerten Einfluss auf die weitere Konnotation des Heimatbegriffs zu nehmen. Die weitere Loslösung von individueller Heimatbindung manifestierte sich auf dem Gebiet der neugegründeten Bundesrepublik im Westen Deutschlands mit der aufkommenden Konsumkultur als wesentlicher Bestandteil der Massenkonsumgesellschaft, die wiederum eine von Konzentration, Masse, Vereinheitlichung und Zentrismus858 geprägte globalisierte Gesellschaft kennzeichnet. So ereigneten sich im Zeitraum von 1945 bis in die 1970er Jahre „die umfassendsten Transformationen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur […], die sich jemals im Zeitraum weniger Jahrzehnte ereignet hatten“859. Mithin diente die Anhäufung materiellen Wohlstands nicht nur der materiellen Bedürfnisbefriedigung, sondern auch als „Kompensation für die verbrannte Nation“860. Autoren wie Kapp und Röpke diagnostizierten, dass die Preise der am Markt gehandelten Güter in keinem gesunden Verhältnis zu ihrem 855

Hier ist der von Scruton genutzte Begriff der „Oikophobie“ als dienlich. Er definierte ihn in „Analogie zur Xenophobie“, d. h. zur Fremdenfeindlichkeit wie folgt: „Mit Oikophobie meine ich nicht die Furcht vor dem Heim, sondern die Ablehnung desselben – die Ablehnung aller Ansprüche und Bindungen.“ Und weiter: „Oikophobe definieren ihre Ziele und Ideale gegen alle vertrauten Formen der Zugehörigkeit – gegen Heim, Familie und Nation.“ Scruton 2013, S. 254–256. 856 Strauß 1993, S. 203. 857 Maaz 2017, S. 142. 858 Vgl. Röpke 1979, S. 23–24. 859 Osterhammel / Petersson 2006, S. 86. 860 Miegel 2011, S. 50.

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B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen

eigentlichen Wert stehen. Sie stellten einen negativen Zusammenhang zwischen der Massengesellschaft und dem individuellen Glück her. Kapp verdeutlichte in seinem Werk, dass die sozialen Kosten der Marktwirtschaft (wie Krankheiten, Umweltverschmutzung, Ressourcenverbrauch) als wichtige volkswirtschaftliche, mit der Produktion verbundene Kosten nicht in den Ausgaben von Unternehmern impliziert sind. Die Auswirkungen sind selten individuell spürbar und werden auf die gesamte Gesellschaft abgewälzt. Mitscherlichs „Unwirtlichkeit unserer Städte“ steht sinnbildlich für eine Vielzahl von ökonomischen, ökologischen und soziokulturellen Veränderungsprozessen, die schon seit dem Aufkommen der Industrialisierung kritisiert worden sind: Land-Stadt-Wanderungen, Internationalisierung und Angleichung von Gütern und Lebensumfeld, Distanz zwischen Mensch, Natur und Dingen sowie der Arbeitstätigkeit, Auflösung von Traditionen und Identität. Nach 1945 löste die Globalisierung die Industrialisierung seit Mitte des 19. Jahrhunderts als Projektionsfläche für Wachstums-/Fortschritts- und Kulturkritik ab und ökologische, ökonomische und soziokulturelle Veränderungsprozesse schritten kontinuierlich voran. Der „Club of Rome“ machte mit den „Grenzen des Wachstums“ den Anfang, in der Bundesrepublik folgten die Aktivitäten der Anti-Atomund der Umweltbewegung. Zahlreiche Vereine und Initiativen dieser „humanistischen Protestbewegung“861 gründeten sich und befassten sich mit Kernthemen der damaligen Heimatschutzbewegung: Landschaft, Natur, Umweltschutz und Ökologie. Nachdem der Heimatbegriff nach 1945 aus dem wissenschaftlichen Diskurs nahezu verschwunden war, kam er spätestens mit dem Ende der 1970er Jahre in diesem Kontext wieder auf die Agenda zahlreicher Wissenschaftler wie beispielsweise Greverus. Verschiedene Ersatzbegriffe (wie Territorialität, Regionalität / Regionalismus) fanden ihren Eingang in Debatte und Forschung, wobei keiner dieser Begriffe über die metaphysische Tiefe und zugleich positive Färbung sowie den Dimensionsreichtum des Heimatbegriffs verfügte, sondern allenfalls ein Teil / eine Dimension desselben darstellt. Einhergehend mit der (indirekten) Wiederbelebung des Heimatbegriffs in verschiedenen Zusammenhängen, jedoch zuvorderst nicht mehr unter Rückgriff auf traditionelle Ideale oder das nationale Moment, konstatierte Göbel aufgrund des aufkommenden Gesundheits- und Umweltbewusstseins einen „Way-of-live-Regionalismus“862, der bis heute festzustellen ist. In der DDR im Osten Deutschlands kam der Brauchtumspflege eine größere Bedeutung zu als in der Bundesrepublik. Die „sozialistische Heimat“ wurde ganz gezielt staatlicherseits als integratives Leitmotiv platziert und zur Festigung des Staates genutzt: Der Heimatbegriff stattete den Staat mit einer Authentizität und Bodenständigkeit aus, wozu allein der Sozialismus nicht ausgereicht hätte. Die für die Bundesrepublik zutreffenden Entwicklungen hin zu einer globalisierten Massenkonsumgesellschaft waren in der durch Planwirtschaft geprägten DDR nicht festzustellen. Beide Staaten einte aber letztendlich das Heilsversprechen, dass die 861 862

Gruhl 1981, S. 10. Göbel 2005, S. 342.

VI. Zusammenfassung

141

Mehrung des materiellen Wohlstands glücklich mache. Ebenso bildete in beiden Staaten der Preis der angebotenen Produkte mehrheitlich nicht den realen Wert ab. Eine Grundannahme der modernen Ökonomie, die Schöpfung von „wertvollen“863 Wirtschaftsgütern, traf schon deshalb nicht mehr zu, weil mittlerweile  – nach 1945 ist das für die Mehrzahl der Grund- und für die Allgemeinheit verfügbaren Luxus­güter zu konstatieren – Massenprodukte gefertigt wurden, die beispielsweise geplante Nutzungs-/Lebensdauerverkürzungen beinhalteten oder auf schnellen Neukauf bei Erscheinen des Nachfolgeprodukts ausgelegt waren. Mit der Wiedervereinigung der deutschen Nation im Jahr 1990 wurde das Gebiet der ehemaligen DDR konsumtiv erschlossen und an die westdeutschen Verhältnisse einer Massenkonsumgesellschaft angeglichen. Die dargelegten Entwicklungsprozesse (Homogenisierung von Lebensstandards, Standardisierung und Massenproduktion von Produkten) setzten sich auf einem vergrößerten Markt fort. Seit den 1990er Jahren sorgte die Digitalisierung aller Lebensbereiche zusätzlich zu einer weiteren Loslösung von Bindungen. Von zu Hause kann nun mit der ganzen Welt kommuniziert werden (Verlust persönlicher Bindungen), der Konsum erfolgt häufig im Internet (weiterer Bezugsverlust zu den konsumierenden Produkten). Augé bezeichnete die Territorien der modernen, globalisierten Gesellschaft als „NichtOrte“, Orte der Überfülle und der Verdichtung, die historisch gewachsene Orte nicht integrieren864 und konstatierte eine Priorisierung des Globalen vor dem Lokalen865. Als „Terror des Gleichen“ bezeichnete Han den Universalismus, der auch den Heimatbegriff erfasst hat866. Vor dem Hintergrund der sogenannten Flüchtlingskrise seit Ende 2015 verbunden mit der anhaltenden Massenmigration vor allem nach Deutschland ist eine steigende Zahl von Publikationen zum Thema Heimat festzustellen. Zahlreiche Autoren erachten heutzutage Heimat mit ihrer spezifisch deutschen Dimensionsvielfalt (von Kultur, Kunst, Geschichte, Natur / Landschaft, Sprache, Bräuche, Riten und Traditionen) für ein ewiggestriges, nicht mehr mit der globalisierten, entgrenzten Welt kompatibles Modell und plädieren für die universalistisch-egalitäre Interpretation des Heimatbegriffs (= die Weltbürger-Gesellschaft als Heimat für alle Menschen gleichermaßen) als Antwort auf die gegenwärtige, ganz offensichtlich aus Heimatverlust resultierende gesellschaftliche Unruhe. Daneben wird Heimat heute ganz gezielt konstruiert und fungiert häufig als Etikett innerhalb der weltweiten Vermarktung von Unternehmen und Produkten. Denn Studien wiesen nach, dass eine hohe Wertschätzung und eine hohe Zahlungsbereitschaft in Bezug auf Produkte regionaler Herkunft vorliegen, weshalb dies vom Handel zum Teil missbräuchlich oder intransparent ausgenutzt wird. Bio-Produkten kommt eine Distink-

863

Samuelson et al. 2010, S. 24. Vgl. Augé 2012, S. 84–85, 110. 865 Vgl. a. a. O., S. 127. 866 Han 2016, S. 9. 864

142

B. Historische Analyse deutscher Heimatvorstellungen

tionsfunktion zu und sie erfreuen sich als Teil eines „Lebensstilregionalismus“867 hoher Beliebtheit. Die Nutzung des Heimatmotivs als verkaufsfördernde Etikettierung für ehemals tatsächlich heimatlich angebundene und einzigartige Festivitäten lässt sich an der beispielhaft dargestellten Geschichte des Münchener Oktoberfestes sowie des Nürnberger Christkindlesmarktes ablesen. Diverse, die Sehnsucht nach Ruhe und Abgeschiedenheit bedienende Trends wie auch die Beliebtheit von Kleingärten und Eigenheimen deuten darauf hin, dass die Menschen in Zeiten der Beschleunigung und Überforderung nach Rückzugsorten und Ruhezonen suchen. Den Modernisierungsprozessen steht also auch wieder eine versuchte Heimatrückbindung gegenüber, wie schon so oft in der Geschichte. „Die Regionalisierung auf ihre Kompensationsfunktion zu reduzieren und dabei an Modernisierungsverlierer zu denken würde dem Phänomen nicht gerecht“868, hob Göbel hervor. Dennoch ist festzustellen, dass Heimat über den Untersuchungszeitraum hinweg wiederholt über eine kompensatorische Funktion verfügte: Als Gegenreaktionen auf den aus tiefgreifenden soziokulturellen, ökologischen und ökonomischen Veränderungen resultierenden Heimatverlust bildeten sich Ende des 19. Jahrhunderts Reform- und Erneuerungsbewegungen. Dies trifft auch auf die Epoche der Romantik mit der Hinwendung zum Schönen, zur Natur und zum Eigenen zu. Ähnliche Bewegungen traten Ende der 1960er Jahre (wie die Anti-Atom-/Umweltbewegung) in der Bundesrepublik sowie heute hervor. Insgesamt lässt sich resümieren, dass durch die Rezeption des deutschen Heimatbegriffs im zugrundeliegenden Untersuchungszeitraum unter besonderer Berücksichtigung der ökonomischen Entwicklung zum einen verständlich wird, wie es um die heutige Konnotation des Heimatbegriffs bestellt ist. Zum anderen kann nur aus diesem Verständnis die avisierte, nachhaltige Genese des Heimatbegriffs auf Basis eines Heimat-Konzeptes angestoßen werden. Die Interdependenz von Heimat im Sinne eines mehrdimensionalen Gebildes und der Wirtschaft im Sinne der wirtschaftlichen Aktivität der Menschen zieht sich wie ein roter Faden durch die im Untersuchungszeitraum dargestellte historische Entwicklung und lässt sich letztlich auf die zwei Begriffe „Wertschöpfung“ und „Wertschätzung“ verdichten. Beide Aspekte haben sich im Untersuchungszeitraum maßgeblich verändert. Die Wertschöpfung bezeichnet die allgemeine und individuelle wirtschaftliche Aktivität im Sinne der Erstellung von Gütern und die Wertschätzung bezieht sich auf das Verhältnis zu und den Umgang mit den Dingen sowie gegenüber der Natur und den Mitmenschen. Die historische Analyse zeigt auf, wie es dazu gekommen ist, dass die deutsche Gesellschaft heute im Umgang mit dem Heimatbegriff tief gespalten ist. Das verdeutlicht die Notwendigkeit einer neuen, ganzheitlichen Betrachtungsweise von Heimat unter Integration der ökonomischen Dimension, denn die wirtschaftliche Entwicklung sorgte maßgeblich für den gegenwärtigen Zustand, den man Heimatverlust nennen kann. Im Nachfolgenden wird der Charakter der heutigen Überflussökonomie weiter verdichtet und der Heimatverlust herausgearbeitet. 867 868

Göbel 2005, S. 352. Göbel 2005, S. 334.

C. Im Kontext der Überflussökonomie : Zur Notwendigkeit eines nachhaltigen Heimat-Konzeptes I. Einleitende Gedanken zu Grundintentionen der Ökonomie und zum Wertschöpfungs- und Wertschätzungsprozess 1. Wirtschaftliche Aktivität zum Zweck der Bedürfnisbefriedigung Zunächst gilt es, Grundlegendes zu bestimmen. Führen wir uns die aufgezeigte historische Entwicklung vor Augen, stellt sich die Frage: Wie konnte es soweit kommen, dass sich die wirtschaftliche Aktivität in diesem Ausmaß von der ursprünglichen Intention der Ökonomie entfernte? Ungeachtet der exemplarisch aufgeführten Beiträge und Einflüsse verschiedener Strömungen und Kritiker der vielschichtigen Entwicklungsprozesse mit ihren negativen Auswirkungen auf Mensch und Natur hat sich heute ein System der Überflussökonomie verfestigt, welches beispielsweise die bereits vor einem Jahrhundert abzusehende und kritisierte Umweltverschmutzung weiter verstärkt. Worin besteht eigentlich die ursprüngliche Intention von Wirtschaft? Der Begriff der „Wirtschaft“ resultiert aus dem Umstand des Vorliegens anthropologischer Bedürfnisse und ist definiert als „dasjenige Gebiet menschlicher Tätigkeiten, das der Bedürfnisbefriedigung dient“1. Was sind menschliche (Grund-) Bedürfnisse und wie unterscheiden sie sich? Wie kann wirtschaftliche Aktivität definiert werden? Was ist unter Wert und weiter unter Wertschöpfung sowie unter Wertschätzung zu verstehen? Ausgangspunkt der Ausführungen soll die Feststellung sein, dass der Mensch über natürliche Bedürfnisse (auch: Verlangen) verfügt, die er zu befriedigen ersucht. „Alle Grundbedürfnisse unterliegen einem Rhythmus von Anpassung und Entspannung, wie Einatmen und Ausatmen, Wachen und Schlafen, Essen und Ausscheiden, und sie folgen einem Zyklus von Werden und Vergehen: Erregung, Drängen, Befriedigung, Ruhe. Gelingt es dem Menschen, in den Rhythmen und Zyklen seiner Grundbedürfnisse zu leben – innen und außen gut aufeinander abzustimmen –, erlebt er regelmäßige Befriedigung und ist gesund.“2

Die naheliegendsten Bedürfnisse zur Herstellung und Aufrechterhaltung der Gesundheit hängen mit der Funktionsweise des menschlichen Körpers dergestalt zusammen, als dass er Schlaf, Sauerstoff und Nahrung benötigt. Hier genügt die 1 2

Wöhe 1996, S. 1. Maaz 2010, S. 236.

144

C. Im Kontext der Überflussökonomie  

Feststellung, dass der Mensch für seinen physischen Fortbestand bestimmte Bedürfnisse sowie weitere Bedürfnisse auf der psychischen Ebene befriedigen muss. Die Bedürfnishierarchie nach Maslow3 ist eine der bekanntesten, vereinfachten Darstellungen der menschlichen Bedürfnisse und erscheint hier in ihrer Motivklassen-Unterteilung als zweckmäßig. Es werden die folgenden Motivklassen unterschieden4 (in ihrer Reihung absteigend nach Wichtigkeit für das menschliche Überleben): 1. physiologische Bedürfnisse (wie Essen, Trinken, Atmen, Schlafen), 2. Sicherheitsbedürfnisse (wie Schutz, Lebensverhältnisse), 3. soziale Bedürfnisse (wie Gruppenzugehörigkeit, Freundschaften), 4. Wertschätzungsbedürfnisse (wie Status, Prestige, Respekt) und 5. Selbstverwirklichungsbedürfnisse (wie Persönlichkeitsentfaltung, Unabhängigkeit). Die Motive lösen sich, sofern sie erreicht wurden, in ihrer Verhaltenswirksamkeit ab, wobei natürlich auch eine gewisse Gleichzeitigkeit existiert. Welche der Bedürfnisse genau zu den Grundbedürfnissen gezählt werden, wird in der Wissenschaft unterschiedlich wahrgenommen. Nach Auffassung des Autors zählen zu den Grundbedürfnissen des Menschen im engeren Sinne die physiologischen Bedürfnisse und die Sicherheitsbedürfnisse und im weiteren Sinne soziale Bedürfnisse. Zu Beginn der vorliegenden Arbeit unter Kapitel A. IV. wurde Heimat als anthropologisches Grundbedürfnis nach irdischer und transzendenter Bindung definiert. Bezüglich der Motivklassen-Unterteilung ordnet sich Heimat demgemäß als Querschnittsfunktion und als ein den existenziellen physiologischen Bedürfnissen – nach deren Befriedigung zunächst alle menschlichen Aktivitäten ausgerichtet sind – nachgelagertes (und zum Teil gleichlaufendes) Bedürfnis ein. Das „Wirtschaften“ oder synonym die „wirtschaftliche Tätigkeit“ oder die „wirtschaftliche Aktivität“ stellen die Bezeichnungen für das zur Befriedigung von einem „individualen Zweck (Bedürfnisbefriedigung)“5 gerichtete Handeln mittels Besorgung (Bewegung, Erzeugung, Verwendung) dar. Wohingegen die Bedürfnisse des Individuums als unbegrenzt gelten, stehen die hierfür notwendigen Mittel naturgemäß nur begrenzt zur Verfügung. Es herrscht dadurch ein natürliches Spannungsverhältnis zwischen der Unbegrenztheit der menschlichen Bedürfnisse und der Knappheit der Mittel. Die notwendigen Mittel stellen immaterielle und materielle Güter (auch: Waren) dar. Materielle Güter bedürfen – sofern sie nicht in ihrer Reinform naturgemäß als Rohstoff auftreten – einer Herstellung (auch: Produktion, Wertschöpfung) und werden folglich vom Individuum zum Zwecke der Erfüllung des Ziels der Bedürfnisbefriedigung konsumiert (auch: verzehrt, 3

Vgl. Meffert et al. 2008, S. 120. Vgl. Schierenbeck / Wöhle 2008, S. 72–73. 5 Amonn 1911, S. 99. 4

I. Einleitende Gedanken zu Grundintentionen der Ökonomie 

145

ge- / verbraucht). Zudem werden auch immaterielle Güter (vor allem Dienstleistungen) erstellt. Das zum Verzehr beziehungsweise Ge / Verbrauch geeignete Gut wird entweder auf dem Markt zwischen den Individuen gehandelt, oder außerhalb des Marktes konsumiert.6 Nicht zu den knappen (Wirtschafts)Gütern zählen die „freien Güter“, die unbegrenzt zur Verfügung stehen, wie Luft oder Sonnenschein7. Nachfolgend wird hauptsächlich auf materielle Güter abgestellt. Dass sich Art und Umfang der wirtschaftlichen Aktivität unmittelbar auf die Physiognomie einer Gesellschaft auswirken, wurde bereits im zweiten Kapitel im dargestellten Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Entwicklung im Allgemeinen und der wirtschaftlichen Aktivität im Individuellen und der Heimatbindung deutlich. Luhmann formulierte es so: „Alles wirtschaftliche Handeln ist soziales Handeln, daher ist alle Wirtschaft immer auch Vollzug von Gesellschaft“8. Auch Sombart ordnete demgemäß der Wirtschaft im Sinne seines Typus der „verstehenden Nationalökonomie“9 eine dezidiert soziale Dimension zu, denn „[e]ine nicht in der Gesellschaft verwirklichte Wirtschaft gibt es nicht, eine ‚Ökonomie‘, die nicht mit soziologischen Kategorien gedacht würde, ist ein Unbegriff.“10 Die wirtschaftliche Tätigkeit des Menschen und damit seines Wirtschaftslebens ist maßgeblich geprägt durch seine „Wirtschaftsgesinnung“, die durch spezifische Beweggründe, Gefühle, Motivationen, Verhaltensregeln und Werte beeinflusst wird. Sie „ist ebenso eine Realität wie Rechtsvorschriften oder ökonomische Beziehungen und Erscheinungen Realität sind“11 und ist maßgeblich für den Erfolg einer Unternehmung.12 In Anlehnung daran wird im Rahmen dieser Abhandlung als „heimatbezogenes Wirtschaftsbewusstsein“ der wesentliche Einfluss von Heimatverbundenheit im Sinne eines mehrdimensionalen Verständnisses von Heimat auf die wirtschaftliche Tätigkeit bezeichnet. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Mensch seine Bedürfnisse befriedigt, indem er wirtschaftlich tätig wird und dadurch in die Wechselbeziehung zu Heimat (im ganzheitlichen, mehrdimensionalen Sinne) tritt. Der Mensch, wie auch Unternehmungen, die in organisierter Form wirtschaften, haben vereinfacht gesprochen „das Gute“ (Bedürfnisbefriedigung) als Ziel. Röpkes Leitspruch „Das Maß der Wirtschaft ist der Mensch und das Maß des Menschen ist sein Verhältnis zu Gott“13 verweist auf die Notwendigkeit und ein Verständnis maßvollen Wirtschaftens innerhalb kleiner Wirtschaftseinheiten in Eigenständigkeit und Selbstverantwortung innerhalb der Nachbarschaft und Gemeinschaft. Aus wirt 6

Vgl. Schierenbeck / Wöhle 2008, S. 3–5, vgl. Sombart 1950, S. 6, vgl. Weber 1924, S. 1–2, und vgl. Wöhe 1996, S. 1–3. 7 Vgl. Schierenbeck / Wöhle 2008, S. 4–5. 8 Luhmann 1994, S. 8. 9 Vgl. Sombart 1950, S. 173 ff. 10 A. a. O., S. 178. 11 Seraphim 1956, S. 43. 12 Vgl. a. a. O., S. 11, 43, vgl. Sombart 1950, S. 181 und vgl. Tenbruck 1968, S. 570. 13 Röpke 1964, S. 355.

146

C. Im Kontext der Überflussökonomie  

schaftsethischer Perspektive ist gemäß Ulrich allem Wirtschaften eine Grundfrage vorangestellt, nämlich „die Frage nach dem ‚Wert‘ des Wirtschaftens im Hinblick auf die Lebensqualität des Menschen“14. Er formulierte weiter: „Nicht die Schaffung von Marktwerten soll das entscheidende Mass der Wirtschaft sein, sondern – allen Sachzwängen zum Trotz – ihre Lebensdienlichkeit.“15 In Abbildung 3 sind die zwei Grundfragen lebensdienlichen Wirtschaftens nach Ulrich, die Sinnfrage und die Legitimationsfrage, beschrieben. Sinnfrage

Legitimationsfrage

Sinnfrage nach der Bekömmlichkeit der wirtschaftlichen Tätigkeit in Bezug auf gutes Leben vor dem Hintergrund kultureller Motive

Legitimationsfrage nach der Rechtfertigungs­ fähigkeit der wirtschaftlichen Tätigkeit ge­ genüber allen Beteiligten bezüglich des Zusammenlebens vor dem Hintergrund sozialer Motive

= Individualwohlorientierung

= Gemeinwohlorientierung

Quelle: Eigene Darstellung, vgl. Ulrich 2016, S. 218–219.

Abbildung 3: Die zwei Grundfragen lebensdienlichen Wirtschaftens (nach Ulrich)

Insofern vollzieht die wirtschaftliche Tätigkeit viel mehr als nur eine rein individuelle Befriedung von Bedürfnissen, sondern manifestiert sich – wie es auch Röpke betonte – in ihrer Individualwohl- und Gemeinwohlorientierung. Zentral ist die Frage nach dem Wert bezüglich der Lebensqualität der Menschen. Der Begriff des „Wertes“ scheint geklärt werden zu müssen, gerade wenn wir zur eingangs gestellten Frage zurückkommen, wie es zur Etablierung einer Ökonomie des Überflusses kommen konnte, in der der in der Ökonomie zentrale Begriff des Wertes seiner Grundlage entzogen zu sein scheint. Üblicherweise wird in der Wirtschaftswissenschaft von „wertvollen“16 Wirtschaftsgütern gesprochen, die die Bedürfnisse der Menschen befriedigen sollen. Die Schaffung von „Werten“, von „wertvollen Gütern“, zur Bedürfnisbefriedigung scheint eine gute, positive Intention zu sein. Aber was ist „Wert“ und was sind „wertvolle Güter“? 2. Der Wertbegriff und der Prozess der Wertbildung Die Analyse des Forschungsstandes zum Wertbegriff im Allgemeinen lässt eine Einigkeit dahingehend feststellen, als dass keine konkrete Definition geliefert werden könne – eine Eigenheit, die gewissermaßen mehrdimensionalen Begriffen zu Teil ist17. Wittmann konstatierte, dass „der auf dem allgemeinen Sprachgebrauch 14

Ulrich 2016, S. 217. A. a. O., S. 218. 16 Samuelson et al. 2010, S. 24. 17 U. a. vgl. Heyde 1926, S. 7, vgl. Ruf 1955, S. 124 ff. und vgl. Wittmann 1956, S. 31 ff. 15

I. Einleitende Gedanken zu Grundintentionen der Ökonomie 

147

fußende Wertbegriff“18 eine sehr wichtige Stellung innerhalb der Wissenschaft einnehme. Dennoch lassen sich gewisse Punkte zum Wertbegriff herausarbeiten, die für den weiteren Erkenntnisfortschritt notwendig erscheinen. „Der Werth eines Gegenstandes, einer Sache, sei sie materieller oder immaterieller Natur, existirt offenbar nur für, nur durch die Menschen“19, stellte Lindwurm fest. Auch Heyde war der Auffassung, dass Werte nicht an Objekten „haften“20, sondern dass Wert ein „Beziehungsbegriff“21 im Sinne davon sei, dass der Wert die Beziehung beziehungsweise die „Relation“22 von Gegenstand und Subjekt darstelle, wobei es keinen Wert an sich gäbe. Er bezeichnete „das Fühlen“ folglich „als Kernbegriff des Werterlebnisses“23. „Der subjektive Wertbegriff“ sei auch für Amonn „kein nationalökonomischer und überhaupt kein sozialwissenschaftlicher, sondern ein rein psychologischer Begriff“24. Ein Gegenstand verfügt also nicht aus sich selbst heraus über einen Wert, sondern erst durch die individuelle Zuordnung von Wert durch den Menschen gegenüber dem Gegenstand: Wert entsteht erst durch das Subjekt25. Woraus folgt, dass ein Mensch einen Wert in einem Gegenstand und ein anderer Mensch keinen Wert in demselben Gegenstand erkennt. Bei einem etwaigen Besitzübergang kann der Gegenstand somit vollkommen an Wert verlieren oder gewinnen.26 Vor der Zuordnung eines subjektiven Wertes gegenüber einem Objekt durch das Subjekt steht die Bewusstwerdung über die Eigenschaft. Schon Gossen stellte fest, dass Genüsse erst bewusstwerden, wenn sich ein Verständnis „herangebildet hat“27. Lindwurm nannte es Erkenntnis, wir bezeichnen es nachfolgend auch als Bewusstwerdung über die Eigenschaft eines Gegenstandes, woraus folglich ein subjektiver Wert erwachsen kann. Wird dem Subjekt eine Eigenschaft nicht bewusst, wird daraus keine Wertfeststellung resultieren.28 Auf die Bewusstwerdung über die Eigenschaften eines Gegenstandes folgt die psychische Tätigkeit der Beurteilung der 18

Wittmann 1956, S. 55. Lindwurm 1865, S. 171. 20 Heyde 1926, S. 36. 21 A. a. O., S. 45. 22 Ebd. 23 A. a. O., S. 111. 24 Amonn 1911, S. 327. 25 U. a. Herles 2011, S. 139: „Wert ist Vorstellung“ und „Wert existiert und entsteht erst durch das Subjekt.“ Zur Relativität und Subjektivität von Wert auch vgl. Gossen 1854, S. 47–48. 26 „Das Verhältniss der Dinge zu uns, welches der Werth voraussetzt, existirt nicht für die Menschheit, sondern nur für den Menschen. Es ändert sich folglich ein Werthverhältniss, wenn ein Gegenstand aus der einen Hand in die andere geht, denn dann sind ganz andere Factoren desselben vorhanden. Es ist sowohl ein anderer Wille da, als eine andere Erkenntniss der Tauglichkeit der Dinge, dem Willen zu dienen. Der Schwierigkeit der Erlangung der Dinge steht eine andere Aufwandsfähigkeit gegenüber, was auch sie ändert. Das Werthverhältniss ist somit durchaus und rein individuell; es existirt nur für und durch das Individuum.“ Lindwurm 1865, S. 177. 27 Vgl. Gossen 1854, S. 1. 28 Vgl. Lindwurm 1865, S. 176. 19

148

C. Im Kontext der Überflussökonomie  

festgestellten Eigenschaft. Sofern mehrere Eigenschaften vorliegen, erfolgt eine Abwägung und Priorisierung derselben und damit verbunden die „Wertschätzung“.29 Es ergibt sich die in Abbildung 4 veranschaulichte Handlungskette zur Wertbildung30. Objekt O ohne Wert an sich

Subjekt S wird sich bewusst über Eigenschaft E Bewusstwerdung

Subjekt S schließt aus der Eigenschaft E auf einen subjektiven Wert W des Objekts O

Objekt O verfügt aus Sicht des Subjekts S über einen Wert W

Wertschätzung

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 4: Die Handlungskette der Wertbildung

Gossen bezeichnete den Akt des Erstellens von Werten (von etwas Genussbringendem) als „Vornehmen von Bewegung“31. Aus ökonomischer Perspektive wird nicht von einem „Objekt“, sondern von einem „Gut“ gesprochen. Wöhe bezeichnete den „ökonomischen Wert“ als „eine Folge der Unbegrenztheit der menschlichen Bedürfnisse und der Knappheit der Güter, die zur Bedarfsdeckung zur Verfügung stehen“32. Ruf grenzte den volkswirtschaftlichen vom betriebswirtschaftlichen Wertbegriff ab. Im volkswirtschaftlichen Sinne bezeichne Wert „das regelmäßige, reale gegenseitige Austauschverhältnis wirtschaftlicher Güter“33. Wert sei eine „als interobjektive Größe, d. h. als eine Beziehung von Gut zu Gütern“34, aufzufassen und diene „nur der Preiserklärung“35. Der Preis gebe das „Austauschverhältnis wirtschaftlicher Güter gegenüber dem Gelde“36 an. Im betriebswirtschaftlichen Sinne definiere sich Wert wiederum „als quantitativ bestimmte, objektivierte wirtschaftliche Maßzahl“37. Weniger als ein Verhältnis sei der betriebswirtschaftliche Wert vielmehr „eine Größe, die einem Gegenstand, Vorkommnis oder einer Leistung ‚anhaftet‘, mit ihnen gewissermaßen verbunden und als extensive Ziffer 29

„Damit aus dem Verhältnisse der Dinge zum Menschen der Werth entstehe, muss das Verhältniss in diesen zum Bewusstsein gelangen. Solches geschieht, indem die Bestandtheile des Werthverhältnisses einer Beurtheilung unterworfen werden. Eine solche Beurtheilung nennt man, weil sie Grössenverhältnisse zum Gegenstande hat, eine Schätzung: es ist der Werth mithin das Product der von einem Individuum vorgenommenen Schätzung des Verhältnisses, worin ein Ding zu ihm steht im Vergleiche mit anderen.“ Lindwurm 1865, S. 179. 30 Heyde stellte folgende Beziehungsgleichungen auf: „(1) Wertobjekt = Objekt + Objektwert“; „(2) Objektwert = Wertobjekt – Objekt“; „(3) Objekt = Wertobjekt – Objektwert“. Heyde 1926, S. 24. 31 Gossen 1854, S. 38. 32 Wöhe 1996, S. 1063. 33 Ruf 1955, S. 78. 34 A. a. O., S. 79. 35 A. a. O., S. 128. 36 A. a. O., S. 83 und dazu auch vgl. Gossen 1854, S. 95. 37 Ruf 1955, S. 80.

I. Einleitende Gedanken zu Grundintentionen der Ökonomie 

149

erfaßbar ist“38. Für Wittmann hingegen enthalte der Wertbegriff nichts, was ohne Weiteres „für das sachliche Problem in jenem Teil der Betriebswirtschaftslehre, wo man mit Ziffern und Zahlen arbeitet, als Teil einer Theorie oder gar Theorie für sich verwenden könnte“39. Denn Wert sei „weder größenmäßig faßbar, noch rechenbar“40. Zu den Wertarten werden gemeinhin der Gebrauchswert, der Tauschwert und der Ertragswert gezählt. Einen Gebrauchswert haben danach Güter, die Bedürfnisse decken können. Über einen Tauschwert verfügen die Güter aufgrund ihres Gebrauchswertes und der Tatsache ihrer Knappheit, die wiederum in Geldeinheiten als Marktpreis sichtbar wird. Einen Ertragswert haben Güter, aus deren Tauschwert heraus Erträge erzielt werden können.41 Die Abbildung 5 stellt die Handlungskette der wirtschaftlichen Tätigkeit des Menschen in vier Ebenen dar. Anhand der Abbildung lässt sich auch definieren, dass individuelle Wertschöpfung vereinfacht gesprochen der Eigenanteil des Individuums am Gut ist. Es können nicht alle, aber viele Konstellationen der Bedürfnisbefriedigung anhand der Handlungskette nachvollzogen werden, was das folgende Beispiel verdeutlichen soll: Ebene 1: Gerichteter Wille zur Bedürfnisbefriedigung: Eine Person hat Hunger und das Verlangen, diesen zu stillen, sodass die Notwendigkeit zur wirtschaftlichen Aktivität besteht. Ebene 2: Akt der Wertschöpfung: Die Person verfügt über einen Getreideanbau mit Mühle, sodass sie wie in Fall b teilweise an der Wertschöpfung teilnehmen wird. Sie stellt aus dem natürlich gewachsenen Rohstoff „Getreide“ das Zwischenprodukt „Mehl“ her, das zur Herstellung des Endproduktes „Brot“ dienen soll und übergibt das Mehl als Bestandteil des zu erstellenden Brotes wie in Fall bc1 einer Bäckerei. Der Bäcker erstellt mithilfe des Mehls, weiterer Zutaten und der ihm zur Verfügung stehenden Gerätschaften das Gut „Brot“, das die Person (am Markt) dann zu einem entsprechenden Preis erwirbt. Der individuelle Wertschöpfungsanteil der Person am Gut „Brot“ besteht darin, den Rohstoff anzubauen und zu ernten sowie daraus Mehl herzustellen. Ebene 3: Zustand der Bedürfnisbefriedigung und Genussbereitung: Die Person verzehrt das Gut „Brot“ und es kommt zur Bedürfnisbefriedigung, ein Glücksgefühl beziehungsweise Wohlbefinden stellt sich ein. Der Hunger wurde gestillt (Sättigung42).

38

Ruf 1955, S. 80. Wittmann 1956, S. 106. 40 Ebd. 41 Vgl. Ruf 1955, S. 76 und Wöhe 1996, S. 1063. 42 Erstmals nachgewiesen durch Gossen 1854, S. 4–5: „Die Größe eines und desselben Genusses nimmt, wenn wir mit Bereitung des Genusses ununterbrochen fortfahren, fortwährend ab, bis zuletzt Sättigung eintritt.“ 39

150

C. Im Kontext der Überflussökonomie  

Ebene 4: Wiederholung der Ebenen 1 bis 3: Aufgrund des erneuten Aufkommens des Bedürfnisses „Hunger“ zu einem späteren Zeitpunkt kommt es zur Wiederverwendung des noch nicht aufgebrauchten Gutes. Aufgrund seiner gestiegenen Festigkeit nicht mehr zum Verzehr geeigneter Restbestand des Brotes wird verwertet, indem er als Zutat „Paniermehl“ der Bestandteil eines neu zu erstellenden Gutes genutzt wird. Wertschätzung findet über die gesamte Handlungskette hinweg an verschiedenen Schritten statt. Je intensiver die Bezüge zur Wertschöpfung eines Gutes sind, das heißt je höher der individuelle Wertschöpfungsanteil ist, desto höher ist die Wertschätzung, die vor (Vorbereitung, Abbau Rohstoffe), während (Herstellung) und nach (Besitz / Verzehr, Reparatur, Wiederverwertung) Erstellung des Gutes zum Tragen kommt. 1.

Mensch M verfügt über das Bedürfnis B

Er hat das Ziel, das Bedürfnis B zu befriedigen (gerichteter Wille)

Folglich wird er wirtschaftlich tätig durch:

a) vollständige individuelle Wertschöpfung (Erstellung eines Gutes G, dessen Eigenschaft E zu Wert W für Subjekt erwächst) 2. b) teilweise individuelle Wertschöpfung (Eigenanteil handwerklicher Tätigkeit und/ oder von Bestandteilen des zu erstellenden Gutes G) c) keine individuelle Wertschöpfung

3.

Nutzung / Verzehr des Gutes G

4.

a) Wiederverwendung, b) Verwertung, c) Entsorgung des Gutes G

bc1) Erwerb auf dem Markt eines Gutes G, dessen Eigenschaft E zu Wert W für Subjekt erwächst, zu Preis Z (Konsum) bc2) Erwerb eines Gutes G, dessen Eigenschaft E zu Wert W für Subjekt erwächst, außerhalb des Marktes

Mensch M erwartet einmalig / wiederkehrend eine Bedürfnisbefriedigung, verbunden mit einem sich einstellenden Glücksgefühl

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 5: Die Handlungskette der wirtschaftlichen Tätigkeit und der Wertbildung

Resümierend lässt sich festhalten, dass im Zuge der wirtschaftlichen Tätigkeit – zum Zwecke der Befriedigung der unbegrenzten Zahl an Bedürfnissen – Wert geschaffen wird. Deshalb wird von Wertschöpfung gesprochen, wenn im Zuge der wirtschaftlichen Aktivität Dinge geschaffen werden. Der Wert wird einem Objekt erst zu Teil durch die Bewusstwerdung über die Eigenschaft desselben, aus der die Wertschätzung erwächst. Aus der Nutzung beziehungsweise dem Verzehr des zur Bedürfnisbefriedigung erstellten beziehungsweise konsumierten Gutes resultiert der Zustand des Glücks beziehungsweise des Wohlbefindens. Untrennbar mit dem Begriff der „Wertschöpfung“ ist demnach der Begriff der „Wertschätzung“ verbunden. Wertschöpfung und Wertschätzung stehen in einem unmittelbaren Sinnzusammenhang. Vereinfacht formuliert beginnt und endet die Intention von Ökonomie gut und positiv: Es werden wertvolle Güter geschaffen, denen der Mensch Wertschätzung entgegenbringt und die letztendlich Wohlbefin-

II. Wesentliche Charakteristika des Systems der Überflussökonomie 

151

den herbeiführen. Der Begriff „Wert“ hat einen subjektiven und somit qualitativen Charakter. Wenngleich im wirtschaftlichen Geschäft auf dem Markt dem Gut ein quantifizierter Wert in Form eines Marktpreises zugeordnet wird, kann der Preis die qualitative Dimension nicht abbilden. Womit wir bei dem Problem des Preises als Ausdrucksmittel für den Wert eines Gutes angelangt sind. Aber nicht nur das Problem des Preises, auch weitere Aspekte charakterisieren heute das System der Überflussökonomie, in dem der Sinnzusammenhang von Wertschöpfung und Wertschöpfung erodiert ist. Im Sinne eines Verständnisses von der wirtschaftlichen Tätigkeit des Menschen als ein wesentlicher Bestandteil der Gesellschaft vollziehen sich die Auswirkungen des Status quo auch auf kultureller, ökologischer und sozialer Ebene.

II. Wesentliche Charakteristika des Systems der Überflussökonomie 1. Das Problem des Preises und der sozialen Kosten Noch in den 1970er Jahren hielt Vilmar den Begriff der „Überflussökonomie“ für „falsch“, da sehr viele Menschen noch gar nicht die Kaufkraft besaßen, sich zum Beispiel ein Auto, eine moderne Küche oder eine Stereoanlage leisten zu können43. Heute ist die Erschwinglichkeit von derlei Massengütern kein Problem mehr für die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung. Die bis heute aufgezeigte historische Entwicklung deckte bereits wichtige Aspekte dessen auf, was heute als „Überflussökonomie“ (synonym: Massenkonsumgesellschaft) bezeichnet werden muss. In diesem Kapitel werden wichtige Kennzeichen der Überflussökonomie weiter verdichtet. Das betrifft das Preisproblem, verbunden mit den sozialen Kosten, den Aspekt des Materialismus (Güterhäufung) sowie die Internationalisierung der Wirtschaft. Des Weiteren prägen als gegenwärtige und künftige Entwicklungsstränge die sogenannte Energiewende, die Digitalisierung der Arbeitswelt und des Konsums sowie die Massenmigration die Festigung der Überflussökonomie und ihrer Folgen. Zu den Folgen gehören insbesondere der Heimatverlust und – noch tiefgreifender – der Heimatfähigkeitsverlust, sodass die Erstellung eines Konzeptes dessen notwendig erscheint, was Heimat in seiner Vielschichtigkeit abbildet und die dezidiert ökonomische Dimension integriert. Die nachfolgenden Ausführungen sollen diese Notwendigkeit verdeutlichen. Es ließen sich noch weitere Merkmale der Überflussökonomie darlegen, die im Rahmen dieser Abhandlung aber nicht 43 „Nicht geringer ist die sinnlose Verschwendung im Bereich der industriellen Produktion. Wir reden seit einiger Zeit gern von Überflußgesellschaft. Bei Lichte besehen aber ist dieser Ausdruck falsch. Denn es gibt, wie erwähnt, selbst in den reichen Industriegesellschaften eine große Mehrheit von Menschen, die gern ein Auto, eine moderne Kücheneinrichtung, eine Stereo-Anlage besitzen möchten, aber nicht die Kaufkraft besitzen, um sich diese angeblich im Überfluß vorhandenen Apparate des gehobenen Konsums zu leisten.“ Vilmar 1972, S. 14.

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C. Im Kontext der Überflussökonomie  

weiter vertieft werden sollen, wie beispielsweise der Aspekt des Geld- und Zinssystems verbunden mit der Haupterkenntnis, dass das Kapital als wirtschaftlicher Produktionsfaktor seit Jahrzehnten schneller wächst als die gesamte Ökonomie44. Beginnen wir mit dem Problem des Preises und der sozialen Kosten. Der Preis entsteht, sobald Subjekte in Interaktion treten und einen Ausdruck für den Wert eines Gutes finden wollen45. Er fungiert im wirtschaftlichen Geschehen als ein Einflussfaktor auf die Wertschätzung und zeigt zugleich das Aufwandserfordernis beziehungsweise die Gegenleistung zur Erlangung eines (knappen) Gutes auf46. Wittmann stellte fest, dass Preis und Wert häufig „eins seien und uns nur in verschiedener Ausdrucksform entgegentreten“47. „Im Preis der Ware drückt sich normalerweise der in ihr materialisierte Wert von Arbeitskraft, Material, Maschinen usw. und zugleich das Verhältnis von Angebot und Nachfrage aus“48, erläuterte Merkel. Das Problem des Preises liegt somit zum einen darin, dass er zwar das quantitative Maß des Wertes eines Gutes darstellt, den Wert aufgrund seines subjektiven und damit qualitativen Charakters aber gar nicht abzubilden vermag. Zum anderen ist ein weiteres Problem des Preises in den sogenannten sozialen Kosten zu finden, auf die Kapp maßgeblich hinwies. Die sozialen Kosten, die bereits unter Kapitel B. IV. Erwähnung fanden, sind als Kosten zu verstehen, die nicht unmittelbar der Einzelne beziehungsweise das Unternehmen trägt, sondern die mittelbar der Allgemeinheit oktroyiert werden.49 Die durch ein Unternehmen dargestellten Produktionskosten sind demnach nicht vollständig, wodurch die sich an den Kosten orientierende Preisbildung entscheidend verzerrt wird. Vereinfacht gesprochen, kommt es zur Privatisierung der Gewinne und zur Sozialisierung der Verluste (soziale Kosten). Im Grunde muss eine vollständig geführte Diskussion zu Umweltverschmutzung oder Klimawandel zum zentralen Aspekt der sozialen Kosten anlangen. Um das im 21. Jahrhundert besonders präsente Preisproblem mitsamt dem ­ spekt der sozialen Kosten beispielhaft zu veranschaulichen, nehmen wir das iriA sche Einzelhandelsunternehmen „Primark“. Das mit 325 Filialen in elf Ländern vertretene Unternehmen (Stand Dezember 2017) stand immer wieder in der öffentlichen Kritik im Hinblick auf schlechte Arbeitsbedingungen und die Nichteinhaltung von Umweltschutzstandards50 und ist vor allem bekannt geworden durch seine geringen Preise für Bekleidung, die die ihrer Mitbewerber im Niedrigpreissegment noch deutlich unterbieten. Ein T-Shirt kostet hier etwa 2,50 Euro und 44

U. a. Ulrich erläutert den Zusammenhang anschaulich, vgl. Ulrich 2019, S. 28–48, 189. Vgl. Herles 2011, S. 139. 46 Vgl. Luhmann 1994, S. 18 und Lindwurm 1865, S. 206: Der Preis sei „unvollkommener Ausdruck des Werthes“ sowie „wichtiges Mittel der Werthschätzung“. 47 Wittmann 1956, S. 31. 48 Merkel 1999, S. 45. 49 Vgl. Kapp 1958 und vgl. Kapp 1979. 50 Im Jahr 2013 starben 1.127 Menschen beim Einsturz einer auch für Primark tätigen Textilfabrik in Bangladesch. Vgl. Kekeritz / Kießling 2016. 45

II. Wesentliche Charakteristika des Systems der Überflussökonomie 

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eine Jeans etwa 9 Euro51. Die niedrigen Preise, auf die Primark „stolz“ sei, ließen sich nach Unternehmensangaben mithilfe von Großaufträgen für Lieferanten und Fabriken erreichen. Auf kostenintensive Etiketten, Kleiderbügel und Preisschilder werde verzichtet und die Einsparungen direkt an den Käufer weitergegeben.52 Die Herstellung der Güter erfolgt überwiegend in Bangladesch und China53. Das Unternehmen besitzt keine eigenen Fabriken54, betont aber „stets bemüht“ zu sein, „Auswirkungen auf die Umwelt wo immer möglich zu reduzieren“55: „Unser Teams [sic!] für ökologische Nachhaltigkeit arbeitet dazu an einer Reihe von Themen, etwa der Beschaffung von Rohmaterialien (zum Beispiel Baumwolle), den ökologischen Auswirkungen der Fertigungsprozesse in den Fabriken, der Effizienz der Primark-Filialen und unserem Engagement zum Recycling“56.

Das Beispiel Primark verdeutlicht stellvertretend für andere weltweit agierende Handelsunternehmen das Problem der sozialen Kosten verbunden mit dem Zielkonflikt, inwiefern der Preis den Wert eines Gutes widerspiegle. Vereinfacht auf die nachvollziehbaren Hauptschritte der Wertschöpfungskette lässt der Weg des in einer Filiale in Deutschland erhältlichen T-Shirts für etwa 2,50 Euro wie folgt grob nachzeichnen: Der An- und Abbau von Rohstoffen, hier vor allem Baumwolle – sofern nicht nur synthetischen Stoffe verwendet werden – erfolgt beispielsweise in Indien, anschließend werden die notwendigen Rohstoffe in die Fabrik, zum Beispiel in Bangladesch transportiert. Die Produktion des Gutes findet in einer oder in mehreren Fabriken gegebenenfalls an unterschiedlichen Orten beziehungsweise in verschiedenen Ländern statt, das betrifft die verschiedenen Schritte der Wertschöpfung wie die Aufbereitung der Rohstoffe, die Konfektionierung, die Veredelung und das Nähen sowie die Verpackung und die Etikettierung für den Verkauf. Danach erfolgt der Transport des verkaufsfertigen Gutes zum Ort des Verkaufs, zum Beispiel in Berlin, Deutschland, wo das Gut in einer Filiale durch den Kunden erworben werden kann. Nach dem Gebrauch des Gutes wird es letztendlich entsorgt. Der Handel sogenannter „Fast Fashion“57 gestaltet sich für Unternehmen sehr erfolgreich58. Die Produktion von Bekleidung, darunter zum großen Teil „Fast Fashion“, hat sich weltweit in den Jahren 2000 bis 2014 etwa verdoppelt, im Jahr 2014 wurde erstmals die Marke von 100 Milliarden neuproduzierten Kleidungsstücken durchbrochen. Auf der Verbraucherseite gehen damit zwei Effekte einher: Es werden zum einen immer mehr Kleidungsstücke erworben und zum zweiten nur

51

Vgl. Bohmann et al. 2012. Primark Mode Ltd. & Co. KG / Primark Austria Ltd. & Co. KG 2017a. 53 Vgl. Bohmann et al. 2012. 54 Vgl. Primark Mode Ltd. & Co. KG / Primark Austria Ltd. & Co. KG 2017c. 55 Primark Mode Ltd. & Co. KG / Primark Austria Ltd. & Co. KG 2017b. 56 Ebd. 57 Remy et al. 2016. 58 Vgl. Bohmann et al. 2012. 52

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C. Im Kontext der Überflussökonomie  

noch etwa halb so lange getragen wie noch vor 15 Jahren.59 Bereits mit Blick auf die dargestellten Wertschöpfungsschritte wird deutlich, dass der Preis nicht definitionsgemäß der materialisierte Wert der eingesetzten Arbeitskraft, Maschinen und Materialien sein kann und dass die Annahme der modernen Preistheorie, die Aufwendungen der Unternehmen würden sämtliche Produktionskosten beinhalten60, unhaltbar ist. Der umweltbelastende Transport zwischen den Stätten des Rohstoffabbaus, der Produktion und des Verkaufs, die ressourcenzehrende und umweltbelastende Produktion an sich61, die Auswirkungen der Arbeitsbedingungen in den Fabriken (zum Teil Kinderarbeit62) oder die Entsorgung der für ihre kurze Lebensdauer bekannten Kleidung sind hier exemplarisch als soziale Kosten aufzuzählen, die von der Allgemeinheit übernommen werden müssen und in keiner Unternehmensrechnung enthalten sind. Der mit der Bekleidungsindustrie verbundene „ökologische Fußabdruck“ wird voraussichtlich weiter zunehmen infolge der hohen Kohlenstoffdioxid-Emissionen63, Wasserverbrauchs und Flächennutzung64. Unzählige weitere Beispiele ließen sich im Gesamtkontext aufführen. In Bezug auf umweltschädigende Gütertransporte nannte der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. beispielhaft einige Fälle, wie den der Nordseekrabben, die in der deutschen Nordsee gefangen werden, nach Afrika per Lastkraftwagen verbracht, dort geschält und letztendlich wieder zurück nach Deutschland für den Verkauf transportiert werden. Oder ein schwäbischer Erdbeerjoghurt, dessen Milch und Zucker aus Schwaben stammen. Die enthaltenen Erdbeeren aus Polen werden in Nordrhein-Westfalen verarbeitet. Die Etikette, bestehend aus Papier aus Niedersachsen und Leim aus Belgien, werden in Bayern erstellt. Der Aluminiumdeckel und die Joghurtkulturen werden jeweils aus mehr als 800 Kilometer Entfernung nach Stuttgart befördert.65 Das Preisproblem wird verstärkt durch Instrumente der Verkaufsförderung, wie beispielsweise der geplanten Begrenzung der Lebensdauer von Gütern (Obso­ leszenz), die den Konsumenten gezielt beeinflusst und zu verschwenderischem Verhalten verleiten66 (siehe auch B. IV.). Inwiefern die Lebensdauer der Kleidungsstücke tatsächlich vorsätzlich verkürzt wird, ist bestreitbar. Unbestreitbar ist die Tatsache, dass die preisgünstigen Kleidungsstücke über unterdurchschnittliche Lebensdauern verfügen, was auf die Qualität in der Verarbeitung und der Inhalts-

59

Vgl. Remy et al. 2016. Vgl. Kapp 1958, S. 201. 61 Die Auswirkungen auf die Umwelt sind enorm: Bei der Produktion sind der Wasserverbrauch und der Einsatz von Chemikalien sowie Ausstoß von Treibhausgasen besonders hoch. Vgl. Remy et al. 2016. 62 Vgl. ebd. 63 Siehe dazu u. a. Schellnhuber 2015 zur „Dreiecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff“. 64 Vgl. Remy et al. 2016. 65 Vgl. Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. 2006, S. 3. 66 Vgl. Kapp 1979, S. 163, 173. 60

II. Wesentliche Charakteristika des Systems der Überflussökonomie 

155

stoffe zurückzuführen ist. Zum Teil werden Kleidungsstücke (vgl. Beispiel) für bestimmte Anlässe erworben, um sie nach ein-/mehrmaligem Gebrauch zu entsorgen. Für den Erfolg des Unternehmens maßgeblich ist gezielte Beeinflussung des Konsumenten durch eben jene Tiefstpreise. Am Beispiel vom Primark bedarf es keiner Verkaufsförderung im herkömmlichen Sinne (Radio- oder Fernsehwerbung), in den digitalen Netzwerken verbreitet sich das Angebot für das Unternehmen weitestgehend kostenneutral. Hinzu kommen imageprägende Negativ-Schlagzeilen, die dem Unternehmen eher zu helfen, als zu schaden scheinen. Anknüpfend an den oben genannten Aspekt der Verkaufsförderung gibt es eine weitere den Preis anbelangende Beobachtung, die auch auf unser Beispiel zutrifft und im Kaufprozess selbst zu finden. Danach kommt dem Kaufprozess (der Akt des Gütererwerbs an sich) das eigentliche, aus der Bedürfnisbefriedigung resultierende Glücksmoment zu und viel weniger dem nach dem Kauf zustande gekommenen Besitz und der Nutzung des Gutes. Die ohnehin schon geringe physische und psychische Bindung zum Kaufobjekt erfährt eine weitere Vertiefung. Dieses Verhalten (Kaufprozess als Glücksmoment) wird hauptsächlich gespeist durch sehr geringe Preise (wie im Beispiel) oder durch Preisnachlass-/Gutscheinangebote („ein gutes Geschäft machen“). Miller stellte Ähnliches empirisch fest, nämlich dass die Ersparnis eigentlich der Zweck des Einkaufens („experience of saving money“67) sei68. Insgesamt fungiert der Preis in der Überflussökonomie als eine der wichtigsten kaufleitenden Funktionen. 2. Die Diskrepanz zwischen erwarteter und realisierbarer Bedürfnisbefriedigung a) Der Aspekt der Güterhäufung – Materialismus als Sinngeber Aufgrund der durch die Digitalisierung immer umfassenderen Möglichkeiten der Verkaufsförderung und des technischen Fortschritts ist damit zu rechnen, dass eine weitere „Optimierung des Kaufverhaltens“ stattfinden wird. „Sie [Anmerkung des Autors: die Unternehmen] betreiben das so systematisch, dass Obsoleszenz heute in praktisch jedem Produkt durchgeplant drinsteckt und in erheblichem Maße unseren Alltag und den Umgang mit käuflich erworbenen Gegenständen bestimmt“69, konstatierte Reuß. Nicht nur die Obsoleszenz, sondern auch weitere Aspekte lassen sich zu den Instrumenten zur Optimierung des Kaufverhaltens zählen, wovon nachfolgend acht Ausgewählte dargestellt sind: Die „psychologische Obsoleszenz“ bezeichnet erstens die suggerierte Weiterentwicklung und Verbesserung von Produkten (Produktinnovation) häufig nur durch

67

Miller 1998, S. 61. Vgl. a. a. O., S. 55 ff. 69 Reuß 2015, S. 78. 68

156

C. Im Kontext der Überflussökonomie  

neue / veränderte Namensgebung oder Serien, neue Betriebssysteme oder Versionen, Moden, Unternehmensspezifika, produkt-, nicht aber problemorientierte Innovationen für Wachstum in bestehenden (gesättigten) Märkten (z. B. Autoindustrie: Einparkhilfen). Und zweitens bezeichnet sie damit auch eine auf Distinktionsgewinn ausgerichtete Verkaufsförderung: Ein Produkt wird ersetzt, auch wenn es noch funktioniert (z. B. neues Modell eines Mobiltelefons), um einen Distinktionsgewinn zu erlangen. Im Rahmen der „technischen Obsoleszenz“ erhalten Produkte Sollbruchstellen einzelner Kleinteile (Produktsabotage), deren Reparatur kostenintensiv ist, sodass die Wahl auf ein Produkt mit „neuer“ Innovation fällt (siehe psychologische Obsoleszenz). Damit verbunden ist ein Gewöhnungseffekt beim Kunden, denn Reparaturen sind heute nicht mehr möglich, weil sie zu komplex oder zu teuer sind oder es einfach keine Ersatzteile mehr gibt. Probleme mit dem Produkt gelten als Hinweis zum Neukauf 70. Als „Obsoleszenzbeschleuniger“71 gelten beispielsweise größere Flaschenöffnungen für einen höheren Verbrauch.72 Die auf „Mehrfachbesitz“ ausgerichtete Verkaufsförderung zielt auf den Besitz von mehreren Gütern derselben Art ab, insbesondere bei technischen Geräte, wie zum Beispiel mehrere Fernseher in einer Wohnung (verschiedener Größe, Qualität). Bei „Einweggütern“ besteht keine Notwendigkeit der Obsoleszenz, denn diese Gütern sind zur einmaligen Nutzung bestimmt, wie zum Beispiel Kaffeebecher oder Geschirr, aber auch Bekleidung („Fast Fashion“). Mit „Etikettenschwindel“ kann die Verwendung unternehmensspezifischer, nicht generalisierter / geprüfter / prüfbarer Label und Marken benannt werden, die eine besondere Produkteigenschaft oder -herkunft suggerieren, wie beispielsweise „Made in Germany“, „Aus der Region“, „Aus der Heimat“, „Regional“ oder „Bio“73. Positiv konnotierte Begriffe sollen vertrauensbildend und letztendlich verkaufsfördernd wirken. Des Weiteren ist die „finanzielle Verschleppung“ zu nennen. Nicht nur kostenintensive Güter (wie Autos), sondern auch kostengünstige Produkte (wie Haushaltsgeräte, Mobiltelefone) werden zum Kauf auf Kredit oder Raten angeboten. Die Produkte sind teilweise noch vor dem Ende der Finanzierung defekt. Zudem führt das Angebot von „finanziellen Nachlässen“ (wie Gutscheine, Rabattierung, Sonderangebote) dazu, dass Produkte aufgrund der Ersparnis erworben werden, die Notwendigkeit des Erwerbs bestand jedoch (ohne den vorgefundenen Nachlass) nicht. Als letztes sind „Doppelmoral“ und „ethische Reinwaschung“ zu nennen, wodurch moralischer Konsum und damit die Beförderung von „ethisch korrekten“ sowie „nachhaltigen“ Lebensstilen (z. B. vegane oder glutenfreie Ernährung; wie auch Bio-Ernährung) zur „Reinwaschung“ („Greenwashing“) des Konsumenten ermöglicht werden, der ansonsten umwelt- und ressourcenverzehrende Flugreisen,

70 Die Erstnutzungsdauer von technischen Geräten im Durchschnitt in Jahren: 2004: 14,1; 2008: 14,4; 2012/2013: 13,0. Vgl. Reuß 2015, S. 80. 71 A. a. O., S. 81. 72 In Anlehnung an a. a. O., S. 79–83 und Vilmar 1972, S. 15–16. 73 Vgl. Öko-Test Verlag GmbH 2016.

II. Wesentliche Charakteristika des Systems der Überflussökonomie 

157

Kreuz- und Autofahrten unternimmt und Produkte mit hohem Umwelt- und Energieverschleiß konsumiert74. Alle Aspekte dienen dem Ziel der Anregung einer Nachfrage, die zuvor in den allermeisten Fällen gar nicht bestand. Ein Beispiel für den Umgang mit den Dingen und dem einhergehenden Werteverfall bildet die – in diesem Fall nicht unternehmensseitig, sondern staatlich forcierte – sogenannte „Abwrackprämie“ im Jahr 2009 vor dem Hintergrund der Krise der deutschen Autoindustrie. Durch „eine Erzählung zwischen ökologischem Heilsversprechen und belohnenden Staat“75 wurde der Konsument zum Obsoleszenzbeschleuniger. Es kam staatlicherseits zur Auszahlung einer finanziellen Prämie, sofern alte, jedoch noch funktionstüchtige Fahrzeuge verschrottet wurden und es zu einem Fahrzeugneuerwerb kam. Im Interesse der Wirtschaft wie auch des Staates dürfte es nicht sein, Maßnahmen zur Eindämmung des Materialismus, das heißt der privaten Konsumausgaben (und damit der daraus resultierenden Folgen) zu initiieren, da der private Konsum ein sehr wichtiger Wirtschaftsfaktor ist und in den letzten Jahren weiter an Relevanz hinzugewann. Mithin sorgte die Massenmigration nach Deutschland76 und damit die Vergrößerung des Konsumentenkreises seit 2015 für „ein kräftiges Wirtschaftswachstum“ gemessen am BIP (von 2016 bis 2017 plus 2,2 Prozent, preisbereinigt)77. „Die deutsche Wirtschaft ist damit das achte Jahr in Folge gewachsen“78. In der Statistik spiegelt sich das wie folgt wider: Die privaten Konsumausgaben stiegen von 2015 bis 2016 um 2,7 Prozent und von 2006 bis 2017 um 3,8 Prozent79. Insbesondere der Konsum von Getränken, Nahrungsmitteln und Tabakwaren nahm zu (von 2015 bis 2016: plus 1,9 Prozent und von 2016 bis 2017 plus 4,5 Prozent). Die Konsumausgaben für Freizeit, Kultur und Unterhaltung stiegen ebenfalls (von 2015 bis 2016: plus 3,5 Prozent und von 2016 bis 2017 plus 4,1 Prozent). Auch Konsumausgaben des Staates für zivile Zwecke nahmen zwischen 2015 (557,5 Mrd. EUR) und 2017 (606,2 Mrd. EUR) deutlich zu.80 74 Der Umstand lässt sich am Beispiel der Wähler der Partei „Die Grünen“ nachweisen: Ihre Wählermilieus nehmen im Vergleich zu Anhängern anderer Parteien am meisten an umweltschädlichen Flugreisen teil. Zudem sei unter jenen gesellschaftlichen Milieus, die über hohe Einkommen verfügen sowie auch die, die als aufgeklärt, tolerant und weltoffen („Kritischkreatives Milieu“) bezeichnet werden, eine überdurchschnittlich hohe Zahl an Vielfliegern vorhanden, auch andere Verbräuche sind überdurchschnittlich hoch. Vgl. Plickert 2019 sowie vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit 2016, S. 3, 15, 40. „Bemerkenswert ist, dass er [Anm. des Autors: „der personenbezogene Gesamtenergieverbrauch“] in den sozialen Milieusegmenten mit verbreitet positiven Umwelteinstellungen überdurch­schnittlich hoch ist.“ A. a. O., S. 3. 75 Reuß 2015, S. 82. 76 Vgl. z. B. Zeit Online 2016b und Zeit Online 2016a. 77 Statistisches Bundesamt 2018b, S. 99. 78 Ebd. 79 Das bedeutet preisbereinigt einen Anstieg der privaten Konsumausgaben von 2015 bis 2016 um 2,1 % und von 2016 bis 2017 um 2,0 %. Vgl. a. a. O., S. 85. 80 Vgl. ebd.

158

C. Im Kontext der Überflussökonomie  

Das dargestellte Thema der Güterhäufung als ein Kennzeichen der Überflussökonomie lässt sich über das Beispiel der Bekleidung hinaus auf viele weitere Kategorien erweitern. Heute besitzt ein Europäer durchschnittlich etwa 10.000 Dinge81. Viele dieser Güter, die schon nicht mehr als Luxusgüter, sondern schlichtweg als Überflussgüter deklariert werden müssen, sind zudem noch in mehrfacher Ausführung in den Haushalten vorhanden82. Die historische Analyse ergab, dass vor zweihundert Jahren der Dingbesitz noch auf einen Grundbedarf (an Kleidung, Möbeln, Werkzeug, Nahrung, usw.; in Abbildung 6 mit Menge „G“ bezeichnet) beschränkt war. Die Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit von Luxusgütern (Menge „L“) für breite Bevölkerungsschichten begann mit der Industrialisierung um 1850. Die erwartete und realisierbare Bedürfnisbefriedigung (Geraden „eB“ und „rB“) aus dem Güterbesitz resultierend (nun G + L) lagen hier annährend auf einem Niveau. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es den zweiten Schub der Güterhäufung (für den Raum der DDR gilt dies erst ab 1990) durch die massive Güter-Standardisierung und -Massenproduktion. Seitdem gehen die erwartete und realisierbare Bedürfnisbefriedigung durch den Besitz von Gütern auseinander. Dieser Bestand wird hier als Überflussmenge „Ü“ beziehungsweise Kompensationsraum „K“ benannt. Demnach ist der Teil des Dingbesitzes, der eine Grundmenge G und eine Menge an Luxusgütern L übersteigt, mit „Ü“ im Sinne von Überfluss zu markieren. Zugleich werden immer neue Ersatzbefriedigungen in Form von Dingen erworben, um ganz offensichtlich nicht gestillte Grundbedürfnisse – und damit ist nicht das Grundbedürfnis an materiellen Gütern gemeint, sondern vielmehr auch verschiedene Elemente von Heimat – zu kompensieren. „Jedes Grundbedürfnis ‚entartet‘, wenn es nicht erfüllt wird. In aller Regel werden dann verfügbare Ersatzbefriedigungen gesucht, die aber nie originär stillen können und deshalb immer mehr gesteigert werden müssen, um überhaupt noch eine kurze und nur relative Befriedigung zu gewähren“83.

Die Gerade rB verläuft ab etwa 1950 nicht mehr deckungsgleich der Gerade eB, sondern verläuft in etwa parallel zur Abszissenachse. Die Menge L stieg bis heute noch leicht an, da einige Güter zu „notwendigen“ Luxusgütern zu zählen sind, die es damals noch nicht gab, wie Telefon, Personalcomputer oder Fernseher. Die Quintessenz der Prinzipskizze lautet, dass die realisierbare Bedürfnisbefriedigung durch den Besitz an der Menge G + L übersteigender Güter nicht der erwarteten Bedürfnisbefriedigung entspricht.

81

Vgl. Bigalke 2011. Einige Beispiele: Pro Haushalt in Deutschland waren im Jahr 2017 ca. 1,8 Fernseher, ca. 1,7 Fotoapparate, ca. 2,4 Personalcomputer, ca. 1,8 Spielkonsolen und ca. 3,0 Telefone vorhanden. Vgl. Statistisches Bundesamt 2017b, S. 12, 18. Im Jahr 2008 gab es in deutschen Haushalten insgesamt 60,1 Millionen Mobiltelefone und 44,7 Millionen stationäre Telefone. Vgl. Statistisches Bundesamt 2009, S. 9. 83 Maaz 2017, S. 109. 82

159

II. Wesentliche Charakteristika des Systems der Überflussökonomie  x

eB

x3

Ü=K

L

G

1850

1800

1950

rB x2

x1

heute

t

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 6: Prinzipskizze über den Zusammenhang von erwarteter und realisierbarer Bedürfnisbefriedigung durch den Besitz materieller Güter im Zeitverlauf Legende: x

= Gütermenge

t

= Zeit (um 1800 bis heute)

Menge G

= die Grundbedürfnisse des Menschen stillende Menge x1 (erwartete und realisierbare Bedürfnisbefriedigung sind deckungsgleich)

Menge L

= die Menge der Grundbedürfnisse x1 übersteigende Menge x2 an Luxus­gütern (erwartete und realisierbare Bedürfnisbefriedigung sind deckungsgleich)

Menge Ü

= x1 und x2 übersteigende Menge x3 an Überflussgütern (erwartete und realisierbare Bedürfnisbefriedigung gehen auseinander)

Menge K

= Kompensationsraum zwischen eB und rB, entspricht vom Individuum zu füllender Diskrepanz aus materieller Übersättigung bei gleichzeitigem Rückgang der Fähigkeit, an diesen Dingen Glück / Befriedigung zu empfinden und der hieraus resultierenden Frustration und Langeweile (Suchtzustand)

Gerade eB

= erwartete Bedürfnisbefriedigung durch die Anhäufung materieller Güter

Gerade rB

= realisierbare Bedürfnisbefriedigung durch die Anhäufung materieller Güter

160

C. Im Kontext der Überflussökonomie  

Bleiben wir beim Beispiel der Bekleidung, so verfügt der Deutsche des 21. Jahrhunderts üblicherweise über die Menge G an Kleidung zur Stillung der Grund­ bedürfnisse wie der Schutz vor Kälte oder Wärme, über die Menge L an Kleidung zur Stillung der über die Grundbedürfnisse hinausgehende Bedürfnis nach Luxusgütern wie anlassbezogene Kleidung zum Beispiel für die berufliche Tätigkeit oder Feierlichkeiten sowie über die Menge Ü an Kleidung, die als Überfluss zu bezeichnen ist. Gehen wir an dieser Stelle einmal in den volkswirtschaftlichen Duktus über, so bezeichnet sich danach die Bedürfnisbefriedigung als „Nutzen“, der sich als „[n]umerischer Wert für die einem Konsumenten aus einem Warenkorb erwachsende Befriedigung“84 definiert. Die aus dem Erwerb einer weiteren Einheit des Gutes generierte weitere Befriedigung bezeichnet sich als „Grenznutzen“85. Im Sinne des etablierten (Grenz-)‌Nutzenverständnisses steigt der (erwartete) beziehungsweise existiert ein (erwarteter) Nutzen beim Erwerb eines Gutes. „Mehr ist besser als weniger“ bildet als eine Annahme die Grundlage der volkswirtschaftlichen Konsumententheorie. „Folglich ziehen die Konsumenten eine größere Menge eines Gutes immer einer kleineren Menge vor.“86 Ein zusätzliches, der Menge K zuzuordnendes Gut generiert danach beim Konsumenten einen zusätzlichen Nutzen. Der seitens des Konsumenten erwartete Nutzen (erwartete Bedürfnisbefriedigung) mag hiermit übereinstimmen, jedoch findet die tatsächliche Bedürfnisbefriedigung – wie schon aufgezeigt – aufgrund des existierenden materiellen Überflusses (und der psychischen Überforderung) nicht (maßgeblich) während des Besitzes und der Nutzung, sondern – wenn überhaupt – beispielsweise bereits im Rahmen des Kaufprozesses statt. Gossen stellte mit seinem „Gesetz der Abnahme der Größe des Genusses“87 für immaterielle und materielle Güter gleichermaßen das Folgende fest: „Eine ähnliche Abnahme der Größe des Genusses tritt ein, wenn wir den früher bereiteten Genuß wiederholen, und nicht bloß, daß bei wiederholter Bereitung die ähnliche Abnahme eintritt, auch die Größe des Genusses bei seinem Beginnen ist eine geringere, und die Dauer, während welcher etwas als Genuß empfunden wird, verkürzt sich bei der Wiederholung, es tritt früher Sättigung ein, und beides, anfängliche Größe sowohl, wie Dauer, vermindern sich um so mehr, je rascher die Wiederholung erfolgt“88.

Sein Gesetz bestätigt unsere bisherigen Feststellungen insoweit, dass die realisierbare Bedürfnisbefriedigung nicht der vom Konsumenten mittels fortwährenden Gütererwerbs erwarteten Bedürfnisbefriedigung entspricht, mit jeder zusätzlichen Gütereinheit die bereitete Befriedigung geringer und kürzer ist und somit eine frühere Sättigung eintritt. Eine Erklärung für das Verhalten der Güterhäufung findet sich im breitgefächerten Nutzenbegriff. Am Beispiel des Kleidungsstückes bedeutet das, dass es eben 84

Pindyck / Rubinfeld 2005, S. 901. Vgl. a. a. O., S. 896. 86 A. a. O., S. 106. 87 Gossen 1854, S. 7. 88 A. a. O., S. 56. 85

II. Wesentliche Charakteristika des Systems der Überflussökonomie 

161

nicht nur den „technischen“ Hauptnutzen als Schutz- und Wärmespender, sondern auch und heute vor allem einen symbolisch-psychologischen Charakter im Sinne der Behauptung innerhalb einer sozialen Gruppe (Distinktionsfunktion) innehat. Sloterdijk bezeichnete „Massenfrivolität“ als „das psychosemantische Agens des Konsumismus“89. Die Haupterklärung für das Verhalten der Güterhäufung, obwohl die realisierbare Bedürfnisbefriedigung stagniert, lässt sich vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen aber insbesondere in einem der Massenkonsumgesellschaft inhärenten Zustand der Sucht finden. Er wird unter anderem durch drei grundhafte Verhaltensmuster90 gebildet und verfestigt: 1. ökonomische Rationalität im Sinne des Entkoppelns des ökonomischen Handelns vom vernünftigen Handeln und damit Negation der ethisch-sozialen Dimension des ökonomischen Handels, 2. Kosten / Nutzen-Denken und Nutzenmaximierung als Leitfunktion der Lebensführung und also dadurch Unterwerfung des sozialen Handels sowie 3. das Menschenbild des „homo oeconomicus“, worin die Individuen sozial allein im ökonomischen Geschäft aufeinandertreffen. Kommen wir zurück zur Abbildung 7, so bildet die Menge K die vom Individuum zu füllende Lücke aus materiellem Überfluss bei gleichzeitigem Rückgang der Fähigkeit, an den die Mengen G und L übersteigenden Gütern tatsächliche Befriedigung und Glück zu empfinden. Aufgrund der aus dieser Tatsache resultierenden Zustand der Frustration ergibt es sich, dass mit der steigenden Menge an materiellem Besitz die tatsächlich realisierbare Bedürfnisbefriedigung nicht synchron ansteigt. Deshalb kommen in diesem Zustand beschriebene Verhaltensweisen, wie beispielsweise der Kaufprozess als Glücksmoment, zustande. Der Zustand der Sucht – beispielsweise Maaz wies den krankhaften seelischen Zustand der Gesellschaft nach („Konsum als Droge“91) –, ist das Ergebnis der aufgezeigten Entwicklung der vergangenen rund 200 Jahre und speist sich durch ein über Jahrzehnte etabliertes Wachstumsdogma bei gleichzeitigen (immateriellen) Bindungsverlusten und dem Bedeutungsrückgang von ideellen, mit dem Güterumgang essentiell zusammenhängenden Werten wie Schonung, Genügsamkeit und Sparsamkeit. Der aus der Bindungslosigkeit resultierende Suchtzustand wurde durch die am Markt agierenden Akteure erkannt und wird ganz gezielt mithilfe der eingangs beschriebenen, klientelspezifischen Instrumente der Verkaufsförderung genutzt. „Ziel der Produktion [ist] nicht die Schaffung von nützlichen Dingen […] zur Bedürfnisbefriedigung, sondern nur von Gebrauchswerten, die auch unmittelbar verkauft werden können“92, stellte Woll fest. 89

Sloterdijk 2016, S. 123. In Anlehnung an Ulrich 2016, S. 137–139. 91 Maaz 2017, S. 148. „Konsum ist eben nicht nur sinnvoll und notwendig, sondern erreicht schnell schädliche Dimensionen. Dient der materielle Verbrauch dazu, seelische Defizite zu kompensieren, werden destruktive Suchtmechanismen in Gang gesetzt.“ Maaz 2010, S. 232. 92 Woll 1981, S. 65. 90

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C. Im Kontext der Überflussökonomie  

b) Das Ziel des guten Lebens: Befunde der Glückforschung Der Grund und zugleich das Ziel der wirtschaftlichen Tätigkeit des Menschen ist die Befriedigung von Bedürfnissen verbunden mit dem sich einstellenden Glücksgefühl. Vor diesem Hintergrund und eingedenk der Tatsache der aufgezeigten Diskrepanz zwischen der erwarteten und realisierbaren Bedürfnisbefriedigung ist es in diesem Kontext notwendig, die Erkenntnisse der Glückforschung bei der Erstellung des Heimat-Konzeptes einzubeziehen. Während im Englischen zwischen den beiden Wörtern „happy“ (= Glück haben im Sinne des Zufalls, z. B. infolge eines Lottogewinns) und „lucky“ (= glücklich sein / sich glücklich fühlen) unterschieden wird, existiert in der deutschen Sprache nur das eine Wort „Glück“. Die sogenannte Glücksforschung befasst sich nicht mit dem Glück im Sinne des Zufalls, sondern im Sinne des Glücklichseins oder synonym der Lebenszufriedenheit oder des Wohlbefindens. Der Ausgangspunkt der Glücksforschung liegt in der Erkenntnis, dass der Mensch nach Glück strebt und als oberstes Ziel das Erlangen von Glück beziehungsweise Lebenszufriedenheit verfolgt93. Das Ziel dieser Forschung besteht darin, herauszufinden, was das Glück fördert oder hemmt, woraus sich Handlungsempfehlungen für den Einzelnen, für Unternehmen oder für die (Wirtschafts-)Politik ergeben sollen. Konsens besteht innerhalb der Glücksforschung beispielsweise in der Feststellung – nicht nur deshalb ist sie in unserem Kontext zu interessant –, dass heute nicht die Anhäufung materieller Güter, sondern zum Beispiel „ein ‚Mehr‘ an sozialen Kontakten und Mitmenschlichkeit“94 Glück stiftet. In den letzten Jahren hielt das Forschungsfeld über die Arbeit der Wissenschaftler hinaus auch Einzug in öffentliche Debatten. Die Forschung sei insgesamt „erst am Anfang“95 betonten Frey und Marti. Ruckriegel konstatierte, dass die Ergebnisse der Glücksforschung „bisher noch keine Rolle“96 in der deutschen Wirtschaftspolitik spielen. Vielmehr dominiere politisches Handeln der Fokus auf der Steigerung der Kaufkraft. Layard, der Autor eines der Standardwerke der Glücksforschung97, bemerkte in diesem Kontext: „Leider haben viele Wirtschaftswissenschaftler die Angewohnheit, das Glück einer Gesellschaft mit ihrer Kaufkraft gleichzusetzen“98. Als maß-

93

„Das oberste Ziel des Menschen ist Glück (oder Zufriedenheit)“, Bergheim 2006, S. 2. Dabei handelt es sich grundsätzlich um keine neue Feststellung, dass der Mensch danach strebt, Lebensglück zu erreichen und es maximal zu steigern. Dergleichen formulierte z. B. Gossen 1854, S. 1 und 3: „Der Mensch wünscht sein Leben zu genießen und setzt seinen Lebenszweck darin, seinen Lebensgenuß auf die möglichste Höhe zu steigern. […] Für die Handlungsweise des Menschen folgt aus diesem Lebenszweck die eine und darum Hauptregel: Der Mensch richte seine Handlungen so ein, daß die Summe seines Lebensgenusses ein Größtes werde.“ 94 Ruckriegel 2009, S. 3. 95 Frey / Marti 2010, S. 463. 96 Ruckriegel 2009, S. 3. 97 Vgl. Layard 2005. 98 A. a. O., S. 9.

II. Wesentliche Charakteristika des Systems der Überflussökonomie 

163

gebende Kennzahl für das Wirtschaftswachstum sowie gleichzeitiger Indikator der Wohlfahrt einer Gesellschaft und also der Lebenszufriedenheit des Einzelnen gilt die Wachstumsrate des realen BIP (= Bruttoinlandsprodukt)99. Ruckriegel plädierte für eine Erweiterung des BIP um zusätzliche Elemente. Denn die alleinige oder hauptsächliche Fokussierung auf die Wachstumsrate des BIP stellte sich nicht als aussagekräftiges Maß für menschliches Glück heraus, da, betrachtet man sie in Zusammenhang mit statischen Erhebungen zur Lebenszufriedenheit in verschiedenen westlichen Industriestaaten, die tatsächliche Glücksempfindung nicht in einem adäquaten Maße anstieg. „Seit der Einführung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gibt es einen breiten Konsens: Es ist kein Maß für Wohlstand, Wohlergehen oder Lebensqualität der Menschen eines Landes“100, resümierten Bergheim und viele weitere Autoren101. Auch entspricht der Zuwachs der Pro-Kopf-Einkommen nicht einem Zuwachs an Lebenszufriedenheit: „Obwohl das Pro-Kopf-Einkommen in den vergangenen Jahrzehnten stark anstieg, ist das durchschnittliche Glücksniveau konstant geblieben oder sogar gesunken“102. Eine Erklärung dafür sei im „Easterlin-Paradoxon“ zu finden, wonach Gewöhnung und Vergleich die Ursachen dafür sind, dass – ist ein gewisses Maß an materieller Existenz und Wohlstand erlangt – das relative und nicht mehr das absolute Einkommen für den Menschen ausschlaggebend ist.103 Mit dem Gewöhnungseffekt in Verbindung steht die Tatsache der Verflüchtigung des Glückszustandes104. Auf die Schwächen insbesondere des BIP soll in diesem Abschnitt kurz eingegangen werden, um zu verstehen, wie problematisch eine die Politik dominierende Orientierung an der Steigerung des Wirtschaftswachstums, ausgedrückt vor allem durch das BIP, ist. Ebenso sollen auf alternative Konzepte zur Messung von Lebenszufriedenheit beleuchtet werden. Wobei ein besonderes Augenmerk auf der Frage liegt, welche Bedeutung dem Begriff „Heimat“ beziehungsweise den Dimensionen von Heimat innerhalb der Glücksforschung zukommt. Sei Heimat, dem formulierten hypothetischen Definitionsansatz (siehe A. IV.) folgend, ein irdische und transzendente Bindungen in sich vereinendes anthropologisches Grundbedürfnis, so müsste sie (mit ihren Komponenten) doch maßgebend zum Wohlbefinden der Menschen beitragen und also einen relevanten Einflussfaktor innerhalb der Glücksforschung einnehmen. Das BIP bemisst den „Wert der im Inland hergestellten Waren und Dienstleistungen (Wertschöpfung), soweit diese nicht als Vorleistungen verwendet und sie

99 Oder alternativ in Ähnlichkeit das BSP (Bruttosozialprodukt) / BNE (Bruttonationaleinkommen). 100 Bergheim 2010, S. 75. 101 Wie z. B. vgl. Layard 2005, S. 20–21, vgl. Miegel 2011, S. 30–31 und vgl. Frey / Frey Marti 2015, 36–37 oder vgl. Schumacher 1980, S. 169 ff. und vgl. Woll 1981 in Bezug auf das BSP. 102 Frey / Marti 2010, S. 460. 103 Vgl. Ruckriegel 2009, S. 3–5. 104 „Hedonic Treadmill“, Bergheim 2006, S. 8.

164

C. Im Kontext der Überflussökonomie  

auf dem Markt gehandelt werden“105 und (das BIP bzw. seine Wachstumsrate) ist das „am häufigsten verwendete Maß für den Erfolg einer Volkswirtschaft“106. Die allgemeine Annahme besteht nun darin, dass mit dem Anstieg des BIP und damit der Wirtschaftsleistung der Volkswirtschaft zugleich ein Anstieg von Wohlergehen impliziert sei107. Folgende Mängel lassen sich jedoch in Bezug auf das BIP benennen und führen zu der Feststellung, dass ein Anstieg des BIP nicht automatisch positive Effekte für die Gesellschaft und das Individuum indiziert108: 1. Enthalten sind BIP-steigernde Ausgaben für belastende oder wohlstandsmindernde Sachverhalte, wie z. B. für Krankheiten, Medikamente aufgrund physischer / psychischer Probleme, Sicherheit und Terrorismus, Umweltkatastrophen, Unfälle, Versicherungsleistungen (die Auswirkungen dieser Sachverhalte, siehe 4., sind wiederum nicht enthalten). 2. Enthalten sind zudem z. B. im Inland generiertes Einkommen, das an ausländische Kapitaleigentümer geht, sowie Abschreibungen (machten im Jahr 2000 rd. 15 Prozent des gesamten deutschen BIP aus109). 3. Nicht enthalten sind nicht-monetäre Aktivitäten, d. h. Ehrenamt, Hausarbeit oder auch Schwarzarbeit. 4. Nicht enthalten sind soziale Kosten wie z. B. Luft-/Wasser-/Bodenverschmutzung, Rohstoffabbau, Versiegelung von Böden (die Ausgaben für diese sozialen Kosten, siehe 1., sind wiederum enthalten). Die im vorangegangenen Abschnitt dargestellten Kennzeichen der Überflussökonomie spiegeln sich in der mangelhaften Aussagekraft des BIP wider. Allein das Problem der wohlstandsmindernden sozialen Kosten lässt den Schluss zu, dass das BIP nicht als Maß für das Wohlergehen brauchbar ist. Die Kosten des Heimatverlusts (siehe C. III.) wie zum Beispiel Gesundheits- oder Sicherheitsausgaben, führen letztlich zu einer BIP-Erhöhung, liegen aber erst einem Wohlergehensrückgang zu Grunde (soziale Spannungen: sinkende Solidarität, Rückgang des sozialen Friedens usw.). Woll arbeitete in Bezug auf die vergleichbare Kennzahl des Bruttosozialprodukts (BSP) weitere bereits behandelte Probleme heraus. Im Hinblick auf die Preisbildung konstatierte er, dass eine notwendige Unterscheidung zwischen Wert und Preis nicht gemacht werde – „gesellschaftliche Wohlfahrt ist über Marktpreisbewertung nicht zu erfassen“.110 Mittlerweile existieren viele alternative Konzepte und Indizes zur Wohlstandsmessung, wie zum Beispiel der „Human Development Index“, der „Weighted Index of Social Progress“ oder der „Happy Planet Index“. Teilweise beziehen sie auch 105

Seidl / Zahrnt 2010, S. 24. Bergheim 2006, S. 1. 107 Vgl. Seidl / Zahrnt 2010, S. 31. 108 In Anlehnung an Bergheim 2006, S. 1–3 und Seidl / Zahrnt 2010, S. 29. 109 Vgl. Bergheim 2006, S. 3. 110 Woll 1981, S. 31 und vgl. a. a. O., S. 33–40. 106

II. Wesentliche Charakteristika des Systems der Überflussökonomie 

165

soziale Kosten mit ein, wie beispielweise der „Measure of Domestic Progress“.111 Dass sich mittlerweile auch in der deutschen Politik ein Bewusstsein über die Notwendigkeit ausgewogener Konzepte herausbildet, unterstreicht die Installation der im Deutschen Bundestag zwischen 2010 und 2013 eingesetzten Enquete-Kommission zum Thema „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“. Die Kommission legte einen mehr als 800 Seiten umfassenden Schlussbericht vor und thematisierte darin einige bereits erwähnte Problemstellungen und Alternativansätze.112 Ungeachtet der Vielzahl an Alternativansätzen sowie der Schwächen in der Aussagekraft des BIP ist es nach wie vor insbesondere aufgrund der Einfachheit in der Darstellung und im Vergleich mit anderen Staaten das Maß aller Dinge und also richtungsgebende Messzahl für politische Entscheidungen113. Ein weiteres Beispiel eines Alternativ-Ansatzes bildet der Regionale Wohlfahrtsindex (RWI). Der RWI umfasst soziale, ökologische und ökonomische Faktoren und geht auf den „Nationalen Wohlfahrtindex“ (NWI) zurück114. Berücksichtigt werden insgesamt 20 Komponenten, Rodenhäuser et al. erstellten den RWI für den Freistaat Sachsen 1999 bis 2010115: 1. „Index der Einkommensverteilung“, 2. positiven Einfluss haben: – „Gewichteter privater Konsum“ (Konsumausgaben der privaten Haushalte), – „Wert der Hausarbeit“, „Wert der ehrenamtlichen Arbeit“ (beides anhand von Zeitbudgeterhebungen und geschätzt auf Sachsen), – „Öffentliche Ausgaben für Bildungs- und Gesundheitswesen“; 3. positiven / negativen Einfluss haben: – „Kosten und Nutzen dauerhafter Konsumgüter“ (gemäß Einkommens- und Verbrauchsstichprobe), – „Schäden durch den Verlust landwirtschaftlich nutzbarer Fläche“; 4. negativen Einfluss haben: – „Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte“, – Kosten bzw. Schäden durch Verkehrsunfälle, Kriminalität, Alkohol, Drogen-, und Tabakkonsum, Boden-, Luft-, Lärm-, und Wasserbelastungen, Treibhausgase, 111

Vgl. Bergheim 2006, S. 5–7. Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität  – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“ 2013. 113 Vgl. Hüfner 2010, S. 70–71 und siehe die Ausführungen des Statistischen Bundesamtes: Statistisches Bundesamt 2018b. 114 Vgl. Rodenhäuser et al. 2013. 115 Vgl. a. a. O., S. 13, 33–35. Für den Freistaat Sachsen sind 18 Komponenten relevant. 112

166

C. Im Kontext der Überflussökonomie  

– „Ersatzkosten durch Verbrauch nicht erneuerbarer Energieträger“, – Gesellschaftliche Ausgaben zum Ausgleich von Umweltbelastungen. Im Zeitraum von 1999 und 2010 entwickelten sich das reale BIP und der RWI auseinander, während die Kurve des BIP darüberlag und stetig leicht anstieg, ging die Kurve des RWI nach unten116. Der RWI (bzw. auch der NWI) gestaltet sich insgesamt als eines der ausgewogensten und umfangreichsten Alternativ-Modelle zur Messung der Wohlfahrt und berücksichtigt diverse soziale Kosten sowie nichtmonetäre Faktoren. Kritisch zu beurteilen ist beispielsweise der positive Einfluss der privaten Konsumausgaben – wir haben gesehen, wie wichtig das Thema des Konsums (Güterhäufung) heute einzuschätzen ist. Die Berücksichtigung von Hausarbeit und ehrenamtlicher Arbeit ist als positiv zu erachten, wenngleich deren Ermittlung allein anhand von Zeitbudgeterhebungen nicht ausreichend erscheint. Des Weiteren würden die Berücksichtigung von Faktoren wie individuelle, regionale oder nationale Wertschöpfung oder Wertschöpfungstiefe das Modell ebenso bereichern, wie zum Beispiel der Einbezug der (Mitarbeiter-)Zahl ansässiger kleinund mittelständischer Unternehmen im Bundesland. Es lassen sich viele weitere Komponenten benennen, die am Ende dieses Kapitels folgen.

Familie Genetische Disposition Lokale Bindungen

Umweltsituation Gesundheit

Arbeitszufriedenheit Hobbies

(Ungleichheit)

Glücksempfinden

Abschreibungen Konsum

Nicht-Markt Aktivitäten

Bildung

Freunde

Freizeit Vermögen

Schädliches

Nettoinvestitionen

Nettoeinkommen an Ausländer

(Arbeitslosigkeit) (Unsicherheit)

Lebensqualität

Wirtschaftliches Wohlergehen

BIP

Quelle: Eigene Darstellung, vgl. Bergheim 2006, S. 2.

Abbildung 7: Glücksempfinden und Wohlergehen: verschiedene Ansätze in einer Darstellung (nach Bergheim)

Bergheim fasste mehrere auf Basis der Erkenntnisse der Glücksforschung bestehende Ansätze der Ermittlung von Glücksempfinden und Wohlergehen zusammen. In Abbildung 7 sind die Konzepte des „Wirtschaftlichen Wohlergehens“, der „Lebensqualität“ und des „Glücksempfindens“ dargestellt. Auf das „wirtschaftliche Wohlergehen“ positiv wirken das angepasste BIP, Freizeit, Tätigkeiten im 116

Vgl. Rodenhäuser et al. 2013, S. 6–7.

II. Wesentliche Charakteristika des Systems der Überflussökonomie 

167

Nichtmarktbereich sowie Vermögen. Negativ wirken Ungleichheit, Arbeitslosigkeit und Unsicherheit. Nichtmaterielle Elemente wie Bildung, Gesundheit, Lebenserwartung und Umwelt bezieht das Konzept der „persönlichen Lebensqualität“ zusätzlich mit ein. Das Konzept des „Glücksempfindens“ ist noch umfassender, positiv wirken darin Arbeitszufriedenheit, familiäre Bindungen, Freunde, private Aktivitäten, lokale Bindungen.117 Die „Glücksfaktoren“ verschiedener Autoren verdichtend ergibt sich die folgende, nicht priorisierte Zusammenfassung über die Elemente, die zu individuellem Glück maßgeblich betragen sollen: Die Familie (familiäre Beziehungen) und Freundschaften, die Einbindung und das Vertrauen in das soziale, lokale Umfeld (Nachbarschaft), die Arbeitstätigkeit (keine Arbeitslosigkeit), die finanzielle Situation (Einkommen), die Gesundheit, die persönliche Freiheit beziehungsweise Selbstständigkeit, und die Lebensphilosophie beziehungsweise Religiosität.118 Abschließend kommen wir zu den zentralen, empirischen Befunden der Glücksforschung, die weitestgehend schon Eingang in den vorgenannten alternativen Ansätzen und „Glücksfaktoren“ fanden. Für Frey und Marti ist Glück messbar, eine Definition sei jedoch nicht sinnvoll, da es „personen-, kultur- und zeitabhängig“ ist. „Anstatt von außen zu beschreiben, was Glück bedeutet, ist es sinnvoll, die einzelnen Menschen zu fragen, wie glücklich sie sich fühlen. Denn jede Person kann gut beurteilen, ob sie glücklich oder unglücklich ist.“119 Das Ziel der Menschen sei Glücklichsein, aber nicht im Sinne der dauerhaften Glücks- und Nutzenmaximierung120. Die Autoren stellten anhand von empirischen Untersuchungen fest, dass die Menschen bei ihren Entscheidungen zu sehr auf das Einkommen und den Status fokussiert sind. Immaterielle Werte, wie zum Beispiel Familie, Freizeit und Freunde würden unterschätzt. Die Gründe liegen vor allem in der Tendenz, die eigene Lebenssituation mit anderen Menschen oder Gruppen in Referenz stellen, in der Unterschätzung der Geschwindigkeit der Anpassung und Gewöhnung an neue Lebensumstände sowie in der Überschätzung der aus materiellen Besitz erwachsenden Lebenszufriedenheit.121 „Ob jemand glücklich oder unglücklich ist, hat einen großen Einfluss auf die Art und Weise, wie man sich verhält und lebt“122. Ihre empirische Forschung zeigt auf, dass zu den wichtigsten Bereichen der Glücksstiftung die Arbeit, die Gesundheit, die Familie sowie Freunde, die Freizeit und der Lebensstandard zählen123. Zudem existiert eine positive Korrelation zwischen dem Einkommen und der Lebenszufriedenheit, wenngleich dieser Effekt eher klein und tendenziell abnehmend ist. Es wurde eine Kausalität in beide

117

Vgl. Bergheim 2006, S. 1–2. Vgl. u. a. Bergheim 2007, S. 1–3, vgl. Layard 2005, S. 78 und vgl. Ruckriegel 2009, S. 6. 119 Frey / Marti 2010, S. 458. 120 Vgl. Frey / Frey Marti 2015, S. 13. 121 Vgl. Frey / Marti 2010, S. 458. 122 Ebd. 123 Vgl. a. a. O., S. 459–460. 118

168

C. Im Kontext der Überflussökonomie  

Richtungen festgestellt: Reichtum erhöht die Lebenszufriedenheit, vor allem bei starken Steigerungen, und zugleich verdienen glückliche Menschen mehr, da sie kreativer und leistungswilliger sind. Frauen waren trotz Gehaltsunterschieden nicht weniger zufrieden. Selbstständige sind zufriedener als Angestellte und Freiwilligenarbeit macht glücklich, wenngleich ihr Wert unterschätzt wird. Einen negativen Einfluss auf das Wohlbefinden haben Arbeitslosigkeit und Inflation sowie – je Kulturkreis – auch Einkommensunterschiede. Elemente direkter Demokratie, der Föderalismus und regionale Autonomie haben einen positiven Einfluss. Enge soziale Beziehungen (immaterielle Werte), vor allem die Ehe, stiften eine hohe Lebenszufriedenheit.124 „Die glücklichste Gesellschaft ist die beste“125, betonte Layard und setzte noch hinzu, dass eine Gesellschaft ohne gemeinsames Ziel sich nicht frei entfalten und glücklich werden könne126. Das gemeinsame Ziel der ganzheitlichen Glücksbildung hat sich das Königreich Bhutan gegeben. Der Staat gilt als Praxisbeispiel für die aktive Einbindung von Glück als zentrale Zielstellung der (Wirtschafts-)Politik. Der König des in Südasien gelegenen Staates gab im Jahr 1979 das Bruttonationalglück (auch: Bruttosozialglück) als das oberste Entwicklungsziel und politische Leitlinie bekannt. Stellte das Konzept des Bruttonationalglückes zunächst eine Vision des Königs dar, so fand es schließlich auch seinen Eingang in die Verfassung des Landes. „Bhutan ist eines der wenigen Länder der Erde, in dessen Verfassung ein nicht wachstumsorientiertes Wirtschaftsmodell und Umweltschutz als Ziel festgeschrieben wurden“127. Pfaff bezeichnete das Bruttonationalglück als „multidimensional und nachhaltig ausgerichtete Ordnungsstruktur Bhutans“128. Die Ziele liegen im Gleichgewicht von Wirtschaftswachstum und weiteren Entwicklungszielen, wie insbesondere in der Sicherstellung des Erhalts nationaler Identität und Kultur sowie der Umwelt auf dem Fundament buddhistischer Prinzipien und Werte.129 Die Schwerpunkte lassen sich wie folgt zusammenfassen: Physisches und psychisches Wohlbefinden (Gesundheit) und die Bildung (menschliche Entwicklung) sowie die Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit (ausgewogene Entwicklung der Regionen), die Zeitverwendung, die ökonomische Eigenständigkeit, das Gemeinschaftsleben, der Erhalt der gewachsenen kulturellen Identität und Werte (Familie, Religion, Spiritualität) sowie die momentane kulturelle Vielfalt und Widerstandsfähigkeit, Umweltschutz und ökologische Vielfalt und Widerstandsfähigkeit, der Lebensstandard und gute Regierungsführung (Dezentralisierung und Selbst­ständigkeit der Gemeinden).130 124

Vgl. Frey / Marti 2010, S. 460–462. Layard 2005, S. 240. 126 Vgl. a. a. O., S. 241, 251. 127 Richter / Borgwardt 2010, S. 51–52. 128 Pfaff 2011, S. 1. 129 Vgl. a. a. O., S. 1, 18. 130 Vgl. Pfaff 2010, S. 19, vgl. Richter / Borgwardt 2010, S. 51 und vgl. Ura / Kulessa 2010, S. 9–11. 125

II. Wesentliche Charakteristika des Systems der Überflussökonomie 

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„Wir verteidigen die kulturelle Eigenart als einen Wert in sich selbst und für die Bewahrung der Souveränität einer Nation in einer asymmetrischen Nachbarschaft von Mächten“131, heißt es in der Selbstdarstellung von Ura. Weiter formulierte er: „Modernisierung halten manche für eine Hinwendung zur industriell-technischen Gesellschaft mit den Folgen ernster und häufig irreparablen Umweltschäden. In Bhutan versucht die Entwicklungsstrategie, das Land von einem Spätstarter in Sachen Modernisierung direkt zur nachhaltigen Gesellschaft zu führen – postmodern und postindustriell –, hoffentlich im Sinne Buddhistischer Wohlfahrt.“132

Ein großer Teil der Bevölkerung lebt auf dem Land (1996: 85 Prozent) und betreibt Selbstversorgung. Aufgrund des Bevölkerungsanstieges importiert das Land vor allem Reis, zu etwa 65 Prozent kann es sich selbst versorgen133. In einigen Gegenden findet noch heute Naturalientauschhandel statt134. „Kann Bhutans Modernisierung weiterhin weise und glückliche Menschen schaffen statt rücksichtsloser Egoisten? Vielleicht können wir die besondere Bhutaner Eigenschaft erhalten, dem ganzheitlichen Pfad einer materiellen und spirituellen Entwicklung zu folgen, aber das erfordert ernsthaftes Bemühen und ständige Aufmerksamkeit.“135

Obgleich der materielle Wohlstand in Bhutan deutlich geringer ist als in Deutschland, erachten sich die Bhutaner als wesentlich glücklicher als die Deutschen: Bhutan rangierte auf der „Weltrangliste des Glücks 2006“ auf dem achten Platz, Deutschland nahm den 35. Platz ein136. Ein zentraler Bestandteil der buddhis­tischen Philosophie liegt in der Relativierung des Materiellen, woraus sich schließen ließe, dass sich buddhistische Gesellschaften ressourcenschonender und nachhaltiger entwickeln137. Allerdings sind andere buddhistische Gesellschaften wie beispielsweise China, Indien oder Myanmar keine ausgezeichneten Beispiele des nachhaltigen Wirtschaftens. Pfaff stellte die Entwicklung der beiden vergleichbaren Staaten Nepal und Bhutan gegenüber. Nepal entwickelte sich im Gegensatz zu Bhutan in Richtung einer Tourismusnation, wohl auch im Zuge dessen nahm der Waldbestand dort in den letzten fünfzig Jahren deutlich ab. In Bhutan blieb der Waldbestand konstant auf einem hohen Niveau, was die Wirksamkeit der Umweltschutzmaßnahmen unterstreicht.138 Der Ausgangspunkt der Glücksforschung liegt in der Erkenntnis, dass der Mensch in seinem Leben nach Glück strebt. „Der Mensch ist das nach Glück strebende Tier“139, formulierte Layard. Dies geht einher mit der Zielstellung ein 131

Ura / Kulessa 2010, S. 7–8. A. a. O., S. 10. 133 Vgl. Wolf 2010, S. 41. 134 Vgl. Pfaff 2011, S. 10. 135 Ura / Kulessa 2010, S. 11. 136 Vgl. Richter / Borgwardt 2010, S. 54. 137 Vgl. Pfaff 2011, S. 5, 17. 138 Vgl. Pfaff 2010, S. 18, 21. 139 Layard 2005, S. 240. 132

170

C. Im Kontext der Überflussökonomie  

jeder wirtschaftlichen Aktivität, Bedürfnisbefriedigung und folglich Wohlbefinden zu generieren. Insofern spielen die beiden zentralen Begriffe der vorliegenden Arbeit, „Wertschöpfung“ und „Wertschätzung“, als Kernelemente der wirtschaftlichen Aktivität eine entscheidende Rolle im menschlichen Streben nach Glück. Eingangs wurde die Frage gestellt, ob Heimat als ein irdische und transzendente Bindungen in sich vereinendes anthropologisches Grundbedürfnis als ein Faktor innerhalb der Glücksforschung berücksichtigt werde. Der Heimatbegriff an sich fand bisher keine Erwähnung innerhalb der Glücksforschung. Im weiteren Sinne finden sich in den aus den Befunden der Glücksforschung abgeleiteten Glücksfaktoren einige Dimensionen der irdischen und transzendente Ebene von Heimat (siehe Abbildung 1) wieder. Das betrifft vor allem in Bezug auf die irdische Ebene die familiären Beziehungen, Freundschaften und das lokale Umfeld sowie in Bezug auf die metaphysische Ebene die Lebensphilosophie beziehungsweise die Religiosität. Empirische Erhebungen wiesen nach, dass immaterielle Werte eine hohe Bedeutung für die Lebenszufriedenheit aufweisen und dass das individuelle Glück durch die Gene (genetisch bedingtes Glücksempfinden) sowie kulturelle und religiöse, politische, sozio-demografische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen beeinflusst wird140. Konsequent unterschätzt wird die positive Wirkung intrinsisch motivierter Handlungen. Alternative Konzepte zur Messung des Wohlbefindens der Menschen beziehen zum Teil auch Faktoren ein, die Heimat-Dimensionen betreffen und berücksichtigen des Weiteren die Probleme der Überflussökonomie, wie beispielsweise das der sozialen Kosten. Ein sehr ausgewogenes Konzept stellt der RWI dar, wenngleich auch hier entscheidende Punkte zu kurz greifen oder nicht enthalten sind. Am Beispiel des Königreiches Bhutan wurde aufgezeigt, wie ein Staat sich nicht einseitig einem Wirtschaftswachstumsdogma und der damit verbundenen einseitigen Fokussierung auf Wachstumsraten (z. B. des BIP) verschrieben hat, sondern ganzheitlich und ausgewogen versucht, das Staatsvolk glücklich zu machen. Ein besonderer Fokus liegt für Bhutan auf ökonomischer Unabhängigkeit und der Bewahrung der eigenen Identität und Kultur. Blicken wir auf die historische Analyse (vgl. Kapitel B.), so lassen sich verschiedene Parallelen zwischen dem in Bhutan etablierten Denken und verschiedenen deutschen Autoren des 19. Jahrhunderts sowie auch des 20. Jahrhunderts141 erkennen, die Wirtschaft als ganzheitliches Konzept von Maß und Mitte erkannten, worin der Mensch die zentrale Rolle spielt und über Jahrhunderte gewachsene Werte bewahrt werden sollen. Das buddhistische Fundament des bhutanischen Konzeptes verdeutlicht, wie wichtig das Spirituelle als Basis für die Akzeptanz und Wirksamkeit solcher Konzepte zu sein scheint.

140 141

Vgl. Frey / Frey Marti 2015, S. 13–17. Wie z. B. List 1910 oder Röpke 1964.

II. Wesentliche Charakteristika des Systems der Überflussökonomie 

171

3. Die Internationalisierung der wirtschaftlichen Tätigkeit Das Problem des Preises und der sozialen Kosten, wie auch der Aspekt der Güterhäufung sind Kennzeichen der international vernetzten142 und organisierten Überflussökonomie des 21. Jahrhunderts. Vor allem die Internationalisierung der wirtschaftlichen Tätigkeit mit allem, was den Wertschöpfungsprozessen und Güterströmen zugehörig ist, hat einen wesentlichen Anteil an der (weltweiten) Umweltverschmutzung. Das Volumen des deutschen Außenhandels wuchs in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich, insbesondere das Außenhandelssaldo (=Differenz zwischen Ausfuhr und Einfuhr) stieg stark an. Beeinflusst wird die Entwicklung maßgeblich durch den beschriebenen Globalisierungseffekt: Die Internationalisierung von Wertschöpfungsketten sowie einzelner Wertschöpfungsschritte, wie zum Beispiel der Veredelungsprozess von Kleidung, führt zu einem intensiven grenzüberschreitenden Warenverkehr („Veredelungsverkehre“143). Für den Prozess des Ersatzes der eigenen Vorprodukte durch den Erwerb internationaler Vorprodukte von Zulieferern stellt „Outsourcing“ den Sammelbegriff dar144. Des Weiteren verfügen viele deutsche Unternehmen über Tochtergesellschaften im Ausland („Off­ shoring“145), die dort die Produktion abdecken und somit für einen weiteren Landzu-Land-Verkehr sorgen. Sinn prägte für die Entwicklung der deutschen Wirtschaft den Begriff der „Basar-Ökonomie“, womit er nachwies, dass die deutsche Wertschöpfungstiefe aufgrund der beschriebenen Effekte des Outsourcing sowie Offshoring seit Jahrzehnten zurückgeht. Dass es für die Produkte wie in unserem Beispiel der Bekleidung über sehr große Entfernungen und durch viele Staaten geht, wird beim Blick auf die wichtigsten Handelspartner der Bundesrepublik sichtbar. Die meisten Importe kamen (gemessen an finanziellen Volumen der Waren) im Jahr 2017 aus der Volksrepublik China mit rund 100,5 Milliarden Euro. Insgesamt lag der Anteil der ausländischen Wertschöpfung in Deutschland im Jahr 2012 bei 41 Prozent. Sofern Güter einen letzten entscheidenden Bearbeitungsschritt innerhalb Deutschlands erhalten, werden sie als Waren deutschen Ursprungs deklariert, wenngleich der ausländische Anteil der Wertschöpfung überwiegt. Demzufolge wird der Anteil der ausländischen Wertschöpfung noch deutlich höher liegen, gemessen am überwiegenden Herkunftsanteil.146 Somit kann die beliebte und verkaufsfördernde Produktbezeichnung „Made in Germany“ beziehungsweise „Hergestellt in Deutschland“ vorwiegend als Instrument der Verkaufsförderung (siehe C. II. 2. a)) bezeichnet werden. Es handelt sich hierbei um eine gezielte Beeinflussung des Kunden durch die Unternehmen, die wissen: Der Kunde schätzt deutsche Qualität, Produkte aus seiner Nähe und möchte deutsche Hersteller unterstützen. 142 Der Anteil der weltweiten Im- und Exporte am weltweiten Bruttoinlandsprodukt („trade openness index“) lässt sich wie folgt im Jahresvergleich beziffern: 1500: rd. 1 bis 2 %; 1820: rd. 2 bis 10 %; 1912: rd. 21 bis 30 %; 2015 rd. 58 %. Vgl. Beltekian et al. 2014. 143 Statistisches Bundesamt 2017a, S. 9. 144 Vgl. Sinn 2005, S. 91. 145 Vgl. ebd. 146 Vgl. Statistisches Bundesamt 2017a, S. 6–11 und Statistisches Bundesamt 2018a, S. 2.

172

C. Im Kontext der Überflussökonomie  

Eine etwaige Prüfung der Wertschöpfungsschritte und damit verbunden der deutschen Wertschöpfungstiefe durch den Konsumenten ist, wenn überhaupt, nur unter erheblichem Rechercheaufwand möglich. Die Etiketten der Produkte weisen zumeist nur die deutsche Adresse des Unternehmens aus, das den letzten Schritt der Fertigung und / oder den Vertrieb innehat. Gerade die deutsche Automobilbranche stellt sehr absatzwirksam auf die deutsche Herstellung ab: Sinn brachte das Beispiel des Automodells „Porsche Cayenne“, wofür er einen deutschen Wertschöpfungsanteil von lediglich etwa 38 Prozent ermittelte147. Unter Berücksichtigung des Intensitätsgrades der Internationalisierung der wirtschaftlichen Vernetzung und Tätigkeit des Menschen im Zeitverlauf von etwa 1800 bis heute wird die Entwicklung in Abbildung 8 dargestellt. Die erste Ebene umfasst den Intensitätsgrad in fünf Stufen von sehr gering bis sehr hoch in Bezug auf die Internationalisierung der wirtschaftlichen Vernetztheit und Tätigkeit (von kleinräumig nach großräumig). Dem Zeitverlauf sind vier Zeitströme zugeordnet, die näherungsweise aufzeigen, in welchem Zeitraum sich bestimmte Wirtschafts / Gesellschaftsformen etablierten. Auf der darüberliegenden zweiten Ebene ist sinnbildlich der Verlauf der individuellen Heimatbindung darstellt, der die dieselbe (rückläufige) Entwicklung nimmt, wie der Grad der individuellen Wertschöpfung und die daraus folgende individuelle Wertschätzung. Die Abbildung soll bündeln, dass sich mit dem Wandel von der Bedarfs- zur Erwerbswirtschaft die wirtschaftIntensität/ Dimension

+

Welt

Massenkonsumgesellschaft

Kontinent

Globalisierung

Nation

moderne Konsumgesellschaft

Region

Industrialisierung

Haus / Hof

-

1800

Zeit 1850

1900

1950

2000

heute

Legende: Intensitätsgrad (Grad der wirtschaftlichen Vernetzung und Tätigkeit) sehr gering

gering

durchschnittlich

hoch

sehr hoch

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 8: Prinzipskizze zur historischen Entwicklung des Intensitätsgrades der Internationalisierung in Verbindung mit dem Maß der Heimatbindung / Wertschöpfung / ​Wertschätzung 147

Vgl. Sinn 2005, S. 230.

II. Wesentliche Charakteristika des Systems der Überflussökonomie 

173

liche Vernetzung und Aktivität im Untersuchungszeitraum internationalisierte, zugleich die individuelle Heimatbindung stetig sank, was eine sinkende individuelle Wertschöpfung einhergehend mit einer sinkenden Wertschätzung gegenüber den umgebenden Gütern impliziert. 4. Weitere gegenwärtige und zukünftige Entwicklungen Dem materiellen Reichtum der Bevölkerung des 21. Jahrhunderts, bezogen auf den Bestand an materiellen Gütern in den Haushalten, steht eine immaterielle Armut gegenüber. In gewisser Weise resultiert die immaterielle Armut aus eben jenem materiellen Reichtum. Arendt nannte es das „zutiefst gestörte Gleichgewicht zwischen Arbeit und Verzehr, zwischen Tätigsein und Ruhe“148, das der Massenkonsumgesellschaft anhafte. Bisher stellten wir folgende Charakteristika der Überflussökonomie fest: Dem Preis kommt heute (1.) die vorrangige kaufleitende Bedeutung zu, jedoch vermag er nicht den tatsächlichen Wert eines Gutes abzubilden, gerade weil in diesem Zusammenhang das Problem der sozialen Kosten berücksichtigt werden muss. Denn der Preis orientiert sich an den Kosten der Erstellung eines Gutes. Die sozialen Kosten, zu verstehen als Sammelbegriff negativer Effekte für Mensch, Natur und Umwelt, sind hier nicht enthalten und werden von der Gesellschaft getragen und also nicht von den Unternehmen, die die Kosten im Rahmen ihrer Unternehmung durch energie- und ressourcenintensive Produktion verursachen (siehe C. II. 1.). Überdies besteht (2.) seit der Etablierung der Massenkonsumgesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg aufgrund der den Grund- und Luxusbestand an Gütern übersteigenden Zahl an Gütern ein Überfluss an materiellen Dingen. Der Deutsche des 21. Jahrhunderts befindet sich hierbei in einem Stadium der Kompensation der immateriellen Armut, das einer Sucht gleichkommt: Er versucht durch fortwährenden oder sogar steigenden Güterkonsum, Befriedigung zu erlangen und damit immaterielle Leere und Langeweile auszugleichen. Erwartete und realisierbare Bedürfnisbefriedigung liegen in diesem Stadium weit auseinander. Mithilfe von verschiedenen Instrumenten der Verkaufsförderung machen sich Unternehmen diesen Zustand zu Nutze und profitieren davon. Für den deutschen Staat fungiert der Konsum als eine sehr wichtige Einnahmequelle und ein Hauptwirtschaftsfaktor. Die Tragweite der Tatsache der Güterhäufung ist enorm, denn der Konsument wird über den Akt des Konsums hinaus seelisch beeinflusst: Werte wie Achtung, Pflege und Sparsamkeit haben deutlich an Relevanz verloren (siehe C. II. 2.). Eng zusammen mit den ersten beiden Aspekten hängt (3.) die Internationalisierung der wirtschaftlichen Tätigkeit (siehe C. II. 3.). Denn der materielle Reichtum 148

Arendt 2015, S. 157.

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C. Im Kontext der Überflussökonomie  

ist ein Reichtum zum Schein bezogen auf die Bindungsfähigkeit, über die er verfügt. Infolge der umfassenden Internationalisierung der Wertschöpfung zum einen und der Veränderung der Lebens- und Arbeitsweise im Untersuchungszeitraum zum anderen kommen zwei zentrale Ergebnisse zum Tragen: Erstens ist der Anteil an individueller Wertschöpfung marginal, das heißt die das Individuum umgegebenden Güter beinhalten keinen beziehungsweise einen sehr geringen Anteil individueller Wertschöpfung und somit physischer und psychischer Bindung (und daraus erwachsende Narrative) durch den Wertschöpfungsanteil am Gegenstand. Zweitens ist der Anteil an heimatbezogener Wertschöpfung gering oder unbekannt, wodurch die psychische Bindung nicht vorhanden oder gering ist, denn: Je genauer das Individuum erstens eine Kenntnis über die Schritte der Wertschöpfungskette hat und zweitens je näher (örtlich, kulturell) ihm die Schritte der Wertschöpfungskette sind, desto höher ist die Bindungsfähigkeit (und daraus erwachsende Narrative). Im Untersuchungszeitraum nahmen sowohl der Anteil individueller als auch der Anteil heimatbezogener Wertschöpfung kontinuierlich ab, wodurch sich der zweite Punkt verstärkt: Die Güter der Überflussökonomie sind mehrheitlich nicht im Stande, nachhaltige Bindungen entstehen zu lassen. Das System der Überflussökonomie speist seine anhaltende Funktionstüchtigkeit maßgeblich aus den vorgenannten Aspekten: Unternehmen können massenhaft, kostengünstig und international produzieren, gerade weil sie die sozialen Kosten nicht selbst tragen. Auch der Staat tritt unterstützend bei der Vergemeinschaftung von Schäden, die nicht von der Gemeinschaft verursacht worden sind, auf, beispielsweise arbeitgeberseitig mithilfe von Subventionen oder der Verstaatlichung oder arbeitnehmerseitig durch Sozialhilfe. Komplettiert wird das System der Überflussökonomie durch die erfolgreiche Etablierung des Materialismus als Sinngeber für die Konsumenten. Es lassen sich zudem weitere gegenwärtige und künftige Aspekte nennen, die die Erlebens- und Bindungsverluste und damit das System der Überflussökonomie weiter festigen. Exemplarisch werden drei Aspekte näher beleuchtet: Die sogenannte Energiewende, die Digitalisierung der Arbeitswelt und des Konsums sowie die Massenmigration. Mit der sogenannten „Energiewende“ beabsichtigt die Politik mithilfe erneuerbarer Energien wie Biomasse, Naturwärme, Photovoltaik, Wasser- und Windkraft eine nachhaltige Energieversorgung vor allem ohne die künftige Nutzung von Kernenergie zu etablieren und schlussendlich einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Verbunden mit der Energiewende ist die Idee des „Grünen Wachstums“, wodurch eine Entkopplung von ökonomischem Wachstum (d. h. weiterhin hohem und sogar steigendem Energie- und Ressourcenbedarf) und ökologischen Schäden mithilfe technischer Weiterentwicklung erzielt werden soll. Tatsächlich werden die ökologischen Probleme nicht gelöst, sondern verlagert oder gar verstärkt149 (vgl. B. V.). Etscheit nannte die Energiewende einen „Vernichtungsfeldzug“ mit einer Tragweite über ökologische Sachverhalte hinaus, nämlich der 149

Hierzu u. a. auch vgl. Santarius 2015, S. 56–57.

II. Wesentliche Charakteristika des Systems der Überflussökonomie 

175

„Auslöschung deutscher und damit auch europäischer Identität“150, da mit ihr (unter dem Deckmantel des Umweltschutzes) eine Umweltzerstörung einhergehe. Der Prozentanteil der erneuerbaren Energien151 am Energieverbrauch in Deutschland belief sich im Jahr 2015 auf 12,5 Prozent (2000 = 3 Prozent). Der Anteil der Windkraft lag bei 2,4 Prozent mit einem Gesamtbestand von rund 26.000 Windrädern in Deutschland.152 Mit Blick auf die enorme Flächenausnutzung durch Photovoltaikund Windkraftanlagen ist der Feststellung von Dubbers zu folgen: „Das damit Erreichte fällt aber sehr bescheiden aus, gemessen am Gesamtziel einer weitgehend von fossilen Energieträgern unabhängigen Energieversorgung unseres Landes“153. Aufgrund seiner geringen Energiedichte und -kontinuität ist die Windkraft zum Teil unwirtschaftlich, nicht dauerhaft verlässlich und kann keinen bedeutsamen Anteil an der gesamten Energieversorgung erreichen. Hinzu kommt, dass es noch keine Möglichkeiten gibt, Windenergie, wie auch andere alternative Energieformen, zu speichern. Jährlich verenden mehrere Tausend Fledermäuse und Vögel an den Rotorblättern der Windräder, was wiederum das gesamte Ökosystem aus dem Gleichgewicht bringt.154 Berichte und Studien belegen die negativen Auswirkungen auf die körperliche beziehungsweise mentale Gesundheit des Menschen aufgrund der akustischen wie optischen Immissionen durch Windkraftanlagen155. In Anbetracht dieser Tatsachen ist für Guttenberg die vor allem durch die Partei „Die Grünen“ forcierte Energiewende „der traurigste, der schmutzigste Treppenwitz der deutschen Naturschutzgeschichte und einer vormals grünen Umweltpartei“156. Er kam zu dem Schluss, dass die Energiewende „der endgültige Ruin der deutschen Natur- und Kulturlandschaften“157 ist. Strauß wies bereits vor der flächendeckenden Errichtung tausender Windräder auf den Verlust des natürlichen Erholungsund Ästhetikwertes infolge des Baus von Windkraftanlagen hin: „Eine brutalere Zerstörung der Landschaft, als sie mit Windkrafträdern zu spicken und zu verriegeln, hat zuvor keine Phase der Industrialisierung verursacht. Es ist die Auslöschung aller Dichter-Blicke der deutschen Literatur von Hölderlin bis Bobrowski. Eine schonungslosere Ausbeute der Natur läßt sich kaum denken, sie vernichtet nicht nur Lebens-, sondern 150

Etscheit 2016, S. 13. Das betrifft Biomasse (z. B. Biodiesel, Holz, Klärgas), Windkraft, Naturwärme (Geothermie, Solarthermie, Wärmepumpen), Photovoltaik, Wasserkraft. Vgl. Dubbers 2016, S. 43–44. 152 Vgl. a. a. O., S. 45. 153 A. a. O., S. 49. 154 Vgl. Guttenberg 2016, S. 33–34, 40. Eine aktuelle Studie internationaler Wissenschaftler weist für den Naturraum der Westghats, der für seine Biodiversität bekannt ist, nach, dass aufgrund der Existenz von Windkraftanlagen der Bestand an Raubvögeln erheblich gesunken ist und vor dem Hintergrund das gesamte Ökosystem nachhaltig aus dem Gleichgewicht gebracht wird. Vgl. Kramper 2018. 155 Vgl. Kliniken Beelitz GmbH 2014, S. 18. Zu den negativen Effekten werden gezählt: Ablenkung während Heilprozessen, akustische Wirkungen, negativer Erholungswert von Heilstätten, hörbarer Schall, Infraschall, optische Bedrängung und Wirkungen, psychologische Effekte, Schattenschlag oder Stroboskopeffekt. Vgl. a. a. O., S. 10. 156 Guttenberg 2016, S. 37. 157 A. a. O., S. 34. 151

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C. Im Kontext der Überflussökonomie  

auch tiefreichende Erinnerungsräume. Dem geht allerdings voraus, daß für die kulturelle Landschaft allgemein kaum noch ein Empfinden lebendig ist. So verbindet sich das sinnliche Barbarentum der Energieökologien dem des Massentourismus.“158

Es bleibt festzuhalten, dass mit der Natur eine essenzielle Heimat-Dimension erhebliche Verluste davontragen muss und die Kosten der Energiewende letztendlich der Mensch zu tragen hat, indem insbesondere der Erholungs- und Ästhetikwert (und damit der Gesundheitswert) der Natur sinkt. Der ohnehin schon geringe Bezug zur Natur geht hierdurch weiter zurück, gerade weil die technikfreien Zonen innerhalb der Natur zurückgehen. Aus Orten der Stille werden Orte der Bewegung. Aus freien Horizonten werden bebaute Aussichten. Die für den Menschen dringend notwendige Ruhe wird gestört. Nicht nur das Lebensumfeld wird technischer und der Alltag im Allgemeinen wird digitalisierter, auch die Arbeitswelt ist im Wandel befindlich. Als „digitaler Darwinismus“159 wird der Veränderungsprozess bezeichnet, infolgedessen aufgrund der Digitalisierung bestimmte Unternehmen sowie ganze Industriezweige obsolet werden. Das „Internet der Dinge“ soll „Menschen, Prozesse, Daten und Dinge in einer bisher unbekannten Dimension“160 vernetzen161. Der Oberbegriff dieser Entwicklungen lautet „Wirtschaft 4.0“ beziehungsweise „Industrie 4.0“162, die auch als „vierte industrielle Revolution“163 (auch: „Digitale Revolution“164) bezeichnet werden. Sie impliziert die „stärkere Vernetzung innerhalb der Wertschöpfungskette produzierender Unternehmen“165 sowie die „Vernetzung von Wertschöpfungsketten über die Grenzen einzelner hinaus“166. Zentrale Punkte der Entwicklung sind „[e]xponentielle Entwicklungen in den Technologien und Systemen“, „Digitalisierung immer umfassenderer Bereiche der Wertschöpfung“ und „Kombinatorik verschiedener Entwicklungslinien, die zu Quantensprüngen in den Lösungen und Konzepten führen“167. Aufgrund der Digitalisierungsprozesse kommt es zu sinkenden Grenzkosten für die Unternehmen. Für den Einzelnen bedeute das im Alltag: „Alles wird smarter“168. Beispielsweise kombinieren und vernetzen Applikationen auf dem Mobiltelefon viele Funktionen wie Eintrittskarten, Flugtickets, Geld(-verkehr), Kreditkarten, Passdokumente, oder Zugänge / Schlüssel. Zahlreiche menschliche Arbeitsgänge werden künftig durch Robotik substituiert, beispielsweise in der Logistik, im Transportwesen oder im Hotelgewerbe. Zu 158

Strauß 2004, S. 101. Kreutzer / Land 2015, S. 23. 160 A. a. O., S. 13. 161 Insgesamt wird von den folgenden Entwicklungsstufen gesprochen: „Mobile Computing“, „Collaboration“, „Big Data“, „Cloud Services“, „Internet of Things“. Vgl. a. a. O., S. 68. 162 A. a. O., S. 12–13. 163 A. a. O., S. 72. 164 A. T. Kearney GmbH 2016, S. 10. 165 Kreutzer / Land 2015, S. 12. 166 A. a. O., S. 72. 167 A. a. O., S. 17. 168 A. a. O., S. 15. 159

II. Wesentliche Charakteristika des Systems der Überflussökonomie 

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den Berufen beziehungsweise Berufsgruppen, die aufgrund neuer digitaler oder technischer Neuerungen oder Online-Lösungen als gefährdet anzusehen sind und mit tiefgreifenden Veränderungen zu rechnen haben, zählen vor allem Bankangestellte, die Baubranche, Lehrer und Professoren, Produktionsunternehmen (vor allem Automobilbau), Taxi- und LKW-Fahrer, Servicekräfte, Verkaufspersonal im Einzelhandel und Vermittler.169 Durch die Automatisierung beziehungsweise Computerisierung sind insgesamt in den nächsten zwei Jahrzehnten in Deutschland etwa 42 Prozent (= ca. 2,7 Millionen Arbeitsplätze) der Berufe im produzierenden Gewerbe sowie insgesamt etwa 45 Prozent (= ca. 17,2 Millionen Arbeitsplätze) aller Arbeitnehmer gefährdet170. Im Hinblick auf den Konsum werden, getrieben von den vorgenannten Aspekten wie dem „Internet of Things“ oder Künstlicher Intelligenz, tiefgreifende Veränderungen prognostiziert, die im Wesentlichen die Pulverisierung des Handels bei gleichzeitiger Verschränkung der realen und virtuellen Welt beinhalten171. Laut einer aktuellen Studie stehen wir „am Ende des Käufermarkts und am Beginn des in allen Prozessen und Produkt- und Serviceeigenschaften auf den individuellen Verbraucher zentrierten Konsumentenzeitalters.“ Es soll sich auszeichnen durch „die Unmittelbarkeit des Konsums“ (auf den Konsumwunsch folgt sofort der Konsumakt) und „das unbegrenzte Kontinuum von Konsummodi und Konsumorten“ (Angleichung von Konsumentenwünschen und Konsummöglichkeiten) mit dem Resultat der Entkopplung vom „sinnliche[n] Erleben eines physischen Gegenstandes“ im Sinne einer „synthetische[n] Substitution“ des physischen Konsums mithilfe entsprechender technologischer Angebote.172 „Das Hirn wird zum Point of Sale“173. Es werden sich zwischen dem Kunden und der Technologie (z. B. OnlinePlattformen) „monopolistische Beziehungen von bis dato nicht gekannter Intensität und Intimität“ entwickeln174. Die Entwicklungslinie Deutschlands vom Agrarstaat zum Industriestaat zum Dienstleistungsstaat zeichnete sich in der historischen Analyse ab, ebenso wie der kontinuierliche Anstieg der Abhängigkeit und Vernetzung der deutschen Wirtschaft von und mit dem Ausland (siehe Abbildung 8). Eingedenk der dargestellten Prognose für den deutschen Arbeitsmarkt wird der Anteil der Menschen, die noch (zum Teil) körperlich / handwerklich (in Landwirtschaft oder Industrie) tätig sind, weiter sinken. Der Bezug zu den Produkten aufgrund des fehlenden individuellen Wertschöpfungsanteils und der (überwiegend) internationalen Wertschöpfung und intransparenter und / oder internationaler Wertschöpfungsketten wird auf einem niedrigen Niveau bleiben oder weiter sinken. Das unterstreichen aktuelle Statis 169

Vgl. Kreutzer / Land 2015, S. 57, 75 ff., 111 ff., 139–144. A. T. Kearney GmbH 2015, S. 23. 171 Vgl. GDI Gottlieb Duttweiler Institute und KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft 2019, S. 5–6. 172 A. a. O., S. 3. 173 A. a. O., S. 6. 174 A. a. O., S. 4. 170

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C. Im Kontext der Überflussökonomie  

tiken über die drei Hauptbeschäftigungsbereiche der deutschen Wirtschaft. Der Anteil der Land- und Forstwirtschaft und Fischerei (Anteil der Erwerbstätigen im Jahr 1882: ca. 43,5 Prozent; 1990: ca. 3,6 Prozent; 2009: ca. 2,2 Prozent) marginalisiert sich weiter. Auch der Anteil der Industrie (produzierendes Gewerbe) nimmt weiter ab (1882: ca. 33,7 Prozent; 1990: ca. 40,6 Prozent; 2009: ca. 24,9 Prozent), wohingegen der Anteil sonstiger Wirtschaftsbereiche (Dienstleistungen) weiter zunimmt (1882: ca. 22,8 Prozent; 1990: ca. 55,8 Prozent; 2009: ca. 72,9 Prozent).175 Mit Blick auf die relevanten Kennzahlen wie beispielweise der Import- und Exportquote steigt auch die Abhängigkeit von der internationalen Vernetzung und Nachfrage weiterhin kontinuierlich an176. Um mit List zu sprechen, bedeutet das metaphorisch formuliert: Die Bundesrepublik „ist ein Individuum mit einem Arm, das durch den fremden Arm unterstützt wird. Diese Unterstützung ist ihr nützlich, aber nicht so nützlich, als wenn sie selbst zwei Arme besäße, schon darum nicht, weil ihre Tätigkeit von fremder Willkür abhängig ist.“177 List wies seinerzeit auf verschiedene Punkte hin, die heute in einem kritischen Zustand befindlich sind: (1.) Die hohe Bedeutung der Nationalität der Wirtschaft als Einheit zwischen der Individualität und der Menschheit sowie (2.) die Notwendigkeit der ausgewogenen Teilung geistiger und materieller Tätigkeiten. Genauer beschrieb er die notwendige Ausgewogenheit von „Agrikulturkraft“ und „Manufakturkraft“ und kritisierte die einseitige physische und psychische Entwicklung des „rohen Ackerbau“ betreibenden Agrikulturisten.178 „Offenbar werden durch die Agrikultur nur Persönlichkeiten derselben Art und nur solche in Anspruch genommen, welche mit einigem Sinn für Ordnung körperliche Kraft und Beharrlichkeit in Verrichtung roher Handarbeiten verbinden, während die Manufakturen eine tausendfältige Verschiedenheit von Geistesfähigkeiten, Geschicklichkeiten und Übungen fordern“179.

Bedeutsam sind die Zeilen Lists deshalb, weil uns die von ihm kritisierte Einseitigkeit anthropologischer Veranlagung und das ungesunde Verhältnis zwischen geistiger und materieller Tätigkeit heute in Form des Konsumenten des 21. Jahrhunderts begegnen. Im Hinblick auf verschiedene Lebensbereiche herrscht heute ein Ungleichgewicht zwischen physischen und psychischen Tätigkeiten. Beispiele 175

Vgl. Statistisches Bundesamt 2015, S. 1 und Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2012, S. 25–29. Etwaige Abweichungen in den Summen sind rundungsbedingt. Es sei darauf hingewiesen, dass die Statistiken zum Teil auf unterschiedliche Grundlagen und Erhebungsarten zurückgreifen. Dennoch lässt sich die Entwicklungslinie hiermit ausreichend darstellen. 176 Vgl. Statistisches Bundesamt 2017a, S. 20 ff. 177 Er bezog sich im Kontext darauf: „Eine Nation, die bloß Agrikultur treibt, ist ein Individuum, dem in seiner materiellen Produktion ein Arm fehlt. […] Eine Nation, die Agrikulturprodukte gegen fremde Manufakturwaren eintauscht, ist ein Individuum mit einem Arm, das durch einen fremden Arm unterstützt wird. Diese Unterstützung ist ihr nützlich, aber nicht so nützlich, als wenn sie selbst zwei Arme besäße, schon darum nicht, weil ihre Tätigkeit von fremder Willkür abhängig ist.“ List 1910, S. 252. 178 Vgl. a. a. O., S. 40, 248–251, 292. 179 A. a. O., S. 295.

II. Wesentliche Charakteristika des Systems der Überflussökonomie 

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hierfür wurden bereits genannt, besonders deutlich wird es in Bezug auf die individuelle Wertschöpfung: War der Agrikulturist im 19. Jahrhundert einseitig physisch tätig, so ist der digitalisierte Arbeitsnehmer des 21. Jahrhunderts einseitig psychisch tätig. Verbinden wir die vorgenannten Aspekte mit dem in C. II. 3. darge­ stellten Entwicklungsstrang der Internationalisierung der deutschen Wirtschaft, muss konstatiert werden, dass erstens mit dem Bedeutungsrückgang einhergehend mit der Verlagerung großer Teile des maßgeblich für den heutigen deutschen Wohlstand verantwortlichen verarbeitenden Gewerbes ins Ausland und zweitens mit der aktuellen und prognostizierten Digitalisierung und Technisierung im Zuge der Industrie 4.0 die deutsche Ökonomie erhebliche Verluste hinzunehmen haben wird. Infolge der Massenmigrationsbewegungen nach Europa und vor allem nach Deutschland kam es zu einem binnenkonjunkturellen Kurzzeiteffekt innerhalb eines zum Teil bereits gesättigten Absatzmarktes, der besonders auf die steigenden Staatsausgaben sowie die steigenden privaten Konsumausgaben zurückzuführen ist. In den Leitmedien äußerten sich Vertreter von Politik und Wirtschaft ob der Entwicklungen im Sinne des etablierten Wachstumsdogmas mehrheitlich positiv, der „demographische Wandel“ wie auch der „Fachkräftemangel“ würden endlich gelöst werden180. Sie spekulierten gar auf ein „zweites Wirtschaftswunder“ dank des Zustroms an Flüchtlingen, das heißt neuer Menschen zur Einordnung in die und Aufrechterhaltung der Überflussökonomie181: „Ohne den Zuzug der vergangenen Jahre hätten sich weder die Wirtschaft noch die Staatsfinanzen so positiv entwickelt; Deutschland würde längst in der demografischen Falle feststecken.“ Der Bundesrepublik blühe „Alterung, Schrumpfung, Niedergang“, würde man keine „Menschen von anderswo einladen, hierzulande heimisch zu werden und sich hier produktiv zu entfalten“.182 Die Berichterstattung der vergangenen Jahre in Bezug auf die „Flüchtlingskrise“ gestaltete sich insgesamt als unausgewogen: Das Narrativ einer deutschen „Willkommenskultur“, das heißt die Überbetonung der positiven Effekte der Massenmigration bei gleichzeitiger Verurteilung kritischer Meinungen mit dem Verwurf der Fremdenfeindlichkeit und des Rassismus183, wurde unablässig kolportiert. „Annähernd 83 Prozent aller Zeitungsberichte vermittelten das Leitbild Willkommenskultur in einem positiven oder mehr positiven Sinne.“184 Dies führte in Bezug auf den Heimatbegriff auf eine weitere Verhärtung in zweierlei Hinsicht zu. Die in den Medien überdurchschnittlich repräsentierten Befürworter einer „weltweiten“ Auslegung von Heimat im Sinne einer globalen Gemeinschaft von Weltbürgern sehen sich vermehrt – abzulesen beispielsweise 180

Astheimer 2017. Wie z. B. vgl. ebd., vgl. Focus Online 2016, vgl. Zeit Online 2016a und vgl. Zeit Online 2016b. 182 Müller 2015. 183 „One rhetorical tool is selective use of the term of abuse, ‚racism‘, which is usually reserved for majorities. The term is often applied to pro-social behaviour such as the wish to preserve the majority’s history and culture and majority status.“ Salter 2012, S. 518. 184 Haller 2017, S. 138 und vgl. a. a. O., S. 132 ff. 181

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C. Im Kontext der Überflussökonomie  

an den Wahlerfolgen der AfD und der Etablierung von migrationskritischen Protestbewegungen  – Menschen gegenüber, die für einen Heimatbegriff vor allem nationaler Prägung stehen. Mittelpunkt der Debatte sind zuvorderst die Menschen, die mehrheitlich aus wirtschaftlichen Beweggründen versuchen, vom lukrativen deutschen Sozialsystem zu profitieren. Dass sie letztendlich nicht die Ursache des Migrationsproblems sind, sondern das von Unternehmen und Staat lancierte System der Überflussökonomie die Massenmigration befördern, wird missachtet. Ökonomisch blieb das „zweite Wirtschaftswunder“ aus und der positive ökonomische Effekt war und ist darauf zurückzuführen, dass der Bedarf an zum Beispiel Konsumgütern, Wohnraum und Sicherheitspersonal angestiegen ist. Akteure der deutschen Wirtschaft wie Fuest, Präsident des Ifo-Instituts, stellten bald fest, dass die optimistischen Prognosen keine Erfüllung finden werden. Es sei nicht zu erwarten, dass Deutschland über den Kurzzeiteffekt hinaus von der Massenmigration ökonomisch profitierten wird.185 Die „Unvereinbarkeit von Sozialstaat und Masseneinwanderung“186 spiegelt sich unter anderem darin wider, dass im Jahr 2017 schon etwa eine Millionen Flüchtlinge „Hartz IV“ beziehen, was insgesamt fast jedem sechsten Leistungsbezieher entspricht187. Überdies wies das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung die in der Debatte um den „Fachkräftemangel“ weit verbreiteten Daten des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) als „widersprüchlich und deutlich überhöht“188 zurück. Vielmehr verdeutlicht die fortwährende Bezugnahme auf den Fachkräftemangel das Bestreben der Unternehmen um geringe Arbeitskosten. „Ursächlich ist also kein Mangel an Fachkräften, sondern an Zahlungsbereitschaft. Eine Einwanderungspolitik, die den deutschen Niedriglohnsektor mit niedrig entlohntem Personal versorgen soll, ist ökonomisch schädlich und gefährdet die gesellschaftliche Akzeptanz einer tatsächlich wünschenswerten Einwanderung von Fachkräften. Eine Anwerbung von Arbeitskräften für Tätigkeiten mit niedrigen Qualifikationsanforderungen sollte daher unterbleiben.“189

Salter konstatierte, dass es sich bei der westlichen Migrationspolitik um eine sehr risikovolle Politik handele: „In summary, Western multiculturalism is a high-risk 185

Vgl. Focus Online 2016. Vgl. Sieferle 2017a. 187 Axel Springer SE (Die Welt) 2018: „Bei den Herkunftsländern handelt es sich um Syrien, Irak, Afghanistan, Eritrea, Iran, Pakistan, Somalia und Nigeria. Der Statistik zufolge bezogen im September des vergangenen Jahres [Anmerkung des Autors: 2017] 936.407 Männer, Frauen und Kinder aus den genannten Ländern Hartz-IV-Leistungen. Im Vergleichsmonat des Vorjahres waren es noch 565.480 gewesen. Das entspricht einem Anstieg um gut 65 Prozent innerhalb eines Jahres.“ 188 Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung 2018, S. 1. „Weder können derzeit 48 Prozent der Unternehmen offene Stellen längerfristig nicht besetzen, noch gibt es 1,6 Millionen offene Stellen. Zweitens wird die Behauptung des DIHK, der Fachkräftemangel sei gerade in Branchen mit niedrigen Qualifikationsanforderungen (Leiharbeit, Gastgewerbe, Straßengüterverkehr, Sicherheitswirtschaft) verbreitet, zurückgewiesen.“ Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung 2018, S. 1. 189 Ebd. 186

II. Wesentliche Charakteristika des Systems der Überflussökonomie 

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policy with numerous humanitarian costs“190. Verschiedene Studien zur ethischen Diversität wiesen nach, dass nicht nur negative monetäre Folgen auf die Staaten zukommen, die erhöhter Einwanderung und demgemäß zunehmender ethnischer Heterogenität gegenüberstehen, sondern auch erhebliche „humanitäre Kosten der Vielfalt“191, auch bezeichnet als „Kosten ethnischer und kultureller Inhomogenität“192 oder „Transaktionskosten“193. Sie lassen sich im Allgemeinen den sozialen Kosten zuordnen, denn auch hierbei handelt es sich um „Kosten“, die zulasten der Gesellschaft und – wie aufgezeigt worden ist – zugunsten globalwirtschaftlich organisierter Unternehmen gehen. Den Zusammenhang zwischen ethnischer Homogenität und Vertrauen wies unter anderem Putman nach. Mit steigender Heterogenität gehe das soziale Vertrauen gegenüber der eigenen sowie auch fremden ethnischen Gruppe zurück. Zudem sinken das Vertrauen in Medien, Politik und Staat sowie der Bezug zur demokratischen Mitbestimmung. Die Bereitschaft zu freiwilliger Arbeit (Ehrenamt) und wohltätigen Handelns (des Individuums und des Staates) gehen auch zurück. Vielmehr geschieht ein Rückzug ins Eigene, die Zahl enger Freunde sinkt und der Konsum digitaler Medien (Fernsehen) sei überdurchschnittlich hoch. Das wahrgenommene Glück ist geringer und die Verteilung des Wohlstandes innerhalb des Landes ungerechter. Die Bildung von Parallelgesellschaften194, bürgerkriegsähnliche Zuständen, zunehmende Kriminalität und Terrorismus können folglich den sozialen Frieden gefährden.195

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Salter 2012, S. 522. Vgl. a. a. O., S. 519–520. 192 Fritze 2016, S. 80. 193 Sieferle 2017a, S. 133. 194 Inwiefern kostenintensive Integrationsbemühungen von Erfolg gekrönt sein werden ist offen: Die Integration der türkischstämmigen Deutschen in den vergangenen Jahrzehnten war nur bedingt erfolgreich, gemessen an der Identifikation mit den „neuen Heimatland“ Deutschland. Eine Studie ergab, dass 83 Prozent der befragten türkischstämmigen Deutschen überaus stark oder stark den Begriff „Heimat“ mit der Türkei verbinden, für Deutschland galt das bei 46 Prozent. In den letzten Jahren sei das Heimatgefühl gegenüber Deutschland eher schwächer (18 Prozent) als stärker (15 Prozent) und hingegen für die Türkei stärker (33 Prozent) als schwächer (11 Prozent) geworden. Vgl. Data 4U – Ethnic Market and Media Research 2017, S. 8–9. 195 Vgl. Putnam 2007, S. 149–150, vgl. Fritze 2016, S. 80–81, vgl. Salter 2008, S. 3, vgl. Salter 2012, S. 519–523, vgl. Sieferle 2017a, S. 120–124, 133 und vgl. Jörke 2019, S. 213–216; „Ethnic diversity is increasing in most advanced countries, driven mostly by sharp increases in immigration. In the long run immigration and diversity are likely to have important cultural, economic, fiscal, and developmental benefits. In the short run, however, immigration and ethnic diversity tend to reduce social solidarity and social capital. New evidence from the US suggests that in ethnically diverse neighbourhoods residents of all races tend to ‚hunker down‘. Trust (even of one’s own race) is lower, altruism and community cooperation rarer, friends fewer. In the long run, however, successful immigrant societies have overcome such fragmentation by creating new, cross-cutting forms of social solidarity and more encompassing identities. Illustrations of becoming comfortable with diversity are drawn from the US military, religious institutions, and earlier waves of American immigration.“ Putnam 2007, S. 137. 191

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C. Im Kontext der Überflussökonomie  

III. Das Ergebnis der Überflussökonomie: Vom Heimatverlust zum Heimatfähigkeitsverlust Alles im allem lassen sich mehrere Entwicklungen seit dem Beginn des 19.  Jahrhunderts beobachten, die die Interdependenz der Deutschen zwischen Heimat (im Sinne eines mehrdimensionalen Verständnisses ihrer Heimatbindung) und Ökonomie (ihrer ökonomischen Tätigkeit) auf physischer und psychischer Ebene maßgeblich veränderten. Die Wechselbeziehung äußert sich in einer Kausalität in beide Richtungen: Mit den dargestellten wirtschaftlichen Veränderungen im Untersuchungszeitraum wandelte sich auf der einen Seite Heimat (nur zu verstehen als vielschichtiges Konzept) für den Menschen, ausgedrückt in Erlebens- und Bindungsverlusten gegenüber der Natur, ihrem Umfeld (Ort und Menschen), der Kultur und Nation (sowie Wertvorstellungen / Konventionen) sowie den Dingen. Auf der anderen Seite wandelte sich durch die Veränderung der Heimat / Heimatbindung der Menschen auch deren wirtschaftliche Aktivität, indem beispielsweise die individuelle Wertschöpfung auf ein Mindestmaß zurückging, globalwirtschaftlich konsumiert wird und Wertvorstellungen wie Sparsamkeit, Verzicht, Schonung von Natur und Ressourcen an Bedeutung verloren. Verdichten lassen sich die Veränderungen der Heimat und der wirtschaftlichen Aktivität im Wirkzusammenhang Erlebensund Bindungsverluste (Entfremdung) – Wertschätzungsverluste – Heimatverlust (Entwurzelung), worin die Wertschöpfung im Sinne der wirtschaftlichen Tätigkeit des Menschen ein entscheidender Einflussfaktor ist. Erhebliche Erlebens- und Bindungsverluste physischer und psychischer Art führten zu einer Entfremdung des Menschen auf den verschiedenen Ebenen. Die Entfremdung verursacht auf diesen Ebenen Wertschätzungsverluste und also schließlich führen diese Verluste zur Entwurzelung, die man synonym auch Heimatverlust nennen kann. Mit dem Heimatverlust (Entwurzelung) geht eine veränderte wirtschaftliche Tätigkeit einher (Interdependenz). Die Erlebens- und Bindungsverluste befinden sich im dargestellten System der Überflussökonomie auf einem (vorläufigen) Höhepunkt. Sie sind auf folgenden Ebenen festzustellen: 1. gegenüber der Umwelt (Natur- und Tierwelt), 2. zum Metaphysischen (individuell, zur Ruhe und zum Spirituellen), 3. zum sozialen und territorialen Umfeld (Ehrenamt, Familie, Freunde, Nachbarschaft), 4. gegenüber der persönlichen Geschichte (Abstammung, Geburt) und den Narrativen sowie Wertvorstellungen (Feste, Gebräuche, Riten, Sitten, Traditionen) der Gemeinschaft (Region, Nation, Kulturkreis) und 5. gegenüber der Wertschöpfung (und damit den Dingen).

III. Das Ergebnis der Überflussökonomie

183

Im Detail sind in den Abbildungen 9 bis 13 exemplarisch ohne Anspruch auf Vollständigkeit für jede Ebene folgende wichtige Aspekte und Entwicklungen als Ursachen für Erlebens- und Bindungs- und damit auch Wertschätzungsverluste zu nennen. a) Verlust von Stille durch den kontinuierlichen Betrieb (Lärmbelastung und Abwärme technischer Anlagen) und die Omnipräsenz technischer Anlagen im „öffentlichen“ Bereich (z. B. Industrie, Windkraftanlagen) und privaten Bereich (z. B. Mobiltelefone, Computer) b) Verlust der Einzigartigkeit und Natürlichkeit von Landschaften in Verbindung mit dem Verlust an freien, unversiegelten Flächen (quantitative Abnahme fruchtbarer Böden) und letztlich Verlust des Raumbewusstseins durch die weitere Einkehr technischer Anlagen in der Natur (z. B. Windkraft-, Solar- und Photovoltaikanlagen) c) Verlust des Bezugs zu Natur und Tierwelt durch Urbanisierung (Arbeiten und Wohnen in Städten) d) Verlust des Erholungs- und Ästhetikwertes und damit des Gesundheitswertes der Natur durch Bebauung sowie verschiedenartige Umweltverschmutzung e) Verlust an Diversität der Tierarten (u. a. infolge des Sterbens an Windkraftanlagen; allgemeine menschliche Bautätigkeit sowie hohe Bevölkerungsdichte und damit Verlust von Ruhe- und Brutstätten) und Pflanzenarten durch verschiedenartige Umweltverschmutzung Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 9: Ursachen für Erlebens- und Bindungsverluste gegenüber der Umwelt

a) Ökonomisierung (Freizeit und Arbeitszeit sind denselben Optimierungsund Planungszwängen unterworfen: Opportunitätskosten- und Rationalitätsdenken sowie Selbstoptimierung in allen Lebenslagen) des Lebens im Allgemeinen und im Speziellen der freien Zeit, insbesondere Nutzung der freien Zeit in der virtuellen Welt (Digitalisierung) b) Fähigkeits- und Bedeutungsverlust der Ausübung von Muße, Spiritualität, Religiosität c) Verlust der Fähigkeit zur Trennung zwischen Bewegung und Stille; vor allem infolge der Beschleunigung, Digitalisierung und Mobilität in allen Lebensbereichen Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 10: Ursachen für Erlebens- und Bindungsverluste zum Metaphysischen

184

C. Im Kontext der Überflussökonomie  

a) allgemeine Veränderung der Arbeits- und Wohnverhältnisse (Wandel vom Besitz- zum Mietverhältnis, Urbanisierung, Wohnort ungleich Arbeitsort, Etablierung überregionaler / internationaler Arbeitsorte) b) Bedeutungsverlust nicht-monetärer Tätigkeiten (Ehrenamt) c) Verlust der Einzigartigkeit von Orten (Etablierung der „Nicht-Orte“) und der Kulturlandschaft (durch Bodenversiegelung, sehr hohe Bevölkerungsdichte) d) Etablierung des Nützlichkeitsdenkens (Rationalität) kommend aus der materiellen Ebene auf die soziale Ebene: Abwägung von materieller und sozialer Ebene (Opportunitätskosten-Denken) e) Bedeutungsverlust der Familiengründung (Akzeptanz und Legitimation von Schwangerschaftsabbrüchen) und Vereinzelung von Familie (nicht mehr Einheit von Konsum und Produktion) f) bewusste, frühzeitige Trennung der Eltern von ihren Kindern (Kinderkrippen, Kindergärten)196 g) fehlende Abgrenzung(-sfähigkeit) und Unterscheidung zwischen virtuellen und realen Beziehungen infolge der Digitalisierung; Ablösung realer durch virtueller Beziehungen h) Verlust von Solidarität und Vertrauen gegenüber den Mitmenschen im Allgemeinen und im Speziellen im Falle steigender ethnischer Diversität (steigende Transaktionskosten) Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 11: Ursachen für Erlebens- und Bindungsverluste zum sozialen und territorialen Umfeld

196

Gerade in den ersten drei Lebensjahren ist zuvorderst die mütterliche sowie die elterlichfamiliäre Bindung und Sozialisation essenziell für die gesamte weitere, individuelle Entwicklung und nicht zu ersetzen durch eine Fremdbetreuung. Umfangreiche Ausführungen hierzu siehe u. a. Maaz 2010, Maaz 2017 und Hüter 2018.

III. Das Ergebnis der Überflussökonomie

185

a) Bedeutungsverlust von Regionalität und Nationalstaatlichkeit, zum Teil infolge nationaler / überstaatlicher Zentralisierung, und negative Konnotation „des Deutschen“ b) Marginalisierung und Verlust des kulturellen und sozialen Kapitals im Allgemeinen und im Speziellen der Bedeutungsverlust von regional- / nationalspezifischen Festen, Gebräuchen und Traditionen c) moralisch-sittlicher Verlust im Sinne des Bedeutungsverlustes kultureller, bewährter Konventionen und Verhaltensnormen d) Relativismus der Werte und der Etablierung des humanitären Universalismus Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 12: Ursachen für Erlebens- und Bindungsverluste gegenüber der persönlichen Geschichte und den Narrativen sowie Wertvorstellungen der Gemeinschaft

a) fortlaufende Veränderungen der Arbeitstätigkeit (Wandel vom Agrar- zum Industrie- zum Dienstleistungsland), künftig aufgrund Digitalisierung (Industrie 4.0) b) im Allgemeinen: Rückgang heimatbezogener Wertschöpfung zugunsten internationaler (weitestgehend unbekannter / intransparenter) Güter und Wertschöpfungsketten c) im Speziellen: Marginalisierung individueller Wertschöpfung (wie z. B. Eigenanbau, Nutztierhaltung) und damit verbunden der Verlust handwerklicher Fertigkeiten197 aufgrund der fehlenden aktiven Teilnahme am Herstellungsprozess in Bezug auf den Beruf sowie Rückgang handwerklicher Tätigkeiten in der Freizeit d) Verlust des Bezugs zur Wertschöpfung / Wertschöpfungskette (Anonymität der Herkunft) insbesondere im Lebensmittelbereich (z. B. Massentierhaltung und -schlachtung)

197 „Fast die Hälfte der Unternehmen erwartet für die Zukunft eine geringere Bedeutung des Menschen im Produktionsprozess.“ Vgl. A. T. Kearney GmbH 2016, S. 23. Auch die Statistiken zur Zeitverwendung der Deutschen verdeutlichen den Bedeutungsrückgang handwerklicher Tätigkeiten, hier in der Freizeit: Der Anteil „unbezahlter Arbeit“ ging zwischen 2001/2002 und 2012/2013 bei Frauen und Männern zurück, darunter „Garten / Handwerk“ beispielsweise bei Männern mit einem Rückgang von 04:43 auf 03:42 Stunden / Woche. Vgl. Statistisches Bundesamt 2018c, S. 8.

186

C. Im Kontext der Überflussökonomie  

e) Problem des Preises (und damit der Wertschätzung) und der sozialen Kosten (geringes Bewusstsein über soziale Kosten, da sie von der Gesellschaft und nicht individuell getragen werden) f) Allgemeinverfügbarkeit, Überfluss und Standardisierung von Gütern g) Instrumente der Verkaufsförderung, dadurch z. B. Entsorgung und Neukauf vor Nutzungsdauerende h) Bedeutungsverlust von (dingbezogenen) Wertvorstellungen wie Dauerhaftigkeit, Haltbarkeit und Pflege i) Möglichkeit des Erwerbs auf Kredit (Ermöglichung des Güterüberflusses) j) Herausbildung des Konsumortes (Etablierung von Warenhäusern, Einkaufszentren und des Online-Handels) Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 13: Ursachen für Erlebens- und Bindungsverluste gegenüber der Wertschöpfung

Der daraus resultierende Heimatverlust kommt bezogen auf die vorgenannten Ebenen ebenso vielschichtig zum Ausdruck. Die meisten Folgen des Heimat­ verlustes, die auch in Anlehnung an die sozialen Kosten als „Kosten des Heimatverlustes“ bezeichnet werden können, sind in enger Beziehung und Abhängigkeit zu betrachten198. Sie beziehen sich auf alle fünf vorgenannten Ebenen. Die nachfolgende Aufstellung hat nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, soll aber die wichtigsten Verluste darstellen. 1. Entsorgung von Dingen vor dem Ende der Nutzungsdauer oder Haltbarkeit (bzw. trotz ihrer Funktionstüchtigkeit) hauptsächlich zugunsten „neuer“ Güter und insbesondere die vermeidbare Entsorgung von Lebensmitteln (ökologische, ökonomische Verluste). 2. Festigung des Bedeutungsverlustes von gewachsenen Konventionen, Verhaltensnormen und Sitten sowie der Pflege / Weiterführung von Festen und Traditionen bis zum Vergessen derselben (kulturelle und soziale Verluste). 3. Reputationsschwäche und Aussterben von Handwerksberufen, also insbesondere Berufen mit hohen Handarbeitsgrad (ökonomische Verluste). 4. Klimawandel, steigende Umweltverschmutzung (u. a. hohes Abfallaufkommen und dessen Folgen199) und Verlust des Ästhetik-, Erholungs- und Gesundheitswert der Natur (kulturelle, ökologische, ökonomische und soziale Verluste). 198 Die Aufzählung der Ursachen der Erlebens- und Bindungsverluste, wie auch die Aufzählung der Folgen des Heimatverlustes erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. 199 Im Groß- und Einzelhandel und im Bereich der Groß- sowie Endverbraucher besteht ein hohes Lebensmittelabfall-Vermeidungspotential von 70 bis 90 Prozent. Mit dem erheblichen

III. Das Ergebnis der Überflussökonomie

187

5. Rückgang der Bereitschaft, eine Familie zu gründen (geringe / stagnierende Geburtenrate) (kulturelle, ökonomische und soziale Verluste). 6. Rückgang der Bedeutung familiärer Bedingung und Solidarität (soziale Verluste). 7. Rückgang von Solidarität und Vertrauen gegenüber den Mitmenschen im Allgemeinen und im Speziellen im Falle steigender ethnischer Diversität (steigende Transaktionskosten, Zunahme von Kriminalität, Terrorismus) (soziale Verluste). 8. Herausbildung extremer Auslegung von Heimat beziehungsweise von Heimat-​Dimensionen (wie z. B. Nation) in zweierlei Richtung: Oikophobie200 (Erniedrigung des Eigenen) oder Xenophobie (Überhöhung des Eigenen) – beide Verhaltensweisen eint die Schaffung von Feindbildern als Projektion der individuellen Verwerfungen (kulturelle und soziale Verluste). 9. Individueller Rückzug und Vereinzelung in zum Beispiel Eigenheime, Kleingärten oder in eine virtuelle Welt („Ersatzleben in einer simultierten und fiktiven Welt“201), vor allem und aufgrund der Auflösung familiärer und gesellschaftlicher Geschlossenheit (kulturelle und soziale Verluste). 10. Rückgang der Teilnahme am Gemeindeleben und der Bereitschaft der Durchführung nicht-monetärer Tätigkeiten (kulturelle und soziale Verluste). 11. Verlust der Fähigkeit der Trennung von Realität und Fiktion vor allem bei Kindern sowie verschiedene Störungen und Krankheitsbilder wie Aggressivität, Aufmerksamkeitsdefizite, Fettleibigkeit, Lese-/Rechtschreibschwäche, Schlafstörungen, Sprachentwicklungsstörungen202 durch Zunahme der Nutzung digitaler Geräte203 und damit verbunden der Internetabhängigkeit, insbesondere bei der Generation, die seit ihrer Geburt mit digitalen Medien aufgewachsen sind (ökonomische und soziale Verluste). 12. Zunahme physischer und psychischer Erkrankungen204 (insbesondere im Zusammenhang mit der Digitalisierung aller Lebensbereiche) und ein damit verAbfallaufkommen geht eine erhebliche Umweltverschmutzung einher. Vgl. WWF Deutschland 2015, S. 10–11, 34–40, 59. 200 Vgl. Scruton 2013, S. 254–256. 201 Maaz 2017, S. 60. 202 Vgl. Bühring 2016: Seit 2011 hat sich die Anzahl der Internetsüchtigen im Alter von 12 bis 17 Jahren fast verdoppelt. Nur vier Prozent (Jungen) bzw. 14 Prozent (Mädchen) der Kinder spielen keine Online-Spiele. Etwa 19 Prozent (Jungen) bzw. zwei Prozent (Mädchen) verbringen damit zehn und mehr Stunden / Tag. 203 Vgl. Statistisches Bundesamt 2017c, S. 44: Die Zahl der Nutzer mit Internet und Computer ist in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen. Sehr ausführlich weist Spitzer die Gefahren der Smartphone-Nutzung für die Bildung, Gesellschaft und Gesundheit nach. Vgl. Spitzer 2018. 204 Im Jahr 2016 waren psychische Störungen (16,3 % aller Erkrankungen) nach Erkrankungen im Muskel-Skelett-System (25,2 %) der häufigste Grund für Arbeitsunfähigkeit. Die Anzahl

188

C. Im Kontext der Überflussökonomie  

bundener Anstieg der Belastungen für „das Wirtschafts-, Sozial- und Bildungssystem sowie das Strafverfolgungs- und Justizsystem“205 (ökonomische und soziale Verluste). Der aus verschiedentlichen Erlebens- und Bindungsverlusten und damit Wertschätzungsverlusten resultierende, vielschichtige Heimatverlust, der auch als Entwurzelung bezeichnet werden kann, bildet folglich im ersten Stadium die Basis dafür, dass erst einmal verloren gegangene Bindungen nicht mehr ohne Weiteres aufgebaut werden können. Im Weiteren geht aufgrund des Heimatverlustes die Fähigkeit des Erlebens und des Aufbaus von Bindungen sowie die Fähigkeit, in vielschichtiger Weise den Dingen und Menschen Wertschätzung entgegenbringen zu können, verloren. Bezogen auf die historische Analyse lässt sich mit den dargestellten ökonomischen Veränderungsprozessen, angefangen bei der Industrialisierung, im ersten Stadium Heimatverlust auf einzelnen Ebenen feststellen, so nahmen etwa die Bezugspunkte zur Natur oder zur Wertschöpfung ab. Das heute entwickelte System der Überflussökonomie mitsamt seinen negativen Folgen (siehe Abbildung 9 bis Abbildung 13) verdichtet den konstatierten Heimatverlust in einer besonderen Intensität, sodass heute von einem zweiten Stadium gesprochen werden muss, dem Heimatfähigkeitsverlust. „Die Entwurzelung ist mit Abstand die gefährlichste Krankheit der menschlichen Gesellschaften, denn sie vervielfacht sich selbst“206, formulierte Weil. Der Heimatfähigkeitsverlust ist genau die von Weil benannte Vervielfachung der Entwurzelung. Das zweite Stadium muss bezeichnet werden als das Stadium, das dem System der Überflussökonomie gehorcht. Das von Maaz als normopathisches Verhalten207 bezeichnete Phänomen zeichnet sich dadurch aus, dass sich der Mensch seiner Störung nicht mehr bewusst wird: Die vervielfachte Entwurzelung in Bezug auf die eingangs aufgezählten fünf Ebenen manifestiert sich im Heimatfähigkeitsverlust – im Verlust der Fähigkeit des Erlebens, des Aufbaus von Bindungen und damit der Wertschätzung. Es ist nicht mehr nur der fehlende Eingang von Erleben und Bindungen beziehungsvon Arbeitnehmern mit psychischen Erkrankungen ist in den letzten Jahren besonders gestiegen, was häufig mit besonders vielen Fehltagen verbunden ist. Ursachen sind unter anderen die gesundheitliche Belastung durch digitale Medien und zu geringer psychischer und physischer Ausgleich (nicht zu verwechseln mit dem vorhandenen Zeitbudget an Freizeit). Vgl. Knieps / Pfaff 2017, S. 17–18, 42. Der Leistungs- und Zeitdruck kommt vor allem bei jungen Erwachsenen zum Tragen: Kontinuierlicher Anstieg in den letzten zwölf Jahren, etwa 1,9 Millionen der jungen Erwachsenen sind in Deutschland von psychischer Erkrankung betroffen (25,8 Prozent der Altersgruppe), das entspricht einem Zuwachs um 38 Prozent seit 2005. Anstieg der affektiven Störungen um 75 Prozent und der Reaktionen bezüglich schwerer Belastungen um 89 Prozent. Vgl. Grobe et al. 2018, S. 8, 19–20. „Die psychische Gesundheit der EU-Bevölkerung ist stark verbesserungsbedürftig“, jeder vierte Bürger der Europäischen Union ist / war durch psychische Erkrankungen betroffen. Vgl. Europäische Kommission, Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz 2005, S. 3. Die Wahrscheinlichkeit einer psychischen Erkrankung steigt mit der Entfernung zwischen Arbeits- und Wohnort. Vgl. Wissenschaftliches Institut der AOK 2018, S. 1. 205 Europäische Kommission, Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz 2005, S. 3. 206 Weil 2011, S. 46. 207 Vgl. Maaz 2017, S. 130 ff.

III. Das Ergebnis der Überflussökonomie

189

weise die fehlende Möglichkeit des Eingangs von Erleben und Bindungen, sondern der Verlust der Fähigkeit zum Erleben und zum Bindungseingang, verbunden mit einer fehlenden Reflexionsfähigkeit (normopathisches Verhalten). Das heißt, selbst wenn dem Individuum die Möglichkeit des Erlebens oder des Bindungseingangs gegeben wird, betrachtet und bewertet es die Situation unweigerlich vor dem Hintergrund der Einflüsse und Erfahrungen der Überflussökonomie. Dabei spielen die manipulativen Elemente (siehe insbesondere C. II. 1.) eine wesentliche Rolle. Das zweite Stadium rückwärts betrachtend bedeutet es, dass zunächst ein Bewusstsein mitsamt der Fähigkeit wiedererlangt werden muss, Bindungen eingehen und damit Wertschätzung erfahren beziehungsweise geben zu können, um mithilfe von Bindungen Heimatverbundenheit (Verwurzelung) zu schaffen. Am beschriebenen Zustand wird der prozesshafte, dynamische Charakter von Heimat im Sinne eines mehrdimensionalen Verständnisses ersichtlich, der im vierten Kapitel erläutert wird. Die aufgezeigten Ausdrucksformen des Heimatverlustes sind als Wechselspiel zu begreifen: Auf der einen Seite führte die Entwurzelung des Menschen gegenüber seinen Mitmenschen, den Dingen und der Natur dazu, dass sich die als Kosten der Heimatverlusts bezeichneten Ausdrucksformen und Verluste etablieren konnten. Auf der anderen Seite befördert das System der Überflussökonomie eben jene weitere Entwurzelung der Menschen (zweites Stadium). Die Interdependenz zwischen Heimat und Wirtschaft wird an dieser Stelle sehr deutlich und legt den Schluss nahe, dass sich beiderseits Veränderungen einstellen müssen. Besonders eklatant ist die Tatsache, dass wir uns heute im zweiten Stadium des Heimatfähigkeitsverlustes befinden, sodass zunächst das Bewusstsein und die Fähigkeit zum Erleben, zur Bindung und zur Wertschätzung wiedererlangt werden müssen. Gerade weil Bindungen und Beziehungen existenziell für das menschliche Leben sind. „Beziehungsarmes, beziehungsloses oder beziehungsgestörtes Leben belastet die Gesundheit und führt häufig zu einem verschrobenen, verbitterten, vergifteten Sozialverhalten“208. Blicken wir nur auf die aufgeführten Kosten der Heimatlosigkeit (u. a. Punkt 6) wird deutlich, was Maaz meint. Es muss eingedenk der vorgelegten Erkenntnisse ein Konzept von Heimat gedacht werden, das erstens am gegenwärtigen Zustand des Heimatfähigkeitsverlustes ansatzfähig ist und zweitens von vornherein unbedingt den mit Heimat untrennbar verknüpften ökonomischen Aspekt berücksichtigt. In den letzten Jahren war der Heimatbegriff wieder en vogue und Definitionen wurden kolportiert, jedoch ohne die Essenz des ökonomischen Aspektes einzubeziehen. Sloterdijk kam, in einem anderen für den Untersuchungsgegenstand aber nicht minder bedeutsamen Zusammenhang, zu dieser Essenz und nannte sie eine unvermeidliche „Akzentverschiebung zu immateriellen Strömen“:

208

Maaz 2010, S. 210.

190

C. Im Kontext der Überflussökonomie  

„Sofern in der postfossilen Ära die Ansprüche in Kraft bleiben, die das Prinzip Überfluß im Industriezeitalter geweckt hat, wird sich die technische Forschung vorrangig um die Quellen einer alternativen Verschwendung zu kümmern haben. Bei den Überflußerfahrungen der Zukunft wird sich unvermeidlich eine Akzentverschiebung zu immateriellen Strömen geltend machen, weil ökosystemische Gründe ein stetiges ‚Wachstum‘ im materiellen Bereich verbieten. Vermutlich wird es zu einer Verringerung der stofflichen Flüsse kommen – und damit zu einer Revitalisierung der Regionalwirtschaften.“209

Dass eine solche Akzentverschiebung nicht maßgeblich von den Akteuren der Globalisierung kommen kann und wird, erscheint mit Blick auf die bisherigen Ausführungen evident. Ein Ausbleiben der Rückerlangung des Bewusstseins und der Fähigkeit zum Erleben und zum Eingang von Bindungen ist auf Dauer für den Menschen und die Gesellschaft folgenschwer und führt zu der weiteren Verstärkung und Verfestigung der aufgezeigten Entwicklungen und kulturellen, ökonomischen und sozialen Verluste im Kontext des Heimat(fähigkeits)verlustes.

IV. Vergegenwärtigung des natürlichen Rhythmus’ und der Begrenzung: Das Prinzip der Nachhaltigkeit Eine solche Akzentverschiebung von materiellen zu immateriellen Strömen kann im Rahmen eines „Heimat-Konzeptes“ nur gedacht werden mit der Bezugnahme zur ursprünglichen Bedeutung des Begriffes der „Nachhaltigkeit“. Gegenwärtig darf der Begriff der „Nachhaltigkeit“ unternehmensseitig in keiner Selbstdarstellung fehlen. Mitunter sind die sogenannten Nachhaltigkeitsberichte aufgrund neuer gesetzlicher Bestimmungen für Unternehmen zwar verpflichtend, letztlich gleichen sie Texten aus Werbebroschüren und werden ganz gezielt als Kommunikationsinstrumente zur Imagebildung genutzt.210 Ähnlich wie dem Heimatbegriff (wie beispielweise als Namensgeber für staatliche Ministerien) kommt dem Nachhaltigkeitsbegriff eine Kompensationsfunktion zu, das heißt, er muss für Zwecke herhalten, die er nicht erfüllen kann. Hier sei stellvertretend wieder das Problem der sozialen Kosten genannt. Im Zusammenhang des im nächsten Kapitel darzustellenden Heimat-Konzeptes soll dem Begriff der „Nachhaltigkeit“ eine exponierte Bedeutung zukommen, weshalb auch von einem „nachhaltigen“ Heimat-Konzept gesprochen wird. Gegenwärtige Überlegungen und Erkenntnisse zur Nachhaltigkeit fußen maßgeblich auf der forstwirtschaftlichen Studie von Carlowitz, die als eines der Schöpfungswerke des Begriffs gilt. Carlowitz verfasste im Jahr 1713 die Schrift „Sylvicultura oeconomica“ und beschrieb darin die fachgerechte Waldbewirtschaftung.211 In der Erstausgabe formulierte er: 209

Sloterdijk 2016, S. 128–129. Siehe C. II. 1., vgl. Kirchhoff Consult AG 2017 und vgl. Primark Mode Ltd. & Co. KG / Primark Austria Ltd. & Co. KG 2017b. 211 Vgl. Carlowitz et al. 2013, S. 5–8, 327. 210

IV. Vergegenwärtigung des natürlichen Rhythmus’ 

191

„Wird derhalben die größte Kunst / Wissenschaft / Fleiß und Einrichtung hiesiger Lande darinnen beruhen / wie eine sothane Conseration und Anbau des Holtzes anzustellen, daß es eine continuierliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe / weil es eine unentbehrliche Sache ist / ohne welche das Land in seinem Esse nicht bleiben mag“212.

Er schrieb von der Notwendigkeit des sparsamen und schonungsvollen Umgangs mit dem kostbaren und vielseitig einsetzbaren Rohstoff Holz: „Da zu den Schätzen eines Landes auch die Wälder gehören und auf sie, wie auf Essen, nicht verzichtet werden kann, ist überflüssiger Holzeinschlag zu vermeiden und Holzentnahme durch Saaten zu kompensieren“213. Den Menschen sei nahegelegt, zur Vorsorge von etwaigen Notfällen Holzvorräte anzulegen. Das natürliche Wachstum der Bäume bis zur notwendigen Höhe und Stärke solle berücksichtigt werden und das Gemeinwesen trage Schaden davon, wenn der Wald nicht mit der gebotenen Sorgfalt und Rücksicht auf das natürliche Wachstum behandelt werde, denn: „Wälder sind der größte, unerschöpfliche Schatz unseres Landes und seiner Wohlfahrt“214. Notwendig sei die Erziehung, Pflanzung, Pflege und Verjüngung der Wälder, die einseitige Ausrichtung auf die Holznutzung sei ein Fehler.215 Er beschrieb auch das ökonomische Prinzip: „Der gemeine Mann schlägt undifferenziert Holz, treibt es unnütz ab und glaubt, weil ihm das Holzwachstum keine Kosten und Arbeit bereite, er habe es nicht nötig, Mühe und Sorge für den Wald aufzuwenden. Er geht mit dem Wald verschwenderisch um und meint, die Holzvorräte seien unerschöpflich, bis er eines Tages feststellt, dass er selbst Mangel leidet und Holz mit erheblichen Kosten einführen muss. Außerdem spürt er, dass Waldverjüngung langfristig nicht nutzbar ist. Er schont sie darum nicht und macht Huteweide oder Felder daraus.“216

Dass die Bindung zur Natur, insbesondere zum Wald, ein wichtiger Faktor zu individueller und gemeinschaftlicher „Glückseligkeit“217 ist, hob Carlowitz ebenso hervor: „Man sollte vor allem auf die allgemeine Wohlfahrt eines Landes und deren Erhaltung achten. Es ist glücklich, wenn es genügend Wald besitzt und das erforderliche Holz nicht aus anderen Ländern beschaffen muss. Die Glückseligkeit kommt in folgenden Worten zum Ausdruck: Ein Land darf seine Bedürfnisse – besonders an Holz – nicht aus anderen Gebieten befriedigen.“218

Insgesamt kommt seinem Werk für unseren Untersuchungsgegenstand deshalb eine besondere Bedeutung zu, weil es die materielle und immaterielle Interdependenz von Heimat und Ökonomie am Beispiel von der Natur im Allgemeinen beziehungsweise des Waldes als Ressource im Speziellen darlegte. Auf materieller Seite führt demnach der nachhaltige (bewusste) Umgang mit der Natur und dem 212

Carlowitz et al. 2013, S. 7. A. a. O., S. 69. 214 A. a. O., S. 80. 215 Vgl. A. a. O., S. 69, 77. 216 A. a. O., S. 77. 217 A. a. O., S. 78. 218 Ebd. 213

192

C. Im Kontext der Überflussökonomie  

Wald mit seinem vielseitig verwertbaren219 Rohstoff Holz zum wirtschaftlichen Erfolg. Es sei nur so viel Holz abzuforsten, wie durch das Aufforsten – unter Berücksichtigung des Wachstums bis zum Zeitpunkt der Nutzbarkeit – auszugleichen sei. Zudem resultiert auf der immateriellen Seite nachhaltiges, an das natürliche Wachstum des Waldes angepasstes, Wirtschaften zum gesunden Zustand der Natur beziehungsweise des Waldes, was wiederum für den Menschen mit positiven Effekten, wie zum Beispiel einem erhöhten Ästhetik, Erholungs- und Gesundheitswert, verbunden ist. Die „ursprüngliche“ Bedeutung des Nachhaltigkeitsbegriffes im Sinne von Carlowitz bedeutet somit, ein gesundes Maß zwischen dem natürlichen Wachstum und dem wirtschaftlichen Interesse des Menschen zu finden und durch die Achtung und Kenntnis des natürlichen Wachstums sowie der Witterung sogar Vorteile immaterieller (Erhöhung des Gesundheitswertes der Natur für den Menschen) und materieller (Steigerung des wirtschaftlichen Ertrags) Art entwickeln zu können. Deshalb wohnt der Nachhaltigkeit auch immer die Zukunftsfähigkeit inne, da nachhaltiges Handeln und Wirtschaften die zukünftige Entwicklung zu berücksichtigen hat. Der Nachhaltigkeitsbegriff beinhaltet genau das mehrdimensionale Charakteristikum, das einem Heimat-Konzept innewohnen muss, um zukunftsfähig zu sein und zugleich gegenwärtige, vergangene sowie überzeitliche Aspekte und Erfahrungen miteinzubeziehen. Es besteht der Vergangenheits- und Gegenwartsbezug durch die Rückkopplung der Erfahrungen und Orientierungen aus der Vergangenheit in die Gegenwart (wie Erfolge, Misserfolge, Fähigkeiten, Wissen). Auf die Natur und ihren Rhythmus von Entwicklung und Wachstum (Leben und Tod, Gezeiten und Witterung, Klima und Vegetation usw.) wird Rücksicht genommen und ein Bewusstsein über ihre und damit auch die menschliche Begrenztheit entwickelt. Überdies besteht der Zukunftsbezug, indem die zukünftige Entwicklung vor dem Hintergrund vergangener und gegenwärtiger Aspekte und Erfahrungen und überzeitlicher Rahmenbedingungen geplant wird. Auf der natürlichen Rhythmik von Leben und Tod sowie dem Bewusstsein über die Begrenztheit des Menschen und der Natur (nichts besteht und wächst unendlich) fußt – im ursprünglichen Sinne – die Aktivität der Menschen zur Befriedung seiner Bedürfnisse, die wir auch als Wirtschaften bezeichnen.

219

U. a. im Bauwesen, im Bergbau, in der Schifffahrt sowie als Energieträger (Heizen, K ­ ochen).

D. Die Gestalt eines nachhaltigen Heimat-Konzeptes unter Integration wirtschaftlicher Aktivität innerhalb des Bewusstwerdungsprozesses der Heimat-Anverwandlung I. Erweiterte Zwischenbilanz und Idee der Konzeptgestalt Im Vorfeld der historischen Analyse wurde unter A. IV. auf Basis der Untersuchung der Etymologie, der Begriffsspezifika und des Forschungsstandes eine erste Zwischenbilanz erstellt und darin der Heimatbegriff aufgegliedert in eine irdische und eine transzendente Ebene (siehe Abbildung 1). Ferner wurde den jeweiligen Ebenen-Bestandteilen eine geographische sowie eine zeitliche Dimension zugeordnet. Die Heimat-Dimensionen weisen sowohl statische (fester, erdhafter Bezugspunkt) als auch dynamische (kein fester, erdhafter Bezugspunkt) Eigenschaften sowie Vergangenheits-, Gegenwarts- und Zukunftsbezüge auf. Dieser Umstand und die Tatsache, dass der Begriff „Heimat“ eine Besonderheit des deutschen Sprachraums ist, fanden schließlich Eingang in einem hypothetischen Definitionsansatz in Abschnitt A. IV. Die historische Analyse des Wandels deutscher Heimatvorstellungen unter besonderer Berücksichtigung ökonomischer Aspekte vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis heute hat offenbart, dass die Entwicklung von Heimat – zu verstehen in der vordefinierten Form als mehrdimensionales Gebilde  – und die Entwicklung der Wirtschaft im Allgemeinen (Deutschlands) und der wirtschaftlichen Aktivität im Individuellen (der Deutschen) als untrennbar zu betrachten sind. Soll ergründet werden, was Heimat in ganzheitlicher Betrachtungsweise ist, so ist der Einbezug der ökonomischen Dimension von Heimat erforderlich. Hier liegt das Forschungsdesiderat begründet: Der Interdependenz von Heimat und Ökonomie – verdichtet im Begriffspaar der Wertschöpfung und Wertschätzung – kommt keine ausreichende Berücksichtigung zu, wenn durch verschiedene Fachbereiche der Versuch unternommen wurde, das Phänomen der Heimat möglichst vollständig zu erörtern. Auch wissenschaftliche Beiträge zu den Themen der Globalisierungskritik oder des nachhaltigen Wirtschaftens blenden die Verknüpftheit mit dem mehrdimensionalen Heimatbegriff und die Integrationsfähigkeit von Heimatverbundenheit zur Etablierbarkeit und Umsetzung alternativer Ansätze aus. Das nachhaltige Heimat-Konzept, dessen Notwendigkeit unter Kapitel C. dargestellt wurde, knüpft an die fehlende Berücksichtigung der ökonomischen Dimension von Heimat an. In Erweiterung des Abschnitts A. IV. und insbesondere der Abbildung 1 werden deshalb die Dimensionen individuelle Wertschöpfung und heimatbezogene Wertschöpfung eingefügt. Die anderen Dimensionen werden zum Teil notwendigerweise zusammengefasst (in Abbildung 14 jeweils in Klammern zugeordnet),

194

D. Die Gestalt eines nachhaltigen Heimat-Konzeptes  

sodass sich folgende, in Abbildung 14 ersichtliche Heimat-Dimensionen als Bestandteile des Konzeptes ergeben. Geographische und soziale Einbindung (aus Abb. 1: Geburtsort; Wohnort, Arbeitsort, Vaterland, Region; Orte der Kindheit; Familie, Freunde und soziales Umfeld) Kulturelle und nationale Identifikation (aus Abb. 1: Tradition, Riten, Bräuche; Narrative in Bezug auf die Abstammung [Stammbaum, nationale Geschichte] und Geschichte des Individuums [Kindheit, Jugend] oder der ihm zugehörigen Kultur / Nation; Identitätsbildende Aspekte für Charakter und Mentalität einer Nation / eines Kulturkreises, kulturelle Eigen-/Gegebenheiten) Heimatbezogene Wertschöpfung Individuelle Wertschöpfung Natureinbindung und -sensibilität (aus Abb. 1: Natur und Umwelt) Muße und Spiritualität (aus Abb.  1: Spirituelles / Glaube / Religion) Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 14: Dimensionen des nachhaltigen Heimat-Konzeptes

Der Punkt „Empfindungen / Gefühle, wie z. B. Atmosphäre, Ästhetik, Geborgen­ heit, Liebe, Ruhe, Sicherheit, Verlässlichkeit, Wärme“ zielt auf psychologische Grundbedürfnisse ab und wird keiner einzelnen Dimension zugeordnet, da er die Folge aller Dimensionen und letztlich Ausdruck von Heimatverbundenheit ist. Neben dem Aspekt der Wertschöpfung kommt schließlich noch der Aspekt der Muße hinzu, der sich insbesondere aus den Entwicklungen der Massenkonsumgesellschaft seit Mitte des 20. Jahrhunderts ergibt und gemeinsam mit Spiritualität als Einzelpunkt der Darstellung wert ist. Die Ergebnisse des dritten Kapitels zur Notwendigkeit eines nachhaltigen Heimat-Konzeptes und die Befunde der Glücksforschung sind berücksichtigt worden. Alle Dimensionen gemeinsam bilden das Fundament des nachhaltigen HeimatKonzeptes (Abbildung 15). Das Bild des Gebäudes, das die anthropologischen Grundbedürfnisse wie Geborgenheit, Schutz und Sicherheit sowie weitere Bedürfnisse gewährt, soll symbolisch als Darstellungsform dienen. Einer der wichtigsten Bestandteile des Gebäudes ist das Dach, welches getragen wird durch Säulen oder dergleichen. Die Stabilität des Gebäudes geht zurück, sobald eine der Säulen an Tragfähigkeit verliert. Hier stellt das Dach des Gebäudes die Heimat(-verbundenheit) dar, das getragen wird durch einzelne Säulen (= Heimat-Dimensionen), die einzeln zur Stabilität der Gesamtheit (= des Individuums) beitragen.

195

II. Die Bestandteile des mehrdimensionalen Konzeptes

Heimat(-verbundenheit) Geographische und soziale Einbindung

Kulturelle und nationale Identifikation

Heimatbezogene Wertschöpfung

Individuelle Wertschöpfung

Natureinbindung und -sensibilität

Muße und Spiritualität

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 15: (Teil-)Darstellung des nachhaltigen Heimat-Konzeptes

Die Symbolik der Verknüpfung unterstreicht die Untrennbarkeit jeder einzelnen Dimension mit Heimat(-verbundenheit) in ihrer Gesamtheit. Das Konzept ist grundsätzlich aus individueller Perspektive zu betrachten. Das heißt: Welche Dimensionen haben Einfluss auf die Heimatverbundenheit des Einzelnen? Eine Betrachtung aus der Gruppenperspektive, das heißt aus nationaler (gesellschaftlicher) Perspektive, um darzustellen, wie die Heimatverbundenheit der deutschen Gesellschaft ausgebildet ist, wäre theoretisch möglich. Es erfolgt hier jedoch hauptsächlich eine Beschränkung auf die individuelle Perspektive, sofern es nicht anders ausgewiesen wird, jeder Konzeptbestandteil ist für sich eine umfangreiche Abhandlung wert. Dem ökonomischen Bereich von Heimat, der Wertschöpfung, kommt dem Ziel der Arbeit folgend eine umfangreichere Beachtung sowie im sechsten Kapitel eine gesonderte Behandlung zu.

II. Die Bestandteile des mehrdimensionalen Konzeptes 1. Geographische und soziale Einbindung Wird im Rahmen von empirischen Erhebungen gefragt, was Heimat für die Deutschen bedeute, so weisen die Antworten stets am stärksten geographische und soziale Bezüge auf1. Genannt werden auf der geographischen Ebene insbesondere der Geburtsort, die Orte der Kindheit, der Wohnort oder weiter gefasst die Umgebung, Landschaften und Städte oder die Nation. Höchste Priorität hat das Eigene, das heißt der selbstgeschaffene Rückzugsort im engsten territorialen Umfeld, also das Zuhause („die eigenen vier Wände“), sei es eine Wohnung oder ein Haus zur Miete oder im Eigentum. Die Bedeutung der frühkindlichen und jugendlichen Prägung (Primärsozialisation) äußert sich in der hohen Relevanz von Orten, an denen man aufgewachsen ist. Grundsätzlich ist anzunehmen, dass als Heimat stärker das unmittelbare Umfeld mit Haus oder Wohnung und fußläufig erreichbaren Stätten 1

Wie z. B. vgl. Südwestrundfunk 2015.

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D. Die Gestalt eines nachhaltigen Heimat-Konzeptes  

der Erholung, des Konsums oder des Vergnügens angesehen werden, als die historische gewachsene oder staatlich geschaffene Region (= „näheres Umfeld“) oder die deutsche Nation oder der deutsche Kulturraum (= „erweitertes Umfeld“). Natürlich wirken auch größere Einheiten wie Kulturraum und Nation (siehe D. II. 2.) oder das Religiöse oder Spirituelle (siehe D. II. 5.) heimatbildend, jedoch mehr im Metaphysischen als im Territorialen. Der geographische Aspekt von Heimat ist es, der häufig dazu führt, dass Heimat insgesamt in der individuellen Wahrnehmung etwas vor allem Vergangenheitsbezogenes (Statisches) zugeordnet wird, denn bei den Orten der Kindheit und der Jugend handelt es sich um Orte der Vergangenheit, auch wenn sie in der Gegenwart oder Zukunft erlebt werden können. Eine wichtige Erkenntnis liegt im Begreifen von Heimat daher als ein multidimensionales Konzept mit Bezügen und Orientierungen in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Auf der sozialen Ebene sind es liebevolle familiäre, Aufmerksamkeit und Zuwendung spendende Beziehungen, also in persona der Ehepartner oder der Lebensgefährte, die Familie und die Verwandtschaft sowie Freunde und Bekannte, die Heimat bedeuten und die „soziale Identität“2 schaffen. Den Grundstein eines von liebevollen Beziehungen geprägten Lebens bildet maßgeblich die in den ersten Lebensjahren des Menschen durch die engsten Bezugspersonen (Eltern) erfahrene Zuneigungsqualität3. Die geographische und die soziale Ebene greifen ineinander über, weshalb sie auch eine gemeinsame Heimat-Dimension abbilden. Im Zuhause befindet sich der Lebenspartner und bestenfalls in der näheren Umgebung sind die Familie und Freunde beherbergt. Und soziale Kontakte tragen maßgeblich dazu bei, dass ein Ort erwachsen kann, an dem sich der Mensch wohlfühlt. Der historische Wandel der geographischen und sozialen Einbindung der Deutschen (siehe Kapitel B.) umfasst vor allem die Tatsache, dass die Orte des Wohnens, des Arbeitens, der Nicht-Arbeit, des Konsums und auch die Orte der Familie und der Freunde heute unterschiedlich sind und sich nicht mehr an einem Ort (am Zuhause) oder verdichtet zusammenkommen. Das 21. Jahrhundert ist gekennzeichnet durch sogenannte Nicht-Orte, die dem Menschen keine Identität und Relation verschaffen, sondern Ähnlichkeit und Einsamkeit4. Es handelt sich um „flüchtige Behausungen“, denen keine Bindung anwachsen kann. Die Bindung an das Zuhause als kleinste Einheit ist noch intensiver im Falle von Eigentum in Form eines Miteigentumsanteils an einem Grundstück (Eigentumswohnung) oder eines eigenen Grundstückes (Haus), da hier oftmals vorherige beziehungsweise nachfolgende Generationen häuslich waren oder werden und somit das Familiennarrativ mit dem Ort verbunden ist. Die persönliche familiäre Geschichte erfährt dadurch eine physische Fundierung und ist „greifbar“. Eine nachhaltigere Vertiefung etabliert sich auch deshalb, weil in erheblichem Maße 2

Vgl. Ulrich 2016, S. 35. Vgl. Maaz 2017, S. 13 ff. sowie auch vgl. Maaz 2010, S. 19 ff. 4 Vgl. Augé 2012, S. 104. 3

II. Die Bestandteile des mehrdimensionalen Konzeptes

197

monetäre und nicht monetäre Mittel eingeflossen sind und fortlaufend schon aufgrund notwendiger regelmäßiger Instandhaltungsmaßnahmen einfließen und die Gestaltung nach den eigenen Vorstellungen erfolgt ist. Des Weiteren gehen vom Zuhause soziale Bindungen aus, das betrifft die unmittelbare Nachbarschaft sowie Freundschaften (gegebenenfalls deckungsgleich) und die Familie. Ehrenamtliche Aktivitäten werden hauptsächlich im Dorf, im Stadtteil oder in der Stadt ausgeübt. Das unmittelbare Umfeld verfügt auch über eine kulturelle Dimension, das betrifft beispielweise bestimmte Traditionen oder Feste, wie auch Örtlichkeiten, denen Narrative innewohnen oder die als Lokationen kulturellen Lebens präsent sind. Dem Zuhause sind zahlreiche Anknüpfungspunkte zu den anderen Heimat-Dimensionen zuzuordnen, was die Bedeutung dieses Ortes in Bezug auf die Heimatbindung steigert. Insofern die physischen Voraussetzungen dafür geschaffen sind, ergibt sich an diesem Ort die Möglichkeit zur Muße (siehe D. II. 5.), gerade weil ein Großteil der Lebenszeit hier verbracht wird. Damit einher geht die Einbindung zur Natur (siehe D. II. 4.), wenn die Rahmenbedingungen dafür geschaffen sind, beispielsweise mit einem begrünten Hinterhof, einem eigenen Garten oder einem eigenen Waldstück. Die Gelegenheit zur Muße erfährt durch die Nähe zur Natur eine erhebliche Steigerung, auch die Ausübung der Religion, zum Beispiel in Form von Gebeten, ebenso wie spirituelle Handlungen können zu Hause stattfinden (siehe D. II. 4.). Der Aspekt der individuellen Wertschöpfung (siehe D. II. 3.) kann an diesem Ort überdies – abhängig von den Rahmenbedingungen – eine bedeutende Rolle spielen, beispielsweise in Form von Anbau von Rohstoffen zur Eigenversorgung oder der Ausübung handwerklicher Tätigkeiten zur Erstellung von Gütern. 2. Kulturelle und nationale Identifikation Bezeichnet die „geographische und soziale Einbindung“ das unmittelbare (Zuhause) und nähere (Region) Umfeld, so stellt der folgende Bestandteil das erweiterte Umfeld dar und wird als kulturelle und nationale Identifikation benannt. Bausinger definierte „Identität“, synonym zu „Identifikation“, als „die Fähigkeit des einzelnen, sich über alle Wechselfälle und auch Brüche hinweg der Kontinuität seines Lebens bewußt zu bleiben“5. Wenn nun von kultureller und nationaler Identifikation als Bestandteil des Heimat-Konzeptes die Rede ist, so wird vor allem auf eben jenen Aspekt der Kontinuität abgestellt. Die Kontinuität, sprich die Entwicklung über Jahrhunderte hinweg, hat „das Deutsche“ zu dem werden lassen, was es heute ist: Zum einen entwickelte sich eine deutsche Kultur, die über nationale Grenzen hinausgeht und wirkt und zum anderen ein deutscher Nationalstaat, der politisch konstituiert wird durch seine Staatsgrenzen. Während der deutsche Nationalstaat erst im Jahr 1871 gegründet wurde, bildete sich bis dahin eine nationale Identität, ein nationales Bewusstsein durch eine deutsche Kultur heraus. 5

Bausinger 1989b, S. 204.

198

D. Die Gestalt eines nachhaltigen Heimat-Konzeptes  

Streeck unterschied zwischen den Nationen als „historisch gewachsene Erfahrungs- und Verständigungsgemeinschaften“6 und den Nationalstaaten als „Institutionen“, die konstituiert werden durch „politische und soziale Bürgerrechte“ und nicht (wie die Nationen) maßgeblich durch die Abstammung7. „Nationalstaaten und Nationen beziehen sich aufeinander, aber sie sind nicht dasselbe und so gut wie nie deckungsgleich; fast überall gibt es nicht-identische Einschlüsse, sprachlich, ethnisch, kulturell“8. Auch für Patzelt geht der Nationsbegriff über die politische Konstituierung hinaus: Sie kann „viel mehr sein als ein Abstammungsverband, nämlich eine kulturelle Gemeinschaft, der man nicht nur durch Geburt, sondern auch kraft eigenen Wunsches angehören kann, aus deren Traditionen man für sich selbst Gutes zu gewinnen vermag und auf deren einende Grundwerte man sich deshalb gerne einlässt – bis hin zum politischen Eintreten für sie“9.

Das von Streeck und Patzelt als Nation bezeichnete Konstrukt, das nicht unbedingt eine politische Konstituierung implizieren muss, könnte sich im Begriff der „Kulturnation“ manifestieren, den bereits Meinecke nutzte und von der „Staatsnation“ (= Nationalstaat, siehe oben) abgrenzte10. Die Kulturnation ist ungeachtet der staatlichen Konstituierung in Form der Gründung eines Staates (wie das Deutsche Reich im Jahr 1871) zu verstehen als kulturelle Einheit. Herder stellte fest: „Staaten […] können überwältigt werden, aber die Nation dauret“11. Darüber hinaus ist Willms zu folgen, der eine Dreifach-Definition des Nationsbegriffes vorlegte: 1. „Die Nation ist die Ausbildung eines geprägten Wir-Bewußtseins, das in seiner Entstehung und seiner Existenz auf einen bestimmten Raum, auf ein Territorium bezogen ist.“ 2. „Die Ausbildung einer Nation erfolgt zusammen mit der Entwicklung eines politischen Willens zur Einheit. Die politische Willensbildung – Staatsbildung – wirkt auf die Entwicklung jenes Wir-Bewußtseins ein, das wiederum auf die Ausbildung einer politischen Einheit zurückwirkt.“ 3. „Die gegenwärtige Situation einer Nation ist stets das Ergebnis ihrer ganzen bisherigen Geschichte.“12

Die drei Bestimmungsfaktoren sind demnach Wir-Bewusstsein, Territorium und Historie. List betonte mithin, dass „die Zivilisation des menschlichen Geschlechts nur denkbar und möglich vermittels der Zivilisation und Ausbildung der Nationen“13 ist und verdeutlichte damit die Notwendigkeit der Nationenbildung für die Existenz und das Zusammenleben in der Welt:

6

Streeck 2018, S. 8. A. a. O., S. 9. 8 Ebd. 9 Patzelt 2013, S. 655. 10 Meinecke 1911, S. 2–3. 11 Herder 2013, S. 378. 12 Willms 1986, S. 13. 13 List 1910, S. 268. 7

II. Die Bestandteile des mehrdimensionalen Konzeptes

199

„Zwischen dem Individuum und der Menschheit steht aber die Nation, mit ihrer besonderen Sprache und Literatur, mit ihrer eigentümlichen Abstammung und Geschichte, mit ihren besonderen Sitten und Gewohnheiten, Gesetzen und Institutionen, mit ihren Ansprüchen auf Existenz, Selbstständigkeit, Vervollkommnung, ewige Fortdauer und mit ihrem abgesonderten Territorium“14.

Zusammenfassend lässt sich kulturelle und nationale Identifikation bezeichnen als ein historisch gewachsenes und raumbezogenes Ich- und Wir-Bewusstsein, das kontinuierlich geprägt ist durch die Narrative der individuellen (familiärer Stammbaum) und gemeinschaftlichen Abstammung und Historie sowie durch Bräuche, Kunst, Literatur, Musik, Riten, Sitten, Sprache, Traditionen und Werte. Kulturelle und nationale Identifikation schafft gesättigte soziale Geborgenheit, Solidarität und Vertrauen. Sie bedingt die Anerkennung und den Respekt gegenüber anderen (Kultur-)Nationen. Das Bestehen von (politisch konstituierten) Kulturnationen ist essenziell für das Funktionieren des Zusammenlebens der Menschen, gerade weil das Individuum naturgemäß nach territorialer Begrenzung und Gemeinschaft strebt15. Auch Layard betonte die Bedeutung von Gemeinschaft. Individualismus setze den Menschen unter Druck „möglichst viel und möglichst nur das Beste für sich selbst zu ergattern. Wenn wir aber wirklich glücklich leben wollen, dann brauchen wir ein gemeinsames Ziel, ein gemeinsames Gut oder Gemeinwohl, zu dem wir alle unseren Beitrag leisten können.“16

Im Zusammenhang des momentanen Zielkonfliktes innerhalb der Europäischen Union zwischen einem Mehr an zentraler, europäischer Lenkung bis hin zu einem politisch zu konstituierenden Staat Europa einerseits und einem Weniger an Europa im Sinne der Stärkung nationalstaatlicher Selbstbestimmung andererseits, betonte Streeck die Notwendigkeit des Bestehens europäischer Nationalstaaten: „Worin immer die europäische politische Ordnung am Ende bestehen wird, sie kann nur mit den europäischen Nationalstaaten und durch sie gelingen, nicht ohne oder gegen sie.“17 Die wiederkehrenden Autonomiebestrebungen beispielweise von Katalonien in Spanien unterstreichen seine weiterführenden Feststellungen, nämlich dass es allenfalls zu einer Auflösung „nach unten“ kommen würde, das heißt in noch kleinere Nationalstaaten (Regionen). „Als Verständigungs- und Solidargemeinschaften, als soziale Orte von Konflikten und Kompromissen, als Garanten kultureller Vielfalt nach innen wie außen sind die Staaten Europas unentbehrlich.“18 Die kulturelle und nationale Identifikation ist in Erweiterung zur geographischen und sozialen Einbindung (siehe D. II. 1.) zu betrachten, zum besseren Verständnis sind in Abbildung 16 beide Konzeptbestandteile gegenübergestellt.

14

List 1910, S. 268. U. a. vgl. Maaz 2017, S. 197, 216. 16 Layard 2005, S. 16. 17 Streeck 2018, S. 21. 18 Ebd. 15

200

D. Die Gestalt eines nachhaltigen Heimat-Konzeptes  

Die Aufschlüsselung beider Konzeptbestandteile soll verdeutlichen, wie stark soziale und kulturelle Aspekte und also die Identifikation und Einbindung in Narrative, Traditionen und so weiter des unmittelbaren, näheren und erweiterten Umfeldes dafür sorgen, dass sich Heimatverbundenheit entwickeln kann. Allein die territoriale Bindung, zum Beispiel durch die Geburt, sorgt noch nicht per se für Heimatverbundenheit. Auch die solitäre, grenzenlose Selbstverwirklichung der Ich-Identität im Sinne nihilistischer Ausbildungen der Überflussökonomie ohne die Einbindung in und die Identifikation mit der Gemeinschaft als Wir-Identität kann nicht nachhaltig zu Heimatverbundenheit führen, denn der „[p]ersönlicher Lebenssinn ist nicht ohne ein bestimmtes Mass an Gemeinsinn zu finden“.19 Letztendlich stellt zum einen die Ausbildung der individuellen Ich-Identität und zum anderen deren soziale Integration in die jeweilige, eingrenzbare Wir-Identität die Grundlage für ein sinnerfülltes Leben durch Heimatverbundenheit dar. Geographische und soziale Einbindung

Kulturelle und nationale Identifikation

Territorialer Bezug

Unmittelbares und näheres geographisches und soziales Umfeld (Zuhause und Region)

Erweitertes geographisches und soziales Umfeld (Nation)

Erläuterung

Das unmittelbare und nähere soziale Umfeld (Familie, Freunde, Nachbarschaft, Ehrenamt) und Orte des täglichen Lebens (Zuhause, Wohnort, Arbeitsort, Kon­sumort)

Das erweiterte soziale Umfeld bezogen auf die Nation

→ Erleben von Kultur und Tradition sowie Gemeinschaft, Solidarität und Vertrauen im unmittelbaren und näheren Umfeld

→ Erleben von Kultur und Tradition sowie Gemeinschaft, Solidarität und Vertrauen im erweiterten Umfeld

Ergebnis

= Soziale Integration der Ich-Identität in der jeweiligen, eingrenzbaren Wir-Identität

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 16: Gegenüberstellung der Konzeptbestandteile „geographische und soziale Einbindung“ sowie „kulturelle und nationale Identifikation“

19

Ulrich 2016, S. 35 und vgl. a. a. O., S. 231.

II. Die Bestandteile des mehrdimensionalen Konzeptes

201

3. Heimatbezogene und individuelle Wertschöpfung Der Begriff der „Wertschöpfung“ ist in Bezug auf die Interdependenz von Heimat und Ökonomie gemeinsam mit dem Begriff der „Wertschätzung“ zentral. Wie die wirtschaftliche Aktivität in Verbindung mit einer vollständigen oder teilweisen individuellen Wertschöpfung im Allgemeinen aussieht, wurde unter C. I. dargestellt.20 Der nächste Bestandteil des Heimat-Konzeptes betrifft demzufolge die wirtschaftliche Aktivität des Menschen. Es sei dabei unterschieden in individuelle Wertschöpfung und heimatbezogene Wertschöpfung, wobei die zwei Arten auch ineinander übergreifen: Denn ist der Mensch individuell wertschöpfend tätig, so ist er höchstwahrscheinlich auch heimatbezogen wertschöpfend tätig, bereits insofern er die wertschöpfende Tätigkeit territorial „heimatbezogen“ (in seinem dauerhaften persönlichem Umfeld) ausführt. Was in territorialer Hinsicht die Wertschöpfung als „heimatbezogen“ deklariert, sei nachfolgend in drei Ränge unterteilt. Heimatbezogene Wertschöpfung I. Ranges = das Zuhause und davon ausgehend das unmittelbare Umfeld (quantifizierbar als fußläufig erreichbarer Bereich, d. h. ein Umkreis von maximal einem Kilometer) (z. B. der Garten im Hof des Wohnhauses, wo Person A wohnt) Heimatbezogene Wertschöpfung II. Ranges = das, vom Zuhause ausgehend, nähere Umfeld als ein bestimmter Umkreis in geographischer Hinsicht (quantifizierbar mit rund 100 Kilometern), ein administrativ geschaffenes Gebiet (Landkreis, Bundesland) oder ein regionaler Kulturraum (z. B. ein Gebiet mit bestimmtem Dialekt) (z. B. das Erzgebirge, der Kulturraum, wo Person A wohnt) Heimatbezogene Wertschöpfung III. Ranges = die Nation (z. B. Deutschland, die Nation, wo Person A wohnt) Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 17: Geographische Rangfolge heimatbezogener Wertschöpfung

Die in der Abbildung 17 dargestellte Unterteilung ist konsistent zu den zwei vorgenannten Konzeptbestandteilen: Die ersten zwei Ränge heimatbezogener Wertschöpfung gehen mit der Einordnung des ersten Konzeptbestandteils (D. II. 1.) und der dritte Rang heimatbezogener Wertschöpfung geht mit der Einordnung des zweiten Konzeptbestandteils (D. II. 2.) einher. Jedem Rang ist ein Beispiel zugeordnet. Der Begriff der „Region“ könnte sich (geographisch) am ehesten im zweiten Rang wiederfinden, grundsätzlich ist er vom Begriff der „Heimat“ schon mit Blick auf 20

Grundsätzlich beziehen sich die Ausführungen zuvorderst auf „materielle Güter“, das heißt auf Güter zur Bedürfnisbefriedigung und also zum Verzehr / zum Gebrauch, wie z. B. Nahrungsmittel, Bekleidung oder Möbel.

202

D. Die Gestalt eines nachhaltigen Heimat-Konzeptes  

den Aspekt der Mehrdimensionalität und insbesondere auf das Niveau der emotionalen Tiefe deutlich abzugrenzen und deshalb nicht synonym zu verwenden. Handelt es sich bei dem individuellen Ausgangspunkt um einen grenznahen Ort, dessen Umkreis bei einem oder 100 Kilometern zusätzlich einen anderen Staat einschließt, gilt das ausländische Gebiet ebenfalls als das jeweils benannte Umfeld. Zur weiteren Detaillierung lässt sich daran anknüpfend eine Matrix (Abbildung 18) erstellen, die den Grad der heimatbezogenen Wertschöpfungstiefe im Zusammenhang der Rohstoffe und Hilfsmittel (Woraus setzt sich das Gut zusammen? Woher stammen die Hilfsmittel, wie Werkzeuge oder Maschinen?), des Herstellungsprozesses (Wie wurde das Gut gefertigt?) und der Erlangung des Gutes (Wie gelangt der Endnutzer zu dem Gut?) darstellt. Ausschnitt der Wertschöpfungskette Rohstoffe + Hilfsmittel (stofflich)

Entfernung vom Referenzpunkt

teilweise

vollständig

Herstellungsprozess (prozessual)

teilweise

Erlangung

vollständig

Heimatliche Wertschöpfung I. Ranges Heimatliche Wertschöpfung II. Ranges Heimatliche Wertschöpfung III. Ranges außerhalb I-III

Legende: Intensitätsgrad (Grad der heimatlichen Wertschöpfungstiefe, Grad der Wertschätzung) sehr gering

gering

durchschnittlich

hoch

sehr hoch

Einflussfaktoren: Hebelwirkung durch den Grad der individuellen Wertschöpfung Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 18: Matrix der heimatbezogenen Wertschöpfung

Die drei Hauptspalten Rohstoffe und Hilfsmittel, Herstellungsprozess und Erlangung bilden einen Ausschnitt der Wertschöpfungskette, der noch weitere Schritte enthält, wie die auf die Erlangung folgende Nutzung und Entsorgung. Die Matrix soll jedoch nur die Schritte bis zum Ge-/Verbrauch des Gutes darstellen. Die Spalte „teilweise“ bedeutet, dass nicht alle, sondern nur bestimmte Rohstoffe und / oder Hilfsmittel oder Herstellungsprozessschritte dem jeweiligen Rang zuzuordnen

II. Die Bestandteile des mehrdimensionalen Konzeptes

203

sind. Die „Erlangung“ bezieht sich auf den Schritt des Besitzüberganges, den Zeitpunkt also, zu dem der Mensch das Gut erhält, beispielsweise durch den Erwerb in einem Lebensmitteldiscounter, Hofladen oder auch durch Schenkung oder durch Eigen-Ernte. Senkrecht sind die Ränge der heimatbezogenen Wertschöpfung aus Abbildung 17 sowie zusätzlich die Herkunft „außerhalb I–III“ als Entfernung vom Referenzpunkt dargestellt. Der Grad der heimatbezogenen Wertschöpfung wird jeweils mit einer Skala von sehr gering bis sehr hoch in fünf Stufen unterteilt. Steigt die Entfernung vom Referenzpunkt, so sinkt der Grad der heimatbezogenen Wertschöpfung. Er ist höher, wenn ein Teil der Wertschöpfungskette vollständig und nicht nur teilweise einem Rang zuzuordnen ist. Deckungsgleich mit dem Grad der heimatbezogenen Wertschöpfung ist der Grad der Wertschätzung. Nicht enthalten ist der Aspekt der individuellen Wertschöpfung, der als Multiplikator des Grades der Wertschätzung angesehen werden kann. Individuell wertschöpfend tätig ist der Mensch, sobald er in irgendeiner Form beteiligt ist am Gut entlang der beiden Aspekte der Rohstoffe und Hilfsmittel sowie der Herstellungsprozessschritte, das heißt in stofflicher Hinsicht durch einen Anteil an der Stofflichkeit des Gutes (Rohstoffe aus Eigenanbau) oder / und in prozessualer Hinsicht durch einen Anteil am Prozess der Fertigung des Gutes durch aktive körperliche Tätigkeit im Sinne Arendts als „homo faber“ („Herr seiner Hände“) zur Schaffung Gütern, die durch ihren Schöpfer als wertvoll wahrgenommen werden. Und die Wahrnehmung durch den Schöpfer als „wertvoll“ entsteht zum einen durch den relativen Wert zur Bedürfnisbefriedigung. Unter C. I. 2. stellten wir bereits den subjektiven Charakter des Wertbegriffes fest. Die Relation oder auch „das Fühlen“ vom Mensch gegenüber dem Gegenstand, Heyde bezeichnete das „als Kernbegriff des Werterlebnisses“21, macht die Wertschätzung aus. Die Beziehung kann sich aus verschiedenen Gründen entfalten, im Rahmen dieser Arbeit werden die beiden Hauptantriebsmotive, die heimatbezogene und die individuelle Wertschöpfung, dargestellt. Maßgeblich im Hinblick auf die Intensität der individuellen Wertschöpfung verbunden mit der Wertschätzung ist körperliche Tätigkeit des homo fabers. Denn die Erstellung eines Gutes mit den eigenen Händen lässt eine viel höhere Identifikation möglich werden als beispielsweise die Betätigung einer Maschine mit den eigenen Händen, die die Erstellung ausführt. Die Tätigkeitsvielfalt der menschlichen Hände ist dabei nahezu unendlich22. Es ist das Vorstoßen in die Innerlichkeit der Dinge, die die erhöhte Wertschätzungsfähigkeit gegenüber selbstgeschaffenen Gütern ausmacht. Zugleich erfolgt eine Loslösung von der Sphäre des Marktes und seiner „Ideale“ (wie Rationalität, Nutzenmaximierung, Kosten / Nutzen-Denken, siehe C. I.) mit negativem Einfluss auf die Menschen. Die individuelle Wertschöpfung übt eine Hebelwirkung auf die individuelle Wertschätzungsfähigkeit (Abbildung 18) aus.

21 22

Heyde 1926, S. 111. Eine gute, praxisnahe Aufzählung bei Anders / Fischer 2016, S. 9–10.

204

D. Die Gestalt eines nachhaltigen Heimat-Konzeptes  

4. Natureinbindung und -sensibilität Direkt an die vorgenannten, vom Menschen dominierten Aspekte schließt die Natur an, die die in ihrem Ursprung nicht vom Menschen gemachte Basis bildet. Es ist Miegel zu folgen, wenn er die Natur bezeichnet als „das größere Ganze, in das sich die Menschen eingebunden fühlten“23, bis mit der Etablierung der Industrialisierungs- und Globalisierungsentwicklungen ein „tiefgreifender Wandel von Sichtund Verhaltensweisen“24 einherging und aus dem Miteinander von Mensch und Natur ein Nebeneinander wurde. Das Nebeneinander entstand hauptsächlich durch zwei Aspekte, die Wohn- und Arbeitssituation betreffend: Erstens durch die Urbanisierung, das heißt die Verschiebung des Wohnortes aus kleinteiligen Strukturen mit naturnaher Lage in dichtbesiedelte Städte – Augés „Nicht-Orte“25; und zweitens durch die rückläufige beziehungsweise fehlende Beziehung zur Wertschöpfung, die viele Ursachen hat. Das Nebeneinander kommt zum Beispiel dadurch zum Ausdruck, dass die Menschen keine oder nur marginale Grundkenntnisse über die Tier- und Pflanzenwelt besitzen. Neben dem Wissen über die Natur fehlen die Sensibilität und der Sinn für die Notwendigkeit einer Einbindung in die Natur. Erst mit der Einbindung in die Natur, das heißt durch aktives Erleben, entwickelt sich die Sensibilität für die Natur. Folgende Merkmale kennzeichnet die Natur: Uhrzeitunabhängiger, selbstregulierender Rhythmus des Lebendigen (Geburt, Wachstum und Tod in der Tier- und Pflanzenwelt), Witterung, Tages- und Jahreszeiten sowie Mannigfaltigkeit von Farben, Geräuschen und Gerüchen. Daraus ergeben sich für den Menschen positive Effekte auf die physische und psychische Gesundheit in passiver (prophylaktisch) und aktiver (heilend / regenerativ) Hinsicht durch: 1. den Erholungs- und Gesundheitswert (Geräuschabsorption führt zu Stille, schadstofffreie Luft, Ruhe und Bewegung), 2. den Ästhetikwert („das Schöne“), 3. die Entwicklung natürlichen Bewusstseins für Raum und Zeit, 4. die Wahrnehmung der realen im Gegensatz zur digitalen Welt, 5. die Vergegenwärtigung der Diversität der Tier- und Pflanzenwelt und 6. die Bewusstwerdung der Selbsteinordnung in seine Umwelt („das große Ganze“) und damit die Demut des Menschen gegenüber der Schöpfung. Wissenschaftliche Untersuchungen der modernen Medizinforschung belegen mittlerweile das, was als intuitives Wissen über Generationen weitergetragen wurde: Viel mehr als ein romantischer Mythos ist der (Deutsche) Wald mit seinem Holz ein Faktor, der die vorgenannten, positiven Effekte in sich vereinen kann. 23

Miegel 2011, S. 70. Ebd. 25 Augé 2012, S. 110. 24

II. Die Bestandteile des mehrdimensionalen Konzeptes

205

Nicht nur der aktive Aufenthalt des Menschen in der Natur, sondern auch das Leben zum Beispiel in den eigenen Wohnräumen in der Gegenwart von natürlichen Rohstoffen, hier von Holz, ist der menschlichen Natureinbindung zugehörig. Es wurde beispielsweise nachgewiesen, dass infolge des Aufenthalts in einem mit Vollholz ausgestalteten Schlafzimmer die Herzfrequenz der Probanden im Schlaf geringer und der Schlaf damit insgesamt gesünder war, als in einem Vergleichs-Raum mit lediglich beschichteten Platten in Holzoptik. Am Beispiel von Schulkindern konnte zudem nachgewiesen werden, dass deren Aufenthalt in einem mit Vollholz ausgestalteten Klassenraum gesünder und entspannter abläuft: Die tägliche Herzarbeit der Schüler lag rund zwei Stunden unter der Herzarbeit der Schüler im nicht mit Holz ausgestalteten Vergleichsraum. Sind grundsätzlich im Innenausbau besonders hohe hygienische Voraussetzungen notwendig (wie z. B. in Krankenhäusern), sind Holzoberflächen zum Teil sogar den unnatürlichen Materialien überlegen. Alles in allem wirkt sich eine Holzumgebung in vielerlei Hinsicht positiv auf die menschliche Gesundheit (prophylaktisch und allgemein bei chronischen sowie schweren Krankheiten) aus und sorgt zudem für Entspannung sowie allgemeines Wohlbefinden.26 Das Beispiel des Holzes verdeutlicht die untrennbare Verbindung des menschlichen Organismus mit der Natur – ob nun aktiv in der Natur oder passiv durch ein mit natürlichen Rohstoffen ausgestattetes Arbeits- oder Wohnumfeld. Der Botaniker Francé brachte 1923 die positiven Effekte (Glücksfaktoren) verbunden mit den Wohlstandsverlusten, wenn sie negiert werden, folgendermaßen zum Ausdruck: „Wenn wir sie [Anm. des Autors: die Heimat] zerstören, dann zerstören wir uns nur selbst; wir schaden nur unserem eigenen Glück und unserer Seele, wie unserem Wohlstand, wenn wir ihren Boden unfruchtbar machen durch zu viel Industrie und ‚Großstadtkultur‘, wenn wir ihre Wälder verwüsten, die reinen Flüsse trüben, die Schätze ihres Bodens zu sehr ausnützen und ihre Tiere und Pflanzen ausrotten zugunsten unserer einseitig bevorzugten Schützlinge; wenn wir den Menschen die Einfachheit nehmen und die Kraft der Erneuerung in ihrem Frieden, wenn wir die Menschenreserven schlichter, unverfälschter, kraftvoller Seelen verwandeln in überforderte, abgestumpfte und verdorbene Großstädter“27.

Grundsätzlich ist es dem Menschen möglich, die positiven Effekte zum Teil an Orten wahrzunehmen, die vom Menschen direkt beeinflusst wurden und werden. Damit sind insbesondere Orte gemeint, deren Erdoberfläche versiegelt (und bebaut) wurde, sodass sich das natürliche Wachstum nicht mehr ungehindert ausbreiten und die Witterung nicht mehr ohne Weiteres in die Erde eintreten kann. Jedoch unterscheiden sich die oben genannten Merkmale und Effekte in ihrer Ausbildung erheblich zwischen der berührten (vom Menschen maßgeblich beeinflussten) und der (weitestgehend)  unberührten Natur. Der Unterscheid zwischen der berührten und (weitestgehend)  unberührten Natur besteht hauptsächlich im Grad der Urbarmachung beziehungsweise Ökonomisierung der Natur. Auf zusammenhän 26 27

Vgl. Moser / Thoma 2018, S. 105, 121–127, 134–139, 141, 153. Francé 1923, S. 51.

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gend unberührte, ursprüngliche (nicht ökonomisierte) Natur trifft der Mensch in Deutschland nur noch in Nationalparks und Naturschutzgebieten. Dass unbebaute, im Allgemeinen als „freie Natur“ wahrgenommene Gebiete beispielsweise durch Windräder deutlich an ihrem positiven Wert für den Menschen verlieren, weil sie ökonomisiert werden, wurde unter C. II. 4. dargestellt. 5. Muße und Spiritualität Eine einheitliche Definition des Mußebegriffes existiert nicht, sie sei definiert als „Gelegenheit zur geistigen Einkehr, frei von inneren und äußeren Zwängen, sowie zum Genuß“. Muße, oder geistige Einkehr, bedeutet die Schaffung individueller Befreiung beziehungsweise eines geistigen Freiraumes, zunächst auf psychischer Ebene, was sich auf die physische Ebene auswirken kann (verändertes, oftmals kreativeres Handeln) oder in Verbindung mit der physischen Ebene steht (Mußetätigkeit im Rahmen einer physischen Tätigkeit). Im Zusammenhang mit Muße ist wesentlich auch die Fähigkeit des Genuss-Empfindens zu nennen. Die üblichen Gedankengänge können innerhalb der Mußezeit verlassen werden und Entspannung sowie Inspiration und Kreativität schaffen. Muße kann grundsätzlich an jedem Ort und zu jeder Zeit stattfinden, wenngleich individuelle Einflussfaktoren (Ort und Zeit) existieren, die positiv auf die Gelegenheit zur Muße einwirken. Natürlich kann Muße auch innerhalb der Lohnarbeitszeit (seltener) und der lohnarbeitsfreien Zeit (häufiger) stattfinden. Es besteht der Zusammenhang zu den anderen Heimat-Dimensionen: Beispielsweise wird sich eine gesättigte geographische oder soziale Einbindung positiv auf die Möglichkeit zur Muße auswirken. Ein Ort, dem sich der Mensch zugehörig fühlt, das heißt an dem er Bindungen entwickelt hat, bildet eine gute Voraussetzung dafür, die Gelegenheit zur geistigen Einkehr zu nutzen. Besteht ein bestimmtes, hier nicht näher zu definierendes, Maß an der Gelegenheit zur Muße, schafft dies einen ausgeglichenen Seelenzustand (innere Mitte), der glücklich macht. Damit ist die Fähigkeit zur Muße ein wesentlicher Bestandteil der individuellen Heimatverbundenheit. Kommt sie abhanden, ist sie eine Voraussetzung individueller Entwurzelung. Der als freie Geistesentfaltung zu verstehende Muße-Begriff steht in Abgrenzung zum Begriff der „Freizeit“, der im allgemeinen Sprachgebrauch das Zeitbudget des Menschen ist, in dem keine Tätigkeit mit äußerem Zwang (Lohnarbeit) ausgeübt wird. In der Freizeit ist das Individuum „frei“ (von Arbeit), jedoch unterliegt diese freie Zeit – gerade heute in der Überflussökonomie und ihren vielen, omnipräsenten Kommunikationsmitteln – vergleichbaren (inneren und äußeren) Optimierungszwängen wie die nicht-freie Arbeitszeit. Ist die Freizeit einmal frei von äußeren Zwängen (Arbeitgeber), so treten häufig innere Zwänge auf. Habermas bezeichnete „Freizeit als eine Degenerationsform der Muße“28 und lag damit rich 28

Habermas 1956, S. 220.

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tig: In der Freizeit reicht die individuelle Zielstellung von Erholung bis Vergnügen. Gerade das Freizeit-Ziel der Erholung könnte deckungsgleich mit dem Ergebnis der inneren Einkehr sein. Jedoch steht die Freizeit häufig unter der Prämisse der Mehrwertmaximierung: In möglichst geringer Zeit soll möglichst viel Mehrwert beziehungsweise Nutzen (Erholung, Spaß, Vergnügen) generiert werden. Es wird stets die Frage gestellt: „Welchen Mehrwert bringt mir die Tätigkeit XY?“ So wird aus „mußevoller Beschäftigung“ ein „geschäftiger Müßiggang“29. Eine Sache um ihrer selbst willen tun, stellt das Gegenteil dar. Auch aus diesem Grund wecken ehrenamtliche Tätigkeiten bei jungen Menschen, die mit dem Denken der Mehrwertmaximierung aufgewachsen sind, ein geringes Interesse. Denn Ehrenamt wird nicht vergütet und zeitgleich könnten Tätigkeiten ausgeübt werden, die deutlich mehr Nutzen spenden. Das Opportunitätskostendenken hat die Freizeit infiziert und macht es schwerer, Mußezeit zu haben. Innerhalb der Überflussökonomie bezeichnet der Begriff der „Entschleunigung“ die ökonomisierte Form der Erholung. Viele Menschen sind der Auffassung, „Sonne tanken“ funktioniere nicht mehr auf dem eigenen Balkon oder im nahegelegenen Park, sondern nur noch in fernen Ländern, die mit hohem Umwelt- und Ressourcenverschleiß bereist werden. Gemessen an den internationalen Tourismusausgaben rangiert Deutschland auf dem dritten Platz hinter den USA und China30. Und selbst am Ort des „Sonnetankens“ sind die Reisenden nicht oder erst nach Tagen in der Lage, tatsächlich zu sich selbst zu finden. Es müssen möglichst viele Fotos erstellt werden, sodass zu Hause Abbilder genossen werden und nicht der Augenblick an sich. Sehenswürdigkeiten und Fotostationen werden „abgearbeitet“. Es besitzt quasi-religiösen Charakter, die Anzahl der bereisten Länder aufzuzählen. Einen wesentlichen Anteil daran haben Kreuzfahrten: Über mehrere Wochen werden mit einem Kreuzfahrtschiff, ausgestattet wie eine Kleinstadt mit Restaurants, Schwimmbädern und so weiter, verschiedene Länder bereist. Der Reisende ist (physisch) in einem Land gewesen, ohne (psychisch) in einem Land gewesen zu sein – das Hochglanzfotobuch ist sein Zeuge. Mit Blick auf die hohe Umweltverschmutzung und der gezielten Vergnügensverdichtung können die Kreuzfahrten als Inbegriff der optimierten Freizeitgestaltung angesehen werden. Es braucht preisintensive „Wohlfühlwochenenden“ in Wellness-Anlagen, um in der Freizeit zu entspannen („entschleunigen“). Hinzu kommt der Aspekt der Unsicherheit ob künftiger wirtschaftlicher Entwicklungen zulasten des eigenen (hohen) Wohlstandsniveaus (Angst vor Arbeitsplatzverlust, Unsicherheit bezüglich der späteren Rente) – umso entschiedener und exzessiver werden („so lange es noch geht“) Urlaubsreisen durchgeführt. Das in der Regel lohnarbeitsfreie Wochenende wird in einem Einkaufszentrum verbracht und sogar der Feiertag wird, insofern dies möglich ist, in einem anderen Bundesland verbracht, wo kein Feiertag herrscht und somit der Besuch von Einkaufsstätten ermöglicht wird. 29

Habermas 1956, S. 217. Ausgaben im Jahresvergleich: 2017: 89,1 Mrd. US-Dollar (2015: 77,5), vgl. Statistisches Bundesamt 2018c. 30

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D. Die Gestalt eines nachhaltigen Heimat-Konzeptes  

Ein weiteres Merkmal des etablierten Mehrwertmaximierungskalküls ist, dass bis zuletzt „alle Möglichkeiten“ offengehalten werden, nicht doch eine Tätigkeit ausüben zu können, die einen noch höheren Mehrwert zu generieren verspricht. Diese Geisteshaltung äußert sich in der Unverbindlichkeit (Unzuverlässigkeit) vieler Menschen. Da es sich hierbei nicht um nachhaltige glücksbringende Tätigkeiten handelt, wird die Mehrwertmaximierung weiter optimiert, indem in immer dichteren und kürzeren Intervallen versucht wird, Nutzen zu generieren. Dies ist mit dem Zustand einer Sucht vergleichbar. An dieser Stelle sind wir wieder beim dargestellten Zusammenhang von erwarteter und realisierbarer Bedürfnisbefriedigung (siehe C. II. 2. und Abbildung 7). Die Freizeit wird heute ausgeübt innerhalb eines Kompensationsraumes: Das Individuum ist mit einer materiellen Übersättigung konfrontiert, die nicht mehr die Befriedigung schaffen kann, die man sich verspricht. Zugleich sinkt die Fähigkeit, an den Dingen Befriedigung (und damit Glück) zu empfinden, woraus sich Frustration und Langeweile ergeben. Der Begriff der „Langeweile“ wird häufig synonym zum Mußebegriff verwendet, ist jedoch das Negativ der Muße und der Höhepunkt der Mehrwertmaximierungsspirale. Ganz im Gegenteil zur seelischen Ausgleich bringenden Muße schafft die Langeweile eine seelische Unausgeglichenheit und macht den Menschen unglücklich. Verdichtet lässt sich definieren: Unter Langeweile ist empfundene Sinnleere zu verstehen. Der Mensch setzt immer mehr ein (konsumiert immer mehr), um Befriedigung zu erlangen und begreift nicht, dass es so wenig benötigt, um tatsächlich Glück im Rahmen von mußevoller Tätigkeit zu erlangen. Allen in allem haben die Lohnarbeitszeit und die Freizeit ihre Trennung verloren, beide Tätigkeiten sind inneren und äußeren Zwängen unterworfen. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung sollte das Ziel der deutschen Gesellschaft im 21. Jahrhundert nicht sein, das Zeitbudget „Freizeit“ zu maximieren. Vielmehr ist der Mensch heute glücklich und in diesem Sinne immateriell wohlhabend, wenn er die Gelegenheit zur Muße hat. Zum Beispiel kann die freie Zeit anstatt für den Konsum („Shoppen gehen“) zur Muße genutzt und somit  – um mit Jünger zu sprechen  – der „Verödung des geistigen Lebens“31 entgegenzuwirken. Die Abgrenzung der Muße zur materiellen Ebene, so lässt sich zusammenfassend sagen, liegt in der Feststellung, dass sich Muße nicht käuflich erwerben lässt. „Der Anblick eines Weinbergs, eines Obsthains, einer blühenden Landschaft erheitert uns, nicht wegen des Nutzens, den sie abwerfen, sondern weil sie in uns ein Gefühl der Fruchtbarkeit, des Überflusses, des zwecklosen Reichtums hervorrufen“32 und – so lassen sich die Zeilen ergänzen – schafft die Voraussetzungen für die Möglichkeit zur Muße. Denn der Kontakt zur Natur zählt zu den positiven Einflussfaktoren in Bezug auf die Muße-Möglichkeit.

31 32

Jünger 1946, S. 136. A. a. O., S. 16.

III. Der Bewusstwerdungsprozess der Heimat-Anverwandlung

209

Die Gelegenheit zur Muße ist eine maßgebliche Voraussetzung zur Religiosität und Spiritualität des Menschen. Deren Ausübung sorgt dafür, dass sich der Mensch seiner Eingebundenheit in Gottes Schöpfung beziehungsweise in die Welt bewusst wird. Pestalozzi bezeichnete es als „innere Ruhe“, die sich unter anderem auf Basis der Beziehung zu Gott entwickle33. Glaubt der Mensch nicht an die Existenz Gottes und ist nicht einer bestimmten Glaubensgemeinschaft zugehörig, so kann er dennoch eine gewisse Spiritualität entwickeln. Auch der Aspekt der „Nächstenliebe“ als wesentlicher Begriff der Glaubenslehre des Christentums kann als zentral für ein Verständnis von Heimat verstanden werden, das im Kleinräumigen, in der Nähe des Menschen beginnt und von dort ausstrahlt. Erst mit der Wertschätzung (in der größtmöglichen Form der Liebe) der Nähe, das heißt der Mitmenschen, der Natur und der Dinge können sich physisch und psychisch gefestigte Menschen innerhalb einer gefestigten und solidarischen Gemeinschaft herausbilden.

III. Der Bewusstwerdungsprozess der Heimat-Anverwandlung Das nachhaltige Heimat-Konzept ist ein Zusammenspiel aus statischen und dynamischen Komponenten, die Vergangenheits-, Gegenwarts- und Zukunftsbezüge aufweisen. Dementsprechend – und so muss eine wichtige Erkenntnis zur Erörterung des Wesens des Heimatbegriffs lauten – verfügt Heimat über einen prozesshaften Charakter. Insofern ist Heimat aus individueller Perspektive lebenslang in Entwicklung und Veränderung begriffen und weist eine Doppelstruktur aus „Sein“ und „Werden“ auf. „Sein“ ist zu verstehen im Sinne der bereits entwickelten Bezüge und Bindungen zu den Heimat-Dimensionen. „Werden“ deutet auf die Vertiefung und fortwährende Entwicklung neuer Bezüge und Bindungen hin, die das ganze Leben andauert. Das Zusammenspiel aus Sein und Werden vereint der Begriff der „Anverwandlung“, der sich aus den zwei Begriffen „Aneignung“ (1.) und „Verwandlung“ (2.) zusammensetzt und wie folgt erklären lässt. 1. Aneignung: Aneignung, synonym auch Verinnerlichung oder Einverleibung, bezeichnet den Prozess des Erlebens der Heimat-Dimensionen und damit der Entstehung von Bindungen durch das Erleben. Aneignung ist die Entwicklung, Etablierung und Vertiefung des Seins von Heimat und ihrer Dimensionen im Sinne des nachhaltigen Heimat-Konzeptes. Beim Begriff des „Wertes“ stellten wir fest, dass der Wertschätzung vorgelagert (siehe Abbildung 4) eine Bewusstwerdung über die Eigenschaften des Objektes stattfindet. Ähnlich verhält es sich bei der Aneignung, der eine Bewusstwerdung über die anzueignenden Bindungen vorgelagert ist. Ist sich der Mensch nicht darüber bewusst, dass eine bestimmte Heimat-Dimension durch Erleben Bindungen erzeugen kann, so bleibt ihm das Erleben samt der Bindungen vorenthalten. Ein Beispiel: Eine Person A, die sich des Ästhetik- und Erholungs 33

Pestalozzi / Scheuenstuhl 1845, S. 18–19.

210

D. Die Gestalt eines nachhaltigen Heimat-Konzeptes  

werts der Natur nicht bewusst ist, wird einem Waldspaziergang nichts abgewinnen und das Erlebte nicht als bindend wahrnehmen können. Das Bewusstsein, der psychische Sinn, ist nicht ausgebildet. Dementsprechend hat der Aspekt der Natureinbindung und -sensibilität für sie keine nennenswerte Relevanz. Eine andere Person B ist sich dem Ästhetik- und Erholungswert der Natur bewusst und erlebt den Waldspazierganges bewusst: Sie verfügt über den Sinn zur intensiven Wahrnehmung der Atmosphäre – der Farben und Töne des Waldes. Sie genießt den Farbenreichtum, die Ruhe, die reine Waldluft. Sie profitiert vom positiven Ästhetik- und Erholungswert der Natur, wodurch der Natur eine Wertschätzung zukommt. 2. Verwandlung: Dem Beispiel folgend und in Anknüpfung an die Aneignung, lässt sich der Begriff der „Verwandlung“ als zweiter Bestandteil des Anverwandlungs-Begriffs veranschaulichen: Die Person B befindet sich in einem laufenden Prozess der Verwandlung, denn der Kontakt mit der Natur verändert sich im Laufe des Lebens, sodass sich auch die Bindungen verändern, verschieben und vertiefen. Aus der Wertschätzung gegenüber der Natur entwickelt sich eine intrinsisch motivierte Verantwortung und Verpflichtung zu deren Erhalt und damit die Bereitschaft und Durchführung zur Aktivität, die Natur in welcher Form auch immer zu erhalten und zu gestalten. Person A ist in Verwandlung begriffen, sofern sie sich der Bindungskraft der Dimension „Natur“ durch Erleben bewusst wird. Sie kann sich jederzeit die Natur einverleiben und Bindungen entwickeln. Die dargestellte, gegenwärtige Entwicklung vom Heimatverlust zum Heimatfähigkeitsverlust (siehe C.III.) stellt einen Aspekt dar, der für beide Personen, insbesondere für Person A, erschwerend hinzu kommt: Es ist die Fähigkeit verlorengegangen, durch das Erleben Bindungen einzugehen und hieraus Wertschätzung entstehen zu lassen. Der Bewusstwerdungsprozess setzt heute an dieser Stelle an.

Aneignung Verwandlung

Auditive Wahrnehmung (Hören) Gustatorische Wahrnehmung (Schmecken) Haptische Wahrnehmung (Fühlen) Olfaktorische Wahrnehmung (Riechen) Visuelle Wahrnehmung (Sehen) Wahrnehmungsöffnung Anverwandlung

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 19: Wahrnehmungsöffnung durch Aneignung und Verwandlung (Anverwandlung): der leiblich-seelische Charakter von Heimat

Der beschriebene prozesshafte Charakter und damit der Faktor Zeit bildet einen entscheidenden Faktor der Anverwandlung, denn Erleben und Bindungen werden nicht nur in der Gegenwart, sondern auch im Nachhinein ihre Entfaltung und Wir-

III. Der Bewusstwerdungsprozess der Heimat-Anverwandlung

211

kung erzielen. Beispielsweise kann auch erst Jahre später eine Wanderung, etwas Handwerkliches oder ein Gespräch bewusst angeeignet werden und Verwandlung stiften. Alles in allem führt die Heimat-Anverwandlung, wie in Abbildung 19 dargestellt, zu einer Wahrnehmungsöffnung aller menschlichen Sinne. Der Bewusstwerdungsprozess der Heimat-Anverwandlung ist eine über das ganze Leben des Menschen andauernde Wanderschaft mit vielen Wegmarken (Wahrnehmungsöffnungen und Bindungen), die durch Erleben gesetzt werden. Die Wahrnehmung und die Bindungen sind umso tiefer, je intensiver (länger / häufiger) und vielfältiger das Erleben stattfindet. Erlebensvielfalt und Bindungstiefe gehen einher mit einer steigenden Heimatverbundenheit. Infolge der Stimulation aller menschlichen Sinne durch die Heimat-Anverwandlung verfügt Heimat im Sinne des Konzeptes über einen dezidiert leiblich-seelischen Charakter. Die lebenslang andauernde Wanderschaft des Bewusstwerdungsprozesses der Heimat-Anverwandlung lässt sich zusammenfassend, wie in der Abbildung 20 dargestellt, als Stufenmodell beschreiben. Bewusstwerdungsprozess der Heimat-Anverwandlung Aneignung 1. Heimatverbundenheit Durch Erleben und Bindungen

Wahrnehmungsöffnungen

2. Wertschätzung und Achtsamkeit Gegenüber den Menschen, der Natur, den Dingen

Verwandlung

3. Verantwortung und Verpflichtung Erwachsende Bereitschaft zur Aktivität

4. Erhalten und Gestalten Tatsächliche Aktivität und Veränderung der Gewohnheiten

Maß der sozialen Integration der IchIdentität innerhalb der Wir-Identität

+

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 20: Stufenmodell des Bewusstwerdungsprozesses der Heimat-Anverwandlung

Aus der durch Erleben hervorgerufenen Heimatverbundenheit (1. Stufe)  erwachsen Wertschätzung und Achtsamkeit (2. Stufe)  gegenüber den Dingen und Menschen. Daraus folgen Verantwortung und Verpflichtung (3. Stufe) und damit die Bereitschaft zum aktiven Handeln. Der letzte Schritt ist das tatsächliche auf die Bereitschaft folgende aktive Erhalten und Gestalten (4. Stufe) und die einhergehende tatsächliche Veränderung der individuellen Gewohnheiten. Stetige Aneignung und Verwandlung durch und mit Wahrnehmungsöffnungen lassen die Stufen in unterschiedlichen Lebenslagen und ablaufen. Als entscheidendes Maß zum individuellen Wohlbefinden gelten funktionierende zwischenmenschliche Beziehungen und Interaktionen (siehe C. II. 2. b)). Vor diesem Hintergrund ist des

212

D. Die Gestalt eines nachhaltigen Heimat-Konzeptes  

Weiteren im unteren Bereich der Abbildung sinnbildlich dargestellt, dass mit jeder weiteren Stufe das Maß der sozialen Integration der Ich-Identität innerhalb der Wir-Identität ansteigt und sich beides verbindet. Ist die Ich-Identität des Menschen („Eigenständigkeit in Bezogenheit“34) demnach gefestigt und mit Heimatverbundenheit ausgestattet, ist er in der Lage, Wertschätzung gegenüber dem Nächsten, das heißt seiner Umwelt aufzubringen und also gemeinwohlorientiert mit und für die Gemeinschaft aus sich selbst heraus verantwortungsvoll zu handeln.

IV. Definitionsversuch und Gesamtdarstellung der dynamischen Theorie des nachhaltigen Heimat-Konzeptes Der Begriff „Heimat“ stellt im Allgemeinen aufgrund der historischen Entwicklung Deutschlands und – damit in Zusammenhang stehend – im Speziellen aufgrund seines Konnotationswandels vom Rechtsterminus zum mehrdimensionalen Gebilde seit Anfang des 19. Jahrhunderts in seiner Bedeutungs- und Interpretationsvielfalt ein Phänomen des deutschen Sprachraumes dar. In einer Wechselbeziehung verbunden mit der Genese des Heimatbegriffs ist die ökonomische Entwicklung Deutschlands zu betrachten: Die mit dem Wandel vom Agrarstaat zunächst zum Industriestaat und nunmehr zum Dienstleistungsstaat einhergehenden Veränderungen des täglichen Lebens und der wirtschaftlichen Aktivität und insbesondere der Rückgang der heimatbezogenen sowie der individuellen Wertschöpfung führten zu einem Rückgang zunächst von Erleben und Bindungen und weiterführend im gegenwärtigen System der Überflussökonomie zum Verlust der Erlebens- und Bindungsfähigkeit mit den Dimensionen von Heimat. Die bis heute andauernde negative Konnotation erlangte der Begriff vor allem nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges infolge der rassetheoretischen und expansiven Einbindung des Heimatbegriffs und der damit verbundenen Überspannung einer nationalen Begriffsdimension durch den nationalsozialistischen Staat. Statistische Erhebungen unterstreichen dessen ungeachtet die Tatsache, dass der Begriff „Heimat“ – in welcher Dimensionalität und Tiefe er auch immer aus individueller Perspektive betrachtet wird – im Bewusstsein der Deutschen positiv besetzt ist. Diese Tatsache ist auf die der Heimat innewohnenden Dimensionen zurückzuführen, die im Grad ihrer Erfüllung einen unmittelbaren Einfluss auf die individuelle Heimatverbundenheit und damit auf die anthropologischen Grundbedürfnisse wie Geborgenheit, Glück und Sicherheit haben. Insofern weist Heimat eine Doppelstruktur aus „Sein“ und „Werden“ auf – die Heimatverbundenheit ist stets und lebenslang in Entwicklung und Veränderung begriffen. Das „Sein“ ist zu verstehen im Sinne der Bezüge und Bindungen zu den Heimat-Dimensionen und das „Werden“ deutet auf die Vertiefung und fortwährende Entwicklung neuer Bezüge und Bindungen hin. Das Zusammenspiel aus Sein und Werden vereint der Begriff der „Anverwandlung“. Der Bewusstwerdungsprozess der Bildung von Heimatverbundenheit 34

Maaz 2010, S. 158.

213

IV. Definitionsversuch 

umspannt im Rahmen dieser Arbeit das erstellte nachhaltige Heimat-Konzept und wird als Prozess der Heimat-Anverwandlung bezeichnet. Im Sinne einer lebenslangen Anverwandlung kommt es zu Wahrnehmungsöffnungen aller menschlichen Sinne (leiblich-seelischer Charakter von Heimat), das heißt zur Aneignung (Erleben und Bindungseingang) von Heimat auf Basis der einzelnen Dimensionen und zur Verwandlung, was man auch als Verwurzelung (Heimatverbundenheit) bezeichnen kann, die in Wertschätzung zum Ausdruck gebracht wird. Ein Leben mit ausgeprägter Heimatverbundenheit im Sinne der ausgewogenen Ausgebildetheit der Bausteine des nachhaltigen Heimat-Konzeptes ist ein glückliches, von liebevollen Beziehungen geprägtes Leben. Heimat verfügt immer über einen Diesseits- und einen Jenseitsbezug. In Erweiterung der Abbildung 15: (Teil-)Darstellung des nachhaltigen Heimat-Konzeptes wurden in der Abbildung 21 zwei Elemente eingefügt, die die graphische Darstellung des Konzeptes komplettieren. Erstens die Wertschätzung, die sich wiederkehrend und entlang aller Dimensionen ausbildet (und deshalb kreislaufhaft dargestellt ist), sofern es zum Erleben und zu Bindungen innerhalb der einzelnen Dimensionen kommt. Sie ist Ausdruck und Folge von Heimatverbundenheit. Zweitens wurde der Bewusstwerdungsprozess der Heimat-Anverwandlung als umspannendes Prinzip eingefügt. Heimat(-verbundenheit) Geographische und soziale Einbindung

Kulturelle und nationale Identifikation

Heimatbezogene Wertschöpfung

Individuelle Wertschöpfung

Natureinbindung und -sensibilität

Muße und Spiritualität

Wertschätzung Bewusstwerdungsprozess der Heimat-Anverwandlung Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 21: Gesamtdarstellung des nachhaltigen Heimat-Konzeptes innerhalb des Bewusstwerdungsprozesses der Heimat-Anverwandlung

Die jeweilige Ausgebildetheit der Intensität einer Dimension hat Einfluss auf die individuelle Heimatverbundenheit im Gesamten. Es lassen sich hier drei Leitsätze definieren: 1. Ganzheitlichkeits- und Gleichgewichtsansatz: Begreifen wir Heimat in der vorgelegten ganzheitlichen, dynamischen Sichtweise im Sinne des nachhaltigen Heimat-Konzeptes, ist die Heimatverbundenheit

214

D. Die Gestalt eines nachhaltigen Heimat-Konzeptes  

eines der wichtigsten anthropologischen Bedürfnisse des Menschen35. Kann das Heimat-Bedürfnis nicht gestillt werden, treten Ersatzbefriedigungen und Ersatzgefühle (wie z. B. Konsum / Materialismus, Oikophobie oder Xenophobie) in Erscheinung, die in ihrer Intensität suchtartig immer weiter gesteigert werden müssen36. Grundsätzlich „hat“ jeder Heimat; die Verbundenheit mit der Heimat, die sich aufsplitten lässt in die Bausteine des nachhaltigen Heimat-Konzeptes und in der Intensität unterschiedlich sein kann, ist jedoch individuell. Eine „Schicksalhaftigkeit“ von Heimat besteht tatsächlich insofern, als dass der Geburtsort ohne eigenes Zutun immer ein Bestandteil der eigenen Heimatverbundenheit ist. Dass Heimat aber noch viel mehr ist als der Ort der Geburt, zeigt die Vielschichtigkeit des Heimat-Konzeptes. Wenngleich der Heimatbegriff in seiner Mehrdimensionalität eine Besonderheit des deutschen Sprachraumes ist, besitzt er im Sinne des Konzeptes eine universelle beziehungsweise internationale Geltung. Es werden in anderen Sprachen mehrere Begriffe notwendig sein, um das zu beschreiben, was Heimat im Deutschen gemäß dem nachhaltigen Heimat-Konzept bedeutet. Das Maß der Ausgebildetheit der Heimat-Dimensionen im Einzelnen hat einen Einfluss auf die individuelle Heimatverbundenheit im Gesamten und damit auf die Wertschätzung beziehungsweise Wertschätzungsfähigkeit den Dingen und Menschen gegenüber. Im Rahmen des lebenslangen Bewusstwerdungsprozesses der Heimat-Anverwandlung wird die Heimatverbundenheit durch Erleben und durch den Eingang von Bindungen und Beziehungen beeinflusst und ist somit individuell und veränderlich. Die Rückkopplung zu den Befunden der Glücksforschung hat gezeigt, dass Heimatverbundenheit einen Einfluss auf das individuelle Wohlbefinden in dem Sinne hat, als dass die Erfüllung anthropologischer Grund­bedürfnisse sowie weiterer Bedürfnisse mit den Heimat-Dimensionen in Verbindung steht. 2. Dimensionales Gleichgewicht sorgt für ein glückliches, von liebevollen Beziehungen geprägtes Leben (Verwurzelung): Eine hohe Heimatverbundenheit im Sinne des Konzeptes, das heißt eine Ausgewogenheit aller Heimat-Dimensionen, ist lebensdienlich für den Menschen und trägt zu einem hohen Wohlbefinden, Ausgeglichenheit und damit zu einem gesunden, glücklichen und von liebevollen Beziehungen geprägten Leben bei, weil Grundbedürfnisse und weitere Bedürfnisse erfüllt werden. In Verbindung damit stehen eine hohe Wertschätzung und Wertschätzungsfähigkeit den Dimensionen sowie damit gegenüber den Dingen und Menschen. Sie impliziert zum Beispiel die Achtung der eigenen, vor allem aber auch anderer Kulturen und Nationen. Eine hohe Heimatverbundenheit ist die Voraussetzung für die Bereitschaft und Durch 35

Weil formulierte es bezogen auf die „Verwurzelung“, die synonym zur Heimatverbundenheit zu betrachten ist, wie folgt: „Die Verwurzelung ist wohl das wichtigste und am meisten verkannte Bedürfnis der menschlichen Seele.“ Weil 2011, S. 43. 36 Vgl. Maaz 2017, S. 109–110, 215.

V. Heimatbezogenes Wirtschaftsbewusstsein 

215

führung von Aktivität aus sich selbst heraus gegenüber den Mitmenschen, der Natur und den Dingen (siehe D. V.). 3. Dimensionales Ungleichgewicht sorgt für ein unglückliches, von lieblosen Beziehungen geprägtes Leben (Entwurzelung): Eine niedrige Heimatverbundenheit im Sinne des Konzeptes ist nicht lebensdienlich für den Menschen, führt zu einem niedrigen individuellen Wohlbefinden, zu Unausgeglichenheit und letztendlich zu einem von lieblosen Beziehungen geprägten Leben. Dieser Zustand resultiert vor allem aus der Unterrepräsentation einzelner Dimensionen, kann aber auch aus der Überrepräsentation einzelner Dimensionen gegenüber der Gesamtheit folgen, die zu einem Ungleichgewicht und also unausgeglichener Heimatverbundenheit (Kompensationsfunktion von Heimat) führt. Im fortgeschrittenen Stadium führt eine niedrige Heimatverbundenheit zum Heimatfähigkeitsverlust, sodass die Fähigkeit zur Wertschätzung abhandengekommen beziehungsweise gestört ist. In diesem Fall muss erst wieder die Fähigkeit zum Erleben und Eingehen von Bindungen wiedererlangt werden, um zur Erbringung von Wertschätzung imstande zu sein.

V. Heimatbezogenes Wirtschaftsbewusstsein als Voraussetzung der Realisierbarkeit zukunftsfähigen Wirtschaftens Heimatbezogenes Wirtschaftsbewusstsein im Sinne des nachhaltigen HeimatKonzeptes soll die Voraussetzung für die Realisierbarkeit ressourcen- und umweltschonenden Wirtschaftens als Alternative zur aktuellen Überflussökonomie und ihren negativen Auswirkungen auf Mensch und Natur darstellen. Eingedenk der Erkenntnisse aus dem dritten Kapitel lässt sich Wirtschaften, das „zukunftsfähig“ sein soll, nur entlang der zwei Kernbegriffe der vorliegenden Arbeit, der Wertschöpfung und der Wertschätzung, denken und muss von den negativen Folgen des System der Überflussökonomie abgeleitet werden. Zukunftsfähiges, heimatbezogenes Wirtschaften findet demgemäß seinen Ausgangspunkt an der Grundintention der Ökonomie – wie unter C. I. dargestellt – und demzufolge an den Grundbedürfnissen des Menschen nicht nur physischer Art (wie Essen und Trinken), sondern auch psychischer Art (wie Schutz, Gemeinschaft und Identität). Seit Anfang des 19. Jahrhunderts bis heute hat sich der – nach dem etablierten Duktus – „rationale Nutzenmaximierer“ von den durch ihn konsumierten Gütern physisch (Wertschöpfung) und psychisch (Wertschätzung) immer weiter entfernt. Zugleich hat er noch nie zuvor so viele Überflusskonsumgüter besessen. Damit verbunden ist der Bindungsverlust zur Wertschöpfung, da individuell kein oder ein marginaler individueller Wertschöpfungsbeitrag besteht. Überdies ist die Wertschöpfung vollständig oder teilweise internationalisiert, sodass die Nähe zum Gut schon aus territorialer Sicht gering ist. Die Güter globalwirtschaftlicher Herstellung vermögen es nicht, Identifikation zu schaffen. Als Resultat ergibt sich eine geringe Wertschätzung gegenüber den Gütern der Wertschöpfung der Überflussökonomie. Wertschätzung kommt

216

D. Die Gestalt eines nachhaltigen Heimat-Konzeptes  

den Gütern der Überflussökonomie zuvorderst im Kaufprozess zu Gute (siehe C. II. 2. a)). Der Aspekt des Preises verstärkt das Missverhältnis des Individuums gegenüber den Dingen. Die gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklungen (siehe C. II. 4.) tragen weiterhin dazu bei, die Erlebens- und Bindungsverluste und damit den Heimat(fähigkeits)verlust (siehe C. III.) zu verstärken. In der nachgewiesenen Interdependenz von Heimat im Sinne des Konzeptes und wirtschaftlicher Aktivität liegt auch die Chance einer erfolgreichen Etablierung zukunftsfähiger, heimatbezogener Wertschöpfungsansätze, die die Aufgabe haben, Werte für Individuen zu schaffen, deren Bindungs- und Erlebensfähigkeit größtenteils verloren gegangen ist. Darauf fußt schließlich die nachhaltige Etablierbarkeit von heimatbezogener wirtschaftlicher Aktivität, die Auswirkungen auf alle Heimat-Dimensionen hat, wo heute Bindungs- und Erlebensfähigkeitsverluste festzustellen sind. Oberflächlich betrachtet scheint es sich um einen Widerspruch zu handeln, dass auf Individualismus, Materialismus und Universalismus konditionierte Menschen überhaupt Heimatverbundenheit im Sinne des nachhaltigen Heimat-Konzeptes und seiner Bestandteile entwickeln können. Der Grundannahme dieser Arbeit folgend, trägt jeder Mensch das Bedürfnis nach Heimat im Sinne der dargestellten Dimensionen inne und strebt damit verbunden nach der Erfüllung seiner Grundbedürfnisse wie Geborgenheit, Glück und Sicherheit. Selbst Bürgern einer deutschen Großstadt, die sich als weltoffen und universalistisch37 definieren mögen, ist es wichtig, in ihrem kleinteiligen, vertrauten Lebensraum („Kiez“38) die ihnen bekannten Gepflogenheiten zu wahren, sei es die Gründerzeit-Wohnung mit altem Vollholzmobiliar, die Stamm-Gaststätte oder -Diskothek, der Bio-Laden oder der Stadtteilladen. Parkanlagen und grüne Freiflächen mögen ihnen ebenso bewahrt bleiben, wie gewachsene Baumbestände, die keinem Gebäudeneubau weichen dürfen. Auch die öffentliche Debatte bezüglich steigender Mietpreise in bestimmten Stadtteilen unterstreicht, neben der durchaus diskutablen Kritik an den steigenden Lebenshaltungskosten und der Verdrängung von Bevölkerungsgruppen mit niedrigeren Einkommen, dass die Menschen daneben nicht ihre vertraute Umgebung (siehe insbesondere Heimat-Dimension „geographische und soziale Einbindung“, D. II. 1.) aufgeben möchten, gerade in schnelllebigen Zeiten. Der vereinfachte Gedankengang soll verständlich machen, dass sich selbst die Menschen, die mit dem aus ihrer Betrachtungsweise heraus negativ konnotierten Heimatbegriff (ihrerseits konnotiert als Gegenbegriff zu einer „weltoffenen“ Gesellschaft) nichts zu tun haben wollen, entsprechend ihrem natürlich veranlagtem anthropologischen Grundbedürfnis verhalten und demgemäß nach Erhalt und Sicherung von Bewährtem und Gewachsenem sowie nach Sicherheit, Geborgenheit und Schutz innerhalb ihres sozialen und territorialen Umfeldes streben.

37 Insbesondere das „Kritisch-kreative Milieu“. Vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit 2016, S. 40. 38 Vgl. Hochmuth 2018.

217

V. Heimatbezogenes Wirtschaftsbewusstsein 

Der Heimatbegriff im Sinne des nachhaltigen Heimat-Konzeptes ist letztendlich in der Lage, genau diesen Umstand zu beschreiben. Der Bewusstwerdungsprozess der Heimat-Anverwandlung stellt dabei das dynamische Element von Heimat dar, denn das gesamte Leben ist von Aneignungen und Verwandlungen durch Erleben sowie den Eingang von Bindungen geprägt. Es liegt also grundsätzlich kein Widerspruch vor, dass auf Individualismus, Materialismus und Universalismus konditionierte Menschen Heimatverbundenheit im Sinne des nachhaltigen Heimat-Konzeptes und seiner Bestandteile entwickeln. Mit Blick auf den Status quo wird es zuvorderst darum gehen, die Bindungs- und Erlebensfähigkeit und damit die Heimatfähigkeit zurückzugewinnen. Erwähnenswert sind auch viele bereits bestehende „Regio-“, „Öko-“Initiativen, die mit alternativen Konzepten des Wohnens und Arbeitens auf dem Land bereits gute Ansätze bilden. Auch hier bildet Heimatverbundenheit die Voraussetzung für die praktische Realisierbarkeit von theoretischen Ansätzen in Bezug auf die Veränderung wirtschaftlicher Aktivität und den langfristigen Erfolgsfaktor. Sie fungiert in Form einer intrinsischen Motivation im Sinne des heimatbezogenen Wirtschaftsbewusstseins als Voraussetzung für eine veränderte wirtschaftliche Tätigkeit. Das kann zum Beispiel beim bewussten Konsum von Gütern heimatbezogener Wertschöpfung beginnen und sich mit der Steigerung der individuellen Wertschöpfung, wie dem Eigenanbau oder handwerklichen Tätigkeiten, fortsetzen. Der tatsächlichen Aktivität – im Sinne einer Veränderung der individuellen Gewohnheiten – vorgelagert sind noch weitere Schritte, die Teil der Heimat-Anverwandlung und in Abbildung 22 dargestellt sind. Aus der durch Erleben und den Bindungen hervorgerufenen Heimatverbundenheit (1.) erwachsen Wertschätzung und Achtsamkeit (2.) gegenüber den Dingen, der Natur und den Menschen. Daraus folgen Verantwortung und Verpflichtung (3.) und damit die Bereitschaft zum aktiven Handeln. Der letzte Schritt ist das tatsächliche auf die Bereitschaft folgende aktive Erhalten und Gestalten (4.) und die einhergehende Veränderung der Gewohnheiten. Geographische und soziale Einbindung Heimatbezogenes Wirtschaftsbewusstsein

Kulturelle und nationale Identifikation Heimatbezogene Wertschöpfung Individuelle Wertschöpfung Natureinbindung und-sensibilität Muße und Spiritualität

Herausbildung 1. Heimatverbundenheit Durch Erleben und Bindungen

2. Wertschätzung und Achtsamkeit Gegenüber den Menschen, der Natur, den Dingen

Verwirklichung 3. Verantwortung und Verpflichtung Erwachsende Bereitschaft zur Aktivität

4. Erhalten und Gestalten Tatsächliche Aktivität und Veränderung der Gewohnheiten

Bewusstwerdungsprozess der Heimat-Anverwandlung

Nachhaltiges Heimat-Konzept

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 22: Zur Herausbildung und Verwirklichung heimatbezogenen Wirtschafts­ bewusstseins innerhalb des Bewusstwerdungsprozesses der Heimat-Anverwandlung

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D. Die Gestalt eines nachhaltigen Heimat-Konzeptes  

Heimatbezogenes Wirtschaftsbewusstsein bildet sich, basierend auf der Heimatverbundenheit, heraus, und findet letztendlich seine Verwirklichung in Aktivität und Gewohnheitsänderung. Dass die Veränderung der Gewohnheiten, wie die materielle Beschränkung, nicht ohne weiteres möglich ist, zeigt der mangelnde Erfolg vieler fundierter Ideen und Initiativen bezüglich neuer Wirtschaftsansätze der vergangenen Jahrzehnte, zum Beispiel zur Abkehr von der Globalisierung oder der Umweltverschmutzung. Es fehlt der essenzielle Aspekt der Heimatverbundenheit als Schlüssel zur Veränderung. Der Appell an globale Zielsetzungen wie für „den Frieden“, „das Klima“39 oder „die Menschen“ – so erstrebenswert sie sein mögen –, ist zu wenig greifbar im psychischen und physischen Sinne und besitzt in der menschlichen Bedürfnishierarchie einen geringen, anderen Bedürfnissen nachgelagerten Stellenwert (siehe C. I.). Zudem sind die Instrumente der Verkaufsförderung als Bestandteile des Systems der Überflussökonomie zu wirksam und die Bequemlichkeit eingedenk des vorherrschenden, hohen durchschnittlichen Wohlstandes zu verfestigt, als dass die Menschen ihre Gewohnheiten ändern. Die um 1900 aktivierte und breitenwirksame Heimatbewegung stellte ein vielseitiges Konzept zur Förderung von Heimatverbundenheit vor, jedoch fehlte ihr der Aspekt der wirtschaftlichen Aktivität. Die auf die vorangegangenen Überlegungen fußende Hauptthese lautet demnach: Heimatverbundenheit im Sinne des nachhaltigen Heimat-Konzeptes stellt den Anknüpfungspunkt und die Voraussetzung für die Realisierbarkeit von ressourcen- und umweltschonenden Wirtschaftsansätzen dar. Es ist das heimatbezogene Wirtschaftsbewusstsein, aus dem Wertschätzung und Verantwortung generiert werden, um schließlich in aktives Handeln überzugehen. Kapp plädierte für Erweiterung des Wirtschaftens in Form einer „umfassenderen Sinngebung“ – eine durch Erleben und Bindungen individuell entwickelte Heimatverbundenheit im Sinne des aufgezeigten Konzeptes kann diese umfassende Sinngebung leisten und als „sozialer Wert“ die „wichtigste Kategorie der neuen Wirtschaftswissenschaft“40 darstellen. Würden die Menschen weltweit motiviert durch ihre individuelle Heimatverbundenheit bei ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit und ihrem unmittelbaren Umfeld beginnen, würden sich nachgelagert langfristig internationale Zielsetzungen etablieren lassen. Auf dem vielfach geforderten umgekehrten Weg vom Globalen ausgehend – und ohne Berücksichtigung heimatbezogenen Wirtschaftsbewusstseins – wird sich keine wesentliche Veränderung bei den Menschen sowie gegenüber der Umwelt (Natur und Klima) und den Dingen einstellen und letztendlich keine Abkehr vom System der Überflussökonomie hin zu nachhaltigem, ressourcenschonendem Wirtschaften möglich sein.

39

Schellnhuber schrieb beispielsweise von der Notwendigkeit der Bildung einer „globalen sozialen Bewegung“ („Weltbürgerbewegung“) für den Klimaschutz. Vgl. Schellnhuber 2015, S. 667. 40 Kapp 1958, S. 218–220.

E. Exkurs: Exemplarische Darstellung heimatbezogener Wertschöpfungsansätze I. Methodische Vorbemerkung Neue, zur Globalwirtschaft alternative Ansätze werden von Menschen gewissermaßen in einer Vorreiterrolle initiiert, die – wie insbesondere unter D. III. aufgezeigt wurde – durch Erleben und Bindungen essentielle Wahrnehmungsöffnungen erfahren, daraus Wertschätzung und Achtsamkeit gegenüber den Menschen und den Dingen ableiten, Bereitschaft zur Aktivität verspüren und letztlich tatsächlich aktiv werden, geleitet durch ihr heimatbezogenes Wirtschaftsbewusstsein. Das durch alternative Ansätze kolportierte zukunftsfähige Wirtschaften muss daran ansetzen, die Beziehung zu den Dingen über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg zu beleuchten und die Wertschöpfung heimatbezogen und individuell zu gestalten. In Zeiten der Überflussökonomie muss das Ziel sein, auf den Rückgewinn der Wertschätzungsfähigkeit und anschließend der Wertschätzung der Menschen hinzuwirken, sodass es – mit Blick auf den Status quo des Heimat(fähigkeits)verlustes (siehe C. III.) – zu einer Rück-Verwurzelung kommen kann. Zur weiteren Verdichtung der bisherigen Ausführungen sowie zur Erschließung neuer Gedankengänge führte der Autor leitfadengestützte Experteninterviews mit Vertretern von Unternehmungen durch, die bereits erfolgreich heimatbezogene Wertschöpfungsansätze umsetzen. Bei leitfadengestützten Experteninterviews handelt es sich um eine qualitative Methode der empirischen Sozialforschung1. In der Auseinandersetzung mit dem vorliegenden Untersuchungsgegenstand sollen sie in dem Sinne eine „Randstellung“ innerhalb der gesamten Abhandlung einnehmen um der „Illustrierung und Kommentierung“ der bisherigen Aussagen zu dienen2. Im Allgemeinen sind Experteninterviews eine besondere Form von Gesprächen mit Menschen, in diesem Fall bezeichnet als „Experten“, die aufgrund ihrer (beruflichen) Tätigkeit oder Position über Spezialwissen verfügen, das zur Lösung einer Forschungsfrage betragen kann3. In unserem Fall die heimatbezogenen Wertschöpfungsansätze betreffend. Leitfadengestützte Experteninterviews4 zeichnen sich methodisch dadurch aus, dass weder Fragewortlaut und Fragereihenfolge noch Antwortmöglichkeiten strikt vorgegeben werden. Lediglich die Themen werden im Vorfeld festgelegt, 1

Die Erstellung, Durchführung und Auswertung der Befragung geschah in Anlehnung an die Ausführungen von Meuser / Nagel 1991, S. 451–461, Gläser / Laudel 2010, S. 41–42, 111–153, 192–194 und Przyborski / Wohlrab-Sahr 2014, S. 118–132 in der dokumentierten Form. 2 Meuser / Nagel 1991, S. 445. 3 Vgl. Gläser / Laudel 2010, S. 11–12. 4 Vgl. Przyborski / Wohlrab-Sahr 2014, S. 126–132.

220

E. Exkurs: Heimatbezogene Wertschöpfungsansätze 

und es gibt einen Leitfaden in Form einer Fragenliste. Die im Leitfaden enthaltenen (offenen) Fragen werden in den Interviews beantwortet, jedoch sind weder die Reihenfolge noch die Formulierung der Fragen verbindlich. Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann und soll im Rahmen der Befragung nicht erhoben werden. Das Expertenwissen ist exklusiv und einmalig. Vergleichbare Informationen lassen sich aus der Literatur oder aus bereits bestehenden, vor allem quantitativen Erhebungen nicht in der geforderten Spezifizierung ableiten. Lfd. Nr.

Unternehmensform und -name, Herkunft, Expertenname

Art, Hauptvertriebskanal, Branche, Erzeugnisse

1

Einzelunternehmen „Spargelhof Schertenleib“ 04749 Ostrau (Schertenleib)

– Produktion und Verkauf (Einzelhandel) – Lebensmittelbereich = pflanzliche Erzeugnisse: Gemüse, insbesondere Kartoffeln, Spargel, Zwiebeln

2

Einzelunternehmen „Caprinenhof“ 04769 Lichteneichen (Kloy)

– Produktion und Verkauf (Frischemärkte) – Lebensmittelbereich = tierische Erzeugnisse: Ziegenmilchprodukte (Butter, Naturjoghurt, Schnittkäse, Weichkäse)

3

Gesellschaft bürgerlichen Rechts „Fleischerei & Direktvermarktung Schicketanz GbR“ 04668 Cannewitz (Schicketanz)

– Produktion und Verkauf (eigener Filialbetrieb) – Lebensmittelbereich = tierische Erzeugnisse: Fleisch

4

GmbH & Co. KG „Hess-Spielzeug GmbH & Co. KG“ 09526 Olbernhau (Hess)

– Produktion und Verkauf (Großhandel) – Nicht-Lebensmittelbereich = pflanzliche Erzeugnisse: Holz-Spielwaren

5

Einzelunternehmen „SPECK-Lebensmittelmarkt“ 04157 Leipzig (Rosti)

– Vermarktung – Lebensmittelbereich = pflanzliche und tierische Erzeugnisse

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 23: Übersicht der befragten Experten im Rahmen der Interviews

Die Auswahl der Experten erfolgte auf Basis einer Eigenrecherche im Internet unter Berücksichtigung der übergeordneten Fragestellung: Welche Unternehmungen verfügen über praktische Erfahrungen mit heimatbezogenen Wertschöpfungsansätzen? Beispielhaft wurde das Territorium des Freistaates Sachsen als geographische Eingrenzung gewählt. Es wurden insgesamt fünf Experten ausgesucht. Vier Unternehmungen produzieren und verkaufen ihre Produkte selbst. Drei davon sind im Lebensmittelbereich tätig und eines davon im Nicht-Lebensmittelbereich.

II. Fragestellungen

221

Ein Unternehmen ist nur in der Vermarktung tätig. In Bezug auf die Produktarten und die Vertriebskanäle wurde auf eine gewisse Verschiedenheit geachtet. Abbildung 23 fasst die wichtigen Eckdaten zusammen. Die Mitschrift des Gesprächs wurde jeweils dem Interviewpartner mit der Bitte um Prüfung auf ihre Richtigkeit zur Verfügung gestellt. Alle Mitschriften sind in der elektronischen Beigabe dieser Dissertation enthalten.

II. Fragestellungen Folgende übergeordnete Fragestellungen wurden formuliert: 1. Welches Spezialwissen können die ausgewählten, in heimatbezogenen Wirtschaftsbetrieben tätigen Akteure über ihre Motivation, Erfahrungen und Probleme mit heimatbezogener Wertschöpfung in der Herstellung, im Vertrieb und im Kundenkontakt einbringen? 2. Welche Aussagen zur zukünftigen Entwicklung ihrer spezifischen Branche und der heimatbezogenen Wertschöpfung in Deutschland können durch die Experten getroffen werden? 3. Welche Rückschlüsse lassen sich auf die künftige Bedeutung nationaler und regionaler Wertschöpfungsansätze herstellen? Der Leitfaden der Fragestellung orientiert sich an der in Abbildung 18 dargestellten Matrix der heimatbezogenen Wertschöpfung (Kategorien „Rohstoffe und Hilfsmittel“, „Herstellungsprozess“, „Erlangung“) und ist unterteilt in vier OberThemen: Aspekt „Unternehmung / Geschäftsidee“, Aspekt „Wertschöpfung und Vertrieb“, Aspekt „Kundschaft und Nachbarschaft“ und Aspekt „Zukunft“. Den vier Stufen sind die nachfolgend stichpunktartig aufgeführten Fragen zugeordnet, die den Leitfaden bildeten: 1. Aspekt „Unternehmung und Geschäftsidee“ Wie lautet die Gründungsidee und was waren die Auslöser zur Betriebsgründung? Welche historischen Etappen sind hervorzuheben? Was ist das Alleinstellungsmerkmal der Unternehmung? 2. Aspekt „Wertschöpfung und Vertrieb“ Welche Produkte werden hergestellt beziehungsweise angeboten? Wie erfolgt der Anbau, der Erwerb, die Herstellung der Rohstoffe und Produkte? Woher stammen die Rohstoffe und Produkte? Wie hoch ist der Handarbeitsgrad? Besteht die Möglichkeit der individuellen Wertschöpfung für Kunden?

222

E. Exkurs: Heimatbezogene Wertschöpfungsansätze 

Was geschieht mit Überschussmengen und wie erfolgt die Entsorgung? Welche Maßnahmen werden zugunsten der Umwelt getätigt? Gibt es Zwischenhändler? Wie erfolgt der Transport? Wie lauten die Vertriebskanäle und wie werden sie beurteilt? 3. Aspekt „Kundschaft und Nachbarschaft“ Wie wird die Nachfrageentwicklung seit Betriebsgründung beurteilt? Können Kundengruppen und -milieus definiert werden? Wie lauten die individuellen Konsumprämissen der Kunden? Welche Marketingmaßnahmen werden eingesetzt? Inwiefern wird das unmittelbare soziale Umfeld (Nachbarschaft) und die Kundschaft mit kulturellen / sozialen / gemeinschaftsbildenden Angeboten eingebunden? Welche Einblicke in den Betrieb werden gegeben? 4. Aspekt „Zukunft“ Welche Probleme bestehen und welche Entwicklung der Unternehmung in mittel- bis langfristiger Perspektive ist geplant? Wie wird die Entwicklung im Speziellen der jeweiligen Branche eingeschätzt? Wie wird die Entwicklung im Allgemeinen der regionalen / nationalen Wertschöpfung eingeschätzt? Welche Maßnahmen werden als notwendig erachtet, dass sich regionalen / nationalen Wertschöpfung hierzulande erhöht? Welche staatlichen Maßnahmen wären zur Förderung heimatbezogener Wertschöpfungsansätze notwendig? Wie können insbesondere junge Menschen zur Unternehmensgründung oder Unternehmensnachfolge motiviert werden?

III. Resultate 1. Unternehmenshistorische und -strategische Ebene: Unternehmung und Geschäftsidee Alle befragten Unternehmungen wurden nach der Friedlichen Revolution im Jahr 1989 (neu) gegründet, drei davon direkt in den Jahren danach. Sie waren letztendlich das Resultat der wirtschaftlichen Neuordnung des Gebietes der ehemaligen

III. Resultate

223

DDR und dem damit verbundenen Arbeitsplatzverlust vieler Menschen. Ein Betrieb verfügt über eine Geschichte bereits vor 1989. Die übrigen zwei Unternehmungen wurden erst in den letzten Jahren gegründet. Die vier Unternehmer der Produktionsseite profitierten von familiären, beruflichen oder freizeitlichen Vorerfahrungen im jeweiligen Branchen-/Tätigkeitsbereich. Der Experte des Betriebs der alleinigen Vermarktungsseite verfügte über keinerlei Erfahrungen im Lebensmittelbereich, jedoch über die notwendigen betriebswirtschaftlichen Kenntnisse. Die Experten mit der (Neu-)Gründung direkt nach 1989 berichteten von Anfangsschwierigkeiten, insbesondere aufgrund der geringen Nachfrage der Bevölkerung der sogenannten neuen Bundesländer nach Produkten aus dem Gebiet der ehemaligen DDR. Infolge der Öffnung des Marktes sank die allgemeine Nachfrage nach regionalen Produkte aus dem Osten Deutschlands. Überdies herrschte ein enormer Preisdruck und die Güter aus dem Westen Deutschlands und dem Ausland waren preisgünstiger. Nichtsdestotrotz entschieden sich die betreffenden Unternehmer für eine Fortsetzung ihrer Geschäftstätigkeit und es kristallisierte sich eine Fokussierung auf die Produktmerkmale der Herkunft, der Qualität und der Herstellung heraus, da der Preiskampf mit dem Massenmarkt nicht mitzuhalten war. Technische und infrastrukturelle Anschaffungen gewährleisten fortlaufend die Wettbewerbsfähigkeit innerhalb des Spektrums qualitativ hochwertiger, gesunder Produkte aus der Region beziehungsweise aus Deutschland. Im Lebensmittelbereich setzen heute mittlerweile alle Befragten darauf, möglichst keine Zwischenhändler zu haben. Als wichtigstes Alleinstellungsmerkmal aller Betriebe kann die besondere Kombination vieler verschiedener Erfolgsfaktoren hervorgehoben werden: Umweltund ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft, hohe Produktqualität verbunden mit einem hohen Handarbeitsgrad, optimierte Infrastruktur mit minimalen betriebsinternen Wegen, Bereitschaft und Möglichkeit zur Transparenz zugunsten des Kunden und der Nachbarschaft über die gesamte Wertschöpfungskette, Herstellungs- und Verkaufsort als Stätte der Identifikation für das unmittelbare Umfeld, vertrauensbildende und identitätsstiftende Wirkung des Betriebes und der Produkte, regionale Herstellung und Verwendung regionaler / nationaler Rohstoffe und Hilfsmittel, Zusammenarbeit mit anderen regionalen / nationalen Anbietern, familiärer Zusammenhalt (Familienbetrieb) sowie Liebe, Leidenschaft und Verzichtbereitschaft für die Tätigkeit. Hervorzuheben ist die bei allen Befragten zu konstatierende intrinsische Motivation in Kombination individual- und gemeinwohlorientierter Aspekte. Das Geschäftsmodell von Rosti wird nachfolgend als „innerstädtischer Hofladen“ bezeichnet. Es ist für die Anwendung in Großstädten, wie im vorliegenden Fall Leipzig, als besonders innovativ zu bezeichnen und zu unterscheiden von den „klassischen“ Bio-Läden. Als Lebensmittelmarkt mit einem vergleichsweise hohen Anteil an Frischwaren mitten in einem dicht besiedelten Wohngebiet verfügt er über eigene Prüfkriterien hat, wonach die angebotenen Produkte ausgewählt werden. Dadurch wird die dem Verbraucher üblicherweise obliegende Kontrolle der Produkte auf ihre regionale Herkunft oder ihre umweltschonende Herstellung

224

E. Exkurs: Heimatbezogene Wertschöpfungsansätze 

nicht mehr notwendig. Das Vertrauen, welches die Kunden nach Aussage der Experten in den Handel verloren haben, kann durch ein solches Modell schrittweise wiederaufgebaut werden. Natürlich spielt das Gewinnstreben bei den Befragten eine Rolle. Jedoch begründen die Akteure heimatbezogener Wertschöpfung ihre Daseinsgrundlage und Motivation nicht nur aus dem Zweck der Gewinnmaximierung heraus. Dass ein Wirtschaftsbetrieb grundsätzlich kostendeckend zum Selbsterhalt und zur Existenzsicherung der Beteiligten (der Familie) wirtschaften muss, erscheint evident. 2. Stofflich-prozessuale Ebene: Wertschöpfung und Vertrieb Alle Befragten haben sich jeweils spezialisiert auf bestimmte Produktarten (siehe Abbildung 23). Die Spezialisierung resultierte zum einen aus den Erfahrungen, dass als kleiner Betrieb die langfristige Wettbewerbsfähigkeit nur gewährleistet werden kann, wenn eine Marktnische außerhalb der preisgünstigen, teilweise internationalen Massenprodukten bedient wird. Zum anderen wurde die Marktnische der regionalen Produkte ganz bewusst als wesentlicher Bestandteil der Geschäftsidee gewählt. Der Aspekt der Regionalität wird bei allen Befragten in bestmöglicher Form umgesetzt. Nicht nur der Anbau und die Fertigung erfolgen regional, das heißt an einem Ort, auch das Saatgut oder andere Hilfsstoffe oder Bestandteile zur Erstellung der Produkte werden möglichst bei regionalen / nationalen Unternehmen erworben. Die Auswahl erfolgt nicht nur, um die eigene Regionalität konsequent umzusetzen oder aufgrund der hohen Qualität der regionalen Anbieter, sondern auch, um das eigene Umfeld zu unterstützen. Hierbei fiel die Entscheidung bewusst gegen den Erwerb auf dem Weltmarkt. Mitunter wurde darauf hingewiesen, dass wenige Hilfsmittel nicht (kostendeckend) hierzulande zu erwerben sind. Sofern es möglich ist, versuchen die Befragten vieles über ihre Kreislaufwirtschaft abzudecken. Beispielweise werden die Futtermittel selbst hergestellt. Die Experten der Herstellungsseite verfügen über unterschiedliche, für sie momentan optimale Hauptvertriebskanäle. Alle Befragten eint, dass die Möglichkeit für den Kunden besteht, am Ort der Herstellung die Produkte zu erwerben. Dieser Umstand wird grundsätzlich als positiv hervorgehoben, da dabei kein weiterer logistischer Aufwand der Verschickung besteht, ist jedoch auch zu relativieren, denn es gäbe insbesondere personelle Engpässe, sofern deutlich mehr oder sogar alle Kunden ihre Produkte am Hof erwerben würden. Überdies ist das unmittelbare Einzugsgebiet zu klein und gegen den ständigen Besuch der Bewohner der umliegenden Ortschaften mit dem Auto spricht der Aspekt des Umweltschutzes. Alle Befragten versuchen die innerbetrieblichen Transportwege minimal zu halten. Bei allen Herstellern verlaufen die Schritte der Wertschöpfungskette an einem Ort beziehungsweise im unmittelbaren Umkreis. Größtenteils wurde eine eigene Logistik aufgebaut und die Belieferung der jeweiligen Verkaufsstätten erfolgt eigenständig.

III. Resultate

225

Als wesentlicher Beitrag zu einem achtsamen, ressourcenschonenden Umgang mit den Gütern und Rohstoffen konzentrieren sich alle Befragten des Lebensmittel­ bereiches auf eine Minimierung der Entsorgung von Lebensmitteln. Bestenfalls werden nicht verkaufte, überschüssige Produkte in die Kreislaufwirtschaft überführt oder weiterverarbeitet. Hohe Relevanz wird einer sehr genauen Planung sowie (digitalen) Überwachung der Wertschöpfungskette beigemessen, um Überschüsse zu vermeiden. Im Nicht-Lebensmittelbereich sorgt Hess für effektive Abfallnutzung, indem das Unternehmen die nicht mehr verarbeitbaren Holzreste selbst verbrennt und sich damit den Weg zu einer Deponie einspart und zugleich umweltfreundliche Energie mithilfe nahezu abgasloser Heizkessel generiert. Bei allen Befragten handelt es sich insgesamt um eine umweltschonende und gesundheitsförderliche Wertschöpfung (Anbau, Herstellung inklusive Energiegewinnung, Lagerung, Vertrieb), die in wesentlicher Abgrenzung zur Massenproduktion steht. Die Betriebe der Lebensmittelproduktion betreiben direkt Landschaftspflege und Umweltschutz, teilweise verfügen sie über eine Bio-Zertifizierung, wobei dieser alle Befragten keine entscheidende Stellung bemessen, da sie ohnehin die Natur und Tiere pflegen und achten. Alle Produktionsbetriebe nutzen eine eigene, alternative Energiegewinnung. Die Möglichkeit der individuellen Wertschöpfung für die Kunden ist bei einigen Befragten gewährleistet, insofern es realisierbar ist. 3. Sozio-kulturelle Ebene: Kundschaft und Nachbarschaft Die Befragten konstatieren insgesamt eine positive Nachfrageentwicklung innerhalb der letzten Jahre beziehungsweise seit Gründung der Unternehmung. Offensichtlich resultiert das maßgeblich aus der Spezialisierung der jeweiligen Unternehmungen auf qualitativ hochwertige, regionale Güter. Neben einem gewachsenen Kundenstamm des gehobenen Milieus kämen die letzten Jahre neue Kunden der bürgerlichen Mitte hinzu. Mithin entwickle sich eine neue, junge Zielgruppe, die gezielt Regional- und Bioprodukte erwirbt. Mit Nachdruck wird die regionale / nationale Produktherkunft als wichtigste individuelle Konsumprämisse, im Sinne eines heimatbezogenen Wirtschaftsbewusstseins, genannt, gefolgt von der besonderen, hohen Qualität – natürlich in Verbindung mit einem guten Geschmack und naturnahen sowie umweltschonenden Herstellungsverfahren. Auch die Transparenz der gesamten Wertschöpfungskette, das heißt die ständige Möglichkeit für die Kunden, die Herstellung selbst zu beschauen und den persönlichen Kontakt aufzunehmen, wird als treibender Faktor hervorgehoben. Aus den vorgenannten Prämissen entwickelt sich langfristig Vertrauen in die Akteure sowie in die Produkte und die Kunden unterstützen aktiv und ganz bewusst ihr eigenes Umfeld, ihre Region, ihre Nation. Sind die genannten Konsumprämissen erfüllt, ist ein höherer Preis (im Vergleich zu den Produkten der Massenfertigung) aus Sicht der Kunden gerechtfertigt.

226

E. Exkurs: Heimatbezogene Wertschöpfungsansätze 

Alle befragten Betriebe verfügen über eine eigene Internetpräsenz und sind teilweise in den „sozialen Medien“ im Internet vertreten. Sie profitieren maßgeblich von der sogenannten Mund-zu-Mund-Propaganda, das heißt von individueller Begeisterung und Überzeugung, die von den Kunden an die jeweiligen Familienmitglieder, Freunde oder Bekannte weitergegeben wird. Dies bestätigen auch die Eindrücke von Rosti, der anfangs zur Eröffnung des Ladens – bis auf das Schaufenster – keine aktiven Marketingmaßnahmen durchführte und schrittweise ein Zielkundengeschäft etablieren konnte. Das Ladengeschäft liegt nicht in Lauflage, wie es beispielsweise in einer Innenstadt oder entlang einer Hauptverkehrsstraße mit entsprechender Visibilität der Fall wäre, sondern in einer durch Anliegerverkehr frequentierten Nebenstraße. Neben dem Zweck der Etablierung der Betriebsabläufe und erster Kundenbeobachtungen wurde durch Rosti bewusst auf Werbemaßnahmen außerhalb der Verkaufsstelle verzichtet, um – vor dem Hintergrund des verlorenen Vertrauens und des hohen Werbeaufwandes im Massenmarkt  – keine Versprechungen zu schüren, die am Ende durch den Kunden anders wahrgenommen werden und Enttäuschungen hervorrufen. Das Konzept solle für sich selbst sprechen. Diese Erkenntnis steht in Analogie zu den Produkten aller Befragten: Sie verfügen über eine sehr hohe und nachhaltige Identifikationsfähigkeit, gerade weil die oben aufgeschlüsselten Konsumprämissen derart vielschichtig sind. Nicht eine Prämisse allein, wie der Preis oder der Geschmack, sind ausschlaggebend, sondern die Kombination der genannten Aspekte. Gemeinschaftsbildende Veranstaltungen und der persönliche Kontakt zur Nachbarschaft und zu den Kunden haben eine zentrale Bedeutung für die nachhaltige Etablierung und Akzeptanz der befragten Betriebe. Die Befragten selbst messen den transparenten, intensiven Interaktionen mit ihren Mitmenschen eine hohe Relevanz auf verschiedenen Ebenen bei: Auf der ökonomischen Ebene (Geschäftserfolg im Speziellen und regionale Wirtschaftsförderung im Allgemeinen), der sozialen Ebene (Schaffung von Zusammenhalt und Identität der Menschen in der Region) und der kulturellen Ebene (Förderung regionaler Kulturschaffender und von Traditionen).

4. Zukunftsbezogene Ebene: Künftige Entwicklungen Zwei Experten sind momentan dabei, ihren Betrieb an jüngere Familienmitglieder zu übergeben. Die Unternehmensnachfolge ist in diesem Fällen nicht gefährdet. Die Befragten planen insgesamt im mittel- bis langfristigen Zeitrahmen verschiedene betriebliche Erweiterungen beziehungsweise Neuerungen, wie beispielsweise Landerwerb, die Einführung neuer Produkte oder neue Filialen. Es wird allseits betont, nachhaltig und solide Wirtschaften zu wollen. Untergeordnet ist das Ziel stetigen Wachstums im Sinne des Systems der Überflussökonomie. Die mittel- bis langfristige Entwicklung der Nachfrage im Spektrum der überwiegend der Direktvermarktung unterworfenen regionalen Produkte innerhalb der

III. Resultate

227

Lebensmittelbranche wird als positiv eingeschätzt. Es wird darauf hingewiesen, dass letztendlich der Konsument durch sein Kaufverhalten die Marktentwicklung beeinflussen kann. Immer wieder wurden die Bio-Zuschreibungen von Produkten thematisiert. Die Umsetzbarkeit von weiteren Bio-Flächen in deutlich ausgeweitetem Maße in Deutschland wird schon aufgrund der limitierten Flächensituation angezweifelt, gerade weil die Produktivität und folglich der Ertrag von biologisch bewirtschafteten Flächen geringer ist. Heimatbezogene Wertschöpfungsmodelle im Nicht-Lebensmittel-Bereich zu beleben, sei aus vielen Gründen – hier waren sich die Befragten weitestgehend ­einig – ein schweres Vorhaben. Als Hauptgründe der geringen regionalen / nationalen Wertschöpfung im Nicht-Lebensmittel-Bereich wurden die bestehenden regulatorischen Rahmenbedingungen für eine Herstellung in Deutschland und der allgemeine Grundsatz der Gewinnmaximierung aufgeführt. Produkte aus internationaler Herstellung seien ertragreicher als deutsche Produkte, selbst wenn zwischen dem Hersteller und dem Kunden noch der Zwischenhandel daran verdient. Auf der Kundenseite sei einerseits der Preis die kaufleitende Funktion und andererseits existiere auch kein breites Angebot, das durch den Kunden in Anspruch genommen werden könnte. Mögliche Mittel zur Veränderung wären die Rückverlagerung von Produktionsstandorten nach Deutschland sowie die Schaffung von Anreizen und Rahmenbedingungen durch die Politik. Insgesamt zeige die Entwicklung im Lebensmittelbereich aber, dass langfristige Veränderungen möglich sind: schrittweise, möglichst regional und ohne Zwischenhandel. Die Befragten nannten einige kritische Aspekte, die in der Einflusssphäre des Staates liegen. So wurden unter anderem die (geförderte) Nutzung von (fruchtbaren) Flächen zur Gewinnung von Energie (z. B. für Biogas), die Möglichkeit des Erwerbs von Flächen durch Großbetriebe in Verbindung mit der Schwierigkeit für kleine, weniger solvente Betriebe an Flächen zu kommen, die Fokussierung der Forschung und Wissenschaft auf die Zusammenarbeit mit dem Großhandel / den Großbetrieben, die Häufigkeit sowie die fehlende Koordination behördlicher Kontrollen sowie Prüfungen und die staatliche Regulierung der Wirtschaft in Bezug auf die Einführung des Mindestlohnes kritisiert. Insgesamt wurde staatlicher Einfluss vor allem zu Kontrollzwecken und in Form von Subventionen kritisch betrachtet und dafür plädiert, dass die Menschen mit Mut und Durchhaltevermögen und frei von Abhängigkeiten selbstständig versuchen sollten, etwas Neues zu initiieren. Um heimatbezogene Wertschöpfungsansätze staatlicherseits zu fördern, nannten die Befragten unter anderem die folgenden Punkte: Vergabe von Standplätzen für (Wochen-)Märkte vorrangig oder ausschließlich an regionale Produzenten, Abschaffung oder gerechtere Verteilung von Subventionen, stärkere Förderung von Landwirtschaft und Tierhaltung betreibenden Unternehmen, Einführung von Mindestpreisen für bestimmte Lebensmittel, Einführung von regionalen Lebensmitteln in Kindergärten, Verbot oder die Einschränkung von Tiertransporten, keine Abstufungen bei der Art der Tierhaltung und Tierschlachtung, Anregung von Mut

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E. Exkurs: Heimatbezogene Wertschöpfungsansätze 

und Zugewandtheit gegenüber der Unternehmerschaft, Einführung vom Schulfach „Heimatkunde“ und einem Schulfach mit handwerklich-ökonomischem Inhalt. 5. Schlussfolgerung im Gesamtkontext Die Ergebnisse der Befragung verdeutlichen, dass sowohl aufseiten der Produzenten als auch aufseiten der Kunden der zentrale Aspekt im Zusammenhang von Wertschöpfung und Wertschätzung das unter D. V. als Voraussetzung für die Realisierbarkeit zukunftsfähigen Wirtschaftens markierte heimatbezogene Wirtschaftsbewusstsein darstellt. Denn der maßgebende Beweggrund, heimatbezogen zu wirtschaften (d. h. zu produzieren und zu konsumieren), liegt in der Heimatverbundenheit beziehungsweise in ökonomischer Hinsicht in einem Wirtschaftsbewusstsein, das wesentlich durch Heimatverbundenheit im Sinne des nachhaltigen Heimat-Konzeptes motiviert ist. Wie wir gesehen haben, kann heimatbezogenes Wirtschaftsbewusstsein verschiedene Leitmotive entlang der Heimat-Dimensionen haben, die am stärksten in Kombination wirken, aber auch einzeln zum Tragen kommen können. Wie beispielsweise der Aspekt des Naturschutzes (Heimat-Dimension „Natureinbindung und -sensibilität“), der dazu führt, vorrangig unter besonderer Berücksichtigung der Natur (wie z. B. Erhalt der Tier- und Pflanzenwelt) heimatbezogen zu konsumieren. Der Fokus auf eine bestimmte Heimat-Dimension entwickelt sich vor dem Hintergrund des Bewusstwerdungsprozesses der Heimat-Anverwandlung weiter auf die anderen Heimat-Dimensionen, da alle Aspekte letztendlich im Zusammenhang zu betrachten sind. Natureinbindung und -sensibilität bedingt zum Beispiel eine Wertschöpfung, die heimatbezogenen und damit natursensibel ist, schon aufgrund geringerer sozialer Kosten. Aufseiten des Produzenten kann es beispielsweise maßgeblich der Aspekt des familiären und nachbarschaftlichen Zusammenhaltes (Heimat-Dimension „geographische und soziale Einbindung“) sein, der ihn heimatbezogen produzieren lässt. Alles in allem belegen die Ergebnisse der Experteninterviews somit die Tragfähigkeit des Heimat-Konzeptes. Die befragten Unternehmungen weisen ganz im Sinne des Konzeptes einen mehrdimensionalen Charakter auf und wirken entlang aller Konzeptbestandteile. Gerade das scheint ihren (nicht nur ökonomischen) Erfolg auszumachen und ihren Fortbestand zu sichern.

F. Ansatzpunkte zukunftsfähiger heimatbezogener wirtschaftlicher Aktivität I. Gedanken zum künftigen wirtschaftlichen Umfeld Der Kampf zweier Giganten wird laut Sloterdijk die Zukunft im 21. Jahrhundert bestimmen. Es wird der Kampf sein zwischen den Vertretern des „Expansionismus“ und denen des „Minimalismus“. Weitere „Vermehrung“ wird der „Verminderung“ gegenüberstehen und am Ende könnte der Sieg einer der beiden Pole stehen.1 Er liegt richtig, wenn er konstatiert: „Jeder Bürger der reichen Nationen wird den Gigantenkampf nicht nur in der eigenen Brust austragen, er wird auch durch seine privaten Konsumentscheidungen öffentlich machen, auf welche Seite er sich geschlagen hat“2. Eben jene Bruchlinie zwischen den Befürwortern der Globalisierung als Konsumenten internationaler Güter und den Befürworten kleinteiliger Wirtschaftsstrukturen als Konsumenten heimatbezogener Güter zeichnet sich auch in aktuellen politischen Debatten ab – beispielsweise vor dem Hintergrund der momentanen Diskussion um den Klimaschutz und die Reduzierung des Kohlenstoffdioxidausstoßes wird dergleichen sichtbar. Gerade große Unternehmen kommunizieren öffentlichkeitswirksam, zukünftig kohlenstoffdioxidneutral Wirtschaften zu wollen3. Jedoch verantworten gerade sie die weltweiten Güterströme, die die enormen von der Gesellschaft zu tragenden sozialen Kosten erst verursachen. Hierbei ist der Kohlenstoffdioxidausstoß nur einer von sehr viel mehr negativen Aspekten. Hinzu kommt die Tatsache, dass gerade heimatbezogene klein- und mittelständische Unternehmen etwaige Zusatzkosten, wie Steuern, stärker treffen könnten als große, international agierende Unternehmen. Insbesondere Zielsetzungen, die im Rahmen der Debatte lauten, „Wirtschaftswachstum und Lebensstandard zu halten, sogar noch zu steigern, und trotzdem effektiven Klimaschutz zu betreiben“4, zeugen vom eigentlichen Kernproblem, nämlich der falschen Annahme, man könne den ressourcenintensiven und umweltschädigenden Lebensstandard in Verbindung mit dem Dogma des fortwährenden Wirtschaftswachstums weiterführen und gleichermaßen das Klima und die Umwelt schützen. Kommen wir zurück zum „Gigantenkampf“, so könnte ein erstes Zukunftsszenario darin bestehen, dass die aufgezeigten Strukturen und Auswirkungen des 1

Sloterdijk 2016, S. 32–33. A. a. O., S. 34. Ulrich bezeichnete den „Wertschöpfungswiderstand“ als eine Stufe der Befreiung vom „globalen Billigangebot“ und vom „überholten handarbeitsfreien Kulturbegriff“. Ulrich 2019, S. 113. 3 Vgl. Dams et al. 2019. 4 Ebd. 2

230

F. Ansatzpunkte heimatbezogener wirtschaftlicher Aktivität  

Systems der Überflussökonomie und damit die Globalwirtschaft weiter gestärkt werden. Hierdurch käme es zu einer weiteren Internationalisierung der (deutschen) Wirtschaft und heimatbezogene Wirtschaftskreisläufe und -ansätze würden an Bedeutung verlieren. Der deutschen Wirtschaft stünde wahrscheinlich eine führende Rolle im Maschinenbau und der Gerätetechnik zu. Warum aber sollte die Globalwirtschaft weiter wachsen? Insbesondere die Digitalisierung aller Lebensbereiche könnte das System verfestigen. Noch kostengünstigere und internationalisierte Waren könnten generiert werden, die aufgrund der technischen Vernetzung und personenbezogenen Datenverarbeitung zum Beispiel zur Gesundheit, persön­ lichen Präferenzen (wie Einkaufsverhalten, Freizeitaktivitäten, Lebensgewohnheiten) individuell auf den Menschen anpasst und genau zum Zeitpunkt des Bedarfs verfügbar sind. Anfänge davon gibt es heute zum Beispiel mit sprachgesteuerten Apparaten in den Privathaushalten, die auf Wunsch Musik abspielen, Fragen beantworten oder Bestellungen auslösen. Ziel großer internationaler Unternehmen ist es, möglichst ganzheitlich alle alltäglichen Tätigkeiten der Bürger mithilfe eines Höchstmaßes an Einfachheit abdecken zu können. Digitalisierung bedeutet hier einen weiteren Rückgang von Dingbezug sowie realen Beziehungen und Erlebnissen. Kleinteilige, heimatbezogene Wirtschaftsansätze wiederum könnten weder derart kostengünstig ihre Waren anbieten, noch haben sie die Möglichkeit von schnellen Lieferungen, die zum Teil noch am Tag der Bestellung beziehungsweise des erhobenen Bedarfs zugestellt werden können. Im Rahmen dieses Szenarios könnte auch die Lösung für die Problematik des Klimawandels oder des weltweiten Energiedarfs gefunden worden sein. Auch die weitere ökonomische Erschließung beispielsweise von Afrika könnte den weltweiten Globalwirtschaftsmarkt vergrößern und damit stärken. Am Ende eines zweiten Zukunftsszenarios könnte hingegen der Zusammenbruch der Globalwirtschaft in ihrer jetzigen Form stehen, beispielsweise hervorgerufen durch massiven Protektionismus aufseiten bedeutsamer Wirtschaftsnationen wie China, Russland oder den USA, oder aufgrund von Kriegshandlungen infolge des Aufbrechens jahrhundertealter religiöser oder ethnischer Konflikte. Als Ursache wäre auch eine weltweite Klima- oder Energiekrise möglich, sodass es zum Erliegen energie- und produktionsintensiver Wirtschaftszweige kommen würde. Die deutsche Wirtschaft wäre der Hauptverlierer einer solchen Entwicklung. Profitieren würden zwangsläufig alternative, heimatbezogene Handels- und Wirtschaftsformen. „Dem überschäumenden Verschwendungsexpressionismus der gegenwärtigen Massenkultur werden auf lange Sicht die Voraussetzungen entzogen“5 schrieb Sloterdijk und prognostizierte „eine hybride Synthese aus technischem Avantgardismus und ökokonservativer Mäßigung“6 sowie die „Revitalisierung der Regional-

5 6

Sloterdijk 2016, S. 128. Ebd.

I. Gedanken zum künftigen wirtschaftlichen Umfeld

231

wirtschaften“7. Dies könnte als ein drittes Zukunftsszenario erachtet werden und soll nachfolgend etwas ausführlicher dargelegt werden. Denn der bisher aufzeigte Status quo wird flankiert von (wirtschafts-)politischen Ereignissen, die darauf hindeuten, dass das globalwirtschaftliche System, von dem Europa und insbesondere die Bundesrepublik lange Zeit in vielerlei Hinsicht profitierten, zwar nicht zusammenbrechen wird, aber mindestens im Wandel und in Verlangsamung befindlich ist. Exemplarisch seien hier die Wahlmisserfolge zahlreicher etablierter europäischer Parteien und zugleich die Wahlerfolge von neuen Parteien in vielen Staaten Europas8, der Entscheid der Bürger von Großbritannien für den Austritt ihres Landes aus der Europäischen Union9 oder der Wahlerfolg von Trump in der Vereinigten Staaten und dessen protektionistische und heimatbezogene Wirtschaftspolitik mit der übergeordneten Maßgabe „America First“ genannt, die entgegen vieler Prognosen von Ökonomen auch positive Auswirkungen auf die einheimische Wirtschaft hat10. In Deutschland wird die Einführung von Zöllen zugunsten des Klimaschutzes diskutiert, die auch nichts anderes als eine Form des Protektionismus’ darstellen würden11. Die aktuelle Debatte um den Klimawandel und darauffolgende mögliche politische Entscheidungen könnten die Globalwirtschaft schwächen, wie zum Beispiel den ressourcenintensiven Transportsektor als wesentliche Voraussetzung für globalen Güterverkehr. Wie unter C. II. 4. dargelegt, wird die Entwicklung im Kontext der Industrie 4.0 verbunden mit dem Prozess der Digitalisierung und Optimierung vieler repetitiver Tätigkeiten zu beachtlichen Arbeitsplatzverlusten in Deutschland führen. In Bezug auf den Konsum wird der (Zwischen-)Handel als Stätte des physischen Konsums an Bedeutung verlieren. Auch eine Folge des Einsatzes neuer Technologien ist es momentan, dass einige deutsche Unternehmen, die ihre Produktion in das Ausland verlagert hatten, ihre Produktionsstätten wieder nach Deutschland verlagern. Dabei folgt also auf das „Offshoring“ das „Reshoring“, das heißt die Rückverlagerung der Produktion ins Inland, wie beispielsweise beim Modelleisenbahnhersteller „Märklin“ aus Göppingen: Im Jahr 2006 stieg ein Finanzinvestor ein und das Unternehmen bezog diverse Modellteile aus China, der Fertigungsstandort in Thüringen wurde dafür geschlossen. Drei Jahre später meldete Märklin Insolvenz an. Heute erfolgt die Fertigung wieder im deutschen Stammwerk.12 Mittlerweile überwiegen gegenüber den sinkenden Einsparmöglichkeiten bei den Personalkosten die positiven Standortfaktoren – wie die Nähe zur Entwicklung in Deutschland, das intakte Rechts- und Verwaltungssystem, wegfallende Transportaufwände und die Nähe zur Kundschaft in Deutschland sowie die mögliche

7

Sloterdijk 2016, S. 129. Vgl. Gujer 2019. 9 Vgl. Zeit Online 2016c. 10 Vgl. Beutelsbacher 2018. 11 Vgl. Siems 2019. 12 Vgl. Buck 2018, S. 27–28. 8

232

F. Ansatzpunkte heimatbezogener wirtschaftlicher Aktivität  

Stärkung der identitätsbildenden Beschreibung „hergestellt in Deutschland“.13 Diese Entwicklungstendenz betrifft auch Produktionsunternehmen, die weniger komplexe Artikel herstellen. Das Unternehmen „Fackelmann“ aus Hersbruck produziert Haushaltswaren, wie Abflusssiebe, Backformen, Badezimmerschränke oder Grillzangen aus Holz und Plastik, und machte eine vergleichbare Entwicklung wie Märklin durch. Zunächst verlagerte Fackelmann einen Großteil der Produktion nach Asien. Mittlerweile hat man die Produktion wieder aufgeteilt in das Ausund Inland, die Tendenz geht wohl noch weiter dahin, ins Inland zurückzukehren. Weitere Unternehmen bestätigen den Trend, dass Herstellungs- und Verkaufsland wieder zusammenkommen.14 Sogar die durch die „Fast Fashion“ (siehe C. II. 1.) geprägte Bekleidungsindustrie als einer der am stärksten globalwirtschaftlich geprägten Wirtschaftszweige zeigt erste Anzeichen derartiger Entwicklungen. Gemäß einer Umfrage des Beratungsunternehmen McKinsey gaben zahlreiche Einkaufschefs von führenden Herstellern an, mit dem Trend des Reshorings zu rechnen.15 Die genannten Beispiele verdeutlichen, dass sich selbst international agierende Unternehmen unterschiedlicher Gütergruppen (wie hier z. B. Spielwaren, Haushaltsartikel, Möbel und Bekleidung) den potenziellen Höhepunkt und die daraus folgende Abschwächung des globalistischen Güterhandels vergegenwärtigen, wovon sie lange profitiert haben. Es darf aber nicht vergessen werden, dass sie als Wesensteil und Profiteure des globalwirtschaftlichen Überflussökonomiesystems das Gewinn- und damit verbunden das Wachstumsstreben antreibt. Was kostengünstig und machbar ist, wird umgesetzt, ohne nachhaltige Berücksichtigung der auf die Gemeinschaft umgelegten sozialen Kosten. Bevor Deutschland (wieder) als Produktionsstätte in Erwägung gezogen wird, müssen die Wirtschaftlichkeitsrechnungen zweifelsfrei ergeben haben, dass sich die internationale Tätigkeit nicht mehr lohnt, wie es in den genannten Beispielen der Fall war. Dies scheint momentan nicht absehbar. Die Entwicklungstendenz der Rückverlagerung nach Deutschland ist aktuell noch nicht so umfassend, dass infolgedessen von einer dezidiert höheren nationalen Wertschöpfungstiefe die Rede sein könnte. Dennoch wird heute immer häufiger die Frage gestellt: „Hat die Globalisierung ihren Zenit überschritten“16? Aus der unter Kapitel B aufgezeigten historischen Entwicklung lässt sich ablesen, dass (ökonomische) Veränderungsprozesse – wie zum Zeitpunkt der Frühindustrialisierung – immer auch einen Gestaltungsraum für Alternativansätze boten. Ein solcher Alternativansatz war beispielsweise einst die Gründung des Deutschen Heimatbundes vor dem Hintergrund der Folgen der Industrialisierung. Fuchs benannte seinerzeit „die Frage des ‚Industriestaates‘“ als „die schwierigste Frage der heutigen deutschen Nationalökonomie“17. Heute ist es die Frage nach der Zu 13

Vgl. Buck 2018, S. 27–28. Vgl. a. a. O., S. 27–29. 15 Vgl. a. a. O., S. 30. 16 Gujer 2019. 17 Fuchs 1905, S. 20. 14

I. Gedanken zum künftigen wirtschaftlichen Umfeld

233

kunft des in einem globalwirtschaftlichen System internationaler Abhängigkeiten eingebundenen Dienstleistungsstaats Deutschland. Möglicherweise hätte die Heimatbewegung ab Ende des 19. Jahrhundert eine nachhaltigere Wirkung auf die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands entfalten können, wenn sie sich eine stärker ökonomische Stoßrichtung gegeben hätte. Sie war inhaltlich vielfältig aufgestellt, eine dezidiert wirtschaftliche Zielstellung fehlte. Es gilt aber einen wesentlichen Unterschied hervorzuheben, wenn man die Entwicklung um 1900 mit der heutigen zu vergleichen versucht: Der Umbruch Deutschlands von einem Agrarstaat zu einem Industriestaat war mit einem erheblichen Wohlstandsgewinn der gesamten Bevölkerung einhergegangen. Dies wurde in der Skizze zur historischen Entwicklung der Bedürfnisbefriedigung (Abbildung 8) versucht zu verdeutlichen. Insbesondere die wilhelminische Ära bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges lässt Deutschland als großen Profiteur und Hauptakteur der wirtschaftlichen Veränderungen erscheinen. Die heutige, globalwirtschaftliche Entwicklung bestimmt die Bundesrepublik mit, sie wird jedoch weltweit langfristig keine wesentliche Rolle mehr spielen. Momentan verdichten sich in der deutschen Wirtschaft die Anzeichen einer kurz- bis mittelfristig absehbaren Rezession18. Die deutschen Schlüsselbranchen des Maschinenbaus und der Autoindustrie befinden sich in einem umfassenden Strukturwandel19. Die „Organisation for Economic Co-operation and Development“ (OECD) prognostizierte in einer Studie den Bedeutungsverlust Europas und Deutschlands innerhalb der weltweiten Wirtschaft in den kommenden Jahrzehnten bis 2060. Insbesondere die beiden asiatischen Staaten China und Indien werden das globale Wirtschaftsgeschehen zukünftig maßgeblich dominieren.20 Der deutsche Anteil an der Globalisierung wird zurückgehen und damit auch das Exportvolumen, das bisher maßgeblich die wirtschaftliche Stärke des Landes ausmachte. Ein internationaler Beitrag Deutschlands wird voraussichtlich in der weiteren Innovation und Spezialisierung der mittelständischen Unternehmen zuvorderst in Nischenbranchen wie dem Anlagen- und Maschinenbau sowie der Technologie21 liegen. In wichtigen Zukunftsthemen ist Deutschland schon heute kein relevanter Marktteilnehmer – die Tongeber der Digitalindustrie, wie Amazon, Apple, Facebook, Microsoft und vor allem Google sind allesamt keine deutschen Unternehmen.

18

Im August 2019 wurde im Rahmen des ifo Geschäftsklimaindex der geringste Wert seit 11/2011 ermittelt. „Die Unternehmen schätzten ihre aktuelle Lage erneut deutlich schlechter ein. Auch mit Blick auf die kommenden Monate nahm der Pessimismus zu.“ ifo Institut – LeibnizInstitut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e. V. 2019. 19 Vgl. Paul 2019. 20 „In parallel, the relative size of economies will change radically over the next 50 years. The combined GDP of China and India will soon surpass that of the G7 economies and will exceed that of the entire current OECD membership by 2060.“ Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD) 2012, S. 1, 8. 21 Vgl. Munich Strategy GmbH & Co. KG 2019.

234

F. Ansatzpunkte heimatbezogener wirtschaftlicher Aktivität  

Eingedenk der bisherigen Ausführungen sowie der in diesem Abschnitt geschilderten Aspekte ergibt sich als These eines dritten Zukunftsszenarios, dass der auf langfristige Sicht absehbare Bedeutungsverlust der deutschen Wirtschaft innerhalb der Globalwirtschaft einen Bedeutungsgewinn nationaler und regionaler (= heimatbezogener) Wirtschaftskreisläufe generieren wird, verstärkt durch die Tatsache, dass sich die Deutschen ihres Heimat(fähigkeits)verlustes bewusst werden und zunehmend ein heimatbezogenes Wirtschaftsbewusstsein entwickeln, gerade weil weitere Digitalisierungsprozesse das natürliche Bedürfnis nach Heimat im Sinne des nachhaltigen Heimatkonzeptes verstärken werden. Mithin könnten auch verschiedene Wettbewerbsnachteile von Gütern heimatbezogener Wertschöpfung aufgrund politischer Entscheidungen, wie beispielweise „Klimazölle“ auf Güter mit hoher Transport- und Ressourcenintensität, obsolet werden. Wenngleich die Entwicklungen eine Etablierung von kleinteiligen, nachhaltigen Wirtschaftsstrukturen („Regionalwirtschaften“) vermuten lassen, wird diese Akzentverschiebung nicht durch Akteure und Profiteure der Globalisierung im Sinne des internationalen Güteraustausches geschehen, sondern das Individuum wird aus sich selbst heraus dafür sorgen (müssen), ganz im Sinne des Bewusstwerdungsprozesses der Heimat-Anverwandlung.

II. Erfolgsfaktoren heimatbezogener Wirtschaftsansätze Dass es überhaupt dazu kommen konnte, dass Grundbedarfsgüter und Luxusgüter (keine Überflussgüter), keinen oder einen nur geringen Grad heimatbezogener Wertschöpfung haben (siehe Abbildung 18), ist maßgeblich auf das Konsumverhalten der deutschen Bevölkerung zurückzuführen. Wie sehr hier Anspruch und Realität auseinanderliegen, veranschaulicht beispielsweise das Ergebnis einer Befragung im Auftrag der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2012 vor dem Hintergrund der Finanz- und Wirtschaftskrise. Darin stimmten 81 Prozent der Befragten der folgenden Aussage zu: „Unser jetziges System stößt an eine [sic!] Grenzen. Wir brauchen eine neue Wirtschaftsordnung, die auch den Schutz der Umwelt und den sozialen Ausgleich in der Gesellschaft stärker berücksichtigt.“ 80 Prozent der Befragten waren der Auffassung, „[j]eder Einzelne muss bei sich selbst anfangen und sich fragen, ob immer mehr Konsum und damit immer mehr Wirtschaftswachstum das Wichtigste ist.“22 Es herrscht offensichtlich die Erkenntnis vor, dass eine – wie auch immer geartete – „neue Wirtschaftsordnung“ notwendig sei. Seither haben sich diesbezüglich jedoch keine wesentlichen Veränderungen eingestellt. Wieder handelt es sich um ein Wechselspiel: Einerseits wird nicht verändert – für unseren Fall: heimatbezogen – gewirtschaftet (konsumiert), weil kein ausreichendes Angebot besteht. Bei welchem Händler kann der Konsument zum Beispiel ein Kleidungsstück aus heimatbezogener Wertschöpfung erwerben? Die Antwort 22

TNS Emnid Medien- und Sozialforschung GmbH 2012, S. 6.

II. Erfolgsfaktoren heimatbezogener Wirtschaftsansätze

235

fällt schwer, der Kunde muss (zu) lange recherchieren. Gibt es überhaupt Unternehmen, die ihre Wertschöpfungskette so transparent machen, dass eine heimatbezogene Wertschöpfung nachzuweisen wäre? Häufig sitzen nur die Forschung und Entwicklung in Deutschland („designed in Germany“) und die Produktion erfolgt im Ausland mit ausländischen Rohstoffen oder die (Teil-)‌Fertigung erfolgt in Deutschland, jedoch ohne die Verwendung von regionalen oder nationalen Rohstoffen und Hilfsmitteln (z. B. Werkzeugen, Maschinen). Und selbst im stärker von heimatbezogenen Gütern erschlossenen Lebensmittelbereich ist die absatzfördernde Titulatur „Heimat“ oder „Regional“ noch nicht gleichbedeutend mit einer echten heimatbezogenen Wertschöpfung. Dies wird durch große Unternehmen und den Handel gezielt als Instrument zur Optimierung des Kaufverhaltens (siehe C. II. 2. a)) genutzt. Andererseits gibt es kein ausreichendes Angebot, weil keine aktive Nachfrage besteht. Es würde zu Veränderungen kommen, wenn der deutsche Konsument tatsächlich keine Produkte mehr erwerben würde, deren Wertschöpfungskette nicht transparent heimatbezogen ist oder die ihren maßgeblichen Wertschöpfungsanteil im Ausland haben. An beiden Punkten müssen zukünftige heimatbezogene Wertschöpfungsansätze anknüpfen. Auf Basis der bisherigen Ausführungen und der Ergebnisse der Experteninterviews können unternehmensseitig Faktoren benannt werden, die wesentlich zum Erfolg heimatbezogener Wirtschaftsansätze beitragen können. Erfolgreich werden heimatbezogene Unternehmungen künftig erstens dann sein, wenn sie nicht dem globalwirtschaftlichen Ansatz anheimfallen. Das betrifft vor allem die Aspekte des organischen Wachstums, der Minimierung der sozialen Kosten, der hohen Produktqualität und des adäquaten Preisansatzes, der Transparenz und der Maximierung der Heimatbezogenheit sowie dem übergeordneten Hauptaspekt der Heimatverbundenheit. Der Hauptimpuls der Unternehmung sollte eine nachhaltige Entwicklung sein, die Wachstum als Urphänomen der Natur im Sinne der Nachhaltigkeit versteht. Die sozialen Kosten sind von der Unternehmung minimal zu halten und im Zweifel durch sie selbst zu tragen. Bei den Gütern heimatbezogener Wertschöpfungsansätze handelt es sich dann tatsächlich um „wertvolle“ Güter, wenn insbesondere die Verwendung und die Herstellung von ressourcen- und umweltschonenden sowie natürlichen (Roh-)Stoffen innerhalb einer Kreislaufwirtschaft, die Berücksichtigung des Tierwohls, minimale Transportwege und ein hoher individueller Wertschöpfungsgrad der Werktätigen erreicht werden können. Die Preise orientieren sich folglich an der Schöpfung von Werten und die Produktqualität sollte hoch sein. Zwar sind die Betriebe angewiesen auf die Information der Bevölkerung über ihre Produkte im Sinne der klassischen Mund-zu-Mund-Propaganda. Letztendlich benötigen sie aber nicht die Nutzung von (manipulativen) Instrumenten zur Optimierung des Kaufverhaltens, wie wir sie aus dem System der Überflussökonomie kennen. Das Beispiel der erfolgreichen Etablierung des innerstädtischen Hofladens zeigt eindrucksvoll, wie sich eine Geschäftsidee mit einem ganzheitlichen Konzept ohne aktive Marketingmaßnahmen etablieren kann. Nur auf die Art kann das infolge

236

F. Ansatzpunkte heimatbezogener wirtschaftlicher Aktivität  

des Massenangebotes verlorengegangene Vertrauen der Menschen gegenüber der Wertschöpfung schrittweise wiedererlangt werden. Die Wertschöpfungskette sollte für den Kunden vollständig transparent und nachvollziehbar sowie maximal heimatbezogen sein. Bei bestehenden Betrieben wird das auch eine Rückverlagerung der Produktion nach Deutschland implizieren. Die befragten Unternehmen weisen exemplarisch nach, wie Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Wertschöpfungskette aussehen kann. Essentiell wird die Unabhängigkeit von den Akteuren der Überflussökonomie sein, das heißt insbesondere vom Zwischenhandel (Vermeidung von Nachteilen wie Vertragsstrafen, Preisdruck und Preisaufschlag, Qualitätsverluste, Lieferrisiken), bei gleichzeitiger Wahrung der eigenen Freiheit, Eigenverantwortung und Fähigkeit zur Selbsthilfe bezüglich des Vertriebs ihrer eigenen Produkte durch Direktvermarktung. Gerade vor dem Hintergrund des prognostizierten Bedeutungsverlustes des Zwischenhandels infolge von Digitalisierungsprozessen wird der Vertriebskanal der Direktvermarktung das entscheidende Gegenstück zu virtualisierten, nicht-physischen Konsumvorgängen und -erlebnissen sein. Eine solche Unabhängigkeit spiegelt sich bei den Befragten auch aufseiten der betrieblichen Organisation im Dasein als inhabergeführter Betrieb (Familienbetrieb)  wider. Dieser Umstand wurde explizit als erfolgsrelevant hervorgehoben. Das Modell des Familienunternehmens, rechtlich zumeist organisiert als Einzelunternehmen oder Gesellschaft bürgerlichen Rechts, eignet sich besonders für kleine, heimatbezogene Wirtschaftsbetriebe, auch zur besseren Sicherung der Unternehmensnachfolge. Damit verbunden kann auch die Einheit aus Wohn- und Arbeitsort, wie es noch zu Zeiten vor der Industrialisierung die Regel war, als positiver Faktor herausgestellt werden. Über das Familiäre hinaus sollten die Betriebe heimatbezogene Wertschöpfung versuchen, sich zu vernetzen und materiell und immateriell zusammenzuarbeiten. Die gegenwärtige Überflussökonomie birgt demnach nicht nur die Möglichkeit der Etablierung ökonomischer Ansätze, die sich explizit an der Heimatverbundenheit der Menschen orientieren. Zukunftsfähige Wertschöpfungsansätze werden sich vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden wirtschaftlichen Veränderungen an Heimatverbundenheit im Sinne des Konzeptes orientieren müssen, um in Zeiten des Wandels nachhaltig erfolgreich zu sein. Die Befragten weisen nach, dass ihre regionale beziehungsweise nationale Wertschöpfung der wesentliche Erfolgsfaktor ist. Nicht nur produzentenseitig, sondern auch kundenseitig ist die Kaufentscheidung maßgeblich motiviert durch die individuelle Heimatverbundenheit. Den sehr bewussten Kauf beeinflussen neben den produktspezifischen Eigenschaften wie Frische, Herstellung, Qualität oder Geschmack noch weitere Aspekte, wie die Unterstützung des ländlichen Raumes, Landschaftspflege, Förderung kleinteiliger, bäuerlicher Wirtschaftsstrukturen, Sicherung von Arbeitsplätzen, Erhalt von örtlicher Infrastruktur und Verhinderung des Fortzugs der einheimischen Bevölkerung. Insofern liegt die Besonderheit der Produkte aus heimatbezogener Wertschöpfung in ihrer nachhaltigen Fähigkeit der Schaffung und Förderung von Identifikation

II. Erfolgsfaktoren heimatbezogener Wirtschaftsansätze

237

und – wir sind wieder am zentralen Begriff dieser Abhandlung angekommen – von Wertschätzung gegenüber den Mitmenschen und den der heimischen Natur entstammenden Güter. Der Preis als kaufleitende Funktion des Systems der Überflussökonomie spielt nur eine untergeordnete Rolle in Form einer individuellen Prüfung des angemessenen Verhältnisses von Preis und Leistung. In Abbildung 24 wird sinnbildlich der Kreislauf von Wertschöpfung und Wertschätzung im Kontext der Interdependenz von Heimat und Wirtschaft in Verbindung mit dem Bestandteilen des nachhaltigen Heimat-Konzeptes dargestellt. Den Bestandteilen wurden jeweils einige wichtige Punkte und Erfolgsfaktoren zugeordnet, die maßgeblich ein heimatbezogenes Wirtschaftsbewusstsein bedingen. Geographische und soziale Einbindung

Heimatbezogene und individuelle Wertschöpfung

• Verschmelzung von Arbeits-, Wohn- und Konsumort • familiärer Zusammenhalt (Familienbetrieb) • Orte der Zusammenkunft, des Vertrauens, der Identitätsstiftung in der Nachbarschaft • Schaffung und Erhalt von Arbeitsplätzen und Infrastruktur

Mensch Natureinbindung und -sensibilität • Verwendung natürlicher Rohstoffe • umwelt- und ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft, Minimierung der sozialen Kosten, Nachhaltigkeit • Leben mit der Witterung • Weiter- / Wiederverwendung • Tier- und Naturschutz, Landschaftspflege

• maximaler Grad heimatbezogener Wertschöpfungstiefe, minimale Transportwege • Zusammenarbeit verschiedener Betriebe heimatbezogener Wertschöpfung • hoher Handarbeitsgrad • Förderung des Handwerks • Anregung individueller Wertschöpfung

Heimatbezogenes Wirtschaftsbewusstsein

Muße und Spiritualität • organisches, natürliches Wachstum • Sensibilisierung für Genuss und guten Geschmack sowie Beziehungen zu den Mitmenschen und zur Natur • Fähigkeit zum bewussten, genussvollen Leben der Nähe • Orte und Landschaften der Ruhe

Wirtschaft Kulturelle und nationale Identifikation • Verwendung traditioneller Verfahren und Rezepte • Erhalt, Neu-Initiation und Förderung von Brauchtum, Festen, Traditionen • Förderung und Zusammenarbeit ehrenamtlicher Initiativen • Förderung von Solidarität und Vertrauen

Heimat

(Nachhaltiges Heimat-Konzept)

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 24: Aspekte heimatbezogenen Wirtschaftsbewusstseins im Kreislauf von Wertschöpfung und Wertschätzung im Kontext der Interdependenz von Heimat und Wirtschaft

Bereits hervorgehoben wurde, dass der gegenwärtige physische und psychische Zustand der Menschen der Überflussökonomie eine besondere Herausforderung für die Etablierung und den Erfolg einer dem Individualismus, Materialismus und Universalismus gegenläufigen Bewegung darstellt. Es bedarf der Impulsgeber, die die Menschen in ihrem Umfeld aktivieren, aus sich selbst heraus aktiv zu werden. Die Etablierung heimatbezogener Ansätze kommt einem „Zurück zur Natürlich-

238

F. Ansatzpunkte heimatbezogener wirtschaftlicher Aktivität  

keit“ gleich, die dem Menschen ohnehin innewohnt: Ihr heimatbezogenes Wirtschaftsbewusstsein, das durch den Status quo im System der Überflussökonomie noch befördert wird. Der momentane Zustand wurde unter C. III. als Heimatfähigkeitsverlust bezeichnet, der aus dem Wertschätzungsfähigkeitsverlust resultiert, dem Erlebens- und Bindungsfähigkeitsverluste vorgelagert sind. Demzufolge wird es notwendig sein, den Kontakt der Menschen untereinander und mit der Natur wiederherzustellen. Der Erfolg stellt sich nur ein mithilfe eines dezidiert dezentralen, örtlich angebundenen Ansatzes als Zusammenschluss von regionalen Unternehmungen mit heimatbezogener Wertschöpfung, die mit den Bürger und ehrenamtlichen Initiativen in Kontakt treten und solidarisch zusammenarbeiten. Insofern handelt es sich bei zukunftsfähigem Wirtschaften innerhalb eines ganzheitlichen Ansatzes, der sich an den Kernbegriffen „Wertschöpfung“ und „Wertschätzung“ entlang bildet und heimatbezogen sein soll, um „lebensdienliches Wirtschaften“ im Sinne Ulrichs23. Es setzt an wirtschaftsethischen und wirtschaftlichen Grundintentionen (siehe C. I.) an und leitet sich aus dem Wesen und den Folgen des System der Überflussökonomie ab (siehe C. II. und C. III.).

III. Das Modell örtlicher Genossenschaften mit übergeordnetem Trägerverband 1. Gemeinnützig-genossenschaftlicher Ansatz, Struktur und Ziele Hierfür wird ein Modell vorgeschlagen, dass die Gründung von örtlichen Genossenschaften und einem gemeinnützigen Trägerverband als Dachorganisation vorsieht, der zur Förderung zukunftsfähigen, heimatbezogenen Wirtschaftens beitragen und die Genossenschaften unterstützen soll. Die Entwicklung und Förderung eines heimatbezogenen Wirtschaftsbewusstseins soll erstens durch die Stimulation individueller Wertschöpfungsansätze (Individualansatz) und zweitens durch die Schaffung, Unterstützung und Vernetzung von vielfältigen, heimatbezogenen Wertschöpfungsansätzen (Gemeinschaftsansatz), die dem glücklichen, guten Leben des Einzelnen (Individualwohlorientierung) und der Gemeinschaft (Gemeinwohlorientierung) zuträglich sind, erreicht werden. Der Trägerverband soll im Sinne der Gemeinwohlorientierung und -beteiligung in der Rechtsform eines eingetragenen Vereines organisiert sein. Als externer Dritter führt er im Sinne einer Anschubunterstützung die Initiation und Vernetzung vor Ort durch, bevor eine Genossenschaft gegründet wird. Als Übergangsform werden dafür sogenannte „Regionalwerkstätten“24 (siehe F. III. 2.) durchgeführt, um Bürger und Unternehmen zu aktivieren, bestehende Betriebe und Initiativen zu vernetzen 23

Vgl. Ulrich 2016. Der Begriff der „Regionalwerkstätten“ ist in Anlehnung an die Ausführungen und das Konzept Ulrichs gewählt, der einen ähnlichen Entwurf entwickelt hat. Vgl. Ulrich 2019, S. 148 ff. 24

III. Das Modell örtlicher Genossenschaften 

239

und erste gemeinschaftsbildende Elemente einer künftigen Genossenschaft vorzustellen. Eine Zusammenarbeit mit den jeweiligen kommunalen Verwaltungen und Stellen wie der Wirtschaftsförderung wird notwendig sein, jedoch soll das Modell eine dezidiert nicht-staatliche Organisationsstruktur aus der Bevölkerung heraus sein und bleiben. Die Trägerorganisation hat insgesamt gegenüber den lokalen Genossenschaften eine dienende Funktion, ihre Aufgaben liegen in der Initiation, Koordination und Durchführung der Regionalwerkstätten, in der Erstellung eines Gründungskataloges für örtliche Genossenschaften basierend auf den Regionalwerkstätten und in der Erstellung eines Kriterienkatalogs (Prämissen bezüglich der gesamten Wertschöpfungskette) hinsichtlich der Aufnahme von Unternehmungen in die jeweilige Genossenschaft. Die örtlichen Genossenschaften sollen in materieller und immaterieller Hinsicht bei der Gründung unterstützt werden, um später dezentrale, eigenständige Strukturen schaffen zu können. Die Trägerverband kontrolliert zudem zur dauerhaften Bewahrung der genannten Ziele regelmäßig die Genossenschaften und regt deren regionalen Austausch und Vernetzung untereinander an. Als übergeordneter Interessenvertreter der Genossenschaften versucht der Trägerverband, politische Rahmenbedingungen auf Bundes- und Länderebene zu schaffen. Der lokale Kontakt mit den Kommunen obliegt den Genossenschaften. Die konkrete Lage von Liegenschaften der örtlichen Genossenschaft in einem Dorf, einer Kleinstadt oder einem Stadtteil einer Großstadt, kann unterschiedlicher Natur sein, ist aber wesentlich und ließe sich bestenfalls in Ortszentren sehen. In Großstädten bieten sich Wohnquartiere in dicht besiedelten Stadtteilen an, wo die Ladeneinheiten in den Erdgeschossen von Mehrfamilienhäusern genutzt werden könnten. Am Beispiel des innerstädtischen Hofladens (Experteninterview lfd. Nr. 5) zeigt sich das Erfolgspotential einer solchen Lösung in der Nebenlage innerhalb eines Stadtteils mit größtenteils Zielkundenverkehr. Eine Positionierung innerhalb der Innenstadt von Großstädten erscheint aufgrund der hohen Mietpreise für Gewerbeeinheiten derzeit nicht realisierbar. In Klein- und Mittelstädten bis 100.000 Einwohner wäre eine Innenstadtlage eher denkbar, gerade weil hier in vielen Orten ein erheblicher Leerstand von Gewerbeeinheiten vorherrscht und somit eine Wiederbelebung der Stadtkerne befördert werden kann, was auch im Interesse dieser Kommunen liegen sollte. Überdies würden sich auch ungenutzte Bahnhofsgebäude insbesondere aufgrund der Größe (mehrere Gewerbeeinheiten in einem Gebäude realisierbar) und der zumeist zentralen Lage eignen, ebenso wie ungenutzte ehemalige Industriebauten. In alten Industriebauten oder -hallen wäre beispielsweise denkbar, einen überdachten Marktplatz zu schaffen. Organisatorisch soll es sich bei den lokalen Genossenschaften um einen Zusammenschluss von den Bürgern, Betrieben heimatbezogener Wertschöpfung, Bildungs- und Senioreneinrichtungen sowie ehrenamtlichen Initiativen der jeweiligen Ortschaft handeln. Genossenschaftliche beziehungsweise genossenschaftsähnliche Zusammenschlüsse lassen sich bereits seit dem Mittelalter beispielsweise in Form von Gilden, Zünften oder Sippenverbänden nachweisen. Mit dem Aufkommen der Industrialisierung und vor dem Hintergrund der Lösung der sozialen Frage grün-

240

F. Ansatzpunkte heimatbezogener wirtschaftlicher Aktivität  

deten sich auf deutschem Gebiet ab Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten Genossenschaften als Vorläufer dessen, was auch noch heute in verschiedenen Formen besteht.25 Die Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft wird im Hinblick auf die bisherigen Ausführungen als erfolgversprechend und umsetzbar angesehen. In Abgrenzung zur Rechtsform des eingetragenen Vereines, der gemeinnützig orientiert ist und hauptsächlich nicht-wirtschaftlich agiert, ist die Genossenschaft zuvorderst wirtschaftlich ausgerichtet. Gleichwohl verfolgt sie nicht nur ökonomische, sondern – und das ist der wesentliche Grund der Wahl dieser Rechtsform – auch ideelle und soziale Zielsetzungen. Die Beteiligten einer Genossenschaft, natürliche oder juristische Personen, verbindet vor allem der Gemein- und Gruppengeist. Genossenschaftliche Solidarität impliziert „aus bewußter innerer Haltung“26 die Verbindung von Ich- und Wir-Identität. Ein Prozess, auf den bereits beim nachhaltigen Heimat-Konzept (siehe z. B. Abbildung 16: Gegenüberstellung der Konzeptbestandteile „geographische und soziale Einbindung“ sowie „kulturelle und nationale Identifikation“) im Hinblick auf den Bewusstwerdungsprozess der Heimat-Anverwandlung hingewiesen wurde (siehe Abbildung 20). Als genossenschaftliche Prinzipien gelten Selbsthilfe (insbesondere Souveränität gegenüber dem Staat), Mit- und Selbstverantwortung (innerhalb der Genossenschaft und gegenüber der Gesellschaft), Selbstverwaltung, Freiwilligkeit (Mitwirkung aus eigenem, freiem Willen), Gleichberechtigung (demokratisches Stimmrecht, jedes Mitglied hat eine Stimme) und -verpflichtung. Als wichtiges genossenschaftliches Ziel nannte Faust die „Erhaltung und Festigung der mittelständischen und wirtschaftlich schwächeren Schichten“27. Die Genossenschaft besteht üblicherweise aus einem Vorstand, einem Aufsichtsrat und einer Generalversammlung als ihr höchstes und wichtigstes Gremium.28 „Die Überzeugung der Genossenschaftsmitglieder, Träger eines Gemeingeistes zu sein und einer Gesinnung, die im Wirtschaftsprozeß dem Profitstreben und dem Eigennutz den Vorrang verweigert, eine ethisch erfüllte Solidarität fordert, und dem Menschlichen wieder seinen Platz zu sichern sucht, war und bleibt auch im Wandel der Zeit das Fundament des genossenschaftlichen Gebäudes“29.

Es wird ein gemeinschaftlicher Geschäftsbetrieb zur „Förderung und Unterstützung der individuellen Wirtschaftsbetriebe der Genossen“30 errichtet und das Kapital setzt sich aus den Einlagen der Mitglieder zusammen. „Die genossen­ schaftliche Leitidee lautet: Dienen, nicht verdienen“31, die erwirtschafteten Überschüsse fließen wieder in die Gemeinschaft. Den eigenständig bleibenden Mitglie 25

Vgl. Steding 2004, S. 9 ff. und vgl. Flieger 2011, S. 9 ff. Faust 1965, S. 66. 27 A. a. O., S. 53. 28 A. a. O., S. 62 und vgl. a. a. O. S. 53–54, 58, 62–66, 465, vgl. Keßler 2008, S. 70, vgl. Seraphim 1956, S. 26–27 sowie vgl. Steding 2008, S. 59, 62, 65. 29 Faust 1965, S. 471. 30 Seraphim 1956, S. 9. 31 Faust 1965, S. 63. 26

III. Das Modell örtlicher Genossenschaften 

241

dern beziehungsweise Mitgliedsbetrieben nimmt die Genossenschaft als beratende und unterstützende Kraft beispielweise ökonomische Aufgaben ab, die sie nicht selbst vollführen können oder die mithilfe der Genossenschaft sinnvoller erfüllt werden können. „Die Grundaufgabe der Genossenschaft ist, die Haushalts- und Erwerbswirtschaften ihrer Mitglieder zu fördern“32. Es werden Skaleneffekte und Vorteile der Teilung (Erwerb und Nutzung) von Arbeitskraft, Maschinen, Rohstoffen und Wissen genutzt.33 Die Frage nach der Gestaltung des Verhältnisses von Staat und Genossenschaft trieb in der 1860er Jahren Schulze-Delitzsch und Lassalle um. Während Lassalle für eine erhebliche staatliche Förderung und Unterstützung der Genossenschaften plädierte, sprach sich Schulze-Delitzsch für weitestgehend staatsungebundene Genossenschaften aus. Der Staat solle seiner Auffassung nach den rechtlichen Rahmen schaffen, alle weiteren Bedingungen sollten die Protagonisten selbst organisieren gemäß den bereits oben genannten genossenschaftlichen Prinzipien wie Selbsthilfe und Selbstverwaltung.34 In Anbetracht des heutigen, „ungleichen“ Konkurrenzkampfes mit großen international agierenden und einflussreichen Handelsunternehmen (wie z. B. Online-Handelsplattformen oder Lebensmitteldiscounter) würde eine umfassende Subventionierung kleinteiliger Wirtschaftsansätze, um sie konkurrenzfähiger zu machen, die Macht und den Einfluss der Großunternehmen nicht nennenswert beeinflussen. Es käme einem Marathonlauf zwischen Menschen und Riesen gleich, in dem die Menschen mittels chemischer Substanzen versuchen, ihre Chancen gegen die Riesen zu verbessern. Eine solche versuchte Leistungsangleichung ist unnatürlich und wird diejenigen sogar schädigen, die von ihr profitieren sollten. Auch die Befragten im Rahmen der Experteninterviews betrachteten staatliche Subventionen kritisch und plädieren für einen auf Selbstverwaltung und Selbstentfaltung fundierten, autonomen Ansatz bestenfalls ohne staatliche Abhängigkeiten. Hinzu kommen die bedeutsamen Aspekte der Authentizität und Glaubwürdigkeit von kleinteiligen Wirtschaftsansätzen, die langfristig erfolgreicher sein werden, wenn sie aus der Bevölkerung heraus entstehen und bestehen und eben nicht „künstlich“ staatlich, das heißt „von oben herab“, geschaffen worden sind. Der ganzheitlichen Betrachtungsweise von Heimat im Sinne des nachhaltigen Heimat-Konzeptes folgend sollen die Genossenschaften auf den drei Gestaltungsprinzipien „Wertschöpfung“, „Kultur und Tradition“ und „Gemeinschaft“ gegründet werden. Die Ziele des Gestaltungsprinzips I „Wertschöpfung“ liegen in der Schaffung eines ständigen Angebots an Grundbedarfs- und ausgewählten Luxusgütern aus heimatbezogener Wertschöpfung und in der Schaffung von Möglichkeiten zu individueller Wertschöpfung. Das Gestaltungsprinzip II „Kultur und Tradition“ zielt auf die Schaffung eines ständigen Angebot an Veranstaltungen (Ausstellungen, Konzerte, Vorträge) kultureller Art mit Bezügen zu Traditionen und Bräuchen ab. Das Gestaltungsprinzip III „Gemeinschaft“ verfolgt das Ziel der 32

Faust 1965, S. 58. Vgl. Biesold 2008, S. 116–117, vgl. Keßler 2008, S. 70 und vgl. Seraphim 1956, S. 9, 29–31. 34 Vgl. Steding 2004, S. 17–19 und vgl. Flieger 2011, S. 98–103. 33

242

F. Ansatzpunkte heimatbezogener wirtschaftlicher Aktivität  

Schaffung eines ständigen Angebots an gemeinschaftsbildenden und generationsübergreifenden Tätigkeiten im Kontext von Mensch in Gemeinschaft und in Natur. Die Liegenschaften der Genossenschaften sollen Orte des Austausches, der Vernetzung und der materiellen und immateriellen Zusammenarbeit (Geräte, Maschinen, Immobilien, Landwirtschaftsflächen usw.) sein, was einzelne Akteure für sich allein oder vereinzelt nicht leisten könnten. Zunächst wird im Strukturbild des Trägerverbandes (Abbildung 25) der prinzipielle Aufbau in seiner Gesamtheit dargestellt. Die weiteren Einzelheiten, insbesondere bezüglich der drei Gestaltungsprinzipien, werden in den folgenden Abschnitten weiter ausgeführt.

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 25: Strukturbild der örtlichen Genossenschaften mit übergeordnetem Trägerverband

2. Regionalwerkstätten als stufenweise Annährung und Übergangsform In Anbetracht der dargestellten Ausgangssituation wird es nicht ausreichen, auf Dauerhaftigkeit ausgerichtete örtliche Genossenschaften zu gründen ohne vorherige behutsame und stufenweise Übergangsprozesse. Selbst wenn die Rahmenbedingungen (wie Personal, Kapital, Liegenschaften) zur Verwirklichung der Genossenschaften vorhanden wären, würde das Konzept nicht oder nur bedingt erfolgreich sein. Gerade mit Blick auf das Ergebnis der Überflussökonomie und den induzierten Heimat(fähigkeits)verlust ist der wesentliche erfolgskritische Faktor der behutsame Kontakt mit den Menschen vor Ort.

III. Das Modell örtlicher Genossenschaften 

243

Projektstufen

Mögliche Inhalte

I. Erhebung und Analyse der IstSitua­tion (Projektbeginn)

– Bestandsaufnahme und Erstellung einer standortspezifischen, historischen Potentialanalyse (Sozioökonomische Daten, IstZustand Handwerk und Rohstoffe, Wirtschaftsgeschichte und Traditionen) /  Akteure heimatbezogener – Recherche bestehender Betriebe  Wertschöpfung, ehrenamtlicher Initiativen, Bildungs- und Senioreneinrichtungen, die als Partner in Betracht kommen – Miete / Kauf / Nutzung einer Immobilie / Ladeneinheit als erste Basis zur dauerhaften Präsenz und Kommunikation vor Ort

II. Konzeption und Planung

– Kontaktaufnahme mit Partnern und Einbindung in das Projekt – Erstellung eines Projekt-Meilensteinplanes inklusive eines detaillierten Zeitplanes und Festlegung von Teilprojekten und Verantwortlichen – Festlegung materieller und infrastruktureller Notwendigkeiten – Fein-Planung einer Auftaktveranstaltung und Grob-Planung weiterer Veranstaltungen

III. Durchführung

– Durchführung der Auftaktveranstaltung

IV. Evaluation

– Auswertung der Auftaktveranstaltung gemeinsam mit Projektbeteiligten

V. Weitere Planung, Durchführung und Evaluation (wiederholende Durchführung)

– Planung und Durchführung weiterer Veranstaltungen und Aktionen (unter Berücksichtigung der drei Gestaltungsprinzipien Wertschöpfung, Kultur und Tradition, Gemeinschaft) – Auswertung der Veranstaltungen gemeinsam mit den Projektbeteiligten

VI. Überführung in Genossenschaft ­(Projektende)

– Zusammenführung und Auswertung aller Veranstaltungen – Erstellung eines Zusammenfassung als Grundlage für die Gründung einer Genossenschaft am Standort

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 26: Möglicher Projektverlauf einer Regionalwerkstatt

Die Regionalwerkstätten sollen eben jene Übergangsform darstellen und sind als erste stufenweise Annäherungen zu verstehen. Sie tragen die Eigenschaften eines Projektes und lassen sich daher zeitlich mit einem Anfang und einem Ende eingrenzen und verfolgen ein konkretes Ziel. Die Regionalwerkstätten sollen punktuell aufzeigen, welche langfristigen und dauerhaft positiven Potentiale eine örtliche Genossenschaft hat. In ihrer anschließenden Gründung durch Bürger vor Ort liegt das Ziel der Regionalwerkstätten. Die Initiation, Koordination und Durchführung einer Regionalwerkstatt obliegt dem Trägerverband. Nach der Auswahl des Standortes sind im Stufenmodell der Abbildung 26 umrissartig die möglichen Projektphasen aufgeführt, entlang derer eine Regionalwerkstatt geplant und durchgeführt

244

F. Ansatzpunkte heimatbezogener wirtschaftlicher Aktivität  

werden könnte. Vorgesehen wären die Durchführung einer Auftaktveranstaltung sowie weitere darauffolgende Veranstaltungen und Aktionen. Trägerverband

Einbindung der n relevanten Beteiligten Kommunale Verwaltung Ehrenamtliche Initiativen Bildungs- und Senioreneinrichtungen Unternehmen heimatbezogener Wertschöpfung Bürger

Legende: AG = Arbeitsgruppe TP = Teilprojekt

Projektgruppe Regionalwerkstatt Steuerung und Kommunikation

AG 1: on Konzeption

Projektstufe I / VI

Leitung

AG 2: Umsetzung

TP 1a

TP 2a

Wertschöpfung

Planung

TP 1b Kultur und Tradition

TP 2b Durchführung

TP 1c

TP 2c

Gemeinschaft

Evaluation

Projektstufe II / V

Projektstufe III / V

Projektstufe IV / V

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 27: Mögliches Projektorganigramm einer Regionalwerkstatt

Die Regionalwerkstätten orientieren sich am Modell der örtlichen Genossenschaften in Bezug auf die drei Gestaltungsprinzipien „Wertschöpfung“, „Kultur und Tradition“ und „Gemeinschaft“ (siehe Abbildung 25). Die Abbildung 27 veranschaulicht ein mögliches Organigramm einer Regionalwerkstatt. Erfolgskritisch ist auch die ausgewogene Einbindung der relevanten Beteiligten, um bereits ab dem Projektbeginn Akzeptanz zu schaffen und Entscheidungen gemeinsam zu treffen. Die externen Beteiligten entsenden ihre Vertreter in die Projektgruppe, die geführt wird von der Projektleitung. Die Projektsteuerungs- und Projektkommunikationseinheit übernimmt über das gesamte Projekt hinweg insbesondere die Kommunikation mit den internen und externen Projektbeteiligten sowie die Überwachung des Projektablaufes (Meilenstein- und Zeitplan) und organisiert Termine. Die Projektgruppe splittet sich in zwei Arbeitsgruppen auf. Die erste Arbeitsgruppe ist zuvorderst konzeptionell tätig und widmet sich inhaltlichen Belangen. Sie ist unterteilt in drei Teilprojekte entsprechend der drei Gestaltungsprinzipien. Es werden insbesondere (wirtschafts-)historische Potentialanalysen erstellt. Sie arbeitet der zweiten Arbeitsgruppe zu, indem sie Aktions- und Veranstaltungsvorschläge konzipiert. Personell werden sich beide Arbeitsgruppen über-

III. Das Modell örtlicher Genossenschaften 

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schneiden, auch um den Wissenstransfer zu fördern und keine in sich geschlossenen Teilprojekte zu schaffen ohne tatsächliche Einbindung in das Gesamtprojekt. Die zweite Arbeitsgruppe unterteilt sich ebenfalls in drei Teilprojekte. Das erste Teilprojekt widmet sich der Planung, die zwei übrigen Teilprojekte widmen sich der Durchführung und der Evaluation der Regionalwerkstatt. Auch hier handelt es sich nicht um eine isolierte Betrachtungsweise der einzelnen Teilprojekte, innerhalb der Arbeitsgruppen sowie auch zwischen den zwei Arbeitsgruppen erfolgt ein ständiger Austausch. Alle Teilprojekte und Arbeitsgruppen verfügen über eine Leitung. Im Folgenden sind einige mögliche Beispiele der Durchführung aufgeführt, die je nach örtlichen Umsetzbarkeit und Beschaffenheit des Standorts variieren können. Das Gestaltungsprinzips I „Wertschöpfung“ sieht die Durchführung von wertschöpfungsbezogenen Veranstaltungen und Aktionen, wie Markttage mit Unternehmen heimatbezogener Wertschöpfung inklusive dem Verkauf der Produkte vor. Überdies könnten unter Anleitung und mithilfe von mobilen Backöfen und Küchen Rohstoffe aus individueller beziehungsweise heimatbezogener Wertschöpfung verarbeitet werden. In Abhängigkeit des saisonalen Angebots könnten zum Beispiel die Bürger aufgerufen werden, hierzu Eigenerzeugnisse beizubringen. Erfahrungsgemäß übersteigen im Eigenanbau zumeist die Erntemengen den möglichen Eigenverbrauch, sodass sowohl der Erzeuger als auch der Abnehmer letztendlich einen Wertschätzungsgewinn davontragen. Finanzielle Belange sind in dem Zusammenhang nicht relevant, vielmehr soll es darum gehen, in Kontakt mit den natürlichen Rohstoffen, der Wertschöpfung und den Mitmenschen zu kommen. Das gilt auch für eine weitere Möglichkeit des Nähens mithilfe von mobilen Nähmaschinen unter Anleitung beispielsweise von geübten Senioren. Im Rahmen von „Reparaturnachmittagen“ können gemeinschaftlich Dinge repariert werden. Des Weiteren wäre die Durchführung von Schlachtfesten denkbar mit der Möglichkeit, unter Anleitung von örtlichen Fleischern einen Teil der Wertschöpfungskette selbst zu übernehmen. Die Aussagen der Experten im Rahmen der Experteninterviews haben verdeutlicht, dass besonders solche Markttage oder Schlachtfeste durch die Bürger sehr gut und nachhaltig angenommen werden. Deshalb sollte versucht werden, dergleichen regelmäßig und als gemeinsame Veranstaltungen vieler Unternehmen heimatbezogener Produktion durchzuführen. Im Gestaltungsprinzip II „Kultur und Tradition“ ist die Durchführung traditioneller und kultureller Veranstaltungen und Aktionen vorgesehen, wie zum Beispiel in den Bereichen Kleinkunst oder Schauspiel. Mundart-Darbietungen wären ebenso denkbar wie musikalische Beiträge und insbesondere gemeinschaftliches Singen lokalen Liedgutes. Es sollen vor allem nicht nur professionelle Darbietungen zur Schau gestellt werden, sondern Laiengruppen die Gelegenheit zum Auftritt gegeben werden. Zu Brauchtums- und Traditionstage können standortspezifische Bräuche und Traditionen gefeiert werden. Das Gestaltungsprinzip III „Gemeinschaft“ betrifft die Durchführung von Veranstaltungen und Aktionen mit gemeinschaftsbildendem Hintergrund, noch inten-

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F. Ansatzpunkte heimatbezogener wirtschaftlicher Aktivität  

siver als es bereits die vorgenannten Gestaltungsprinzipien vorsehen. Dabei wären beispielsweise Tage denkbar, an denen Kinder, insbesondere im Grundschulalter, mit Senioren zusammenkommen und Mehrgenerationenbrettspiele35 (weiter-)entwickeln, Basteln oder handwerklich tätig sind. Vor allem Elementartugenden und -fähigkeiten sowie die Sinnlichkeit von Handarbeit sollen mithilfe des stillen Kapitals in Form der Erfahrungswerte der Senioren an junge Menschen auf spielerischem Weg vermittelt werden. Des Weiteren sind Arbeitseinsätze zur Reinigung, Reparatur oder Errichtung von Sitzbänken oder Ähnlichem in Parkanlagen oder an nahegelegenen Seen oder Wäldern angedacht. Ferner könnten Ausflüge in Parkanlagen oder in Wälder in Verbindung mit schauspielerischen oder musikalischen Darbietungen oder naturkundlichen Beiträgen mithilfe von örtlichen ehrenamtlichen Initiativen durchgeführt werden. Auch sportliche Aktivitäten und Wettbewerbe wären möglich. Letztendlich wird jedoch auch eine sehr gute Projektorganisation in Verbindung mit kreativen Ideen keinen nennenswerten Erfolg haben ohne ein einfühlsames und prozessual kontinuierliches, das heißt überzeugend langfristiges, Vorgehen. Die Einrichtung einer Ladeneinheit beziehungsweise der Betrieb einer Immobilie als dauerhaften Ort der Präsenz und Kommunikation kann dazu einen positiven Beitrag leisten. 3. Gestaltungsprinzipien der örtlichen Genossenschaften und Beispiele zur praktischen Umsetzung Der Genossenschaft obliegt langfristig die Schaffung einer heimatbezogenen Wertschöpfungssouveränität für den jeweiligen Ort beziehungsweise die Region – je nach Produkt- und Rohstoffverfügbarkeit. Das Ziel soll darin bestehen, Grundbedarfsgüter und einige Luxusgüter aus heimatbezogener Wertschöpfung dauerhaft anbieten zu können. Dies soll sich beziehen auf Güter des periodischen (täglichen) Bedarfs mit einem kurzfristigen Beschaffungsrhythmus, das sind Nahrungsmittel und Genussmittel sowie Verbrauchsgüter wie Haushaltswaren, Drogerieartikel, Schnittblumen, Heimtierfutter und Güter des aperiodischen (mittel- bis langfristigen) Bedarfs und Beschaffungsrhythmus’, das sind Produkte wie Bekleidung, Mobiliar / Einrichtungsgegenstände oder Fahrräder.36 Der Genossenschaft als beratende und unterstützende Organisationseinheit ihrer Mitglieder soll die Überwachung der Einhaltung von Prämissen obliegen, um eine maximale heimatbezogene Wertschöpfungstiefe der Produkte zu garantieren. Die Produktzertifizierung selbst könnte durch eine externe Stelle (wie z. B. ein Institut einer Hochschule) erfolgen, um die Unabhängigkeit der Genossenschaft zu wah 35

Vgl. Ulrich 2019, S. 137. Begriffe in Anlehnung an Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung e. V. Arbeitskreis 8 Einzelhandel und Immobilienwirtschaft 2000, S. 7. 36

III. Das Modell örtlicher Genossenschaften 

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ren. Für die wesentlichen Bestandteile der Wertschöpfungskette in Anlehnung an die Abbildung 18, das sind die Rohstoffe und Hilfsmittel (stofflich), der Herstellungsprozess (prozessual), die Erlangung und der Gebrauch sowie die Entsorgung, sind nachfolgend wichtige Prämissen zusammengestellt, wonach die Wertschöpfung zu erfolgen haben sollte. Nicht alle aufgeführten Prämissen lassen sich jeder Güterart zuordnen. Den aufgezeigten Punkten wurde jeweils eine Begründung zugeordnet. In Abbildung 28 werden mögliche Ideal-Prämissen aufgeführt. Die aufgeführten Prämissen könnten weiter verdichtet und letztendlich jeweils prozentual in ihrer Erfüllung dem jeweiligen Gut mittels Zertifikation zugeordnet werden. Die zertifizierte, produktbezogene heimatbezogene Wertschöpfungstiefe könnte dem Produkt-Journal (siehe unten) zu entnehmen oder in den Verkaufsstellen selbst ersichtlich sein. Insbesondere im Nicht-Lebensmittelbereich werden einige Jahrzehnte vergehen, bis eine signifikante Erhöhung der heimatbezogenen Wertschöpfungstiefe erreicht werden kann. Die möglichst flächendeckend bundesweite Etablierung von örtlichen Genossenschaft wird bestehende Unternehmungen mit heimatbezogener Wertschöpfung stärken und für die Neugründung weiterer solcher Betriebe sorgen. Bezüglich des Gestaltungsprinzips I „Wertschöpfung“ sind die folgenden Maßnahmen zur praktischen Umsetzung denkbar: In Anlehnung an das erfolgreiche Modell des innerstädtischen Hofladens in Leipzig (Experteninterview lfd. Nr. 5) sollen die Verkaufsstellen und Anbieter der örtlichen Genossenschaften als Qualitäts- und Vertrauenssiegel an sich dienen, sodass der Verbraucher während seines Einkaufes nicht produktbezogene Herkunftsangaben oder weitere qualitative Informationen prüfen muss. Der Kunde muss davon ausgehen können, dass die oben genannten Prämissen (Abbildung 28) umgesetzt werden. Die zu erfüllenden Kriterien sollten vollständig transparent zur Verfügung gestellt werden (siehe Produkt-Journal). Hiermit soll ein wesentlicher Beitrag zum Vertrauen zwischen Produzenten und Konsumenten geleistet werden, ohne den Einsatz von manipulativen Instrumenten zur Optimierung des Kaufverhaltens. Im Verkauf soll in „Manufakturen“ und „Hofläden“ unterschieden werden. Manufakturen sind Verkaufsstellen, die Produkte aus dem Nicht-Lebensmittelbereich anbieten und in den Hofläden werden die Produkte des Lebensmittelbereichs vertrieben. Auch sollen – gerade in der Anfangsphase einer neu gegründeten Genossenschaft – eine aus Produkten des Lebensmittel- und des Nicht-Lebensmittel-Bereichs kombinierte Verkaufsstellen möglich sein. Ein Zwischenhandel zwischen den Produzenten und den Verkaufsstellen ist nicht vorgesehen. Es dürfen auch Produkte aus benachbarten Genossenschaften vertrieben werden, da nicht jede Ortschaften die Produktion von beispielsweise Schuhen oder Fahrrädern abdecken kann und muss. Ein ökonomischer Wettbewerb zwischen verschiedenen Genossenschaften ist grundsätzlich möglich und nicht untersagt, allerdings soll vielmehr der Fokus auf dem Austausch und der Nutzung von Synergieeffekten liegen.

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F. Ansatzpunkte heimatbezogener wirtschaftlicher Aktivität  

Prämisse

Begründung

Transparenz und (wirtschafts-)historische Bezugnahme: – vollständige Transparenz aller Rohstoffe, Schritte und Beteiligten der Wertschöpfungskette – Darstellung (wirtschafts-)historischer Bezüge, basierend auf der regionalen Potentialanalyse

– Förderung des gesellschaftlichen Mitein­ anders und des Vertrauens – Erhöhung der Wertschätzung gegenüber dem Gut – Bewahrung (wirtschafts-)historischen Wissens

Kurze Wege und Verzicht auf den Zwischenhandel: – minimale Entfernungen zwischen Verkaufsort, An-/Abbauort sowie Herstellungsort – keine Zwischenstationen bzw. minimale Entfernung (Transportweg) zwischen An- / ​ Abbauort zum Ort der Herstellung – keine Einbindung von Händlern zwischen Produktionsort und dem Verkaufsort

– Einsparung Energie- und Ressourcenverbrauch – Erhöhung der Wertschätzung des Konsumenten gegenüber dem Gut aufgrund der Nähe – ganzheitliche Betrachtungsweise des Hof­ kreislaufes im Sinne der Nachhaltigkeit – Natur- und Tierschutz – Bewahrung der Rohstoff- und Produktqualität

Heimatbezogene, natürliche Wertschöpfung: – maximaler Einsatz heimatbezogen gefertigter Hilfsmittel und natürlicher Rohstoffe direkt vom An-/Abbauort – Minimierung / Vermeidung des Einsatzes von künstlichen Stoffen und Chemikalien – maximale Umweltverträglichkeit des An- / ​ Abbaus und der Herstellung bei minimalem, umweltschonendem Energieverbrauch – maximale Berücksichtigung des Tierwohls – maximaler Handarbeitsgrad der einzusetzenden Arbeitskraft – vorrangiges Angebot von frischen Gütern (Saisonware)

– ganzheitliche Betrachtungsweise des Hofkreislaufes im Sinne der Nachhaltigkeit – Einsparung Energie- und Ressourcenverbrauch – Förderung der Gesundheit – Natur- und Tierschutz – Erhöhung der Wertschätzung des Erstellers und des Konsumenten gegenüber dem Gut – Bewahrung / Erhöhung der Rohstoff- und Produktqualität – Erhöhung der Wertschätzung des Konsumenten aufgrund Besonderheit (keine tägliche Verfügbarkeit) – Rückgewinn des Bezugs des Menschen zur Natur (Jahreszeiten, Witterung)

– Individuelle Wertschöpfung: – Möglichkeit eines individuellen Wertschöpfungsanteils des Käufers (durch Arbeitsleistung oder eigene Rohstoffe)

– Erhöhung der Wertschätzung des Erstellers und des Konsumenten gegenüber dem Gut – Förderung handwerklicher Fähigkeiten, Schaffung von Muße-Zeit

III. Das Modell örtlicher Genossenschaften 

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Nachhaltige Produktion und Verwendung: – minimaler Einsatz von Verpackungsmaterial und Verwendung von wiederverwertbaren Verpackungen (Pfandsystem) – Möglichkeit der Wiederverwertung (Wiedereinbringen in künftige Produkte) – alternativer Erwerbsformen (Leihe, Tausch) – maximale Haltbarkeit und Reparaturfähigkeit während der Nutzungsdauer – maximale Garantie des Herstellers (über gesetzliche Garantie hinaus) sowie weitere Dienstleistungen (Erweiterungsmöglichkeiten)

– Senkung des quantitativen Güterkonsums – Einsparung Energie- und Ressourcenverbrauch und Senkung des Abfallvolumens – Förderung des gesellschaftlichen Miteinanders und des Vertrauens – Erhöhung der Wertschätzung des Erstellers und des Konsumenten gegenüber dem Gut – Rückgewinn von Wertvorstellungen wie Schonung und Pflege

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 28: Ideal-Prämissen der gesamten Wertschöpfungskette von Gütern der Unternehmen einer örtlichen Genossenschaft

Da üblicherweise die Maschinen und Gerätschaften sowie die Fachkenntnis und handwerkliche Fertigkeiten der Bürger begrenzt vorhanden sind oder fehlen, werden in „Wertschöpfungsräumen“ dauerhaft unter Anleitung und Aufsicht von Experten Plätze zum Arbeiten zur Verfügung gestellt. Es sollen Stätten der gemeinschaftlichen Wertschöpfung und der Möglichkeit zur Reparatur geschaffen werden. Insbesondere Senioren können dabei ihre Kenntnisse und Erfahrungen einbringen und jungen Menschen helfen. Des Weiteren werden Gerätschaften wie große Garten- oder Küchengeräte zur Leihe angeboten, sodass sich nicht jeder Bürger bestimmte Geräte und Maschinen erwerben muss. Dies soll auch die Reduktion des individuellen Güterbesitzes unterstützen. Je nach saisonalem Angebot werden die Bürger (und Unternehmen) aufgerufen, überschüssige oder zu entbehrende Eigenerzeugnisse aus individueller Wertschöpfung wie Obst und Gemüse an ausgewählten Tagen mitzubringen, sodass entweder mit anderen Bürger eine weitere Verarbeitung stattfinden kann oder es werden Produkte untereinander getauscht oder verschenkt. Den Bürgern soll an diesen Tagen auch die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch gegeben werden, beispielsweise zu Kochrezepturen oder zum Anbau und der Pflege von Pflanzen. Denkbar wären die Durchführung von Ernte- und Pflanzkursen, von Schauimkern sowie von Vorträgen zu heimischen Kräutern, Obst und Gemüse, Pilzen, Gesteinen oder zur Sortenbestimmung. Im Rahmen von in regelmäßigen Abständen stattfindenden „Leistungsschauen“ stellen die Unternehmen heimatbezogener Wertschöpfung ihre Produkte vor und bieten den Bürgern zudem die Möglichkeit der individuellen Wertschöpfung, indem Teile der Wertschöpfungskette unter Anleitung gemeinschaftlich oder indi-

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F. Ansatzpunkte heimatbezogener wirtschaftlicher Aktivität  

viduell bearbeitet werden können. Dergleichen kann direkt in den Anbau- beziehungsweise Produktionsstätten der Betriebe, in den Wertschöpfungsräumen der Genossenschaft oder beispielsweise auf dem örtlichen Marktplatz stattfinden. Am jährlich stattfindenden „Tag der gläsernen Manufakturen / Höfe“ öffnen alle zur Genossenschaft gehörenden Betriebe ihre Stätten für Besucher. Ein „Produkt-Journal“ sollte initiiert werden, das als Nachschlage- und Präsentationswerk dient. Es soll in digitaler Form auf der Internetseite der Genossenschaft einsehbar sein und dort fortlaufend aktualisiert werden. Zudem erscheint es in gedruckter Form und in regelmäßigen Neuauflagen werden Aktualisierungen, wie neue Unternehmen und Produkte, berücksichtigt. Das Produkt-Journal soll der Präsentation der von der Genossenschaft angebotenen Produkte und Dienstleistungen mit vollständiger Darstellung der Wertschöpfungsketten dienen. Die zur Aufnahme von Unternehmen und Produkten in der Genossenschaft notwendigen Prämissen werden aufgeschlüsselt. Eine wesentliche inhaltliche Basis stellt die bereits zur Regionalwerkstatt erarbeitete (wirtschafts-)historische Potentialanalyse dar, die weiter verdichtet werden soll. Das Gestaltungsprinzip II sieht die Schaffung eines ständigen Angebots an Veranstaltungen kultureller Art mit Bezügen zu lokalen Traditionen und Bräuchen vor. Im Rahmen der Wiederbelegung von orts- beziehungsweise regionsspezifischen Bräuchen und Traditionen sollen auch moderne Elemente und Interpretationen berücksichtigt werden. An dieser Stelle zeigt sich ein erfolgreiches Zusammenspiel der Generationen, indem auch junge Menschen ihre Ideen einbringen können, sodass alte und neue Inhalte ineinander verschmelzen können zu einer „neuen Regionalkultur“. Neben Veranstaltungen, die von professionellen Akteuren durchgeführt und passiv beschaut werden können, sollen speziell die Bürger auf einfache und unkomplizierte Weise zur regelmäßigen Teilnahme angeregt werden. Die Bestandteile der neuen Regionalkultur können vielfältig sein und Theater, Kabarett und Mundart, Kunst sowie Musik und Tanz betreffen. Das neue kulturelle Leben der Bürger soll belebt und damit ein wichtiger Teil der Freizeitgestaltung werden sowie in deutlicher Abgrenzung stehen zum momentanen, ökonomisierten Kulturbetrieb und -konsum ohne Eigenbeteiligung. Mithilfe von professionellen beziehungsweise geübten Personen könnten Laien-Spielgruppen gebildet werden. Ferner soll die Möglichkeit eröffnet werden für lyrische und musikale Darbietungen auf einer „freien Bühne“. Ein besonderer Fokus soll auf mundartlichen und humoristischen Inhalten liegen. Auch der gemeinschaftliche Gesang und Tanz soll angeregt werden. Als Orte zur Präsentation des kulturellen Lebens sollen Parkanlagen und Plätze fungieren, die hierdurch zugleich eine Rekultivierung erfahren. Für Familien sind Rast- und Kinderspielplätze in Parkanlagen und auf Plätzen zu schaffen. Witterungsbedingt könnten für die Veranstaltungen auch Immobilien mit größeren Räumlichkeiten sowie Gasthäuser genutzt werden. Örtliche Künstler sollen die Gelegenheit erhalten, Räumlichkeiten als Werkstätten und Ateliers zu nutzen, dort ihre Kunstwerke auszustellen und im Rahmen von Ausstellungen veräußern zu können.

III. Das Modell örtlicher Genossenschaften 

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Das neben dem Produkt-Journal in digitaler und gedruckter Form erscheinende „Kultur-Journal“ soll aus einem variablen und einem dauerhaften Teil bestehen. Der variable Teil bewirbt in monatlicher Frequenz die aktuellen kulturellen Veranstaltungen und Aktivitäten der Genossenschaft. Der dauerhafte Teil in Form eines Präsentations- und Nachschlagewerkes soll zur allgemeinen Präsentation der lokalen Kunst und Kultur sowie des Brauchtums und der Traditionen dienen. Auch die Aktivitäten von ehrenamtlichen Initiativen sollen vorgestellt werden. Das dritte Gestaltungsprinzip der örtlichen Genossenschaften bilden gemeinschaftsbildende Aspekte, womit die Schaffung eines ständigen Angebots an gemeinschaftsbildenden und generationsübergreifenden Tätigkeiten im Kontext von Gemeinschaft und Natur vorgesehen ist. Um den Dialog zwischen jungen und alten Menschen zu intensivieren und insbesondere das stille Kapital der Senioren (Allgemeinbildung, Fachwissen, handwerkliche und berufliche Kenntnisse, Wertevermittlung) zu aktivieren und zusätzlich deren Selbstwertgefühl im Alter zu stimulieren, sollen „Mehrgenerationentreffs“ eingerichtet werden. Sie finden mehrfach wöchentlich in Kooperation von Bildungs- und Senioreneinrichtungen statt. Es ergibt sich eine große Bandbreite an potenziellen Aktivitäten, wie gemeinsames Basteln, Singen, Spielen oder zum Beispiel die Erstellung des Familien­ stammbaums. Der öffentliche Raum, insbesondere Parkanlagen, Flüsse und Wälder, soll im Rahmen von gemeinschaftlichen „Arbeitseinsätzen“ in regelmäßigen Abständen von Abfallen befreit und gepflegt werden. Gedenktafeln und Denkmäler könnten in regelmäßigen Abständen, verbunden mit einer ortsbezogenen Veranstaltung, hergerichtet werden. Denkbar wäre beispielsweise auch der Bau, die Errichtung oder die Instandsetzung von Ruhe- und Aussichtsbänken. Darüber hinaus könnten Bürger in „Gemeinschaftsgärten“ Gartenland gemeinsam bewirtschaften und entlang der gesamten Wertschöpfungskette tätig sein. Sie sind eine gute Alternative für Menschen, die über keinen eigenen Anbaumöglichkeiten verfügen. Hierzu könnten Brachland oder Kleingärten dienen, auch mobile Gärten wären möglich. Des Weiteren soll der natürliche Nahraum mit regelmäßigen, gemeinschaftlichen Wanderschaften und Fahrradtouren erkundet werden. Es könnten „Gedicht- und Liedgutpfade“ entwickelt werden, wo regionsspezifische Gedichte oder Lieder vorgetragen werden. Auch naturkundliche Führungen oder die Ernte von Pflanzen, gegebenenfalls in Kooperation mit Vereinen, wären vorstellbar. Der körperlichen Ertüchtigung soll ein weiterer Stellenwert im Zuge von „Breitensportfesten“ zugedacht werden. Dabei sollte die Zusammenarbeit mit den ört­lichen Sportvereinen gesucht werden. Beispielsweise könnten bestimmte Altersklassen gegeneinander in Wettstreit treten, oder es werden gemischte Mannschaften gebildet, um den Generationendialog zu stimulieren. Die örtliche Gasthaus-Struktur soll belebt werden durch mindestens ein „Regionalgasthaus“ der Genossenschaft, das ausschließlich Getränken und Speisen aus heimatbezogener Wertschöpfung mit spezifischen Gerichten der Region präsen-

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F. Ansatzpunkte heimatbezogener wirtschaftlicher Aktivität  

tiert. Sofern möglich, könnten weitere Räumlichkeiten oder Säle für Festivitäten der Bürger oder Veranstaltungen der Genossenschaft verwendet werden. Im Rahmen von „Bürgeraussprachen“ sollen monatlich Bürger und Mitglieder der Genossenschaft mit Vertretern der kommunalen Politik und Verwaltung zusammenkommen und die Möglichkeit haben, unter Moderation Fragen und Redebeiträge zu gemeinwohlbetreffenden Themen zu äußern. Das „Natur-Journal“ ist analog zum Produkt-Journal um zum Kultur-Journal als Präsentations- und Nachschlagewerk zu verstehen und soll in digitaler Form auf der Internetseite der Genossenschaft sowie in gedruckter Form erscheinen. Es dient der Darstellung der Besonderheiten der örtlichen Pflanzen- und Tierwelt und soll zur naturkundlichen Bildung und Wissensvermittlung beitragen. Wander- und Naturlehrpfade sollen darin vorgestellt werden. Im variablen Teil des monatlich erscheinenden Kultur-Journals sollen auch die aktuellen Veranstaltungen und Aktivitäten aus dem dritten Gestaltungsprinzip beworben werden.

IV. Vorschläge politischer Begleitmaßnahmen Die Einflussmöglichkeiten der Bürger, aus sich selbst heraus Veränderungen herbeizuführen, wurden beispielhaft aufgezeigt. Gleichwohl sind ihrem Einfluss bestimmte Grenzen gesetzt und nur die Politik kann hier durch Reformen und Gesetzesänderungen tätig werden. Nachfolgend werden deshalb einige politische Maßnahmen vorgeschlagen, die die Förderung heimatbezogenen Wirtschaftens in den nächsten Jahren begleiten und zu einem guten Leben in einer von Solidarität und Zusammenhalt geprägten Gesellschaft beitragen könnten. Sie beinhalten auch einige Vorschläge, die durch die Experten im Rahmen der Experteninterviews gegeben worden sind. Es handelt sich hauptsächlich um wirtschaftspolitische sowie einige familien- und bildungspolitische Begleitmaßnahmen. Sie sind keinesfalls vollständig und wurden vor dem Hintergrund der Auffassung erstellt, dass der Staat nur unterstützend Rahmenbedingungen schaffen und keinen Zwang auf seine Bürger ausüben sollte. Eine wesentliche Erkenntnis der vorliegenden Abhandlung liegt gerade in dem Verständnis von Heimat als dynamische Theorie, woraus durch die Entwicklung des heimatbezogenen Wirtschaftsbewusstseins bürgerschaftliche Veränderungsprozesse möglich werden. Es wird die verbindliche Einführung der Lebensmittelversorgung aus heimatbezogener Wertschöpfung in staatlichen Einrichtungen, Kindergärten und Schulen vorgeschlagen. Das würde die gesunde Ernährung insbesondere junger Menschen fördern und zugleich die Unternehmen heimatbezogener Wertschöpfung unterstützen, indem ein dauerhafter Absatzkanal vorhanden ist. Des Weiteren wird die Einführung des Schulfachs „Heimatkunde“ von der ersten bis zur zehnten beziehungsweise zwölften Klassenstufe vorgeschlagen, mit thematischen Schwerpunkten auf der Natur- und Tierkunde, der Volkskunst und dem Brauchtum, der Heimat- und

IV. Vorschläge politischer Begleitmaßnahmen

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Regionalgeschichte, regelmäßigen Exkursionen in die Natur sowie regelmäßigen Heimat-Nachmittagen mit Senioren. Hierbei wird die Zusammenarbeit der Schulen mit den lokalen Genossenschaften empfohlen. Dies würde nachhaltig die Entwicklung von Heimatverbundenheit schon von jungen Menschen entlang aller Heimat-Dimensionen des nachhaltigen Heimat-Konzeptes fördern. Als zweites wird die Einführung des Schulfachs „Wertschöpfung“ von der ersten bis zur zehnten beziehungsweise zwölften Klassenstufe angeraten, mit thematischen Schwerpunkten auf der Arbeit mit Grundwerkstoffen und Rohstoffen, dem Kochen sowie dem Besuch und der Mitarbeit in Unternehmen heimatbezogener Wertschöpfung. Auch dabei erscheint die Einbindung in die lokale Genossenschaft als unabdingbar. Hierdurch sollen handwerkliche Elementarfähigkeiten und -tugenden gefördert werden. Auch die Erfahrung der eigenen Kompetenz und Wertschätzung in und mit der Gemeinschaft und damit die Stärkung des Selbstwertgefühls sowie der Gemeinschaft sind als wichtige Gründe zugunsten der Einführung des neuen Schulfaches zu nennen. Überdies können Einblicke in Unternehmen heimatbezogener Wertschöpfung gewonnen werden. Die Unternehmen sind wiederum imstande, für sich zu werben. Auf der nächsten Bildungsebene des Studiums wird die Einführung eines „Wertschöpfungseinsatzes“ für Studierende empfohlen. Der Einsatz soll eine Dauer von drei Monaten haben und vor Beginn des Studiums und dann jeweils vor Beginn eines neuen Semesters mit einer Dauer von zwei Wochen in Unternehmungen heimatbezogener Wertschöpfung stattfinden, zum Beispiel in der Landwirtschaft (durch die Ernte von Kartoffeln, Äpfel oder Birnen) oder bei Tischlereien. Als Belohnung wären anrechenbare Leistungspunkte für das Studium und die staatliche Vergütung in Form einer geringfügigen, steuerfreien Beschäftigung denkbar. Die Maßnahme wäre gleichermaßen auch für Auszubildende vor und während der Ausbildung realisierbar. Da aber insbesondere Studierenden größtenteils der Bezug zu handwerklichen und praktischen Tätigkeiten während der Studienzeit fehlt, ist hier eine solche Einführung besonders angeraten. Analog zu den Schülern sprechen die Erfahrung der eigenen Kompetenz und Wertschätzung in und mit der Gemeinschaft und damit die Stärkung des Selbstwertgefühls sowie der Gemeinschaft dafür. Auch hier könnten die Unternehmen heimatbezogener Wertschöpfung um die künftigen Fachkräfte werben. Zur Stärkung der Bedeutung des Handwerks und zum Gewinn von neuen Auszubildenden und Arbeitskräften soll es die Rückeinführung der Meisterpflicht für alle traditionellen Handwerksberufe geben. Unternehmen heimatbezogener Wertschöpfung sollten für die Schaffung von Ausbildungsstellen mit Übernahmegarantie durch finanzielle Erleichterungen (z. B. Steuervergünstigungen) begünstigt werden. Im Rahmen einer Reshoring-Initiative wäre es möglich, die Rückholung von Produktionsstandorten nach Deutschland zu anzuregen. Auch das könnte im Erfolgsfall prämiert werden durch eine Steuererleichterung beispielsweise für die ersten fünf Jahre zugunsten der betreffenden Unternehmen. Dadurch könnte es zur Erhöhung der heimatbezogenen Wertschöpfung, insbesondere im Nicht-Lebens­ mittelbereich, sowie zur Schaffung von Arbeitsplätzen im Inland und trotz der

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F. Ansatzpunkte heimatbezogener wirtschaftlicher Aktivität  

Steuererleichterungen letztendlich langfristig zur Steigerung der Steuereinnahmen kommen. Daneben könnte eine Rückholungs-Initiative den Rückgewinn von deutschen Fachkräften vorsehen, die (aus beruflichen Gründen) ausgewandert sind. Finanzielle Prämien, erleichterte Immobilienvergabe für zurückkehrende Familien oder Arbeitsplatzgarantien (z. B. bei zurückkehrenden Unternehmen) wären als Anreize denkbar. Des Weiteren könnte eine erhöhte Besteuerung in Form einer Stufenregelung (je nach Intensität / Wertschöpfungstiefe) heimische Unternehmen sanktionieren, die ihre Produkte nicht in Deutschland fertigen. Zudem sollten ausländische Betriebe (in Form von Steuer-/Zollerhebungen) sanktioniert oder verboten werden, die hierzulande zu entrichtende Abgaben und Steuern bewusst vermeiden. Unternehmen mit heimatbezogener Wertschöpfung sollten ferner von Steuererleichterungen und vereinfachter Bürokratie profitieren, sodass eine Erhöhung der heimatbezogenen Wertschöpfung, insbesondere von Produkten im NichtLebensmittelbereich, und die Schaffung eines unternehmerfreundlichen Klimas sowie die Anregung zu Unternehmensgründungen herbeigeführt werden können. In Anbetracht der Flächenknappheit gerade für kleine landwirtschaftliche Betriebe und zur Verhinderung von Steuerverlusten sollte die Pacht von Flächen in Deutschland durch Pächter außerhalb Deutschlands verboten und den Unternehmen heimatbezogener Wertschöpfung ein Vorzug bei der Flächenvergabe eingeräumt werden. Zur weiteren infrastrukturellen Unterstützung von Betrieben heimatbezogener Wertschöpfung sind auch Steuererleichterungen und der Vorrang bei der Miete oder dem Erwerb von Immobilien möglich. Mit der Einführung von deutlichen Einschränkungen sowie Höchstgrenzen bei Lebendtiertransporten könnte ein wesentlicher Beitrag für das Tierwohl geleistet und die Lebensmittelqualität erhöht werden. Hierzu würde auch ein Verbot oder eine massive Eindämmung von Massentierhaltung beitragen. Familienpolitisch könnte durch die finanzielle Unterstützung im Rahmen des Immobilienerwerbs im kleinstädtischen und ländlichen Bereich durch zweckbezogenes Eigenkapital und zusätzlich besonderer Förderung der Nutzung von Denkmalschutzobjekten die Förderung von Familien, der Erhalt von denkmalgeschützten Gebäuden und kleinstädtischer sowie ländlicher Infrastruktur und Arbeitsplätze, die Verhinderung der weiteren Land-Stadt-Flucht sowie die Senkung von Leerstand herbeiführt werden. Zur weiteren Förderung von Familien und den Unternehmen heimatbezogener Wertschöpfung ist auch die zweckbezogene, materielle Unterstützung zur Geburt eines Kindes denkbar, indem die Erstausstattung und Versorgung mit Haushaltswaren von Unternehmen heimatbezogener Wertschöpfung abgedeckt wird. Die genannten positiven Effekte würde auch die Verknüpfung von Arbeitsplätzen im kleinstädtischen und ländlichen Raum mit der Vermittlung oder Garantie von Wohnimmobilien unterstützen. Hier bieten sich gerade leerstehende und unsanierte kommunale Liegenschaften an. Solche Objekte sollten auch zugunsten der örtlichen Genossenschaften vereinfacht und vergünstigt vermietet oder verkauft werden, um sie der Nutzung als Verkaufs- oder Marktstätten oder als Orte für ehrenamtliche Tätigkeiten zur Verfügung zu stellen.

Schlussbetrachtung Die Analyse des Forschungsstandes zum Heimatbegriff bestätigt das, was auch empirische Erhebungen stets deutlich machen: Bedeutung und Konnotation des Begriffs „Heimat“ sind vielschichtig. In seiner Mehrdimensionalität ist der Heimatbegriff ein Phänomen des deutschen Sprachraumes. Er kann definiert werden als ein vielschichtiger, mit unterschiedlichen Dimensionen ausgestatteter Begriff, der ein anthropologisches Grundbedürfnis darstellt, weil er irdische und transzendente Bindungen gleichermaßen beinhaltet. „Heimat“ vereint statische und dynamische Elemente in sich, die allesamt Anknüpfungspunkte und Orientierungen in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufweisen. Gerade weil Heimat ein anthropologisches Grundbedürfnis ist, existiert sie selbstverständlich auch für Menschen außerhalb des deutschen Sprachraumes. In anderen Sprachen ist allerdings eine Vielzahl von Begriffen notwendig, um zu formulieren, was der deutsche Heimatbegriff in sich birgt. Zur vollständigen Konzeptualisierung des Heimatbegriffs ist die Berücksichtigung der ökonomischen Dimension von Heimat notwendig. Sie war bisher kein relevanter Bestandteil der Forschung und stellt insofern ein Desiderat dar, das diese Arbeit einlösen wollte. Die Untrennbarkeit der Genese des deutschen Heimatbegriffs mit der ökonomischen Entwicklung Deutschlands konnte im Untersuchungszeitraum vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis heute nachgewiesen werden. Hatte der Begriff zunächst eine Bedeutung als Rechtsterminus inne, legte er diese Konnotation sukzessive ab und gewann, begleitend zu den tiefgreifenden ökonomischen Veränderungen, zunehmend an Mehrdimensionalität und emotionaler Tiefe. Bis zum Aufkommen der Industrialisierung ab Mitte des 19. Jahrhunderts war die wirtschaftliche Tätigkeit der Deutschen zu wesentlichen Teilen von der Landwirtschaft in Eigen- und Hausproduktion als Bedarfswirtschaft gekennzeichnet. Wohn-, Arbeits- und Konsumort bildeten den Mittelpunkt des Lebens innerhalb der Familie. Hier und im näheren Umfeld der Gemeinde vollzogen und vereinten sich kulturelles, ökonomisches und soziales Leben. Der Grundintention jeder Ökonomie folgend, stand die Wertschöpfung im engen Sinnzusammenhang mit der Wertschätzung, denn der individuelle Anteil an der Erstellung von wertvollen Gütern war ebenso hoch wie der Handarbeitsgrad und demzufolge auch die Bindung und Identifikation mit den Dingen – gerade weil Genügsamkeit, Schonung und Sparsamkeit evident waren vor dem Hintergrund des allgemein begrenzten Güterangebotes und niedrigen Wohlstandes. Bis auf wenige Güter zeichnete sich die Wertschöpfung vornehmlich durch Heimatbezogenheit aus, indem die wesentlichen stofflichen und prozessualen Wertschöpfungsschritte im unmittelbaren oder näheren geographischen Umfeld der Bürger erfolgten. Insofern kann – auch über den Untersuchungszeitraum

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Schlussbetrachtung

hinaus – grundsätzlich ein natürlich realisiertes heimatbezogenes Wirtschaftsbewusstsein konstatiert werden. Die Bedarfswirtschaft wurde mit dem Aufkommen der Industrialisierung von der Erwerbswirtschaft abgelöst, wodurch der individuelle und heimatbezogene Wertschöpfungsanteil sowie der Handarbeitsgrad sanken, verbunden mit dem allgemeinen Rückgang der Wertschätzung gegenüber den Dingen. Folgerichtig veränderten sich das territoriale, natürliche und mitmenschliche Erleben ebenso wie die Bindungen und damit das, was „Heimat“ ausmacht. Wohn- und Arbeitsort trennten sich infolge wachsender Urbanisierung, die Einbindung in das Gemeindeleben ging zurück, verbunden mit einer sinkenden Bedeutung von traditionellen Wertvorstellungen und mit der Auflösung familiärer Geschlossenheit. Seither wurde der Heimatbegriff zunehmend „vermarktet“ und erfüllte Kompensationsfunktionen. Dabei erfuhr er mehrfach missbräuchliche Verwendungen vonseiten aller politischen Richtungen. Parallel dazu etablierte sich ein Fortschritts- und Wachstumsdogma, das bis heute nicht nur das Denken und den Diskurs über ökonomische Zusammenhänge dominiert. Um die Jahrtausendwende zum 20. Jahrhundert etablierten sich verschiedene Erneuerungsbewegungen, welche die negativen Folgen der Veränderungsprozesse auf Mensch und Natur kritisierten. Die Heimatbewegung stellte eine von ihnen dar. An deren Betätigungsfeldern wird stellvertretend sichtbar, dass der Heimatbegriff mittlerweile eine Vielzahl von Dimensionen in sich vereinte. Aus heutiger Perspektive hätte die Heimatbewegung möglicherweise bei einer stärker ökonomischen Stoßrichtung noch einen wesentlich größeren Einfluss entfalten können, da der kritisierte Verlust von Heimat untrennbar mit der Veränderung der wirtschaftlichen Aktivität in Verbindung stand. Vereinheitlichung, Standardisierung und Massenproduktion konnten auch durch die Einflussnahme der Heimatbewegung nicht aufgehalten werden. Im Nationalsozialismus erreichte diese Entwicklung einen vorläufigen Höhepunkt. Der Heimatbegriff wurde durch seine Übersteigerung entwertet und durch die Verknüpfung mit der rassetheoretischen Blut-und-Boden-Ideologie diskreditiert. Sein damaliger Missbrauch zur Herabwürdigung von Menschen anderer Abstammung und Kulturen wird ihm bis heute angelastet und erschwert eine objektive Begriffsabgrenzung. Bei einer tiefergehenden Betrachtung und Konzeptualisierung des Heimatbegriffs wird indes offenbar, dass dies letztendlich zu Unrecht geschieht, denn „Heimat“ steht gerade nicht für Expansion und Extension, für Masse und Vereinheitlichung, sondern im Gegenteil für Nähe, Kleinräumigkeit, Individualität und Vielfalt. Mit der deutschen Teilung entwickelte sich in der Bundesrepublik eine Massenkonsumgesellschaft nach amerikanischem Vorbild, die sich nach der Wiedervereinigung auf das Gebiet der ehemaligen DDR ausdehnte. Die Homogenisierung von Lebensstandards, allgemeine Standardisierung und Massenproduktion setzten sich nun auf einem vergrößerten Markt fort. Zwar entwickelte sich die einst durch Planwirtschaft gekennzeichnete DDR nicht zu einer globalisierten Massenkonsumgesellschaft, beide Staaten einte aber das Dogma, gemäß dessen die Mehrung materiellen Wohlstands glücklich mache. Weder die Erneue-

Schlussbetrachtung

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rungsbewegungen um die Heimatbewegung im Zuge des Übergangs Deutschlands vom Agrar- zum Industriestaat noch die Umweltbewegung vor dem Hintergrund der Folgen dieser Entwicklung ab den 1970er Jahren in der Bundesrepublik konnten verhindern, dass heute, am Beginn des 21. Jahrhunderts, das System der Überflussökonomie mit seinen negativen Folgen für Mensch und Natur vorherrscht. Auch die aktuelle Klima- und Umweltdebatte scheint derzeit nicht über technokratische Lösungsansätze hinauszukommen. Die Fortentwicklung einer überwiegend globalisierten, nicht heimatbezogenen Wertschöpfung unter energie- und ressourcenintensiven und umweltschädigenden Rahmenbedingungen zu einer kleinräumigen, heimatbezogenen Wertschöpfung unter umweltschonenden Voraussetzungen könnte jener ganzheitliche Lösungsansatz sein, der die negativen Auswirkungen auf Mensch und Natur langfristig umkehrt. Denn die globalisierte, nicht heimatbezogene Wertschöpfung ist nur bedingt im Stande, Wertschätzung gegenüber der Natur, den Dingen und den Menschen entstehen zu lassen. Heute haben die Erlebens- und Bindungsverluste im System der Überflussökonomie ihren (vorläufigen) Höhepunkt erreicht. Die globalisierungsbedingten Kosten des damit verbundenen Heimatverlustes machen sich auf kultureller, ökologischer, ökonomischer und sozialer Ebene gleichermaßen bemerkbar. Das System der Überflussökonomie mitsamt seinen negativen Folgen verdichtet den Heimatverlust in einer besonderen Intensität, sodass mittlerweile von einem Heimatfähigkeitsverlust gesprochen werden kann. Er bezeichnet ein Stadium, in dem nicht mehr nur die Möglichkeit verloren gegangen ist, Bindungen einzugehen und authentisches Erleben zu gestalten, sondern auch die Fähigkeit, diesen Verlust überhaupt noch als einen solchen zu erfahren und zu empfinden. Selbst wenn dem Einzelnen die Möglichkeit des Erlebens oder des Bindungseingangs gegeben wird, betrachtet und bewertet er die Situation unweigerlich vor dem Hintergrund der Einflüsse und Erfahrungen der Überflussökonomie. Die Ausdrucksformen des Heimat(fähigkeits)­ verlustes müssen als Wechselspiel begriffen werden: Einerseits führte die historisch herzuleitende Entwurzelung des Menschen gegenüber seinen Mitmenschen, den Dingen und der Natur dazu, dass sich die als Kosten des Heimatverlustes bezeichneten Ausdrucksformen etablieren konnten. Andererseits befördert das System der Überflussökonomie eben jene weitere Entwurzelung der Menschen. Die Interdependenz zwischen Heimat und Wirtschaft ist hier unverkennbar und legt den Schluss nahe, dass sich in ihrer beider Zusammenspiel beiderseitig Veränderungen einstellen müssen. Insofern die Notwendigkeit der Erstellung eines Heimat-Konzeptes in dieser Arbeit unter Einbezug der ökonomischen Dimension abgeleitet wurde, konnte sich dessen Konzeptualisierung nur an dem Grundgedanken der Nachhaltigkeit orientieren. Dieser besagt, dass es eines gesunden Maßes zwischen dem natürlichen Wachstum und dem wirtschaftlichen Interesse des Menschen bedarf. Durch die Achtung und die Kenntnis des natürlichen Wachstums können Vorteile immaterieller und materieller Art erzielt werden. Der Nachhaltigkeitsbegriff zeichnet sich durch eben jene Mehrdimensionalität aus, die einem Heimat-Konzept inne-

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wohnen muss, um ebenso gegenwartstauglich wie zukunftsfähig zu sein. Das hier erarbeitete nachhaltige Heimat-Konzept setzt sich aus den sechs Dimensionen der geographischen und sozialen Einbindung, der kulturellen und nationalen Identifikation, der heimatbezogenen Wertschöpfung, der individuellen Wertschöpfung, der Sensibilität gegenüber der Natur sowie der Berücksichtigung von Muße und Spiritualität zusammen. Das Konzept ist eingebunden in den Prozess der HeimatAnverwandlung, der als dynamische Erlebnisgröße Bindungen entlang der einzelnen Heimat-Dimensionen entstehen lässt und die so entstandenen Bindungen zur Heimatverbundenheit verdichtet. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass jeder Mensch, unabhängig von seinen kulturellen, ökonomischen, sozialen oder altersmäßigen Verortungen jederzeit in der Lage ist, Heimatverbundenheit zu entwickeln und zu vertiefen. Aus Heimatverbundenheit entstehen Wertschätzung und Achtsamkeit gegenüber der Umwelt, den Dingen und den Menschen. Daraus folgen Verantwortung und Verpflichtung und die Bereitschaft zum aktiven Handeln. Hieran wiederum schließt sich im Idealfall die Bereitschaft zu einhergehender Veränderung eingespielter Gewohnheiten an. In dieser Abfolge geht heimatbezogenes Wirtschaftsbewusstsein – also wirtschaftliche Aktivität aus Heimatverbundenheit heraus – in aktives Handeln über. Die Quintessenz der (historischen) Vergegenwärtigung der Wechselbeziehung von Heimat und Ökonomie, wie sie in dieser Studie versucht wurde, liegt darin, Chancen einer zukünftigen Etablierung von ressourcen- und umweltschonenden und damit nachhaltigen Wirtschaftsansätzen als Alternativen zur gegenwärtigen Globalwirtschaft auszuloten. Das nachhaltige Heimat-Konzept kann dafür eine ganzheitliche, theoretische Grundlage bieten. Die Ergebnisse der im Rahmen der Abhandlung durchgeführten Experteninterviews mit Akteuren, die bereits derart heimatbezogene Wirtschaftsansätze erfolgreich praktizieren, belegten die Tragfähigkeit des Heimat-Konzeptes. Anhand der Befragten konnte exemplarisch nachgewiesen werden, dass ihre Unternehmungen ganz im Sinne dieses Konzeptes wirken und dabei ebenso erfolgreich wie gewinnorientiert zu produzieren vermögen. Angesichts aktueller Entwicklungen liegt ein Zukunftsszenario nahe, wonach der auf langfristige Sicht absehbare Bedeutungsverlust der deutschen Wirtschaft innerhalb der Globalwirtschaft einen Bedeutungsgewinn heimatbezogener Wirtschaftskreisläufe möglich erscheinen lässt. Verschiedene Wettbewerbsnachteile von Gütern heimatbezogener Wertschöpfung könnten dabei obsolet werden. Verstärkt durch die Tatsache, dass sich die Bürger ihres Heimat(fähigkeits)verlustes bewusst werden und zunehmend ein heimatbezogenes Wirtschaftsbewusstsein entwickeln, könnten auch und gerade weitere künstliche Digitalisierungsprozesse das natürliche Bedürfnis nach Heimat im Sinne des nachhaltigen Heimat-Konzeptes verstärken. Um nachhaltig erfolgreich sein zu können, sollten zukünftige, heimatbezogene Wirtschaftsansätze nicht dem globalwirtschaftlichen Ansatz anheimfallen, das heißt der Hauptimpuls ihrer Unternehmung sollte in der Bereitschaft zu einer nachhaltigen Entwicklung bestehen, die Wachstum „organisch“ versteht, unabhängig von den Akteuren der Überflussökonomie arbeitet

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und insbesondere Distanz zum Zwischenhandel hält. Gerade mit Blick auf den prognostizierten Bedeutungsverlust des Handels infolge von Digitalisierungsprozessen wird der Vertriebskanal der Direktvermarktung zu einem (wieder) attraktiven Gegenmodell zukünftiger Konsumvorgänge und -erlebnisse. Das dabei zumeist vorherrschende Modell des Familienunternehmens eignet sich besonders für kleine, heimatbezogene Wirtschaftsbetriebe, auch zur besseren Sicherung der Unternehmensnachfolge. Die sozialen Kosten sollten von solcher Unternehmung minimal gehalten werden. Durch die Verwendung und Herstellung von ressourcen- und umweltschonenden natürlichen (Roh-)Stoffen innerhalb einer Kreislaufwirtschaft, durch Berücksichtigung des Tierwohls, minimale Transportwege und einen hohen individuellen Wertschöpfungsgrad mittels Handarbeit können tatsächlich wertvolle Güter geschaffen werden. Die Preise solchen Wirtschaftens orientieren sich folgerichtig an der Schöpfung von Werten bei hoher Produktqualität. Die Betriebe benötigen nicht die Nutzung von manipulativen Instrumenten zur Optimierung des Kaufverhaltens, wie wir sie aus dem System der Überflussökonomie kennen. Die Wertschöpfungskette kann vielmehr vollständig transparent und nachvollziehbar für den Kunden sein. Zukünftig wird es notwendig sein, kleinteilige Zusammenschlüsse auf regionaler Ebene zu schaffen und die Zusammenarbeit bereits bestehender heimatbezogener Wertschöpfungsansätze zu fördern. Der dabei leitende ganzheitliche Ansatz kann durch die Gründung eines gemeinnützigen Trägerverbandes als Dachorganisation forciert werden, deren wesentliches Ziel die Überwindung der negativen Auswirkungen des globalwirtschaftlichen Systems der Überflussökonomie auf Mensch und Natur sein muss. Das impliziert die Herbeiführung von Veränderungen der wirtschaftlichen Aktivität in Richtung einer heimatbezogenen, ressourcen- und umweltschonenden Wertschöpfung, die mit einer Renaissance der Wertschätzung gegenüber der Natur, den Dingen und den Menschen verbunden ist. Das wesentliche Mittel zur Erreichung eines solchen Ziels liegt darin, langfristig kleinteilige und vernetzte Strukturen zu schaffen, die nach einer stufenweisen Aufbauphase selbstständig und eigenverantwortlich arbeiten. Die im 19. Jahrhundert entwickelte Genossenschaftsidee kann hier als Vorläufer und Vorbild für entsprechend ortsgebundene Organisationsformen dienen – etwa im Sinne eines Zusammenschlusses von Bürgern einer jeweiligen Ortschaft, von Betrieben, die heimatbezogen wirtschaften, von Bildungs- und Senioreneinrichtungen und von ehrenamtlichen Initiativen. Die Liegenschaften der örtlichen Genossenschaften firmieren dann als Orte des Austausches, der Vernetzung und der bürgerschaftlichen Zusammenarbeit. Die Hauptziele solcher Organisationsformen liegen in der Schaffung eines ständigen Angebots an Grundbedarfs- und ausgewählten Luxusgütern aus heimatbezogener Wertschöpfung sowie in der Garantie eines ständigen Angebots an kulturellen, gemeinschaftsbildenden und generationsübergreifenden Tätigkeiten. In der Aufbauphase aktivieren „Regionalwerkstätten“ Bürger und Unternehmen, vernetzen bestehende Betriebe und Initiativen und formieren gemeinschaftsbildende Elemente eines künftigen örtlichen Genossenschaftswesens.

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Durch die Etablierung derart auf Dauerhaftigkeit und Eigenverantwortung angelegter, regional verwurzelter Genossenschaften können zahlreiche positive Effekte erzielt werden – von der Wiederbelebung attraktiver Innenstädte, Ortsteile und Ortschaften über die Verhinderung der Land-Stadt-Flucht, der Aktivierung des Interesses für ehrenamtliche Tätigkeiten, bis hin zu Tierschutz, Naturschutz und verstärkter Landschaftspflege. Arbeitsplätze in Betrieben mit heimatbezogener Wertschöpfung können in diesem Zusammenhang ebenso erhalten oder neu geschaffen und gegenüber den sich abzeichnenden digitalen Transformationsprozessen gesichert werden. Möglicherweise fördern solche Maßnahmen auch die Motivation insbesondere von jungen Menschen für Handwerksberufe und deren Bereitschaft zur Unternehmensgründung oder Unternehmensnachfolge. Unabhängigkeit vom internationalen Marktgeschehen und von den Modalitäten und Mechanismen der Massenproduktion wäre dadurch garantiert. Ob für einen derart grundlegenden Paradigmenwechsel allerdings in absehbarer Zeit die erforderlichen politischen Begleitmaßnahmen auf Länder- und Bundesebene getroffen werden können – diese Frage zu beantworten, liegt jenseits der Möglichkeiten des in dieser Studie präsentierten Deutungsvorschlags.

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Personenregister Améry, Jean  31, 33 Amonn, Alfred  144, 147 Applegate, Celia  26 Arendt, Hannah  95–96, 134–135, 173, 203 Arndt, Ernst Moritz  40–41, 46, 134 Arnold, Karl  86–87 Augé, Marc  116–117, 128, 141, 196, 204 Bang, Paul  69–70 Barlmeyer, Werner  64, 87, 103 Bartels, Adolf  62 Bastian, Andrea 28, 32–33, 37–38, 42, 53, 56, 82 Bausinger, Hermann  25, 31–32, 53, 55–56, 61–62, 74, 80, 99, 102, 115–116, 197 Bechtel, Heinrich  39, 42–43, 45–46, 51, 53, 57–60, 64, 68–69 Behrens, Petra  78, 102 Bergheim, Stefan  162–167 Bergmann, Klaus  46, 60–61, 68, 71–72, 80 Bimberg, Siegfried  104–105 Bismarck, Otto von  59, 83 Bloch, Ernst  30 Boa, Elizabeth  26 Böhmer, Wolfgang  27 Buchwald, Konrad  27, 33, 98 Burckhardt, Carl Jacob  25 Carlowitz, Hannß Carl von  190–192 Christiansen, Jörn  56 Costadura, Edoardo  121, 126 Ditt, Karl  55–56, 60–63, 65, 73, 75–77, 87 Diwald, Hellmut  69 Dix, Oliver  29 Döbler, Martin  110–111 Donig, Natalie  104, 106–107, 121 Dubbers, Dirk  175 Egger, Simone  25, 98, 119–121 Etscheit, Georg  174–175

Fallersleben, Hoffmann von  42 Faust, Helmut  240–241 Fichte, Johann Gottlieb  8, 38–40, 47, 69, 134 Fischer, Hendrik K.  55 Flieger, Burghard  240–241 Francé, Raoul Heinrich  205 Frey, Bruno S.  162–163, 167–168, 170 Frey Marti, Claudia  162–163, 167–168, 170 Frisch, Max  25 Fritze, Lothar  124, 181 Fromm, Erich  50, 91–92, 135–136 Fuchs, Carl Johannes  43–45, 52–54, 56, 59, 61, 63–64, 67, 136, 232 Geißler, Karlheinz A.  52, 130–131 Gerhardt, Paulus  23 Giesen, Bernhard  37, 40, 42, 55 Göbel, Eva 42–34, 54, 66, 75, 79, 100, ­112–113, 140, 142 Goethe, Johann Wolfgang  41 Gollwitzer, Heinz  41, 61–62, 64–65, 73, 83, 87, 98, 105, 137 Gossen, Hermann Heinrich 147–149, 160, 162 Gotthelf, Jeremias  37 Greverus, Ina-Maria  27, 30, 65, 102, 140 Grimm, Jakob  23–24 Grimm, Wilhelm  23–24 Gruhl, Herbert  100–101, 140 Gutsmuths, Johann Christoph Friedrich  42 Guttenberg, Enoch zu  175 Habermas, Jürgen  206–207 Haffner, Sebastian  81, 83–84 Haller, Michael  179 Han, Byung-Chul  128–130, 141 Hansen, Jörgen  76 Heidegger, Martin  102 Heinberg, Richard  131 Herder, Johann Gottfried  198 Herles, Benedikt  147, 152

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Personenregister

Heyde, Johannes Erich  146–148, 203 Hitler, Adolf  76, 80, 83, 84 Hölderlin, Friedrich  40, 71, 134, 175 Honecker, Erich  107, 109 Hühns, Erik  106 Humboldt, Alexander von  41 Hüter, Michael  184 Jahn, Friedrich Ludwig  42 Joisten, Karen  30, 34, 121–122 Jörke, Dirk  181 Jünger, Ernst  90 Jünger, Friedrich Georg  90, 208 Kaelble, Hartmut  88, 91, 111 Kapp, William K.  93–96, 139–140, 152, 154, 218 Keßler, Jürgen  240–241 Klausa, Udo  30, 77 Kleist, Heinrich von  43 Klose, Joachim  122–124, 208 Klueting, Edeltraud  38, 46, 72, 114 Knaut, Andreas  65, 72 König, Wolfgang  79–81 Kramer, Dieter  60, 65, 68, 72 Krockow, Christian Graf von  29, 31 Kroll, Frank-Lothar  43, 67 Kronenberg, Volker  126 Lange, Rudolf  31–33, 70, 96 Layard, Richard  162–163, 167–169, 199 Lindwurm, Arnold  147–148, 152 Lipp, Wolfgang  97–98 List, Friedrich  47, 170, 178, 198–199 Luhmann, Niklas  145, 152 Lühning, Arnold  98–99 Maaz, Hans-Joachim  86, 122–123, 139, 143, 158, 161, 184, 187–189, 196, 199, 212, 214 Malthus, Thomas  48–49 Maslow, Abraham  144 Merkel, Ina  107–112, 152 Merl, Stephan  108, 110–111 Miegel, Meinhard 86, 110, 115, 129, 139, 163, 204 Mitscherlich, Alexander  96–97, 140 Mitzscherlich, Beate  87, 98, 104, 122, 127

Moser, Friderich Carl von  38 Neumeyer, Michael  27, 30, 62, 65, 77, 82, 85, 99, 102 Osterhammel, Jürgen  43, 59, 68, 87, 89, 135, 139 Paech, Niko  49, 131–132 Palfreyman, Rachel  26 Palmowski, Jan  102–103, 107, 111 Patzelt, Werner J.  28–29, 123–124, 126, 198 Pestalozzi, Johann Heinrich  38, 134, 209 Petersson, Niels P.  43, 59, 68, 87, 89, 135, 139 Pfaff, Tobias  168–169, 188 Piepmeier, Rainer  37–38, 53, 114 Reckendrees, Alfred  88, 91 Reuß, Jürgen  155–157 Ricardo, David  49 Riehl, Wilhelm Heinrich  46–47, 71, 135 Ries, Klaus  121, 126 Röpke, Wilhelm  64, 85–86, 92–93, 96, 139, 145–146, 170 Ruckriegel, Karlheinz  162–163, 167 Rudorff, Ernst  56–57, 61, 76 Ruf, Werner  146, 148–149 Safranski, Rüdiger  27 Salter, Frank  179–181 Schanetzky, Tim  79–81 Schellnhuber, Hans Joachim  154, 218 Scherr, Johannes  41–42 Schierenbeck, Henner  144–145 Schlink, Bernhard  33, 85, 122 Schorlemmer, Friedrich  122 Schramm, Manuel  65–67, 74, 79, 81, 87–88, 91, 100, 108–109, 111–112 Schultheiß, Franklin  27, 114 Schultze-Naumburg, Paul  41, 61, 63–64, 75– 77, 138 Schumacher, Ernst F.  163 Scruton, Roger  133, 139, 187 Sedlmayr, Hans  71–72 Seraphim, Hans-Jürgen  145, 240–241 Sieferle, Rolf Peter  42, 49–50, 56–58, 62, 64, 75, 82–83, 99–100, 115, 122–124, 129– 130, 180–181

Personenregister Siegrist, Hannes  65, 67, 74, 81, 86, 88, 91, 100, 108–109, 111–112 Sinn, Hans-Werner  171–172 Sloterdijk, Peter  88–89, 129, 161, 189–190, 229–231 Sombart, Werner  41, 43–45, 47–51, 54–55, 58–60, 64, 131, 135, 145 Spann, Othmar  31, 42, 45, 70 Spengler, Oswald  71, 137 Spiekermann, Uwe  47–48, 53–55, 67, 91 Spitzer, Manfred  187 Spranger, Eduard  27, 39, 73, 105, 137 Stadtmüller, Georg  41–42, 46, 76 Stavenhagen, Kurt  33, 53, 82 Steding, Rolf  240–241 Strauß, Botho  139, 175–176 Streeck, Wolfgang  198–199 Thoemmes, Martin  30, 33, 123 Tilitzki, Christian  82 Trenker, Luis  32 Triebel, Armin  42, 134 Türcke, Christoph  27–33, 122

291

Ullrich, Wolfgang  117–118 Ulrich, Peter  146, 161, 196, 200, 238 Ulrich, Rüdiger  152, 229, 238, 246 Vilmar, Fritz  151, 156 Vogel, Bernhard  28 Wahl, Fabian  81 Walder, Willy  37, 53 Weber, Max  44–45, 53, 64, 135, 145 Weil, Simone  84, 118, 214 Weinbrenner, Peter  114–115 Willms, Bernard  198 Wittgenstein, Ludwig  35 Wittmann, Waldemar  146–147, 149, 152 Wöhe, Günter  143, 145, 148 Wöhle, Claudia B.  144–145 Woll, Helmut  161, 163–164 Wyrwa, Ulrich  111 Zechner, Johannes  44, 46, 137 Zöller, Renate  25,76, 84. 97, 119, 122, 125 Zuhorn, Karl  31, 73, 78

Sachregister Agrarbewegung  60, 71–72 Agrarstaat  60, 72, 117, 212, 233 Anverwandlung, Heimat-~  193, 209–214, 217, 228, 234, 240, 258 Bedarfswirtschaft  44, 135, 255–256 Bedürfnisbefriedigung  66, 86, 107, 111, 139, 143–146, 149–150, 155, 158–162, 170, 173, 203, 208, 233 Bindungsverluste  174, 182–186, 216, 257 Bio, -Lebensmittel, -Produkte, -Produktion ​ 141, 156, 216, 223 Blut-und-Boden-Ideologie, -Bewegung ​62, 72, 82–83, 138, 256 Bruttoinlandsprodukt, BIP  59, 157, 163–166, 170 Bundesrepublik, ~ Deutschland, BRD ­84–90, 97–98, 102–103, 106–109, 114–115, 121, 123, 126–127, 139–140, 142, 171, ­178–179, 231, 233, 256–257 Christkindlesmarkt, Nürnberger ~ 79, 100, 112–113, 142 Deutsche Bewegung  41 Deutsche Demokratische Republik, DDR  85, 102–106, 108–112, 114, 140–141, 158, 223, 256 Deutscher Bund  41, 43 Deutscher Zollverein  45 Deutsches Reich  37, 68, 198 Dienstleistungsstaat  177, 212, 233 Digitalisierung, -sprozesse  128, 141, 151, 155, 174, 176, 179, 183–185, 187, 230–231, 234, 236, 258–259 Drittes Reich  79, 83 Einbindung, geographische ~, soziale ~  194– 197, 199, 200, 206, 216–217, 228, 240, 258 Energiewende  151, 174–176

Erlebensverluste  174, 182–186, 216, 257 Erneuerungsbewegung  49, 56, 62, 137, 142, 256–257 Erster Weltkrieg  52, 59–60, 68, 72, 75, 135, 137, 233 Erwerbswirtschaft  44, 48, 172, 256 Fast Fashion  153, 156, 232 Flüchtlingskrise  122, 127, 141, 179 Fortschritt, -sdenken, -sgedanken, -kritik  27, 49–50, 59, 64–65, 75, 80, 87, 90, 93, 97, 114, 140, 155, 165 Französische Revolution  37 Freihandel  43, 47, 89, 135 Friedliche Revolution  111, 222 Gartenstadt, -bewegung, -idee  61, 80 Gemeinwohlorientierung  146, 238 Genossenschaft, lokale ~, örtliche ~ 238– 244, 246–247, 249–254, 259–260 Globalisierung, -sprozesse 88–89, 97, 112, 133, 140, 172, 190, 218, 229, 232–234 Globalwirtschaft  88, 113 Glücksforschung 127, 162–163, 166–167, 169–170, 194, 214 Güterhäufung  151, 155, 158, 160–161, 166, 171, 173 Handarbeit, -sgrad  74, 119, 186, 221, 223, 246, 248, 255–256, 259 Handelsstaat, geschlossener ~  39, 68 Handwerk  41, 57–58, 66, 243, 253 heimatbezogene Wertschöpfung 193–195, 201–203, 213, 217, 221, 235–246, 253– 254, 257–258 Heimatbund, Deutscher ~ 86, 87, 139, 232 Heimatfähigkeitsverlust  151, 188, 190, 210, 215–216, 219, 234, 238, 242, 257–258 Heimat-Konzept, nachhaltiges ~  38, 134, 137, 142–143, 162, 190, 192–195, 197, 201,

Sachregister 209, 212–218, 228, 237, 240–242, 253, 257–258 Heimatschutz, -bewegung 26, 39, 41, 46, ­56–58, 60–66, 71–78, 82–83, 86–87, 96, 98–99, 105, 122, 137–138, 140, 218, 233, 256–257 Heimatverein  60, 65, 77–78, 87 Heimatverlust 32–33, 40, 66, 77, 85, 124, 133, 139, 141–142, 151, 164, 182, 186, 188–189, 210, 257 Hofladen, innerstädtischer ~  203, 223, 235, 247 Identifikation, kulturelle ~, nationale ~, regio­ nale ~  55, 66, 113, 115, 194, 197, 199–200, 217, 240, 258 Individualwohlorientierung  238, 146 Individuelle Wertschöpfung 48, 74, 90, ­134–135, 149, 172–173, 179, 182, 193– 195, 197, 201–203, 212, 217, 221, 225, 248–249, 258 Industrialisierung, -sprozesse 38, 42–43, ­48–50, 56, 62–64, 66, 84, 89, 91, 97, 99, 124, 135–136, 140, 158, 172, 175, 188, 232, 236, 239, 255–256 Industrielle Revolution  43, 176 Industriestaat  51, 63, 72, 136–137, 177, 212, 232–233, 257 Internationalisierung  91, 97, 112, 140, 151, 171–174, 179, 230 Kaiserreich  54, 78, 100 Kapitalismus  44, 52, 54–55, 58, 61, 67, 77, 81, 104, 106, 108, 138 Klimaschutz  174, 229, 231 Klimawandel  152, 186, 230–231 Konsumgesellschaft, moderne ~  54, 58, 67, 79–80, 87, 90, 111, 113, 135, 172 Konsumkultur  86–87, 91, 108, 139 Kreislaufwirtschaft  223–225, 235, 259

293

Massengesellschaft  92, 96, 140 Massenkonsumgesellschaft  86, 88, 90, 109, 116, 129, 139–141, 151, 161, 172, 173, 194, 256 Massenmigration  141, 151, 157, 174, 179– 180 Muße  93, 109, 183, 194, 197, 206, 208–209, 217, 248, 258 Nachhaltigkeit  87, 153, 168, 190, 192, 235, 237, 248, 257 Nationalökonomie, deutsche ~ 63, 69, 93, 136, 145, 232 Nationalsozialismus 62, 71–72, 75–77, 79, 81–84, 87, 133, 138, 256 Natureinbindung, -sensibilität  194, 204–205, 210, 217, 228, 258 Norddeutscher Bund  37, 134 Nutzen, -begriff, -maximierung  95, 160–161, 165, 203, 207–208 Obsoleszenz  95, 154–156 Öko-Lebensmittel, -Initiativen  120–121, 217 Ökonomisierung  51, 183, 205 Oktoberfest, Münchner ~  42, 79, 100, 112– 113, 120 Patriotismus  28–29, 103, 106, 118 Preis, -bildung, -problem  53–54, 94, 99, 111, 136, 141, 148–149, 151–155, 164, 173, 225–227, 237 Regionalisierung, Regionalismus  67, 73–75, 88, 100, 109, 112–113, 115, 140, 142 Regionalwerkstatt 238–239, 242–245, 250, 259 Reichsgründung  46, 51, 55–56, 137 Romantik  40–42, 134, 138, 142

Landschaftspflege  235, 248, 254, 259 Land-Stadt-Flucht  46, 50–51, 254, 260 Landwirtschaft 42, 44–45, 47, 49–50–51, ­60–61, 68, 80, 88, 93, 119, 121, 134, 177, 227, 253, 255

Soziale Marktwirtschaft  129 Sozialismus  61, 103, 105–107, 112, 140 Sozialkosten, soziale Kosten 93–95, 140, 151–153, 164, 170–171, 173–174, 181, 186, 190, 229, 232, 235, 259 Spiritualität 168, 183, 194–195, 206, 209, 213, 217, 258

Manufaktur  178, 247, 250

Tierwohl  235, 248, 254, 259

294

Sachregister

Trägerverband, übergeordneter ~ 238–239, 242–243, 259 Überflussökonomie, System der ~ 133, 1­ 42– 143, 151, 155, 158, 164, 170–171, ­173–174, 179–180, 182, 188–189, 200, 206–207, 212, 215–216, 218–219, 226, 230, 232, 235–238, 242, 257–259 Umweltbewegung  90, 97–98, 140, 142, 257 Umweltschutz  87, 98, 140, 168, 175, 224–225 Urbanisierung  58, 135–136, 183–184, 204, 256 Verkaufsförderung 48, 95, 132, 154–156, 161, 171, 173, 186, 218 Volkswirtschaft  52, 59, 63, 67, 69–70, 136, 164 Wald, deutscher ~ 43–44, 46, 51, 57, 93, 103, 105, 134, 191–192, 204, 210 Weimarer Republik  73–74, 75, 78, 81, 137 Wertbegriff, -bildung  146–150 Wertschätzung 91, 121, 128, 136, 1­41– 143, 148, 150, 152, 170, 172–173,

186, 188–189, 193, 201–203, 209–215, ­217–219, 228, 237–238, 248–249, 253, 255–259 Wertschöpfungsansätze, heimatbezogene ~, zukunftsfähige ~ 216, 219–222, 227, 235–236, 238, 259 Wirtschaften, heimatbezogenes ~, zukunftsfähiges ~ 44, 70, 94, 135, 144–146, 165, 169, 192–193, 215, 218–219, 226, ­228–229, 238, 252, 259 Wirtschaftsbewusstsein, heimatbezogenes ~ ​ 133, 145, 215, 217–219, 225, 228, 234, 237–238, 252, 256, 258 Wirtschaftswissenschaft 73, 94, 101, 138, 146, 218 Wohlbefinden  149–150, 162–163, 168, 170, 205, 211, 214–215 Wohlstand  47, 49, 86, 97, 108, 110, 129–130, 139, 141, 163, 165, 169, 179, 181, 205, 218, 255–256 Zweiter Weltkrieg 81–82, 85–87, 92, 100, 138, 158, 173, 212