Heimat: Geschichte eines Missverständnisses 3534270738, 9783534270736

Was ist Heimat? Die Antworten sind vielfältig, denn längst ist Heimat zum politischen Kampfbegriff geworden. Die einen v

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German Pages 272 [274] Year 2019

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Inhalt
Vorbemerkung
Heimat: Schlüsselwort, Reizwort und Kampfbegriff
Heimat in der Ferne: Der Wanderer über dem Nebelmeer
Heimat als Modell: Vormärz und der Beginn der >Großen Transformationalten, schönen ZeitHeimat ist ein GefühlGlobal denken, lokal handeln?
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Heimat: Geschichte eines Missverständnisses
 3534270738, 9783534270736

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Heimat

Susanne Scharnowski

Heimat Geschichte eines ­Missverständnisses

Über den Inhalt Längst ist „Heimat“ zu einem politischen Kampfbegriff geworden. Die einen verbinden damit das Bewahren einer eigenen Kultur und Identität, andere setzen dem vermeintlich überholten oder gar gefährlichen Wort Werte wie Weltoffenheit und Diversität entgegen und meinen, Heimat sei für jeden etwas anderes. In dieser polarisierenden Debatte hilft es, sich einen Überblick über Geschichte und Bedeutungsspektrum des Heimatbegriffs zu verschaffen. Susanne Scharnowski verfolgt seine Genese seit der Romantik über Heimatschutzbewegung, Kolonialzeit und Nationalsozialismus bis hin zu Heimatvertriebenen, Anti-Atomkraft-Bewegung und Global

Susanne Scharnowski ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der FU Berlin, wo sie ein Studienprogramm für internationale Gaststudierende koordiniert, in dem sie auch lehrt. Davor war sie DAAD-Lektorin für deutsche Sprache, Kultur und Literatur an den Universitäten von Cambridge, Melbourne und Taipeh. Ihre wissenschaftlichen Veröffentlichungen umfassen Aufsätze zur Literatur des 18.-21. Jahrhunderts, zum deutschen Film und zum Verhältnis von Natur, Heimat und Kultur in Hoch- und Populärkultur. Umschlaggestaltung: Christian Hahn, Babenhausen Umschlagabbildung: Adobe Stock©helmutvogler

In Erinnerung an meinen Vater Joachim Scharnowski (1929–2007)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne ­Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, ­Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. wbg Academic ist ein Imprint der wbg. © 2019 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Redaktion: Mechthilde Vahsen, Düsseldorf Satz: Olaf Mangold Text & Typo, Stuttgart Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: wissenverbindet.de. ISBN 978-3-534-27073-6 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): ISBN 978-3-534-74420-6 eBook (epub): ISBN 978-3-534-74421-3



Inhalt Vorbemerkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Heimat: Schlüsselwort, Reizwort und Kampfbegriff. . . . . . . . . . . . 9 Heimat in der Ferne: Der Wanderer über dem Nebelmeer. . . . . . . . 18 Heimat als Modell: Vormärz und der Beginn der ›Großen Transformation‹. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Heimat als Programm: Zivilisations- und Fortschrittskritik um 1900. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Heimat als Ideologie und Propaganda: Vom Kolonialismus zum Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Heimat in Trümmern: Alte und neue Heimat in West und Ost. . . 103 Heimat als Kitsch: Das Schweigen im Walde und Der Förster vom Silberwald. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Heimat, Heimweh und Nostalgie: Die Sehnsucht nach der ›alten, schönen Zeit‹. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 ›Heimat ist ein Gefühl‹: Nomaden und Touristen. . . . . . . . . . . . . . 172 Welt und Erde als Heimat: ›Global denken, lokal handeln?‹. . . . . 195 Heimat ist ein Ort: Für einen kosmopolitischen Provinzialismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Anmerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Personenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Sachregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Danksagung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272

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Vorbemerkung

Vorbemerkung Zur Heimat kam ich über die Fremde: Aus England kannte ich Landmaga­ zine, Radiosendungen über Gärten, englische Landschaften und bäuer­ liche Landwirtschaft und suchte für ein Seminar nach deutschen Entsprechungen. Fehlanzeige: Keine Radioprogramme wie Farming today (Landwirtschaft heute), kein Country Diary, (Landtagebuch), in einer seriösen Tageszeitung, und erst recht keine Hörspielserie wie The Archers über die Bewohner des fiktionalen Dorfes Ambridge. Bestenfalls nüchterne Berichte über die wirtschaftliche Seite der Landwirtschaft in einer Sendung über Umwelt und Verbraucher; die neuen Landmagazine wurden belächelt. Mich ließ die Frage nicht los, woran das liegen könnte. So stieß ich auf die Heimat: Deutsche Heimatromane um 1900 und Heimatfilme der 1950er-Jahre zeigten ja das Landleben. Allerdings hatten gerade diese Texte und Filme als Produkte der Kulturindustrie einen ausgesprochen zweifelhaften Ruf. Je genauer ich es betrachtete, umso mehr erwies sich das vermeintlich so harmlose Thema als schwieriges Terrain.

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Schlüsselwort, Reizwort und Kampfbegriff

Heimat: Schlüsselwort, Reizwort und Kampfbegriff Es war ein Symposion, gewidmet dem Thema »Heimat«, und da ­geschah es, daß eine berühmte Schriftstellerin, berühmt auch für die kritische Schärfe ihrer Auffassung, ans Podium trat und mir nichts, dir nichts dem aufgewühlten Publikum sagte, Heimat sei überhaupt so etwas Dummes, das ein aufgeklärter Mensch nicht brauche und sie jedenfalls schon gar nicht. Da wurde es ganz ehrfürchtig vor ­kritischer Zustimmung im Saal, hast du’s gehört, sie braucht keine Heimat, auch wir wollen sie nicht mehr brauchen müssen. (Karl-Markus Gauß: Ach so)

Seit einigen Jahren vergeht kaum ein Tag ohne eine neue Wortmeldung zum Thema ›Heimat‹. Eine scheinbar klare Trennlinie verläuft dabei zwischen jenen, die das Wort ›Heimat‹ für harmlos halten, verteidigen oder für politische Zwecke nutzen wollen, und jenen, die Heimat als mindestens problematischen, schlimmstenfalls gefährlichen Begriff betrachten. Das zeigt sich auch in der politischen Sphäre. Zwar suchen fast alle Parteien (mit Ausnahme der Liberalen) eine Haltung zu dem Begriff, hauptsächlich wohl, weil er für 90 Prozent der Deutschen wichtig ist, wie eine Umfrage ergab. Doch nicht allen fällt das leicht: Während die AfD unbekümmert mit dem Slogan »Dein Land. Deine Heimat« warb und CDU und CSU Heimatministerien ins Leben riefen, wollte die SPD den Begriff lieber im Plural benutzen, die Linke ihn progressiv besetzen, und die Grünen zeigten sich gespalten. Die FDP ließ ihre Kampagne im Bundestagswahlkampf 2017 immerhin von einer Werbeagentur namens ›Heimat‹ gestalten. Generell kann man sagen: Für die politische Linke ist Heimat ein Reizwort, das zuverlässig Abwehrreaktionen auslöst, gewiss auch, weil es nicht nur Konservativen, sondern auch Rechtsextremisten so leicht über die Lippen geht. Die NPD bezeichnet sich selbst als »Die soziale Heimatpartei«, und unter dem Namen »Thüringer Heimatschutz«

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Heimat

agieren Neonazis. Auch deshalb wünschen viele, die sich politisch links verorten, das Wort zum Teufel und meinen, man sollte »den Begriff der Heimat unbedingt dem rechten Rand überlassen«.1 Andere meinen wiederum, dass die Linken den Begriff neu definieren, progressiv besetzen und ein internationalistisches, europäisches und weltoffenes Konzept von Heimat entwerfen sollten.2 Doch so unversöhnlich die Verteidiger und die Gegner der Heimat einander auch gegenüberstehen mögen: Ihre Gedanken beruhen auf ähnlichen Missverständnissen darüber, was unter Heimat zu verstehen ist. Zudem drehen sich die Debatten über Heimat um einen ausgesprochen beschränkten Kreis von Themen; wenn historisch argumentiert wird, so geschieht dies immer nur isoliert mit Blick auf die deutsche Geschichte und mit einem äußerst engen Fokus auf die immer gleichen Epochen Romantik, Industrialisierung und Nationalsozialismus. Auch deshalb bewegen sich die Debatten mit ihren Unterstellungen und Verteidigungsversuchen letztlich im Kreis. Um aus dieser Kreisbewegung hinauszukommen und sich der Frage zu stellen, ob Heimat im 21. Jahrhundert doch noch eine Bedeutung haben kann, gilt es, die Missverständnisse zu benennen, so weit als möglich zu beseitigen und den Blick zu weiten. Dazu möchte das vorliegende Buch beitragen. Missverständnisse über die Heimat beruhen meist auf Verengungen oder Verzerrungen der Perspektive, der Vereinfachung oder Ausblendung von Sachverhalten und Begriffsvermischungen. Das zeigt sich schon bei der Debatte der Gegenwart: Seit 2015 wird über Heimat vor allem im Zusammenhang mit Zuwanderung diskutiert und der Horizont meist auf die Frage verengt, wie alteingesessene Deutsche mit Migranten umgehen. Dabei wird oft unterstellt, wer sich um seine Heimat besorgt zeige, sei den Fremden gegenüber feindlich eingestellt oder wolle sich abschotten; wer dagegen weltoffen sei, so die Logik, könne gut und gerne auf Heimat verzichten. Tatsächlich aber ergab eine Allensbach-Umfrage, dass viele Deutsche ihre Heimat aus ganz anderen Gründen bedroht sehen, etwa weil »alteingesessene Geschäfte schließen und dafür die immer gleichen Filialen großer Einkaufsketten aufmachen«, weil sich »alles immer schneller verändert« oder weil »Traditionen nicht bewahrt und gelebt werden«. Dieser Aspekt kommt in politischen Diskussionen aller-

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Schlüsselwort, Reizwort und Kampfbegriff

dings kaum zur Sprache. Über das gesamte politische Spektrum wird Heimat stattdessen immer wieder mit ›Volk‹, ›Nation‹ und ›Vaterland‹ vermengt oder gar gleichgesetzt,3 und das, obwohl bei der besagten Umfrage nur 7 Prozent der Befragten ›Deutschland‹ als ihre Heimat bezeichneten.4 Aus dieser Vermengung ergibt sich auch das folgenschwerste Missverständnis über Heimat: die Behauptung, Heimat sei ein irrationales, völkisches, von den Romantikern erfundenes Konzept, von dem sich eine direkte Linie zur Blut-und-Boden-Ideologie der Nationalsozialisten ziehen lasse. Die Begriffsverwirrung, die aus der Vermischung von Heimat, Volk und Vaterland, Nation, Nationalismus und Nationalsozialismus resultiert, wird zuweilen gezielt genutzt, um Heimat überhaupt zu diskreditieren. In vielen Köpfen hat sich überdies die Vorstellung festgesetzt, das Wort ›Heimat‹ müsse allein schon deshalb typisch deutsch sein, weil es in anderen Sprachen so nicht existiere. Die vermeintliche Unübersetzbarkeit gilt als Beleg dafür, dass Heimat ein deutsches »Urwort«5 sei, das »in keinem anderen Land so zentrale Bedeutung«6 habe. Auch deshalb kreist die Debatte über Heimat meist ausschließlich um deutsche Geschichte, deutsche Politik, deutsche Gesellschaft und deutsche Kultur, ohne dass auch nur gefragt würde, ob es in anderen Sprachen und Ländern Äquivalente gibt. Diese sonderbar anachronistische Mischung aus Essentialismus und strikt nationaler Sicht findet sich erstaunlicherweise gerade auch bei jenen, die den deutschen Nationalismus kritisieren wollen. Die Engführung von deutscher Nation und Heimat und die Beschränkung auf die nationale Perspektive ziehen eine weitere Verengung und Verzerrung nach sich: Als Grund für das mit dem Wort ›Heimat‹ verbundene Unbehagen wird oft der propagandistische Missbrauch des Begriffs durch die Nationalsozialisten angeführt. Statt aber diesen Missbrauch kritisch zu analysieren – immerhin zeichnet sich politische Propaganda ja generell dadurch aus, dass sie positiv besetzte Vorstellungen und Begriffe wie Freiheit, Gerechtigkeit oder Frieden bewusst für ihre Zwecke einsetzt –, wird aber oft der Einfachheit halber das Missbrauchte selbst unter Verdacht gestellt. Aus dieser verkürzenden Perspektive erscheint dann nicht die nationalsozialistische Vereinnahmung der Heimat, sondern die Gesellschaft, die sich unter diesem Begriff versammelt, als »po-

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Heimat

tentiell mörderisch«7, oder es wird behauptet, schon die »Bindung an eine Herkunft« lasse »das Grauen unmittelbar entstehen«.8 Man kann sich leicht ausmalen, dass es fatale politische und gesellschaftliche Konsequenzen hat, wenn Journalisten, Politiker, Schriftsteller und Wissenschaftler ein Wort unter Generalverdacht stellen, mit dem die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung ausschließlich Positives verbindet. Schon deshalb sollte man es nicht bei diesen Vereinfachungen, Verengungen, Vermischungen und Verzerrungen bewenden lassen. Auch die Kultur- und Debattengeschichte der Heimat muss differenzierter betrachtet werden, denn Heimat ist tatsächlich ein Schlüsselwort, dessen Bedeutung sich allerdings aus seiner langen Überlieferungs- und Diskursgeschichte ergibt, nicht aus seiner angeblichen Unübersetzbarkeit. Schlüsselwörter einer Kultur bedürfen bei der Übersetzung immer zusätzlicher Erläuterungen, ob es sich nun um deutsche Wörter wie ›Gemütlichkeit‹ oder eben Heimat handelt, um das portugiesische ›saudade‹, das französische ›esprit‹ oder das englische ›common sense‹. Wer meint, ›Heimat‹ gebe es so nur auf Deutsch, will damit vielleicht auch sagen, allein die Deutschen hätten eine »besonders innige Beziehung […] zu dem Ort, an dem sie aufgewachsen sind«.9 Dabei würde schon ein Blick auf das russische Wort »родина« (»rodina«: Heimat, Vaterland) zeigen, dass Kulturvergleiche zumindest lohnen würden. Man sollte sich zudem bewusst machen, dass die Gedankenfigur der Unübersetzbarkeit auf den Nationalismus des 19. Jahrhunderts zurückgeht: Damals betonten etwa auch tschechische, polnische oder russische Dichter und Intellektuelle, dass es in ihren Sprachen jeweils ein besonderes und ›radikal‹ unübersetzbares Wort für ›Heimweh‹10 gebe. Dennoch eröffnet das Schlüsselwort ›Heimat‹ einen Zugang zum kulturellen Gedächtnis der deutschen Gesellschaft, nicht nur, weil es ein fundamentales Verhältnis zwischen Mensch und Welt beschreibt, sondern auch deshalb, weil es besonders in Krisenzeiten Konjunkturen erlebt, in den verschiedensten Kontexten auftaucht und ein entsprechend breites Bedeutungsspektrum aufweist: Heimat spielte im Lauf der Jahrhunderte eine Rolle in der Religion, im Recht, in der Literatur, in der Philosophie, in Architektur und Stadtplanung, im Natur- und Umweltschutz, wurde für Staatspropaganda benutzt und von Protestbewegungen verwendet,

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Schlüsselwort, Reizwort und Kampfbegriff

verteufelt, verklärt und geschmäht, vergessen, wiederentdeckt und missbraucht. Um ein umfassendes Bild der Bedeutungen und Verwendungszusammenhänge zu erhalten, verbreitete Missverständnisse auszuräumen und um zu zeigen, dass ›Heimat‹ in unterschiedlichen historischen und politischen Zusammenhängen auch neue Bedeutungen, Dimensionen und Funktionen annimmt, genügt es daher nicht, sich isoliert mit der Darstellung von Heimat in Literatur, Kunst, Film und Werbung oder mit dem Topos Heimat in der Philosophie sowie in politischen oder ­gesellschaftlichen Debatten zu beschäftigen. Es gilt, Texte und andere Medien aus unterschiedlichen Wissensgebieten und Lebensbereichen miteinander in Beziehung zu setzen, im jeweiligen historischen und sozio­kulturellen Kontext zu analysieren und zu untersuchen, welche ­Akteure mit welchen expliziten oder impliziten politischen oder ideologischen Absichten sich jeweils auf Heimat berufen. So lässt sich eher eingrenzen, in welchen Zusammenhängen von genuinen Heimatbedürfnissen oder Heimaterfahrungen ›von unten‹ auszugehen ist und wann eher von einer Heimatideologie ›von oben‹ gesprochen werden muss. Für dieses Buch wurden deshalb literarische und philosophische Texte, Manifeste, Polemiken, Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, Wahl­ plakate, Spiel- und Propagandafilme, Fernsehserien, Fotografien, Werbetexte, Reiseführer, Texte über Agrargeschichte, Architektur und Stadt­ planung, Naturschutz, Klimawandel und Tourismus, Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, geschichts-, literatur- und filmwissenschaftliche, soziologische und politikwissenschaftliche Studien betrachtet, um fest­ zustellen, in welchen Zusammenhängen gesellschaftliche Leitdiskurse Heimat beschwören und in welchen Kontexten Heimat anders konnotiert und in kritischer Absicht gegen Leitdiskurse ins Feld geführt wird. Eine herausgehobene Rolle nehmen bei dieser Untersuchung Darstellungen von Heimat in Literatur und Film ein, nicht nur, weil die Autorin Literaturwissenschaftlerin ist, sondern auch aus sachlichen Gründen: Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein prägten Sprache und Ideen der Hochliteratur die politischen, gesellschaftlichen und ästhetischen Debatten; Vorstellungen von Heimat im 19. Jahrhundert wurden in der Literatur geformt und durch sie verbreitet. Seit der Entwicklung der Kulturindustrie im späten 19. Jahrhundert lassen sich an literarischen Bestsellern, seit

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Heimat

den 1920er-­Jahren auch an den großen Kinoerfolgen Sehnsüchte und Befürchtungen von Gesellschaften ablesen: Die Heimatliteratur um 1900 und der Heimatfilm der 1950er-Jahre sind Paradebeispiele dafür, wie Literatur und Film kollektive Ängste und Wunschträume aufnehmen, widerspiegeln und verarbeiten. Spielfilme waren überdies im Nationalsozialismus wie auch im Sozialismus bevorzugtes Medium für politische Propaganda. Auch für dieses Buch wurden vor allem deutsche Quellen untersucht; immerhin geht es darum, Aufklärungsarbeit über ein deutsches Schlüsselwort zu leisten. Daneben werden aber immer wieder – vor allem bei der Untersuchung der Kulturgeschichte seit den 1960er-Jahren – Blicke auf Texte, Debatten und Filme aus England und den USA geworfen. So wird zum einen der Blick geweitet und darauf hingewiesen, dass es das Konzept Heimat nicht nur im deutschsprachigen Raum gibt. Zum anderen aber ist die Debatte um Heimat vor allem seit dem Zweiten Weltkrieg unauflöslich verknüpft mit Debatten um das Lokale und das Globale, die nicht ohne Bezug zu den USA auskommen, zumal der Einfluss vor allem der US-amerikanischen Politik und Populärkultur natürlich nicht auf die USA beschränkt ist. Das Buch hat zwei Hauptteile: Die fünf Kapitel des ersten Teils gehen chronologisch vor und zeichnen die Kultur-, Diskurs- und Bedeutungsgeschichte der Heimat bis in die 1950er-Jahre nach. Das erste Kapitel erläutert, warum es verfehlt ist, die emotionale Aufladung des Wortes ›Heimat‹ der Romantik zuzuschreiben. Das zweite Kapitel weist nach, dass moderne Vorstellungen von Heimat entscheidend von einem heute fast vergessenen deutsch-jüdischen Schriftsteller des Vormärz geprägt wurden. Das dritte Kapitel zeigt, dass die deutsche Heimatbewegung um 1900 weder von vornherein ausschließlich als völkische Bewegung zu lesen ist noch als rein deutsches Phänomen gelten kann: Auch in anderen Ländern entstanden Bewegungen, die sich gegen die Auswirkungen der Industrialisierung richteten. Das vierte Kapitel zeichnet nach, wie Heimat in Kolonialismus, Erstem Weltkrieg und Nationalsozialismus zur Ideologie wurde, die sich für politische Propaganda einsetzen ließ. Das fünfte Kapitel demonstriert, wie das umkämpfte Konzept Heimat in der Nachkriegszeit von Stadtplanern, Vertriebenenverbänden, Politikern in

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Schlüsselwort, Reizwort und Kampfbegriff

West und Ost, aber auch von der Kulturindustrie kritisiert, vereinnahmt, neu definiert, idealisiert oder instrumentalisiert wurde. Der zweite Teil des Buches stellt gesellschaftliche Debatten und kulturelle, soziale und politische Entwicklungen seit den 1960er-Jahren dar, in denen Heimat relevant wurde. Hier wird erläutert, wie Heimat mit Kitsch zusammenhängt und warum Texte über Heimat so oft mit Bildern von Gartenzwergen illustriert werden; warum Nostalgie ebenso schlecht beleumundet ist wie Heimat und wie es dazu kam, dass in den 1970er-­ Jahren eine linke Heimatbewegung entstand; wie die relativ neue Idee, Heimat sei ein Gefühl, mit der Entwicklung der hypermobilen, indivi­ dualistischen und hedonistischen Erlebnisgesellschaft zusammenhängt; warum es ein Unterschied ist, ob wir von der Welt oder von der Erde als Heimat sprechen, und warum Heimat für amerikanische Umweltaktivisten wichtig ist. Schließlich wird dafür plädiert, Heimat als Ort zu verstehen, um das politische und gesellschaftliche Potenzial eines zeitgemäßen Heimatbegriffs aufzuzeigen. Das wichtigste Ergebnis dieser Untersuchung besteht in der Erkenntnis, dass auch die deutsche Heimat sehr viel weniger mit Nation und Staat zu tun hat, als immer wieder unterstellt wird. ›Heimat‹ erscheint eher als Gegenbegriff zu Fortschritt und Moderne, als Reaktion auf die in Deutschland besonders drastischen technisch-industriellen Modernisierungsschübe und Umbrüche, weniger als Gegenteil von ›Fremde‹, sondern eher als Gegenpol zur Entfremdung. ›Heimat‹ bündelt all das, was durch gesellschaftliche Umbrüche und technisch-industrielle Umwälzungen als bedroht wahrgenommen wird: Tradition, Geborgenheit, Gemeinschaft, Bindung, Stabilität, Nähe, Sicherheit, Vertrautheit, Harmonie, Überschaubarkeit und nicht zuletzt Natur und Landschaft. Doch die Konjunkturen von Heimat, auf die sich oftmals berief, wer sich, meist eher erfolglos, den Kräften von Liberalisierung, Fortschritt, Industrialisierung, Modernisierung, Individualisierung und Flexibilisierung entgegenstellte, flauten in der Regel wieder ab. Im alten Wettstreit zwischen Stadt und Land, Fortschritt und Heimat, Neu und Alt unterlagen meist das Land, das Alte und die Heimat. Denn gerade in der deutschen Kulturgeschichte waren zumindest seit dem 19. Jahrhundert – anders, als Heimatskeptiker es sehen – der Wunsch nach Entgrenzung, die Sehnsucht nach dem gro-

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Heimat

ßen Ganzen und der Drang in die weite Welt sowie der Hang zu Fortschritt, Eroberung und Naturbeherrschung stärker als die Verwurzelung in Land, Erde, Natur, Tradition und Heimat. Kein literarischer Text illustriert dies besser als das deutsche Nationalbuch, Goethes Faust: Im ersten Teil schlägt Mephistopheles Faust, der das Jugendelixier in der Hexenküche skeptisch betrachtet, maliziös vor, er könne stattdessen auch Bauer werden, das Feld beackern und sein Leben »in einem ganz beschränkten Kreise« führen, das hätte auch einen verjüngenden Effekt. Der Intellektuelle Faust weist diese Zumutung entrüstet zurück: »Das enge Leben steht mir gar nicht an.« Am Ende des zweiten Teils erweist sich Faust mit seinem Projekt der Landgewinnung, Kanalisierung und Kolonisierung konsequent als Agent einer destruktiven Moderne, dessen Handlungen die »zerstörerische, menschenmordende Macht der Technik«11 illustrieren. Zerstört wird auch das Leben von Philemon und Baucis, das sich eben in solch ›beschränktem Kreis‹ abspielt, den Faust für sich selbst so entschieden abgelehnt hatte: Das alte Ehepaar verkörpert geradezu das Prinzip der Verwurzelung und Begrenzung. Auch nachdem sein Großprojekt unter Blut, Schweiß und Tränen der Arbeiter vollendet worden ist, kann der maßlose Faust seinen »Weltbesitz« nicht voll und ganz genießen, solange ihm die bescheidene Heimat von Philemon und Baucis im Weg ist. Mit dem Angebot eines anderen Stücks Land will er die beiden zur Umsiedelung bewegen; dass sie seinen Vorschlag ablehnen und genau dort bleiben wollen, wo sie immer schon gelebt haben, kann er partout nicht verstehen, da ihm das Bedürfnis nach Heimat und Verwurzelung zutiefst fremd ist. Schließlich kommen Philemon und Baucis in den Flammen ums Leben, nachdem Mephisto – wenn auch ohne Fausts ausdrücklichen Auftrag – die Hütte der beiden in Brand steckt. Auch das Unheil der deutschen Geschichte wurzelt nicht in der Bindung an die Heimat, sondern eher in dem Drang zur Expansion, der während des deutschen Imperialismus und Kolonialismus, vor allem aber im Nationalsozialismus denn auch als »faustische Ideologie«12 verherrlicht wurde. Man könnte noch einen Schritt weiter gehen und die These aufstellen, dass es in der deutschen Geschichte nicht etwa ein Zuviel an Heimat gibt, sondern eher einen Mangel. Die stete Rede über Heimat wäre dann eher Symptom einer Leerstelle statt Ausdruck von Gewissheit. Die

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Schlüsselwort, Reizwort und Kampfbegriff

folgenden Ausführungen werden sich bemühen, diese Thesen zu untermauern. Ein Hinweis zu den Anmerkungen: Diese geben in der Regel lediglich die Quellen der Zitate an; bei mehreren aufeinanderfolgenden Zitaten aus einer Quelle finden sich Fußnote und Angabe erst nach dem letzten Zitat.

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Heimat in der Ferne

Heimat in der Ferne: Der Wanderer über dem Nebelmeer … o glücklich ist der, der bald die enge Heimat verläßt, um wie der Vogel seinen Fittich zu prüfen und sich auf unbekannten, schöneren Zweigen zu schaukeln. (Ludwig Tieck: Franz Sternbalds Wanderungen)

Das ikonische Bild der deutschen Romantik schlechthin, Caspar David Friedrichs Wanderer über dem Nebelmeer, ist auch eine beliebte Illustration für deutsche Schlüsselthemen. Auf dem Titel des Spiegel zum 8. Mai 1985 sah man den Wanderer umgeben von Symbolen des NS-Regimes und der DDR. Im Oktober 2015 stand er auf dem Stern einer Gruppe Flüchtlinge gegenüber. Auf der Zeitschrift Cicero im Juni 2016 ließ der ›Wanderer‹ seinen Blick über ein Meer von Windrädern schweifen. Im März 2017 gab es in der Welt ein Interview mit Wolfgang Schäuble über die Frage »Was ist heute deutsch?« samt Collage, die Schäuble in der ­Position des ›Wanderers‹ zeigte. Auch das Heft von ZEITGeschichte zum Dauerthema Was ist deutsch? vom Oktober 2018 hatte wieder den Wanderer auf dem Titel. Und selbstverständlich dient das Motiv auch als ­Illustration für das Thema Heimat: Im Dezember 2016 prangte auf dem Spiegel Wissen zum Thema die von Friedrichs Gemälde inspirierte Fotografie eines jungen Mannes, der über Wolken hinweg auf schneebedeckte Gipfel blickt. Friedrichs Wanderer, Romantik, Natur, Deutschland und Heimat gehören in der deutschen Vorstellungswelt untrennbar zusammen. Schon die Romantik selbst gilt ja als typisch deutsch und wurde in Deutschland lange als »Erzeugnis des deutschen Geistes«1 verstanden; noch 2007 erklärte Rüdiger Safranski die Romantik zu einer »deutschen Affäre«. Vielleicht hält sich auch deshalb hartnäckig die Vorstellung, eine spezifisch deutsche Idee von Heimat habe ihren Ursprung in der Romantik. Immer wieder begegnet man Abwandlungen dieser These: »[M]it der Frühromantik tritt Heimat erstmals in dem Zusammenhang auf, wie er

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Der Wanderer über dem Nebelmeer

uns heute vertraut ist: als emotional aufgeladener Begriff, der mit Natur, Landschaft, kleinstädtischem Leben und Dorfidylle zusammenhängt und ganz bestimmte Gefühle und Stimmungen assoziieren läßt: Vertrautheit, Überschaubarkeit, Verwurzelung, Ruhe und Abgesichertheit.«2 Festgeschrieben ist die Verbindung auch in Wikipedia, einer bei Schülern und Studenten beliebten Informationsquelle. Dort wird konstatiert, der Begriff Heimat sei in Deutschland mit der Bewegung der Romantik politisch wirksam geworden. Begründet wird diese vermeintlich unauflösliche Verbindung oft mit der Behauptung, bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts sei das Wort ›Heimat‹ lediglich »nüchterner Rechtsbegriff und Ortsbezeichnung«,3 »ein nüchternes Wort« ohne »Traulichkeit, Poesie und sentimentale[n]Glanz«4 gewesen, das erst in der Epoche der Romantik emotional aufgeladen und »zu einem diffusen Gefühl, zu einem Rückzug aus der Realität, zu einem Wert an sich«5 geworden sei. Betrachtet man die Sprachgeschichte, ist diese Behauptung allerdings nicht haltbar: Das neuhochdeutsche Wort geht zurück auf das gotische »haims« (Dorf) und das altdeutsche »heimōti« oder »heimote«, was Wohnung oder Heimstatt, aber auch Heimatland oder Vaterland bedeuten konnte. Doch darf man vermuten, dass das Wort ›Heimat‹ auch schon vor der romantischen Ära positiv konnotiert war, wenn man bedenkt, dass das althochdeutsche Wort »elilenti«, das moderne ›Elend‹, zunächst das Gegenteil von Heimat bezeichnete, nämlich Fremde, Verbannung, Ausland oder Exil: Fern der Heimat erging es einem jämmerlich oder elend. Zudem war die mittelalterliche Vorstellungswelt von einer wechselseitigen Durchdringung weltlicher und religiöser Dimensionen geprägt; so fand die Orts-, Natur- und Heimatverbundenheit auch in der Verschmelzung lokaler, agrarisch geprägter heidnischer Bräuche mit christlicher Praxis ihren Ausdruck. Auch in der Sprache verbanden sich konkrete Bezüge zur Lebenswirklichkeit und zur Erde mit religiösen und ideellen Vorstellungen: Elend war auch »das Erdendasein als Ort des Ausgestoßenseins, der Verbannung für den Sündigen«,6 die (jenseitige) Heimat hingegen der Aufenthaltsort der Gläubigen. Demnach halten sich die Menschen nur vorübergehend auf der Erde auf, bleiben Fremdlinge und Wanderer. Im Hebräerbrief etwa heißt es: »Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige

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Heimat in der Ferne

s­uchen wir« (Hebr. 13/14), und Paulus beschrieb die Pilgerschaft der Christen als einen »Weg aus der Ferne in die Heimat«.7 Vor diesem Hintergrund muss man das Wallfahrts- und Pilgerwesen, die wandernden und kolonisierenden Mönche, aber auch die Kreuzzüge des Mittelalters betrachten; so betont ein Kreuzfahrerlied von 1063: »Das Himmelreich ist die Heimat. Dort werden wir landen, gottlob!«8 Im christlichen Weltbild der Vormoderne ist der Mensch existentiell fremd auf der Welt, seine eigentliche Heimat liegt im Jenseits. In der Lyrik und in Kirchenliedern des Barocks wird dieses Motiv zum Trost in der Gegenwart des Dreißigjährigen oder ›Großen‹ Krieges, während dessen die Bewohner der deutschen Städte und Dörfer in Angst vor der Gefährdung der Heimat durch Söldner und Marodeure, durch Krieg, Plünderungen und Brandschatzungen lebten oder sich gezwungen sahen, ihre Heimat ganz aufzugeben. Andreas Gryphius beklagte in seinem Gedicht »Tränen des Vaterlandes« die Verheerungen der irdischen Heimat, die durch Gewalt, Seuchen und Hunger entvölkert und verwüstet wurde. Das bekannte Kirchenlied Paul Gerhardts »Ich bin ein Gast auf Erden« beschrieb entsprechend das Erdendasein als geprägt von »Müh und Not« und verortete Vaterland und Heimat »dort droben«, im Himmel. In dem Verb ›heimgehen‹, einem euphemistischen Synonym für ›sterben‹, ist diese Bedeutungsebene noch sichtbar. Heimat war also ein mehrdeutiges Wort, das zwischen Ortsbindung und Weltverbundenheit einerseits, Wanderschaft und Abwendung von der irdischen Welt andererseits oszillierte, sowohl die Bindung an den irdischen, gegenwärtigen, sinnlich erfassbaren, sozial und geografisch definierten Ort als auch die Auflösung dieser Bindung und die Wendung ins Spirituelle, Zukünftige, Übersinnliche und Imaginäre bezeichnete, das Hier und Jetzt, aber auch ein Nicht-Jetzt, Nicht-Hier oder Noch-Nicht, einen Nicht-Ort, eine Utopie – alles andere also als ein nüchterner Rechtsbegriff. Aber auch als ganz und gar irdischer Rechtsbegriff bezog sich Heimat auf existentielle Bereiche des Lebens, sodass auch hier mindestens fraglich ist, ob man von einem neutralen Wort sprechen kann: Das Heimatrecht ging unter anderem auf Bettelordnungen des 17. und 18. Jahrhunderts zurück und regelte bis weit ins 19. Jahrhundert hinein vor allem,

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Der Wanderer über dem Nebelmeer

welche Instanz für die Versorgung der Armen zuständig war. Diese Regelungen wurden durch die wachsende Zahl von Vagabunden und Bettlern in der Frühen Neuzeit notwendig: Die ›Kleine Eiszeit‹ des 17. Jahrhunderts brachte nicht nur Kälte, Dauerregen, Dürreperioden und Missernten mit sich, sondern – zumal in Verbindung mit dem Dreißigjährigen Krieg – auch Armut, Hunger, existentielle Not und Krankheiten. So kam es dazu, dass in den Gemeinden gesellschaftliche Randgruppen stärker ausgegrenzt wurden als noch im Mittelalter. Betroffen waren vor allem Nichtsesshafte: Bettler, Landstreicher, Vaganten, Gaukler, Spielleute, Schausteller, Hausierer, Zigeuner und Kesselflicker. Sie wurden oft als ›herrenloses Gesindel‹ diffamiert und hatten nur begrenzte Rechte. Gesetzliche Regelungen dienten aber nicht nur zur Ausgrenzung, sondern schrieben auch die Fürsorgepflicht der Gemeinden zur Bekämpfung der Armut fest. So sah etwa ein preußisches Edikt aus dem Jahr 1696 vor, dass die Gemeinden verpflichtet waren, sich um alle Armen zu kümmern, die im Ort geboren waren, die das Bürgerrecht erlangt, 10 Jahre lang dort gelebt oder einer Innung angehört hatten.9 Das Heimatrecht – nachzuweisen durch ein Dokument, das als Heimatschein bezeichnet wurde – regelte die Zugehörigkeit zu einem Territorium und war die Basis für Ansprüche und Rechte; noch heute bezeichnen die Schweizer ihren Bürgerrechtsausweis als Heimatschein. Erst im Zuge zunehmender, ökonomisch bedingter Freizügigkeit während der Industrialisierung und der allmählichen Ausgestaltung eines größeren nationalstaatlichen Gebildes wurden diese lokalen Sozialleistungen nach und nach zur gesamtstaatlichen Aufgabe. Das Heimatrecht war also eine frühe Form der Staatsbürgerschaft mit einer Mischung aus Territorial- und Abstammungsprinzip und diente dazu, die Zusammensetzung von Kommunen zu ordnen und zu regulieren. Die Ausgestaltung solcher Regelungen war abhängig von politischen und ökonomischen Faktoren und unterlag Schwankungen, sodass durchaus auch Statusänderungen für Ortsfremde möglich waren: Einen Heimatschein konnte man eben nicht nur durch Geburt, also nach dem Abstammungsprinzip, sondern auch nach längerem Aufenthalt oder durch Heirat erwerben. Kurz: Das Heimatrecht bezeichnet nicht nur die Verbindung zwischen Ort oder Territorium und Individuum, sondern darüber hinaus eine territorial definierte Solidar­

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gemeinschaft, in der das Individuum konkrete, auch materielle An­ sprüche auf Schutz und Fürsorge geltend machen konnte. Gerade in ­Zeiten des Umbruchs im 19. Jahrhundert konnte eine so definierte Heimat oder Kommune eine Art Bastion »der sozialen Kontinuität inmitten des sozialen Wandels darstellen«.10 Heimat fungierte als Verbindung und Vermittlungsinstanz zwischen Individuum und Gesellschaft sowie zwischen Individuum und Staat, als behütende und zugleich begrenzende Schicht. Man sollte also davon ausgehen, dass das Wort ›Heimat‹ schon lange vor der Romantik emotional aufgeladen war. Ein anderer Vorwurf an die Romantik wiegt schwerer: Angeblich wurde das Wort ›Heimat‹ in der Romantik durch seine Vermengung mit Vorstellungen von Volk und Nation politisiert. Mit dieser Annahme wird es oft begründet, wenn eine direkte Linie von der Romantik zum völkischen Antisemitismus der Wilhelminischen Zeit und von dort zum Nationalsozialismus gezogen wird. Nur ein Beispiel: In einer 2016 veröffentlichten kunsthistorischen Studie wurde die häufige Thematisierung von Heimat und Heimatverlust in ­romantischer Dichtung, Musik und Kunst als Heimatverbundenheit, zugleich aber auch unumwunden als »Eintreten für die nationale Einheit«, und obendrein als Vorbereitung der ›völkischen‹ Rezeption der Romantik im Nationalsozialismus interpretiert.11 Ähnlich populär ist die Überzeugung, die spezifisch deutsche Vorstellung von Heimat sei mit romantischen Bildern einer »unbeschädigten, friedlich-harmonischen Natur«12 untrennbar verbunden. Die vermeintliche Naturverbundenheit der Romantik gilt dann als Vorbild für die konservative Heimatschutzbewegung des späteren 19. Jahrhunderts, diese wiederum als Vorläuferin und Wegbereiterin der nationalsozialistischen Ideologie von ›Blut und Boden‹. Doch solche landläufigen Vorstellungen gehen von falschen Prämissen aus und kommen entsprechend zu problematischen Schlüssen. Das fängt mit dem Begriff ›Romantik‹ an: Was genau damit gemeint ist, wird kaum jemals präzisiert. Die meisten denken bei Romantik an eine konservative oder reaktionäre, jedenfalls rückwärtsgewandte, nationalistische Bewegung, die an ständischen Idealen festhielt und sich gegen Aufklärung, Französische Revolution, Säkularisierung, ökonomischen und politischen Liberalismus, Modernisierung, Universalismus,

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Rationalismus, Zentralismus und die napoleonischen Einflüsse auf die deutschen Territorien richtete. Und tatsächlich: Im Zuge der napoleonischen Besatzung Deutschlands und schließlich der Befreiungskriege nahm ein von Abgrenzung gegenüber Frankreich geprägter deutscher Patriotismus oder auch Nationalismus bei vielen Gebildeten Gestalt an. Doch ›Romantik‹ ist nicht gleich ›Romantik‹: Es gibt große Unterschiede zwischen Frühromantik, Hochromantik und Spätromantik, zwischen der Jenaer und der Heidelberger Romantik und auch zwischen der Romantik als Kunstbewegung und der ›Politischen Romantik‹. Etliche Protagonisten der romantischen Bewegung, darunter auch solche, die sich, wie etwa Joseph Görres, zunächst für die Französische Revolution begeistert hatten, entdeckten erst während der französischen Besatzung ihr Deutschtum und wurden zu glühenden Nationalisten, wobei auch dieser romantische Nationalismus keineswegs zwangsläufig rückwärtsgewandt war, denn auch der »Nationalismus hatte [...] immer einen vorwärtsgerichteten, ja revolutionären Aspekt«;13 immerhin war Frankreich bereits Nation, Deutschland noch nicht. Romantiker, die das Heil vor allem in der Vergangenheit suchten, wandten sich eher dem Katholizismus des Mittelalters zu und standen der modernen Idee der Nation skeptisch gegenüber: Die romantische Bewegung war auch in dieser Hinsicht keineswegs homogen. Der Begriff Heimat allerdings spielt für romantische Politik oder politische Romantik keine Rolle; Heimat ist auch kein Synonym für ›deutsche Nation‹, es gibt nicht einmal eine romantische Definition von Heimat. Das ist bemerkenswert, zumal gerade die Frühromantiker Friedrich Schlegel und Novalis ganz versessen darauf waren, neue, kühne Definitionen für zentrale ästhetische wie politische Begriffe (Poesie, Geschichte, Natur, Staat, Individuum usw.) zu formulieren. Das Wort ›Heimat‹ aber findet sich nur in literarischen Texten. In den politischen und philosophischen Schriften der Romantiker finden sich lediglich Begriffe, die in landläufiger Vorstellung mit Heimat konnotiert sind, also etwa ›Volk‹ oder ›Gemeinschaft‹. Doch auch ›Volk‹ ist vieldeutig und bezeichnet sowohl das einfache Volk als auch das Volk als politischen Akteur, Staatsvolk und Ethnie. Volk und Nation sind weder Synonyme noch beziehen sie sich von vornherein auf das politische Konzept des Nationalstaats. Die Bedeutung des Wortes ›Volk‹ hängt auch in der Romantik

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vom Kontext und vom Sprecher ab: Je nachdem, ob es im Nachwort zu einer Sammlung von Volksliedern oder in der politischen Rede, ob es von einem Unterstützer der Revolution oder in einem antinapoleonischen Pamphlet während der Befreiungskriege verwendet wird, verweist es auf ganz unterschiedliche Horizonte. Insofern ist die Warnung Carl Schmitts ernst zu nehmen, der in Politische Romantik betont hatte, dass man »die neue Realität ›Volk‹ nicht mit dem romantischen Objekt ›Volk‹ verwechseln und die Romantiker nicht für Entdecker des neuen Volks- oder Natio­nalgefühls halten«14 dürfe. Für Johann Gottfried Herder, dessen Denken großen Einfluss auf die Romantik hatte, der selbst allerdings noch in der Tradition der Spätaufklärung stand, war das Volk vor allem eine Menschengruppe mit gemeinsamer Sprache, Kultur und Tradition und Erfahrungswelt, »die auf der Poesie, Liedern und Märchen, Mythen, Sitten und Gebräuchen sowie der formenden Kraft der Umwelt beruht«,15 nicht in erster Linie eine politische Größe. An diese Vorstellungen knüpften die Romantiker an, wenn sie das Volk als Quelle der Kultur und Kreativität idealisierten. Während für Herder aber, wie für die Anthro­pologie des 18. Jahrhunderts überhaupt, natürliche Umwelteinflüsse, also etwa Klima, Topografie, Flora, Fauna und Hauptnahrungsmittel bestimmter Landstriche, einen bedeutenden Faktor bei der Ausprägung kultureller Eigenarten darstellten, interessierten sich die Romantiker nur für die immaterielle, ideelle Seite der Volkskultur und blendeten die konkreten Lebensumstände des Volkes und die natürliche Umwelt eher aus: Achim von Arnim, Clemens Brentano oder Jacob und Wilhelm Grimm konzentrierten sich auf die Edition von Textsammlungen mit Volksmärchen, Volkssagen und Volksliedern. Jedoch betrachteten zunächst weder die Brüder Grimm noch Clemens Brentano – anders als Achim von Arnim – ihre Beschäftigung mit der Volkspoesie als dezidiert patriotische Projekte, sondern sahen sich eher in der kosmopolitischen Tradition Herders. In dem zuerst erschienenen Band der Kinder- und Haus-Märchen 1812 kam das Adjektiv ›deutsch‹ gar nicht vor, auf die französischen Einflüsse wurde explizit hingewiesen; erst im zweiten, während der Befreiungskriege und in der nunmehr antifranzösisch aufgeladenen Atmosphäre des Jahres 1814 publizierten Band wurde ein ›urdeutscher Mythos‹ beschworen.16

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Mit der Natur, die gemeinhin als essentieller Bestandteil der deutschen Heimat und zentral für die Romantik gilt, verhält es sich ganz ähnlich. Spielte die physische Natur in der Literatur und Philosophie des 18. Jahrhunderts noch selbstverständlich eine Rolle, so wandten sich die Literaten und Philosophen im deutschen Idealismus und in der deutschen Romantik von der materiellen und empirischen Natur ab und überließen diesen Bereich der Naturwissenschaft. Von nun an gibt es eine klare Trennung zwischen den ›zwei Kulturen‹, aber auch zwei Naturen: Die Natur der Naturwissenschaften ist von der Psyche des Menschen abgetrennt, wird emotionslos, vermeintlich objektiv beobachtet, beschrieben, analysiert, systematisiert und kategorisiert. Die Natur der Philosophen, Maler und Literaten dagegen ist immateriell, entweder religiöses Zeichensystem, allgemeines Prinzip (als ›innere Natur‹, ›ganze Natur‹ oder ›allmächtige Natur‹) oder aber ferner, schemenhafter Projektions- und »Resonanzraum der Seele«.17 So erklärt sich, dass Naturschilderungen in Prosa und Lyrik der Romantik von Novalis bis Eichendorff so blass und allgemein bleiben. Naturerscheinungen werden meist nur generisch benannt, als Wald, Bach, Fluss, Fels, Berg, Hügel, Baum oder Vogel; etwas genauer bestimmt wird in der Regel nicht die Beschaffenheit des Naturphänomens, sondern höchstens die Wirkung auf die menschliche Psyche, mit Adjektiven wie lieblich, reizend, anmutig oder angenehm. Anschauliche Beschreibungen von Auwäldern, Gebirgszügen oder selbst Gartenblumen gibt es nicht, die romantische Landschaft bleibt stets unbestimmt und fern. Daher taugt die deutsche Romantik auch kaum als Bezugspunkt für neuere ökologische Gedanken, was sie fundamental von der englischen Romantik unterscheidet: Ein Werk wie der Guide to the Lakes des englischen Romantikers William Wordsworth, der eine Beschreibung der Topografie des englischen Lake District mit konkreten Hinweisen für Reisende und lyrischen Naturbetrachtungen verbindet, ist für die deutsche Romantik völlig undenkbar. Doch worauf richtet sich der Blick der Romantiker? Der ikonische Wanderer über dem Nebelmeer zeigt ja gerade keine ländliche Idylle, keine Agrarlandschaft oder Dorfgemeinschaft, keine erdverbundenen, pflügenden oder säenden Bauern. Im Gegenteil: Ein einsames Individuum blickt von hoher Warte aus, weit über den Dingen stehend, in die

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Ferne, auf karge Berggipfel, den Inbegriff einer erhabenen Natur. Dieser romantische Wanderer lässt sich auch als moderne, säkulare Version des christlichen Pilgers verstehen. Nur setzt die Romantik Kunst und Poesie an die Stelle der traditionellen Religion, Künstler und Dichter sind die neuen Pilger. Im Zentrum romantischer Romane stehen daher immer künstlerisch ambitionierte oder zumindest ästhetisch sensible junge Männer, die ihren Heimatort verlassen und das Weite suchen: Novalis’ Heinrich von Ofterdingen, Ludwig Tiecks Franz Sternbald und Eichendorffs Figuren suchen auf ihren Reisen die ›blaue Blume‹, die Poesie, das Unendliche oder das Wunderbare. Wenn in einem populären Nachschlagewerk diese potenziell unabschließbare Bewegung als »Ausdruck andauernder Unstetigkeit, voll Sehnsucht nach der Heimat in einer unerreichbaren Ferne«18 bezeichnet wird, so ergibt dies nur mit Bezug auf die religiöse Bedeutung des Wortes Sinn: Die irdische Heimat liegt gewiss nicht in unerreichbarer Ferne. Aus der irdischen, konkreten Heimat zieht es die romantischen Künstler ja gerade fort. In der Sprache der Migrationstheorie wären die Ferne, das Unendliche oder die blaue Blume romantische Anziehungsfaktoren; Abstoßungsfaktor ist die Heimat selbst, als Inbegriff des Vertrauten, Alltäglichen und Gewöhnlichen, das den Romantikern schlechthin verhasst ist. Die Romantik ist nicht zuletzt »Ungenügen an der Normalität«,19 die es in jedem Fall zu überwinden gilt, sei es durch Aufbruch und Abreise oder durch Romantisieren, wie es Novalis beschreibt: »Die Welt muß romantisiert werden. [...] Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so ­romantisiere ich es.«20 Ihren Ausdruck findet die romantische Aversion gegen die Normalität vor allem in der kritischen Darstellung des Philisters, der den Romantikern als »menschliche Inkarnation der Normalität«21 gilt. Er geht völlig im Alltagsleben auf, ist einzig auf Nützlichkeit und Brot bedacht, hat keinen Sinn für Poesie und alles Höhere und lässt daher auch rücksichtslos »ewige alte Eichen umhauen, um irgendeinen Pflaumenbaum anzupflanzen«.22 Kurz: Der Philister ist, in Nietzsches Worten, der »Gegensatz des Musensohnes, des Künstlers, des echten Kulturmenschen«.23 Auch bodenständige Bauern oder Erwerbsbürger, die

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das Feld bestellen oder ein Handwerk betreiben, zählen dazu: Die Kritik am Philister gilt zwar in erster Linie dem Nützlichkeitsprinzip, geht aber einher mit einer gewissen Verachtung von Arbeit, Sesshaftigkeit und Heimat als Ortsbindung. Zwar lehnen die Romantiker Rationalismus, Aufklärung und Effizienz als Prinzipien der Moderne ab, doch romantisches Gegenbild ist keineswegs das einfache Leben der Bauern oder die Begrenztheit eines orts- und traditionsgebundenen Daseins, sondern das immaterielle Reich der Fantasie und des Wunderbaren. Ebenso wenig wie für botanische Pflanzennamen, Felsformationen oder Baumarten interessieren sich die Romantiker für das Pflügen, Säen und Ernten: Das Landleben ist für die literarische Romantik kein Thema, mochte Adam Müller, der »Prototyp der Politischen Romantik«,24 die dauerhafte Beziehung zum Land als Basis und Garantie für gesellschaftliche Stabilität und Kontinuität noch so preisen. Selbst ein Text, in dem man nach landläufigem Verständnis ein Lob des Volks, der Heimat und der Verwurzelung erwarten würde, Achim von Arnims Aufsatz »Von Volksliedern« in der Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn, enttäuscht diese Erwartung. Arnim blickt ernüchtert auf das Leben des Volkes, das ihm als philiströs erscheint, einzig von Arbeit, Nützlichkeit und Effizienz geprägt, ohne Schönheit und Poesie. Der Autor bringt weder Empathie noch Sympathie für den bodenständigen »Nährstand« auf. Träger der Poesie und damit potenzielle Vertreter der romantischen Kunstreligion sind für den Romantiker vielmehr Vagabunden, Soldaten, Bettler, Zigeuner und umherziehende Schauspieler, also fahrende Leute, die aus der Perspektive der Sesshaften, im Heimatrecht und in Bettelordnungen als ›herrenloses Gesindel‹, aus religiöser Perspektive möglicherweise als Wandernde und Suchende gelten können. Ja, die Sesshaftigkeit selbst wird als vermeintliche Ursache für den Ausschluss der Umherziehenden und damit auch der Poesie zum Grundübel erklärt: »weil der Nährstand eines festen Hauses bedarf, so wurde jeder als Taugenichts verbannt, der umherschwärmte in unbestimmtem Geschäfte, als wenn dem Staate und der Welt nicht gerade diese schwärmenden Landsknechte und irrenden Ritter, diese ewige Völkerwanderung ohne Grenzverrückung, diese wandernde Universität und Kunstverbrüderung zu seinen besten schwierigsten Unternehmungen allein

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taugten«.25 Nur aus der Perspektive engstirniger, nützlichkeitsversessener Philister können die ziel- und wurzellosen Existenzen als Taugenichtse erscheinen: Für den Romantiker verheißen die »umherirrenden Gestalten« kosmopolitischen, friedlichen internationalen Austausch von Kunst und Wissen. Mit Joseph von Eichendorff verhält es sich kaum anders, mag er auch als romantischer Sänger der (deutschen) Heimat schlechthin gelten: »Wo immer von Heimweh als Sittengebot, von der Treue zum angestammten Boden und Sehnsucht nach dem Wiedergewinn alter Heimat in Deutschland die Rede ist«, »kann Eichendorff als Kronzeuge zitiert werden«.26 Gerade aufgrund ihrer Allgemeinheit boten Eichendorffs Naturschilderungen offenbar eine ideale Projektionsfläche für völlig unvereinbare politische Zwecke und Kontexte: So beriefen sich die deutschen Heimatvertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg ebenso auf Eichendorff wie Politiker beider deutscher Staaten. Für den Katholiken Konrad Adenauer war Eichendorff vor allem Patriot, in der DDR lobte man seinen Antikapitalismus. Adenauer empfahl 1958 in einem Brief an die Eichendorff-Stiftung, »sich dieses berühmten deutschen Romantikers zu erinnern. Aus Schlesien stammend und seiner schlesischen Heimat zutiefst verbunden, hat er in seinen Werken doch allen deutschen Stämmen unseres Volkes die Liebe zu unserer großen deutschen Heimat nahegebracht«.27 Und ein Artikel im Neuen Deutschland, dem Zentralorgan der SED, pries Eichendorffs Gedichte im November 1952 als »das Hohelied auf das Bild unserer Heimat«, attestierte dem Dichter »große, tiefempfundene, hinreißende, ganz ungekünstelte und ganz wahrhaftige Liebe zur Heimat« und sah in seiner Dichtung eine Bewahrung der »gefährdete[n] Schönheit […] der deutschen Heimat gegen die Entseelung unseres Natur- und Heimatempfindens durch die prosaische Herrschaft des Geldes«.28 Allerdings kann man die Rolle des Dichters deutscher Heimat nur dann mit der Person Eichendorffs besetzen, wenn man sich auf ein Schlüsselereignis aus der Biografie des Dichters beruft: Eichendorffs eigener Heimatverlust – das Schloss Lubowitz, in dem er seine Kindheit verbracht hatte, musste verkauft werden – fungiert gewissermaßen als Beglaubigung, und vielleicht erklärt sich seine Beliebtheit gerade daraus, dass er sich auf eine immer schon verlorene Heimat bezieht, die einzig als melancholische Erinne-

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rung in der Fantasie fortlebt. Einige der bekanntesten Gedichte Eichendorffs stammen aus diesem Motivzusammenhang der verlorenen Heimat, so auch das berühmte »Abschied«,29 bekannt als »Volkslied« in der Vertonung Felix Mendelssohn Bartholdys: »O Täler weit, o Höhen,/O schöner, grüner Wald,/Du meiner Lust und Wehen/Andächt’ger Aufenthalt!/Da draußen, stets betrogen,/Saust die geschäft’ge Welt,/Schlag noch einmal die Bogen/Um mich, du grünes Zelt!«30 Auch hier erschöpft sich die Darstellung der Natur in generischen Wörtern wie grün, schön, Täler, Wald, Vögel etc.; die Sprache bleibt allgemein, erzeugt nicht die Vor­ stellung eines konkreten Waldes, sondern oszilliert zwischen metapho­ rischer und spirituell-christlicher Bedeutungszuschreibung. Der stille, statische Raum des heimatlichen Waldes ist nur Gegenbild zu der dynamischen, geschäftigen Welt und der ›Fremde‹. Heimat ist kein Ort, sondern als Vorstellung einer ›ewigen‹ Heimat ein immaterielles, tröstliches Erinnerungsbild mit religiösen Konnotationen, eine Weltflucht in die Innerlichkeit. Man muss sich gewaltig anstrengen, um aus diesem Gedicht eine Verklärung des Heimatortes überhaupt oder gar einer spezifisch deutschen oder schlesischen Heimat abzuleiten. Auch der wohl berühmteste Prosatext Eichendorffs, die 1826 erschienene Novelle Aus dem Leben eines Taugenichts,31 verklärt nicht die deutsche Heimat, sondern die unendliche Reise. Zwar findet sich hier etwa das berühmte Gedicht »Heimweh« (»Ach, die Heimat hinter den Gipfeln,/Wie liegt sie von hier so weit!«, S. 143), mehrfach ist die Rede von der »schönen Heimat in der Ferne« bzw. der »fernen Heimat«. Doch auch im Taugenichts erscheint Heimat erst aus der Ferne als Sehnsuchtsziel, und in eben diese Ferne zieht es den Taugenichts: Sein Vater, ein Müller, also ein Erwerbsbürger, wirft seinen Sohn hinaus, damit dieser sich seinen Lebensunterhalt selbst verdient. Damit tut er dem Sohn allerdings einen Gefallen, auch wenn der Taugenichts natürlich keinen Broterwerb suchen will, sondern das Glück. Ihm ist »wie ein ewiger Sonntag« zumute, als er das Dorf verlässt und seine »alten Bekannten und Kameraden rechts und links, wie gestern und vorgestern und immerdar, zur Arbeit hinausziehen, graben und pflügen sah«, während er selbst in die weite Welt hinauszieht, fort aus dem kleinen, engen Alltag. Nun wirkt die Heimat ›elend‹: Ein Gedicht, in dem Arnims Aufsatz »Von Volksliedern«

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nachhallt, besingt die Reisenden und Wanderer als von Gott Begünstigte; den sorgenbeladenen Sesshaften dagegen fehlen Muße und Sensorium für Poesie, die Schönheit der Schöpfung und die Erscheinung des Göttlichen. Man kann sie bedauern oder verachten, zu ihnen gehören will man gewiss nicht: »Wem Gott will rechte Gunst erweisen,/Den schickt er in die weite Welt,/Dem will er seine Wunder weisen/In Berg und Wald und Strom und Feld.//Die Trägen, die zu Hause liegen,/Erquicket nicht das Morgenrot,/Sie wissen nur vom Kinderwiegen/Von Sorgen, Last und Not um Brot.« (S. 85 f.) Auf den ersten Blick erscheint es paradox, dass hier von den ›Trägen‹ die Rede ist, waren doch eben noch die grabenden und pflügenden Bauern erwähnt worden; gemeint ist vermutlich die Todsünde der Trägheit (acedia), eine »Haltung des Überdrusses am frommen Leben, die notwendigerweise zu einer Abwendung von Gott führt«.32 Der Taugenichts ist eine Mischung aus Schelm, Pilger und fahrendem Musikanten, der bis zum Ende der Erzählung in Bewegung bleibt und Heimat, Arbeit und Sesshaftigkeit vermeidet. Selbst als er vorübergehend das gänzlich unromantische Amt eines Zolleinnehmers ausübt und ein kleines Haus mit Garten bezieht, geht ihm der Sinn für das Nützliche völlig ab: Er reißt die Kartoffeln und das Gemüse heraus und pflanzt Blumen. Schon der Anblick einer auffliegenden Lerche oder der Klang eines Posthorns befeuern sein Fernweh. Reiselust und Zufall führen ihn prompt nach Italien, wo er nun aber, wiederum ausgelöst durch den Klang eines Posthorns, Heimweh empfindet. Sein Lied darüber endet mit der Zeile, die zu Eichendorffs Ruf als ›Dichter deutscher Heimat‹ beigetragen haben mag: »Grüß dich, Deutschland, aus Herzensgrund!« Doch diese vermeintlich so deutsche Heimat wirkt eben nur dadurch verlockend, dass sie nun in weiter Ferne liegt. Für den Leser jedenfalls sind die Landschaften und Orte, die der Taugenichts auf seinen Reisen durchquert, nicht zu unterscheiden, denn Eichendorff benutzt immer dieselben Versatzstücke, um »unterschiedslos deutsche, italienische, französische oder gar südamerikanische […] Szenerien«33 zu gestalten; Orte mit je spezifischen Eigenschaften gibt es weder in der Heimat noch in der Fremde. Auf seiner Rückreise in den deutschsprachigen Teil Europas, wenn auch nicht in sein Elternhaus, das nie wieder auch nur erwähnt wird, stimmt der Taugenichts begeistert, ohne zu verstehen, was

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er da singt, in ein lateinisches Studentenlied ein, das eine geradezu philiströse Sesshaftigkeit und Heimatverbundenheit besingt. Doch als ihm seine zufällig wiedergefundene Geliebte ein märchenhaftes weißes Schlösschen mit Garten und Weinbergen zeigt, in dem das Paar künftig wohnen soll, will der Taugenichts am liebsten gleich wieder dorthin reisen, von wo aus er sich gerade eben noch nach Deutschland gesehnt hatte: nach Italien. Ein kleiner Satz der Erzählung trifft dieses spezifisch romantische Verhältnis zur Heimat genau: Wenn der Taugenichts zu der Selbsterkenntnis kommt, »mir ists nirgends recht« (S. 105), so fasst er die für die Romantik so typische fundamentale Ruhelosigkeit, Entwurzelung und Heimatlosigkeit bündig zusammen. Die weite Welt oder auch die Heimat erscheinen, je nach Standpunkt, vor allem als Chiffren für ›nicht hier‹. Entsprechend ist die so oft erwähnte ›alte, schöne Zeit‹ vor allem ›nicht jetzt‹. Eichendorffs Taugenichts bewegt sich durch eine Welt, in der anscheinend immer Frühling herrscht und immer Sonntag ist, in der er nicht arbeitet, hungert, friert oder Schmerzen erleidet, und doch kommt das perpetuum mobile von Ungenügen und Sehnsucht nicht zum Stillstand. Stetes Fernweh und unstillbare Sehnsucht sind eng gekoppelt an ein gesteigertes Selbstgefühl des romantischen Individuums. Die romantische Neigung zur Ferne klingt noch in Leben und Werk des einzigen deutschen Autors nach, der mit seinen Naturbeschreibungen in den Kanon eingegangen ist: Alexander von Humboldt, der nur periodisch in seiner Geburtsstadt Berlin lebte, interessierte sich wenig für die Natur seiner märkischen Heimat; vielmehr beschäftigte er sich auf seinen langjährigen Forschungsreisen mit Flora und Fauna, Landschaften und Gesteinsformationen in Lateinamerika, den USA, Russland und Zentralasien. Sein monumentales, 1845–1862 publiziertes Hauptwerk trug den durchaus unbescheidenen Titel Kosmos – Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Humboldt sah die Natur als ein »durch innere Kräfte bewegtes und belebtes Ganzes« und den Naturforscher als »kühnen wissenschaftlichen Eroberer«, den es in die exotische Ferne zieht, wo er das Unermessliche, Erhabene und Unbegrenzte sucht. Für Details und Einzelheiten hatte Humboldt ebenfalls wenig Interesse; das Einzelne war ihm »nur in seinem Verhältniß zum Ganzen, als Theil der

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Welterscheinungen« interessant, auch deshalb, weil ihm der Blick auf das große Ganze als höhere Stufe der Erkenntnisfähigkeit galt: Nur der »höhere[n] Intelligenz« gelinge es, die »Mannigfaltigkeit in Einheit« aufzulösen: »Um dies Höhere zu genießen, müssen […] die Einzelheiten zurückgedrängt«34 werden. Nicht von ungefähr zitierte er schon 1807 in seiner Vorrede zu den Ansichten der Natur die Zeilen Schillers, bei denen einem unwillkürlich der Wanderer über dem Nebelmeer in den Sinn kommt: »Auf den Bergen ist Freiheit!« Die Winterreise, der durch Schuberts Vertonung berühmt gewordene Liederzyklus Wilhelm Müllers, zeigt die Nachtseite der romantischen Sehnsucht und Ruhelosigkeit. Während in Eichendorffs Erzählung permanent Frühling herrscht, malen Müllers Lieder den Kontrast zwischen Frühling und Winter aus: Der Monat Mai mit blühenden Lindenbäumen, grünen Wiesen und lustigem Vogelgeschrei ist nur mehr in der Erinnerung und im Traum präsent. In der Gegenwart hingegen herrscht Winter mit Eis und Schnee, der einzige Vogel ist die Krähe. Die Parallelen zu Nietzsches Gedicht aus dem Jahr 1844, das oft unter dem Titel »Heimweh« zitiert wird, sind unverkennbar: »Die Krähen schrei’n/Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:/Bald wird es schnei’n –/Wohl dem, der jetzt noch – Heimat hat!«35 Erscheint das permanente Unterwegssein bei Eichendorff als heitere Unruhe, so ist die Wanderlust in der Winterreise zum düsteren Fluch geworden. Müllers Wanderer mit seiner Todessehnsucht, die etwa in dem Lied »Das Wirthshaus« aufscheint, erinnert eher an Ahasver, den ewig wandernden Juden, dem Müller in einem anderen Gedicht die Zeilen in den Mund legt: »Ich wandre sonder Rast und Ruh,/Mein Weg führt keinem Ziele zu«. Wenn der Wanderer der Winterreise sich im ersten Lied (»Die Liebe liebt das Wandern«36) an eine Liebe erinnert, deren Ende er vermutlich selbst herbeigeführt hat, dann deutet dies allerdings darauf hin, dass der romantische Wanderer sich ganz bewusst gegen Ehe, Bindung und Sesshaftigkeit und für die einsame Wanderung durch den Winter und die Dunkelheit der Melancholie entschieden hat. Aus der Zurückweisung der Heimat und der Bejahung der Rast- und Ruhelosigkeit folgt die Verdammung zu Heimatlosigkeit und Einsamkeit: Dies ist die Tragik der romantischen Ruhelosigkeit.

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Der Wanderer über dem Nebelmeer

Carl Schmitt bescheinigte den Romantikern die Tendenz zur »Negation des Heute und Hier« und die permanente Suche nach Auswegen aus »dem Gefängnis der konkret gegenwärtigen Realität«.37 Auch für die Arbeits- und Erwerbswelt, den Alltag sowie die Beschaffenheit realer Orte, Naturphänomene und Landschaften hatten die Romantiker wenig übrig. In diesem ganz und gar immateriellen Universum der Romantik ist Heimat in der Tat nichts als eine Idee, eine Chiffre für ein mit ästhetisch-religiösen Sehnsüchten und Erlösungshoffnungen durchsetztes ›NichtHier‹ und ›Nicht-Jetzt‹. Diese romantische Heimat bezieht sich weder auf Nation und Volk oder auf Land und Leute noch gar auf Blut und Boden. Behauptet man, die Romantik verkläre eine spezifisch deutsche Heimat, so sitzt man der retrospektiven Projektion wilhelminischer Romantik­ exegeten auf, die um 1900 über den »Einfluß der Romantik auf die Vertiefung des Nationalgefühls«38 sinnierten. Doch auch die Behauptung, Heimat in der Romantik sei ein »emotional aufgeladener Begriff, der mit Natur und ländlichem Leben zusammenhängt und Stimmungen wie Vertrautheit, Überschaubarkeit, Verwurzelung, Ruhe und Abgesichertheit assoziieren läßt«,39 erweist sich als bloße Projektion. Der ikonische Wanderer über dem Nebelmeer ist symptomatisch für das romantische Verhältnis zur Realität wie zur Heimat: Auf dem Gemälde ist das bewohnte Tal nicht einmal ansatzweise sichtbar, der Blick des Wanderers geht in die Ferne, in der die Silhouetten der Berge hinter Wolken und Nebel mit dem Himmel verschmelzen. Die romantische Idee der Heimat ist eine zum Teil verinnerlichte, zum Teil in eine romantische Kunstreligion umgedeutete moderne Variante der christlichen Vorstellung, die den Himmel als eigentliche Heimat des Menschen und den Menschen als Pilger und Wanderer sieht. Daher ist sie untrennbar mit dem romantischen Motiv der unstillbaren Sehnsucht und der unendlichen Fahrt verbunden. Doch ist dies eben keine Sehnsucht nach Verwurzelung und hat nichts mit Ort, Territorium, Gemeinschaft, Volk oder Nation zu tun. Die romantische Sehnsucht ist vielmehr »nichts anderes als die verewigte Fluchtbewegung aus der Gesellschaft«.40

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Heimat als Modell: Vormärz und der Beginn der ›Großen Transformation‹ Die Heimat fesselt zwar das Herz Doch ziehen Viele anderwärts. Dem Einen glückt’s, wo er entstand, Dem Andern in dem fremden Land. (Samuel Friedrich Sauter: Abschiedslied für Auswanderer nach Amerika)

Erst in der Zeit des Vormärz, also der Zeit zwischen der Julirevolution in Frankreich 1830 und der Märzrevolution 1848, geriet die konkrete Heimat als Ort, Dorf, Land, Landschaft und Gemeinschaft in den Blick; die Vorstellung von Heimat wurde von den Höhen der Gipfel auf den Boden der Tatsachen geholt und damit geerdet. Aufgrund der sozialen und ökonomischen Veränderungen sowie der großen Auswanderungswellen wurden Fremdheit und Entfremdung für mehr und mehr Menschen erfahrbar. Gerade weil nun zunehmend die Bindung an den Ort stärker infrage stand, wurde Heimat vermehrt zum Gegenstand der Betrachtung. Da nicht mehr allein das ›fahrende Volk‹ in Bewegung war, sondern mehr und mehr auch viele der vormals Sesshaften sich – mehr oder weniger freiwillig – in Bewegung setzten, wurde Heimat allmählich zu einem Schlüsselwort, das einerseits Hoffnungen, andererseits aber auch Abwehrreaktionen, Ängste und Befürchtungen bündelte, die durch die Dynamik der politischen, ökonomischen und sozialen Veränderungen Nahrung erhielten. Auch die Literatur wandte sich mehr und mehr der materiellen Realität zu, an der die Romantik so gar kein Interesse hatte, und übernahm so bei der Bildung, Ausformung und Verbreitung des neuen Heimatbildes eine entscheidende Rolle. Vor allem liberale und demokratische Autoren betrachteten die poli­ tischen und ökonomischen Zustände in der Heimat zwar durchaus

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­ ritisch, sahen aber die Verhältnisse als veränderbar und forderten eine k demokratische Neugestaltung der Heimat. Bilder einer anheimelnden Heimat dienten als Modell sozialer Bindung, Stabilität und Gemeinschaft und als Vorbild für den von den demokratischen Kräften ersehnten Natio­nalstaat. Heimat war damit, anders, als der Volkskundler Hermann Bausinger meinte, auch in der Literatur keineswegs bloß ein (fiktionaler) »Kompensationsraum«, eine »ausgeglichene, schöne Spazierwelt« und »Besänftigungslandschaft, in der scheinbar die Spannungen der Wirklichkeit ausgeglichen sind«,1 sondern war Bezugspunkt in einer Zeit der Umbrüche, Erprobungsraum des politischen Gemeinwesens und letzten Endes soziales politisches Ziel. Heimat wird auch in den literarischen Texten als Raum präsentiert, in dem nicht nur die Grundbedürfnisse des Individuums, sondern auch Wünsche nach Bindung, Kontinuität und Anerkennung sowie nach Selbstverwirklichung, Mitsprache und Gestaltungsmacht einen Ort haben. Hatten die Romantiker vor allem die Individualität des außergewöhnlichen Einzelnen betont, der sich in Absetzung von der Heimat definierte, so betrachten die Dorfgeschichten des 19. Jahrhunderts das Individuum als eingebettet in die geografischen, kulturellen und sozialen Strukturen von Heimat. Gerade auch vor dem Hintergrund der großen Auswanderungswellen werden Gestalt und Verfassung der Heimat zum Thema: Die politischen Zustände, vor allem die Überwachung und Bekämpfung liberaler und nationaler Tendenzen nach den Karlsbader Beschlüssen sowie ökonomische Probleme lösten große Migrationswellen aus, in deren Verlauf Millionen Deutsche die Heimat vor allem in Richtung USA verließen. Aus dem ziellosen, von unbestimmter Sehnsucht getriebenen oder von einem Fluch verfolgten Wanderer der Romantik wird der Auswanderer, dem die alte Heimat Wohlstand oder das Recht auf demokratische Mitbestimmung und freie Meinungsäußerung verweigert. Heimat ist damit nicht mehr zwangsläufig Schicksal; sie ist gestaltbar, doch man kann sich auch von ihr abwenden und eine neue Heimat suchen. Damit wird Heimat vermehrt zum Gegenstand der Betrachtung. In der Umbruchzeit bis zur Mitte des Jahrhunderts erhielt die Entwicklung Deutschlands von einer kleinstaatlich, feudal und ständisch organisierten, vorwiegend agrarischen und kleingewerblich-handwerkli-

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chen Gesellschaft hin zu einer technisch, sozial und politisch moderneren industriellen Markt- und Klassengesellschaft einen gewaltigen Schub. Es formierte sich eine bürgerliche, nationale, teils liberale, teils demokratische Bewegung, die einen Nationalstaat anstrebte und einerseits für Bürgerrechte wie Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, andererseits aber auch für die Abschaffung von Zollgrenzen, den Ausbau des Eisenbahnnetzes und Freihandel eintrat. Im Kontext dieser national-liberalen Opposition gegen die Restauration wurde das Konzept Heimat mit den Idealen Vaterland und Freiheit verknüpft. Das war brisant, weil diese politische Heimat erst noch geschaffen werden sollte, was etwa in der berühmten Rede Philipp Jakob Siebenpfeiffers, eines der Initiatoren des Hambacher Festes 1832, zum Ausdruck kommt: »Wir widmen unser Leben der Wissenschaft und der Kunst, wir messen die Sterne, prüfen Mond und Sonne, wir stellen Gott und Mensch, Höll’ und Himmel in poetischen Bildern dar, wir durchwühlen die Körper- und Geisterwelt: aber die Regungen der Vaterlandsliebe sind uns unbekannt, die Erforschung dessen, was dem Vaterlande Noth thut, ist Hochverrath, selbst der leise Wunsch, nur erst wieder ein Vaterland, eine freimenschliche Heimath zu erstreben, ist Verbrechen.«2

Diese politische Dynamik entfaltete sich vor dem Hintergrund diverser tiefgreifender sozialer und ökonomischer Probleme: Auf Missernten wie etwa nach 1816, dem ›Jahr ohne Sommer‹ in Folge des Ausbruchs des indonesischen Vulkans Tambora im April 1815, oder 1846 und 1847, als unter anderem die Kartoffelfäule die Ernten drastisch dezimierte, folgten Teuerungen und Hungersnöte. Die sich beschleunigende Industrialisierung und Technisierung der Produktion brachten zunehmend auch Arbeitslosigkeit und Pauperismus mit sich. Zugleich war dies eine Phase des demografischen Übergangs mit starkem Bevölkerungswachstum: Von 1816 bis 1865 wuchs die Bevölkerung auf dem Territorium des späteren deutschen Kaiserreichs von etwa 23,5 Millionen auf 38 Millionen.3 Soziale Unruhen, Aufstände, Streiks und Maschinenstürmerei, Abwanderung in die Städte und nicht zuletzt die Massenauswanderung in die Neue Welt gehörten zu den Folgen dieser Strukturveränderungen und Umwälzungen, die in den revolutionären Ereignissen der Jahre 1848/49 kulminierten, aber das gesamte 19. Jahrhundert prägten. Auch die Aus-

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wanderungswellen trugen dazu bei, dass die Heimat in den Blick geriet. Auf dem Hambacher Fest sprach Christian Scharpff von einem Deutschland, dem es nicht gelinge, fürsorgliche, bindende Heimat zu sein. In seiner Rede bezeichnete er das Land als »verarmt und entwürdigt« und beklagte das Los der Bauern, die gezwungen waren, ihre Heimat zu verlassen: »der Landmann, durch Steuern, Zehnten, Frohnden, Gilt und Zins für kleine und große Zwingherrn, verarmt und verschuldet, muß Hütte, Acker, Heimath, wo er glücklich seyn könnte, verlassen, will er mit Weib und Kindern nicht Hungers sterben.«4 Schon vor Beginn der beschleunigten Industrialisierung wie auch während ihres Fortschritts waren Bauern und Landarbeiter mindestens ebenso von den ökonomischen und gesellschaftlichen Umbrüchen betroffen wie die städtische Unterschicht. Landwirtschaft wie Landleben veränderten sich drastisch, und zwar keineswegs nur zum Besseren. Anhand der Entwicklung Englands im 19. Jahrhundert, die der deutschen Entwicklung weit voraus war, hat der Wirtschaftshistoriker und Sozialwissenschaftler Karl Polanyi in seinem Buch The Great Transformation schon 1944 auf die Ambivalenz dieses Umbruchprozesses hingewiesen: »Der Wesenskern der Industriellen Revolution […] war die geradezu ans Wunderbare grenzende Verbesserung der Produktionsmittel, begleitet von einer katastrophalen Erschütterung des Lebens des einfachen Volkes«.5 Die Geschichte der technischen, ökonomischen und politischen Reformen und Revolutionen des 19. Jahrhunderts lässt sich eben nicht nur als Erfolgsgeschichte von Modernisierung und Fortschritt lesen, auch wenn gängige Darstellungen der deutschen Geschichte zwischen 1815 und 1848 diesen Aspekt meist hervorheben; die Zerstörungsgeschichte wird meist ausgeblendet. Doch »›Fortschritt‹ an sich bezeichnet ja nur eine Richtung und lässt offen, ob am Ende Segen oder Verhängnis wartet«,6 wie der niederländische Philosoph Johan Huizinga es formulierte. Zumindest ist der Prozess der Modernisierung ambivalent: Rationalisierung und Säkularisierung führen dazu, dass »der Einzelne aus traditionellen Bindungen, Bevormundungen und Absicherungen in Kirche, Dorfgemeinschaft und Großfamilie herausgelöst wird«.7 Für diese Befreiung war allerdings ein Preis zu entrichten, nämlich die Auflösung von Bindung, Entfremdung oder, wie es bei Polanyi heißt, »Entbettung«. Es

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ist also eine Frage der Perspektive, ob eher die destruktiven Folgen oder die Erfolge der Modernisierung in den Blick genommen werden. Eine zugespitzte Formulierung Polanyis betont die zerstörerische Seite: »Die maschinelle Produktion in einer kommerziellen Gesellschaft bedeutet letztlich nichts Geringeres als die Transformation der natürlichen und menschlichen Substanz der Gesellschaft in Waren.« Diese »Verschiebungen müssen zwangsläufig die zwischenmenschlichen Beziehungen zerreißen und den natürlichen Lebensraum des Menschen mit Vernichtung bedrohen«.8 Die potenziell zerstörerischen Kräfte der ökonomischen Modernisierung spürte man sicherlich auch während der Frühindustrialisierung in Deutschland; die Proteste und Barrikadenkämpfe im Vorfeld der revolutionären Ereignisse 1848/49 waren nicht immer allein von revolutionärem Erneuerungswillen geprägt, auch Verlustängste spielten eine nicht unerhebliche Rolle. Deutlich wird das etwa bei dem Aufstand der schlesischen Weber 1844, die ihre Webstühle in Heimarbeit betrieben und die sich durch die Verlagerung der Produktion auf Fabriken mit mechanischen Webstühlen existentiell bedroht sahen, oder bei dem Maschinensturm auf Messerfabriken bei Solingen im März 1848: »Wo Hoffnungen aufkamen, Veränderungen und ›Fortschritt‹ zu bewirken, löste der tatsächliche Wandel elementare Bedrohungsängste aus. Das ließ sich in allen gesellschaftlichen Bereichen beobachten. […] Die kleinen Handwerker, Gesellen, Lehrlinge, ›Arbeiter‹ sah man auf den Barrikaden; viele waren nachhaltig erfüllt vom Schreckbild sozialen Abstiegs, doch was aussah wie ein Kampf für neue Rechte, ging oft gegen die […] ›Modernisierung‹«.9

Auch das berühmt-berüchtigte, 1848 von Karl Marx und Friedrich Engels publizierte Manifest der Kommunistischen Partei hob den zerstörerischen Aspekt der technischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Modernisierung in drastischen Worten hervor. In politisch motivierter Zuspitzung behaupteten Marx und Engels allerdings, der revolutionäre Zerstörungsprozess sei bereits vollendet: »Die Bourgeoisie […] hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerris-

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Vormärz und der Beginn der ›Großen Transformation‹ sen und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose ›bare Zahlung‹. Sie hat die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt. Sie hat die persönliche Würde in den Tauschwert aufgelöst und an die Stelle der zahllosen verbrieften und wohlerworbenen Freiheiten die eine gewissenlose Handelsfreiheit gesetzt. Sie hat, mit einem Wort, an die Stelle der mit religiösen und politischen Illusionen verhüllten Ausbeutung die offene, unverschämte, direkte, dürre Ausbeutung gesetzt. […] Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen.«

Aus marxistischer Perspektive erschien die Zerstörung der patriarchalen, feudalen Idylle lediglich als ein Kenntlichmachen der zuvor verhüllten Ausbeutung. Die Bindungen der Feudalgesellschaft und die hier als Illusion und Ideologie vorgestellten Emotionen trugen aber auch dazu bei, das Leben erträglich zu machen und das Elend abzufedern. In der Logik von Marx und Engels musste es als Schritt hin zu den erwünschten Veränderungen gelten, wenn die Menschen ihre Beziehungen, die im Zeit­ alter der Bourgeoisie, so das Manifest, bis tief in die Familienbeziehungen hinein »auf ein reines Geldverhältnis zurückgeführt«10 worden sind, endlich nüchtern betrachten, denn wenn die Verhältnisse einmal als unerträglich wahrgenommen würden, könnte dies ja nur auf einen Umsturz dieser Verhältnisse hinauslaufen. Doch so einfach lagen die Dinge bekanntlich nicht: Die tatsächliche oder auch nur befürchtete Zerstörung von Traditionen und Zusammenhängen kann sogar bei den Unterdrückten auch den Wunsch hervorbringen, Verlorengegangenes zu restaurieren, von Zerstörung Bedrohtes zu bewahren, an gefährdeten Traditionen festzuhalten. Agrarhistoriker haben zum Beispiel darauf hingewiesen, dass nicht alle Bauern das Ende der Leibeigenschaft und die neue Freiheit ausschließlich positiv erlebten, auch weil aufgrund mangelhafter Vorbereitung vielerorts Orientierungsverlust und wirtschaftliche Not die Folge waren. Der Zwiespalt zwischen dem Glauben an die kommunistische Verheißung einer von politischem, ökonomischem und gesellschaftlichem Fortschritt geprägten Zukunft und der Verbundenheit mit der noch von Feu-

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dalismus und patriarchalischer Ordnung geprägten Kunstperiode zeigte sich sogar bei Heinrich Heine, der offen mit dem Kommunismus sympathisierte. Heine sah die alte, von Ausbeutung bestimmte Gesellschaftsordnung zu Recht dem Untergang geweiht und begrüßte die kommunistischen Ideen des Kosmopolitismus und des Weltbürgertums. Dennoch dachte er mit Schrecken an »die Zeit, wo jene dunklen Ikonoklasten zur Herrschaft gelangen werden: mit ihren rohen Fäusten zerschlagen sie alsdann alle Marmorbilder meiner geliebten Kunstwelt, sie zertrümmern alle jene phantastischen Schnurrpfeifereien, die dem Poeten so lieb waren; sie hacken mir meine Lorbeerwälder um, und pflanzen darauf Kartoffeln […]. Ach! das sehe ich alles voraus, und eine unsägliche Betrübnis ergreift mich, wenn ich an den Untergang denke, womit meine Gedichte und die ganze alte Weltordnung von dem Kommunismus bedroht ist«.11

Heine sieht die kosmopolitischen Kommunisten einerseits als neue Romantiker, andererseits aber auch als bloß auf Materielles und Nützliches bedachte Philister, Zerstörer von Schönheit und Poesie. In seiner Einschätzung, dass gesellschaftliche Umbrüche an der Zeit seien, stand Heine nicht allein: Zahlreiche Intellektuelle und Schriftsteller entdeckten nun die Politik und entwickelten ein Interesse an der materiellen Wirklichkeit. Diese Autoren wandten sich explizit von der Romantik ab, setzten sich für bürgerliche Freiheiten wie die Aufhebung der Zensur ein und befassten sich mit der sozialen Frage. In der Regel denken wir bei der Literatur dieser Zeit an einen literarischen Miserabilismus, der das Elend verarmter Handwerker oder die Ausbeutung städtischer Arbeiter schildert. Unsere Vorstellung von Politik und Literatur der Zeit ist vor allem durch den Blick auf jene gesellschaftlichen Kräfte geprägt, die am industriellen Wandel direkt mitwirkten und von ihm unmittelbar betroffen waren, das Bürgertum und das Proletariat, in der Terminologie des konservativen Kulturhistorikers Wilhelm Heinrich Riehl die »Mächte der Bewegung«, denen Bauern und aristokratische Grundbesitzer als »Mächte des Beharrens«12 gegenüberstanden. Damit griff Riehl auf einen konservativen Topos zurück: Die dauerhafte Beziehung zum Land galt schon in der Gesellschafts- und Raumtheorie des Staatstheoretikers Adam Müller, einem Hauptvertreter der Politischen Romantik, als

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Basis und Garantie für gesellschaftliche Stabilität und Kontinuität. Müller zufolge entwickelte sich nur durch »langen Umgang desselben Besitzers, derselben Familie, desselben Landesherrn mit demselben Boden« »durch ganze Jahrhunderte, durch den aufgehäuften, edlen Fleiß mehrerer Geschlechter [...] eine Liebe, eine Treue, ein Glaube an das Gemeinwesen.«13 Vor diesem Hintergrund stellten Dorfgemeinschaft und Landleben nicht mehr nur, wie seit Vergils Georgica und Bucolica, einen literarischen Gegenraum zum städtischen Leben per se dar, sondern erfüllten eine ganz bestimmte Funktion in der gesellschaftlichen und politischen Diskussion über Veränderung, Entwicklung und Dynamik einerseits, Dauerhaftigkeit, Stabilität und Identität andererseits. Dies ist der Hintergrund für die Entstehung der keineswegs nur in Deutschland populären Literaturgattung der Dorfgeschichte, gewissermaßen die Urform der Heimatliteratur. Da auch die bäuerliche und dörfliche Lebenswelt von dramatischen Umwälzungen betroffen war, konnten sich auch die »Mächte des Beharrens« der Großen Transformation nicht widersetzen. So ging die Zahl der Bauern und Landarbeiter im Lauf des 19. Jahrhunderts dramatisch zurück: Noch um 1800 arbeiteten 75 Prozent der deutschen Bevölkerung auf dem Land und in der Landwirtschaft, 1883 waren es nur noch 42 Prozent.14 Landflucht und Abwanderung aus ländlichen Gebieten, darüber hinaus aber auch politische, administrative sowie im engeren Sinne landwirtschaftliche Reformen bewirkten eine regelrechte Umwälzung der Verhältnisse in der Landwirtschaft und auf dem Land.15 Als einer der wichtigsten Begründer der Dorfgeschichte und damit letztlich der europäischen Heimatliteratur gilt der jüdische Autor Bert­ hold Auerbach, der heute, zumindest außerhalb der germanistischen Literatur­wissenschaft und jenseits des Schwarzwaldes, weitgehend in Vergessenheit geraten ist, nicht zuletzt deshalb, weil die Bemühungen der Nationalsozialisten, seinen Namen aus dem literarischen Kanon und aus dem kulturellen Gedächtnis zu tilgen, äußerst erfolgreich waren. Zu  seiner Lebenszeit galt er jedoch als »der international berühmteste deutsche Schriftsteller des 19. Jahrhunderts«.16 Seine Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, unter anderem ins Russische und Chinesische. In der Vorrede, die Ivan Turgenev der russischen Übersetzung

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von Auerbachs Roman Das Landhaus am Rhein voranstellte, klingt dieser Ruhm an: »Unvergeßlich bleibt der Eindruck, welchen das Erscheinen der ›Schwarzwälder Dorfgeschichten‹ in der ersten Hälfte der vierziger Jahre in Deutschland hervorrief. Die Hinneigung der gesamten Europäischen Literatur zum Volksleben ist um dieselbe Zeit unverkennbar […] – doch die Ehre der Initiative, des ersten Anfangs bleibt bei Auer­ bach.«17 Unstrittig ist, dass das Medium Literatur im 19. Jahrhundert eine zentrale Rolle für den Entwurf von Konzepten regional verstandener Heimat spielte, bei denen es um Identität und die »Betonung des Eigenen« ging.18 Äußerst umstritten hingegen ist die Rolle der von Auerbach entscheidend geprägten Gattung der Dorfgeschichten bei der Entwicklung und Verbreitung von Heimat als Modell. War Auerbach nun ein »trivialer Heimatdichter, der idyllisch-verklärende, sentimentalische und moralisierende Unterhaltung«19 bot? Lassen sich seine Dorfgeschichten als Beispiel der emanzipatorischen, demokratischen Tendenzen der Literatur des Vormärz lesen, als Texte, die das »Volk als handelndes Subjekt« zeigen und »die liberalen Ideen demokratischer Selbstverwaltung« realistisch darstellen?20 Oder war hier lediglich ein »Pseudorealismus« am Werk, eine »trivialisierte Romantik«?21 Zählen Auerbachs Dorfgeschichten überhaupt zur Heimatdichtung oder wurden sie lediglich »in späterer Zeit als solche gelesen«?22 Immerhin wird hier und da eingeräumt, dass Auerbach das Phänomen, das »in der deutschen Literatur seit dem 19. Jahrhundert ›Heimat‹ heißt«, entscheidend mitgestaltet, wenn nicht sogar »geschaffen« hat.23 Es ist einerseits sehr sonderbar, andererseits aber ganz und gar konsequent, dass Auerbachs Beitrag zur Heimatdebatte in der Regel so gut wie gar nicht berücksichtigt wird, fügen sich doch weder Auerbachs Person noch seine Darstellung von Heimat in die üblichen Formeln. Auerbach unterstützte die liberalen Ideen der Badischen Revolution und trat, wie die meisten der bürgerlichen 1848er, für die Gründung eines deutschen Nationalstaats ein, der zunächst ein demokratisches, also ein aus heutiger Sicht ›progressives‹ Projekt war. Er war Jude, identifizierte sich jedoch auch mit der deutsch-christlichen Mehrheitskultur oder strebte zumindest danach, zu ihr zu gehören, was auch in seiner Namensänderung zum

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Ausdruck kam: Als er 28 Jahre alt war, wurde aus Moses Baruch Auerbacher Berthold Auerbach. Er fühlte sich seiner Heimat, dem Dorf Nordstetten, verbunden und besuchte es regelmäßig, führte aber ein unstetes, städtisches Leben und lebte nicht auf dem Land und schon gar nicht in seiner Heimat. Die Dorfgeschichten selbst lassen sich als Projekt der Beheimatung ihres Autors lesen, und ihr Erfolg bescheinigte gewissermaßen Auerbachs »›Heimfinden‹ in das Deutschtum«,24 in denen zum Ausdruck kam, dass es ihm, einem Juden, gelungen sei, »etwas aus dem Innersten des deutschen Volksgeistes zu offenbaren.«25 Auerbach selbst weist darauf hin, dass Heimat zwar zur Nation gehört, allerdings nicht mit ihr identisch ist, wenn er in der Vorrede zu den Dorfgeschichten den Vergleich zieht zwischen dem Rhein, der das Wasser des Neckars aufnimmt, und dem größeren Vaterland, in das die Dorfgeschichten einfließen. Es geht also um eine doppelte Integration: die Integration des jüdischen Autors in die deutsche Kultur und die Integration der regionalen Heimat in die erst noch zu gründende Nation. Zu den Elementen des Heimatbildes, die in den Schwarzwälder Dorfgeschichten schon vorgebildet sind, gehören auch Regionalismus und Provinzialismus, der von Historikern entweder als spezifische Ausprägung des deutschen Nationalismus oder aber als Zeichen deutscher Rückständigkeit im Vergleich zu schon länger zentralistisch regierten Nationalstaaten gewertet wird. Die Texte zeigen allerdings keine provinzielle Idylle, sondern erzählen realistische Geschichten, in denen es um Alltag, Arbeit, Konflikte, tragisches Scheitern, politische Kämpfe, soziale Hierarchien, Ausgrenzung und Anpassung geht, und richten damit ihre Aufmerksamkeit auf eben jene Aspekte der Wirklichkeit, für die in der Literatur der Romantik kein Interesse vorhanden war: Zentrale Akteure sind hier die Handwerker, Bauern und Gastwirte aus dem Volk. Darüber hinaus aber wird die dörfliche Lebensweise als funktionstüchtige und in Teilen modellhafte soziale Struktur präsentiert, die zwar ebenfalls in Veränderung begriffen ist, deren Entwicklungen sich jedoch weniger abrupt vollziehen. In dem Mikrokosmos Dorf leben Christen und Juden, Bürger und Bauern, Besitzende und Arme zwar nicht in durchweg harmonischer Eintracht, aber in einer Gemeinschaft, die sich weitgehend erfolgreich um die Lösung von Konflikten bemüht.

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Der realistische Anspruch wurde durch die Verbindung von Autor und Sujet untermauert: Auerbach schilderte sein eigenes Heimatdorf Nordstetten. Die Vertrautheit des Autors mit der Geschichte, den Bewohnern, der Topografie und den sprachlichen Eigenheiten des Ortes bürgte für die Authentizität der geschilderten Verhältnisse und die emotionale Anteilnahme des Erzählers, der in seiner Vorrede betont, er habe »versucht, ein ganzes Dorf gewissermaßen vom ersten bis zum letzten Hause zu schildern«26 (S. 5). Verweise auf historische Fakten oder topografische Angaben mit konkreten Ortsnamen betonen den Realitätsbezug der Erzählungen. Die gleichsam geerdeten Schilderungen aus einer Perspektive ›von unten‹ rücken Natur und Landschaft aus der romantischen Ferne in greifbare Nähe: Auerbach zeigt die Verbundenheit der auf dem Land arbeitenden Bauern oder Knechte mit ihrer natürlichen Lebenswelt, wenn sie beim Betrachten ihrer Äcker Abschiedsschmerz fühlen oder voller Zuneigung an ihre Nutztiere denken, denen gar selbst die Fähigkeit zugeschrieben wird, Heimweh empfinden zu können. Gewiss wird man diesem Blick auf das bäuerliche Naturerleben eine gewisse Sentimentalität nicht absprechen können: Auerbach schreibt nun einmal nicht aus der Perspektive des Bauern, sondern als gebildeter Städter. In der deutschen Literaturgeschichte gibt es kein Äquivalent für eine Figur wie den englischen Dichter John Clare, dessen Natur- und Landdichtung auf seinen Erfahrungen als Landarbeiter basierte. Dennoch wird man Auerbach zugutehalten müssen, dass er der bäuerlichen Arbeit viel Aufmerksamkeit widmet. So beschreibt er zum Beispiel detailliert, wie den Kühen das Joch aufgelegt wird. In den Naturbeschreibungen bleibt es nicht, wie bei den Romantikern, allgemein bei Vögeln, Bäumen und Blumen: Hier gibt es Lerchen, Grasmücken, Wachteln, Dinkel, Klee und Nussbäume, die zudem nicht primär oder gar ausschließlich Gegenstand ästhetischen Wohlgefallens sind, sondern Elemente des täglichen Umgangs oder Gebrauchs sowie vertraute Bestandteile der dörflichen Lebenswelt und als solche emotional besetzt. Diese Heimat ist kein idealisierter, ferner, unerreichbarer Raum, sondern ein konkreter, naher Ort. Das nur scheinbare Paradoxon aber, dass Heimat besonders dann in den Blick gerät, wenn das Individuum aus ihr heraustreten und sie von außen betrachten kann, ist auch bei Auerbachs Dorfgeschichten wirksam.

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Dieses Paradoxon spielt für den biografischen Kontext der Dorfgeschichten ebenso eine Rolle wie für die Handlung der Geschichten: Auerbach schrieb über seine dörfliche Heimat erst aus räumlicher und zeitlicher Distanz. Er lebte schon seit vielen Jahren nicht mehr in Nordstetten, als er um 1840 mit der Niederschrift seiner Dorfgeschichten begann. Auch in den Geschichten spielt Heimat vor allem dann eine Rolle, wenn es um Abschied, Aufbruch, Heimweh oder Heimkehr geht. Doch ist die romantische Figur der ziellosen Reise durch motivierte Mobilität ersetzt worden: Mobil ist etwa der junge Mann, der zum Militär geht, der Knabe, der auf eine Schule in die Stadt geschickt wird, der Lehrer, der ins Dorf kommt, oder die junge Frau, die heiratet, in die Stadt zieht und schließlich in ihr Heimatdorf zurückkehrt. Die ausgeprägteste Verkörperung der Mobilität aber stellt der Amerika-Auswanderer dar. Es liegt ja nahe: Kaum je wird die Heimat so sehr zum Thema als in dem Moment, in dem sich die Frage stellt, ob man sie dauerhaft verlassen und in ein unbekanntes Land aufbrechen soll, wenn man tatsächlich weit entfernt von der Heimat lebt und die alte mit der neuen Heimat vergleicht oder wenn man heimkehrt. Und wenn Auswanderung zum Massenphänomen wird, dann beschäftigt dieser neue Blick auf die Heimat nicht nur den Auswanderer, sondern auch die Gemeinschaft, die er verlässt; auch dies wird bei Auerbach ausgiebig thematisiert. Zwar hatte es schon vorher Auswanderungswellen gegeben, doch zum Massenphänomen wurde die Auswanderung aus Deutschland nach Amerika erst im Lauf des 19. Jahrhunderts, als mehr Menschen aus Deutschland auswanderten als aus jedem anderen Land des Kontinents: Zwischen 1841 und 1910 verließen etwa fünf Millionen Deutsche das Land. Die Emigration »erreichte einen Höhepunkt in den Jahren 1853– 1855«.27 Seit 1830 gingen 90 Prozent dieser Emigranten in die USA. Der Südwesten Deutschlands war immer wieder besonders stark von Auswanderung betroffen; allein aus Auerbachs Geburtsort Nordstetten, in dem 1839 gerade einmal 1188 Menschen lebten, zogen im Lauf des 19. Jahrhunderts mindestens 290 Auswanderer gen Nordamerika.28 Bauern und Handwerker wanderten besonders aufgrund des ökonomischen Drucks aus, während Bürgerliche eher aus politischen Gründen das Land verließen. Die Auswanderung wurde vor allem um die Mitte des Jahr-

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hunderts politisch sogar gefördert, da der »Abzug von gesellschaftlichen Außenseitern, Unzufriedenen, Nichtkonformisten« und die »Abschiebung von Mittel­losen, die den Armenkassen zur Last fielen, von Sträflingen, von Opponenten des herrschenden politischen Systems« einen »Beitrag zur Stabilisierung der gegebenen Gesellschaftsordnung« verhießen und eine »Ventilfunktion« erfüllten.29 Für manche der ökonomisch oder politisch motivierten Auswanderer wiederum konnte die »Auswanderung als Revolutionsersatz«30 dienen. In jedem Fall wurde das Thema Auswanderung intensiv diskutiert und war außerordentlich präsent, auch deshalb, weil viele Zurückgebliebene, zumal in kleineren Dorfgemeinschaften, aus denen zum Teil ganze Familien aufbrachen, persönlich mit Auswanderern bekannt waren, die in Briefen von ihrem Leben in Amerika berichteten. Der deutsche Blick auf Amerika war schon seit Goethes Wilhelm Meister äußerst ambivalent: Einerseits galt das »traditionslose und zukunftsorientierte« Amerika als Raum der Freiheit, als Gegenentwurf zu einem »in Traditionen erstarrte[n] alte[n] Kontinent, der der Persönlichkeit keinen Raum zur Entfaltung bietet«. Andererseits, obwohl die politischen und technischen Entwicklungen in Amerika im Vergleich zu Europa weiter fortgeschritten waren, erschien das Land aufgrund seiner schieren Größe und geringen Bevölkerungsdichte als Raum, der Zuflucht vor der als bedrohlich wahrgenommenen Modernisierung in Europa bot. Ein Abwägen zwischen dem, was aufgegeben wird und dem Erhofften sowie den Anziehungsfaktoren des Auswanderungslandes und den Abstoßungsfaktoren der Heimat spielt immer eine Rolle in der Diskussion um Auswanderung: »Die Unzufriedenheit mit den – objektiven oder nur subjektiv als solchen empfundenen – unbefriedigenden Zuständen im Heimatraum wirkt als treibendes Moment; die Attraktivität eines fremden Raumes wirkt dagegen anziehend, wenn die […] Hoffnungen auf ihn einen Ersatz versprechen für den Verlust des Vertrauten«.31 Auch der Blick auf die Heimat veränderte sich in der Perspektive des Ausgewanderten und im Vergleich mit der nunmehr bekannten Neuen Welt. So kommt es, dass nicht nur die Faszination durch Amerika in Abenteuerund Auswandererromanen, Gedichten, Reiseberichten und Ratgebern für Auswanderer ihren Niederschlag findet, sondern dass auch die Hei-

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mat in neuer Perspektive erscheint, wie etwa in dem populären »Abschiedslied für Auswanderer nach Amerika« Samuel Friedrich Sauters, das zwar von Optimismus und Hoffnung geprägt ist, aber nicht auskommt, ohne die »Heimat«, die das Herz »fesselt«, zu erwähnen.32 Das Motiv von Amerika als Land der politischen Freiheit spielt vor allem in Auswanderer-Gedichten eine Rolle, in denen die Auswanderung politisch motiviert ist, etwa in den Texas-Gedichten Hoffmann von Fallerslebens oder in Gedichten des österreichischen Spätromantikers Nikolaus Lenau, der, angeregt durch literarische Beschreibungen, nach Amerika ging, um dort Farmer zu werden, allerdings schon nach wenigen Monaten enttäuscht nach Europa zurückkehrte. In seinem »Abschied. Lied eines Auswandernden« (1832) ruft er dem Vaterland verächtlich zu: »Sei mir zum letztenmal gegrüßt,/Mein Vaterland, das feige, dumm/Die Ferse dem Despoten küßt« und bejubelt den ersehnten Kontinent: »Du neue Welt, du freie Welt/An deren blütenreichem Strand/Die Flut der Tyrannei zerschellt«. In dem Gedicht »Maskenball« (1832) verabschiedet er sich vom Vaterland immerhin mit den Worten »Süße Heimat, fahre hin!«, sieht jedoch der amerikanischen Wildnis und dem Urwald voller Vorfreude entgegen. In dem Gedicht »Das Blockhaus« (1832) schließlich erweist sich dieser zuerst ersehnte Urwald als extrem unwirtlich (»Winter war’s, ich starrte vom Urwaldfroste«), die Gastfreundschaft seines Gastgebers sowie dessen »Talergelispel«, also sein Reden über Geld, als »dürr und mager«: Amerika, so die Bilanz, bietet zwar Freiheit, aber keine Wärme, keine Heimat. Hier, wo in der Tat nichts »Stehendes und Ständisches« zu finden ist, scheint auch kein Raum für Heimatgefühle zu existieren. Um sich dieser geballten Unwirtlichkeit zu erwehren, zieht das lyrische Ich »ferne der Heimat, tief im fremden Wald« eine Flasche »vom Rhein« aus der Tasche, die er anscheinend für solche Fälle bei sich trägt, und liest ein Gedicht von Ludwig Uhland,33 das ihn freilich wiederum voller Zorn an den Mangel an Freiheit in der Heimat denken lässt. Das Gedicht präsentiert Rheinwein und die Gedichte eines spätromantischen Autors als Objekte materieller Nostalgie und prägt damit ein Motiv, das im Lauf des Jahrhunderts zum Klischee gerinnen wird. Gleich die erste von Auerbachs Dorfgeschichten, Der Tolpatsch, erzählt vom Schicksal des Amerika-Auswanderers Aloys; der Zusammenhang

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von Heimat und Auswanderung ist mithin gleich von Beginn an als Grundton präsent. Diese Geschichte wird durch den Zyklus hindurch weiter verfolgt und in Der Tolpatsch aus Amerika, einer der drei 1876 veröffentlichten Neuen Dorfgeschichten, die ausgewählte Geschichten weitererzählen, zu seinem Ende gebracht. Der Tolpatsch erzählt davon, wie der junge Aloys, der wegen seiner Unbeholfenheit von den Dorfbewohnern verspottet wird, aufgrund einer unglücklichen Liebe gleich zweimal die Heimat verlässt: Zuerst geht er zum Militär und schließlich nach Amerika. Es ist sicherlich kein bloßer Zufall, dass der erste Blick auf das Nordstetten der Dorfgeschichten der eines Außenseiters ist, aus dessen Perspektive Heimat als nicht ohne weiteres verfügbares Objekt der Liebe und des Begehrens erscheint; die Literaturwissenschaft hat Aloys entsprechend als literarische Repräsentation der jüdischen Außenseiterposition Auerbachs interpretiert. Trotz seiner Marginalisierung ist Aloys aber innig mit dem Ort verbunden, was zum Ausdruck kommt, als er das Dorf verlässt, um zum Militär zu gehen. Diese Abschiedsszene zeigt die geradezu körperliche Bindung an das Land: »Als man aber das Dorf verlassen hatte, wurde der Aloys plötzlich mäus­ chenstille. Er schaute mit nassen Augen überall umher; hier neben auf der Heide, ›Hochbux‹ genannt, hatte das Marannele das Tuch gebleicht, von dem er das Hemd anhatte; es war ihm, als ob alle Fäden brannten, so heiß war es ihm. Er sagte allen Bäumen an der Straße und allen Feldern weh­ mütig Ade. Drüben im Schießmauernfeld, dort liegt sein bester Acker; er hat ihn so oft ›umgezackert‹, daß er jedes Steinchen kennt. Dort neben hat er noch vorigen Sommer mit dem Marannele Gerste geschnitten, weiter unten im ›Hennebühl‹ liegt sein Kleeacker, er hat ihn gesäet, er sollte ihn nicht wachsen sehen« (S. 14).

Menschen, Alltagsgegenstände, Sprache, Land und körperliche Arbeit gehören nahezu untrennbar zusammen; Arbeit und Beziehungen haben sich in Sprache und Land eingeschrieben. Aus Dauer und Intensität der Arbeit ergibt sich tiefe und genaue Ortskenntnis, die durch ortsspezifische Namen und Wörter unterstrichen wird, wie auch emotionale Bindung. Eben deshalb kann Aloys sich erst dann zur Auswanderung durchringen, als seine Hoffnung auf die eheliche Bindung an Marannele endgültig zunichte gemacht worden ist. Ganz anders als beim Wanderer

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der Winterreise, der seine Entscheidung gegen Liebe und Ehe einsam trifft und sich bei Nacht und Nebel aus dem Staub macht, ist die Entscheidung des Aloys zur Auswanderung eingebettet in ein dichtes Gewebe sozialer Bindungen. Sogar die Auswanderung ist nicht die Handlung eines Einzelnen: Aloys geht gemeinsam mit einer Großfamilie aus dem Dorf nach Amerika, nimmt seine sozialen Bindungen also gleichsam mit, wie es auch in der Realität oft der Fall war. In einem Brief des Auswanderers, der die Geschichte beschließt und zahlreiche Motive aufnimmt, die man auch in authentischen Auswandererbriefen findet, erscheint Amerika als Ort der Freiheit und als Land des materiellen Reichtums: Aloys berichtet voller Stolz von seinem hart erarbeiteten Wohlstand und von der Freiheit der amerikanischen Bürger, erwähnt aber auch seine Verbundenheit mit der Heimat. Die Bindung wirkt über die räumliche Trennung hinaus. In der historisch dokumentierten Realität der deutschen Auswanderung nach Amerika führte dies dazu, dass sich die Deutschen – auch wenn sie aus unterschiedlichen Regionen stammten – zusammentaten, um deutsche Bräuche und Traditionen zu pflegen, und ähnlich wie die Iren Parallelgesellschaften bildeten, deren Existenz in den USA durchaus als Problem wahrgenommen wurde. Auch die wohl in Teilen autobiografisch gefärbte Erzählung Ivo der Hajrle kreist um den Zusammenhang von Heimatverbundenheit, Abschied, Heimweh und Heimkehr. Der Junge Ivo ist gewissermaßen das Gegenmodell zu Eichendorffs Taugenichts: Er verlässt das Dorf, um zum Priester ausgebildet zu werden, bricht die Ausbildung aber ab und kehrt in die Heimat zurück, um seine Jugendliebe zu heiraten und sich im Nachbarort als Müller niederzulassen. Betont werden wiederum die vielfältigen emotionalen Bindungen an die Heimat, an die Dorfgemeinschaft mit ihren Bräuchen, an die Familie, zu der auch der Knecht gehört, an die Nachbarstochter, aber auch an die Tiere auf dem elterlichen Hof und an Feld und Wald. Verbunden werden all diese Elemente in dem Wort ›Heimat‹ erst aus der Ferne und bei der ersten Heimkehr: »O Heimath! Du heiliger, trauter Ort! Da […] ist der Boden, da sind die Wurzeln des Daseins, zauberischer Atem haucht ringsum, durch die Gassen hin zieht die entschwundene Kindheit, und Augen, längst geschlossen, schauen freundlich zu dir nieder. Sei gesegnet, sei gesegnet, du stille Heimath!«

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(S. 113) Der Kontext des ländlichen und bäuerlichen Lebens führt die Meta­pher von den ›Wurzeln des Daseins‹ auf ihren konkreten Ursprung zurück. Der Ort selbst ist materieller Träger von Kindheitserinnerungen, darüber hinaus aber Zeugnis von Kontinuität und Tradition, indem in ihm auch das Gedächtnis an Generationen längst verstorbener Vorfahren aufgehoben ist. Aus dieser Kontinuität entsteht Bindung, auch wenn Heimat und Familie keineswegs ideal sind: Nachdem Ivo bei einem Heimataufenthalt während der Ferien feststellen muss, dass sein Elternhaus nicht so vollkommen ist, wie er es sich ausgemalt hatte, kommt er zu dem Schluss, »daß fast kein Mensch auf Erden, für sich allein betrachtet, ganz glücklich ist, daß also eine Gemeinschaft des Lebens, in der Ehe, in der Familie, auch manches Unvollkommene und Unglückliche haben muß« (S. 128). Ein in die Erzählung eingeschobener Brief des Auswanderers Aloys unterstreicht diese vielfachen materiellen und immateriellen Verbindungen: Da berichtet er, dass er den von ihm gegründeten Ort nach seinem Heimatdorf Nordstetten genannt hat und dass er gleichsam eine Wiedererschaffung dieses Heimatdorfs plant, wozu auch ein Kirchenbau gehört, »grad wie die daheim« (S. 117). Auch dieses Detail spiegelt die historische Realität wider, in der deutsche Auswanderer die von ihnen gegründeten Orte Neu-Melle, Neu-Ulm oder Neu-Luckenbach nannten. Doch erzählt Aloys ebenfalls enthusiastisch von der amerikanischen Demokratie und Toleranz, schildert die Volksversammlungen, bei denen alle Rederecht haben, schwärmt davon, dass er die Früchte seiner Arbeit genießen kann, ohne vom Steuereintreiber behelligt zu werden, und lobt die Überwindung religiöser Trennlinien in der Neuen Welt. Schließlich zeigt der Brief auch den gesellschaftlichen Aufstieg des vormaligen Außenseiters: Aus dem in seinem Heimatdorf als Tolpatsch verspotteten Aloys ist ein geachteter Mann geworden. Doch ändern alle persönlichen Erfolge und alle Begeisterung für die materiellen und demokratischen Fortschritte Amerikas nichts daran, dass er unter Heimweh leidet. Als Mittel dagegen bittet er am Ende des Briefes, man möge ihm »alle Nordstetter Lieder vom alten Schullehrer aufschreiben« lassen, denn wenn er »so in der weiten Welt draußen« »allein für sich« (S. 120) singt, fehlt ihm nicht nur die Gemeinschaft, es fehlen ihm auch die Worte. Die

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Romantiker wollten mit ihren Sammlungen von Volkspoesie dem Volk seine verloren gegangene Poesie zurückgeben; bei Auerbach haben sich Gemeinschaft und Tradition in das Volkslied eingeschrieben, dem damit keineswegs nur eine ästhetische Funktion zukommt. Die Volkslieder sind zugleich Ausdruck von gewachsener Bindung und Medium zu ­deren Festigung. Diese Vorstellung ist noch 100 Jahre später bei den Flüchtlingen und Heimatvertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg ­präsent. Es scheint, als stelle dieses Amerika eine Synthese aus alter Heimat und Neuer Welt dar, aus amerikanischer Freiheit, Demokratie und materiellem Vorteil sowie deutscher Heimat samt aller Bindungen. Politisch gesehen lässt sich dieser ambivalente Blick auf Fremde und Heimat auch als Aufforderung an die nicht Ausgewanderten begreifen, die Heimat zu verbessern und um die in dem Bild von Amerika vorgezeichneten Komponenten ›Freiheit‹, ›Wohlstand‹, ›Toleranz‹ und ›soziale Mobilität‹ zu ergänzen. Dieses moderate und zugleich widersprüchliche Fortschrittsnarrativ, in dem das Beharren auf Heimat, Bindung und dynamische Bewegung verknüpft werden, durchzieht die Dorfgeschichten insgesamt. Zwar bleibt in der Erinnerung des Auswanderers das Bild der Heimat unverändert erhalten, doch zeigen die Dorfgeschichten keine statische Vorstellung von Heimat, sondern thematisieren durchaus ökonomische, technische und soziale Veränderungen und Entwicklungen. So kommt etwa ein Landvermesser ins Dorf, die Bauerntrachten verschwinden allmählich, weil auch die Bauern sich zunehmend städtisch kleiden; technische Fortschritte wie eine Sämaschine werden trotz bäuerlicher Skepsis eingeführt, und ein Lehrer aus der Stadt bringt literarische Bildung und die bürgerliche Institution des Vereins ins Dorf. Die Erzählung Der Lauterbacher schildert die allmähliche Akkulturation eines jungen Lehrers, der mit »hochfliegenden Gedanken« (S. 228) im Dorf ankommt, sich in eine raue Wirklichkeit versetzt sieht und im Lauf der Erzählung in der Rolle eines Volksaufklärers die Bauern durch Bildung zu formen sucht. Bedingung dafür sind freilich sein eigener Bildungsprozess sowie die Einsicht, dass Entwicklungen auf dem Land langsamer verlaufen als in der städtischen Welt, dass die Bauern aber gerade deshalb als ›Macht des Beharrens‹ eine wichtige Rolle zu spielen haben:

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Heimat als Modell »Die stetige und fast unbewegliche Macht des Volkstums, des Volksgeistes [...] bildet den Schwerpunkt des Erdenlebens [...] die vis inertiae im Leben der Menschheit. Welchen unglückseligen Schwankungen wäre die Menschheit hingegeben, wenn alsbald jede sittliche, religiöse und wirtschaftliche Bewegung die der Gesamtheit würde! Erst was die Schwankung verloren, erst was Stetigkeit, ich will sagen, was ruhige Bewegung geworden, kann hier einmünden« (S. 234).

Indem das ländliche Leben sich der beschleunigten Dynamik der Moderne zumindest begrenzt entzieht, soll ihm die Rolle zuwachsen, Fortschritt und Entwicklung zu zügeln. In Auerbachs Idealbild einer sanften, gehemmten Art des Fortschreitens zeigt sich eine gewisse Nähe zu den Gedanken, die Wilhelm Heinrich Riehl in seiner vierbändigen Studie Die Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Social-Politik (1851–1869) entwickelte. Auch Riehl meinte, der Fortschritt könne und müsse durch das Gewicht der Vergangenheit »kanalisiert, gerichtet und gebändigt werden«,34 und unternahm in seinem kulturhistorischen Projekt den Versuch, zwischen einem liberalen Fortschrittsnarrativ und der Bewahrung überkommener gesellschaftlicher Errungenschaften zu vermitteln: »Der große Gegensatz von Mächten des socialen Beharrens und der socialen Bewegung stellt sich zugleich dar als ein Gegensatz von Land und Stadt: dort die großen und kleinen Gutsbesitzer, hier die wohlhabenden und die verhungernden Leute des bürgerlichen Erwerbes. Der Bauer und der Adel bürgt uns dafür, daß das Gute des früheren Ständewesens nicht ganz verloren gehe, der Bürger und der Proletarier, daß das Erstarrte und Abgestorbene daran nicht künstlich wieder ins Leben zurückgeführt werde.«35 Wandte sich Auerbach in der Literatur der Lebenswirklichkeit des einfachen Volkes zu, so vertrat Riehl einen ›politischen Realismus‹ gekoppelt an die »Aufmerksamkeit für die soziale Frage«. Er kritisierte, »dass sich die deutschen Liberalen in ihrem ›kosmopolitischen Liberalismus‹ [...] und einer abstrakten Freiheitsidee weit entfernt hätten vom ›concret Wirklichen‹, von ›unseren nächsten und höchsten Interessen‹, dem ›geistige[n] und materielle[n] Leben der Nation‹«.36 Seine Methode zum Verständnis dieses »konkret Wirklichen« bestand in einer Erkundung des Landes zu Fuß: »Da nun die Staatsmänner nicht mehr auf die Wan-

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derschaft gehen können, so sollten es wenigstens die politischen Schriftsteller für sie thun. Diese Erwägung trieb mich seit Jahren hinaus, die schönen deutschen Gaue zu durchstreifen, um im unmittelbaren Verkehr mit dem Volke diejenige Ergänzung meiner historischen, staatswissenschaftlichen und volkswirtschaftlichen Studien zu suchen, die ich in den Büchern nicht finden konnte.«37 Aus dieser Erkundung der Wirklichkeit folgte für Riehl eine Ablehnung der abstrakten Idee vom Gesellschaftsvertrag; seiner Auffassung zufolge sollte auch die »Abhängigkeit von den lokalen natürlichen Gegebenheiten von Klima, Boden und Landschaft« mit in den Blick genommen werden. Als Konservativer stellte er einem abstrakten Konzept und Ideal eine ›historisch gewordene Gesellschaft‹ gegenüber. Gesellschaftliche Entwicklung sollte Riehl zufolge auf den gewachsenen sozialen und kulturellen Strukturen aufbauen, um die Individuen in der Gesellschaft zu verankern, und sich nicht allein auf abstrakte Werte oder Ideen berufen. Die Vorstellungen, die Auerbach auf der liberalen, Riehl auf der konservativen Seite um die Mitte des 19. Jahrhunderts formulierten und die auf einen Ausgleich zwischen behutsamem politisch-moralischem und moderatem technisch-ökonomischem Fortschritt einerseits und dem Bewahren gewachsener Traditionen und Heimat andererseits setzten, erwiesen sich in der sozialen, ökonomischen und politischen Realität des fortschreitenden 19. Jahrhunderts als nicht widerstandsfähig genug. In Auerbachs Coda der Geschichte von Aloys, geschrieben nach Gründung des Kaiserreichs, besucht der Sohn gleichen Namens die alte Heimat, um eine Ehefrau mit nach Ohio zu bringen. Doch nun treten vor allem die Unterschiede zwischen dem amerikanischen und dem deutschen Lebens- und Gesellschaftsmodell – wie die Veränderungen in der deutschen Heimat nach der Reichsgründung und im Zuge technischer und administrativer Entwicklungen – hervor: Das Dorf liegt mittlerweile an der Eisenbahn. Der Blick des Amerikaners auf das neue Deutsche Reich ist ausgesprochen ambivalent: Die als Konsequenz der preußischen Vormacht charakterisierte Militarisierung – überall erblickt er Kasernen – beobachtet er äußerst skeptisch; die technischen Fortschritte und die Amerikanisierung der Landwirtschaft, ablesbar etwa am Einsatz der in Amerika erfundenen Mähmaschine, sieht er mit Wohlwollen, ja, die Maschine er-

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scheint ihm wie ein »Heimatsgruß« (S. 114);38 der Aberglauben der Alten Welt befremdet ihn ebenso wie die Erwartung an ihn, die Armen mit milden Gaben zu unterstützen. Vor allem in seinem Blick auf die Natur und auf die Dorfgemeinschaft manifestiert sich seine Ambivalenz: Die Einbettung in die Dorfgemeinschaft nimmt er als Eingriff in die persönliche Freiheit wahr, denn in »Amerika fragt dich kein Mensch, aber hier bist du eben in die Dorfgemeinschaft eingetreten, und jedes hat ein Recht, dein Thun und Lassen zu erfragen« (S. 109). Dennoch überkommen ihn eines Nachts beim Anblick der Landschaft heimatliche Gefühle und Gedanken: »Es klingt und schwingt etwas in stiller Mondnacht über die Heimatberge, dessen sich auch der junge Amerikaner nicht erwehren konnte. [...] Hier sind deine Vorfahren gewandert und auch deine Eltern. Der Duft der getränkten Erde stieg zu ihm auf und ein Hauch aus den Tiefsten unseres vaterländischen Lebens wehte ihn an.« (S. 22) Diese Gefühle werden aber rasch als »deutsche Traumsucht« abgetan; der ›amerikanische‹ Blick auf die Natur achtet nicht auf ihre heimatlichen oder ästhetischen Qualitäten, sondern nur auf ihren potenziellen ökonomischen Nutzen. Mit diesem Blick sieht man keine »schönen Wiesen«, »sondern nur saftiges oder mageres, saures oder süßes Gras, [...] nicht Wälder, sondern nur schlagbare Bäume oder junge Anpflanzungen.« (S. 110) Überhaupt erscheint Amerika hier vor allem als Land der Effizienz, sodass der junge Amerikaner den Eindruck gewinnt, »daß man in Deutschland nicht so zu arbeiten verstehe wie in Amerika, wo man die Zeitverschwendung für einen der schlimmsten Fehler halte.« (S. 127) Von politischer Freiheit und demokratischer Mitbestimmung, die in den Briefen des Vaters eine so große Rolle gespielt hatten, ist allerdings keine Rede mehr, nur noch von individueller Freiheit. Mindestens ebenso ambivalent wie der Blick des jungen Deutsch-Amerikaners ist der Blick der Nordstettener auf ihn und Amerika: Einerseits werden die Einheimischen nicht müde zu betonen, dass auch in der alten Heimat das Prinzip des Fortschritts Einzug gehalten habe, sowohl in Gestalt technischer Fortschritte in der Landwirtschaft wie besserer Bewässerungsmethoden oder der besagten Mähmaschine, aber auch durch Reichsgründung und die Emanzipation der Juden: Dank dieser Fortschritte müsse kein Nordstettener mehr nach Amerika gehen, heißt es.

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Andererseits wird die amerikanische Effizienz, die ja offenbar imitiert wird, als bloßes seelenloses ›money making‹ abgewertet. War die Idee des Fortschritts in den früheren Dorfgeschichten eine Synthese aus (moderaten) technischen Neuerungen sowie Volksbildung und Volksaufklärung, so erscheint Fortschritt nun, 30 Jahre später, vor allem als technische und ökonomische Weiterentwicklung hin zu größerer Effizienz und größerem materiellem Wohlstand; Bildung, gesellschaftlicher Zusammenhalt, politische Freiheit und demokratische Mitbestimmung dagegen sind weitgehend in den Hintergrund getreten. Die Unterschiede zwischen Amerika und der deutschen Heimat stechen deutlich hervor: Der emotional gefärbte Blick auf Heimat als Verbindung von Ort, Landschaft, Gemeinschaft und Tradition, den der Auswanderer Aloys in seinem amerikanischen Nordstetten noch zu bewahren suchte, gilt nun zumindest aus der Perspektive des Amerikaners als unvereinbar mit der vorwiegend von der Ökonomie bestimmten, nüchternen und kalten Gegenwart. Eine Versöhnung von Heimat und Fortschritt scheint nicht mehr möglich zu sein. Jetzt wird Heimat zum Kampfbegriff.

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Heimat als Programm: Zivilisations- und Fortschrittskritik um 1900 Der alte Kornspeicher am Westhang war abgerissen und durch eine Reihe von Schuppen mit Teerdächern ersetzt worden. Alle Kastanienbäume waren verschwunden. Große Wagen standen durcheinander auf einem zerstampften Feld herum, das einmal eine Wiese gewesen war. Der Beutelhaldenweg war eine klaffende Sand- und Kiesgrube. (J. R. R. Tolkien: Der Herr der Ringe)

Die technologischen, ökonomischen und sozialen Entwicklungen, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihren Ausgang genommen hatten, beschleunigten und intensivierten sich an der Wende zum 20. Jahrhundert. In nur wenigen Jahrzehnten wurde Deutschland von einem Agrarstaat zu einem Industriestaat, mit massiven Auswirkungen auf die Gesellschaft, auf die Gestalt der Landschaften und Orte, auf Alltag, Arbeit und Kultur. Neben der Auswanderung vor allem in die USA, die in Wellen weiterhin stattfand, wurde durch die Industrialisierung eine Binnenwanderung großer Teile der Bevölkerung in Gang gesetzt. Historiker haben diese meist durch die Suche nach Arbeitsplätzen oder besseren Lebensbedingungen in den neuen und rasch wachsenden Städten motivierte Mobilität als die größte Bevölkerungsbewegung in der deutschen Geschichte bezeichnet. Überdies nahm ab der Mitte des 19. Jahrhunderts der weltweite Freihandel so stark zu, dass Wirtschaftshistoriker von einer ersten Globalisierungswelle bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges sprechen. Von Industriellen und liberalen Politikern begrüßt, stellte der Freihandel vor allem die Grundbesitzer und Bauern vor große Pro­ bleme und wurde daher von diesen kritisch gesehen. Wie sich schon in Auerbachs Erzählung Der Tolpatsch aus Amerika andeutete, hatte sich »die Fortschrittsidee gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf Kosten ihres traditionellen politischen Gehalts«1 stark verengt. Dieses einseitige Fort-

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schrittsdenken, das sich nun vor allem auf die ökonomische, wissenschaftliche, industrielle und technische Entwicklung richtete, war die treibende Kraft bei den Modernisierungsprozessen in Europa. Die Vehemenz der Entwicklungen brachte eine Erosion traditioneller Ordnungen mit sich, löste aber auch Gegenbewegungen aus. Vor allem Bildungsbürger weigerten sich, »die Auflösung einer jahrhundertealten Ordnung zu akzeptieren«.2 Die naturwissenschaftlich-technische Per­ spektive war ganz und gar auf die Zukunft und immer neue Ziele gerichtet: Fortschritt und Dynamik, wissenschaftliche Entdeckungen und Erfindungen, technische Neuerungen und ökonomische Erfolge gehörten zusammen. Die aus der klassisch-humanistischen Bildung erwachsenen Ideale der Bildungsbürger dagegen waren vor allem von europäischen Traditionen und dem kulturellen Erbe des Abendlandes geprägt. Im Zuge des rapiden gesellschaftlichen Wandels entwickelten sich diese geisteswissenschaftlich-literarische Kultur und die naturwissenschaftlich-technische Kultur immer weiter auseinander. Für diese Tendenz fand der britische Naturwissenschaftler, Romanautor und politische Beamte C. P. Snow 1959 die griffige Bezeichnung »die zwei Kulturen«3, wobei die naturwissenschaftlich-technische Kultur untrennbar mit den Entwicklungen in Industrie, Verkehr und Handel verbunden war, sodass man eigentlich von der naturwissenschaftlich-technisch-industriellen Kultur sprechen muss. Heimat wird zum Schlüsselwort für die Vertreter der geisteswissenschaftlich-literarisch geprägten Kultur. Um 1900 lässt sich geradezu ein »Heimat-Hype«4 beobachten: Das Wort erobert vor ­allem zwischen 1890 und 1900 mit Macht die Diskurse.5 Ab etwa 1870 entsteht zudem eine wahre Flut von Komposita, wie etwa Heimatschutz, Heimatkunst, Heimatstil, Heimatverein, Heimatbuch, Heimatroman, Heimatliteratur, Heimatfest oder Heimatmuseum. So ist es kein Wunder, dass eine schier unüberschaubare Menge an wissenschaftlichen Studien das Thema Heimat vor allem in diesem Zeitabschnitt kritisch beleuchtet. Vielen dieser Studien liegt die Vorstellung zugrunde, dass ein Verständnis des kulturellen Schlüsselwortes ›Heimat‹ Aufschluss über deutsche Geschichte und Mentalität überhaupt geben könne. Das wiederum liegt zum Teil daran, dass die hierbei federführenden Geisteswissenschaften Germanistik und Geschichtswissenschaft als

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nationale Wissensdisziplinen im 19. Jahrhundert ihren Ursprung haben und deutsche Geschichte, Literatur- und Kulturgeschichte in der Regel isoliert betrachten. Eine vergleichende Perspektive beschränkt sich oft auf Seitenblicke auf die politischen, sozialen oder ökonomischen Entwicklungen in Frankreich oder Großbritannien, um die verzögerte Entwicklung oder den ›Sonderweg‹ Deutschlands hervorzuheben. Zudem untersuchen die historischen Wissenschaften in einer nach wie vor einflussreichen Forschungsrichtung bevorzugt, inwiefern Strömungen oder Ereignisse der deutschen Geschichte als Wegbereiter des Nationalsozialismus verstanden werden können. Vor allem aus dieser Perspektive ist konservative Zivilisations- und Kapitalismuskritik, die sich um 1900 auf Heimat beruft, häufig als Vorstufe nationalsozialistischer Ideologie interpretiert worden: »Worte wie Heimat, Natur und Tradition gelten in dieser Forschungstradition als Zeichen einer gefährlichen völkischen Einstellung.«6 Das Wort ›völkisch‹ erschien spät, erst im frühen 19. Jahrhundert, wohl zunächst als etwas unbeholfene Eindeutschung für das Wort ›national‹, wurde ab etwa 1880 häufiger benutzt und um 1900 zu einem politischen Kampfbegriff, der seine Wirkung vor allem nach dem Ersten Weltkrieg entfaltete. Das Wort ist zu Recht berüchtigt: Nicht ohne Grund nannten die Nationalsozialisten ihr Kampfblatt Der Völkische ­Beobachter. Die Bedeutung des Wortes ist allerdings vergleichsweise ­unscharf, und das war anscheinend schon zu der Zeit, in der das Wort politisch eine Rolle spielte, nicht anders. In den Worten des Sozialwissenschaftlers Stefan Breuer: »Die Frage, was eigentlich ›völkisch‹ sei, hat schon die Akteure dieser Bewegung nicht zur Ruhe kommen lassen und zu immer neuen definitorischen Anläufen getrieben.«7 Gegen Ende der Weimarer Republik hatte sich die Bedeutung des Wortes vor allem durch seine Verwendung geschärft: Es wurde nun im Rahmen einer »in erster Linie rassentheoretisch gerichteten Politik und Weltanschauung«8 benutzt und auch von konservativen Denkern gemieden. Heute wird das Wort ›völkisch‹ oft in einem sehr weiten Sinn verwendet, um unterschiedliche, zum Teil sogar widersprüchliche Tendenzen und Bewegungen zu charakterisieren: antizivilisatorische und großstadtfeindliche Haltungen, Vorstellungen von kollektiver Identität, die auf biologistische Erklärungsmodelle wie die Ende des 19. Jahrhunderts verbreiteten Ras-

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sentheorien oder den Sozialdarwinismus zurückgreifen. Eine Idealisierung vordemokratisch-autoritärer Herrschaftsmodelle, imperialistische Großmachtträume, Eugenik, aber auch neuheidnische Strömungen, Germanenkult sowie rassistisch motivierter Antisemitismus gehören zu diesem Spektrum, sind allerdings selten gleichzeitig präsent. In den Debatten um Heimat spielt die Behauptung einer Verbindung von ›völkischem‹ Denken und den diversen Bewegungen und Strömungen, die sich um 1900 auf Heimat beriefen, eine wichtige Rolle. Sie kommt immer dann ins Spiel, wenn eine Linie von der Romantik über Heimatbewegung und Heimatliteratur zum Nationalsozialismus gezogen werden soll, um den Begriff Heimat zu diskreditieren. In dieser Logik werden die Betonung regionaler Eigenarten sowie Großstadt- und Zivilisationskritik mehr oder weniger unvermittelt gleichgesetzt mit völkischem Nationalismus, Rassismus und reaktionären Tendenzen: »Wenn es überhaupt eine künstlerische Strömung zwischen 1890 und 1933 gegeben hat, die dem deutschen Faschismus die Wege ebnete, dann sicher jene stammesbetonte, regionalistische oder völkische Heimatkunst um 1900, aus der viele der wichtigsten nationalsozialistischen Kunsttheore­tiker – wie Adolf Bartels oder Paul Schultze-Naumburg – hervorgegangen sind.«9 Im Umfeld der Heimatbewegung, der Heimatliteratur und der Heimatkunstbewegung finden sich tatsächlich Belege für diese These. Einige der Akteure waren eindeutig Antisemiten, wie zum Beispiel Adolf Bartels, einer der Wortführer der völkischen Heimatkunstbewegung. ­Andere traten in der Weimarer Republik der NSDAP bei, wie etwa der Architekt Paul Schultze-Naumburg oder der als ›Fidus‹ bekannte Künstler Hugo Höppener. Und es ist auch unmittelbar einleuchtend, dass der 1910 veröffentlichte Bauernroman Der Wehrwolf des Heimatschriftstellers und Heidedichters Hermann Löns mit seinen drastisch beschriebenen Gewaltexzessen bei den Nationalsozialisten populär war. Insgesamt waren jedoch sowohl die Heimatbewegung als auch die Reihe der Autoren, die um 1900 oder retrospektiv als Heimatdichter bezeichnet wurden, äußerst heterogen. Zudem greifen sowohl die Deutung des Nationalsozialismus als antiaufklärerische und irrationalistische Bewe­gung als auch die Etikettierung jedweder Zivilisationskritik als fun-

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damental reaktionär viel zu kurz. Eine Charakterisierung der Heimat­ bewegung als rückwärtsgewandt, antimodern oder regressiv und die Bewertung des Rückwärtsgewandten, Antimodernen und Regressiven als eindeutig negativ können eigentlich nur dann Sinn ergeben, wenn umgekehrt ein unkritischer Fortschrittsbegriff zugrunde gelegt wird, kontinuierlicher technisch-ökonomischer Fortschritt als notwendig und alternativlos gilt und Fortschritt generell als Synonym für Verbesserung verstanden wird. Wer in dem Versuch der Bewahrung von Heimat eine antimoderne, bloß rückwärtsgewandte oder regressive Weigerung oder Unfähigkeit sieht, sich an das Leben in der Moderne anzupassen, begreift die Zuschreibung ›antimodern‹ selbstverständlich als Verurteilung: Aus dieser Perspektive werden »Menschen und soziale Bewegungen, die an Traditionsbeständen festhalten oder andere Entwicklungen propagieren […] zu Hindernissen auf dem Weg zu einer besseren Welt. Die Ambivalenz der Moderne, die nicht nur zu höherem Lebensstandard, sondern auch zu bis dahin unvorstellbaren Vernichtungsorgien gegen Menschen und ihre natürliche Umwelt geführt hat, wird systematisch ausgeblendet.«10 Daher bedarf die Sicht auf die Heimatbewegung der Jahrhundertwende einer Ergänzung: Nur wenn Fortschritt, Zivilisation und Moderne selbst in ihrer Ambivalenz betrachtet werden, ist es möglich, die Zivilisationskritik der Heimatschutzbewegung einzuordnen und die These, dass sich von dieser Zivilisationskritik um 1900 eine direkte Linie zum Nationalsozialismus ziehen lässt, differenziert zu beurteilen. Dazu muss man allerdings die verschiedenen Bewegungen und Strömungen um 1900, die sich auf Heimat berufen, nicht ausschließlich ›rückwärts‹, vom Nationalsozialismus aus, sondern eher aus den Herausforderungen an der Wende zum 20. Jahrhundert betrachten und die deutschen Entwicklungen im europäischen Kontext sehen. Denn erstens ist der Fortschrittsglaube am Ende des 19. Jahrhunderts weitaus ambivalenter, als es eine eindeutig negative Bewertung der Heimatbewegung als reaktionär und rückwärtsgewandt vermuten lässt. Daraus ergibt sich zweitens, dass auch der Impuls des Bewahrens zu differenzieren ist. Drittens ist die Heimatliteratur vielfältiger, als gängige Einschätzungen es nahelegen: Keineswegs alle literarischen Texte, die dieses Etikett erhielten, präsentieren Dorf, Land oder Provinz als heile Welt, begnügen sich damit, den Lesern fiktionale Fluch-

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ten aus der mangelhaften Wirklichkeit anzubieten, oder sind vor allem literarische Darstellung völkischer Ideologie. Viele Heimatromane setzen sich vielmehr mit den Umwälzungen auseinander oder beschreiben relativ nüchtern bedrohte Lebensweisen und Siedlungsformen. Doch selbst bei eskapistischen Heimatromanen ist es jenseits der ästhetischen Wertung durchaus interessant, wie sich ihr großer und anhaltender Erfolg erklären lässt. Schließlich: Heimatliteratur und Heimatbewegung traten auch in anderen europäischen Kulturen auf, auch wenn dort natürlich jeweils andere Bezeichnungen im Umlauf sind. Welche Zusammenhänge bestehen also zwischen Fortschritt und Heimat? Zumindest gibt es eine Korrelation zwischen der Häufigkeit, mit der beide Begriffe in der deutschen Sprache benutzt werden: ›Fortschritt‹ erscheint Mitte des 18. Jahrhunderts, wird sichtlich häufiger etwa ab 1810 benutzt und erlebt seinen Gipfelpunkt in dem Jahrzehnt zwischen 1870 und 1880, also etwa zehn Jahre vor dem Wort ›Heimat‹;11 man könnte fast vermuten, die Popularität der ›Heimat‹ sei eine Reaktion auf die Ubiquität des ›Fortschritts.‹ Die Verfechter des technisch-ökonomischen Fortschritts gegen Ende des Jahrhunderts waren vor allem Ingenieure, Naturwissenschaftler, Unternehmer und Politiker, die an die potenziell unendliche Weiterentwicklung und Perfektionierung von Wissenschaft, Technik und Wirtschaft glaubten. Sie waren davon überzeugt, dass technische Fortschritte nicht nur die materiellen Lebensbedingungen der Menschen verbessern, sondern auch zu ihrer kulturellen und moralischen Weiterentwicklung beitragen und letzten Endes alle sozialen Probleme der Gegenwart lösen würden. Fortschritt wurde, etwa von dem Zoologen Ernst Haeckel 1863, nachgerade zum Naturgesetz erklärt: »Schon der bloße Stillstand ist ein Rückschritt, und jeder Rückschritt trägt den Keim des Todes in sich selbst. Nur dem Fortschritt gehört die Zukunft.«12 In einer berühmten Rede betonte auch der Erfinder und Industrielle Werner von Siemens 1886 seine Überzeugung von der »Fortdauer des progressiven Aufschwunges der naturwissenschaftlich-technischen Entwicklung«. Konkrete Fortschritte bestanden etwa darin, dass die Menschen weniger schwere körperliche Arbeit leisten mussten und mehr Zeit für Bildung und Genuss zur Verfügung hatten. Siemens sah voraus, dass man immer

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weniger Land benötigen werde, um die Menschen zu ernähren, vermutete gar, »daß es der Chemie im Bunde mit der Elektrotechnik dereinst gelingen wird, aus der unerschöpflichen Menge der überall vorhandenen Elemente der Nahrungsmittel diese selbst herzustellen«, sodass die Menschen von Erde, Boden und klimatischen Bedingungen vollkommen unabhängig würden. Am Ende würde das Zeitalter des Fortschritts »die Menschheit moralischen und materiellen Zuständen zuführen«, »die besser sind, als sie je waren und heute noch sind.«13 Radikaler noch waren die Zukunftsvisionen, die der französische Chemiker und Politiker Marcelin Berthelot 1894 in einer Rede über »Die Bedeutung der Chemie im Jahr 2000« vorstellte. Dieser Vortrag machte offenbar auf August Bebel, den Begründer der Sozialdemokratie, solchen Eindruck, dass er ihn in der 50. Auflage seines Buches Die Frau und der Sozialismus ausgiebig paraphrasierte: Etwa um 2000 »werde es keine Landwirtschaft und keine Bauern mehr geben, denn die Chemie werde die bisherige Bodenkulturexistenz aufgehoben haben. […] Das Lebensmittelproblem sei ein rein chemisches; an dem Tage, wo man die entsprechende billige Kraft bekomme, werde man, mit Kohlenstoff aus der Kohlensäure, mit Wasserstoff und Sauerstoff aus dem Wasser und mit Stickstoff aus der Atmosphäre Lebensmittel aller Art erzeugen. Was die Pflanzen bisher taten, werde die Industrie tun, und vollkommener als die Natur. Es werde die Zeit kommen, wo jedermann eine Dose mit Chemikalien in der Tasche trage, aus der er sein Nahrungsbedürfnis an Eiweiß, Fett und Kohlenhydraten befriedige, unbekümmert um Tages- und Jahreszeit, um Regen und Trockenheit, um Fröste, Hagel und verheerende Insekten. Dann werde eine Umwälzung eintreten, von der man sich jetzt noch keinen Begriff machen könne. Fruchtfelder, Weinberge und Viehweiden würden verschwinden; […] Die Erde werde nicht mehr, sozusagen, entstellt durch die geometrischen Figuren, die jetzt der Ackerbau ziehe, sondern sie werde ein Garten, in dem man nach Belieben Gras und Blumen, Busch und Wald wachsen lassen könne, und in dem das Menschengeschlecht im Überfluß, im goldenen Zeitalter leben werde.«14

Die griechische und römische Mythologie und humanistisch Gebildete, die sich auf sie bezogen, nicht zuletzt Jean-Jacques Rousseau und die Romantiker, vermuteten das Goldene Zeitalter, eine Zeit des sozialen Friedens und der Harmonie mit der Natur, in einer längst vergangenen Ur-

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zeit der Menschheit; Naturwissenschaftler, Ingenieure und Sozialisten wie Bebel dachten eher an ein zukünftiges Schlaraffenland, das durch Unabhängigkeit von der Natur und völlige Kontrolle über sie charakterisiert sein sollte. Das Selbstbewusstsein der Naturwissenschaftler und Ingenieure war ja nicht unbegründet: In der Tat waren die Fortschritte und Erfolge der Naturwissenschaft, Technik und Industrie beeindruckend. Nach den großen Neuerungen Eisenbahn und Dampfmaschine hielten immer weitere technische Innovationen im Alltag vor allem der Stadtbewohner Einzug: Gasbeleuchtung, Wasserleitungen, Straßenbahnen, später auch Elektrizität und Telefon, immer neue Maschinen und Techniken veränderten die Produktion von Gütern und den Charakter der Arbeit grundlegend. Durch die von Justus von Liebig entwickelten mineralischen Düngemittel sowie den Einsatz von Maschinen stieg die landwirtschaftliche Produktion in Deutschland im Verlauf des 19. Jahrhunderts auf das Drei- bis Dreieinhalbfache an, während die Größe der bewirtschafteten Fläche wie auch die Zahl der in der Landwirtschaft Beschäftigten zurückging.15 Dadurch und durch die Entwicklung der Lebensmittelindustrie wurden auch die Ernährungsgewohnheiten vor allem der Stadtbewohner verändert: Von 1850 bis 1900 vervielfachte sich der Zuckerkonsum von etwa 2 kg pro Kopf und Jahr auf über 13 kg und der Konsum von Schweinefleisch von acht auf mehr als 25 kg pro Kopf und Jahr,16 eine Entwicklung, die als Fortschritt galt, heute allerdings eher als Problem wahrgenommen wird. Angesichts dieser Entwicklungen schien eine vollständige Unabhängigkeit der Menschen von Boden, Erde und Landwirtschaft zumindest vorstellbar. Nach Jahrhunderten, in denen Überschwemmungen, Schädlingsbefall oder Kälteperioden Missernten und Hungerkatastrophen ausgelöst hatten, ist es nachvollziehbar, dass die Unabhängigkeit von der Natur gerade mit Blick auf die Produktion von Nahrungsmitteln als besonders erstrebenswertes Ziel von Wissenschaft und Technik galt; dass die Vorstellung, keine schwere körperliche Arbeit mehr leisten zu müssen, attraktiv erschien, kann man sich ebenfalls vorstellen. Die jahrtausendealte Tradition der Landwirtschaft wird in diesen utopischen Vorstellungen obsolet. Doch Ingenieure und Wissenschaftler stellten technische und wissenschaftliche Fortschritte, die Befreiung von körper-

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licher Arbeit und die zunehmende Unabhängigkeit von der Natur nicht als bloßen Selbstzweck dar, sondern behaupteten, die Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen durch technische Fortschritte werde gleichsam automatisch auch zu besserer Bildung, Kultur und letztlich Moral führen. August Bebels »gläubige Begeisterung für den technischen Fortschritt«17 stand dem Fortschrittsglauben der Wissenschaftler in nichts nach: Da die Sozialisten den Kommunismus als unausweichlichen Endpunkt der Geschichte erwarteten, konnten sie auch die aus dem eigentlich bekämpften kapitalistischen System hervorgegangenen technisch-industriellen Fortschritte als notwendige Phasen dieser Entwicklung begreifen und begrüßen. Die Verfechter des Fortschritts verwiesen also auf bereits erzielte Erfolge, doch ihr eigentliches Terrain war die Zukunft: Zwar bewies der Fortschritt, dass die Menschen dank neuer Verkehrsmittel mobiler wurden, dass Entfernungen leichter überwunden werden konnten, dass man Nahrungsmittel und andere Konsumgüter billiger produzieren und verkaufen konnte. Doch zugleich wurden negative Folgen der Modernisierung sichtbar: Die Arbeiter in den neuen Industriezentren lebten oft in slumartigen, düsteren, beengten und feuchten Wohnungen; ihre Lebensbedingungen vor allem in den großen Städten waren eines der großen Themen sowohl für Bildungsbürger als auch für Sozialisten. Die großen Umweltbelastungen im Umfeld nicht nur der chemischen Fabriken durch Wasser- und Luftverschmutzung wurden gegen Ende des Jahrhunderts auch in der Literatur thematisiert: Wilhelm Raabes Erzählung Pfisters Mühle (1884) etwa beschreibt die Verunreinigung des Mühlenbachs durch eine Zuckerfabrik. Die Kritik gerade der Bildungsbürger galt aber nicht nur den materiellen, sozialen und unmittelbar gesundheitsschädlichen Konsequenzen der industriellen Moderne, sondern auch ihren ästhetischen Auswirkungen wie der Zerstörung alter Kulturlandschaften und Traditionen durch Fabriken, Staudämme und das neue Phänomen des Tourismus. Im Umfeld der bürgerlichen Lebensreformbewegung entwickelten sich zahllose Unterströmungen, die in Theorie und Praxis – mit Siedlungsprojekten, Reformhäusern, Landkommunen, Waldschulen oder Kliniken für Naturheilkunde – ihr Unbehagen an Materialismus, Kapitalismus und Kommerzialisierung sowie deren Erscheinungsfor-

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men zum Ausdruck brachten und zugleich neue Formen des Zusammenlebens erprobten. In den neuen Gemeinschaften bestimmten vor allem gemeinsame Überzeugungen, Abneigungen und Ideale, wer Teil der Gemeinschaft war. Anders als in der traditionellen Dorfgemeinschaft war die Zugehörigkeit also frei gewählt, woraus sich allerdings auch ergab, dass der Zusammenhalt der Gemeinschaft nicht sehr stabil war; oft kam es aus ideologischen Gründen zum Zerfall. Jugendbewegung, Wandervogel, Freikörperkultur oder Reformpädagogik wollten den Alltag, die Ernährung, Kleidung und Wohnformen, aber auch die schulische Bildung und den Gesundheitssektor von Grund auf reformieren und priesen das naturgemäße Leben. Es ist kein Zufall, dass viele dieser Bewegungen in den Großstädten, vor allem in Berlin ihren Ursprung hatten: Die Flucht in die Natur wie die Hinwendung zur Heimat entstehen ja oft aus der Erfahrung des Mangels; ohne das Unbehagen in der Stadt ist eine Sehnsucht nach der Natur kaum denkbar. Wiederum also geriet die Vorstellung von Heimat gerade aufgrund eines Bruches in den Blick. Jetzt ging es aber nicht mehr um den Blick des Künstlers oder Auswanderers, der eine als mehr oder weniger unveränderlich gedachte Heimat verlässt. Stattdessen wurden Integrität und Identität der materiellen Heimat selbst als bedroht erlebt. Annette von Droste-Hülshoff beschrieb bereits 1841/42 in den Westfälischen Schilderungen ihre Befürchtung, dass die heimatlichen Orte und Landschaften durch die ökonomischen Transformationen zerstört würden: »Bevölkerung und Luxus wachsen sichtlich, mit ihnen Bedürfnisse und Industrie. Die kleinen malerischen Heiden werden geteilt; die Kultur des langsam wachsenden Laubwal des wird vernachlässigt, um sich im Nadelholze einen schnellern Ertrag zu sichern, und bald werden auch hier Fichtenwälder und endlose Getreideseen den Charakter der Landschaft teilweise umgestaltet haben, wie auch ihre Bewohner von den uralten Sitten und Gebräuchen mehr und mehr ablassen; fassen wir deshalb das Vorhandene noch zuletzt in seiner Eigentümlichkeit auf, ehe die schlüpferige Decke, die allmählich Europa überfließt, auch diesen stillen Erdwinkel überleimt hat.«18

Zunehmender materieller Wohlstand und materielle Bedürfnisse, Bevölkerungswachstum, Industrie und Profitgier veränderten die Gestalt des

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Landes: Fichtenplantagen und Getreide-Monokulturen traten an die Stelle einer malerisch gegliederten Landschaft. Was die Diagnose der Veränderungen, Umgestaltungen, Entwicklungen oder Fortschritte betraf, stimmte die Schriftstellerin sogar mit den Anhängern des Fortschrittsglaubens überein: Den zunehmenden materiellen Wohlstand und die größere wirtschaftliche Effizienz sah sie durchaus. Doch blickte sie eben aus der ästhetisch-kulturellen Perspektive auf die Veränderungen und konzentrierte sich auf den Preis, der für den Zuwachs an materiellem Wohlstand zu entrichten war. Wie die Romantiker und wie Heine befürchtete auch Droste-Hülshoff die Zerstörung von Schönheit und Poesie sowie den Verlust der Eigenarten und regionalen Besonderheiten der europäischen Kulturen unter der Herrschaft universeller Rationalität und Ökonomie. Heimat war der Gegenentwurf zu den modernen »Uniformierungs- und Normierungsbestrebungen« und Synonym für »Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit« sowie »kulturellen Pluralismus«.19 Mit den regionalen und lokalen Besonderheiten beschäftigte sich die Heimatkunde, die als vorwiegend von Laien unternommene Lokalforschung und als Schulfach in Ansätzen zwar bereits seit dem frühen 19. Jahrhundert entwickelt, aber erst gegen Ende des Jahrhunderts immer mehr Gegenstand didaktischer und politischer Überlegungen wurde. Heimatkunde betrachtete Geschichte, Landeskunde, Geografie, Naturkunde, Volkskunde, Soziologie, Sprache und Literatur einer Region oder eines Ortes in der Gesamtschau, sollte also auch der zunehmenden Ausdifferenzierung und Spezialisierung der einzelnen Wissenschaften entgegenwirken. Allenthalben wurden Heimatvereine zur Erforschung der regionalen Geschichte gegründet, in Dörfern und kleinen Städten entstanden kulturhistorische sowie naturkundliche Heimatmuseen, die alte Handwerksstücke, Werkzeuge, Gebrauchsgegenstände, aber auch Naturobjekte sammelten und ausstellten. Zu den wichtigsten, bekanntesten und am besten erforschten Akteuren um 1900 gehört die Heimatschutzbewegung. Die Heimatschützer wandten sich gegen die industrielle Ausbeutung der Natur und setzten sich für den Erhalt von Kulturlandschaften, von Wäldern, Flüssen oder Mooren ein. Sie sahen Natur nicht, wie die Romantiker, als fernes Abs-

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traktum, sondern, wie Berthold Auerbach und Wilhelm Heinrich Riehl, als konkret, lokalisierbar und spezifisch. Akteure im Heimatschutz waren daher in der Regel zunächst lokale Initiativen, denen es um den Schutz ganz bestimmter Wahrzeichen ging. Ein berühmtes frühes Beispiel sind die erfolglosen Bemühungen, die durch den Bau eines Wasserkraftwerks bedrohten Laufenburger Stromschnellen am Oberrhein zu erhalten. Das Ziel solcher Initiativen bestand darin, »der entsetzlichen Verheerung unseres Landes auf allen Gebieten sichtbarer Kultur entgegenzuwirken«. Zur sichtbaren Kultur gehörten »nicht allein Häuser und Denkmäler, Brücken und Straßen, sondern auch Kleider und gesellige Formen, Forste und Viehzucht«20 und die »Rettung der einheimischen Tier- und Pflanzenwelt sowie der geologischen Eigentümlichkeiten«.21 Bewahren wollten die Heimatschützer gegen die technisch-industriellen Eingriffe vor allem die Schönheit der Landschaft; so führte auch der Begründer des Deutschen Bundes Heimatschutz, Ernst Rudorff, ästhetische Gründe gegen die zunehmend geometrisch angelegte Kulturlandschaft mit ihren Verkoppelungen und Flussbegradigungen an. Wie schon Annette von Droste-Hülshoff kritisierte er die ausschließlich von ökonomischen Prinzipien bestimmte Perspektive, die Natur und Landschaft zur Ressource für Industrie und Tourismus degradierte: »Was haben die letzten Jahrzehnte aus der Welt und insbesondere aus Deutschland gemacht? […] Auf der einen Seite Ausbeutung aller Schätze und Kräfte der Natur durch industrielle Anlagen aller Art, Vergewaltigung der Landschaft durch Stromregulierungen, Abholzungen und andere, lediglich auf Erzielung materieller Vorteile gerichtete Maßregeln, mag dabei an Schönheit und Poesie zugrunde gehen, was da will; auf der anderen Seite Spekulation auf Fremdenbesuch, widerwärtige Anpreisung landschaftlicher Reize und zugleich Zerstörung jeder Ursprünglichkeit, also gerade dessen, was die Natur zur Natur macht.«22

Auf Rudorffs Betreiben hin wurde schließlich 1904 der Bund Heimatschutz gegründet, dessen erklärtes Ziel es war, die Heimat in ihrer »natürlichen und geschichtlich gewordenen Eigenart zu schützen«. Die tatsächlichen Erfolge der Heimatbewegung waren freilich eher mager: Zu klein und zu wenig einflussreich war die Gruppe der aktiven Heimatschützer, zu dominant waren die Interessen der Industrie: »Von den eta-

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blierten Mächten, d. h. von den tatsächlich Maßgeblichen in Industrie, Landwirtschaft und Bürokratie wurde sie belächelt, ihre Vertreter diskriminiert, wenn nicht verfolgt. So überrascht es nicht, daß der Bund der Industriellen 1911 eine ›Kommission zur Beseitigung der Auswüchse der Heimatschutzbestrebungen‹ einsetzte.«23 Die tatsächliche Gestalt der deutschen Landschaften wurde eben nicht von den ästhetischen Idealen der Heimatschützer, sondern von der neuen Kultur der Technik, von den Erfordernissen der wachsenden und immer stärker auf Massenproduktion ausgerichteten, an das amerikanische Modell angelehnten Wirtschaft und damit vor allem von Ingenieuren bestimmt. Das Bild dieses modernen Landes erinnerte immer weniger an das von dürftigen Verkehrswegen durchzogene Land, das Wilhelm Heinrich Riehl um die Mitte des Jahrhunderts erwandert hatte. Immer stärker wurden Landschaften, Landwirtschaft und die sichtbare Kultur überhaupt technisiert; großflächige Waldrodungen, Straßen- und Brückenbau, Stahlwerke, Kohlekraftwerke und Fabriken, riesige Äcker, begradigte Flüsse, Talsperren, Staudämme, Deiche und Kanäle sowie die Fabrikbauten, Schornsteine und Mietskasernen der großen Städte und Industriezentren prägten nun weite Teile des Landes. Was aber in den Augen der traditionsverbundenen Heimatschützer als hässlich und zerstörerisch erschien, galt den Ingenieuren selbst lediglich als Beweis dafür, dass die ästhetischen Kategorien unzeitgemäß waren und die Schönheit der neuen Entwicklungen noch nicht erfassen konnten. In den Worten eines Ingenieurs im Jahr 1909: »Die energetische Technik der Neuzeit ist zu jung, um bereits die Weihe des Ästhetischen erhalten zu haben, und doch wird der Kenner trotz der rauchenden Schlote, der Proletarier-Armeen unserer Tage, in diesem brodelnden Chaos den Keim von kommender ungeahnter Schönheit jetzt schon erkennen.«24 Nicht nur die ›zwei Kulturen‹ und ihre Sicht auf die Gegenwart entwickelten sich rapide auseinander, sondern auch ihr gesellschaftlicher Status: Während die naturwissenschaftlich-technische Kultur zunehmend die physische Realität und die sichtbare Kultur prägte und gestaltete, zogen sich diejenigen, die Traditionen und Landschaften bewahren wollten, mehr und mehr in den Bereich der geisteswissenschaftlich-literarischen Kultur zurück, die nun als eine Art Kompensation für die negativen

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Erfahrungen und Verluste durch die Modernisierung und Technisierung fungierte. Je weniger erfolgreich die Versuche waren, Traditionen und Landschaften in der Realität zu erhalten, umso größere Erfolge verzeichnete die Heimatliteratur, die immerhin in Texten das aufbewahrte, was in der Wirklichkeit verloren ging. Da auch die avancierte, ›moderne‹ Hochliteratur sich zunehmend von der Natur abwandte, war emotionale Verbundenheit mit Natur und Landschaft tatsächlich fast nur noch in der populären Heimatliteratur aufgehoben. Heimat wurde damit mehr und mehr zum Schlagwort derjenigen, die sich kulturell auf verlorenem Posten sahen. Der populären Literatur fiel nun die Aufgabe zu, negative Erfahrungen »durch beschleunigten Fortschritt im wissenschaftlich-technisch-industriellen Sektor« auszugleichen, »indem sie Geschichten von gestern«25 erzählte. Beim Heimatroman denken wohl die meisten an billige Heftromane, die unter Titeln wie Toni der Hüttenwirt oder Schicksalsnacht im Habichtwald sentimentale Liebesgeschichten vor kitschiger Naturkulisse erzählen. Vor allem der Name Ludwig Ganghofers ist mit dieser Art Unterhaltungsliteratur verbunden: Er gilt als ›Traumfabrik der Jahrhundertwende‹, eine treffende Charakterisierung, zumal viele seiner Romane wie Der Edelweißkönig oder Das Schweigen im Walde später vielfach erfolgreich verfilmt wurden. Diese Romane waren als exotische Abwechslung, gewissermaßen als eine Art Reiseersatz für erschöpfte Stadtmenschen konzipiert, was sich zuweilen auch auf der Handlungsebene widerspiegelt: Die oftmals städtischen Protagonisten der Romane und Erzählungen suchen Heilung oder Erlösung auf dem Land oder in der Natur, wie etwa der Held in Das Schweigen im Walde. Offenbar erlebten viele Bürger das Leben in den Städten trotz – oder auch wegen – der zahllosen technischen Neuerungen als so anstrengend, dass sie zu dieser Lektüre griffen. Häufig wird dieser Fluchtimpuls reflexartig als agrarromantische Großstadt- und Modernefeindschaft oder aber als eskapistische Realitätsverweigerung diskreditiert und die Naturverherrlichung Ganghofers als »wohlfeiles heimatliches Waldesrauschen«26 karikiert. Doch realistische zeitgenössische Schilderungen zeigen umgekehrt, dass das Leben in den rasch wachsenden Großstädten und Industriezentren in der Tat eine Zumutung darstellte: Die Arbeiterviertel mit ihren düsteren, engen Mietskasernen,

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Lärm und Rauch aus den Fabriken, der ständig wachsende Straßenverkehr und soziale Probleme wie Armut, Alkoholismus und Obdachlosigkeit machten nicht nur den am meisten Betroffenen, also den Arbeitern, zu schaffen, sondern beunruhigten und belasteten auch die Bürger. Das Bedürfnis nach Entlastung und Ablenkung von diesem städtischen Alltag stellte auch die extrem verbreitungsstarke, liberale, für das Bürgertum konzipierte illustrierte Familienzeitschrift Die Gartenlaube in Rechnung, an der sich vor allem seit der Gründung des Kaiserreichs die Trennung der ›zwei Kulturen‹ wie die innerliche Spaltung des Bürgertums um 1900 ablesen lässt, das hin- und hergerissen war zwischen einer Bejahung des technischen Fortschritts und dem Festhalten an Tradition und Heimat. So pries auch die Gartenlaube die wissenschaftlichen, technischen und industriellen Entwicklungen im Deutschen Reich und in der Welt, schilderte in glühenden Farben und Superlativen moderne Fabriken, gewaltige Ozeandampfer, die Vorzüge der Pflanzenzucht bei elektrischem Licht oder die höchste Brücke der Welt und machte sich über abergläubische Vorstellungen lustig. Daneben standen vereinzelte Berichte über Wohnungsnot, Armut, Trunksucht, Fettleibigkeit und andere Zivilisationsprobleme. Am Ende des Jahrhunderts kamen exotistische Berichte über die neuen Kolonien in Afrika hinzu. Im literarischen Teil aber erschienen Texte, die eindeutig zum Heimatgenre gehören, unter anderem Gedichte, Erzählungen und Fortsetzungromane von Ludwig Ganghofer. Hinzu traten Bildillustrationen, die noch heute die Heimatklischees prägen: Hirsche in majestätischer Berglandschaft, Mühlen am Bach, ­ ­jodelnde Sennerinnen oder Mädchen in Spreewäldertracht unter blühenden Bäumen. Diese Heimatbilder und Heimattexte interessieren sich tatsächlich nicht für agrarische Traditionen, bäuerliche Lebensweisen, dörfliche Gemeinschaften und den Erhalt einer bedrohten Kulturlandschaft. Anders als in der Realität kommen in der gespaltenen Welt der Gartenlaube Natur, Tradition und Landschaft mit den technisch-indus­ triellen Fortschritten überhaupt nicht in Berührung. Dieses von der ­Realität abgekoppelte Bild von Heimat ist kaum mehr als Ersatz und Kompensation, also, wenn man werten will, Kitsch. Dass dieser Kitsch auch eine bestimmte psychohygienische und möglicherweise soziale Funktion erfüllte, steht auf einem anderen Blatt.

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Die Gartenlaube war aber keineswegs typisch für die Heimatliteratur im Deutschen Reich, im Gegenteil: Heimatromane verarbeiteten durchaus die konkreten wirtschaftlichen wie politischen Umwälzungen, lassen sich gar als »fiktionalisierte Kommentare zu aktuellen Diskursen und politischen Ereignissen«27 lesen. Zur Sprache kam etwa das Thema, das schon Auerbach in der Einleitung zu seinen Dorfgeschichten gestreift hatte: das Verhältnis von regionaler Heimat und neuem, von Preußen dominiertem Nationalstaat, der ja keineswegs überall patriotische Begeisterungsstürme auslöste. Nachwirkungen der jahrhundertelangen Kleinstaaterei, Konflikte zwischen regionalen und nationalen Interessen und konfessionell oder politisch bedingte antipreußische Ressentiments gab es nicht nur im katholischen Westen und Süden des neuen Staates. Heimatliteratur entstand auffällig oft an den Peripherien des neuen Reiches, in den Rand- und Grenzregionen: in der Eifel, in Schleswig-Holstein, in Bayern, im Elsass, in Schlesien oder Ostpreußen. Die Regionen hatten bis zur Reichsgründung vor allem für die Landbewohner den wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Erfahrungsraum und die alltägliche Lebenswelt ausgemacht, und auch nach der Reichsgründung war die Nation mit ihrer neuen Hauptstadt gerade aus dieser Perspektive eine eher ferne und abstrakte Größe, auch wenn das Deutsche Reich eine Synthese von föderalistischen und zentralistischen Elementen anstrebte und die Mannigfaltigkeit in der Einheit zu erhalten suchte. Heimatliteratur bezog sich zudem auf die Traditionen des Bauern­ romans oder der Dorfgeschichten, schilderte die durch die Moderne bedrohte ländlich-bäuerliche Lebensweise und erfüllte so die Funktion eines ­Archivs oder erzählte von den Umwälzungen der Gegenwart. Peter Ros­egger, der auf einem steirischen Waldbauernhof aufgewachsen war, Clara Viebig, die aus Trier stammende ›Dichterin der Eifel‹ oder der ­Lausitzer Gutsherr und Landwirt Wilhelm von Polenz stellten in ihren Romanen Regionen und Orte mit ihren spezifischen Traditionen, Landschaften und Dialekten dar, beschrieben die Härten des bäuerlichen Lebens oder die teils dramatischen Auswirkungen der gesellschaftlichen und ökonomischen Umbrüche. Peter Rosegger verband seine schriftstellerische Tätigkeit mit politischem Engagement und setzte sich für eine Reagrarisierung ein. Sein Roman Jakob der Letzte beschreibt 1887 das

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Ende eines Dorfes von Waldbauern, zu dessen Untergang unter anderem die Attraktivität der neuen konsum- und genussorientierten städtischen Lebensweise auch für die Bauern beiträgt. Nur ein einziger Bauer, die Titelfigur, hält an der althergebrachten Lebensweise mit ihren Werten fest, kann aber das Ende des Dorfes nicht verhindern. Clara Viebigs Das  Kreuz im Venn (1908) zeigt die Konflikte zwischen Tradition und ­Moderne am Beispiel eines Eifeldorfs, in dem die Entscheidungsträger immer wieder zwischen den verschiedenen Kräften abwägen müssen, die auf die abgelegene Gegend einwirken: auf der einen Seite der neue preußische Zentralismus sowie technischer und wirtschaftlicher Fortschritt, auf der anderen die Werte der Tradition, vor allem Religion, Sitte und Bodenständigkeit. Die Moderne zeigt ihr hässliches Gesicht in Form einer Textilfabrik, in der die Dorfmädchen unter gesundheitsschädlichen Bedingungen ihr Geld verdienen, und in Gestalt einer Strafkolonie, deren Insassen Zwangsarbeit bei der Kultivierung des Moors leisten müssen. Mobiles und weltgewandtes Gegenbild zu dem bodenständigen, traditions- und heimatverbundenen Bürgermeister ist der Vetter des Fabrik­ besitzers, der nach einem langen Auslandsaufenthalt verarmt und krank zurückkehrt und sich vor der enttäuschenden Zivilisation in eine einsame Waldhütte zurückzieht. Ganz anders als Ganghofers Helden findet er jedoch hier nicht Liebe, Heilung oder Erlösung, sondern lediglich die Erkenntnis, dass er dem Leben in der Natur abseits der Zivilisation nicht gewachsen ist. Ein besonders interessantes, aber auch schillerndes Beispiel für den naturalistischen Bauernroman ist der 1895 erschienene Roman Der Büttnerbauer von Wilhelm von Polenz, der die Geschichte der Existenzvernichtung eines Bauern aus der Lausitz erzählt. Polenz selbst war zwar Erbe eines Ritterguts, Akademiker und Schriftsteller, hegte aber Sympathien für die Sozialdemokratie und die Arbeiterbewegung. Der Roman gilt als gelungenes Beispiel für naturalistische Prosa, aber auch, neben Gustav Freytags Soll und Haben, als besonders anschauliches Beispiel für literarischen Antisemitismus. Und in der Tat: Die Figur des jüdischen Geldverleihers Samuel Harrassowitz, der Traugott Büttners Niedergang mit zu verantworten hat, ist überdeutlich aus der Perspektive des rassistischen und zugleich antikapitalistischen Antisemitismus gezeichnet.

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Wohl auch deshalb betrachtete der Begründer der völkischen Heimatkunst, Adolf Bartels, den Roman als wichtige Inspirationsquelle für sein eigenes Konzept der Heimatkunst, und es heißt, dass sogar Adolf Hitlers Denken durch den Roman beeinflusst worden sei. Leo Tolstoi sah den Roman als Modell für eine Literatur, die der Dekadenz der Jahrhundertwende Realismus und Volksverbundenheit entgegensetzen sollte, wie er in seiner Einleitung zur russischen Übersetzung schrieb. Lenin schließlich war von der Darstellung der Bauernfrage in dem Roman, der etwa zeitgleich mit Friedrich Engels’ Aufsatz über »Die Bauernfrage in Frankreich und Deutschland« erschien, äußerst beeindruckt; angeblich gehörte Der Büttnerbauer sogar zu seinen Lieblingsbüchern. Die Gründe für das Scheitern des Bauern im Roman sind vielfältig: Außer dem Kredit des jüdischen Geldverleihers mit seinen ungünstigen, für den Bauern undurchschaubaren Bedingungen tragen auch ein ungünstiges Testament, geldgierige Verwandte, die auf Auszahlung ihres Anteils bestehen, mangelhafte Bildung, fehlender Reformwille sowie problematische Charakterzüge des Traugott Büttner, aber auch der Welthandel, nämlich der Preisverfall des einheimischen Korns durch den Import billigen Getreides, zum Untergang bei. Gerade weil der alte Bauer aufgrund seiner starken Bindung an den Ort seinen Hof schlicht nicht verlassen kann, selbst dann, als Haus und Hof längst verkauft sind und er von dem neuen Besitzer auf dem Hof nur geduldet wird, bleibt ihm am Ende des Romans nur der Selbstmord. Seinem Sohn Gustav dagegen, der zwar an der Heimat hängt, sich aber auch von der Stadt angezogen fühlt, gelingt schließlich der Aufbruch in die Stadt, wo er sich möglicherweise der Arbeiterbewegung anschließen wird. Der Roman hebt die Verbundenheit des Bauern mit der Scholle und seine tiefe Bindung an Haus und Hof hervor, unterschlägt aber nicht seinen völligen Mangel an politischer Bildung oder politischem Interesse, seinen engen Horizont und seine geistige Dumpfheit, kurz: das, was Marx und Engels »Idiotie des Landlebens« nennen. Umgekehrt wird die Anziehungskraft der Konsum-, Unterhaltungs- und Aufstiegsversprechen der Stadt gezeigt, während zugleich das Elend der Nichtsesshaften, des Lumpenproletariats, ausgemalt wird, die eine gänzlich unromantische Heimatlosigkeit repräsentieren, die nachgerade als Hauptcharakteristikum der neuen Zeit erscheint. Die-

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ses »unheimliche Heer der Obdachlosen, der Ausgestoßenen, der Verkommenen, die hinter der bürgerlichen Gesellschaft als ein neuer Stand heranrücken […], auf die der Bauernsohn als auf Landstreicher und Verbrecher herabgeblickt hatte, waren eine Zunft für sich«, stammen von »bäuerlichen Vorfahren«. Nun aber sind sie »vogelfrei. Losgerissenen Blättern glichen sie, die verloren umhergewirbelt werden. Trümmerstücke der modernen Gesellschaft! Treibendes Holz auf den Wogen des Wirtschaftslebens! Entwurzelt, ausgerodet aus dem Heimatsboden, und nun unfähig, irgendwo neue Wurzeln zu treiben. [...] Nicht die Arbeitslust, die Not, hatte diese hier auf die Straße getrieben. Allen war das eine gemeinsam: die Heimatlosigkeit.«28 Der Büttnerbauer ist eine der eindrucksvollsten literarischen Darstellungen der Großen Transformation, des Umbruchs von der Agrar- zur Industriegesellschaft, zeigt drastisch die Konsequenzen dieses Umbruchs für Gesellschaft und Individuum und deutet verschiedene politische Optionen beim Umgang mit diesem Umbruch an. Aus der bäuerlichen Perspektive, veranschaulicht an der Figur des alten Traugott Büttner, erscheint der Umbruch der Gegenwart als Niedergang, wobei der Blick immer weiter in die Vergangenheit gerichtet wird, um diesen Niedergang zu verstehen: auf die erst relativ kurz zurückliegenden Zeiten ökonomischer Prosperität, dann auf das Ende der Leibeigenschaft, schließlich gar auf die Einführung römischer Rechtsvorschriften zum Grundbesitz. Aus dieser Perspektive erscheint der jüdische Geldverleiher als Personifikation eines ort- und bindungslosen Finanzkapitalismus, dem die Verantwortung für das Elend der Gegenwart zugeschrieben wird. Tatsächlich war diese Denkfigur im deutschen Kaiserreich weit verbreitet: Die Juden wurden oft als Urheber der gegenwärtigen Krisen betrachtet, und der Vorwurf der Wurzel- und Heimatlosigkeit gehörte zu den Stereotypen im antisemitischen Diskurs der Epoche. Doch macht sich der Roman diese Perspektive keineswegs zu eigen und setzt dagegen die Geschichte des jungen Gustav Büttner, der beim Militär, bei seiner Arbeit in einem modernen, agrarkapitalistisch organisierten Landwirtschaftsbetrieb und durch seinen sozialistischen Freund desillusioniert wird und einen politischen Lernprozess durchläuft, fast wie in einem marxistischen Lehrstück. Im Romanverlauf wird aus einem

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heimatverbundenen, autoritätsgläubigen und unpolitischen Bauernsohn ein nüchterner Beobachter der Verhältnisse, der sich der Zukunft zuwendet, auch wenn er vor der letzten Konsequenz, dem Eintritt in die revolutionäre SPD, noch zurückscheut. Sowohl Lenins Begeisterung als auch die These, Hitler sei durch diesen Roman beeinflusst worden, leuchten unmittelbar ein, zeigt der Roman doch die durch die Große Transformation ausgelöste soziale Krise als Ursprung beider politischer Großtendenzen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er veranschaulicht die enorme politische Sprengkraft dieses Umbruchs, die ja Marx und Engels schon im Kommunistischen Manifest beschrieben hatten. Auch wenn also Der Büttnerbauer alles andere als eine Verherrlichung des Bauernstandes, eine Idealisierung des Landlebens oder ein Plädoyer für eine Rückkehr zur feudalen Agrarstruktur bietet, präsentiert er Heimatlosigkeit als Sammelbegriff für die Verluste durch Modernisierung und gesellschaftlichen Umbruch. Da die Große Transformation, die Umwandlung der Agrargesellschaften in Industriegesellschaften, keineswegs nur in Deutschland, sondern in ganz Europa stattfand, beschränkte sich auch die Kritik an diesen Entwicklungen nicht auf den deutschen Sprachraum. Heimatbewegungen und Heimatliteratur gab es nicht nur hier: In ganz Europa entstanden etwa seit 1890 Gesellschaften für Volkskunde, Volkstradition usw., die sich der ländlich-bäuerlichen Kultur zuwandten und diese als Quelle des »Ursprünglichen, Natürlichen und Authentischen«29 entdeckten. In England wurde schon 1895 der National Trust for Places of Historic Interest or Natural Beauty gegründet, in Frankreich 1901 die Societé pour la Protection des Paysages de France (SPPF); die Organisation Deutscher Bund Heimatschutz erst 1904. Auch die USA und Japan zeigen sich in dieser Zeit hin- und hergerissen zwischen industriell geprägtem Fortschritt und einer Art Agrarromantik. Doch nicht nur das: Kurz vor dem Ersten Weltkrieg gab es sogar Kooperationsversuche der Heimatschützer, der Natur-, Kultur- und Traditionsbewahrer, über die nationalen Grenzen hinweg: 1909 fand der erste internationale Heimatschutzkongress in Paris statt, 1912 der zweite in Stuttgart, mit Teilnehmern »aus Deutschland, Frankreich, Italien, der Schweiz, England, Holland, Dänemark, Österreich, Belgien, Norwegen und sogar aus Japan«.30

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Es ist nicht überraschend, dass sich nicht zuletzt in England als demjenigen europäischen Land, in dem die Industrialisierung ihren Anfang nahm, zahlreiche Parallelen zum deutschen Heimatdiskurs finden lassen. Beide Länder verbindet eine Kritik an den Auswüchsen von Industrialisierung, Urbanisierung und Materialismus; in beiden Ländern setzen sich Naturschützer für die Erhaltung landwirtschaftlich geprägter Kulturlandschaften und traditioneller dörflicher Lebensweise ein. In beiden Ländern galten ländliche und dörfliche Traditionen als ästhetisch wertvoll und als prägend sowie als wichtiger Bezugspunkt für den jeweiligen Nationalcharakter; die Literatur beider Länder beschäftigte sich mit den Auswirkungen von Industrialisierung und Mechanisierung auf ländliche Gemeinschaften, auf die Landschaft und auf die Gesellschaft als Ganzes, und in beiden Ländern engagierten sich Institutionen und Bewegungen für Landschafts- und Denkmalschutz. Das englische Ideal, das bewahrt und gegen Industrialisierung und Tourismus verteidigt werden soll, wird als ›English countryside‹ (ländliche Landschaften), ›rural England‹ (ländliches England) oder auch ›heritage‹ (kulturelles Erbe) bezeichnet; gemeint ist aber genau das, was auch die Heimatschützer in Deutschland bewahren wollten. Und auch Heimatromane spielten in England ab Mitte des 19. Jahrhunderts bis etwa in die 1930er-Jahre auf dem literarischen Markt eine große Rolle, allerdings wird die Gattung hier als ›regional novel‹ (Regionalroman) oder ›rural novel‹ (ländlicher Roman) bezeichnet. Die englischen Heimatromane spielen ebenfalls in ganz bestimmten Landschaften und Regionen und schildern empathisch das Landleben und bäuerliche Traditionen. Der berühmteste Regionalautor bzw. Heimatschriftsteller, Thomas Hardy, der seinen anhaltenden Ruhm auch den Verfilmungen seiner Romane verdankt (in Deutschland vor allem Tess und Am grünen Rand der Welt), wollte in seinen Romanen die im Verschwinden begriffene bäuerliche Lebensweise schildern und so im Text bewahren, was in der Realität bedroht war. Sein letzter, umstrittener Roman Jude the Obscure,31 der etwa zur gleichen Zeit erschien wie Wilhelm von Polenz’ Der Büttnerbauer, schildert die Konflikte zwischen Tradition und Moderne am Beispiel des tragischen Scheiterns der Titelfigur: Der arme Waisenjunge Jude Fawley wächst auf dem Land auf, träumt aber von sozialem Aufstieg durch Bildung und zieht, getrieben von die-

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sem Traum, in eine Universitätsstadt, wo er eine Steinmetzlehre absolviert, während er sich in seiner Freizeit humanistische Bildung aneignet. Sein Wunsch nach sozialem Aufstieg zerschlägt sich allerdings am Ende ebenso wie seine Träume vom privaten Glück. Auch in Hardys fiktionalem Universum wird die Große Transformation vor allem als Auflösung der alten Welt geschildert. Doch das ist nur ein Beispiel: Gerade um die Jahrhundertwende erschien in England eine Fülle von Texten, die der Sorge um den Verlust der als typisch englisch empfundenen Kulturlandschaft und des mit der bäuerlichen Lebensweise verbundenen sozialen Gefüges Ausdruck gaben. Und während die deutschen Sozialisten – wie der schon genannte August Bebel – den technischen Fortschritt einhellig und enthusiastisch begrüßten und als Verbündeten betrachteten, gab es in England eine Bewegung, die sozialistische Ideen mit ästhetischen und sozialen Überlegungen verband, die sich an Tradition und Vergangenheit orientierten. Das bekannteste Beispiel ist wohl der englische Maler, Designer, Architekt, Schriftsteller und Ingenieur William Morris, Gründer des Arts and Crafts Movement und Begründer der sozialistischen Bewegung. In seinem utopischen Roman News from Nowhere32 (1890) beschreibt er eine Art romantischen Kommunismus, in dem die Industriegesellschaft mit allen negativen Begleiterscheinungen wie sozialer Ungleichheit, Armut, Entfremdung, Hässlichkeit und Umweltbelastungen überwunden ist und die Menschen in einer von altertümlicher Schönheit geprägten Umwelt und in Harmonie mit der Natur leben. Die Stadtbewohner begeben sich gar aus schierer Freude einmal im Jahr aufs Land, um bei der Heuernte mitzuwirken, und selbst die Lebensbedingungen in London entsprechen in keinerlei Hinsicht dem Bild einer technisierten, industriellen Moderne. Wenn es im 19. Jahrhundert einen deutschen Sonderweg gibt, dann besteht er noch am ehesten darin, dass in Deutschland Fortschritt als technisch-industrielle Weiterentwicklung emphatischer begrüßt und gründlicher umgesetzt wurde als in anderen europäischen Ländern, wodurch der Bruch mit der Tradition radikaler, die Kluft zwischen der neuen, naturwissenschaftlich-technischen und der alten, geisteswissenschaftlich-literarischen Kultur tiefer und unüberwindlicher erschien als etwa in England. Versuche der Verbindung und Vermittlung der Idee von

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politischem Fortschritt mit dem Wunsch nach Bewahrung vorindustrieller Traditionen, wie sie William Morris verkörpert, wird man in der deutschen Literatur der Zeit vergeblich suchen. Für deutsche Leser ist es wohl verblüffend, im Kontext der englischen Wertschätzung des ›countryside ideal‹, das auf Deutsch sicherlich ›Heimat‹ genannt würde, konsequent, wenn aus englischer Sicht der deutsche Nationalsozialismus durch seinen radikalen Bruch mit der Tradition erklärt wird. H. J. Massingham, ein konservativ-christlicher englischer Dichter und Autor zahlreicher Schriften über Landwirtschaft und das Landleben, erklärte in einem 1945 veröffentlichten Essay den Nationalsozialismus dadurch, dass die Deutschen im Gegensatz zu den Engländern nicht hinreichend in ihren ländlichen Traditionen und ihrem kulturellen Erbe verwurzelt seien.33 Moderne Technologie und der Bruch mit der Tradition bereiten aus dieser Perspektive den Boden für den Totalitarismus. Diese Sichtweise findet sich auch in J. R. R. Tolkiens Herr der Ringe: Saurons Mordor ist eine industrielle, unfruchtbare, verpestete Hölle, die totalitäre Antithese zur friedlichen Agrargesellschaft des Auenlandes, das sich durchaus als Entsprechung der deutschen Vorstellung von Heimat lesen lässt. Die gleiche Dichotomie finden wir auch in einem der bekanntesten englischen Lieder, das alljährlich in der ›Last Night of the Proms‹ gesungen wird: Hubert Parrys Vertonung (1916) von William Blakes Gedicht »Jerusalem«: Auch dort sind die »dunklen satanischen Mühlen« (»dark satanic mills«) der Industrialisierung dem »grünen, lieblichen Land« (»England’s green and ­pleasant Land«) diametral entgegengesetzt. Der Nationalsozialismus erscheint aus dieser Perspektive als großer Vernichter von Heimat, Gemeinschaft, Tradition und Schönheit, und eben nicht, wie in der verbreiteten deutschen Sicht, als rückwärtsgewandte Ideologie, die zu sehr auf Heimat, Scholle und Tradition setzte. In dem neuesten Spielfilm des britischen Regisseurs Mike Newell, der zur Zeit der deutschen Besatzung der Insel Guernsey spielt, kommentiert denn auch die Hauptfigur die höchst modernen, von den Deutschen zur Befestigung der Insel errichteten Betonbauten mit dem Satz: »Nur sehr grausame Menschen können in einer so schönen Umgebung etwas derart Hässliches bauen.« (»Well, it would have to take someone cruel to build anything as ugly as these in such a beautiful place.«)

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Heimat als Ideologie und Propaganda: Vom Kolonialismus zum Nationalsozialismus Mit Herz und Hand fürs Vaterland, fürs Vaterland! – Die Vöglein im Walde die singen ja so wunderschön, in der Heimat, in der Heimat da gibt’s ein Wiedersehn (Hugo Zuschneid: Nun geht’s ans Abschiednehmen)

Die Heimatbewegung wollte sich mit der Zerstörung von Landschaft, Natur und materieller Kultur durch Industrialisierung und Modernisierung nicht abfinden: Es ging ihr nicht um die Verteidigung einer Heimatidee, sondern vor allem um konkrete, lokalisierbare Phänomene. Doch während der Wilhelminischen Zeit zeigt sich eine Tendenz, die auch auf die immateriellen, quasi-religiösen Vorstellungen der Romantik zurückgeht: Heimat löst sich von der konkreten Realität ab, wird mehr und mehr zur Idee, zum Klischee oder zur Wunschvorstellung. Die Bemühungen um nationale Einheit trugen mit dazu bei, dass die Idee der Heimat verstärkt zum bloß tröstenden Kitsch geriet oder gezielt eingesetzt wurde, um politische Ziele zu unterfüttern oder zu verschleiern. Schon an der Zeitschrift Die Gartenlaube konnte man beobachten, was geschieht, wenn Heimatbilder sich von der Realität ablösen, doch auch jenseits der Gartenlaube wurde ›Heimat‹ »zu einer mit literarisch-medialen Techniken erzeugten Simulation.«1 Nun wurden auch Heimattexte des 19. Jahrhunderts, besonders Gedichte der Romantik, etwa von Joseph von Eichendorff und Ludwig Uhland, zur Nationalliteratur erklärt; Heimat sollte vor allem die Nation sein. Die politischen und ökonomischen Realitäten waren dabei ausgesprochen heimatfeindlich: In Naturwissenschaft, Technik und Industrie herrschte am Ende des 19. Jahrhunderts ein unbedingter Wille zur Mo-

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dernisierung bis hin zur Amerikanisierung. Gerade das Berlin der Jahrhundertwende, ein Zentrum der Elektro- und Schwerindustrie, galt als deutsches Chicago, als Elektropolis. Zudem sollte das Deutsche Reich unter Kaiser Wilhelm II. als Kolonial- und Seemacht etabliert werden: Ein Freihandelsimperialismus sollte Absatzmärkte für deutsche Industrieprodukte und Siedlungsraum erschließen. Nach 1897 machte das deutsche Kaiserreich mit seiner ›Weltpolitik‹ Ansprüche auf einen ›Platz an der Sonne‹ und auf eine nicht nur wirtschaftlich führende Rolle in der Welt geltend, um endlich die ihm vermeintlich zukommende Rolle als »Wortführer […] im weltgeschichtlichen Dialog der Völker«2 einzunehmen, zu der schon 1845 der linksliberale Geograf Ernst Kapp die Deutschen aufgrund ihrer geografischen Mittellage berufen gesehen hatte. Kulturell und politisch dagegen wurde die Moderne zumindest offiziell weitgehend zurückgewiesen. Durch Berufung auf Geschichte und Heimat sollte der Eindruck vermittelt werden, die militärische und ökonomische Macht des Reiches sei fest verwurzelt in Volkstraditionen, während zugleich authentische Zeugnisse dieser Traditionen durch die wirtschaftlichen Entwicklungen zerstört wurden. Stattdessen wurden überdimensionierte Geschichtsmythen in Stein gemeißelt: Große Nationaldenk­ mäler wie das Barbarossa-Denkmal im Kyffhäuser-Gebirge oder das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig sollten die Verwurzelung des Reiches in der Vergangenheit beglaubigen. Dabei waren die stilistische Unsicherheit und Protzigkeit der wilhelminischen Architektur und Kunst mit ­ihren neobarocken Theatern, Kirchen im Stil der Neoromanik oder Neugotik, Bahnhöfen und Verwaltungsgebäuden im Stil der Neorenaissance oder des Neoklassizismus geradezu sprichwörtlich. Diese Tendenz zum Historismus gab es zwar in ganz Europa, doch im deutschen Kaiserreich entwickelte sich, auch als Resultat des wirtschaftlichen Erfolges, eine ­exzessive Bautätigkeit in den Städten, die oft mit großflächigen Abrissen mittelalterlicher Bauten einherging und das Erscheinungsbild der Städte zum Teil bis heute prägt. Die Idee der deutschen Nation, in deren Zentrum statt der Einheit vor allem das Ideal imperialer Größe stand, wurde gezielt instrumentalisiert, um Heimat, Volk, Geschichte und Tradition auf der einen, technischen Fortschritt, Imperialismus und Kolonialismus auf der anderen Seite ir-

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gend in Einklang zu bringen: Der gemeinschaftliche Bezug auf Geschichte, Kultur und Landschaften sowie auf wissenschaftliche, wirtschaftliche und politische Errungenschaften und Erfolge sowie der Zuwachs an Wohlstand auch für die Arbeiterklasse sollten für Klassenunterschiede, soziale Probleme und die Verwerfungen der Umbrüche entschädigen. Bei der Ausgestaltung des Nationalstaats spielten dabei nicht nur die Sozialgesetzgebung und die Ablösung älterer Vorstellungen des Heimatrechts durch staatliche Regelungen eine Rolle; das Gefühl der Heimatverbundenheit, der Bindung an Regionen und andere kleinere kommunale Einheiten sollte zudem durch das Gefühl der Verbundenheit mit der Nation ergänzt oder sogar überformt werden. Dazu trug auch die Vermittlung und Verbreitung von landeskundlichem Wissen in zahlreichen illustrierten Bänden bei, wie etwa in August Sachs 1885 zuerst veröffentlichtem Band Die deutsche Heimat. Landschaft und Brauchtum. Was die Heimatkunde auf lokaler und regionaler Ebene unternommen hatte, sollten Bände wie dieser für das ganze Reich leisten, in einer Verbindung von Geschichte, Geografie, Anthropologie und Ethnologie. Es war alles andere als evident, wo die Außengrenzen eines deutschen Nationalstaats verlaufen sollten; schon um 1848 war diese Frage daher Gegenstand ausgiebiger Diskussionen gewesen. Aufgrund mangelnder natürlicher Grenzen und der ›gefährlichen‹ Mittellage galt es als besonders wichtig, innere Einheit und Einmütigkeit der Bewohner dieses prekären Raumes mit seinem ›oszillierenden Rand‹ herzustellen.3 Deshalb, aber auch durch die expansive Geopolitik in Imperialismus und Kolonialismus, die anhaltende Auswanderung in die USA sowie Arbeitsmigration innerhalb des Reiches waren die Verbindung von Land und Leuten und die Zugehörigkeit einzelner Territorien zum Staatsgebiet alles andere als eindeutig. Vielleicht gewannen auch deshalb die in ganz Europa wirksamen, vor allem auf Arthur de Gobineau zurückgehenden Rassentheorien des 19. Jahrhunderts besonders im Deutschen Reich zunehmend an Einfluss: Statt der über die Zeit gewachsenen Verbindung von Volk, Territorium, Sprache und Kultur, die bis ins 18. Jahrhundert als organische Verbindung erschien, galten nun mehr und mehr ›Rasse‹ oder ›Blut‹ als Ausweis der ›völkischen‹ Zusammengehörigkeit. In diesem Kontext wurde auch der traditionelle christliche Antisemitismus ›modernisiert‹.

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Der moderne, rassistisch geprägte und zugleich antikapitalistisch gefärbte Antisemitismus erfüllte dabei auch eine psychosoziale Funktion: Er diente nicht zuletzt dazu, die negativen Auswirkungen von Kapitalismus, Modernisierung, Technisierung, Industrialisierung und Kommerzialisierung auf die Juden zu projizieren. Sie wurden für die Zerstörung der Heimat verantwortlich gemacht, nicht etwa deutsche Unternehmer, Wissenschaftler, Erfinder, Ingenieure, Bankiers und Industrielle. Der reiche Jude wurde zur Symbolfigur eines ›bösen‹, profitgierigen, unproduktiven Finanzkapitalismus. Die simplifizierende Unterteilung in ›raffendes‹ und ›schaffendes‹ Kapital, die – wie schon an der Figur des Samuel Harrassowitz in Polenz’ Büttnerbauer sichtbar wurde – eng verbunden war mit dem Kontrast von heimatverbundener und wurzelloser Lebensweise, nahmen nicht erst die Nationalsozialisten vor: 1911 beschrieb der Soziologe und Ökonom Werner Sombart in Die Juden und das Wirtschaftsleben die Juden als heimatlose Nomaden, als Wander- und Händlervolk, dem er hohe Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Zielstrebigkeit bescheinigte, aber eben auch Rastlosigkeit, Geringschätzung der Natur und der körperlichen Arbeit sowie der Landwirtschaft und vor allem eine besondere Affinität zum Geld. Moderner Kapitalismus wie Freihandel erscheinen aus dieser Sicht als Produkte ›jüdischen Geistes‹, dieser als Konsequenz der jahrhundertelangen nomadischen Lebensweise des jüdischen Volkes: »Denn in dem Gelde vereinigten sich gleichsam die beiden Faktoren, aus denen sich das jüdische Wesen zusammensetzt, wie wir sehen: Wüste und Wanderung, Saharismus und Nomadismus. Das Geld ist ebenso aller Konkretheit bar wie das Land, aus dem die Juden kamen; es ist nur Masse, nur Menge, wie die Herde; es ist flüchtig wie das Wanderleben; es wurzelt nirgends in fruchtbarem Erdreich wie die Pflanze oder der Baum.«4

Zwar kommt das Wort ›Heimat‹ in Sombarts Ausführungen nicht vor, doch die dichotomische Gegenüberstellung von schollen- und naturverbundener Lebensweise der Bewohner Nordeuropas (Sombart nennt sie, wie bereits de Gobineau, »Arier«) und nomadischer Wurzel- und Rastlosigkeit der Juden suggeriert die Assoziation mit der Vorstellung von Heimat. Verwurzelung und Ortsbindung werden nun zum positiv besetzten

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Merkmal einer durch Rasse definierten ethnischen Identität; das nomadische Prinzip wird mit der Abstraktheit und Beweglichkeit von Geld und Kapital verknüpft und damit als jüdisch identifiziert, aller romantischen Wanderlust zum Trotz. Die Paradoxien und Unstimmigkeiten, die sich ergeben, wenn Heimat propagandistisch eingesetzt und politisch instrumentalisiert wird, zeigen sich auch in der Ideologie des deutschen Kolonialismus. Ganz offensichtlich stellte es einen Widerspruch dar, wenn man einerseits die Heimatliebe der Deutschen beschwor und von jüdischem oder angelsächsischem Materialismus abgrenzte, während man zugleich Kolonialpolitik als offensive Erschließung von Raum und Ressourcen propagierte und betrieb. Auch dabei halfen die Rassentheorien: Nun wurde den ›Ariern‹ oder ›Germanen‹ die besondere Fähigkeit zugeschrieben, Räume durch Arbeit zu erschließen und zur Heimat zu machen, anderen ›Rassen‹ hingegen diese Fähigkeit abgesprochen. So ließ sich Heimat auch in der Kolonial­ literatur verarbeiten. Aufschlussreich ist etwa Peter Moors Fahrt nach Südwest (1906). Der Kolonialroman Gustav Frenssens, der seinen Ruhm vor allem dem Heimatroman Jörn Uhl verdankte, erzählt von einem jungen Handwerkersohn, der sich freiwillig als Soldat zur Marineinfanterie meldet, um in Deutsch-Südwestafrika gegen die aufständischen Herero zu kämpfen, und zeigt ein ambivalentes Bild der Heimat. Der Protagonist beruft sich eher am Rande auch auf nationale Ideen wie die »deutsche Ehre«, doch gewinnt der Leser den Eindruck, dass vor allem eine diffuse Sehnsucht nach der großen, weiten Welt den jungen Mann aus der Heimat nach Afrika treibt. Kurioserweise erinnern zudem seine zunächst begeisterten Schilderungen der neuen Eindrücke und Landschaften an den Blick eines Touristen; allerdings handelt es sich bei dieser Entfernung aus der Heimat ja tatsächlich um eine neue, freiwillige Art der Mobilität, die nicht durch ökonomische Not oder politische Verfolgung motiviert ist. Freilich folgt bald die Entzauberung: Hunger, Durst und Dreck, Verwundung und Krankheit, der grausame Tod von Kameraden und strapaziöse Märsche durch die Wüste lassen (wohl nicht von ungefähr am Ostertag; Faust lässt grüßen) Erinnerungsbilder einer fürsorglichen, friedlichen, weiblich konnotierten, christlichen Heimat in dem jungen Mann aufsteigen, die im extremen Kontrast dazu stehen:

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Einem deutschen Offizier dagegen dient das Bild der Heimat indirekt zur Rechtfertigung des brutalen Kampfes gegen die Afrikaner, denen es nicht gelungen sei, aus der Wildnis eine ›Heimat‹ zu erschaffen: »›Diese Schwarzen haben [...] den Tod verdient, nicht weil sie die zweihundert Farmer ermordet haben und gegen uns aufgestanden sind, sondern weil sie keine Häuser gebaut und keine Brunnen gegraben haben.‹ Dann kam er auf die Heimat zu sprechen und sagte [...]: ›Gott hat uns hier siegen lassen, weil wir die Edleren und Vorwärtsstrebenden sind.‹« Diese grotesk überhöhte Darstellung der deutschen Motive im kolonialen Projekt, die große, nationale Pose des Offiziers steht in krassem Widerspruch zu den prosaischen und egoistischen Motiven der Freiwilligen wie »jugendliche Freude und Begeisterung, germanische Lust an der Fremde und am Krieg«,5 Abenteuer- oder Reiselust und Liebeskummer. Der Ich-Erzähler jedenfalls muss kurz nach der moralisch verklärten Rechtfertigung kolonialer Bestrebungen die Heimreise antreten, weil ein Herzfehler diagnostiziert wird, dem das Klima in Afrika nicht zuträglich ist. Heimat erscheint als geordnetes, kultiviertes Gegenbild zu Wildnis, Schmutz, Chaos und Krieg. Es wird impliziert, dass die Afrikaner nicht fähig seien, eine solche Heimat zu erschaffen, aber auch, dass Afrika den Deutschen keineswegs ohne Weiteres eine ›Heimat‹ zu werden vermag. Es lässt sich das abrupte Ende dieses zweifellos rassistischen Textes so deuten, dass das koloniale Projekt so wie dessen ideologische Begründung dem Autor zumindest unbewusst ein gewisses Unbehagen verursachten. Hans Paasche, der ab 1904 als Offizier an der Niederschlagung der Aufstände in Südwestafrika beteiligt gewesen war und der Lebensreformund Jugendbewegung angehörte, zog aus seiner Erfahrung in Afrika ganz andere Konsequenzen: Er kritisierte die deutsche Kolonialpolitik und sah Afrika als positives Gegenbild zur Zivilisation im Deutschen

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Reich. Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins innerste Deutschland, der in Briefform verfasste fiktionale Bericht eines Afrikaners an seinen König, schildert satirisch ein Land, das keineswegs als idyllische, geordnete Heimat erscheint. Stattdessen beschreibt er eine heruntergekommene Gesellschaft mit fürchterlichen Arbeitsbedingungen in den Fabriken, schlechter Luft und hässlich gekleideten, schlecht ernährten, verfetteten und unglücklichen Menschen, die von Rastlosigkeit, Geldgier und Konsumgelüsten getrieben sind. Im letzten Brief, der offensichtlich auf den Ersten Freideutschen Jugendtag am Hohen Meißner im Jahr 1913 anspielt, deutet sich die Hoffnung auf eine Erneuerung durch ein naturnahes Leben in Annäherung an die Lebensweise der Afrikaner an: Die jungen Leute tanzen »mit nackten Füßen« und haben die schädlichen Zivilisationsgewohnheiten wie Rauchen und Alkoholgenuss abgelegt. Ausgemalt wird eine Zukunft ohne Großstädte und eine Rückkehr zur agrarischen Lebensweise: »Nur wer Land hat und eine Vaterhütte, hat eine Heimat.«6 Es sollte freilich nicht ausgeblendet werden, dass auch der Pazifist Hans Paasche, der als vermeintlicher kommunistischer Aufrührer 1920 von Reichswehrsoldaten ermordet wurde, durchaus der Meinung war, dass diese neuen, gleichsam afrikanisierten und erstarkten Deutschen durchaus für ihr erneuertes Volk kämpfen sollten. Man sieht: ›Heimat‹ wurde in dieser Zeit aus verschiedenen, ja entgegengesetzten Richtungen vereinnahmt und besetzt. Besonders deutlich wurde das im Ersten Weltkrieg, als Heimat, Nation und Vaterland tatsächlich nahezu synonym verwendet wurden. Dabei trieb dieser erste industrielle Krieg die Widersprüche zwischen der Idee von Heimat und der Realität, zwischen Tradition und Moderne, zwischen abstraktem Ideal und materieller Wirklichkeit auf die Spitze: Nicht nur führten die modernen Kriegsgeräte Panzer, Flugzeug, U-Boot, Maschinengewehr, Flammenwerfer, Splitterhandgranate oder Giftgas das zerstörerische Potenzial von Wissenschaft und Technik noch weitaus drastischer vor Augen als die vorangegangenen Prozesse der Industrialisierung. Parallel markierte der Erste Weltkrieg auch den Beginn moderner, staatlich gelenkter Propaganda, die durch alte und neue Medien sowie durch Zensur der Kriegsberichterstattung die Haltung des Volkes beeinflussen sollte. Heimat wurde als Schlagwort, Idee und Klischee für diese Propaganda

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instrumentalisiert: Während die Materialschlachten des Weltkriegs klaffende Wunden in Menschen und Landschaften schlugen, zeigten Postkarten und Plakate neben realitätsfernen, überhöhenden Bildern von Heldentum und Opferbereitschaft vor allem ländliche oder dörfliche Heimatidyllen, um deren Verteidigung es im Krieg angeblich ging, und das keineswegs nur im Deutschen Reich. Britische Kriegspropaganda etwa stellte unter dem Slogan »Hun or Home« (Hunne oder Heimat) das Bild eines sonnendurchfluteten englischen Dorfidylls neben die düstere Darstellung einer von den Deutschen zerstörten belgischen Stadt. Auf deutschen, österreichischen, britischen und französischen Postkarten und Plakaten prangten schmucke Dörfer, pflügende Bauern oder sanfte Hügel. Die Daheimgebliebenen, auch die Frauen, die nun in der Industrie und in der Landwirtschaft kriegsrelevante Arbeit verrichteten, wurden in ganz Europa zum ›Heimatheer‹ an der ›Heimatfront‹. Auch die Texte, die Ludwig Ganghofer, Lieblingsautor und Verehrer des deutschen Kaisers, 1915 als Kriegsberichterstatter für die Münchner Neuesten Nachrichten verfasste, bewegten sich in diesem national aufgeladenen und kitschig überhöhenden Heimatdiskurs, in dem Vaterland, Nation und Heimatklischees verschmolzen. In dem Bericht über seine Reise an die Westfront berauschte sich Ganghofer geradezu an exaltiert patriotisch-agrarischen Heimatbildern, die zwar Vergangenheit und Erdverbundenheit aufriefen, aber vor allem künftige nationale Größe ausmalten: »Rhein! Tausend deutsche Lieder klingen aus diesem Worte, tausend Bilder der Vergangenheit tauchen herauf aus der schimmernden Tiefe dieser einen Silbe. Von allen Zukunftsbildern, die sich mit dem Rhein verweben, seh’ ich nur immer dieses Eine mit dem ewigen Eigenschaftsworte: Deutsch! [...] Du friedsames, du verheißungsreiches, du sonnbeglänztes Land des heimatlichen Bodens! […] Dir will ich dienen, mein ganzes Leben soll nichts anderes sein als ein geduldiges Mich-Einfügen in dein Wachsen und Erblühen, nichts anderes als ein Samenkorn auf dem Acker deiner werdenden Größe!«7

In den Kriegsjahrgängen der konservativen Leipziger Familienzeitschrift Daheim erscheint das Wort ›Heimat‹ beinahe auf jeder zweiten Seite. Kriegspostkarten zeigten Bilder von Soldaten, die vor ländlicher Kulisse ihre Liebsten umarmen, und kombinierten sie mit Zeilen oder Strophen

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aus Heimatliedern des späten 19. Jahrhunderts wie »Nach der Heimat möcht ich wieder/nach dem teuren Vaterort«. In Kriegsreden wurde gar die kriegsbedingte Trennung als Weg zur umfassenden Erneuerung der Wertschätzung von Heimat und Familie gepriesen, wie zum Beispiel in einer Rede des katholischen Münchner Erzbischofs Michael Faulhaber 1915: »Der Krieg hat die Familien von ihren Söhnen und Vätern und Brüdern getrennt und doch wieder seelisch genähert. Auch solche, die in Zeiten räumlichen Zusammenseins einander innerlich entfremdet waren, haben sich als Blut vom gleichen Blut und als Geist vom gleichen Geist wieder­ erkannt. Die meisten Menschen wissen einen Besitz eben erst beim Verlust, die Heimat erst in der Fremde, die Wohltat des Familienlebens erst beim Abschied zu schätzen [...]. Gerade dadurch wird der Krieg dem Familien­leben außer den schweren Wunden auch ein heilsames Gesunden bringen.«8

Der Krieg erscheint nicht als Mittel zur Verteidigung der geliebten Heimat, sondern als Medium der Wiederherstellung eines bereits verlorenen oder immerhin beschädigten Heimatsinns – paradoxer geht es kaum. Auch die überzogene Vorstellung, andere Sprachen hätten kein Wort für Heimat, Heimatliebe sei also eine besonders oder gar ausschließlich deutsche Tugend, verfestigt sich in dieser Zeit des Krieges: Sie findet sich etwa im Januar 1917 in einem »Brief über den Begriff ›Heimat‹« des germanophilen und antisemitischen Schriftstellers Houston Stewart Chamberlain, der gerade erst die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen hatte. In dem Versuch, den Widerspruch zwischen Ortsverbundenheit und Imperialismus aufzuheben, behauptete er gar, gerade aufgrund ihrer besonderen Weltoffenheit liebten die Deutschen ihre Heimat so sehr. Engländer seien nicht dazu in der Lage, Fremdes auch nur wahrzunehmen, während die Franzosen ihr Land nur deshalb so liebten, weil sie sich kaum je aus ihm fortbewegten: »sie kleben am Orte, wie die Katze es tut. Wohl lieben sie ihr Frankreich, aber diese Liebe ist Beschränkung. Der Deutsche dagegen ist der geborene Wandersmann; [...] er lernt die fremden Sprachen, er beobachtet die fremden Sitten, [...] und gerade deswegen weiß er, [...] was sein deutsches Vaterland wert ist.«9 Man muss sich allerdings den Kontext solcher Exaltiertheiten vor Augen führen:

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Die Deutschen hatten nicht das Monopol auf extremen Nationalismus und xenophobe Klischees; auch die französische, englische und später amerikanische antideutsche Kriegspropaganda verfuhren keineswegs zimperlich, wenn sie die Deutschen als bluttrinkende und menschenfressende Hunnen oder Gorillas porträtierten. Je länger der Krieg andauerte und je grausamer, dreckiger und unheroischer er sich gestaltete, desto mehr wurde die Idealisierung soldatischer Heimatverbundenheit allerdings zu einem zweischneidigen Schwert. Die Männer sollten zwar für die Heimat kämpfen, sich aber gerade nicht allzu sehr nach ihr sehnen, denn Heimweh als Einschränkung der Kampfbereitschaft oder gar als Motiv für Fahnenflucht war absolut unerwünscht. Erich Maria Remarques berühmter Roman Im Westen nichts Neues etwa beschreibt, wie der Anblick eines blühenden Kirschbaums im Frühling 1918 bei einem Soldaten derart quälendes Heimweh nach seinem eigenen Bauernhof auslöst, dass er desertiert. Die beschönigenden Berichte in der Presse wie die übrige Propaganda brachten es mit sich, dass die Daheimgebliebenen ein eher unrealistisches Bild vom Krieg hatten; die ersehnten Heimatbesuche der Soldaten waren daher oft Auslöser neuer Entfremdungserfahrungen: Zu unterschiedlich waren die Perspektiven der Frontkämpfer und der Daheimgebliebenen. Diese Entfremdung verstärkte sich noch bei Kriegsende: Hunderttausende traumatisierte, durch Amputationen oder schwerste Verstümmelungen entstellte oder behinderte Soldaten hatten enorme Schwierigkeiten bei der Rückkehr in ein ziviles Leben in der Heimat. Kein Abschnitt der neueren deutschen Geschichte scheint daher von den Heimatvorstellungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts weiter entfernt zu sein als die Zeit der Weimarer Republik. Trotz der Kriegsverluste und der Niederlage, trotz des Zerberstens der Träume von nationaler oder imperialer Größe, trotz der Zumutungen durch den Vertrag von Versailles, trotz Hyperinflation, Arbeitslosigkeit, politischer Extremismen und der Instabilität der Weimarer Republik überwiegt in der medialen Repräsentation die Faszination angesichts der verführerisch wirkenden Vielfalt und Weltoffenheit der ersten deutschen Republik. Noch heute lebt insbesondere das Image der Stadt Berlin von dieser Zeit, die als eine Ära der Liberalisierung der Sitten und der Mode, der Entwicklung von

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Presse, Filmindustrie, moderner Kunst und Architektur wahrgenommen wird. Umgekehrt prägt das Bild von Berlin als kosmopolitischer, moderner und dynamischer Weltstadt die Vorstellungen von der Weimarer Republik insgesamt. Der Glanz überstrahlt das Elend, auch weil für Malerei, Literatur und Film die Schattenseiten in Gestalt von Verbrechen, Prostitution, Dekadenz und Devianz faszinierende Sujets waren. Kurz: Weimarer Republik, Moderne, Neue Sachlichkeit und Großstadt gehören zusammen. Das ist aber nur die eine Seite. Die Gesellschaft war vollkommen gespalten, und diese Polarisierung zeigte sich nicht zuletzt auch in den Haltungen der Deutschen zu ihrer bereits vorher schon herzlich ungeliebten Metropole Berlin. Sie war jetzt erst recht die steingewordene Antithese zu Heimat. Schon einer der Begründer der Heimatkunstbewegung, der Elsässer Schriftsteller Friedrich Lienhard, hatte 1900 die Parole »Los von Berlin« ausgegeben und damit diese Antithese festgeschrieben, die sich auch in Oswald Spenglers Der Untergang des Abendlandes fand: »Die Weltstadt bedeutet den Kosmopolitismus an Stelle der ›Heimat‹, den kühlen Tatsachensinn an Stelle der Ehrfurcht vor dem Überlieferten und Gewachsenen.«10 Berlin wurde als Symbol für die Republik insgesamt, aber auch für Modernismus, Kosmopolitismus oder Amerikanismus gesehen. Aus Sicht der Konservativen alten Typs sowie des rheinischen Katholizismus war Berlin das Sinnbild eines verfaulenden Staates und aller Schatten­ seiten der Moderne, ein modernes Babylon, gekennzeichnet durch Verbrechen, Traditionsverfall, ungezügelten Hedonismus, Anarchie, Chaos, aber auch kalten Rationalismus; die Herrschaft des »heimatlosen großstädtischen Pöbels« bedeutete etwa für die Kölnische Volkszeitung »Deutschlands völligen Untergang«. Noch 1946 bezeichnete Konrad Adenauer Berlin als »heidnische Stadt«. Auch Gustav Stresemann beklagte die »Zuchtlosigkeit« und die »freudlose Gier und Hast«11 der Berliner. Die Vertreter der ›Konservativen Revolution‹ dagegen wollten die Dichotomie von Stadt und Land, Metropole und ›Heimat‹ und die hergebrachte Verklärung einer heimatlichen, von der Zivilisation unberührten Provinz überwinden und bejahten die technische Moderne mit Industrie, Verkehr und Technik. Diese Abkehr vom Heimatideal findet sich prominent auch in Ernst Jüngers Aufsatz »Die totale Mobilmachung«, in dem er mit

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analytischer Kälte die wachsende Abstraktheit und Grausamkeit des »Zeitalters der Massen und Maschinen« mit seinen zunehmend flüchtigen Bindungen beschrieb. Das Leben in der technischen Moderne war für Jünger ein »rasender Prozeß«, mit einer »unbarmherzigen Disziplin«, mit »rauchenden und glühenden Reviere[n]«, »Motoren, Flugzeugen und Millionenstädten.« Das deutsche Kaiserreich, das er als »Gemisch von falscher Romantik und mangelhaftem Liberalismus« charakterisierte, sei im Krieg unterlegen, gerade weil es den »Geist des Fortschritts nur unvollkommen mobil gemacht« hätte. Aus Jüngers Perspektive ist die Hinwendung zur Heimat anachronistisch, Ausdruck einer »falschen Romantik«,12 so unecht wie die Architektur des Schlosses Neuschwanstein. Die Linksliberalen bekannten sich zu Berlin als Inbegriff von Modernität und Internationalität, und die in der Stadtverwaltung einflussreichen Sozialdemokraten propagierten die »Weltstadt Berlin« oder das »neue Berlin«, wobei auch aus sozialdemokratischer Sicht Kritik an Materialismus oder Vergnügungssucht der Berliner zu vernehmen war. Die Kommunisten sahen das ›rote‹, das proletarische Berlin als Vorposten der Revolution, und bei den Nationalsozialisten rangen »großstadtfeindliche Fundamentalisten« mit »antiurbanistischen Pragmatikern«.13 Insgesamt war Berlin die unbeliebteste Stadt Deutschlands. Vor diesem Hintergrund ist es zu sehen, wenn der Bezug auf Heimat vor allem in bürgerlichen Kreisen auch während der Weimarer Republik relevant blieb, und zwar keineswegs nur deshalb, weil die Heimatvereine, Heimatmuseen und Forderungen der Heimatbewegung fortbestanden. Heimat war aber nicht nur propagandistisches Klischee oder unrealistisches Wunschbild, das polemisch gegen die Moderne ins Spiel gebracht wurde. Es gab auch den ernsthaften Versuch, durch die Einführung der Heimatkunde als verpflichtendes Schulfach in den Grundschulen des Reichs Anfang der 1920er-Jahre Heimat als gesellschaftliches Modell mit konkreten Realitätsbezügen einzusetzen, um der gesellschaftlichen Spaltung und der allgemeinen Krise entgegenzuwirken. Eine Heimaterziehung der Kinder sollte zur Überwindung der gesellschaftlichen Spaltung beitragen und der modernen Zerrissenheit, Mechanisierung und Industrialisierung, Vereinzelung und Entwurzelung durch Massenkultur und Massenkonsum entgegenwirken.

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Die neue Institution der Grundschule, in der Schüler aus allen Schichten und Konfessionen vier Jahre lang gemeinsam unterrichtet wurden, war per se dazu gedacht, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken, was unter anderem durch die Vermittlung von Kooperation und Hilfsbereitschaft erreicht werden sollte. Inhaltlich sollte das Schulfach Heimatkunde die propagandistisch missbrauchte Idee der Heimat wieder an das konkrete Lebensumfeld, an materielle Faktoren und Umstände und an die Erfahrungswelt des Individuums zurückbinden. Prägend waren insbesondere die Überlegungen des Berliner Pädagogikprofessors Eduard Spranger aus seinem Vortrag »Der Bildungswert der Heimatkunde« (1923), der Heimatkunde definierte als »das geordnete Wissen um das Verbundensein des Menschen in allen seinen naturhaften und geistigen Lebensbeziehungen mit einem besonderen Fleck Erde, der für ihn Geburtsort oder zumindest dauerhafter Wohnplatz ist«14 (S. 12). Sie sollte eine Beziehung der Menschen zu ihrer Nah- und Erfahrungswelt ermöglichen, Wissen und Emotion verbinden und zugleich die starre Trennung der verschiedenen Wissensgebiete sowie der ›zwei Kulturen‹ zumindest in Ansätzen aufheben. Als »Schule des Totalitätssinnes« sollte sie dazu beitragen, »aus der geistigen Zerrissenheit der Gegenwart herauszukommen« (S. 47). Spranger griff damit auf Überlegungen aus dem 19. Jahrhundert zurück, die auf eine Verbindung von Naturwissenschaften, Kulturgeschichte, Anschauung, Theorie und ästhetischer Wahrnehmung abzielten und damit das Gegenmodell zu einer mechanistischen, rationalistischen und strikt wissenschaftlich-abstrakten Weltsicht bildeten. Doch Spranger erweiterte und modernisierte auch das Heimatmodell des 19. Jahrhunderts: Er sah Heimat nicht als gegebenes, allein durch den Ort der Geburt bestimmtes Weltverhältnis, sondern als Aufgabe und Tätigkeit, für die das erste unmittelbare Lebensumfeld zwar essenziell ist, die aber weit darüber hinausreicht. Niemand ›hat‹ einfach eine Heimat; man muss sich vielmehr erst in sie hineinleben, sie sich erst durch Aneignung von Wissen und durch emotionale Investitionen aneignen. Das bedeutet aber, dass man sich »auch fern von dem Orte des Geborenwerdens eine Heimat schaffen« (S. 14) kann. Für Spranger ist Heimat auch nicht länger zwangsläufig der ländliche Raum: Auch einer »Industrieheimat« (S. 48) kann man sich verbunden fühlen, auch der Großstadtbewohner

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oder gar der »Großstadtnomade« kann Heimatgefühle entwickeln und sich dessen bewusst werden, dass er »mit tausend Fäden an seine Welt geknüpft« (S. 50) ist. Spranger ging von der Erfahrungswirklichkeit des Individuums aus, dessen Beziehungen zur Welt sich nach dem Modell konzentrisch sich erweiternder Kreise gestalten. Entsprechend sind die Menschen zwar zuerst, aber beileibe nicht ausschließlich mit ihrer Heimat verbunden; mit zunehmender Bildung und Erfahrung erweitern sich diese Kreise, sodass nach und nach Verbindungen zum Vaterland, zur Welt und zum Kosmos die erste Bindung ergänzen. Dieses Modell geht vom Individuum aus, sieht es jedoch nicht als isoliert, sondern innerhalb eines Systems von Beziehungen, Abhängigkeiten und Bindungen; ganz wie Barry Commoner, der in Erstes Gesetz der Ökologie von 1971 die Formulierung prägte, dass »alles mit allem zusammenhängt«, betrachtete auch Sprangers Konzept die Heimatkunde als Verbindung von Kulturund Naturwissenschaft »die Verflechtung aller Wirklichkeiten« (S. 25) und die »allseitige Bedingtheit« (S. 29) des menschlichen Lebens. Während die Heimatkunde sich mit der konkreten Lebenswelt beschäftigte, bedienten Heimatfilm und Bergfilm mit ihren Bildern von erhabener Natur oder ländlichen Idyllen die Sehnsüchte der erschöpften Großstadtmenschen und betonten so wieder stärker das illusionistische Element von Heimat. Das Genre Heimatfilm etablierte sich jetzt mit Verfilmungen von Romanen Ludwig Ganghofers, der ersten Verfilmung des Bestsellers Die Geier-Wally (1921) von Wilhelmine von Hillern und einer Verfilmung von Berthold Auerbachs Barfüßele fest im Spektrum der Kino­unter­haltung. Die Bergfilme mit ihren spektakulären Aufnahmen von Gletschern, Felswänden und Höhlen schufen eine Synthese von moderner Medientechnik, städtischem Kinopublikum und der Binnenexotik alpiner Landschaften, Trachten und Bräuche. Heimat- und Bergfilme zeigten die Landschaften aus einer touristischen Perspektive: Wie die ­Figuren in Ganghofers Schweigen im Walde, so erholte sich auch das Filmpublikum mithilfe der überwältigenden visuellen Eindrücke aus ­einer anderen Welt von den Zumutungen und der schieren Hässlichkeit der Stadt. In der Politik im engeren Sinne spielt die Heimat auch in dieser hochpolitisierten Zeit zwar eigentlich keine Rolle; einzig auf einem Wahlpla-

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kat der (alt)konservativen Zentrumspartei im Jahr 1930 taucht das Wort auf. In Hans Grimms berüchtigtem, 1926 erschienenen ›Klassiker‹ der ›Blut-und-Boden-Literatur‹ Volk ohne Raum dagegen begegnet man dem Wort permanent. Der Erfolg dieses Textes lag wohl weniger an seinen literarischen Qualitäten als daran, dass er in dem Land, das nicht nur den Krieg, einen Teil seines europäischen Territoriums und seine Kolonien verloren hatte, sondern sich auch aus seinen Großmachtträumen gerissen sah, einen Nerv getroffen haben muss. Der Romantitel wurde zu einem, vielleicht dem Schlagwort der nationalsozialistischen Bewegung, und der Roman nahm eine Schlüsselposition für die Nationalsozialisten ein: Schon in der Weimarer Republik ein Bestseller, wurde er bis 1944 mehr als 550.000 Mal verkauft, war Lektüre an deutschen Oberschulen und repräsentierte bei der Weltausstellung in Chicago 1933/34 die deutsche Literatur. Auch in Volk ohne Raum, eigentlich einem Kolonialroman, geht es zunächst vordergründig um die schwierige ökonomische Lage der Bauern, eine Verbindung zur Heimatliteratur an der Wende zum 20. Jahrhundert. Doch eigentlich kreist der Roman um das Thema, das schon im Romantitel und in dem Titel des ersten Teils, »Heimat und Enge«, anklingt: Das Deutschland der Kaiserzeit wird hier als übervölkert, als »zu enge«, »übervolle verkleinerte, ziellose Heimat« dargestellt, in der »Zwietracht und Enge und Ziellosigkeit« herrschen und die ökonomisch und moralisch heruntergekommen ist. Selbst die Existenz des Bauern wird hier nicht als traditionsreiche Bindung an die eigene Scholle präsentiert, sondern als Station im sozialen Abstieg: Görge Friebott, der Vater der Hauptfigur Cornelius, stammt aus einer Familie von Pfarrern und Lehrern, ist selbst nur noch Bauer, muss sich aber sogar als Arbeiter in einem Steinbruch verdingen, weil der Bauernhof nach dem Ausbruch der Maul- und Klauenseuche die Familie nicht mehr ernährt. Der Roman blickt hart und kalt auf diese Heimat: Nicht Liebe zum Land oder Bindung an Tradition und Gemeinschaft charakterisieren die Heimat, sondern einzig die Härte des Daseinskampfes, ökonomische Probleme und die ebenfalls ökonomisch begründete Forderung nach Kolonien als wirtschaftlich ertragreichem Raum. Ähnlich wie in Der Büttnerbauer verlässt der Sohn, Cornelius Friebott, den heimischen Bauernhof, arbeitet unter anderem in

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einem Bergwerk, wo er sich bei den Sozialisten engagiert, und wandert schließlich nach Deutsch-Südwestafrika aus, sodass er sich um seine Heimat und um seine alternden Eltern nicht kümmern kann. Jahre nach dem Tod seiner Eltern bietet sich ihm beim Besuch seines Vaterhauses ein trauriges Bild: Das Haus ist von Mietern bewohnt, die es vernachlässigt haben; nun hängt es »schief und müde«, die Fenster sind »blind und zersprungen«. Doch Cornelius’ Heimatland ist ihm insgesamt fremd geworden. Vor allem seine sesshaften, bodenständigen Landsleute, die er als »Massen«, nicht als »Volk« bezeichnet, verachtet er geradezu; er kann nicht nachvollziehen, dass seine Landsleute die ökonomisch offensichtlich vorteilhafte Kolonialpolitik kritisieren. Dem Staat dagegen bringt er geradezu liebevolle Verehrung entgegen: »Neben der lauten Begehrlichkeit und Ehrfurchtslosigkeit der sommerlichen Massen fielen dem Suchenden die tüchtigen, bescheiden wie selbstverständlich vollzogenen Leistungen des Staates und der Städte für ihre Bürger immer mehr auf.«15 Für ihn sind die Deutschen in den Kolonien die ›Besten‹ des Landes. Heimatverbundenheit, Liebe zum Volk, Bodenständigkeit oder Liebe zur Heimaterde sucht man auch hier vergeblich; die Heimat erscheint vielmehr als alt, verbraucht, abgewirtschaftet und ausgelaugt. Stattdessen geht es um die Verheißungen des durch Kolonisierung neu zu erschließenden ›Lebensraums‹ und um den Ertrag versprechenden ›Boden‹. Dieser Gedanke ist ebenso wie die Ideologie des unerbittlichen Überlebenskampfes zentral für die ›Blut-und-Boden‹-Ideologie, die ja unter anderem durch diesen Text mit geprägt wurde, auch wenn Hitler nichts von traditioneller Kolonialpolitik hielt, sondern die Eroberung von ›Lebensraum‹ im Osten Europas anstrebte. Schon der 1933 vom Reichsbauernführer Walther Darré in Auftrag gegebene Propagandafilm Blut und Boden – Grundlagen zum neuen Reich zeigt diese Nähe und macht deutlich, wie wenig die aggressive Blut-und-Boden-Ideologie mit den Heimatvorstellungen des 19. Jahrhunderts zu tun hatte. Ironischerweise wirkte zudem ausgerechnet Walter Ruttmann an diesem Film mit, der 1927 mit Berlin. Die Sinfonie der Großstadt das Aushängeschild der modernen Berliner Metropolenkultur schlechthin geschaffen hatte. Der Film zeigt den ökonomischen Niedergang einer Bauernfamilie, der unter anderem darauf zurückgeführt wird, dass die Deutschen bil-

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lige, importierte Lebensmittel statt einheimischer Produkte kaufen. Nach ihrem Ruin muss die Familie in die Stadt ziehen, die der Film durch Elendssequenzen illustriert, die an kommunistische Tendenzfilme wie Mutter Krausens Fahrt ins Glück (1929) oder Kuhle Wampe (1932) erinnern. Auch Parallelen zu russischen und amerikanischen Filmen über dasselbe Problem mit anderen politischen Lösungen drängen sich auf: Sergej Eisensteins Die Generallinie (1926/28) wies die Verantwortung für das Elend der russischen Bauern den Kulaken zu, den vergleichsweise wohlhabenden Bauern, und propagierte Kollektivierung und Industrialisierung der Landwirtschaft. John Fords Verfilmung von John Steinbecks Erfolgsroman Früchte des Zorns (The Grapes of Wrath) aus dem Jahr 1940 verband das Elend der Bauern nach den Dürren und Staubstürmen der 1930er-Jahre mit einer Werbung für Roosevelts Politik des New Deal. Blut und Boden – Grundlagen zum neuen Reich propagierte die Neuansiedlung der Bauern im Osten, wobei der Film sich einstweilen auf den Osten des Deutschen Reichs beschränkte. Die Bauernfamilie kehrt nicht in ihre Heimat zurück, sondern beginnt östlich der Elbe tatkräftig von Grund auf neu. Ganz offensichtlich ist diese Familie weder an den eigenen Hof noch an die Dorfgemeinschaft oder die vertraute Landschaft gebunden; es scheint einzig um die in den Boden investierte Arbeit zu gehen. Überhaupt wird die Familie als isoliert gezeigt: Von einer ›Volksgemeinschaft‹ ist nichts zu sehen, Hilfe kommt einzig vom Staat. Diese Weltbeziehung hat nichts mit der Art von Bindung und Gemeinschaft zu tun, wie sie Auerbach, Riehl oder auch Spranger formuliert hatten, sondern fügt sich in ein koloniales und imperiales Weltbild mit einer Siedlerideologie, die eher an die Eroberung der ›Frontier‹ im amerikanischen Westen erinnert, ergänzt allerdings um den Faktor des starken Staates. Dabei bleibt der Film aber nicht stehen: Die letzten Bilder des Films zeigen HJ- und BDM-Trupps, die mit wehenden Hakenkreuzflaggen zu den Klängen eines Liedes marschieren, dessen Text mit der Heimat beginnt, diese aber nur zum Ausgangspunkt nimmt für das »große Ziel«, den Sturm auf die Welt und den Sieg: »die Heimat ist dein – erhalte sie rein. Deutscher Boden, deutsches Blut soll stets dir heilig sein. [...] Die Jugend marschiert mit sieghaftem Drang dem großen Ziel entgegen. Wir stürmen die Welt.«

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Einige Vertreter der Ideologie von ›Blut und Boden‹ im Nationalsozialismus, darunter auch Walther Darré, strebten zwar tatsächlich eine Re­ agrarisierung Deutschlands an und sahen die Bauern als entscheidenden Faktor für die ›Volksgesundheit‹. Doch vorrangiges Ziel war die Erschließung neuen Siedlungsraumes für ein durch seine ›Rasse‹, also durch das ›Blut‹, definiertes Volk, nicht die Bewahrung von Heimat, Kultur, Gemeinschaft und Tradition. Dies deutet sich übrigens bereits in Mein Kampf an, wo Hitler zwischen der engen, kleinen, umgrenzten Heimat, die er abfällig auch als »Ländchen« bezeichnet, und dem großen Vaterland unterscheidet. Auch deshalb plädierte Hitler dafür, junge Männer sollten während des Wehrdienstes ihre Heimat verlassen: »Was sonst immer im Leben der Nation trennend sein mag, soll durch das Heer zu einender Wirkung gebracht werden. Es soll weiter den einzelnen jungen Mann aus dem engen Horizont seines Ländchens herausheben und ihn hineinstellen in die deutsche Nation. Nicht die Grenzen seiner Heimat, sondern die seines Vaterlandes muß er sehen lernen; denn diese hat er einst auch zu beschützen. Es ist deshalb unsinnig, den jungen Deutschen in seiner Heimat zu belassen, sondern zweckmäßig ist, ihm in seiner Heereszeit Deutschland zu zeigen.«16

Selbst der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels, der immerhin eine literaturwissenschaftliche Dissertation über die Romantik verfasst hatte, erwähnte in seinen Reden zwar die »heroische Lebensauffassung, die heute durch den Marschtritt brauner Kolonnen klingt, die den Bauern begleitet, wenn er die Pflugschar durch die Ackerscholle zieht«, doch Heimat spielte auch bei Goebbels keine Rolle; er sprach lieber von der »stählernen Romantik«.17 Entsprechend wurde auch der Heimatkundeunterricht modifiziert, der laut einem Erlass von 1937 im Zentrum des Unterrichts der gesamten Volksschulzeit stand. Zwar sollte der Unterricht seine Stoffe nach wie vor »der nächsten Lebenswelt des Kindes« entnehmen, aber grundlegendes Prinzip war nicht mehr die Bindung an Ort und Gemeinschaft, sondern der »Stolz auf Heimat, Sippe, Stamm, Volk und Führer« sowie der »heldische Gedanke«: »Helden der Heimat, des Weltkrieges und der Bewegung, der stille Held des Alltags, der Held der Sage sollen das Kind begeistern.«18 Leitend war nicht mehr die Figur der konzentrischen Kreise,

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in deren Zentrum das Individuum und seine vielfältigen Verbindungen mit der Umwelt stehen, sondern eine hierarchische, nach dem Führerprinzip geordnete Gesellschaft, die wesentlich durch das Prinzip der heldischen Eroberung bestimmt sein sollte. Doch für Propaganda und Symbolpolitik der Nationalsozialisten war ›Heimat‹ eine wichtige ›Marke‹: Das zeigte sich sowohl im Völkischen Beobachter, dem NS-Kampfblatt, das mit dem Wort alles andere als sparsam umging, als auch an den Filmproduktionen der UFA: Unterhaltsame und sentimentale Heimatfilme, aber auch Filme mit klarer propagandistischer Absicht wie etwa Gustav Ucickys Heimkehr (1941) gehörten zum festen Repertoire der nunmehr staatlich gelenkten Filmindustrie. Zwar hatten Vertreter der Heimat- und Naturschutzbewegung wie etwa Paul Schultze-Naumburg sich von der NSDAP erhofft, dass sich ein starker NS-Staat für den Naturschutz einsetzen würde; so erinnert etwa der NABU auf seiner Homepage daran, dass eine seiner Vorgängerorganisationen, der Bund für Vogelschutz, die Machtübernahme der NSDAP mit den Worten begrüßte: »Heimatliebe und Naturliebe sind eine der stärksten Wurzeln, aus denen Deutschland Kraft schöpfen kann, deshalb dürfen wir – so klein unser Arbeitsgebiet scheinen mag – uns zu Mitkämpfern rechnen. Freudig stellen wir uns hinter den Führer, geloben, unsere ganze Kraft einzusetzen für sein hohes Ziel.«19 Die Nationalsozialisten instrumentalisierten Vorstellungen von Heimat sowie konkrete dörfliche und bäuerliche Strukturen und Traditionen für ihre eigenen Ziele; im Zweifelsfall wurden jedoch »die traditionellen dörflichen Ordnungsfaktoren Familie, Kirche und Religion« zurückgedrängt.20 In der gängigen Vorstellung aber werden Verlautbarungen mit eindeutig propagandistischer Absicht und Ideologie des Nationalsozialismus allzu oft unhinterfragt für bare Münze genommen, wenn nachgewiesen werden soll, dass die ›Blut-und-Boden‹-Ideologie des Nationalsozialismus eine lineare und logische Weiterentwicklung der Heimatbewegung sei. Kaum jemals fällt auf, dass hier dieselben Widersprüche wirksam sind wie in der gleichfalls durch Rassentheorien legitimierten aggressiven Geopolitik des Wilhelminischen Kolonialismus. Bodenständigkeit und Verwurzelung in der Heimat und Kolonisierung sind gegensätzliche Prinzipien, wie schon das Beispiel Fausts zeigte, und das Ziel der »Eroberung von Lebensraum im

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Osten Europas« passt schlecht zu »einer romantischen, das bäuerliche Leben verklärenden Vorstellung von einem bodenständigen und gesunden Bauerntum«.21 Die entscheidende Legitimation nationalsozialistischer Geopolitik beruht auf den Rassentheorien und der sozialdarwinistischen Sicht auf das Leben als ›Kampf ums Dasein‹. Weitaus interessantere Einsichten erschließen sich, wenn man Ideo­ logie und Propaganda der Nationalsozialisten mit politischen und ökonomischen Entscheidungen und Handlungen vergleicht. Denn Blut-und-­ Boden-Ideologie, Reagrarisierungsfantasien und Germanenmythen zum Trotz stand die Sozial-, Wirtschafts- und Verkehrspolitik des Nationalsozialismus durchaus im Zeichen von Massenkonsum, Modernisierung und Mobilität: Vor allem wurde die Motorisierung Deutschlands »zum Ziel der nationalsozialistischen Politik erklärt« und durch die Entwicklung des KdF-(›Kraft durch Freude‹-)Wagens, des späteren VW-Käfers, vorangetrieben, an der Hitler selbst mitbeteiligt war. Auch Urlaubsreisen für Arbeiter und Angestellte gehörten zu dieser Modernisierungs- und Mobilitätspolitik: »Seit 1933 erklärte der nationalsozialistische Staat, daß Reisen kein Luxus, sondern eine ›nationale Pflicht‹ sei und propagierte den Urlaub als ›seelischen Erneuerungsprozeß‹, mit dem Ergebnis, daß 1937 die deutschen Reisebüros mehr als 10 Millionen Reisen vermittelten.«22 Die Modernisierungsbestrebungen erstreckten sich auch auf die Schrift: 1941 beschloss Adolf Hitler, die gebrochenen ›deutschen‹ Schriftarten (Fraktur, Schwabacher) durch die Antiqua als Normal-Schrift im Reich zu ersetzen, weil die gebrochene Schrift »ungeeignet für internationale Propaganda« war und »die Kommunikation in den besetzten Gebieten« erschwerte, aber auch deshalb, weil die »Altertümlichkeit der Schrift« nicht zu den »modernen Ideen des nationalen Sozialismus«23 passte. Wenn also heutzutage Grafiker und Typografen die Fraktur einsetzen, um einen Zusammenhang zwischen alten deutschen Traditionen und dem Nationalsozialismus zu suggerieren, unterliegen sie einem Irrtum. Den Nationalsozialisten ging es nicht um Bewahrung von Heimat und Tradition, sondern um Bodengewinnung und um die Neuorganisation des europäischen Raumes. Konsequenterweise werden sogar in der Heimatpropaganda der Nationalsozialisten vor allem der Aufbruch, das Neue, die Zukunft und die Jugend betont; zugleich wurde eine Überwin-

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dung des Risses zwischen technischer Moderne und heimatlicher Tradition verheißen, der das Land seit der Industrialisierung durchzog. Anschaulich wird dies etwa in dem 1940 von Fritz Wächtler, SS-Mann, Gauleiter und Reichswalter des NS-Lehrerbundes, veröffentlichten Band Die neue Heimat. Vom Werden der nationalsozialistischen Kulturlandschaft. Diese ›neue Heimat‹ versprach die Überwindung der Spaltung zwischen Kapital und Arbeit, Bürgern und Arbeitern in der ›Volksgemeinschaft‹ und die Versöhnung der technisch-industriellen Moderne mit der Idee deutscher Heimat. Priorität hatten allerdings das »Wachstum unseres Volkes und die Sicherung seiner Existenz«; Wächtler stellte klar »daß kein Weg zu dem Deutschland zurückführt, das die Romantiker einst malten«. Es ging keineswegs um die Wiederherstellung einer vorindustriellen Agrargesellschaft, sondern vielmehr um die Erschaffung einer ›neuen Heimat‹, zu deren Planung es vor allem eines starken Staates (und Führers) bedurfte, denn als Verursacher des »Heimatverlusts« machte Wächtler Gewinnstreben, Mechanisierung und den Wirtschaftsliberalismus aus: »Nicht der ›Maschinenstürmer‹ [...] könnte der deutschen Kulturlandschaft die erschütterten seelischen Werte heimatlicher Schönheit und innerer Ausgeglichenheit wiedergeben. […] Nur wer die neuen Kräfte als dienende Helfer des schaffenden Volkes einem übergeordneten Plan einfügt und ihre weitgreifenden Möglichkeiten mit dem Kulturerbe deutscher Vergangenheit und dem Wesen der deutschen Natur zu einer höheren Einheit verbindet, wird auch eine wahrhaft deutsche Kulturlandschaft hervorbringen können, die zugleich Lebensraum aller Deutschen sein kann.«

Propagandistisches Paradebeispiel der vom Nationalsozialismus verheißenen und als staatliches Projekt organisierten Versöhnung von Technik und Landschaft ist die Reichsautobahn, die hier als raumerschließendes, grenzüberwindendes, technisches und zugleich naturnahes Unterfangen, kurz: als welthistorisch einzigartige Leistung erscheint und für Einheit, Offenheit, Größe und Grenzenlosigkeit des Reiches und des ›deutschen Wesens‹ stehen soll: »Beispielhaft ist die Vereinigung von Technik und Natur bei dem größten Tiefbauunternehmen der Weltgeschichte, beim Bau der Reichsautobahnen, gelungen. [...] In großzügiger Linienführung, die nirgends mehr durch

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Heimat als Ideologie und Propaganda engherzige Binnengrenzen behindert wird, schließen sie das Reich auf [...]. Zuweilen vermittelt eine Fahrt über die Autobahn einen fast so großartigen Überblick über die Landschaft wie ein Flug. [...] Diese Straßen sind mit der Landschaft völlig verwachsen. Nicht wie ein störender Fremdkörper, sondern als ergänzendes Kulturwerk sind sie ihr eingefügt worden [...] das alles läßt die deutschen Reichsautobahnen [...] zu ›einem Ausdruck ihrer Landschaft und deutschen Wesens‹ werden.«24

Dass die aggressiven und zerstörerischen Komponenten der Raum­ erschließung und Grenzenlosigkeit hingegen bei Wächtler keine Erwähnung finden, dürfte nicht überraschen. Obwohl das Buch nach Kriegsbeginn veröffentlicht wurde, betont der Autor dreist den friedlichen Charakter des NS-Staates und schwadroniert davon, dem deutschen Volk sei ein »Kampf ums Dasein« aufgezwungen worden. Die völkisch-archaisierenden Elemente der NS-Ideologie wirken vor diesem Hintergrund als bloßer ideologischer Kitsch oder gar als böswillige Täuschung, nicht als ernsthafte Kritik an der technisch-industriellen Moderne oder als Matrix für die tatsächlichen politischen, militärischen und gesellschaftlichen Ziele und Methoden des Nationalsozialismus. Diese ausgesprochen zwiespältige und widersprüchliche Haltung zu Natur und Technik sowie zu Tradition und Volk findet sich bereits in einem frühen NS-Propagandafilm, der 1934 unter Regie von Curt Oertel und Hans Deppe (dem Regisseur von Grün ist die Heide und anderen Heimatfilmen der Nachkriegszeit) entstandenen Verfilmung von Theodor Storms Novelle Der Schimmelreiter. Einerseits fügen sich die Filmbilder von friesischen Deichlandschaften, Trachten, Volksbräuchen und Festen bruchlos in das Genre Heimatfilm. Doch die Figur des Hauke Haien, der vom Knecht zum Deichgrafen aufsteigt und in Gesten und Inszenierung eindeutig Adolf Hitler nachempfunden ist, wird als einsamer, visionärer, geradezu faustischer Modernisierer präsentiert, der als Einziger die Bedeutung moderner, wissenschaftlich fundierter Deichtechnik für die Zukunft des Landes erkennt und sein Projekt eines modernen Deichs, der hundert Jahre halten soll, gegen starke Widerstände aus dem Volk durchsetzt. Hauke Haiens Projekt erinnert wohl nicht von ungefähr an Fausts Projekt der Landgewinnung; zugleich denkt man bei dem ›hundertjährigen Deich‹ unweigerlich an das ›tausendjährige Reich‹. Die Bau-

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ern sind kleingeistig, selbstsüchtig, engstirnig und materialistisch und daher unfähig, die Pläne des Visionärs zu begreifen. Überdies sind sie abergläubisch: Hauke Haien muss sie davon abbringen, einen kleinen Hund in die Fundamente des Deichs einzugraben, denn sie sind überzeugt, dass der neue Deich ein Opfer braucht. Kurz: Auch hier, ganz wie in Grimms Volk ohne Raum, wird das Volk keineswegs verklärt; vielmehr wird überdeutlich demonstriert, warum das unaufgeklärte Volk einen autoritären Führer braucht. Bei der Eröffnung des neuen Deichs zeigen sich denn auch die Bauern besänftigt, zumal der Oberdeichgraf in seiner Rede explizit auf das Lebensraum-Konzept anspielt und das Projekt des Führers nun offiziell als politische Leitidee etabliert: »Ja, baut solche Deiche weiter hinaus! Für euch und für unser Volk neue Erde, neuen Lebensraum zu schaffen. Euer Werk legt Zeugnis dafür ab, was Gemeinschaftswille vermag.« Der Filmkritiker der Zeitschrift Daheim verstand die Anspielungen unmittelbar: »Dieser Film ist sehr zeitgemäß, ›Blut und Boden‹ heißt sein Inhalt, der Führergedanke lebt darin.«25 Die durch die Rassenideologie geprägte NS-Propaganda bezog sich auch negativ auf Heimat: Sie sprach den Juden – ganz ähnlich wie der kolonialistische Rassismus den Afrikanern – das Vermögen ab, überhaupt Heimatgefühle und Bindung entwickeln zu können, obwohl Deutschland den etwa 561.000 deutschen Juden mit der in der Reichsverfassung von 1871 verankerten rechtlichen Emanzipation in gewissem Grade zur sprachlichen und kulturellen Heimat geworden war. Die eingeführten Denkfiguren des vermeintlichen jüdischen Nomadismus, der angeblichen jüdischen Affinität zum Geld und des unterstellten jüdischen Desinteresses am Boden wurden für diese antijüdische Propaganda eingesetzt: »Der Jude hat keine Heimat, er ist der ewige Nomade. Niemals hat er, seit er ruhelos wandernd die Welt zu unterjochen suchte, ein innerliches Verhältnis zu der Erde gewonnen, auf der er als Parasit lebt. Der Grund und Boden hat für ihn keinen Sinn, wenn er ihn nicht in mobile Werte verwandeln kann. Nicht das Land ist für ihn bedeutungsvoll, sondern die Hypothek, nicht das Tier, sondern sein Verkaufswert.«26 Dennoch lebte 1940 immerhin noch mehr als ein Drittel der jüdischen Deutschen im Reich. Es gab vielfältige Gründe dafür, dass nicht alle ohne Weiteres Deutschland verlassen konnten: Teils lag es an einer Unter-

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schätzung der Gefahr, teils an der Bindung an Heimat, Familie, soziales Umfeld, Kultur und Sprache, teils an der restriktiven Einwanderungspolitik der infrage kommenden Länder sowie an der Politik der deutschen Regierung, die den ausreisenden Juden nur äußerst begrenzt die Ausfuhr von Geld und Besitz gestattete. Doch trotz allem hielten viele, denen die Emigration rechtzeitig gelang, an der deutschen Sprache und Kultur fest und unterschieden sich darin kaum von den deutschen Amerika-Auswanderern früherer Zeiten: So sprachen etwa viele deutsche Juden in Palästina zumindest zu Hause weiterhin Deutsch, obwohl die »Verwendung der Herkunftssprachen« offiziell verurteilt wurde.27 Und in vielen außereuropäischen Ländern, in denen die deutschen Juden sich niederließen und im Lauf der Zeit zu loyalen Staatsbürgern wurden, hielten sie an ihren aus Deutschland mitgebrachten Gepflogenheiten und Bräuchen fest, vom Spazierengehen oder Wandern bis hin zum Backen von Pflaumenkuchen oder deutschem Brot. Sie oszillierten gewissermaßen zwischen ihrer »Verwurzelung in einem eindeutig zerstörten deutsch-europäisch-jüdischen Leben und einer reizvollen neuen Existenz«, wurden gleichsam, notgedrungen, zu »provinziellen Kosmopoliten«,28 die emo­ tio­nale Bindung und erzwungene Loslösung in sich vereinten. Und einige kehrten sogar in ihre alte Heimat zurück.

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Heimat in Trümmern: Alte und neue Heimat in West und Ost Gib, Heimat, daß ich einst dich wiederseh! Zeitloses, namenloses Heimverlangen. Des zwanzigsten Jahrhunderts Odyssee. (Johannes R. Becher: Heimatlose Zeiten)

1945 lag Europa, lag auch Deutschland in Trümmern. Auf die ›totale Mobilmachung‹ im Zweiten Weltkrieg mit Truppenbewegungen, Zwangsumsiedlungen, Deportationen und Gefangenentransporten folgte eine weitere Phase meist unfreiwilliger, massenhafter Migrationsbewegungen auf dem ganzen Kontinent. Statt sich, wie von Hitler geplant, weit in den osteuropäischen Raum hinein auszudehnen, schrumpfte das Siedlungsgebiet der Deutschen abermals zusammen. Nicht nur die über zwölf Millionen Deutschen, die aus jenen Gebieten flohen oder vertrieben wurden, in denen Deutsche schon jahrhundertelang gelebt hatten, und die sechs bis zwölf Millionen ›Displaced Persons‹ auf deutschem Territorium, sondern vor allem ehemalige Zwangsarbeiter, ausländische KZ-­ Insassen und Kriegsgefangene, dazu Millionen deutscher Soldaten in Gefangenschaft waren am Ende des Krieges heimatlos oder fern der Heimat. Nicht nur physisch, durch Bomben, Feuer und Artillerie, waren viele deutsche Städte und Wohnungen bei Kriegsende zerstört. Durch Hitlers aggressive Geopolitik und durch die Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung der Juden, die jahrhundertelang in Europa beheimatet waren, wurde auch die Vorstellung von Heimat schwer beschädigt, nur 100 Jahre, nachdem der jüdische Autor Berthold Auerbach mit dem Dorf Nordstetten ein Modell für das friedliche Zusammenleben jüdischer und christ­ licher Deutscher entworfen hatte. Und dennoch oder gerade deshalb rückte die Heimat ins Zentrum politischer und gesellschaftlicher Debatten: Mit Blick auf den Umgang mit der massiven Zerstörung dessen, was die Heimatschutzbewegung ›sichtbare Kultur‹ genannt hatte, wurde diskutiert, ob man die zerstörten Alt-

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städte sowie Kirchen und Bauwerke mit besonderer Bedeutung wie zum Beispiel Goethes Geburtshaus in Frankfurt am Main wieder aufbauen oder ersetzen sollte. In praktischer, politischer und gesellschaftlicher Hinsicht stellte sich sowohl für die Geflüchteten und Vertriebenen als auch für die Aufnahmegesellschaft in West und Ost die Frage, wie mit dem kollektiv erlebten Trauma und dem Verlust umzugehen sei. Heimat war ganz konkret, im physischen und psychischen Sinne, ein Thema für jene, die ihrer alten Heimat nachtrauerten, wie für diejenigen, die nach einer neuen Heimat suchten, wurde aber auch, wie immer wieder seit dem Ersten Weltkrieg, von verschiedenen politischen Akteuren gezielt propagandistisch instrumentalisiert und neu definiert. Die Kulturindustrie nahm die Sehnsucht nach Heimat auf: Die Heimatfilme der 1950erJahre gelten als Inbegriff des Genres. Diese Gemengelage hat großen Anteil an der deutschen Überempfindlichkeit mit Blick auf die Heimat; in den vielen Heimatdebatten spielt allerdings gerade diese Zeit erstaunlicherweise kaum eine Rolle. Da auch die staatlichen Institutionen mitsamt ihren intellektuellen und moralischen Grundlagen in Trümmern lagen, herrschte umfassende Desorientierung. Ein ganzes Land schien buchstäblich vor dem Nichts zu stehen. In den literarischen Texten der unmittelbaren Nachkriegszeit schlug sich dies nieder. Die Autoren waren oft selbst Kriegsheimkehrer und beschrieben die Ruinen der Häuser und Städte sowie das moralische, geistige und psychische Trümmerfeld, das sie in der Heimat vorfanden, wie etwa Wolfgang Borchert in seinem Heimkehrerdrama Draußen vor der Tür über einen »von denen, die nach Hause kommen und die dann doch nicht nach Hause kommen, weil für sie kein Zuhause mehr da ist.«1 Die Gegenwart zeigte nichts als Zerstörung, und auch die Vergangenheit bot keine Orientierung mehr, denn der Blick zurück warf die Frage auf, welchen Anteil die deutsche Geschichte an den unmenschlichen Verbrechen hatte. Gleich 1945 bot Thomas Mann aus dem Exil eine Deutung an: Die Verbrechen der Nazis deutete er als Ergebnis »hysterischer Barbarei«, das er, wohl auch in retrospektiver Selbstkritik, auf die »romantische Gegenrevolution […] gegen den Rationalismus der Aufklärung«2 zurückführte. Dieses relativ schlichte Deutungsmuster, das den Nationalsozialismus als »Devianz«, als »Sonderweg« und Abweichung von einem »aus

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der Aufklärung abgeleiteten, universell gedachten Begriff der Menschlichkeit«3 verstand, als Endpunkt einer langen deutschen Tradition des Irrationalismus als »Herabsetzung von Verstand und Vernunft, kritiklose Verherrlichung der Intuition, […] Ablehnung des gesellschaftlich-geschichtlichen Fortschritts, Schaffung von Mythen«,4 erwies sich als außerordentlich wirkungsmächtig und wurde nicht zuletzt herangezogen, um die Notwendigkeit von Rationalisierungs- und Modernisierungsbestrebungen zu untermauern. Wieder einmal gaben die Anhänger von Fortschritt und Modernisierung offensichtlich den Ton an. Zwar gab es in Deutschland auch einige konservative Stimmen, die den Nationalsozialismus als besonders destruktive Ausprägung der modernen ›Vermassung‹ sahen, die zur »Entwurzelung, Nivellierung und Verrohung der Völker, die bis dahin in ein festes Netz von Normen und Traditionen eingebunden waren«,5 geführt habe. Doch überwog eher die bedingungslose Hinwendung zum Neuen und zur Zukunft. So richteten vor allem Politiker, Stadtplaner, Unternehmer, Ingenieure und Architekten den Blick in die Zukunft. Folgerichtig prägten das Wort ›neu‹ und Schlagworte wie ›neues Deutschland‹, ›neue Zeit‹, Neuaufbau usw. die Nachkriegszeit. Man könnte die Zukunftsversessenheit allerdings auch als spezifische Form der Unfähigkeit zu trauern begreifen, um den zur Redensart ge­ wordenen Titel des Buches von Alexander und Margarete Mitscherlich zu zitieren, das sich allerdings mit anderen Formen der Verdrängung ­beschäftigte. Von außen betrachtet wirkte das Verhalten der Deutschen jedenfalls durchaus befremdlich: So beschrieb der als Oberst und Lite­ raturinspekteur der französischen Militärregierung in seine Heimat zurückkehrende Alfred Döblin die seltsame Tatkraft, die er an seinen ausgebombten Landsleuten wahrnahm. Er beobachtete Menschen, die »wie Ameisen in einem zerstörten Haufen hin und her rennen, erregt und arbeitswütig zwischen den Ruinen, und ihr ehrlicher Kummer ist, daß sie nicht sofort zugreifen können, mangels Material, mangels Direktiven. Die Zerstörung wirkt auf sie nicht deprimierend, sondern als intensiver Reiz zur Arbeit. Ich bin überzeugt: Wenn sie die Mittel hätten, die ihnen fehlen, sie würden morgen jubeln, nur jubeln, daß man ihre alten, überalterten, schlecht angelegten Ortschaften niedergelegt hat und ihnen Gelegenheit gab, nun etwas Erstklassiges, ganz Zeitgemäßes hinzustellen.«6

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Die Trümmer der alten, zerstörten Städte waren sichtbarster Teil und zugleich Sinnbild der Vergangenheit. So war dies auch die große Stunde der Architekten und Stadtplaner, die in der umfassenden Zerstörung die Chance witterten, nun endlich ihr Ideal der funktional und rational geordneten, autofreundlichen, kurz: modernen Stadt in großem Maßstab verwirklichen zu können und damit Räume zu schaffen, in denen sich die neue, bessere Gesellschaft entwickeln sollte. Architektur war ja seit Beginn der Moderne auch symbolischer Ausdruck ideologischer und politischer Positionen, Architekten und Stadtplaner verstanden sich seit den 1920er-Jahren immer auch als Sozialingenieure. Über die großflächige Zerstörung der alten ›sichtbaren Kultur‹ waren die Architekten konsequenterweise alles andere als traurig. So folgte auf die Zerstörung von Heimat durch Industrialisierung, nationalsozialistische Raumplanung und Krieg mit der zukunftsorientierten Stadtplanung der Nachkriegszeit ein weiterer destruktiver Schub. Seiner Freude über diese ›schöpferische‹ Zerstörung als Basis für radikale Innovationen gab 1948 etwa Hans Scharoun Ausdruck: »Die mechanische Auflockerung [!] durch Bombenkrieg und Endkampf gibt uns jetzt die Möglichkeit einer großzügigen und funktionellen Erneuerung«.7 Hugo Häring, Scharouns Mentor, der schon im Berlin der 1920er-Jahre als Vorkämpfer für die moderne Stadt agiert hatte, zeigte sich ebenfalls angetan, weil nun kaum mit Protesten der Bürger zu rechnen war: »Die heftigen Widerstände, die vordem etwa den fabrikmäßig hergestellten Wohnbauten oder den Großsiedlungen oder Wohnhochhäusern entgegengebracht wurden, sind heute verschwunden. Wer kein Dach mehr über dem Kopf hat, wird nicht zögern, ein Haus zu beziehen, das ihm bezugsfertig aus einer Fabrik geliefert würde. Dies ist zwar ganz gewiss kein Verdienst Hitlers, aber es ist eine Folge seines Auftretens.«8 Ein im Juni 1959 vom Spiegel als »Wunder« gefeiertes, neuerdings eher kritisch betrachtetes Musterbeispiel für die moderne Stadt war Hannover. Der Stadtbaurat Rudolf Hillebrecht, vor 1945 Mitarbeiter im Wiederaufbau-Planungsstab um Albert Speer, setzte den Umbau Hannovers zur autogerechten, von Schnellstraßen durchzogenen Stadt durch, für die auch kaum beschädigte Altbauten weichen mussten. Egon Eiermann sah in der neuen, internationalen Architektur der Moderne, die nur graduelle regionale Unterschiede auf-

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weist, einen Vorboten einer vereinigten Welt: Die neue Art zu bauen sollte »zu einer Überwindung der Gegensätze, zu einem internationalen Ausgleich, zur Assimilierung, kurz: zur ›One World‹«9 hinführen. Die Auslöschung der Unterschiede zwischen Landschaften und Orten im Zuge der zunehmenden Rationalisierung und Geometrisierung der Welt, die um 1900 als Zerstörung von Heimat gefürchtet wurde, galt den Architekten und Stadtplanern nun ganz offen als anzustrebendes Ideal. Allerdings waren die Widerstände gegen das Neue Bauen nach der totalen Zerstörung nicht ein für allemal beseitigt: Nur 20 Jahre nach Kriegsende gerieten die eben noch gepriesene Funktionalität und Eigenschaftslosigkeit der modernen Architektur und Stadtplanung abermals in die Kritik. Anscheinend wollten viele Menschen die vermeintliche Antiquiertheit ihrer Bedürfnisse nicht überwinden und mochten nicht ohne das auskommen, was die neue, funktionale Stadt weder bieten sollte noch konnte: Heimat und Identität. 1964 beklagte Wolf Jobst Siedler in seinem Buch Die gemordete Stadt den Verlust von Erinnerung, Unverwechselbarkeit und emotionalen Qualitäten durch die eintönigen Neubausiedlungen, die funktionale Aufteilung der Städte und das Abschlagen von Fassadenornamenten. Nur ein Jahr später wies auch der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich in Die Unwirtlichkeit unserer Städte darauf hin, dass die »bloß agglomerierte Stadt«, wie sie etwa in den »Wohnsilos« von Ludwigshafen oder Dortmund Gestalt angenommen hatte, nicht Heimat werden könne, denn: »Heimat verlangt Markierung der Identität eines Ortes«.10 Die Stadtplaner der DDR gingen zunächst, bis 1955, einen anderen Weg, bevor nach Stalins Tod der Stil der internationalen Moderne auch in den Staaten des Warschauer Pakts dominierte. In einer volkstümlichen Architektur, die im Gegensatz zur internationalen Moderne auch Ornamente einsetzte, sollte der Sieg der neuen sozialistischen Gesellschaftsordnung zum Ausdruck kommen. Damit die Bürger sich in dieser neuen sozialistischen Heimat auch heimisch fühlten, wurde auf deutsche Bautraditionen zurückgegriffen, insbesondere auf den preußischen Klassizismus Karl Friedrich Schinkels. Parallel wurde allerdings aus ideologischen Gründen nicht nur das Berliner Schloss gesprengt, sondern es wurden auch hunderte ehemalige Gutshäuser abgerissen, selbst wenn dort

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Flüchtlinge und Vertriebene untergebracht waren. Diese Maßnahme stieß auch bei Dorfbewohnern auf Widerstand, weil sie die Gutshäuser als Träger von Erinnerung nicht nur an die negativen Aspekte der feudalen Gesellschaft empfanden. Man hätte wohl gern auch die ungeliebten ›Mietskasernen‹ in den Städten beseitigt, die an die Lebensbedingungen der Arbeiter im Industriekapitalismus des 19. Jahrhunderts erinnerten. Die heutigen Bewohner der aufwendig sanierten ehemaligen Mietskasernen im Berliner Prenzlauer Berg haben die Gestalt ihres anheimelnden, für Arbeiter nicht mehr erschwinglichen Kiezes wohl vor allem dem Umstand zu verdanken, dass es in der DDR bis zum Schluss an Mitteln und Möglichkeiten fehlte, Neubauten in hinreichender Menge zu errichten. Anderenfalls sähe es dort womöglich so aus wie in Marzahn oder Hohenschönhausen. Stadtplanung und Architektur waren wichtige Felder der Auseinandersetzung darüber, wie sich die Gesellschaft zu Vergangenheit, Tradition und Heimat einerseits, Zukunft, Erneuerung und Planung andererseits stellen sollte. Dabei wählten verschiedene Städte unterschiedliche Lösungen: Vor allem Städte im Süden bemühten sich um eine Wiederherstellung des Stadtbildes. Die Debatte, die 2018 über die Rekonstruktion historischer Bauten der Frankfurter Altstadt entbrannte, zeigte, dass diese Grabenkämpfe keineswegs der Vergangenheit angehören: Lokalpolitiker und Bürger wurden sich einig darin, dass dort, wo von 1974 bis 2010 das trotz heftiger Bürgerproteste erbaute brutalistische Technische Rathaus stand, das historische Stadtbild der Altstadt wiederhergestellt und einige besonders bedeutende Bauten aus verschiedenen Epochen zwischen Mittelalter und 19. Jahrhundert rekonstruiert werden sollten, um der Stadt einen Teil ihrer durch Krieg und Stadtplanung der Nachkriegszeit zerstörten Identität zurückzugeben. Das Projekt war umstritten: In zuweilen schriller, von ideologisch motivierten Bedenken geprägter Kritik wurde die Rekonstruktionsarchitektur als das »geschichtspolitische Projekt reaktionärer Mächte« 11 dargestellt und behauptet, »dass Rekonstruktionsarchitektur mittlerweile zum Schlüsselmedium der autoritären, völkischen, geschichtsrevisionistischen Rechten geworden«12 sei. Dieser Lesart stand allerdings entgegen, dass die Nationalsozialisten selbst nach der Zerstörung der Altstadt und des Goethehauses im Frühjahr 1944

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keine Rekonstruktion der Altstadt planten, sondern vielmehr einen Neuaufbau ohne Nostalgie; sie forderten, »das, was gestorben ist, im Grabe ruhen zu lassen« und »im Sinne unserer Zeit, ohne einengende Hemmungen Neues zu wirken, nachdem das Alte, Ehrwürdige zu ewigem Schlaf gebettet worden ist«.13 Ein anderes wichtiges Terrain der ideologischen Kämpfe um Heimat, Vergangenheit und Zukunft nach dem Krieg war die Debatte um den angemessenen Umgang mit der alten und der neuen Heimat der Geflohenen, Vertriebenen und Umsiedler, die unterdessen zwar einiges von ihrer früheren Vehemenz eingebüßt hat, aber keinesfalls abgeschlossen ist. Schon in der unmittelbaren Nachkriegszeit ging es in den Besatzungszonen und dann in BRD und DDR nicht allein um praktische Probleme wie die Unterbringung und Versorgung der Millionen Neuankömmlinge, auch wenn dies in dem zerstörten Land beileibe keine Lappalien waren. Darüber hinaus stellten sich gewichtige gesellschaftliche, ideologische und politische Fragen, die schon in der Benennung der Phänomene zum Ausdruck kamen: War in den Westzonen mit Blick auf die Flucht und Zwangsauswanderung von Deutschen aus den ehemals deutschen Ost­ gebieten 1945 bis 1950 von ›Ausweisung‹, ›Vertreibung‹ und ›Heimat­ vertriebenen‹ die Rede, sprach man in der sowjetischen Besatzungszone von ›Umsiedlern‹. Politisch ging es zunächst um die Anerkennung der im Potsdamer Abkommen beschlossenen, auf dem Papier vorläufigen, de facto allerdings endgültigen Abtretung von Böhmen, Mähren, Schlesien, Pommern sowie West- und Ostpreußen an Polen, die Tschechoslowakei und die Sowjetunion. Damit verbunden war die Frage, ob Vertriebene bzw. Umsiedler dauerhaft in die neue Heimat integriert werden sollten oder ob die Vorstellung am Leben erhalten werden sollte, sie würden eines Tages in die alte Heimat zurückkehren. Darüber hinaus war auch wichtig, ob Erinnerungen an die alte Heimat in der neuen Heimat Raum hatten und, wenn ja, welche Form der Erinnerung als angemessen und akzeptabel galt. Schon vor der Gründung von BRD und DDR wollten alle Parteien die Vertriebenen als Wählergruppe gewinnen. Im Westen setzte sich besonders die CDU für deren Interessen ein und verhieß, so illusionär dies auch sein mochte, man werde die alte Heimat nicht aufgeben. So zeigte

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zum Beispiel ein CDU-Plakat für die Landtagswahl in NRW 1947 einen Flüchtlingstreck, der sich durch eine karge, in kaltes Blau getauchte Landschaft zieht, und verkündete: »Vertriebene – Nicht verzweifeln! Für Eure Lebensrechte hier! Für die alte Heimat! CDU«. In der Sowjetzone bot sich die SED als Interessenvertretung an, konzentrierte sich aber ganz auf die neue Heimat und blendete die alte Heimat komplett aus: Ein Wahlplakat aus dem Jahr 1946 zeigt in Rückenansicht einen Flüchtling, der, seine Habe auf dem Rücken, sehnsüchtig auf eine in warmem Gelb gehaltene ländliche Idylle mit Feldern, Bauernhof und rauchendem Schornstein blickt. Der Text verheißt: »Umsiedler: Die SED hilft Euch, eine neue Heimat zu schaffen. Wählt SED!« Doch waren die Vertriebenen im Westen, die Umsiedler im Osten eben nicht nur potenzielle Wähler; sie stellten auch ein erhebliches gesellschaftliches wie politisches Störpotenzial dar: Sie konkurrierten mit den Ortsansässigen um Ressourcen, sprachen fremdartige Dialekte, brachten andere Ess- und Lebensgewohnheiten mit und fühlten sich weiterhin mit ihrer alten Heimat verbunden. Umfragen zeigten, dass 1949 82 Prozent der Vertriebenen am liebsten in ihre alte Heimat zurückkehren wollten; selbst 1962 waren es noch 52 Prozent. Die amerikanischen und sowjetischen Besatzungsmächte forderten daher eine rasche Integration der Neuankömmlinge, eine Verschmelzung und Assimilation mit den Einheimischen. Weder die Amerikaner noch die Sowjets wünschten sich eine permanente sicht- und hörbare Erinnerung an »Deutschlands Problem Nr. 1«.14 Nach der Gründung von BRD und DDR gab es allerdings deutliche Unterschiede im Umgang mit den Vertriebenen in West und Ost: Im Westen war die politische Lage zumindest auf der Oberfläche eindeutig. Die Landkarten im westdeutschen Diercke Weltatlas verwiesen noch 1967 auf die deutsche Grenze bis 31.12.1937; die abgetretenen Gebiete, die zum Deutschen Reich gehört hatten, waren mit dem Vermerk »zur Zeit unter polnischer bzw. sowjetischer Verwaltung« versehen. Die Vertriebenen in der Bundesrepublik waren kulturell und politisch sichtbar: Zum einen gab es zahllose Vereine, die sich, zum Teil in Anknüpfung an die Heimatvereine des späten 19. Jahrhunderts, mit der Pflege regionaler Bräuche, Mundarten und Trachten der alten Heimat befassten, aber auch, nach der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch

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die Bundesrepublik 1970, Reisen organisierten und Heimatbriefe, Heimatzeitungen, Heimatbücher oder Heimatblätter mit Informationen über Entwicklungen in der alten Heimat herausgaben. Mitunter wohl eher nolens volens wurden die Vertriebenen so, ein weiteres Paradox, über die Zeit auch relevante Akteure eines kulturellen Austausches im Prozess der allmählichen Verständigung, Annäherung und Versöhnung zwischen Deutschen und ihren mittel- und osteuropäischen Nachbarn, und sei es durch das konkrete Engagement für die Renovierung von Kirchen oder Denkmälern in den alten Heimatorten: Sie zumindest brachten den östlichen Nachbarn oft echtes Interesse entgegen, auch wenn bei einigen der Wunsch nach Rückkehr dabei eine Rolle spielen mochte. Ein Teil der Vertriebenen machte nach 1950 zudem ausgiebig Gebrauch von einem neuen Recht und gründete Verbände und Landsmannschaften als politische Interessenvertretungen, die sich 1957 im Bund der Vertriebenen zusammenschlossen und einerseits Rechte in der Aufnahmegesellschaft einforderten, andererseits aber an der Idee festhielten, in die alte Heimat zurückzukehren. Die Verbände begingen zusätzlich zu den Treffen regionaler Gruppen – Schlesiertreffen, Ostpreußentreffen, Pommerntreffen oder Tag der Sudetendeutschen – seit einer ersten Kundgebung am 6. August 1950 einmal jährlich den ›Tag der Heimat‹. Bei der ersten Kundgebung 1950 wurde die Charta der deutschen Heimatvertriebenen verkündet, die noch heute als das »Grundgesetz der deutschen Heimatvertriebenen« gilt. Dieser von der politischen Linken oft kritisierte Text präsentierte den Verlust der Heimat als existentiell bedrohliches Schicksal und leitete daraus die Forderung nach einem ›Recht auf Heimat‹ ab: »Wir haben unsere Heimat verloren. Heimatlose sind Fremdlinge auf dieser Erde. [...] Den Menschen mit Zwang von seiner Heimat trennen, bedeutet, ihn im Geiste töten. Wir haben dieses Schicksal erlitten und erlebt. Daher fühlen wir uns berufen zu verlangen, daß das Recht auf die Heimat als eines der von Gott geschenkten Grundrechte der Menschheit anerkannt und verwirklicht wird.«15 Die Forderung, das Recht auf Heimat als fundamentales Menschenrecht auch im internationalen Recht zu verankern, ist nicht erfüllt worden; Ansätze finden sich allein in Artikel 4 des UN-Entwurfs für eine »Erklärung über Bevölkerungstransfers und die Seßhaftmachung von Siedlern« aus dem Jahr 1997:

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Heimat in Trümmern »Jeder Mensch hat das Recht in Frieden, Sicherheit und Würde in seiner Wohnstätte, in seiner Heimat und in seinem Land zu verbleiben. […] Die Verbringung einer Bevölkerung oder von Bevölkerungsteilen darf nicht angeordnet, angeregt oder durchgeführt werden, es sei denn, ihre Sicherheit oder zwingende militärische Gründe verlangen es. Alle auf diese Weise verbrachten Personen haben das Recht, unmittelbar nach Beendigung der Umstände, die ihren Ortswechsel erzwungen haben, zu ihren Wohnstätten, in ihre Heimat oder an ihre Herkunftsorte zurückzukehren.«16

Zweifellos wurde der Gefühlswert des Wortes Heimat von den westdeutschen Vertriebenenverbänden eingesetzt, um materielle und politische Ziele zu erreichen; jedoch hat der Historiker Andreas Kossert darauf hingewiesen, dass sie aufgrund struktureller Benachteiligung auch allen Grund dazu hatten, für ihre Interessen zu kämpfen. Doch auch wenn viele Vertriebene an der zunehmend illusionären Hoffnung festhielten, eines Tages in ihre Heimat zurückkehren zu können, blieben sie nicht ausschließlich auf dieses Fernziel fixiert, sondern bemühten sich im Gegenteil besonders stark darum, sich durch Arbeit und Leistung auch in der neuen Heimat Anerkennung zu verschaffen.17 Der Zeit-Redakteur Jörg Lau beschrieb deshalb die Vertriebenen gar, ein weiteres Paradoxon, als »Agenten der Modernisierung der Bundesrepublik. Sie waren ungeliebte Fremde im eigenen Land. Sie hatten sich und anderen etwas zu beweisen. Sie brachten die alteingesessenen Milieus und ihren Trott heilsam durcheinander«.18 In den Frankfurter Heften wurde schon 1947 darauf hingewiesen, dass der Anspruch auf Rückkehr in die alte Heimat irreal war. Für die Politik der Bonner Republik bedeutete dies, dass die Parteien gegenüber den Vertriebenen eine Doppelstrategie entwickelten: »Man machte große Worte und erhob Forderungen, die angesichts der militärischen Stärke des Ostblocks in der Hochzeit des Kalten Krieges vollkommen illusionär waren, aber man tat nichts.«19 Auf dieser Basis wurde vereinzelt auch der Vorwurf erhoben, die westdeutschen Parteien hätten über eine viel zu lange Zeit hinweg das Heimweh und die Trauer um den Verlust einzig aus wahltaktischen Gründen instrumentalisiert, wie der Spiegel beschrieb: »Auch Sozialdemokraten und Unionschristen, die vom Wählerpotenzial der Vertriebenen profitieren wollten, stimmten in das Pathos ein und

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Alte und neue Heimat in West und Ost nannten […] die Rückkehr ›eine politische Aufgabe für das ganze deutsche Volk‹. Sogar Konrad Adenauer, voll auf atlantischem Kurs, verhieß öffentlich den Ostpreußen die Heimkehr. Nicht öffentlich fügte er hinzu: ›Illusionen, meinetwegen nennen Sie es Illusionen, vielleicht haben Sie ja recht, aber wat jlauben Sie wohl, wat für eine Rolle Illusionen so in der Welt­ geschichte spielen.‹«20

Der Kurswechsel der SPD und FDP in der Ostpolitik mit der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze 1970, den Ostverträgen und der Auflösung des Vertriebenenministeriums markierte eine Wende. Spätestens jetzt galten die Heimatvertriebenen als Ewiggestrige, mindestens als Revisionisten, schlimmstenfalls als Revanchisten. Ein Grund dafür war sicher, dass Personal und Politik der Vertriebenenverbände die allgemeine Wahrnehmung der Gruppe der Vertriebenen insgesamt stark prägten, und viele Verbandsfunktionäre waren tatsächlich Mitglieder von NS-­ Organisationen gewesen. Rudolf Wollner etwa, der Vizepräsident des Bundes der Vertriebenen (BdV) von 1962 bis 1996, war SS-Mann und Mitglied der Leibstandarte Adolf Hitler. Selbst der ehemalige Präsident des Bundes der Vertriebenen, Herbert Czaja, räumte 1996 ein, im BdV habe es eine »extrem deutschnationale und zum Teil nationalsozialistische Grundbeeinflussung« gegeben.21 Darüber hinaus wurde und wird den Heimatvertriebenen und ihren Verbänden immer wieder der Vorwurf des Revanchismus gemacht, obwohl sie sich in der Charta ausdrücklich zum Verzicht auf Rache und Gewalt bekannten. Noch 2016 bezeichnete der Bürgervorsteher von Anklam in Mecklenburg-Vorpommern Treffen von Heimatvertriebenen in seiner Stadt als »Revanchistentreffen«. Die Vertriebenen und ihr Insistieren darauf, die Erinnerung an die alte Heimat aufrechtzuerhalten, wirken bis heute anstößig, wie ein Zeitungsartikel von 2015 verdeutlicht: »Klar ist: Das Thema Vertreibung ist in Deutschland ein Reizthema. Bis heute fordert der Berliner Landesverband der Vertriebenen auf seiner Webseite unter anderem einen Ausgleich für das erlittene Unrecht. Und obwohl, so erfährt man auf Nachfrage, damit keinesfalls ein materieller Ausgleich gemeint ist, sondern nur, dass die Erinnerung an das Geschehene aufrecht erhalten werden soll, stoßen derartige Forderungen in der Öffentlichkeit oft auf Ablehnung, man unterstellt Revanchismus, manche sogar den Versuch, die Verbrechen der NS-Zeit verharmlosen zu wollen.«22

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Wenig präsent ist allerdings der Umstand, dass der Vorwurf des Revanchismus auch Sprachregelungen in der DDR spiegelt, wo der Umgang mit dem Thema sich schon deshalb ganz anders gestaltete, weil die Sowjetunion und andere Partnerstaaten des Warschauer Pakts die Vorgänge, die nicht als Vertreibung bezeichnet werden sollten, mit zu verantworten hatten. Bereits vor Gründung der DDR bemühte man sich in der sowjetischen Besatzungszone um eine »Umerziehung der Vertriebenen mit dem Ziel, […] sie im Denken, Fühlen und Handeln von ihrer bisherigen Biografie und der alten Heimat abzukoppeln. Schließlich sollte ihnen ein neues Heimatbewußtsein eingepflanzt sowie die Mehrheit der Vertriebenen für das aktive Mitwirken am Wiederaufbau und am gesellschaftlichen Umgestaltungsprozeß in der SBZ gewonnen werden.«23 Diese Politik wurde auch nach der Staatsgründung fortgesetzt. Insbesondere nach der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch die DDR-Führung 1950 galten sogar Erinnerungen an die alte Heimat offiziell als unerwünscht: Treffen von Landsmannschaften waren ebenso verboten wie das Singen von Heimatliedern: »Das Bekenntnis zur Herkunft, zur alten Heimat, wurde in der DDR-Propaganda mit dem Wunsch nach einer Revision der Grenzen gleichgesetzt und als Kriegshetze und Revanchismus unter Strafe gestellt [...]. Bei entsprechender Auslegung konnte schon die Nennung des Geburtsortes in deutscher Bezeichnung den Tatbestand des Revanchismus erfüllen.«24 Wirkte aus westdeutscher Sicht der Terminus ›Umsiedler‹ wie ein Euphemismus, so galten die Bezeichnungen ›Vertriebene‹ oder ›Heimatvertriebene‹ in der DDR als Ausdruck einer revanchistischen, imperialistischen, militaristischen Politik des Westens. In einem Heft mit dem reißerischen Titel Sie wollen weiter marschieren. Der Revanchismus – Todfeind der nationalen Selbstbestimmung behaupten die Autoren 1960, schon durch die Bezeichnungen ›Vertriebene‹ oder ›Heimatvertriebene‹ werde zum Ausdruck gebracht, »daß der Umsiedler in Westdeutschland keine Heimat finden soll. [...] Eine besonders wichtige Rolle bei der Einbeziehung der Umsiedler in die Pläne der westdeutschen Revanchisten spielt das sogenannte Recht auf Heimat.«25 Auch in Analysen der Debatten um die Heimat im Kalten Krieg werden die politische Agenda und das Personal der Vertriebenenverbände, die Stigmatisierung der Bezeichnung ›Heimatvertriebene‹ durch die

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DDR und die Erinnerungskultur der Vertriebenen oft vermischt. Verdächtig und problematisch erscheint Heimat in diesem Zusammenhang zudem, weil hier gegenläufig zu einem Narrativ, das vor allem die Verantwortung und Schuld der Deutschen in den Blick nimmt, Deutsche auch oder gar vorrangig Opfer waren, was die Bewertung der Vorgänge komplizierter machte; weil die Vertriebenen sich zwar tatkräftig am Aufbau des zerstörten Landes beteiligten, aber dennoch zum Teil auf die Vergangenheit und ihren Verlust fixiert blieben und so eine Irritation des Fortschritts- und Wiederaufbaunarrativs darstellten; weil außerdem viele der Flüchtlinge selbst keineswegs als deutsche Landsleute, sondern als Fremde gesehen wurden, was wiederum das Narrativ von der erfolgreichen Integrationsleistung zumindest infrage stellte: Man begegnete ihnen zum Teil mit rassistisch grundierter Ablehnung aus dem Gefühl westlicher Überlegenheit, bezeichnete sie als »Pollacken«, als »Pack«, als »slawisch-germanische« Mischlingsrasse, als »Gesindel« oder »Dreckszeug«,26 zeigte wenig Verständnis oder Solidarität für die heimat- und oft auch mittellosen Mitbürger, sondern empfand ihre Gegenwart oft als Bedrohung der eigenen Heimat, der die ›Überfremdung‹ drohe. Im offiziellen Erinnern dagegen wurden die abgetretenen Gebiete als »Deutsche Heimat im Osten« bezeichnet, so der Titel einer vom Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen veranstalteten Ausstellung im Herbst 1950, die das Ziel verfolgte, »das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Verbundenheit aller Deutschen mit dem deutschen Osten zu erhalten und zu vertiefen«.27 Dieser Ausstellung und dem Buch gleichen Titels ging es sicherlich darum, zumindest nach außen einen Anspruch auf die verlorenen Territorien zu markieren. Zugleich wurde bei den Westdeutschen um Verständnis für die Vertriebenen aus dem Osten geworben und an die Solidarität der Aufnahmegesellschaft appelliert, denn anscheinend war es mit der von den Nationalsozialisten beschworenen Volksgemeinschaft und mit der nationalen Einheit nicht weit her. Viele Westdeutsche blickten eher verächtlich auf den ehemaligen deutschen Osten und seine Bewohner. Wenn also der Beitrag etwa Ostpreußens oder Schlesiens zur deutschen Kultur mit Hinweisen auf Kant und Eichendorff gewürdigt wurde, so sollte dies auch die Wertschätzung für die neu Hinzugekommenen stärken, indem man hervorhob: »Es ist wirklich

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nicht so, daß der westliche Teil der eigentliche Kulturboden des Reichs war und daß der Osten seinen Beitrag in Kartoffeln, Rüben, Junkern und Agrariern lieferte.«28 Das Beharren darauf, die Erinnerung an die alte Heimat durch Heimattreffen lebendig zu erhalten, wird auch deshalb bis in die Gegenwart hinein als Stein des Anstoßes wahrgenommen, weil dieses Heimatverständnis mit einer als zeitgemäß geltenden, individualistischen Idee von Heimat kollidiert, der zufolge Heimat für jeden etwas anderes ist. Bei den Treffen der Heimatvertriebenen aber ging es gerade um die kollektive Erinnerung an spezifische Orte mit bestimmten Eigenschaften und Traditionen. Auch die Heimatbücher der Vertriebenen sind »ein wichtiger Akt der gemeinschaftlichen Selbst-Verständigung über die Art und Weise, wie das Leben in der alten Heimat dargestellt, bewertet und nach außen hin, aber vor allem für die eigenen Nachkommen, bewahrt werden soll.«29 Die kollektive Erfahrung des Verlusts wie auch die kollektive Erinnerung an Heimat werden in akademischen Publikationen zuweilen schlicht geleugnet oder als »Dramatisierung« bezeichnet; dagegen wird behauptet, das psychische Leid der Heimatvertriebenen sei »stets nur in seiner individuellen Ausprägung«30 verständlich und könne daher auch nur als individuelles Leid behandelt werden. Schon die Annahme, es gebe so etwas wie kollektive Erfahrung oder Erinnerung, gilt aus dieser Perspektive als hoffnungslos konservativ oder gar als rechtsradikal. Die Autoren des Artikels »Flucht und Vertreibung« in dem Band Deutsche Erinnerungsorte meinten, die Heimatvertriebenen hätten einen zuvor angeblich individuellen Heimatbegriff gleichsam gekapert, um einen Erinnerungsort ›Flucht und Vertreibung‹ allererst zu erzeugen oder zu konstruieren: »Die ›Heimat‹, wie sie gegen Ende des 19. Jahrhunderts konstitutiv für die Entstehung des Milieus der ›Heimatkultur‹ geworden ist, wurde in Westdeutschland nach dem Kriegsende von den ›Flüchtlingen und Vertriebenen‹ in Beschlag genommen. Die neue Bedeutung des Wortes ›Heimat‹ implizierte die ›verlorene Heimat im deutschen Osten‹. Der Begriff ›Heimat‹ stand von nun an nicht mehr für eine individuelle emotionale Bindung an einen Ort, sondern verwandelte sich in das Medium des kollektiven Erinnerungsortes ›der deutsche Osten‹.«31

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Zwar werden die Heimatvertriebenen berechtigterweise mit der Heimatbewegung der Wende zum 20. Jahrhundert in Verbindung gebracht, die ja genau mit dem Ziel antrat, ortsspezifische Traditionen und ›sichtbare Kultur‹ zu bewahren bzw. wenigstens in Heimatvereinen zu erforschen oder in Heimatmuseen an sie zu erinnern. Diese ›Heimatkultur‹, wie das Wort bereits andeutet, war allerdings niemals eine bloß ›individuelle emotionale Bindung‹, sondern immer Ergebnis sozialer und kommunikativer Erfahrungen und Prozesse. Es leuchtet also unmittelbar ein, dass die Heimatvertriebenen an die Tradition der Heimatbewegung anknüpften, nicht zuletzt mit ihrem Bezug auf folkloristische Traditionen wie Volkstänze und Lieder, bei denen es in der Tat einen großen Unterschied macht, ob man sie lediglich als Einzelner medial konsumiert oder gemeinsam mit anderen aufführt. Auch die Erfahrung des (drohenden oder tatsächlichen) Verlusts verbindet beide Heimatbezüge. Doch selbst das Gedächtnis des Individuums existiert ja nicht in Isolation oder in einem Vakuum, sondern ist immer, wie der französische Soziologe Maurice Halbwachs in den 1920er-Jahren beobachtete, in einen sozialen Kontext eingebettet und wird im kommunikativen Austausch mit anderen geformt, verstärkt und bestätigt. In den Worten Aleida Assmanns: »Das kommunikative Gedächtnis – wie wir es deshalb nennen dürfen – entsteht demnach in einem Milieu räumlicher Nähe, regelmäßiger Interaktion, gemeinsamer Lebensformen und geteilter Erfahrungen.«32 Das gilt auch für die Erinnerungen der Vertriebenen an die Heimat, woraus sich ebenfalls das starke Bedürfnis nach den ›heimatlichen‹ oder ›landsmannschaftlichen‹ Treffen und den im gemeinsamen Dialekt gesungenen Liedern erklärt. Dieses Bedürfnis nach gemeinschaftlichem Erinnern ›von unten‹ ließ sich gewiss politisch instrumentalisieren, ist aber deshalb noch lange nicht identisch mit der Instrumentalisierung der ›alten Heimat im Osten‹ ›von oben‹, durch westdeutsche Politiker. Wenn auch heute noch dieses kollektive Erinnern als Revanchismus etikettiert wird, so hat es den Anschein, als seien die ideologischen Dichotomien des Kalten Krieges nach wie vor wirksam. Eine Zwischenstellung zwischen der Erinnerung ›von oben‹ und ›von unten‹ nehmen die Erzeugnisse der Kulturindustrie ein. Selbst die Extremform reiner Propaganda muss sich, um effektiv sein zu können, an

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den Bedürfnissen und am Geschmack der Hörer, Zuschauer und Leser orientieren; das gilt umso mehr für die Filmindustrie im Kapitalismus, der es nicht nur um wohlwollende Kritiken, sondern auch um Kassenerfolge geht. Aus den großen Filmerfolgen der Nachkriegszeit lassen sich daher auch Rückschlüsse auf die Wünsche, Bedürfnisse und Träume der Kinobesucher ziehen. Die große Zerstörung war das zentrale Thema der sogenannten ›Trümmerfilme‹, die allerdings nicht zu den Kassenschlagern der Nachkriegszeit gehörten. Große Spielfilme über das Thema Flucht oder Vertreibung gab es überhaupt nicht; lediglich ein 1948/49 von der britischen Besatzungsmacht in Auftrag gegebener Dokumentarfilm, Asylrecht, zeigte, gewiss nicht frei von propagandistischen Hintergedanken, die Not von Flüchtlingen, die aus dem Osten in die britische Besatzungszone kamen, verschwand aber in den Archiven, denn »kein Kino will ihn spielen, kein Publikum sehen«, wie der Evangelische Filmbeobachter 1950 konstatierte. Sehen wollte das Publikum in Westdeutschland stattdessen Heimatfilme, und die Filmindustrie kam diesem Wunsch entgegen: Zwischen 1947 und 1957 wurden über 200 Heimatfilme produziert. Vor allem zwei Titel prägen bis heute die Sicht auf das Genre insgesamt und gehören überdies zu den – in Zuschauerzahlen – erfolgreichsten Kinofilmen der deutschen Filmgeschichte: Grün ist die Heide (Regie: Hans Deppe, BRD 1951, 16 Millionen Zuschauer) und Der Förster vom Silberwald (Regie: Alfons Stummer, Österreich 1954, 28 Millionen Zuschauer). Beide Titel sind zum »Inbegriff für Filmkitsch« überhaupt,33 aber besonders zum Synonym für »Heimatkitsch«34 geworden und haben dafür gesorgt, dass das Genre Heimatfilm in der allgemeinen Vorstellung unauflöslich mit den 1950er-Jahren verbunden ist. Die Filme zeigten blühende Landschaften ohne Trümmer und Ruinen, Liebesgeschichten mit glücklichem Ausgang, wackere Förster und Jäger in schmucken grünen Uniformen und boten mit ihren bunten Trachten und fröhlichen Volksfesten ein heiteres Spektakel. Aus diesem Grund wurden die Heimatfilme der Nachkriegszeit oft als Ausdruck eines Bedürfnisses nach Eskapismus eingeordnet, als Träume eines »kollektiven Heilsschlafes«35 bezeichnet, als »Flucht vor der Mitverantwortung für die Taten des nationalsozialistischen Regimes«36 interpretiert oder als Kitsch verhöhnt. Aber das greift zu kurz.

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Gerade die beiden großen Erfolge Grün ist die Heide und Der Förster vom Silberwald kamen zwar den Bedürfnissen der Zuschauer nach schönen Bildern einer heilen Welt entgegen, was man angesichts der heillosen Zerstörung vor allem in den Städten vielleicht auch nachvollziehen kann. Doch sie sprachen auch das große gesellschaftliche und politische Thema Flucht und Vertreibung an, das anderweitig im Spielfilm so gut wie keine Rolle spielte: Bei genauerer Betrachtung war die im Film gezeigte Welt gar nicht so heil. Grün ist die Heide, der bekannteste Film Hans Deppes, der schon 1934 bei dem Film Der Schimmelreiter als Koregisseur gewirkt hatte, wurde am 14. November 1951 ausgerechnet in der niedersächsischen Hauptstadt Hannover uraufgeführt, die gerade von Albert Speers ehemaligem Mitarbeiter Rudolf Hillebrecht modernisiert wurde. Da Niedersachsen, wo nach dem Krieg 700.000 geflohene Schlesier untergekommen waren, auch das Patenland Schlesiens war (und ist), bemühte sich der Film um eine Synthese von niedersächsischer und schlesischer Heimatliebe, von alter und neuer Heimat, von Bewahren und Erneuerung. Tatsächlich stehen Figuren im Zentrum, die Heimat verloren haben oder suchen: Nicht nur die Hauptfiguren, der ehemalige Rittergutsbesitzer Lüdersen und seine Tochter Helga, die nach ihrer Flucht bzw. Vertreibung aus dem nicht näher bezeichneten ›Osten‹ in der Lüneburger Heide bei Verwandten wohnen, sind heimatlos. Auch die Dressurreiterin Nora von Reckwitz, die mit einem Zirkus in dem Heidedorf gastiert, hat alles verloren und plant die Auswanderung nach Amerika, was sie mit dem Satz unterstreicht: »Mich bindet nichts mehr hier in der so genannten Heimat, gar nichts.« Drei umherziehende Musikanten, die sich mit Musik, Bettelei und Trickdiebstählen durchs Leben schlagen, kampieren in der Heide unter einem Hünengrab, ohne sich davon oder von den Löchern in ihren Socken die gute Laune verderben zu lassen. Sie sorgen, gewissermaßen als Nachhall der romantischen Idealisierung des ›fahrenden Volkes‹, mit ihren Liedern für die Poesie im Film. Die Haupthandlung erzählt davon, wie der unter Heimweh und Schwermut leidende Lüder Lüdersen zum Wilderer und damit zum beunruhigenden Störfaktor wird, wenn er im dunklen Wald mit einem Gewehr, das er eigentlich gar nicht besitzen dürfte, dem Wild auflauert. Der aufrechte Förster, der den Wilderer stel-

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len will, verliebt sich während seiner Ermittlungen in Helga, die von der Wilderei ihres Vaters weiß und aus Verzweiflung den Plan fasst, mit ihrem Vater in die Stadt zu ziehen. In einer zentralen Sequenz des Films hält Lüdersen eine Abschiedsrede, die sich im Film an die Honoratioren des Dorfes wendet, zugleich aber an die Adresse der niedersächsischen Aufnahmegesellschaft gerichtet ist und Dank für die Solidarität, ein Loblied auf die neue Heimat und die Bitte um Verständnis für die schwierige Lage der Vertriebenen mit ihrer Sehnsucht nach der alten Heimat verknüpft: »Ich spreche nicht nur für mich allein, sondern auch für die vielen anderen, die hier bei Ihnen eine zweite Heimat gefunden haben. Nie werde ich die Tage vergessen, die ich bei Ihnen in der Heide sein durfte. In der Heide, die auch meine zweite Heimat geworden ist. Macht es den Menschen, die zu Euch geflüchtet sind, nicht schwer. Wer nicht von der Heimat weg musste, der kann es nicht ermessen, was es bedeutet, heimatlos zu sein. Ich weiß: Wir sind ja manchmal auch nicht so gewesen, wie wir hätten sein sollen. Aber wir sind ja am härtesten gestraft.«

Der Titel des Films, bei dem es sich übrigens um das ›Remake‹ eines Films aus dem Jahr 1932 handelte, ging auf ein Lied von Hermann Löns zurück, der um 1900 als Heide- und Heimatdichter berühmt wurde und entscheidend dazu beitrug, dass die Lüneburger Heide eine regelrechte touristische ›Marke‹ wurde. Die sonnendurchflutete Heide mit Schäfern und Schafen, aber auch der Wald mit Rehen und Hirschen werden als aufnahmebereite Räume präsentiert, in denen auch die heimatlos Gewordenen Gefühle von Freiheit, Liebe oder Zugehörigkeit empfinden können. Die teils fröhlichen, teils melancholischen Heimat- und Liebeslieder von Hermann Löns steuern dabei nicht nur die Gefühle der Zuschauer, sondern spielen auch für die Handlung eine wichtige Rolle: Wenn etwa der alternde Amtsrichter, gespielt von dem alternden Ufa-Filmstar Willy Fritsch, der von ihm verehrten Nora von Reckwitz am Klavier diese Lieder vorspielt und -singt, reagiert die moderne junge Frau, die auf dem Sprung nach Amerika ist, mit Abwehr gegenüber dieser Reminiszenz an die Heimatbewegung: »Ich bin nicht sentimental. Ihr Heidezauber wirkt bei mir nicht. Das ist doch alles Wandervogel-Romantik.« In einer weiteren zentralen Sequenz fungiert derselbe Amtsrichter, der sich ehrenamt-

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lich in der Flüchtlingshilfe engagiert, als Vermittler zwischen alter und neuer Heimat, Alteingesessenen und Neuankömmlingen: Auf dem großen Schützenfest kündigt er der Gruppe in Tracht gekleideter schlesischer Heimatvertriebener als Überraschung etwas »aus Eurer Heimat« an. Nun singt der Tenor Kurt Reimann das zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstandene, wehmütige »Riesengebirglers Heimatlied«, das auch als »Hymne und Erinnerungsort der Sudetendeutschen und Schlesier«37 bezeichnet worden ist; die Vertriebenen stimmen nach der zweiten Strophe gemeinsam ein. Als Refrain singen sie die umstrittene Textvariante »Riesengebirge, deutsches Gebirge«, doch im Kontext des Films ist davon auszugehen, dass es hier nicht um revanchistische Ressentiments geht, sondern einerseits um Trauer und andererseits darum, dass die Schlesier vor allem als Deutsche, weniger als Schlesier gesehen werden sollen. Das Lied wird entsprechend nicht im schlesischen Dialekt, sondern in der hochdeutschen Variante gesungen, im Hintergrund prangt das Wappen Niedersachsens neben anderen Wappenmotiven aus den ›Ostgebieten‹, vor allem dem pommerschen Greif und dem preußischen Adler: Die Trauer um den Verlust der Heimat soll kompensiert werden durch die Aufnahme in eine überregionale Solidargemeinschaft. Es geht also vor allem um Integration: Die melancholische Erinnerung an die alte Heimat ist ebenso harmlose Folklore wie die schlesischen Trachten, die man, wie die niedersächsischen Trachten, nur während dieses Volksfests sieht. Die neue Generation, repräsentiert durch die selbstständigen jungen Frauen Helga und Nora, kleidet sich modisch und hat mit den Traditionen und alten Liedern nichts am Hut. Wenn Nora am Ende des Films doch nicht nach Amerika geht, so nicht etwa deshalb, weil es dem Amtsrichter gelungen wäre, sie von den Schönheiten der Heideheimat zu überzeugen, sondern weil sie sich beim Reiten das Bein verletzt: Sie findet sich, ein gequältes Lächeln im Gesicht, offenbar damit ab, dass sie an den alternden Mann und die alte Heimat gebunden bleibt. Helgas heimwehkranker, wildernder Vater entschwindet am Ende des Films aus dem Gesichtsfeld der Zuschauer: Nachdem er angeschossen wurde, schließt sich die Tür zu seinem Krankenzimmer. Die alte, nun gebrochene Generation der schießwütigen Gutsbesitzer ist beseitigt. Ironischerweise zeigt so ausgerechnet ein Beispiel des als süßlich und kitschig verrufenen Heimatfilms,

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wie brüchig und ambivalent das Bild von Heimat geworden war. Grün ist die Heide bietet einen Balanceakt zwischen Vergangenheit, Tradition, Kontinuität und Geschichte einerseits und dem Willen zur Modernisierung und einem auf die Zukunft gerichteten Blick andererseits. Das Bild der neuen, sozialistischen Heimat, das die DDR im Film und in anderen propagandistischen Medien erzeugte, war dagegen vollkommen frei von Ambivalenzen. Das lag daran, dass hier die Geschichte zweifelsfrei und eindeutig als zu Recht überwundene feudal-kapitalistische Vergangenheit präsentiert wurde; Zukunft und Fortschritt in der zu schaffenden sozialistischen Heimat hingegen, befreit von den Altlasten, erschienen durchweg als positiv: Nur die in diesem Kontext erschaffene Heimat zählte. Der Heimatfilm der DDR machte das anschaulich: Kurt Maetzigs zweiteiliges Filmepos Schlösser und Katen (1957) zeigte am Beispiel eines Gutshofs den Weg vom Kriegsende in die 1950er-Jahre. Der Status von Geschichte und Vergangenheit wird durch eine signifikante Sequenz veranschaulicht: Als das Verwalter-Ehepaar, das sich als Stellvertreter der in den Westen geflohenen Gutsbesitzer sieht, gerade dabei ist, barocke Porzellanfiguren mit Kutsche und Pferden in einer Kiste zu verstauen, werden die beiden durch den Lärm und die Vibrationen der heranrückenden sowjetischen Panzer aufgeschreckt, sodass einige Figuren scheppernd zu Bruch gehen: Eine als ganz und gar nutzlos, sinnlos und überflüssig gesehene Vergangenheit wird völlig zu Recht vom Lauf der Geschichte zerstört. Doch die Suche nach Heimat steht auch hier im Zentrum: Nach der Flucht der Gutsbesitzer in den Westen suchen dutzende Flüchtlinge auf dem Gut Obdach, und erst die Russen sorgen dafür, dass der verlassene Gutshof als Unterkunft für sie bereitet wird. Im Verein mit den drei Mitgliedern der Kommunistischen Partei, die erstaunlicherweise auf dem Gutshof überlebt haben, wird zuerst die Landreform unter dem Schlagwort ›Junkerland in Bauernhand‹, später die Kollektivierung und Industrialisierung der Landwirtschaft vorangetrieben, die als Stationen auf dem Weg in eine Welt ohne Hierarchien, ohne Ausbeutung und ohne schwere körperliche Arbeit erscheinen. Schlösser und Katen zeigt keine emotional oder ästhetisch berührenden Landschaften, sondern bewirtschaftetes Land als Ressource sowie die Errungenschaften des techni-

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schen und sozialistischen Fortschritts: Müssen sich im ersten Teil die Kleinbauern noch plagen und den Pflug sogar mit ihrer eigenen Körperkraft ziehen, fahren zu Beginn des zweiten Teils gigantische sowjetische Mähdrescher über Felder, und die Bauern laufen nur noch nebenher und schwenken die Hüte. Die Vertriebenen aus Ostpreußen, markiert durch ihren Akzent, integrieren sich durch Arbeit und Kompetenz rasch in das neue Gemeinwesen. Auch diese sozialistische Landwirtschaft kennt das Volksfest mit Musik und Tanz, doch hier kommt es ohne Trachten und traditionelle Volksmusik aus: Auf dem Land tanzt man in moderner Kleidung moderne Tänze zu moderner Musik. Nicht nur die sozialistische Landwirtschaft wurde technisiert, rationalisiert und modernisiert, auch die ländliche Kultur sollte der städtischen angeglichen werden. Heimat wurde für den Sozialismus reklamiert, indem abermals die Widersprüche zwischen technisch-ökonomischem Fortschritt und Naturverbundenheit, materiellen und immateriellen Bedürfnissen des Einzelnen und Einbettung in die Gemeinschaft als überwunden dargestellt wurden: Im Grunde wurde in Anschluss an August Bebel behauptet, die politisch-gesellschaftlichen und die technisch-wissenschaftlichen Fortschrittsideen seien im Sozialismus endlich wieder vereint worden. Diese vermeintliche Aufhebung aller Widersprüche suggeriert auch das Lied der Jungpioniere aus dem Jahr 1951 »Unsere Heimat«, das im Westen vor allem durch den Film Good Bye, Lenin! bekannt wurde. Zur Heimat gehören diesem Lied zufolge Zivilisation, Städte und Dörfer ebenso wie Natur, Wald und Wiese. Die emotionale Verbindung zu dieser Heimat und der Wunsch, sie zu schützen und zu bewahren, werden aber einzig aus der politischen und gesellschaftlichen Voraussetzung abgeleitet, dass die Heimat »dem Volke gehört«: Nur der Sozialismus kann Heimat bieten. So fasste es auch ein DDR-Philosoph knapp 30 Jahre nach Kriegsende zusammen, eine sozialistische Welt-Heimat vorausahnend: »In der Epoche des weltweiten Überganges der Völker vom Kapitalismus zum Sozialismus kann die voll entwickelte Arbeiterklasse, die übereinstimmende soziale Grundinteressen mit allen übrigen Werktätigen hat, nur eine sozialistische Umwelt uneingeschränkt als Heimat bejahen.«38

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Heimat als Kitsch: Das Schweigen im Walde und Der Förster vom Silberwald Vielleicht ist die Forderung nach Distanz gegenüber den ›ganz einfachen Gefühlen‹ das Ergebnis eines Zivilisations­prozesses. Vielleicht dürfen aber solche Gefühle bei uns hier oben auch nur deshalb nicht sein, weil sie da unten eben sind oder zu sein scheinen. Es ginge dann also bloß um soziale Distinktion. (Jürgen Stenzel: Kitsch ist schlecht. Aber was heißt das?)

Kitsch und Heimat gehören nahezu untrennbar zusammen: Sich auf Heimat zu berufen wird ja nicht nur immer wieder als politisch bedenklich oder gefährlich bewertet. Heimat gilt eben auch als kitschig. Seitdem das Triviale, Banale, Epigonale, Serielle, Klischeehafte und Übertriebene in der Form von ironischem Kitsch, ›Camp‹ und Pop auch in der Kunst etabliert sind – man denke etwa an Jeff Koons – und seitdem die Cultural Studies Produkte der Kulturindustrie wie Fernsehserien, Comics oder Hollywoodfilme als Objekt der wissenschaftlichen Untersuchung entdeckt haben, hat sich zwar ein ironischer und entspannter Umgang mit Gegenständen, Filmen und Romanen etabliert, die man früher als trivial, seicht oder kitschig bezeichnet hätte. Als Kategorie ästhetischer Wertung ist Kitsch durchaus problematisch geworden. Bei deutschen Heimat­ romanen oder Heimatfilmen sind deutsche Kulturschaffende jedoch deutlich weniger locker als bei Serien über den englischen Adel, Liebesfilmen nach Romanen Rosamunde Pilchers, amerikanischen Western­ filmen oder italienischen Schlagern. Wenn Filme oder Romane als »übelster Heimatkitsch«1 oder »triviale Herz-Schmerz-Schmonzetten« bezeichnet werden, dann heißt das nicht nur, dass diese Texte und Filme auf rührselige oder sentimentale Weise eine heile Welt zeigen, sondern dass dies ein fragwürdiges Unterfangen ist und dass derjenige, der das Kitsch-­Urteil fällt, keinesfalls den Leuten zugerechnet werden will, die

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derlei goutieren. Wird etwas als Kitsch bezeichnet, so ist dies eben nicht nur ästhetische Wertung oder Geschmacksurteil, sondern zugleich eine Aussage über Bildungsgrad, Intelligenz oder Sozialstatus der Rezipienten, auch wenn das nur selten offen eingestanden wird: »Heimat­romanHeftchen sind einfach nicht die Lektüre, die auf einen kritischen Geist oder herausragende Intellektualität des Lesers schließen ließ.«2 An der Verbindung von Heimat und Kitsch zeigt sich ganz besonders deutlich die soziale Dimension der Debatte um Heimat, denn selten wird so deutlich wie hier, dass es nicht nur um den Gegensatz von Fortschritt und Moderne einerseits, Tradition und Heimat andererseits geht, sondern ebenfalls um das Verhältnis der gebildeten Elite zum ›Volk‹ bzw. zu den nicht akademisch gebildeten ›Massen‹. Auch heute noch definieren Wörterbücher ›Kitsch‹ als Gegenbegriff zu ›Kunst‹ und als »sentimentale Scheinkunst« oder, in Richtung des Betrügerischen gehend, als »sich als Kunst ausgebendes, meist süßlich-sentimentales Produkt eines fehlgeleiteten Geschmacks«. Kitsch gilt als unecht, meist massenhaft gefertigt, als bloße Ware für einen Markt, als Produkt der Kulturindustrie, das sich leicht konsumieren lässt und lediglich gefallen, unterhalten oder rühren soll. Interessanterweise steht Kitsch auch in dem Ruf, ein typisch deutsches Phänomen zu sein, den Deutschen wird eine besondere Anfälligkeit für Sentimentalität und Kitsch bescheinigt. So kommt es, dass »Heimatkitsch« als Synonym für die vermeintlich deutscheste Ausprägung des Kitsches überhaupt gilt, nämlich den »sentimentalen Gemütlichkeitskitsch«.3 Vielleicht ist es ja tatsächlich kein Zufall, dass auch das Wort ›Kitsch‹ aus dem Deutschen stammt, auch wenn nicht eindeutig geklärt ist, wo seine Wurzeln liegen. Dann hätte man Heimatkitsch als perfekten Ausdruck eines deutschen Nationalcharakters identifiziert, von dem man sich lieber distanziert. Inbegriff für deutschen Kitsch ist neben Heimatfilm und Heimat­ roman ein trivialer, dekorativer Alltagsgegenstand: der Gartenzwerg. Er ist quasi das niedliche, sentimentale Gegenstück zu dem erhabenen Wanderer über dem Nebelmeer und kommt nach wie vor ebenso regelmäßig wie fantasielos zum Einsatz, wenn Bücher, Radiobeiträge oder Zeitungsartikel über die Frage »Was ist typisch deutsch?« oder über ›Heimat‹ illustriert werden sollen: Zwerge zieren das Cover von Tim

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Mälzers Heimat Kochbuch; öffentlich-rechtliche Fernseh- und Radio­ sender illustrieren Beiträge über Heimat im Internet mit dem Stockfoto eines Gartenzwergs, der über einen kleinen Zaun hinweg auf eine Berglandschaft blickt, wie eine Parodie auf Friedrichs Wanderer. Vor allem der Spiegel hat sich auf den Gartenzwerg kapriziert: Ein Beitrag des ­damaligen Justizministers Heiko Maas, in dem er für einen modernen Verfassungspatriotismus warb, wurde mit dem Foto eines putzigen Gartenzwergs bebildert; das Cover eines Heftes im April 2018, das »Fakten zur Debatte um Islam und Heimat« ankündigte, zeigte einen Gartenzwerg, der ängstlich seine rote Mütze über die Augen zieht, und ein gleichfalls 2018 erschienenes Buch des Spiegel-Autors Hasnain Kazim, in dem es um fremdenfeindliche Mails an ihn geht, zeigte auf dem Cover einen sonnenbebrillten Gartenzwerg, der auf dem Klo sitzt. Der Gartenzwerg, dies die Botschaft, ist nur scheinbar harmlos, ebenso wie die Heimat, für die er steht. Denn er verkörpert »eine enge, spießige und pedantisch geordnete, eine kleinbürgerlich übersichtliche Heimat.«4 Der natürliche Lebensraum des Gartenzwerges ist entsprechend der Schrebergarten mit seinen Hecken und Zäunen, seinen geometrisch angelegten Beeten, seinen strengen Regeln, Vereinsfesten und seinem gemähten Rasen, für viele das Symbol deutscher Spießigkeit schlechthin. Dabei sind Gartenzwerg wie Schrebergarten kulturgeschichtlich faszinierend: Sie gehören beide in die Zeit der Industrialisierung und verkörpern gewissermaßen den Übergang von einer eher agrarischen, naturnäheren Lebensweise zum Leben in der Industriekultur der Großstädte und stellen so eine Schnittstelle von Natur und Alltagskultur dar. Der Gartenzwerg selbst ist ein »Grenzwesen zwischen ursprünglicher mythologischer Natur und in­ dustriell-technischer Kultur«,5 der Schrebergarten offensichtlich die Schwund­stufe des Bauerngartens. Die Präsenz des Zwerges im Garten ist rein dekorativ, er ist nichts als ein »Gefühlsanker in einer sich wandelnden Zeit«,6 was ihn offenbar auch für das um 1900 noch neue Phänomen der Werbung besonders attraktiv machte: Als gegen Ende des Jahrhunderts Markenprodukte aufkamen, wurde für ca. 1000 dieser Produkte mit Bildern von Zwergen geworben, unter anderem für Schmerzmittel, Seife, Zigaretten, Schuhcreme, Silberbesteck, Schnaps oder Konserven.7 Den

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Verfechtern der Moderne ist der Gartenzwerg damit natürlich ein Graus, obgleich er selbst paradoxes Produkt dieser Moderne ist: Wie Gartenlaube, Schrebergarten und Kitsch hat auch der industriell gefertigte Garten­zwerg seinen Ursprung in der Zeit der Industrialisierung und der Heimatbewegung. Die Gartenlaube wurde 1853 in Leipzig gegründet, um 1861 lag ihre Auflage bei über 100.000. Auch der Ursprung der Schrebergärten lässt sich in die 60er-Jahre des 19. Jahrhunderts in die Industrie­ stadt Leipzig zurückverfolgen. Die industrielle Produktion der Gartenzwerge aus Terrakotta begann anscheinend kurz nach der Reichsgründung, 1872, in Thüringen. Etwa gleichzeitig erschien auch der Kitsch auf der Bildfläche: Das Wort kam angeblich um 1870 im Münchner Kunsthandel auf, wo es zunächst ästhetisch minderwertige Kunstgegenstände bezeichnete, die man von ›echter‹ oder ›hoher‹ Kunst unterschied. Man könnte fast sagen: Die Hochindustrialisierung, die eine ländlich-dörfliche Heimat, wie Berthold Auerbach sie beschrieben hatte, hinwegfegte, beflügelte nicht nur die Sehnsucht nach Heimat, sondern erzeugte zugleich Medien und Objekte, die dem Heimatverlust entgegenwirken und die Sehnsucht zumindest ansatzweise stillen sollten, paradoxerweise durch eben die industrielle Fertigung, die andererseits viele der gesellschaftlichen Verwerfungen allererst produzierte. Schrebergarten wie Gartenzwerg stehen aber auch für eine ›kleine Heimat‹ vor allem für die ›kleinen Leute‹: Die Schrebergärten boten den Arbeitern und Kleinbürgern in den Industriestädten eine Zuflucht vor den Zumutungen der Stadt und der beengten Wohnverhältnisse, einen Zipfel (!) Natur mit eigenem Gestaltungsraum, zugleich aber auch Gemeinschaft in Gestalt des Kleingartenvereins. Nicht ohne Grund heißen viele Kleingartenvereine auch heute noch »Heimat e. V.«, »Schöne Heimat e. V.«, »Heimaterde e. V.« oder »Heimatliebe e. V.«: »Der Schrebergarten bildet für viele Heimat konkret ab – sozusagen in einer Lilliput-Form.«8 So ist es sicher kein Zufall, dass die erste erfolgreiche illustrierte Familienzeitschrift Deutschlands, bei der, wie schon erwähnt, auch Ludwig Ganghofer mit von der Partie war und die ebenfalls zu den vielen deutschen Kitsch-Symbolen gehört, ausgerechnet Die Gartenlaube hieß: Die Gartenlaube, die auf der ersten Ausgabe der Zeitschrift 1853 als idyllischer Ort der Geborgenheit und der familiären Harmonie abgebil-

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det war, war und ist fester Bestandteil des Schrebergartens und gab dem ›Laubenpieper‹ seinen Namen. Es ergibt durchaus Sinn, dass gerade die deutsche Sprache das abwertende Wort ›Kitsch‹ hervorbrachte, denn die Unterscheidung zwischen ›hoher‹, wahrer Kunst, die den Menschen erhebt, ihm dazu allerdings Anstrengungen und Konzentration abverlangt, und ›leichter‹ oder ›seichter‹ Unterhaltung, die lediglich auf ›Reiz‹, ›Rührung‹ oder sinnlichen Genuss abzielt und besonders die Ungebildeten erreicht, hat in Deutschland eine lange Tradition: Schon im 18. Jahrhundert wurde vor den moralischen und sozialen Gefahren der vergnügungssüchtigen Lesewut vor allem bei Frauen und Jugendlichen gewarnt. Doch eigentlich ist erst das Zeitalter des Kapitalismus, der Marktwirtschaft und der Industrialisierung und gerade die Zeit zwischen Reichsgründung und Erstem Weltkrieg die Blütezeit des Kitsches. Für Norbert Elias ist diese Epoche sogar das »Kitschzeitalter« schlechthin, das sich durch die »Stilunsicherheit« in der kapitalistischen Gesellschaft und den Verlust der »Festigkeit der Formtradition«9 auszeichnete. Hinzu kam, wie man schon am Beispiel der Zeitschrift Gartenlaube sah, die scharfe Trennung der ›zwei Kulturen‹: Während die wissenschaftlich-technische Kultur mit Industrie und Ingenieurwesen auf Fortschritt und Zukunft gerichtet war, orientierten sich die geisteswissenschaftlich-literarische Kultur und der ästhetische Geschmack des Bürgertums über weite Strecken an Tradition und Geschichte. In den verschiedenen Künsten kam diese Spaltung und Zerrissenheit auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck: in der Architektur, der Bildenden Kunst und im Design von Alltags- und Gebrauchsgegenständen vor allem durch den Historismus; in der Literatur, speziell in der Unterhaltungsliteratur, durch das Festhalten an traditioneller Erzählweise, bewährten und vertrauten Handlungsmustern sowie an märchenhaften oder romantischen Geschichten. Indem seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Zeitungen, Zeitschriften und Bücher sowie Gebrauchsgegenstände zunehmend auch für weniger Gebildete und weniger Begüterte zugänglich wurden, geriet auch der Geschmack immer mehr zu einem Medium sozialer und individueller Distinktion. Die Spannung zwischen dem Geschmack der klassisch gebildeten Kunstkenner und dem unentwickelten, unsicheren Ge-

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schmack bzw. der Geschmacklosigkeit der weniger Gebildeten, zwischen einer kundigen Elite und den unteren Teilen der Gesellschaft zeigte sich insbesondere in den Städten, wo aus dem ›Volk‹ mit eigener Kultur nun die ›Masse‹ geworden war, die nicht mehr Volkslieder sang, in der Spinnstube Geschichten erzählte oder andere ländliche Traditionen pflegte, sondern Gassenhauer trällerte und Produkte und Spektakel der Kulturund Vergnügungsindustrie konsumierte. Allerdings hegten die Erwerbsbürger oft dieselben Lektürevorlieben wie ihre Dienstmädchen, sodass ihr Geschmack aus Sicht der ästhetischen Experten mindestens ebenso fragwürdig war. Dabei galten für Literatur einerseits, Inneneinrichtung, Architektur und Bildende Kunst andererseits zunehmend unterschiedliche Kriterien: Experten für literarische Bildung, etwa Bibliothekare und Lehrer, betrachteten die Literatur vor allem nach ihrem Bildungswert und ihrem Potenzial zur moralischen Erziehung, hielten also an einem Literaturideal fest, das auf die deutsche Klassik mit ihrer Höhenkammliteratur zurückging, im Industriezeitalter aber eigentlich nicht mehr zeitgemäß war. Kitsch in der Literatur als sentimentale Unterhaltung mit einem Überschuss an Gefühl, einer Tendenz zur Ausblendung von Problemen und zum ›Happy End‹ galt ihnen als moralisch und intellektuell problematisch. Kulturkritiker beklagten dagegen das Überhandnehmen der Industriekultur, die schiere Menge der Dinge, mit denen sich die Menschen neuerdings umgaben, und die schlechte Qualität massengefertigter Güter. Architekten und Designer störten sich an der Überfülle von Ornamenten und strebten nach Einfachheit, ein Impuls, den man unmittelbar nachvollziehen kann, wenn man die Fotos vollgestopfter bürgerlicher Wohnungen aus der Belle Époque mit ihren riesigen Lüstern, üppigen Orientteppichen, schweren Samtportieren und Vitrinen voller Zierrat betrachtet. Als Reaktion darauf formierten sich unterschiedliche Gegenbewegungen: Reformbewegung und Heimatschutzarchitektur orientierten sich, ähnlich wie die englische Arts & Crafts-Bewegung, an regionalen und handwerklichen Traditionen und richteten den Blick in eine einfachere Vergangenheit, in die Natur sowie auf außereuropäische Kulturen, etwa die japanische. Viele der für das 20. Jahrhundert einflussreichen Vertreter einer rein funktionalistischen Moderne dagegen sahen den Ur-

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sprung des Hanges zum Überflüssigen in einer verfehlten Orientierung an der Vergangenheit und Kitsch als das Ergebnis des irregeleiteten Geschmacks von Zeitgenossen, denen es nicht gelang oder die sich schlicht weigerten, ihren Geschmack der Gegenwart anzupassen. So wandten sich die ›Advokaten‹ des Modernismus der wissenschaftlich-technischen Kultur zu. Der Wiener Architekt Adolf Loos etwa behauptete in seinem erst 1929 gedruckten, berühmt-berüchtigten Vortrag mit dem provokanten Titel Ornament und Verbrechen, diese »unmodernen menschen«, die »nachzügler«, deren Geschmack sich an früheren Epochen orientierte, verlangsamten oder behinderten die »kulturelle entwicklung« überhaupt. Loos sah die Genese des Geschmacks als stete Weiterentwicklung, deren Endpunkt, den er in quasi-religiösen Bildern beschrieb, Bauten und Räume ganz ohne Farbe und Ornament bilden würden: »Wir haben das ornament überwunden, wir haben uns zur ornamentlosigkeit durchgerungen. Seht, die zeit ist nahe, die erfüllung wartet unser. Bald werden die straßen der städte wie weiße mauern glänzen. Wie Zion, die heilige stadt, die hauptstadt des himmels. Dann ist die erfüllung da.«10 Den Bauhausstil, der in Italien gelegentlich auch als ›stilo tedesco‹, als deutscher Stil, bezeichnet wird, kann man auch als Antikitsch- und Antiheimat-Programm bezeichnen. Selbst die Bauhaus-Gärten waren als Kontrast zum Schrebergarten konzipiert: »Wie auf einem grünen Tablett werden die Ikonen der Moderne ausgestellt. Kein Blumenbeet, kein Petersiliengarten stört das perfekte, etwas sterile Bild.«11 Selbstredend ist in einer von solchem ästhetischen Purismus geprägten Umwelt kein Raum für Gartenzwerge oder überhaupt für Nippes. Zusammengefasst und zugespitzt lässt sich sagen: Wer Heimat und Kitsch, Petersilie und Gartenzwerge, Blumentapeten und Streublumenmuster auf dem Kaffeeservice mag, ist entweder hoffnungslos der Vergangenheit verhaftet oder aber ungebildet, Teil der Masse, und steht auf der sozialen Skala eher unten. Selbst die naivsten und fantastischsten Visionen einer technischen und sozialen Moderne dagegen, in denen alle Probleme und Nöte der Gegenwart durch perfekte Technik als überwunden dargestellt wurden und denen man um 1900 bei Sozialisten, Ingenieuren, Wissenschaftlern, Industriellen als auch bei Autoren des neuen Genres Science Fiction begegnete – man denke nur an die exorbitanten

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Erwartungen an die Zukunft bei August Bebel und Werner von Siemens –, wird man vielleicht als kühn bezeichnen, nicht aber als kitschig; die Sprache kennt weder ›Zukunftskitsch‹ noch ›Utopiekitsch‹ oder ›Technokitsch‹. Die Heimatliteratur ist gewissermaßen der Gartenzwerg unter den literarischen Gattungen. Sie präsentiert, so jedenfalls das geläufige Urteil, ländliche Idyllen, verklärt die Vergangenheit, blendet Realität und Gegenwart aus und erzählt klischeehafte Geschichten mit schematischen Figuren nach konventionellen Mustern, ist also gleichsam industriell produziert. Bestimmt wird sie von dichotomischen Gegensätzen: Stadt und Land, Gesundheit und Krankheit, Tradition und Moderne, Natur und Zivilisation. Und wenn Heimatliteratur der Inbegriff von Kitsch ist, so gilt Ludwig Ganghofer mit seinen millionenfach verkauften Hochlandromanen als Inbegriff des Heimatautors. Vor allem sein mehrfach verfilmter Erfolgsroman Das Schweigen im Walde versammelt scheinbar idealtypisch all das, was nach landläufigem Verständnis zum literarischen Heimatkitsch gehört. Der Roman erzählt die Geschichte eines Adligen, der vor dem Leben in der Stadt in ein Bergidyll flieht, wo er, buchstäblich im Wald, Heilung und wahre Liebe findet: Er begegnet einer jungen Sennerin, bei der es sich jedoch um eine gleichfalls aus der Stadt entflohene Figur handelt; sie ist kein Mädchen vom Land, sondern die Tochter eines Münchner Kunstmalers. Der Roman präsentiert eine idealisierte »Salonbergwelt«, eine »geglättete, romantisierte und sentimentalisierte«12 Version ländlicher Idylle aus dem Blickwinkel des Städters, des Touristen, die nichts mit der Lebens- und Arbeitswelt von Berg- oder Waldbauern zu tun hat. Damit steht Ganghofer aber eher in der Tradition der Romantik, die sich ebenfalls weder für Bauern noch gar für deren Arbeit interessierte. Auch seine Schilderungen des Waldes erinnern eher an Eichendorff als an Berthold Auerbachs Agrarlandschaften oder die Beschreibung der Landarbeit bei Wilhelm von Polenz: Ganghofers Wald ist Echoraum und ästhetische Kulisse für die Empfindungen eines städtischen Betrachters, nicht Lebenswelt, Erfahrungs- oder gar Wirtschaftsraum, die Berglandschaft lediglich malerischer Hintergrund für eskapistische Träume. Schon der zeitgenössische Literaturkritiker Hermann Bahr sah, dass sich in Ganghofers Romanen die »Stimmungen

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deutscher Geschäftswelt« spiegelten, »die in den großen Städten Geld verdient und sich in Jagdhäusern davon erholt«;13 die Texte sind an den Lesebedürfnissen dieser betuchten, modernen und vor allem mobilen städtischen Leserschaft orientiert, die sich nach erhebenden Empfindungen sehnte und überdies den alpinen Tourismus entdeckt hatte: Die Bezeichnung ›Hochlandromane‹, die Ganghofer selbst favorisierte, sollte man ernst nehmen. Noch offensichtlicher ist das touristische Element in Wilhelmine von Hillerns Bestseller Die Geier-Wally, der noch vor Ganghofers Romanen herauskam, ebenfalls mehrfach verfilmt wurde und ebenfalls irrtümlicherweise als Heimatroman gilt. Dabei erinnert Hillerns »düstere Darstellung des Dorflebens eher an die Anti-Heimatliteratur der 70er Jahre des 20. als an die Heimatliteratur des ausgehenden 19. Jahrhunderts«. Hochgebirge und Gletscher werden auch hier aus der Perspektive des städtischen Touristen geschildert, dem die »erhabene alpine Wildnis«14 der Hochgebirge und Gletscher als Sehnsuchtsraum erscheint, nicht mit dem Blick des Bauern. Weder Ganghofer noch Wilhelmine von Hillern sind also repräsentativ für die Heimatliteratur; weit eher wirken sie wie literarische Adaptionen eines modernen, bergtouristischen Wanderers über dem Nebelmeer. Die Autoren von Heimatromanen – es sei an Peter Rosegger, Wilhelm von Polenz oder Clara Viebig erinnert – präsentierten das Leben auf dem Land zwar als positives Gegenmodell zum Leben in der Stadt und standen den Umbrüchen durch die Industrialisierung kritisch gegenüber, schilderten dabei aber ökonomische Probleme und Alltag der  Bauern oder die sozialen Auswirkungen der Industrialisierung. Ganghofer wirkt eher wie ein typischer Vertreter der Bewusstseinsspaltung der Wilhelminischen Epoche, indem seine Romane zwar die Natur und die ›Kräfte der Bewahrung‹ ins Zentrum rücken und Technik, moderne Gesellschaft und Industrie ausblenden, gerade dadurch aber höchst moderne Sehnsüchte einer städtischen Leserschaft ansprechen, die so ihr Unbehagen in der modernen Zivilisation vorübergehend vergessen konnte. Vor allem seit den 1960er-Jahren wurde insbesondere Heimatkitsch nicht nur als ästhetisch, intellektuell und moralisch bedenklich, sondern auch als ideologisch und politisch gefährlich gesehen: Aus Stilkritik

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wurde zunehmend Ideologiekritik. Nachdem Ganghofer bereits zu Beginn der 1960er-Jahre als klarer Fall von Kitsch, als typischer »Vertreter einer ›Pseudo-Kunst‹« etikettiert und seine Leser »als ›denkunfähige und ästhetisch ungeübte Leser‹ mit ›kleinbürgerlicher Halbbildung‹« abqualifiziert worden waren,15 attestierte ausgerechnet der ehemalige SS-Hauptsturmführer Hans Ernst Schneider, der unter dem Pseudonym Hans Schwerte bis zu seiner Emeritierung das Amt eines Germanistikprofessors versah und als linksliberal galt, dem Autor darüber hinaus faschistoides Potenzial: Schwerte alias Schneider behauptete, Ganghofers Romane enthielten »alle künftigen katastrophalen Potenzen«, »einschließlich einer möglichen terroristischen Volksverbesserung und Ordnungssendung«.16 Von nun an hieß es, man dürfe Ganghofer keineswegs »lediglich als einen harmlosen, vielleicht unterhaltsamen oder kitschigen Verfasser von Berg- und Dorfromanen vor alpenländisch-heimattümelnder Kulisse begreifen«, er habe vielmehr »mit seinen Idealisierungen und idyllischen Weltfluchten« seiner Leserschaft die Möglichkeit geboten, »sich in den traditionellen Denk- und Verhaltensweisen bestätigt zu sehen oder aus der Gegenwart in eine heile Welt zurückzudenken«.17 Der Heimatliteratur um 1900 ganz allgemein wurde vorgeworfen, sie sei als Produkt der Kulturindustrie ein kultureller »Stabilisierungsversuch«, eine »propa­ gandistisch-mediale Kompensationshandlung«, die »einer kleinbürgerlichen Klientel mit gesellschaftlichem Orientierungsverlust Wunschbilder aus vergangenen Zeiten als Modell«18 geliefert habe. Heimatkitsch hätte also, so der Vorwurf in Kürze, ein System gestützt, das eigentlich hätte bekämpft werden sollen. Kitschige Heimatliteratur, die mitten in der Hochindustrialisierung ländliche Idyllen anpries statt die Lebensbedingungen der Arbeiter in den Städten darzustellen, hätte mit dazu beigetragen, ausbeuterische Unterdrückungsverhältnisse zu verschleiern. Sie sei Teil der herrschenden Ideologie, die den Eindruck zu erwecken versuchte, »die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut« seien nicht »in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt worden«, wie es im Manifest der Kommunistischen Partei hieß. Die Vorwürfe an die Produzenten von Kitsch sind teils ästhetischer, teils politischer, teils moralischer Natur; die Rezipienten erscheinen teils als Opfer und arglos Getäuschte, teils als

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Mitwisser, teils gar als mitverantwortliche Nutznießer eines böswilligen Täuschungsversuchs. Vor allem für die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus war die Frage nach den Kitschrezipienten zentral. Für Hermann Broch war Kitsch »das Böse im Wertsystem der Kunst«,19 den Rezipienten von Kitsch sah er als Kitsch-Menschen, »der das Falsche, Verlogene, Verkommene und Billige liebt«,20 wie etwa, laut Broch, Nero, Hitler und Kaiser Wilhelm II., der wiederum zu den größten Fans Ludwig Ganghofers gehörte. Bei dem Versuch, den Aufstieg des Nationalsozialismus zu verstehen, gerieten aber in den 1960er-Jahren neben der vermeintlichen Kitsch-Affinität der Mächtigen auch die sozialpsychologischen Strukturen gerade des schon bei Marx und Lenin als suspekt geltenden Kleinbürgertums mitsamt seiner Vorliebe für Kitsch in den Blick. Nach und nach wurden nun Kleinbürgertum, Kleinstadt und Provinz mitsamt Gartenzwerg, Schrebergarten, Jägerzaun, Heimatroman, Heimatfilm und Musikantenstadl im Horrorbild einer Spießer-Ideologie verschmolzen und als Urgrund von Nationalsozialismus, Faschismus und autoritärem Charakter identifiziert, auch unter dem Einfluss von Wilhelm Reichs 1933 verfasster Studie Massenpsychologie des Faschismus und Hannah Arendts Aufsatz »Die organisierte Schuld« sowie von ihrem umstrittenen Buch Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen aus dem Jahr 1963. Arendt sah vor allem Heinrich Himmler als Idealtypus des »Spießers«, »der nur an seiner privaten Existenz hängt und öffentliche Tugend nicht kennt«. Sie räumte ein, dass diese Betonung des Privaten in Deutschland besonders ausgeprägt war, zumal sie an den Deutschen bei allem chauvinistischen Überschwang einen besonders schwach ausgeprägten Patriotismus diagnostizierte. Gleichwohl war für sie der ›Spießer‹ nicht die Ausprägung eines vermeintlichen deutschen Nationalcharakters, sondern vielmehr der »moderne Massenmensch« und als solcher eine »internationale Erscheinung«.21 Nichtsdestoweniger wurde der ›Spießer‹ in der deutschen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zunehmend als besonders deutsches Phänomen interpretiert. Die NS-Massenmörder erschienen als typische Deutsche, als brave Bürger, die »zum Essen pünktlich nach Hause« kamen und sich in ihrem Privatleben »auch sentimental, gefühlvoll oder

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gar gemütlich«22 zeigten. Immer wieder, vor allem nach dem Krieg, wurde diese Zwiespältigkeit, dieses Nebeneinander von Sentimentalität und Brutalität, als Element eines vermeintlichen deutschen Nationalcharakters gedeutet. Ein krasses Beispiel war Rudolf Höß, der in den autobiografischen Aufzeichnungen über seine Zeit als Kommandant in Au­ schwitz von dem Familien- und Gartenidyll mitsamt »Blumenparadies« im Garten des Privathauses berichtete. Dieses schier unbegreifliche Nebeneinander erschien meist aber nicht, wie bei Arendt, als charakteristisch für die Deformationen des Massenmenschen in der industriellen Moderne, sondern wurde als Beleg dafür präsentiert, dass die Ursache für den Nationalsozialismus in einer kleinbürgerlichen, provinziellen, zutiefst deutschen Mentalität zu suchen sei. Der Provinz selbst mit ihrem Festhalten an Traditionen und den nun als »Sekundärtugenden« geschmähten, vormals bürgerlichen Werten wie Ordnung, Pflichtgefühl, Sauberkeit oder Gründlichkeit wurde ganz allgemein »faschistoides Potential« zugeschrieben. Carl Amery brachte den Verdacht auf den Punkt: »Ich kann pünktlich zum Dienst im Pfarramt oder im Gestapokeller erscheinen; ich kann in Schriftsachen ›Judenendlösung‹ oder Sozialhilfe penibel sein; ich kann mir die Hände nach einem rechtschaffenen Arbeitstag im Kornfeld oder im KZ-Krematorium waschen.«23 Das Ideal einer geordneten Heimat oder die Sehnsucht nach einem Heimatidyll galten damit per se als gefährlich, weil diese Sehnsüchte vermeintlich dazu führten, dass »alles, was diese heile Welt tangiert oder gefährdet, [...] allergisch abgewiesen, das vermeintliche Glück borniert verteidigt«24 werde. Die Einsicht, dass sogenannte Sekundärtugenden leicht missbraucht werden können, führte nicht zur Bekämpfung des Missbrauchs, sondern zu der Forderung, das Missbrauchbare abzuschaffen; die »Erkenntnis von der Banalität des Bösen hatte [...] den Umkehrschluß vom Bösen des Banalen erzeugt«.25 Eine kritische Auseinandersetzung mit der ins Weite und zur Expansion tendierenden ›faustischen Ideologie‹, aus deren Perspektive das beschränkte und bescheidene Leben ebenso verächtlich wirkte wie aus Sicht der Provinzkritiker, unterblieb dagegen. So wurde eine dichotomische Weltsicht festgeschrieben: Auf der einen Seite standen gebildete, weltoffene, geistreiche, kosmopolitische Städter, die auf der anderen Seite eine nur scheinbar heile, enge, zwang-

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haft geordnete Welt sahen, ein verlogenes Idyll mit ihrer Symbolfigur, dem alles andere als harmlosen Gartenzwerg, der die Silhouetten von Hitler und Auschwitz nur unzureichend verbarg. Theodor W. Adorno erblickte in der Provinz »die Brutalität des Rustikalen«, die »kulturelle Ungeformtheit des Agrarischen«, und sah die »Emanzipation von der Provinz«26 als Bedingung für die Überwindung der Barbarei. Der provinzielle Kleinbürger hatte gewissermaßen das Erbe des von den Romantikern geschmähten Philisters angetreten. Nun aber war er nicht mehr bloß nützlichkeitsversessen und amusisch, sondern gefährlich, zugleich »medioker und provinziell, fanatisch und brutal, engstirnig und ressentimentgeladen«.27 Es ist eine schon sehr ironische Wendung, dass die ätzende Provinz-, Land- und Heimatkritik der 1960er-Jahre sich ihre tiefe Verachtung der Spießer ausgerechnet bei den Romantikern und ihrer Philisterschelte abschaute, während doch in eben dieser Romantik ein weiterer Ursprung der irrationalen Verklärung von Heimat und letzten Endes eine Vorbereiterin des Nationalsozialismus vermutet wurde. Vor diesem Hintergrund entwickelten sich gegen Ende der 1960erJahre in Österreich wie in Deutschland neue Film- und Literatur-Genres, die zum großen Angriff auf die Idyllen der Heimatliteratur und des Heimatfilms bliesen. Die kritische Heimatliteratur und der kritische Heimatfilm gingen programmatisch gegen jedwede Verklärung von Agrarromantik, Landleben und Dorfgemeinschaft an und machten zugleich Front gegen filmische Konventionen wie Happy End, Volksfeste mit Blasmusik und Dirndlkleidern, Bilder schöner oder erhabener Natur oder Figuren wie den schmucken Förster oder die fröhliche Sennerin. Paradebeispiel für die Art Film, gegen die diese kritischen oder auch Antiheimatfilme antraten, ist der große Publikumserfolg Der Förster vom Silberwald aus dem Jahr 1954, der im Produktionsland Österreich unter dem Titel Echo der Berge lief. Man hat ihn als einen der »schlimmsten«, gar »verderblichsten« Heimatfilme bezeichnet, weil er angeblich »mit einem so ausgeklügelten, auf die Tränendrüse drückenden Kitschbewußtsein gemacht«28 wurde. Sicherlich operiert der Film mit einem klar dichotomischen Schema, ähnlich wie jene, die der These von der ›Spießer-Ideologie‹ anhingen und hinter jedem Jägerzaun einen Nazi vermuteten, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen: Im Förster vom Silber-

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wald sind Bergdorf und Berglandschaft, Tradition, Natur und eine eher feudalistische, jedenfalls vordemokratische Sozialstruktur eindeutig positiv konnotiert, städtische Alltagskultur, moderne Kunst und technischer Fortschritt ebenso eindeutig negativ. Der Film erzählt die Geschichte einer Heimkehr: Liesl, die als Künstlerin in Wien lebt, findet den Weg zurück auf das Gut ihres Großvaters in den Bergen und in die Arme des naturkundigen Jägers Hubert. Zwar ist – ähnlich wie in Grün ist die Heide – auch hier die Welt etwas weniger ›heil‹, als es oberflächlich den Anschein hat: Liesl ist Waise, und es wirkt fast, als solle mit der positiven Großvater-Figur des alten Hofrats an die KuK-Tradition angeknüpft und die mit Nationalsozialismus und Republik assoziierte Elterngeneration ausgeblendet werden. Hubert wiederum ist ein gut integrierter Vertriebener aus einem nicht näher bezeichneten deutschen Osten, der Gut und Familie verloren hat. Auf dem Land und im Dorf werden Tradition und Sitte bewahrt, wie Jägerball oder katholische Messe zeigen; auch Hochkultur und Natur werden vor den zerstörerischen Einflüssen von Kapitalismus und hedonistischer Konsumgesellschaft geschützt. Schlüsselfigur dabei ist ausgerechnet der Vertriebene Hubert, der Bach auf der Orgel spielt, dem es aber auch zu verdanken ist, dass der Silberwald vor der Abholzung aus rein wirtschaftlichen Interessen bewahrt wird: Nicht ohne Grund trägt er den Namen des heiligen Hubertus, des Schutzpatrons der Jagd. In der Freiluftmesse am Hubertustag am Ende des Films steht der Naturschutz im Mittelpunkt: Der Priester beklagt die »Bedrängnis« »durch die fortschreitende Zivilisation« und beschwört die »Sehnsucht des Menschen nach einer Blume, die nicht von einem Gärtner gepflanzt wurde, nach einem Tier, das nicht hinter Gittern lebt, nach einer Erde, die noch kein Pflug berührt hat, nach einem Gewässer, das noch frei in seinen Ufern rauscht«. Diese ›Botschaft‹ des Films, den der Spiegel prompt als »Umweltschnulze« schmähte, wurde unterstrichen durch die prachtvollen Farbbilder von Bergen, Wäldern und Alpentieren. Ganz offensichtlich bediente dieser Film die Bedürfnisse eines Publikums, das die Ruinen der kriegszerstörten Städte nicht auch noch im Film sehen wollte, aber sowohl das Bedürfnis, wenigstens Bilder von einer unversehrten Welt zu sehen, als auch die medialen Angebote zur Stillung dieses Bedürfnisses galten nun als verdäch-

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tig. Als Reaktion wurden also Filme und literarische Texte produziert, die darauf abzielten, die falschen Bedürfnisse zu entlarven und die Erwartungen der Zuschauer zu enttäuschen. Ländliche oder kleinstädtische Heimat erschien hier nicht mehr als Idylle, als Hort von Gemeinschaft, Traditions- und Naturverbundenheit, sondern als Symbol für Enge, Beschränktheit, Ausgrenzung, Unterdrückung und Gewalt, als eben jener ›fruchtbare Schoß‹, aus dem jederzeit wieder der Faschismus herauskriechen kann. Vor allem Filme taten dies mit zum Teil drastischen Mitteln. Einen mittleren Skandal löste 1969 der Film Jagdszenen aus Niederbayern aus, der schildert, wie die Bewohner eines bayerischen Dorfes einen jungen Homosexuellen diskriminieren und jagen und wie der junge Mann darüber selbst zum Mörder wird. Der Filmkritiker der Zeit sah den Film als »ein gekonntes Ade an den gängigen Kitsch des Förster- und Alpen- und Berggipfelschwulstes«,29 und der Film wurde mehrfach ausgezeichnet. Die Zuschauer in Niederbayern konnten ihm allerdings wenig abgewinnen, was sie in zum Teil wutentbrannten Leserbriefen an die Landshuter Zeitung mitteilten. Reclams Filmführer räumte ein, dass der Film mit »grellen Klischees und Denunziationen« arbeite und das Dorf im Film »als Panoptikum, die Dörfler als abnorme Monstren« zeige, hob aber gleichwohl hervor, dass »die bornierte Eng­ stirnigkeit, die Mechanik des Konformismus, die den ›Andersartigen‹ ausstößt und jagt«,30 beeindruckend deutlich geworden sei. Dieser Antiheimatfilm setzte ganz auf die Denunziation des bäuerlichen, dörflichen Milieus. Volker Schlöndorff wandte sich 1971 in Der plötzliche Reichtum der armen Leute von Kombach ebenfalls gegen die Heimatidyllen früherer Zeiten, und auch bei ihm erscheinen die Bauern als ungebildet, manipulierbar und stümperhaft. Doch sind sie hier nicht Täter, sondern vor allem Opfer. Wie Jagdszenen in Niederbayern war auch Schlöndorffs Film in asketischem Schwarz-Weiß gedreht, um deutlich zu machen, dass es hier um einen Gegenentwurf zur opulenten Technicolor-Ästhetik der 1950er-Jahre ging: Alle Elemente, die Grün ist die Heide oder Der Förster vom Silberwald so populär gemacht hatten und visuellen oder emotionalen Genuss ermöglichten, also etwa bunte Bilder von Volkstänzen, blühender Heide und majestätischen Bergen, aber auch glückliche Liebes-

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paare, wurden dem Zuschauer verweigert. Stattdessen ging Schlöndorff in die Zeit der Großen Transformation zurück und erzählte einen historischen Kriminalfall aus dem frühen 19. Jahrhundert als marxistisches Lehrstück mit Elementen Brecht’scher Verfremdungsästhetik: Eine Gruppe armer Bauern, angestiftet von einem fahrenden jüdischen Strumpfhändler, versucht, durch den Überfall auf einen Geldtransport der Armut zu entkommen; unter anderem malen sie sich eine Auswanderung nach Amerika aus. Nach mehrfachem Scheitern gelingt ihnen der Überfall zwar, doch werden sie gefasst und am Ende hingerichtet. Einzig der jüdische Händler entkommt. Im Zentrum des Films stehen die Ursachen des Scheiterns, die in dem (im marxistischen Sinn) ›falschen Bewusstsein‹ der Bauern vermutet werden, die ihre Lage nicht verstehen können, weil sie von den Herrschenden jahrhundertelang im Zustand der Unbildung gehalten wurden und ihnen obendrein systematisch eine Heimatideologie eingetrichtert worden ist. Die Unbildung der Bauern kommt in ihrer Leichtgläubigkeit und ihrem Aberglauben zum Ausdruck – sie glauben tatsächlich, dass die Gänsemagd wie im Märchen am Ende den Prinzen heiratet –, aber auch bei der dilettantischen Planung und Durchführung des Überfalls. Die Mechanismen der Ideologievermittlung will der Film deutlich machen, indem er zeigt, wie Kinder literarische Texte aufsagen, die das Bauerntum, die Heimat oder Zufriedenheit mit dem eigenen Los preisen. Diese Texte werden mit trostlosen Bildern kontrastiert, auf denen das Bauernleben als Mischung aus schwerer körperlicher Arbeit, Entbehrung, Sorge, Not, Gewalt und Freudlosigkeit erscheint. Als Resultat dieser Gehirnwäsche, eben weil sie an einer vom Film als Ideologie präsentierten Idee von Heimat kleben, sind die Bauern nicht einmal dazu in der Lage, sich in Sicherheit zu bringen. Allein der jüdische Händler David Briel hat die Realität des Lebens im marxistischen Sinn verstanden: Er hat begriffen, dass einzig Geld die Welt im Innersten zusammenhält. Das unterstreicht er in seiner marxistischen Interpretation eines bekannten Märchens: Im Gegensatz zu den dummen Bauern weiß er, dass keine Zauberei dahintersteckt, wenn in »Tischlein deck dich« das Essen auf dem Tisch steht, sondern Gewalt (›Knüppel aus dem Sack‹) und Geld (›Goldesel streck dich‹). Da er das begriffen hat, da er zudem als fahrender Händler nicht an das Land gebunden und als Au-

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ßenseiter ohnehin ›entbettet‹ und heimatlos ist, entkommt er den Hä­ schern. Ausgerechnet der ausgegrenzte Jude kommt davon, während die dummen Bauern hingerichtet werden und sich auch noch nahezu widerstandslos, ja fast bereitwillig in dieses Schicksal fügen. Fast wirkt das Ende des Films wie ein Echo des Büttnerbauern von Wilhelm von Polenz, in dem der Bauer sich freilich selbst umbringt: Die Bindung an Heimat und Land ist im Zeitalter der Industrialisierung anachronistisch und letzten Endes selbstzerstörerisch. So lautet die ›Moral‹ aus dem Mund der Figur David Briel: »Mich hat das Geld frei gemacht. Die Bauern können mit Geld nichts anfangen, weil sie ihr Lebtag nur Erde zwischen den Fingern gehabt haben. Sie können sagen, wenn sie die Erde anfassen, ob sie gut ist für Kartoffeln, für Korn oder für Wein. Aber wenn sie Geld zwischen den Fingern haben, wissen sie nicht damit umzugehen. [...] Und dahin gehen, wo man ihn nicht kennt, kann der Bauer nicht, weil sein Land nicht mitgeht und er sich fürchtet vor der Fremde. Ich aber bin frei. Ich habe kein Haus und kein Land, das mich hält. Ich kann gehen, wohin ich will.«

In der Figur des David Briel werden das Bild des romantischen Wanderers, des Ahasver, des einzig am Geld interessierten Kapitalisten und des Amerika-Auswanderers auf verstörende Art amalgamiert. Die Figur erscheint dadurch als zutiefst ambivalent: Einerseits ist David Briel offensichtlich viel klüger als die Bauern, andererseits agiert er als Außenseiter eigennützig und individualistisch und zeigt keinerlei Solidarität. Dieses verstörende Element des Films hielt allerdings die meisten zeitgenössischen Filmkritiker nicht davon ab, Schlöndorffs Film als besonders gelungenes Beispiel einer neuen Art Heimatfilm zu feiern. Die Allgemeine Jüdische Wochenzeitung wies auf den Zusammenhang mit dem antisemitischen Antikapitalismus an der Schwelle zum 20. Jahrhundert hin: »Die Negativfigur dieses David Briel, ihre Funktion und Darstellung im Film, ist nicht zu übersehen, sie bildet den seelenschwarzen Kontrapunkt zu der dumpfen Bauernschar, die für ihre Auflehnung gegen das ihr auferlegte Schicksal mit dem Leben zahlen muß. Der schlaue Jude benutzt sie als Werkzeug, um sein Glück zu mehren. Der Tod der Genarrten schert ihn wenig. Erstaunlicherweise aber nahmen die wenigsten Fernsehkritiker der bundesdeutschen Tagespresse überhaupt Notiz von diesem David Briel.«31

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Das Schweigen im Walde und Der Förster vom Silberwald

Heimatliteratur und alter wie neuer Heimatfilm übten Kritik am modernen Kapitalismus, wenn auch aus verschiedenen Perspektiven: Die einen sahen den Kapitalismus und die moderne Zivilisation als Zerstörer von Institutionen, Traditionen, Schönheit und Natur, die anderen als System zur Ausbeutung und Unterdrückung der Armen. Beide Richtungen operierten zudem mit Gegensätzen; die neuen, kritischen Heimatfilme aber bauten darüber hinaus ein Feindbild Heimat auf, das als politisch gefährliches Konstrukt entlarvt werden sollte: Bauern erscheinen nur als dumpf und brutal, Dorf, Provinz, Heimat, Land und Natur einzig als Orte der Unterdrückung, Unfreiheit, Gewalt, Armut und Idiotie; Religion, Tradition, Brauchtum und Ideale von Gemeinschaft ausschließlich als Unterdrückungsinstrumente. Rückblickend betrachtet gewinnt man den Eindruck, dass dieses grotesk überzeichnete Bild einzig von dem Bedürfnis getragen war, dem vermeintlich gefährlichen Kitsch sein absolutes Gegenteil entgegenzusetzen; Differenzierung war nicht gefragt. Als Modell des neuen, weltgewandten und weltoffenen, gebildeten Menschen wurde der urbane Mensch überhöht, er galt als »ein Wesen, das sich informieren, aufklären, aus der Unmündigkeit befreien will; ein sich entfaltendes, Zwängen entgegenstehendes, nicht-repressives Wesen«. Alle sollten wie die Städter werden, das war die »Forderung einer emanzipatorischen Anthropologie.«32 Wer sich in diesem Ideal nicht wiederfinden mochte, konnte nur dumpf und zurückgeblieben oder aber böswillig sein. Aus Sicht der Heimatliteratur und der Heimatfilme dagegen erscheint der Städter eher als bedürftig und ungesund, in diesem Fall wäre sogar seine Heilung möglich, sofern er in die Natur und aufs Land zieht. Schlimmstenfalls wird er als unheilbar entfremdet dargestellt, nicht jedoch als genuin böse, zumal es in dieser Welt das wirklich Böse gar nicht gibt: Auch hier wird in Dichotomien gedacht, nicht aber dämonisiert. Die kritischen Heimatfilme wollten Vorstellungen von Heimat als Ideologie entlarven und die Verblendung, Täuschung und das falsche Bewusstsein der Heimatverbundenen, der Liebhaber alter Heimatfilme und vielleicht auch der Schrebergärtner und Gartenzwergbesitzer auf­ zeigen. Da sie sich aber ganz offensichtlich nicht an dasselbe Publikum wandten wie die ›kitschigen‹ Heimatfilme, konnten sie kaum dazu geeignet sein, diese Zuschauer über ihren vermeintlich irregeleiteten Ge-

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Heimat als Kitsch

schmack aufzuklären. Vielmehr bestätigten sie lediglich die urbanen Menschen in ihren Vorurteilen über ländlich-provinzielle ›Kitsch-Menschen‹, Spießer und Nostalgiker. Indem sie »die heile Welt als würgende Enge, als Zwangsordnung« präsentierten, setzten sie allerdings letzten Endes »dem alten Kitsch der Verklärung« nur den »schwarzen Kitsch der Denunziation«33 entgegen.

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Die Sehnsucht nach der ›alten, schönen Zeit‹

Heimat, Heimweh und Nostalgie: Die Sehnsucht nach der ›alten, schönen Zeit‹ Don’t it always seem to go That you don’t know what you’ve got ’ Till it’s gone They paved paradise And put up a parking lot (Joni Mitchell: Big Yellow Taxi)

Kitsch und Nostalgie haben einiges gemeinsam, nicht zuletzt ihre Verbindung zur Heimat. Alle drei Phänomene unterliegen einem ganz ähnlichen Verdacht: Kitsch blendet, so der Vorwurf, alles Negative und Unangenehme, Konflikte und Widersprüche aus, füttert die Regression bzw. entspringt aus ihr. Nostalgie wiederum gilt als eine Art überzuckerte und von sentimentalen Gefühlen begleitete Erinnerung, in der die Vergangenheit verklärt, idealisiert, aller Unannehmlichkeiten entkleidet und letzten Endes verzerrt wird. Ausblendung und Verleugnung von Konflikten, Festhalten an einem überhöhten Ideal, Fantasien von Harmonie und Übereinstimmung werden aber auch den Apologeten der Heimat vorgeworfen. Wer nostalgisch auf seine Umwelt blickt, ist nicht nur ein provinzieller, ungebildeter Spießer mit engem Horizont und schlechtem Geschmack, der sich, möglicherweise sogar unverschuldet, noch nicht ›emanzipiert‹ hat. Der Nostalgiker stellt sich vielmehr bewusst gegen seine Zeit und gibt zu erkennen, dass er mit bestimmten Aspekten seiner Gegenwart nicht einverstanden ist. Die Haltung des Nostalgikers wird oft karikiert durch den Satz ›Früher war alles besser‹, der unterstellt, der Nostalgiker ziehe die Vergangenheit als Ganzes der Gegenwart als Ganzes vor, was aus Sicht des Apologeten der Modernisierung nur möglich ist, wenn die Vergangenheit verfälscht und die Errungenschaften des Fortschritts ausgeblendet werden. Nostalgiker seien, so die Kritik, nicht dazu in der Lage, der Realität der steten Veränderung ins Auge zu sehen,

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Heimat, Heimweh und Nostalgie

geschweige denn, sie zu akzeptieren. Nostalgische Sehnsüchte moderner Menschen werden daher oft als Ausdruck von Regression, also als ein, so der Duden, »Zurückfallen auf frühere Stufen der geistigen Entwicklung« verstanden, das wechselweise als illusionär, lächerlich, pathologisch, reaktionär oder verlogen gilt. Nicht nur die vermeintliche Idealisierung der Vergangenheit verbindet Nostalgie und Heimat. Die Verbindung geht viel tiefer, denn Nostalgie war ursprünglich nichts anderes als ein medizinisches Kunstwort für das deutsche Wort ›Heimweh‹, das zunächst als spezifisch schweizerische Krankheit verstanden wurde. Der Schweizer Mediziner Johannes Hofer beschrieb in seiner Dissertatio medica de nostalgia oder Heimwehe 1688 Symptome des Heimwehs bei Schweizer Söldnern im Ausland wie Niedergeschlagenheit, Weinkrämpfe, Appetitlosigkeit und sogar die Neigung zum Selbstmord. Zu den harmloseren Äußerungsformen gehörte das Verlangen nach vertrauten Speisen oder nach dem typischen Geschmack der Milch von den Kühen am Heimatort. Ausgelöst werden konnten Anfälle von Heimweh zum Beispiel durch das Geräusch von Kuhglocken oder durch die Melodie eines ›Kuhreihen‹, einer Melodie, mit der die Hirten das Vieh zum Melken riefen. Jean-Jacques Rousseau hat die ungeheure Wirkung dieser Klänge auf die Schweizer Söldner, die anscheinend sogar zu einem Verbot führte, im Dictionnaire de Musique beschrieben, und stellte einen Zusammenhang her zwischen Heimweh, Erinnerung und der Einsicht in die Vergänglichkeit: »Das Lied galt ihnen so viel, daß es bei Todesstrafe verboten war, es in ihren Söldnerregimentern zu singen; denn die es sangen, zerflossen in Tränen, desertierten, oder es brach ihnen das Herz, so sehr weckte das Lied in ihnen das brennende Verlangen, die Heimat wiederzusehen. [...] Diese Wirkungen (sie sind nur bei Schweizern festzustellen) sind einzig auf das Herkommen, die Macht der Erinnerung zurückzuführen, auf tausend kleine Erlebnisse, die bei diesem Lied in den Hörern wieder emporsteigen und ihnen ihr Land, das vergangene Schöne, die Jugend zurückbringen, bitteren Schmerz darüber erregend, daß dies alles ihnen verloren ist.«1

Das Wort geht auf das neulateinische »nostalgia« (Heimweh) zurück, zusammengesetzt aus den altgriechischen Wörtern »nóstos« (»νόστος«): Rückkehr (in die Heimat), und »álgos« (»ἄλγος«): Schmerz (oder Trau-

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Die Sehnsucht nach der ›alten, schönen Zeit‹

rigkeit). Bis weit ins 19. Jahrhundert und gelegentlich noch im 20. Jahrhundert wurde Heimweh bzw. Nostalgie als medizinisches Phänomen betrachtet, dem nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Frankreich, England und den USA einige Aufmerksamkeit gewidmet wurde, nicht zuletzt deshalb, weil diese Erkrankung besonders oft bei Soldaten auf Feldzügen auftrat, wo sie aus naheliegenden Gründen als zu eliminierender Störfaktor galt – man denke an Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues. Im amerikanischen Bürgerkrieg diagnostizierten die Ärzte Nostalgie bei tausenden Rekruten aus den Nordstaaten, zum großen Teil jungen Männern aus Bauernfamilien und ländlichen Regionen; immerhin einige Dutzend starben daran.2 Die Beobachtung, dass auch in den USA gerade Rekruten aus ländlichen Gegenden stärker von Heimweh bzw. Nostalgie betroffen waren, deckt sich mit einer Beobachtung, die sich schon bei Immanuel Kant findet, der konstatierte, dass Heimweh »mehr die Landleute einer geldarmen, dafür aber durch Brüder- und Vetterschaften verbundenen Provinz, als diejenigen befällt, die mit Gelderwerb beschäftigt sind und das patria ubi bene sich zum Wahlspruch machen«,3 dass also Rekruten aus ärmeren, ländlichen Regionen – er nennt neben den Schweizern auch Pommern und Westfalen – besonders zu Heimweh neigen. Heimweh ist nach dieser Lesart nicht nur psychologisch, somatisch und klimatisch, sondern auch sozial bedingt und lässt Rückschlüsse auf Herkunft und Sozialstatus zu: Möglicherweise sind die sozialen Bindungen und damit auch die Neigung zum Heimweh bei Menschen in ärmeren, bäuerlich geprägten Gegenden stärker ausgeprägt. Wer dagegen individuell entscheidet und vorrangig auf seinen eigenen ökonomischen Vorteil, also auf ›Gelderwerb‹ bedacht ist, der legt weniger Ortsbindung, sondern eher lokalen Opportunismus an den Tag. Für ihn gilt das Motto ›Wo es mir gut geht, dort ist mein Vaterland – meine Heimat‹. So galt Nostalgie zunehmend als Krankheit der unteren Schichten oder weniger entwickelter Völker, wie auch das Encyclopädische Wörterbuch der medicinischen Wissenschaften von 1841 illustriert: »Vorzugsweise scheint aber die Disposition zur Nostalgie bei Völkern, wie bei Individuen, gebunden zu seyn an eine geringe Stufe der Civili­ sation. [...] Die Liebe zur Heimath zeigt sich mit der größten Energie bey  den ganz uncivilisirten Völkern. [...] Der wahrhaft Gebildete, der

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Natur­forscher, der Gelehrte, der Weltweise hat in der ganzen Welt seine Heimath«.4 Die Debatte darüber, ob der Auslöser für die Krankheit Nostalgie eher in der Vorstellungskraft, der Willensstärke, einem Mangel an Männlichkeit oder fehlender Anpassungsfähigkeit zu suchen war, in Psyche, Nervensystem, Gehirn oder Blut der Patienten oder aber in den geografischen oder klimatischen Eigenschaften des Heimatorts, und die Anschlussfrage, welche therapeutischen Maßnahmen als sinnvoll zu erachten seien, riss seit Hofers Dissertation über lange Zeit nicht ab. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab Meyers Großes Konversationslexikon als Definition für Nostalgie lediglich das deutsche Wort ›Heimweh‹ an; diese Bedeutung trat dann im Lauf des 20. Jahrhunderts nach und nach zurück, bis in den USA, in Großbritannien und, etwas verzögert, auch im deutschen Sprachraum, gegen Ende der 1960er-Jahre die heute geläufige Bedeutung in den Vordergrund trat und aus der Krankheit ein psychosoziales Phänomen, eine Kulturstimmung wurde, die zuerst als ›Nostalgiewelle‹ in den späten 1960er- bzw. frühen 1970er-Jahren aufbrandete. Meyers Enzyklopädisches Lexikon definierte Nostalgie 1974 als ›schwärmer[isch] romantisierende, mit Sehnsucht oder Wehmut verbundene Rückwendung zu früheren, in der Erinnerung sich verklärenden Zeiten, Erlebnissen, Erscheinungen in Kunst, Musik, Mode u. a.«; weiter hieß es: »In der sog. N[ostalgie]welle (etwa seit 1972) gilt N. als Schlüsselwort für die schwärmer. Rückwendung zu Jugendstil und Gartenlaube, zu Kitsch und Kunst der frühindustriellen Kultur und umschreibt das Bedürfnis nach Idylle und sentimentaler Verspieltheit.«5 Die Verbindung zur Epoche der Hochindustrialisierung, in der auch Kitsch und Heimatbewegung ihre Hochzeit erlebten, ist alles andere als zufällig. Erst ab den 1970er-Jahren jedenfalls versteht man Nostalgie im heutigen Sinne, so der Duden, als eine »vom Unbehagen an der Gegenwart ausgelöste, von unbestimmter Sehnsucht erfüllte Gestimmtheit, die sich in der Rückwendung zu einer vergangenen, in der Vorstellung verklärten Zeit äußert, deren Mode, Kunst, Musik o. Ä. man wieder belebt«. Nur in dieser modernen Vorstellung bezeichnet Nostalgie nicht mehr die Sehnsucht nach einem Ort oder sozialen Lebenszusammenhang, sondern nach einer vergangenen Zeit, eine Art Heimweh nach einem frühe-

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ren Zustand. Von ihren Kritikern wird Nostalgie nun als sentimentale und in der Regel illusionäre, verklärende und damit verzerrte Beziehung zur Vergangenheit begriffen. Zwar hatte schon Rousseau Erinnerung und Nostalgie in Verbindung gebracht, doch waren in der Bedeutung von Nostalgie als Heimweh räumliche und zeitliche Vorstellungen untrennbar verknüpft. Kaum jemand – abgesehen vielleicht von Generälen, Militärärzten und kriegsbegeisterten Patrioten – hätte wohl abstreiten können, dass Nostalgie als Heimweh insbesondere bei Soldaten nachvollziehbar ist. Und gerade moderne Menschen, die Krieg und Heldentum in der Regel äußerst kritisch bewerten, würden ein ärmliches und ereignisarmes Leben in einem Schweizer Bergdorf oder auf einer Farm in Iowa der Gewalt und den Entbehrungen in einem blutigen Krieg gewiss vorziehen und einräumen, dass Bergdorf oder Farm vom Schlachtfeld oder Lazarett aus betrachtet tatsächlich ein Idyll darstellen, auch ohne verklärende, verfälschende Erinnerung. Doch wenn Nostalgie nicht mehr als Sehnsucht nach einem bestimmten Ort und nach einem definierten Lebenszusammenhang, sondern lediglich nach einem früheren Zustand begriffen wird, gilt sie als verdächtig, auch weil zwei Unsicherheitsfaktoren zusammenkommen: die Unzuverlässigkeit des Gedächtnisses und die Veränderungen des Menschen und seiner Umwelt im Lauf der Zeit. Zum einen malt die Erinnerung bekanntlich ›mit goldenem Pinsel‹, zum anderen kann man nicht ›zweimal in denselben Fluss steigen‹, denn ›alles fließt‹, und es führt, wie der Titel eines Romans von Thomas Wolfe es formuliert, »kein Weg zurück«: You Can’t Go Home Again. Nicht ohne Grund ist die Heimkehr aus der Fremde seit der Odyssee eines der großen Motive der Weltliteratur, bei dem es oft auch um die Kollision der Erwartungen und Erinnerungen der Heimkehrer mit der veränderten Realität in der Heimat geht. Der literarische Archetyp eines modernen Heimkehrers, zugleich aber eines antimodernen, regressiven und letztlich nicht gesellschaftstauglichen Nostalgikers ist wohl Rip van Winkle aus Washington Irvings bekannter, gleichnamiger Kurzgeschichte: Der zur Faulheit neigende Titelheld wird von seiner Ehefrau permanent kritisiert und versucht daher, sich den an ihn herangetragenen Ansprüchen zu entziehen. Auf einem Streifzug durch die Berge fällt er nach dem Genuss eines Zaubertranks in einen zwanzig Jahre währenden Schlaf. Als er

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erwacht und in sein Heimatdorf zurückkehrt, hat sich die Welt bis zur Unkenntlichkeit verändert: Sein Haus ist verfallen, fast alle Bekannten, darunter auch seine ungeliebte Ehefrau, sind tot, Amerika ist eine Republik mit George Washington als Präsident. Zwar ist die Figur des Rip van Winkle kein Nostalgiker, doch wird seine Geschichte oft herangezogen, um auf die Gefahren nostalgischer Realitätsverweigerung hinzuweisen. Auch wenn das Leben ›immer schon‹ dem Wandel von Werden und Vergehen unterworfen war: Nostalgie als rein zeitliches Phänomen und als Kulturstimmung ist das Produkt einer ökonomischen, zivilisatorischen und technischen Moderne, in der Veränderungen nicht mehr als organisches, relativ gemessenes Werden und Vergehen, sondern als zunehmend beschleunigter Prozess unaufhörlicher Zerstörung und Erneuerung wahrgenommen werden: Technische Fortschritte, vorangetrieben durch Wettbewerb und permanenten Zwang zur Innovation, bewirken eine »Steigerung der Geschwindigkeit zielgerichteter Transport-, Kommunikations- und Produktionsprozesse«,6 doch auch Einstellungen, Werte, Moden, Lebensstile, Gewohnheiten, soziale Praktiken, sogar die Zusammensetzung sozialer Gruppen, Schichten und Milieus verändern sich immer schneller und rasanter. Technische Geräte oder Speichermedien, die eben noch innovativ waren und deren Gebrauchsweise man sich mehr oder weniger mühsam angeeignet hat, werden nach der Ablösung durch ein neues Medium zu unbrauchbarem Müll – man denke nur an Disketten, Schallplatten aus Vinyl oder den Walkman. Vertraute Kommunikationsformen, Medien oder Wissensbestände werden immer seltener benutzt und verschwinden endlich ganz; Wertvorstellungen, in die man hineingewachsen ist oder die man verinnerlicht hat, gelten als obsolet. Große Umwälzungen von Werten können sich auch abrupt vollziehen, wie etwa, um einige Beispiele aus der deutschen Geschichte zu nennen, 1918, 1945 oder 1989, was zumindest 1918 und 1989 tatsächlich große Nostalgiewellen auslöste: die Glorifizierung des Kaiserreichs während der Weimarer Republik und die Ostalgie. Die umfassend beschleunigte Moderne ist der ideale Humus für nostalgische Gefühle: Je schneller sich der Alltag, die Gebrauchsgegenstände und die Gesellschaft wandeln, je plötzlicher das Vertraute durch Neues, Unbekanntes oder Fremdes ersetzt wird, umso mehr stellen sich Gefühle

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der Entfremdung und Entwertung ein. Hier liegt ein Ursprung des Heimwehs nach einem früheren Zustand der Kontrolle und Kompetenz, in dem die Umwelt noch als vertraut und heimisch erlebt wurde. Wie der britische Anthropologe Michael Thompson in seiner Studie Mülltheorie. Die Schaffung und Vernichtung von Werten zeigte, die vor dem Hintergrund der ersten großen Nostalgiewelle der 1970er-Jahre entstand, beruht der Wert von Gegenständen, Idealen, Vorstellungen vom guten Leben oder Schönheit auf sozialen und kulturellen Konventionen. Daher können auch Objekte oder Vorstellungen, die bereits im Abfall gelandet waren, abermals an Wert gewinnen, wenn sie wieder herausgefischt werden, sofern sie nur Anklang finden. An der veränderten Sicht auf ehemalige Arbeiterwohnviertel lässt sich das gut nachvollziehen: Mietskasernen des 19. Jahrhunderts galten bereits zur Zeit ihrer Erbauung als Inbegriff der kapitalistischen Ausbeutung und des »Elend[s] in seiner letzten, furchtbarsten Gestalt«7 und wurden deshalb, nicht nur wegen materieller Mängel, seit den 1950er-Jahren systematisch abgerissen und durch moderne Neubauten und Siedlungen ersetzt. Im Lauf der Zeit sowie nach Renovierung und Sanierung sind nun ausgerechnet Stadtviertel mit ehemaligen Mietskasernen zu »Sehnsuchtsbildern europäischer Stadtkultur«, zu »bezaubernden und charismatischen Altbauten«8 mutiert. Den Wendepunkt bei dieser Neubewertung markiert die erste große Nostalgiewelle des Westens in den 1970er-Jahren. Nachdem schon in den 1960er-Jahren die Unwirtlichkeit der autogerechten, funktional gegliederten Nachkriegsstadt mit ihren schmucklosen, sachlichen, einheitlichen, geschichtslosen und geometrisch angeordneten Bauten kritisiert worden war, die keine Heimatgefühle auslösen konnten, gab es ab etwa 1970 massive Proteste mit Hausbesetzungen gegen eben diese Stadtplanung. Beides zusammen führte zu einem Paradigmenwechsel: »An die Stelle der aufgelockerten, autogerechten Stadt, dem Ideal der fünfziger und sechziger Jahre, trat nun das der kompakten Stadt. Anstatt alte Bausubstanz abzureißen, um Platz für breitere Straßen und neue Wohnhäuser zu machen, wurden Altbauten saniert und historische Fassaden rekonstruiert.«9 Dieser Paradigmenwechsel kam auch im Europäischen Denkmalschutzjahr 1975 zum Ausdruck, dessen Motto lautete: »Eine Zukunft für unsere Vergangenheit«. Die nachlassende Attraktivität der Idee einer

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durch und durch rationalen, plan- und gestaltbaren Zukunft und das allmähliche Verblassen der großen Visionen vom gesellschaftlichen, architektonischen, ökonomischen und technischen Fortschritt zeigten sich nicht nur in der Abwendung vom modernistischen Ideal des Städtebaus, sondern auch in einem Unbehagen in der modernen westlichen Konsum-, Wohlstands- und Überflussgesellschaft, die sich zunehmend als Wegwerfgesellschaft präsentierte. So entstanden seit den späten 1960er-Jahren in der gesamten Bundesrepublik Trödelmärkte, zuerst übrigens ausgerechnet in der durchmodernisierten Stadt Hannover. Auf diesen Märkten fand man Gegenstände, die in diametralem Gegensatz zur funktionalen Ästhetik der Moderne, zu den neuen Kunststoffen und zu dem Umgang mit diesen kurzlebigen Massenprodukten der Wegwerfgesellschaft standen und die aus der Perspektive des Modernisierers als Kitsch gelten konnten: Statt Einbauküchen aus Stahl oder Spanplatten, Dosen und Geschirr aus Plastik, Hemden oder Kleidern aus Nylon oder Polyester gab es hier Sammeltassen mit Goldrand, schwere Küchenschränke aus der Gründerzeit, Rüschenblusen, Emailkannen, Waschschüsseln aus Porzellan und Vorratsdosen aus Steingut. Dieser Trend wurde 1973 im Spiegel als »Rückzug aus der Gegenwart« kritisiert und als Resultat des amerikanischen »Konsumimperialismus« interpretiert, der, so sah es der Spiegel, diese nostalgische Zeitstimmung mitsamt ihren Vermarktungsstrategien nach Europa exportiert habe.10 Die Autoren des Spiegel bezogen sich bei ihrer Darstellung der Nostalgiewelle vor allem auf die Kulturindustrie, die mit Filmen wie The Great Gatsby oder Bonnie and Clyde, mit Neuauflagen oder Neuverfilmungen von Romanen Hedwig Courths-Mahlers, mit Nostalgie-Schallplatten oder mit der Mode der 1920er-, 1930er-, 1940er- oder 1950er-Jahre Profit machte. Dabei wurde oft übersehen, dass nostalgische Bedürfnisse – wie auch andere Bedürfnisse – zwar möglicherweise anfällig für bestimmte Produkte der Kulturindustrie machen, dass sich Nostalgie aber durchaus auch in Konsumkritik und Konsumverweigerung oder als »Kampf gegen die kapitalistische Konsumgesellschaft« 11 äußern konnte. In den 1970er-Jahren war dies nicht zuletzt in jugendlichen Subkulturen der Fall, die »über die Wieder­ entdeckung und Nutzung der Dinge und Verhaltensweisen der Vergangenheit Alternativen gegen Konsumzwänge, die Bürokratisierung und

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Verödung ihrer Lebenswelt setzen wollten«, »Subsistenzwirtschaft« praktizierten und in alten Häusern mit Möbeln und Alltagsgegenständen vom Trödelmarkt lebten.12 Die Parallelen dieser alternativen Bewegungen der 1970er-Jahre mit ihrer spezifischen Kombination von Lebenspraktiken und teils radikaler Konsum-, Technologie-, Zivilisations- und Fortschrittskritik mit den Reformbewegungen um 1900 sind verblüffend: Die Naturkostläden und Landkommunen waren gewissermaßen eine Neuauflage der Reformhäuser und Siedlungsprojekte der Jahrhundertwende, ebenso wie Müsli, vegetarische Ernährung und Naturheilkunde, ergänzt durch Produkte und spirituelle Praktiken aus außereuropäischen Kulturen. Im Zuge dieser Entwicklungen wurde auch die Heimat neu bewertet, ebenso wie andere in den 1960er-Jahren heftig attackierte Konzepte, etwa Gemeinschaft oder Provinz. Man kann für die 1970er-Jahre in der Tat von einer neuen Heimatbewegung von links sprechen, die auch das neue Phänomen der Bürgerinitiative integrierte und auf Partizipation und demokratische Mitbestimmung setzte. Im Gegensatz zur urban, akademisch und durch Theorie geprägten Studentenbewegung wurzelten die Bürgerinitiativen in einem ortsbezogenen und nicht zwangsläufig ideologisch grundierten Engagement gegen ganz konkrete Bauprojekte, auch über weltanschauliche Trennlinien und soziale Schranken hinweg. Hier zeigte sich, dass der Impuls, Landschaften oder gewachsene städtische Strukturen, kurz: Heimat zu bewahren, keineswegs lediglich nostalgische Träumerei oder das Ergebnis einer Manipulation durch die Kulturindustrie war, sondern genuinen Bedürfnissen und konkreten Interessen entsprang und sich nicht auf private Lebenspraxis oder kulturindustrielle Idyllen beschränkte, sondern politische Formen annehmen konnte. Insbesondere zwei dieser Initiativen hatten Symbol- und Signalwirkung weit über das Lokale und Regionale hinaus: der Widerstand gegen den Abriss von Altbauten im Frankfurter Westend und die Proteste gegen das geplante Atomkraftwerk in Wyhl. Die Aktionsgemeinschaft Westend e.V. kämpfte ab 1969 gegen den Abriss bürgerlicher Mietshäuser im Frankfurter Westend, wo die Altbauten nach Plänen der sozialdemokratischen Stadtverwaltung und mit den zweifelhaften Methoden der Immobilienspekulanten durch moderne Bürohochhäuser ersetzt werden

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sollten. Die Verfechter des nach wie vor bei Politikern, Architekten und Stadtplanern dominanten Ideals der funktionalen, autogerechten, modernen Stadt trafen zum ersten Mal nicht mehr nur auf Vorbehalte und Skepsis, sondern auf massiven Widerstand der Bürger, der von einer bunt gemischten Gruppe ausging, zu der Studenten, deutsche Kleinbürger und Gastarbeiter gehörten. 1970 fanden hier die ersten Hausbesetzungen der Bundesrepublik statt. Diese Protestform machte Schule und trug entscheidend dazu bei, dass das Ideal der funktionalen, autogerechten Stadt zumindest teilweise nach und nach aufgegeben oder zumindest modifiziert und durch Pläne zur Erhaltung alter Bausubstanz ergänzt wurde. Dass dieser Frankfurter Häuserkampf nebenbei auch Aktionsfeld von Joseph »Joschka« Fischer und Daniel Cohn-Bendit war, sei nur am Rande erwähnt. Geradezu mythische Bedeutung erlangten die Proteste gegen den Bau des geplanten Kernkraftwerks Wyhl am Kaiserstuhl in Baden-Württemberg. Wyhl gilt bis heute als »Startschuß der Antiatombewegung«, der vielleicht wichtigsten Protestbewegung der BRD, darüber hinaus aber auch als Musterbeispiel der neuen »politischen Partizipationsformen« und als Initialzündung der »eigentlichen Demokratisierung des bundesdeutschen Staates im Sinne westlicher Modelle politischer Kultur.« Kurz: Wyhl steht »für nichts weniger als einen historischen Wandel mit epochaler Bedeutung.«13 Das hatte verschiedene Gründe. Zum einen kam hier eine fundamentale Skepsis gegenüber dem Paradigma von stetem technologischem Fortschritt und permanentem Wirtschaftswachstum zum Ausdruck, galt doch die Kernenergie seit den 1950er-Jahren als Inbegriff von Fortschrittlichkeit, Wirtschaftswachstum, europäischer Einigung und deutsch-französischer Freundschaft. Allerdings wurden die massiven Bauwerke, diese »fortgeschrittensten Naturbeherrschungsprojekte der Moderne«, in der Regel in relativ unberührten Naturgebieten errichtet und wiesen so überdeutlich auf den Preis und die Ambivalenz des Fortschritts hin. Auch das seit 1973 geplante Kernkraftwerk in Wyhl sollte mit seinen zwei 150 Meter hohen Kühltürmen »inmitten einer urtümlichen Waldaue mit seltenen Pflanzen, Vögeln und Schmetterlingen«14 errichtet werden. Es war zudem nur ein Baustein in einem enormen Industrialisierungspro-

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gramm: Es war vorgesehen, »das Rheintal zwischen Mannheim und Basel vollständig zu industrialisieren. Die Dimensionen waren gewaltig; Baden-Württembergs Landesregierung sprach von einer europäischen Industrieachse zwischen Basel und Rotterdam. Sie wollte das Gebiet derart dem Gewerbe widmen, dass als Wohngebiet nur noch die Vorbergzone des Schwarzwalds in Frage komme«15. Nicht nur ein Naturgebiet war also bedroht, sondern ein größerer Lebensraum mit Landschaften sowie gewachsenen sozialen und landwirtschaftlichen Strukturen und Traditionen, kurz: die Heimat der bodenständigen Einwohner. Der zweite Grund für den besonderen Status von Wyhl lag darin, dass dieser Protest gemeinsam von Gruppen getragen wurde, die sich zu Zeiten der Studentenbewegung sicher auf unterschiedlichen Seiten der Barrikaden befunden hätten: auf der einen Seite Städter, insbesondere Wissenschaftler, Studenten, Umweltaktivisten und linke Gruppen; auf der anderen Seite die konservativen Landwirte, Fischer und Winzer, die bis dahin mehrheitlich für die CDU gestimmt hatten und den Linksintellektuellen der 1960er-Jahre vermutlich als provinzielle, kleinbürgerliche Spießer erschienen wären. Die Motive der Protestierenden waren gewiss unterschiedlich: Die Umweltaktivisten und Wissenschaftler kämpften über das Lokale hinaus gegen die Kernenergie und ihre potenziellen Gefahren für Mensch und Natur. Linksalternative Freiburger Freaks opponierten gegen das kapitalistische System als Ganzes. Die bodenständigen Fischer, Bauern und Winzer dagegen waren unmittelbar betroffen, fürchteten die konkreten Konsequenzen eines Kernkraftwerks für Landwirtschaft, Wein, Wasser und Gesundheit, sorgten sich um ihre Existenz und kämpften für den Erhalt ihrer Heimat und Lebensweise. Die Industrialisierungspläne weckten zudem Erinnerungen an die mehrfachen Evakuierungen während des Krieges, durch die viele Bewohner des Kaiserstuhls zu »sogenannten ›Westwallzigeunern‹« geworden waren: »Wieder, so schien es, sollten die Einheimischen durch auswärtige Mächte vertrieben werden. Hinzu kam die Vermutung, dass austretende Radioaktivität oder ein Großunfall im Kraftwerk die Bewohner zu ›Atomzigeunern‹ machen könne.«16 »Sie wollten sich ihre Heimat nicht verschandeln lassen«, schrieb die Zeit 1986.17 Einer der Slogans der Proteste lautete entsprechend: »Hier sich wehren, heisst die Heimat ehren«.18 Diese existen-

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tielle Bedrohung der Heimat bewirkte, dass auch die konservativen Bauern, Winzer und Viehhändler sich neue Protestformen wie Sternmarsch oder gar Bauplatzbesetzung zu eigen machten, woraufhin sie von der CDU-Regierung als »Kommunisten im Wyhler Wald« beschimpft wurden. Angesichts der zunehmenden Radikalisierung dieser bisher so braven Provinzbürger konnte die politische Linke nicht umhin, ihnen Respekt zu zollen, in ihnen gar potenzielle Verbündete zu sehen. Der Protest hatte zudem, dies der dritte Grund für den mythischen Status, eine grenzüberschreitende Komponente: Als 1974 Pläne für ein Bleiwerk im elsässischen Marckolsheim auf der anderen Rheinseite bekannt gegeben wurden, besetzten Elsässer und Badener gemeinsam den Bauplatz und verhinderten tatsächlich den Bau der Fabrik. So gewann auch die Mundart an Bedeutung: Das auf beiden Seiten des Rheins gesprochene Alemannisch als ›Sprache der Region‹ wurde zur ›Sprache der Bewegung‹, die nun für Plakate, Lieder und Flugblätter genutzt wurde. Zum Symbol »für die erfolgreiche, selbstbewusst-alemannische, grenzüberschreitend-trinationale Umwelt- und Anti-Atombewegung im Dreyeckland«19 wurde denn auch der Satz »Nai hämmer gsait«, der zuerst auf einem Transparent der Bauplatzbesetzung 1974/75 im elsässischen Marckolsheim aufgetaucht war. Und der vierte, vielleicht wichtigste Grund für die Symbolkraft von Wyhl: Durch die Proteste, diverse Klagen, Einsprüche und Verhandlungen der Bürgerinitiative mit der Landesregierung wurde der Bau des Atomkraftwerks tatsächlich zumindest verzögert; es kam zu einem Bau­ stopp. Die so erzeugte Strahlkraft dieser neuartigen, gewaltfreien, sympathischen Initiative reichte bis in die USA und nach Japan, sodass die Provinz sich plötzlich im globalen Scheinwerferlicht fand. Jetzt stürzten sich auch linke Intellektuelle auf Provinz, Heimat und Region, erkannten das politische Potenzial der eben noch verhöhnten Konzepte und entdeckten die Regional- oder Heimatgeschichte volkstümlicher Widerstandsbewegungen. Die vormalige Verachtung von Provinz, Heimat, Dialekt und Volkstümlichkeit ebenso wie die Überheblichkeit urbaner, akademisch gebildeter Kosmopoliten wurden selbstkritisch analysiert. Das Kursbuch brachte 1975 ein Heft zum Thema Provinz heraus, in dem kein Geringerer als Ernst Bloch mit seinem Satz »Provinz ist ein gutes Wort« die ge-

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rade noch als Hort des Faschismus geschmähte Provinz rehabilitierte, allerdings nicht, ohne vor einem »kommunistischen Spießertum«20 zu warnen. Die ebenfalls 1975 erschienene Sondernummer der linken Zeitschrift Kürbiskern zum Thema Heimat und Revolution feierte die politischen, emanzipatorischen und ästhetischen Potenziale von Mundart, Landschaft und Heimatort, verteidigte »die begründete Sehnsucht nach einer heilen Welt«, reklamierte gar »das Idyll als ›revolutionäre(n) Besitzstand«‹ und ermunterte die »heimatlose«21 Linke sogar dazu, die Heimat zu lieben. Im 1976 publizierten Heft der Literaturzeitschrift Tintenfisch zum politischen Regionalismus erhob der Zukunftsforscher Robert Jungk in seinen »Fünf Thesen über eine mögliche Wende« den neuen Regionalismus zum Kern des Widerstands gegen die weltweite Industrialisierung: »Die industrielle Massenproduktion, die ohne Rücksicht auf kulturelle Vielfalt, verschiedene Haltungen, Werte und Lebensstile im Lauf von wenig mehr als einem Jahrhundert zuerst von England, dann von Deutschland, Frankreich, den USA ausgehend in alle Kontinente vordrang und weder vor nationalen noch vor ideologischen Hindernissen haltmacht, stößt heute zum ersten Mal auf Hindernisse.«22 Die Hinwendung zum Regionalen und Provinziellen blieb nicht auf die intellektuelle Linke beschränkt, sondern dehnte sich bis weit in den Alltag aus, wie etwa ein Blick auf die Entwicklung der Esskultur zeigt. Seit den 1960er-Jahren hatten Fischstäbchen, Dosenravioli, Tiefkühltruhen und Mikrowellenherde in deutschen Küchen Einzug gehalten, hatte sich Systemgastronomie à la Wienerwald und seit 1971 auch McDonald’s in deutschen Städten etabliert. Der Zeitaufwand für die Zubereitung des Essens nahm ebenso ab wie die Kochkünste und das kulinarische Wissen. Die wachsende Industrialisierung der Lebensmittelproduktion, die bereits im 19. Jahrhundert eingesetzt hatte und nun rapide weiter voranschritt, führte einerseits zu immer niedrigeren Preisen, andererseits zu immer mehr Verpackung und nachlassender Qualität: Man erinnere sich an die einzeln verpackten und nahezu geschmacklosen Schmelzkäse-Scheibletten, die bei Modespeisen wie dem Toast Hawaii zum Einsatz kamen. Parallel zeigte sich in den 1960er-Jahren ein deutlicher »Trend zur Abwendung von der deutschen Küche«. Verschiedene Faktoren trugen dazu bei: Die Reisewelle der 1960er-Jahre, mit der die Deutschen verstärkt

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das Ausland kennenlernten, vor allem Italien, Spanien und Griechenland; die Zuwanderung aus Süd- und Südosteuropa sowie der Türkei, denn die Migranten brachten auch ihre kulinarischen Traditionen und Vorlieben mit und eröffneten Restaurants. Hinzu kam ein Prozess, der treffend als »kulinarische Entnazifizierung« 23 bezeichnet worden ist: Als typisch deutsch geltende Speisen wie Schweinebraten, Kohlrouladen oder Sauerkraut wurden, ähnlich wie die Trachtengruppen oder die Volksmusik der Vertriebenen, mit dem Bild des hässlichen Deutschen assoziiert. Dann aber erfasste die Nostalgie- und Regionalwelle die Kulinarik. Ab Mitte der 1970er-Jahre brachte etwa der Münsteraner Verleger Wolfgang Hölker eine erfolgreiche Reihe mit Landschaftskochbüchern heraus. Nostalgisch waren die traditionellen Rezepte aus den Regionen deutschsprachiger Länder wie Tirol, Schleswig-Holstein, Rheinland oder Kärnten, aber auch die Aufmachung: Die in buntes Leinen gebundenen Bücher sahen aus wie Großmutters Rezeptkladden und waren nicht mit Fotos ausgestattet, sondern mit pseudohandschriftlichen Randnotizen und beinahe echt wirkenden Fettflecken. Von heute aus betrachtet wirkt dies fast wie eine zarte Vorwegnahme der späteren italienischen Slow-Food-Bewegung, die sich ebenfalls gegen die Fast-Food-Kultur und für das »traditionelle Lebensmittelhandwerk und die Bewahrung der regionalen Geschmacksvielfalt«24 einsetzt. Zugleich aber zeigen die Kochbücher ein Dilemma nostalgischer Projekte: Genuine Bedürfnisse und konkrete Bezüge zur materiellen Realität vermischten sich mit kühl kalkulierten Fiktionen aus der Marketing-Abteilung. Auch kulinarische Nostalgie speiste sich aus Ernüchterung und aus der Einsicht in die Kollateralschäden technologischer und gesellschaftlicher Entwicklungen, zum anderen aber auch aus einer durchaus privilegierten Situation: Wenn das Kochen keine bloße Notwendigkeit mehr ist, keine tägliche Pflicht, da es Alternativen gibt; wenn zudem spürbar wird, dass die Neuerungen nicht nur Erleichterungen, sondern auch Verluste mit sich bringen, dann entstehen Leerstellen, Bedürfnisse oder Sehnsüchte, an denen nostalgische Empfindungen andocken können. Und erst wenn Kenntnisse und Fähigkeiten, wie etwa Kochkünste und kulinarisches Wissen, nicht mehr existenziell notwendig sind, sondern aus

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freier Entscheidung erworben werden, lässt sich aus ihnen, wie Pierre Bourdieu sagen würde, soziales und kulturelles Kapital schlagen. Nicht nur kulinarische Nostalgie, sondern auch heimatliche Mundarten und Dialekte wurden zu einem gesamtgesellschaftlichen Trend, nachdem sie bisher meist als rückständig, als sozialer Makel, als »bezeichnend für Alte und Bauern« gegolten hatten, wie der Spiegel 1976 in einem Artikel über die »Wiederkehr der Dialekte« schrieb. Die Bewertung dieses Phänomens fiel auch dem Spiegel nicht leicht: War dies nur ein weiteres harmloses Symptom der Nostalgiewelle, war es, schon problematischer, ein »Sehnen nach Vergangenem, Angst in der Gegenwart«? Deutete sich hier womöglich eine gefährliche Querfront »zwischen Rechten und Linken« mit »durch Ölkrise und Arbeitslosigkeit, Umweltrisiken und Städtezerstörung« hervorgebrachten »Blut-und-Boden-Ideen« an? Oder konnte man das neue Dialektbewusstsein gar positiv sehen und »in Beziehung zu den Prinzipien der Partizipation, zum Bedürfnis nach direkter Demokratie« setzen?25 Der Spiegel entschied sich am Ende dafür, den Trend als Ausdruck eines genuinen Bedürfnisses zu interpretieren, und schloss mit einem Zitat aus Ernst Blochs populärem Das Prinzip Hoffnung, das mit dem Wort ›Heimat‹ ausklang. Ernst Blochs Philosophie lieferte den theoretischen Rahmen für die nostalgische Wendung zu Heimat, Provinz, Region, Gefühl und Natur, die als ›warme‹, heimelige Konzepte dazu dienen sollten, den Blick stärker auf die Emotionen, Gefühle und Sehnsüchte der Menschen zu richten, um der ›Kälte‹ marxistischer Theorie entgegenzuwirken: »Der vernünftige, kalkulierende, sachliche Blick des Kältestroms ermöglicht eine präzise Analyse der ökonomischen, historischen, politischen und kulturellen Aspekte einer bestimmten Gesellschaft. Der Wärmestrom« dagegen basiert auf »Träumen und Hoffnungen der Menschen«, der »›Intention auf Glück‹ und dem ›Reich der Freiheit‹«.26 Durch eine Aufladung von Heimat mit emanzipatorischem und utopischem Potenzial wollte Bloch den Heimatbegriff für die Linke reklamieren, dabei aber zugleich die Gesellschaftskritik gewissermaßen anheimelnder gestalten: »Heimat bezeichnet demnach den Zustand, in dem der Mensch mit sich selbst und seiner Umwelt vollends versöhnt ist. Bloch bezeichnet diesen Zustand als Hoffnungsbilder, ›der erfüllten Menschen selber und ihrer mit

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ihnen voll entfalteten Umwelt, also Heimat‹«.27 Bezeichnenderweise war Blochs Vorstellung von Heimat nicht unmittelbar anschlussfähig für die hochindustrialisierte sozialistische Gegenwart, sondern griff auch auf die Bauern- und Volksliteratur des 19. Jahrhunderts zurück: Schon 1926 entdeckte er in Jeremias Gotthelfs und Johann Peter Hebels Geschichten aus dem bäuerlichen Milieu »Einklang des eigenen Waltens mit dem Walten der Natur«, gewissermaßen einen Vorschein seiner Heimatutopie. Ganz ähnlich wie in Karl Polanyis Great Transformation erscheint der politisch-ökonomische Fortschritt auch bei Bloch als zutiefst ambivalent, wenn er die »zwiespältigen Ausprägungen progressiver und zugleich verwüstender Art« und die »düster-progressive« Rolle des Kapitalismus betont. Bloch wies sogar darauf hin, dass »durch die Folgen von 1789 die Bauern nicht nur von ihren feudalen Herren befreit wurden, sondern auch von ihren alten Bräuchen, ihrer Folklore, ihren Spinnstuben, Liedern, Tänzen, Festen«. Dorfleben und Heimatverbundenheit stehen für ihn gerade nicht im Widerspruch zu einer Verbundenheit mit der Welt oder dem Prinzip der Menschlichkeit; die Schilderungen eines »halb noch vorkapitalistischen Landes, eines vom arbeitenden Menschen und sozusagen von sich selber noch nicht entfremdeten« ergeben vielmehr ein »Tao des ›Gesunden‹«.28 Die Heimatutopie Blochs bezieht sich also, ähnlich wie die christliche Heimat, auf ein Noch-Nicht, ist aber zugleich ein Nicht-Mehr: Das utopische Ideal wird im Rückgriff auf die Vergangenheit einer vorindustriellen, feudalen, bäuerlichen, ausdrücklich als heil und gesund bezeichneten Gesellschaft gewonnen. Dass die intellektuelle Linke sich diese Denkfiguren in den 1970er-Jahren zu eigen machte, ist angesichts der massiven Kritik an Heimat, am Landleben, der Provinz, Heimatfilm und Heimatkitsch in den 1960er-Jahren einigermaßen verblüffend. War doch gerade erst das Schulfach Heimatkunde abgeschafft und, zumindest vorübergehend, durch die stärker an den Wissenschaftsdisziplinen orientierte, ›kältere‹ und damit als analytischer und kritischer geltende Sachkunde ersetzt worden. Die Heimatkunde war keineswegs nur wegen ihrer Rolle im NS-Schulsystem in die Kritik geraten: Andere Vorbehalte galten eben der ›Wärme‹ der Heimatkunde, der es ja nicht um bloße Wissensvermittlung ging, sondern um ein emotional grundiertes Verhältnis zur Welt. Schließlich war die Hei-

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matkunde suspekt gewesen, weil sie von den vielfältigen Bindungen des Individuums an seine Lebenswelt ausging und nicht, wie die Pädagogik der Zeit, auf die Emanzipation des Individuums von diesen Bindungen abzielte. So war die Wiederentdeckung von Heimat, Region, Provinz, Natur, bäuerlichem Leben, Dialekt und Volkskultur in Deutschland besonders bemerkenswert; man muss diese Entwicklungen aber im größeren Zusammenhang sehen. Keineswegs nur in Deutschland paarte sich Skepsis gegenüber der Vorstellung von grenzenlosem Wachstum mit Sorge um Natur, Umwelt, Heimat und Demokratie. Vor diesem Hintergrund erschienen Enge und Begrenzung nicht mehr als Einschränkung, Bremse oder Behinderung, sondern als mögliche Lösung für gesellschaftliche und wirtschaftliche Probleme. Der deutsch-britische Ökonom Ernst Friedrich Schumacher plädierte in seinem 1973 auf Englisch, 1974 auf Deutsch publizierten Buch Es geht auch anders. Jenseits des Wachstums. Technik und Wirtschaft nach Menschenmaß für eine Begrenzung der Größe von Städten, Firmen und sogar Staaten sowie für eine Einschränkung von Energieverbrauch und Konsum. In einem 1975 auf Deutsch erschienenen Buch Selbstbegrenzung beschrieb Ivan Illich eine überbevölkerte Welt mit immer mehr Menschen, »von denen sich die meisten in der Welt weniger heimisch fühlen«,29 und erklärte dies unter anderem dadurch, dass die Menschen mehr und mehr Kompetenzen an Institutionen, Experten und Konsum abgegeben hätten. Diesem Zustand der Entfremdung stellte er seinen radikalen Entwurf einer postindustriellen, ›konvivialen‹ Gesellschaft gegenüber, in der Individuen und lokale Gemeinschaften sich durch den Abbau von Institutionen und Abkehr vom Expertentum Kompetenzen zurückerobern sollten, um die Entfremdung des Menschen von der Welt zu überwinden. In Illichs konvivialer Gesellschaft sollten die Menschen in relativ eigenständigen, autarken, allerdings auch materiell bescheidenen lokalen Gemeinschaften leben; die meisten lebensnotwendigen Dinge sollten in einem überschaubaren Radius produziert, industrielle Produktionsmethoden und moderner Verkehr durch »konviviale« Technik ersetzt werden: Das Auto sollte dem Fahrrad weichen, motorisierte Maschinen einfachen, mit Körperkraft zu bedienenden Werkzeugen. Diese Konsum-, Technologie- und Institutio-

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nenkritik wies Parallelen zu der radikalen Kritik am konsumorientierten Hedonismus in Pier Paolo Pasolinis 1978 auf Deutsch erschienenen Freibeuterschriften auf, in denen er, wie Carl Amery es pointiert zusammenfasste, den »Abmarsch aus den zentral verwalteten Produktionen und Süchten«30 forderte und die Konsumkultur der Gegenwart mit bäuerlichen Traditionen, Dialekten und Lebensweisen kontrastierte. Sowohl Illich als auch Pasolini wurden zuweilen als reaktionär, romantisch oder nostalgisch abgetan, belächelt oder attackiert. Ihre Gedanken trafen jedoch, wie Blochs Philosophie der Heimat, einen Nerv: Nach der theoriebeladenen, analysebesessenen, von abstrakter Begrifflichkeit dominierten politischen Kultur der 1960er-Jahre gab es offenbar Sehnsucht nach anheimelnder Wärme. Die »linksalternative Wärme der siebziger Jahre« lässt sich »sowohl als Kritik an der kalten Modernisierung der technologisierten Gesellschaft als auch als Kritik an der kalten Rationalität der kommunistischen Linken interpretieren«.31 Wie schon um 1900 wurde Heimat zum Schlagwort und Kampfbegriff einer Gegenkultur, die sich gegen zentralistische Planung, Industrialisierung, Technokratie, Naturund Kulturzerstörung und kalte Rationalität wandte. Eine 1974 publizierte US-amerikanische soziologische Studie über die Folgen der Modernisierung, deren Autoren die Moderne insgesamt als Prozess der Entwurzelung und der Suche nach Verortung und die Alternativkultur der 1960er- und 1970er-Jahre als Bewegung der Gegenmoderne sahen, trug entsprechend den Titel The Homeless Mind, wörtlich etwa: »Der heimatlose Geist«.32 Die Anthropologin Ina-Maria Greverus, die sich in den 1970er-Jahren darum bemühte, einen zukunftsfähigen Heimatbegriff zu etablieren, deutete die nostalgische oder zumindest von Nostalgie inspirierte Lebenspraxis der Alternativen als »Versuch, die Vergangenheit für die Gegenwart und Zukunft nutzbar zu machen«, als »schöpferische Aneignung« und damit als »Identitätsgewinn«, der nicht zuletzt deshalb notwendig geworden sei, weil die Gesellschaft ihren Mitgliedern statt »Satisfaktionsräumen« nur »Leerstellen« anbiete.33 Nostalgie ist zwar gewiss mit im Spiel, wenn Dinge oder Lebenspraktiken einer vergangenen Zeit wieder hervorgeholt und daraufhin überprüft werden, ob sie nicht doch Nutzen oder Vergnügen versprechen. Nostalgie verweist aber nicht allein auf die Vergangenheit, sondern deu-

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tet zugleich darauf hin, dass Wandel, Innovation, Fortschritt und Entwicklung nicht immer und automatisch stete Aufwärtsentwicklung, Verbesserung und Aufstieg bedeuten, sondern zugleich Zerstörung, Verlust und Vernichtung. Nostalgie erinnert daran, dass Fortschritt, anders als es der ökonomisch-technische Fortschrittsoptimismus glauben machen will, »weder ein linearer noch überhaupt ein Verbesserungsprozeß« ist; Wandel findet statt, »weil Menschen sich über leidvolle [...] Lebensbedingungen ärgern [...] und weil sie einen Weg suchen, ihre Leiden zu mildern.« Doch auch die »›neuen, stark verbesserten Verhältnisse‹« geben oft »neuen Anlaß zur Klage« und enthüllen ihre »zunächst verborgenen und unvorhersehbaren eigenen Nachteile«.34 Kurz: Nostalgische Tendenzen stellen auf vortheoretischer, außerpolitischer, alltagspraktischer Ebene die Gültigkeit der großen Fortschritts-, Wohlstands- und Wachstumserzählung infrage: Wenn sich herausstellt, dass die moderne Siedlung am Stadtrand allen Annehmlichkeiten zum Trotz unendlich öde ist und nicht Heimat zu werden vermag, die weißen Wände der Neubauwohnung kalt und trostlos wirken, wenn es in der autogerechten Stadt keine Straßencafés gibt, wenn man dank Tiefkühlpizza und Tütensuppen zwar nicht mehr kochen können muss, aber Gesundheit, Genuss und Geselligkeit darunter leiden, wenn man sich in der Großstadt zwar frei, aber auch einsam fühlt oder wenn der Klang von Musik auf dem digitalen Speichermedium CD als zu steril wahrgenommen wird: Immer dann setzt Nostalgie ein und weist darauf hin, dass die Gründerzeitbauten mit ihren Fassadenornamenten, die kitschige Blümchentapete, Großmutters Sauerbraten, das Leben auf dem Dorf und die Vinyl-Schallplatte vielleicht doch Vorzüge hatten. Nostalgie ist eine Art Seismograf, der unter anderem auf die zunächst verborgenen Defizite der neuen, vermeintlich besseren Verhältnisse und auf die Ambivalenz des Fortschritts hinweist und einen Schatten auf die durch sie nicht mehr ganz so hellen und strahlenden Errungenschaften des Fortschritts wirft. Wohl auch deshalb gerät sie so häufig ins Visier der Kritik. Der amerikanische Politikwissenschaftler und Marxist Marshall Berman sah die Moderne als einen unaufhaltsamen Prozess steten Zerfalls und ständiger Erneuerung, als einen Mahlstrom, der alles mit sich reißt. In ihr »verdampft« alles »Stehende und Ständische«, wie es im Manifest

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der Kommunistischen Partei hieß. Veränderung ist zwar nicht zwangsläufig Verbesserung, doch um überhaupt in dieser ›flüchtigen Moderne‹ (Zygmunt Bauman) überleben zu können, muss man die stete Veränderung als Prinzip verstehen und akzeptieren; man kann sich bestenfalls, wie der Ich-Erzähler in Edgar Allan Poes Hinab in den Maelström, notdürftig an einem Objekt festhalten. Alles andere wäre nichts weiter als mangelhafte Anpassung. Das Festhalten an Vorstellungen von Heimat, Gemeinschaft oder Bindung wäre aus dieser Sicht pure, sinnlose und naive Nostalgie, die sich an Illusionen klammert; im darwinistischen Sinne ließe sich eine nostalgische Haltung als ungenügende Anpassung an veränderte Umweltverhältnisse lesen. Über lange Zeit haben daher vor allem Psychologen Nostalgie als Fehlleistung, als mangelhafte Anpassungsfähigkeit oder aber gleich als neurotische Regression und Abwehrreaktion, Realitätsflucht oder Realitätsverweigerung des Individuums gedeutet, wie bei Rip van Winkle. Andererseits ist die »nostalgische Regression« auch als »notwendige Tätigkeit innerhalb der Ökonomie der menschlichen Psyche« verstanden worden, die dazu dient, dass diese Psyche sich nicht überanstrengt bei der »Bewältigung der Realität« »der immer fortschreitenden bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft.«35 In diesem Sinne lässt sich Nostalgie auch als sinnvolle Anpassungsstrategie des Individuums zur Bewältigung akuter Krisen begreifen, was erklärt, »warum Nostalgie uns glücklich macht«.36 Vor allem aus Sicht der Psychoanalyse sind Nostalgie und Regression aber nicht nur als sinnvolle und nachvollziehbare Reaktionen auf gesellschaftlichen Wandel oder als Bewältigungsstrategie, sondern auch als pathologisches Symptom bzw. als Fehlentwicklung im Prozess des Heranwachsens zum autonomen Individuum gedeutet worden. Heimweh oder nostalgische Erinnerungen an die Kindheit erscheinen dann als regressive Wünsche nach einer konfliktfreien Welt, als Sehnsucht nach einer Verschmelzung mit der Mutter oder schlicht als Weigerung, erwachsen zu werden. Dieses psychoanalytische Deutungsmuster wurde unter dem Einfluss der Kritischen Theorie zunehmend auch auf Gesellschaften übertragen: Ein nostalgischer Blick auf die Vergangenheit, so der Vorwurf, offenbare angeblich regressive Wünsche nach einer ›heilen‹ Welt ohne Widersprüche und Konflikte; die eine noch weitaus ge-

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fährlichere, mit Gewalt und Unterdrückung verbundene Regression nach sich ziehen könnten, einen Rückfall aus der Zivilisation in die Barbarei. Symptomatisch ist der Gedankengang des israelischen Philosophen Avi­ shai Margalit:37 Ihm gelten Nostalgie und Kitsch gleichermaßen als verdächtig, da aus nostalgischer Idealisierung eines Ortes oder einer Gemeinschaft eine pervertierte ›Kitsch-Moral‹ abgeleitet werden könne, mit der sich jedes noch so brutale Vorgehen gegen reale oder vermeintliche Bedrohungen dieses Idylls rechtfertigen ließe. Als Beispiel dient ihm die deutsche ›Heimat‹, die auch hier direkt mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust in Verbindung gebracht wird. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist eine anekdotische Betrachtung: Er zeigt seiner Nachbarin den Katalog der großen Fotoausstellung The Family of Man, die 1955 im Museum of Modern Art gezeigt wurde und ein humanistisches Bild der Menschheit präsentieren sollte. Da dieses Menschenbild aus der Perspektive der Nachbarin, einer Holocaust-Überlebenden, unrealistisch und kitschig wirkt, wird das ganze Projekt in Zweifel gezogen. Die Frage, ob ›Auschwitz‹ den Maßstab für das Urteil darüber darstellt, was als Kitsch gelten muss, wird allerdings ebenso ausgeblendet wie die Frage, ob derjenige Teil der Realität, den wir als ›Auschwitz‹ bezeichnen, tatsächlich repräsentativer für die Realität ist als das Menschenbild der Ausstellung. Wäre tatsächlich ›Auschwitz‹ der gültige Maßstab, würden die meisten Darstellungen von Glück, Gemeinschaft und Harmonie unter Kitsch-, Nostalgie- und Verklärungsverdacht geraten. Und in der Tat kann man Adornos überspitzte Aussagen, nach Auschwitz Gedichte zu schreiben sei barbarisch und alle Kultur nach Auschwitz sei Müll, so verstehen, dass nur jene Kunstwerke der Gegenwart ernstgenommen werden könnten, in denen das Grauen dieses Verbrechens spürbar sei. Das nostalgische Festhalten an der Heimat ist ebenfalls im weiteren Sinne als spezifisch deutsche Abwehr von Individuation und Autonomie begriffen worden: In der Vorstellung von Heimat geht es angeblich darum, so der Vorwurf, das Individuum mit einer Gemeinschaft, mit der Landschaft und Tradition eines bestimmten Ortes zu verschmelzen und so seinen Ablösungs- bzw. Emanzipationsprozess zu verhindern. Bindung an Heimat ist auch aus dieser Sicht regressiv im pathologischen Sinn. Diese einseitige Sicht lässt außer Acht, dass Individualisierung und

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die Befreiung des Individuums aus allen traditionellen Bindungen auch mit einem Verlust von Sicherheit einhergeht, der überhaupt erst die Sehnsucht nach dem auslöst, was Bauman als »Retrotopia«, als rückwärtsgewandte Utopie bezeichnet hat: »Der vor noch gar nicht so langer Zeit vor allem mit Komfortgewinn und abnehmenden Unbequemlichkeiten verquickte Gedanke an die Zukunft weckt heute zuallererst Furcht vor der bedrohlichen Aussicht, als ungeeignet und ›unfit‹ bezeichnet beziehungsweise klassifiziert, jeden Werts und jeder Würde beraubt, marginalisiert, ausgeschlossen und verstoßen zu werden.«38 Zum Politikum wird Nostalgie vor allem dann, wenn zu befürchten ist, dass der Glaube an eine bessere Zukunft und an den Fortschritt nachlässt, wie schon in der ersten Nostalgiewelle der 1970er-Jahre. Wenn man die Moderne nicht nur als durchaus ambivalente, janusköpfige Zeit der permanenten Veränderung begreift, sondern gesellschaftliche Entwicklung analog zur Reife des Individuums als Fortschreiten auf dem Weg zu einer immer rationaleren, immer weniger triebgesteuerten, immer weniger von Gewalt geprägten, immer aufgeklärteren, humaneren, friedlicheren, demokratischeren, liberaleren Zivilisation begreift, die von Wohlstand und Gerechtigkeit geprägt ist, dann erscheint Nostalgie nicht mehr als nachvollziehbare Form des Umgangs mit Veränderung oder Hinweis auf ­mögliche Schattenseiten des Fortschritts, sondern als naive Ablehnung, gefährliche Behinderung oder gar als böswillige Sabotage dieser Entwicklung. Es ist also kaum überraschend, wenn in den politischen Debatten seit 2015 Nostalgie und Regression als populäre Erklärungsmuster für den Aufstieg des Populismus, den Erfolg Donald Trumps bei den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen, den Ausgang des britischen Referendums zum Brexit oder die Wahlerfolge der AfD herangezogen werden, zumal einer Bertelsmann-Studie im Herbst 2018 zufolge immerhin 63 Prozent der EU-Bürger als nostalgisch gelten müssen. Gibt man »gefährliche Nostalgie« in eine Internetsuchmaschine ein, erhält man über 100.000 Treffer. So stößt man auch auf einen kleinen Text im Spiegel, der gleich im November 2016 das »Gift der Nostalgie« für Trumps Erfolg verantwortlich machte. Der Text erschien in der Rubrik »Früher war alles schlechter«, deren Titel ironisch auf das vermeintliche Credo der Nostal-

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giker ›Früher war alles besser‹ anspielt und regelmäßig Statistiken publiziert, die auf Errungenschaften des Fortschritts hinweisen. Hier sollte gezeigt werden, dass jede Behauptung, irgendetwas in der Vergangenheit sei besser gewesen, auf gefährlichen Illusionen basiert: »In einer Umfrage in den USA bejahten vier von fünf Trump-Anhängern folgenden Satz: ›Das Leben in Amerika ist heute schlechter als vor 50 Jahren.‹ [...] Was, bitte, war denn besser in den USA der Sechziger- und Siebzigerjahre? [...] Die Arbeitslosigkeit liegt heute weit unter dem Schnitt der letzten 50 Jahre und ist halb so hoch wie Anfang der Achtziger. Die Lebenserwartung ist um neun Jahre gestiegen. Die Mordraten sind gesunken. Hinzu kommen unzählige technische Errungenschaften sowie Verbesserungen der Bildung, der Ernährung, der Krankenversicherung und so weiter und so fort. Nostalgie ist ein gefährliches Gefühl. Es ist ein Filter im Kopf, der nur die schönen Erinnerungen durchlässt, alle anderen löscht. Im Vergleich zum Trugbild, das daraus resultiert, muss die Gegenwart immer dekadent erscheinen.«39

Die Kritiker der Nostalgie bedienen sich allerdings derselben Strategie, die sie den Nostalgikern vorwerfen, nur eben mit umgekehrten Vorzeichen: Sie blenden schlicht alle Aspekte der Gegenwart aus, die man im Vergleich zur Vergangenheit als negativ verstehen könnte. Sie haben, um den Text aus dem Spiegel zu persiflieren, einen Filter im Kopf, der nur die vorteilhaften Entwicklungen der Gegenwart durchlässt, alle anderen ausblendet. Im Vergleich zum Trugbild, das daraus resultiert, muss die Vergangenheit immer als defizitär und minderwertig erscheinen. Die Möglichkeit, dass Veränderungen auch Verschlechterungen darstellen oder dass die Kollateralschäden des Fortschritts seine Errungenschaften relativieren könnten, kommt in diesem Weltbild schlicht nicht vor. Diejenigen, die Nostalgie und Heimweh als pathologische oder bösartige Regression begreifen, werfen den vermeintlich regressiven Nostalgikern vor, sie seien der komplexen Gegenwart, womöglich sogar der Freiheit selbst, nicht gewachsen und bezögen sich auf ein Ideal von Heimat und Gemeinschaft in einer Vergangenheit, das es jedoch, so der zweite Vorwurf, ohnehin nur in ihrer Fantasie gebe und in Wirklichkeit nie existiert habe. Diese Zuschreibung dient vor allem dazu, Kritik an bestimmten Defiziten der Gegenwart zu diskreditieren.

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Die populäre Formulierung, jede Form der Nostalgie sei eine ›Sehnsucht nach einer Vergangenheit, die es so nie gab‹, gehört zu einer rhetorischen Strategie, die darauf abzielt, Nostalgiker als Fantasten, Neurotiker oder Schwindler darzustellen, trifft dabei aber, wenn auch unbeabsichtigt, einen Kern. Denn Nostalgie ist in dieser Hinsicht dem politischen Konservatismus vergleichbar, den man, zum Teil zumindest, als ›Reaktion‹ auf Umwälzungen und Brüche verstehen kann, wie unter anderem der Politikwissenschaftler Martin Greiffenhagen beobachtete: »Die Werte, um deren Bewahrung und Tradierung es dem Konservatismus geht, ›entstehen‹ jeweils erst, indem sie gefährdet, bestritten, bekämpft und aufgelöst werden. Es handelt sich hier um eine allgemeine Erscheinung der Geistesgeschichte, ja des Denkens überhaupt: immer dann, wenn eine Institution, ein Wert, eine Vorstellung oder Denkrichtung aufhört, allgemein verbindlich zu sein, rückt sie überhaupt erst in den Umkreis menschlichen Interesses. Erst wenn ein Wert problematisch wird, wird er als ›Wert‹ gewußt.«40

Insofern ist es durchaus zutreffend, dass es die ersehnte Vergangenheit ›so‹ nie gab, denn als die Vergangenheit noch Gegenwart war, wurde sie anders wahrgenommen. Die jungen Schweizer Söldner langweilten sich vielleicht, als sie noch bei ihren Kühen waren und den Kuhreihen ständig hören konnten oder singen mussten; vielleicht sehnten sie sich sogar danach, wie Eichendorffs Taugenichts in die Welt hinauszuziehen. Die emotionale Bedeutung des Kuhreihens, der offenbar einen ganzen Lebenszusammenhang symbolisiert, erschließt sich, ja, entsteht vielleicht wirklich erst aus der Distanz oder im Rückblick. Dasselbe gilt auch für Mutters Eintopf, der in neuem Glanz erstrahlt, wenn man ihn nicht täglich, gar alternativlos, vorgesetzt bekommt. Und auch die ›ostalgische‹ Sehnsucht nach Markenprodukten oder Elementen der Populärkultur der DDR – Spreewaldgurken, Radeberger Bier oder Pittiplatsch – ist nicht zuletzt die Kehrseite des Verlangens nach westlichen Markenprodukten und westlicher Alltagskultur vor dem Fall der Mauer. Das nostalgisch besetzte Objekt selbst ist dabei eher eine Art Übergangsobjekt: ein Gegenstand, der auf einen verschwundenen Kontext verweist, und emotional besetzter Identitätsanker im Strudel der Veränderungen. Zugleich lässt sich diese Art von Nostalgie als Manifestation der Enttäuschung verste-

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hen, die einsetzt, wenn die zuvor ersehnte Konsumwelt die an sie geknüpften Erwartungen nicht erfüllt. Das Objekt als Träger materieller Nostalgie kann dabei Unterstützung bei der Anpassung an neue Situationen leisten: Das Übergangsobjekt der psychoanalytischen Theorie – etwa das Kuscheltier des Kleinkindes – erfüllt die Funktion, dem Kind den Übergang von der frühkindlichen Beziehung zur Mutter zu anderen, ›reiferen‹ Beziehungen zu ermöglichen. Ähnlich können Objekte materieller Nostalgie im Kontext von Migration wie etwa bestimmte Speisen oder Gegenstände aus dem Heimatland bei der Integration eine Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart bauen. Diese Form materieller Nostalgie ist meist sehr spezifisch und punktuell, wird aber ebenfalls oft kritisiert, denn sie kann von einer kapitalistischen Kulturindustrie ausgebeutet werden, die aus Sehnsüchten ein profitträchtiges Massengeschäft macht, indem sie Filme, Musik, Mode, Marken und Alltagsobjekte der Vergangenheit entreißt und gewinnträchtig vermarktet. Diesen spezifischen Marketing-Zynismus findet man übrigens neuerdings auch beim Spiegel, der gleich für die erste Ausgabe seines neuen Mode- und Stilmagazins im September 2017 Heimat und Nostalgie ausschlachtete und in den Bereich des Konsums überführte: »Heimat: Designer, Künstler, Modeschöpfer auf der Suche nach einer neuen Geborgenheit«. Heimat, verkündete das Editorial, sei »Erinnerung, Nostalgie, ein Ort im Gestern«; allerdings müsse sich »heute jeder seine Heimat allein erarbeiten […], immer wieder neu: Wer bin ich? Wer will ich sein? Wie will ich wahrgenommen werden? Manchmal hilft dabei schon ein Craft-Beer.«41 Als weitere Antworten auf die Frage, wie man wahrgenommen werden möchte, bietet das Heft zum Beispiel eine Armbanduhr aus Edelstahl für 2075 Euro oder eine Wollhose für 795 Euro an. Allerdings verleibt sich der Markt nicht nur nostalgische Heimatsehnsucht ein; auch rebellische oder gar revolutionäre Gesten verwandelt er problemlos in profitträchtige Konsumartikel, von der Lederjacke des Rockers über die Frisuren des Punk bis hin zu Ghetto Style und Gangsta Rap. Aus politischer Sicht empfiehlt es sich allerdings immer, stärkere Nostalgiewellen als Hinweis darauf zu begreifen, dass in größerem Maßstab Werte, Dinge oder Zusammenhänge als bedroht erlebt werden. Die Ermahnung, die (meist durch Statistiken illustrierte) Überlegenheit der Ge-

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genwart anzuerkennen, hilft vermutlich ebenso wenig wie die pauschale Verunglimpfung von Nostalgie. Nach der Wahl Trumps, nach dem Referendum zum Brexit und vor dem Hintergrund der Erfolge populistischer Parteien in Europa bemühen sich daher Politik- und Sozialwissenschaftler sowie Journalisten darum, die Ursachen der geschmähten Nostalgie zu verstehen. Aus diesen Analysen geht hervor, dass allen erfolgsbetonenden Statistiken zum Trotz etwa in Frankreich, Großbritannien und den USA vor allem in den mittleren und kleinen Städten und auf dem Land ein ökonomischer Abstieg zu beobachten ist, »dass der Lebensstandard gesunken ist, die Arbeitsbedingungen prekärer geworden sind, dass es Massenarbeitslosigkeit gibt und dass der soziale Fahrstuhl feststeckt«,42 so der französische Geograf Christophe Guilluy. Auch der amerikanische Soziologe Robert Wuthnow beschäftigt sich in seinem neuen Buch The Left Behind: Decline and Rage in Rural America (2018) mit Trumps Wählern auf dem Land und in Kleinstädten. Wuthnow weist darauf hin, dass ökonomische Probleme zwar in der Tat eine wichtige Rolle spielen, dass es aber ebenfalls um einen Wertekonflikt geht: Die Bewohner der Kleinstädte und ländlichen Gemeinden hängen nicht nur an ihrem Status, sondern auch an ihren Heimatorten. Wenn aber mehr und mehr Leute aus den Orten wegziehen, wenn Schulen oder Geschäfte schließen und Arbeitsplätze verloren gehen, dann ist das nicht nur ein demografisches und wirtschaftliches Problem, sondern auch ein kulturelles: Die Lebensweise, mit der sie sich identifizieren und auf der ihr Wertesystem beruht, ist als Ganzes bedroht.43 Was der Spiegel als Nostalgie bezeichnet, ist auch Ärger oder Zorn über diese »materielle und moralische Degradierung«,44 wie es der Soziologe Wolfgang Streeck formuliert. Guilluy kommt zu dem Schluss, dass »die Eliten heute die Bedürfnisse der unteren Schichten ignorieren«.45 Der Vorwurf der Nostalgie wird mithin oft von ›oben‹ nach ›unten‹ erhoben, von den Gewinnern an die Verlierer, von den Starken und Wendigen, die im Mahlstrom der Moderne gedeihen können, an die Schwächeren und weniger Mobilen, die in ihm untergehen. Die ideologisierten Zeiten der 1960er- und 1970er-Jahre sind Vergangenheit, und das Verhältnis zu Kitsch, Nostalgie und Heimat hat sich gewandelt. Der urbane Mensch ist längst nicht mehr ideologisch verbisse-

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ner Teilnehmer eines Kapital-Kurses, sondern ironischer, hedonistischer Konsument, dem es gelingt, seine eigenen Bedürfnisse nach Regression und seine Sehnsucht nach Idyllen durch die betont ironische Aneignung von Heimatkitsch zu befriedigen. So gibt es heute Gartenzwerge mit Hipster-Brille, Bars in Berlin-Kreuzberg hängen Bilder von röhrenden Hirschen an die Wand, und auch der Schrebergarten ist zum Element eines urbanen ›Lifestyle‹ geworden, wie etwa die Süddeutsche Zeitung 2017 beobachtete: »Heute ist Garteln auf der eigenen Scholle Kult. Schrebergärten boomen. Von Gartenzwerg-Image keine Spur mehr. [...] ›Kleingärtner sind von belächelten Spießern zu hippen Trendsettern geworden‹«.46 Wäre man zynisch, könnte man sagen: Es kommt eben immer darauf an, wer sich die Gartenzwerge in den Schrebergarten stellt, zu welchem Zeitpunkt und mit welcher Haltung das geschieht: Handelt es sich um junge, hippe Großstadtbewohner oder Migranten, nicht um ältere deutsche Arbeiter oder Kleinbürger, dann kann dieselbe Aktivität, dieselbe Geste als bewusst ironisch interpretiert und damit kulturell aufgewertet werden. Gärtnern hat allerdings ohnehin viel mit Nostalgie zu tun, mit Erinnerungen an Gerüche, Gefühle und Erlebnisse in den Gärten der Kindheit. Gegen diese Nostalgie sind selbst politisch Progressive nicht immun, wie sich nicht zuletzt an den zahllosen Urban-Gardening-Projekten ablesen lässt, aber etwa auch an der Neigung junger, ›hipper‹ Großstädter, in ländlichen Hofläden einzukaufen oder in Kursen das Fermentieren von Weißkohl oder Brotbacken zu erlernen. Diese Impulse, die an die Trödelmärkte der 1970er-Jahre erinnern, entspringen aus Überdruss am Überfluss, nicht aus materiellem Mangel, werden aber in der Regel nicht als – womöglich gar gefährliche – Nostalgie interpretiert; eher schon wird ihnen utopisches Potenzial zugeschrieben. Eines der bekanntesten Beispiele für die ideologischen Fallstricke der Nostalgie ist der 1988 von Thomas Hoof, dem ehemaligen Landesgeschäftsführer der Grünen in NRW, gegründete Versandhandel Manufactum mit dem Motto »Es gibt sie noch, die guten Dinge«. Die Manufactum-Produkte sind die Antithese zur Wegwerfgesellschaft und Billigproduktion mit geplanter Obsoleszenz, mit der man eher das Motto ›Geiz ist geil‹ assoziiert: Sie sind aufwendig, in traditioneller Produkti-

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Heimat, Heimweh und Nostalgie

onsweise und oft von Hand hergestellt, sollen lange halten und werden zu entsprechend hohen Preisen gehandelt. Das Image des Unternehmens ebenso wie das seines Gründers hat sich allerdings seit den 1990er-Jahren stark gewandelt. So las der Autor der Zeit 1994 den Manufactum-Katalog als »Protestschrift gegen die Verschundung der Welt, gegen Massenware und Plastikschrott, gegen die Wegwerfgesellschaft«47 und sah in dem Unter­nehmen einen Nachhall von Hoofs Vergangenheit bei den Grünen. Kritischer war schon die Analyse im Magazin der Süddeutschen Zeitung 2005. Nun erschien das Versandhaus als Manifestation einer »Gegenideologie gegen die Moderne (also Globalisierung, Massenproduktion, Design­ wahn)«, die sich »vergessener Handwerkstraditionen, hochwertiger Materialien und nostalgischer Ästhetik«48 sowie ausführlicher Her­ kunftsgeschichten vor allem zu dem Zweck bediene, die Produkte zu möglichst hohen Preisen verkaufen zu können. Jetzt stand der Vorwurf des Elitären, Verbürgerlichten im Raum, auch wenn das Motto von Manufactum nach wie vor als Idealbild für grüne Wirtschaft und Nachhaltigkeit galt. Vollends schlug die Stimmung jedoch um, als in Hoofs Manuscriptum-Verlag Bücher von Autoren erschienen, die dem Umfeld der ›Neuen Rechten‹ zugeordnet wurden: Nun gab es Überschriften wie »Die Rechte und ihre guten Dinge« (Die Zeit, 10.04.2014) oder »Es gibt sie noch, die bösen Dinge. Hoof hat vor 26 Jahren Manufactum gegründet. Heute verlegt er Bücher wie Akif Pirinçcis Pöbelbestseller ›Deutschland von Sinnen‹. Passt das? Ja.« (Der Spiegel, 14.04.2014) Ein Autor, der sich selbst als »Kunden der ersten Stunde« bezeichnete, schwelgte nostalgisch in Erinnerungen an den Kulturpessimismus »der linken Frankfurter Schule« in Hoofs frühen Katalogtexten, als die Programmatik von Manufactum als »kulturelles Rettungsprojekt« für »heimische, regionale [...] Produkte, deren Transportwege möglichst eine gute Ökobilanz aufweisen sollten«, gelten konnte. Doch die damalige »Gegenhaltung« sei nunmehr angeblich zur »Pose« geronnen, was vielleicht nicht so schlimm wäre, wenn nicht »der politische Farbton seines Gründers [...] nun von Grün ins Bräunliche« spielte: »Adornos Kulturpessimismus, nunmehr rechtsgedreht. Auch wenn sich Hoof aufs Land zurückgezogen hat und dort seiner Angstlust am Weltuntergang frönt, am Manufactum-Besen wird dieses Deutschland nicht genesen.«49 Hoof hatte allerdings schon

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2007 eingeräumt, dass seine Position politisch schwer zu fassen sei: »Fundamentalistischer Grüner? Antikapitalistischer Kapitalist? Erzreaktionär? Linker Tory? Nostalgiker?«50 Dieses Beispiel zeigt, dass Praktiken, Wünsche, Sehnsüchte oder Bedürfnisse ideologisch fließend sind und für ganz unterschiedliche, ja entgegengesetzte politische Richtungen genutzt werden können. Bewertet werden dann jeweils nicht das nostalgische Objekt oder der nostalgische Impuls per se, sondern vor allem der politische Kontext und die Rahmenerzählung: Es wird nicht wirklich darüber diskutiert, ob bzw. unter welchen Bedingungen etwa ein Leben auf dem Land, der Kauf regionaler oder traditionell gefertigter Produkte, die Bewirtschaftung von Stadtgärten oder der achtsame Umgang mit Lebensmitteln persönlich, gesamtgesellschaftlich, politisch, ökonomisch, ökologisch oder spirituell sinnvoll, wünschenswert oder machbar ist; bewertet wird in der medialen Debatte vor allem der ideologisch-weltanschauliche Rahmen. Es geht weniger um die Frage, ob bestimmte Entscheidungen, Lebensweisen oder Wirtschaftsformen realistisch oder zielführend sind oder welche Folgen sie nach sich zögen, sondern vorwiegend darum, ob sie als ›gut‹ oder ›böse‹ zu gelten haben. Die Schwierigkeit, die sich daraus ergibt, tritt ganz klar zutage, wenn es darum geht, wie Landschaften, Tier- und Pflanzenarten, Biotope, Gewässer, aber auch Lebensweise und Habitat indigener Völker geschützt werden können. Daher sind Vorstellungen von Heimat und die Haltung der Nostalgie gerade in Debatten um Naturschutz, nachhaltiges Wirtschaften und Ökologie so heftig umstritten. Die Stigmatisierung von Nostalgie stellt dabei eindeutig ein Hindernis dar: Sie verhindert sachliche Debatten über Vorund Nachteile, Kollateral- und Folgeschäden technischer, ökonomischer und sozialer Entwicklungen und steht einer Betrachtung sozialer, ökonomischer, kultureller und auch ästhetischer Probleme der Gegenwart im Weg.

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›Heimat ist ein Gefühl‹

›Heimat ist ein Gefühl‹: Nomaden und Touristen I feel at home Whenever the unknown surrounds me I receive its embrace Aboard my floating house (Björk: Wanderlust)

Heimweh als Gefühl, als Folge und Ausdruck einer emotionalen Bindung, verbindet im Inneren des Menschen Heimat und Erinnerung, Ort und Zeit. Heimweh zeigte zumindest in der Vergangenheit die Macht der Gefühle: Es konnte schwere körperliche Symptome und sogar den Tod nach sich ziehen. Heimweh war aber auch ein Antrieb für die Lebensweise fern der Heimat: Die emotionale Bindung an die Heimat mit ihren Ritualen, Sozialstrukturen und Bräuchen prägt und modelliert dann das Leben in der Ferne, wie etwa bei den deutschen Amerika-Auswanderern des 19. Jahrhunderts oder den deutschen Juden, die auf der Flucht vor Verfolgung im Deutschland der NS-Zeit in die USA gingen. Kurz: Auch Gefühle haben ihren Ursprung im Verhältnis zur Welt, können sich physisch äußern und umgekehrt in die Realität hineinwirken. Doch auch wenn die Vorstellung von Heimat immer emotional grundiert ist und zweifellos Gefühle auslöst, bezeichnet das Wort ›Heimat‹ deshalb noch lange kein Gefühl, sondern eine historisch-geografische, soziokulturelle Lebenswelt, einen Ort oder zumindest eine raum-zeitliche Wunschvorstellung. Gewiss: Man kann mit dem Wort ›Heimat‹ konkrete und abstrakte, materielle oder immaterielle Vorstellungen verbinden, die Wirklichkeit oder eine Utopie bezeichnen. Gerade diese Unbestimmtheit macht Heimat als Idee ja so anfällig für die unterschiedlichsten Deutungen, Vereinnahmungen und Besetzungen. Das Wort bezieht sich zwar auf das Verhältnis des Menschen zur Welt, bezeichnet aber etwas außerhalb der menschlichen Psyche Liegendes.

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In die Diskussion über Heimat fließen daher immer implizit Grundannahmen über das Menschenbild mit ein und über die Bedeutung, die man den beiden Komponenten dieser Beziehung zuschreibt: Zählt vor allem das Subjekt dieser Beziehung, der einzelne Mensch, das Individuum, oder zählen Welt, Umwelt oder Gemeinschaft mehr? Bedeutet ›Beziehung‹ vor allem Bindung, Prägung, Zugehörigkeit, Einbettung und wechselseitige Verpflichtung? Denkt man sich den Einzelnen als durch seine Umwelt vereinnahmt, erdrückt oder zugerichtet? Oder sieht man die Welt vor allem als Ressource, Bühne, Aktions-, Entfaltungs- und Erlebnisraum für das Individuum? Versteht man den Menschen als von seiner sozialen und physischen Umwelt geprägtes und in sie eingebettetes Wesen, das existentiell wie emotional auf diese Welt, auf materielle wie immaterielle Ressourcen wie Natur, Gemeinschaft, Institutionen, Kenntnisse und Traditionen angewiesen ist, dann wird man Heimat und die Bindung an sie als notwendig und wertvoll begreifen. Sieht man den Menschen hingegen primär als einzigartiges, selbstbestimmtes, autonomes und freies Wesen, das sich selbst Regeln gibt und souveräne Entscheidungen über sein Leben treffen sollte, erscheint eine Bindung an Heimat vor allem als Behinderung, Beschränkung und Einengung. Heimat ist aus dieser Perspektive bestenfalls ein Ort, dem es zu entkommen, die Bindung an sie ein Zustand, aus dem es sich zu lösen und zu befreien gilt, schlimmstenfalls aber ein Konzept, das bekämpft werden muss, eben weil es der freien Entfaltung, Emanzipation und Selbstverwirklichung des Individuums prinzipiell im Wege steht. Je nach politischer Ausrichtung, Zeitgeist oder Perspektive wird also eher die kollektive und ortsbezogene oder die individuelle Seite betont: Die romantische Dichtung zeigte die Welt vor allem als Resonanzraum für das herausgehobene Künstler-Individuum. Der Realismus des 19. Jahrhunderts dagegen verstand Heimat als Gemeinschaft, Landschaft und Tradition, die den Einzelnen und sein Verhältnis zur Welt entscheidend bestimmen. Dieses Verständnis spielte noch für die Heimatvertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg eine wichtige Rolle und fand ein Echo in den Heimatbildern der Kulturindustrie. Auch in der Idee einer sozialistischen Heimat der DDR oder in der Heimat-Utopie Ernst Blochs war die Vorstellung eines Kollektivs wichtig. Gemeinsamkeit und Tradi-

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tion konnten sich ebenfalls als klare Ablehnung eines radikalen Eingriffs in den Charakter der Heimat äußern, wie etwa bei den Protesten gegen das Kernkraftwerk in Wyhl. Und selbst die moderne, pluralistische Demokratie, die sich die Freiheitsentfaltung des Individuums als zentralen Wert auf die Fahnen geschrieben hat, muss sich auf einen Minimalkonsens berufen: »Erst das Vorhandensein eines Minimalkonsenses erlaubt die offene Austragung politischer Konflikte – das Kennzeichen einer freiheitlichen Gesellschaft – ohne die Gefahr eines Zerfalls des politischen Gemeinwesens, der Gesellschaft.« Offen bleibt dabei allerdings, wie sich nicht zuletzt an der immer wieder aufflammenden Debatte um die Leitkultur zeigt, was unter einem solchen Minimalkonsens zu verstehen ist, zumal Komponenten dazugehören, die nur begrenzt ins Bewusstsein ­treten, solange sie für selbstverständlich genommen werden, wie etwa eine gemeinsame Sprache oder ungeschriebene Regeln und Konventionen. Die Vorstellung von Heimat in der pluralistischen Gesellschaft der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit sollte jedenfalls eine Balance herstellen zwischen der Freiheit des Individuums und der Gesellschaft als Gemeinwesen: Eine totalitäre Heimat, in der die Einzelnen dem Ganzen untergeordnet sind und Außenseiter mindestens marginalisiert, schlimmstenfalls verfolgt werden, eine Heimathölle, wie sie die Antiheimatfilme der späten 1960er-Jahre ausmalten, sollte ebenso abgewehrt werden wie die völlige Auflösung des Gemeinwesens. Heimat erschien als »subjektive Ganzheitserfahrung eines räumlich-geistig-sozialen Gefüges«,1 das nur dann als Heimat erlebt werden kann, wenn es bestimmte Eigenschaften aufweist, die diese Erfahrung allererst ermöglichen. Doch diese Vorstellung von Heimat als Erfahrung einer konkreten Umwelt, in der das Individuum als Teil eines Kollektivs oder einer Gemeinschaft lebt, scheint nicht mehr allgemein geteilt zu werden, auch wenn bis in die jüngere Vergangenheit Anthropologen betont haben, dass Heimat nur als »Dreiheit von Gemeinschaft, Raum und Tradition«2 erfahren werden kann, Soziologen Heimat als »soziologische und geopolitische Kategorie«3 fassten und etwa der Psychoanalytiker Erik H. Erikson davon überzeugt war, dass auch individuelle Identität nur innerhalb einer sozialen Realität, nur als »erfolgreiche Variante einer Gruppenidentität«4 denkbar ist. Doch im Zuge der stets weiter fortschreitenden Indi-

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vidualisierung, Mobilisierung und auch Emotionalisierung der Gesellschaften des Westens hat sich die Gewichtung von ›Ich‹ einerseits und ›Welt‹ oder ›Umwelt‹ andererseits deutlich verschoben. Mehr und mehr soll der Einzelne nicht mehr von seiner Heimat bestimmt sein, sondern völlig frei über seine Identität und seinen Aufenthaltsort entscheiden und nicht nur bestimmen können, wie er sich zu seiner Heimat verhält, sondern auch, was Heimat überhaupt bedeutet. Damit wird Heimat aus der Welt in die Innenwelt des Individuums verlegt: Heimat wird ein Gefühl. Die dynamische Gesellschaft, in deren Zentrum als Ideal und Norm das als mobil, flexibel, risikobereit und weitgehend bindungslos gedachte Individuum steht, ist vorläufiger Endpunkt der von Karl Polanyi beschriebenen Prozesse der ›Entbettung‹ des Einzelnen im Lauf der Großen Transformation: In dem Maße, in dem die Menschen freigesetzt und aus gewachsenen Strukturen herausgelöst werden, ergeben sich zunehmend auch größere individuelle Freiheiten und Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung. Mehr und mehr ist die Identität des Einzelnen nicht mehr von vornherein durch seinen Stand, seine Herkunft und seine Heimat vorgegeben: Jeder kann diese Identität im Lauf des Lebens mitformen und sich aus gegebenen oder vorgefundenen Strukturen lösen, indem er verschiedene Rollen kombiniert, nacheinander unterschiedliche Lebensentwürfe ausprobiert oder im Lauf eines Lebens an mehreren Orten lebt. Dass die Fähigkeit und Bereitschaft, sich von der Heimat zu lösen, um in dieser Gesellschaft zu reüssieren, auch mit Bildung und gesellschaftlichem Status zusammenhängen, war schon im 19. Jahrhundert bekannt: Bereits 1841 hieß es, der Gebildete und Gelehrte habe »in der ganzen Welt seine Heimat«, während Liebe zur Heimat eher auf einer »geringen Stufe der Civilisation« zu finden sei. Diese Freiheit geht einher mit wachsender Desorientierung, ansteigendem Entscheidungsdruck und Verantwortung für Entscheidungen sowie mit unendlich vielen Möglichkeiten des Scheiterns, insbesondere für jene, die schlechter auf diese Risikogesellschaft oder Multioptionswelt vorbereitet sind. Die Ambivalenz des in der Regel ausschließlich positiv konnotierten Begriffs ›Freiheit‹ vor allem für »die da unten« hat auch Peter Sloterdijk betont: »Die Freien sind nicht nur jene, die einen Herrn abgeschüttelt haben. Sie

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sind auch die, die man ohne Erklärung auf offener Straße stehengelassen hat.«5 Niklas Luhmann hat die Konsequenzen der neuen, gewissermaßen aufgezwungenen Freiheiten treffend mit den keineswegs nur günstigen Auswirkungen der Aufhebung von Leibeigenschaft und Erbuntertänigkeit im frühen 19. Jahrhundert verglichen, in deren Folge viele Bauern in wirtschaftliche Not gerieten, für die sie nun aber allein verantwortlich waren: »Die Notwendigkeit der Selbstbestimmung fällt dem Einzelnen als Korrelat einer gesellschaftlichen Entwicklung zu. Er wird in die Autonomie entlassen wie die Bauern mit den preußischen Reformen: ob er will oder nicht. [...] Traum und Trauma der Freiheit gehen unversehens ineinander über.«6 Die große Freiheit kann zur permanenten Überforderung und Quelle der Enttäuschung für das Individuum werden, insbesondere wenn diese Freiheit, die moderne Gesellschaft insgesamt und damit auch die Individuen in ihr nach der »Transformation der natürlichen und menschlichen Substanz der Gesellschaft in Waren«7 primär durch ökonomische Faktoren bestimmt werden: Die Freiheit des Einzelnen ist günstig für eine liberale Marktwirtschaft, die als umso funktionstüchtiger gilt, »je geringer die affektiven Beziehungen zwischen den Marktteilnehmern sind, je grösser ihre Anzahl, je grösser ihre Mobilität, je ausgeprägter die Anonymität.«8 Der Mensch ist mehr und mehr homo oeconomicus und wird, in den Worten Michel Foucaults, zum »Unternehmer seiner selbst«.9 Über lange Zeit hatte daher die freie Entfaltung des Individuums vor allem im Fokus der Liberalen gestanden, während das Interesse der Sozialisten sich auf Kollektiv und Klasse richtete und das der Konservativen auf Familie und Institutionen. In den 1960er- und 1970er-Jahren geriet das Individuum jedoch auch in den Horizont der Neuen Linken, für die Arbeitsbedingungen oder materielle Ansprüche der Arbeiter zunehmend uninteressant wurden. Nun sollte das Individuum mehr und mehr von den Zwängen des Marktes und der Arbeit selbst befreit werden. In den so entstehenden Freiräumen sollten die Individuen sich selbst verwirklichen und ihre Bedürfnisse und Gefühle frei entfalten können. Nach dieser ›individualistischen Wende‹ galt, dass individuelle Freiheit und Emanzipation erst noch errungen werden müssten, doch nicht mehr durch eine Neuordnung der Besitzverhältnisse und der Arbeitswelt, son-

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dern am besten gleich durch eine Befreiung von der Arbeit überhaupt; das klingt noch an, wenn in der Debatte um ein (bedingungsloses) Grundeinkommen die Partei Die Linke vom »emanzipatorischen Grundeinkommen« spricht. Der vom Spiegel nicht ganz zu Unrecht als »Hippie-Philosoph« verspottete Herbert Marcuse entwarf in seiner 1964 in den USA, 1967 auf Deutsch erschienenen Schrift Der eindimensionale Mensch die Vision einer Welt, in der die Grundbedürfnisse der Menschen durch Automatisierung und Zentralisierung der materiellen Produktion und der relevanten Dienstleistungen weitgehend erfüllt sein sollten. Diese Vision war gar nicht weit von den Träumen der Sozialisten, Unternehmer und Ingenieure an der Schwelle zum 20. Jahrhundert entfernt, die glaubten, dass sich die Menschen, sobald sie nur durch technischen Fortschritt von der Notwendigkeit der Arbeit entbunden wären, intellektuell, moralisch und kulturell weiterentwickeln würden. Marcuse ging allerdings weiter; er war davon überzeugt, das Individuum müsse darüber hinaus auch »von den fremden Bedürfnissen und Möglichkeiten befreit« werden, »die die Arbeitswelt ihm auferlegt«; nur so könne es »individuelle Energie für ein noch unbekanntes Reich der Freiheit jenseits der Notwendigkeit« gewinnen. Erst dann, nach einer Befreiung von den Manipulationen durch Reklame und Massenmedien, die ihm »falsche Bedürfnisse« vermitteln, würde das Individuum wirklich frei, »Autonomie über ein Leben auszuüben, das sein eigenes wäre«.10 Für Marcuse waren die Menschen der Moderne zwar auch von der Natur, der Arbeit und der Umwelt entfremdet, aber vor allem von sich selbst und ihren eigenen ›wahren‹, noch unentdeckten Bedürfnissen. Er plädierte daher für die »absolute Weigerung« und lieferte damit die theoretische Matrix für eine zutiefst individualistische Alternativ- und Aussteigerkultur, die sich mit dem Abflauen der Studentenbewegung und parallel zu der politisch agierenden Umwelt- und Antiatomkraftbewegung sowohl in den USA als auch in Westeuropa entwickelte. Die neuen Gemeinschaften der Aussteiger unterschieden sich drastisch von der traditionellen Dorfgemeinschaft, in die man hineingeboren wurde und die durch Gegebenheiten wie Geschichte, familiäre Bindung, Dialekt etc. bestimmt war. In der Eigenwahrnehmung verstanden sich die alternativen Gemeinschaften zunächst noch als Avantgarde, als Keim-

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zellen einer neuen Gesellschaft, wie die Akteure der Lebensreformbewegung an der Wende zum 20. Jahrhundert. Auch die Lebensreformer mit ihren neuen Vorstellungen von Kleidung und Ernährung, ihrer Hinwendung zur Natur sowie ihren ästhetischen und spirituellen Praktiken hatten ja individualistisch agiert und beim eigenen Leben angesetzt, wollten aber durch ihre diversen weltanschaulich oder ernährungspolitisch motivierten Künstlerkolonien, Friedenssiedlungen, Reformgärten, Landkurheime und Sanatorien ihren Lebensstil verbreiten und langfristig die gesamte Gesellschaft beeinflussen und heilen. Ganz ähnlich glaubten die Alternativen der 1970er-Jahre zunächst, die persönliche Veränderung könne den ersten Schritt in einem gesamtgesellschaftlichen Wandel darstellen: Durch ihre Lebenspraxis wollten sie »festgefahrene Strukturen« auflockern und nichtentfremdete Arbeits- und Lebensbedingungen schaffen. Auch diese selbst ernannte Avantgarde wandte sich von der Stadt ab, die nicht mehr als fortschrittlich, sondern als heruntergekommen galt, geprägt von Hässlichkeit, Lärmbelästigung und Luftverschmutzung, Verbrechen, »Gleichgültigkeit und Teilnahmslosigkeit« sowie »psychischer Verelendung«. 11 Peter Moslers 1981 veröffentlichter zivilisations-, stadt- und konsumkritischer Aussteigerroman Die vielen Dinge machen arm, der sich ganz offensichtlich auf Marcuses Thesen bezog, stand der modernen Gesellschaft und der Großstadt mindestens so kritisch gegenüber wie die Heimatbewegung um 1900. Die »amorphe Masse der Gesichtslosen« und die »Namenlosen« mit ihrem »szientifischen, positivistischen, rationalistischen Weltglauben« werden hier als »transzendental obdachlos, satt, unfrei, unglücklich und einsam« charakterisiert, als ebenso »homogen, anonym und gesichtslos« und der Individualität beraubt wie die moderne Stadt. Doch auch darin glichen die modernen Lebensreformer ihren Vorgängern: Gerade weil die neuen Gemeinschaften einzig auf individueller Entscheidung und geteilten Überzeugungen beruhten und es darüber hinaus keine Bindungen gab, erwiesen sie sich als zunehmend sektiererisch und damit als äußerst fragil. Mosler beschreibt diesen Zerfallsprozess: »In unserem Dorf waren wir am Anfang drei Landkommunen. Die haben sich auf der Dorfstraße nicht mehr gegrüßt. Die einen waren Anthroposophen, die haben ihren Garten dynamisch-biologisch beackert, die anderen

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Nomaden und Touristen organisch-biologisch, die haben nicht umgegraben. Und zu Hause haben sie vegetarisch gelebt, der eine aus religiösen Gründen, der andere aus humanen, der dritte aus biologischen, der vierte aus finanziellen – aber mit einem Fleischesser hat sich keiner von denen zu Tisch gesetzt!« 12

Die praktische Umsetzung der Projekte mit gesellschaftsveränderndem Anspruch scheiterte oft schon daran, dass es trotz ähnlicher Ziele nicht gelang, auf Dauer genügend Gemeinsamkeiten zu finden oder sich auf Kompromisse zu einigen. So blieb der selbst ernannten Avantgarde schließlich nur mehr die Flucht vor der Einsicht in das Scheitern der eigenen Ansprüche: Eine Flucht in private Utopien oder eine Flucht aus der »bundesrepublikanischen Normalität, der das Land zu eng, das Wetter zu schlecht und die Politik zu langweilig geworden«13 war. Von nun an ging es weder um die Bewahrung einer gewachsenen Heimat, wie bei den Heimat- und Denkmalschützern um 1900 oder den Protesten in Wyhl, noch um eine gesellschaftliche Heimatutopie. Auch die radikalen Gedanken Ivan Illichs, der für eine Selbstbegrenzung der individuellen und gesellschaftlichen Bedürfnisse plädiert hatte, waren aus der Perspektive des Individuums, das nach potenziell grenzenloser Selbstverwirklichung und Emanzipation strebte, offenbar wenig reizvoll. Stattdessen kam es zu einer ganz und gar individualistischen Neuauflage des romantischen »Ungenügens an der Normalität«, der »Fluchtbewegung aus der Gesellschaft«. Die ersten beiden Teile der Heimat-Trilogie von Edgar Reitz, die in den 1980er- und 1990er-Jahren für Furore und zugleich für eine der vielen Renaissancen der Heimat-Debatte sorgten, lassen sich als filmische Darstellung dieser neu-linken und zugleich neu-romantischen Erschaffung einer zweiten Heimat als Gemeinschaft kreativer, nonkonformistischer Individualisten verstehen: Reitz zeigte die Befreiung und Emanzipation von der Heimat aus der Perspektive des Künstlers als junger Mann. Dieser Blick auf die Heimat war zutiefst ambivalent: Die provinzielle Heimat im Hunsrückdorf Schabbach, geprägt von familiären Bindungen und für den Zuschauer lokalisierbar vor allem durch den Dialekt, erschien zwar als Ort, aus dem es zu entkommen galt, aber zugleich auch als Hort der Beständigkeit vor dem Hintergrund weltgeschichtlicher Erschütterungen: Selbst wenn die Geschichte in Gestalt von Weltkrieg, SS oder ameri-

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kanischen Besatzungssoldaten in die Heimat einbrach, blieb ihr Kern davon nahezu unberührt. Den personifizierten Kern dieser Heimat bilden mütterliche Frauenfiguren, die unauflöslich an das ebenfalls unveränderliche Elternhaus gebunden schienen: die Großmutter Katharina und die Mutter Maria. Die männlichen Hauptfiguren hingegen, getrieben von einer ›Sehnsucht nach Selbstentbindung‹, zieht es fort: Der eine, Marias Ehemann, bastelt in den 1920er-Jahren zunächst einen Radioapparat, um zumindest über die Radiowellen die Begrenztheit des Dorfes zu überwinden, verlässt bald aber auch physisch und scheinbar unmotiviert die Heimat in Richtung Amerika. Hermännchen, das eigentliche Zentrum der Geschichte und Alter Ego des Regisseurs Edgar Reitz, bricht innerlich mit der Heimat, als seine Mutter Maria und sein Stiefbruder von seiner folgenschweren Affäre mit einer wesentlich älteren Frau erfahren und das Verhältnis mit Drohungen und Einschüchterung beenden; er schwört, wegzugehen und nie mehr wiederzukommen. Aus dieser Perspektive erscheint die Heimat nicht nur als Begrenzung und unerträgliche Beschneidung seiner Gefühle. Seine künstlerischen Neigungen – er liest Hermann Hesse, musiziert, komponiert und dichtet – markieren ihn darüber hinaus als Außenseiter; er passt, anders als die anderen männlichen Figuren, meist Handwerker, Geschäftsmänner, Bauern oder Ingenieure mit technischer Begabung, grundsätzlich nicht in die Welt des wirtschaftlichen Aufbaus der 1950er-Jahre, auch wenn Mutter und Heimat ihm anscheinend ganz selbstverständlich die Entfaltung seiner Talente ermöglichen. So zieht es auch ihn fort: Wenn er zu Beginn des zweiten Teils der Trilogie die Heimat verlässt, um nach München zu ziehen, in die Stadt der Künstler, Kosmopoliten und Bohemiens, so ist dies ebenfalls Selbstermächtigung und Ausdruck der von Hybris geprägten Vorstellung, in einem absoluten Bruch mit Herkunft und Heimat sich selbst ganz neu erfinden, gar erzeugen zu können: »Ich wurde zum zweiten Mal geboren. Diesmal nicht aus meiner Mutter, sondern aus meinem eigenen Kopf.« Diese absolute individuelle Freiheit und den dazugehörigen Lebensstil kann seit der Romantik nur der Künstler finden, und zwar nur jenseits provinzieller Moralvorstellungen, jenseits des Marktes und jenseits der nüchternen Arbeitswelt des Nährstandes, der Philister und Spießer. Wenn das Individuum sich selbst zur Welt bringen kann, wird

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es sich auch selbst Heimat: Dann ist Heimat tatsächlich ein individuelles Gefühl. Im Zuge der Demokratisierung des Konsums wurden immer breitere Teile der Bevölkerung von solchen romantischen Sehnsüchten ergriffen, die vormals nur Musensöhnen (und Musentöchtern) vorbehalten waren. Auch weniger kreativ Veranlagte wollten nicht mehr als Erwerbsbürger an ihre enge Heimat gefesselt sein, sondern ihrem begrenzten Leben entrinnen, allerdings nicht mehr nur in der Fantasie und im Traum. Die neu-romantische Entgrenzung vollzog sich ganz real als Reise, als Trip, durch Drogen erzeugter Rauschzustand, oder in Kombination von beidem. Die große Flucht, das große ›Abhauen‹ und ›Aussteigen‹ als massenhaftes Phänomen begann mit dem Hippie-Trail, auf dem in den 1960er- und 1970er-Jahren junge Leute, Hermann Hesses Glasperlenspiel, Siddharta oder Narziß und Goldmund im Gepäck, auf der Suche nach Sinn, nach dem eigenen, ›wahren‹ Selbst und nach billigen Drogen zur Bewusstseinserweiterung Richtung Ibiza oder Formentera, Marokko, ­Afghanistan, Nepal oder Indien aufbrachen. Von diesem Hippie-Trail führt eine Linie über den Alternativ- und Rucksacktourismus der späten 1970er- und 1980er-Jahre mitten in unsere von Hedonismus, Mobilität, Kosmopolitismus, Globalisierung, Digitalisierung und Hyperindividualismus geprägte Gegenwart mit ihrer Begeisterung für Nomaden und Globetrotter. Die neuen Reisenden zog es ebenso fort wie die Helden der romantischen Romane: Sie wollten nicht nur weg aus dem Alltag und der verwalteten Welt, fort von Arbeit, Verantwortung und sozialen Bindungen, sondern sie waren auch auf der Suche nach unzerstörter Natur, nach dem einfachen Leben in aus westlicher Sicht unterentwickelten, armen Ländern, nach Gemeinschaft, Spiritualität, Traditionsbindung und Naturverbundenheit, wie sie in Europa durch Industrialisierung, Kriege und Modernisierung vernichtet worden waren, in gewisser Weise also nach dem Urbild von ›Heimat‹. Allerdings: Indem diese Sehnsucht sich nun auf ferne Länder, fremde Kulturen, unbekannte Sprachen und exotische Landschaften richtete, geriet sie, anders als die Verklärung der italienischen Bauernkultur bei Pasolini oder Illichs Vision einer postindustriellen Gesellschaft nach dem Vorbild indigener lateinamerikanischer Völker, nicht in den Verdacht der Nostalgie oder des Reaktionären, son-

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dern erschien als Weltoffenheit, Kosmopolitismus und Nonkonformismus. Im touristischen Blick von außen erstrahlte das, was im modernen, industrialisierten Europa als Verklärung überkommener Zustände abgewehrt worden wäre, in exotischem Glanz. Reisen an Orte, die von dem als Neckermann-Tourismus geschmähten, demokratisierten Massentourismus der Nachkriegszeit (noch) nicht erschlossen waren, verhießen neue Räume für Selbsterfahrung, zugleich aber auch eine deutliche Absetzung von der Massengesellschaft. Es entstand gleichsam eine neue ›Nation‹, die »Gemeinschaft aller Globetrotter, Zivilisationsflüchtlinge und Nonkonformisten, die sich heroisch auf die Suche nach unberührter Natur und fremden Kulturen gemacht haben.«14 Allerdings: Auch diese Aussteiger, Hippies und Alternativtouristen blieben, selbst wenn sie das nicht wahrhaben wollten und sich lieber als Reisende oder Pilger sahen, Touristen und damit Marktteilnehmer, die zudem in Nordafrika, Asien oder Lateinamerika selbst mit ihren vergleichsweise geringen finanziellen Mitteln als wohlhabend galten und sich ein für lokale Verhältnisse luxuriöses Leben leisten konnten. Hans Magnus Enzensberger konstatierte bereits 1958: »Dies, die unberührte Landschaft und die unberührte Geschichte, sind die Leitbilder des Tourismus bis heute geblieben. Er ist nichts anderes als der Versuch, den in die Ferne projizierten Wunschtraum der Romantik leibhaftig zu verwirklichen. Je mehr sich die bürgerliche Gesellschaft schloß, desto angestrengter versuchte der Bürger, ihr als Tourist zu entkommen.«15 Die Mechanismen bei der touristischen Erschließung der Welt gestalteten sich ähnlich wie bei Prozessen der Gentrifizierung: Auf die Pioniere folgten die Massen, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil manche Pioniere aus ihrer Freude am Reisen ein Geschäftsmodell entwickelten und neuartige, ›alternative‹ Reiseführer produzierten, mit deren Hilfe weniger abenteuerlustige Reisende es den Pionieren gleichtun konnten: Auf der Basis eigener Reiseerfahrungen in den frühen 1970er-Jahren gründete etwa der Brite Tony Wheeler die Lonely Planet-Reihe, die ihn zum Multimillionär machte. Auch in Deutschland erblühte, wenn auch mit weniger durchschlagendem Erfolg, das Genre des alternativen Reiseführers mit handgezeichneten Karten und sogenannten Insider- oder Geheimtipps. Diese neuen Reiseführer trugen, neben den sinkenden Kosten für Flugreisen, dazu bei, dass sich die Zahl

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der Touristen, die in sogenannte Entwicklungsländer reisten, von 1962 bis 1978 von sechs Millionen auf 30 Millionen erhöhte.16 Kein Wunder, dass Zygmunt Bauman in der Figur des Touristen einen der Haupttypen einer mobilen, bindungslosen Postmoderne erblickte: Dem Touristen, so Bauman, gelinge das Kunststück, sich zwar für eine gewisse Zeit an bestimmten Orten aufzuhalten, doch nie richtig da zu sein, weil er sich immer schon auf dem Absprung befindet. Sobald der Ort nicht mehr hält, was er versprochen hatte, wenn der Tourist genug hat oder, wie der Taugenichts in Eichendorffs Novelle, ein Signal vernimmt, das neue Attraktionen verheißt, bricht er wieder auf.17 Tourismus ist damit perfekte Erfüllung des Wunsches, der nun als beengend, grau und eintönig erlebten, modernen, entzauberten Gesellschaft zu entkommen und zugleich Ausdruck der Sehnsucht nach individueller Freiheit, Autonomie, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung. Damit ist er aber nur die zugespitzte Fassung des Lebensentwurfs einer primär hedonistisch und subjektorientierten Gesellschaft von Erfahrungskonsumenten, der Erlebnisgesellschaft, in der die Menschen vor allem ein »schönes, interessantes, angenehmes, faszinierendes Leben«18 wollen und »ihren Blick verstärkt nach innen richten, auf das eigene Erleben und Fühlen, um ihr Leben zu bewerten.«19 Die jeweils eigenen Bedürfnisse und Wünsche, die sich als Lust- oder Unlustgefühle manifestieren, gelten nun nicht mehr allein für gesellschaftskritische Aussteiger, sondern ganz allgemein als Maßstab für individuelle Entscheidungen. Emotionen werden generell positiv bewertet; es wird geradezu suggeriert, die Menschen sollten sich in möglichst vielen Lebensbereichen von Emotionen leiten lassen. Diese Emotionalisierung ist auch als Beispiel für einen »neuen Geist des Kapitalismus« interpretiert worden, der »nicht mehr allein auf der Kontrolle von Emotionen beruht, sondern im gleichen Maße auf deren Anrufung und Mobilisierung«.20 Diese neue, individualistische Emotionalität gilt gemeinhin nicht mehr als irrationalistisch, antiaufklärerisch, antimodern und damit als prinzipiell problematisch, sondern als authentisch und zeitgemäß, obwohl durchaus noch im Bewusstsein verankert ist, dass Emotionen besonders anfällig für Manipulationen sind, wie sich etwa mit Blick auf die Werbung beobachten lässt. Doch da angenehme Gefühle so sehr an Bedeutung gewonnen haben, wird nicht ein-

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mal Manipulation zwangsläufig negativ bewertet, sofern sie sich nur gut anfühlt: So hieß es im Sommer 2018 in einem immerhin von einem Philosophen verfassten Beitrag in der Zeitschrift Geo: »Manipulation trägt [...] sogar zu einem guten Leben bei. Sie macht uns vieles leichter, indem sie unbewusste Wege aufzeigt, die Entscheidungsfindung vereinfacht (denken Sie nur an Ihr Bauchgefühl!) und den stressigen Alltag stimmungsbezogen moduliert, etwa wenn beruhigende Musik um uns herumdudelt.«21 Die spezifisch postmoderne, kosmopolitische, mobile Hyperindividualität, in der die Flucht-, Emotionalisierungs- und Individualisierungsbewegungen seit den 1960er-Jahren letzten Endes kulminieren, entsteht erst in der Kombination von tatsächlicher Bewegung durch den Raum in Form von Reisen oder Migration und gleichzeitiger Handhabung elektronischer Medien, wobei sich beides wechselseitig verstärkt: Die permanente Präsenz von Bildern ferner Orte, die den Medienkonsumenten erst auf den Gedanken bringen, diese Orte selbst zu besuchen, die leichte Verfügbarkeit praktischer Reiseinformationen sowie die unkomplizierte Möglichkeit, auch aus der Ferne mit den Bezugspersonen in der Heimat in Kontakt zu bleiben, eröffnen einen Erfahrungsraum, in dem das Individuum sich als Knotenpunkt in einem Netz fühlen kann. So entsteht die Illusion, man könne sich gleichzeitig an verschiedenen Orten aufhalten, und damit auch ein neuartiges Gefühl von ungeheurer Verfügungsmacht: Das eigene Selbst kann nun vermeintlich gleich mehrfach an verschiedenen Orten neu erfunden werden und scheinbar »›multiple Heimaten‹ bewohnen«.22 Der multilokale Digitalnomade ist die perfekte Verkörperung der Träume vom nichtentfremdeten, bedürfnisgesteuerten, totalbefreiten Leben (beinahe) jenseits der Arbeit. Die Zeit fasste dieses Lebens­ ideal 2016 zusammen: »Die Reisenden gehören zu einer wachsenden Gruppe von Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt verschieben wie andere ihre Zimmerpflanzen. Sie bezeichnen sich als multilokal und ortsunabhängig, sie nennen sich: Digitalnomaden. [...] Sie reisen umher wie Bürger eines Weltstaates; auf der Suche nach Abenteuern lassen sie ihre Heimat zurück. Das Leben ist zu kurz, um es im Büro zu verbringen.«23 Sie erscheinen als reinste Verkörperung des Prinzips der Mobilität schlechthin und als symptomatisch für umfassende Zukunftsvisionen,

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die seit den 1960er-Jahren von ganz unterschiedlichen Vordenkern erdacht wurden: Jacques Attali, der französische Wirtschaftswissenschaftler und Berater François Mitterands, sah reiche, wurzellose Eliten auf der Suche nach Genuss und entwurzelte Arme auf der Suche nach einer Existenzmöglichkeit als die Nomaden der Zukunft; der Soziologe Bauman fand für diese extremen Ausprägungen des mobilen Menschen die Begriffe ›Touristen‹ und ›Vagabunden‹, die Suchenden und die Getriebenen. Vor allem der Medienphilosoph Vilém Flusser trug entscheidend dazu bei, dass seit den 1980er-Jahren der Nomade als Inbegriff von »Freiheit, Grenzüberschreitung und Nonkonformismus«24 nachgerade idealisiert wird. Man sollte Flussers Gedanken allerdings im Kontext seiner eigenen Erfahrungen mit Flucht und Exil sehen: Dem jüdischen Autor aus Prag, dessen gesamte Familie in nationalsozialistischen Konzentrationslagern umgebracht wurde, gelang als Einzigem die Flucht nach London und die Emigration nach Brasilien. Die traumatische Erfahrung transformierte er zu einer Apotheose des Nomadischen mit einem sehr weiten Begriff des Nomaden: »Millionen von Migranten«, zu denen er »Fremdarbeiter, Vertriebene, Flüchtlinge« ebenso wie »pendelnde Intellektuelle« zählte, erschienen ihm als »Vorposten der Zukunft«, Migration an sich als »schöpferische Tätigkeit« jener, die sich von den »Fesseln« der Heimat befreit hätten.25 Vor allem Intellektuelle, Schriftsteller und andere Kreative neigen dazu, die Verlusterfahrungen des Exils, der Diaspora oder der Migration als Gewinn und Bereicherung zu interpretieren, das Exil selbst als Heimat zu begreifen: »In der doppelten Buchführung der Migration verwandelt sich Verlust durch Befreiung in Gewinn, so wie man sich nicht nur erleichtert, sondern auch bereichert, wenn man Gepäck abwirft, weil man Platz schafft für Neues.«26 Daraus erwächst auch die Faszination für eine Literatur, die durch sprachliche und kulturelle Hybridisierungen oder »deplatziertes Schreiben, das sich im Transit der Kultur- und Literaturräume« oder im »sogenannten ›Dritten Raum‹ (third space)«27 bewegt. Da ist es nur konsequent, wenn die romantische Vorstellung, Heimat sei kein emotional besetzter Lebensraum, sondern ein Gefühl, eine Sehnsucht, immer weiter um sich greift. Vielleicht begann es 1999 mit dem Refrain in Herbert Grönemeyers populärem Lied »Heimat«: »Heimat ist

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kein Ort, Heimat ist ein Gefühl.« Dieser Satz traf offenbar auch jenseits der Populärkultur einen Nerv, wie einige Buchtitel seit 2010 illustrieren mögen: Heimat: Neuentdeckung eines verpönten Gefühls; Was ist eigentlich Heimat? Annäherung an ein Gefühl; Am Anfang war Heimat: Auf den Spuren eines deutschen Gefühls und Heimat ist kein Ort, sondern ein Gefühl: Das Glück wohnt zu Hause. Die Einsicht, dass das Verhältnis der Menschen zu ihrer Heimat und anderen Orten von Emotionen geprägt ist, wurde nun zu der Auffassung, Heimat sei nicht der Auslöser eines Gefühls, sondern das Gefühl selbst. Damit ist Heimat in der Tat nicht mehr kollektiv erfahrbar und kommt als Gegenstand gesellschaftlicher Debatten nicht mehr infrage. Ein Artikel der Autorin Lena Gorelik in Zeit Online brachte diese hyperindividualistische, psychologistische Heimatauffassung 2017 auf den Punkt: »Heimat ist Gefühl, das darf man sagen, das Gefühl ist subjektiv, es ist privat wie intim, individuell ist es auch.«28 Heimat wird damit ganz und gar in die innere Wahrnehmungs-, Empfindungs- und Vorstellungswelt des Individuums verlegt und kommt nahezu ohne Bezug zu Ort, Gemeinschaft und soziokultureller oder natürlicher, jedenfalls materieller Umwelt aus. Es ist bestenfalls das, was von der Materie übrig blieb: »das in Narrative verpackte Wissen und Verstehen«.29 Als Beleg für diese grenzenlose Vielfalt und Individualität erläutern seither immer wieder vor allem Menschen mit kreativen Berufen – Autoren, Regisseure und Schauspieler – in den Medien, was sie unter Heimat verstehen. Parallel wird zudem betont, dass Heimat »für jeden etwas anderes bedeutet«,30 wie es keineswegs nur die SPD-Zeitung Vorwärts 2017 formulierte. Schon 2012 las man im Spiegel, alles Mögliche könne Heimat sein, durchaus auch elektronische Geräte oder virtuelle Räume: »ein Hochofen, ein Dorf mit Schornsteinen, ein weißes Zimmer, ein Smartphone, ein patriotisches Gefühl, ein Chatroom, ein Mensch«.31 Und die ARD-Themenwoche ›Heimat‹ 2015 sekundierte mit Aussagen von Schauspielern: »Meine Heimat ist in mir selbst«, »Meine Heimat ist mein Koffer«, »Ich kann überall zuhause sein« oder »Heimat passiert in einem selbst«.32 Selbst die Heimatministerin Nordrhein-Westfalens, die CDU-Politikerin Ina Scharrenbach, machte sich anlässlich des ersten bundesweiten Heimatkongresses im März 2018 in Münster diese Position zu eigen: »Heimat hat jeder in

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sich. Man nimmt sie mit. Sie ist immer dabei«.33 Wenn der ICE ebenso Heimat sein kann wie ein Chatroom, ein Koffer oder ein Smartphone, wenn Heimat gar nur in einem selbst »passiert«, dann muss es auch keine Verständigung mehr darüber geben, wie die Wohnorte und Lebenswelten beschaffen sein müssen, um den dort Lebenden Heimat auch als soziale Lebenswelt überhaupt bieten zu können. Damit erübrigt sich dann allerdings auch jede Diskussion darüber, ob die Einzelnen sich gemeinsam für eine ›Heimat‹ einsetzen sollten, ob etwa ein Auwald, ein mittelalterlicher Stadtkern, ein alteingesessener Betrieb, das einheimische rote Eichhörnchen oder die alte Dorflinde schützenswert sind, ob die Errichtung einer Industrieanlage, die Betonierung eines Flussbettes, der Verkauf eines Mehrfamilienhauses an einen ausländischen Investor oder der Abriss eines Dorfes für den Braunkohletagebau den Charakter der Heimat bedroht, oder gar, wer sich die Wohnung in der Heimat überhaupt noch leisten kann, ob es im Dorf genügend Arbeitsplätze, medizinische Versorgung und Busverbindungen gibt, ob der Bäcker schließen muss, weil er keine Auszubildenden findet oder weil die Leute ihre Brötchen im Supermarkt kaufen. Behagt einem das veränderte Lebensumfeld nicht mehr, geht man eben fort, zieht sich auf die eigene Wohnung, das Innenleben oder gleich auf die virtuelle Welt zurück. Besonders ausgeprägt ist die Tendenz zur Individualisierung bei der in den Medien überdurchschnittlich präsenten Gruppe der akademisch gebildeten, urbanen, liberalen oberen Mittelschicht und der Kreativen, die ortsungebunden sind, sich als kosmopolitisch verstehen und vermeintlich ›überall‹ leben können, für die der englische Journalist David Goodhart die griffige Bezeichnung »Anywheres«34 gefunden hat. Der dynamische Prozess der Individualisierung als »Auflösung vorgegebener sozialer Lebensformen«35 ist zwar an die Moderne gekoppelt und findet in fast allen Gesellschaften statt, doch die Mischung aus stets zunehmender Mobilität, Flexibilität und Individualität erfasst keineswegs alle Bevölkerungsgruppen zur gleichen Zeit und in gleichem Maße und wird daher auch nicht von allen Teilen der Gesellschaft gleichermaßen begrüßt. Wenn Mobilität, Nomadismus, Migration, der ›Third Space‹ und hybride Identitäten idealisiert werden, stellt sich die Frage, ob das nomadische Prinzip auf einem »Planeten der Nomaden« alle Menschen erfas-

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sen soll, ob sich Nomaden weiterhin als privilegierte Avantgarde oder als Randfiguren zwischen Sesshaften bewegen oder ob Sesshaftigkeit überhaupt zum Auslaufmodell werden soll. Wenn Mobilität gewissermaßen zum gesellschaftlichen Leitbild würde, hätte dies massive Auswirkungen für die Gesellschaft; allerdings zeigen die Statistiken hier ein anderes Bild als die Medien, denn realiter sind etwa die Deutschen immer noch ziemlich sesshaft: Deutsche ziehen in ihrem Leben durchschnittlich 4,5 Mal um, mehr als ein Drittel dieser Umzüge findet innerhalb desselben Ortes statt, und nur 10 Prozent der Umzüge überschreiten regionale Grenzen.36 In diesem Zusammenhang ist es wohl zu sehen, wenn das Bundesministerium für Bildung und Forschung den Aufbau eines ›Instituts für gesellschaftlichen Zusammenhalt‹ plant: Das Ministerium diagnostiziert, Mobilität, Individualisierung und die Auflösung traditioneller Milieus mitsamt ihrer Vorstellungen von Solidarität hätten »zu einer zunehmenden Entkopplung zwischen Eliten und sogenannten ›sozialen Verlierern‹« geführt. Erforscht werden soll nun, wie in einer »Gesellschaft in Bewegung«, in der dauerhafte Bindungen nicht mehr die Regel oder gar die Norm seien, überhaupt Zusammenhalt entstehen könne. Als Problem macht das Ministerium insbesondere die geringer ausgeprägte Mobilität bestimmter Bevölkerungsgruppen aus: »In bestimmten Bevölkerungsgruppen verfestigt sich dagegen Immobilität.«37 Die »Gesellschaft in Bewegung« wird als nicht mehr zu hinterfragende Norm gesetzt, wie auch in dem Bild der Entkopplung deutlich wird: Man stellt sich einen unaufhaltsam fahrenden Zug vor, der seine hinteren Waggons abgehängt hat, auch wenn nicht klar ist, wohin die Reise geht; die Passagiere sind anscheinend nur durch das Fortbewegungsmittel miteinander verbunden. Eine nomadische Welt ist jedenfalls in letzter Konsequenz eine »radikal individualisierte« Welt, in der »Versorgungsansprüche gegenüber irgendwelchen Solidargemeinschaften« nicht vorgesehen sind, »weil es keine stabilen Gemeinschaften mehr gibt«.38 Dieser Eindruck wird bestätigt, wenn man sieht, wie in den Händen der Marketing-Experten und Unternehmensberater Digitalisierung, Individualisierung, Glück und Mobilität mit Markt und Marken amalgamiert werden. So beschreibt das von dem Unternehmensberater Matthias Horx

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gegründete ›Zukunftsinstitut‹ die Individualisierung als einen untrennbar mit Digitalisierung und Migration verbundenen ›Megatrend‹: Die Digitalisierung erschließe dem kreativen Individuum als Produzenten von Büchern, Blogs usw. neue Märkte; individualisierte, vermeintlich auf individuelle Bedürfnisse zugeschnittene Produkte können zudem teurer verkauft werden: »Egal, in welche Branche man blickt: Individualität wird mit einem hohen Wert eingepreist.« Als Beispiel dienen die Nespresso-Kapseln, mit denen Kaffee zu einem drastisch überhöhten Preis unter die Leute gebracht werden kann. Auch Mobilität ist in dieser Vision, wie bei Eichendorffs Taugenichts, vorrangig durch die Suche nach Glück motiviert, nicht durch materielle Not oder politische Verfolgung: »Weltweit sind immer mehr Menschen [...] als Migranten unterwegs, um jenseits ihres bekannten Horizonts das persönliche Glück und ihre Verwirklichung zu finden.« Dank Smartphone trägt jedes Individuum aber seine eigene virtuelle Umwelt immer bei sich; jeder ist stets von seiner eigenen »Datenwolke umgeben«, die tatsächlich als »Me-Cloud« bezeichnet wird,39 als handle es sich um eine Art Ausdünstung des Ich. Das macht begreiflich, dass manche Menschen ihr Smartphone als Heimat begreifen, da es sie mindestens ebenso von der Umwelt abschirmt wie es sie mit ihr verbindet. In einer Werbekampagne der amerikanischen Software-Firma Adobe zur Vermarktung von Stockfotografien firmiert der kosmopolitische, multilokale Digitalnomade konsequent als perfekter Werbeträger. Die Adobe-Kampagne verbindet Technologie und Tourismus, Migration und Markt mit dem Bild einer global verflochtenen Welt, in der die Adressaten dieser Werbung zu Hause sind: »Moderne Technologie, Reiselust und Migration lassen die Welt enger zusammenrücken [...]. Während wir laufend kulturelle und geografische Grenzen überwinden, entwickeln immer mehr von uns eine komplexe globale Identität mit einem tieferen Bewusstsein für andere Kulturen.«40 In der Bildergalerie findet man dann etwa eine Fotoserie, auf der eine junge, attraktive Afrikanerin vor einer chinesischen Pagode steht und sich mithilfe ihres Laptop-Computers auf Yoga-Übungen vorbereitet, wie der Text erläutert. Diese heitere, bunte, hybride Welt ist bevölkert mit jungen, attraktiven, geschmackvoll gekleideten, kreativen und hedonistischen Menschen verschiedener

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Hautfarben. Sie fotografieren, schreiben, tanzen, betrachten Landschaften oder einladend gedeckte Tische vor touristischen Kulissen mit Straßenszenen aus Metropolen verschiedener Kontinente, atemberaubenden Landschaften oder farbenprächtigen Räumen und Gebäuden. In dieser schönen, neuen, farbenfrohen und kreativen Welt des Multilokalismus ist die hybride und bunte Biografie Produkt, Marke und Marketinginstrument in einem, wie das Beispiel der Schriftstellerin und Fotografin Taiye Selasi verdeutlichen mag, die hier als Galionsfigur firmiert. Auch für die Erfinderin des Begriffs ›Afropolitismus‹ ist Heimat ein Gefühl, das nichts mit Herkunft zu tun hat, sondern einzig damit, »wo einem Rituale, Beziehungen und Umstände das Gefühl geben, zu Hause zu sein«: Die persönliche Identität ist allein durch Erfahrungen definiert, ›Heimat‹ sind dann Metropolen der Welt wie »Accra, Berlin, Rom, New York und Neu-Delhi.«41 Symptomatisch für dieses neue, multilokale Heimatgefühl einer globalen, kosmopolitischen Schicht kreativer Individualisten, für die kulturelle, soziale und nationale Identität deutlich weniger relevant sind als der Lebensstil, ist das Buch Zuhause des Berliner Autors Daniel Schreiber. Nach einer Kindheit und Jugend in einem Mecklenburger Dorf, das der Autor nicht zuletzt aufgrund seiner Homosexualität als einengende und begrenzende Heimat erlebte, sowie längeren Aufenthalten in London und New York identifiziert sich der Autor mit Exilanten, vor allem mit jenen, »die nach der Überwindung historischer Katastrophen, die sie an einen Ort gezwungen hatten, frei entscheiden konnten, wo sie leben wollten«.42 Hier klingt ein Echo der Spießer-Diskussion der 1960er-Jahre an, die kleinbürgerliche Enge und Nationalsozialismus miteinander verband und in der das Wort ›Heimat‹ »übelste Assoziationen an den Natio­ nalsozialismus oder zumindest an beklemmend enge Kleinfamilien ­auslöste«,43 aber auch die Gedanken Flussers. Aus dieser impliziten Verbindung erklärt sich die pathetische Beschwörung der Freiheit und die begeisterte Aussage, dass »unser Zuhause und unsere Wurzeln für unsere Biografie kaum eine Rolle spielen – solange man nur an einem Ort leben könne, an dem man frei sei.« Der Ort, an dem dies gelingt, ist der Berliner Bezirk Neukölln, da dieser, wie Schreiber meint, »schon immer der am wenigsten ›deutsche‹ Bezirk Berlins gewesen« sei, zumal sein

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»Sprachengewirr« »dem alltäglichen Leben eine andere Farbe« verleiht. Die sprachliche Vielfalt bleibt jedoch bloßes atmosphärisches Rauschen, das zur Romantisierung des Alltags beiträgt: Von Kommunikation in fremden Sprachen ist nicht die Rede, zu Missverständnissen oder Fremdheitsgefühlen kommt es gar nicht erst. Kulturelle Vielfalt ist vor allem in der Form genussvoll konsumierbarer kulinarischer Angebote präsent, als eine Art exotistischer Wohlfühlfaktor: »inzwischen findet man hier die besten Hamburger-, Ramen- und Baklava-Läden Berlins, japanische Cafés und koreanische Imbissbuden.«44 Die aktive Auseinandersetzung mit der Welt beschränkt sich jedoch auf die Gestaltung der privaten Wohnung, die der Autor, wie er detailreich erzählt, mit taubengrauen Rollos und einem schlichten Seegrasbodenbelag ausstattet. Man kann sich des Verdachts nicht erwehren, dass es hier weniger um ein »tieferes Bewusstsein für andere Kulturen« geht, wie die Adobe-Marketing-Abteilung großspurig textete, sondern eher um eine ästhetische Lebenspraxis. In gewisser Weise und für bestimmte Personenkreise sind die Visionen Herbert Marcuses und die romantische Sehnsucht Realität geworden: Die Angehörigen der »kreativen Klasse« (Richard Florida) bilden die zeitgemäße Variante der von Achim von Arnim beschworenen »ewigen Völkerwanderung ohne Grenzverrückung«. Sie haben ein Reich der Freiheit jenseits der Notwendigkeit erobert, in dem Konsumgüter wie von unsichtbarer Hand verfügbar sind. Allerdings sind ihre Wünsche und Bedürfnisse vielleicht weniger individuell, als man es sich vorgestellt hatte. Der Soziologin Cornelia Koppetsch zufolge wird der Lebensstil dieser urbanen akademischen Mittelklasse zwar – zumindest rhetorisch – vom »Gebot der Vielfalt« bestimmt, ist paradoxerweise aber zumindest in den westlichen Metropolen »nahezu vollständig homogen«:45 Lebensgefühl und Konsumangebote in Schreibers Neukölln unterscheiden sich vermutlich nicht sehr stark von Shoreditch oder Williamsburg, den gentrifizierten Hipster-Bezirken in London und New York. Der Blick aus dieser Perspektive dringt kaum unter die hübsche, bunte Oberfläche, interessiert sich nicht dafür, was für Verwerfungen und Schicksale sich unter ihr verbergen, für die steigenden Mieten oder den Zustand der Schul­ gebäude. Die Kehrseite wird in Tatsachenberichten beschrieben, wie etwa in einem Buch des Journalisten Ben Judah,46 das sich mit den pro­

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blematischen Folgen von Armuts- und Arbeitsmigration, mit Gentrifizierung, Verdrängung, Konkurrenz, Kriminalität und Ausbeutung in London beschäftigt. So wird ein neuer Klassenkonflikt sichtbar: Die neuen Kosmopoliten sehen sich als Vertreter einer überlegenen, richtungsweisenden Lebensform, die als fortschrittlicher und attraktiver gilt als traditionellere, orts- und heimatverbundene Lebensweisen. Diese Hierarchisierung manifestiert sich nicht nur in kulturellem Kapital, in Gestus, Habitus und Haltung, sondern hat auch handfeste Folgen: Die Kulturund Lifestylekosmopoliten verbreiten ihren Lebensstil in den Metropolen der Welt und beanspruchen dafür auch konkrete Räume, die dadurch für andere Schichten weniger anheimelnd und überdies allmählich unerschwinglich werden. Die Stadtzentren werden durch diese Akteure zu »privilegierten Erlebnisräumen für Kultur- und Life-Style-Konsum, Freizeit und Tourismus«.47 Denn dies ist die zweite Ironie: Die Bedürfnisse der neuen Kosmopoliten zeigen sich zumindest auf der Oberfläche vor allem als marktkonforme Konsumvorlieben. Der moderne Digitalnomade hat aus den 1960er-Jahren zwar die Kritik an der Arbeitswelt und die Forderung nach Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung übernommen. Der Kritik an der Wegwerf- und Konsumgesellschaft allerdings hat er sich ebenso stillschweigend entledigt wie des Appells zur Selbstbegrenzung, wie er sich etwa bei Ivan Illich fand. Mehr noch: Mit den Forderungen nach grenzenloser individueller Freiheit, die sich auch als Forderung nach hemmungsloser Befriedigung materieller Bedürfnisse manifestieren, sind die Akteure der Antiestablishment-Bewegung der 1960er-Jahre letzten Endes zu »Erfüllungsgehilfen der modernen Marktgesellschaft« und zur »Avantgarde des Kapitalismus«48 geworden. Die neuen Eliten agieren gleich auf mehreren Ebenen gegen Heimat: Sie alle versuchen aus unterschiedlichen Gründen, die eigene Heimat zu überwinden, sie reden und schreiben in ihren Büchern, Blogs und Vorträgen gegen das Prinzip der Zugehörigkeit und Heimat an, und in ihrer Rolle bei Prozessen der Gentrifizierung und Verdrängung wirken sie, wie indirekt und unbeabsichtigt auch immer, ganz konkret am Heimatverlust derjenigen mit, denen sie sich ohnehin überlegen fühlen. Der niederländische Migrationsforscher Maurice Crul wies in einem Interview in der FAZ auf diesen Verlust hin:

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Die urbanen Zentren mit ihrer hybriden Kultur werden zu einer Art Benutzeroberfläche für die Digitalnomaden, Expats und Touristen. Damit weisen diese modernen Kosmopoliten zwar noch die grundsätzliche Haltung der »Offenheit gegenüber verschiedenen kulturellen Erfahrungen« auf, die auch den ›klassischen‹ Kosmopolitismus auszeichnete; doch immer weniger müssen sie selbst über die kulturelle Kompetenz verfügen, »mittels der eigenen Sinnesorgane eine Orientierung in der fremden Kultur zu finden« und »das kulturspezifische Bedeutungssystem«50 zu handhaben. Das hat, zynisch gesprochen, auch Vorteile, denn je stärker der digitalnomadische, hypermobile Lebensstil überdreht, desto weniger Zeit bleibt für die einzelnen Orte und deren Kultur, wie man ausgerechnet auf der Internetseite des Goethe-Instituts erfährt, auf der im Sommer 2018 drei junge »leidenschaftliche Vagabunden« vorgestellt wurden, die schon 50, 30 und 24 Länder »gesehen« haben, nachdem sie herausgefunden hatten, »dass das Netz Möglichkeiten bietet, von jedem Punkt dieser Welt aus Geld zu verdienen.« Der Text nennt zwar einige dieser Länder und behauptet, das Leben eines Digitalnomaden bewirke »ein Gefühl des Inder-Welt-Seins«, erweitere den Horizont, mache einen toleranter. Wenn ganz am Rande auch auf »das Problem mit der Sprache« hingewiesen wird, stellt sich allerdings die Frage, was es bedeutet, »Kulturen kennen zu lernen«: Wenn man die Sprache nicht beherrscht, der Aufenthalt nur wenige Wochen dauert und jeder ohnehin in seiner ›Me-Cloud‹ lebt, muss der Kontakt mit den Kulturen zwangsläufig oberflächlich bleiben. Da ist es nur konsequent, wenn in dem Bericht nur von den drei jungen Leuten und ihren Projekten (›irgendwas mit Reisen‹) die Rede ist, die Länder aber praktisch nicht vorkommen. Auf die Spitze getrieben, geht

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es beim Dasein des Digitalnomaden nur noch um einen »Enthusiasmus für das Unterwegssein«.51 Damit nähern sich die Hypermobilen paradoxerweise einem Zustand an, der sich mit Paul Virilio als »rasender Stillstand« bezeichnen ließe. Allerdings lässt sich dieser Zustand auch als Pathologie begreifen: Die britische Geografin und Stadtplanerin Clare Cooper Marcus prägte für das zwanghafte Unterwegssein die Bezeichnung »Domophobie«,52 die panische Angst davor, an einem Ort bleiben zu müssen. Eindringliche Bilder für diesen Zustand und seine Überwindung findet der Weltraumthriller Gravity (Schwerkraft) von Alfonso Cuarón, in dem Sandra Bullock eine Wissenschaftlerin und Astronautin spielt, der durch den Tod ihrer kleinen Tochter der Boden unter den Füßen weggerissen wurde. Sie erzählt ihrem Kollegen, dass sie, wäre sie auf der Erde, nur ziellos umherfahren würde: Der Aufenthalt im All erscheint so als Flucht vor dem Leid durch den Verlust der geliebten Tochter. Nach einem Unfall treibt sie so haltlos durchs All wie anscheinend zuvor durch ihr Leben, doch sie entdeckt ihre Bindung an die Erde wieder. So gelingt ihr die Heimkehr: Das letzte Bild des Films zeigt, wie sie nach der Wasserung ihrer Raumkapsel an Land kriecht und ihre Hand ins Erdreich gräbt, um die physische Verbindung mit ›Mutter Erde‹ wiederherzustellen.

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›Global denken, lokal handeln?‹

Welt und Erde als Heimat: ›Global denken, lokal handeln?‹ Was wir gerade eben noch Heimat nennen können, ist nämlich nicht allein in seinem Namen, es ist bereits in der Substanz ­bedroht – ganz egal, ob uns der Mutterboden unter dem Hintern wegspekuliert wird oder die liebe Atemluft vor der Nase ent­ eignet, und ohne dass man uns aus dem Land jagte, sind wir doch alle in gewisser Weise Heimatvertriebene auf Abruf. Ein kleines Weilchen noch an industriellem Vormarsch, und die Heimat hat sich wie von selbst verflüchtigt. (Peter Rühmkorf: Heimat – ein Wort mit Tradition Oder Vom Angriff auf unsere Lebenszusammenhänge)

Digitalnomaden wollen die ganze Welt als Heimat erleben und sich mit der ganzen Welt verbunden fühlen, ganz wie in Schillers »Ode an die Freude«: »Seid umschlungen Millionen/Diesen Kuß der ganzen Welt!« Das lässt sich als Utopie des Weltfriedens lesen, aber auch als anmaßende Wunschvorstellung, als Fantasie völliger Entgrenzung eines Individuums, das sich über die gesamte Welt verströmen oder sich die ganze Welt einverleiben will. Die Welt erscheint in dieser Fantasie als klein und verfügbar, das Individuum als gewaltig und nahezu omnipotent. Eine solche Verbundenheit mit der gesamten Welt ist nur als ideelle denkbar; deshalb ist in diesem Kontext meist von der allgemeinen, abstrakten ›Welt‹ die Rede, nicht von der ›Erde‹, denn ›Erde‹ bezeichnet etwas Konkretes, Materielles, Körperliches. Die Erde ist nicht nur der Planet, der ›Weltkörper‹, sondern auch der Grund und Boden, »auf welchem die menschen wohnen, welchen sie treten, in den sie zuletzt aufgenommen werden«, wie es in Grimms Wörterbuch heißt, und nicht zuletzt der Ackerboden. Um die ganze Welt als Heimat erleben zu können, ja, um die Welt als Ganzes überhaupt denken zu können, muss man wohl abheben und sich von der Erde und vom Boden entfernen. Alice Mertons Hit des Sommers 2017 »No Roots« brachte das auf den Punkt: »I’ve got no roots, but my home was never on the ground« (»Ich habe keine Wurzeln, aber meine

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Heimat war nie auf dem Boden«). Moderne Kosmopoliten sind deshalb auch schon ironisch als die »›frequent flyers‹ unserer Gesellschaften«1 bezeichnet worden. Daher passt eigentlich die Bezeichnung ›Nomaden‹ überhaupt nicht: Klassische Nomaden sind meist Hirten, deren oft zyklische Wanderungen in der Regel innerhalb eines bestimmten Territoriums und in festen Gruppen stattfinden, wobei es zuweilen zu Konflikten und Kämpfen zwischen Nomaden und sesshaften Bauern kommt.2 Pastoraler Nomadismus wurde und wird vor allem in Steppen und Wüsten praktiziert, in denen dauerhafte Bewirtschaftung und Ackerbau nicht möglich sind. Traditioneller Nomadismus wie auch die Lebensweise der Jäger und Sammler sind in hohem Maße an Gegebenheiten und Bedingungen der Erde angepasst, bedürfen der Erfahrung und Vertrautheit mit der natürlichen Umwelt und des Zusammenhalts innerhalb der Gruppe. Letzten Endes zielt diese nomadische Lebensweise auf Selbstversorgung und auf Unabhängigkeit von sesshaften Gemeinschaften, basiert aber bei aller Mobilität auf der Bindung an ein bestimmtes Territorium. Bei den neuen Nomaden kommt einem eher in den Sinn, dass das Wort ›Nomade‹ sich als Anagramm der ›Monade‹ lesen lässt: Ihre Auffassung individueller Freiheit hätte Karl Marx wohl als die zutiefst bürgerliche Freiheit »als isolierte[r] auf sich zurückgezogener Monade« betrachtet, die »nicht auf der Verbindung des Menschen mit dem Menschen, sondern vielmehr auf der Absonderung« basiert.3 Digitalnomaden sind überdies als Angehörige der kreativen Berufe der Anstrengung monotoner Erwerbstätigkeit und körperlichen Arbeit entronnen. Sie haben sich in jeder Hinsicht von Erde und Boden entfernt: durch ihre urbane Lebensweise und aufgrund ihrer zahlreichen Flugreisen. Dann und wann wird ihre Heimatlosigkeit als Problem benannt: Ein Buch der Pädagogin Cornelia Muth trägt den Titel Hilfe, ich bin mobil und heimatlos! Zur Hauslosigkeit postmoderner Menschen , der britische Guardian konstatierte 2018 gar, in einer Welt der Digitalnomaden würden alle heimatlos.4 Ausgeblendet wird aber meist das Paradoxon der Digitalnomaden: Sie sehen sich zwar als autonom, als unabhängig von Heimat, Familie, Gemeinschaft, sozialer und kultureller Bindung, sind dabei aber vollkommen abhängig von materiellen und immateriellen Ressourcen, die von

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sesshaften Gesellschaften bereitgestellt werden: von dem Markt, auf dem sie ihre Talente anbieten können, über Infrastruktur, Energie und Nahrung bis hin zur Medientechnik. Ohne gigantische Speicherkapazitäten für die ›Clouds‹, ohne aufbereitetes und digital verfügbares Wissen in Gestalt von Google Maps, Google Translator und anderen Apps wäre ein Leben als Digitalnomade nicht zu bewältigen, da ein Einzelner niemals dazu in der Lage wäre, sich selbst fundierte Kenntnisse über die geografischen, klimatischen und soziokulturellen Bedingungen und Gegebenheiten dutzender verschiedener Länder und die nötigen kulturellen Kompetenzen anzueignen. Ganz anders also als klassische Nomaden, die über umfassendes Erfahrungswissen über ihren meist überschaubaren, ohne technische Hilfsmittel zu durchmessenden Lebensraum verfügen, besitzt der moderne Kosmopolit nur begrenzte praktische Fähigkeiten. Er ist in erster Linie Nutzer von Medien, Verbraucher von Ressourcen und Konsument von Gütern und Produkten, von denen er kaum weiß, woher sie kommen oder wie sie erzeugt wurden. Nicht zuletzt deshalb zieht es diese neuen Nomaden in die Metropolen der Welt, deren Infrastruktur und Dienstleistungen zunehmend auf diese Klientel ausgerichtet sind. Aus psychologischer Sicht lassen sich Digitalnomaden als Repräsentanten des »Ich-orientierten Charakters« betrachten: Werden sie doch »von einem starken Verlangen angetrieben […], sich frei von allen Vorgaben und Maßgaben selbst bestimmen zu wollen«, und reagieren empfindlich auf alles, »was sie begrenzen könnte oder wo andere ihnen eine Grenze zumuten«. Bezeichnenderweise ist dieser Charaktertypus anscheinend vor allem bei »journalistisch Tätigen, in der IT- und Medien-Branche und in der Unterhaltungsindustrie« verbreitet, also in Berufen, die »mit der digitalen und medialen Gestaltung von Wirklichkeit befasst sind.«5 Ein kleines, alltägliches Symbol für die neue Verbindung von Mobilität, Entgrenzung und Konsum ist der ›Coffee to go‹, der längst auch in den Alltag sesshafter Menschen eingezogen ist. Die Zeit erkannte bereits 2009: »Das Coffee-to-go-Prinzip bedeutet: Alles ist mit allem vereinbar, alles kann überall geschehen. […] Grenzen sind dazu da, überwunden zu werden – geografische Grenzen (Billigflieger), persönliche Grenzen (Facebook), die Grenzen zwischen Freizeit und Arbeit (E-Mail).«6 Doch der

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›Coffee to go‹ ist nicht nur Symbol der Entgrenzung, sondern auch ihrer Folgen: Allein in Deutschland werden jedes Jahr drei Milliarden der kunststoffbeschichteten Pappbecher verbraucht, die unmittelbar nach dem Kaffeegenuss zu Abfall werden. Überhaupt ist Hypermobilität ressourcenintensiv; die Umwelt wird durch Produktion und Entsorgung der zahllosen Smartphones, Tablet- und Laptopcomputer mit ihren extrem kurzen Produktlebenszyklen, aber auch durch den stetig wachsenden Flugverkehr belastet: Von 1970 bis 2011 hat sich weltweit die Zahl der Passagierkilometer von 460.000 Millionen auf 5.000.000 Millionen mehr als verzehnfacht, wobei seit 2000 eine Steigerung um 53 Prozent zu verzeichnen ist.7 Den Träumen von einer Welt ohne Grenzen, in der die potenziell grenzenlosen Wünsche aller Menschen erfüllt werden, steht die Einsicht gegenüber, dass Rohstoffe, fruchtbarer Boden, Nahrungsmittel und überhaupt bewohnbare Gebiete auf der Erde begrenzt sind. Doch selbst gesetzt den Fall, die Mobilitäts- und Konsumbedürfnisse aller Menschen ließen sich erfüllen: Wie würde die Welt dann aussehen? Würden Infrastruktur, Güter, Geräte und Dienstleistungen von Robotern und Computern bereitgestellt, etwa wie in Herbert Marcuses Vision einer gänzlich automatisierten Produktion? In der Version dieser Welt als Wunschtraum bliebe den Menschen jede mühsame, gar körperliche Interaktion mit Erde und Materie in Form von Arbeit und Produktion erspart, sie könnten sich darauf beschränken, die Welt touristisch und medial zu konsumieren, würden sich dabei aber immer weiter von der Erde entfernen. Dann wäre vor allem die Technik Welt, Umwelt und Heimat für den Menschen. Die Literatur zeigt spielerisch Visionen einer solchen Welt, allerdings eher als Dystopie. Eugen Ruge schilderte in seiner Satire Follower (2016) eine durchkommerzialisierte, digitalisierte und globalisierte Welt, in der den Menschen aufgrund ihrer technischen Prothesen der Orts- und Realitätssinn nahezu abhanden gekommen ist. Schon 1909 entwarf der britische Romancier E. M. Forster in der Novelle The Machine Stops, die der Internet-Vordenker Jaron Lanier gelegentlich als klarsichtige Voraussage des Internets heranzieht, eine düstere Zukunftsvision: Die Erdoberfläche ist nach nicht näher beschriebenen Umweltkatastrophen oder durch schiere Übernutzung unbewohnbar geworden und besteht nur noch aus

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»Schmutz und Asche«; falls es die Menschen doch einmal dorthin verschlägt, benötigen sie eine Atemmaske. Sie leben isoliert in unterirdischen Zellen; eine gigantische Maschine stellt Licht, Luft, Kleidung, warmes Wasser und Nahrung, aber auch Musik, Literatur und Bilder und sogar medizinische Versorgung bereit. Kontakt mit anderen Menschen findet in der Regel über Kommunikationsmedien statt; Körperkraft wie physische Ausstattung der Menschen sind entsprechend verkümmert, räumliche Konzepte wie ›nah‹ und ›fern‹ obsolet. Es ist zwar möglich, aber sinnlos, Reisen zu unternehmen: »In jenen Tagen reiste man nur selten, denn aufgrund des Fortschritts sah die Erde überall gleich aus. Was hatte sich die Vorgängerkultur vom Schnellverkehr nicht alles erhofft – inzwischen war er überholt. Wozu nach Peking fliegen, wenn Peking nicht anders war als Shrewsbury? Wozu nach Shrewsbury zurückkehren, wenn Shrewsbury nicht anders war als Peking?« Wer ohne Genehmigung die Erdoberfläche betritt, wird gänzlich dorthin verbannt und damit zum Tod verurteilt, eine Strafe, die als »Heimatlosigkeit« bezeichnet wird, denn da es keine Natur, keine Familie, keine Gemeinschaft und auch keine identifizierbaren Orte mehr gibt, bietet einzig die Maschine eine Schwundstufe von Heimat, eine ortlose Komfortzone ohne Arbeit und Mühe für eine dekadente Spezies.8 Das wird den Menschen zum Verhängnis: Sie verenden elendig, als die Maschine schließlich zum Stillstand kommt. In Forsters »Vorgängerkultur« mit ihren großen Erwartungen an Technik und Verkehr erkennen wir nicht nur die fortschrittsgläubige Welt um 1900 wieder, sondern auch unsere Gegenwart. Die Digitalnomaden sind ja nur vorläufiger Kulminationspunkt einer Entwicklung zu einer global verflochtenen, mobilen Welt. Schon lange bevor von der Globalisierung die Rede war, fand sich im Manifest der Kommunistischen Partei die Beschreibung einer ›One World‹ als einheitlicher globaler Markt. Kapitalismus und Zivilisation würden, so das Manifest, nicht nur den europäischen Feudalismus, sondern die alten Kulturen der ganzen Erde hinwegfegen: »Die Bourgeoisie reißt durch die rasche Verbesserung aller Produktionsinstrumente, durch die unendlich erleichterte Kommunikation alle, auch die barbarischsten Nationen in die Zivilisation. Die wohlfeilen Preise ihrer Waren sind die schwere Artillerie, mit der sie alle chi-

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nesischen Mauern in den Grund schießt, mit der sie den hartnäckigsten Fremdenhaß der Barbaren zur Kapitulation zwingt.«9 Das sollte allerdings nicht als Globalisierungskritik missverstanden werden: Marx wollte den Prozess der Globalisierung »im Lichte seiner Dialektik«10 verstehen und war überzeugt, dass die Bourgeoisie schließlich an der von ihr selbst in Gang gesetzten Bewegung zugrunde gehen werde. War der globale Kapitalismus bei Marx und Engels untrennbar mit Aggression und Zerstörung verbunden, erschien die Lehre vom freien Welthandel in liberalen Visionen der ›Einen Welt‹ seit dem 19. Jahrhundert als Rezept für Weltfrieden und globale Harmonie: »Welthandel und Weltfrieden« verschmolzen in der »Idee einer harmonisch-ökonomischen Weltordnung«.11 In der Realität freilich verlaufen die Prozesse der Globalisierung mit dem Ziel einer Weltfriedensordnung, die Francis Fuku­yama 1992 in Das Ende der Geschichte irrtümlicherweise bereits als so gut wie erreicht sah, weder so friedvoll, linear und unaufhaltsam fortschreitend, wie es sich die Liberalen dachten, noch so radikal progressiv, wie Engels und Marx es sich vorstellten, sondern eher in Pendelbewegungen: »Die Ausdehnung von Zivilisationen produziert Gegenreaktionen, Großraumbildung provoziert Regionalisierung, elitäre Differenzierung reaktive Populismen«.12 Die Wucht der Pendelschläge verlieh jedoch ebenfalls den Rückschlägen Schwung, etwa in den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts, die unter anderem auch eine Folge des massiven Globalisierungsschubs am Ende des 19. Jahrhunderts waren. Auf die Weltkriege folgte wiederum eine »Hochzeit von universalistischen Vorstellungen der Globalität«,13 befeuert noch dadurch, dass ein Weltbild, das von womöglich genetisch bedingten Unterschieden zwischen Völkern ausging, durch die NS-Rassenideologie und ihre mörderischen Konsequenzen vollkommen diskreditiert war. Diese Entwicklung deutete sich in dem bereits 1943 veröffentlichten, nahezu weltweit verbreiteten und millionenfach verkauften Buch Unteilbare Welt (One World) des unterlegenen republikanischen US-Präsidentschaftskandidaten Wendell Willkie an, das er verfasste, nachdem eine Flugreise um die Welt ihn tief beeindruckt hatte. Auf dieser Basis entwarf er die Vision einer Art Weltheimat, in der alle Menschen sich auch weit entfernten Weltbürgern verbunden fühlen sollten. Die zivile Luftfahrt sollte diese

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Einheit vorantreiben, ungeachtet dessen, dass Flugzeuge sich als effiziente Kriegsmaschinen erwiesen hatten und dass die Luftfahrt gerade der USA durch den Krieg zu einem relevanten Wirtschaftsfaktor geworden war.14 Nichtsdestoweniger wurde die Flugreise zum entscheidenden Vehikel für die Idee der ›Unteilbaren Welt‹, weil nur aus der Vogelperspektive der Eindruck entstehen konnte, Staaten und Kontinente der Welt bildeten eine Einheit. Aus den durch die Flugtechnik zusammengeschrumpften Entfernungen ergab sich nicht nur für Willkie, dass die Menschen von nun an genauso viel Interesse für die Belange von räumlich weiter entfernten Weltbürgern aufbringen müssten wie etwa die New Yorker für die Probleme der Kalifornier.15 Möglichst viele Menschen sollten nun selbst Flugreisen unternehmen, um diese Erfahrung zu verinnerlichen. Entsprechend suchten nach dem Krieg vor allem amerikanische Fluglinien der Bevölkerung mit Kampagnen das Fliegen schmackhaft zu machen. Auch aufgrund der Preisentwicklung bei Flugreisen ist seither die Zahl der Flugpassagiere stets weiter angewachsen, ein Rückgang nach wie vor nicht in Sicht: Prognosen sagen gar bis 2036 eine Verdoppelung der Flugreisen voraus. Aus der Ferne wirkt die Welt als überschaubare Einheit. Kein Wunder also, dass die Idee der ›Einen Welt‹ durch die Raumfahrt weiteren Auftrieb erhielt, insbesondere durch die NASA-Fotografien des ganzen Planeten, die 1968 bzw. 1972 auf den Raumflügen der Apollo 8 und der Apollo 17 entstanden: Auf dem Foto, das unter dem Titel »Earthrise« bekannt wurde, sah man die Erde über dem Mondhorizont aufgehen, auf dem als »Blue Marble« bekannten Bild konnte man den afrikanischen Kontinent und die eisbedeckte Antarktis erkennen. Diese Fotos waren Ausdruck avancierter Modernität und der »Erhabenheit der menschlichen Gestaltungskraft«16 sowie der Fähigkeit des Menschen, auch vermeintlich unüberwindliche Grenzen zu durchstoßen. Doch sie waren auch Zeichen amerikanischer Dominanz im ›Wettlauf ins All‹, dem ›Space Race‹, das sich USA und UdSSR während des Kalten Krieges lieferten. Sie zeigten eine übermenschliche, kosmische, nur mithilfe elaboriertester technischer Ausrüstung überhaupt erreichbare Perspektive auf die Welt, aus der nun allerdings nicht nur die Staatsgrenzen, sondern auch die Lebewesen mitsamt ihren Spuren unsichtbar waren: Diese

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›blaue Murmel‹ war zwar überirdisch schön, wirkte aber nahezu leblos. Zugleich zeigten die Fotos, dass dieser kleine blaue Planet einsam im schwarzen Raum schwebte. Kurz: Die Erde auf den Apollo-Fotos erschien zwar als klein und zerbrechlich, aber auch als verfügbar, beherrschbar, überschaubar, leer und abstrakt. Der durch Technik ermöglichten räumlichen Entgrenzung, die in den amerikanischen Erfolgen im ›Space Race‹ kulminierte, stand die bedrückende, im Lauf der 1960er-Jahre herangereifte Einsicht gegenüber, dass der Planet Erde durch eine Fülle an Umweltbelastungen gefährdet war: Zu den aufsehenerregenden Umweltkatastrophen der 1960er-Jahre, die mit zur Entstehung des modernen Umweltbewusstseins beitrugen, gehörten etwa der verheerende Einsatz des Entlaubungsmittels Agent Orange in Vietnam, die Vergiftung von Flüssen, Seen und Meeren durch Industrieabwässer, Tankerhavarien oder Unfälle auf Bohrinseln, Luftverschmutzung in den Städten, ein Super-GAU in einem Versuchsreaktor in Detroit, Quecksilbervergiftungen in der Nähe einer japanischen Chemiefabrik oder Überflutungen aufgrund der Abholzung von Wäldern am Himalaya.17 Kritiker erkannten, dass man diese Probleme nicht lösen würde, indem man Raumschiffe ins Weltall schickte. So konstatierte der britische Umweltschützer Max Nicholson: »Der Stolz, den Mond erreicht zu haben, ist zerronnen gegenüber der Einsicht, dass wir unseren eigenen heimatlichen Planeten in einen Slum verwandelten.«18 Der Beginn des ›Wassermannzeitalters‹, des ›Age of Aquarius‹, trug ein Janusgesicht: Auf der einen Seite standen Allmachts- und Weltherrschaftsfantasien und die Zuversicht, alle Probleme mithilfe von Technik und Wissenschaft lösen zu können, auf der anderen Seite Entsetzen und Schuldgefühle angesichts der zerstörerischen Folgen von Technik und Naturbeherrschung sowie die Forderung nach größerer Demut gegenüber ›Mutter Erde‹. Die USA waren nicht nur das westliche Zentrum der Raumfahrttechnik, aus den USA kam auch »der stärkste Impuls der neuen Umweltbewegung«, einerseits wegen der protestierfreudigen amerikanischen Zivilgesellschaft, andererseits weil »die Rücksichtslosigkeit im Umgang mit den natürlichen Ressourcen dort von alters her besonders krass war.«19 Allerdings ist es irreführend, von der Umweltbewegung im Singular zu

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sprechen, denn das Interesse für die Gewässer, Böden, Luft, Landschaften, Pflanzen und Tiere des heimatlichen Planeten war sowohl in den USA als auch im Rest der Welt alles andere als einheitlich motiviert. Für das neue Umweltbewusstsein war zwar, wie schon in der Heimatschutzbewegung, bürgerschaftliches Engagement gegen ganz konkrete Industrieanlagen oder Infrastrukturprojekte, gegen die Abholzung von Wäldern, die Zerstörung von Flussauen oder Luft- und Wasserverschmutzung zentral. Doch anders als um 1900 gehörten nun auch Wissenschaftler, Techniker und Politiker zu den Akteuren, und deren Perspektiven, Interessen und Kommunikationsformen unterschieden sich deutlich von denen der protestierenden Bürger. Nebeneinander standen auf der einen Seite naturwissenschaftliche und politische Ökologie, auf der anderen Seite traditioneller, konservativer Natur- und Heimatschutz sowie die fundamentalistische, spirituelle Tiefenökologie. Diese ganz unterschiedlichen Richtungen wirkten in der Anfangszeit der Umweltbewegung jedoch noch weitgehend zusammen, so etwa bei dem Engagement gegen Pestizide und gegen die Atomkraft in den 1960er- und 1970er-Jahren: Man erinnere sich an die Proteste gegen das Atomkraftwerk Wyhl. Die Argumente der Wissenschaftler, die sich grundsätzlich gegen die Nutzung der Kernenergie aussprachen, unterstützten die Bürger, die sich vor Ort gegen den Bau des Atomkraftwerks wehrten. Doch man kann sagen, dass der Riss zwischen den zwei Kulturen, der um 1900 ganz klar zwischen Heimatschützern und Modernisierern verlaufen war, seit den 1960er-Jahren mehr und mehr die Umweltbewegung selbst durchzieht: Auch das Engagement für die Umwelt konnte und kann in Gestalt technophilen, zukunftsorientierten und optimistischen Denkens auftreten, das an der Idee der ›Einen Welt‹ festhielt; dagegen standen die ältere Denkfigur einer verlorenen und wiederherzustellenden Harmonie von Mensch und Natur und der Blick für die Besonderheiten bestimmter Landschaften oder Ökosysteme. Dass sich die Idee der ›Einen Welt‹ mit ihrer Raumfahrt-, Computerund Fortschrittseuphorie glänzend mit der individualistischen, hedonistischen, von Entgrenzungsfantasien geprägten Alternativ- und Hippie-Kultur sowie der neuen Umweltbewegung amalgamieren ließ, zeigte das opus magnum der kalifornischen Gegenkultur, Stewart Brands Whole

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Earth Catalog. Dieses Kompendium mit Produktempfehlungen und Bezugsquellen für technische Geräte und Informationsquellen und Artikeln über Computer sowie biologische Landwirtschaft erschien von 1968 bis 1972 in Kalifornien; auf den meisten Titelbildern sah man NASA-Fotografien, die den Planeten Erde oder andere Himmelskörper im Weltall zeigten. Der Katalog wollte die konsumkritische Aussteiger-, Hippie- und New-Age-Kultur mit ihrer Liebe zur Wildnis, dem Hang zu Landkommunen und dem Interesse an bewusstseinserweiternden Substanzen und Spiritualität mit Technik, Kybernetik und Computerkultur zusammenbringen, strebte eine Versöhnung von Technik und Natur sowie eine Demokratisierung des Zugangs zu technischem Wissen und Können an und gab sich zukunftsgewiss und optimistisch. Den Weg zur Versöhnung von Mensch, Natur und Technik eröffnete die Kybernetik, die Gemeinsamkeiten und Schnittstellen zwischen Maschinen, Organismen und sozialen Organisationen untersuchte; heute kennt man sie eigentlich nur noch durch das Wortelement ›cyber‹. Aus Sicht der Kybernetik wirkten Menschen und Maschinen zusammen und unterlagen denselben systemtechnischen Gesetzlichkeiten. Dieses Denken mit seiner Faszination für Maschinen und Technik hat – nicht zuletzt über die Erfindungen aus dem kalifornischen Silicon Valley – Auswirkungen bis in unsere Gegenwart hinein. Folgt man der kritischen Analyse des Kommunikationswissenschaftlers Fred Turner, trug der Whole Earth Catalog entgegen seiner erklärten Absicht sogar entscheidend dazu bei, die frühere konsum- und zivilisationskritische Gegenkultur »in genau jener Konsumgesellschaft, der sie angeblich entfliehen wollten«, umso fester zu verankern, indem er alle Geräte und »Konsumartikel als Mittel zur persönlichen Transformation« präsentierte. Turner sieht darin gar den Ursprung postmoderner Formen des Narzissmus und der Entgrenzung: »Wenn das Leben des Einzelnen das Leben auf dem Planeten widerspiegelte, war es naheliegend zu glauben, dass kleine Änderungen in den Glaubensgrundsätzen, der Kleidung oder dem Konsumverhalten den Planeten insgesamt verändern würden. Kurzum, es war einfach zu glauben, dass die privateste Umgebung des Einzelnen gleich die ganze Welt war.«20 Illustrieren lässt sich diese Erweiterung der menschlichen Fähigkeiten durch Technik und Drogen und die Verschmelzung von Ich und Welt mit einer Anekdote:

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1966 schickte Stewart Brand Ansteckplaketten mit dem Slogan »Why haven’t we seen a photograph of the whole Earth yet?« an Vertreter der NASA und der UN, an Kongressabgeordnete sowie an sowjetische Wissenschaftler und Diplomaten. Die Idee dazu kam ihm angeblich bei einem LSD-Trip, als er von einem Dach in San Francisco den Eindruck hatte, er hätte mit eigenen Augen die Erdkrümmung wahrgenommen.21 Das klingt fast, als habe die durch Drogen induzierte Halluzination Stewart Brands den entscheidenden Impuls für die NASA-Fotos gegeben. Die Mensch-Maschine-Synthese führt in dieser Vision nicht, wie in Forsters Die Maschine steht still, zu Degeneration und Verkümmerung des Menschen, sondern zu Machtzuwachs und Expansion. Das schwingt in der ersten Zeile des ersten Whole Earth Catalog im Herbst 1968 mit: »We are as gods and might as well get good at it« (»Wir sind fast wie Götter; da sollten wir unsere Sache aber auch gut machen«), die, gelinde gesagt, von enormem Selbstbewusstsein kündet. Für ein Ich, das sich in die Welt hinein ausdehnt und erweitert, ist in der Tat die ganze Welt Heimat. Der Planet wiederum wird in dieser Gedankenwelt zu einer Art steuerbarer Maschine oder gleich zum ›Raumschiff Erde‹. Da war es nur konsequent, dass Brand entschieden für eine Kolonisierung des Weltraums eintrat und dazu sogar Forschungsprojekte finanzierte.22 Trotz aller Affinitäten zur Hippie-Kultur gehört Stewart Brands Ansatz mit seinem Gestus, seiner Sprache und seiner Faszination durch Technik, Raumfahrt und Computer eindeutig in die Sphäre der technisch-naturwissenschaftlichen Kultur. Doch bei aller Bedeutung des Whole Earth Catalog: Als die ›Bibel‹ der Umweltbewegung gilt das 1962 veröffentlichte Buch Der stumme Frühling (Silent Spring) der Biologin Rachel Carson, das die dramatischen Auswirkungen von Pestiziden für Erde, Wasser, Luft, Tiere, Pflanzen und nicht zuletzt den Menschen schilderte, von der chemischen Industrie massiv angegriffen wurde und entscheidend zum Verbot von DDT in den USA beitrug. Der Erfolg des Buches verdankte sich nicht allein seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern auch der Darstellungsform: Man konnte das Buch »als literarisches wie als wissenschaftliches Opus lesen«, es war eine »Synthese von wissenschaftlicher Aufklärung und poetischer Vision«,23 schlug eine Brücke zwischen Natur­wissenschaft und Naturliebe und damit auch zwischen den zwei

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Kulturen. Am Beginn des Buches wird mit der Märchenformel »Es war einmal« nostalgisch ein idyllisches Heimatbild als harmonische Gemeinschaft von Agrarkultur, Zivilisation und Natur, menschlichen und nichtmenschlichen Lebewesen beschworen: »Es war einmal eine Stadt im Herzen Amerikas, in der alle Geschöpfe in Harmonie mit ihrer Umwelt zu leben schienen. Die Stadt lag inmitten blühender Farmen mit Kornfeldern […] und mit Obstgärten an den Hängen der Hügel, wo im Frühling Wolken weißer Blüten über die grünen Felder trieben […]. Die Gegend war geradezu berühmt wegen ihrer an Zahl und Arten so reichen Vogelwelt, und wenn in Frühling und Herbst Schwärme von Zugvögeln auf der Durchreise einfielen, kamen die Leute von weit her, um sie zu beobachten. [...] So war es gewesen, seit vor vielen Jahren die ersten Siedler ihre Häuser bauten, Brunnen gruben und Scheunen errichteten.«

Dieses verklärende Heimatbild kontrastierte Carson mit einer düsteren, an biblische Plagen erinnernden Schreckensvision, die als Warnung vor einer dystopischen Zukunft fungiert: »Dann tauchte überall in der Gegend eine seltsame schleichende Seuche auf, und unter ihrem Pesthauch begann sich alles zu verwandeln […]. Rätselhafte Krankheiten rafften die Kükenscharen dahin; Rinder und Schafe wurden siech und verendeten. Über allem lag der Schatten des Todes […], und diese Tragödie, vorerst nur ein Phantasiegebilde, könnte leicht rauhe Wirklichkeit werden«. Doch nicht nur durch die literarische Sprache, die Verklärung der Vergangenheit und den düsteren Blick in die Zukunft unterschied sich Der stumme Frühling vom Whole Earth Catalog, sondern auch durch den Fokus. Rachel Carson schrieb nicht über die Lösung von Problemen durch Technik und Maschinen, sondern über die Gefährdungen für das Leben und die Gesundheit menschlicher und nichtmenschlicher Lebewesen; im Zentrum standen nicht die Steuerungsmöglichkeiten durch optimierte Systeme der Zukunft, sondern die durch mangelhafte und kurzsichtig eingesetzte Technik verursachten Probleme selbst. Und: Sie richtete ihren Blick nicht nach oben, auf neue Lebensräume im Weltall, sondern teilnahmsvoll nach unten, ins Wasser, auf das »grüne Pflanzenkleid der Erde« und auf die dünne Schicht fruchtbaren Erdreichs mit seinen Mikroorganismen als Grundlage für das Leben aller Landlebewesen. Die Erde als Heimat für eine »Gemeinschaft von Lebewesen« sah sie durch giftige

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Chemikalien gefährdet, als fragil und schutzbedürftig. Dabei ist Carson keinesfalls wissenschaftsfeindlich; sie plädiert allerdings nicht für mehr Technik und neue Geräte, sondern für eine andere Art Wissenschaft, die nicht mit »anmaßendem Hochmut«24 agiert, der es nicht um Beherrschung der Natur geht, sondern um ihr Verständnis und eine Nachahmung ihrer Funktionsweise. Nicht von ungefähr widmet sich Carsons Darstellung ausführlich den langen, weit zurückreichenden Prozessen, in denen sich das Leben auf der Erde entwickelt hat. In der technophilen Sicht Stewart Brands geht es dagegen nicht primär um ein genaueres und besseres Verständnis des Lebens und seiner Entstehung, sondern um die Erfindung neuer Technologien und Geräte zu seiner Steuerung, nicht um eine Konzentration auf den Mikrokosmos, sondern um die Ausdehnung menschlicher Aktivitäten in den Makrokosmos. Bei aller Sorge um den Planeten und die Welt kommt der Erdboden mit seiner langen Entstehungsgeschichte dem Technophilen kaum je in den Blick. Zwar deutete sich also bereits in den 1960er-Jahren an, dass es ganz unterschiedliche und letzten Endes unvereinbare Arten gab, Umweltprobleme zu betrachten und zu lösen, doch über lange Zeit ergänzten die unterschiedlichen Perspektiven auf verschiedene Aspekte von Naturund Umweltschutz einander. Das hat sich jedoch durch die klare Priorität von Klimawandel, Klimaschutz und Klimaforschung etwa seit 1990 geändert: Der Graben zwischen den zwei Kulturen verläuft mehr und mehr mitten durch die Umwelt- und Ökologiebewegung. Der Klimawandel war von Anfang an ein Phänomen, das nur mit den Methoden einer global vernetzten ›Scientific Community‹ überhaupt beobachtet, erforscht und beschrieben werden konnte: Seine Forschungsgeschichte reicht in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zurück und steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Idee der ›One World‹: Im ›Internationalen Geophysikalischen Jahr‹ 1957–1958 wurde ein großes Forschungsprojekt mit Wissenschaftlern aus 67 Ländern angestoßen, um die Welt als zusammenhängendes physikalisches System zu untersuchen. Die Messungen des CO2-Gehalts der Luft, die Charles David Keeling im November 1957 aufnahm und aus denen die Keeling-Kurve hervorging, das Symbol des Klimawandels, gehen auf diese Kooperation zurück. Die Ära der unangefochtenen Vorrangstellung von Klima und Kli-

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maschutz vor allen anderen ökologischen Themen begann allerdings erst um 1990: In diesem Jahr, zwei Jahre nach der Gründung des Weltklimarates und zwei Jahre vor der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro, wurde der ›Earth Day‹, den es in den USA schon seit 1970 gab, zum ersten Mal weltweit begangen. Zwar suggerierte der Slogan ›Think global(ly), act local(ly)‹ – Global denken, lokal handeln – seit den 1970er-Jahren, dass lokales Engagement zum Schutz von Umwelt oder Heimat und die Idee von der ›Einen Welt‹ mitsamt ihren Umweltproblemen einander harmonisch ergänzen, doch seit 1990 gestaltet sich das Verhältnis zwischen lokalem und globalem Engagement durchaus konfliktreich. In den Worten des Umwelthistorikers Joachim Radkau: »Global denken – lokal handeln: in aller Regel kann man nicht beides zugleich, ohne in Schizophrenie zu verfallen.«25 Die Perspektiven der international oder global agierenden Wissenschaftler, Ingenieure und Politiker stehen gerade mit Blick auf den Klimawandel der lebensweltlichen Perspektive der um ihre Heimat besorgten Bürger unter Umständen zuweilen sogar diametral entgegen. Zur Entfernung von den Bürgern trägt auch das »Hegemonieprojekt der ökologischen Modernisierung«26 bei, das seit den 1980er-Jahren auf technokratische Lösungen auf der Basis kybernetischer Prinzipien setzt: Durch globale Steuerungsmechanismen, internationale Kooperation, globales Ressourcenmangement, größere Energieeffizienz und erneuerbare Energien sollen die alten Gegensätze von technologischem Fortschritt und Naturschutz, von Wirtschaftswachstum und Umweltzerstörung entkoppelt werden. Die ökologische Modernisierung eröffnete damit die Möglichkeit, am Fortschrittsoptimismus und an den ökonomischen und politischen Hoffnungen der ›Einen Welt‹ festzuhalten. Dieser eher als Elitenprojekt zu verstehende Ansatz hat aber durchaus problematische Folgen für die Demokratie, denn bei der Klärung von Sachfragen und in politischen Entscheidungsprozessen haben mehr und mehr Experten das Sagen und in der Regel das letzte Wort, wenn es zur Kollision mit den Interessen der Bürger vor Ort kommt. Zwar kann selbst das System der Naturwissenschaft letzten Endes keine eindeutigen Handlungs- und Entscheidungsgrundlagen für die Politik, die Wirtschaft oder die Gesellschaft als Ganzes liefern, wie man etwa an der Diskussion um die Rolle

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der Atomkraft im Zusammenhang mit dem Klimawandel ablesen kann. Doch angesichts des unermesslichen Komplexitätszuwachses ist es für Laien erst recht nicht möglich, die Validität naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, ökonomischer Überlegungen und daraus abgeleiteter politischer Konsequenzen wirklich einzuschätzen. Da scheint es nur konsequent, wenn in den radikalsten Visionen einer technologischen Ökomoderne der Bürger mit Natur gar nicht mehr in Berührung kommt. Auch Stewart Brand gehört zu den entschiedensten Befürwortern dieser radikalen Vision. 2015 verfasste er gemeinsam mit anderen Autoren das Ökomoderne Manifest, das ein Leben der Menschen »in Einklang mit der Natur«, das Ideal der alten Ökologiebewegung, das sich auch bei Rachel Carson findet, durch eine »radikale Entkopplung von Mensch und Natur« ersetzt. Als Strategien werden »Urbanisierung, landwirtschaftliche Intensivierung und Kernenergie« empfohlen.27 In dieser schönen neuen Welt der Ökomoderne sollen die Menschen auch räumlich strikt von Natur, Landschaft und Land getrennt werden, um die Natur zu schützen: Sie sollen in Megastädten leben, die von intensiv und mechanisch bewirtschafteten landwirtschaftlichen Flächen umgeben wären; verstreut über den Globus gäbe es zudem Wildnisreservate mit den Klonen ausgestorbener und wiedererschaffener Tier- und Pflanzenarten. Ein solches Neudesign der Welt wäre wohl nur als zentral von Ingenieuren, Wissenschaftlern und Politikern oder gleich von Künstlicher Intelligenz gesteuertes Megaprojekt denkbar, in dem für Basisdemokratie, Mitbestimmung und Bürgerinitiativen vermutlich ebenso wenig Raum bliebe wie für bäuerliche Landwirtschaft, beglückende Naturerlebnisse und Heimatverbundenheit. Naturschützer alten Stils, Naturliebhaber, Vogelfreunde und die Vertreter der literarisch-geisteswissenschaftlichen Kultur müssen sich von solchen Visionen abgestoßen fühlen. Ein Beispiel: Im April 2015 stellte der US-amerikanische Romancier Jonathan Franzen, ein großer Vogelliebhaber, in einem Zeitschriftenartikel die ketzerische Frage, »ob jeder, der die Natur schützen will, dem Klima die oberste Priorität einräumen« müsse. Er kritisierte sowohl eine Politik, die über den Kampf gegen den globalen Klimawandel Landschafts-, Gewässer-, Arten- und Vogelschutz vernachlässigt, als auch die technokratischen Problemlösungsstrategien:

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Franzen plädierte für einen Schutz dessen, »was konkret ist und verwundbar und genau vor unserer Nase«,28 man könnte sagen: Heimat. Dieser Text löste in den USA heftige Reaktionen aus: Dem Autor wurde prompt vorgeworfen, er spiele den ›Klimaleugnern‹ in die Hände. Man sieht: Um die Frage, wie angemessen auf den Klimawandel zu reagieren sei, ist ein regelrechter Kulturkrieg entbrannt. Die globale und technokratische Perspektive gilt als fortschrittlich, die lokale wie auch die ästhetisch-kulturelle Perspektive geraten leicht in den Verdacht des Nostalgischen, Konservativen, Irrationalen oder Reaktionären. In Deutschland ist die Debatte keineswegs weniger heftig als in den USA; auch hier stehen die Natur-, Landschafts- und Heimatschützer den »Öko-Technokraten« gegenüber. Die Energiewende markiert dabei einen Wendepunkt. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Entwicklung der deutschen ›Grünen‹: War die Partei zu Gründungszeiten noch eine »seltsame Verbindung des studentischen Missionars und der proletarischen Weltrevolution mit dem kniebundbehosten, heimatliebenden Naturfreund«,29 so haben die Vertreter der ökologischen Modernisierung unterdessen die Oberhand gewonnen, gewiss auch mit Blick auf pragmatisches Regierungshandeln. Darüber hinaus eignet sich der Ansatz der Ökomoderne aber auch, um Widersprüche und Konflikte zwischen Naturschutz und Wirtschaftswachstum, der Idee von der Vereinten Welt und lokalen Belangen scheinbar aufzulösen. Bedingung einer global vernetzten Welt ist, wie gesagt, die Demokratisierung der Flugreise; will man an beidem festhalten, muss man allerdings die ökologischen Folgen ausblenden. Das ist sogar dem marktliberalen FAZ-Autor Rainer Hank

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bewusst, wenn er über die niedrigen Preise für Flugreisen schreibt: »Heute ist Fliegen demokratisiert. Krethi und Plethi können es sich leisten – die ökologischen Folgen stehen auf einem anderen Blatt.«30 Erst recht weiß die stets um Klima und CO2-Emissionen besorgte Partei der Grünen um dieses Dilemma, wie nicht zuletzt die umstrittene, aber schnell vergessene, aus der Kooperation der Partei mit dem Airbus-Konzern hervorgegangene PR-Broschüre Oben – Ihr Flugbegleiter einräumt: »Mobilität bedeutet ein Stück Freiheit. Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur sind immer stärker global vernetzt. Zugleich lässt sich das Wissen um die ökologischen Auswirkungen des Fliegens nicht länger verdrängen.«31 Da aber ausgerechnet die Wähler der Partei, deren Wurzeln auch auf die Massenproteste gegen den Bau der Frankfurter Startbahn West Ende der 1970er-Jahre zurückgehen, einer Umfrage zufolge weitaus häufiger fliegen als die Wähler anderer Parteien, obwohl ihnen ›Nachhaltigkeit‹ angeblich besonders wichtig ist, setzen die Grünen nun auf technische Innovationen, bessere Energieeffizienz sowie neue Treibstoffe aus Algen statt auf eine Begrenzung des Flugverkehrs. Zeigen sich bei der Luftfahrt vor allem Widersprüche zwischen Konsum, Freiheit, Mobilität und der Idee der ›Einen Welt‹ einerseits, dem Schutz von Heimat, Natur und Klima andererseits, so birgt der Umgang mit dem globalen Klimawandel im Zusammenhang mit den erforderlichen Infrastrukturmaßnahmen für erneuerbare Energien vor Ort Stoff für manifeste Konflikte zwischen lokaler und globaler Sicht. Die ›Energiewende‹ in Deutschland, das sich seit den 1980er-Jahren seiner Vorreiterrolle bei der ökologischen Modernisierung rühmt, ist hier besonders aufschlussreich. Diese auf das kleine Deutschland beschränkte Maßnahme, die gleichwohl als Problemlösungsstrategie für den globalen Klimawandel gilt, führt zu Protesten betroffener Bürger vor Ort sowie von Natur-, Landschafts- und Heimatschützern gegen die Errichtung von Windkraftanlagen oder Stromtrassen. Die Einwände der Naturschützer gleichen strukturell und rhetorisch den Argumenten der Heimatschutzbewegung um 1900, aber auch der Umweltbewegung der 1970er-Jahre: Es geht ihnen um die Bewahrung von Biotopen, Waldgebieten oder identitätsstiftenden Kulturlandschaften sowie um Artenschutz, denn die Rotoren können tödlich für Rotmilane, Schwarzstörche und Fledermäuse

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sein. Nun zeigt sich ganz offen eine »mentale Fremdheit«32 zwischen Natur- und Umweltschützern, offenbart sich ein »innerökologischer Zielkonflikt«,33 der sich auch als Konflikt zwischen regionalen Wurzeln und globalen Horizonten, zwischen zentraler Macht und regionaler Bevölkerung gestaltet. So richten sich Bürgerproteste auch gegen das Zustandekommen der Entscheidungen, die als »rücksichtsloser Eingriff in ihre Heimat« erfahren werden, »der jenseits ihrer Kontrolle und Einflussmöglichkeiten umgesetzt wird.«34 Wieder einmal gelten Naturschützer als Fortschrittsgegner. Natur- und Heimatschützern geht es um den Erhalt vertrauter Kulturlandschaften oder den Schutz heimischer Tier- und Pflanzenarten, nicht zuletzt aufgrund ihrer ästhetischen, kulturellen oder emotionalen Bedeutung für die Menschen. Doch da Bodenbeschaffenheit, Flora und Fauna schon in der Philosophie der Aufklärung als wichtige Faktoren bei der Formung von Kulturen galten, da etwa bestimmte Bäume wie Eichen oder Linden, aber auch Greifvögel, Felsformationen oder Flüsse über lange Zeit immer auch Träger symbolischer und emotionaler Bedeutung für Kulturen und Nationen waren, vor allem aber, weil sich auch die Nationalsozialisten auf eine spezifisch ›deutsche‹ oder gar ›germanische‹ Natur bezogen, sehen deutsche Öko-Modernisten eine »sehr erhebliche ideologische Schnittmenge«35 zwischen Naturschutz und Nationalsozialismus, Blut-und-­BodenIdeologie und konservativer Heimatverbundenheit. Nicht nur der konkrete Umgang mit der Natur, auch die Art, wie von ihr gesprochen wird, soll daher entemotionalisiert, Begriffe wie Natur, Heimat und Landschaft sollen durch Vokabeln wie ›Umwelt‹, ›Nachhaltigkeit‹, ›Energie­ effizienz‹ und ›Klimaschutz‹ ersetzt werden: So soll die politische und gesellschaftliche Rede über die Natur im Grunde von allen ›Kontaminationen‹ durch die literarisch-geisteswissenschaftliche Kultur mitsamt ihren ästhetisch-emotionalen Konnotationen und Bezügen zur Vergangenheit befreit und vollends in das sachliche System der naturwissenschaftlich-technisch-ökonomischen Kultur überführt werden. Die damit einhergehende »Verdrängung der kulturellen Dimension im Naturschutz«36 in der deutschen Debatte soll dabei diskursives und politisches Gegengift gegen als toxisch klassifizierte Strömungen aus der Vergangenheit sein. Doch das Verdrängte kehrt immer wieder mit Macht zurück.

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Die Technokraten des Klimaschutzes, die ›Öko-Technokraten‹, sehen nicht ›Natur‹, Heimat oder Landschaft, sondern Ökosysteme und betrachten diese kaum anders als Maschinen, »die uns ›Ressourcen‹ zur Verfügung stellen oder ›Dienstleistungen‹ erbringen.«37 Die 1995 erhobenen Forderungen von Trendforschern nach rückstandsloser Entsorgung der von ihnen als »Bambi-Ökologie« geschmähten »Rückwärts-Ökologie«38 scheinen weitgehend umgesetzt worden zu sein: Im Namen des Klimas wird eine neue Fortschrittserzählung ins Feld geführt, die auch dazu dient, Kritik abzuweisen oder zu diskreditieren. Klima-Moderni­ sierer aus Politik und Wirtschaft weisen Proteste vor Ort ebenso zurück wie andere Modernisierer vor ihnen, sprechen der Kritik aufgrund vermeintlicher Irrationalität und Emotionalität ihre Berechtigung ab oder diffamieren Gegner gleich als »Gefährdung für die Modernisierung des Landes, als egoistische Wutbürger, die eine unregierbar werdende ›Dagegen-Republik‹ vorantreiben«.39 Als Beispiel mag ein Statement zweier Vertreter der Deutschen Umwelthilfe zu Protesten gegen Windturbinen und Solarfelder dienen: »Es gibt immer Widerstand, wenn die gewohnte Umgebung, die Heimat, ein anderes Gesicht erhält, weil der ländliche Horizont plötzlich geprägt wird von Windriesen und Solarfeldern. Aber das werden wir verkraften, wie Generationen vor uns den Wandel ihrer Kulturlandschaften verkraftet haben.«40 Die Bürger sollen sich also einerseits einer Welt anpassen, »die sich angeblich pausenlos verändert«, zugleich wird behauptet, es gebe »nichts Neues unter der Sonne«:41 Diese rhetorische Figur kann natürlich beim Bau jeder aktuell als zukunfts­ trächtig geltenden Industrieanlage zum Einsatz kommen, ob es sich nun um eine neue Startbahn, ein Atomkraftwerk oder eine Schweinemastanlage handelt. Das Beispiel Atomkraft zeigt allerdings besonders anschaulich, dass auch die Vorstellung davon, was als zukunftsträchtig gilt, sich im Lauf der Zeit verändert und zudem von Land zu Land wie auch von Partei zu Partei variiert. So ist der Wärmestrom, den Ernst Bloch der Linken mithilfe von ›Heimat‹ und ›Natur‹ zuführen wollte, der die linke Heimat- und Umweltbewegung der 1970er-Jahre speiste und der letztlich mit zur Gründung der Partei Die Grünen führte, zumindest in Deutschland so gut wie versiegt. Daraus ergeben sich Probleme, denn die politische Ökologie hat zwar ei-

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nen »im Grunde kühlen Zugang zur Problematik«,42 kommt aber zumindest »rhetorisch nicht ohne den Rückgriff auf ›emotionale‹ […] ›Naturerfahrung‹ aus, sei es auch nur als ›wichtiges Motiv für den Eintritt der Natur in die politische Sphäre durch menschliche Fürsprache‹«.43 Selbst Ökomodernisten würden es wohl als zynisch empfinden, wenn sie den Regenwald ausschließlich als Ressource darstellten, zumal die Ursachen für die Bedrohung des Regenwaldes und der natürlichen Lebenswelt der indigenen Amazonas-Indianer in Kolonisation, Welthandel und industrialisierter Landwirtschaft liegen, kurz: in den zerstörerischen Komponenten der technisch-wissenschaftlichen Zivilisation, zu der auch die Ökomoderne gehört. Um den Europäern zu vermitteln, dass sie einen Beitrag zum Schutz des Regenwaldes leisten sollen, sei es durch die Energiewende, sei es durch die Reduktion ihres Fleischkonsums, damit auf Import von brasilianischem Soja verzichtet werden kann, wird auch in Deutschland auf das Mittel der emotionalen Beschreibung der Beziehung von Mensch und Natur als Heimat zurückgegriffen. Ein Sachbuch mit dem Titel Der letzte Herr des Waldes über einen jungen Indianer aus dem Amazonas und seinen »Kampf gegen die Zerstörung seiner Heimat« will deutschen Lesern vermitteln, »was der Wald für den jungen Mann und sein Volk bedeutet: Wenn die Natur stirbt, dann sterben auch sie. Aus dem Wald beziehen sie ihre Nahrung, ihre Naturheilmittel, ihre Identität und Spiritualität.«44 Der Amazonas wird gewissermaßen als ferne, exotische Ersatzheimat für die westlichen Leser präsentiert. Diese sollen nicht an ihrer eigenen Heimat hängen, sondern stattdessen den Amazonas gewissermaßen als Adoptivheimat schützen. Auf das Bild des Regenwaldes als letzte schützenswerte Heimat greift auch James Camerons sagenhaft erfolgreicher Fantasy-Science-Fiction-Film Avatar zurück, der die naturnahe Lebensweise der indigenen Regenwaldbewohner, der Na’vi, mit den monströsen Maschinen des militärisch-industriellen Komplexes kontrastiert. Der Wohnort der Na’vi, der zugleich heilige Stätte und identitätsstiftendes Zentrum ihrer Kultur darstellt und durch ein Bergbauprojekt bedroht wird, heißt »home tree«, ›Heimatbaum‹. Christopher Nolans Science-Fiction-Film Interstellar von 2014 repräsentiert gewissermaßen die entgegengesetzte Tendenz: Nicht die Konservierung der Erde, sondern die Kolonisierung des Weltalls wird hier als

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›Global denken, lokal handeln?‹

Lösung ökologischer Probleme präsentiert. Im Film haben Staubstürme, Extremwetter und Pflanzenkrankheiten die Menschheit dezimiert; die Überlebenden plagen sich als Farmer wieder damit, genug Nahrung zu produzieren. Die Hauptfigur des Films, der ehemalige Astronaut Cooper, wird von einer im Untergrund agierenden NASA ausgesandt, um neuen Lebensraum im All zu finden. Ein Gespräch zwischen ihm und seinem alten Schwiegervater fasst die Spannung zwischen den Gegenpolen Erde und Welt, Bewahren und Erobern, Heimat und Fortschritt konzis zusammen: Cooper, der das Leben als Bauer von Herzen verabscheut, meint, die Menschen hätten ihre Bestimmung als Entdecker und Pioniere vergessen; eigentlich müssten sie den Blick nach oben richten, in den Himmel. Aus Coopers Sicht sind die Menschen heruntergekommen: Als »Caretakers«, also ›Betreuer‹ oder auch ›Hausmeister‹, seien sie nur noch mit Instandhaltung, Wartung und Pflege beschäftigt und sähen nur noch nach unten, auf die Erde. Sein Schwiegervater dagegen findet diese Welt gar nicht so schlecht, vor allem im Vergleich mit der Welt des 20. Jahrhunderts, in der sechs Milliarden Menschen ständig nach den neuesten Erfindungen und Innovationen verlangten, wie er sich erinnert. Der Film schlägt sich auf die Seite des Astronauten und lässt wie er die abgenutzte, kaputte, alte Heimat zurück; der alte Schwiegervater stirbt. Der Zuschauer begibt sich mit Cooper auf eine spektakuläre Weltraum­ odyssee, an deren Ende Cooper auf einer Raumstation der Zukunft erwacht. Der Film interessiert sich buchstäblich einen Dreck dafür, ob sich die Probleme auch auf der Erde hätten lösen lassen: Der Blick zurück auf die Heimat Erde ist für eine Menschheit, die ihre Bestimmung im Blick in die Sterne und in die Zukunft sieht, ebenso belanglos wie der Blick auf den Boden. Der französische Soziologe und Philosoph Bruno Latour will mit seinem Terrestrischen Manifest von 2018 einen Ausweg aus der Verhärtung der Fronten eröffnen und plädiert dafür, die Dichotomien von global und lokal, links und rechts, fortschrittlich und reaktionär, oben und unten, kalt und warm endlich aufzugeben und stattdessen über die ideologischen Gräben hinweg Erde, Boden und materielle Realität, kurz: Heimat45 in den Blick zu nehmen. Der Wunsch, »die Zugehörigkeit zu einem Land, Ort, Boden, einer Gemeinschaft, einem Raum, einem Milieu, einer

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Lebensweise, einem Metier, einem bestimmten Können bewahren zu wollen«, dürfe nicht mehr als reaktionär diskreditiert werden, sondern müsse wieder legitim sein. Vielleicht spricht Latour auch als Spross einer Winzerfamilie, der weiß, welche Rolle der Boden, das ›Terroir‹ für den Wein spielt, wenn er feststellt: »Illegitim ist die Entwurzelung, nicht die Zugehörigkeit. Zu einem Boden zu gehören, darauf bleiben zu wollen, weiter Sorge für ein Stück Erde zu tragen, sich daran zu binden: All das ist […] nur deshalb ›reaktionär‹ geworden, weil es in scharfem Kontrast steht zu der von der Modernisierung aufgezwungenen Flucht nach vorn.« Latour regt auch dazu an, die Idee der ›Einen Welt‹ zugunsten der Auseinandersetzung mit der Erde aufzugeben, da die Idee der ›Einen Welt‹ »von einer kleinen Gruppe von Personen vorgeschlagen wurde, eine winzige Zahl von Interessen repräsentiert, auf wenige Messinstrumente, Standards und Formulare begrenzt ist«46 und so paradoxerweise eine verengte und beschränkte Sicht mit sich bringe: Die ›Eine Welt‹ wird letzten Endes nur von politischen, technologischen und vor allem ökonomischen Steuerungsmechanismen bestimmt. Die Vorstellung von der Erde als Heimat ist bescheidener, konkreter und existentieller, lässt jedoch mehr Vielfalt und lokale Unterschiede zu und umfasst auch emotionale und kulturelle Komponenten. Vor allem ist sie nicht von dem Wunsch getrieben, den Boden möglichst hinter sich zu lassen, sondern erkennt die Abhängigkeit der Menschen von der Erde an: »das Verhältnis einer jeden Gesellschaft zu ihrem Land – also wie die Menschen mit dem Boden unter ihren Füßen umgehen – ist von grundlegender Bedeutung, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. […] Die Geschichte legt den Schluss nahe, dass der Umgang der Menschen mit ihrem Boden über die Lebensdauer von Kulturen entscheiden kann.«47

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Für einen kosmopolitischen Provinzialismus

Heimat ist ein Ort: Für einen kosmopolitischen Provinzialismus Geographen sind topophil. Man muss da im Deutschen ja nicht gleich von ›Liebe zu Orten‹ reden. Es genügt festzuhalten, dass Geographen ein grundlegendes Interesse an konkreten Erdstellen (Orten) und ein besonders ausgeprägtes Gespür für deren ­Eigenschaften und ihre gesellschaftlichen Symbolisierungen ­haben. Der Begriff der Heimat ist alltagssprachlich eng mit ­solchen engen Ortsbezügen verbunden. (Heiner Dürr/Harald Zepp: Geographie verstehen) Immer war mir das Feld und der Wald, und der Fels und die Gärten Nur ein Raum, und du machst sie, Geliebte, zum Ort. (Johann Wolfgang von Goethe: Vier Jahreszeiten)

Für Wörterbücher, aber auch für die meisten Menschen ist Heimat nach wie vor ein Ort, sei es nun der Wohnort oder der Geburtsort. Immerhin 76 Prozent der Bundesbürger fühlen sich diesem Ort verbunden, wie eine neuere Umfrage ergab.1 Mögen Menschen auch »weltoffen« und »umweltfrei«2 sein und sich unabhängig von Natur und Erde fühlen: Sie schweben nicht schwerelos durch den Raum und sind auch nicht permanent in Bewegung, sondern sind durch die Gravitation an die Erde gebunden und halten sich selbst auf Reisen an Orten auf, und sei es auch vorübergehend. Mehr noch: Sie sind aufgrund ihrer Herkunft und Sozialisation auch von bestimmten natürlichen, sozialen und kulturellen Umweltbedingungen geprägt. Das fängt schon bei Komponenten an, die sich dem Einfluss des Menschen entziehen, wie Temperaturen, Luftfeuchtigkeit, Jahreszeiten, Länge der Tage oder Dauer der Abenddämmerung, geht aber weit darüber hinaus. Nordeuropäer, die einmal in den Tropen gelebt haben, werden dies ebenso bestätigen können wie Menschen, die aus Damaskus oder Shanghai nach Spitzbergen oder Anchorage ziehen. Umso

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mehr gilt das für nichtmenschliche Lebewesen: Die meisten Pflanzen, aber auch viele Tierarten sind von ganz bestimmten ortsspezifischen Bedingungen abhängig: Australische Koalas etwa können nur in Eukalyptuswäldern leben, Pandabären nur in Bambuswäldern, und nicht nur Tiere, die lange Wanderungen zu Brutgebieten oder Wasserstellen unternehmen, besitzen einen ausgeprägten »Heimatinstinkt«,3 wie der Biologe Bernd Heinrich am Beispiel der Wanderungen etwa von Kanadakranichen oder Aalen gezeigt hat. Wer weiß: Vielleicht hegen sogar Digitalnomaden insgeheim die Fantasie, sie könnten nach ihren Irrfahrten wie Odysseus an einen im Kern unveränderten oder zumindest wiedererkennbaren Heimatort zurückkehren, wenn die große, weite Welt die Erwartungen enttäuscht oder wenn sie schlicht genug von ihr haben. So erzählt etwa Sönke Wortmanns Film Sommerfest, der als Heimatfilm des Jahres 2017 gefeiert wurde, von einem jungen Bochumer, der nach 20 Jahren, einer gescheiterten Karriere als Schauspieler und einer lieb­losen Beziehung in seine Heimatstadt zurückkehrt. Trotz sichtbarer Zeichen des Wandels ist der Kern dieser Heimat auf wundersame Weise deutlich erkennbar: Die alten Freunde, die alte Liebe, die vertrauten Orte und vor allem der Gemeinschaftssinn sind noch da. Schon Berthold Auer­bach hatte 1842 sein Verhältnis zum Heimatort mit dem eines Planeten zu seinem Fixstern verglichen und sah sich auf »Bahnen wandeln, die weit über die ›umfriedete Gemarkung‹ des ›stillen‹ Heimatortes hinausführen«.4 Der Heimatort kann also selbst für mobile Individuen als Gegenpol zum offenen Raum fungieren. In jedem Fall sind gerade die Touristen und Digitalnomaden der Welt darauf angewiesen, dass es möglichst vielfältige, einzigartige Orte gibt: Warum sollte man sonst reisen? Die Orte sollen zudem keine bloßen Kulissen sein; allein deshalb bedarf es sesshafter Bewohner. Ohne Sesshafte und Ortsverbundene, die sich um ihre Orte kümmern, verlieren die Orte ihren Charakter, hören auf, als Orte zu existieren. Wären alle gleichermaßen ungebunden und mobil, erginge es den Orten wie der Erde in Christopher Nolans Interstellar. Anders ausgedrückt: Es können nicht alle fahrende Künstler, Reisende und Pilger sein: Auch Betreuer, ›Caretakers‹ werden gebraucht, wenn man nicht der Auffassung ist, alle menschlichen Tätigkeiten sollten automatisiert oder mechanisiert werden.

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Für einen kosmopolitischen Provinzialismus

Das Spannungsfeld von Raum und Ort erschließt sich schon aus der Etymologie: Der ›Ort‹ bezeichnet zuerst einen im Raum markierten Punkt und dann den umgrenzten Wohnort, Stadt oder Dorf. Das Wort ›Raum‹ dagegen geht auf das Roden, das ›Freimachen‹ oder ›Räumen‹ der Wildnis für eine Siedlung zurück, trägt die Konnotation der Weite und Offenheit in sich, aber auch die ökonomische Nutzung: Raum ist »in rein wirtschaftlichem Sinne aufgefaßt worden als nutzbarer Teil der Erde.«5 Das Bild eines potenziell grenzenlosen Raumes evoziert unendliche Möglichkeiten und gilt als fortschrittlich, während Orte oft mit Enge und Provinzialität in Verbindung gebracht werden, denn Orte werden markiert, erhalten Namen, Grenzen und Umrahmungen, die festlegen, welche Territorien und Personen dazugehören. Während die Bewegung im Raum regellos, stürmisch oder gar zerstörerisch verlaufen kann, gehören zur Gestaltung eines Ortes Regeln und Normen. Diese Funktion der Grenze sah der Soziologe Georg Simmel bereits 1903 als zivilisatorische Errungenschaft: Der von einer sozialen Gruppe gestaltete Rahmen, so Simmel, »verkündet, daß sich innerhalb seiner eine nur eigenen Normen untertänige Welt befindet.«6 Orte sind das Ergebnis des Zusammenwirkens von natürlichen Gegebenheiten und sozialer Formung, die auch die materielle Gestalt des Ortes bestimmt. Daraus abzuleiten, Orte hätten keinen bestimmten Charakter, sondern seien lediglich »Symbol für soziale Beziehungen«,7 bloße sozial oder diskursiv erzeugte ›Konstrukte‹ oder Knotenpunkte in einem globalen Netz sozialer Beziehungen, Ideen und Einflüsse,8 wie es in postmodernen Theorien zuweilen geschieht, ist allerdings stark überzogen. Denn in der Erfahrungswirklichkeit bestehen enge Wechselbeziehungen zwischen materiellen Faktoren und menschlichen Emotionen: Natürliche und menschengemachte Materialien, Ereignisse und Objekte prägen die Gestalt und den Charakter von Orten und beeinflussen die Erinnerungen und Gefühle der Menschen: Die Kirche im Dorfzentrum, reetgedeckte Häuser am Deich, die Häuser aus grauem Schiefer, gelbem Sandstein oder roten Ziegeln, das Licht und die Farben der Abenddämmerung, die Karyatiden an der Gründerzeitfassade, das traditionsreiche Kurzwarengeschäft, der Hausberg, das Fest zur Baumblüte, die Schwebebahn, die Sturmflut von 1953, die alte Dorflinde, das Dialektwort für

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›Kartoffel‹, die Ankunft der Schwalben usw. fungieren als Orientierungs-, Identifikations- und Ankerpunkte. Mag sich der Raum auch verheißungsvoll öffnen: Orte sind untrennbar mit Bindungen, Erinnerungen und Emotionen verbunden. Ob Menschen dauerhafte, tiefe oder langfristige Beziehungen zu Orten eingehen, ist dabei nicht nur für die Menschen, sondern auch für die Orte von Belang, denn: »Die Verbindlichkeit, mit der sich Handlungen auf einen Raum beziehen, hängt von dem realen und symbolischen ›Ortsbezug‹ ab.«9 Wer sich einem Ort verbunden fühlt, wird mehr Verantwortung empfinden als Touristen oder Digital­ nomaden, die nur einen Zwischenstopp einlegen: »Ortsverbundenheit dürfte eine Bedingung des Verantwortungsgefühls der Menschen für einen Ort und für die Bereitschaft zu Partizipation und Engagement sein.«10 Auch politisches Handeln ist an konkrete Orte und sesshafte Gemeinschaften gebunden: »Nur aus Zugehörigkeit ergibt sich ein dauerhaftes Gefühl von Verantwortung, das, verbunden mit einem Minimum an praktischer Zuversicht, gemeinsam etwas erreichen zu können, zu politischem Handeln bewegen kann.«11 Ob Orte als heimatlich oder fremd wahrgenommen werden, ob sie Verbundenheit und soziale Beziehungen begünstigen oder erschweren, hat ebenfalls mit diversen materiellen und immateriellen Faktoren zu tun, die den Ort zugänglich, angenehm, schön, einladend, sicher, freundlich oder im Gegenteil abweisend, abstoßend, unsicher, unzugänglich, verwirrend oder exklusiv machen. Die umstrittene Broken Windows-­Theorie deutet Zeichen materieller Verwahrlosung wie kaputte Fensterscheiben gar als mögliche Vorboten für die Entwicklung von Kriminalität. In jedem Fall weisen zertrampelte Blumenbeete, Glasscherben auf Kinderspielplätzen, kaputte Kühlschränke am Straßenrand, Müllberge im Wald oder Plastikabfall am Strand auf ein gestörtes Verhältnis von Menschen zu Orten hin, auf einen Mangel an Verbundenheit und Verantwortung. Dabei sind Vorstellungen von ›Verwahrlosung‹ ganz ortsspezifisch: In einem Schwarzwalddorf, auf einer Alm in den Alpen oder in Katmandu gelten andere Maßstäbe als in Berlin-Friedrichshain, im Lake District andere als in Nairobi. Gerade in Zeiten erhöhter Mobi­lität wäre es daher besonders wichtig, einen Sinn für Orte und ihre Besonderheiten zu entwickeln, denn Regelverstöße Ortsfremder, seien es nun Touristen, Inves-

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toren oder neu hinzugekommene Einwanderer, werden von den Einheimischen unter Umständen nicht lediglich als »ästhetische Dissidenz«12 wahrgenommen, sondern, je nachdem, als Störung oder Bedrohung. Kräfte von außerhalb wie Handel, Tourismus, Kommunikation und technische Fortschritte wirken auf Orte ein und können zu ihrer Entwicklung und Blüte beitragen, aber auch zu ihrem Niedergang und ihrer Zerstörung. Dem Bedürfnis nach Identifikation mit Wohn- oder Heimatorten und dem Wunsch nach Wiedererkennbarkeit, Kontinuität und Stabilität steht zudem die Fliehkraft gegenüber, die Menschen fort von Orten in den freien Raum zieht. Wenn allerdings von außen oder oben angestoßene Veränderungen den Ortscharakter grundsätzlich zu verändern drohen oder abrupt über die Ortsansässigen hereinbrechen, kann Heimat schnell wieder zum Kampfbegriff werden. Das zeigt sich nicht nur bei Protesten gegen Bauprojekte wie Stuttgart 21, gegen den Abriss eines Wahrzeichens wie des Palastes der Republik in Ostberlin, gegen die Gentrifizierung von Stadtvierteln, die Abholzung von Wäldern oder den Abriss ganzer Ortschaften für den Bergbau, sondern potenziell bei allen von außen kommenden, als destruktiv oder bedrohlich wahrgenommenen Einflüssen. Oberflächlich betrachtet hat es den Anschein, als ob die relativ neuen wirtschaftspolitischen Instrumente des Orts- und Stadtmarketings dazu beitragen könnten, den Charakter von Orten zu erhalten. Doch dienen sie eigentlich nur dazu, gezielt ganz bestimmte Ortsimages zu erzeugen und zu verbreiten, um in einem globalen ökonomischen Wettbewerb Akteure von außen in Orte zu locken, vor allem Touristen und Investoren, zielen also nicht in erster Linie auf Instandhaltung und Bewahrung. Das Image eines Ortes hat zwar meist nicht viel mit der Wahrnehmung der Einheimischen zu tun, doch haben Imagekampagnen handfeste Konsequenzen für die Ortsgestalt, da Entscheidungen über Infrastrukturentwicklung oder Baugenehmigungen sich an diesen fabrizierten Images orientieren. Besonders deutlich wird das beim Tourismus: Da er mit 11,6 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts einen relevanten Wirtschaftsfaktor darstellt, müssen Touristenorte Attraktionen und Dienstleistungen zu bieten haben. Dabei werden sie, so der britische Soziologe John Urry, zugleich Stätten und Objekte des Konsums,13 was wiederum die Bezie-

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hung der Menschen zu diesen Orten beeinflusst. In den Worten Zygmunt Baumans: »Es wird nicht mehr gestaltet, sondern besichtigt.«14 Man könnte ergänzen: Es wird nicht mehr (verantwortungsbewusst) gestaltet, sondern vor allem konsumiert. Das hat verheerende ökologische, kulturelle, soziale und ökonomische Auswirkungen, wie nicht nur Badeorte an der Ostsee, die spanische Mittelmeerküste, alpine Wintersportorte wie Davos oder Inseln wie Mallorca und Bali zeigen, sondern auch beliebte Ziele touristischer Städtereisen wie Barcelona, Amsterdam, Prag oder Berlin: Die Infrastruktur in Skigebieten zerstört den Lebensraum von Pflanzen und Tieren und die Schönheit der Landschaft; Massentourismus auf Inseln führt zu Wasserknappheit und Müllbergen. Im Internet veröffentlichte Fotos heizen den Sog verheißungsvoller Orte an, die jedoch »von dem Ansturm oft völlig überfordert« sind oder gar durch ihn komplett »ruiniert« werden, wie Spiegel online im Oktober 2018 schrieb. Das bekannteste Beispiel ist wohl Venedig, wo jedem dauerhaften Bewohner 600 ›flüchtige‹ Besucher gegenüberstehen: Venedig ›gehört‹ damit nicht mehr den einheimischen Venezianern, sondern im Grunde der Tourismusindustrie. Der italienische Archäologe Salvatore Settis sieht Tourismus daher als »Seuche«, die im Begriff ist, Erinnerung, Identität und Seele der Stadt auszulöschen: »Die Stadt wird inzwischen von einer touristischen Monokultur dominiert, welche die Einheimischen vertreibt und das Überleben der Zurückgebliebenen und der Stadt fast ausschließlich an die Bereitschaft zur touristischen Dienstleistung knüpft. Nichts anderes scheint Venedig hervorbringen zu können als bed & breakfast, Restaurants und Hotels, Immobilienagenturen, […] und das Ausrichten sinnloser Karnevale.«15 So schrieb der Spiegel 2016: »Touristen sind Eroberer, die sich als Freunde tarnen.« Ist die Tourismusindustrie damit beschäftigt, auf der Basis von Traditionen, lokalen Besonderheiten und Wahrzeichen Images zu erzeugen, zu verstärken und zu vermarkten, zielten die stadtplanerischen und architektonischen Zukunftsvisionen der internationalen Moderne ganz im Gegenteil darauf ab, Ortsspezifika, Vielfalt und »das Chaos der alten Welt durch ihre Zerstörung«16 zu überwinden. Das städtebauliche Ideal dieser Moderne, die rational und geometrisch geordnete ›funktionelle Stadt‹, ist unauflöslich mit dem Namen des Architekten Le Corbusier verbun-

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den, den die einen als Lichtgestalt sehen, die anderen als Schöpfer einer »kalten Vision der Moderne«17 mit Tendenz ins Totalitäre. Le Corbusier war überzeugt, der Architekt müsse »die ganze Vergangenheit und alle Erinnerungen an früher durch das Sieb der vernünftigen Überlegung sieben« und wollte »Maschinen zum Wohnen bauen.«18 Zwar wurde das Ideal der funktionellen Stadt seit den 1970er-Jahren nach und nach aufgegeben oder modifiziert, nicht zuletzt aufgrund von Protesten der Einheimischen. Die mobile Welt der Hypermoderne, die »der einsamen Individualität, der Durchreise, dem Provisorischen und Ephemeren überantwortet ist«,19 bringt jedoch ihre eigenen Formen des identitäts-, geschichts- und ortlosen Raumes hervor. Diese in der Regel für Konsum, Mobilität oder eine Mischung aus beidem konstruierten Transiträume – Flughäfen, Autobahnen, Raststätten, Einkaufszentren, Hotels, Freizeitparks etc. – bezeichnet der französische Anthropologe Marc Augé mit dem griffigen Wort »Nicht-Orte«. Aber auch Land und Dorf, mit denen Städter Wunschvorstellungen von intakter Heimat assoziieren, geraten in den Sog von Modernisierung und Globalisierung, der ortsspezifische Traditionen, dörfliche Kultur, Gesangsvereine und lokale Dialekte mit sich reißt und die lokale Infrastruktur zerstört: »Die Dörfer sind nun Dorfattrappen, die Bauernhäuser heißen auch nur noch so, und die Kinder von Menschen, die – ach, du liebe Zeit! – noch mit der Hand melken konnten, und dies ein Leben lang getan haben, und nie das Meer sahen, und doch ganz auf der Welt waren, fahren nun im Van zum Discounter im Einkaufspark und holen sich die H-Milch im Tetrapack […]. Die schönen Dörfer, die es gab und die ich kannte als Welt, sind längst aufgegeben, sind bestenfalls noch Schlafstationen. Auf den dazugehörenden Feldern stehen keine Menschen mehr, das Jahr über auch keine Maschinen mehr, ein der Agrarindustrie überlassenes Betriebsgelände.«20

Trotz oder gerade wegen dieses Sogs und der vielfältigen Bedrohungen der Orte lebt bei vielen Menschen die Sehnsucht nach Orten, Landschaften und Stadträumen mit historisch gewachsener Identität, Geschichte und charakteristischen Merkmalen fort oder wird sogar, jetzt erst recht, wiederbelebt: »Das radikal Ausgeschlossene – Traditionsbewusstsein, Heimatverbundenheit, das Bedürfnis nach Verortung, Spezifizität und

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Differenz, der Wunsch nach Beteiligung und Teilhabe – bahnte sich seinen Weg.«21 Dieses Bedürfnis kommt auf unterschiedliche Arten zum Ausdruck: Systemkonform in der touristischen Reise, aber auch in politischem Handeln, sei es durch die gemeinschaftlich erhobene Forderung nach Restauration oder Rekonstruktion des Zerstörten, sei es durch gemeinschaftliche Proteste gegen bevorstehende Eingriffe und Veränderungen. Ein aktuelles Beispiel für das Unbehagen an der Kälte des Funktionalen und die Forderung nach einer Restauration des Alten ist die 2018 fertiggestellte ›Neue Frankfurter Altstadt‹: Hier schienen sogar die Wünsche ›von unten‹ und strategische Marketing-Überlegungen ›von oben‹ zu konvergieren, und während Architekten, Kritiker und Stadtplaner warnten, mahnten und debattierten, hatte es zumindest den Anschein, dass die Rekonstruktionsarchitektur wie auch die modernen Interpreta­ tionen traditioneller Baustile den Bürgern gefielen. Es ging offenbar nicht allein um die Bewertung des Projekts als fortschrittlich oder rückwärtsgewandt, modern oder reaktionär, sondern auch um die Frage, wem der Ort gehört und wer über seine Gestalt bestimmt: Experten oder Bürger. Während in der öffentlichen politischen Rede des Westens die kalte, durch Technik und Ökonomie angetriebene Moderne der Experten dominiert und emotionale Verbundenheit mit Orten in den Raum des Privaten gedrängt wird, bringen Markt und Kultur Medien, Texte und Produkte hervor, die an Verluste erinnern oder gar für sie entschädigen und die Sehnsucht nach intakter Heimat befriedigen sollen. So hat sich, gewissermaßen als Kontrastprogramm zur transkulturellen Migrationsliteratur, etwa seit 2000 eine neue deutsche Heimatliteratur entwickelt, lässt sich geradezu ein »Boom des Dorfromans« beobachten, die ein »Gegenmodell zu dem fluider, unbestimmter, offener Identität«22 der Digitalnomaden bietet, denn: »Das Verlangen nach scharf umrissenen Grenzen, präziser Ortskenntnis und Beherrschung des Dialekts scheint umso heftiger zu sein, je mehr uns die Globalisierung den Boden unter den Füßen wegzureißen droht.«23 Diese neue Heimatliteratur spielt oft an ländlichen Orten: Christoph Peters’ Roman Stadt Land Fluß etwa beschreibt das Verschwinden des Ortes Niel und die »Vernichtung« des traditio­ nellen Landlebens durch Modernisierung, der nicht nur Hecken, Heiligenhäuschen und Hausschlachtungen, sondern auch Löwenmäulchen,

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Ackerwinde und Tagpfauenauge zum Opfer gefallen sind.24 Auch der neue Roman der Bestsellerautorin Dörte Hansen erzählt vom Verschwinden der ländlichen Welt und beginnt mit einem Kapitel, in dem – fast wie in Rachel Carlsons Silent Spring – ein »Sommer ohne Störche«, sterbende Stichlinge und Ulmen als »Vorzeichen der großen Katastrophe« erscheinen.25 Arnold Stadlers Roman Ich war einmal schildert Dörfer mit Namen wie Meßkirch oder Himmelreich und beschreibt das Verschwinden alter Apfelsorten, das Aussterben des Dialekts als Muttersprache, die Auflösung traditioneller Lebenszusammenhänge und die Vereinheitlichung und Verödung durch Modernisierung und Globalisierung: »Die Felder, auf denen ich arbeitete, die Obstbäume. Die ich von der Stube aus sah. […] Damals war mir der Geflammte Kardinal am liebsten. Eine Apfelsorte, die noch in wenigen Obstgärten am Bodensee zu finden ist. Ansonsten ist der Geflammte Kardinal auch hier vom Golden Delizius, der Einheitsfrucht, ersetzt.«26 In der Sprache des Ortsmarketings wird aus der vernichteten Heimat die »fabelhafte Wohlfühlregion Nr. 1«. Da die materielle Heimat sich auflöst, müsste eigentlich, so Stadler, auch das Wort ›Heimat‹ seine Bedeutung verlieren: »Heimat: Der Mensch, der sich als Verbraucher versteht, steht ratlos vor diesem Wort.«27 Doch natürlich ist auch das Wort ›Heimat‹ keineswegs sicher vor dem Zugriff der Marketingabteilungen; im Gegenteil: Dort scheint es geradezu ein neues Zuhause gefunden zu haben. Vor allem Lebensmittelhersteller und Supermärkte machen sich die Sehnsucht der Verbraucher zunutze und vermarkten ortstypische und (vermeintlich oder tatsächlich) regional erzeugte Produkte mit Markennamen und Slogans wie »Unsere Heimat – echt & gut«, »Heimat – Nichts schmeckt näher« oder »Ein gutes Stück Heimat«. Doch sogar eine Jeansmarke nennt sich »Heimatliebe«, eine Cocktailbar ausgerechnet in Berlin »Stück Heimat. Berlins Wohnzimmer«. Der phänomenale Erfolg von Landmagazinen seit 2000, wie Landlust, Landidee oder auch, frei nach Wilhelm Riehl, Land und Leute, lässt sich wohl ebenfalls mit der Sehnsucht nach (ländlicher) Heimat, Zugehörigkeit und Verwurzelung erklären. Diese aufwendig gestalteten Zeitschriften zelebrieren einen ländlich-nostalgischen Lebensstil mit saisonalen und regionalen Rezepten aus der Natur, Tipps für die Verschönerung der Wohnung oder des Gartens, die Haltung von Haus-

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und Nutztieren und die Beobachtung von Wildtieren; vermittelt wird eine private, häusliche Lebenspraxis, die Heimat als Behaglichkeit inszeniert. Die Landmagazine bilden den Gegenpol zur metropolitanen, multikulturellen, multilokalen, hybriden Konsumkultur. Zum Teil ziehen sie ihre Attraktion vielleicht auch daraus, dass sie zumindest die Fiktion erzeugen, mithilfe der Anleitungen zu Selbstversorgung und Lebensgestaltung könnten die Leser über ihren bloßen Konsumentenstatus hinauswachsen und sich praktische Kompetenzen aneignen. Zwar wurde viel über den Erfolg dieses Zeitschriftenformats gerätselt, für das politische Journalisten meist nur Spott übrig haben, doch hat bisher niemand darauf hingewiesen, dass Aufmachung und Inhalte der neuen deutschen Landmagazine auffällig an die traditionsreichen britischen Landzeitschriften erinnern, die Engländer als Ausdruck ihrer eigenen Obsession mit dem Landleben verstehen: Zwei der bekanntesten, Country Life und The Countryman, gibt es schon seit 1897 bzw. 1927. Vielleicht wird die englische Landliebe aus der deutschen Debatte aber auch deshalb ausgeblendet, weil sie der in Deutschland ungebrochen populären These entgegensteht, die besagt, dass Verwurzelung in oder Sehnsucht nach ländlicher Heimat unweigerlich zu Faschismus oder Barbarei führe. Das englische Beispiel belegt, dass demokratische Tradition und Affinität zum Landleben durchaus vereinbar sind, zumal diese Affinität sich keineswegs auf die Upper Class, auf englische Landadlige oder wohlhabende Besitzer großer Landhäuser beschränkt, die mit dem Landrover ihre Grundstücke abfahren oder an Fuchsjagden teilnehmen: Auch der linksliberale Guardian beschäftigt sich in seiner Rubrik »Country Diary« mit heimischen Tieren, alten Dorfkirchen und Wetterphänomenen, und die BBC sendet nicht nur die älteste Soap Opera der Welt, The Archers, die seit 1950 das Leben in dem fiktionalen Dorf Ambridge verfolgt, sondern dutzende Programme über die ›Countryside‹, Landwirtschaft, Vogelbeobachtung oder Wanderungen in der Natur, die eine Mischung aus wissenschaftlich belegten Fakten, persönlicher Erfahrung und emotional gefärbten Schilderungen bieten. Das englische Interesse an dem Verhältnis zwischen Menschen und Orten, Land und Landschaft, das auch in Literatur und Sprache zum Ausdruck kommt, mag in der Tradition des Empirismus begründet sein und

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mit der Insellage zu tun haben; zudem ist in der angelsächsischen Tradition das Abgrenzungsbedürfnis zwischen den ›zwei Kulturen‹ weniger ausgeprägt als in der deutschen. Ein Beispiel ist der zentrale Begriff ›sense of place‹, der mindestens so schwer ins Deutsche zu übersetzen ist wie ›Heimat‹ in andere Sprachen: Gemeint ist damit das ›Gefühl‹ oder der ›Sinn‹ für einen bestimmten Ort oder für Orte überhaupt, für Besonderheiten, Geschichte, Atmosphären und den genius loci. Wie ›Heimat‹ bezeichnet auch der ›sense of place‹ eine von Gefühlen geprägte Beziehung zu Orten, im Gegensatz zum Raum, ›space‹: »Space ist primär der von außen gesehene und beschriebene Raum, place hat demgegenüber die Konnotationen des innerlich erlebten und affektiv besetzten Raumes.«28 Der ›sense of place‹ spielt in angelsächsisch geprägten Kulturen sowohl in Literatur und Dichtung als auch in der Geografie eine zentrale Rolle. Es gibt weitere Beispiele: So prägte etwa der englische Frühromantiker Robert Southey als Synonym für Fernweh, das auf Englisch auch als ›wanderlust‹ bezeichnet wird, den Begriff ›oikophobia‹,29 ›Aversion gegen das Daheimbleiben‹. 1947 findet sich bei W. H. Auden der Begriff ›topophilia‹ (Ortsliebe) oder ›emotionale Beziehung zu Orten‹ bzw. der Sinn für materielle, kulturelle, soziale und historische Ortsmerkmale.30 1974 erschien die Studie Topophilia des chinesisch-amerikanischen Geografen Yi-Fu Tuan, 1976 der Band Place and Placelessness des Kanadiers Edward Relph. Und erst kürzlich versuchte der britische Philosoph Roger Scruton mit seinem unter Rückgriff auf den deutschen Heimatbegriff entwickelten Konzept der Oikophilie (Heimatliebe, affektive Beziehung zu heimatlichen Orten),31 Ökologie und Naturschutz wieder auf die Agenda konservativer Politik zu setzen. Die Literaturwissenschaft kennt eine ›literature of place‹, zu der Dorfgeschichten, Regional-, Bauern- und Heimatromane zählen, aber auch die populäre angelsächsische, in der deutschen Tradition unbekannte Gattung des ›nature writing‹, meist nichtfiktionale Texte, vor allem Essays, die zwischen »strenger Wissenschaftlichkeit« und »autonomer Dichtung«32 stehen. Das ›nature writing‹ verbindet, was in der deutschen Tradition vorzugsweise getrennt bleibt: Erfahrung und Emotion, poetische Sprache und Subjektivität, Wissenschaft, Wahrnehmung und Wirklichkeit.

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Diese Kombination, die noch in der ›Country Diary‹-Kolumne des Guardian mitschwingt, ist schon in dem Urtext des englischen ›nature writing‹ vorgeformt: In dem 1788/89 zuerst erschienenen The Natural History of Selborne beschrieb Gilbert White alltägliche Naturbeobachtungen in der Nähe seines Heimatorts Selborne im Südwesten Englands. In Form von Briefen an zwei renommierte Naturforscher schilderte er über Jahrzehnte das Verhalten einheimischer Wild- und Nutztiere, das Vorkommen und die Verbreitung von Pflanzen, aber auch ungewöhnliche Wetterphänomene sowie die Rolle natürlicher Materialien und Nutztiere für die Ökonomie des Dorfes. Whites Darstellungen basierten zwar auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen seiner Zeit, unter anderem auf Linnés taxonomischem System, gingen aber immer von subjektiven Beobachtungen aus, blieben innerhalb der Grenzen der spezifischen kulturellen und sozialen Bedingungen in Selborne und waren von Empathie geprägt. White war zwar in Selborne verwurzelt und an den Ort gebunden, stand dabei aber durch Korrespondenz, Lektüre sowie die vielfachen Handelsbeziehungen des Empire im Kontakt mit der Welt jenseits von Selborne. Seine sich über Jahrzehnte erstreckende Ortserkundung lässt sich durchaus mit Sprangers ganzheitlichen Überlegungen zur Heimatkunde vergleichen: White erschloss sich und seinen Lesern den Ort Selborne in einer von heute aus schier undenkbaren Totalität; sein Blick umfasste die sozialen, landwirtschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse des Dorfes sowie Landschaft, Vegetation, Fauna und Klima vor dem Hintergrund fachwissenschaftlicher Debatten seiner Zeit. Diese Welt ist bei aller Provinzialität alles andere als beschränkt und begrenzt, nicht nur wegen der großen Biodiversität, die White noch vorfand, sondern auch wegen des unermüdlichen Interesses, der Beobachtungsgabe, der Geduld und der Empathie, mit der White seine Umwelt erkundete. Das überschaubare Selborne ist ein echter Mikrokosmos, eine ganze Welt, die ein einzelner Mensch sich zu erschließen vermag, und eine provinzielle Heimat, die durch zahlreiche Fäden klimatisch, geologisch, biologisch, sozial und ökonomisch mit der Welt verbunden ist. Der Autor präsentiert sich zudem nicht nur als scharfsichtiger, kundiger Beobachter, sondern zugleich als Teil eines sozialen Beziehungsgeflechts: Viele seiner in Briefform formulierten Naturbeobachtungen be-

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ruhen darauf, dass andere Dorfbewohner ihn auf bestimmte Phänomene hinweisen: Der Naturbeobachter ist gerade kein einsamer, kühner Entdecker und Forscher, sondern Teil der Wissenschaftsgemeinde wie der Dorfgemeinschaft. Offensichtlich traf dieses Buch mitten ins Herz der Engländer: The Natural History of Selborne ist mit über 300 Auflagen eines der am häufigsten aufgelegten englischen Bücher, und in der viktorianischen Ära trugen englische Kolonialbeamte Whites Selborne im Gepäck, nebst einer Bibel und einem Zweig Heidekraut:33 Whites Selborne war nachgerade das Idealbild englischer Heimat menschlicher und nichtmenschlicher Wesen. In Deutschland dagegen ist White so gut wie unbekannt. Zwar übersetzte Friedrich Albrecht Anton Meyer, ein Göttinger Mediziner und Zoologe, gleich 1792 etwa ein Viertel des Textes ins Deutsche; allerdings hielt er den Text für eine misslungene wissenschaftliche Publikation. Zumindest verkündete Meyer in seiner Vorrede arrogant, seine Zeit sei ihm zu kostbar gewesen, um »Trivialitäten« zu übersetzen, zumal das Buch nur einzelne »Körner, die einer Verpflanzung auf Deutschen Boden werth schienen«,34 enthalte. Hinzu kam vielleicht, dass auch die programmatische Beschränkung Whites auf seinen überschaubaren Heimatort mit alltäglichen Pflanzen und Tieren – Schwalben, Kühen und Mäusen – nicht dem deutschen Geschmack entsprach, der anscheinend, wie der spätere Erfolg belegt, eher durch die Unermesslichkeit und Exotik der großen, weiten Welt, die kühne, poetische Eroberergeste und den Totalitätsanspruch in Alexander von Humboldts Kosmos angesprochen wurde. Dabei enthält Whites heimatkundliche Ortsbeschreibung seines Mikrokosmos eine Erkenntnis, die gerade auch für die moderne ökologische Landwirtschaft von größter Relevanz ist, allerdings an der Wende zum 19. Jahrhundert unterging und zumindest für Friedrich Anton Meyer zu jenen »Trivialitäten« gehörte, die eine Übersetzung nicht lohnten: In einem Brief aus dem Jahr 1777 beschrieb White wohl als erster Beobachter überhaupt die Bedeutung der Würmer für die Fruchtbarkeit des Bodens. Auch einige Jahrhunderte nach Gilbert White ist die Beschaffenheit von Erde und Boden trotz aller wissenschaftlichen Entwicklungen und anders, als deutsche Wissenschaftler und Ingenieure es zu Darwins Zei-

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ten erwarteten, immer noch entscheidend, da die Menschen nach wie vor auf Landwirtschaft angewiesen sind. Die Frage nach der Bodenbeschaffenheit ist daher gleich die dritte von insgesamt 20 Fragen in dem »am häufigsten publizierten Text der bioregionalen Bewegung«, dem »bioregionalen Quiz ›Wo bist Du?‹«, der das ökologische Wissen über den Heimat- bzw. Wohnort testet und unter anderem nach der lokalen Quelle des Trinkwassers, nach Niederschlagsmengen, Wind- und Himmelsrichtungen, einheimischen Pflanzen und Tieren einschließlich ausgerotteter Arten, wichtiger Nahrungsquellen früherer Kulturen und dem Verbleib des Abfalls fragt.35 Beim Bioregionalismus handelt es sich um eine neuere amerikanische Bewegung, die das Ziel verfolgt, »menschliche Gesellschaften wieder besser in die natürlichen Gegebenheiten ihrer Bioregionen einzufügen«.36 Politisch und weltanschaulich ist diese Bewegung schwer zu fassen: In ihr sammeln sich Anhänger der Permakultur-Bewegung und des »ökologischen Landbau[s] mit ganzheitlich-kosmischer Philosophie«, radikale anarchistische Gruppen sowie ›realpolitisch‹ ausgerichtete Strömungen; sie bezieht sich auf »die ganzheitlichen Dorfkonzepte Mahatma Gandhis und die Lebensweise der nordamerikanischen Indianer, die als bioregionale Vorbilder schlechthin gelten«.37 Einer ihrer bekanntesten Vordenker ist der Gründervater der ›Beat Generation‹ Gary Snyder, ein Essayist, Poet und Umweltaktivist. Ökologie und Spiritualität sind in dieser Bewegung untrennbar verbunden; das Wort ›Home‹, Heimat, nimmt eine zentrale Rolle ein: Ein Sammelband mit wichtigen Texten der Bewegung erschien 1990 unter dem Titel Home! A Bioregional Reader.38 ›Home‹ bezeichnet, wie Heimat, eine enge emotionale Verbindung der Menschen zu ihren Wohnorten, die aber auch in Wissen und Erfahrung begründet sein muss.39 Diese tiefe Verwurzelung weist über den Ort selbst weit hinaus und soll die Grundlage für einen »bioregionalen Kosmopolitismus« sein: Zwar ist »ein starkes Zugehörigkeitsgefühl zum Ort« Ausgangspunkt des Bioregionalismus, dieses Zugehörigkeitsgefühl soll die Menschen jedoch dazu bewegen, »über ihre Ichbezogenheit hinauszuwachsen«,40 die vielfachen Verbindungen und wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen Mensch und natürlicher Umwelt, zwischen diesem Ort und anderen Orten auf der Erde zu erkennen, Verantwortung zu übernehmen und sich als vor Ort Handelnde zu engagieren.

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Auch für Wendell Berry, den in den USA äußerst populären und einflussreichen, in Deutschland allerdings so gut wie unbekannten amerikanischen Romancier, Essayisten, Kulturkritiker, Dichter, Bauern und Umweltaktivisten sind ›Heimat‹ (›Home‹) und ›Heimkehr‹ (›Homecoming‹) zentrale Begriffe. Viele seiner Schriften und Gedichte kreisen um das Verhältnis der Menschen zu Orten, zum Land und, wie auch bei Bruno Latour, zu Erde und Boden: Die Sorge um den Boden und die Bewahrung seiner Fruchtbarkeit zählen für ihn zu den wichtigsten Aufgaben überhaupt. Dazu ist es Berry zufolge nötig, »die heimische Erde und das heimische Gedächtnis dort zu bewahren, wo sie hingehören«. Er setzt auf eine »Erneuerung der ländlichen Gemeinschaften«, ohne das Landleben zu idealisieren; im Gegenteil: Nach Berry sind es die Städter, die zur Schönfärberei neigen, weil sie »zu weit von den ausgebeuteten und gefährdeten Quellen ihrer Wirtschaft entfernt« sind und so die Illusion aufrechterhalten können, dass »alles in Ordnung ist«.41 Die Landbewohner sind, so Berry, viel stärker mit den ökologischen, sozialen und ökonomischen Folgen von Krisen konfrontiert: »Rings um sich herum sehen sie jeden Tag die Spuren und Wunden«42 einer ausbeuterischen Wirtschaft, was nicht zuletzt daran liegt, dass die Konsumgewohnheiten der Landbewohner sich denen der Städter angeglichen haben. Jedenfalls ist das ›Land‹ alles andere als eine heile Welt: Junge Leute ziehen weg, Traditionen werden aufgegeben, Landwirtschaft wird zunehmend als lediglich auf Produktivitätsmaximierung fixierte Industrie betrieben, sodass das soziale Gewebe und die Infrastruktur der Orte brüchig werden. Für den deutschen Kontext beschreibt Klaus Brills Buch Deutsche Eiche made in China diese Entwicklungen mit Blick auf Dörfer im Saarland höchst anschaulich: Er berichtet von geschlossenen Schulen, Gaststätten, Geschäften, Post- und Bankfilialen, der Gefährdung der ländlichen Kultur und allgemeinen »Wüstungserscheinungen«.43 Berry hält die großen ökologischen, sozialen und ökonomischen Krisen nur durch die Bewahrung bzw. Revitalisierung von Orten und lokalen Gemeinschaften für lösbar, weil Menschen seiner Einschätzung nach nur auf lokaler Ebene dazu in der Lage sind, Verantwortung zu über­ nehmen:

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Heimat ist ein Ort »Wie sehr man die Welt als Ganzes auch lieben mag, man kann nur voll und ganz in ihr leben, indem man verantwortungsvoll einen kleinen Teil der Welt bewohnt. Wo wir leben und mit wem wir dort leben, legt die Bedingungen unserer Beziehung mit der Welt und der Menschheit fest. Somit stehen wir […] vor dem Paradox, dass man nur ganz werden, nur heil werden kann, indem man auf verantwortungsvolle Weise seine Partikularität, seine Teilheit akzeptiert.«44

Nun plädiert Berry keineswegs dafür, niemand solle sich von seinem Geburtsort fortbewegen. Allerdings sieht er das Fortgehen vor allem dann als konstruktiv, wenn auf das Fortgehen eine Heimkehr folgt. Doch lässt auch Berrys Denken die Option offen, an einem frei gewählten Ort heimisch zu werden. Ohnehin ist Wendell Berry wie schon Eduard Spranger davon überzeugt, dass Heimat nichts Gegebenes ist, sondern erst aktiv angeeignet und geschaffen werden muss. Berry ist nicht allein: Die neuere amerikanische Umweltbewegung knüpft an die Gedanken von Friedrich Schumacher und Ivan Illich in den 1970er-Jahren an, wendet sich gegen Wachstum, Kolonisation, Urbanisierung und Zentralismus und setzt dagegen auf Bewahrung, Erhaltung, Selbstbeschränkung, Gemeinschaft, Stabilität und lokale Selbstbestimmung. Ortsbindung, Selbstbeschränkung und Heimat werden gerade auch von ›progressiven‹ Amerikanern nicht als rückwärtsgewandt, nostalgisch oder gar ›reaktionär‹ abgewehrt, sondern als Beitrag zur Lösung drängender ökologischer und gesellschaftlicher Probleme gesehen. So entwirft der Umwelt- und Klimaaktivist Bill McKibben die Vision einer bescheidenen, dezentralisierten Zivilisation mit lokalen Gemeinschaften, die sich auf Instandhaltung, Reparatur und kontrollierten Rückbau konzentrieren, um die Menschheit allmählich von den »gefährlichen Höhen« herunterzuholen, die sie erklommen hat.45 Durch das Internet wären auch diese kleineren, bescheideneren Gemeinschaften mit der Welt verbunden. Die afroamerikanische feministische Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin bell hooks wiederum beruft sich in einem neueren Werk ausdrücklich auf Wendell Berry und entdeckt in ihrer Auseinandersetzung mit der Heimat ihrer Vorfahren, dem ländlichen Kentucky, eine »Kultur der Zugehörigkeit«, die eine »innige Verbindung mit dem Land, zu dem man gehört«,46 Gemeinschaftssinn und

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Selbstbeschränkung umfasst. Diese Rückbesinnung auf eine vorindustrielle, ländliche, afroamerikanische Kultur der ›Wärme‹ dient ihr als Gegenmodell zu der von Weißen geprägten, rationalistischen, kapitalistischen, urbanen Kultur der ›Kälte‹. Bei allen historischen, sozialen, politischen und kulturellen Unterschieden zwischen amerikanischen Bioregionalisten, Wendell Berry, Bill McKibben und belle hooks, englischem Nature Writing und dem deutschen Kontext: Der Blick auf Bilder ländlicher Heimat in den USA oder Großbritannien wie auch auf Latours Terrestrisches Manifest zeigt, dass sich Heimat jenseits des eingefahrenen Links-Rechts-Schemas in zukunftsorientierten Debatten über zentrale ökologische und gesellschaftliche Fragen konstruktiv diskutieren lässt. Auch die Debatten in Deutschland würden von solchen Anregungen profitieren, zumal in politischen Debatten hierzulande unverdrossen vor allem zwischen ›rechts‹ und ›links‹, ›konservativ‹ bzw. ›reaktionär‹ und ›progressiv‹ unterschieden wird. Dabei verlaufen die neuen Konflikte, die meist ebenfalls als schlichte Gegenüberstellung präsentiert werden, eher »zwischen dem Globalen, lebensweltlich Pluralen, Kosmopolitischen auf der einen Seite und dem Nationalen, Begrenzten, Gemeinschaftsorientierten«, und zwar »quer durch die Parteien«,47 nicht nur, aber besonders ausgeprägt in Deutschland. Einer der Gründe dafür mag in einer eher starren und linearen Vorstellung von Fortschritt und Entwicklung liegen. Dabei könnte man seit dem 19. Jahrhundert wissen, dass die Kräfte, die den Drang in den offenen Raum, Markterschließung, Mobilität und Rationalisierung fördern, immer auch Gegenreaktionen und Bedürfnisse nach Bindung, Wärme, Begrenzung, Vertrautheit und Zugehörigkeit, kurz: nach Heimat hervorbringen. Die Sehnsucht nach einer vertrauten Lebenswelt, in der man sich auch ohne Apps orientieren kann, ist damit nicht nur Gegenpol, sondern auch Produkt der digitalen, global vernetzten Welt des 21. Jahrhunderts – ebenso, wie der massenhaft hergestellte Gartenzwerg nicht nur Antidot gegen die Folgen der Industrialisierung ist, sondern auch ihr Erzeugnis. Ein nicht entfremdetes und emotionales Verhältnis zur Welt, ein »Resonanzverhältnis«, wie es der Soziologe Hartmut Rosa nennt, ist allerdings mehr als nur Bedürfnis, es ist darüber hinaus demokratierele-

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vante Voraussetzung dafür, »dass Subjekte sich zutrauen, Herausforderungen zu meistern, kontrolliert auf die Umwelt Einfluss nehmen und damit planvoll etwas bewirken zu können.«48 Jenseits der Rolle des Touristen oder Konsumenten lässt sich Selbstwirksamkeit aber für die meisten nur an einem überschaubaren Ort erfahren. Die konkrete Mitgestaltung des Heimat- oder Wohnortes wäre zudem vermutlich befriedigender und auch demokratischer als die Unterzeichnung einer Online-Petition. Vielleicht könnte die Politik also den verbreiteten Entfremdungsgefühlen entgegenwirken, indem sie den Bürgern mehr Gestaltungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten vor Ort einräumt. Stattdessen aber beschränken sich Politiker oft darauf, den Begriff Heimat politisch zu bewirtschaften oder bloß rhetorisch einzusetzen, nicht nur mit der Benennung von Heimatministerien, die signalisieren sollen, dass die Heimat beim Staat in besten Händen ist. So listete beispielsweise eine von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Auftrag gegebene Studie in kühler, technokratischer Sprache im Kontext der »Untersuchung von Kommunen als nachhaltig attraktiver Heimat« die »Faktorenrelevanz« verschiedener Elemente auf und nannte zum Beispiel wirtschaftliche und soziale Infrastruktur, Verkehrsnetze sowie Kultur-, Konsum- und Bildungsmöglichkeiten, nicht aber Mitbestimmung. Zwar wird eingeräumt, dass in der Befragung auch »der Wunsch nach einer besseren Einbindung der Bevölkerung in kommunale Entscheidungen bzw. eine Stärkung der laufenden partizipativen Prozesse geäußert und somit auch die Mitgestaltung am eigenen Lebensraum zu einem Kriterium für das Vorhandensein eines Heimatgefühls gemacht« wurde. Doch wurde sogleich eingewendet, dass die Beteiligung an »Bürgerhaushalten, Partizipationsprozessen und ähnlichem« meist sehr niedrig sei. Statt aber der Frage nachzugehen, woran das liegt und wie es sich ändern ließe, präsentierte die Studie als Ergebnis das fade Bild einer »Heimat 2.0«, in der »Gemeinwohl-Handeln für die Heimat«, »Vermarktung des Heimatgefühls für den Tourismus« und »Vermarktung lokaler Produkte« als ökonomische »Standortfaktoren« vermeintlich harmonisch zusammenwirken sollen. So werden potenzielle Konflikte zwischen Markt, Mobilität und Heimat, Individualismus und Gemeinsinn sowie unterschiedlichen Interessen von Bürgern, Wirtschaft und Politik übertüncht, so wird der Heimat-

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begriff aber auch seines demokratischen Potenzials beraubt. Als kundige Sachwalter der Heimat präsentierte die Studie vor allem Kommunalpolitiker: Sie sollen aber nicht etwa den Bürgern Handlungs-, Gestaltungsund Mitbestimmungsräume eröffnen, sondern lediglich »Räume des Dialoges und des Austausches« schaffen, um den offensichtlich als passiv gedachten »Menschen das Gefühl von Zugehörigkeit, Sicherheit und Wertschätzung zu geben«,49 zugespitzt: um den Ortsansässigen oder Einheimischen, die nicht einmal mehr als ›Bürger‹ bezeichnet werden, eine Art Heimatplacebo zu verabreichen. Heimat lässt sich aber nicht rückstandslos in die Sprache der Technokratie oder des Marketings überführen. Heimat ist eben nicht bloß Wirtschaftsstandort, Arbeitsstelle oder Marktplatz, sondern ein Ort mit soziokultureller Dimension und Träger emotionaler Bedeutung. Heimat ist damit ein Gegenpol zu den multiplen Kräften der Entfremdung und muss gegebenenfalls auch vor ihnen beschützt werden. Heimat in diesem Sinn liegt zwar im Verantwortungsbereich jedes Einzelnen, der sich seine Heimat über die Zeit zu eigen macht, kann aber nur gemeinschaftlich gestaltet und erhalten werden. Da es jedoch so unterschiedliche Vorstellungen über die erwünschte Gestalt und Verfassung der Heimat gibt, werden sich Auseinandersetzungen und Konflikte nicht verhindern lassen. Sinnvoll wäre es also, Wege zu finden, diese Konflikte demokratisch und konstruktiv auszutragen. An einzelnen Orten gibt es schon Ansätze dazu, alle Ortsansässigen mit ihren Wünschen, Ängsten und Sorgen in Entscheidungen einzubeziehen, etwa im elsässischen Kingersheim.50 In den Debatten gilt es das dichotomische Denken zu überwinden, das nur das Entweder-Oder von Weltoffenheit oder Abschottung kennt. Dabei sind Heimat und Weltoffenheit ebenso wenig Gegensätze wie Solidarität und Heimat. Es ist ein fataler Irrglaube, Weltoffenheit und Hypermobilität als Synonyme zu begreifen, denn die Bindung an die Heimat schließt eine Verbindung mit der Welt keineswegs aus: Nicht nur Gilbert White steht für einen kosmopolitischen Provinzialismus, auch Immanuel Kant, der heimatverbundene »Kosmopolit aus der Provinz«,51 bewegte sich physisch kaum je aus Königsberg fort. Doch wie schon in der Weimarer Republik wird an der politischen, intellektuellen und soziokulturellen Kluft zwischen Metropole und Provinz, Welt und Heimat festge-

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halten; es scheint schwer zu sein, sich von dieser vertrauten Dichotomie zu verabschieden. Wem es ernstlich um eine Überwindung der Spaltung zu tun ist, der wird nicht umhinkommen, sich mit dem Bedürfnis nach Begrenzung, Bewahrung und Verwurzelung auseinanderzusetzen und anzuerkennen, dass Selbstbegrenzung und Ortsbindung legitime Formen des Weltbezugs darstellen. Das Bedürfnis nach Heimat wird sich weder durch Abwehr und Abwertung noch durch gewagte Neudefinitionen oder durch oberflächliches Heimatmarketing aus der Welt schaffen lassen. Am Ende bleibt die Frage, wie man sich zu Philemon und Baucis stellt: Begreift man sie als traurige und obsolete Relikte einer vergangenen Welt oder macht man sich zu ihrem Fürsprecher, um sie vor faustischer Kolonisation wie vor mephistophelischen Methoden zu schützen?

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Anmerkungen

Anmerkungen Heimat: Schlüsselwort, Reizwort und Kampfbegriff 1 Daniel Schreiber: »Deutschland soll werden, wie es nie war«. Zeit online, 10.02.2018. 2 Marc Saxer: »Linke Heimat«. ipg-journal, 05.03.2018. 3 Wie z. B. in Fritz-Gerd Mittelstädt: »Die Grenzen der Heimat«. Merkur 72/2018, 834, S. 18–29. 4 Thomas Petersen: »Allensbach-Umfrage: Das denken die Deutschen über Heimat«. FAZ, 24.04.2018. 5 Hans-Dieter Gelfert: Was ist deutsch? München 2005, S. 23. 6 Dieter Borchmeyer: Was ist deutsch? Die Suche einer Nation nach sich selbst. Berlin 2017, S. 232. 7 So Klaus Theweleit auf einer Hamburger Tagung zu »Heimatfantasien« am 18./19.08.2018; zit. nach Axel Schröder: »Konferenz über den ›Heimat‹-Begriff«. DLF, 18.08.2018. 8 Bernd Schütze: »Berliner Gegenthesen zu ›Heimat‹ und Naturschutz«. Reinhard Pie­ chocki/Norbert Wiersbinski (Bearb.): Heimat und Naturschutz. Die Vilmer Thesen und ihre Kritiker. Bonn-Bad Godesberg 2007, S. 123. 9 Hermann Bausinger: Typisch deutsch. Wie deutsch sind die Deutschen? München 2000, S. 72. 10 Svetlana Boym: The Future of Nostalgia. New York 2001, S. 12 f. 11 Wilhelm Emrich: »Das Rätsel der Faust II-Dichtung. Versuch einer Lösung«. Werner Keller (Hg.): Aufsätze zu Goethes Faust II. Wege der Forschung. Darmstadt 1991, S. 26–54; S. 52. 12 Jochen Golz: »Faust und das Faustische. Ein abgeschlossenes Kapitel deutscher Ideologie?«. Goethe Society of India (Hg.): Cultural Contexts and Literary Forms. Essays on Genre. Berlin u. a. 2015, S. 407–429.

Heimat in der Ferne: Der Wanderer über dem Nebelmeer 1 Georg Mehlis: Die deutsche Romantik. München 1922, S. 26. 2 Elisabeth Mossmann: Heimat. Sehnsucht nach Identität. Berlin 1980, S. 46. 3 Friedemann Schmoll: »Schönheit, Vielfalt, Eigenart. Die Formierung des Naturschutzes um 1900, seine Leitbilder und ihre Geschichte«. Natur und Staat: staatlicher Naturschutz in Deutschland 1906–2006. Bonn-Bad Godesberg 2006, S. 13–84; S. 43. 4 Walter Jens: »Nachdenken über Heimat. Fremde und Zuhause im Spiegel deutscher Poesie«. Horst Bienek (Hg.): Heimat. Neue Erkundungen eines alten Themas. München/Wien 1985, S. 14–26; S. 14. 5 Reinhard Piechocki: »Heimat – Begriffsentstehung und Begriffswandel«. Reinhard Pie­ chocki/Norbert Wiersbinski (Bearb.): Heimat und Naturschutz. Bonn-Bad Godesberg 2007, S. 23. 6 Althochdeutsches Wörterbuch. Leipzig 1952–2015 ff. 7 Otto W. Hahn: »Das ›Heimweh‹ von Jung-Stilling«. Michael Frost (Hg.): Blicke auf Jung-Stilling. Festschrift zum 60. Geburtstag von Gerhard Merk. Kreuztal 1991, S. 118. 8 Zit. nach Christoph Hönig: Die Lebensfahrt auf dem Meer der Welt. Würzburg 2000, S. 150. 9 Johannes Frerich/Martin Frey: Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland. Bd. 1: Von der vorindustriellen Zeit bis zum Ende des Dritten Reiches. München/Wien 1993, S.  25 f.

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Anmerkungen 10 Siegfried Weichlein: Nation und Region. Integrationsprozesse im Bismarckreich. Düsseldorf 2004, S. 204. 11 Burcu Dogramaci: Heimat. Eine künstlerische Spurensuche. Köln/Weimar/Wien 2016, S. 142. 12 Hermann Bausinger: Typisch deutsch. Wie deutsch sind die Deutschen? München 2000, S. 72. 13 Klaus von Beyme: Konservatismus. Theorien des Konservatismus und Rechtsextremismus im Zeitalter der Ideologien 1789–1945. Wiesbaden 2013, S. 59. 14 Carl Schmitt: Politische Romantik. Berlin 1965, S. 101. 15 Anne Löchte: Johann Gottfried Herder: Kulturtheorie und Humanitätsidee der Ideen, Humanitätsbriefe und Adrastea. Würzburg 2005, S. 80. 16 Heinz Rölleke: »Die Brüder Grimm als Märchen- und Sagensammler in der Napoleonischen Zeit«. Napoleon und die Romantik – Impulse und Wirkungen. Marburg 2016. 17 Annette Wagner: »Natur als Resonanzraum der Seele«. Kai Buchholz u. a. (Hg.): Die Lebensreform. Entwürfe zur Neugestaltung von Leben und Kunst um 1900. Darmstadt 2001, S. 165–184. 18 Dieter Struß/Eckart Kleßmann: Deutsche Romantik: Geschichte einer Epoche. München 1986, S. 173. 19 Lothar Pikulik: Romantik als Ungenügen an der Normalität. Frankfurt a. M. 1979. 20 Novalis: »Fragmente«. Schriften, Bd. 2: Das philosophische Werk. Hg. v. Richard Samuel. Stuttgart 1965, S. 545. 21 Lothar Pikulik: Romantik als Ungenügen an der Normalität, S. 141. 22 Clemens Brentano: »Der Philister vor, in und nach der Geschichte. Scherzhafte Abhandlung«. Werke, Bd. 2. Hg. v. Friedhelm Kemp. München 1963, S. 991. 23 Friedrich Nietzsche: »Unzeitgemäße Betrachtungen I«. Sämtliche Werke, Bd. 1. Kritische Studienausgabe. Hg. v. Giorgio Colli/Mazzino Montinari. München/Berlin/New York 1980, S. 165. 24 Ernst Hanisch: »Der ›vormoderne‹ Antikapitalismus der Politischen Romantik. Das Beispiel Adam Müller«. Richard Brinkmann (Hg.): Romantik in Deutschland. Stuttgart 1978, S. 132–146. 25 Achim von Arnim: »Von Volksliedern«. Des Knaben Wunderhorn. Alte Deutsche Lieder. München 1957, S. 869 f. 26 Eberhard Lämmert: »Eichendorffs Wandel unter den Deutschen«. Hans Steffen (Hg.): Die deutsche Romantik. Poetik, Formen und Motive. Göttingen 1978, S. 219–254; S. 235. 27 Zit. bei Lämmert (Anm. 26), S. 235. 28 Joachim G. Boeckh: »O Täler weit, o Höhen. Zum 95. Todestag von Josef von Eichendorff«. Neues Deutschland, 27.11.1952. 29 Das Gedicht hieß zuerst »An den Hasengarten«, nach einem Teil des Lubowitzer Schlossgartens, dann »Im Walde bei Lubowitz« und »Im Walde der Heimat«. Erst spät wählte Eichendorff den vom Ort abgelösten Titel »Abschied«. Vgl. Lämmert 1978 (Anm. 26), S. 239 f. 30 Joseph von Eichendorff: »Abschied«. Gedichte. Erster Teil, Bd. 1.1. Hg. v. Harry Fröhlich/ Ursula Regener. Stuttgart/Berlin/Köln 1993, S. 34. 31 Seitenangaben in Klammern aus Joseph von Eichendorff: »Aus dem Leben eines Taugenichts«. Erzählungen. Erster Teil, Bd. 5.1. Hg. v. Karl Konrad Pohlheim. Tübingen 1998. 32 Otto Eberhardt: Eichendorffs Taugenichts. Würzburg 2000, S. 119. 33 Patricia Czezior: Die Heimatlosigkeit im Werke zweier romantischer Grenzgänger: Joseph von Eichendorff und Heinrich Heine. Berlin 2004, S. 75. 34 Alexander von Humboldt: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 1. Stuttgart 1845, S. VI; S. 22; S. 40; S. 21. 35 Friedrich Nietzsche: »Nachgelassene Fragmente«. Herbst 1884. Sämtliche Werke, Bd. 11, S. 329.

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Anmerkungen 36 Wilhelm Müller: Gedichte. Bd. 1. Hg. v. Maria-Verena Leistner. Berlin 1994, S. 200; S. 170. 37 Carl Schmitt: Politische Romantik. Berlin 1965, S. 104. 38 Fr. Guntram Schultheiss: »Der Einfluß der Romantik auf die Vertiefung des Nationalgefühls«. Archiv für Kulturgeschichte, 5/1907, 1. 39 Andrea Bastian: Der Heimat-Begriff: Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung in verschiedenen Funktionsbereichen der deutschen Sprache. Berlin 1995, S. 180. 40 Heinz Hillmann: »Ludwig Tieck«. Benno von Wiese (Hg.): Deutsche Dichter der Romantik – ihr Leben und Werk. Berlin 1983, S. 114–138; S. 127.

Heimat als Modell: Vormärz und der Beginn der ›Großen ­Transformation‹ 1 Hermann Bausinger: »Heimat in einer offenen Gesellschaft: Begriffsgeschichte als Problemgeschichte«. Will Cremer/Ansgar Klein (Hg.): Heimat: Analysen, Themen, Perspektiven. Bd. 1. Bielefeld 1990, S. 76–90; S. 80. 2 »Rede von Dr. Philipp Jakob Siebenpfeiffer auf dem Hambacher Fest 1832«. Johann Georg August Wirth: Das Nationalfest der Deutschen zu Hambach. Neustadt a. H. 1832 (Nachdruck 1981), S. 31–41; S. 32. 3 Walter G. Rödel: »Die demographische Entwicklung in Deutschland 1770–1820«. Helmut Berding/Etienne François/Hans-Peter Ullmann (Hg.): Deutschland und Frankreich im Zeitalter der Französischen Revolution. Frankfurt 1989, S. 21–40. 4 »Rede von Christian Scharpff auf dem Hambacher Fest 1832«. Johann Georg August Wirth: Das Nationalfest der Deutschen zu Hambach (Anm. 2), S. 70. 5 Karl Polanyi: The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen (1944). Frankfurt a. M. 2013, S. 59. 6 Johan Huizinga: »Im Schatten von morgen« (1935). Kultur- und zeitkritische Schriften. Hg. v. Thomas Macho. München 2014, S. 13–129; S. 36. 7 Peter V. Zima: Entfremdung: Pathologien der postmodernen Gesellschaft. Tübingen 2014, S. 7. 8 Karl Polanyi: The Great Transformation (Anm. 5), S. 70. 9 Wolfram Siemann: Die deutsche Revolution von 1848/49. Frankfurt a. M. 1985, S. 223 f. 10 Karl Marx/Friedrich Engels: »Manifest der Kommunistischen Partei« (1848). Karl Marx/ Friedrich Engels: Werke, Bd. 4, Berlin 1976, S. 459–493; S. 465. 11 Heinrich Heine: Vorrede zu »Lutetia«. Sämtliche Schriften. Hg. v. Klaus Briegleb. München 1968 ff., Bd. 5, S. 232. 12 Wilhelm Heinrich Riehl: Die Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Sozialpolitik. Zweiter Band: Die bürgerliche Gesellschaft. Stuttgart 1866. Der erste Teil behandelt die »Mächte des Beharrens«, der zweite die »Mächte der Bewegung«. 13 Adam Müller: Über König Friedrich II und die Natur, Würde und Bestimmung der preußischen Monarchie. Berlin 1810, S. 86. 14 Carl-Hans Hauptmeyer: Zukunft in der Vergangenheit. Dorfgeschichte als Grundlage der Dorfentwicklung. Tübingen 1988, S. 33. 15 Vor allem: Bauernbefreiung, Gebietsreformen, z. B. Verkoppelung und Auflösung der Allmenden, Abschaffung der sogenannten Drei-Felder-Wirtschaft. 16 Hermann Kinder: Berthold Auerbach. ›Einst fast eine Weltberühmtheit‹. Eine Collage. Tübingen 2011, S. 251. 17 Gerhard Ziegengeist: »Eine unbekannte deutsche Handschrift von Turgenevs Auerbach-Vorrede«. Gerhard Ziegengeist: I. S. Turgenev und Deutschland. Berlin 1965, S. 68–75; S. 70. 18 Andreas Schumann: Heimat denken. Regionales Bewußtsein in der deutschsprachigen Literatur zwischen 1815 und 1914. Köln 2002, S. 12.

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Anmerkungen 19 Jesko Reiling: »Vorbemerkung: Eine ›wichtige und unversiegliche Quelle der Belehrung‹. Berthold Auerbachs Werk und Wirkung«. Jesko Reiling (Hg.): Berthold Auerbach (1812– 1882): Werk und Wirkung. Heidelberg 2012, S. 7–12; S. 7. 20 Uwe Baur: Dorfgeschichte. Zur Entstehung und Funktion einer literarischen Gattung im Vormärz. München 1978, S. 154. 21 Peter Mettenleiter: Destruktion der Heimatdichtung. Tübingen 1974, S. 324. 22 Uwe Baur: Dorfgeschichte (Anm. 20), S. 98. 23 Bettina Wild: »Kollektive Identitätssuche im Mikrokosmos Dorf. Berthold Auerbachs Schwarzwälder Dorfgeschichten und die Heimat von Edgar Reitz«. Jesko Reiling (Hg.): Berthold Auerbach (Anm. 19), S. 263–284; S. 282. 24 Jörg Schönert: »Auerbachs ›Nordstetten‹, Kellers ›Seldwyla‹, Franzos’ ›Barnow‹: regionentypische Sozialmodelle im Zeichen von Erfahrungen gesellschaftlicher Modernisierung?«. Jörg Schönert: Perspektiven zur Sozialgeschichte der Literatur. Berlin/Boston 2007, S. 126– 145; S. 133. 25 Berthold Auerbach: »Brief an Freiligrath«. Thomas Scheuffelen (Hg.): Marbacher Magazin. 36/1985. Berthold Auerbach. 1812–1882, S. 49. 26 Folgende Zitate mit Seitenzahlen in Klammern aus Berthold Auerbach: Schwarzwälder Dorfgeschichten. Die acht Bände der Gesamtausgabe von 1863 in einem Buch. Hg. v. Karl-Maria Guth. Berlin 2017. 27 Peter J. Brenner: Reisen in die Neue Welt. Die Erfahrung Nordamerikas in deutschen Reiseund Auswandererberichten des 19. Jahrhunderts. Tübingen 1991, S. 48. 28 Joachim Lipp: »Nordstetten – Auerbachs Geburtsort und Schauplatz der Schwarzwälder Dorfgeschichten«. Jesko Reiling (Hg.): Berthold Auerbach (1812–1882) (Anm. 19), S. 123– 150; S. 136; S. 141. 29 Günter Moltmann: »Amerikanische ›Frontier‹ und deutsche Auswanderung – soziale ›Sicherheitsventile‹ im 19. Jahrhundert?«. Dirk Stegmann u. a. (Hg.): Industrielle Gesellschaft und politisches System. Bonn 1978, S. 279–296; S. 294 f. 30 Günter Moltmann: »Auswanderung als Revolutionsersatz?«. Michael Salewski (Hg.): Die Deutschen und die Revolution: 17 Vorträge. Ranke-Gesellschaft. Göttingen u. a. 1984, S. 272– 298. 31 Peter J. Brenner: Reisen in die Neue Welt (Anm. 27), S. 56. 32 Annette Hailer-Schmidt: »Hier können wir ja nicht mehr leben.« Deutsche Auswandererlieder des 18. und 19. Jahrhunderts – Hintergründe, Motive, Funktionen. Marburg 2004, S. 297 ff. 33 Zit. nach Max Rohrer (Hg.): Amerika im deutschen Gedicht. Stuttgart 1948, S. 28. 34 Sabine Biebl: »Unbehagen am bürgerlichen Zustand. Wilhelm Heinrich Riehls kulturgeschichtliche Interventionen«. Michael Neumann u. a. (Hg.): Modernisierung und Reserve. Zur Aktualität des 19. Jahrhunderts. Stuttgart 2017. S. 62–78; S. 67. 35 Wilhelm Heinrich Riehl: Die bürgerliche Gesellschaft (Anm. 12), S. 201. 36 Sabine Biebl: »Unbehagen am bürgerlichen Zustand« (Anm. 34), S. 64. 37 Wilhelm Heinrich Riehl: Die Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Sozialpolitik. Erster Band: Land und Leute. Stuttgart/Tübingen 1854, Einleitung (o. S.). 38 Folgende Seitenangaben in Klammern aus Berthold Auerbach: »Der Tolpatsch aus Amerika«. Neue Dorfgeschichten: Nach 30 Jahren. Bd. 2, Stuttgart 1876.

Heimat als Programm: Zivilisations- und Fortschrittskritik um 1900 1 Joachim Radkau: Technik in Deutschland. Vom 18. Jahrhundert bis heute. Frankfurt a. M./ New York 2008, S. 233 f. 2 Gunther Mai: »Agrarische Transition und industrielle Krise. Anti-Modernismus in Europa in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts«. Journal of Modern European History, 4/2006, 1, S. 5–38; S. 5 f.

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Anmerkungen 3 C. P. Snow: Die zwei Kulturen: Literarische und naturwissenschaftliche Intelligenz. Stuttgart 1967. 4 Eduardo Costadura/Klaus Ries: »Heimat – Ein Problemaufriss«. Eduardo Costadura/Klaus Ries (Hg.): Heimat gestern und heute. Interdisziplinäre Perspektiven. Bielefeld 2016, S. 7–23; S. 12. 5 Grafik zur Worthäufigkeit auf der Internetseite dwds.de. 6 Thomas Rohkrämer: Eine andere Moderne? Zivilisationskritik, Natur und Technik in Deutschland 1880–1933. Paderborn u. a. 1999, S. 14 f. 7 Stefan Breuer: »Von der antisemitischen zur völkischen Bewegung«. Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden, 15/2005, 2, S. 499–534; S. 499. 8 Günther Hartung: »Völkische Ideologie«. Uwe Puschner u. a. (Hg.): Handbuch zur »Völkischen Bewegung« 1871–1918, Paris 1996, S. 22–44; S. 24. 9 Jost Hermand: »Nationalistische Phrase oder Ausdruck ökologischen Bewußtseins? Das ›Heimatschutz‹-Konzept um 1900«. Hubert Orlowski (Hg.): Heimat und Heimatliteratur. Poznan 1993, S. 43–54; S. 43. 10 Thomas Rohkrämer: Eine andere Moderne? (Anm. 6), S. 16. 11 Grafik zur Worthäufigkeit auf der Internetseite dwds.de. 12 Zit. nach Walther Müller-Seidel: »Zeitbewußtsein um 1900. Zur literarischen Moderne im wissenschaftsgeschichtlichen Kontext«. Berichte zur Wissenschaftsgeschichte, 22/1999, S. 147–179; S. 152. 13 Werner von Siemens: »Das naturwissenschaftliche Zeitalter (1886)«. Hansjochem Autrum (Hg.): Von der Naturforschung zur Naturwissenschaft: Vorträge, gehalten auf Versammlungen der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (1822–1958). Berlin u. a. 1987, S. 143–155. 14 August Bebel: Die Frau und der Sozialismus. Stuttgart 1913, S. 396 f. 15 Gertrud Helling: »Zur Agrargeschichte: Zur Entwicklung der Produktivität in der deutschen Landwirtschaft im 19. Jahrhundert«. Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, 7/1966, 1, S. 129–141. 16 Hans-Jürgen Teuteberg: »Der Verzehr von Nahrungsmitteln in Deutschland pro Kopf und Jahr seit Beginn der Industrialisierung (1850–1975)«. Archiv für Sozialgeschichte, 19/1979, S. 331–388. 17 Joachim Radkau: Technik in Deutschland (Anm. 1), S. 232. 18 Annette von Droste-Hülshoff: »Westfälische Schilderungen« (1842). Sämtliche Werke in zwei Bänden. Hg. v. Günther Weydt/Winfried Woesler, Bd. 1. München 1973, S. 533 f. 19 Thomas Tripold: Die Kontinuität romantischer Ideen: zu den Überzeugungen gegenkultureller Bewegungen. Eine Ideengeschichte. Bielefeld 2012, S. 24 f. 20 Paul Schultze-Naumburg: »Vorwort«. Kulturarbeiten. Bd. 3: Dörfer und Kolonien. München 1908, o. S. 21 Zit. nach Rolf-Peter Sieferle: »Heimatschutz und das Ende der romantischen Utopie«. Arch+, August 1985, S. 38–42, S. 39. 22 Ernst Rudorff: »Heimatschutz«. Die Grenzboten. Zeitschrift für Politik, Literatur und Kunst, 56/1897, 2, S. 401–414 und S. 455–468; S. 401 f. 23 Zit. nach Rolf-Peter Sieferle: »Heimatschutz« (Anm. 21), S. 39. 24 Ludwig Brinkmann: »Der Ingenieur«. Die Gesellschaft. Sammlung Sozialpsychologischer Monographien, Bd. 21, Frankfurt a. M. 1908, S. 82–85. 25 Dieter Groh/Ruth Groh: Weltbild und Naturaneignung: Zur Kulturgeschichte der Natur. Frankfurt a. M. 1991, S. 151. 26 Maria Present: Wohlfeiles heimatliches Waldesrauschen. Wien 1993. 27 Beata Mache: »Provinz Posen in jüdischer Heimatliteratur«. Netzpublikation. http://www. steinheim-institut.de/edocs/articles/Mache_Posen_Heimatliteratur.pdf (20.11.2018).

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Anmerkungen 28 Wilhelm von Polenz: Der Büttnerbauer. Berlin 1905, S. 408 f. 29 Gunther Mai: »Agrarische Transition und industrielle Krise« (Anm. 2), S. 5. 30 Rolf-Peter Sieferle: »Heimatschutz« (Anm. 21), S. 40. 31 Deutsche Titel: Juda der Unberühmte, Herzen in Aufruhr, Im Dunkeln. 32 Deutsche Titel: Neues aus Nirgendland und Kunde von nirgendwo. 33 »Introduction«. H. J. Massingham (Hg.): The Natural Order. Essays in the Return to Husbandry. London 1945, S. 1–20.

Heimat als Ideologie und Propaganda: Vom Kolonialismus zum ­Nationalsozialismus 1 Jürgen Joachimsthaler: »Heimat, schrecklicher Sehnsuchtsort«. Literaturkritik.de, November 2015. 2 Ernst Kapp: Philosophische oder vergleichende allgemeine Erdkunde als wissenschaftliche Darstellung der Erdverhältnisse und des Menschenlebens. Bd. 2. Braunschweig 1845, S. 340. 3 Vgl. Hans-Dietrich Schultz: »Deutschlands ›natürliche‹ Grenzen. ›Mittellage‹ und ›Mitteleuropa‹ in der Diskussion der Geographen seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts«. Geschichte und Gesellschaft, 15/1989, S. 248–281. 4 Werner Sombart: Die Juden und das Wirtschaftsleben. Leipzig 1913, S. 426. 5 Gustav Frenssen: Peter Moors Fahrt nach Südwest. Berlin 1907, S. 82; S. 200; S. 129. 6 Hans Paasche: Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins innerste Deutschland. Werther bei Bielefeld 1925, S. 80. 7 Ludwig Ganghofer: Reise zur deutschen Front 1915. Berlin/Wien 1915, S. 12–14. 8 Michael von Faulhaber: Waffen des Lichtes. Gesammelte Kriegsreden. Freiburg im Breisgau 1915. 9 Houston Stewart Chamberlain: »Ein Brief über den Begriff ›Heimat‹«. Der Wille zum Sieg. München 1918, S. 53–59. 10 Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte. München 1963, S. 45. 11 Zit. nach Ralf Stremmel: Modell und Moloch. Berlin in der Wahrnehmung deutscher Politiker vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg. Bonn 1992, S. 187; S. 181. 12 Ernst Jünger: »Die totale Mobilmachung« (1930). Ernst Jünger: Sämtliche Werke. Bd. 7. Essays 1. Betrachtungen zur Zeit. Stuttgart 1980, S. 119–142. 13 Zit. nach Ralf Stremmel: Modell und Moloch (Anm. 11), S. 232. 14 Zitate mit Seitenzahlen in Klammern aus Eduard Spranger: Der Bildungswert der Heimatkunde. Stuttgart 1952. 15 Hans Grimm: Volk ohne Raum. München 1932, S. 1197; S. 982; S. 980. 16 Adolf Hitler: Mein Kampf. München (851.–855. Aufl.) 1943, S. 647. 17 Joseph Goebbels: Reden 1932–1939. Bd. 1. Hg. v. Helmut Heiber. Düsseldorf 1971, S. 137. 18 »Richtlinien für den Unterricht in den vier unteren Jahrgängen der Volksschulen«. Renate Fricke-Finkelnburg (Hg.): Nationalsozialismus und Schule. Amtliche Erlasse und Richtlinien 1933–1945. Opladen 1989, S. 27. 19 O. V.: »Mitgegangen, mitgehangen, mitgefangen. Der Vogelschutzbund im National­ sozialismus«. https://www.nabu.de/wir-ueber-uns/organisation/geschichte/00345.html (20.12.2018). 20 Wolfgang Kaschuba: Lebenswelt und Kultur der unterbürgerlichen Schichten im 19. und 20. Jahrhundert. München 1990, S. 48. 21 Beate Kosmala: »Mythos und Realität der Volksgemeinschaft«. Wolfgang Benz/Peter Reif-Spirek (Hg.): Geschichtsmythen. Legenden über den Nationalsozialismus. Berlin 2003, S. 115–149; S. 117.

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Anmerkungen 22 Hans Dieter Schäfer: Das gespaltene Bewußtsein. Über deutsche Kultur und Lebenswirklichkeit 1933–1945. Berlin 1984, S. 120. 23 Martin Z. Schröder: »Rezension zu Philipp Luidl Die ungewöhnlichen Wege der Schwabacher Judenlettern«. Süddeutsche Zeitung, 20.04.2005. 24 Fritz Wächtler: Die neue Heimat. Vom Werden der nationalsozialistischen Kulturlandschaft. München 1940, S. 7 f.; S. 158 f. 25 Daheim, 1934, 20, S. 3. 26 »Jude und Naturschutz«. Blätter für Naturkunde und Naturschutz, 1939, 24, S. 414. 27 Manja Altenburg: »Deutsche Juden als neue Hebräer«. Heimat und Exil. Emigration der deutschen Juden nach 1933. Frankfurt a. M. 2006, S. 111. 28 Atina Grossmann: »Provinzielle Kosmopoliten: Deutsche Juden in New York und anderswo«. Heimat und Exil. (Anm. 27), S. 221.

Heimat in Trümmern: Alte und neue Heimat in West und Ost 1 Wolfgang Borchert: »Draußen vor der Tür«. Das Gesamtwerk. Hamburg 1991, S. 102. 2 Thomas Mann: »Die deutschen KZ«. Tägliche Rundschau, 05.09.1945. Zit. nach Konrad ­Jarausch: Die Umkehr. Deutsche Wandlungen 1945–1995. Bonn 2004, S. 16. 3 Konrad Jarausch: Die Umkehr (Anm. 2), S. 21. 4 Georg Lukács: Die Zerstörung der Vernunft. Berlin (DDR) 1954, S. 10 f. 5 Jean Solchany: »Vom Antimodernismus zum Antitotalitarismus. Konservative Interpretationen des Nationalsozialismus in Deutschland 1945–1949«. Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 44/1996, S. 373–394. 6 Alfred Döblin: »Schicksalsreise: Bericht und Bekenntnis«. Zit. nach Hans Magnus Enzensberger: »Europa in Trümmern. Ein Prospekt«. Europa in Trümmern. Augenzeugenberichte aus den Jahren 1944–1948. Frankfurt a. M. 1990, S. 5–23; S. 19 f. 7 Hans Scharoun: »Berlin«. Ulrich Conrads (Hg.): Die Städte himmeloffen. Reden und Reflexionen über den Wiederaufbau des Untergegangenen und die Wiederkehr des Neuen Bauens 1948/49. Boston/Berlin 2003, S. 37. 8 Hugo Häring: »Neues Bauen«. Ulrich Conrads (Hg.): Die Städte himmeloffen (Anm. 7), S. 52. 9 Egon Eiermann: »Einige Bemerkungen über Technik und Bauform«. Die Städte himmel­ offen (Anm. 7), S. 79. 10 Alexander Mitscherlich: Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Frankfurt a. M. 1966, S. 14 f. 11 Hanno Rauterberg: »Altstadt für alle!«. Die Zeit, 17.05.2018. 12 Stephan Trüby: »Neue Frankfurter Altstadt. Wir haben das Haus am rechten Fleck«. FAZ, 09.04.2018. 13 Wolfgang Voigt: »Hier muss Hass heilig werden«. Die Zeit, 23.08.2018. 14 Andreas Kossert: Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945. München 2008, S. 88 f. 15 Charta der deutschen Heimatvertriebenen. 16 UN-Entwurf für eine »Erklärung über Bevölkerungstransfers und die Seßhaftmachung von Siedlern«. 17 Vgl. Andreas Kossert: Kalte Heimat (Anm. 14), vor allem das Kapitel »›Die Polacken kommen‹ – Deutsche Vertriebene nach 1945«. 18 Jörg Lau: »Vaters Heimat«. Die Zeit, 10.11.2005. 19 Andreas Kossert: Kalte Heimat (Anm. 14), S. 165. 20 »›Nach unten wird die Sprache konzilianter‹«. Der Spiegel, 04.02.1985. 21 Peter Carstens: »Viele Funktionäre früher als Nazis aktiv«. FAZ, 19.11.2012. 22 Johannes Laubmeier: »Vertriebene in Berlin: Was ist Heimat?«. Der Tagesspiegel, 25.04.2015.

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Anmerkungen 23 Heike Amos: Die Vertriebenenpolitik der SED 1949 bis 1990. München 2009, S. 20. 24 Andreas Kossert: Kalte Heimat (Anm. 14), S. 222. 25 Dr. Manfred Hofmann/Werner Dohne/Alexander Martin: Sie wollen weiter marschieren. Der Revanchismus – Todfeind der nationalen Selbstbestimmung. Berlin (DDR) 1960, S. 106. 26 Andreas Kossert: Kalte Heimat (Anm. 14), S. 73 ff. 27 Karl Pagel (Hg.): Deutsche Heimat im Osten. Berlin 1951, S. 7. 28 Paul Fechter: »Der deutsche Osten in Literatur, Wissenschaft und Musik«. Deutsche Heimat im Osten (Anm. 27), S. 81–88; S. 82. 29 Jutta Faehndrich: »Erinnerungskultur und Umgang mit Vertreibung in Heimatbüchern deutschsprachiger Vertriebener«. Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung, 52/2003, 2, S. 191–229; S. 191. Hervorhebung im Original. 30 Paul Walter: »›Mut‹ zur Heimat? Strukturmomente konservativer und rechtsradikaler Heimatvorstellungen«. Wilfried Belschner u. a. (Hg.): Wem gehört die Heimat? Beiträge der politischen Psychologie zu einem umstrittenen Phänomen. Opladen 1995, S. 199. 31 Eva Jahn/Hans Henning Jahn: »Flucht und Vertreibung«. Etienne François/Hagen Schulze (Hg.): Deutsche Erinnerungsorte. Bonn 2005, S. 332–350; S. 337. 32 Aleida Assmann: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik. München 2006, S. 25. 33 Gerhard Bliersbach: So grün war die Heide … Der deutsche Nachkriegsfilm in neuer Sicht. Weinheim/Basel 1985, S. 33. 34 Gert Richter: Erbauliches, belehrendes, wie auch vergnügliches Kitsch-Lexicon von A bis Z. Gütersloh u. a. 1972, S. 119. 35 Thomas Koebner: »Auf der Alm, da gibt’s koa Sünd. Anmerkungen zum Heimatfilm«. Fabienne Liptay (Hg.): Heimat: Suchbild und Suchbewegung. Remscheid 2005, S. 103–130; S.  109 ff. 36 Burgu Dogramaci: Heimat. Eine künstlerische Spurensuche. Köln/Weimar/Wien 2016, S. 11. 37 Alina Laura Tiews: Fluchtpunkt Film. Integrationen von Flüchtlingen und Vertriebenen durch den deutschen Nachkriegsfilm 1945–1990. Berlin-Brandenburg 2017, S. 104. 38 Günter Lange: Heimat – Realität und Aufgabe: zur marxistischen Auffassung des Heimat­ begriffs. Berlin (DDR) 1973, S. 132.

Heimat als Kitsch: Das Schweigen im Walde und Der Förster vom Silberwald 1 Jürgen Overkott: »›Die Fischerin vom Bodensee‹ – Melodram ohne Heimatkitsch«. Neue Ruhr/Rhein Zeitung (NRZ), 22.05.2014. 2 Susanne Holzapfel: »Ob der Franz wohl die Susi kriegt?«. Münchner Kirchenzeitung (MK online), 07.08.2017. 3 Hans-Dieter Gelfert: Was ist deutsch? München 2005, S. 167. 4 Jürgen Hasse: Heimat und Landschaft. Über Gartenzwerge, Center Parcs und andere Ästhetisierungen. Wien 1993, S. 11. 5 Dr. B. Reiters Lexikon des philosophischen Alltags. Bd. 3: Wesen, Stuttgart 2017, S. 43. 6 M. M.: »Gartenzwerge und Werberiesen«. HORIZONT, 50, 11.12.1992, S. 52. 7 Jutta Griebel/Günter Griebel (Hg.): Zwerge typisch deutsch. Werbezwerge – Werberiesen. Eine Ausstellung des Deutschen Gartenzwerg-Museums. Berlin 1992. 8 Hermann Rudolph: »Der Schrebergarten«. Etienne François/Hagen Schulze (Hg.): Deutsche Erinnerungsorte. Eine Auswahl. München 2005, S. 197–213; S. 201 f. 9 Norbert Elias: »Kitschstil und Kitschzeitalter«. Frühschriften. Gesammelte Schriften Bd. 1. Frankfurt a. M. 2002, S. 150. 10 Adolf Loos: »Ornament und Verbrechen« (1908). Sämtliche Schriften in zwei Bänden. Bd. 1. Hg. v. Franz Glück. Wien/München 1962, S. 276–288; S. 280 f.; S. 278. 11 Adolf Stock: »Das Bauhaus und die Gartenkunst«. Deutschlandfunk Kultur, 01.03.2006.

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Anmerkungen 12 Gert Richter: Erbauliches, belehrendes, wie auch vergnügliches Kitsch-Lexikon von A bis Z. Gütersloh/Berlin/München 1972, S. 220. 13 Waldemar Fromm: »Hermann Bahr, Ludwig Ganghofer und die Heimatkunst der Moderne«. Literatur in Bayern, 2006, 86, S. 47. 14 Susanne Scharnowski: »Escaping from Heimat and Longing for Heimat in Wilhelmine von Hillern’s Die Geier-Wally«. Caroline Bland/Godela Weiss-Sussex/Catherine Helen Smale (Hg.): Women Writing Heimat in Imperial and Weimar Germany (German Life and Letters 1/2019), S. 40–51; S. 40. 15 Roman Luckscheiter: »Das falsche Maß. Ludwig Ganghofer und die Moderne«. Carsten Dutt/Roman Luckscheiter (Hg): Figurationen der literarischen Moderne. Heidelberg 2007, S. 225–242; S. 241. 16 Hans Schwerte: »Ganghofers Gesundung. Ein Versuch über sendungsbewußte Trivialliteratur«. Heinz Otto Burger (Hg.): Studien zur Trivialliteratur. Frankfurt a. M. 1968, S. 154– 208; S. 208. 17 Thomas Kraft: »Ludwig Ganghofer: Politische Dimensionen eines Bestsellerautors«. Ludwig Ganghofer, 1855–1920. Kaufbeurer Geschichtsblätter, Sonderheft 8, 1996, S. 48. 18 Kay Dohnke: »Heimatliteratur und Heimatkunst«. Diethart Kerbs/Jürgen Reulecke (Hg.): Handbuch der deutschen Reformbewegungen 1880–1933. Wuppertal 1998, S. 481–493; S. 483. 19 Hermann Broch: »Bemerkungen zum Problem des Kitsches« (1951). Ute Dettmar/Thomas Küpper (Hg.): Kitsch. Texte und Theorien. Stuttgart 2007, S. 223. 20 Konrad Paul Liessmann: Kitsch. Warum der schlechte Geschmack der eigentlich gute ist. Wien 2002, S. 12. 21 Hannah Arendt: »Organisierte Schuld« (1944). Hannah Arendt: Die verborgene Tradition. Frankfurt a. M. 1976, S. 35–49. 22 Hermann Glaser: Spießerideologie. Von der Zerstörung des deutschen Geistes im 19. und 20. Jahrhundert. Freiburg i. Br. 1964, S. 237. 23 Carl Amery: Die Kapitulation oder Deutscher Katholizismus heute. Reinbek 1963, S. 23. 24 Hermann Glaser: Der Gartenzwerg in der Boutique. Mythen der Regression – Provinzialismus heute. Frankfurt a. M. 1973, S. 43. 25 Roman Luckscheiter: »Das falsche Maß. Ludwig Ganghofer und die Moderne« (Anm. 15), S. 241. 26 Theodor W. Adorno: »Philosophie und Lehrer« (1962). Erziehung zur Mündigkeit. Vorträge und Gespräche mit Hellmut Becker 1959–1969. Hg. v. Gerd Kadelbach. Frankfurt a. M. 1970, S. 43. 27 Hermann Glaser: Spießerideologie (Anm. 22), S. 11. 28 Gert Richter: Kitsch-Lexicon (Anm. 12), S. 119. 29 Wolf Donner: »Jagdszenen in Niederbayern«. Die Zeit, 01.08.1969. 30 Dieter Krusche: Reclams Filmführer. Stuttgart 1996, S. 314. 31 »Kombach und Schlöndorff«. Allgemeine unabhängige jüdische Wochenzeitung, Nr. XXVI/6, 05.02.1971, S. 2. 32 Hermann Glaser: Der Gartenzwerg … (Anm. 24), S. 11 f. 33 Karl-Markus Gauß: »Der Rand in der Mitte: Die Chronik einer Heimat«. Die Zeit, 04.10.1996.

Heimat, Heimweh und Nostalgie: Die Sehnsucht nach der ›alten, ­s­chönen Zeit‹ 1 Jean-Jacques Rousseau: »Dictionnaire de Musique«. Zit. nach Du: kulturelle Monatsschrift, 7/1947, 8, S. 31. 2 David Anderson: »Dying of Nostalgia. Homesickness in the Union Army during the Civil War«. Civil War History, 56/2010, 3, S. 247–282.

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Anmerkungen 3 Immanuel Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. Hg. v. Karl Vorländer. Leipzig 1912, § 32, S. 82. 4 Willers Peter Jessen: »Nostalgia«. Encyclopädisches Wörterbuch der medicinischen Wissenschaften. Hg. v. C. F. v. Gräfe, C. W. Hufeland u. a., Bd. 25. Berlin 1843, S. 292–323. 5 »Nostalgie«. Meyers Enzyklopädisches Lexikon in 25 Bänden, Mannheim u. a. 1976, 17. Bd., S. 447. 6 Hartmut Rosa: Beschleunigung und Entfremdung. Bonn 2013, S. 20. 7 Ernst Dronke: Berlin (1846). Hg. v. Rainer Nitsche. Darmstadt/Neuwied 1987, S. 32. 8 Reinhard Huschke: »Die Unwirtlichkeit der Vorstädte«. Telepolis, 05.11.2006. 9 Tobias Becker: »Rückkehr der Geschichte? Die ›Nostalgie-Welle‹ in den 1970er und 1980er Jahren«. Fernando Esposito (Hg.): Zeitenwandel. Transformationen geschichtlicher Zeitlichkeit nach dem Boom. Göttingen 2017, S. 108. 10 »Jene Sehnsucht nach den alten Tagen [...]«. Der Spiegel, 29.01.1973. 11 Arnold Gehlen: »Das entflohene Glück. Eine Deutung der Nostalgie«. Merkur, 30/1976, 336, S. 433. 12 Ina-Maria Greverus: Auf der Suche nach Heimat. München 1979, S. 179. 13 Jens Ivo Engels: »Geschichte und Heimat. Der Widerstand gegen das Kernkraftwerk Wyhl«. Kerstin Kretschmer (Hg.): Wahrnehmung, Bewusstsein, Identifikation: Umwelt­ probleme und Umweltschutz als Triebfedern regionaler Entwicklung. Freiberg 2003, S. 103– 130. 14 Bernd A. Rusinek: »Wyhl«. Étienne François/Hagen Schulze (Hg.): Deutsche Erinnerungsorte. Bd. 2. München 2009, S. 652–666; S. 657. 15 Jens Ivo Engels: »Geschichte und Heimat« (Anm. 13), S. 107. 16 Jens Ivo Engels: »Geschichte und Heimat« (Anm. 13), S. 123. 17 Jürgen Bischoff: »›So geht das nicht weiter‹«. Die Zeit, 13.06.1986. 18 Walter Moßmann: »Die Bevölkerung ist hellwach«. Kursbuch, 39/1975, S. 147. 19 Mayer, Axel: »AKW – Wyhl Protest/1975–2000/Ein Rückblick«. http://www.bund-rvso.de/ bauplatzbesetzung-wyhl.html (20.12.2018). 20 Ernst Bloch: »Gespräch über Ungleichzeitigkeit«. Kursbuch, 39/1975, S. 8. 21 Brigitte Wormbs: »Wie herrlich leuchtet uns die Natur«. Kürbiskern: Heimat und Revolution, 1975, S. 110. 22 Robert Jungk: »Fünf Thesen über eine mögliche Wende«. Thema Regionalismus. Tintenfisch 10, Berlin 1976, S. 13. 23 Peter Peter: Kulturgeschichte der deutschen Küche. München 2014, S. 184. 24 https://www.slowfood.de/ (20.12.2018). 25 »Die Wiederkehr der Dialekte«. Der Spiegel, 19.04.1976. 26 Silvia Mazzini: »Kältestrom/Wärmestrom«. Bloch-Wörterbuch. Hg. v. Beat Dietschy/Doris Zeilinger/Rainer Zimmermann. Berlin/Boston 2012, S. 224–231; S. 225. 27 Gerd Koch: »Heimat«. Bloch-Wörterbuch (Anm. 26), S. 168–189; S. 175. 28 Ernst Bloch: »Hebel, Gotthelf und bäurisches Tao« (1926). Literarische Aufsätze. Frankfurt a. M.1984, S. 365–384. 29 Ivan Illich: Selbstbegrenzung. Eine politische Kritik der Technik (1975). München 1998, S. 102. 30 Carl Amery: »Für eine neue Kirchturmspolitik«. Evangelische Akademie Tutzing (Hg.): Bekenntnis zur Provinz. Neue Mode oder echtes Bedürfnis? München 1981, S. 9. 31 Sven Reichardt: Authentizität und Gemeinschaft. Linksalternatives Leben in den siebziger und frühen achtziger Jahren. Berlin 2014, S. 191. 32 Peter L. Berger/Brigitte Berger/Hansfried Kellner: The Homeless Mind. Modernization and Consciousness. New York 1973 (Das Unbehagen in der Modernität, 1973). 33 Ina-Maria Greverus: Auf der Suche nach Heimat (Anm. 12), S. 179.

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Anmerkungen 34 Zygmunt Bauman: Gemeinschaften. Auf der Suche nach Sicherheit in einer bedrohten Welt. Frankfurt a. M. 2014, S. 27. 35 Wolfgang Schivelbusch: »Das nostalgische Syndrom. Überlegungen zu einem neueren antiquarischen Gefühl«. Frankfurter Hefte. Zeitschrift für Kultur und Politik, 28/1973, 4, S. 270–276; S. 270. 36 Daniel Rettig: Die guten alten Zeiten. Warum Nostalgie uns glücklich macht. München 2013. 37 Avishai Margalit: »Nostalgia«. Psychoanalytic Dialogues: The International Journal of Relational Perspectives, 21/2011, 3, S. 271–280. 38 Zygmunt Bauman: »Symptome auf der Suche nach ihrem Namen und ihrem Ursprung«. Heinrich Geiselberger (Hg.): Die große Regression. Berlin 2017, S. 39. 39 »Früher war alles schlechter«. Der Spiegel, 12.11.2016. 40 Martin Greiffenhagen: »Das Dilemma des Konservatismus«. Hans-Gerd Schumann (Hg.): Konservativismus. Königstein/Ts. 1984, S. 156–197; S. 101 f. 41 Tobias Becker: »Was ist Heimat?«. S-Magazin, 09.2017, S. 16. 42 Christophe Guilluy: »Verlust der Sicherheit«. Süddeutsche Zeitung, 04.01.2017. 43 Robert Wuthnow: The Left Behind. Decline and Rage in Rural America. Princeton 2018, S.  7 f. 44 Wolfgang Streeck: »Die Wiederkehr des Verdrängten als Anfang vom Ende des globalen Neoliberalismus«. Die große Regression (Anm. 38), S. 253–273; S. 263. 45 Albrecht Meyer: »Interview mit Christophe Guilluy«. Der Tagesspiegel, 21.01.2018. 46 Berrit Gräber: »Hip statt spießig«. Süddeutsche Zeitung, 28.09.2017. 47 Mario Vigl: »Katalog der guten Dinge«. Die Zeit, 16.12.1994. 48 Tobias Kniebe: »Manufactum«. Süddeutsche Zeitung Magazin 38, 10.05.2005. 49 Andreas Öhler: »Auf dem Edelholzweg«. Die Zeit, 01.12.2017. 50 Thomas Hoof: Nebenbei und Obendrein. Eine Auswahl aus den Manufactum-Hausnachrichten 1988–2007. Waltrop/Leipzig 2008, S. 8.

›Heimat ist ein Gefühl‹: Nomaden und Touristen 1 Winfried Steffani: Pluralistische Demokratie. Studien zur Theorie und Praxis. Opladen 1980, S. 207; S. 201. 2 Ina-Maria Greverus: Auf der Suche nach Heimat. München 1979, S. 112. 3 Wolfgang Thüne: Die Heimat als soziologische und geopolitische Kategorie. Würzburg 1987. 4 Erik H. Erikson: Identität und Lebenszyklus. Frankfurt a. M. 1993, S. 17. 5 Peter Sloterdijk: Die schrecklichen Kinder der Neuzeit. Berlin 2014, S. 81. 6 Niklas Luhmann: »Die gesellschaftliche Differenzierung und das Individuum«. Niklas Luhmann: Soziologische Aufklärung. Bd. 6. Die Soziologie und der Mensch. Opladen 1995, S. 125–141; S. 132 f. 7 Karl Polanyi: The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen (1944). Frankfurt a. M. 2013, S. 70. 8 Guy Kirsch: Das freie Individuum und der dividierte Mensch. Baden-Baden 1990, S. 58. 9 Michel Foucault: Geschichte der Gouvernementalität. Bd. 2: Die Geburt der Biopolitik. Frankfurt a. M. 2004, S. 314. 10 Herbert Marcuse: Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft. Hg. v. Heinz Maus/Friedrich Fürstenberg. Neuwied/Berlin 1967, S. 9. 11 Rolf Goetz: Von der Landkommune zur Dorfgemeinschaft. Ökologische Modelle zwischen Anarchie und Spiritualität. Herford 1973, S. 6; S. 17 f. 12 Peter Mosler: Die vielen Dinge machen arm. Hamburg 1981, S. 62 f.; S. 212. 13 Klaus Bergmann/Winfried Hammann/Solveig Ockenfuß (Hg.): Abhauen. Flucht ins Glück. Reinbek bei Hamburg 1981, S. 13.

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Anmerkungen 14 Klaus Bergmann et al.: Abhauen (Anm. 13), S. 83. 15 Hans Magnus Enzensberger: »Vergebliche Brandung der Ferne. Eine Theorie des Tourismus«. Merkur, 12/1958, 126, S. 709. 16 Klaus Bergmann et al.: Abhauen (Anm. 13), S. 46. 17 Zygmunt Bauman: Tourists and vagabonds: heroes and victims of postmodernity. Wien 1996. https://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/26687/ssoar-1996-baumanntourists_and_vagabonds.pdf (28.02.2019). 18 Gerhard Schulze: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. Frankfurt a. M./ New York 1996, S. 22. 19 Michael Mutz/Sylvia Kämpfer: »Emotionen und Lebenszufriedenheit in der ›Erlebnisgesellschaft‹«. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 2013, 65, S. 253–275. 20 Sighard Neckel: »Interview zum Thema Emotionssoziologie«. Soziologiemagazin, 2/2014, S. 4–12. 21 Alexander Fischer: »Besser leben. Warum Manipulation viel besser ist als ihr Ruf«. GEO, 06/2018. https://www.geo.de/magazine/geo-magazin/19042-rtkl-besser-leben-warum-manipulation-viel-besser-ist-als-ihr-ruf (20.12.2018). 22 Martina Zschocke: Mobilität in der Postmoderne. Psychische Komponenten von Reisen und Leben im Ausland. Würzburg 2005, S. 44. 23 Julia Wadhawan: »Vier Stunden, mehr nicht!«. Die Zeit, 18.02.2016. 24 Anna Lipphardt: »Der Nomade als Theoriefigur, empirische Anrufung und Lifestyle-Emblem. Auf Spurensuche im Globalen Norden«. Aus Politik und Zeitgeschichte, 2015, 26–27, S. 32–38; S. 32. 25 Vilém Flusser: »Wohnung beziehen in der Heimatlosigkeit«. Vilém Flusser: Von der Freiheit des Migranten. Einsprüche gegen den Nationalismus. Düsseldorf 1994, S. 15–30. 26 Ilija Trojanow: »Exil als Heimat. Die literarischen Früchte der Entwurzelung«. Isolde Charim/Gertrud Auer Borea (Hg.): Lebensmodell Diaspora. Über moderne Nomaden. Bielefeld 2012, S. 155–163; S. 156. 27 Aglaia Blioumi: »Transatlantische Begrifflichkeiten. Anmerkungen zum interkulturellen Diskurs in Deutschland und den USA«. Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.): Dossier Migrations­ literatur. Eine neue deutsche Literatur? Berlin 2009, S. 24–29; S. 27. 28 Lena Gorelik: »Heimat ist ein Gefühl«. Zeit online, 31.05.2017. 29 Carolin Emcke: »Heimat«. Süddeutsche Zeitung, 18.09.2015. 30 Michael Kniess: »Heimat: Warum sie für jeden etwas anderes bedeutet«. Vorwärts, 29.12.2017. 31 Dirk Kurbjuweit: »Mein Herz hüpft«. Der Spiegel, 07.04.2012. 32 Statements zur ARD-Themenwoche »Heimat«, 04.–10.10.2018. http://www.ard.de/home/ themenwoche/Statements_zur_ARD_Themenwoche_Heimat/2116190/index.html (20.12.2018). 33 Zit. nach WAZ, 18.03.2018. 34 David Goodhart: »Die ›Anywheres‹ und die ›Somewheres‹. Die wachsende Kluft zwischen der breiten Mitte der Gesellschaft und der liberalen Oberschicht«. Rotary Magazin, 5/2017. 35 Ulrich Beck/Elisabeth Beck-Gernsheim: »Individualisierung in modernen Gesellschaften – Perspektiven und Kontroversen einer subjektorientierten Soziologie«. Ulrich Beck (Hg.): Riskante Freiheiten: Individualisierung in modernen Gesellschaften. Frankfurt a. M. 2004, S. 11. 36 Volker Kronenberg: Heimat bilden. Herausforderungen – Erfahrungen – Perspektiven. Berlin 2018, S. 38. 37 BMBF: »Richtlinie zum Aufbau eines ›Instituts für gesellschaftlichen Zusammenhalt‹«, 2017.

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Anmerkungen 38 Herwig Münkler/Martina Münkler: Die neuen Deutschen. Berlin 2016, S. 67. 39 »Die Individualisierung der Welt«. https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/die-individualisierung-der-welt/(20.12.2018). 40 »Multilokalismus«. Adobe Creative Connection. http://blogs.adobe.com/creative/de/multilokalismus-visual-trend-2018/ (02.05.2018). 41 Taiye Selasi: »Don’t ask me where I’m from, ask me where I’m a local«, TED 2014. https:// www.ted.com/talks/taiye_selasi_don_t_ask_where_i_m_from_ask_where_i_m_a_local (20.12.2018). 42 Daniel Schreiber: Zuhause. Berlin 2017, S. 127. 43 Jan Söffner: »So mancher Westler fühlt sich ›fremd im eigenen Land‹, denn die Heimat ist eine neue Erfindung«. NZZ, 15.06.2018. 44 Daniel Schreiber: Zuhause. Berlin 2017, S. 105. 45 Cornelia Koppetsch: »In Deutschland daheim, in der Welt zu Hause?«. Soziopolis, 22.12.2017. 46 Ben Judah: This is London: Life and Death in the World City. London 2016. 47 Cornelia Koppetsch: »In Deutschland daheim, in der Welt zu Hause?« (Anm. 45). 48 »Hans-Peter Dürr im Gespräch«. Der Spiegel, 04.12.2000. 49 Timo Steppat: »Es gibt keine Integration mehr«. Interview mit Maurice Crul. FAZ, 31.05.2018. 50 Knut Petzold: Multilokalität als Handlungssituation. Wiesbaden 2013, S. 55. 51 Aroa Fernandez: »Über das Leben digitaler Nomaden. Wenn die Welt das bessere Büro ist«. https://www.goethe.de/ins/uy/de/kul/mag/21288324.html (20.12.2018). 52 Clare Cooper Marcus: House as a mirror of self. Exploring the deeper meaning of home. Berkeley 1995. Zit. nach Antje Flade: Der rastlose Mensch. Wiesbaden 2013, S. 77.

›Global denken, lokal handeln?‹: Welt und Erde als Heimat 1 Wolfgang Merkel: »Kosmopolitismus versus Kommunitarismus: Ein neuer Konflikt in der Demokratie«. Philipp Harfst/Ina Kubbe/Thomas Poguntke (Hg.): Parties, Governments and Elites. Wiesbaden 2017, S. 9–23. 2 Stefan Leder: »Nomaden und Sesshafte in Steppen und Staaten«. Scientia Halensis, 1/2005, S. 19–22. 3 Karl Marx: »Zur Judenfrage« (1844). Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 1. Berlin 1976, S. 364. 4 John Harris: »In a world of digital nomads, we will all be made homeless«. The Guardian, 18.06.2018. 5 Rainer Funk: »Grenzen des Entgrenzungsstrebens – Sozialpsychologische Kritik der Wachstumsideologie«. Vorlesung, Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg, 18.06.2014: http://www.postwachstumsoekonomie.de/wp-content/uploads/2014–06–18_Funk-Grenzen-des-Entgrenzungsstrebens.pdf (24.11.2018). 6 Hanno Rauterberg: »Coffee to Go«. Die Zeit, 30.12.2009. 7 https://www.metabunk.org/growth-in-world-air-traffic-1970-present.t2572/ (20.12.2018). 8 E. M. Forster: Die Maschine steht still. Hamburg 2016, S. 11; S. 16; S. 19 f.; S. 63. 9 Karl Marx/Friedrich Engels: Werke. Bd. 4, Berlin 1976, S. 459, 493. 10 Thomas Mergel: »Marx, Engels und die Globalisierung«. Zeithistorische Forschungen, 2009, 2. 11 Olaf Bach: Die Erfindung der Globalisierung. Bamberg 2007, S. 54. 12 Herrmann Schwengel: Globalisierung mit europäischem Gesicht. Berlin 1999, S. 18. 13 Olaf Bach: Die Erfindung der Globalisierung (Anm. 11), S. 62. 14 Christoph Asendorf: Super Constellation. Flugzeug und Raumrevolution. Die Wirkung der Luftfahrt auf Kunst und Kultur der Moderne. Wien/New York 1997, S. 267 f.

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Anmerkungen 15 Wendell Willkie: One World. New York 1943, S. 2. 16 Horst Bredekamp: »Blue Marble. Der blaue Planet«. Christoph Markschies u. a. (Hg.): Atlas der Weltbilder. Berlin 2011, S. 367–375; S. 372. 17 Joachim Radkau: Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte. Bonn 2011, S. 124–129. 18 Max Nicholson: The Environmental Revolution. London 1970. Zit. nach Joachim Radkau: Die Ära der Ökologie (Anm. 17), S. 134. 19 Joachim Radkau: Die Ära der Ökologie (Anm. 17), S. 136. 20 Fred Turner: »Die Politik der Ganzheit um 1968 – und heute«. Diedrich Diederichsen/Anselm Franke (Hg.): The Whole Earth Catalog. Kalifornien und das Verschwinden des Außen. Berlin 2013, S. 43–48. 21 Stuart Brand: »Why haven’t we seen a photograph of the whole Earth yet?«. Lynda Rosen Obst (Hg.): The Sixties: the decade remembered now, by the people who lived it then. New York 1977, S. 168–170. 22 Peder Anker: »The Ecological Colonization of Space«. Environmental History, 10/April 2005, S. 239–268. 23 Joachim Radkau: Die Ära der Ökologie (Anm. 17), S. 119. 24 Rachel Carson: Der stumme Frühling. München 2017, S. 19; S. 316. 25 Joachim Radkau: Die Ära der Ökologie (Anm. 17), S. 612. 26 Timmo Krüger: »Das Hegemonieprojekt der ökologischen Modernisierung«. Leviathan, 41/2013, 3, S. 422–456. 27 John Asafu-Adjaye u. a.: Ökomodernes Manifest (http://www.ecomodernism.org/deutsch/) (20.12.2018). 28 Jonathan Franzen: Die Klima-Klemme. E-Book. Hamburg 2016, o. S. 29 Margarete Bause: »Natur als Grenze? Modernes und Gegenmodernes im grünen Diskurs«. Ulrich Beck/Maarten A. Hajer/Sven Kesselring (Hg.): Der unscharfe Ort der Politik. Empirische Fallstudien zur Theorie der reflexiven Modernisierung. Opladen 1999, S. 129. 30 Rainer Hank: »Sind wir noch liberal?«. FAS, 05.08.2018. 31 Ralf Fücks/Tom Enders: »Editorial«. Heinrich-Böll-Stiftung/Airbus Group: Oben – Ihr Flugbegleiter. Berlin 2016, S. 3. 32 Joachim Radkau: Die Ära der Ökologie (Anm. 17), S. 584. 33 Julia Schifferdecker: »Das Spannungsfeld zwischen Windkraft und Artenschutz auf der Flächennutzungsplanungsebene«. Natur und Recht, 36/2014, 10, S. 692. 34 Stine Marg: »Heimat. Die Reaktivierung eines Kampfbegriffes«. Christoph Hoeft/Sören Messinger-Zimmer/Julia Zilles (Hg.): Bürgerproteste in Zeiten der Energiewende. Lokale Konflikte um Windkraft, Stromtrassen und Fracking. Bielefeld 2017, S. 229. 35 Jürgen Trittin: »Naturschutz und Nationalsozialismus. Erblast für den Naturschutz im demokratischen Rechtsstaat?«. Joachim Radkau (Hg.): Naturschutz und Nationalsozialismus. Frankfurt a. M. u. a. 2003, S. 33–40. 36 Reinhart Piechocki u. a.: »Die Vilmer Thesen zu ›Heimat‹ und Naturschutz«. Reinhard Piechocki/Norbert Viersbinski (Bearb.): Heimat und Naturschutz. Bonn-Bad Godesberg 2007, S. 16. 37 Ludwig Trepl: »Energiewende – Ende der Ökologiebewegung?«. Blog Landschaft und Ökologie. scilogs.spektrum.de, 18.03.2013. 38 Gerd Gerken/Michael A. Konitzer: Trends 2015: Ideen, Fakten, Perspektiven. Frankfurt a. M. 1995, S. 205. 39 Christoph Hoeft u. a.: »Einleitung«. Bürgerproteste in Zeiten der Energiewende (Anm. 34). 40 Gerd Rosenkranz/Michael Spielmann: »Energiewende: Umwelt- gegen Naturschutz?«. zeo2, 2013, 2, S. 13. 41 Jean-Claude Michéa: Das Reich des kleineren Übels. Über die liberale Gesellschaft. Berlin 2014, S. 116.

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Anmerkungen 42 Jürgen Trittin: »Ökologischer Materialismus. Wie die Natur politisch wird«. Polar, 2009, 1, S. 18. 43 Susanne Scharnowski: »Die Wiederkehr des Ästhetischen in der Rede über Natur und Umwelt. Vom Nutzen einer reflektierten Kulturgeschichte der Natur«. Berbeli Wanning/ Sieglinde Grimm (Hg.): Kulturökologie und Literaturdidaktik. Göttingen 2016, S. 370. 44 Thomas Fischermann/Madarejúwa Tenharim: Der letzte Herr des Waldes. München 2018, S. 5. 45 Siehe Matthias Greffrath über Latour (DLF, 21.05.2018) sowie das Interview von Harald Staun mit Latour in der FAZ (13.05.2018). 46 Bruno Latour: Das terrestrische Manifest. Berlin 2018, S. 24; S. 65; S. 21. 47 David R. Montgomery: Dreck. Warum unsere Gesellschaft den Boden unter den Füßen verliert. Bonn 2011, S. 16.

Heimat ist ein Ort: Für einen kosmopolitischen Provinzialismus Thomas Petersen: »Allensbach-Umfrage«. FAZ 24.04.2018. Max Scheler: Die Stellung des Menschen im Kosmos. Bern/München 1975, S. 39. Bernd Heinrich: Der Heimatinstinkt. Das Geheimnis der Tierwanderung. Berlin 2016. Berthold Auerbach: »Vorrede« Schwarzwälder Dorfgeschichten. Hg. v. Karl-Maria Guth. Berlin 2017, S. 5. 5 Peter Heinrich Schmidt: »Raum und Ort als geographische Grundbegriffe«. Geographische Zeitschrift, 36/1. Januar 1930, 6, S. 357–360. 6 Georg Simmel: »Soziologie des Raumes« (1903). Georg Simmel: Aufsätze und Abhandlungen 1901–1908, Bd. 1. Frankfurt a. M. 1995, S. 138. 7 Felizitas Lenz-Romeiß: Die Stadt – Heimat oder Durchgangsstation? München 1970, S. 41. 8 Doreen Massey: »Places and Their Pasts«. History Workshop Journal, 1995, 39, S. 183 (freie Übers. der Verf.). 9 Detlev Ipsen: Ort und Landschaft. Wiesbaden 2006, S. 102 f. 10 Waltraud Schmied: Ortsverbundenheit und Lebensqualität. Bonn 1985, S. 20. 11 Wolfgang Streeck: »Lokalpatriotismus: Ein Weltbürger ist nirgendwo Bürger«. Die Zeit, 21.06.2018. 12 Joanna Pfaff-Czarnecka: Zugehörigkeit in der mobilen Welt: Politiken der Verortung. Göttingen 2012, S. 43. 13 John Urry: Consuming Places. London/New York 1995, S. 1 f. 14 Zygmunt Bauman: Unbehagen in der Postmoderne. Hamburg 1999, S. 162. 15 Salvatore Settis: Wenn Venedig stirbt. Streitschrift gegen den Ausverkauf der Städte. Berlin 2015, S. 15. 16 Christoph Asendorf: »Die Künste, der Neue Mensch und die Räume der technischen Welt«. Nicola Lepp/Martin Roth/Klaus Vogel (Hg.): Der Neue Mensch. Obsessionen des 20. Jahrhunderts. Ostfildern-Ruit 1999, S. 62. 17 Marc Perelman: Le Corbusier. Une froide vision du monde. Paris 2015. 18 Le Corbusier: Kommende Baukunst. Stuttgart 1926, S. 102. 19 Marc Augé: Orte und Nicht-Orte: Vorüberlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit. Frankfurt a. M. 1994, S. 93. 20 Arnold Stadler: »Zur Frage nach der Heimat«. Hans-Gert Pöttering/Joachim Klose (Hg.): Wir sind Heimat. Annäherungen an einen schwierigen Begriff. Berlin 2012, S. 68. 21 Barbara Steiner: »Die transformierte Moderne«. Katja Heinecke/Jan Wenzel (Hg.): Heimat Moderne. Berlin 2006, S. C3–C10; S. C5 f. 22 Ursula März: »Auf einmal Heimat«. Die Zeit, 26.10.2017. 23 Sandra Kegel: »Heimat in der Literatur. Aus weiter Ferne, so nah«. FAZ, 07.04.2012. 24 Christoph Peters: Stadt Land Fluß (1999). München 2005, S. 54 f. 1 2 3 4

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Anmerkungen 25 Dörte Hansen: Mittagsstunde. München 2018, S. 7; S. 9. 26 Arnold Stadler: Ich war einmal. Frankfurt a. M. 1999, S. 26 f. 27 Arnold Stadler: »Zur Frage nach der Heimat« (Anm. 20). 28 Elmar Schenkel: Sense of Place. Regionalität und Raumbewußtsein in der neueren britischen Lyrik. Tübingen 1993, S. 22. Hervorhebung im Original. 29 Robert Southey: Letters from England. Vol. 1. New York 1808, S. 311. 30 W. H. Auden: Introduction. Slick but not Streamlined. Poems and Short Pieces by John Betjeman. New York 1947. 31 Roger Scruton: Grüne Philosophie: Ein konservativer Denkansatz. München 2013. 32 Heinz Schlaffer: »Essay«. Harald Fricke u. a. (Hg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. I. Berlin/New York 2007, S. 524 f. 33 Tobias Menely: »Traveling in Place: Gilbert White’s Cosmopolitan Parochialism«. Eighteenth-Century Life, 28/2004, 3, S. 50. 34 Friedrich Albrecht Anton Meyer: »Vorrede des Übersetzers«. White’s Beyträge zur Naturgeschichte von England. Berlin 1792, o. S. 35 Eduard Guggenberger/Roman Schweidlenka: Bioregionalismus. Bewegung für das 21. Jahrhundert. Osnabrück 1996, S. 19. 36 Bernd Hamm/Barbara Rasche: Bioregionalismus. Ein Überblick. 2012, S. 2. http://www.unitrier.de/fileadmin/forschung/ZES/Schriftenreihe/053.pdf (20.12.2018). 37 Roman Schweidlenka: »Die Neue Bodenständigkeit. Bioregionalismus-Bewegung«. politische ökologie, 41/Mai–Juni 1995, o. S. 38 Van Andruss u. a. (Hg.): Home! A Bioregional Reader. Philadelphia 1990. 39 Gary Snyder: »Bioregional Perspectives«. Van Andruss u. a.: Home! (Anm. 38), S. 18. 40 Andrea Edl: Vom Ursprung ökokritischen Denkens zu einem kosmopolitanen Ansatz der urbanen Ökokritik. Frankfurt a. M. 2013, S. 149. 41 Wendell Berry: »Die Arbeit einer heimischen Kultur«. Leben mit Bodenhaftung. Essays zur landwirtschaftlichen Kultur und Unkultur. Michendorf 2000, S. 130. 42 Wendell Berry: »Die Arbeit einer heimischen Kultur« (Anm. 41), S. 130. 43 Klaus Brill: Deutsche Eiche made in China: Die Globalisierung am Beispiel eines deutschen Dorfes. München 2009, S. 19. 44 Wendell Berry: Körper und Erde. Essay über gutes Menschsein. Klein Jasedow 2002, S. 59. 45 Bill McKibben: Eaarth. Making a Life on a Tough New Planet. New York 2011, S. 204. 46 bell hooks: Belonging. A Culture of Place. New York 2009, S. 13 (Übers. d. Verf.). 47 Robert Pausch/Bernd Ulrich: »Riss durch die Mitte«. Die Zeit, 08.02.2018. 48 Hartmut Rosa: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin 2016, S. 271. 49 Volker Kronenberg: Heimat bilden. Herausforderungen – Erfahrungen – Perspektiven. Berlin 2018, S. 54; S. 69; S. 90. 50 Vgl. das Gespräch von M. Magercord mit dem Bürgermeister von Kingersheim, DLF, 21.10.2018. 51 Gary S. Schaal/Felix Heidenreich: Einführung in die Politischen Theorien der Moderne. Opladen/Toronto 2016, S. 111.

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Literaturverzeichnis

Literaturverzeichnis Quellen und Primärtexte Arnim, Achim von: »Von Volksliedern«. In: Des Knaben Wunderhorn. Alte Deutsche Lieder. München 1957 Auden, W. H. (Hg.): Slick but not Streamlined. Poems and Short Pieces by John Betjeman. New York 1947 Auerbach, Berthold: Neue Dorfgeschichten: Nach 30 Jahren. Stuttgart 1876 Auerbach, Berthold: Schwarzwälder Dorfgeschichten. Die acht Bände der Gesamtausgabe von 1863 in einem Buch. Hg. v. Karl-Maria Guth. Berlin 2017 Bebel, August: Die Frau und der Sozialismus. Stuttgart 1913 Becher, Johannes R.: Schöne deutsche Heimat. Berlin (DDR) 1956 Brand, Stewart (Hg.): Whole Earth Catalog. San Francisco 1968–1972 Brentano, Clemens: »Der Philister vor, in und nach der Geschichte. Scherzhafte Abhandlung«. In: Werke, Bd. 2. Hg. v. Friedhelm Kemp. München 1963 Carson, Rachel: Der stumme Frühling (Silent Spring, 1962). München 2017 Chamberlain, Houston Stewart: »Ein Brief über den Begriff ›Heimat‹«. In: Der Wille zum Sieg. München 1918, S. 53–59 Conrads, Ulrich (Hg.): Die Städte himmeloffen. Reden und Reflexionen über den Wiederaufbau des Untergegangenen und die Wiederkehr des Neuen Bauens 1948/49. Boston/Berlin 2003 Dronke, Ernst: Berlin (1846). Hg. v. Rainer Nitsche. Darmstadt/Neuwied 1987 Droste-Hülshoff, Annette von: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Hg. v. Günther Weydt/Winfried Woesler, Bd. 1. München 1973 Eichendorff, Joseph von: Erzählungen. Erster Teil, Bd. 5.1. Hg. v. Karl Konrad Pohlheim. Tübingen 1998 Eichendorff, Joseph von: Gedichte. Erster Teil, Bd. 1.1. Hg. v. Harry Fröhlich/Ursula Regener. Stuttgart/Berlin/Köln 1993 Enzensberger, Hans Magnus (Hg.): Europa in Trümmern. Augenzeugenberichte aus den Jahren 1944–1948. Frankfurt a. M. 1990 Faulhaber, Michael von: Waffen des Lichtes. Gesammelte Kriegsreden. Freiburg im Breisgau 1915 Fischermann, Thomas/Madarejúwa Tenharim: Der letzte Herr des Waldes. München 2018 Forster, E. M.: Die Maschine steht still (The Machine Stops, 1909). Übers.: Gregor Runge. Hamburg 2016 Franzen, Jonathan: Die Klima-Klemme (Carbon Capture). Übers. v. Wieland Freund. E-Book. Hamburg 2015 Frenssen, Gustav: Peter Moors Fahrt nach Südwest. Berlin 1907 Ganghofer, Ludwig: Das Schweigen im Walde (1899). Berlin 1909 Ganghofer, Ludwig: Reise zur deutschen Front 1915. Berlin/Wien 1915 Die Gartenlaube. Illustriertes Familienblatt. Leipzig/Berlin 1853–1944 Gauß, Karl Markus: Von nah, von fern: Ein Jahresbuch. Wien 2003 Gerhardt, Paul: Die deutschen Lieder und Gedichte. Hg. v. Karl-Maria Guth. Berlin 2017 Goebbels, Joseph: Reden 1932–1939. Bd. 1. Hg. v. Helmut Heiber. Düsseldorf 1971 Goethe, Johann Wolfgang: Werke. Hg. v. Dieter Borchmeyer. München 1992 ff. Grimm, Hans: Volk ohne Raum (1926). München 1932 Grimm, Jacob/Wilhelm Grimm: Kinder- und Hausmärchen. Darmstadt 1969

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Literaturverzeichnis Albrecht, Andrea: Kosmopolitismus. Weltbürgerdiskurse in Literatur, Philosophie und Publizistik um 1800. Berlin/New York 2005 Althochdeutsches Wörterbuch. Auf Grund der von Elias v. Steinmeyer hinterlassenen Sammlungen im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Bearb. u. hg. v. Elisabeth Karg-Gasterstädt/Theodor Frings. Leipzig 1952–2015 ff. Ammon, Günther: »Die Stilforschung im Rahmen der interkulturellen Kommunikation«. In: Alois Moosmüller (Hg.): Interkulturelle Kommunikation. Konturen einer wissenschaftlichen Disziplin. Münster/New York/München/Berlin 2007, S. 157–170 Andratschke, Thomas (Hg.): Mythos Heimat. Worpswede und die europäischen Künstlerkolonien. Ausstellungskatalog. Dresden 2016 Applegate, Celia: A Nation of Provincials. The German Idea of Heimat. Berkeley/Los Angeles 1990 Bade, Klaus (Hg.): Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland. Migration in Geschichte und Gegenwart. München 1992 Barz, Christiane (Hg. im Auftrag des Hauses der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte): Einfach. Natürlich. Leben. Lebensreform in Brandenburg 1890–1939. Berlin 2015 Bate, Jonathan: Wordsworth and the Environmental Tradition. London 1991 Bauer, Jenny/Claudia Gremler/Niels Penke (Hg.): Heimat – Räume. Komparatistische Perspektiven auf Herkunftsnarrative. Berlin 2014 Bavaj, Riccardo: Die Ambivalenz der Moderne im Nationalsozialismus: Eine Bilanz der Forschung. München 2003 Bendrath, Wiebke: Ich, Region, Nation. Maurice Barrès im französischen Identitätsdiskurs seiner Zeit und seine Rezeption in Deutschland. Tübingen 2003 Berger, Andrea/Martin von Hohnhorst (Hg.): Heimat. Wiederentdeckung einer Utopie. Blieskastel 2004 Berger, Peter L./Brigitte Berger/Hansfried Kellner: The Homeless Mind. Modernization and Consciousness. New York 1973 Bergmann, Klaus: Agrarromantik und Großstadtfeindschaft. Meisenheim a. G. 1970 Bernet, Rudolf: »Heimweh und Nostalgie«. In: Kathrin Busch/Iris Därmann (Hg.): Pathos. Konturen eines kulturwissenschaftlichen Grundbegriffs. Bielefeld 2007, S. 103–118 Bescana, Carme/Ilse Nagelschmidt (Hg.): Heimat als Chance und Herausforderung. Berlin 2014 Beutner, Eduard/Karlheinz Rossbacher (Hg.): Ferne Heimat – nahe Fremde bei Dichtern und Nachdenkern. Würzburg 2008 Blickle, Peter: Heimat. A Critical Theory of the German Idea of Homeland. Rochester 2002 Blom, Philipp: Die Welt aus den Angeln. Eine Geschichte der Kleinen Eiszeit von 1570 bis 1700 sowie der Entstehung der modernen Welt, verbunden mit einigen Überlegungen zum Klima der Gegenwart. München 2017 Boa, Elizabeth/Rachel Palfreyman: Heimat – A German Dream. Regional Loyalties and National Identity in German Culture 1890–1990. Oxford/New York 2000 Bonnett, Alastair: The Geography of Nostalgia. Global and Local Perspectives on Modernity and Loss. London/New York 2016 Borch Nitzling, Alexander von der: (Un)heimliche Heimat: deutsche Juden nach 1945 zwischen Abkehr und Rückkehr. Oldenburg 2007 Bosbach, Franz/Jens-Ivo Engels/Fiona Watson (Hg.): Umwelt und Geschichte in Deutschland und Großbritannien/Environment and History in Britain and Germany. Berlin/Boston 2006. Bostridge, Ian: Schuberts Winterreise: Lieder von Liebe und Schmerz. München 2015 Boym, Svetlana: The Future of Nostalgia. New York 2001 Braungart, Wolfgang (Hg.): Kitsch. Faszination und Herausforderung des Banalen und Trivialen. Tübingen 2002

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Personenregister

Personenregister Adenauer, Konrad  28; 89; 113; Adorno, Theodor W.  136; 170 Amery, Carl  135; 160 Arendt, Hannah  134 f. Arnim, Achim von   24; 27; 29; 191 Attali, Jacques  185 Auden, W. H.  227 Auerbach, Berthold  41 ff.; 48; 51 ff.; 67; 71; 92; 95; 103; 127; 131; 218 Augé, Marc  223

Crul, Maurice  192 Cuarón, Alfonso  194 Czaja, Herbert  113 Darré, Rudolf Walther  94; 96 Deppe, Hans  100; 118 f. Döblin, Alfred  105 Droste-Hülshoff, Annette von  65 ff. Dürr, Heiner  217 Eichendorff, Joseph von  25 f.; 28 ff.; 49; 79; 115; 131; 166; 183; 189 Eiermann, Egon  106 Eisenstein, Sergeij  95 Elias, Norbert  128 Engels, Friedrich  38 f.; 73; 75; 200 Enzensberger, Hans Magnus  182 Erikson, Erik H.  174

Bahr, Hermann  131 Bartels, Adolf  59; 73 Bauman, Zygmunt  162; 164; 183; 185; 222 Bausinger, Hermann  35 Bebel, August  62 ff.; 77; 123; 131 Becher, Johannes R.  103 Berman, Marshall  161 Berry, Wendell  231 ff. Berthelot, Marcelin  62 Björk  172 Blake, William  78 Bloch, Ernst  154; 157 f.; 160; 173; 213 Borchert, Wolfgang  104 Brand, Stewart  203; 205; 207; 209 Brentano, Clemens  24 Breuer, Stefan  58 Broch, Hermann  134 Bullock, Sandra  194

Faulhaber, Michael  87 Florida, Richard  191 Flusser, Vilem  185; 190 Ford, John  95 Forster, E. M.  205 Foucault, Michel  176 Franzen, Jonathan  209 f. Frenssen, Gustav  83 Freytag, Gustav  72 Friedrich, Caspar David  18 Fritsch, Willy  120 Fukuyama, Francis  200

Cameron, James  214 Carson, Rachel  205 ff. Chamberlain, Houston Stewart  87 Commoner, Barry  92 Cooper Marcus, Clare  194

Ganghofer, Ludwig  69 f.; 72; 86; 92; 127; 131 ff. Gerhardt, Paul  20 Gobineau, Arthur de  81 f. Goodhart, David   187 Goebbels, Joseph  96

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Goethe, Johann Wolfgang von  16; 46; 104; 108; 217 Greiffenhagen, Martin  166 Greverus, Ina-Maria  160 Grimm, Hans  93; 101 Grimm, Jacob und Wilhelm  24 Grönemeyer, Herbert   185 Gryphius, Andreas   20 Guilluy, Christophe  168 Haeckel, Ernst  61 Häring, Hugo  106 Hank, Rainer  210 Hansen, Dörte  225 Hardy, Thomas  76 f. Heine, Heinrich  40 Heinrich, Bernd  218 Herder, Johann Gottfried  24 Hesse, Hermann   180 f. Hillebrecht, Rudolf  106; 119 Hillern, Wilhelmine von  92; 132 Himmler, Heinrich  134 Hitler, Adolf  73; 75; 94; 96; 98; 100; 103; 106; 113; 134; 136 Hölker, Wolfgang  156 Höppener, Hugo (= Fidus)  59 Höß, Rudolf  135 Hofer, Johannes  144 Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich  47 Hoof, Thomas  169 ff. hooks, belle  232 f. Horx, Matthias  188 Huizinga, Johan  37 Humboldt, Alexander von  31; 229 Illich, Ivan  159 f.; 179; 181; 192; 232 Irving, Washington  147

Personenregister Jünger, Ernst  89 f. Kant, Immanuel  115; 145; 235 Kazim, Hasnain  126 Keeling, Charles David  207 Koppetsch, Cornelia  191 Kossert, Andreas  112 Lanier, Jaron  198 Latour, Bruno  215 f.; 231; 233 Lau, Jörg  112 Le Corbusier  222 f. Lenau, Nikolaus  47 Lenin, Vladimir I.  73; 75; 134 Löns, Hermann  59; 120 Loos, Adolf  130 Luhmann, Niklas  176 Maas, Heiko  126 Mälzer, Tim  125 f. Maetzig, Kurt  122 Mann, Thomas  104 Marcuse, Herbert  177 f.; 191; 198 Margalit, Avishai  163 Marx, Karl  38 f.; 73; 75; 134; 196; 200 Massingham, H. J.  78 McKibben, Bill  232 f. Mendelssohn-Bartholdy, ­Felix  29 Merton, Alice  195 Meyer, Friedrich Albrecht Anton  229 Mitchell, Joni  143 Mitscherlich, Alexander  105; 107 Mitscherlich, Margarethe  105 Mitterand, François  185 Morris, William  77 Mosler, Peter  178 f. Müller, Adam  27; 40 f. Müller, Wilhelm  32 Nicholson, Max  202 Nietzsche, Friedrich  26; 32

Nolan, Christopher  214 Novalis (= Friedrich von Hardenberg)  23; 25 f. Newell, Mike  78 Oertel, Curt  100 Paasche, Hans  84 f. Parry, Hubert  78 Pasolini, Pier Paolo  160; 181 Paulus   20 Peters, Christoph  224 Pilcher, Rosamunde  124 Poe, Edgar Allan  162 Polanyi, Karl  37 f.; 158; 175 Polenz, Wilhelm von  71 f.; 76; 82; 131 f.; 140 Raabe, Wilhelm  64 Radkau, Joachim  208 Reich, Wilhelm  134 Reimann, Kurt  121 Reitz, Edgar  179 f. Relph, Edward  227 Remarque, Erich Maria  88; 145 Riehl, Wilhelm Heinrich  40; 52 f.; 67 f.; 95; 225 Rosegger, Peter  71; 132 Roosevelt, Franklin D.   95 Rosa, Hartmut  233 Rousseau, Jean Jacques  62; 144; 147 Rudorff, Ernst  67 Ruge, Eugen  198 Rühmkorf, Peter  195 Ruttmann, Walter  94 Sachs, August  81 Sauter, Samuel Friedrich  34; 47 Safranski, Rüdiger  18 Scharoun, Hans  106 Scharpff, Christian  37 Schiller, Friedrich  32; 195 Schlegel, Friedrich  23 Schlöndorff, Volker  138 ff. Schmitt, Carl  24; 33 Schneider, Hans Ernst (= Schwerte, Hans)  133

Schreiber, Daniel  190 f. Schubert, Franz  32 Schultze-Naumburg, Paul  59; 97 Schumacher, Ernst Friedrich  159; 232 Scruton, Roger  227 Selasi, Taiye  190 Settis, Salvatore  222 Siebenpfeiffer, Philipp Jakob  36 Siedler, Wolf Jobst  107 Siemens, Werner von  61; 131 Simmel, Georg  219 Sloterdijk, Peter  175 Snow, C. P.  57 Snyder, Gary  230 Sombart, Werner  82 Southey, Robert  227 Speer, Albert  106; 119 Spengler, Oswald  89 Spranger, Eduard  91 f.; 95; 228; 232 Stadler, Arnold  225 Stalin, Josef  107 Steinbeck, John  95 Stenzel, Jürgen  124 Storm, Theodor  100 Streeck, Wolfgang  168 Stresemann, Gustav  89 Stummer, Alfons  118 Thompson, Michael  149 Tieck, Ludwig  18; 26 Tolkien, J. R. R.  56; 78 Tolstoi, Leo  73 Trump, Donald  164 Tuan, Yi-Fu  227 Turgenev, Ivan  41 Turner, Fred  204 Ucicky, Gustav  97 Uhland, Ludwig  47; 79 Vergil  41 Viebig, Clara  71 f.; 132 Virilio, Paul  194 Wächtler, Fritz  99 f. Washington, George  148

265

Personenregister Wheeler, Tony  182 White, Gilbert  228 f.; 235 Wilhelm II.  80; 134 Willkie, Wendell  200 f.

266

Wolfe, Thomas  147 Wollner, Rudolf  113 Wordsworth, William  25 Wortmann, Sönke  218

Wuthnow, Robert  168 Zepp, Harald  217 Zuschneid, Hugo  79

Sachregister

Sachregister Abschottung, abschotten  10; 235 AfD  9; 164 Afrika, Afrikaner  70; 83 ff.; 95; 101; 182; 189; 201 Agrar-; agrarisch  19; 25; 35; 39; 56; 69; 70 f.; 74 f.; 78; 84 ff.; 96; 99; 126; 131; 136; 206; 223 Amerika, amerikanisch, Amerikaner  14 f.; 30; 31; 34; 45-55; 68; 80; 88 f.; 95; 102; 110; 119 f.; 121; 124; 139 f.; 145; 148; 150; 160 f.; 164 f.; 168; 172; 180 ff.; 189; 201 f.; 206; 209; 230-233 Atomkraft  151; 154; 157; 203; 209; 213 Antikapitalismus  72; 82; 140; 171 Antisemitismus  22; 59; 72; 74; 81 f.; 87; 140 Arbeiter, Arbeiterbewegung, Arbeiterklasse  16; 38; 40; 64; 69 f.; 72 f.; 81; 93; 98 f.; 108; 123; 127; 133; 149; 169; 176 Architektur  12; 80; 89 f.; 106 ff.; 128 ff.; 150; 152; 222 ff. Arier  82; 83 Auschwitz  135 f.; 163 Aus dem Leben eines Taugenichts  29 ff. Aussteiger  177 f.; 181 ff.; 204 Auswanderung, Auswanderer  34 ff.; 45-51; 55; 81; 102; 109; 119; 139; 140; 172 Autonomie, autonom  162 f.; 173; 176 f.; 183; 196 Bauern  25 ff.; 30; 37; 39 ff.; 43 ff.; 51; 56; 62; 72 ff.; 86; 93 ff.; 98; 101; 122 f.; 131 f.;

138 ff.; 145; 153 f.; 157 f.; 176; 180 f.; 196; 223 Bauernroman  59; 71 ff.; 227 Bauhaus  130 Begrenzung, Begrenztheit  16; 22; 27; 52; 159; 179 ff.; 190; 192; 197 f.; 211; 216; 228; 233; 236 Bergfilm  92 Berlin  31; 65; 80; 88 ff.; 94; 106; 108; 169; 190 f.;   220 ff.; 225 Bindung  11; 15 f.; 20; 32; 34 f.; 37; 39; 48 ff.; 73; 81; 90; 92 f.; 95 f.; 101 f.; 116 f.; 140; 145; 159; 162 ff.; 172 f.; 177 ff.; 181; 188; 194; 196; 220; 233; 235 Bioregionalismus  230; 233 ›Blut und Boden‹  11; 22; 33; 93-99; 101; 157; 212 Bourgeoisie  38 f.; 199 f. Bundesrepublik  110 ff.; 150; 152; 174; 179 Bürgerinitiative  151; 154; 209 Bürger, Bürger-  ; bürgerlich  21; 36; 40; 42 f.; 45; 49; 51 f.; 64; 69 f.; 74; 90; 94; 99; 106 ff.; 129; 134 f.; 151 f.; 162; 182;   184; 196; 203; 208 f.; 211; 213; 224; 234 f. Bürgertum  40; 70; 128 Bund der Vertriebenen  111 Christentum, christlich  19 f.; 26; 29; 33; 42 f.; 78; 81; 83; 103; 112;158 CDU  9; 109 f.; 153 f.; 186 DDR  18; 28; 107 ff.; 114 f.; 122 f.; 126; 173;

Demokratie, demokratisch, Demokratisierung  34 ff.; 42; 50 f.; 54 f.; 151 f.; 157; 159; 164; 174; 181 f.; 204; 208; 210 f.; 226; 233 ff. Dialekt  71; 110; 117; 121; 154; 157; 159 f.; 177; 179; 219; 223 ff. Digitalisierung  181; 188 f.; 198 Digitalnomade  184; 189; 192 ff.; 195 ff.; 199; 218; 220; 224; Dorfgeschichte  35; 41-45; 47 f.; 51; 55; 71; 227 Emanzipation, emanzipiert  42; 54; 101; 136; 141; 143; 155; 157; 159 163; 173; 176 f.; 179 Emotion, Emotionalität  14; 19; 22; 33; 39; 44; 48 f.; 55; 69; 91; 102; 107; 116 f.; 122 f.; 138; 157 f.; 166; 172 f.; 175; 183 ff.; 212 ff.; 216; 219 f.; 224; 226 f.; 230; 233; 235; Energiewende  210 f.; 214 England, englisch  12; 14; 25; 37; 44; 75 ff.; 86 ff.; 124; 129; 145; 155; 159; 226 ff.; 233 Entbettung, entbettet  37; 140; 175 Entfremdung, entfremdet  15; 34; 37; 77; 87 f.; 141; 149; 158 f.; 177; 233 f. Entgrenzung  15; 181; 195; 197 f.; 202 ff. Entwurzelung, entwurzelt  31; 74; 90; 105; 160; 185; 216 Erinnerung  29; 32; 50 f.; 83; 107; 108 ff.; 113 f.; 116 f.;

267

Sachregister 121; 143 f.; 146 f.; 153; 162; 165; 167; 169 f.; 172; 219; 220; 222 f. Erinnerungsort  116; 121 Erlebnisgesellschaft  15; 183 Erster Weltkrieg  14; 56; 58; 75; 85 f.; 96; 104; 128 Faschismus  59; 134; 138; 155; 226 Faust, faustisch  16; 83; 97; 100; 135; 236 FDP  9; 113 Feudalgesellschaft, Feudalismus  35; 38 f.; 75; 108; 122; 137; 158; 199 Flucht und Vertreibung  116; 119 Flugreise, Flugverkehr  182; 196; 198; 200 f.; 210 f. Der Förster vom Silberwald (Film)  118 f.; 136 f. Fortschritt, Fortschritts-  15 f.; 37 ff.; 50-55; 56 ff.; 60-66; 69 f.; 72; 75; 77 f.; 80; 90; 105; 115; 122 f.; 125; 128; 137; 143; 148; 150; 152; 158; 161; 164 f.; 177 f.; 199; 203; 208; 212 f.; 215; 219; 221; 224; 233 Frankfurt am Main  104; 108; 151 f.; 211; 224 Freihandel  36; 56; 80; 82 Freiheit  11; 32; 36; 39 f.; 46 f.; 49; 51 f.; 54 f.; 120; 165; 174; 175 ff.; 180; 183; 185; 190 ff.; 196; 211 Gartenlaube (Zeitschrift)  70 f.; 79; 127 f. Gartenzwerg  15; 125 ff.; 130 f.; 134; 136; 141; 169; 233 Gemeinschaft  15; 22 f.; 33 ff.; 43; 45; 50 f.; 55; 65; 70; 76; 78; 93; 95 f.; 123; 127; 138; 141; 151; 159; 162 f.; 165; 173 f.; 177 ff.; 181 f.; 186; 188; 196; 199; 206; 215; 220; 231 f.

268

Germanen, germanisch  59; 83 f.; 98; 212 Geschmack  118; 125; 128 ff.; 143 f.; 189; 229 Gesellschaft  11 f.; 14; 22; 33; 36; 38; 40; 46; 53; 56; 74; 76; 85; 89; 97; 106 ff.; 128 f.; 132; 148; 157 ff.; 162; 174 ff.; 178; 181 ff.; 187 f.; 196; 208; 216; 230 Globalisierung  56; 170; 181; 198 ff.; 223 ff. Grenze  36; 75; 81; 96; 100; 110 f.; 114; 188 f.; 193; 197 f.; 201; 219; 224; 228 ›Große Transformation‹ / › Great Transformation‹  37 f.; 41; 74 f.; 77; 139; 158; 175 f. Die Grünen   9; 169 f.; 210 f.; 213 Grün ist die Heide (Film)  100; 118-122; 137 f.; Hannover  106; 119; 150 Heimatbewegung  14 f.; 59 ff.; 67; 75; 79; 90; 97; 117; 120; 127; 146; 151; 178 Heimatbuch  57; 111; 116 Heimatfilm  14; 92; 97; 100; 104; 118; 121 f.; 124 f.; 134; 136; 138; 140 f.; 158; 218 Heimatfront  86 Heimatkitsch  118; 124 f.; 131 ff.; 158; 169 Heimatkunde  66; 82; 90; 91 f.; 96; 158; 228 Heimatkunst  57; 59; 73; 89 Heimatliteratur  14; 41; 57; 59 ff.; 69; 71; 75; 93; 131 ff.; 136; 141; 224 Heimatlosigkeit, heimatlos  31 f.; 73 f.; 75; 82; 89; 103; 111; 119 f.; 140; 155; 160; 196; 199 Heimatmuseum  57; 66; 90; 117 Heimatrecht  20 f.; 27; 81

Heimatroman  57; 61; 69; 71; 76; 83; 124 f.; 132; 134; 227 Heimatschein  21 Heimatschriftsteller, Heimatdichter  42; 59; 76; 120 Heimatschutz  9; 22; 57; 60; 66 ff.; 75 f.; 103; 129; 203; 210 ff. Heimatverein  57; 66; 90; 110; 117 Heimatvertriebene  28; 51; 109; 111; 113 f.; 116 f.; 121; 173; 195 Heimweh  12; 28 f.; 30; 32; 44 f.; 49 f.; 88; 112; 119; 121; 144–149; 162; 165; 172 Hippies  177; 181 f.; 203 ff. Hypermobilität  15; 193 f.; 198; 235 Idealisierung  15; 24; 44; 59; 75; 88; 119; 131; 133; 143 f.; 163; 185; 187 Ideologie  11; 13 f.; 16; 22; 39; 58; 61; 78; 83; 94-101; 133; 135 f.; 139; 141; 200; 212 Identität  41 f.; 58; 65; 83; 107 f.; 160; 166; 174 f.; 187; 189 f.; 214; 222 ff. Idylle  19; 25; 38 f.; 42 f.; 85 f.; 92; 110; 127; 131; 133; 135 f.; 138; 146; 151; 155; 163, 169; 206 Imperialismus  16; 59; 80 f.; 87; 114 Individualisierung, Individualismus  15; 116; 140; 163; 176 ff.; 181; 183 f.; 186; 188 ff.; 203; 234 Individuum, Individualität  21 ff.; 31; 35; 44; 74; 91 f.; 97; 117; 159; 162 ff.;   173180; 186; 189; 195; 223 Industrialisierung  10; 14 f.; 36 ff.; 56; 76; 78 f.; 90; 99; 106; 122; 127 f.; 132 f.; 140; 152 f.; 160; 181; 233 Industrielle Revolution  37

Sachregister Juden, jüdisch  14; 32; 41; 42 f.; 48; 54; 72; 74; 82 f.; 101 ff.; 135; 139 f.; 172; 185 Jugendbewegung  65; 84 Kaiserreich  36; 53; 70; 74; 80; 90; 148 KdF-Wagen  98 Keeling-Kurve  207 Kernkraft, Kernkraftwerk  152 f.; 174 Kitsch  69 f.; 79; 86; 100; 118; 124-142; 143; 146; 150; 161; 163; 168 Kleinbürger  126 f.; 133 ff.; 152; 190 Kleingartenverein  127 Klimawandel  13; 207-211 Kollektiv  58; 95; 116 f.; 122; 173 f. Kolonialismus  14; 16; 80-85; 93 f.; 95; 97; 101 Kolonisation  16; 20; 94; 97; 205; 214; 232; 236 Kommerzialisierung  64; 82; 198 Kommunismus  40; 64; 77 Konservativ, Konservatismus  9; 22; 40; 53; 58; 78; 89; 93; 105; 116; 153 f.; 166; 176; 203; 212; 227; 233 Konservative Revolution  89 Konsum-, Konsumgesellschaft  63; 72 f.; 85; 90; 98; 125; 129; 137; 150 f.; 159 f.; 167; 181; 191 f.; 204; 211; 221; 223; 226; 231; 234 Konsument  169; 183 f.; 197 f.; 226; 234 Kosmopolit, Kosmopolitismus  24; 28; 40; 52; 89; 102; 135; 154; 180 ff.; 184; 187; 189 f.; 192 f.; 196 f.; 230; 233; 235 Kuhreihen  144; 166 Kulturindustrie  13; 15; 104; 117; 124 f.; 133; 150 f.; 167; 173

Künstler  26; 59; 65; 137; 167; 173; 179 f.; 218 Kybernetik  204 Land und Leute  33; 81; 225 Landflucht  41 Landmagazine  225 f. Landschaft  15; 19; 25; 30 f.; 33 f.; 44; 53 ff.; 56; 64-68; 70 f.; 76 f.; 79; 81; 83; 86; 92; 95; 99 f.; 100; 107; 110; 118; 122; 131; 137; 151; 153; 155 f.; 163; 171; 173; 181 f.; 190; 203; 209 ff.; 222 f.; 226; 228 Landwirtschaft  37; 41; 53 f.; 62 f.; 68; 74; 76; 78; 82; 86; 95; 122 f.; 153; 204; 209; 214; 226; 228 ff. Lebensreform  64; 84; 178 Leibeigenschaft  39; 74; 176 Leipzig  80; 86; 127 Liberalismus, Liberale, Liberalisierung  9; 15; 22; 34 ff.; 42; 52 f.; 56; 70; 80; 88; 90; 90; 133; 164; 176; 187; 200; 210; 216 Lüneburger Heide  119 f. Manifest der Kommunistischen Partei  38 f.; 54; 75; 133; 161; 166; 199 Marketing  156; 167; 188; 190 f.; 221; 224 f.; 235 f. Marxismus, Marxist, marxistisch  39; 74; 139; 157; 161 Mietskaserne  108; 149 Migration  26; 35; 81; 102 f.; 167; 184 f.; 187; 189; 192 Mobilität  45; 51; 56; 64; 83; 98; 175 f.; 181; 184 f.; 187 ff.; 193 f.; 196 ff.; 211; 218; 220; 223; 233 ff. Moderne  15 f.; 27; 52; 60; 64; 71 f.; 76 f.; 80; 85; 89 f.; 99 f.; 106 f.; 123; 127; 129; 130 ff.; 134; 137; 148 ff.; 152; 160 ff.; 164; 168; 170; 177; 187; 222 f.; 224

Modernisierung, ökologische  208 Monade  196 München  127; 180 Narzissmus  204 Nation, national  11; 15; 22 f.; 33; 35 f.; 43; 52; 58; 71; 79 ff.; 83; 85 f.; 88; 96; 114 f.; 155; 182; 190; 199; 212; 233 Nationalcharakter  76; 125; 134 f. Nationalismus  12; 23; 43; 59; 88 Nationalsozialismus  10 f.; 14; 16; 22; 41; 58 ff.; 78; 82; 90; 93; 96- 100; 104 ff.; 108; 113; 115; 118; 134-137; 163; 185; 190; 212 Nationalstaat  21; 35 f.; 42 f.; 71; 81 Natur  12; 15 f.; 18 f.; 22 f.; 25 f.; 28 f.; 31 ff.; 44; 54; 58; 62-67; 69 f.; 72; 77; 79; 82; 92; 99 f.; 123; 126 f.; 129; 131 f.; 136 f.; 141; 152 f.; 157 ff.; 173; 177 f.; 181 f.; 199; 203-207; 209214; 217; 225 f. Nature Writing  227 f.; 233 Naturschutz  12 f.; 76; 97; 137; 171; 203; 208-212; 227 Naturwissenschaft  25; 57; 61; 63; 68; 77; 79; 91 f.; 203; 205; 208 f.; 212; 228 Niedersachsen  119; 121 Nomade, Nomadismus, nomadisch  82 f.; 92; 101; 181; 185; 187 f.; 196 f. Nostalgie  15; 47; 109; 143171;181; 206; 210; 225; 232 Nostalgiewelle  146; 148 ff.; 157; 164; 167 NSDAP  59; 97 Oder-Neiße-Grenze  110; 113 f. Ökologie, ökologisch  25; 92; 171; 203; 207-213; 215; 222; 227;   229-233

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Sachregister Ökomoderne  209 f.; 214 Ostalgie  148 Ostpolitik  113 Ostpreußen  71; 109; 111; 113; 115; 123 Patriotismus, Patriot  23 f.; 28; 71; 86; 134; 147; 186 Philister  26 ff.; 40; 136; 180 Pilger  20; 26; 30; 33; 182; 218 Pommern  109; 111; 113; 145 Populismus  168 Preußen  71 Progressiv  9 f.; 42; 61; 158; 169; 200; 232 f. Proletariat, Proletarier  40; 52; 68; 90; 210 Propaganda  11 ff.; 85 f.; 88; 94; 96 f.; 98; 100 f.; 114; 117 Protest  12; 38; 106; 108; 149; 151 ff.; 174; 179; 202 f.; 211 ff.; 221; 223 f. Provinz, Provinzialität  43; 60; 89; 102; 134 ff.; 141 ff.; 145; 151; 153 ff.; 157 ff.; 179 f.; 219; 228; 235 Psychoanalyse, psycho­ analytisch  107; 162; 167; 174 Rassenideologie  101; 200 Rassentheorie  58; 81; 83; 97 f. Rationalismus  27; 37; 89; 91; 104 f.; 178; 233 Raumfahrt  201 ff. Reaktionär  22; 59 f.; 108; 144; 160; 171; 181; 210; 215 f.; 224; 232 f. Regenwald  214 Region, Regionalismus  42 f.; 49; 59; 66; 71; 76; 81; 106; 110 f.; 129; 145; 151; 154 ff.; 170 f.; 188; 200; 212; 225; 227; 230 Regression, regressiv  60; 143 f.; 147; 162 ff.; 169 Reichsautobahn  99 f.

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Reisen  25 f.; 30 f.; 98; 111; 181 f.; 184; 193; 199; 201; 217 f.; 222 Romantik  10 f.; 14; 18 f.; 2233; 34 f.; 40; 42 ff.; 51; 59; 62; 66; 79; 90; 96; 99; 120; 131; 136; 180; 182; 227 Schlesien  28 f.; 38; 71; 109; 111; 115; 119; 121 Schrebergarten  126-128; 130; 134; 169 SED  28; 110 Sense of place  227 Sesshaftigkeit  27; 30 ff.; 34; 94; 188; 196 f.; 218; 220 Solidarität, Solidar-,  21; 115; 120 f.; 140; 188; 235 Sozialdemokratie  62; 72; 90; 112; 151 Sozialismus, Sozialisten  63 f.; 74; 77; 94; 107; 122 f.; 130; 158; 173; 177 Sozialleistungen  21 SPD  9; 75; 113; 186 Spießer, spießig  126; 134; 136; 142 f.; 153; 155; 169; 180; 190 Staat  15; 21 ff.; 27 f.; 40; 53; 71; 81; 85; 87; 89; 94 f.; 97 ff.; 104; 107; 114; 152; 159; 184; 201; 234 Stadt, Städter, städtisch  15; 20; 36 f.; 40 f.; 42; 44 f.; 51 f. ; 56; 59; 63 ff.; 68-73; 77; 80; 88-92; 94 f.; 103 f.; 106 ff.; 113; 120; 123; 127; 129 ff.; 141; 149 ff.; 153; 157; 159; 161; 169; 178; 180; 192; 209; 221 ff.; 231 Stadtplanung  12 ff.; 105-108; 149; 152; 194; 222; 224 Sudetendeutsche  111; 121 Technokratie, technokratisch  160; 208 ff.; 213; 234 f. Thüringen  127 Topophilie, topophil  217; 227

Tourismus, Touristen, touristisch  83; 92; 120; 131 f.; 182 f.; 185; 190; 193; 198; 218; 220 ff.; 224; 234 Tradition  10; 15 f.; 24; 26 f.; 39; 46; 49 ff.; 53; 55; 57 f.; 60; 63 f.; 68-72; 74; 76 ff.; 80; 85; 93; 96 ff.; 105; 108; 116 f.; 128 f.; 135; 137; 141; 153; 156; 160; 163; 170; 173 f.; 181; 222 f.; 226; 231 Trödelmarkt  150 f.; 169 Trümmerfilm  118 Umsiedler  109 f.; 114 Umwelt-  12; 15; 64; 77; 137; 153 f.; 157; 177; 202 f.; 205 ff.; 211 ff.; 230 ff. Urbanität, urban  141 f.; 151; 154; 168 f.; 187; 191; 193; 196; 233 Vaterland  11 f.; 19 f.; 36; 43; 47; 79; 85 ff.; 92; 96; 145 Vermarktung  150; 167; 189; 222; 225; 234; Vertriebenenverbände  14; 104; 108-117; 120 f.; 123; 137; 156; 185 Verwurzelung  16; 19; 27; 33; 78; 80; 82; 97; 102; 225 f.; 228; 230; 236 Volk  11; 22 ff.; 27 f.; 33; 37; 42 f.; 51 ff.; 80 ff.; 85; 94; 96; 99 ff.; 113; 123; 125; 129; 214; Volk ohne Raum  93; 101 Volks-  24; 27; 35; 42 f.; 51 f.; 55; 66; 73; 75; 80; 96; 100; 107; 117 f.; 121; 123; 129; 133; 136; 138;   154; 156; 158 f. Volksgemeinschaft  95; 99; 115; ›völkisch‹  11; 14; 22; 58 f.; 61; 73; 81; 100; 108 Völkischer Beobachter ­(Parteiorgan der NSDAP)  58

Sachregister Wanderer  18 f.; 26; 30; 32 f.; 35; 49; 125 f.; 132; 140 Wanderlust  32; 83; 172; 227 Wandervogel  65; 120 Weimarer Republik  58 f.; 88 ff.; 93; 148; 235 Weltbürger  40; 200 f.

Weltoffenheit, weltoffen  10; 87 f.; 135; 141; 182; 217; 235 Werbung  13; 95; 126; 183; 189 Wilhelminismus  22; 33; 79 f.; 97; 132

Die Winterreise   32; 49 Wyhl  151-154; 174; 179; 203 ›Zwei Kulturen‹  25; 57; 68; 70; 91; 128; 203; 207; 227 Zweiter Weltkrieg  14; 28; 51; 103; 173; 179; 200; 207

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Sachregister

Danksagung Meine Arbeit als DAAD-Lektorin für deutsche Sprache, Literatur und Kultur in Cambridge, Taipeh und Melbourne hat meinen Blick auf Deutschland verändert. Durch meine Seminare an der Freien Universität Berlin mit Teilnehmern aus der ganzen Welt bietet mir aber auch mein Berliner Alltag die Möglichkeit, abwechselnd aus der Innen- und aus der Außenperspektive auf mein Land zu blicken. Diese unschätzbaren Gelegenheiten zu Blick- und Perspektivwechsel habe ich dem Deutschen Akademischen Austauschdienst, der Freien Universität Berlin und nicht zuletzt allen Studierenden in meinen Seminaren zu verdanken. Vielen Kolleginnen und Kollegen verdanke ich Anregungen durch Gespräche, Hinweise auf Veröffentlichungen sowie die Einladung zu Tagungen und Workshops mit inspirierenden Vorträgen, Diskussionen und Fragen. Danken möchte ich vor allem Caroline Bland, Hans Richard Brittnacher, Gautam Chakrabarti, Yvonne Delhey, Gabriele Dürbeck, Muriel Ernestus, Ludwig Fischer, Thomas Flemming, Martin Hellström, Almut Hille, Tanja van Hoorn, Sabine Jambon, Rolf-Peter Janz, Christine Kanz, Irmela Marei Krüger-Fürhoff, Marita Meyer, Hildegard Piegeler, Edgar Platen, Simone Schröder, Catherine Smale und Godela Weiss-Sussex. Danken möchte ich auch den stets freundlichen Mitarbeitern der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin: Vor allem die Fernleihe war für meine extensive Literaturrecherche unentbehrlich. Anne Vonderstein danke ich für freundschaftlichen Beistand und professionelle Anregungen. Ohne meinen Mann Gregory hätte das Buch nicht entstehen können: Er hat sich bereitwillig zahllose Heimatfilme mit mir angesehen, mich immer wieder angespornt oder durch kritische Nachfragen zur Schärfung meiner Gedanken angeregt. Dank gebührt schließlich Jasmine Stern und Sophie Dahmen von der WBG für die engagierte Betreuung des Projekts sowie Mechthilde Vahsen, die das Manuskript einfühlsam und akribisch lektoriert hat.

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