Heidegger und die christliche Tradition: Annäherungen an ein schwieriges Thema 9783787318162, 9783787320486

Heideggers abfällige Bemerkungen zur christlichen Theologie, auch zur 'pseudotheologischen Luft' an der Nachkr

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German Pages 288 [290] Year 2007

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Heidegger und die christliche Tradition: Annäherungen an ein schwieriges Thema
 9783787318162, 9783787320486

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Norbert Fischer / FriedrichWilhelm von Herrmann (Hg.)

Heidegger und die christliche Tradition Annäherungen an ein schwieriges Thema

Meiner

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar. ISBN: 978-3-7873-1816-2

www.meiner.de © Felix Meiner Verlag Hamburg 2007. Alle Rechte vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Umschlagfoto: © François Fédier. Gestaltung, Satz: Jens-Sören Mann. Druck und Bindung: Druckhaus Nomos, Sinzheim. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.

Vorwort

D

as Thema des vorliegenden Buches ist zwar auch schon früher als Aufgabe gesehen worden, läßt sich aber in der heutigen Lage der Heidegger-Forschung, in der bisher nicht publizierte Grundlagentexte zur Verfügung stehen und vor allem die Martin-Heidegger-Gesamtausgabe weiter fortgeschritten ist, aus neuen Blickwinkeln betrachten und gründlicher bearbeiten. Seine Erforschung kann zudem für die Diskussionen in der gegenwärtigen Situation der Philosophie insgesamt gesehen nur dienlich sein. Nähergehende Erläuterungen bietet hierzu die Hinführung der Herausgeber. Der Plan, das Thema zum Gegenstand neuer Untersuchungen zu machen, wurde im Blick auf den 30. Todestag Heideggers gefaßt und konnte mit einer Festakademie zum 70. Geburtstag des Bischofs von Mainz, Karl Kardinal Lehmann, verbunden werden, der diesem Forschungsgebiet mit seiner großen philosophischen Dissertation seinerzeit einen wichtigen Anstoß gegeben hat. Verwirklicht wurde das genannte Vorhaben zunächst durch ein Symposion, das mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Kooperation zwischen dem Lehrstuhl für Philosophische Grundfragen der Theologie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und der Akademie des Bistums Mainz am 19. und 20. Mai 2006 in Mainz ausgerichtet wurde. Für die gute Zusammenarbeit bei der Planung des Symposions sei dem Direktor dieser Akademie, Herrn Professor Dr. Peter Reifenberg, herzlich gedankt. Im Rahmen dieses Symposions sind die meisten der hier in teilweise überarbeiteter Form publizierten Untersuchungen vorgetragen und diskutiert worden. In die jetzt vorgelegte Veröffentlichung sind zusätzlich die das Spektrum ergänzenden Beiträge aus der Feder von Albert Raffelt und Johannes Schaber OSB erbeten und aufgenommen worden. Für die bewährte Unterstützung bei der Vorbereitung der Manuskripte ist den Mitarbeitern des Lehrstuhls für Philosophische Grundfragen der Theologie in Eichstätt herzlich zu danken, | 5

zunächst meinem wissenschaftlichen Mitarbeiter, Herrn Dr. Jakub Sirovátka, und meiner Sekretärin, Frau Anita Wittmann, sodann den wissenschaftlichen Hilfskräften, Frau Katrin Graf M. A., Frau stud. theol. Sarah Hairbucher, Herrn stud. theol. Georg Kolb und Frau cand. phil. Rebekka Thiel. Der besondere Dank der Herausgeber gilt allen Autoren dieses Bandes – und dem Verlag für die kompetente Betreuung der Publikation. Norbert Fischer Eichstätt / Wiesbaden

Friedrich-Wilhelm von Herrmann Freiburg im Breisgau

Inhalt

Norbert Fischer / Friedrich-Wilhelm von Herrmann Die christliche Botschaft und das Denken Heideggers. Durchblick durch das Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

Friedrich-Wilhelm von Herrmann Faktische Lebenserfahrung und urchristliche Religiosität. Heideggers phänomenologische Auslegung Paulinischer Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

Martina Roesner Logos und Anfang. Zur Johanneischen Dimension in Heideggers Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

Norbert Fischer Selbstsein und Gottsuche. Zur Aufgabe des Denkens in Augustins ›Confessiones‹ und Martin Heideggers ›Sein und Zeit‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

Johannes Schaber OSB Heideggers frühes Bemühen um eine ›Flüssigmachung der Scholastik‹ und seine Zuwendung zu Johannes Duns Scotus

91

Jean Greisch ›Warum denn das Warum?‹ Heidegger und Meister Eckhart: Von der Phänomenologie zum Ereignisdenken . . . . . . . . . . .

129

Karl Kardinal Lehmann ›Sagen, was Sache ist‹: der Blick auf die Wahrheit der Existenz. Heideggers Beziehung zu Luther . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 | 7

Otto Pöggeler Heideggers Weg von Luther zu Hölderlin . . . . . . . . . . . . . . . .

167

Albert Raffelt Heidegger und Pascal – eine verwischte Spur . . . . . . . . . . . . . 189 Paola-Ludovika Coriando Sprachen des Heiligen. Heidegger und Hölderlin . . . . . . . . . . 207 Joachim Ringleben Freiheit und Angst. Heidegger zwischen Schelling und Kierkegaard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Ulrich Fülleborn Dichten und Denken: Bemerkungen zu Rilke und Heidegger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

Anhang Siglen und Hinweise zur Zitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287

8 | inhalt

– Norbert Fischer / Friedrich-Wilhelm von Herrmann –

Die christliche Botschaft und das Denken Heideggers Durchblick durch das Thema

Hans-Georg Gadamer sieht hinter Heideggers Absicht der Destruktion und Reformation der abendländischen Philosophie »das alte, wohlbezeugte Anliegen Heideggers an der originären christlichen Botschaft«.1 Heideggers späterhin gelegentlich abfällige Bemerkungen zur christlichen Theologie, auch zur ›pseudotheologischen Luft‹ an der Nachkriegsuniversität, die ihm sehr zu schaffen mache,2 lassen Jean Grondins pointierte Deutung von Heideggers unausgesprochenen Absichten bedenkenswert erscheinen. Grondin erklärt: »Indem er sich gegen das kirchliche System der Heilssicherung wandte, glaubte er vielleicht selber noch ›christlicher‹ zu sein als die offizielle Theologie.«3 Heideggers Beziehung zum christlichen Glauben (und mehr noch zu dessen Theologie) ist – nach der klaren Zustimmung des Anfangs – in seiner mittleren Zeit gestört gewesen und in seinen späteren Jahren schwankend und zwiespältig geworden.4 Martin Heideggers Aneignung der christlichen Tradition ist aus seinen Schriften und Vorlesungen, aus Briefen, Seminarprotokollen und Berichten zu belegen. Das Mainzer Symposion zum dreißigsten Todestag Heideggers († 26. 5. 1976) sollte der Untersuchung seiner Beziehung zur christlichen Überlieferung an ausgewählten Stationen dienen. Die Aufgabenstellung verlangt, auch deren krisenhafte Züge nicht zu verdecken oder zu vernachlässigen. Heidegger selbst hat die Frage zu seiner ›Herkunft‹ aus dem Christlichen später auf Nachfrage positiv beantwortet und darauf verwiesen, daß ›Herkunft‹ stets ›Zukunft‹ bleibe.5 Neue Veröffentlichungen, vor allem die Martin-Heidegger-Gesamtausgabe, fördern bislang verborgene Perspektiven ans Licht, die zu einem immer klareren Bild führen, wobei jedoch das innere Verhältnis Heideggers zum christlichen Glauben im Dunklen gelassen werden muß. Erhellendes und Weg| 9

weisendes hatte bereits die umfangreiche philosophische Dissertation Karl Lehmanns zutage gebracht (1962). In seiner frühen Freiburger Vorlesung vom Sommersemester 1920 Phänomenologie der Anschauung und des Ausdrucks formuliert Heidegger programmatisch: »Es besteht die Notwendigkeit einer prinzipiellen Auseinandersetzung mit der griechischen Philosophie und der Verunstaltung der christlichen Existenz durch sie. Die wahrhafte Idee der christlichen Philosophie; christlich keine Etikette für eine schlechte und epigonenhafte griechische. Der Weg zu einer ursprünglichen christlichen – griechentumfreien – Theologie«.6 Dieses philosophische Programm der wahrhaften Idee der christlichen Philosophie erhält in der Vorlesung des Wintersemesters 1920/21 mit dem Titel Einleitung in die Phänomenologie der Religion eine inhaltliche Ausführung, die zum Thema des ersten von insgesamt elf Beiträgen gemacht wird. Der vorliegende Band nimmt Heideggers Verhältnis zu Autoren in den Blick, die für sein Verhältnis zur christlichen Tradition besonders wichtig waren. Geordnet sind sie nach deren jeweiliger Wirkungszeit, nicht nach der Chronologie ihrer Bedeutung auf Heideggers Denkweg, zumal Heidegger einige von ihnen zu verschiedenen Zeiten beachtet hat. Die Reihe der ausgewählten Gesprächspartner beginnt mit dem Apostel Paulus (Friedrich-Wilhelm von Herrmann), dem Evangelisten Johannes (Martina Roesner), dem Kirchenvater Augustinus (Norbert Fischer), der Scholastik mit besonderer Berücksichtigung von Johannes Duns Scotus (Johannes Schaber) und Meister Eckhart (Jean Greisch). Unmittelbar aufeinander folgen danach die Betrachtung zur Bedeutung Martin Luthers für Heidegger (Karl Kardinal Lehmann) und ein Beitrag, der seine Abkehr von Luther und die Hinwendung zu Hölderlin skizziert (Otto Pöggeler). Nachgetragen wird die Untersuchung von Heideggers Beziehung zu Blaise Pascal, dessen Lebensdaten ihm eigentlich den Platz nach Luther anweisen (Albert Raffelt). Die abschließenden Beiträge entsprechen wieder der chronologischen Ordnung und sind Friedrich Hölderlin (Paola-Ludovika Coriando), Joseph Schelling und Søren Kierkegaard (Joachim Ringleben) und schließlich Rainer Maria Rilke (Ulrich Fülleborn) gewidmet. Friedrich-Wilhelm von Herrmann zeigt in seinem Text Faktische Lebenserfahrung und urchristliche Religiosität. Heideggers phänome10 | n. fischer / f.-w. von herrmann

nologische Auslegung Paulinischer Briefe, wie Heidegger im ersten Teil seiner Vorlesung Grundzüge des ›faktischen Lebens‹ und der ›faktischen Lebenserfahrung‹ entfaltet, um im zweiten Teil auf dem so gelegten Boden in einer hermeneutisch-phänomenologischen Zuwendung zum Galaterbrief und den beiden Thessalonicherbriefen Pauli die urchristliche Lebens- und Christuserfahrung als eine konkrete Gestalt faktischer Lebens- (Daseins)erfahrung auszulegen. Da sich die Hermeneutik der faktischen Lebenserfahrung aller Rückgriffe auf die antike Ontologie enthält, gewinnt Heidegger mit ihr die Möglichkeit, das urchristliche Christus- und Gottesverständnis rein aus ihm selbst in dessen unmittelbarer Ursprünglichkeit zu durchdringen. In ihrem Beitrag Logos und Anfang. Die Johanneische Dimension in Heideggers Denken erinnert Martina Roesner an die herrschende Auffassung, daß sich Heideggers Logosverständnis ausschließlich im Dialog mit der griechisch geprägten Philosophie entwickelt habe, zumal Heidegger selbst wiederholt betont, die jüdisch-christliche, d. h. vor allem Johanneische bzw. Philonische Logostradition spiele aufgrund ihres schöpfungstheologischen Hintergrundes für seine Besinnungen grundsätzlich keine Rolle. Entgegen dieser Auffassung zeigt die Studie, in wie starkem Ausmaß Heideggers Deutung der Phänomenalität des Seienden sowie der Geschichte der abendländischen Metaphysik als ganzer von den Johanneischen Motiven des ›Anfangs‹ und des ›Bleibens in …‹ geprägt ist. So kommt sie zu dem Schluß, daß Heidegger – unbeschadet seiner Kritik des im ›handwerklichen‹, demiurgischen Sinne gedeuteten theologischen Schöpfungsparadigmas – sich in nicht inhaltlicher, sondern struktureller Weise bestimmte Johanneische Denkfiguren zu eigen gemacht hat. Unter dem Titel Selbstsein und Gottsuche. Zur Aufgabe des Denkens in Augustins ›Confessiones‹ und Martin Heideggers ›Sein und Zeit‹ wendet sich Norbert Fischer dem Verhältnis Heideggers zu Augustinus zu. Die beiden in Ansatz, Durchführung und Ergebnis eng miteinander verknüpften Grundfragen, die Fragen nach Gott und der Seele, die Augustinus in den Soliloquia genannt und denkerisch in seinen einzigartigen Confessiones verfolgt hat, betreffen die Beziehung des zeitlichen Menschen zum ewigen Gott, seinen Weg zu eigentlichem Selbstsein und die Lebendigkeit seines Lebens aus der Beziehung zu Gott. Seit der erwähnten Dissertation Karl LehChristliche Botschaft und Denken Heideggers | 11

manns treten die Spuren von Heideggers Augustinus-Lektüre immer deutlicher hervor, zum Beispiel durch die Publikation der frühen Freiburger Vorlesung (1921) Augustinus und der Neuplatonismus, die für die Entfaltung der hermeneutischen Phänomenologie des faktischen Lebens (des Daseins) in Sein und Zeit große Bedeutung erlangt hat, aber auch durch den noch nicht edierten Vortrag Des hl. Augustinus Betrachtung über die Zeit. Confessiones lib. XI aus dem Jahre 1930. Der Beitrag soll dazu anregen, Augustins Confessiones und Heideggers Sein und Zeit im Blick des jeweils Anderen zu sehen. Da es um Heideggers Beziehung zum Christlichen geht, sind auch Fragen an ihn zu stellen. Gefragt wird, warum die bei ihm zunächst lebendige Frage nach Gott verstummt ist und warum er nicht auch das Problem der Moral in Augustins Denken aufgreift. Augustinus sieht sich zur Analyse der Selbstbekümmerung des Daseins durch seine Beziehung zu Gott bewegt; es geht ihm schließlich nicht nur um sein eigenes Sein, sondern – mit Kant gesagt – darum, den ›Tugendpflichten‹ zu entsprechen (um ›eigene Vollkommenheit‹ und ›fremde Glückseligkeit‹), also um wohlwollende Liebe gegenüber Anderen, die auf die ›civitas sancta‹ unter der Herrschaft Gottes ausgerichtet ist. Heideggers Habilitationsschrift Die Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus aus dem Jahre 1915 bzw. 1916 ist Gegenstand des Beitrags von Johannes Schaber OSB Flüssigmachung der Scholastik und Heideggers Zuwendung zu Johannes Duns Scotus. Im Vorwort seiner Habilitationsschrift würdigt Martin Heidegger 1915 die in der zweiten Hälfe des 19. Jahrhunderts einsetzende Erfassung und historisch-kritische Edition scholastischer Werke; weit wichtiger ist ihm jedoch eine problemgeschichtliche Zugangsweise zum Gedankengut der Scholastik. Er bekennt sich zu einer aristotelisch-scholastischen Grundüberzeugung, doch weil dieser das neuzeitliche Methodenbewußtsein fehlt, bemüht er sich um die Auswertung der Scholastik mit dem Methodenbewußtsein und der wissenschaftstheoretischen Einstellung der modernen Philosophie, was er die prinzipielle Flüssigmachung scholastischen Gedankenguts nennt. Die Logik ist die ihn vor allem interessierende philosophische Disziplin, deshalb wählt er sich als Gesprächspartner zur Flüssigmachung des logischen Problembezirks der Kategorien- und Bedeutungslehre den scharfsinnigsten aller Scholastiker: Johannes Duns Scotus. 12 | n. fischer / f.-w. von herrmann

Der Gegenwart Meister Eckharts im späteren Denken Heideggers geht die Untersuchung von Jean Greisch ›Warum das Warum?‹ Heidegger und Meister Eckhart: Von der Phänomenologie zum Ereignisdenken nach. Die Tatsache, daß die direkten Kommentare – vor allem zu den deutschen Schriften Meister Eckharts, die in Heideggers Texten zu finden sind – verhältnismäßig spärlich sind, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß dessen Denken in Heideggers Auseinandersetzung mit der abendländischen Metaphysik und bei der Suche nach einem ›andersanfänglichen Anfang‹ des Denkens eine Schlüsselrolle einnimmt. Diese Rolle wird anhand von Heideggers Umgang mit der Warumfrage dargestellt. Die Leitlinien der Besinnung sind in folgendem Passus der Beiträge zur Philosophie vorgegeben (GA 65,19): »Wer z. B. geht den langen Pfad der Gründung der Wahrheit des Seyns mit? Wer ahnt etwas von der Notwendigkeit des Denkens und Fragens, jener Notwendigkeit, die nicht der Krücken des Warum und nicht der Stützen des Wozu bedarf?« Eingedenk der Mitteilung Heideggers: »Begleiter im Suchen war der junge Luther« (GA 63,5), wendet sich die Studie von Karl Kardinal Lehmann »Sagen, was Sache ist«: der Blick auf die Wahrheit der Existenz. Heideggers Beziehung zu Luther dem bedeutsamen Thema ›Heidegger und Luther‹ zu. Heideggers Verhältnis zu Luther war für ihn selbst spannungsvoll und fruchtbar. In Sein und Zeit sah Heidegger die Theologie auf dem Weg, »die Einsicht Luthers wieder zu verstehen, daß ihre dogmatische Systematik auf einem ›Fundament‹ ruht, das nicht einem primär glaubenden Fragen entwachsen ist und dessen Begrifflichkeit für die theologische Problematik nicht nur nicht zureicht, sondern sie verdeckt und verzerrt« (SuZ 10). In der Analyse der Grundbefindlichkeit der Angst verweist Heidegger ausdrücklich nicht nur auf Augustinus und Kierkegaard, sondern auch auf Luthers Genesiskommentar. Heidegger hat das christlich geprägte Daseinsverständnis erkundet, um auf dieser Basis die Destruktion und Reformation der philosophischen Tradition durchzuführen. Nach einer Zeit der Entfremdung Heideggers von der christlichen Theologie hat er in seinen späteren Jahren wieder größere Offenheit gezeigt, und zum Beispiel an einem Seminar Gerhard Ebelings über Luthers Disputation De homine teilgenommen. Otto Pöggeler untersucht Heideggers Weg von Luther zu Hölderlin. Er erinnert an Heideggers Hinweis, daß dieser schon im theoloChristliche Botschaft und Denken Heideggers | 13

gischen Konvikt in Freiburg mit dem jungen Luther bekannt wurde, nämlich mit Johannes Fickers Edition der Vorlesung des Augustinermönchs Luther über den Römerbrief 1515/16. Heidegger konnte im Weg Luthers vom Nominalismus und der Mystik über Augustinus zu Paulus seinen eigenen Studienweg wiederfinden. Seit 1929/30 folgte er der Kritik der abendländischen Vernunft bei Nietzsche, dann aber der tiefer ansetzenden Besinnung Hölderlins. Zur engeren Heimat, dem oberen Donautal bei Beuron, ließ Heidegger sich durch Hölderlins Ister-Hymne führen. Doch als er für sein Begräbnis Bernhard Weltes Hilfe erbat, sprach er über die Abgeschiedenheit bei Meister Eckhart. Am offenen Grab wurden von Heidegger selbst zusammengestellte Verse Hölderlins gesprochen. Mit Eckhart und mit Hölderlin im Sinn ist Heidegger gestorben. Das noch kaum bearbeitete Verhältnis Heideggers zu Pascal wird von Albert Raffelt unter dem Titel Heidegger und Pascal – eine verwischte Spur in Angriff genommen, der in seiner Skizze zeigt, daß Pascal zwar nur an verhältnismäßig wenig Stellen in Heideggers Werk vorkommt, daß er aber für eine Grundentscheidung, die Kontraposition gegen den cartesianischen Entwurf des Denkens, an wichtiger Stelle der Ausarbeitung seines Denkansatzes genannt wird. Die Analytik des Daseins in Sein und Zeit und einige im Umkreis gehaltene Vorlesungen enthalten Pascalsche Motive, die jedoch nicht genau zuzuordnen, sondern Teil eines Rezeptionsstroms sind, der auch Texte des Neuen Testaments und vor allem Augustins, Luthers und Kierkegaards umfaßt. Daneben gibt es mögliche und wirkliche Sachparallelen, u. a. in der Bestimmung des Verhältnisses von Philosophie und Theologie. Die Nähe – wie der Unterschied – zu Pascal können je nach Deutungsrahmen zur Gegenüberstellung von Pascalscher Christlichkeit und Heideggerschem tragischem Nihilismus führen oder umgekehrt Heidegger als einen Vollender Pascalscher Apologie in säkularem Mantel zeigen. Nachdem der Text von Otto Pöggeler bereits den Bogen von Heideggers Luther-Bezug zu Heideggers Hölderlin-Beziehung geschlagen hat, widmet sich der Beitrag von Paola-Ludovika Coriando Sprachen des Heiligen. Heidegger und Hölderlin der Bedeutung Hölderlins für Heideggers seinsgeschichtliches Denken im Rahmen von Heideggers Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung. In seiner seinsgeschichtlichen Interpretation von Hölderlins Dichtung ist Heideg14 | n. fischer / f.-w. von herrmann

ger darum bemüht, Denken und Dichten des Heiligen und des Göttlichen dadurch ins Gespräch zu bringen, daß ihr jeweils Eigentümliches und in diesem Sinne Einmaliges herausgestellt wird. Während das Denken das Heilige und das Göttliche im bildlosen Begriff andenkt, sagt die Dichtung das Heilige und das Göttliche im und als Bild. Bild und Begriff sind zwei fundamentale Möglichkeiten der Sprache und des menschlichen Seins, die sich als solche in einer eigenen Grundstimmung bewegen. Die Untersuchung ist bestrebt, die Koordinaten dieser Begegnung von Bild und Begriff im ›gestimmten‹ Sagen des Heiligen vor allem mit Bezug auf Heideggers Interpretation von Wie wenn am Feiertage zu rekonstruieren. Heideggers Bezug zu Schelling und zu Kierkegaard wird von Joachim Ringleben zusammengeschaut und unter dem Titel Freiheit und Angst. Heidegger zwischen Schelling und Kierkegaard thematisiert. Bekanntlich verdankt sich das im Zentrum von Heideggers Daseinsanalytik in Sein und Zeit (1927) stehende Konzept der ›Angst‹ – wie fast alle Angsttheorien des 20. Jahrhunderts – dem epochemachenden Buch von Søren Kierkegaard Der Begriff Angst (1844). Kierkegaard seinerseits hat sich dazu u. a. von Schellings Schrift Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit (1809) anregen lassen. Da von Heidegger auch eine Interpretation der Schellingschen Freiheitsschrift vorliegt,7 lassen sich die Bezüge dieser interessanten Konstellation mit Gewinn untersuchen. Wenn auch der Kierkegaard-Einfluß in Sein und Zeit selbst eher verdeckt ist, so sagt doch Heidegger in seiner Anzeige der Quellen: »Stöße gab Kierkegaard« (GA 63,5). Die Studie trifft auf so wichtige Fragen der Heidegger-Deutung wie die nach dem Verhältnis von Freiheitsbegriff und Daseinsanalytik oder die von ontischem Existenzverständnis und Ontologie der Existenzialien. In Anbetracht dessen, daß Heidegger den späten Rilke als Dichter des Heilen interpretiert, während Hölderlin für ihn der Dichter des Heiligen ist, kann die Reihe der Untersuchungen zur Beziehung Heideggers zur christlichen Überlieferung mit einem Text zum Verhältnis Heideggers zu Rilke ihren Abschluß finden. Diese Aufgabe übernimmt Ulrich Fülleborn in dem Beitrag Dichten und Denken. Bemerkungen zu Rilke und Heidegger. Das ›weite‹ Feld dieses Themas wird sogleich eingegrenzt durch den Blick des Literaturwissenschaftlers auf die Entwicklung von Rilkes Lyrik in strenger AusrichChristliche Botschaft und Denken Heideggers | 15

tung auf den Denkweg Heideggers. Die ›Bemerkungen‹ werden von der Erfahrung gelenkt, daß Dichten im Sinne Rilkes und Denken im Sinne Heideggers aufeinander verweisen und daß Dichten im Fall des Gelingens gleichsam ›denkender‹, d. h. offener, als Denken sein kann. Der besonderen Aufmerksamkeit bedürfen das grundlegende Ereignis des Übergangs von der Literatur des ›ich‹ zu einer Literatur des ›ist‹ im 20. Jahrhundert, an der Rilke entscheidenden Anteil hat, sodann Husserls Phänomenologie als Bezugs- bzw. Ausgangspunkt für Rilke und Heidegger und schließlich die Frage, ob Rilkes Weg vom ›Besitz‹ zum ›Bezug‹ als seine ›Kehre‹ gesehen werden kann. Das hier vorgelegte Buch zum Thema Heidegger und die christliche Tradition zeichnet sich durch seinen monographischen Charakter aus. Während es zu einzelnen Bezügen Heideggers, etwa zu Augustinus, Meister Eckhart oder Luther, Einzeluntersuchungen in Form von Aufsätzen und Büchern gibt, ist die Thematik der Fragestellung nach Heideggers Bezügen zur christlichen Tradition bisher noch nicht in der hier vorgelegten Breite untersucht worden. Die innovativen Perspektiven der hier versammelten Untersuchungen lassen erkennen, wie unerschöpflich reich an Fragemöglichkeiten das bearbeitete Thema ist. Die Verfasser dieser monographischen Publikation sind nicht etwa der Auffassung, daß mit ihren Versuchen das Thema Heidegger und die christliche Tradition erschöpft sei. Vielmehr möchten sie mit ihren Beiträgen die Forschung anregen, in unvoreingenommener Haltung auch künftig dieser bedeutsamen Thematik ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. Handelt es sich doch um ein philosophisches Untersuchungsfeld, das über die engeren Grenzen der Heidegger-Forschung hinausweist in die aktuellen Grundfragen der philosophischen Gegenwart. Papst Benedikt XVI. hat in seiner Regensburger Vorlesung vom 12. September 2006 zum Thema Glaube, Vernunft und Universität in bedenkenswerter Weise gegen Versuche gesprochen, die christliche Theologie zu ›enthellenisieren‹, und dagegen den engen Zusammenhang des neutestamentlichen Glaubens mit dem griechischen Denken betont. Dem Wortlaut nach spricht er dabei implizit gegen eine Tendenz, die der frühe Heidegger zu Beginn des 20. Jahrhunderts für eine Aufgabe der christlichen Theologie gehalten hat. Immerhin hat Heidegger sich später vorsichtiger zu diesen Fragen geäußert. Das Ziel seiner Befassung mit den Griechen ist später nicht mehr 16 | n. fischer / f.-w. von herrmann

eindeutig destruktiv; es geht auch nicht nur um eine »Rückkehr zum griechischen, wenn nicht gar vorsokratischen Denken« (UzS 133). Vielmehr sei es, so antwortet er auf die Frage des japanischen Professors Tezuka nach seinem »Verhältnis zum Denken der Griechen«, unserem »heutigen Denken […] aufgegeben, das griechisch Gedachte noch griechischer zu denken« (UzS 134). Wie alle ursprünglichen Denker sollten Heideggers philosophiegeschichtliche Aussagen nicht als Gelehrtenwissen, nicht als gleichsam ›objektive‹ Aussagen über Vergangenes wahrgenommen werden, sondern als Hinweise auf die bedrängenden Fragen seines eigenen Denkens.8 Derart ließen sich seine kritischen Bemerkungen zum Denken der alten Griechen als Ausdruck seiner Suche nach dem eigenen Weg verstehen: sie zielte dann weniger gegen das Denken der alten Griechen als gegen dessen Wiedergabe in der Gegenwart. Und in dieser Weise, die bei der denkerischen Situation des Autors ansetzt, kann an den Thesen Papst Benedikts festgehalten werden: obwohl sich bei dezidierten Urteilen über Denker vergangener Zeiten im Blick auf einzelne Thesen Fragen einstellen, bleiben seine systematischen Leitlinien mit großem Ernst zu beachten, in denen er die Aufgaben von Philosophie und Theologie grundsätzlich umreißt.9 Bei der vorliegenden Annäherung an das schwierige Thema von Heideggers Verhältnis zur christlichen Tradition, die auf der Grundlage der Martin Heidegger-Gesamtausgabe und neuer Briefausgaben Heideggers Verhältnis zur christlichen Tradition stichhaltig dokumentieren kann, bleiben jedoch Desiderata bestehen, denen große Bedeutung im Rahmen des Themas zukommt. So bleiben, um nur einige wichtige Beispiele zu nennen, die Beziehungen Heideggers zu Descartes, Kant und Nietzsche, die für sein Verhältnis zur christlichen Tradition ausdrücklich und unausdrücklich, positiv und negativ, eine große Rolle spielen, weitgehend ausgeblendet. An diesen drei Beispielen, deren Untersuchung einer umfangreichen Vorbereitung bedürfte, könnte erwogen werden, auf welchen Wegen die Diskussion von Heideggers Verhältnis zur christlichen Tradition philosophierend weiterzuführen wäre. Gerade Martin Heidegger hat so deutlich wie kaum ein anderer vor ihm gesehen, daß in jeder Auslegung von Texten eine Vereindeutigung und Umformung der denkerischen Motive ihres Autors in der veränderten geschichtlichen Situation stattfindet, die diesen selbst in ihrem geChristliche Botschaft und Denken Heideggers | 17

nuinen Kontext nicht wirklich gerecht wird und ihnen nicht gerecht zu werden vermag. Um eine ›objektgeschichtliche‹ Auslegung, die eine äußerliche Art von Gerechtigkeit erstrebt, kann es einem Denken, das um die Sache ringt, in der Begegnung mit früheren Denkern auch nicht ernsthaft gehen (vgl. z. B. GA 60,116 – 125; 159 – 173). Sofern die »großen Philosophien […] ragende Berge, unbestiegen und unbesteigbar« sind, »gewähren« sie allerdings – wie Heidegger sagt – »dem Land sein Höchstes und weisen in sein Urgestein«.10 Untersuchungen von Heideggers Verhältnis zur christlichen Tradition haben die Aufgabe, den ragenden Berg, als der sich Heideggers Denken vor uns auftürmt, ebenso sein Höchstes und das Urgestein, von dessen Grund aus dieses Denken sich erhebt, in mancherlei Hinsicht genauer sehen zu lassen. Auch dieser Berg bleibt jedoch unbestiegen und unbesteigbar. Die vorgelegten Beiträge mögen das Bedenken der ›verschwiegenen Grundfrage‹ Heideggers anregen und das in jeder geschichtlichen Situation neu aufgegebene Denken in Gang setzen und befeuern.

Anmerkungen

Gadamers Text erschien erstmals 1981 mit dem Titel: Die Religiöse Dimension in Heidegger. 1983 dann mit dem Titel: Die religiöse Dimension. In: Heideggers Wege, 140 – 151. Jetzt in: Gesammelte Werke 3,308 – 319, hier 313. 2 Vgl. Hannah Arendt; Martin Heidegger: Briefe 1925 – 1976, 130 (Brief vom 2. 10. 1951). 3 Heidegger und Augustin. Zur hermeneutischen Wahrheit, 75. 4 Vgl. Ein Brief Max Müllers an P. Alois Naber SJ zur philosophischen Entwicklung Martin Heideggers (vom 2. Februar 1947), 74: »In diesen 7 Jahren ist seine These die, daß man sich für oder gegen das Christentum entscheiden und daß für den echten Philosophen die Entscheidung gegen das Christentum ausfallen müsse. Ab 1941 wird ihm diese Entgegensetzung wieder fraglich, und er wird unsicher, ob er bei der Bekämpfung des Christentums nicht nur moderne scholastizistische Entartungen des Christentums bekämpft hat und ob es nicht eine mögliche Form des Katholizismus geben kann, in der auch er selbst Platz fi nden würde.« 5 Heidegger sagt zur Bedeutung der christlichen Theologie für sein Denken (UzS 96): »Ohne diese theologische Herkunft wäre ich nie auf den Weg des Denkens gelangt. Herkunft aber bleibt stets Zukunft .« 6 In der Frühen Freiburger Vorlesung (SS 1920: Phänomenologie der An1

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schauung und des Ausdrucks. Theorie der philosophischen Begriffsbildung) beschließt Heidegger § 11 (Der Übergang zur zweiten Problemgruppe und das Verhältnis von Psychologie und Philosophie) mit dieser Bemerkung (vgl. GA 59,91). So versteht sich Heideggers Selbstcharakterisierung als eines ›christlichen Theologen‹, der in der ›Sache‹ beheimatet ist. Vgl. Otto Pöggeler: Drei Briefe Martin Heideggers an Karl Löwith, 29. Vor diesem Hintergrund ist auch Heideggers spätere schroffe Entgegensetzung von Phänomenologie und Theologie auszulegen; vgl. PuT (GA 9), bes. 55 und 66. 7 Vgl. die Freiburger Vorlesung vom Sommersemester 1936 (GA 42): Schelling: Vom Wesen der menschlichen Freiheit (1809); vgl. auch die Freiburger Vorlesung I. Trimester 1941; Freiburger Seminar Sommersemester 1941 (GA 49): Die Metaphysik des Deutschen Idealismus. Zur erneuten Auslegung von Schelling: Philosophische Untersuchungen zum Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände (1809). 8 Vgl. Platons Lehre von der Wahrheit (GA 9,203 – 238); laut den ›Nachweisen‹ (GA 9,483) geht der Gedankengang zurück »auf die Freiburger Vorlesung im Wintersemester 1930/31«; der Text wurde 1940 zusammengestellt und seit 1942 mehrfach gedruckt. Heidegger spricht Platon die griechische »Vorliebe für ein rechtes Sichauskennen« zu (GA 9,235). Dabei komme die »λεια […] unter das Joch der δ α« (GA 9,230). Um die Interpretation durchführen und verteidigen zu können, bedarf es einiger Gewaltsamkeiten, bes. zu Platons Rede vom Höchsten; Heidegger sagt (GA 9,221): »Zwar gebraucht Platon an dieser Stelle diese Bezeichnung nicht, wohl aber nennt er τ λη στατον das Unverborgenste in der entsprechenden und gleich wesent lichen Erörterung am Beginn des VI. Buches der Politeia.« Anstelle des zweifelhaften Hinweises auf 484c wäre 509b zu erwähnen, das die Unzugänglichkeit des Höchsten betont, das π κεινα τς οσας bleibe. Die prinzipielle Unerkennbarkeit des Guten verdirbt am Ende die Möglichkeit von Heideggers These, daß Nietzsche »der zügelloseste Platoniker innerhalb der Geschichte der abendländischen Metaphysik« sei (GA 9,227). Was Heideggers Platon-Interpretation treibt, ist sein Versuch, das Geschehen im Denken Nietzsches zu erfassen. Die Verknüpfung der Genealogie dieses Denkens mit Gedanken Platons und Kants gehört nicht zur Sache (z. B. GA 67,92): »Der Versuch, dem ›Glauben‹ Platz zu machen (Kant), ist nur die letzte Verstrickung in die Metaphysik und ihre Grundlosigkeit.« Um Kant gerecht zu werden, wäre das »einzige Factum der reinen Vernunft« (KpV A 56) zu bedenken, was Heidegger vermeidet. 9 Zum Beispiel fordert die Auslegung Kants genauere Differenzierungen, als sie die Regensburger Vorlesung bietet (ebenso wie Heideggers Deutung der ›griechischen Philosophie‹). Kant steht mit seiner Kritik, ohne dies zu reflektieren, auch in der Tradition Platons; so hebt Friedrich Schleiermacher in einer Invektive gegen Kant dessen unbewußte Verwandtschaft mit Platon hervor, sofern dieser (wie Kant) »auf das Bewusstsein des Nichtwissens einen solchen Werth legt« (vgl. Einleitung, 7). Und Kant steht auch in der Tradition Christliche Botschaft und Denken Heideggers | 19

Augustins: laut Gerhard Krüger gehört Kants Metaphysik »in die Tradition der christlichen Metaphysik, insbesondere Augustins«; vgl. Hector Wittwer: Einleitung. Eric Weil und sein Kant-Buch, 20. Kants Absichten, wie er sie in Reflexion 6317 (AA 18,623 – 632, bes. 626 f. und 630) erläutert, stimmen gut mit den Motiven Augustins zusammen, wie sie in sermo 117,5 zum Ausdruck kommen. Dort heißt es: »de deo loquimur, quid mirum, si non comprehendis; si enim comprehendis, non est deus.« 10 Beiträge zur Philosophie; GA 65,187. Vgl. auch 188: »Dazu muß jedesmal die Leitfrage (aus der verschwiegenen Grundfrage her) nach ihrem vollen Gefüge in der jeweiligen Ausschlagsrichtung neu entfaltet werden.«

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– Friedrich-Wilhelm von Herrmann –

Faktische Lebenserfahrung und urchristliche Religiosität Heideggers phänomenologische Auslegung Paulinischer Briefe

1. Die wahrhafte Idee der christlichen Philosophie und die echte Religionsphilosophie In Heideggers Früher Freiburger Vorlesung vom Sommersemester 1920 Phänomenologie der Anschauung und des Ausdrucks heißt es programmatisch (GA 59,91): »Es besteht die Notwendigkeit einer prinzipiellen Auseinandersetzung mit der griechischen Philosophie und der Verunstaltung der christlichen Existenz durch sie. Die wahrhafte Idee der christlichen Philosophie; christlich keine Etikette für eine schlechte und epigonenhafte griechische. Der Weg zu einer ursprünglichen christlichen – griechentumfreien – Theologie.« Dieses Programm der wahrhaften Idee der christlichen Philosophie erhält schon in der Vorlesung des anschließenden Wintersemesters 1920/21 Einleitung in die Phänomenologie der Religion seine erste entscheidende Ausführung. Diese Vorlesung endet mit der abschließenden Bestimmung (GA 60,124): »Die echte Religionsphilosophie entspringt nicht vorgefaßten Begriffen von Philosophie und Religion. Sondern aus einer bestimmten Religiosität – für uns der christlichen – ergibt sich die Möglichkeit ihrer philosophischen Erfassung.« Diese beiden bedeutsamen Zitate Heideggers sprechen aus einem denkerischen Weg, der im Kriegsnotsemester 1919 mit der Vorlesung Die Idee der Philosophie und das Weltanschauungsproblem deutlich faßbar einsetzt (vgl. GA 56/57). Wie die Wendung ›Die Idee der Philosophie und das Weltanschauungsproblem‹ anzeigt, erfolgt hier ansatzmäßig eine Neubestimmung des Wesens und d. h. eine neue Grundlegung der Philosophie nach ihrem Gegenstand und ihrer | 21

Methode: Philosophie als Urwissenschaft vom vor- oder atheoretischen Umweltleben und -erleben, deren methodisches Vorgehen zur erstmaligen Gewinnung dieses vortheoretischen Umweltlebens die aus der Abgrenzung gegen die reflexiv-theoretische Phänomenologie Edmund Husserls entspringende hermeneutische Phänomenologie ist.1 In der Vorlesung vom Wintersemester 1919/20 Grundprobleme der Phänomenologie kennzeichnet Heidegger die hermeneutisch-phänomenologische Philosophie als Ursprungswissenschaft vom faktischen Leben, das er in unserer religionsphänomenologischen Vorlesung bereits ›faktisches Dasein‹ nennt (GA 58,65 ff.). Was 1919 als Idee der Philosophie thematisch und methodisch neu grundgelegt wird, ist der Ansatz der hermeneutischen Phänomenologie des Daseins von Sein und Zeit. Aus dem faktischen Leben oder Dasein sollen alle philosophischen Fragen und somit auch die philosophische Gottesfrage neu gestellt werden. Von hier aus zeigt sich für Heidegger auch ein neuer, ein anderer Weg für die christliche Theologie. Die in zwei Teile gegliederte Vorlesung Einleitung in die Phänomenologie der Religion entfaltet in ihrem ersten Teil (GA 60,1 – 66)2 Grundstücke aus der schon in den vorangegangenen Vorlesungen ausgearbeiteten hermeneutischen Phänomenologie des faktischen Lebens und der faktischen Lebenserfahrung. Im zweiten Teil (GA 60,67 – 125) erfolgt dann auf diesem Ursprungsboden in hermeneutisch-phänomenologischer Zuwendung zum Galaterbrief und zu den beiden Thessalonicherbriefen des Paulus unter gelegentlicher Heranziehung des Römerbriefes und der beiden Korintherbriefe eine Auslegung der urchristlichen Lebenserfahrung als eine konkrete Gestalt faktischer Lebenserfahrung. Die in ihrem Wesen grundlegend neu zu bestimmende Philosophie ›entspringt der faktischen Lebenserfahrung‹ (8), indem sie ihren Weg durch die faktische Lebenserfahrung bahnt. Aber der Sinn des faktischen Lebens und Daseins läßt sich nicht mit den bisherigen philosophischen Mitteln fassen. Durch die Auslegung des faktischen Lebens wird »das gesamte traditionelle Kategoriensystem gesprengt […]: so radikal neu werden die Kategorien des faktischen Daseins sein« (54). Das in der faktischen Lebenserfahrung Erfahrene, das Gehaltliche dieser Erfahrung, ist »Welt«, aber nicht als Objekt der Erkenntnis, sondern als das, »worin man leben kann« (11), 22 | friedrich wilhelm von herrmann

Lebenswelt. Welt als das Worin des Lebens zeigt den Seinscharakter der »Bedeutsamkeit« (13), im Sinne nicht der besonderen Wichtigkeit, sondern des Bedeutungshaften. Welt als Bedeutsamkeit gliedert sich dreifach nach »Umwelt« (die Dinge und dinglichen Geschehnisse, die uns in ihrem Bedeutungshaften begegnen), die »Mitwelt« (die Mitmenschen in ihren bestimmten Charakterisierungen) und die »Selbstwelt« (das Bedeutungshafte, in dem mein Selbst verfaßt ist) (11). Das faktische Leben vollzieht sich in drei Sinnrichtungen, deren eine auf den erfahrenen weltlichen bzw. bedeutungshaften Gehalt, auf die Bedeutsamkeitswelt, gerichtet ist und der »Gehaltssinn« (63) ist. Die Weise, wie wir im faktischen Leben auf die umweltlichen, mitweltlichen und selbstweltlichen Bedeutsamkeiten bezogen sind, ist der »Bezugssinn« (63) mit seiner Struktur der »Bekümmerung« (52). Wie aber der Bezugssinn seinerseits vollzogen wird, das so oder so vollzogene Wie des Bezugssinnes, ist der »Vollzugssinn« (63). Der Gehaltssinn entspricht dem Weltverständnis, der Bezugssinn dem Sorgecharakter und der Vollzugssinn den beiden Grundmöglichkeiten der Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit des Daseins in Sein und Zeit. Hermeneutisch-phänomenologische Auslegung des faktischen Lebens und dessen Erfahrung besagt daher, die faktische Lebenserfahrung nach deren drei Sinnrichtungen durchsichtig zu machen. Der faktische Lebensvollzug ist an ihm selbst und aus ihm selbst heraus »historisch«, d. h. geschichtlich. Es ist »das Historische, wie es uns im Leben begegnet« (32), nicht das uns sonst bekannte Historische aus der Geschichtswissenschaft. Dieses Historische ist »unmittelbare Lebendigkeit« (33), die Lebendigkeit des faktischen Lebensvollzuges in dessen drei Sinnrichtungen. Das faktische Leben selbst ist der Ursprung des Geschichtlichen. Der »Objekts-Begriff des Historischen« (36) ist für das Verständnis der Geschichtlichkeit des faktischen Lebensvollzuges abzublenden. So wie das faktische Leben aus ihm selbst geschichtlich lebt, so lebt es auch aus ihm selbst zeitlich. Der Ursprung der Zeit liegt in der sich zeitigenden »Zeitlichkeit« (65) der faktischen Lebenserfahrung. Daher muß gefragt und durch Auslegung des Sichzeitigens des faktischen Lebens bestimmt werden, was diese Zeitlichkeit ist, was in der faktischen Lebenserfahrung »Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft« (65) besagen, wie sich das faktische Selbst in seinem Lebensvollzug zu Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart verhält. Faktische Lebenserfahrung und urchristliche Religiosität | 23

Damit sind Grundstrukturen des faktischen Lebens und seines Erfahrens gehoben, in denen sich auch die urchristliche Lebenserfahrung des Neuen Testaments vollzieht, so daß die in den Paulinischen Briefen sich aussprechende christliche Lebenserfahrung auf jene Grundstrukturen hin philosophisch im Sinne der echten Religionsphilosophie ausgelegt werden kann.

2. Hermeneutisch-phänomenologische Auslegung dreier Paulinischer Briefe auf dem Boden der faktischen Lebenserfahrung Heidegger betont, er beabsichtige in seiner Zuwendung zu den Paulinischen Briefen keine dogmatische oder theologisch-exegetische Interpretation, sondern »lediglich eine Anleitung zum phänomenologischen Verstehen« (67). »Erst mit dem phänomenologischen Verstehen öffnet sich ein neuer Weg« für die echte Religionsphilosophie und »für die Theologie« (67). Das lediglich formal anzeigende phänomenologische und in diesem Sinne philosophische Verstehen beabsichtigt »nur den Zugang zu eröffnen zum Neuen Testament« (67). Zunächst komme es darauf an, »ein allgemeines Verständnis des Galaterbriefes« zu gewinnen, um dann von diesem her »in die Grundphänomene des urchristlichen Lebens vorzudringen« (68). Heidegger gliedert den Galaterbrief in drei Teile: 1. »Erweis der Eigenständigkeit von Pauli apostolischer Sendung und seiner Berufung durch Christus«, 2. »Auseinandersetzung zwischen Gesetz und Glaube«, 3. »Christliches Leben im Ganzen, seine Motive und seine inhaltlichen Tendenzen«. Die »phänomenologische Situation« im Galaterbrief ist Paulus im religiösen Kampf mit den Juden und Judenchristen, Paulus »mit seiner religiösen Leidenschaft in seiner Existenz als Apostel« (68) im Kampf »zwischen ›Gesetz‹ und ›Glaube‹« (68). Durch hermeneutisch-phänomenologisches Sichversetzen in diese Situation, durch das ausdrückliche verstehende Mitgehen mit dem Lebensvollzug, wie er sich im geschriebenen Brief bekundet, muß »die Grundhaltung des christlichen Bewußtseins […] ihrem Gehalts-, Bezugs- und Vollzugssinn nach« (69) expliziert werden. Heidegger kennzeichnet die Grundhaltung des Paulus: Dieser 24 | friedrich wilhelm von herrmann

werde dazu gedrängt, die christliche Lebenserfahrung gegen die Umwelt und Mitwelt zu verteidigen. Hierbei achtet Heidegger auf das Vollzugswie, in dem Paulus die christliche Lebenserfahrung expliziert, und gelangt zu der Einsicht, daß es sich bei Paulus hier und überall um »eine ursprüngliche Explikation aus dem Sinn des religiösen Lebens selbst« (72) ohne Rückgriff auf theoretische Zusammenhänge handelt. Paulus stelle Glaube und Gesetz dergestalt einander gegenüber, daß er »das Wie des Glaubens und der Gesetzeserfüllung, wie ich mich zum Glauben und auch zum Gesetz verhalte« (72f.), entfaltet. Heidegger verweist auf das dritte Kapitel des Galaterbriefes, das »eine sichere dialektische Argumentation« enthalte, aber eine solche, die sich nicht in einer logischen Begründungsweise vollzieht, sondern unmittelbar »aus dem Glaubensbewußtsein« (73) entspringt. Heidegger gibt den Hinweis, daß »die religiöse Grunderfahrung« des Paulus herausgestellt werden müsse, um aus dieser Grunderfahrung »den Zusammenhang aller ursprünglichen religiösen Phänomene mit ihr (73) zu verstehen. Aus dem Sinnzusammenhang von »Berufung, Verkündigung, Lehre, Mahnung« (79) greift Heidegger das religiöse Phänomen der Verkündigung [εαγγ λιον] heraus, das »nach allen phänomenologischen Sinnrichtungen« (79) zu analysieren sei. In diesem Phänomen sei »der unmittelbare Lebensbezug der Selbstwelt des Paulus zur Umwelt und Mitwelt der Gemeinde erfaßbar« (80). Wenn »die apostolische Verkündigung des Paulus«, das εαγγελζεσαι, »ein Grundphänomen darstellt«, so müsse sich von diesem aus »ein Bezug zu sämtlichen religiösen Grundphänomenen gewinnen lassen« (83); Heidegger kommt zu dem Ergebnis: die »urchristliche Religiosität« ist eine »urchristliche Lebenserfahrung« (80); die urchristliche faktische Lebenserfahrung »ist historisch«, d. h. geschichtlich, und lebt die Zeitlichkeit als solche (80). In der anschließenden phänomenologischen Zuwendung zum ersten Brief des Paulus an die Thessalonicher betont Heidegger, hier müsse die vollzugsgeschichtliche Situation (im Unterschied zur objektgeschichtlichen Situation), in der Paulus den Brief schreibt bzw. diktiert, phänomenologisch durchsichtig gemacht werden. In dieser Blickstellung ist zu fragen, wie ihm in der Situation des Briefschreibens seine Mitwelt der Thessalonicher begegnet. Die Antwort lautet: Paulus erfährt die Thessalonicher in ihrem »Gewordensein (γενηFaktische Lebenserfahrung und urchristliche Religiosität | 25

ναι)« als seine und des Herrn Nachfolger, und er erfährt damit

auch, daß die ihm nachfolgenden Thessalonicher ein »Wissen von ihrem Gewordensein haben (οδατε, µνηµονεσατε u.ä.)« (93). Von diesem Wissen sagt Heidegger, es sei »ganz anderes als jedes sonstige Wissen und Erinnern«, weil es sich nur »aus dem Situationszusammenhang der christlichen Lebenserfahrung« ergibt (94). Ebenso ist das Gewordensein kein »beliebiges Vorkommnis im Leben«, denn »es wird ständig miterfahren«, so, »daß ihr jetziges Sein ihr Gewordensein ist« (94). Das Gewordensein aber ist ein »Annehmen der Verkündigung« (δ χεσαι τ ν λγον). Das hier Angenommene betrifft nicht einen weltlichen Gehalt, sondern »das Wie des Sich-Verhaltens im faktischen Leben« (95), den Vollzugssinn des Lebensvollzuges, dergestalt, daß der weltbezügliche Lebensvollzug sich nunmehr aus der »Hinwendung zu Gott« bestimmt. Der aus der Hinwendung zu Gott orientierte Lebensvollzug ist ein »Wandeln vor Gott« (δουλεειν) und ein »Erharren« (ναµ νειν) der Wiederkunft Christi. In diesem Zusammenhang unterstreicht Heidegger, es sei »ein Abfall vom eigentlichen Verstehen« Gottes, wenn Gott »primär als Gegenstand der Spekulation« gefaßt werde, eine Gefahr, die dadurch entstanden sei, daß sich »die griechische Philosophie […] in das Christentum eingedrängt hat« (97). Das zweite Thema, das Heidegger dem ersten Thessalonicherbrief für die phänomenologische Analyse entnimmt, ist die Erwartung der Parusie. Paulus lebe in einer ihm als Apostel eigenen Bedrängnis »in Erwartung der Wiederkunft des Herrn« (98). Diese Bedrängnis bestimme »die eigentliche Situation des Paulus« (98), so daß jeder Augenblick seines Apostel-Lebens aus dieser Bedrängnis bestimmt sei. Die Gläubigen richten an ihn die Frage, wann sich die Wiederkunft (παρουσα) ereignen werde. Auf diese Wann-Frage geht Heidegger so ein, daß er den Unterschied zwischen der objektiven Zeit mit ihren Zeitstellen und der Zeitlichkeit des faktischen Lebens heraushebt. Paulus antworte auf die Frage nach dem innerzeitlichen Wann nicht »im weltlichen Verstande«, nicht in der Weise »einer erkenntnismäßigen Behandlung«, sondern durch Gegenüberstellung ›zweier Lebensweisen‹ (99). Der Sinn des Wann ergebe sich daraus, »wie ich mich im eigentlichen Leben dazu verhalte« (99). Es ist die ›christliche Hoffnung‹, »die in Wahrheit der Bezugssinn zur Parusie ist« und die »radikal anders [ist] als alle Erwartung« (102), die auf 26 | friedrich wilhelm von herrmann

eine bestimmte oder unbestimmte Zeitstelle der objektiven Zeit aus ist. Das Wann ist aber nicht mehr »ursprünglich gefaßt« (102), wenn es im Sinne der objektiven Zeit gesetzt ist. Die Entscheidung der Frage nach dem Wann hängt vom »eigenen Leben« und dessen Wie der Thessalonicher ab (103). Diejenige Lebensweise, die sich auf »Friede und Sicherheit im faktischen Leben« beruft, ist das »Wie des Sich-Verhaltens zu dem, was mir im faktischen Leben begegnet« (103). Solches aber »trägt in sich kein Motiv zur Beunruhigung« (103). Sie haben »das eigene Selbst vergessen«, sie haben sich selbst nicht »in der Klarheit des eigentlichen Wissens« (103). In der anderen, der christlichen Lebensvollzugsweise, die nicht in den weltlichen Gehalten aufgeht, hat das Wann der Parusie und hat die Zeit einen »ganz besonderen Charakter« (104). Die christliche Religiosität lebt nicht in der objektiven Zeit, sondern »lebt die Zeitlichkeit« in der Weise der Zeitigung (104). Die Zeitlichkeit des faktischen Lebens ist eine »Zeit ohne eigene Ordnung und feste Stellen« wie die objektive Zeit. Der »Sinn dieser Zeitlichkeit« ist überhaupt »für die faktische Lebenserfahrung grundlegend« (104). Hier verweist Heidegger auch auf die Bedeutung dieser ursprünglichen Zeitlichkeit des faktischen Lebens für die Frage nach der »Ewigkeit Gottes« (104). Damit deutet Heidegger einen Begriff von Ewigkeit an, der strukturell nicht von der objektiven Jetzt-Zeit her als das stehende Jetzt, sondern im Ausgang von der vorobjektiven Zeitlichkeit zu bilden wäre.3 Für eine Bestimmung des echt »Eschatologischen im Christentum« verweist Heidegger auf die »großen eschatologischen Reden Jesu im Matthäus- und Markusevangelium« (104 f.). Pauli Aufforderung an die Thessalonicher, in der Frage nach der Parusie Christi »zu wachen und nüchtern zu sein« (105), richtet sich für Heidegger gegen die Enthusiasten und Grübler, die in der objektiven Zeit das Wann der Parusie ausmachen möchten. – Die phänomenologische Auslegung des zweiten Briefes an die Thessalonicher hebt aus diesem zwei Themen heraus: die Erwartung der Parusie Christi und die Verkündigung des Antichrist, der der Parusie voraufgeht. Das Ganze dieses zweiten Briefes kennzeichnet Heidegger als »ein Echo auf den gegenwärtigen Stand der Gemeinde« (107). Die phänomenologische Analyse des zweiten Briefes soll »die bisherigen Ergebnisse bewähren« (106). Die Antwort Pauli auf die Frage nach dem Wann der Parusie faßt Heidegger wie folgt Faktische Lebenserfahrung und urchristliche Religiosität | 27

zusammen (106): »Das Wann ist bestimmt durch das Wie des SichVerhaltens, dies ist bestimmt durch den Vollzug der faktischen Lebenserfahrung in jedem ihrer Momente.« Wie im ersten Brief stelle Paulus auch jetzt wieder »zwei Weisen faktischen Lebens gegeneinander« (109), zwei Grundverhalten »des faktischen Lebens«: jene eine Lebensweise, in der die Menschen »in baldiger Erwartung der παρουσα nicht mehr arbeiten«, sondern »sich müßig herumtreiben«, also nur »weltlich bekümmert« sind »in der Vielgeschäftigkeit des Redens und Nichtstuns« (107) und über das Wann in der objektiven Zeit spekulieren. Dagegen bestimmt sich die christliche Lebensweise durch einen Wandel nicht des Weltbezuges, sondern des Vollzugssinnes dieses Weltbezuges, der in der Liebe zur Wahrheit (γ!πη τς ληεας) und im Glauben der Wahrheit (πστις ληεας) vollzogen wird. Hierzu bemerkt Heidegger, daß die Wahrheit »im Bezugszusammenhang des Glaubens« stehe und daß der Glaube »selbst einen Vollzugszusammenhang darstellt, der eine Steigerung erfahren kann« (109). Die Verkündigung des Antichrist (ντικεµενος), der der Wiederkunft Christi voraufgeht, versteht Heidegger lebensphänomenologisch dahingehend, daß sich beim Hereinbrechen des Antichrist »jeder zu entscheiden« habe (110). »Wer wahrhaft Christ ist, das wird dadurch entschieden, daß er den Antichrist erkennt« (110). »Das Erscheinen des Antichrist ist kein bloßes vorübergehendes Geschehen, sondern etwas, woran sich eines jeden, auch des schon Glaubenden, Schicksal entscheidet« (113). Diejenigen, die die Verkündigung des Evangeliums durch Paulus und mit diesem den echten Sinn der Parusia verstanden haben, müssen – wie Heidegger ausführt – »verzweifelt sein, weil die Not sich steigert und jeder allein steht vor Gott« (112). Den Christen in dieser entscheidungshaften Lebensweise antwortet Paulus, »daß die Not« (λ"ψις) »ein $νδειγµα«, eine Anzeige »der Berufung« (κλσις) sei (112). Abschließend sagt Heidegger: »Das Ereignis der Parusie wird also seinem Geschehenssinn nach hingeordnet auf die Menschen, die sich in Berufene [κλητο] und Verworfene [πολλµενοι] unterscheiden lassen« (112). Beides, Berufensein bzw. Gerettetsein und Verworfensein, sind als Charakterisierungen von Grundverhalten Vollzugsweisen des faktischen Lebens, die nicht den Bezugssinn, sondern den auf den Weltbezug bezogenen Vollzugssinn betreffen. 28 | friedrich wilhelm von herrmann

3. Zusammenschauende Kennzeichnung der urchristlichen faktischen Lebenserfahrung Heideggers abschließende Kennzeichnung der urchristlichen Lebenserfahrung erfolgt im Blick auf die drei Sinnrichtungen des faktischen Lebens: auf den Gehaltssinn, Bezugssinn und Vollzugssinn, um scharf und pointiert aufzuzeigen, daß die Christlichkeit der faktischen Lebenserfahrung ihr Zentrum in einem bestimmten Wie des Vollzugssinnes hat. Aus dem phänomenalen Tatbestand, daß die christliche faktische Lebenserfahrung aus der Verkündigung, »die den Menschen in einem Moment trifft und dann ständig mitlebendig ist im Vollzug des Lebens« (116 f.), entspringt, ist die christliche Lebenserfahrung historisch, also geschichtlich bestimmt im Sinne der kairologisch charakterisierten Geschichtlichkeit des Lebensvollzuges. In der angenommenen Christlichkeit des Lebensvollzuges bleiben die umweltlichen, mitweltlichen und selbstweltlichen »Bedeutsamkeiten des Lebens« (116) erhalten; was sich aber ändert, ist ein neues Verhalten zu diesen Bedeutsamkeitsbezügen. Die Annahme der christlichen Verkündigung führt zu einer »Umbildung des Vollzugs«, während »hinsichtlich der weltlichen Faktizität alles beim Alten« (117) bleibt. Das bedeutet: »Die Akzentuierung des christlichen Lebens ist eine vollzugsmäßige« (117). Und das will sagen: »Alle primären Vollzugszusammenhänge« des Lebensvollzuges, die Zusammenhänge des Gehalts- und Bezugssinnes im Wie des christlichen Vollzugswie, »laufen auf Gott zusammen und vollziehen sich vor Gott« (117). Wichtig ist nun die Betonung Heideggers, daß sich »der Sinn der Zeitlichkeit bestimmt […] aus dem Grundverhältnis zu Gott, so allerdings, daß die Ewigkeit nur versteht, wer die Zeitlichkeit vollzugsmäßig lebt« (117). Und nun folgt der hochbedeutsame Hinweis, daß erst aus diesen sich zeitigenden Vollzugszusammenhängen des christlichen faktischen Lebens »der Sinn des Seins Gottes« (117) philosophisch bestimmt werden könne. Für die noch schärfere Kennzeichnung des spezifisch Christlichen der faktischen Lebenserfahrung zieht Heidegger auch das 7. Kapitel des ersten Korinther-Briefes heran. In einem neuen Anlauf geht es ihm um die Beantwortung der Frage, wie sich der Christ in seinem Gewordensein zu Umwelt und Mitwelt verhalten soll. Dort heißt es (1 Kor 7, 20): »Ein jeglicher bleibe in dem Beruf, darin er Faktische Lebenserfahrung und urchristliche Religiosität | 29

berufen ist«. Im Anschluß hieran stellt Heidegger heraus (117): »Die Lebenswirklichkeit besteht in der Aneignungstendenz solcher Bedeutsamkeiten«, auch für den durch die Verkündigung Christ Gewordenen. Das allein Entscheidende ist aber, daß die um-, mit- und selbstweltlichen Bedeutsamkeiten »innerhalb der Faktizität des christlichen Lebens gar nicht zu herrschenden« werden (117), weil ein neues Grundverhalten zu ihnen aufgenommen wird. Damit wird gesagt: Die Lebensbezüge zu Um-, Mit- und Selbstwelt erhalten ihren Sinn primär »nicht aus der gehaltlichen Bedeutsamkeit« (118), »sondern umgekehrt, aus dem ursprünglichen [christlichen] Vollzug bestimmt sich der Bezug und der Sinn der gelebten Bedeutsamkeit« (118). Was sich in der Annahme des Christseins im faktischen Leben wandelt, ist »nicht der Bezugssinn und noch weniger das Gehaltliche« (118), sondern der Vollzugssinn. So kann Heidegger sagen: »Also: der Christ tritt nicht aus der Welt heraus« (118f.). Durch das christliche Gewordensein werden die umweltlichen Bedeutsamkeiten »zu zeitlichen Gütern«, die »in der Zeitlichkeit [des faktischen Lebensvollzuges] gelebt werden« (119). Sie werden aber gelebt »als nicht« (%ς µ), wie es mehrmals im 1 Kor 7,29ff. heißt. Während dieses %ς µ vielfach mit ›als ob‹ übersetzt wird, als sollten die lebensweltlichen Bezüge im christlichen Leben ausgeschaltet werden, betont Heidegger unter Hinweis darauf, daß es nicht %ς ο, sondern %ς µ heißt, daß dieses µ nicht die weltlichen Bedeutsamkeitsbezüge nichtet, sondern »die Tendenz auf das Vollzugsmäßige« (121) hat und nur jenes Vollzugswie nichtet, das den Weltbezug in sich selbst und nicht im Gottesbezug zentrieren läßt. Alle weltlichen Bezüge erfahren im Vollzug des christlichen Lebens »eine Retardierung, so daß sie dem Ursprung des christlichen Lebenszusammenhanges entspringen« (120). Heidegger faßt zusammen (120): »Alle umweltlichen Bezüge müssen hindurchgehen durch den Vollzugszusammenhang des Gewordenseins, so daß dieser dann mit da ist, aber die Bezüge selbst und das, worauf sie gehen, in keiner Weise angetastet werden.« Auf Paulus hin gesprochen sagt Heidegger (121): »Paulus erhebt den Vollzug ins Thema.« Zu Beginn unserer Ausführungen hatten wir den Schluß von Heideggers religionsphänomenologischer Vorlesung zitiert, der besagt, daß die »echte Religionsphilosophie« aus der christlichen Religiosität entspringt, so, wie diese in der theoretisch unangetasteten 30 | friedrich wilhelm von herrmann

faktischen Lebenserfahrung gelebt wird. Die theoretisch unangetastete und daher unverstellte urchristliche faktische Lebenserfahrung findet Heidegger in der christlichen Verkündigung der Paulinischen Briefe, so daß er seinerseits diese christliche Lebenserfahrung hermeneutisch-phänomenologisch und das heißt ohne theoretische Antastung auszulegen vermag.

Anmerkungen

Vgl. hierzu Friedrich-Wilhelm v. Herrmann: Hermeneutik und Reflexion. Der Begriff der Phänomenologie bei Heidegger und Husserl. 2 Zu dieser Vorlesung vgl. Otto Pöggeler: Der Denkweg Martin Heideggers, 36 – 45. Karl Lehmann: Christliche Geschichtserfahrung und ontologische Frage beim jungen Heidegger. Die folgenden, in den Text eingefügten Zahlen beziehen sich auf GA 60. 3 Vgl. SuZ 427, Fn 7 (§ 81). 1

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– Martina Roesner –

Logos und Anfang Zur Johanneischen Dimension in Heideggers Denken

1. Von der überzeitlichen Logik zum christlichen Logos Am Anfang standen die Aufsätze zur Logik. Noch vor Abschluß seiner Doktorarbeit über Die Lehre vom Urteil im Psychologismus (GA 1,59 – 188) veröffentlicht der junge Heidegger unter dem Titel Neuere Forschungen über Logik (GA 1, 17 – 43) eine Reihe von Artikeln, in denen er sich in kritischer Weise mit den verschiedenen zeitgenössischen Ansätzen im Bereich der Bedeutungslehre und Urteilstheorie auseinandersetzt. Für uns Heutige ist die Hitzigkeit der damaligen Debatte nicht mehr unmittelbar nachzuvollziehen, und doch hat sie in vielem gewisse Ähnlichkeiten mit der aktuellen Lage des philosophischen Denkens. Das 19. Jahrhundert stellt insofern einen tiefen Einschnitt in der Entwicklung der Philosophie dar, als nach dem Zusammenbruch der großen spekulativen Systeme des Deutschen Idealismus die Einzelwissenschaften – allen voran die Naturwissenschaften – sich radikal und definitiv von philosophischen Vorgaben und Voraussetzungen frei machen und ihr eigenes, autonomes Methodenideal entwickeln. Diese Emanzipation gegenüber der Philosophie führt zu einem unleugbaren Aufschwung im Bereich der wissenschaftlichen Entdeckungen und Ergebnisse, so daß die Philosophie wie nie zuvor in ihrer Geschichte in die Defensive gerät und ihre Daseinsberechtigung auf radikale Weise in Frage gestellt sieht. Wenn man zum erfolgreichen Betreiben der Einzelwissenschaften ganz offensichtlich keine Philosophie nötig hat, ja wenn sich herausstellt, daß es ohne Philosophie sogar viel besser geht, was liegt dann näher, als von der Philosophie zu verlangen, sie müsse sich, wenn sie überhaupt weiterexistieren wolle, eben an den so erfolgreichen Einzelwissenschaften orientieren und deren methodische Grundvoraussetzungen zum Maßstab nehmen? Wenn der | 33

Philosophie also kein anderes Gegenstandsgebiet mehr übrigbleibt als die Möglichkeit wissenschaftlicher Erkenntnis als solcher, die menschlichen Erkenntnisvermögen aber ihrerseits nicht mehr auf begrifflich-apriorische, sondern empirisch-psychologische Weise untersucht werden, scheint der Schluß unvermeidlich, daß die experimentelle Psychologie zur Grundwissenschaft der Philosophie schlechthin werden muß. In den Augen dieses sogenannten ›Psychologismus‹ muß also jeder nur mögliche Denkinhalt auf den realen Denkvorgang reduziert und von ihm her erklärt werden. Demnach gäbe es selbst im Bereich der Logik und Mathematik keine idealen Gesetze und Axiome, sondern nur empirische Regelmäßigkeiten, die zum Ausdruck bringen, wie wir Menschen aufgrund der zufällig so und nicht anders abgelaufenen Evolution unseres Gehirns tatsächlich denken. Die ehedem als apriorisch gültig eingestuften wissenschaftlichen Disziplinen werden faktisch begründet und verlieren damit ihren Anspruch auf absolute, unbedingte Wahrheit. Auch die Logik wird damit zur Tatsachenwissenschaft erklärt, deren Inhalt und Geltung von den jeweiligen Ergebnissen der empirischen Psychologie abhängt und sich gegebenenfalls mit ihnen verändert. Heidegger ist selbstverständlich nicht der erste, der diese relativistische und in sich letztlich widersprüchliche Auffassung kritisiert. Schon der Marburger Neukantianismus, Freges Logizismus sowie der Husserl der Logischen Untersuchungen hatten den qualitativen Unterschied zwischen empirisch-psychologischer Realität und idealer, logischer Geltung betont. All diesen Ansätzen ist zunächst das Bestreben gemeinsam, den verhängnisvollen Konsequenzen des Psychologismus vorzubeugen, dessen skeptische Grundtendenz letztlich die Möglichkeit von universalgültiger Wissenschaft überhaupt in Frage zu stellen scheint. Wenn der junge Heidegger sich in die Schar der Antipsychologisten und logischen Idealisten einreiht, dann schwingt bei ihm zu diesem Zeitpunkt jedoch noch eine andere Absicht mit, die über die rein wissenschaftstheoretische Dimension hinausgeht. Die Verteidigung der überzeitlichen Geltung der logischen und mathematischen Wahrheiten erscheint ihm als notwendige Vorbedingung, um die Möglichkeit »ewiger Wahrheiten«1 im Bereich des Glaubens und der Theologie plausibel zu machen. Die Logik in ihrer nichtempirischen Idealität soll als Bollwerk 34 | martina roesner

und Brückenkopf gegen den zeitgenössischen Relativismus dienen und der christlichen Lehre vom Logos den Weg des rationalen Verständnisses ebnen. Die Verteidigung der Eigenständigkeit des Bereichs logischer Geltung gegenüber der Psychologie ist somit in ihrer Motivation nicht völlig eigenständig, sondern dem Vorhaben eines apologetischen Brückenschlags zwischen außerchristlicher und innerchristlicher Rationalität untergeordnet. Als »Spiegel des Ewigen« soll der Logos der Logik in grundsätzlicher Kontinuität zu »den Grundwahrheiten des Christentums in ihrer ewigen Größe« hinüberführen;2 seine Idealität erweist sich letztlich als Abglanz der göttlichen Vollkommenheit im menschlichen Verstand, der seine eigentliche Bestimmung aus der Hinordnung auf die ewigen Wahrheiten des Glaubens empfängt.3 Gerade das Reden von den ›Grundwahrheiten‹ des Christentums macht jedoch deutlich, daß Heidegger die idealen Grundstrukturen der Logik allenfalls zu den theologischen ›Logoi‹ im Plural in Beziehung zu setzen vermag, aber nicht zu dem Logos im Singular schlechthin, nämlich der Person Christi. Die Verwandtschaft von Philosophie und Theologie spielt sich in beiden Fällen auf der Ebene geltender, ja absolut gültiger Sätze ab, ohne zum Logos im eigentlichen und ursprünglichen Sinne, nämlich zur – endlichen oder unendlichen – Vernunft als konkretem Bewußtseinsvollzug in Beziehung gesetzt zu werden.

2. Die Krise des traditionellen Logosbegriffs im Kontext einer Phänomenologie der Endlichkeit Schon sehr bald gerät der junge Heidegger mit seinem Versuch einer Versöhnung des philosophischen und des theologischen Logos in eine Krise, die sowohl existenzielle als auch prinzipielle, theoretische Gründe hat. Dies darf jedoch keineswegs so gedeutet werden, als stelle Heidegger nunmehr seine bisherigen glaubensmäßigen bzw. theologischen Grundüberzeugungen von einem gesicherten philosophischen Standpunkt aus in Frage. Grob gesagt, sind die ersten zehn Jahre seiner Lehrtätigkeit (von 1919 bis 1929) von der Erschütterung der beiden Grundparadigmen gekennzeichnet, die die traditionelle Auffassung vom Menschen prägen, nämlich zum einen die antik-aristotelische Bestimmung des Menschen als ζ&ον Logos und Anfang | 35

λγον $χον (›vernunftbegabtes Lebewesen‹) und zum anderen die

biblische Sicht vom Menschen als ›Ebenbild Gottes‹. In beiden Fällen wird die Definition des Menschen zum Problem, genauer gesagt, diejenige Dimension seines Seins, die ihm einen ontologischen Vorrang vor allen anderen Wesen verschaffen soll. Üblicherweise wird dieses unterscheidende Merkmal in der menschlichen Vernunft lokalisiert, deren konkreter Ausdruck die menschliche Sprache in ihrer grundsätzlichen Freiheit gegenüber der Dingwelt ist. Die Macht der Namensgebung, die im Buch der Genesis dem Menschen in bezug auf die nichtmenschlichen Lebewesen eingeräumt wird, erweckt den Eindruck, als stehe der Mensch aufgrund seiner denkerisch-sprachlichen Dimension tendenziell eher der göttlichen Unendlichkeit näher als der Endlichkeit des Geschöpflichen.4 In ähnlicher Weise erweckt die traditionelle Übersetzung des griechischen λγος mit ›Vernunft‹ die Vorstellung, als handele es sich dabei um eine feststehende, von vornherein gegebene Eigenschaft des Menschen, dessen verstehender Bezug auf anderes Seiendes keiner grundsätzlichen Klärung und Erklärung im Hinblick auf seine Möglichkeit mehr bedürfte. Vor dem Hintergrund dieser scheinbaren Selbstverständlichkeit entwickelt Heidegger in den Vorlesungen der frühen Freiburger und Marburger Zeit eine Konzeption des ›Daseins‹ im Sinne der spezifisch menschlichen Existenz, die von der Vorstellung einer wesentlich vorsprachlichen, vortheoretischen Offenheit auf Welt hin geprägt ist. Das den Menschen auszeichnende Verstehen der ihn umgebenden Dingwelt manifestiert sich zunächst und in erster Linie durch seine Fähigkeit, sich in angemessener Weise innerhalb bestimmter Sinnzusammenhänge zu bewegen, ohne daß dies notwendigerweise sprachlichen Ausdruck finden müßte. Das primäre Phänomen ist das ursprünglich verstehende Weltverhalten des Daseins, das je nach der jeweiligen Situation auch sprachlich artikuliert werden kann, doch gibt nunmehr der verstehende Umgang mit den Dingen der Sprache ihre logische Struktur vor, nicht umkehrt (SuZ 153 – 167). Was Sprache ist, läßt sich nicht in erster Linie an idealen Reinformen der Art ›S ist P‹ ablesen, sondern manifestiert sich auf ursprünglichere Weise in anderen, vom logischen Standpunkt aus schwerer zu deutenden Äußerungen wie der Interjektion, der Bitte, dem Befehl usw., die nicht mehr einfach als abgewandelte Formen 36 | martina roesner

des Urteils interpretiert werden können (SuZ 32ff.). Die leitende Struktur, die allem menschlichen Verstehen von Welt zugrunde liegt, ist nicht mehr länger ideal-logischer, sondern zeitlicher Natur. Heideggers Betonung der Zeitlichkeit und Endlichkeit des Daseins hat nicht nur den Zweck, gewisse scheinbar selbstverständlich gewordene Grundauffassungen einer philosophischen Anthropologie, namentlich die ›Unsterblichkeit der Seele‹ oder die ›Überzeitlichkeit des Intellekts‹, zu durchbrechen, vielmehr wird sie zum Grundmuster für sämtliche Wirklichkeitsbezüge des Menschen, sofern diese ihn auf ursprüngliche, unmittelbare Weise angehen. In den 20er Jahren, d. h. in der Zeit der Vorbereitung und Ausarbeitung von Sein und Zeit, steht am Anfang aller Philosophie die Endlichkeit des Daseins als solche, d. h. eine Endlichkeit, die nicht nur als Provisorium dient, um sich zu unendlichen, idealen und zeitüberhobenen Strukturen aufzuschwingen, sondern eine Endlichkeit, die als solche, d. h. in ihrer Unüberwindlichkeit gedacht und bedacht werden will. Wie Heidegger selbst einige Jahre später ausdrücklich erklärt, ist der Titel seines ersten Hauptwerkes Sein und Zeit insofern programmatisch, als er die Negierung dessen darstellt, was sonst üblicherweise mit dem Begriff ›Sein‹ assoziiert wird, nämlich der ›Logos‹ im Sinne der absoluten Vernunft. »Die Richtung unseres Weges, der den Hegelschen kreuzen soll, ist angezeigt durch ›Sein und Zeit‹, das heißt negativ: Zeit – nicht λγος«,5 so heißt es in der 1930/31 gehaltenen Vorlesung über Hegels Phänomenologie des Geistes. Die bewußt systematisch und nicht primär philosophiegeschichtlich gehaltenen Analysen in Sein und Zeit sind der Ausdruck dafür, daß Heidegger sich durch seine ontologisch gewendete Phänomenologie von der nunmehr problematisch gewordenen Philosophietradition abzugrenzen versucht. Die in der bisherigen Philosophie fraglos praktizierte Parallelführung der Stimmen von Sein und Denken in der triumphalen Dur-Tonart der Unendlichkeit wird durch die modulierende Versetzung in den Schlüssel der Endlichkeit und Zeitlichkeit nunmehr gebrochen und problematisch. Was Denken, auch philosophisches Denken heißt, kann sich nur durch eine phänomenologische Analyse der Endlichkeit erschließen, die in den bisherigen philosophischen Ansätzen und Systementwürfen letztlich nicht zu ihrem Recht gekommen ist. Am Anfang einer radikalen, der Sache angemessenen Kritik der Logos und Anfang | 37

gesamten bisherigen Metaphysiktradition steht also die Zeitlichkeit als phänomenaler Ursprung alles Verstehens und damit alles vorphilosophischen wie philosophischen Logos.

3. Heideggers Vertiefung der exegetischen Logosproblematik im Dialog mit Rudolf Bultmann Heideggers Abrücken von der apologetischen Grundausrichtung seines philosophischen Frühwerks darf nicht zu dem Eindruck verleiten, als spiele das Christentum bzw. die christliche Theologie in seinem Denken fortan keine Rolle mehr. Die eingehende Beschäftigung mit Schleiermacher und der Hermeneutik, seine Vorlesungen über die Phänomenologie des religiösen Lebens und gewisse Paulusbriefe,6 vor allem aber sein vertieftes Lutherstudium sowie der in Marburg erfolgende intensive Austausch mit Rudolf Bultmann führen ihn im Gegenteil zu einer Sicht des Verhältnisses von Philosophie und Theologie, die bemüht ist, beiden Disziplinen durch die Anerkennung ihrer grundsätzlichen und unüberwindlichen Andersartigkeit gerecht zu werden. In Heideggers Augen darf der christliche Glaube nicht einmal versuchen, sich durch ›Übersetzung‹ in ein philosophisches Begriffsregister für die Vernunft akzeptabel zu machen. Der Glaube als existenzielle Grundhaltung ist und bleibt für die Vernunft wesentlich ein ›Skandalon‹, ein anstoßerregendes Ärgernis, das um keinen Preis durch eine philosophische Systematik entschärft oder verwässert werden darf.7 Nur dort, wo die Theologie als Glaubenswissenschaft sich der ontologischen Grundlagen und Grundvoraussetzungen ihrer eigenen Begrifflichkeit vergewissern will, kann und darf sie sich der Philosophie bedienen, doch bleibt dieses Unternehmen eine innertheologische Angelegenheit, die Wesen und Sache der Philosophie als solcher nicht berührt.8 Sowenig die Philosophie sich noch als ›Magd der Theologie‹ vereinnahmen läßt, sowenig darf der christliche Glaube dem Mißverständnis erliegen, seine wesentlich existenzielle Dimension vor der außerreligiösen Vernunft rechtfertigen zu wollen. Gerade insofern der christliche Glaube und das philosophische Denken sich von der Sache her als ›Todfeinde‹ gegenüberstehen (PuT; GA 9,66), sind sie gehalten, sich in ebendiesem Modus existenzieller 38 | martina roesner

Unvereinbarkeit und gegenseitiger Unersetzlichkeit zu respektieren. Für Heideggers weiteres Denken bedeutet dies konkret, daß er im Hinblick auf den so schillernden Begriff des ›Logos‹ in besonderer Weise bestrebt ist, die diversen philosophischen und außerphilosophischen Bedeutungsebenen strikt auseinanderzuhalten. Zwei Heidegger nahestehende Autoren sind in dieser Hinsicht von besonderem Interesse, da sie sich in einschlägiger Weise mit dieser Frage auseinandergesetzt haben. Zum einen ist der Theologe Engelbert Krebs zu nennen, der 1909 bei Carl Braig mit einer Arbeit über Wort und Heiland. Eine soteriologische Untersuchung promoviert hatte, die ein Jahr später unter dem Titel Der Logos als Heiland im 1. Jahrhundert veröffentlicht wurde und vor allem der historischen Interpretation des neutestamentlichen Logosbegriffs vor dem Hintergrund der philonischen und spätantiken Logoslehre gewidmet ist.9 Hatte der junge Heidegger durch diese Schrift bereits Gelegenheit, die Logosproblematik vom dogmengeschichtlichen Standpunkt aus kennenzulernen,10 so boten ihm seine Marburger Jahre die Möglichkeit, dieselbe Fragestellung unter mehr exegetischem Vorzeichen zu vertiefen. Wie man weiß, hatten sich Heidegger und Bultmann in Marburg regelmäßig zu privaten philosophisch-theologischen Lektürenachmittagen getroffen und dabei unter anderem auch das Johannesevangelium in gemeinsamer Diskussion erörtert.11 Vor diesem Hintergrund mag es von Interesse sein, daß Rudolf Bultmann im Jahre 1933 einen Aufsatzband mit dem Titel Glauben und Verstehen veröffentlicht, der nicht nur Heidegger »In dankbarer Freundschaft« gewidmet ist,12 sondern unter anderem eine Abhandlung mit dem Titel Der Begriff des Wortes Gottes im Neuen Testament enthält.13 In diesem Aufsatz, der teilweise das Anfangskapitel seines 1941 erschienenen Johanneskommentars vorwegnimmt,14 differenziert Bultmann zum einen zwischen der alttestamentlichen Bedeutung von ›Logos‹ in der Septuaginta und der neutestamentlichen, namentlich Johanneischen Verwendung dieses Begriffs, zum anderen arbeitet er die Unterschiede des biblischen Logosverständnisses insgesamt gegenüber den diversen spätantiken Verwendungen dieses Terminus im Bereich der Philosophie und der Gnosis heraus. Mit Blick auf die geschichtliche Entwicklung der philosophischtheologischen Literatur zu diesem Thema fällt auf, daß zwischen Logos und Anfang | 39

dem Ende des 19. und den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine ungewöhnlich große Anzahl von Veröffentlichungen dem Johannesevangelium im allgemeinen sowie dem antiken Logosbegriff im besonderen gewidmet ist.15 Während die protestantischen Theologen und Philosophen die unveräußerliche Einzigartigkeit des Johanneischen Logos gegenüber allen anderen antiken Quellen betonen, herrscht bei den katholischen Autoren – mit Ausnahme von Krebs – eher die Tendenz zu einer Harmonisierung des christlichen und außerchristlichen Logosverständnisses vor. Namentlich die Beziehung zur frühen philosophischen Verwendung dieses Begriffs bei Heraklit steht dabei im Mittelpunkt; ist es doch seit Justin dem Märtyrer in der Apologetik üblich, den Heraklitischen Logos als Vorläufer oder doch zumindest Vorahnung dessen zu betrachten, was vom christlichen Standpunkt aus in der Person Christi seine Vollgestalt erreicht hat.16 Diese Auffassung der philosophischen Logoslehre als praeparatio Evangelii setzt allerdings eine bestimmte Geschichtstheologie bzw. -philosophie voraus, die für Heidegger spätestens in dem Moment unannehmbar werden muß, wo er selbst die Geschichte der abendländischen Metaphysik in einem philosophischen Deutungsschlüssel, doch unter bewußter Aufgabe aller harmonisierenden bzw. dialektischen Aufhebungstendenzen zu interpretieren beginnt. Insofern das philosophische Denken im Wesen nichts anderes ist als die Artikulation derselben Endlichkeit, die schon das alltägliche, vorphilosophische Seinsverständnis des Daseins prägt, kann auch die Geschichte der Philosophie nie zum Ort des Durchbruchs des Absoluten ins Endliche oder gar zum Ort der Aufhebung aller Endlichkeit ins Absolute werden. Im Gegensatz zu den sonst gängigen geschichtsphilosophischen bzw. geschichtstheologischen Schemata ist Heideggers Deutung der abendländischen Denktradition nicht von der Vorstellung einer durchlaufenden Kontinuität, sondern vom Grundmuster des Bruches und der unversöhnten Negativität gekennzeichnet. Die Geschichte der Philosophie läßt sich also ganz sicher nicht mehr wie bei Hegel als progressiver Entfaltungsprozeß des Logos im Sinne der absoluten Vernunft deuten, doch ist sie ebensowenig in das starre Schema eines Verfallsmodells zu pressen, in dem das jeweils Spätere automatisch das Uneigentlichere gegenüber dem chronologisch Früheren ist und schließlich auf einen völligen Abfall vom anfänglich Gemeinten 40 | martina roesner

hinausläuft. Das Eigentümliche an der Heideggerschen Geschichtsdeutung ist vielmehr, daß sie auch den scheinbaren ›Verfall‹ und die Entfernung vom Ursprung als authentischen Ausdruck dessen deutet, was im Anfang der Philosophie unvermeidlicherweise angelegt und mitgemeint ist.

4. Der Logos als Vorname des Seins im geschichtlichen Anfang der Metaphysik Ausgehend vom Leitmotiv der Endlichkeit aller Phänomenalität deutet Heidegger die Geschichte insgesamt als eine Folge von epochalen Anfängen, in denen sich das Verhältnis von Sein und Denken je anders, doch immer unter dem Vorzeichen der Verhüllung und des Entzugs des Seins selbst gestaltet.17 Die leitende Grundvorstellung ist die, daß die Philosophie im Verlauf ihrer Geschichte das Sein nie wie einen festen, ein für allemal gegebenen Gegenstandsbereich vorliegen hat. Vielmehr wird im Rahmen einer phänomenologischen Geschichtsbetrachtung die Zugänglichkeit von Sein für das Denken als unvorhersehbares, sich stets neu vollziehendes ›Ereignis‹ gedeutet, das sich weder kausal noch begrifflich aus dem jeweils Vorangegangenen ableiten läßt. Die unterschiedlichen Konfigurationen, die das Verhältnis zwischen Sein und Denken in jeder Geschichtsepoche annimmt, sind untereinander durch kein logisches Prinzip durchgängig verbunden, sondern entspringen in einer freien Gleichunmittelbarkeit dem Ursprung der geschichtlichen Phänomenalität als solcher. Diese Ursprunghaftigkeit ist jedoch gerade nicht Synonym der Fülle des Absoluten, sondern besagt vielmehr einen Rückzug und ein An-sich-halten des Ursprungs zugunsten des Entspringenden, das auf diese Weise einen Spielraum der Freiheit zu seiner eigenen Entfaltung eingeräumt bekommt. In diesem Zusammenhang bekommt auch der Vorwurf der ›Seinsvergessenheit‹, den der Heidegger von Sein und Zeit noch an die gesamte Philosophietradition gerichtet hatte, einen anderen Klang. Hatte es zu diesem Zeitpunkt noch so ausgesehen, als hätte das abendländische Denken es aktiv versäumt, das ›Sein selbst‹ in seiner prinzipiellen Andersartigkeit gegenüber allem Seienden zu denken (SuZ 2 ff.), so deutet Heidegger denselben Vorgang nunmehr Logos und Anfang | 41

als adäquate Antwort des Denkens auf die Art und Weise, in der das Sein ihm im ›ersten Anfang‹ der Geschichte zugänglich geworden ist.18 Dieser ›erste Anfang‹, dessen Beginn mit Platon und Aristoteles anzusetzen ist, erfährt Seiendes als prinzipiell ›entborgen‹, d. h. in seinem Sein zugänglich für den Logos im Sinne des denkenden Vernehmens.19 Dabei bleibt jedoch die Tatsache unberücksichtigt, daß die faktische Verwirklichung dieser Zuordnung von Sein und Logos selbst keine innere Notwendigkeit besitzt. ›Sein und Denken‹ konnte nur deswegen zum Leitmotiv der bisherigen Philosophiegeschichte werden, weil sich im ersten Anfang die Phänomenalität des Seins in einer bestimmten Weise enthüllt hat, doch ist der Logos, der aus dieser wechselseitigen Hinordnung entspringt, nicht der erste Anfang selbst. Der Grund für die vermeintliche Allgewalt des Denkens gegenüber dem Sein ist in Heideggers Augen durchaus nicht nur innerphilosophischer Natur. Er geht so weit, die ausschließliche und lückenlose Hinordnung des Seins auf das Denken, die mit Descartes beginnt und bei Hegel ihre Vollendung erfährt, als neuzeitliche Übersetzung des Johanneischen ν ρχ' (ν ) λγος zu deuten.20 Auch dort, wo – wie im Deutschen Idealismus – das Denken meint, mit dem Absoluten anzufangen, das von Anfang an schon bei ihm ist und den gesamten Gang der denkenden Reflexion mitträgt, ist dieser Logos jedoch in Wirklichkeit nicht der Anfang schlechthin und nicht der Ursprung seiner eigenen Mächtigkeit. Die ρχ ist für Heidegger nicht der innermetaphysisch verstandene Logos selbst, sondern das, was die gegenseitige Hinordnung von Sein und metaphysischem Logos aus sich entläßt und gleichzeitig in sich einbehält.21 Wenngleich das philosophische Paradigma, das im Zeichen von ›Sein und Denken‹ steht, dem Wesen seines eigenen Ursprungs nicht gerecht wird, muß es von dessen Standpunkt aus doch mit prinzipieller Anerkennung betrachtet werden, gerade insofern es die Konsequenz der Art und Weise ist, in der der Ursprung diesen ersten Anfang aus sich entlassen hat. Man hat es also mit einer nicht kausal-naturhaften, sondern phänomenalen Ursprunghaftigkeit zu tun, in der das Hervorgegangene nichts anderes ist als die freie Möglichkeit der Anerkennung oder Verkennung seines Ursprungs als Ursprung. Dementsprechend ist auch das von Heidegger mehr angedeutete als ausgeführte ›nichtmetaphysische‹ Denken, das nach ihm in et42 | martina roesner

was zu griffiger Weise zum ›postmetaphysischen‹ oder gar ›postmodernen‹ Denken umdeklariert wurde, nicht im Sinne einer Abstoßung von der bisherigen Metaphysik zu verstehen, so als könne man durch begrifflich-logische Entgegensetzungen in quasi-kausaler Weise ein anderes Denkparadigma aus dem bisherigen ableiten oder hervorbringen. Der ›andere Anfang des Denkens‹ bedeutet für Heidegger keineswegs, etwas anderes zu denken als die bisherige Metaphysik, sondern dasselbe auf andere Weise, nämlich im Modus der ausdrücklichen Anerkenntnis dessen, was in der Metaphysik auf von ihr unerkannte Weise immer schon am Werk war. Der ›andere Anfang‹ ist demnach nichts anderes als der ›erste Anfang‹, der sich als solchen erkannt hat, d. h. um seine bisherige, dem eigenen Ursprung abgewandte Haltung weiß und bereit ist, seine ganze Geschichte unter dem nunmehr veränderten Blickwinkel neu zu durchdenken. Die Geschichte der Philosophie führt also nirgendwo anders hin als zur denkenden Anerkennung dessen, was das Denken immer schon ermöglicht hatte, ohne als ausdrückliche, thematische Voraussetzung in seine inhaltliche Entfaltung einzugehen. Diese eigentümliche Deutung der Philosophiegeschichte wird von Heidegger in aller Ausführlichkeit erstmals ab Mitte der 30er Jahre in einer Reihe von Manuskripten entwickelt, die erst vor einigen Jahren, also lange nach seinem Tod, veröffentlicht wurden. Bezeichnenderweise trägt einer dieser Texte den Titel Über den Anfang (GA 70); geht es darin doch in spezieller Weise um das Verhältnis des ersten, metaphysischen Anfangs zu seinem von ihm selbst nicht erkannten Quellpunkt. Heidegger bekräftigt nochmals die Immanenz des Hervorgehenden aus dem Ursprung, indem er beide geschichtlichen Formen des Denkens als je anders verstandenes ›Bleiben‹ auffaßt: Im ersten Anfang wird das ›Bleiben‹ nicht als eine Eigenschaft des Denkens selbst verstanden, sondern auf das von ihm in objektivierender Weise gedachte Sein projiziert und zu dessen ›beständiger Anwesenheit‹ umgedeutet. Im anderen Anfang hingegen bedeutet das ›Bleiben‹ den erkennenden Rückgang des Denkens in seinen eigenen Ursprung, bei dem es immer schon war, ohne ausdrücklich darum zu wissen (GA 70,28). Insofern sich dieser Ursprung um der Freiheit des Entspringenden willen aber gerade als Entzug und Verweigerung vollzieht, ist er nicht mehr als solcher ansprechbar. Der Anfang als die geschichtliche Verbergung des Logos und Anfang | 43

Seins selbst ist gleichbedeutend mit der Verweigerung des Wortes (GA 70,15.22).

5. Die philosophische Ausdeutung der Johanneischen Logoskonzeption im Rahmen der Eckhartschen Intellekttheorie Das bisher skizzierte Grundmodell der Heideggerschen Geschichtsdeutung, die auf der Vorstellung eines nicht-naturhaften Hervorgangs des Denkens aus einem von ihm möglicherweise verkannten, möglicherweise aber auch anerkannten Ursprung beruht, weist erstaunliche Parallelen zu einer bestimmten Denktradition des Mittelalters auf, mit der Heidegger besser vertraut war, als man auf den ersten Blick vermuten könnte. Gemeint ist der intellekttheoretische Ansatz, der vor allem in der deutschen Dominikanerschule (Albert der Große, Dietrich von Freiberg, Meister Eckhart) vorherrscht und sich von den zeitgenössischen seinsmetaphysischen Entwürfen deutlich unterscheidet. Dieser Ansatz ist von der Überzeugung getragen, daß der endliche, menschliche Intellekt auf wesentlich andere Weise aus Gott hervorgeht als der Rest der geschaffenen Naturwirklichkeit. Während die ›Dinge‹ im weitesten Sinn durch Entsprechung zu einer bestimmten, begrenzten Idee im Geist Gottes ins Dasein treten, ist die menschliche Vernunft ein Abbild der göttlichen Intellekttätigkeit als ganzer.22 Dies impliziert, daß sie kein von vornherein statisch definierbares Wesen besitzt, sondern nichts anderes ist als die wesentlich dynamische, erkennende Rückwendung zu ihrem eigenen Ursprung, auch wenn ihr dies hier und jetzt nicht immer bewußt sein mag. In seinem Kommentar zum Johannesprolog entwickelt Meister Eckhart vor diesem Hintergrund den Bezug der ersten und der zweiten Person der Trinität nach dem Schema eines Hervorgangs, in dem nicht nur jeder Kausalitätsgedanke, sondern auch jede Vorstellung einer zeitlichen Aufeinanderfolge zwischen Ursprung und Entspringendem ausgeschaltet ist.23 In der Formel In principio erat verbum bezeichnet das principium kein ›Prinzip‹ im Sinne eines allgemeinen Axioms, aber auch keine naturhaft auszumachende Ursache, die dem Verursachten zeitlich vorausginge. Vielmehr handelt es sich in der Beziehung zwischen Principium und Verbum um eine 44 | martina roesner

ständig aktualisierte Erzeugung, in der das Erzeugte dem Erzeuger gegenüber nicht nur von gleicher Natur, sondern in ihm einbehalten ist.24 Das den Johannesprolog eröffnende ν ρχ' besagt also nicht ein temporales ›am Anfang‹, sondern ›im Anfang‹ oder besser: ›im Ursprung‹. »Im Ursprung – als immer schon und unablässig neu aus ihm entspringendes und in ihm einbehalten bleibendes – ist das Wort in seinem zeitlosen Gezeugtwerden«, so könnte man den ersten Satz des Prologs paraphrasieren. Bezeichnend für Meister Eckhart ist jedoch, daß er diesen Bezug von Erzeuger und Erzeugtem nicht nur auf die Trinitätstheologie beschränkt, sondern dasselbe Muster auch auf die intellektuelle Erkenntnis als solche anwendet.25 Intellekt und Begriff verhalten sich analog zueinander wie Vater und Sohn, Principium und Verbum. Nicht zufällig spricht man ja in bezug auf den Begriff auch vom ›Konzept‹, was vom lateinischen concipere/conceptio (›empfangen/Empfängnis‹) hergeleitet ist. Intellektuelle Erkenntnis ist demnach kein biochemisch oder neuronal zu fassender Naturprozeß, sondern ein Zeugen und Empfangen des Geistes, der sich durch die von ihm hervorgebrachten Begriffe innerlich bereichert und vermehrt, ohne sich nach außen zu verlieren. Die von aller technisch-kausalen Hervorbringung und Produktion verschiedene Weise der intellektuellen Erzeugung ist aufgrund ihres freien, spontanen Charakters dem Spiel in gewisser Weise wesensverwandt. Es ist daher kein Zufall, daß in der theologischen Tradition der innertrinitarische Hervorgang der göttlichen Personen sowie die vom Logos bzw. der göttlichen Weisheit getragene Schöpfung bisweilen als Spiel, d. h. als grundlose, aber gleichwohl sinnvolle Stiftung frei geregelter Beziehungen gedeutet wird. Dieses spielerische Grundmodell wird beim Übergang von der Patristik zur Scholastik durch das Aristotelische Schema der vierfachen Kausalität und die Vorstellung einer eher handwerklich inspirierten Hervorbringung weitgehend verdrängt. Nichtsdestoweniger findet man bei mehr neuplatonisch beeinflußten Denkern wie Meister Eckhart und Johannes Tauler Passagen, in denen die wechselseitige Dynamik der Personen der Dreifaltigkeit als Spiel verstanden wird: »Do vindet man daz minnecliche fúrspil, wie der sun dem vatter fúrspilt und wie su bede in usbluegender minne geistent den heiligen geist.«26 Dieselbe richtig verstandene spielerische ›Grundlosigkeit‹ des innertrinitarischen Hervorgangs beherrscht auch die BeLogos und Anfang | 45

ziehung Gottes zu den Dingen, insofern diese nicht in einer absoluten Transitivität aus ihm hinausfallen wie die naturhafte Wirkung aus der naturhaften Ursache, sondern einbehalten bleiben im gleichen ›Wort‹, das sie auf schöpferische, nichtkausale Weise hervorbringt.27 Wie sich noch zeigen wird, hat Heidegger diesem nichttechnischen, nicht-handwerklichen Schöpfungsparadigma innerhalb der philosophisch-theologischen Tradition des patristischen und mittelalterlichen Denkens jedoch keine Beachtung geschenkt. In bezug auf die Schöpfungslehre ist für ihn der christliche Logos eine Art Demiurg, der als ›oberste Ursache‹ die Dinge in vorstellender Weise ›produziert‹,28 so daß der davon geprägte Gottesbegriff schließlich in nichts anderem zu bestehen scheint als in der »Vergötterung der ›Kausalität‹ als ›Kausalität‹«.29 Diese zugegebenermaßen einseitige Betrachtungsweise dient letztlich dem Zweck, das christlich geprägte Paradigma der Schöpfung zum direkten Vorläufer der modernen Technik zu erklären und vor diesem Hintergrund Heideggers später entworfenen eigenen Ansatz eines spielerischen Verhältnisses des Logos zum Sein der Dinge in schärferer Abgrenzung zum Christentum erscheinen zu lassen, als dies von der Sache her zu rechtfertigen wäre.

6. Die Heideggersche Geschichtsphilosophie der ›Anfänge‹ vor dem Hintergrund der Eckhartschen Logosmetaphysik Ab Mitte der 30er Jahre – konkret gesprochen, von der Vorlesung Einführung in die Metaphysik an – nimmt der Logosbegriff eine immer wichtigere Stellung in Heideggers Denken ein. Seine stets aufs neue wiederholten Versicherungen, der Logos im philosophischen, namentlich Heraklitischen Sinne habe nicht das Geringste mit dem neutestamentlichen, Johanneischen Logos und der Person Christi zu tun, nehmen jedoch zu sehr einen rituell beschwörenden Charakter an, als daß man sich damit einfach zufriedengeben könnte.30 Die Ähnlichkeiten und Unterschiede der beiden Logoskonzeptionen werden auf zwei verschiedenen Ebenen sichtbar, die es auseinanderzuhalten gilt. In einem ersten, oberflächlichen Sinne stellt Heideggers Ansatz in der Tat insofern eine direkte Absage an den christlichen Logosbegriff dar, als er darunter gerade keine be46 | martina roesner

stimmte Person, ja überhaupt kein konkret auszumachendes Einzelwesen mehr verstanden wissen will. In die fundamentalontologische Begrifflichkeit übersetzt, wäre – so despektierlich dies vom theologischen Standpunkt aus klingen mag – der mit der Person Christi identifizierte Logos immer noch ein Seiendes und somit dem nicht mehr konkretisierbaren und nirgendwo mehr antreffbaren ›Sein selbst‹ diametral entgegengesetzt.31 Dieser expressis verbis vollzogenen Selbstabgrenzung Heideggers stehen jedoch andere Passagen in seinen Texten und Vorlesungen gegenüber, die in unverkennbarer Weise vom Johanneischen Paradigma des außerzeitlichen Anfangs, des nichtkausalen Ursprungs und des immanenten Hervorgangs geprägt sind, ohne ausdrücklich darauf Bezug zu nehmen. Im bereits erwähnten Manuskript Über den Anfang lesen wir im Zusammenhang der Frage nach dem Ursprung des metaphysischen Denkens und seines Wahrheitsbegriffs: »Der Anfang ›ist‹ die Wesung des Seins. Seyn ›ist‹ – empfängt sich selbst in der Anfängnis. Die Wesung des Seins ist im ersten Anfang die Entbergung, die Unverborgenheit (Wahrheit). ›Wahrheit‹ gehört deshalb in das Wesen des Seyns und muß allein von hier gedacht werden« (GA 70,42 f.). Der Parallelismus zum Johanneischen Begriffspaar Principium / Verbum ist unverkennbar: das ›Sein selbst‹ als Anfang bringt auf empfangend-zeugende Weise die ursprüngliche Wahrheit hervor, die strenggenommen nichts ›anderes‹, sondern ›gleichen Wesens‹ mit ihm ist. Wahrheit ist also keine vom Sein verschiedene sprachliche oder logische Größe, sondern das Sein selbst, insofern dieses in seinem Wesen zum Vorschein kommt und als solches erkennbar wird. Gleichzeitig wehrt Heidegger aber die Vorstellung ab, mit dieser anfänglichen Wahrheit des Seins selbst seien wie immer geartete ›ewige Wahrheiten‹ gemeint, falls man ›ewig‹ vor dem Hintergrund einer falschverstandenen Zeitlichkeit als ›beständige Dauer‹ interpretieren wollte. Ebenso wie sich bei Meister Eckhart der Hervorgang des Verbum aus dem Principium zu keinem angebbaren Zeitpunkt, sondern wesenhaft immer schon und immer noch vollzieht, so geschieht bei Heidegger das anfängliche Ereignis des Seins in seiner Wahrheit zu keiner Zeit, sondern ist selbst deren Ursprung (GA 70,43): »[Die Wahrheit] ist, gemäß der Anfängnis des Seyns, je eine einzige; dieses aber nicht so, daß sie nur ›für‹ eine Zeit gilt, wobei ›die Zeit‹ der Maßstab und Spielraum des ›Geltens‹ ist. Logos und Anfang | 47

Die Wahrheit bestimmt ja selbst erst ›die Zeit‹ zu einer Zeit und zu je dieser; wie soll diese dann die Rolle der Maßgabe für die Wahrheit sich anmaßen?« Diese spezifische Außerzeitlichkeit der ›Anfängnis‹ des Seins in seiner ursprünglichen Wahrheit hat direkte Auswirkungen auf die Deutung der Philosophiegeschichte, insofern diese nicht mehr als chronologische Aufeinanderfolge einzelner Denksysteme und Positionen interpretiert werden kann, sondern sich als immanente Ausfaltung einer selbst nicht innerzeitlichen, sondern zeitgründenden Wahrheit erweist (GA 70,44): »Die Einheit und Zusammengehörigkeit der Geschichte bestimmt sich aus der Einzigkeit des Seyns. In der Einzigkeit ist je Jedes einzig und so allein zugehörig dem Einen. Nicht das Allgemeine eines Vielerlei (metaphysisch), sondern die Einzigkeit des Einfachen gründet die wesentlichen Bezüge zur Geschichte. Aus diesen Bezügen nur läßt sich ›Historie‹ neu bestimmen, falls sie nicht überhaupt mit der Metaphysik hinfällig geworden ist.« Dies bedeutet, daß im Hinblick auf das Verhältnis von ›erstem‹ und ›anderem Anfang‹, von ›metaphysischem‹ und wie immer geartetem ›nichtmetaphysischem‹ Denken die Vorstellung einer Aufeinanderfolge inadäquat bleiben muß. Tolle tempus, occidens est oriens, sagt Meister Eckhart in seinem Kommentar zum Johannesprolog: »Nimm die Zeit hinweg, und Sonnenuntergang und Sonnenaufgang (›Okzident‹ und ›Orient‹) fallen zusammen«.32 Ein Gleiches ließe sich auch von Heideggers Verständnis der ›beiden Anfänge‹ des Denkens sagen. So kommt seine Kritik der bisherigen Metaphysik keineswegs der Aufforderung gleich, dem ›abendländischen‹ Rationalitätsparadigma als vermeintlich vergangenem oder ›untergegangenem‹ den Rücken zu kehren und sich von nun an statt dessen den ›neu aufgehenden‹ Weisheitsformen anderer, östlicher Kulturkreise zuzuwenden. Zwischen dem ›ersten‹ und dem ›anderen Anfang‹ liegt keine Zeitspanne; das ›Andere‹ besteht darin, daß das Denken nunmehr erkennt und dankbar anerkennt, was es im ersten Anfang des metaphysischen Denkens insgeheim immer schon war. Bei aller Ähnlichkeit mit der Johanneischen und Eckhartschen Denktradition läßt sich allerdings ein wesentlicher Unterschied nicht verschleiern, der für das Heideggersche Denken der 40er und 48 | martina roesner

50er Jahre immer bestimmender wird. Anders als in der mittelalterlichen Intellekttheorie sind Sein und Wahrheit, Ursprung und Entsprungenes nunmehr von einer unüberwindlichen Endlichkeit geprägt, der es Rechnung zu tragen gilt. Dies ist der Grund, warum Heidegger den ›Logos‹ immer weniger dem begrifflich-konzeptuellen Denken und statt dessen der ›Sprache‹ und dem ›Wort‹ in ihrer geschichtlichen Konkretheit und Kontingenz zuschlägt. In dem Moment, wo der Logos in keiner Weise mehr mit der absoluten Vernunft synonym gesetzt werden kann, macht auch das Verhältnis von Logos und Anfang eine erneute Veränderung durch und bezeugt auf diese Weise den nicht begrifflich fixierbaren, sondern wesentlich ereignishaften Charakter der Anfänglichkeit selbst.

7. Wort und Vorwort: der Primat dichterischer Sprachstiftung gegenüber dem Logos des Denkens Im Bereich der idealistischen Philosophie, namentlich bei Hegel, werden die beiden wichtigsten Grundbedeutungen von ›Logos‹, nämlich ›Sprache‹ und ›Vernunft‹, durchaus nicht synonym, sondern eher als Gegensatz verstanden. Die Sprache in ihrer Äußerlichkeit und Kontingenz muß gerade ›verhallen‹ zugunsten einer Aufhebung des von ihr begrifflich Ausgesagten ins Bewußtsein, dessen Innerlichkeit das eigentliche Wesen der Vernunft zum Ausdruck bringt.33 Der sprachliche Logos verschwindet also gerade im Logos des Bewußtseins, dessen Wesensbezüge er nicht wirklich adäquat zum Ausdruck bringen kann. Mit anderen Worten: die konkrete, geschichtliche Sprache ist nicht mehr als ein Provisorium und eine äußere Hülle, die vom Absoluten bei seiner progressiven Selbst-Bewußtwerdung durchbrochen bzw. absorbiert wird. Im Gegensatz zu diesem Auseinanderdividieren der beiden Dimensionen von Sprache und Denken entwirft Heidegger in den 40er und 50er Jahren die Vorstellung eines Logos, der einerseits das Sein in seiner Offenheit aufgehen läßt und andererseits den Menschen auf vortheoretische Weise in diese Offenheit versammelt. An die Stelle der technisch-demiurgisch verstandenen Schöpfung tritt die φσις, die in einem grundlos-spielerischen Modus Sein und Wort aufeinander einstimmt: Logos und Anfang | 49

»Das Wort φσις bedeutet: das von sich aus Aufgehen ins Offene und Freie und im Aufgegangenen Dastehen und Erscheinen und im Erscheinen dem Freien sich dargeben und dabei doch einer Regel folgen. Also zu ›wesen‹ ist das Wesen des Spiels. Zur φσις gehört das Spiel.«34 »Das Spiel des Wortes aber wird gespielt vom Spiel des Wesens selbst, das in sein Wort kommt. Die φσις ist das Spiel des Aufgehens ins Sichverbergen, das birgt, indem es das aufgehend Offene, das Freie, freigibt.«35 Daraus ergibt sich, daß der Logos im ursprünglichen Sinne zunächst als ›Versammlung‹ von Sein und Mensch ins Offene zu verstehen ist, bevor dieses Verhältnis sich in Worten aussprechen kann: »Was aber vom λ γειν gilt, daß es als ursprüngliche Sammlung das bergende Beschweigen des Seins ist, gilt dann noch ursprünglicher vom Λγος. Er ist die ursprünglich bergende Verschweigung und als diese das Vor-wort zu jeder Sage des Wortes in der Antwort. Das Vor-wort ist das dem Wesen des Wortes vorauf und voraus wesende Erschweigen der Stille, die erst gebrochen werden muß, wenn das Wort sein soll. Der Λγος ist nicht das Wort. Er ist ursprünglicher denn dieses, das Vorwort jeder Sprache. […] der Λγος ist die sich dem Menschen zuschweigende Gegend, d. h. die alle eröffnenden Winke und Weisungen bergende, in sich beruhende Weite. Indem sich die Gegend dem Menschenwesen zuschweigt, kehrt sie erst in ihre eigene Stille zurück und ist als diese Rückkehr der Abschied in den aufbehaltenen Beginn.«36 Der Logos ist damit nicht mehr das Synonym einer absoluten Vernunft, die darauf abzielt, in ihrem eigenen Erscheinungsprozeß die äußeren Worte abzustreifen und verhallen zu lassen, sondern in ihm kommt die Sprache überhaupt erst zu Wort als Antwort auf die Art und Weise, in der sich Sein enthüllt, nämlich in einem spielerischen, frei geregelten Aufgehen. Logos ist nicht Gesetz und logisches Axiom, sondern Spielregel eines endlichen Denkens und Sprechens, dessen Endlichkeit nicht eine zu überwindende Vorstufe darstellt, sondern das Wesen des Seins selbst zum Ausdruck bringt. Ist der versammelnde Logos im ursprünglichen Sinne die gegensei50 | martina roesner

tige Hinordnung von Sein und Mensch, so ist die als Ant-wort aus diesem Wechselbezug entspringende Sprache das ursprüngliche Verhältnis, in dem Welt und Ding füreinander erschlossen und ineinander einbehalten werden. Das ›Verhältnis‹ von Wort und Ding ist strenggenommen keines, jedenfalls nicht im Sinne einer nachträglich eingerichteten Relation zwischen bereits existierenden Instanzen. Das Ding ist erst, indem es zu Wort kommt (UzS 164): »Das Wort verschafft dem Ding erst das Sein.« Es behält sein Sein nur, insofern es im Wort einbehalten bleibt: »Vom Wort dürften wir, sachgerecht denkend, dann nie sagen: Es ist, sondern: Es gibt – dies nicht in dem Sinne, daß ›es‹ Worte gibt, sondern daß das Wort selber gibt. Das Wort: das Gebende. Was denn? Nach der dichterischen Erfahrung und nach ältester Überlieferung des Denkens gibt das Wort: das Sein.«37 »[…] das Verhältnis des Wortes zum Ding […] aber ist nicht eine Beziehung zwischen dem Ding auf der einen und dem Wort auf der anderen Seite. Das Wort selber ist das Verhältnis, das jeweils in sich das Ding so einbehält, daß es ein Ding ›ist‹«.38 Diese Formulierung erinnert stark an zahlreiche Passagen aus den Schriften Meister Eckharts, denen zufolge das Sein der Dinge überhaupt nur als bleibendes Einbehaltensein im beständig sich aussprechenden Wort gedacht werden kann. Der wesentliche Unterschied besteht darin, daß bei Eckhart das Wort selbst göttlichen Charakter besitzt, was bei Heidegger ausdrücklich verneint wird. Grundsätzlich geht es aber um dieselbe Bewegung des immanenten Hervorgangs, der sich nicht nach außen verliert, sondern auf Rückkehr zum Ursprung angelegt ist; dies jedoch nicht im Modus einer erdrückenden Notwendigkeit, sondern eines freien Spiels, das sich abseits jeder Vorstellung einer Kausalverkettung gleich gut in die eine wie in die andere Richtung bewegen kann. Das vor allem philosophischen Denken vom Dichter gesprochene Wort ist der Ursprung des Seins der Dinge wie auch ihres Verhältnisses zur Welt. Das Wort ist nicht bedeutsam, insofern es ›verhallt‹ und sich in die absolute Vernunft hinein verliert, sondern insofern es die ›Helle‹, d. h. die vortheoretische Offenheit des Seins und der Dinge allererst ermöglicht und weiter offen hält. Am Anfang des Seins der Dinge und ihres Verhältnisses zur Welt steht das dichterisch rufende Wort, Logos und Anfang | 51

das beständig und immer wieder das Schweigen bricht, aus dem es hervorgeht, ohne es je auszuschöpfen.

8. Kein Wort zum Abschluß Wie enden? Wie endet man einen Beitrag, in dem immer nur vom Anfang und von den verschiedenen Formen des Anfangens die Rede war? Im Bereich der intellektuellen Erkenntnis fallen Ende und Anfang zusammen, d. h. das Ende ist nichts anderes als der Anfang, der sich selbst als solchen erkannt hat. So sollen zum Abschluß unserer Überlegungen über das vielfältige Verhältnis von ρχ und λγος, von Anfänglichkeit und Wort, die unterschiedlichen Anfänge selbst noch einmal zu Wort kommen: Am Anfang des Heideggerschen Denkens stehen die Aufsätze zur Logik als Theorie der zeitlos gültigen Aussagewahrheit, die zu den christlichen Grundwahrheiten hinführen soll. Im Bereich der Fundamentalontologie steht am Anfang alles Verstehens von Welt und der möglichen Artikulation dieses Verstehens im Wort die Zeitlichkeit als vorsprachliche Grundstruktur des Daseins. Im geschichtlichen Anfang des metaphysischen Denkens steht der Logos als Vernunft, auf die alle Wirklichkeit wesentlich hingeordnet ist. Am Ende dieses ersten Anfangs – bei Hegel – ist der Logos als Absolutes bereits im Anfang bei uns, um die Bewegung des Denkens in seinem Gang durchzutragen und dabei die äußeren Worte abzustreifen. Im Anfang des seinsgeschichtlichen Denkens erweist sich das metaphysische Denken als ein Erzeugnis des Seins, das sich in anfänglicher Weise selbst empfängt und dabei die ursprüngliche, vorsprachliche Wahrheit seines eigenen Wesens zum Vorschein kommen läßt. In der ersten Frühe des Denkens – bei Heraklit – ist der Logos als spielerische Sammlung von Sein und Mensch ins Offene nicht selbst das Wort, sondern das Vor-wort zu aller sprachlichen Verlautbarung. Im Ereignis von Ding und Welt ist am Anfang das Wort als dich52 | martina roesner

terisches Rufen, das die Dinge ins Sein treten läßt und darin hält, ohne jedoch je seine Endlichkeit zu verlieren. Im Anfang war das Wort. Der Anfang selbst ist nicht das Wort, sondern vielmehr das Schweigen, das das Wort aus sich entläßt und dabei doch unablässig in sich einbehält und weiterträgt. Das Wort eröffnet wiederum den Spielraum des Verständnisses von Dasein und Welt und ist damit der Anfang des Denkens. Das Denken seinerseits kann um den Anfang viele Worte machen und ihn damit überdecken – oder aber ihn hörbar werden lassen, indem es am Ende aller Worte wieder einkehrt in die eigene, anfängliche Stille.

Anmerkungen 1

Vgl. Heideggers Rezension von 1910 zu: Förster, Fr. W., Autorität und Freiheit. Betrachtungen zum Kultur problem der Kirche (GA 16), 7 f. 2 Vgl. Zur philosophischen Orientierung für Akademiker von 1911 (GA 16), 11 – 14, hier 11 f. 3 Vgl. Heideggers Rezension: Zimmermann, O., S. J., Das Gottesbedürfnis von 1911 (GA 16),15. 4 Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Jenaer Systementwürfe III, 190 f. 5 Vgl. Hegels Phänomenologie des Geistes (GA 32), 143 (Hervorh. Heidegger). 6 Vgl. Phänomenologie des religiösen Lebens (GA 60). 7 Vgl. Phänomenologie der Anschauung und des Ausdrucks (GA 59), 91; vgl. außerdem EiM 6 (GA 40,9). 8 Vgl. Wegmarken (GA 9), 61 – 77. 9 Engelbert Krebs: Der Logos als Heiland im 1. Jahrhundert. Ein religionsund dogmengeschichtlicher Beitrag zur Erlösungslehre. 10 Vgl. Christoph von Wolzogen: Gottes Geheimnisse verkosten, bevor sie geschaut werden. Martin Heidegger und der Theologe Engelbert Krebs, 206 ff. 11 Vgl. Otto Pöggeler: Neue Wege mit Heidegger, 467. 12 Rudolf Bultmann: Glauben und Verstehen. Gesammelte Aufsätze I, III. 13 A. a. O., 268 – 293. 14 Vgl. Bultmann: Das Evangelium des Johannes, 1-19. 15 Vgl. Anathon Aall: Der Logos: Geschichte seiner Entwickelung in der griechischen Philosophie und der christlichen Litteratur (2 Bde.); Wilhelm Baldensperger: Der Prolog des vierten Evangeliums. Sein polemisch-apologetischer Zweck; Georg Hertling: Christentum und griechische Philosophie; Jules Lebreton: Les théories du ›Logos‹ au début de l ’ère chrétienne; Engelbert Krebs: Der Logos als Heiland im 1. Jahrhundert. Ein religions- und dogmengeschichtlicher Beitrag zur Erlösungslehre; Gillis Peterson Wetter: Der Sohn Gottes. Eine Logos und Anfang | 53

Untersuchung über den Charakter und die Tendenz des Johannesevangeliums. Zugleich ein Beitrag zur Kenntnis der Heilandsgestalten der Antike; James Rendel Harris: The Origin of the Prologue to St. John’s Gospel; Julius Kögel: Das Evangelium des Johannes; Georg Bert: Das Evangelium des Johannes; Bultmann: Der religionsgeschichtliche Hintergrund des Prologs zum Johannesevangelium, 3 ff.; Marie-Joseph Lagrange: Le logos d ’Héraclite; Franz Xaver Pölzl; Theodor Innitzer: Kurzgefaßter Kommentar zum Evangelium des hl. Johannes; Friedrich Büchsel: Johannes und der hellenistische Synkretismus; Anton Greiff: Platons Weltseele und das Johannesevangelium; Adolf Schlatter: Der Evangelist Johannes. Wie er spricht, denkt und glaubt. Ein Kommentar zum vierten Evangelium; Fritz Tillmann: Das Johannesevangelium; Lothar Schmid: Johannesevangelium und Religionsgeschichte; Olof Gigon: Untersuchungen zu Heraklit; Josef Piper: Das Wort; Josef Dillersberger: Das Wort vom Logos. Vorlesungen über den Johannesprolog. 16 Vgl. Justinus Martyr: Apologia II pro christianis, 458. 17 Vgl. Beiträge zur Philosophie (GA 65), 176. 18 Vgl. Beiträge zur Philosophie (GA 65), 113 – 120. 19 EiM 136 – 149 (GA 40,187-204). 20 Vgl. Hegel. Die Negativität (GA 68), 52. 21 Vgl. Grundbegriffe (GA 51), 107 ff. 22 Dietrich von Freiberg: Schriften zur Intellekttheorie, 43; außerdem Meister Eckhart: Predigt 24. In: Werke I, 277. 23 Meister Eckhart: Expositio sancti Evangelii secundum Iohannem, § 8; L’œuvre latine de Maître Eckhart VI, 36 ff. 24 A. a. O. § 25; L’œuvre latine de Maître Eckhart VI,62. 25 A. a. O., §§ 9 – 13; L’œuvre latine de Maître Eckhart VI, 38 – 46. 26 Johannes Tauler: Predigt 39,156. 27 Vgl. Meister Eckhart: Prologus generalis in opus tripartitum, §§ 17 – 21; in: L’œuvre latine de Maître Eckhart I, 60 – 68; vgl. auch Predigt 30.41.43. In: Werke I, a.a.O., 341.438.461. 28 Vgl. Heraklit. Der Anfang des abendländischen Denkens / Logik. Heraklits Lehre vom Logos (GA 55), 209.331 f. 29 Besinnung (GA 66), 240. 30 Vgl. Hölderlins Hymnen »Germanien« und »Der Rhein« (GA 39),60; vgl. EiM 103 (GA 40,143). 31 EiM 102f. (GA 40,143). 32 Meister Eckhart: Expositio sancti Evangelii secundum Iohannem, § 8; L’œuvre latine de Maître Eckhart VI, 36. 33 Vgl. Hegel: Jenaer Systementwürfe I, 294 f. 34 GA 55,25. 35 GA 55,139. 36 GA 55,383. 37 UzS 193. 38 UzS 170. 54 | martina roesner

– Norbert Fischer –

Selbstsein und Gottsuche Zur Aufgabe des Denkens in Augustins ›Confessiones‹ und Martin Heideggers ›Sein und Zeit‹

»retorquebas me ad me ipsum«. »in cuius oculis mihi quaestio factus sum«.1

1. Vorläufige Hinweise zum Thema Martin Heidegger hat zwei Texte zur Interpretation von Augustins Confessiones verfaßt: erstens die frühe Freiburger Vorlesung aus dem Sommersemester 1921 mit dem Titel Augustinus und der Neuplatonismus, in deren Zentrum das zehnte Buch der Confessiones steht,2 zweitens den Vortrag mit dem Titel Des hl. Augustinus Betrachtung über die Zeit. Confessiones lib. XI, den Heidegger, wie auf der ersten Seite des Typoskripts vermerkt ist, am »26. x. 1930« (seinem Geburtstag) in der Erzabtei St. Martin in Beuron als »Conferenz vor den Mönchen, Klerikern und Novizen« gehalten hat und der als »kleiner Dank […] für die freundschaftliche Aufnahme« in diesem Kloster gedacht war.3 Die besondere Stellung des zehnten und des elften Buches der Confessiones betont Heidegger auch im Brief an Elisabeth Blochmann vom 12. April 1933, in dem es heißt: »Ich finde es immer am fruchtbarsten beim Lesen mit dem 10. Buch zu beginnen in eins dem 11 – und dann erst mit dem ›Biographischen‹, wenn man es überh[au]pt so nennen darf.«4 Heidegger war mit Augustins Werken vertraut und überzeugt, Gespür für deren Geist zu haben.5 Er bezieht sich in anderen Arbeiten zuweilen auf die Confessiones und hat auch entlegene Texte Augustins, wie vor allem Aussagen in Briefen zu entnehmen ist, immer wieder gelesen. Die Reihe der einschlägigen Untersuchungen zum Verhältnis Heideggers zu Augustinus begann mit wesentlichen Hinweisen von Otto Pöggeler, die dieser 1959 in Sein als Ereignis vorgelegt hat.6 | 55

Dem Streben des frühen Heidegger, das auf Neubelebung der Metaphysik zielte, habe die Frage einen kritischen Impuls verliehen, »ob die Metaphysik je der Tiefe des Glaubens und Dichtens […] hat genügetun können« (603). Im »Motiv der Verabschiedung der Metaphysik« folge er zwar Wilhelm Diltheys Abwendung »vom starren Sein um des vollen Lebens willen« (ebd.). Vor den transzendenzlosen Anthropologismus Diltheys, also »vor die neuzeitliche Form des historischen Denkens«, habe sich ihm jedoch »eine Erfahrung des Geschichtlichen gestellt, die Heidegger sich am Modell des urchristlichen Glaubens verdeutlicht hat« (604). Diese ersten Hinweise Pöggelers auf die frühen Freiburger Vorlesungen zur Phänomenologie der Religion, die auch das zehnte Buch der Confessiones betreffen, sind fundiert und bedenkenswert, wurden aber gelegentlich unbedacht nachgesprochen. Pöggeler sagt (605): »Augustin, so hat Heidegger nachzuweisen versucht, denkt aus der faktischen Lebenserfahrung. Das glückselige Leben und die Wahrheit (vgl. Conf. X,20 – 23) sind bei ihm nicht von den Gehalten her, sondern vom Vollzug her erfaßt. Doch ist Augustins Begrifflichkeit nicht immer am faktischen Leben orientiert. Die fruitio Dei, wie Augustin sie charakterisiert, steht geradezu im Gegensatz zum Haben des Selbst. Die hier verwandte Begrifflichkeit und die Erfahrung, die sich in ihr aussprechen will, entstammen nicht derselben Wurzel, sondern sind nur von außen zusammengewachsen. Damit entsteht das Problem ›Augustin und der Neuplatonismus‹. Die ästhetisch-quietistische Haltung, in der Gott neuplatonisch als summum bonum gewertet und genossen wird, verfehlt den urchristlichen Bezug zu Gott, der auch bei Augustin da ist. Die faktische Lebenserfahrung wird durch die neuplatonische Begrifflichkeit verfälscht. Deshalb darf Augustin nicht nur expliziert, er muß auch destruiert werden. Die Interpretation muß durch die Begrifflichkeit hindurchgreifen auf die eigentlich zugrundeliegende Erfahrung; diese Erfahrung muß befreit werden von der unzulänglichen Begrifflichkeit, in der sie sich ausspricht.«7 Zur Aufgabe der Destruktion ist zu erwähnen, daß im zehnten Buch der Confessiones zum Beispiel von ›frui deo‹ oder ›fruitio dei‹ keine 56 | norbert fischer

Rede ist. Bei Texten Augustins ist stets zu prüfen, wo und wie er Selbstgedachtes vorträgt und wo er nur tradiertes Bildungsgut vergegenwärtigt. Augustinus scheint in späteren Texten gelegentlich ›vergessen‹ zu haben, was er selbst einst mit höchster Akribie erarbeitet hatte.8 In Gott findet er gerade keine Beruhigung, sondern die Aufstachelung zur Unruhe: ruhelos ist das menschliche Herz, weil es auf Gott hin geschaffen ist (conf. 1,1). Nach weltlichem Maßstab hatte er eine Karriereleiter erklommen, die ihm – im Vergleich mit anderen – erlaubt hätte, sich in der ruhigen Selbstsicherheit des Erfolgverwöhnten zu präsentieren: ›quies in deo‹ ist für ihn aber kein in der Weltzeit mögliches, unruhestillendes Geschehen. Das menschliche Leben bleibt in Wahrheit von ›temptatio‹ bestimmt:9 die ersehnte wahre Ruhe ist das erhoffte Ereignis des siebenten Schöpfungstages (conf. 13,51 f.), den Augustinus nicht als Ende der Zeitlichkeit denkt, sondern als das lebendige Leben (conf. 10,39) einer ›sancta civitas‹ (conf. 11,3), deren Sein nichts mit der Ewigkeit als ›nunc stans‹ zu tun hat, sondern eher »als ursprünglichere und ›unendliche‹ Zeitlichkeit« zu begreifen ist.10 Pöggelers Hinweise sind im Ansatz zwar wohlbegründet, aber als Wegweisung zu weiterer Betrachtung zu nehmen. Karl Lehmann hat diese Hinweise alsbald aufgegriffen und weitergeführt.11 Wichtig ist vor allem der dritte Exkurs zum »Ursprung der Geschichtlichkeit des Daseins«, in dem die »Auslegung der christlichen Lebenserfahrung bei Augustinus«, aber auch der »Gewinn des Begriffes der ›Destruktion‹ durch die Augustinusdeutung« zur Sprache kommt.12 Zu beachten ist folgende These: »Als Sein zum Seinkönnen ist es je schon über sich hinaus, aber nicht ausschließlich in einem Verhalten zu anderem Seienden, sondern vielmehr als Sein zu seinem wahrhaften ›Selbst‹. Der Sachverhalt bestätigt sich in der schon von Augustinus bemerkten Erfahrung: ›Homo transcendit hominem‹.«13 Im Blick auf Heideggers ›Destruktion‹ Augustinischer Motive verweist Lehmann vor allem auf Arbeiten von Rudolf Berlinger und Max Müller.14 Einen Höhepunkt der Klärung von Heideggers Verhältnis zu Augustinus bieten die einschlägigen Beiträge Friedrich-Wilhelm von Herrmanns.15 Von besonderer Prägnanz sind die Arbeiten zum zehnten und elften Buch der Confessiones, die 2001 unter dem Titel Die ›Confessiones‹ des Heiligen Augustinus im Denken Heideggers Selbstsein und Gottsuche | 57

publiziert worden sind. In ihnen werden die schon erwähnten Texte Heideggers zu Augustinus ausgelegt, zusätzlich aber weitere Texte beachtet.16 Im ersten Teil, der das zehnte Buch »im Horizont von Heideggers hermeneutischer Phänomenologie des faktischen Lebens« untersucht, weist von Herrmann nach, daß Heidegger in der vollzugsgeschichtlichen Interpretation der bekennenden Selbstauslegung und Gottsuche Augustins bereits den »Ansatz für das Denken von Sein und Zeit ausgebildet« hat (114 f.). Die Fragen nach Gott und dem eigenen Selbst stehen demnach in enger Verbindung (116): »Als erstes gilt es zu verstehen, wie die Gottsuche die Selbstauslegung der anima fordert und wie die bekennende Selbstauslegung der anima die Gottsuche einschließt.«17 Eine für das hier verfolgte Thema entscheidende Frage besteht darin, warum sich in Sein und Zeit keine deutliche Spur seiner am zehnten Buch gewonnenen Einsicht findet, »daß Augustinus das Wie des Gottsuchens als ein Wie der Selbstbekümmerung des faktischen Lebens versteht und zur Abhebung bringt« (120). Die in der Vorlesung gedachte Ableitung des Verfallens von Menschen »an das ihnen Erreichbare«, »an die lebensweltlichen Bedeutsamkeiten« als Seinsweise derer, die Gott nicht suchen (121), spielt in Sein und Zeit keine klar sichtbare Rolle mehr. Verschwunden scheint dort zum Beispiel die Einsicht, daß das »andere Wie des sehenden Umgangs […] ein Sehen in eigentlich existenziell bekümmerter, weil eigentlich gottbekümmerter Orientierung« ist (127). Im zweiten Teil wendet sich von Herrmann zunächst der erwähnten Beuroner Vorlesung zum elften Buch der Confessiones mit der Interpretation der Zeit als ›distentio animi‹ zu, die insofern »als dreidimensionales Sicherstrecken in die drei Zeitdimensionen« gedacht werde (135): »In der distentio als dem Wesen der Zeit« zeige sich »das Wesen der Existenz des Menschen«. Aber Heidegger übergehe »auch nicht die im Kapitel 29 vollzogene Kennzeichnung dessen, wie sich die Seele in ihrer distentio-Verfaßtheit in die aeternitas auszustrecken vermag.«18 Überraschender noch als die auf der Hand liegenden Anknüpfungen Heideggers an den zweiten Anlauf zur Beantwortung der Frage nach dem Wesen der Zeit sind die Bemerkungen zu Augustins Bedeutung für das ereignisgeschichtliche Denken Heideggers. Von Herrmann sagt (138): »Auch wenn es hierfür keine direkten 58 | norbert fischer

textlichen Belege, d. h. keine direkte Bezugnahme Heideggers auf das Kapitel 20 gibt, so legt es sich von der Sache her nahe, daß das Kapitel 20 nicht nur der transzendental-horizontalen, sondern gerade auch der ereignisgeschichtlichen Ausarbeitung der temporalen Bestimmung des Seins in dem 1962 gehaltenen Freiburger Vortrag Zeit und Sein einen Wink gegeben hat.« Er benennt es als das Erregende, daß Augustinus »den Seinssinn des Seins des wahrgenommenen, erinnerten und erwarteten Seienden nicht nur unausdrücklich als Anwesenheit, sondern ausdrücklich als Anwesenheit, nämlich als Gegenwart-für erfährt« (141). Der Übergang Heideggers zur Antwort des ersten Anlaufs wird verdeutlicht durch die Herkunft der ›Geworfenheit‹ des Daseins »aus dem lichtend-verbergenden Zuwurf« (144). Die Nähe Heideggers zu diesem ersten Anlauf tritt klar aus einem längeren Zitat hervor, das eindeutige, aber nicht ausgewiesene Anspielungen auf das elfte Buch der Confessiones enthält.19

2. Hermeneutische Bemerkungen und Skizze des Vorhabens Laut Platon hat ein philosophierender Interpret das Geschriebene als minderwertig zu erweisen: τ. γεγραµµ να φα/λα ποδε"ξαι.20 Eine schwache Abschattung dieser These bietet Heidegger mit dem Hinweis, das Denken büße im »Schriftlichen […] leicht seine Beweglichkeit« ein.21 In voller Stärke vermittelt er sie jedoch in folgendem Wort: »Die ›Lehre‹ eines Denkers ist das in seinem Sagen Ungesagte, dem der Mensch ausgesetzt wird, auf daß er dafür sich verschwende.«22 Sie fordert allerdings auch dazu auf, das in Heideggers Sagen Ungesagte zu suchen. Zur »Aus-einander-setzung mit den großen Philosophen« müsse »jedesmal die Leitfrage (aus der verschwiegenen Grundfrage her) nach ihrem vollen Gefüge in der jeweiligen Ausschlagsrichtung neu entfaltet werden«.23 Die ›verschwiegene Grundfrage‹ der ›großen Philosophen‹, die laut Heidegger »ragende Berge« sind, »unbestiegen und unbesteigbar«, bleibt ein Geheimnis.24 Dennoch ist gerade im Ungesagten die Aufgabe verborgen, die das Denken angeht. Ein Interpret, der, indem er solchem Ungesagten ausgesetzt ist, etwas vom inneren Sinn überlieferter Werke zu vergegenwärtigen Selbstsein und Gottsuche | 59

hat, findet in Texten nur ein schwaches Hilfsmittel, da sich seine Intention nicht auf die genetische Ableitung ihrer Aussage mit Hilfe der Psychologie, der Soziologie oder anderer nichtphilosophischer Disziplinen richtet. Philosophierende Interpreten leben, soweit sie die Sache des Denkens treffen, vielmehr unmittelbar von ebender Wahrheit, um die auch die interpretierten Autoren gerungen haben.25 Ob – oder wie gut – eine Interpretation gelungen ist, läßt sich nicht leicht äußerlich beurteilen. Heidegger hat zur Aufgabe der Interpretation einmal Stellung genommen, als er Immanuel Kants kecke Modifikation von Platons Wort, daß es nämlich nichts Ungewöhnliches sei, einen Autor »sogar besser zu verstehen, als er sich selbst verstand«,26 mit dem ironischen Hinweis Friedrich Schleiermachers zusammenbrachte, der Kants ›Zufriedenheit‹ für voreilig gehalten und deshalb erklärt hat, »dass man belächeln kann, wie sie den Platon, welcher auf das Bewusstsein des Nichtwissens einen solchen Werth legt, so unplatonisch suchen will.«27 Wie Schleiermacher Kants Größe trotz seiner ironischen Bemerkung nicht anzweifelt, so kann man Heideggers denkerische Größe anerkennen und doch die Meinung nachsichtig beurteilen und belächeln, überlieferte philosophische Werke (oder die ganze Geschichte der ›Metaphysik‹) seien fortan nur mit den Augen zu lesen, mit denen Heidegger sie gelesen und ausgelegt hat.28 Streng ist dagegen seine Aussage festzuhalten, daß er in der von ihm geübten ›Destruktion‹ früherer Texte nicht negierend zur Vergangenheit spricht, sondern mit der ›Kritik‹ »das ›Heute‹ und die herrschende Behandlungsart der Geschichte der Ontologie« treffen will, »mag sie doxographisch, geistesgeschichtlich oder problemgeschichtlich angelegt sein«.29 Im Zuge der Erläuterung von Nietzsches Wort ›Gott ist tot‹ präzisiert Heidegger seine Position bezüglich der Interpretation philosophischer Texte im ausdrücklichen Blick auf die erwähnten Bemerkungen von Kant und Schleiermacher. Er sagt dort: »Jede Erläuterung muß freilich die Sache nicht nur dem Text entnehmen, sie muß auch, ohne darauf zu pochen, unvermerkt Eigenes aus ihrer Sache dazu geben. Diese Beigabe ist dasjenige, was der Laie, gemessen an dem, was er für den Inhalt des Textes hält, stets als ein Hineindeuten empfindet und mit dem Recht, das er für sich beansprucht, als Willkür bemängelt. Eine rechte Erläuterung versteht 60 | norbert fischer

jedoch den Text nie besser als dessen Verfasser ihn verstand, wohl aber anders. Allein, dieses Andere muß so sein, daß es das Selbe trifft, dem der erläuterte Text nachdenkt.«30 In Heideggers frühem Hauptwerk eine ›Säkularisierung christlicher Motive‹ oder »verkappte Theologie« zu sehen, war ein auf den ersten Blick möglicher, aber verfehlter Gesichtspunkt.31 Ebenso wäre es unangemessen, Heidegger das Fehlen von Nachweisen anzukreiden, als habe er seine Quellen nicht preisgeben wollen.32 Obwohl inzwischen klar ist, wie intensiv Heidegger in den Jahren der Ausarbeitung von Sein und Zeit Texte christlicher Autoren studiert hat (so auch die Confessiones) und wie sehr sie ihn angeregt haben,33 ist Sein und Zeit von so großer innerer Ausweisungskraft, daß es quellenanalytischer Hinweise nicht bedarf, um dieses Werk zu lesen. Der Vergleich der Bereitschaft Heideggers, empfangene Anregungen offenzulegen, zum Beispiel mit dem Verfahren Kants, fällt zudem eindeutig zugunsten Heideggers aus.34 Zwar hatte Heidegger – auch mit Hilfe von Autoren einer bestimmten christlichen Tradition – die Absicht, eine »Philosophie des Geistes, der tatvollen Liebe, der verehrenden Gottinnigkeit« zu suchen, war aber alsbald zu der nüchternen Einsicht gelangt, die ihn sagen ließ: »Erphilosophieren läßt sich keine echte Religion«.35 Gleichwohl gesteht er sich noch in einem späteren Rückblick die bleibende Bedeutung seines Anfangs ein: »Ohne diese theologische Herkunft wäre ich nie auf den Weg des Denkens gelangt. Herkunft aber bleibt stets Zukunft.«36 Die folgenden Überlegungen gehen von der vielfältig belegten Tatsache aus, daß Heidegger sich im Vorfeld von Sein und Zeit und auch später gründlich mit Augustins Confessiones befaßt hat. Die Lektüre ging zunächst mit authentischer Lebendigkeit eigenen Sprechens von Gott einher.37 In den Schriften treten jedoch zunehmend die sachlichen Probleme der metaphysischen Behandlung der Gottesfrage hervor.38 Die Änderung mag aber auch mit neuen Einflüssen zu tun gehabt haben, denen er sich geöffnet hat. Sie ließen ihn in der Rektoratsrede schließlich sogar den ›Tod Gottes‹ als Ausgangspunkt des Denkens in Erwägung ziehen und bewogen ihn zur Frage: »Und wenn gar unser eigenstes Dasein selbst vor einer großen Wandlung steht, wenn es wahr ist, was der leidenschaftlich den Gott suchende letzte deutsche Philosoph, Friedrich Nietzsche, sagte: Selbstsein und Gottsuche | 61

›Gott ist tot‹, wenn wir Ernst machen müssen mit dieser Verlassenheit des heutigen Menschen inmitten des Seienden, wie steht es dann mit der Wissenschaft?«39 Diese Erwägung, in der Heidegger die Aufgabe der Gottesfrage womöglich am weitesten von sich geworfen hat, ist eine vorübergehende Perspektive geblieben, obwohl sie von Äußerungen Heideggers vorbereitet wurden, die eine grundsätzliche Entscheidung und Wandlung anzeigen,40 und obwohl die einsetzende Verschlossenheit Heideggers gegenüber der (christlichen) Gottesfrage einige Jahre anhielt und seine neuen Wege tiefe Furchen in seinem Denken hinterließen.41 Zwar hat die Zurückstellung und Ausklammerung der Gottesfrage schon früh eingesetzt,42 aber durchaus noch in genuin theologischer Motivation.43 Angesichts der deutungsbedürftigen Aussagen Heideggers wird im weiteren davon ausgegangen, daß es ungesagt auch die Gottesfrage war, die ihn fortwährend und bis zum Ende seines Denkwegs so beunruhigt hat, daß er ›cor inquietum‹ im Sinne Augustins geblieben ist. Er hat sie in verschiedenen Zusammenhängen immer wieder zur Sprache gebracht und sich an ihr abgemüht. Noch in der Zeit der vielleicht größten Distanz hat er sich doch nüchtern eingestanden: »Und wer wollte verkennen, daß auf diesem ganzen bisherigen Weg verschwiegen die Auseinandersetzung mit dem Christentum mitging – eine Auseinandersetzung, die kein aufgegriffenes ›Problem‹ war und ist, sondern Wahrung der eigensten Herkunft – des Elternhauses, der Heimat und der Jugend – und schmerzliche Ablösung in einem.«44 Diese Ablösung begreift er im zitierten Text selbst als Erfahrung der ›Entwurzelung‹, die »keine bloße Abkehr vom Alten« sei, »sondern eine schaffende Verwandlung, in der alles Anfängliche in die Höhe seiner Gipfel hinauswächst« (416). Und nach dem Ende der Tyrannei in Deutschland hat er am 4.11.1947 in einem Brief an Max Müller einen erhellenden Hinweis zur Aufgabe des fehlenden dritten Abschnitts des ersten Teils von Sein und Zeit gegeben, der auf die »theologische (transzendente) Differenz« von Sein und Gott weist.45 Da es hier um die Aufgabe des Denkens in den Confessiones und in Sein und Zeit geht, werden spätere Ansätze Heideggers nur nebenbei berührt. Zu prüfen ist, ob die in den Confessiones und in Sein und Zeit verfolgten Aufgaben unter dem Titel »Selbstsein und Gottsuche« zu begreifen sind. Indem Heidegger berichtet, 1925 »in Au62 | norbert fischer

gustins de gratia et libero arbitrio« gelesen zu haben,46 bezeugt er die Ambivalenz seiner Haltung in einer Zeit, in der er erklärte, »der Glaube« bleibe »in seinem innersten Kern als eine spezifische Existenzmöglichkeit gegenüber der wesenhaft zur Philosophie gehörigen und faktisch höchst veränderlichen Existenzform der Todfeind«.47 Er nahm Augustinus auch in dieser Zeit als Denker ernst, obwohl Augustinus zugleich Glaubender ist, der sich unter das Leitwort stellt (conf. 11,3): »audiam et intelligam«. Das Vorhaben wird zuerst im Blick auf die Confessiones, dann im Blick auf Sein und Zeit angegangen. Im abschließenden Teil wird überlegt, was Heidegger in Sein und Zeit der Sache nach gehindert haben könnte, Gott explizit zum Thema seines suchenden Fragens zu machen, und wie die Nichtbehandlung in Sein und Zeit dennoch solche Spuren hinterläßt, daß ausdrücklich vom Fehlen der Gottesfrage im Text dieses Werkes gesprochen werden kann. Sein und Zeit wäre so nicht nur äußerlich ein Fragment geblieben, sondern besäße wesentlich fragmentarischen Charakter, der zur Wahrheit dieses Buches wie der gegenwärtigen Zeit gehört und auf das Fehlen Gottes weist (was eine angemessene Weise seiner Gegenwart sein könnte). Vielleicht hat Heidegger dieses Fehlen nach der Kehre zunehmend als Situation erfaßt und um deren Klärung gerungen. Wenn das der Fall wäre, stellt sich seinen philosophierenden Lesern die zentrale Aufgabe, den Gründen nachzuspüren, die Heideggers Zurückhaltung bewirkt haben. Seine neopaganen Ansätze werden hier nicht als ernsthafter Neubeginn wahrer Rede von Gott aufgefaßt, sondern als wohlbedachte Provokationen, um Schwächen der metaphysischen und der christlichen Theologie offenzulegen.48 In diesen Kontext gehören seine Hinwendung zu Nietzsches Kritik an Platonismus und Christentum und auch seine Ansätze zum dichtenden Denken.49 Wer in der Weise Augustins Gott suchte und davon spräche, ihn gefunden zu haben, wird die Rede von Gottesbegriffen meiden und eher zu Gott sprechen als theoretisierend über Gott reden. Augustinus hat zu Gott gefunden, als er in ihm den Weg zum wahren Leben erblickt hatte. Danach sah er die Aufgabe des Denkens im Verstehen und im Vollzug seines Seins in der Welt. Der begriffliche Zugriff auf Gott war ihm so fremd, daß er gewiß Sinn für die Frage des späten Heidegger gehabt hätte, ›wie der Gott in die Philosophie kommt‹.50 Selbstsein und Gottsuche | 63

Bevor es um Nähe und Ferne zwischen dem Denken Heideggers und Augustins gehen soll, werden beide Autoren für sich ins Auge gefaßt, aber beide Male ein wenig aus dem Blickpunkt des jeweils Anderen.

3. Zur Aufgabe des Denkens in den ›Confessiones‹ und zu Heideggers Interesse an diesem Werk Die Aufgabe des Denkens in Augustins Confessiones braucht nicht von abstrakten Gesichtspunkten aus bestimmt zu werden. Wie Heidegger sie aufgefaßt haben könnte, läßt sich an seinen Äußerungen zum zehnten und zum elften Buch ablesen, also vor allem an der frühen Vorlesung Augustinus und der Neuplatonismus von 1921 und dem Beuroner Vortrag Des hl. Augustinus Betrachtung über die Zeit. Confessiones lib. XI von 1930. In Sein und Zeit wird Augustinus an sechs Stellen erwähnt, davon viermal im Haupttext, zweimal in Fußnoten.51 Die Zitate im Haupttext beziehen sich auf wesentliche Passagen im zehnten und im elften Buch der Confessiones, die erste Erwähnung in den Fußnoten bezieht sich im Rahmen des Paragraphen 40 zur Grundbefindlichkeit der Angst zunächst auf den ›timor castus‹ und ›servilis‹, der in Augustins »exegetischen Schriften und in den Briefen vielfach besprochen« werde.52 Heidegger verweist auf De diversis quaestionibus octoginta tribus mit Augustins Beantwortung der Fragen 33 – 35, die sich auf das Streben richten, der Furcht auszuweichen, die hier aber als ›metus‹ bezeichnet wird, (›utrum non aliud amandum sit, quam metu carere‹), und darauf, ohne Furcht zu leben (›amandum est sine metu vivere‹). Die andere Fußnote mit einem Hinweis auf Augustinus spricht allgemein von der ›augustinischen Anthropologie‹ als einer »griechisch-christlichen«. Die Zwiespältigkeit von Heideggers Verhältnis zu Augustinus und zur Gottesfrage war schon im sogenannten »Natorp-Bericht« hervorgetreten. Die ›Entscheidung‹ Heideggers, die er verklausuliert vorträgt, geht einher mit der hypothetisch ausgesprochenen, aber thetisch gedachten Erwägung, »wenn [daß] die Philosophie grundsätzlich atheistisch ist.«53 Gleichwohl schreckt Heidegger im »Natorp-Bericht« vor der klaren Affirmation zurück. Das von der Philosophie geforderte »sich zu sich selbst Zurückreißen des Lebens«, 64 | norbert fischer

nennt er, »religiös gesprochen, eine Handaufhebung gegen Gott«, die er zusätzlich relativiert, indem er erwähnt, Philosophie müsse sich freihalten »von verführerischer, Religiosität lediglich beredender Besorgnis« (NB 363, Anm.). Der ›Atheismus‹ Heideggers im »Natorp-Bericht« zeigt eine für notwendig erachtete Haltung philosophischer Forschung an, keine ›Theorie‹, die Heideggers Überzeugung widerspiegelte. Dafür spricht auch die wiederholt genannte Bereitschaft, sich an Augustinus zu orientieren.54 Ob Augustinus bereit gewesen wäre, das Projekt der Confessiones als Aufgabe des Denkens in Heideggers Sinn zu bezeichnen, muß nicht willkürlich entschieden werden. Denn Augustinus selbst macht es möglich, sein Werk unter dem Gesichtspunkt zu lesen, daß es eine Aufgabe des Denkens lösen solle. Sofern er in ihm Gott sucht und erklärt, ihn lange Zeit nicht gefunden zu haben (10,38), ist es nicht falsch zu sagen, er habe die Suche in atheistischer Haltung begonnen. Um seine Intentionen genauer zu erfassen, können Leser sich einerseits auf die Hinweise im Prooemium stützen, andererseits auf die nachträglichen Reflexionen der Retractationes.55 An den Beginn der Confessiones setzt Augustinus einen scharfen Kontrast, der auf die Aufgabe weist, die im Laufe der dreizehn Bücher zu lösen ist. Unvermittelt beginnen die Confessiones mit einem Gotteslob, das Augustinus anfangs dem Psalmisten nachsprechen muß, da er es selbst noch nicht aus eigener Überzeugung sagen kann.56 Die Schwierigkeiten, die ihn am Gotteslob hindern, liegen in der conditio humana, nämlich in der Bedeutungslosigkeit des Menschen angesichts der Größe der Schöpfung, in seiner Sterblichkeit, in der Verfehltheit seines Lebens und in dem Hochmut, den Augustinus für fruchtlos hält, da Gott sich ihm entgegenstemme.57 Weil das faktische Leben nicht das ersehnte lebendige Leben ist, sondern ›vita mortalis‹ oder sogar ›mors vitalis‹, weil dem Gotteslob folglich die Grundlage fehlt, spricht Augustinus mit Verwunderung aus, daß der Mensch dennoch Gott loben will (conf. 1,1): »et tamen laudare te vult homo«.58 Mit diesem Beginn stellt sich ihm die Aufgabe zu zeigen, wie sich der Wille des Menschen, Gott trotz der Defizite des faktischen Lebens zu loben, einsichtig machen läßt. Im späten Rückblick der Retractationes bekräftigt Augustinus diese Intention der Confessiones noch einmal (retr. 2,6,1): »confessionum mearum libri tredecim et de malis et de bonis meis deum Selbstsein und Gottsuche | 65

laudant iustum et bonum, atque in eum excitant humanum intellectum et affectum«. Da die Aufgabe der Confessiones darin besteht, das Lob Gottes möglich zu machen, müssen sie den Blick auf das menschliche Leben bezüglich dessen lenken, was an ihm gut und was an ihm schlecht ist.59 Sofern die Lösung gelingt, wird die Betrachtung des Lebens dem Menschen zur ›excitatio‹, seinen Geist und Sinn auf Gott zu richten. Die dringliche Aufgabe des Denkens, die Heideggers Aufmerksamkeit zweifellos erregt hat, enthüllt sich als Untersuchung des faktischen Lebens. Diese Betrachtung bietet Augustinus in den ersten neun Büchern mit Erzählungen aus seinem vergangenen Leben in der Welt, unter Betonung der Verfehltheit der Wendung nach außen, der Bindung an die Welt.60 Nachdem er die Wege seines Lebens in der Welt betrachtet hat, untersucht er im zehnten Buch sein Inneres, wo er der ist, der er wirklich ist (»ubi ego sum quicumque sum«), und fragt, wer er selbst im Inneren ist (10,4: »quis ego sim«; »quid ipse intus sim«). Sein wahres Sein ist für Andere nicht faßbar (10,4): »quo nec oculum nec aurem nec mentem possunt intendere«. Nachdem die Analyse seines äußeren und inneren Lebens seine Beziehung zu Gott geklärt hat, sieht Augustinus sich befähigt, sich in den drei letzten Büchern der Confessiones explizit den Fragen zuzuwenden, die den Sinn seines Lebens im Blick auf Gott betreffen. Der Gesamtweg ist als ›scala mystica‹ zu verstehen, die sich in der Gottsuche zugleich auf sein Selbstsein richtet, nicht auf die Rückkehr zum Einen, in der das Sein alles Zeitlichen negiert und verschwunden wäre.61 Augustinus zielt auf die vollendete, beständige Zeitlichkeit einer Gemeinschaft in eigentlichem Miteinandersein, in dem auch Gott, der sich um die Menschen sorgt, Ruhe fände.62 Augustinus vergegenwärtigt sein Leben nicht, um die Wünsche Neugieriger zu befriedigen, die sich darum sorgen, das Leben Anderer auszuspähen, aber zu träge sind, das eigene zu bessern: »curiosum genus ad cognoscendam vitam alienam, desidiosum ad corrigendam suam«.63 Noch weniger verfolgt er mit seinen Erzählungen den Zweck, sich wichtig zu machen, der im Lauf der Geschichte der Autobiographie zunehmend in den Vordergrund getreten ist.64 Mit Recht erklärt Heidegger zu den narrativen Büchern der Confessiones, daß man »dieses grandiose Werk […] schon hoffnungslos mißverstanden hat, wenn man es unter die Selbstbiographien ein66 | norbert fischer

reiht.«65 Dennoch haben die autobiographischen Motive eine konstitutive Funktion für seine Zuwendung zu den Confessiones, die ihn mit den Ansätzen zu einer Phänomenologie des faktischen Lebens ansprechen konnten, in denen Augustinus sein eigenes Leben, wie es sich ihm zeigt, und seine Suche nach dem wahren Leben vergegenwärtigt, nach dem Sinn des Seins in der Welt, ohne die Wahrheit des Ganzen spekulativ erklären zu wollen.66 Das Leben, auf das er zurückblickt, ist das eines ruhelosen Herzens, das von der Tödlichkeit des faktischen Lebens durchdrungen ist.67 Die Suche richtet sich auf wahres Leben, in dem das Denken des Lebens zum Danken würde.68 Im Finden des Lebens, das, sobald es sich in seiner Lebendigkeit zeigt, zum Lob antreibt, wäre die Aufgabe des Denkens in den Confessiones, aber auch in Heideggers Sein und Zeit gelöst.69 Augustinus ringt in den Confessiones um diesen Weg, zwar nicht in der Meinung, ihn gefunden zu haben, aber in der Gewißheit, auf dem zum Ziel führenden Weg der Suche zu sein. Obwohl das Ziel nicht wirklich und nicht endgültig erreicht wird, meint Augustinus, Gott loben zu können. Wieder mit einem Wort des Psalmisten sagt er zum Schluß des zehnten Buches, daß schon jene den Herrn loben, die ihn suchen (10,70): »et laudant dominum qui requirunt eum«. Die Freude am Lob Gottes führt er auf Gott zurück, der uns auf sich hin geschaffen habe, so daß unser ruheloses Herz nur in Gott Ruhe finden könne (1,1): »tu excitas, ut laudare te delectet, quia fecisti nos ad te et inquietum cor nostrum, donec requiescat in te.«70 Das sich um wahres Leben sorgende Leben, das sich in einer von Gott ermöglichten Ruhelosigkeit sorgt, treibt zum Dank für das Geschenk der Möglichkeit wahren Lebens und ruft zum Lob Gottes, wofür auch in Sein und Zeit Ansätze zu finden sind, wenngleich äußerlich schwache und versteckte.71 Die Sorge kann für Augustinus angesichts der Tödlichkeit des faktischen Lebens in Gotteslob nur übergehen, wenn er etwas findet, das ihn Unruhe und Ungewißheit mit Freude ertragen läßt. Die zum Lob führende ›excitatio‹ geschieht im Aufleuchten einer Liebe, von der Augustinus bekennt, sie habe sein Herz durchstoßen (10,8): »percussisti cor meum verbo tuo, et amavi te.« Im Aufleuchten lebendigen Lebens tritt ihm die Verfehltheit des faktischen Lebens vor Augen. Was ihn diese Irrigkeit sehen läßt, ist die Liebe Gottes, der nicht aus Mangel liebt, sondern aus der Vollkommenheit seiner Selbstsein und Gottsuche | 67

Güte: »non ex indigentia fecisti, sed ex plenitudine bonitatis tuae«.72 Diese Liebe will das Sein des Anderen, damit das Andere sei: »propter se ipsam rem aliquam«.73 In ihr will er zugleich Sein und Heiligsein des Geschaffenen. Auf die Frage, wie Gott dann einen Sünder liebe, antwortet Augustinus, er liebe ihn im Blick auf seine besten Möglichkeiten, im Blick auf sein mögliches Heiligsein: »non enim amas in illo quod est; sed quod vis ut sit«.74 Seine eigene höchste Möglichkeit sieht er in seinem Selbstsein, das ihm nur zukommen kann, sofern er selbst Grund seiner Vollzüge ist: »cum aliquid vellem aut nollem, non alium quam me velle ac nolle certissimus eram«.75 Er sieht sie in einem Ganzsein, in einer Zeitlichkeit, die ihn nicht mehr in die Zeiten zersplittern läßt, in der er Stand und Festigkeit gewinnt, zwar in Gott, aber in der nur ihm eigenen, besonderen Gestalt: »et stabo et solidabor in te, in forma mea«.76 Aus Liebe zur Liebe Gottes, die ihn auf einen schwierigen Weg gewiesen hat, liebt er das Leben trotz seiner Tödlichkeit (11,1): »amore amoris tui facio istuc«. Sofern er der Liebe entspricht, die sein Selbstsein und Ganzsein in fortwährender, heiliger Gemeinschaft will, kann er Schmerz und Mühsal ertragen und deren Ende erhoffen und glauben, daß Gott im Menschen ruhen will. Und mit dieser Antwort sieht er die Aufgabe gelöst, die in den Confessiones gestellt ist. Die Aufgabe, für die Augustinus eine Lösung sucht, weil er sich in der Unruhe seines Herzens, die von Weltlichem nicht gestillt werden kann, auf Gott hin geschaffen erfaßt, hängt, obwohl er erklärt, Ruhe nur in Gott finden zu können, mit der Möglichkeit seines Selbstseins in der Welt und seines Ganzseins zusammen, das nicht in den Zerstreuungen der Alltäglichkeit zersplittert. Entscheidend ist die Hoffnung auf die Lebendigkeit und das Ganzsein des Lebens, das möglich ist, sofern es von Gott erfüllt ist, der wesenhaft er selbst und ganz er selbst ist (10,39): »cum inhaesero tibi ex omni me, nusquam erit mihi dolor et labor, et viva erit vita mea tota plena te.«77 Die Weise, in der Augustinus Selbstsein in Gott finden und das Wort ›id ipsum‹ als ausgezeichneten Namen Gottes aussprechen konnte (12,7), hat Heidegger, in Verbindung mit der Tatsache, daß er zugleich das Selbstsein des Menschen suchte, an den Confessiones beeindruckt (AuN 196): »Radikale Verweisung auf das Selbst, eigentliche Faktizität.«78 Sie war seine ›excitatio‹, die ihn in Verbindung mit der Seinsfrage der Griechen auf den Weg des eigenen 68 | norbert fischer

Denkens geführt hat. Eine Verdichtung der Antwort Augustins auf die Frage nach dem wahren Leben, die ihn zum Gotteslob befähigt, kann in einem Grundwort des Nikolaus von Kues gefunden werden. Dieses Wort läßt das Streben nach dem eigenen Selbstsein als eine unübersteigbare Stufe auf dem Weg zur gesuchten Nähe Gottes sehen. Es lautet: »Sis tu tuus et ego ero tuus.«79

4. Ein Blick auf die Aufgabe des Denkens in ›Sein und Zeit‹ aus der Perspektive Augustins Dem Versuch, die Aufgabe des Denkens in Augustins Confessiones ansatzweise aus Heideggers Perspektive zu skizzieren, folgt das verwegenere Vorhaben, Mutmaßungen aufzustellen, worin Augustinus ernste Aufgaben des Denkens in Heideggers Sein und Zeit hätte anerkennen können. Augustinus soll als Leser von Sein und Zeit ungeachtet der späteren Geschichte von Philosophie und Theologie vorgestellt werden. In Plotins Denken war ihm die Absicht begegnet, Sein und Sinn des Ganzen in seiner metaphysischen, praktischen und religiösen Wahrheit spekulativ zu entfalten. Heideggers Bemühung um eine Fundamentalontologie hätte ihn also nicht befremdet. Und sie läge seinem Denken näher als der Ansatz Plotins, da Heidegger in Sein und Zeit eine phänomenologische (nicht eine spekulative) Ontologie im Sinn hat, nämlich eine »Hermeneutik des Daseins, die als Analytik der Existenz das Ende des Leitfadens alles philosophischen Fragens dort festgemacht hat, woraus es entspringt und wohin es zurückschlägt« (SuZ 38). Obwohl Augustinus in den Confessiones nicht das Ziel verfolgte, die Frage nach dem ›Sinn von Sein‹ im Stile einer Ersten Philosophie zu entfalten, drängten ihn seine Fragen, die Analyse des faktischen Daseins in der Welt am eigenen Weg zu betreiben. Dieser Ansatz könnte ihm den Zugang zu Heideggers Entfaltung der formalen Struktur der Frage nach dem Sein öffnen, sofern das Befragte das suchende Ich selbst ist, das sich im Zug der Suche zur großen Frage wird (4,9), zum Ackerland, an dem er sich abmüht und das unsäglichen Schweiß kostet (10,25): »ego certe, domine, laboro hic et laboro in me ipso: factus sum mihi terra difficultatis et sudoris nimii.« Augustinus sieht den Ursprung der Fraglichkeit in seiner Beziehung Selbstsein und Gottsuche | 69

zu Gott (10,50): »in cuius oculis mihi quaestio factus sum, et ipse est languor meus.« Diesen Ursprung könnte Augustinus in Heideggers Fragen entdecken. Im Blick auf Augustinus erklärt Heidegger, »daß das ›Leben‹ kein Spaziergang ist und gerade die ungeeignetste Gelegenheit, sich wichtig zu machen« (AuN 205). Brieflich hat er sogar das Sichfinden die »Demut vor dem eigenen gottgeschenkten Wesen« genannt.80 Obwohl Heidegger Worte dieser Sinndimension, die er in anderen Kontexten selbst ausgesprochen hat, nicht in Sein und Zeit aufzunehmen vermochte, hätte Augustinus der Analyse des faktischen Lebens in Sein und Zeit, die das alltägliche Sein des Daseins untersucht, wie es zunächst und zumeist und immer schon ist, leicht folgen können (z. B. SuZ 181): »Das Selbst aber ist zunächst und zumeist uneigentlich, das Man-selbst. Das In-der-Welt-sein ist immer schon verfallen.« Er hätte sie mit den »circuitus erroris mei« (4,1) in Verbindung bringen können, mit dem Leben, das noch nicht in die wahre Beziehung zu Gott und zu sich selbst gekommen ist. Ebenso hätte Augustinus im Text von Sein und Zeit die ›radikale Selbstbekümmerung‹ erkennen können, die ihn am Ende zur Begegnung mit Gott geführt hat. In der Analyse des alltäglichen Seins des Daseins tritt das Bekümmertsein des Daseins hervor, das Sichsorgen um ein Sein, das im alltäglichen Sein nicht ganz und eigentlich es selbst ist. Insofern zehrt der erste Abschnitt des ersten Teils von Sein und Zeit unbemerkt vom zweiten. Die vorgetragenen Analysen und die sich in ihnen aussprechende Selbstbekümmerung sind nur möglich, sofern das sich sorgende Dasein von vornherein von einem Ideal bestimmt ist, das schon im ersten Abschnitt im Modus der Defizienz gegenwärtig ist und der Explikation harrt.81 Augustinus könnte in dieser Verknüpfung die ›excitatio‹ wiedererkennen, von der er am Beginn der Confessiones spricht und die ihn die Irrigkeit seines Lebens hat sehen lassen.82 In der frühen Freiburger Vorlesung nimmt Heidegger Augustins Diagnose auf, daß wir in Mannigfaltiges zerfließen und in Zerstreutheit aufgehen. In Augustinischer Anrede Gottes sagt er (AuN 205): »Du forderst die Gegenbewegung gegen die Zerstreuung, das Auseinanderfallen des Lebens.« Die Wahrnehmung der Zerstreuung des Ich setzt die Hoffnung auf Einheit und die Aufgabe voraus, an der Sammlung des Ich um seines eigentlichen Selbstseins willen zu arbeiten. 70 | norbert fischer

Das Dasein, sofern sein Sein Sorge ist, sorgt sich schon in seinem alltäglichen Leben um sein eigentliches Ganzseinkönnen, wenn auch unwahr in der Weise des Verfallens an seine Welt.83 Mit der Grundverfassung des Daseins ist etwas gefunden, das laut Heidegger einer ursprünglicheren Interpretation bedarf, die das Dasein erst in seiner Ganzheit und Eigentlichkeit faßt.84 Im Zug der »Aufweisung eines eigentlichen Ganzseinkönnens des Daseins« legt Heidegger diese Strukturen »in einem existenziellen Sein zum Tode« und »im Gewissen-haben-wollen« aus (SuZ 234). Beide Aspekte der Leitidee der Analysen von Sein und Zeit haben in den Confessiones Bezugspunkte von einer Art, daß Augustinus diesen Analysen ohne Zögern zustimmen könnte. Er könnte Heideggers Analysen der betrachteten Phänomene auch unter der Rücksicht folgen, sofern deren Auslegung »rein ›diesseitig‹« bleibt und sie »das Phänomen lediglich daraufhin interpretiert, wie es als Seinsmöglichkeit des jeweiligen Daseins in dieses hereinsteht« (SuZ 248). Ontisch-jenseitige Spekulationen haben Augustinus zwar in der Art beeinflußt, die er von Plotin her kannte, sie waren aber nicht die Sache, die ihn in seiner eigenen Suche bewegt hat.85 Das eigene Fragen Augustins in den Confessiones hat Heidegger in den Untersuchungen des zehnten und des elften Buches erblickt. Belegt ist dies für das zehnte Buch in der genannten frühen Augustinus-Vorlesung, für das elfte im Beuroner Vortrag von 1930. Dort heißt es (12): »Das quaerere der Quaestio der Confessiones gerade in der Zeitbetrachtung.« Umgekehrt könnte Augustinus in Heideggers Zeitfrage seine eigenen Fragen erkennen, die er im elften Buch der Confessiones mit dem mehrdeutigen Wort ›distentio animi‹ beantwortet, das er im Sinne von Erstrecken und Zerstrecken auslegt (Heidegger spricht auch von Gestrecktheit).86 Am Ende gelangt Augustinus zur Einsicht, daß das Gefundene nur dann die gestellte Aufgabe zu lösen vermag, wenn die ›distentio‹ durch einen Mittler zur ›extentio‹ und zur ›intentio‹ wird, zum Sichausstrecken auf Höheres, zur Hinwendung auf eine höhere Berufung, in der Suchende ihre Ruhe finden.87 Zwar erlangt die Suche, die von der gestellten Aufgabe ausgeht, zunehmend Klärung, aber keine Lösung aus eigener Kraft. Die Lösung, die seine Bekehrung bewirkt, ihn zum Lob Gottes befähigt, benennt Augustinus als unableitbares Ereignis, als märchenartig erzähltes Wunder im Singsang des ›tolle, lege‹, oder in Bildern von Selbstsein und Gottsuche | 71

sinnlichen Erfahrungen, die sein Verhältnis zum Leben insgesamt verändern.88 Daß das zentrale Ereignis, die von ihm erfahrene Wende seines Lebens, nicht als Leistung der intensiv betriebenen Selbstauslegung des Daseins möglich ist, wie sie in Sein und Zeit vorliegt, würde ihn nicht gewundert haben. Heidegger spricht im Geist Augustins, wenn er sagt (GA 60,324): »Unser erlebnismäßiges Verhalten zu Gott – das primäre, weil in uns gnadenhaft aufquellende – ist richtunggebend für die spezifisch religiöse Konstituierung ›Gottes‹ als eines ›phänomenologischen Gegenstandes‹.« Die »Konstitution des Gotterlebens (Gottesgeburt)« (GA 60,309) tritt bei Augustinus aber mit moralisch-praktischen Konnotationen auf, die auf den Weg Jesu und die Bergpredigt weisen.89 Kants Rekonstruktion des Zugangs zum Phänomen der Religion, die über das Bewußtsein des moralischen Gesetzes führt, mag als Verengung getadelt werden;90 dennoch mag es umgekehrt eine schädliche Verengung sein, die praktische Freiheit auszublenden, deren Idee sich »durchs moralische Gesetz« »offenbart« und die auch in den Augen Gottes Zurechnung nach sich zieht.91 Es war insofern ein dringliches Desiderat, dem sich Emmanuel Levinas mit aller Kraft gewidmet hat, das Fehlen des Phänomens des unbedingt geltenden moralischen Anspruchs als Defizit zu benennen und hervorzuheben.92 Gleichwohl gibt es in Briefen Heideggers Ansätze, die der Ausgestaltung fähig, aber auch bedürftig waren.93 Augustinus, der in einer ganz anderen Zeit gelebt und gesprochen hat, sah sich aber noch in der Lage, beide Ursprünge des Zugangs zur Wirklichkeit Gottes ungetrennt auf phänomenlogischer Basis im Auge zu behalten, nämlich den ontologischen und den praktisch-moralischen, weil sie ihm in einem Ereignis begegnen.94 Das Motiv, das ihn treibt, dorthin zu springen, wohin er gerufen wurde (8,26: »transilire quo vocabar«), mag kein Thema der Fundamentalontologie in der Art von Sein und Zeit sein.95 Insofern könnte Augustinus Sein und Zeit trotz seines fragmentarischen Charakters als Werk lesen, das im Denken so weit voranschreitet, wie es eben voranschreiten kann. Sein und Zeit böte derart keine Säkularisierung christlicher Motive, sondern erwiese das Sein des Daseins so, wie es sich an ihm selbst zeigt. Die Ausblendung der Gnade in Sein und Zeit wäre dann als Ablösung von Luthers ›sola gratia‹ zu verstehen. Augustinus sieht sich aber darüber hinaus von einer die phä72 | norbert fischer

nomenologische Interpretation des Daseins übersteigenden Wahrheit angezogen. Denn nachdem ihn die Einsicht in die Irrigkeit seines Lebens auf den Weg zu Gott gewiesen hat, bekennt er sich zur Hoffnung auf ein Leben ohne Schmerz und Mühsal, das lebendig ist, ganz erfüllt von Gott (10,39): »nusquam erit mihi dolor et labor, et viva erit vita mea tota plena te.« Da er diese Hoffnung ausgehend vom faktischen Leben ausspricht, könnte er in Heideggers phänomenologischer Arbeit – neben Intentionen, die für ihn nicht an der Tagesordnung waren oder sein konnten – Motive sehen, die ihn selbst getrieben haben. Gleichwohl bleibt die Frage erregend, wie Heidegger, der seinen Weg aus einer von theologischen Fragen bestimmten Herkunft begonnen hat, während oder nach der Ausarbeitung von Sein und Zeit in eine Krise gekommen ist, die nicht nur den Abschluß dieses Werks verhindert, sondern auch zum Fehlen der Gottesfrage und zu krisenhaften Wendungen geführt hat. Eine Rolle mag gespielt haben, daß ihm der Zugang zu den Aufgaben der praktischen Philosophie in Kants Sinne fehlte, wie ihn Augustinus hatte. Nicht nur Augustinus könnte hierin ein echtes Defizit im Denken Heideggers vermuten.96 Dennoch sind Augustins denkerische Motive eng mit denen Heideggers verwandt. Außer den erwähnten Bezügen könnten andere genannt werden, zum Beispiel das Fragenkönnen als Auszeichnung des Daseins, die Suche nach Entflüchtigung des Zeitlichen und nach Entfernung im Sinne der Tendenz des Daseins zur Nähe und schließlich der Vorrang der Zukunft.97

5. Zur Nähe und zur Ferne des Fragens im Denken von Augustinus und Heidegger Seine ›Herkunft‹ begriff Heidegger als Zukunft, nicht als Rückkehr; es ging ihm vielmehr um Neues, von dem er zugleich die Bewahrung und erneute Aneignung seiner Ursprünge erhoffte. Der Brief Heideggers vom 13. 5. 1925 an Hannah Arendt bezeugt seine innige Vertrautheit mit der Gottesfrage und gibt zudem Hinweise, warum er zögert, über Gott zu sprechen (Briefe 31). Heidegger erklärt dort seiner Adressatin, »wahrhafte Scheu« sei »immer zu scheu, um das Ja Gottes, der Dich erkannte und annahm, zum Besitz Deiner Seele Selbstsein und Gottsuche | 73

zu machen«. Diese Scheu ist mit den Aufgaben verknüpft, nach Heiligkeit zu streben und der Philosophie zu entsprechen. Indem Heiligkeit die Scheu bewahre, bewahre sie zugleich das Ja Gottes zur eigenen Existenz. Heidegger sagt dort: »daß Du diese Scheu bewahrst – bewahrt Dir Sein Ja.« Philosophie aber sehe »mit Augustinus nur das Kind« in sich, »das am Strand das Meer in eine kleine Grube schöpfen möchte«, und »hilflos« wird »mit seinem Suchen angesichts des Lebens.« Diese intimen Bekenntnisse, die für einen Leser der von Heidegger veröffentlichten Schriften unerwartet sein mögen, sind nicht deswegen weniger beachtenswert, weil sie in einem privaten Brief an eine Person zu finden sind, zu der Heidegger bekanntlich in engster Verbindung stand. Obwohl anzumerken ist, daß er es vermieden hat, solche Sätze in Werke aufzunehmen, geben sie doch einen Hinweis auf einen Boden, der sein Leben und Denken getragen hat. Auch in den veröffentlichten Werken tritt die Scheu gleichsam überdeutlich hervor, in unangemessener oder gar in blasphemischer Weise von Gott oder von Göttlichem zu sprechen. Bevor Theologen (oder Philosophen, die von ihm Aussagen zu oder über Gott einfordern),98 das Recht hätten, sich kritisch zu seiner Zurückhaltung zu äußern, sollten sie die Bedenken beachten, die Heidegger bewogen haben, »im Bereich des Denkens von Gott zu schweigen«.99 Wiederum in einem Brief äußert sich Heidegger 1951 polemisch zur geläufigen Art der Rede von Gott: »Aber die jetzige Luft an der Universität, eine pseudotheologische, macht mir wohl am meisten zu schaffen.«100 Die Abneigung gegen die spekulative metaphysische Theologie hatte er schon 1921 bei Augustinus gefunden, der in einer Haltung vor Gott stehe und zu ihm spreche, die fern ist von jeder metaphysischen Spekulation, die sich gleichsam anmaßt, über den Höchsten urteilen zu können. Heidegger ahmt Augustins Sprachduktus der Anrede Gottes nach und kämpft mit ihm dagegen an, »daß man Dich in billigen Blasphemien zum Objekt von Wesenseinsichten macht – was noch um einige Grade schlimmer ist als die überlegen kritisierten Gottesbeweise« (AuN 203). Daß sich solche Kritik der Gottesbeweise, die explizit dem Gottesglauben dienen soll, bei dem hierin geistesverwandten Kant findet, weiß man. Wo Augustinus eine Kritik der Gottesbeweise vorgetragen haben könnte, mag Hei74 | norbert fischer

deggers Geheimnis bleiben.101 Gegen Jaspers gerichtet, der auch nicht für die Ausarbeitung von Gottesbeweisen bekannt geworden ist, sagt er (AuN 122): »Der Christ findet nicht in Gott seinen ›Halt‹ (vgl. Jaspers). Das ist eine Blasphemie! Gott ist nie ein ›Halt‹.« Trotz dieser kritischen Marginalien ist klar, daß Heidegger mit dem Hinweis auf Augustins Haltung zu den Gottesbeweisen zweifellos den Geist Augustins trifft.102 Die begriffliche Rede über Gott ist nämlich – auch nach Kant – die notwendige Voraussetzung aller theoretischen Beweise für das Dasein Gottes, deren Durchführung aber schon Kant ausdrücklich als schädlich bezeichnet hat, wenn es um die Annahme des Daseins Gottes geht.103 In einer Predigt hat Augustinus seine auch sonst überall spürbare Zurückhaltung in der begrifflichen Rede über Gott, die Heidegger in der Sache Recht gibt, konzentriert zusammengefaßt.104 Dort heißt es (s. 117,5): »de deo loquimur, quid mirum si non comprehendis? si enim comprehendis, non est deus.« Und in einem Sinn, dessen Intentionen auch bei Heidegger hervortreten, fährt er im Text fort: »sit pia confessio ignorantiae magis, quam temeraria professio scientiae. attingere aliquantum mente deum; magna beatitudo est: comprehendere autem, omnino impossibile.« Das Bekenntnis des Nichtwissens nennt Augustinus eher fromm als die unbesonnene Behauptung des Wissens. Er hält es zwar für eine höchst beglückende Erfahrung, Gott im Geiste ein wenig zu berühren: ihn aber zu begreifen, hält er für gänzlich unmöglich (›omnino impossibile‹). In diesem Sinne hatte Heidegger schon in der Einleitung in die Phänomenologie der Religion gesagt: »Es ist ein Abfall vom eigentlichen Verstehen, wenn Gott primär als Gegenstand der Spekulation gefaßt wird.«105 Leser, die Sinn für philosophisches Fragen und Suchen haben, bemerken, wenn sie sich Heidegger zuwenden, an fast allen Stellen, die das Thema zur Sprache bringen, seine Ehrfurcht, in der er sich hütet, über Gott in einer Weise zu sprechen, die eher Gotteslästerung als Gotteslob wäre. Heidegger hält es in Sein und Zeit sogar für verfehlt, ›über‹ menschliche Personen zu sprechen, da jede »psychische Objektivierung […] mit Entpersonalisierung identisch« ist (SuZ 48). Schon während der Zeit, in der er sich als ›christlichen Theologen‹ bezeichnete, bestand er darauf, dies »im Lebenszusammenhang der Universität« zu sein.106 Das heißt im Blick auf seine Selbstsein und Gottsuche | 75

Beziehung zu Augustinus, daß er an der ›confessio scientiae et imperitiae‹ zu arbeiten hatte.107 Wenn Heideggers Anfänge für seinen Weg bestimmend geblieben sind, wenn seine Herkunft also für ihn in der Tat konkret, unablässig und bleibend Zukunft geblieben ist, wenn das bekannte und bedeutsame Wort aus dem Gespräch zwischen einem Japaner und einem Fragenden also nicht der Verweis auf ein unbestimmtes, vielleicht irgendwann eintretendes Ereignis war, dann wird klar, daß Heideggers Denken, gerade in bezug auf das, was bei ihm ungesagt bleibt, an sich selbst konfessionalen Charakter ganz im Sinne Augustins hat und daß er eben deswegen nicht zu Gott sprechen konnte, wie Augustinus es zu seiner Zeit in den Confessiones vermocht hat. Dieser konfessionale Charakter ist das Ungesagte, dem die Menschen ausgesetzt sind, die sich auf Heideggers Denken einlassen. Es ist insbesondere das Fehlen Gottes, das den Menschen im Denken Heideggers angeht, der also im Modus der Defizienz anwesend, gegenwärtig ist.108 Da Heidegger, wie er am Ende der Habilitationsschrift programmatisch im Sinn Augustins sagt, eine »Philosophie des Geistes, der tatvollen Liebe, der verehrenden Gottinnigkeit« suchte und sich »vor der großen Aufgabe einer prinzipiellen Auseinandersetzung« sah, bearbeitete er im Lebenszusammenhang der Universität Probleme, die Augustinus fremd waren (KBDS 352 f.). Wie er sich auf diese Probleme einläßt, ist schlaglichtartig an zwei Äußerungen zu sehen, die in Untersuchungen zu Nietzsche enthalten sind. Wer denkend auf Probleme zugeht, weiß zwar niemals, wohin sie ihn führen werden. Heidegger hat sich wohl nur kurzfristig vom dogmatischbekennerhaften und pathetischen Überlegenheitsgestus Nietzsches verführen lassen und ihn eher als Gottsucher gesehen, der »nach Gott schreit« und vielleicht »wirklich de profundis geschrieen hat«, ohne zu ahnen, daß er – wie Heidegger insinuiert – gegen seinen Willen »der zügelloseste Platoniker innerhalb der Geschichte der abendländischen Metaphysik« gewesen sein könnte.109 An der ersten Stelle redet er zu Beweisen, die ›untriftig bleiben‹, auch wenn sie formallogisch fehlerlos sind. Nietzsches Versuch, die Wiederkunftslehre zu beweisen, scheitere ebenso wie vormals die Gottesbeweise, weil »ein Gott, der sich seine Existenz erst beweisen lassen muß, am Ende ein sehr ungöttlicher Gott ist und das Bewei76 | norbert fischer

sen seiner Existenz höchstens auf eine Blasphemie hinauskommt.«110 Laut der zweiten Stelle, die nicht den Gottesglauben bekämpft, sondern die innere Tendenz der metaphysischen Theologie, ist es nicht »der härteste Schlag gegen Gott«, daß er »für unerkennbar gehalten, nicht daß Gottes Existenz als unbeweisbar erwiesen wird, […] sondern daß der für wirklich gehaltene Gott zum obersten Wert erhoben wird«, daß er »zum höchsten Wert herabgewürdigt wird« (NWGit 260). Wer sieht, daß der für seine Kritik berüchtigte Kant letztlich zeigen will, daß es »für die Vernunft unvermeidlich« sei, »ein Daseyn Gottes anzunehmen«, wird die Zielrichtung der Bemerkung Heideggers noch deutlicher wahrnehmen können. Als Namen Gottes nennt Augustinus einmal das Selbstsein und die Heiligkeit des allmächtigen Gottes: »id ipsum et id ipsum et id ipsum, ›sanctus, sanctus, sanctus, dominus deus omnipotens‹«.111 Laut Augustinus erfüllt sich das Selbstsein des Menschen unter dem Anspruch der Heiligkeit.112 Laut Heidegger weist die Analyse des alltäglichen Seins des Daseins auf sein eigentliches Ganzseinkönnen – und vielleicht weist sein eigentliches Ganzseinkönnen auf die Gottsuche.113 Augustinus sieht das Selbstsein in Heiligkeit als Ziel des auf Gott hin geschaffenen Menschen, das erstrebt werden muß, aber am Ende nur als die Gnade zu empfangen ist, die im Leben Jesu begegnet, sofern dieser den Menschen als Mittler das Leben der göttlichen Liebe ›factis et dictis‹ vorgelebt hat (conf. 10,6). Soweit er es in seiner geschichtlichen Situation konnte, hat Heidegger dieses Ziel verfolgt und Augustins Kerngedanken zustimmend in ein Wort gefaßt, das eine Auslegung des Ganzen von Schöpfung und Erlösung in sich birgt. Das schon genannte Wort lautet: »Amo: volo, ut sis«.114 In diesem Wort liegt, sofern es Augustinisch gedacht wird, eine doppelte ›excitatio‹, nämlich die Befreiung zum möglichen Selbstsein des Menschen vor Gott, einerseits »überschwengliche Verwunderung« und »Bewunderung eines ›Höher als‹«,115 andererseits die Verpflichtung, das Aufgegebensein einer Antwort. Dieser Liebe antwortend konnte Augustinus am Ende das Lob Gottes selbst aussprechen (conf. 2,1; 11,1): »amore amoris tui facio istuc.«

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Anmerkungen

Vgl. conf. 8,16; 10,50. Texte Augustins sind nach dem CAG 2 zitiert, die Zitationsregeln folgen dem AL (beide hg. von Cornelius Mayer). Zur Deutung der Confessiones vgl. Norbert Fischer; Cornelius Mayer (Hg.): Die ›Confessiones‹ des Augustinus von Hippo. Einführung und Interpretationen zu den dreizehn Büchern; für eine erste Orientierung vgl. Johannes Brachtendorf: Augustins ›Confessiones‹; für ein tieferes Eindringen vgl. die Einleitungen von Norbert Fischer in: Aurelius Augustinus: Suche nach dem wahren Leben. Confessiones X / Bekenntnisse 10; Aurelius Augustinus: Was ist Zeit? Confessiones XI / Bekenntnisse 11. 2 Sie ist inzwischen in GA 60 veröffentlicht worden (als Teil der Phänomenologie des religiösen Lebens). 3 Laut Kopie des Typoskripts mit handschrift lichen Zusätzen Heideggers, im Besitz der ›Bibliotheca Beuronensis‹, vorgesehen für die Publikation in GA. 4 Vgl. Martin Heidegger; Elisabeth Blochmann: Briefwechsel 1918 – 1969, 62 (dieser Brief ist auch in GA 16,75 f. abgedruckt). Vgl. den Hinweis in Heideggers Brief an Elisabeth Blochmann vom 8. April 1931 (a.a.O., 40), daß er im voraufgegangenen Wintersemester »Augustinusübungen (Confess[iones] lib. XI) für die Anfänger« gehalten hat. 5 Er konnte an Edmund Husserl anknüpfen, dessen Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins er 1928 publiziert hatte; zu Husserl vgl. die teils kritischen Hinweise bei Norbert Fischer: Einführung (Tusculum), 803 f. 1919 sagt Heidegger zum Vergleich mit Descartes (vgl. Phänomenologie der Anschauung und des Ausdrucks; GA 59,94): »Man geht sogar soweit, Augustinus um dieser Leistung willen den ›ersten modernen Menschen‹ zu nennen, wie das Windelband tut. Nun, der würde sich wohl vor diesem Kompliment bekreuzigt haben, was besagen soll, daß es ungefähr der Höhepunkt des Mißverständnisses ist, Augustinus und seinen ›Satz vom Bewußtsein‹ so zu sehen.« An Elisabeth Blochmann schreibt er gegen den »Mangel innerer Demut vor dem Geheimnis u. Gnadencharakter allen Lebens« (1. Mai 1919; Briefwechsel, 14). Und zu Hannah Arendt spricht er von der »Demut vor dem eigenen gottgeschenkten Wesen« (1. V. 25; vgl. Hannah Arendt; Martin Heidegger: Briefe 1925 – 1973, 28). 6 Weiterhin ist dazu zu beachten: Der Denkweg Martin Heideggers, und neuerdings: Heidegger in seiner Zeit. 7 Vgl. Endre von Ivánka: Plato christianus. Übernahme und Umgestaltung des Platonismus durch die Väter, 209; Norbert Fischer: Confessiones 11. ›Distentio animi‹. Ein Symbol der Entflüchtigung des Zeitlichen, 493: »Augustinus bleibt im Zuge expliziter Untersuchungen von Fragen, die sein Denken bewegen, hartnäckig – ohne auf Autoritäten zu achten – der Sache des Denkens auf der Spur, vergegenwärtigt aber zuweilen, wenn er in anderen Zusammenhän1

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gen beiläufig wieder auf dieselben Fragen zu sprechen kommt, das in seinen früheren Untersuchungen erreichte Niveau nicht mehr oder fällt sogar hinter es zurück.« Diese Eigenart bleibt oft unbeachtet (494). 8 Gibt man z. B. die Lemmata ›distentio‹ und ›animus‹ als verknüpften Suchbefehl in die Textdatenbank des CAG 2 ein, erhält man nur conf. 11,33 f. und en. Ps. 99,4 f. (wobei die zweite Stelle nicht zur Frage spricht, was Zeit ist). 9 Vgl. conf. 1,5 mit der Frage: »quis mihi dabit adquiescere in te?« und 10,49 mit dem »aliquantulum adquiesco«, das Augustinus ambivalent begreift ; von ›temptatio‹ spricht er öfter, z. B. conf. 10,39; im Hintergrund steht Hiob 7,1. 10 Vgl. dazu SuZ 427 (Fn 1). Auf diese Stelle verweist schon Pöggeler (606). Vgl. dazu auch Norbert Fischer: Was ist Ewigkeit? Ein Denkanstoß Heideggers und eine Annäherung an die Antwort Augustins. 11 Vgl. Vom Ursprung und Sinn der Seinsfrage im Denken Martin Heideggers. Versuch einer Ortsbestimmung. Der Abschnitt: Christliche Geschichtserfahrung und ontologische Frage beim jungen Heidegger war schon vorher veröffentlicht worden, z. B. in Otto Pöggeler (Hg.): Heidegger. Perspektiven zur Deutung seines Werkes. 12 Vom Ursprung und Sinn der Seinsfrage, 1371 – 1417. 13 A.a.O., 626. Das Augustinus zugesprochene Zitat wäre mit Io. ev. tr. 20,13 zu bestätigen: »transcendit [scil. Ioannes evangelista] mentem suam ipsa ratione animi sui«; vgl. auch vera rel. 74: »transcende et te ipsum«. Zu beachten ist aber, daß Augustinus echte Transzendenz im Auge hat, zu der endliche Wesen nicht ›transzendieren‹ können, ohne die Transzendenz zur Immanenz herabzuwürdigen. Augustinus spricht demgemäß an entscheidenden Stellen seines Weges vom Einbruch des Transzendenten in das Immanente (im Sinne einer Inversion der Aktivität); vgl. dazu Norbert Fischer: Einleitung (Augustinus: Suche nach dem wahren Leben), LIII – LXIV. Signifi kant ist auch die Formulierung in 8,26: »transilire quo vocabar«. In conf. 10 vgl. 11 f. und bes. 26 (›transibo‹; 36: ›transcendi‹). 14 Vgl. Rudolf Berlinger: Augustins dialogische Metaphysik; Max Müller: Person und Funktion, bes. 387. Laut Lehmann sind diese Versuche »tiefer und radikaler« als die neuscholastischen Auseinandersetzungen (1293). 15 Nur erwähnt sei hier Augustinus und die phänomenologische Frage nach der Zeit von 1992; von Herrmann hat nicht nur einen kaum überbietbaren Durchblick durch Heideggers Werk, sondern befaßt sich auch eindringlich und eigenständig mit Augustinus, besonders mit den Confessiones. Zitiert sei der Schlußabsatz, der den weiten Horizont der Untersuchung anzeigt (202): »Die Augustinische Zeit-Untersuchung hat in unserem Jahrhundert auf zwei unterschiedliche Anfragen auch zwei verschiedene Antworten gegeben. In der Befragung durch Husserl antwortete sie in der Weise, daß sie sich als ein erster Anlauf zu einer Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins darstellt. Als sie später von Heidegger befragt wurde, zeigte sie ihm jene Tendenzen, die in eine Selbstsein und Gottsuche | 79

mögliche hermeneutische Phänomenologie der existenzialen, d. h. ekstatischhorizontalen Zeitlichkeit des Daseins hinweisen.« Diese Stellungnahme, in der mit Recht die Unterschiedlichkeit der Antworten auf die Verschiedenheit der Fragen bezogen ist, hat der Autor in dem im folgenden skizzierten Beitrag im Blick auf Heidegger erweitert und zugespitzt. 16 Außer AuN und dem Beuroner Vortrag wurde SuZ beachtet; dazu Vorlesungen (in: GA 22 – 24; 49; 56 – 61), die Beiträge zur Philosophie (GA 65) und Vorträge, bes. Zeit und Sein. Vgl. dazu auch C. Agustín Corti: Zeitproblematik bei Martin Heidegger und Augustinus. Weiterhin: Das Selbst als religiöses Motiv bei Martin Heidegger. 17 Dazu sagt von Herrmann (116): »Am Anfang steht also die Gottsuche.« Vielleicht setzt Augustinus aber an den Anfang des zehnten Buches (wie an den Anfang der Confessiones) ein Wort, das er selbst noch nicht zu sprechen fähig war, das er der Heiligen Schrift entnehmen mußte. Dann könnte er mit der Frage nach sich selbst begonnen und erst im Laufe des Fragens bemerkt haben, daß die Weise, wie er die Frage nach sich selbst stellt, unlöslich mit der Gottsuche verbunden ist, da er sich als ›cor inquietum‹ begegnet, das Ruhe nur in Gott fi nden kann (conf. 1,1). 18 A.a.O., 135. Kapitel 29 entspricht nach der heute üblichen Zitation conf. 11,39. Von Herrmann berichtet (136), daß Heidegger noch 1941 bekannt habe, »daß er ›von Augustinus (Confess. Lib. XI, 1 – 31) […] in bezug auf die eine Frage: Sein und Zeit‹ gelernt habe« (mit Zitat aus Heidegger: Die Metaphysik des deutschen Idealismus; GA 49,48). Heideggers Verwunderung darüber, »daß die Hochscholastik die bis zu dieser Zeit radikalste Zeitanalyse, nämlich die des Augustinus, nicht aufgegriffen und fruchtbar gemacht habe«, müßte schon Augustinus gelten, der seine eigenen Gedanken nicht mehr aufgegriffen hat; als Anknüpfung vgl. z. B. Nikolaus von Kues: De aequalitate 16: »Et haec anima in se videt, quae est intemporale tempus. Videt igitur se intemporale unitrinum tempus: praeteritum, praesens et futurum.« In diesem Opusculum wird »magnus Augustinus« explizit erwähnt, wenn auch in anderem Kontext, nämlich dem der psychologischen Trinitätslehre, die nicht ohne Bezug zum Zeitproblem ist (25). Vgl. dazu Norbert Fischer: Die Zeitbetrachtung des Nikolaus von Kues (›intemporale unitrinum tempus‹). 19 145; zitiert wird dort eine eindrucksvolle, die Nähe belegende Stelle aus Zeit und Sein (SD), 13. Auf Augustinus war Heidegger früh aufmerksam geworden; vgl. den Brief Ernst Laslowskis vom 17. März 1911 an Heidegger (HJB 1,26 f.). Alfred Denker spricht sogar vom »›augustinischen‹ Zug in Heideggers religiösem Leben« (vgl. Heideggers Lebens- und Denkweg 1909 – 1919; HJB 1,101). Laut Johannes Schaber haben »Aristoteles und Augustinus […] die Grunderfahrungen des menschlichen Daseins beschrieben«; vgl. Martin Heideggers »Herkunft« im Spiegel der Theologie- und Kirchengeschichte des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, HJB 1,184. Weiterhin: Frederick van Fleteren (Hg.): Martin Heidegger’s Interpretations of Saint Augustins. Sein und Zeit und Ewigkeit. 80 | norbert fischer

Vgl. Phaidros 278c. Dazu Jürgen Wippern (Hg.): Das Problem der ungeschriebenen Lehre Platons. Die Lösung des Problems kann aber nicht in der schrift lichen Rekonstruktion einer mündlich gehaltenen Vorlesung liegen. 21 Brief über den ›Humanismus‹ (GA 9), 315. Im Hintergrund steht womöglich das Pauluswort (2 Kor 3,6): τ γ.ρ γρ!µµα ποκτενει, τ δ1 πνε/µα ζω 3 οποιε" . Hier zeigt sich das Problem von De- und Rekontextualisierung. 22 Vgl. Platons Lehre von der Wahrheit (GA 9), 202. Zu dieser Maßgabe vgl. Identität und Differenz, 38: »Allein wir suchen die Kraft nicht im schon Gedachten, sondern in einem Ungedachten, von dem her das Gedachte seinen Wesensraum empfängt.« Vgl. auch SuZ 2 (vom Verborgenen, das »das antike Philosophieren in die Unruhe trieb«). 23 Beiträge zur Philosophie, 187 f. Vgl. Johann Gottlieb Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794), 106 Fn: Fichte sucht die Grundlegung der Philosophie Kants und meint, »daß Kant sehr wohl auch das wußte, was er nicht sagte«, ohne erklären zu wollen, »warum er nicht alles sagen konnte noch wollte, was er wußte.« 24 Beiträge zur Philosophie, 187. Vgl. dazu die erhellenden, teils auch kritischen Hinweise Friedrich-Wilhelm von Herrmanns: La metafi sica nel pensiero di Heidegger / Die Metaphysik im Denken Heideggers, 15 ff./89 ff. 25 Das ist auch Hintergrund von Heideggers Kritik gegen Troeltsch, von Harnack und Dilthey; vgl. AuN 159 – 167. 26 KrV B 370. Kant kannte Platons Wort vermutlich nicht; er zählte sich zu den Denkern, »die aus den Quellen der Vernunft selbst zu schöpfen bemüht sind«, nicht zu den Gelehrten, »denen die Geschichte der Philosophie (der alten, sowohl als neuen) selbst ihre Philosophie ist« (Prol A 3). Eine ›Modifi kation‹ des Platon-Wortes kann Kant also nur in dem Sinn bieten, daß er die These Platons aus eigenen Motiven ursprünglich denkt. 27 Einleitung, 7. Bei einem »philosophischen Künstler«, als den Schleiermacher Platon sieht, rächt sich, wenn man sich – wie Kant – »in keine litterarische Untersuchung einlassen« will (KrV B 370). Vgl. auch UzS 134. 28 Vgl. dazu auch Friedrich-Wilhelm von Herrmann: La metafi sica / Die Metaphysik, bes. 11 – 13/85 – 87. 29 Vgl. SuZ 22 f.; vgl. 23: »Die Destruktion will aber nicht die Vergangenheit in Nichtigkeit begraben, sie hat positive Absicht; ihre negative Funktion bleibt unausdrücklich und indirekt.« Sie selbst ist also interpretationsbedürft ig. 30 Vgl. NWGit 197. 31 Otto Pöggeler: Heidegger in seiner Zeit, 11; 1954 schreibt Heidegger an Elisabeth Blochmann abschätzig über Karl Löwith, sagt damit aber zugleich etwas zu sich selbst (Briefwechsel, 103): »Vom Denken hat er keine Ahnung; vielleicht haßt er es. Wie mir denn nie ein Mensch begegnet ist, der so ausschließlich aus dem Ressentiment und dem Anti- lebt. Als er sich in M[ar]b[ur]g habilitierte, war er der roteste Marxist. ›Sein und Zeit‹ bezeichnete er als ›verkappte Theologie‹. Später war das Buch ›reiner Atheismus‹. Warum soll 20

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sich einer nicht von Feuerbach zu Augustinus kehren? Aber er sollte dann anderen nicht eine zudem gar nicht begriffene ›Kehre‹ vorrechnen.« 32 Unbenommen und bedenkenswert bleibt dennoch die Frage, die Otto Pöggeler stellt; vgl. Heidegger in seiner Zeit, 268: »Verwischt Heidegger durch gelehrte Hinweise wie ein Fuchs mit dem Schwanz die Spuren des eigenen Weges, oder vermeidet er nur Optionen, die kurzschlüssig waren?« 33 Vgl. Paola-Ludovika Coriando (Hg.): »Herkunft aber bleibt stets Zukunft«. Martin Heidegger und die Gottesfrage; Otto Pöggeler: Heidegger und Bultmann. Philosophie und Theologie, zitiert einen Hinweis Heideggers an Bultmann (46): »Meine Arbeit hat weder weltanschauliche noch gar theologische Absichten. Wohl aber liegen Ansätze und Absichten in ihr auf eine ontologische Grundlegung der christlichen Theologie als Wissenschaft.« 34 Die nach Kant in großem Stil in Gang gekommene wissenschaft liche Befassung mit der Geschichte hat neben deren Reichtum auch die Probleme des Historismus gebracht. Heidegger hat sich wie wenige Denker auf die Tradition eingelassen, achtete aber auf die Strenge eigenen Denkens, um sich nicht in historischen Zufälligkeiten zu verlieren. 35 Das erste Zitat stammt aus der Habilitationsschrift : Die Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus (KBDS 352 f.), das zweite aus den Ausarbeitungen und Entwürfen zu einer nicht gehaltenen Vorlesung 1918/19: Die philosophischen Grundlagen der mittelalterlichen Mystik (GA 60,323). 36 Vgl. UzS 96. Das ist Heideggers Ergänzung zur Bemerkung des Japaners, der gesagt hatte (ebd.): »Aber offenbar sind Sie durch Herkunft und Studiengang in der Theologie ganz anders beheimatet als diejenigen, die von außen her sich einiges anlesen, was in diesen Bereich gehört.« Von dieser Bemerkung her liest sich Heideggers Ergänzung als modifiziertes Festhalten seiner Selbstcharakterisierung als eines ›christlichen Theologen‹, der wirklich in der ›Sache‹ beheimatet ist. Vgl. Otto Pöggeler: Drei Briefe Martin Heideggers an Karl Löwith, 29. 37 Von daher ist die Abwehr ›blasphemischen‹ Redens ›über‹ Gott zu verstehen; z. B. GA 60,122; AuN 181, 202 f. 38 SuZ enthält positive (10.49.190.199.275 und 427) und negative Hinweise (24.49.92 – 95 und 269). 39 Die Selbstbehauptung der deutschen Universität. Das Rektorat 1933/34, 13. Heidegger selbst wehrt sich gegen die destruktive Deutung seiner Absicht, z. B. NWGit 196; 239 f.; 246 f. 40 Im NB nennt Heidegger es als Ziel, »ohne Seitenblicke auf weltanschauliche Betriebsamkeiten […], das faktische Leben von ihm selbst her aus seinen eigenen faktischen Möglichkeiten auf sich selbst zu stellen« (GA 62,363). 41 Pöggeler: Heidegger in seiner Zeit, 11 – 15; 114: »Heidegger wollte sich mit Nietzsche der Katastrophe stellen, in die Europa geriet; als die Hoff nung auf ein menschlicheres Leben zur organisierten Unmenschlichkeit geworden war, verwies Heidegger 1946/47 das Denken und Dichten darauf, wenigstens eine Spur zu fi nden und zu halten.« 82 | norbert fischer

Vgl. dazu von Herrmann: Stationen der Gottesfrage im frühen und späten Denken Heideggers, bes. Abschnitt 2: Theologische Epoché in der hermeneutischen Phänomenologie des Daseins. 43 Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles (GA 61), 197: die »radikale, sich auf sich selbst stellende Fraglichkeit«, die Heidegger zur Aufgabe macht, dürfe sich »nicht vermessen, Gott zu haben und zu bestimmen«. 44 Vgl. Mein bisheriger Weg (1937/38; GA 66, 411 – 417), 415. 45 Vgl. Martin Heidegger: Briefe an Max Müller und andere Dokumente, 15. 46 1925 in einem Brief an Hannah Arendt (Briefe 31). De gratia et libero arbitrio ist eine Schrift, die eher durch ihren Titel als ihren Inhalt wichtig ist: Auch der späte Augustinus hat nicht alles der Gnade Gottes zugesprochen, sondern ebenso dem Selbstsein des Menschen Bedeutung zuerkannt. Gott und das endliche Selbst des Menschen sind die Aufgaben seines Denkens vom Anfang bis zum Ende; vgl. sol. 1,7: »deum et animam scire cupio.« Dazu Norbert Fischer: »Deum et animam scire cupio«. Zum bipolaren Grundzug von Augustins metaphysischem Fragen. 47 Vgl. PuT (1927/28; GA 9), 66. 48 Anders als Walter F. Otto, der die Restitution altgriechischer Religion anstrebte; vgl. Die Götter Griechenlands. Die Defi zite der metaphysischen Theologie mögen mit Lebensferne und ihrem spekulativen Charakter zu tun haben. Beide Schwächen haften der altgriechischen Theologie nicht an. Doch hat sie andere, z. B. von Platon benannte (vgl. Politeia 377b – 383c) tödliche Mängel, die ihre endgültige denkerische Destruktion bewirken. Diese Destruktion hat eine Leere hinterlassen, die Platon und Aristoteles zur Ausbildung einer philosophischen Theologie bewegt haben. 49 Vgl. WD 248: »Seitdem die ›einigen drei‹, Herakles, Dionysos und Christus, die Welt verlassen haben, neigt sich der Abend der Weltzeit der Nacht zu. Die Weltnacht breitet ihre Finsternis aus. Das Weltalter ist durch das Wegbleiben des Gottes, durch den ›Fehl Gottes‹ bestimmt.« Zu den Motiven von Heideggers späterem Gottdenken vgl. auch Rainer Thurnher: Gott und Ereignis – Heideggers Gegenparadigma zur Onto-Theologie. 50 OVM (GA 11), 77. Die Antwort auf obige Frage lautet (ebd.): »als die Causa sui«. Weil diese nicht der lebendige Gott sei, zu dem der Mensch beten kann, sei »das gott-lose Denken, das den Gott als Causa sui preisgeben muß, dem göttlichen Gott vielleicht näher« (ebd.). Sean J. McGrath: Das verborgene theologische Anliegen von ›Sein und Zeit‹ sieht ›die Scholastik‹ durch Luthers Brille und stellt Heideggers Ansatz einseitig dar. Wäre die Vernunft »gänzlich korrumpiert« (274), wäre auch Sein und Zeit ein sinnloses Unterfangen, vor allem im zweiten Abschnitt. 51 Vgl. SuZ 43 f., 139, 171, 190 Fn, 199 Fn, 427. 52 Als Stellen, an denen Augustinus den ›timor castus‹ unmittelbar mit dem ›timor servilis‹ konfrontiert, wären zu nennen: civ. 21,24; ep. 10,52 f.; 42

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140,58; Io. ev. tr. 43,7 f.; en. Ps. 18,1,9 f.; 18,2,6; 18,2,10; 77,12; 118,25,7; 118,26,1; 150,1; s. 161,9; 270,4; s. Dolbeau 19,5. 53 NB 363: »wenn« die Philosophie »bei sich selbst […] entschieden hat […], dann hat sie entscheidend gewählt«. Sie hätte – affi rmativ gesprochen – gewählt, sich selbst als ›atheistisch‹ zu verstehen. Zu beachten ist aber, daß Heidegger in der Fußnote erklärt: »›Atheistisch‹ nicht im Sinne einer Theorie als Materialismus oder dergleichen.« 54 Vgl. NB 379 – 381; zu beachten sind auch die erhellenden Hinweise zum Sinn der ›Destruktion‹ (NB 367 f.). 55 Vgl. conf. 1,1 – 10; retr. 2,6,1. Wäre Gott nicht zu loben, wäre er nicht Gott. Um diese Frage ringt Augustinus. 56 Zur Kompositionsstruktur vgl. Norbert Fischer: Einleitung (Augustinus: Was ist Zeit?), bes. XXXII – XXXVII. 57 Vgl. conf. 1,1; vgl. auch Nietzsche: WL (KSA 1), 873 – 890. ›Hochmut‹ ist nicht unterschiedslos als Laster zu verstehen, sondern auch als Versuch zu sehen, ein Selbst zu werden, in Verantwortung das Leben zu übernehmen. 58 Vgl. Rainer Maria Rilke: Duineser Elegien (Die zweite Elegie, V. 1 – 3): »Und dennoch, weh mir,/ ansing ich euch, fast tödliche Vögel der Seele, wissend um euch.« Das explizit ausgesprochene ›Dennoch‹ fehlt bei Heidegger. Immerhin scheint er sich an ihm abzumühen. Faktisch und zum Schaden übergeht Heidegger die Grundlage, auf der Kant die praktische Philosophie errichtet hat: das Bewußtsein des moralischen Gesetzes. Er ignoriert das »einzige Factum der reinen Vernunft« (KpV A 56), das unbedingt verpfl ichtend gebietet, Andere als Personen zu achten. 59 Vgl. conf. 10,5: »bona mea instituta tua sunt et dona tua, mala mea delicta mea sunt et iudicia tua.« Zu übersetzen ist: »Gut an mir ist, was Du geschaffen und dazugegeben hast; schlecht an mir ist, was ich verdorben habe und was Du im Gericht ahndest.« Vgl. Norbert Fischer: Einleitung (Augustinus: Suche nach dem wahren Leben), XXXVI. 60 Das ›Fallen‹ (›cadere‹) ist ein biblisches, aber auch ein Plotinsches Bildwort; in conf. tritt es in unterschiedlichen Kontexten auf (4,19; 5,2; 6,13; 8,19.27; 10,33.57; 11,41; 12,37). In AuN spielt es eine entscheidende Rolle (vgl. 197): diejenigen, die sich nicht auf Gott hin, an Gott und um seinetwegen freuen, »fallen an das, was sie selbst vermögen«; 199 f.: zur »veritas in der Abfallsrichtung«; 246: zur »Möglichkeit des Sichverlierens und -gewinnens«, zum »Sichhaben«, »Sichselbsthaben« und zum »Motivzusammenhang des Sichabhebens des Sichhabens«. 61 Obwohl Augustinus öfters den Sprachgebrauch Plotins übernimmt und von ›redire‹ spricht, betrachtet er die Entstehung der Welt nicht als Folge des Übermuts der Seelen und ihres Willens, sich selbst zu gehören, sondern als Werk der aus Nichts schaffenden Liebe Gottes, der als Liebender will, daß Anderes sei. Vgl. Norbert Fischer: Augustins Philosophie der Endlichkeit, 116 – 147; Werner Beierwaltes: Plotin. Über Ewigkeit und Zeit, bes. 17 – 19. 84 | norbert fischer

Zum »regnum tecum perpetuum ›sanctae civitatis‹ tuae« und zur Sorge des an sich von Sorge freien Gottes (»qui securus curam nostri geris«) vgl. 11,3; zur Ruhe Gottes im Menschen (»requiescas in nobis«) vgl. 13,52. 63 10,2; vgl. auch 10,55 – 58; vgl. AuN 224 – 227, bes. 224: das »bloße Sehenwollen, die nackte Neugier«. 64 Zur Bedeutung der Confessiones als Autobiographie vgl. z. B. Georg Misch: Geschichte der Autobiographie I, bes. 421; vgl. dazu Norbert Fischer: Einführung (Tusculum), 811 f.; weiterhin Günter Niggl: Autobiographische Schriften in der Antike. Ein Überblick. 65 Vgl. Des hl. Augustinus Betrachtung über die Zeit, 3; vgl. auch: Ein Rückblick auf den Weg, 416.427. 66 Biographische Hinweise – vor allem im Blick auf Sokrates – gibt es auch bei Platon (vgl. z. B. Apologie; Phaidon; Siebenter Brief ); Idealtypisches gibt es bei Aristoteles; vgl. Nikomachische Ethik mit dem Grundschema der drei βίоι (1095a14 – 19). Das faktische Leben führt bei diesen Autoren kein eigentliches Interesse bei sich. 67 Wie schon erwähnt weiß er nicht, ob er das Leben ›vita mortalis‹ oder ›mors vitalis‹ nennen soll (conf. 1,7). 68 Vgl. Hannah Arendt; Martin Heidegger: Briefe 150: »Was heißt Denken? Heißt es: / Bringen den Dank?« Vgl. Holger Zaborowski: »Herkunft aber bleibt stets Zukunft.«, 133 – 141 (zum ›Gnadencharakter allen Lebens‹). 69 In SuZ geht es um »lebendiges Leben«, wenn auch nur im Modus der Defi zienz; z. B. 175: Neugier und Gerede gäben sich »die Bürgschaft eines vermeintlich echten ›lebendigen Lebens‹«; zur ›vita viva‹ vgl. z. B. conf. 10,39. 70 Ruhelosigkeit ist in verschiedenen Kontexten Thema in SuZ, vgl. (zwar als Bemerkung zu Hegel) »das ›absolut Unruhige‹ des Geistes und seine Selbstoffenbarung« (434); »die elementare Unruhe« (398); vorher Stellen, die unmittelbar zum Geist der Confessiones passen; z. B. 254 (zum Tod): die Öffentlichkeit soll »durch das Ereignis nicht in ihrer besorgten Sorglosigkeit gestört und beunruhigt werden«; zur »Beruhigung im uneigentlichen Sein« vgl. 177: »Das verfallende In-der-Welt-sein ist sich selbst versuchend zugleich beruhigend«; sie kommt so aber »nicht etwa zur Ruhe«. Weiterhin: 81.126 und 172. Vgl. conf. 10,50: »in cuius oculis mihi quaestio factus sum«. 71 Die mit der Angst einhergehende »gerüstete Freude« (SuZ 310) weist auf die Möglichkeit von Lob und Dank. 72 conf. 13,5; diese Liebe fi ndet Augustinus zunächst in der ›creatio de nihilo‹; vgl. Norbert Fischer: Einleitung (Augustinus: Suche nach dem wahren Leben), LVI f.; sodann fi ndet er sie in der Botschaft Jesu; vgl. z. B. conf. 11,1. 73 Vgl. div. qu. 35,1: »nihil enim aliud est amare quam propter se ipsam rem aliquam appetere«. Das entspricht der Lehre von der ›creatio de nihilo‹; vgl. z. B. lib. arb. 1,5; conf. 13,48. 74 Vgl. ep. Io. tr. 8,10; s. Lambot 27,3. Hier geht es um die Möglichkeit der Feindesliebe. Heidegger hat wohl an die erste Stelle gedacht (s. Lambot sind 62

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erst 1952 ediert worden), als er Augustins Liebesgedanken mehrfach in das Wort zusammenfaßte: »Amo: volo ut sis« (z. B. im Brief an Hannah Arendt vom 13.5.1925; vgl. Briefe 31). 75 Vgl. conf. 7,5; es geht hier um eigentliches Selbstsein, das durch die Lehre des Manichäismus verdorben wird. 76 conf. 11,40. Vgl. 11,39: »at ego in tempora dissilui, quorum ordinem nescio, et tumultuosis varietatibus dilaniantur cogitationes meae, intima viscera animae meae, donec in te confluam purgatus et liquidus igne amoris tui.« 77 Vgl. Norbert Fischer: Sein und Sinn der Zeitlichkeit im philosophischen Denken Augustins, 233. Heidegger betont den ›Lastcharakter des Lebens‹ (SuZ 134 f.) und seine Tendenz zur ›Seinsentlastung‹ (SuZ 127 f.). Vgl. conf. 10,34. 78 Formen des Wortes ›ipse‹ treten in den Confessiones an signifi kanten Stellen gehäuft auf; zunächst im vierten Buch, das den Tod des Jugendfreundes zum Anlaß des Nachdenkens über sich selbst und die Beziehung zu geliebten Menschen nimmt; dann in verschiedenen Hinsichten die Bücher 7 – 13. Ebenso signifi kant und zu Untersuchungen verlockend ist der Gebrauch von Formen des Wortes ›totus‹. 79 Vgl. De visione Dei 7, n.25; zur Interpretation und kontroversen Diskussion vgl. Klaus Kremer: Gottes Vorsehung und die menschliche Freiheit. (»Sis tu tuus, et Ego ero tuus«). 80 Hannah Arendt; Martin Heidegger: Briefe 28. Abgesehen von dem hier nicht interessierenden biographischen Hintergrund bezeugt dieser Brief das Ideal, das einerseits in der Spannung unerfüllten Wartens und Leidens steht, andererseits in einem Sich-gefunden-haben, das sich von Gott her ›nie verlieren konnte und kann‹. 81 Zur Negativität, die auf die Defi zienz im alltäglichen Sein des Daseins weist, vgl. SuZ 233: »Eines ist unverkennbar geworden: die bisherige existenziale Analyse des Daseins kann den Anspruch auf Ursprünglichkeit nicht erheben. In der Vorhabe stand immer nur das uneigentliche Sein des Daseins und dieses als unganzes.« 82 Die Todhaft igkeit des Lebens (vgl. conf. 1,7) kann nur bemerkt werden, sofern diese ›excitatio‹ wirksam ist. 83 Vgl. SuZ 222: »Der volle existenzial-ontologische Sinn des Satzes: ›Dasein ist in der Wahrheit‹ sagt gleichursprünglich mit: ›Dasein ist in der Unwahrheit‹. Aber nur sofern Dasein erschlossen ist, ist es auch verschlossen«. 84 Die Dialektik von Suchen und Finden in § 46 (SuZ 231) greift (im Sinne der Gegenläufigkeit von ordo cognoscendi und ordo essendi) auf § 2 zurück (SuZ 5): »Jedes Suchen hat sein Geleit vom Gesuchten her.« 85 Schon zu einer Zeit, als Augustinus an Beweisen für die Unsterblichkeit der Seele interessiert war, hielt er solche Beweise für wichtig, aber doch zu wenig für seine Frage (sol. 2,1): »erit id quidem magnum, sed mihi est parum.« In den Confessiones spielt die herkömmliche Frage der Unsterblichkeitsbeweise keine Rolle; vgl. 5,4 (»deus […] recreans eos immortaliter«); 6,26 (im 86 | norbert fischer

Irrealis: »si essemus immortales«); 10,67 (homines »mortales et peccatores. tu autem, domine […] immortalis et sine peccato«); 10,68 (»homo Christus Iesus, inter mortales peccatores et immortalem iustum apparuit, mortalis cum hominibus, iustus cum deo«); vgl. weiterhin 11,9; 12,11; 13,18. 86 Des hl. Augustinus Betrachtung über die Zeit, 9; dort auch zur »Erstrecktheit des Währens des Anhaltens« und zum »Auslangen nach«. Vgl. auch 10: »Zeit ist nicht das bloße Nacheinander […] auch nicht das bloße ›Dauern‹, wie man die distentio vielfach nimmt; dieses erst die ›Folge‹ des erstreckten Übergang-haltens.« 87 Augustinus hätte sich mit der Unruhe des Suchens und der Vermeidung dogmatischer Antworten, soweit sie nur kraft menschlichen Denkens vollzogen werden, begnügen können, zumal existenziellen Stellungnahmen nicht vorgegriffen wird (vgl. SuZ 247 f.). 88 Vor allem conf. 10,38: »vocasti et clamasti et rupisti surditatem meam, coruscasti, splenduisti et fugasti caecitatem meam, flagrasti, et duxi spiritum et anhelo tibi, gustavi et esurio et sitio, tetigisti me, et exarsi in pacem tuam.« 89 In den Confessiones vgl. bes. 4,19 (»descendite, ut ascendatis«); weiterhin 10, 6.38.67 – 70; und 11,1. 90 Kant bedenkt die ›Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft‹. Ob er Sinn für andere Ursprünge der Religion hatte, bleibe hier offen. Kants Staunen ob der Schönheit der Natur ist aber zu beachten (KrV B 650). 91 KpV A 5; Richter ist laut Augustinus nur Gott; z. B. en. Ps. 85,3: »interior inspector est deus«; er ist laut Kant der ›Herzenskündiger‹; z. B. RGV B 139. Zur Parallele von ›inspector cordis‹ und ›Herzenskündiger‹ vgl. Norbert Fischer: Die Zeit als Problem in der Metaphysik Kants, 426 f. Heidegger ignoriert Kants praktische Philosophie. Unsachgemäß und irreführend sind auch Heideggers Thesen zu Metaphysik und Theologie im Denken Kants; vgl. GA 67,92. 92 Vgl. Totalité et Infini, bes. 173; dazu Norbert Fischer: Ethik und Gottesfrage. Zwei Zentren im ersten Hauptwerk von Emmanuel Levinas (›Totalité et Infini‹). Heideggers Defi zit könnte mit seiner Affinität zu Luther zu tun haben. 93 Vgl. den Geburtstagsbrief vom Juni 1918 an Elfride Heidegger, überschrieben: »Im ›Du‹ zu Gott« (HJB 1,76 – 78, hier 77; vgl. auch: »Mein liebes Seelchen!«, 315): »Das ›Du‹ Deiner liebenden Seele traf mich./ Das Erlebnis des Getroffenseins war der Anfang des Aufbruchs meines eigensten Selbst.« Ähnlich spricht Augustinus von der Gottesbegegnung, ähnlich spricht auch Levinas von der Beziehung zum Anderen und dadurch zu Gott. 94 Gott wird zugleich als ›Schöpfer‹ und als ›Heiliger‹ gedacht, auf den hin wir geschaffen sind. 95 Vgl. SuZ 269: »Der Gewissensruf hat den Charakter des Anrufs des Daseins auf sein eigenstes Selbstseinkönnen und das in der Weise des Aufrufs zum eigensten Schuldigsein.« Zu den Fragen, was gerufen wird (273), wer der Rufende ist und »wer der vom Ruf Gerufene ist« (274), heißt es (275): »Das Selbstsein und Gottsuche | 87

Dasein ruft im Gewissen sich selbst.« Wie das Gewissen in die Lage kommt, das Selbst »aus der Verlorenheit in das Man« aufzurufen, wäre weiter zu untersuchen. Daß es die Beziehung zu Anderem oder den Anderen ist, die das Selbst konstituiert und zum Sich-selbst-rufen befähigt, kommt nicht in Heideggers Blick; vgl. aber den Brief an seine Frau Elfride (vgl. oben Fn 93). 96 Er blendet denkerisch die Seite des faktischen, atheoretischen Lebens aus, die jeder kennt und die Elfride im bitteren, nicht abgeschickten Brief an ihn notiert hat (»Mein liebes Seelchen!«, 314 f.; vgl. zum Hintergrund 310 f.). 97 Vgl. dazu Norbert Fischer: Einleitung (Augustinus: Suche nach dem wahren Leben), XXIX.XXXVI.XXXIX. 98 Diese Titel sind als Bezeichnungen für Berufe (mit Alimentierung) geradezu blasphemisch: wer wird sich wohl selbst klaren Verstandes und lauteren Gewissens selbst als ›Theologen‹ oder als ›Philosophen‹ bezeichnen? 99 OVM (GA 11), 63. Diese Maßgabe hat Heidegger in den vorliegenden Abschnitten von Sein und Zeit befolgt. Da Heidegger ein Leser Meister Eckharts war, ist es nicht unangebracht, ein zur Sache gehöriges Wort dieses Denkers anzufügen. Meister Eckhart sagt (Deutsche Werke 5, 292): »der sprichet aller schoeneste von gote, der von der vülle des inwendigen rîchtuomes allermeist kan von im geswîgen.« 100 An Hannah Arendt; Briefe 130 (vom 2. 10. 1951). Vgl. auch Otto Pöggeler: Heidegger und Bultmann, 50. 101 Die Art, wie Augustinus den Glauben an das Dasein Gottes rechtfertigt, kann so beurteilt werden, daß sie nicht auf einen ›Gottesbeweis‹ hinausläuft ; vgl. z. B. lib. arb. 2,4 – 41; oder in Kurzform: conf. 10,8. Augustinus ist es dort nicht um Gottesbeweise gegangen, sondern um die Sicherung der Vernünft igkeit des Gottesglaubens. 102 Heidegger hat sich auch distanziert zu Augustinus geäußert; vgl. AuN 247 f. (Anhang I: Zur Destruktion von Confessiones X): »Memoria nicht existenziell vollzugshaft , sondern griechisch, gehaltlich abfallend, nicht wie ›es war‹ mit ihm und ›ist‹, daß die Wahrheit unveränderlich ›Bestand‹ hat, wohin er sich dann wegwirft und einordnet. Aber immer dabei radikal existenzielle Bewegungen.« Die Distanz fi ndet sich, soweit Augustins »Grundtendenz noch griechisch ist, was das Philosophieren bis heute bestimmt« (AuN 257; Anhang I: Deus lux). Vgl. auch Philippe Capelle: »Katholizismus«, »Protestantismus«, »Christentum« und »Religion« im Denken Martin Heideggers, bes. 363; Heidegger fi nde bei Augustinus »eine gewisse Abkehr von der Faktizität«, die »besonders spürbar« sei »im Verständnis der fruitio Dei«, denn das »Streben nach der Ruhe in Gott, dem summum bonum«, entreiße »das faktische Leben der ontologisch-zeitlichen Beunruhigung«. Die Eindeutigkeit dieser Interpretation ist aber problembeladen: Augustinus sieht als Quelle der Beunruhigung die ›excitatio‹ durch Gott (conf. 1,1); Heidegger sagt (AuN 272; Anhang II: Uti und frui): »Die fruitio Dei steht letzten Endes im Gegensatz zum Haben des Selbst«. Nicht Augustins Beziehung auf Gott ist Stein des Anstoßes für Heideg88 | norbert fischer

ger, sondern Einflüsse von seiten Plotins. Vgl. hierzu auch Costantino Esposito: Die Gnade und das Nichts. Zu Heideggers Gottesfrage, bes. 207 – 212. 103 Refl exion 6317: »Um zu beweisen, daß es für die Vernunft unvermeidlich sey, ein Daseyn Gottes anzunehmen und zwar nach einem Begriffe, der zum theoretischen sowohl als practischen Gebrauch unserer Vernunft , sofern sie auf die letzte Principien a priori ausgeht, hinreichend sey, mußte ich beweisen, daß die speculative Vernunft weder seinen Begrif mit sich selbst einstimmig geben noch ein solches Daseyn [beweisen] oder auch nur die Realität dieses Begrifs darthun könne.« Zum Sinn von Kants Gottesbeweiskritik vgl. Norbert Fischer: Der ontologische Gottesbeweis. Geschichtliche und philosophische Einführung. 104 Augustinus erklärt, Gott werde besser im Nichtwissen gewußt (ord. 2,44: »qui scitur melius nesciendo«); er sagt, es sei besser, ihn im Nichtfi nden zu fi nden, als ihn im Finden nicht zu fi nden (conf. 1,10: »non inveniendo invenire potius quam inveniendo non invenire te«). In conf. 10,8 prägt er den dreistufigen Weg der Aussagen zu Gott vor, der durch Dionysius PseudoAreopagita im Mittelalter als ›via affi rmativa‹, ›via negativa‹ und ›via eminentiae‹ Karriere gemacht hat; vgl. Norbert Fischer: Einleitung (Augustinus: Suche nach dem wahren Leben), XL. 105 Vgl. Einführung in die Phänomenologie der Religion (GA 60), 97. Nicht haltbar ist die These, es sei »niemals versucht worden«, »den Sinn der Gegenständlichkeit Gottes« nicht-spekulativ zu bestimmen, »weil die griechische Philosophie sich in das Christentum eingedrängt« habe. Sie tut implizit schon Platon Unrecht. Insofern ist der erste Teil der folgenden Feststellung Heideggers verfehlt (ebd.): »Nur Luther hat einen Vorstoß in diese Richtung gemacht, und daher ist sein Haß gegen Aristoteles erklärlich.« Nicht in Abrede zu stellen ist, daß z. B. Augustinus – wie jeder Gebildete – die geistige Luft einer bestimmten Zeit geatmet hat. Sofern er Denker ist, hat er sich vom Tradierten aber zu lösen vermocht. Für Ambrosius mag sich die griechische Philosophie (Plotins) noch unbemerkt in die Theologie gedrängt haben (wie später die Aristotelische in die des Albertus Magnus). Bei Augustinus spielt die griechische Philosophie (wie später bei Thomas, dessen denkerische Leistung in einem Zusammenbringen biblischer und Platonischer Motive mit dem Denken des Aristoteles zu sehen ist) eine kompliziertere Rolle. 106 Vgl. Otto Pöggeler: Drei Briefe Martin Heideggers an Karl Löwith, 29. 107 Vgl. Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Augustinus und die phänomenologische Frage nach der Zeit, 24 f.; weiterhin Norbert Fischer: Einleitung (Tusculum), 824 – 827. 108 Es ist zugleich das ungesagte ›Gesuchte‹, von dem her jedes Suchen »sein vorgängiges Geleit« hat (vgl. SuZ 5). 109 Platons Lehre von der Wahrheit. In: GA 9,227. Zum Nietzsche-Bild vgl. jetzt auch die große Monographie zu Nietzsche als Gottsucher von Edith Düsing: Nietzsches Denkweg. Theologie – Darwinismus – Nihilismus. Selbstsein und Gottsuche | 89

Nietzsche I. In: GA 6.1,327. Heidegger dämpft mit diesem Gedanken vor allem Nietzsches Ansprüche. 111 Vgl. conf. 12,7; so benennt Augustinus das Ziel, auf das die Menschen geschaffen sind und das in Sein und Zeit eine implizite Rolle spielt. Coloman Viola zeichnet überscharf Gegensätze zwischen Augustins und Heideggers Weisen zu fragen; vgl. Deux manières de questionner: Saint Augustin et Heidegger. Un essai de confrontation. 112 Zur Entfaltung der Idiomenkommunikation in Christus als dem Mittler vgl. conf. 10,67 – 70. 113 Wie die Analyse des alltäglichen Seins des Daseins auf das eigentliche Ganzseinkönnen des Daseins weist, so weist das eigentliche Selbstseinkönnen des Daseins auf die Gottsuche. Der dritte Abschnitt des ersten Teils ist eine Leerstelle geblieben, die als solche wahrgenommen werden muß, um Sein und Zeit angemessen zu verstehen. 114 Zum Beispiel an Hannah Arendt (Briefe 31); an Elisabeth Blochmann (Briefwechsel 23). 115 GA 60,312; vgl. Augustins Frage (conf. 10,11): »quis est ille super caput animae meae?« Dagegen Nietzsche: Also sprach Zarathustra (KSA 4,110): »Aber daß ich euch ganz mein Herz offenbare, ihr Freunde, wenn es Götter gäbe, wie hielte ich es aus, kein Gott zu sein! Also giebt es keine Götter.« Vgl. dazu Wilhelm Teichner: Gott und Mensch in der Entfremdung oder die Krise der Subjektivität. Zu Heideggers Augustinus-Interpretation vgl. auch Norbert Fischer: Zur Gnadenlehre in Augustins Confessiones – Philosophische Überlegungen zu ihrer Problematik, bes. 126 – 129 (Zur objektgeschichtlichen und zur vollzugsgeschichtlichen Auslegung von Texten). 110

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– Johannes Schaber OSB –

Heideggers frühes Bemühen um eine ›Flüssigmachung der Scholastik‹ und seine Zuwendung zu Johannes Duns Scotus Martin Heidegger habilitierte sich 1915 mit einer Arbeit über Die Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus.1 Im Vorwort würdigt er die in der zweiten Hälfe des 19. Jahrhunderts einsetzende mühevolle Erfassung mittelalterlicher Handschriften und die historisch-kritische Textedition scholastischer Werke.2 Die Quellenforschung und die vollständige Erschließung zuverlässigen Textmaterials sind die »unentbehrliche Grundlage für jedes weitere Eindringen in den Gedankengehalt der Scholastik« (KBDS 136). Heidegger gibt jedoch zu Bedenken, daß »mit der bloßen Ansammlung, Registrierung und inhaltlichen Wiedergabe […] noch nicht alle Vorbedingungen für eine Auswertung des mittelalterlichen philosophischen Gedankengutes erfüllt« sind (KBDS 136). Er sieht nämlich neben der historisch-literargeschichtlichen eine zweite, in seinen Augen weit wichtigere Zugangsweise zum Gedankengehalt der Scholastik, die theoretisch-philosophische bzw. problemgeschichtliche (KBDS 137). Nähert man sich über diese dem Gedankengehalt der Scholastik, stellt man bald fest, daß der mittelalterlichen Philosophie im Unterschied zur modern-neuzeitlichen ein ausgeprägtes Methodenbewußtsein fehlt (KBDS 141; vgl. GA 1,53): »Mangel an Methodenbewußtsein soll besagen: es gelingt dem mittelalterlichen Menschen nicht, mit einem gewissen geistigen Ruck sich über die eigene Arbeit zu stellen, über die Probleme als Probleme, über die Möglichkeit und Art ihrer Bemächtigung, ihren Zusammenhang mit anderen und ihre Tragweite bewußt zu reflektieren; wenigstens ist das im philosophischen Denken des Mittelalter so.« Durch die Anleitung seines Lehrers Heinrich Rickert lernte Heidegger nach eigenem Bekunden die philosophischen Probleme allererst als Probleme zu erkennen (KBDS 216; GA 16,38). Bei seiner Habilitation 1915 war seine philosophische Grundüberzeugung aus| 91

drücklich noch die der aristotelisch-scholastischen Philosophie (GA 16,38), dennoch galt sein Bemühen dem Versuch, die Scholastik mit dem Methodenbewußtsein und der wissenschaftstheoretischen Einstellung der modernen Philosophie auszuwerten, weil er erkannt hatte, »daß das in ihr niedergelegte Gedankengut eine weit fruchtbarere Auswertung und Verwendung zulassen müsse und fordere« (GA 16,38). Die Methode einer problemgeschichtlichen Betrachtung der Scholastik mit den Mitteln der modernen Philosophie (KBDS 135) nennt Heidegger die prinzipielle Flüssigmachung scholastischen Gedankenguts (KBDS 146.341). Als Heidegger am 13. Dezember 1915 beim Freiburger Metropolitankapitel zum dritten Mal den Antrag um ein Stipendium einreicht, bekennt er sich letztmalig zu seiner aristotelisch-scholastischen Grundeinstellung: »Der gehorsamst Unterzeichnete glaubt in etwa wenigstens hochwürdigstem erzbischöflichen Domkapitel für sein wertvolles Vertrauen dadurch stets danken zu können, daß er seine wissenschaftliche Lebensarbeit einstellt auf die Flüssigmachung des in der Scholastik niedergelegten Gedankengutes für den geistigen Kampf der Zukunft um das christlich-katholische Lebensideal.«3 Um sein Programm der Flüssigmachung der Scholastik und seine Zuwendung zu Johannes Duns Scotus in ihrer philosophischen Tragweite verstehen zu können, ist es notwendig, seine beiden leitenden Forschungsinteressen zu sehen, die zum Thema seiner Habilitation geführt haben: zum einen die philosophische Logik als der Grunddisziplin der katholischen Apologetik und zum anderen das Verhältnis von mittelalterlicher Scholastik und modernneuzeitlicher Philosophie. In einem ersten Schritt versuchen wir, Heideggers Philosophieren aus dem Geist der katholischen Apologetik zu verstehen. In einem zweiten beleuchten wir, wie er durch seinen Lehrer Carl Braig und die Schriften Herman Schells zu seiner scholastisch-aristotelischen Grundhaltung findet, die grundsätzlich zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit der neuzeitlichen Philosophie bereit ist. Mit dem dritten Schritt verfolgen wir, wie Heidegger in der Begegnung mit Heinrich Rickert und Emil Lask ein ›modernes Methodenbewußtsein‹ entwickelt, das er braucht, um sein Programm der Flüssigmachung der Scholastik im Bereich der Logik am Beispiel des Franziskaners Johannes Duns Scotus (1265/66 – 1308) exemplarisch 92 | johannes schaber osb

umzusetzen. In einem vierten Schritt fragen wir danach, wie Heideggers Programm von den verschiedenen philosophischen Positionen der Fachwelt aufgenommen wurde, um abschließend noch zu verfolgen, wie sich Heideggers Scholastikverständnis bis zum Erscheinen von Sein und Zeit (1927) wandelt.

1. Der Theologiestudent Martin Heidegger und die katholische Apologetik Als der Priesteramtskandidat Martin Heidegger (1909 – 1911) aus gesundheitlichen Gründen für das Sommersemester 1911 vom Theologiestudium beurlaubt wird, sucht er nach Perspektiven für seine Zukunft und tauscht sich brieflich mit Ernst Laslowski darüber aus. Der Freund empfiehlt ihm am 20. April 1911, das ursprüngliche Ziel, katholischer Priester zu werden, weiterhin anzustreben, das Theologiestudium fortzusetzen und eine Habilitation im Fach Apologetik vorzubereiten: »Warum? […] Wie ich Dich aus Deinen Äußerungen und Arbeiten kenne, so herrscht immer ein Zug vor – der apologetische. In Verbindung mit Punkt 2 gebracht glaube ich fürchten zu müssen, daß in Deinen Arbeiten – rein praktisch genommen in Hinsicht auf eine Habilitation als Fachphilosoph – diese Tendenz bei den leider Gottes maßgebenden Kreisen Anstoß erregen möchte. Würdest Du Apologet, so bedeutete diese, sagen wir, ›unpraktische Ehrlichkeit‹ eine gewaltig treibende Kraft.«4 Auch wenn Heidegger dem Rat seines Freundes Laslowski nicht gefolgt ist und ab dem Wintersemester 1911/12 statt katholischer Theologie nun Mathematik, Geschichte und Philosophie studierte, so blieb doch seine leitende Fragestellung nach wie vor eine apologetische. Heidegger begegnete der katholischen Apologetik erstmals im Religionsunterricht auf dem Berthold-Gymnasium in Freiburg (1906 – 1909). Sein Lehrer Leonhard Schanzenbach erteilte den Religionsunterricht in der Obersekunda nach der Kleine[n] katholische[n] Apologetik für reifere Schüler höherer Lehranstalten des Freiburger Domkapitulars Theodor Dreher. Das Büchlein beginnt mit der Definition: »Apologetik heißt Verteidigungslehre. Die christliche Apologetik hat die Aufgabe, das Christentum gegen die Einwände seiner Gegner zu verteidigen. Der gebildete Katholik soll Heideggers ›Flüssigmachung der Scholastik‹ | 93

wissen, wie er jedem zu antworten hat (Kol 4, 6).« In der Unter- und Oberprima folgte Schanzenbach dem vierteiligen Lehrbuch der katholischen Religion für Obergymnasien desselben Autors.5 Der erste Teil Die Göttlichkeit des Christentums beinhaltet eine Apologetik, die in ihrem dreiteiligen Aufbau (1) »Die natürliche Gotteslehre« – (2) »Die vorchristliche Offenbarung / Die christliche Offenbarung« – (3) »Die Lehre von der Kirche« dem seit Pierre Charrons Werk Les trois vérités contre tous Athéés, Idolatres, Juifs, Mahométans, Hérétiques et Schismatiques (Bordeaux 1593) üblich gewordenen systematischen Schema der katholischen Apologetik folgt.6 Ihr erstes Kerngebiet (demonstratio religiosa) fragt gegen den Atheismus nach der Begründung von Religion und im Zuge der Religionsbegründung nach dem Verhältnis von Gottesglauben und Rationalität (Vernunft / Denken / Wissen). Das zweite Kerngebiet (demonstratio christiana) setzt das Christentum von allen anderen Religionen ab, fragt nach der Bedeutung der Offenbarung in Jesus Christus und erarbeitet eine Grundlegung des christlichen Glaubens. Das dritte Kerngebiet (demonstratio catholica) richtet den Blick auf die christlichen Konfessionen und rechtfertigt in Ablehnung des Protestantismus Grund und Wahrheit, Funktion und Gestalt der katholischen Kirche.7 Theodor Dreher bringt die Gliederung der katholischen Apologetik auf die Kurzformel: »Das Christentum ist die wahre Religion und das wahre Christentum ist die katholische Kirche.«8 Gleich zu Beginn seines Theologiestudiums vertiefte Heidegger seine bereits vorhandenen Kenntnisse der Apologetik in den Vorlesungen bei Professor Heinrich Straubinger über die Theorie der Religion im ersten (WS 1909/10) und über die Theorie der Offenbarung und der Kirche im zweiten Semester (SS 1910; vgl. HJB 1,13 f.). Im dritten Semester (WS 1910/11) kam er in Kontakt mit dem Dogmatiker Carl Braig, dem er für seinen Denk- und Lebensweg Entscheidendes verdanken sollte.9 Braigs lebenslanges Hauptanliegen als Philosoph und Theologe war ein apologetisches.10 Seine Tübinger Studienzeit fiel in die Jahre nach dem Ersten Vatikanischen Konzil (1870), das in seiner dogmatischen Konstitution Dei Filius das Verhältnis von Glaube und Wissen / Vernunft umschrieben und damit die nachfolgende Entwicklung der Apologetik entscheidend geprägt hatte. Glaube und Wissen sind zwei Instrumente der Erkenntnis, die einander 94 | johannes schaber osb

helfen und bereichern, nie aber widersprechen können (vgl. DH 3015 – 3020). Auch die päpstliche Enzyklika Aeterni Patris (1879) empfiehlt den Gebrauch der Philosophie als natürliches Hilfsmittel zur Wahrheitsfindung (vgl. DH 3135 f.) und fordert nachdrücklich dazu auf, »zum Schutz und zur Zierde des katholischen Glaubens, zum Wohle der Gesellschaft und zum Wachstum aller Wissenschaften die goldene Weisheit des heiligen Thomas wiederherzustellen und möglichst weit zu verbreiten« (DH 3140). Die Anstöße von Konzil und Enzyklika aufgreifend, setzt sich der junge Braig 1881 in seiner Abhandlung Die natürliche Gotteserkenntnis nach dem hl. Thomas von Aquin mit der Frage nach der Vereinbarkeit von Glaube und Wissen auseinander.11 Für ihn ist die Philosophie die wissenschaftliche Form des natürlichen Wissens und die Theologie die des übernatürlichen Glaubens. Die Philosophie geht der Theologie voran. Zwischen Philosophie und Theologie tritt, je nach Standpunkt, die Apologetik oder die Religionsphilosophie. Die Apologetik erschließt sich den Glauben aus der Innenperspektive, indem sie ihn in Form und Inhalt mit den Möglichkeiten der Vernunft als plausibel nachzuzeichnen versucht; im Wissen vergewissert sie sich des im Glauben bereits Erkannten. Die Religionsphilosophie dagegen blickt unberührt vom Glauben von einer Außenperspektive auf ihn.12 Im Fächerkanon kommt die Philosophie vor der Apologetik: »Philosophie, Apologetik, Dogmatik – diese Reihenfolge der Hauptdisciplinen stellt sich in unserm apologetischen Zeitalter als die naturgemäßeste und zweckentsprechendste dar, um gründliche Rechenschaft zu erlernen für das Christenthum gegen die antichristliche Wissenschaft.«13 1889 übersetzte Braig die vielgerühmte Apologie scientifique de la foi chrétienne des französischen Kanonikus François Duilhé de Saint-Projet.14 In der ausführlichen Einleitung formuliert er die zweifache Aufgabe der Apologetik als Wissenschaft: »Wir müssen die Alten gründlich kennen, um nicht bloß die dogmatischen Verkettungen der christlichen Weltansicht, sondern zumeist um deren dialektischen und systematischen Zusammenhang mit den Principien der unmittelbaren Erfahrung und des natürlichen Erkennens zu durchschauen. Sodann müssen wir die Meinungen der Gegner verstehen in ihren ersten Voraussetzungen und in ihren letzten speculativen Consequenzen, um nicht die Auch-Berechtigung des christlichen Theismus, sondern die Allein-Berechtigung unserer Wahrheit verfechten zu können.«15 Heideggers ›Flüssigmachung der Scholastik‹ | 95

a) Das Verhältnis von mittelalterlicher Scholastik und neuzeitlicher Philosophie nach Carl Braig, Herman Schell und Martin Grabmann Die erste Aufgabe, nämlich die Prinzipien der unmittelbaren Erfahrung und des natürlichen Erkennens zu erforschen, läßt sich nur verwirklichen, »wenn«, so Braig, »wir uns aufs engste anschließen an die überlieferte Theologie in der alten Scholastik, wie die Encyklika Aeterni Patris dies vorgeschrieben. Dort haben wir die Beweise und die Principien zu suchen, welche stark und ausgiebig genug sind, um alle neuen Schwierigkeiten zu überwinden.«16 Er warnt allerdings davor, nur Sätze scholastischer Theologen zu wiederholen: »Wir werden uns überzeugen, daß es in keiner Weise genügen kann, die Ansichten unserer Ahnen nur übersetzungsmäßig zu wiederholen und zu sagen: das Neue ist falsch, wo immer es nicht mit dem Alten stimmt. Nicht dürfen wir betonen: Sanct Thomas schon hat diesen und jenen Satz gegen diesen und jenen Irrthum der Neuzeit. Wir müssen vielmehr bedenken: wie würden ein Augustinus, ein Thomas, selbständig und allen Umständen Rechnung tragend, diese und jene moderne Meinung anfassen?«17 Braig fordert, nicht einfach die scholastische Philosophie zu wiederholen, sondern nach scholastischer Art zu philosophieren, mit anderen Worten: »Studiren wir nicht blos die Philosophie von St. Thomas, studiren wir auch Philosophie wie St. Thomas.«18 Der ›alten‹ Philosophie der Scholastik setzt Braig die ›neue‹, moderne Philosophie seit Immanuel Kant und dem Deutschen Idealismus entgegen19 und betont dabei: »Der Hauptgewinn, welchen uns das Studium der neueren Philosophie vermittelt, ist der apologetische.«20 Auch Hermann Schell (1850 – 1906) betonte die Notwendigkeit, nicht einfach zu wiederholen, was einmal gesagt wurde, sondern darüber nachzudenken, wie frühere Denker heute antworten würden. Da die meisten der neueren apologetischen Methoden die alte scholastisch-thomistische Apologetik ablehnten, schreibt Schell in seiner Apologie des Christentums: »Ich halte dafür, daß die aristotelisch-thomistische Philosophie einen bleibenden Wahrheitsbestand, eine philosophia perennis enthalte und der Gesamtphilosophie immer mehr übermitteln werde: nämlich das Zutrauen auf die Kraft der Vernunft, die absolute Geltung des Kausalgesetzes, die streng 96 | johannes schaber osb

empiristische Grundlegung unserer wissenschaftlichen Erkenntnis. Darin besteht der metaphysische Intellektualismus und das wahre Wesen der thomistischen Philosophie.«21 Wenn Schell den Thomismus verteidigt, spricht er nicht vom mittelalterlichen Thomismus mit seinen zeitgeschichtlichen Mängeln und seinem gegenüber vielen Problemen der Neuzeit nur eingeschränkten Bewußtein, sondern vom Kern des Thomismus, der sich dem neuzeitlichen Denkgeist und Wissenschaftsideal stellt und sich dadurch weiterentwickelt.22 Diese Sicht der scholastischen Philosophie lehnt das neuzeitliche und moderne Denken nicht ab, sondern greift seine Fragestellungen auf und versucht, sie mit den Erkenntnissen einer weiterentwickelten aristotelisch-scholastischen Philosophie zu beantworten. In der Wertschätzung einer weiterentwickelten Scholastik kommen Carl Braig und Herman Schell überein.23 Ihre Haltung hat auch der junge Martin Heidegger übernommen, der seine Position in Martin Grabmanns (1875 – 1949) ›instruktiver‹ Wiener akademischer Antrittsrede vom 14. April 1913 wiederfand (KBDS 135). Grabmann unterscheidet drei Momente des Gegenwartswertes der geschichtlichen Erforschung der mittelalterlichen Philosophie: »Die vertiefte geschichtliche Erkenntnis der Philosophie des Mittelalters gibt einmal den rechten Maßstab zur Bewertung und Beurteilung dieser Philosophie, gewährt sodann wertvolle Licht- und Richtpunkte für die systematische Darstellung der christlichen Philosophie und zeigt uns endlich auch den Weg zur Weiterbildung und zur Verwertung der scholastischen Philosophie für die philosophischen Fragen und Kämpfe der Gegenwart.«24 Nachdem er die ersten beiden Momente erörtert hat, fragt er im Blick auf den dritten Aspekt: »Hat die Durchforschung der Scholastik lediglich historischen Erkenntniswert und inhaltliche sachliche Verwendbarkeit für einen bestimmten Bezirk philosophischen Arbeitens, oder aber kann die mittelalterliche Spekulation auch über die Kreise und Bedürfnisse der katholischen Theologie hinaus mit dem modernen Denken in sachliche Fühlung treten und so eine Macht im gegenwärtigen Ringen und Kämpfen um eine befriedigende philosophische Welterklärung darstellen?«25 Grabmann referiert die teilweise weit auseinandergehenden Ansichten neuscholastischer und moderner Philosophen über den Gegenwartswert der mittelalterlichen Philosophie.26 Rudolf Eucken Heideggers ›Flüssigmachung der Scholastik‹ | 97

(1846 – 1926) äußert sich zwar voller Anerkennung über das wissenschaftliche Lebenswerk eines Thomas von Aquin, dem Thomismus hingegen mißt er keinen sachlichen Gegenwartswert zu.27 Auch Wilhelm Dilthey (1833 – 1911) findet zwar lobende Worte über die christliche Philosophie der Antike und der Scholastik. Weil diese aber engstens mit der Eigenart der mittelalterlichen Menschen und ihren sozialen Lebensbedingungen zusammenhängen, die in der Gegenwart nicht mehr existieren, hat die christliche Philosophie für den modernen Menschen auch keine Bedeutung mehr.28 Grabmann sieht beim entgegengesetzten neuscholastischen Standpunkt eine ähnliche Auffassung gegeben, die besagt, daß es zwischen der aristotelisch-scholastischen und der modernen Philosophie keinerlei Verbindungslinie gebe, weil die Neuscholastik die moderne Philosophie so pessimistisch und negativ beurteilt, daß eine Verbindung und Auseinandersetzung als unmöglich erscheint. Grabmann sucht einen Mittelweg: »Diese Übereinstimmung zweier ganz verschiedener Richtungen scheint mir doch darauf hinzuweisen, daß hier Extreme sich berühren, daß dazwischen ein mittlerer Weg denkbar und gangbar ist.«29 Diesen umschreibt Grabmann so: »Wir handeln deshalb ohne Zweifel im Sinne dieser großen Denker der Vorzeit, wir betätigen uns sicher ad mentem D. Thomae, wenn wir die aus den Quellen geschöpften, im geschichtlichen Zusammenhang aufgefaßten philosophischen Gedanken der Scholastik in unsere Zeit hineinstellen und uns fragen, ob und inwiefern die scholastische, sonderlich die thomistische Philosophie in die philosophische Bewegung der Gegenwart eingreifen kann. Bei Lösung dieser Frage nach dem sachlichen Gegenwartswert der aristotelisch-scholastischen Philosophie müssen alle Vorurteile hüben und drüben schweigen.«30 Der sachliche Gegenwartswert der geschichtlichen Erforschung der mittelalterlichen Philosophie zeigt und bewährt sich, »wenn die richtig und allseitig erkannte Philosophie der Scholastik mitten in die Fragen, Strömungen und Kämpfe der Philosophie der Gegenwart hineingestellt wird. Hier muß es sich zeigen, ob ein Albertus Magnus, ein Thomas von Aquin u. a. auch dem modernen Denker, der sich ehrlich auf die tiefsten Fragen des Menschengeistes besinnt, noch etwas zu sagen haben.«31 Carl Braig war der Überzeugung, daß sich die Erforschung der Prinzipien der unmittelbaren Erfahrung und des natürlichen Er98 | johannes schaber osb

kennens als der ersten Aufgabe der Apologetik nur im Anschluß an die Scholastik verwirklichen ließe. Mit Herman Schell und Martin Grabmann spricht er jedoch von einer Scholastik, die sich nicht gegen die modern-neuzeitliche Philosophie abschließt, sondern in der Auseinandersetzung mit ihr weiterentwickelt. Diese Offenheit führte Martin Heidegger zu seiner problemgeschichtlichen Einstellung gegenüber der Scholastik.

b) Die Logik als Grundwissenschaft der Apologetik Die zweite Aufgabe der Apologetik besteht nach Carl Braig darin, die ersten Voraussetzungen und die letzten Konsequenzen des Lehrgebäudes der Gegner zu kennen. Ihre Widerlegung muß an dem Punkt ansetzen, an dem die Gegner von der Wahrheit abzuirren beginnen: »Habe ich das Principium der Irrung erkannt für einen Gegner, für eine Zeit, dann obliegt mir bei der Vertheidigung der Wahrheit keine andere Aufgabe, als in allen Bewegungen des Irrthums die fälschende Direction des Anfangstoßes nachzuweisen.«32 Braig war überzeugt: »Die Irrthümer grosser Geister sind oft eine tüchtigere Schule als die matten Wiederholungen von Wahrheitssätzen«,33 wenn man nach ihrem proton pseudos, nach dem ersten, zumeist erkenntnistheoretischen oder logischen Fehler ihres Lehrgebäudes sucht, um die Voraussetzungen ihres Systems zu erschüttern.34 »Braig unterscheidet zunächst formale und materiale Irrtumsquellen. Die formale Seite des Irrtums betreffe die Zusammenoder Entgegenstellung von Subjekt und Prädikat, die richtig oder unrichtig sein könne. Die materiale Seite bestehe in dem Inhalt des Subjekts- oder Prädikatsbegriffes, in dem ein Irrtum stecken könne. Formale Irrtümer seien die Denkfehler, die in der Logik behandelt werden. Die materialen Irrtumsquellen seien die Erkenntnisfehler, die wiederum unterschieden werden in theoretische und praktische, je nachdem ob sie auf dem Gebiet des reinen Erkennens oder dem des Wollens und Handelns anzutreffen seien. Die Möglichkeit des Irrtums liege nicht im Erkenntnisvermögen selbst beschlossen.«35 Braigs apologetische Methode besteht darin, die eigenen Grundanschauungen logisch durchzubilden und ein gründliches Verständnis der eigenen Stamm- und Leitbegriffe zu gewinnen, während man Heideggers ›Flüssigmachung der Scholastik‹ | 99

beim Gegner versucht, ein logisch-erkenntnistheoretisches Defizit seiner Prinzipien auszumachen.36 Aus diesem Grund sind die Logik und die Noetik die wissenschaftlichen Grunddisziplinen der Apologetik: »Logik im Suchen, Prüfen und Darstellen, in den Dingen des reinen Wissens strengste Logik, die auf Affekte nichts, auf Argumente alles giebt.«37 In seiner Zeit als Professor für theologische Propädeutik (1893 – 1897) vertrat Carl Braig die Fächer Logik, Erkenntnistheorie und Metaphysik und konzipierte ein zehnbändiges Werk Grundzüge der Philosophie, von dem jedoch nur drei Bände erschienen sind: Band 2 : Vom Denken. Abriß der Logik (Freiburg 1896); Band 3: Vom Erkennen. Abriß der Noetik (Freiburg 1897) und Band 4: Vom Sein. Abriß der Ontologie (Freiburg 1896). Nach seiner Ernennung zum Professor für Dogmatik 1897 fand er nicht mehr die Zeit, die sieben noch fehlenden Bände auszuarbeiten.38 Carl Braig sucht ein Denken, das Gegenstand einer eigenen Wissenschaft werden könne. Die Logik als die Lehre vom Denken, wie es sein soll, untersucht die Regeln und Formen des Denkens und ihren gesetzmäßigen Gebrauch. Ihre Vollendung findet die Logik in der Erkenntnis, »die die formale Denkrichtigkeit mit der dem Erkannten eignenden ontologischen Wahrheit zusammenführe zur noetischen Wahrheit.«39 Logik und Noetik, Denken und Erkennen, sind die grundlegenden Disziplinen der Apologetik als Wissenschaft. Um ihre Aufgabe, die Begründung der Religion und die Verteidigung des Glaubens und der Wahrheit des Christentums mit den Mitteln der Vernunft bewältigen zu können, wählt Braig als methodischen Weg den Nachweis der logischen Widersprüche und erkenntnistheoretischen Fehler in den Grundannahmen und Prinzipien (proton pseudos) der Gegner. Die große apologetische Herausforderung sah Braig im Modernismus, der aus der neuzeitlichen Philosophie erwachsen ist. Wegen seiner vielen Irrtümer forderte Braig immer wieder das intensive Studium der neuzeitlichen Philosophie und die Widerlegung ihrer Grundprinzipien. Zwei vatikanische Verlautbarungen des Jahres 1907 gegen den Modernismus führten in Deutschland zu einer viele Jahre andauernden und heftig ausgetragenen Krise. Die päpstliche Enzyklika Pascendi dominici gregis vom 8. September wandte sich vor allem gegen den »methodischen Agnostizismus (Verwendung 100 | johannes schaber osb

säkularer wissenschaftlicher Methoden in der Theologie), vitalen Immanentismus (Religion eine Sache des Erlebnisses und der Erfahrung), den Symbolismus (die Dogmen sind nur die Symbole des eigentlich gemeinten Glaubens) und Evolutionismus (es gibt in Sachen des Dogmas und des Amtes eine geschichtliche Entwicklung).«40 Als ›Vater‹ oder ›Ahnherr‹ des Modernismus galt auf katholischer Seite Immanuel Kant.41 Gegen ihn und den Deutschen Idealismus, gegen die neuzeitliche Subjektivität, die neuprotestantische Gefühlsreligion und den liberalen Freiheits- und Fortschrittsgedanken wurde das Studium der neuscholastischen Philosophie und Theologie angeordnet, weil in der Scholastik die objektive Norm, die Autorität und die Tradition als höchste Werte galten.42 Die Enzyklika kritisierte den Irrationalismus und Psychologismus des modernistischen Religionsverständnisses, das »die Wahrheit der christlichen Glaubensverkündigung mit den gefühlsbedingten Produkten der Einbildungskraft verwechselt, die aus dem Unterbewußtsein hervorbrechen.«43 Da der Irrtum der neuzeitlichen Philosophie seit Immanuel Kant und dem Deutschen Idealismus wie auch die falsche Herleitung der Religion aus dem Gefühl als einem Bedürfnis nach dem Göttlichen seit Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher mit dem Protestantismus seit der Reformation des 16. Jahrhunderts aufgekommen ist, sieht Braig die entscheidende Aufgabe der Apologetik darin, »alle Instanzen, welche vom philosophischen Standpunkt aus gegen das Christenthum vorgebracht sind und geltend gemacht werden können, durchzugehen und zurückzuweisen. Daher ist kein anderer Ausweg: gerade die neuere Philosophie muß im apologetischen Interesse eingehend studiert werden, weil sie sich zur Universalleugnung des Christenthums ausgestaltet hat.«44

2. Martin Heideggers Philosophie aus dem Geist der katholischen Apologetik Heidegger studierte ab dem Wintersemester 1909/1910 zunächst katholische Theologie (GA 16,37): »Hier beschäftigte ich mich vorwiegend mit Philosophie und zwar von Anfang an grundsätzlich aus den Quellen (Aristoteles, Augustinus, Bonaventura, Thomas von Aquin).« In seiner Vita von 1922 heißt es: »Die damals vorgeHeideggers ›Flüssigmachung der Scholastik‹ | 101

schriebenen philosophischen Vorlesungen befriedigten mich wenig, so daß ich mich auf das Selbststudium der scholastischen Lehrbücher verlegte. Sie verschafften mir eine gewisse formale logische Schulung, gaben mir aber in philosophischer Hinsicht nicht das, was ich suchte, und auf apologetischem Gebiet durch die Werke von Herman Schell gefunden hatte.«45 Bei den ›wenig befriedigenden Vorlesungen‹ spielt Heidegger auf Johann Uebingers Vorlesungen im Wintersemester 1909/10 und Sommersemester 1910 über Logik und Metaphysik an. Im zweiten Semester konzentrierte sich seine theologische Arbeit auf die neutestamentliche Exegese und Patristik bei Professor Gottfried Hoberg, der im Sommersemester 1910 über Hermeneutik mit Geschichte der Exegese las.46 Im dritten Semester fand er in dem Dogmatiker Carl Braig, dessen antimodernistische und apologetische Grundeinstellung er teilte, den ersten Lehrer, dem er die entscheidende Bestimmung für seine eigene spätere akademische Lehrtätigkeit verdanken sollte (GA 1,57). Die Logik ist die Grunddisziplin der Apologetik. Weil die Modernisten gemäß ihres Prinzips der ›vitalen Immanenz‹ an die Stelle der unabweisbaren Denk- und Erkenntnisgründe nunmehr Empfindungen und Gefühlsstimmungen setzen, kämpft Braig gegen den Immanentismus und Psychologismus. Sein Schüler Heidegger studierte, aus apologetischem Interesse, »um über die Lehrbuchphilosophie hinaus ein Problemverständnis zu gewinnen«, auf eine Anleitung Braigs hin, »Lotze und Husserl« (GA 16,41), konkret: Husserls Widerlegung des logischen Psychologismus in seinen Logischen Untersuchungen (GA 16,37), die für Heideggers wissenschaftlichen Entwicklungsgang entscheidend werden sollten (GA 16,37f.). Auch wenn Heidegger das Theologiestudium nach vier Semestern abbrach und zum Wintersemester 1911/12 in die naturwissenschaftlich-mathematische Fakultät wechselte, galt sein Hauptinteresse nach wie vor a) der Logik als der philosophischen Grundlehre der Apologetik und b) den drei Kernbereichen der Apologetik. Heidegger veröffentlichte während seines Studiums zahlreiche Buchbesprechungen. Sieht man bei den besprochenen Büchern von denjenigen auf dem Gebiet der Literatur ab, so gehören alle thematisch zu einem der drei Kerngebiete der Apologetik (Atheismus / Religion – Christentum / Offenbarung – Kirche / Katholizismus) oder zu deren Grunddisziplin, der philosophischen Logik.47 102 | johannes schaber osb

Im März 1911, noch als Student der Theologie, veröffentlicht Heidegger seinen ersten Aufsatz Zur philosophischen Orientierung für Akademiker (GA 16,11 – 14). Darin bedauert er, daß der feinfühligen modernen Seele die strenge Logik widerstrebe, weil sie sich nicht mehr »in die unverrückbaren ewigen Schranken der logischen Grundsätze« einzwängen lassen wolle (GA 16,11). Heidegger richtet sich gegen den ›vitalen Immanentismus‹.48 Deshalb müsse dem jungen studierenden, nach Wahrheit drängenden Geist bewußt sein (GA 16,12): »Über die Dringlichkeit einer gründlicheren apologetischen Durchbildung herrscht kein Zweifel.« Im Aufsatz Das Realitätsproblem in der modernen Philosophie (GA 1,1 – 15) von 1912 zeigt sich Heideggers, unter dem Einfluß von Carl Braig stehende apologetische Methode schon sehr deutlich. Bevor er sich der modernen Philosophie zuwendet, sucht er in einem ersten Schritt ›die historische Grundlage für die Diskutierung des Problems‹, nämlich den Punkt, an dem er den ›ersten Irrtum‹ vermutet: Es »sei in Kürze bemerkt, daß die Denkweise der griechischen Philosophie durch einen kritischen Realismus orientiert ist; realistisch denken die Neuplatoniker, die Philosophen des Mittelalters und der Neuzeit. Sind auch hinsichtlich der Bestimmung des Realen reiche Modifikationen anzutreffen, über die Setzung eines Transsubjektiven herrscht Einstimmigkeit. Erst durch Berkeley gerät die Position des Realismus ins Wanken.« (GA 1,1 f.) Nachdem Heidegger die Fragestellung der modernen Philosophie klar herausgearbeitet hat, geht er an ihre Widerlegung anhand zweier Gegenpositionen (GA 1,3): »Mithin charakterisieren sich die herrschenden erkenntnistheoretischen Richtungen als Konszientialismus (Immanentismus) und Phänomenalismus, Anschauungen, die eine Bestimmung des Realen oder sogar, wie die erste, auch eine bloße Setzung einer bewußtseinsunabhängigen Außenwelt als unzulässig und unmöglich dartun wollen.« Heidegger erweist die Begründung des Konszientialismus, also seine ersten Prinzipien, »als nicht stichhaltig« (GA 1,9). Genauso widerlegt er den Phänomenalismus, was ihm nun die positive Grundlegung der eigenen Position ermöglicht (GA 1,11): »So ablehnend sich die beiden Richtungen einer Realisierung gegenüber auch zeigen, indirekt haben sie doch zu einer vertieften Fassung und allseitigen, sicherer begründeten Lösung des vorliegenden Problems gedrängt.« Nach der Realitätsbestimmung im Heideggers ›Flüssigmachung der Scholastik‹ | 103

Sinne eines kritischen Realismus schließt Heidegger seinen Aufsatz, in dem er bislang ausschließlich von der modernen Philosophie sprach, mit einem überraschenden Hinweis auf seine Grundposition (GA 1,15): »Die aristotelisch-scholastische Philosophie, die von jeher realistisch dachte, wird diese neue erkenntnistheoretische Bewegung nicht aus dem Auge verlieren; positiv fördernde Arbeit muß ihr angelegen sein.« Heidegger läßt hier bereits erkennen, daß ihm die Fortentwicklung der alten Scholastik in der Auseinandersetzung mit der modernen Philosophie wichtig ist, was ihn in seiner Habilitationsschrift drei Jahre später zu einer »prinzipiell neuen Bearbeitungsart der mittelalterlichen Scholastik« führen wird, bei der er den »systematischen Gehalt der mittelalterlichen Scholastik wenigstens in den wichtigsten Problemkreisen flüssig zu machen« versucht (KBDS 146). Die von Heidegger angezielte ›prinzipiell neue Behandlungsart der mittelalterlichen Scholastik‹ zeigt sich auch in seiner Besprechung des lateinischen Logik-Lehrbuchs Elementa Philosophiae Aristotelico-Thomisticae des Benediktiners Joseph Gredt von 1912 (GA 16,29 – 30).49 Heidegger fragt, ob sich ein solches Lehrbuch ›heute‹ noch rechtfertigen ließe (GA 16,30)? Er betont die Bedeutung der scholastischen Logik, die sich jedoch in der Auseinandersetzung mit den Problemen der modernen Logik weiterentwickeln müsse (GA 16,29 f.): Gredts »Definition der Philosophie (p. 1) ist doch gar zu billig. Die scholastische Logik sollte doch allmählich sich aus ihrer Starrheit und vermeintlichen Abgeschlossenheit losmachen. Es müßten dann allerdings in einigen Punkten wesentliche Umgestaltungen vorgenommen werden, indem der von Aristoteles herrührende metaphysische Einschlag auszuschalten wäre; es wäre damit die Logik als theoretische Fundamentallehre, als die Wissenschaft aller Wissenschaften in ihrer vollen Reinheit gefaßt. Das Induktionsproblem, für das die scholastische Logik keinen Platz hat, fände damit auch seine gebührende Beachtung. Ueberhaupt sollte mit der vielfach noch herrschenden Meinung, die Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft ausgesprochen hat, die Logik sei seit dem Aristoteles abgeschlossen und vollendet, einmal gründlich aufgeräumt werden. Die Logik ist vielmehr noch immer ein eminent wichtiger, aber auch schwieriger Forschungsgegenstand, was die modernen wissenschaftlichen Anstrengungen […] zur Genüge dartun.« 104 | johannes schaber osb

Auf die genannten ›modernen Anstrengungen‹ geht Heidegger in seinem Aufsatz Neuere Forschungen über Logik ein (GA 1,17 – 43). Darin stellt er fest, daß sich seit der Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert in der wissenschaftlichen Logik eine Klärung ihrer Prinzipien vollzogen hat, die mit einer »energischen Abkehr vom Psychologismus« einherging (GA 1,18). Heidegger definiert (GA 1,20): »Als Psychologismus ganz allgemein begreift man das Vorwalten psychologischer Prinzipien, Methoden und Begründungsweisen im Bereich der Logik.« Wenn die Logik als Grunddisziplin der Apologetik in der Psychologie verankert wird, entspricht dies theologisch der ›vitalen Immanenz‹ der Modernisten. Im apologetischen Kampf gegen diesen Irrtum studiert Heidegger deshalb unter der Anleitung von Carl Braig die Logischen Untersuchungen Edmund Husserls und sucht nach dem proton pseudos des Psychologismus. Er möchte »Husserls tiefbohrenden und äußerst glücklich formulierten Untersuchungen eine weittragende Bedeutung zumessen: denn sie haben den psychologischen Bann eigentlich gebrochen und die vermerkte Prinzipienklärung in Fluß gebracht« (GA 1,19), bzw. »den theoretischen Unwert des Psychologismus systematisch und umfassend auseinandergelegt« (GA 1,20). Husserl ist es gelungen, »mit der kritischen Zurückweisung des Psychologismus zugleich positiv die Phänomenologie theoretisch« zu begründen (GA 1,30). Heidegger zeigt an der Behandlung des Themas, wie vertraut er mit den Neuaufbrüchen auf dem Gebiet der philosophischen Logik zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist,50 die zahlreiche logische Probleme überhaupt erst als Probleme erkannt haben. Aus den leitenden, meist apologetischen Fragestellungen Heideggers, die im Aufsatz Neuere Forschungen über Logik anklingen, erwuchsen seine größeren Arbeiten. 1913 entstand die Dissertation über Die Lehre vom Urteil im Psychologismus (in: GA 1,59 – 188), die sich nicht mit einem Spezialthema, sondern mit dem Zentralproblem der Logik befaßt, wie Heidegger selbst mehrfach betont. Mit der Zeit erkannte er, daß das in der scholastischen Logik niedergelegte Gedankengut »eine weit fruchtbarere Auswertung und Verwendung zulassen müsse und fordere. So suchte ich in meiner Dissertation über ›Die Lehre vom Urteil im Psychologismus‹ bezüglich eines Zentralproblems der Logik und Erkenntnistheorie, unter gleichzeitiger Orientierung an der modernen Logik und den aristoHeideggers ›Flüssigmachung der Scholastik‹ | 105

telisch-scholastischen Grundurteilen, für weitere Untersuchungen ein Fundament zu finden« (GA 16,38). In der Arbeit selbst weist er darauf hin (GA 1,64): »Im Besonderen ist dann die Lehre vom Urteil deshalb zum Gegenstand der Untersuchung gemacht worden, weil sich am Urteil, das mit Recht als ›Zelle‹, d. h. als Urelement der Logik, betrachtet wird, am schärfsten der Unterschied zwischen Psychischem und Logischem herausstellen lassen muß, weil vom Urteil aus der eigentliche Aufbau der Logik sich zu vollziehen hat.« Nach Carl Braig fand Heidegger in dem Neukantianer Heinrich Rickert einen weiteren wichtigen Lehrer, in dessen Schüler Emil Lask einen Begleiter im Suchen (GA 16,38): »In der neuen Schule lernte ich allererst die philosophischen Probleme als Probleme kennen und bekam den Einblick in das Wesen der Logik, der mich bis heute vor allem interessierenden philosophischen Disziplin.« Heideggers Grundüberzeugung war die aristotelisch-scholastische Philosophie, aber durch den Einfluß von Carl Braig und seinen Studienwechsel gewann er nach 1911 allmählich ein neues Verhältnis zur neuzeitlichen Philosophie. Versuchte er anfänglich aus apologetischem Interesse die Prinzipienfehler der neuzeitlichen Philosophie offen zu legen und sie damit zu widerlegen, erwuchs bei ihm langsam die Erkenntnis, daß er die Scholastik in der Auseinandersetzung mit der neuzeitlichen Philosophie neu fruchtbar machen könne (GA 16,38). Schrieb er 1912 im Aufsatz über Das Realitätsproblem in der modernen Philosophie noch abfällig über Kant, dieser sei »nicht weiter gelangt als bis zur Setzung eines mysteriösen ›Dinges an sich‹« (GA 1,2), und bezeichnete er die nachkantische Philosophie noch als »verstiegenen Idealismus Hegels« (GA 1,3), so änderte sich seine Einstellung zur neuzeitlichen Philosophie schon sehr bald. An seinen Lehrer Heinrich Rickert, über den er im Vorwort seiner Dissertation 1913 gesagt hatte: »Ihm verdanke ich Sehen und Verstehen der modernen logischen Probleme« (GA 1,61), schrieb er nach seiner Promotion am 12. Oktober 1913: »Zwar sind meine philosophischen Grundanschauungen andere [scil. die der aristotelisch-scholastischen Philosophie]; trotzdem möchte ich der letzte sein, der die bekannte armselige Methode mitmacht, in der modernen Philosophie nur eine Kette von ›Irrtümern‹, die Ausgeburt der ›Gottlosigkeit‹ und dergleichen zu sehen. Vielmehr bin ich der Überzeugung, daß sich irgendwie ein gemeinsames Feld finden lassen 106 | johannes schaber osb

muß, und sollte es mit der Aufgabe von alteingesessenen dogmatischen Anschauungen geschehen. Vor allem müßte man auf unserer Seite sich bemühen, vor einer schnell fertigen Kritik, sich an die oft schwere und fast ein Leben inanspruchnehmende Erarbeitung eines tiefen Verständnisses zu machen. Es gibt in der ganzen ›katholischen philosophischen‹ Literatur bis heute kein Buch, keinen Aufsatz, wo Kant auch nur annähernd richtig verstanden ist.«51 Zwar hatte Heidegger schon von Carl Braig im Zuge seiner Rezeption der Theologie der katholischen Tübinger Schule die hohe Achtung vor »der Bedeutung Schellings und Hegels für die spekulative Theologie im Unterschied zum Lehrsystem der Scholastik« gewonnen,52 doch erst durch Heinrich Rickert gewann er eigentlich »ein richtiges Verständnis der neueren Philosophie seit Kant«, die er »in der scholastischen Literatur allzuwenig und ungenügend berücksichtig fand« (GA 16,38). Sein neuer Zugang zur modernen Philosophie ließ Heidegger auch die Defizite der eigenen Grundposition besser erkennen, von der er 1914 bekannte (GA 1,53): »Die wissenschaftstheoretische Einstellung fehlt der aristotelisch-scholastischen Philosophie bis heute.« Seine Kritik an einer einseitigen, in Starrheit verfallenen oder vermeintlich abgeschlossenen Neuscholastik blieb nicht aus.53 Sein Freund Laslowski fragt ihn einmal: »Vielleicht hast Du ab und zu eine ehrliche Bemerkung über die Scholastik fallen lassen. Wer weiß?«54 Heidegger wollte nicht bei der abgeschlossenen Scholastik stehenbleiben, sondern steckte sich vielmehr das Ziel (GA 16,39), die alte Scholastik in der Auseinandersetzung mit der modernen Philosophie fortzuentwickeln, bzw. den theoretischen Gehalt der scholastischen Philosophie mit den Mitteln der modernen Philosophie deutend zu verstehen (GA 16,42): »Nach der Promotion ging meine nächste Absicht auf die Erforschung der Spätscholastik, vor allem Occams, um auf dem Wege der Aufhellung der spätscholastischen Logik einen konkreten und breiten Unterbau zu haben für das wissenschaftliche Verständnis der Entstehungsgeschichte der protestantischen Theologie und damit zentraler Problemzusammenhänge im deutschen Idealismus.« Suchte Heidegger schon als Theologiestudent nach einem tieferen Verständnis der Reformation und der Theologie Martin Luthers, um in der apologetischen demonstratio catholica zur Verteidigung des katholischen Glaubens Heideggers ›Flüssigmachung der Scholastik‹ | 107

einen Irrtum in den ersten Prinzipien des Protestantismus nachzuweisen, so stellte er die Reformation und die Entstehungsgeschichte der protestantischen Theologie im Zuge seiner Auseinandersetzung mit der modernen Philosophie, die nach katholischem (antimodernistischem) Verständnis im Protestantismus wurzelt,55 mehr und mehr in den größeren Horizont der mittelalterlichen Geistesgeschichte.56 Heidegger (GA 16,42): »Ich unterschätzte damals noch die Tragweite, die das notwendige Durchdenken der prinzipiellen Fragen für eine Problemgeschichte der Philosophie unbedingt haben muß.« Um die Entstehungsgeschichte der Reformation zu verstehen, nahm Heidegger verstärkt die Spätscholastik in den Blick (ebd.): »Die Beschäftigung mit Occam machte mir ein Zurückgehen auf Duns Scotus dringlich und zwar in der Weise, daß erst einmal mit den Auslegungsmitteln des in der modernen philosophischen Forschung gewonnenen Problemzusammenhangs aufgelockert und vorgelegt wurde, was bei Duns Scotus hinsichtlich einer allgemeinen Gegenstandslehre vorfindlich war.«

3. Heideggers frühes Bemühen um eine ›Flüssigmachung der Scholastik‹ und seine Zuwendung zu Johannes Duns Scotus Heidegger arbeitete 1914 und 1915 an seiner Habilitationsschrift. Als Thema wählte er sich nach seiner Dissertation ein weiteres Zentralproblem der modernen Logik, die Kategorien- und Bedeutungslehre, als Gesprächspartner hingegen, einem Hinweis seines Lehrers Heinrich Rickert folgend,57 keine modernen Philosophen, sondern den ›scharfsinnigsten aller Scholastiker‹: Johannes Duns Scotus (um 1265/ 66 – 1308).58 Heidegger, der immer auch seine wissenschaftliche Laufbahn, die Übernahme einer Professur in Philosophie und die Existenzsicherung im Auge haben mußte, läßt sich damit mutig auf eine gewagte Gratwanderung zwischen den philosophischen Schulen ein. Um sich seine Chancen auf einen ›katholischen Lehrstuhl‹ nicht zu verbauen, warnt ihn sein Freund Ernst Laslowski am 6. Dezember 1915 (HJB 1,53): »Deshalb sei bitte jetzt noch vorsichtig in Urteilen über die Scholastik. Ich würde Dir nicht einen solchen onkelhaften Rat geben, wenn Du nicht selbst schon in Deinem vorletzten Briefe Andeutungen gemacht hättest, als spitzten die Herren die Ohren.« 108 | johannes schaber osb

Heidegger ist sich über seine Position im Klaren. Um seinen Standpunkt zu kennzeichnen, spielt er im Vorwort seiner Habilitationsschrift auf Martin Grabmanns oben ausführlich dargestellte Wiener akademische Antrittsrede an (KBDS 139 f.): »Man mag sich zu den Forschungsergebnissen der modernen Philosophie wie immer stellen, daß sie bezüglich der Tiefe und Schärfe ihrer Fragestellungen stark und eindrucksgebietend ist, sollte man nicht bestreiten. Diese Stärke hat ihren Grund in einem ausgeprägten Methodenbewußtsein, in einer Bewußtheit von der Art der Problembemächtigung und deren Notwendigkeit.« Da Heidegger im scholastischen Denktypus auch Momente einer phänomenologischen Betrachtung verborgen sieht, greift er ein Problem heraus und rückt es in die Perspektive moderner Forschung (KBDS 144): »Und zwar ist ein solches gewählt, das die moderne Logik besonders intensiv beschäftigt: die Kategorienlehre.« Versucht man einmal die aristotelisch-scholastische Logik von modernen logischen Problemen aus zu verstehen, »dann ergibt sich sofort ein anderer Aspekt. Sie erfährt eine ganz neue Charakteristik, so zwar, daß die Gesamtheit der das Erleb- und Denkbare zusammenhaltenden und formenden Grundbegriffe systematisch aufgeführt wird« (ebd.). Heidegger sah bei Duns Scotus alle Vorbedingungen für eine Bearbeitung des Kategorienproblems aus moderner Perspektive gegeben (KBDS 145): »Nicht allein die dem Duns Scotus mit Recht nachgerühmte und für logische Probleme so außerordentlich notwendige kritische Denkart lenkte unsere Aufmerksamkeit gerade auf ihn. Bestimmend ist seine ganze Denkerindividualität überhaupt mit ihren unverkennbar modernen Zügen.« Am 24. April 1914 gewährte Heidegger seinem Lehrer Rickert einen Einblick in seine Bemühungen: »Ihre wertvolle Anregung bezüglich Duns Scotus, ihn einmal mit den Mitteln der modernen Logik zu verstehen und auszuwerten, hat mir ordentlich Mut gemacht, einen früheren, allerdings ganz unvollkommenen Versuch über dessen ›Sprachlogik‹ wieder hervorzuholen. Inzwischen habe ich sehen gelernt, daß hier im Grunde eine wirkliche Bedeutungslehre vorliegt, die durch eine Konfrontierung mit der Bedeutungsund Kategorienlehre vor allem des ›transzendentalen Empirismus‹ neues Licht bekommt. Ich sah bald, daß es mit der Beschränkung auf diesen größeren Traktat nicht zum vollen Verständnis kommt, Heideggers ›Flüssigmachung der Scholastik‹ | 109

und machte mich an die großen Kommentare zur Aristotelischen Logik und Metaphysik. Es ist mir so gelungen, eine Schichtung von Seins-, Bedeutungs- und Erkenntnisgebiet durchzuführen, die vor der Transzendentalphilosophie, wie ich glaube, nicht standhalten wird – und wo eben, so weit ich sehe, der Punkt liegt, an dem der ›Realismus‹ wesentlich umlernen muß. Es muß allerdings zuvor einmal die krankhafte Angst vor dem ›Subjektivismus‹ aus der Welt geschafft werden, der bei uns [Katholiken, JS] die Etikette für jeden nicht extrem thomistischen ›Standpunkt‹ abgeben muß. Vorerst kommt es mir auf das ausdeutende Verstehen von Duns Scotus an. Die Bedeutungsformen erhalten nach ihm die Bestimmtheit vom Material. Für ihn ist natürlich das, was Sie ›empirische (objektive) Wirklichkeit‹ nennen, überhaupt das erste und letzte. Wenn er aber von hier aus seine Bedeutungsformen (modi significandi) bestimmt sein läßt, dann ist die Frage, ob hierdurch nicht etwas für die Formenlehre der vorwissenschaftlichen Wirklichkeit genommen werden kann.«59 Heidegger betrachtet die Logik der Scholastik nicht nur als »spitzfindige Syllogistik und als Abbild der aristotelischen Logik« (KBDS 144), er erkennt in ihr die Möglichkeit einer fruchtbaren Auseinandersetzung (KBDS 146): »Eine Möglichkeit aber, die anfänglich und in gewissem Betracht tatsächlich disparaten Größen – Scholastik und modernes Denken – gegeneinander in vergleichende Betrachtung zu rücken, ergibt sich nur daraus, daß die ganze scheinbar rein historische Untersuchung auf das Niveau einer systematisch-philosophischen Betrachtung gehoben wird.« Kritische Texteditionen und die Vollständigkeit des Materials sind zwar die unentbehrlichen Grundlagen für das »Eindringen in den Gedankengehalt der Scholastik. […] Aber mit der bloßen Ansammlung, Registrierung und inhaltliche Wiedergabe sind noch nicht alle Vorbedingungen für eine Auswertung des mittelalterlichen philosophischen Gedankengutes erfüllt« (KBDS 136). Das Eindringen in den systematischen Gedankengehalt der Scholastik bedeutet für Heidegger jedoch nicht, nach ›gewissen Verwandtschaften‹ moderner Problemstellungen mit denen der Scholastik zu forschen, obwohl sich diese um dieselben Fragen bemühen und sich philosophische Probleme in der Geschichte wiederholen, er möchte auch nicht einfach die Lehrsysteme einzelner Philosophen mit früheren oder zeitgenössischen vergleichen und ihre Unterschiede 110 | johannes schaber osb

oder Gemeinsamkeiten hervorheben, ihm geht es vielmehr um eine prinzipiell neue Bearbeitungsart der mittelalterlichen Scholastik, d. h. er möchte ihren systematischen Gehalt mit Hilfe des modernneuzeitlichen Problemgehalts neu ausdeuten und werten, in seinen Worten: flüssig machen (KBDS 146). Die Logik der Scholastik muß unter einem modernen Gesichtspunkt betrachtet werden, »soll überhaupt ein möglicher Sinn in ihre logischen Theorien kommen« (KBDS 221). Dies bedeutet nicht, mit alten Lösungen auf neue Fragen zu antworten, sondern die alten, sich wiederholenden Probleme zu vertiefen und mit einer neuen Fragestellung oder einem neuen Ansatz unter einer anderen Perspektive auszuwickeln (KBDS 139). Weil sich das Mittelalter bei der Lösung von Problemen sehr stark an der Transzendenz, an Autoritäten und Traditionen orientierte, fehlte ihm der Stachel, »der anreizt, diese Probleme allererst als Probleme zu ahnen« (KBDS 216). Es entwickelte deshalb keinen »Fragetrieb und Fragemut« (KBDS 140) und damit auch kein Methodenbewußtsein (KBDS 141): »Es gelingt dem mittelalterlichen Menschen nicht, mit einem gewissen geistigen Ruck sich über die eigene Arbeit zustellen, über die Probleme als Probleme, über die Möglichkeit und Art ihrer Bemächtigung, ihren Zusammenhang mit anderen und ihre Tragweite bewußt zu reflektieren; wenigstens ist das im philosophischen Denken des Mittelalters so.« Da die Scholastik unleugbar tiefe Einsichten hatte (KBDS 141), erzielt die moderne Blickrichtung der neuzeitlichen Philosophie auf scholastische Probleme eine Vertiefung und damit einen Erkenntnisfortschritt. Deshalb rückt Heidegger das alte Problem der Kategorienlehre »in die Perspektive moderner Forschung« (KBDS 244). In einer kurzen Selbstanzeige in den Kant-Studien 1917 schreibt er zu seinem Scotus-Buch (KBDS 354): »Als problemgeschichtliche Untersuchung hat sie die Philosophie des Scholastikers Duns Scotus zum Gegenstand, um an einem der gedanklich vollendetsten und reichsten Typen mittelalterlich-scholastischen Denkens dieses selbst hinsichtlich des Kategorienproblems und der Logik überhaupt einem tieferen Verständnis näher zu bringen und der landläufigen Bewertung der mittelalterlichen Scholastik und ihrer Logik zu begegnen.« Obwohl Duns Scotus »einen scharfen Blick« (KBDS 226), ein »klares Bewußtsein von den Aufgaben der Kategorienlehre hat« (KBDS 229) und »sich des Herrschaftsbereiches der Bedeutungskategorien klar bewußt Heideggers ›Flüssigmachung der Scholastik‹ | 111

war« (KBDS 256), hat er auch Grenzen, weil er in seiner Urteilslehre »von den Strukturkomplikationen des Urteilssinnes in den verschiedenen Wissenschaften, entsprechend den ihnen zugrunde liegenden spezifisch strukturierten Sachverhalten und Gegenständen, nichts wissen konnte« (KBDS 216). Obwohl in der Scholastik die Bearbeitung »in dem Sinne, wie sie sich heute entwickelt hat« (KBDS 216), fehlt, besitzt sie dennoch eine »nicht zu missachtende und nicht zu unterschätzende Reife des Blickes für die Eigentümlichkeit und Eigenwertigkeit des logischen Bereiches« (KBDS 217). Im Bereich der Denk- und Willenstätigkeit untersuchte sie »viel mehr als das heute naturwissenschaftlich gefaßte psychische Reale« (KBDS 228). Der Vergleich scholastischer und moderner Ansätze in Bezug auf bestimmte Problembezirke dient Heidegger der gegenseitigen Vertiefung und Fruchtbarmachung, er wagt es sogar, denselben Sachverhalt aus der Scholastik »in der Terminologie der Phänomenologie« auszudrücken (KBDS 252) oder umzuformulieren, wie man ihn »neuerdings« (KBDS 260) beschrieben hat. Heidegger geht sogar so weit, Definitionen Edmund Husserls »auf die Grundeinteilung der Modi significandi an[zu]wenden, wie sie Duns Scotus durchführt« (KBDS 286). Als er die Behauptung aufstellt, Duns Scotus habe eine der modernsten und tiefsten Urteilstheorien, nämlich die von Emil Lask, im Prinzip vorweggenommen, da findet er »allein schon die fast wörtliche Übereinstimmung in der Formulierung« interessant (KBDS 325). Heideggers frühes Bemühen um die Flüssigmachung der Scholastik ist die Frucht seines aristotelisch-scholastischen Standpunktes, den er immer wieder betont hat. Er beruft sich auf die »sich durchhaltende Identität des philosophischen Geistes« (KBDS 138) oder die Identität ewiger Probleme, also auf die neuscholastische philosophia perennis, die eine entsprechende Auffassung der Geschichte der Philosophie verlangt.60 Jede Epoche entwickelte sich aus gewissen historischen Bedingungen heraus, doch für die Philosophie hat eine Epoche nur dann eine systematische Bedeutung, wenn sie eine Vertiefung der philosophischen Probleme herbeizuführen vermag (KBDS 138): »Die Zeit, als historische Kategorie hier verstanden, wird gleichsam ausgeschaltet.« Die Geschichte der Philosophie ist demnach nicht eine mehr oder minder zufällige Ansammlung oder Abfolge unterschiedlicher Meinungen, Theorien, 112 | johannes schaber osb

Systeme oder Irrtümer (KBDS 137), sondern die ständige Vertiefung der einen philosophischen Systematik, die immer wieder ihren Anfang einholt und sich darin neu gründet.61 Von daher hat Heideggers Scotus-Arbeit ihren Ausgangspunkt bei seinem Verständnis der Geschichte der Philosophie (KBDS 139): »Auf dem Fundament dieser hier nicht weiter auseinanderlegbaren Auffassung von Wesen und Aufgabe der Geschichte der Philosophie soll im folgenden die Scholastik behandelt werden.« Als historische Arbeit hätte Heideggers Habilitationsschrift spätestens dann ihren Wert verloren, als (etwa 1925) nachgewiesen werden konnte, daß die von ihm vor allem im zweiten Teil über die Bedeutungslehre herangezogene und für seine Interpretation eminent wichtige Schrift Grammatica speculativa (vgl. KBDS 148, Fn 11) nicht aus der Feder des Duns Scotus, sondern des Thomas von Erfurt stammt.62 Da er sich jedoch um keine historische, sondern eine problemgeschichtliche Interpretation bemühte, behält die Arbeit nach wie vor ihren bleibenden systematischen Wert.

4. Reaktionen auf Heideggers Habilitationsschrift in der philosophischen Fachwelt Heideggers Studie über Die Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus erfuhr von verschiedenen Seiten in Gutachten, Briefen und Rezensionen eine Beurteilung. Diese zeigen, ob sein Bemühen um eine Flüssigmachung der Scholastik am Beispiel des Franziskaners Johannes Duns Scotus von der Fachwelt verstanden und ob es akzeptiert oder abgelehnt wurde. Da Heinrich Rickert als Erstgutachter der Habilitationsschrift Heideggers nie auf dem Gebiet der mittelalterlichen Philosophie gearbeitet hatte, bat er den Mittelalter-Kenner Engelbert Krebs um eine Beurteilung der Arbeit. Krebs, der mit Heidegger 1913 – 1918 befreundet war, schreibt ihm: »Die Arbeit will von der Problemstellung der modernen Logik aus die Leistung des Duns Scotus auf dem Gebiet der Kategorien- und Bedeutungslehre geordnet darstellen und für die Logik theoretisch nutzbar machen. Diese Absicht erfüllte die Arbeit vollständig. Sie sieht ab von einer historischen Einreihung der Skotischen Leistung in die Problemstellungen und Lösungen der Heideggers ›Flüssigmachung der Scholastik‹ | 113

mittelalterlichen Zeitgenossen; sie ist also kein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der mittelalterlichen Philosophie. Aber sie bereichert unser geschichtliches Wissen um die tatsächlich erreichte Höhe des logischen Denkens im Mittelalter, und sie bietet durch die stete Bezugnahme auf die gegenwärtigen Problemstellungen eine Forderung unseres theoretischen logischen Denkens. Dabei hält sie sich von unberechtigten Rückwärtsprojektionen moderner Gedanken in’s Mittelalter im Ganzen frei: Die Arbeit eröffnet eine neue Betrachtungsweise und Würdigung der mittelalterlichen Geistesarbeit.«63 Rickerts Gutachten fällt weit nüchterner aus. Zur Einleitung, in der Heidegger sein Bemühen um eine Flüssigmachung der Scholastik formuliert hat, schreibt Rickert: »Die historische Einleitung, die Dr. Heidegger versucht hat, ist verfehlt und muß ganz wegbleiben.«64 Er bezeichnet zwar Heideggers Wahl des Themas und seinen Entschluß, der Bedeutungslehre des Duns Scotus als systematische Grundlegung seine Kategorienlehre voranzuschicken, als einen ›glücklichen Gedanken‹,65 doch zu einer wirklich geschichtlichen Behandlung des Themas sei es nicht gekommen, da sie mit großen Schwierigkeiten verknüpft gewesen wäre und die Kräfte des Verfassers wohl noch überstiegen hätte. »Dr. Heidegger ist rein systematisch an modernen Problemstellungen orientiert, und seine Arbeit bleibt nur dann unangreifbar, wenn sie ausdrücklich auf eine historische Einreihung des Duns Skotus verzichtet.«66 Daß Heidegger bewußt systematisch vorgeht, ist bedingt durch seinen aristotelischscholastischen Standpunkt, von dem aus er philosophiert. Rickert kritisiert, daß Heidegger die scotischen Schriften studiert habe, ohne jedoch »danach zu fragen, was dieser Autor von anderen übernimmt, und was ihm eigentümlich ist, und er sucht nun zu zeigen, wie weit Duns Scotus sich den Gedanken von Logikern unserer Zeit nähert.« Anerkennend fährt Rickert fort: »Dies Unternehmen ist durchaus verdienstlich und führt zu einigen recht interessanten Ergebnissen. Besonders die Ausführungen im Anschluß an das ›unum‹ und das ›verum‹, also zwei der bekannten vier mittelalterlichen ›Transcendentia‹, zeigen unzweideutig, daß Duns Scotus Probleme gesehen hat, die heute im Mittelpunkt des logischen Interesses stehen und sie dürften manchen überraschen.« Am Ende schließt sich Rickert dem positiven Gesamturteil von Krebs an und würdigt seinen Schüler Heidegger: »Er steht noch in den Anfängen 114 | johannes schaber osb

seiner wissenschaftlichen Entwicklung, aber er vermag schon jetzt recht schwierige Gedankengänge früherer Jahrhunderte in sich aufzunehmen und besitzt auch genug moderne philosophische Bildung, um die Zusammenhänge von Vergangenheit und Gegenwart zu sehen.«67 Auch wenn er hier Heideggers Intention der Flüssigmachung der Scholastik nicht herausstellt, weil er wohl selbst noch nie auf dem Gebiet der mittelalterlichen Philosophie gearbeitet hat und Heideggers Standpunkt nicht (an)erkennt, lernte er doch die Scholastik durch Heideggers Arbeit mit anderen Augen zu sehen.68 Auch einige Briefe zeigen, wie Heideggers Bemühen um die Flüssigmachung der Scholastik in der Fachwelt aufgenommen wurde. Heidegger berichtet seinem Lehrer Rickert, der inzwischen an die Universität Heidelberg berufen wurde, gut ein Jahr nach seiner Habilitation am 9. Juli 1916: »Ich wurde hier dieser Tage von Herrn Geheimrat Finke schon zweimal gedrängt, ›sofort‹ meine Habilitationsschrift drucken zu lassen, da es für mich von Bedeutung sein könnte, wenn die Arbeit gedruckt vorliegt. Da ich in der Arbeit einen prinzipiell anderen Weg der Bearbeitung mittelalterlicher Scholastik eingeschlagen habe, möchte ich sie nicht in der Sammlung der üblichen Arbeiten erscheinen lassen. Da die darin behandelten Problemkreise und die Deutungsmittel zu Ihren Forschungen und vor allem zu den Büchern Lasks in naher Beziehung stehen, hielte ich es für wertvoll, wenn ich die Arbeit bei Mohr in Verlag bringen könnte.«69 Nachdem das Buch im Herbst 1916 erschienen war, verschickte Heidegger mehrere Exemplare zur Besprechung. Von zwei Reaktionen berichtet er Heinrich Rickert. Am 14. Dezember 1916 schreibt er: »Baeumker hat mein Buch sehr anerkennend beurteilt und neben der methodischen, neuartigen Durchführung vor allem die Wahl des Themas als sehr wertvoll bezeichnet. In Einzelheiten ist er anderer Auffassung. Er will eine größere Besprechung schreiben.«70 Rickert antwortet am 23. Dezember freundlich: »Daß Baeumker sich über Ihr Buch anerkennend geäußert hat, freut mich in Ihrem Interesse sehr. Daß er nicht in allen Einzelheiten mit Ihnen einverstanden sein würde, war zu erwarten, und ich bin gespannt darauf, was dieser vorzügliche Kenner der mittelalterlichen Philosophie über Ihr Werk zu sagen hat.«71 Von Martin Grabmann erhält Heidegger eine Karte und den Sonderdruck eines Aufsatzes. Auf seine Kritik antwortet ihm Heidegger Heideggers ›Flüssigmachung der Scholastik‹ | 115

am 7. Januar 1917: »In die größere Arbeit wollte ich das Gesammelte nicht einbeziehen, da ich mich prinzipiell nicht auf Heraushebung historischer Abhängigkeiten, Deckungen, Abweichungen einlassen wollte. Einziges Ziel war: den systematischen Gehalt der Scholastik an einem geeigneten Typus bloß zu legen. Ich weiß, daß ich dabei der Gefahr nicht entgangen bin, das sogenannte Gemeingut der Scholastik ohne ausdrückliche Kennzeichnung in das Problemfeld des Scotus einzuarbeiten. Allerdings habe ich die Überzeugung, daß dieses Gemeingut nicht weniger kritisch durchgedacht ist von den einzelnen Philosophen wie ihre eigensten Theorien. Diese Mängel meiner Arbeit – vom historischen Gesichtspunkt aus gesehen, kenne ich zum Teil sehr wohl, aber sie waren bei der bewußt neuartigen Behandlung des Stoffes mit systematischen Zielen, worauf es mir zunächst ausschließlich ankam, nicht zu vermeiden.«72 Baeumkers Brief und Grabmanns Karte sind für Heidegger »der wertvollste Ansporn für weitere Arbeiten auf dem Gebiet der mittelalterlichen Scholastik und Mystik.«73 Drei Wochen später, am 27. Januar 1917, berichtet Heidegger Rikkert von der negativen Reaktion Joseph Geysers, der Ende Juni 1916 als Professor nach Freiburg berufen worden war: »Wenn auch früher schon meine unvoreingenommene und aus sachlichem Interesse erwachsene Beschäftigung mit Ihrer Philosophie verdächtigt und als gefährlich betrachtet wurde, so hat sich das jetzt nach Erscheinen meines Buches ganz besonders geäußert. Geyser hat sich hier bei seiner Anwesenheit über Widmung, Vorrede und Verlag des Buches in aller Schärfe ausgesprochen. Man wundert sich, warum ich überhaupt Ihnen das Buch widmete, ›da Sie doch gar nicht mehr hier seien‹. Geyser antwortete mir auf Übersendung meines Buches mit einer Postkarte mit einem formellen Satz.«74 Doch trotz der ablehnenden Haltung des Neuscholastikers Joseph Geyser bleibt Heidegger sich treu (ebd.): »Ich habe nun weder Lust noch das Zeug dazu, den Märtyrer zu spielen – ich werde mich aber auch nicht von meinen philosophischen Überzeugungen und dem Ideal der Wissenschaftlichkeit und Unvoreingenommenheit im philosophischen Schaffen aus irgendwelchen praktischen Rücksichten abbringen lassen.« Ein Jahr später schickt Heidegger auch Ernst Troeltsch sein Buch. Der antwortet ihm freundlich, ohne näher darauf einzuge116 | johannes schaber osb

hen, am 4. Februar 1918 (HJB 1,75): »Sie wissen, daß das ein mich sehr interessierendes Thema ist, vor allem sofern es Licht auf die mittelalterliche Geistigkeit wirft. Das letztere ist für mich eines der interessantesten und unerschöpftesten Themata. Es ist ein Verdienst, daß Sie sich darum bemühen. Ich habe bis jetzt nur etwa die erste Hälfte lesen können, kann Ihnen aber schon nach dieser Lektüre sagen, daß das Buch sehr klärend und belehrend zu wirken im Stande ist.« Heidegger schreibt Troeltsch daraufhin einen ausführlichen Brief, den dieser am 23. Februar 1918 beantwortet (HJB 1,76): »Was Sie über das Mittelalter sagen, ist gewiß richtig. Seinen Geist müssen wir überhaupt erst klar machen. Auch das steht auf meinem Programm, soweit es mir möglich ist.« Alfred Denker, Hans-Helmuth Gander und Holger Zaborowski haben als Herausgeber des Heidegger Jahrbuches 1 über Heidegger und die Anfänge seines Denkens neun wissenschaftliche Rezensionen zu Heideggers Habilitationsschrift, die zwischen 1917 und 1925 erschienen sind, zusammengetragen und erneut veröffentlicht (HJB 1,79 – 91). Aus ihnen geht besonders deutlich hervor, wie Heideggers Bemühen verstanden und aufgenommen wurde. Der Franziskaner und Skotus-Kenner Parthenius Minges stellt in den Franziskanischen Studien 1917 fest (HJB 1,79): »Der Verfasser ist kein Neuscholastiker, sondern, wie sich aus dieser seiner Habilitationsschrift ergibt, ein Anhänger der modernen deutschen Philosophie. Es ist aber mit Anerkennung hervorzuheben, daß er der Scholastik und speziell Skotus wohlwollend gegenübersteht.« Trotz der erkennbaren Mühe »müssen wir seine Leistung als nicht genügend bezeichnen. In den verschiedenen Werken des genannten Scholastikers findet sich noch eine Menge von einschlägigem Material. Dasselbe sollte zuerst vollständig gesammelt, unter sich verglichen und kritisch geprüft werden, bevor man es mit neueren Theorien in Beziehung bringt; sonst kann man sich nicht wenig täuschen« (ebd.). Heideggers Bemühen um die Flüssigmachung der Scholastik und sein aristotelisch-scholastischer Standpunkt wurden vom Rezensenten nicht erkannt. Obwohl Heidegger auf die vollständige, kritische und historische Prüfung des Quellenmaterials bewußt verzichtet hat, wie sein oben zitierter Brief an Martin Grabmann zeigt, und seine Leistung deshalb als nicht genügend bezeichnet werden muß, ist ihm dennoch nicht der Fehler unterlaufen, daß Heideggers ›Flüssigmachung der Scholastik‹ | 117

er sich getäuscht hätte. Parthenius Minges gibt zu: Da dies Heidegger nicht passiert sei, sei seine Arbeit sehr zu begrüßen. Nach dem Urteil des protestantischen Theologen und ScotusInterpreten Reinhold Seeberg verfolgt Heidegger die Absicht, indem er »sich innerlich mit den Gedanken eines scharfsinnigen Denkers auseinandersetzt, […] seine eigenen Gedanken zu formen und zu klären. Daraus versteht es sich, daß über die Beziehungen der Gedankenbildung des Duns Scotus zu seinen Vorgängern und Zeitgenossen so gut wie nichts gefragt wird, dagegen mannigfache Beziehungen zwischen ihm und modernen Denkern, wie Lotze, Husserl und Lask, bemerkt werden. Man kann fraglos auch auf diesem Wege den Gedanken eines großen Denkers der Vergangenheit nahe kommen.«75 Erstaunlicherweise erschien in den Franziskanischen Studien 1918 eine zweite Rezension, diesmal von dem Kapuziner Hubert Klug (HJB 1,82): »Heidegger hat sich mit großem Fleiße in diese subtilen Schriften eingearbeitet. Interessant ist es, auf welche Ähnlichkeiten er mit modernen Problemstellungen und Lösungen hinweist. In dem einen oder anderen Punkte wird man bezüglich der Ausführungen des Buches anderer Ansicht sein können. Was jedoch Duns Skotus anbelangt, so würde sich in scholastischen und nichtscholastischen Kreisen eine gerechtere Beurteilung der skotistischen Doktrin geltend machen, wenn die Geisteserzeugnisse des Doctor subtilis mit solcher Vertiefung studiert würden, wie sie der Freiburger Privatdozent den obengenannten Werken zuteil werden ließ.« Eine gerechtere Beurteilung scheint nicht notwendig. Der Rezensent Joseph Feldmann meint sogar im Gegenteil (HJB 1,87 f.): »Der scharfsinnige Franziskanerscholastiker darf als der Liebling moderner Philosophen und Theologen bezeichnet werden. In seiner kritischen Denkart wie seiner ganzen, mehr auf das reale Leben gerichteten Individualität glaubt man ›unverkennbar moderne Züge‹ zu entdecken.« Joseph Klein hat in seiner Rezension, die wegen einer detaillierten Inhaltsangabe die umfangreichste ist, Heideggers Bemühen um die Scholastik auch nicht verstanden (HJB 1,83): »In vorliegender Arbeit beschäftigt sich ein Anhänger der modernen Philosophie mit dem großen Scholastiker, dessen Kategorienlehre in die Perspektive neuzeitlicher Forschung gerückt werden soll.« Klein fährt fort, die 118 | johannes schaber osb

Studie Heideggers mache deutlich, »daß die Scholastik, vor allem Duns Scotus, als eine wirkliche Förderung auch noch der modernsten Problembehandlung wirken kann« (HJB 1,85), sein Buch sei geradezu ein »Genuß bei der Beobachtung, wie Soctus, meist treffend, in modernem Philosophendeutsch redet« (HJB 1,87). Der Rezensent dreht hier Heideggers Intention der Flüssigmachung der Scholastik um, der ja mit Hilfe der modernen Logik das Gedankengut der Scholastik weiterentwickeln und nicht moderne Problemlösungen mit Hilfe der Scholastik fördern wollte. Insgesamt läßt sich feststellen, daß die katholischen, meist neuscholastischen Rezensenten Heideggers Bemühen um eine Flüssigmachung der Scholastik am wenigsten als solches erkannt haben. Deutlicher sahen dies die anderen beiden Rezensenten Adolf Dyroff in der Historischen Zeitschrift und Bronislaus W. Switalski in den Kant-Studien. Adolf Dyroff über Heideggers Absicht (HJB 1,88): »Der Verfasser will nach einer neuen Methode an die Scholastik herantreten und die philosophie-historische Beleuchtung durch eine modern-systematische ergänzen.« Er hält zwar das Verfahren Heideggers für »nicht ganz unerhört«, muß aber anerkennen, daß es vielleicht »noch nie mit solcher Entschiedenheit an einem einzelnen Gegenstande durchgeführt worden« ist (ebd.), wie von Heidegger. Das Ergebnis des Buches hat Dyroff »angesichts des aufgewandten Scharfsinns und nach den stolzen Worten der ›Einleitung‹ etwas enttäuscht. Dennoch hat es seinen großen Wert und wird es Nutzen stiften« (HJB 1,89). Ähnlich urteilt Bronislaus W. Switalski, der Heideggers Habilitation noch neun Jahre nach ihrem Erscheinen würdigt, daß sie vom Standpunkt moderner Methodenauffassung zu lebendiger Wirksamkeit bringe, »was unter dem Staub jahrhundertelanger Vergangenheit in Vergessenheit zu geraten droht« (HJB 1,90). Er begrüßt lebhaft Heideggers Arbeit als den ersten Versuch einer prinzipiell neuen Bearbeitungsart mittelalterlicher Scholastik, »da nur von einer tiefeindringenden, die philosophische Problematik durchaus beherrschenden Konfrontation scholastischen und modernen Denkens die Ausschöpfung des Gedankengehalts der Scholastik und die Befruchtung neuzeitlichen Philosophierens durch jenen Gehalt erwartet werden kann« (ebd.). Auch wenn Heideggers eigene Intention der Flüssigmachung der Scholastik kaum erkannt, sondern eher als moderne Auseinandersetzung verstanden Heideggers ›Flüssigmachung der Scholastik‹ | 119

wurde, so honorierten sie seine Arbeit doch als den ersten interessanten Versuch, die mittelalterliche Scholastik in Rücksicht auf moderne Problemkreise auszudeuten und zu verwerten. Heidegger bekannte sich 1915 noch ausdrücklich zu einer aristotelisch-scholastischen Grundanschauung. In den darauffolgenden Jahren wandelte sich zwar seine Standpunktnahme, jedoch ohne, daß er mit der Scholastik und ihren Vertretern grundsätzlich brach. Voraussetzung für ein Gespräch sei eben das gemeinsame Problemund Methodenbewußtsein. Heidegger am 9. Januar 1919 an Engelbert Krebs (HJB 1,67): »Ich glaube zu stark – vielleicht mehr als seine offiziellen Bearbeiter – empfunden zu haben, was das katholische Mittelalter an Werten in sich trägt und von einer wahrhaften Auswertung sind wir noch weit entfernt – meine religionsphänomenologischen Untersuchungen, die das Mittelalter stark heranziehen werden, sollen statt jeder Diskussion Zeugnis davon ablegen, daß ich mich durch eine Umbildung meiner prinzipiellen Standpunktnahme nicht habe dazu treiben lassen, das objektive vornehme Urteil und die Hochschätzung der katholischen Lebenswelt einer verärgerten und wüsten Apostatenpolemik hintanzusetzen. Daher wird mir auch in Zukunft daran liegen, mit katholischen Gelehrten, die Probleme sehen und zugeben und in anderweitigen Überzeugungen sich hineinzufühlen imstande sind, in Verbindung zu bleiben.«

5. Ein Ausblick auf Heideggers Verständnis der Scholastik bis ›Sein und Zeit‹ (1927) Im Schlußkapitel seines Scotus-Buches schreibt Heidegger, daß die Scholastik und die Mystik für die mittelalterliche Weltanschauung wesentlich zusammengehören (KBDS 352), ja sogar, daß die Mystik die »elementare Gegenbewegung« zur Scholastik sei (GA 60,314). Sieht man seine Interpretationen zur Mystik in einem mit der Scholastik, so zielen sie, ohne daß das Wort Flüssigmachung auch nur ein einziges Mal fällt, bis 1919 ebenfalls auf eine Flüssigmachung der Mystik. Seine nur Fragment gebliebenen Interpretationen Die philosophischen Grundlagen der mittelalterlichen Mystik (GA 60,301 – 337) zeugen von seinem modernen Problem- und Methodenbewußtsein, mit dem er den Gehalt der mittelalterlichen Mystik neu auszudeu120 | johannes schaber osb

ten versucht hat. Ähnliches gilt für seine Interpretation der Reformation als Verständnisgrundlage für den Deutschen Idealismus (NB; GA 62,368 ff.). Zehn Jahre nach der Veröffentlichung seines Scotus-Buches hielt Heidegger im Wintersemester 1926/27 in Marburg eine Vorlesung über die Geschichte der Philosophie von Thomas von Aquin bis Kant (GA 23). Eigentlich möchte er über ›neuere Philosophie‹ lesen, von Descartes bis Kant. Er beginnt in der Anzeige zu seiner Vorlesung mit (GA 23,1): »Descartes: neues Prinzip – das Ich, Subjekt, Bewußtsein, Vernunft. Ausrichtung des Ansatzes bis zu Hegel – Geist. In der Schule Hegels […]: Freie Selbstberufung des Menschen auf sich selbst. Abschüttelung jeglicher Bindung. Daher hat man gesagt: Die neuere Philosophie seit Descartes ist der Protestantismus des denkenden Geistes.« Diesen Vorlesungsbeginn muß man im Zusammenhang mit Heideggers Scholastikverständnis von 1916 sehen. Sagte er damals, die mittelalterliche Philosophie liefere sich an den Erkenntnisstoff aus, es fehle ihr die Befreiung des Subjekts von der Gebundenheit an die Umgebung und die Befestigung im eigenen Leben (KBDS 140 f.), so gewinnt sich das Ich seit Descartes ›in der Abschüttelung jeglicher Bindung‹. Heidegger erkennt, obwohl er sich in seiner Vorlesung auf die neuere Philosophie konzentrieren möchte, daß er zu ihrem besseren Verständnis auf das Mittelalter zurückgreifen muß. Deshalb beginnt er nicht mit Descartes, sondern mit Thomas von Aquin (GA 23,1): »Nicht um einige Jahrhunderte äußerlich anzugliedern; nicht, um dem vernachlässigten Mittelalter die schuldige Beachtung zu schenken oder gar dem Katholizismus des denkenden Geistes in der mittelalterlichen Scholastik – d. h. nicht nur ihre Gebundenheit an die große Tradition der antiken Philosophie, sondern ihre kräftige Verwurzelung in dieser.« Heidegger ist der »Überzeugung, daß die fundamentalen Probleme des Ich […] und die Problematik der neueren Philosophie überhaupt nur zu verstehen sind vom Mittelalter her« und zwar aus dessen allgemeiner Lehre vom Sein (GA 23,1 f.). In der mittelalterlichen Ontologie liegen die Fundamente, die von Descartes übernommen wurden und sich bis in Hegels Logik ausgewirkt haben. Deshalb will Heidegger die neuere Philosophie vom Mittelalter her verstehen, nicht »daraus erklären und ableiten« (GA 23,2). Erst vor dem Horizont der mittelalterlichen Philosophie wird deutlich, warum die FrageHeideggers ›Flüssigmachung der Scholastik‹ | 121

stellungen der neueren Philosophie nicht ins Ziel gekommen und in ihrer Problematik gescheitert sind (GA 23,2): »Einzig deshalb, weil sie im unechten Sinn noch zu alt waren. Das Alte nicht philosophisch überwunden, d. h. aus seinem Grunde verstanden.« Um ins Ziel zu kommen sucht Heidegger nach dem Anfang, in dem die zentralen Probleme gründen, »die seit der Antike die abendländische wissenschaftliche Philosophie in Atem halten« (GA 23,2). Heidegger greift erneut sein Verständnis der Philosophiegeschichte von 1916 auf, wenn er sagt (GA 23,2): »Der Aspekt der Philosophiegeschichte, den der Laie kennt, ein Gewirr von Meinungen, die, kaum geäußert, schon bekämpft und überholt sind, verschwindet, und es wird sich, so scharf die Gegensätze zwischen Thomas und Kant z. B. sind, eine Kontinuität in fundamentalen Problemen herausstellen.« Heidegger antwortet in der Vorlesung auf seine Frage: Wenn er die neuere Philosophie vom Mittelalter her verstehen möchte, warum dann gerade von Thomas von Aquin her? (GA 23,2): »Weil in ihm die allgemeine Metaphysik sich befestigt, nicht durch eigene positive Forschung, als durch ein allerdings weitgehend sicheres Verständnis der antiken Philosophie – und zwar in ihrer vollendeten Gestalt bei Aristoteles.« Dennoch meint er (GA 23,41): »Wir sind heute nicht vorbereitet genug, um etwas Entscheidendes über das Mittelalter zu sagen.« Er gibt stichwortartig drei Gründe an (GA 23,41): »1. Vieles überhaupt noch unbekannt oder nur wenigen; aber dann auch nur archivalisch und bibliothekarisch als ungedrucktes Material. 2. Was bestimmt, längst nicht am Leitfaden sachlicher Probleme durchgearbeitet, sondern meist nur wieder nach Schemata, die von der Scholastik selbst ausgewählt und übernommen sind. 3. Die antike Philosophie, die ein wesentliches Bestimmungsstück des Mittelalters ist, ihrerseits noch nicht als rein antike, sondern meist noch und gerade Aristoteles. Durch die Brille der Scholastik.« Die ›Erste Philosophie‹ (Πρ5τη φιλοσοφα) des Aristoteles benennt die ersten Gründe dessen, was ist. Darauf wiederum bauen die philosophische Ontologie und die christliche Theologie auf (GA 23,4): Die »Gliederung der philosophischen Problematik [ist] in der Antike vorgezeichnet.« Kant ist es schließlich, der erstmals »die alte allgemeine Metaphysik in neuer Fragestellung« aufgreift (GA 23,6). Nachdem Heidegger so die leitende Problematik skizziert hat, gelingt es ihm, die Absicht seiner Vorlesung kenntlich zu machen 122 | johannes schaber osb

(GA 23,7): »Die Probleme der neueren Philosophie zu verstehen aus den Fundamenten, d. h. der antiken Philosophie in der Überlieferungsform der scholastischen Systematik. Freilich: nicht daraus ableiten – oder um die Originalität bringen. Philosophie [ist, JS] nur soweit ursprünglich, als sie imstande ist, zu den Ursprüngen zurückzufragen.« Damit aber rückt Heidegger »die leitende Grundproblematik der abendländischen Philosophie […] in der neuzeitlichen Philosophie in neue Zusammenhänge« (GA 23,7). Da die Problematik der neueren Philosophie nur vom Mittelalter her zu verstehen ist, bemüht sich Heidegger 1926 nicht mehr um eine Flüssigmachung der Scholastik. Er fragt destruierend über sie hinaus nach den antiken Anfängen der Philosophie und auf welche konkrete Weise das Mittelalter diese geprägt, systematisiert und überliefert hat. Die Scholastik dient nur mehr noch als Verständnishorizont der neueren Philosophie. Zeitgleich zur Vorlesung im Wintersemester 1926/27 hat Heidegger sein frühes Hauptwerk Sein und Zeit ausgearbeitet. Darin entwickelte er in § 6 die Aufgabe der Destruktion der Geschichte der Ontologie. War die Scholastik 1916 noch am philosophischen Diskurs unter den Epochen beteiligt, sofern sie zur Vertiefung eines Problembezirkes beigetragen hat, so ist sie in Sein und Zeit im Zuge der phänomenologischen Destruktion nur noch als Vermittlerin der ersten Philosophie des Aristoteles für die Neuzeit von Interesse (SuZ 19 – 27). Schließen wir deshalb mit der Feststellung Heideggers (GA 23,97 f.): »Im Ganzen der Geschichte der philosophischen Forschung im strengen Sinne hat das Mittelalter keine grundsätzliche Bedeutung, nur die Rolle der bestimmten Prägung und Vermittlung des Überkommenen. Als dieses aber muß es erkannt und grundsätzlich verstanden sein, wenn man die Problematik der neuzeitlichen Philosophie und ihre Basis verstehen will.«

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Anmerkungen

GA 1,189 – 412; zitiert wird nach der Originalpaginierung. 2 Vgl. Wolfgang Kluxen: Die geschichtliche Erforschung der mittelalterlichen Philosophie und die Neuscholastik; Lydia Bendel-Maidl: Tradition und Innovation. Zur Dialektik von historischer und systematischer Perspektive in der Theologie. Am Beispiel von Transformationen in der Rezeption des Thomas von Aquin im 20. Jahrhundert. 3 Vgl. Hugo Ott: Martin Heidegger. Unterwegs zu seiner Biographie, 80. 4 Auswahl aus den Briefen Ernst Laslowskis an Martin Heidegger (1911 – 1917). In: HJB 1, 26 – 57, hier 29 f. 5 Vgl. Thomas Sheehan: Heidegger’s Lehrjahre, 120. 6 Vgl. Gerhard Heinz: Charron, Pierre, 1024. 7 Vgl. Heinrich Döring; Armin Kreiner; Perry Schmidt-Leukel: Den Glauben denken. Neue Wege der Fundamentaltheologie, 5. 8 Dreher: Kleine katholische Apologetik, 1. 9 Vgl. Johannes Schaber: Der Theologiestudent Martin Heidegger und sein Dogmatikprofessor Carl Braig. 10 Vgl. Daniel Esch: Apostolat der Dialektik. Leben und Werk des Freiburger Theologen und Philosophen Carl Braig (1853 – 1923), 77 und 98. 11 Vgl. Esch: Apostolat der Dialektik, 91 und 95. 12 Vgl. ebd., 95 – 100. 13 Braig: Rezension zu Ludwig Schütz: Einleitung in die Philosophie. Paderborn 1879; Jakob Deby: Die eine wahre Kirche. Freiburg 1879; Hubert Theophil Simar: Lehrbuch der Dogmatik, 1. und 2. Hälfte. Freiburg 1879/1880, 681 f. 14 François Duilhé de Saint-Projet: Apologie des Christenthums auf dem Boden der empirischen Forschung. In Vorträgen, mit Zusätzen und einer Einführung von Carl Braig. 15 Braig: Zur Einführung. In: Duilhé de Saint-Projet: Apologie des Christenthums, XXXV. 16 Ebd., XXV f. 17 Ebd., XXXVII . 18 Carl Braig: Eine Frage, 95. 19 Braig: Zur Einführung. In: Duilhé de Saint-Projet: Apologie des Christenthums, XXVI . 20 Carl Braig: Welchen Werth hat für uns das Studium der neueren Philosophie, 160. 21 Herman Schell: Apologie des Christentums. Band 1: Religion und Offenbarung, XIII . 22 Ebd., XIII f. 23 Zum Verhältnis Braig und Schell vgl. Esch: Apostolat der Dialektik, 103 – 105. 1

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Martin Grabmann: Der Gegenwartswert der geschichtlichen Erforschung der mittelalterlichen Philosophie. Akademische Antrittsvorlesung. Freiburg i. Br. 1913, 11. 25 Ebd., 39. 26 Dazu ausführlich Martin Grabmann: Die Geschichte der scholastischen Methode. Band 1, 1 – 28. 27 Rudolf Eucken: Die Philosophie des Thomas von Aquino und die Kultur der Neuzeit, 46.48 f. 28 Wilhelm Dilthey: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte, 351 ff. 29 Grabmann: Der Gegenwartswert, 42. 30 Ebd., 46. 31 Ebd., 92. 32 Braig: Zur Einführung. In: Duilhé de Saint-Projet: Apologie des Christenthums, XXII. 33 Braig: Welchen Werth hat für uns das Studium der neueren Philosophie, 160. 34 Vgl. Esch: Apostolat der Dialektik, 106. 35 Ebd., 236. 36 Vgl. Schaber: Der Theologiestudent Martin Heidegger und sein Dogmatikprofessor Carl Braig, 334 ff. 37 Carl Braig: Die Freiheit der Wissenschaft , 78. 38 Vgl. Esch: Apostolat der Dialektik, 47. 39 Ebd., 214 f. 40 Thomas Ruster: Theologische Wahrnehmung von Kultur im ausgehenden Kaiserreich, 267. 41 Vgl. Franz Xaver Kiefl : Die Enzyklika ›Pascendi‹ im Lichte der modernphilosophischen Entwicklung. 42 Vgl. Johannes Schaber: Martin Heideggers ›Herkunft‹ im Spiegel der Theologie- und Kirchengeschichte des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. 43 Esch: Apostolat der Dialektik, 144 f. 44 Braig: Welchen Werth hat für uns das Studium der neueren Philosophie, 161. 45 GA 16,41; vgl. GA 16,37; vgl. GA 16,13. 46 GA 16,41; vgl. HJB 1,14. Heidegger blickt 1954 auf diese Vorlesung zurück. Vgl. UzS 96. Unter apologetischem Gesichtspunkt gehört die Exegese des Neuen Testaments (als Offenbarung) in den Bereich der demonstratio christiana. 47 Vgl. das chronologische Verzeichnis. In: HJB 1, 459 – 468. 48 In seiner Habilitationsschrift zählt Heidegger den Immanenzgedanken, Subjektivismus und Idealismus unter die »erkenntnistheoretischen Gespenster«; vgl. KBDS 215. 49 Joseph Gredt: Elementa Philosophiae Aristotelico-Thomisticae. Vol I: Logica. Philosophia Naturalis. 24

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Man beachte, daß Heidegger bei Arthur Schneider, bei dem er promoviert wurde, und bei Heinrich Rickert, bei dem er sich habilitierte, immer wieder an Vorlesungen und Seminaren zur Logik teilgenommen hat; vgl. dazu HJB 1,15 – 17. 51 Martin Heidegger; Heinrich Rickert: Briefe 1912 – 1933 und andere Dokumente, 11 f. 52 Martin Heidegger: Mein Weg in die Phänomenologie, 82. 53 Vgl. die Rezension zu Joseph Gredts scholastischem Logiklehrbuch 1912 (GA 16,29) sowie seine Äußerung über das römische Motu Proprio Doctoris Angelici von Papst Pius X. vom 29. Juni 1914 (DH 3601 – 3624) im Brief an Engelbert Krebs vom 19. Juli 1914. In: HJB 1, 61 – 68, hier 62. 54 Ernst Laslowski an Martin Heidegger am 15. Mai 1915. In: HJB 1,45 f. 55 Heideggers Freund Ernst Laslowski schreibt ihm am 20. Januar 1913 aus Berlin (HJB 1,36): »Ich habe jetzt mit einem protestantischen, liberalen, gut geschulten Theologen manches Gespräch gehabt. Da habe ich erst gesehen, wie so viel auf die philosophischen Grundauffassungen ankommt. Da paßt eben der Katholizismus in das ganze moderne philosophische Denken gar nicht hinein. […] Willst Du wieder im Philosophischen Jahrbuch schreiben? Ich bin nicht ganz dafür. Du wirst jetzt zu viel beobachtet. Da mußt Du Dich hüten, in irgend eine Klasse eingeschachtelt zu werden von den Meistern der Zunft . Es wäre meines Erachtens gut, Du umgibst Dich für längere Zeit mit einem etwas geheimnisvollen Dunkel und machst ›die Leute‹ neugierig.« 56 Vgl. GA 62, 369. 1919 kam es zum Bruch Heideggers mit seinem bisherigen katholischen Standpunkt, zehn Jahre später interessierten ihn auch die kontroverstheologischen Auseinandersetzungen zwischen den christlichen Konfessionen nicht mehr, die ihm ein ›Greuel‹ waren. Martin Heidegger; Elisabeth Blochmann: Briefwechsel 1918 – 1969, 32. Der apologetische Schwerpunkt Heideggers hatte sich längst verschoben: Ab etwa 1917 wandte er sich verstärkt den Bereichen der demonstratio religiosa und der demonstratio christiana zu, die sein spätes Denken weit mehr bestimmen sollten. 57 Briefe 1912 – 1933, 17. 58 Zur philosophischen Auseinandersetzung Heideggers mit Duns Scotus vgl. Sean J. McGrath: Die scotistische Phänomenologie des jungen Heidegger. 59 Briefwechsel 1912 – 1933, 17 f. 60 Vgl. Richard Schaeffler: Frömmigkeit des Denkens? Martin Heidegger und die katholische Theologie, 14. 61 In den dreißiger Jahren entwickelte Heidegger diese Auff assung der Geschichte der Philosophie zum ›anfänglichen Denken‹ weiter; vgl. Beiträge zur Philosophie. Vom Ereignis (GA 65),55 ff. 62 Zum Katalog der authentischen Schriften des Duns Scotus vgl. Ludger Honnefelder: Johannes Duns Scotus, 17 f. 63 Gutachten von Engelbert Krebs über Martin Heideggers Habilitationsschrift (Brief von Engelbert Krebs an Heinrich Rickert). In: HJB 1,68. 50

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Gutachten über die Habilitationsschrift des Herrn Dr. Heidegger vom 19. Juli 1915. In: Heidegger; Rickert: Briefe 1912 – 1933, 95. 65 Aus dem Brief Heideggers an Rickert vom 24. April 1914 geht hervor, daß die Anregung, Duns Scotus mit den Mitteln der modernen Logik zu verstehen und auszuwerten, von Rickert kam: Briefe 1912 – 1933, 17. 66 Heidegger; Rickert: Briefe 1912 – 1933, 95 f. 67 Ebd., 97. 68 So Heidegger in seinem Brief an Grabmann vom 7. Januar 1917. In: HJB 1,74. 69 Heidegger; Rickert: Briefe 1912 – 1933, 28 f. 70 Ebd., 34. 71 Ebd., 36. Zu Clemens Baeumker vgl. ebd., 118. Zu Baeumkers Ansatz einer philosophiegeschichtlichen Mittelalterforschung vgl. Bendel-Maidl: Tradition und Innovation, 118 – 128. 72 Heidegger: Brief an Martin Grabmann. In: HJB 1,74. Vgl. Hermann Köstler: Heidegger schreibt an Grabmann. 73 Heidegger: Brief an Martin Grabmann, 74. 74 Heidegger; Rickert: Briefe 1912 – 1933, 38. 75 HJB 1,81. Vgl. auch Franz Xaver Kiefl : Die Enzyklika ›Pascendi‹ im Lichte der modern-philosophischen Entwicklung, 462. 64

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– Jean Greisch –

»Warum denn das Warum?« Heidegger und Meister Eckhart: Von der Phänomenologie zum Ereignisdenken

Ohne warumb. Die Ros’ ist ohn warumb / sie blühet, weil sie blühet / Sie achtt nicht jhrer selbst / fragt nicht, ob man sie sihet.1

Zitierfähig ist dieses Distichon aus dem Cherubinischen Wandersmann des schlesischen Dichters und Mystikers Johannes Scheffler, eines Zeitgenossen von Leibniz, allemal. Verwendbar auch, wie die zahlreichen Anspielungen auf das Epigramm bei so unterschiedlichen Autoren wie Martin Heidegger und Jacques Derrida beweisen.2 Inwiefern es noch glaubwürdig ist, diese Frage steht auf einem ganz anderen Blatt. Manchmal habe ich den Eindruck, daß der Duft der Rose auch heute noch so betörend ist, daß er uns daran hindert, zu fragen, in welchem Garten diese Rose geblüht hat und welchem Nährboden sie ihr Wachstum verdankt. Es ist die deutsche und flämische Minnemystik des 13. Jahrhunderts. Diese spirituelle Tradition, die die großen Frauengestalten einer Hadewijch von Antwerpen, einer Mechthild von Magdeburg und Béatrice von Nazareth veranschaulichen,3 lieferte den Boden, auf dem die mystische und spekulative Problematik des ›Ohne warum‹, die ein gewaltiges Echo bei Meister Eckhart findet, sich entfalten konnte.4 Auch wenn die Zitate aus den Werken Meister Eckharts in den bisher vorliegenden Bänden der Gesamtausgabe Martin Heideggers aufs Ganze gesehen nicht sehr zahlreich sind, handelt es sich keineswegs um bloß zufällige Anspielungen. Vielmehr liefert Heideggers Eckhartinterpretation von Anfang an einen entscheidenden Fingerzeig auf seine Selbstinterpretation. Dieses vielverhandelte Thema möchte ich im folgenden aus einem speziellen Blickwinkel erörtern: | 129

Heideggers Umgang mit der ›Warumfrage‹, die sich, spätestens seit den Beiträgen zur Philosophie, als eine Überwindung bzw. eine ›Verwindung‹ dieser Frage darstellt. Diese Verwindung spiegelt sich besonders deutlich in Heideggers Vorlesung Der Satz vom Grund wider. In der fünften Vorlesungsstunde zitiert er das Distichon des Angelus Silesius, um mit dessen Hilfe den im Leibnizschen principium rationis reddendae vorausgesetzten logisch-metaphysischen Vernunftbegriff aus den Angeln zu heben, wobei er allerdings dessen Herkunft aus einer bestimmten mystischen Tradition verschweigt – und sogar in einem gewissen Sinn unterschlägt –, indem er nahelegt, daß das ›Ohne warum‹ das der ursprünglichen Physis sei. Auch wenn nichts darauf hindeutet, daß Heideggers Umgang mit der Warumfrage sich unmittelbar dem Eckhartschen ›Ohne warum‹ verdankt, handelt es sich hierbei um eine Schlüsselfrage für die Interpretation von Heideggers Denken überhaupt, die meines Erachtens auch ein neues Licht auf die Frage der ›Destruktion‹ der Metaphysik wirft. Die Mehrzahl der Heideggerinterpreten entfaltet die Frage der Verschränkung der Seinsfrage mit der Frage nach dem Grund hauptsächlich und manchmal einseitig in Bezug auf die ebenerwähnte Vorlesung: Der Satz vom Grund, die der späteste und wohl reifste Ausdruck eines Gedankenganges ist, der seinen ersten schriftlichen Ausdruck im unter dem Titel Vom Wesen des Grundes 1929 veröffentlichten Beitrag zur Husserl-Festschrift anläßlich dessen 70. Geburtstags gefunden hatte. Diese Art der Heidegger-Lektüre war vor kurzem Thema der ausführlichen Auslegung der genannten Vorlesung, die Daniel Panis in seinem Buch Il y a le »il y a«. L’énigme de Heidegger in kritischer Auseinandersetzung mit bestimmten Thesen Henri Biraults vertreten hat. Im Blick auf die jüngsten Veröffentlichungen im Rahmen der Gesamtausgabe empfiehlt es sich, einen anderen, mehr ›phänomenologischen‹ und ›genealogischen‹ Zugang zu versuchen, der um zwei Fragen kreist: 1. Welches sind die näheren Umstände, unter denen Heidegger seit 1928 sich mit der Warum-Frage beschäftigt hat, die in der klassischen Interpretation als die Grundfrage der Metaphysik erscheint: »Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr nichts?« In diesem Wortlaut leitet sie auch Heideggers 1935 gehaltene Vorlesung Einführung in die Metaphysik ein. »Jeder wird einmal«, betont Hei130 | jean greisch

degger gleich am Anfang (GA 40,3 f.), »vielleicht sogar dann und wann, von der verborgenen Macht dieser Frage gestreift, ohne recht zu fassen, was ihm geschieht. In einer großen Verzweiflung z. B., wo alles Gewicht aus den Dingen schwinden will und jeder Sinn sich verdunkelt, steht die Frage auf. Vielleicht nur einmal angeschlagen wie ein dumpfer Glockenschlag, der in das Dasein hereintönt und mählich wieder verklingt. In einem Jubel des Herzens ist die Frage da, weil hier alle Dinge verwandelt und wie erstmalig um uns sind, gleich als könnten wir eher fassen, daß sie nicht sind, als daß sie sind und so sind, wie sie sind. In einer Langeweile ist die Frage da, wo wir von Verzweiflung und Jubel gleichweit entfernt sind, wo aber die hartnäckige Gewöhnlichkeit des Seienden eine Öde ausbreitet, in der es uns gleichgültig erscheint, ob das Seiende ist oder ob es nicht ist, womit in eigenartiger Form wieder die Frage anklingt: Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?« Diese »weiteste«, »tiefste« und »ursprünglichste« aller Fragen, müssen wir, sagt Heidegger im gleichen Kontext, »in ihrem Fragesinn recht vollziehen«. Genau dies beabsichtigte bereits die Marburger Vorlesung über die Anfangsgründe der Metaphysik im Ausgang von Leibniz und die Vorlesung Einleitung in die Philosophie (GA 27), mit der Heidegger im Wintersemester 1928/29 die Vorlesungstätigkeit an seinem Lehrstuhl als Nachfolger Husserls an der Universität Freiburg im Breisgau begann. Ein Vergleich der beiden Vorlesungen mit dem Beitrag zur Husserl-Festschrift zeigt, daß letzterer eigentlich nur eine Kompilation der Materialien dieser Vorlesungen ist. Drei Punkte in dieser Textgruppe verdienen meines Erachtens eine besondere Aufmerksamkeit: a) Heideggers Fragestellung steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der phänomenologischen Interpretation des Phänomens des In-der-Welt-seins. b) Diese impliziert eine neue Bestimmung des Verhältnisses von Transzendenz und Intentionalität, das das Herzstück dessen bildet, was Heidegger zu dieser Zeit ›Metaphysik des Daseins‹ nennt. c) Auch wenn Heideggers Ausarbeitung der Warum-Frage sich ständig auf Aristoteles und Leibniz bezieht, betont er ihre phänomenologische Abzweckung, d. h. die Absicht, das ›Urphänomen‹ des Grundes zu klären. Dies zwingt uns, eine Frage aufzuwerfen, die »Warum denn das Warum ?« | 131

wenige Interpreten berücksichtigt haben: unter welchen Bedingungen wird der Grund als Phänomen sichtbar? 2. Die Frage: ›Warum das warum?‹ (GA 26,278), der wir in diesem Kontext begegnen, ist weder rhetorisch noch redundant. Sie möchte die Bedingungen einer Erörterung des Grundes als Phänomen klären. Bemerkenswerterweise kehrt dieselbe Frage zur Zeit der ›Kehre‹ in verschärfter Form wieder. Noch bemerkenswerter ist die Tatsache, daß Heidegger zu einer Zeit, zu der er der Phänomenologie scheinbar den Rücken gekehrt hat, die Notwendigkeit eines phänomenologischen Zugangs zum Problem des Grundes nochmals unterstreicht, was eine neue Auslegung der Warum-Frage erfordert. Im folgenden werde ich den Zwischenraum zwischen den zwei Thematisierungen der Frage ›Warum das warum?‹ erkunden. Die erste findet sich in der Marburger Leibniz-Vorlesung des Jahres 1928, in der übrigens der Ausdruck ›Kehre‹ zum ersten Mal in Heideggers Begriffsvokabular auftaucht (GA 26,201), die zweite findet sich in einem Passus des 1938/39 entstandenen Manuskripts Besinnung.

2. Ist Heideggers Denken ›anti-fundationalistisch‹ und ›anarchisch‹? Heutzutage stehen sich vielerorts zwei unterschiedliche geistige Lager in einer Art von ›drôle de guerre‹ feindselig gegenüber: die ›Fundationalisten‹ (die nichts mit den ›Fundamentalisten‹ gemeinsam haben), für die ein verantwortliches Denken Begründungen sucht und zur Verfügung stellt, und die ›Antifundationalisten‹, in deren Augen Begründungsansprüche nur noch von einer moribunden Metaphysik erhoben werden. Es ist nicht leicht, Heideggers Position in dieser Debatte zu bestimmen, wie der Streit der Heideggerinterpreten beweist. Manche Interpreten, etwa der italienische Philosoph Gianni Vattimo, erblikken in ihm einen Vorläufer und Wegbereiter eines Denkens, für das die Ausdrücke ›Antifundationalismus‹ und ›post-metaphysisches Denken‹ nahezu gleichbedeutend sind. Andere, etwa Jacques Derrida, verfechten die These, Heideggers Faszination gegenüber dem Grund (den er, in Anlehung an Meister Eckhart zugleich als Ab132 | jean greisch

grund versteht) habe ihn daran gehindert, sich radikal von den Voraussetzungen des metaphysischen Denkens freizukämpfen. Wie Daniel Panis vertrete ich die These, daß Heideggers Denken über diese Alternative hinaus führt. Spätestens seit 1928 bis zu seinen letzten Vorlesungen und Schriften sind für ihn die Seinsfrage und die Frage nach dem Grund unzertrennlich voneinander. Deshalb ist es ein folgenschwerer Irrtum, wenn man Heidegger zu einer Art von Trojanischem Pferd des heutigen ›antifundationalistischen‹ Zeitgeistes stempelt. In keinem Fall kann man seine Entfaltung der Seinsfrage auf die pauschale Formel: »Ersetzung der Seinsfrage durch die Frage des Grundes« reduzieren.5 Etwas subtiler ist da schon die Vermutung, daß Heidegger Grund und Ab-Grund gegeneinander ausspielt. Was diesen Punkt anbetrifft, gehe ich gleichfalls mit Panis einig, der unterstreicht, daß »das Sein kein bloßer Abgrund, sondern ab-gründiger Grund ist«.6 Dieser Interpretation zufolge, ist »der ›Ab-Grund‹ nicht irgendwelche Grundlosigkeit oder das Grundlose von irgendwelchem Etwas. Denn es gibt nur ein einziges Grund-loses: die Grundlosigkeit des Seins selbst.«7 Kurzum: »Ab-gründiger Grund, aber dennoch Grund!«8 Dies weist Panis anhand seiner ausführlichen Exegese der Vorlesung über den Satz vom Grund nach, die zugleich einen Rückblick auf die Abhandlung Vom Wesen des Grundes beinhaltet. Mein einziger Einwand gegenüber dieser Auslegung, die die phänomenologischen Voraussetzungen des Heideggerschen Denkens unberücksichtigt läßt, betrifft die in einem anderen Artikel desselben Autors entwickelte These, derzufolge Heidegger ein ursprünglicheres Verständnis der Warum-Frage verfochten hat.9

3. Die Seinsfrage, das Problem des Grundes und das Weltproblem Die ebenerwähnte Abhandlung aus dem Jahre 1928, die, wie Heidegger im Vorwort der dritten Ausgabe betont, gleichzeitig mit der Freiburger Antrittsvorlesung: Was heißt Metaphysik? entstanden ist (GA 9,123), beweist, in welchem Maße Heidegger zur Zeit der Ausarbeitung des Fragehorizontes einer Metaphysik des Daseins mit »Warum denn das Warum ?« | 133

der Warum-Frage und dem Problem des Grundes gerungen hat. Auch wenn sie sich nicht auf ein so umfangreiches Textmaterial stützen, wie das, was uns heute zur Verfügung steht, behalten Karl Lehmanns eindringlichen Untersuchungen im 5. Abschnitt seiner Dissertation ihre Gültigkeit.10 Die Zusammenstellung der beiden Texte läßt sich sowohl im Rückgriff auf philologische Indizien (die Frage: »Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?« mit der die Antrittsvorlesung endigt, ist auch die Ausgangsfrage der Abhandlung Vom Wesen des Grundes) als auch sachlich rechtfertigen. Die Abhandlung »bedenkt das Nichts«, während die Antrittsvorlesung »die ontologische Differenz« nennt, zwei Themen, die auf das Selbe hinauslaufen. In Heideggers Augen ist die Grundfrage der Metaphysik in der Leibnizschen Formulierung: »Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr (potius quam) nichts?«, unmittelbar in der Transzendenz des Daseins verwurzelt. Worin diese Transzendenz genau besteht, zeigt er ausführlich in der im Wintersemester 1928/29 gehaltenen Vorlesung Einleitung in die Philosophie auf. Insofern die Seinsfrage direkt mit dem Spiel der Transzendenz verbunden ist, deckt sie sich mit der Entfaltung der ontologischen Differenz. Wenn »in jedem Verhalten zum Seienden im vorhinein Sein verstanden« ist, dann bedeutet, Heidegger zufolge, »dem Sein nachfragen« immer auch »gründen«. Die »Frage, wie so etwas wie Grund mit der Transzendenz zusammenhängt und inwiefern das In-der-Welt-sein als solches auf Gründe bezogen ist« (GA 27,392), bezieht sich auf das Wesen des Grundes und darf daher nicht mit dem im ›Satz vom Grund‹ erfaßten ›Problem des Grundes‹ verwechselt werden. Ihre volle Schärfe erhält diese Wesensfrage nur in Verbindung mit der Frage nach dem Nichts. »Es muß das Nichts geben. Was muß sein, daß es das Nichts gibt? Die Welt oder die Transzendenz« (GA 27,393). Weil ein solches Fragen sich notwendigerweise als ein Warum-Fragen vollzieht, ist das ›Warum‹, Heidegger zufolge, »nicht eine freischwebende Form des Fragens überhaupt, sondern mit zum Wesen der Transzendenz, des In-der-Welt-seins gehörig. Wenn der Grund und die Frage nach dem Warum aber zum Wesen der Transzendenz gehört, dann liegt es im Transzendieren selbst, nach dem Warum zu fragen« (GA 27,393). 134 | jean greisch

Diese These ist die Frucht einer eindringlichen Besinnung auf die Warum-Frage, die Heidegger zunächst in seiner Marburger Vorlesung über die metaphysischen Anfangsgründe der Logik im Ausgang von Leibniz entwickelt hatte. Für Heidegger ist »das Dasein seinem metaphysischen Wesen nach der nach dem Warum Fragende« (GA 26,280). In kritischer Absetzung von der These, die Max Scheler in seinen letzten anthropologischen Schriften vertritt, derzufolge die Menschheit des Menschen sich zunächst in der Fähigkeit des ständigen Nein-Sagens manifestiert, womit gleichzeitig der Geist zum ›ewigen Protestanten‹ wird, betont Heidegger, daß der Mensch »ebensowenig der Ja-Sager, sondern der Warum-Frager« ist (GA 26,280). »Warum nehmen wir das Warum so wichtig?«, wird das vorlaute Kind oder der Skeptiker in uns fragen. Hierauf antwortet Heidegger in Anspielung auf Aristoteles: weil das »Umwillen« »das Urphänomen von Grund überhaupt« ist (GA 26,276). Das Bemühen, das Wesen des Grundes als solches aufzudecken, ist das entscheidende Kennzeichen von Heideggers phänomenologischer und zugleich metaphysischer Behandlung der Warum-Frage am Ende der 20er Jahre. In der ebenerwähnten Vorlesung legt er den allgemeinen Rahmen seiner Behandlung des Problems des Grundes fest, wenn er schreibt (GA 26,276): »Warum fragen wir, nicht etwa nur faktisch, sondern dem Wesen nach, qua Dasein, nach dem Warum? Warum gibt es so etwas wie ein Warum und ein Darum? Weil Dasein existiert, d. h. weil Transzendenz sich zeitigt!« Einen ersten Hinweis auf die Tragweite der These: »Weil wir sind in der Weise des transzendierenden Existierens, in der Weise des In-der-Welt-seins, und dieses Zeitigung ist, deshalb fragen wir nach dem Warum« (GA 26,276), liefert die Einsicht, daß die phänomenologische Bestimmung des Grundes als »Spiel der Transzendenz« den aristotelischen Rahmen der vier Ursachen sprengt. In metaphysischer Hinsicht verknüpft die Warum-Frage sich notwendigerweise mit einer Besinnung auf den »Grund des Grundes« (GA 26,277) bzw. mit der Frage (GA 26,278): »Warum das Warum?«. Scheinbar zieht diese Verdoppelung des ›Warum‹ die Gefahr eines unendlichen Regresses nach sich, insofern jedes neue Warum durch ein zusätzliches Warum überboten wird. Aus guten Gründen, und nicht nur um sich vor dem Angstgefühl zu schützen, das solche Übersteige»Warum denn das Warum ?« | 135

rungen auslösen, ist die Phänomenologie gegen solche rein formale Pseudoradikalismen gut gewappnet (GA 26,278): »In der Frage nach dem Warum des Warum stehen nicht einfach zwei Warum formal in Verknüpfung, welche Verknüpfung nun entsprechend formal iteriert werden könnte. Sondern das fragende Warum, d. h. das erste Warum, das nach dem zweiten Warum fragt, gründet als solches im erfragten, d. h. in dem Warum, das es in die Frage nimmt. Also ist am Ende das fragende Warum das zu Bestimmende, welche Bestimmung nichts anderes ist als das Wesen des erfragten Warum.« Der ›Satz vom Grund‹ muß, Heidegger zufolge, aus der Logik in die Metaphysik repatriiert werden, weil das Phänomen des Grundes nur auf der Ebene der Ontologie aufgeklärt werden kann. »Hier, im Seinsverständnis liegen die primären Gründe, genauer: die Tendenz zur Begründung«, die das ontische Wesen jeder Wissenschaft ausmacht (GA 26,283). Die in der Abhandlung Vom Wesen des Grundes enthaltenen Thesen sind eine Kurzfassung der in den obenerwähnten Vorlesungen entwickelten Gedanken. Auch hier zeigt sich deutlich, daß die Frage des Grundes sich Heidegger in einem Kontext und zu einem Zeitpunkt aufdrängt, wo die Fundamentalontologie in eine Metaphysik des Daseins umschlägt. Auslöser der Frage ist die Schlußthese der Antrittsvorlesung Was heißt Metaphysik? (GA 9,122): »Die Philosophie kommt nur in Gang durch einen eigentümlichen Einsprung der eigenen Existenz in die Grundmöglichkeiten des Daseins im Ganzen. Für diesen Einsprung ist entscheidend: einmal das Raumgeben für das Seiende im Ganzen; sodann das Sichloslassen in das Nichts, d. h. das Freiwerden von den Götzen, die jeder hat und zu denen er wegzuschleichen pflegt; zuletzt das Ausschwingenlassen dieses Schwebens, auf daß es ständig zurückschwinge in die Grundfrage der Metaphysik, die das Nichts selbst erzwingt: Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?« Die Metaphern, derer Heidegger sich hier bedient, sind kein schmückendes Beiwerk, sondern müssen bei der konkreten Entfaltung der Warum-Frage stets mitbedacht werden. Dies gilt auch für Heideggers Auseinandersetzung mit den großen Theoretikern des Grundes: Aristoteles, Leibniz und Schopenhauer. Aristoteles verdankt er den entscheidenden Hinweis auf die Vieldeutigkeit des Terminus ρχ, den er nicht wie üblich mit Prinzip, sondern 136 | jean greisch

mit ›Ursprung‹ bzw. ›bestimmendes Woher‹ übersetzt. Besonders wichtig ist ihm die aristotelische These, derzufolge das gemeinsame Merkmal aller Prinzipien darin besteht, daß das Prinzip »ein Erstes wovon her etwas ist, wird oder erkannt wird« ist (Metaphysik 1013 a 17). Das Wissen um die Ursprünge (d. h. die ›Erste Philosophie‹ im Sinne des Aristoteles) ist zugleich eine ›Archeologie‹ eine ›Genealogie‹ und eine ›Gnoseologie‹. Fragwürdig ist, Heidegger zufolge, die Aristotelische Gleichsetzung von ›Grund‹ und ›Ursache‹, die dazu führt, daß das Bedenken des Grundes in einem instabilen Gleichgewicht zwischen dem transzendentalen Begriff des Prinzips (ρχ) und dem ontischem Begriff der Ursache (ατα) schweben bleibt. Ersterer Begriff zeichnet sich durch den Ternar des Wasseins, des Daß-seins und des Wahr-seins aus, während letzterer sich in der Vierteilung der Ursachen niederschlägt. In seiner kritischen Besinnung auf das Wesen des Grundes versucht Heidegger, den ontischen Begriff der Ursache möglichst streng von dem ontologischen Begriff der ρχ, des ›bestimmenden Woher‹ zu trennen. Nicht weniger kritisch ist seine Auseinandersetzung mit der Leibnizschen Fassung des Satzes vom zureichenden Grund und mit Schopenhauers Dissertation über die vierfache Wurzel des Satzes vom hinreichenden Grunde aus dem Jahre 1813. Die Leibnizsche Formulierung wirft unmittelbar die Frage des Verhältnisses von Logik und Metaphysik auf. Als erste aller Vernunftwahrheiten konfrontiert der Satz vom hinreichenden Grunde uns unmittelbar mit der Frage nach dem Wesen der Wahrheit, die Heidegger zur selben Zeit umtreibt. Wie er ausführlich nachweist, ist alle Aussagenwahrheit in der ontischen Wahrheit, anders gesagt: in der vorprädikativen Entdecktheit des Seienden verwurzelt, welche ihrerseits auf die Unverborgenheit als ontologische Wahrheit verweist (GA 9,130 f.). Letzten Endes verweist das Prinzip des hinreichenden Grundes auf die ontologische Differenz als Möglichkeitsbedingung jedes Seinsverständnisses, eine Möglichkeit, die sich mit Transzendenz des Daseins deckt (GA 9,134 f.). Nachdem er die enge Verquickung der Begriffe ›Wahrheit‹, ›Grund‹ und ›Transzendenz‹ aufgezeigt hat, bestimmt Heidegger den Bezirk der Frage nach dem Wesen des Grundes durch eine nähere Analyse der das Dasein als solches auszeichnenden Transzendenz. In-der-Welt-sein und Selbstheit sind die beiden Seiten eines »Warum denn das Warum ?« | 137

einzigen Phänomens. Wenn man die Welt als transzendentales Phänomen versteht (GA 9,141 f.), dann erhält das Kantische Bild vom »großen Spiel des Lebens« nicht nur einen ›anthropologischen‹ Sinn (der der Kantischen Definition der ›pragmatischen Anthropologie‹ entspricht), sondern einen ontologischen und metaphysischen (GA 9,153 f.). In der Transzendenz, die das transzendentale Spiel des In-derWelt-seins konstituiert, lassen sich zwei Aspekte unterscheiden: Welteingang und Weltbildung, die Heidegger ausführlich beschreibt. Die Analyse des Transzendenzbegriffes verbindet sich mit dem Phänomen des Weltens, das sich in folgender These widerspiegelt (GA 9,160): »Welt ist nie, sondern weltet.« Vor diesem Hintergrund erhält der Begriff der ›Weltanschauung‹ einen existentialen Sinn. Am Ende seiner Darstellung des Problems des Grundes und seiner Bestimmung der Transzendenz als ›Welten der Welt‹ und Geschehnis der Selbstheit entwickelt Heidegger das Wesen des Grundes, indem er die Transzendenz mit der ursprünglichen Freiheit zum Grunde identifiziert. Die Vieldeutigkeit des Grundes und des Gründens wird dennoch nicht uferlos, wenn man Heideggers These von der »dreifachen Streuung des Gründens in Weltentwurf, Eingenommenheit im Seienden und ontologischer Begründung des Seienden« ernstnimmt (GA 9,171). ›Gründen‹ bezeichnet in diesem Falle dreierlei: 1. Den Akt des Stiftens. In diesem Sinne spricht man etwa von den großen Religionsbegründern wie Gautama Buddha, Jesus von Nazareth oder Mohammed. 2. Den Akt des Bodennehmens, das heißt der Verwurzelung, z. B. der Berufung auf die Grundschrift einer religiösen Tradition oder, im politischen Bereich, auf eine Verfassung. 3. Den Akt der Legitimierung und des Begründens, etwa indem wir die Gründe angeben, die ein bestimmtes Handeln rechtfertigen (GA 9,165). Heidegger zufolge dürfen diese drei Grundbedeutungen nicht auf ihre ontische Funktion reduziert werden, sondern sie müssen transzendental, als Spiegelungen der transzendentalen Freiheit verstanden werden. Auf dieser Ebene entsprechen sie den drei Grundbedeutungen des Transzendierens, die Heidegger in seiner Einleitung 138 | jean greisch

in die Philosophie unterschieden hatte: Entwurf, Überstieg, Erhöhung (GA 27,206 f.). Ihre transzendentale Interpretation entspricht ferner den Zeitigungsstufen, die Heidegger in Sein und Zeit unterschieden hatte. An erster Stelle rangiert das Stiften, das Heidegger später mit dem Schlußvers von Hölderlins Hymne ›Andenken‹ verbindet: »Was bleibet aber, stiften die Dichter«.11 Das Stiften bezeugt den Überstiegs- und Entwurfscharakter der Transzendenz, die einen ursprünglichen Spielraum des Möglichen freilegt. Am Anfang steht der ›Entwurf des Umwillen‹, der sich mit dem ›Welteingang‹ deckt. Gäbe es nicht diese ursprüngliche Stiftung, könnten wir nicht ›in der Welt‹ und inmitten der Seienden sein und uns zu ihnen verhalten. Die Welt wäre in diesem Falle nichts anderes als der umfassendste aller Behälter, ein ›Supercontainer‹! Zweitens bedeutet Transzendenz, daß wir in vielfacher Weise von den Seienden eingenommen und manchmal geradezu benommen sind. Es ist diese Eingenommenheit, die das Bild des Bodennehmens veranschaulicht. Die Möglichkeiten lassen sich nur verwirklichen, wenn man weiß, auf welchem Grund und Boden man sich bewegt. Transzendental verstanden läßt sich das Bodennehmen nicht auf einen Akt der Besitzergreifung zurückführen, denn er impliziert stets eine Entzugserfahrung: bestimmte Möglichkeiten sind uns von vornherein entzogen (GA 9,167). Der nie ausfüllbare Graben zwischen dem Überschuß an Möglichkeiten und der Situation, in der wir je befangen sind, offenbart uns einen fundamentalen Aspekt unserer Endlichkeit. Anderseits aber zeigt das spannungsreiche Spiel des Stiftens und des Bodennehmens, daß die Möglichkeit eines intentionalen Verhaltens in der Transzendenz begründet ist. Damit bestätigt sich, daß die Transzendenz die Intentionalität begründet und nicht umgekehrt (GA 9,168). Wenn also das Dasein »nur als sich gründend inmitten von Seienden« gründet oder stiftet (GA 9,167), welches Licht wirft Heideggers Begriff der Transzendenz auf die dritte Grundbedeutung: das Begründen? Begründung heißt in diesem Falle nichts anderes als Ermöglichung der Warum-Frage. Vergleicht man den Ternar: Möglichkeit – Boden – Ausweis (GA 9,170) mit der Analyse der ekstatisch-horizontalen Zeitlichkeit im § 65 von Sein und Zeit, entdeckt »Warum denn das Warum ?« | 139

man interessante Korrespondenzen zwischen dem Akt des Stiftens und der ursprünglichen Zukünftigkeit, dem Bodennehmen und der Gewesenheit, der Begründung und dem Gegenwärtigen. Wie Schelling klar erkannt hat, impliziert die radikale Frage des Grundes nicht nur die Frage nach dem Nichts, sondern eine Besinnung auf die Seinsmächte der Natur und der Geschichte. Aufs Ganze gesehen sind Heideggers wichtigste Gesprächspartner in dieser Frage nicht so sehr Aristoteles, Leibniz und Schopenhauer, sondern Kant und Schelling.

4. Vom Warum zum Wie: ein Aspekt der ›Kehre‹ Welche Folgen hat die zweite ›Kehre‹ von der ›Metaphysik des Daseins‹ zum andersanfänglichen Denken des Ereignisses für die Warum-Frage? Daniel Panis faßt diesen Umschlag in folgender Formel zusammen: »Vor der ›Kehre‹ ist die Freiheit der Grund des Grundes […]. Aber insofern sie dieser Grund ist, ist die Freiheit der abgründige Grund des Daseins. Nach der ›Kehre‹ sind Sein und Grund dasselbe. Sein ist der abgründige Grund.«12 Diese Interpretation kann durch einen besonders beachtenswerten Passus des in den Jahren 1938/39 entstandenen Manuskriptes Besinnung gestützt werden. Ebenso wie der Titel Beiträge zur Philosophie, muß auch der Terminus Besinnung in einem spezifischen Sinn genommen werden. Es handelt sich nicht nur um besinnliche Meditationen, sondern um den dem Ereignis selbst angemessenen Denkstil, der eine »denkerische Aus-ein-ander-setzung« mit der vormaligen Metaphysik im Ganzen impliziert. Diese kann »nicht und nie« als »Widerlegung«, »sondern je nur« als »Er-gründung des Grundes, Wagnis des Abgrundes des Seyns, des Seyns als des Ab-grundes« vollzogen werden (vgl. GA 66,76). Die bereits in der Einleitung in die Philosophie ausführlich entfaltete Metapher des Spiels der Transzendenz wird hier wieder aufgegriffen, aber gleichsam mit verschärftem Einsatz (GA 66,45): »Auf dem Spiel, in dem künftig mit dem ›Einsatz‹ des Seyns selbst gespielt werden muß, steht, was noch nie in der Geschichte des Denkens auf dem Spiel stand: daß die Wahrheit des Seyns erfragt, dieser 140 | jean greisch

Wahrheit ein Grund gegründet und der Mensch – sich wandelnd – in diesem Grund abgründig werde: das Beben nicht nur der ›Erde‹ und der ›Völker‹, sondern das Erbeben des Seienden als solchen im Ganzen.« Heideggers Besinnung kreist um folgenden Spruch des seynsgeschichtlichen Denkens (GA 66,89): »Das Seyn ist, das Seiende ist nicht.« Dies ist offenbar ein Spruch, der die Hörfähigkeit des Metaphysikers übersteigt, weshalb Heidegger ihn gleichsam durch einen ›Zwischenspruch‹ abfedert (GA 66,92): »Das Seiende ist, das Seyn west.« In diesem Zusammenhang kommt Heidegger auf den Abstand zwischen seiner früheren Behandlung des Problems des Grundes in seiner Abhandlung Vom Wesen des Grundes und seiner jetzigen Besinnung zu sprechen. Sein erster Versuch, die Transzendenz als Grund zu denken, blieb ambivalent, insofern er einer bestimmten Auffassung des Transzendentalen als A priori verpflichtet blieb, die sich auf die Voraussetzungen der Bewußtseinsphilosophie stützte, obschon diese im Begriff des Daseins bereits überwunden war. Heideggers Selbstkritik betrifft das Verständnis der Transzendenz als Überstieg, die eine ›Aufstockung‹ des Seins und des Seienden voraussetzt, gleichsam als ob sich das Sein dem Seienden wie ein Handschuh überstülpen würde. Folgender Passus unterstreicht besonders deutlich die Grenzen dieser Interpretation der Transzendenz als Grund (GA 66,94): »Das Seyn west nicht als Grund, ist nicht das Gründige, was im Ab-Grund der Lichtung allem Seienden Jenes bereitet, wohin das Seiende nicht stürzen kann, weil es zu ›leicht ist‹.« Kann man ein Gleiches nicht auch von der Sprache sagen? Sind unsere Worte, von denen Robert Musil sagt, daß sie »so leicht wie die Affen von Baum zu Baum springen«, nicht zu leicht, um das AbGründige als solches erfassen zu können? Heidegger spielt mit einem ähnlichen Gedanken, wenn er das »denkerische Sagen« als ein »Entsagen« charakterisiert, dem »nur selten das Geringe seines wesentlichen Wortes« glückt (GA 66,97). Bedeutet das, daß das Ereignisdenken wie die Sprache mancher Mystiker sich hart am Rande des Unsagbaren bewegt? Zum Schluß seiner Besinnung wirft Heidegger selbst diese Frage auf, freilich nur, um sie sofort von sich zu weisen unter dem Hinweis darauf, daß »alle Mystik« nur »die »Warum denn das Warum ?« | 141

von der Metaphysik selbst noch für sich oder gegen sich gesetzte Grenze« ist (GA 66,92). Diese pauschale Absage, die den Neoplatonismus ebenso wie die Mystik des Mittelalters, der neuzeitlichen Metaphysik und der Romantik (Novalis, Baader) und die negative und positive Philosophie Schellings betrifft, ist um so nachdrücklicher, als sie sich mit der These überkreuzt, derzufolge das »Denken des Seyns im Sinne des erfragenden Vordenkens in die Gründung der Wahrheit des Seyns« eigentlich eine »tragische Philosophie« ist (GA 66,223). Alles hängt hier davon ab, in welchem Sinn das Seyn selbst zugleich als Ab-grund und als Grund gedacht werden muß (GA 66,99): »Das Seyn ist nirgends und nie festgemacht und angeklammert und aufgestützt und niedergelegt – das Seyn ist der ›Grund‹, der all Solches schon je ab-gewiesen, weil es als Er-eignung die sich selbst verweigernde Zuweisung in das Un-gestützte und Un-geschützte ist, weil Sein nur dieses heißt.« Alle bisher aufgezeigten Denklinien verknüpfen sich in Abschnitt XXI der Besinnung, der der ›metaphysischen Warumfrage‹ gewidmet ist (GA 66,265-277), die, wie Heidegger in Klammern andeutet, als ›Übergangsfrage‹ verstanden werden muß. Der Abschnitt setzt sich aus einem einzigen Paragraphen zusammen, den Heidegger lakonisch ›Warum?‹ betitelt. Auf unsere Frage bezogen, verlangt er eine ausführliche Erörterung. Das Anfangszitat greift die Ausgangsfrage der Vorlesung: Einleitung in die Metaphysik wieder auf: »Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?«. Scheinbar handelt es sich hierbei um eine ›wurzelhafte‹ Frage, die bis zu den Wurzeln alles Seienden vorstößt. In Wirklichkeit befragt sie nur das vorgestellte und vergegenständlichte Seiende. Weil diese Frage sich im Horizont des Vorstellens und der Vergegenständlichung bewegt, weiß sie »nicht, was sie fragt« (GA 66,267). Das Fragen nach der Wahrheit des Seins muß sich in neuer Weise der Frage stellen: »Warum denn das Warum?« Erstaunlicherweise kommt Heideggers Besinnung zum Ergebnis, daß die Warum-Frage eigentlich nur ›vordergründlich‹ ist. Der Ausdruck ist sehr sorgfältig gewählt und darf nicht mit der Schreibweise ›vordergründig‹ verwechselt werden. ›Vordergründlich‹ bedeutet hier scheinbar grundlegend, oder, noch wortwörtlicher und dramatischer ausgedrückt, eine Frage, die uns hart an den Rand der 142 | jean greisch

Ab-Gründigkeit des Seins selbst heranführt, den man mittels des ›warumhaft zu Erfragenden‹ erreicht. An dieser Stelle fügt Heidegger eine Zwischenbemerkung ein, der ich eine entscheidende Bedeutung einräume. Unvermutet kommt er auf den »Sinn des phänomenologischen Fragens« und den »Willen zu den ›Sachen selbst‹« zu sprechen (GA 66,268). Der ›denkerische Sinn‹ eines solchen Fragens hat nichts mit dem wissenschaftlichen Fragen gemeinsam, dem es einzig und allein um Erklärung der Ursachen, d. h. um ›Aitiologie‹ geht. Das phänomenologische Fragen kann sich, Heidegger zufolge, nur als ›Erdenken des Seyns‹, anders gesagt, als ›Besinnung‹ vollziehen. Weit entfernt davon, daß er nach der Kehre der Phänomenologie den Rücken kehrt und sich in ein besinnliches Denken verstrickt, das eher der Dichtung als der Philosophie ähnelt, hält Heidegger, mindestens seiner Absichtserklärung nach, doch der Phänomenologie die Treue. Seine ›Besinnung‹ ist daher die Fortsetzung des phänomenologischen Projektes mit neuen Mitteln. Im Anschluß an diese Zwischenbemerkung greift Heidegger die Warum-Frage wieder auf, indem er ihr eine sehr überraschende Stoßrichtung verleiht (GA 66,269): »Warum Seiendes und warum alles, was zu dessen Vorstellung erjagt und erlitten sein will? Warum? – um des Seyns willen.« Dies ist noch eine ›vordergründliche‹ Antwort, die, wie Heidegger betont, auch von einem Metaphysiker ratifiziert werden könnte. Dennoch wirft sie bereits ein bezeichnendes Licht auf den Unterschied zwischen zwei grundverschiedenen Weisen der Übernahme der Warum-Frage. Die erste begnügt sich mit einer Antwort, die das Sein als solches nicht fragwürdig macht; die zweite besteht darauf, daß nichts fragwürdiger als das Sein selbst ist. Wenn das »Seiende und auch das Warum selbst« nur »umwillen des Seyns ist« (GA 66,269), dann erhält das ›Warum‹ einen völlig neuen Sinn, den Heidegger auf mehreren Seiten erörtert. »Warum? Dieses Fragewort nennt die Lichtung, im Schritt zu der je der Mensch die Würde der Wächterschaft der Wahrheit des Seyns erschreitet« (GA 66,269). Scheinbar wird die Warum-Frage in dieser Fassung unbeantwortbar, insofern das erste und das letzte Wort des Denkens uns mit der Fragwürdigkeit des ›Seyns‹ konfrontiert. Wie kann man diese Unbeantwortbarkeit verstehen? Negativ drückt sie sich in einer Reihe von Absagen aus. Heidegger lädt uns »Warum denn das Warum ?« | 143

zunächst dazu ein, das Wesen des Menschen nicht mehr im Hinblick auf und durch Vergleich mit dem Tierischen zu bestimmen. Zugleich damit gilt es vom Anspruch auf universale Erklärbarkeit Abstand zu nehmen. Schließlich – und dies ist wohl der schwierigste Verzicht, den die als ›Übergangsfrage‹ verstandene Warum-Frage von uns verlangt –, wird der »augen- und blicklose ›Glaube‹ an den ›restlosen‹ Vorbesitz aller Antworten, der Glaube an die Vernünftigkeit schlechthin und an die Möglichkeit innerhalb des Menschentums, ihrer durchaus Herr zu sein«, fragwürdig (GA 66,270). Heidegger begnügt sich indessen nicht mit einer rein negativen Abgrenzung der Warum-Frage. Es gilt auch in ihr den »Segen der Würde des Fragwürdigsten« wahrzunehmen. Dieser Segen manifestiert sich nur dort, wo die Warum-Frage sich mit der Frage des Grundes verknüpft (GA 66,270): »Warum? – das bedeutet: aus welchem Grunde? und auf welchen Grund zu?« Dieser Umschlag der Frage, der sich bereits in der Abhandlung Vom Wesen des Grundes abzeichnete, richtet das Denken auf das einzig ›Grundhafte‹, nämlich das Seyn selbst aus. Paradoxerweise betont Heidegger im selben Atemzug (GA 66,270): »Das Grundhafte als solches stößt jedes Warum zurück.« Von hier aus versteht man besser, warum Heidegger von einer ›Übergangsfrage‹ spricht. Zwar hatte seine erste Behandlung der Warum-Frage den Grund und Boden für die spätere ›Kehre‹ vorbereitet; dennoch markiert die Kehre einen Sprung in eine neue Fragestellung, die das Denken der Wahrheit des Seins zukehrt. Die ›erklärende Warumfrage‹ (GA 66,272) ist nicht mehr die ursprünglichste aller Fragen, was nicht bedeutet, daß sie schlechthin disqualifiziert wäre. »Hier«, so Heidegger, »kommt die Besinnung an die Stelle einer Entscheidung über die Rangstufung des Fragens«, die »bestimmt wird durch die Ursprünglichkeit und die Art der Seinsauslegung, d. h. aber durch die Grundstimmung, die den Bezug zum ›Sein‹ durchstimmt und bestimmt« (GA 66,270 f.). Im Bereich der Metaphysik bleibt die Grundstimmung des Erstaunens der »Unerschöpflichkeit der erstaunenden Wasfrage« zugeordnet, die »anfänglich den Vorrang vor der Warumfrage« hatte (GA 66,272). Nur wer die Leitfrage der Metaphysik im Durchdenken der Grundstimmung des Erstaunens erfaßt hat, versteht, weshalb die Warum144 | jean greisch

frage »keine ursprüngliche Frage ist, sondern im Bereich der Erklärung des Seienden verhaftet bleibt« (GA 66,273). Weit entfernt davon, daß Heideggers Ereignisdenken die Warum-Frage in den Vordergrund rücken würde, nimmt sein Versuch, die Wahrheit des Seins selbst zu ›erdenken‹, einen noch größeren Abstand von ihr, zugunsten der »eigentlichen Grund-frage« (GA 66,273): »Wie west das Seyn? Welches ist die Wahrheit des Seyns?« Die volle Tragweite dieser doppelten Akzentverschiebung von der Was- und der Warum-Frage auf die Wie-Frage erfaßt man erst, wenn man sie einer völlig neuen Grundstimmung zuordnet. Es ist die Grundstimmung des Entsetzens (GA 66,274): »Das Denken in der Grundfrage: wie west das Seyn? übernimmt eigens und erstmals jenes Schwerste, was im ersten Anfang verloren gehen mußte (die Ausdauer vor der Erstaunlichkeit des Seienden als solchen) und zwar in der Gestalt der Inständigkeit in der Grundstimmung des Ent-setzens, das alles Erstaunen übertrifft und mit der bloßen Schrecklichkeit des gewöhnlichen Fühlens nichts gemein hat.« Der Schluß des hier kommentierten Abschnitts legt den Horizont eines Denkens frei, »in dem jedes warum zu kurz, ja überhaupt nicht mehr trägt« (GA 66,275) und in dem die Warum-Frage nur noch »als Übergangsfrage vollzogen« werden kann (GA 66,274) und der Anspruch, »die höchste Unruhe des tiefsten Fragens auszudrükken«, preisgeben muß (GA 66,276). Dies bedeutet auch, daß der Mensch sich nicht länger als der ewige Warumfrager verstehen kann. Gilt dann für Heideggers Ereignisdenken, was Francis Wolff über die Metaphysik sagt: »Dem allzu neugierigen und zudringlichen Kinde, das unaufhörlich sein ›Warum denn?‹ wiederholt, antwortet sie schlicht und einfach: Darum, es ist so«?13 In gewisser Weise ja. 1. Allerdings ist es ein sehr bestimmtes Darum, das das Ereignisdenken dem ›Warum‹ des Metaphysikers, dem ›Warum‹ der Metaphysik des Daseins, entgegenhält. Es erklingt in dem eingangs zitierten Vers des Cherubinischen Wandersmanns: »Die Ros’ ist ohn warumb […] sie blühet, weil sie blühet«. Daniel Panis interpretiert dieses ›weil‹ so, daß er es auf das ›Es gibt‹ bezieht. Die ›außer-ordentliche‹ Frage: »Warum gibt es das Es gibt?« ruft nach der ›außer-ordentlichen‹ Antwort: »Weil es das »Warum denn das Warum ?« | 145

Es gibt gibt«14. Heißt das, daß die Warum-Frage dadurch neu ins Recht gesetzt wird? Der eben kommentierte Passus der Besinnung scheint mir eine andere Interpretation nahezulegen, die eher dem Lager derjenigen Interpreten entspricht, die Panis zufolge, »das Recht bestreiten, daß man in diesem Bereich noch von einem Fragen, insbesondere einem Fragen in Form des Warum sprechen kann«.15 Vielleicht ist es an diesem Punkt angebracht, eine der beachtlichsten Stellen aus den Predigten Meister Eckharts zu zitieren: »Wer das Leben fragte tausend Jahre lang: ›Warum lebst du?‹ – könnte es antworten, es spräche nichts anderes als: ›Ich lebe darum, daß ich lebe.‹ Das kommt daher, weil das Leben aus seinem eigenen Grunde lebt und aus seinem Eigenen quillt; darum lebt es ohne Warum eben darin, daß es (für) sich selbst lebt.«16 2. Die Warum-Frage zu einer bloßen ›Übergangsfrage‹ zu machen, bedeutet nicht unbedingt, auf jedes ›Warum‹ zugunsten einer fröhlichen Wissenschaft des schönen Scheins zu verzichten. Ein Denken, das sich auf die Frage der Wahrheit des Seins zubewegt, und sich als ›Erdenken des Seyns‹ versteht, verlangt zwar eine bestimmte Form des ›Wegdenkens‹. Aber in diesem ›Wegdenken‹, das die Warum-Frage hinter sich läßt, bleibt der Mensch ein Fragender, der »nur als der Fragende jener Frage […] der wahre Wächter […] der Wahrheit des Seins selbst, das sich ihm, und nur ihm dem Frager, als das Fragwürdigste verschenkt«, sein kann (GA 66,156). Am Schluß dieser Ausführungen sei es mir erlaubt, kommentarlos und gleichsam kontrapunktisch zwei Zitate einander gegenüber zu stellen, die uns – hoffentlich – zum Weiterdenken anregen: »Wer z. B.«, fragt sich Heidegger in den Beiträgen zur Philosophie (GA 65,19), »geht den langen Pfad der Gründung der Wahrheit des Seyns mit? Wer ahnt etwas von der Notwendigkeit des Denkens und Fragens, jener Notwendigkeit, die nicht der Krücken des Warum und nicht der Stützen des Wozu bedarf?« »Deus«, sagt Meister Eckhart in einer lateinischen Predigt (Sermo IV, n. 21.), »et per consequens homo divinus, non agit propter cur aut quare.«

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Anmerkungen

Angelus Silesius: Cherubinischer Wandersmann. Erstes Buch, 289 (Kritische Ausgabe, 69). 2 Martin Heidegger: Der Satz vom Grund (GA 10), 55-63; Jacques Derrida: Sauf le nom; dazu vgl. Georg Stenger: Ohne Warum. Versuch einer Phänomenologie des Ungrundes im Anschluß an den ›Cherubinischen Wandersmann‹ von Angelus Silesius. 3 Vgl. Hadewijch d’Anvers: Lettres spirituelles; Béatrice de Nazareth: Sept degrés d’amour. Béatrice von Nazareth scheint als erste die Formel »sonder enich waromme« verwendet zu haben. 4 Vgl. Georgette Epiney-Burgard; Emilie zum Brunn: Femmes, troubadours de Dieu. 5 Daniel Panis: Il y a le »il y a«, 21. 6 Ebd., 17. 7 Ebd., 20. 8 Ebd., 14. 9 Daniel Panis: Vers une pensée plus originelle du warum? 10 Karl Lehmann: Vom Ursprung und Sinn der Seinsfrage im Denken Martin Heideggers, 433-639. 11 Vgl. EHD (GA 4), 144f. 12 Daniel Panis: Vers une pensée plus originelle du warum?, 120. 13 Francis Wolff : Dire le monde. 14 Daniel Panis: Il y a le »il y a«. L’énigme de Heidegger, 95. 15 Ebd., 93. 16 Deutsche Predigten und Traktate, 180. 1

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– Karl Kardinal Lehmann –

»Sagen, was Sache ist«: der Blick auf die Wahrheit der Existenz Heideggers Beziehung zu Luther

1. Zum Ausgangspunkt der Untersuchung Es ist bekannt, daß Martin Heidegger die historisch-biographische Rekonstruktion des Werdens eines Gedankens für nicht so bedeutungsvoll hielt.1 Dies gilt vermutlich nicht nur für ihn, sondern auch für manch anderen Denker. Sie sind so auf die gesuchte Sache eingestellt, daß Gedanken und Anregungen anderer fast von selbst in den eigenen Gedanken einfließen. Ich habe dies in ähnlicher Weise bei meinem theologischen Lehrer Karl Rahner feststellen können. Es ist die Leidenschaft zur Sache, die dies verursacht. Es ist darum auch nicht leicht, aus dem späteren Rückblick, gewisse inhaltliche oder literarische ›Abhängigkeiten‹ festzustellen, denn gerade bei bestimmten Einwirkungen gibt es nur spärliche Nachweise im üblichen Sinne. Es ist auch leicht möglich, daß die Entfaltung des ursprünglichen Gedankens in einer späteren Zeit von den Eierschalen des Anfangs, die zurückgeblieben sind, nicht mehr Notiz nimmt. Aber gerade dann ist es im Sinne der Wissenschaft notwendig, auf das Entstehen der Anfänge zurückzukommen und nach den Gründen für eine bestimmte Entwicklung zu fragen. Freilich muß man sich der Grenzen einer solchen Fragestellung für die Sache des Denkens selbst bewußt bleiben. Dies gilt in besonderer Weise auch für das mir hier aufgegebene Thema: Heideggers Beziehung zu Luther. Vor mehr als 40 Jahren2 habe ich mich im Anschluß an Otto Pöggeler3 mit den Anstößen der christlichen Tradition auf Martin Heidegger hin beschäftigt. Zur damaligen Zeit war dies im Blick auf das Verhältnis Martin Heideggers zu Martin Luther nur sehr fragmentarisch möglich. In der Zwischenzeit sind die Zeugnisse zwar immer noch in Zahl und Umfang | 149

sehr beschränkt, erlauben aber doch eine tiefere Befassung mit der Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Philosophen und dem Reformator.

2. Zu Heideggers Beziehung zur Theologie vor seiner Begegnung mit Luther Für unser Thema scheint es mir wichtig zu sein, Heideggers Ausgangspunkt näher zu bedenken. Die ersten Arbeiten Martin Heideggers4 gehören insgesamt trotz mancher anderer Akzente in eine Situation, die Martin Heideggers Herkunft und Nähe zur katholischen Theologie und ihrer Geisteswelt bezeugt.5 Er spricht zunächst in der Sprache seiner theologischen Umwelt und läßt sich auf die Denkformen der damaligen Scholastik ein.6 Dazu gehört aber nicht nur das literarische Werk, sondern das geistig-religiöse Klima der Meßkircher Heimat Martin Heideggers. Dazu gehört auch sein Verhältnis zum benediktinischen Mönchtum und zur Erzabtei Beuron.7 Aber auch die theologische Studienzeit hat ihn geprägt. Dies ist immer wieder dargestellt worden.8 Von den Freiburger Theologen spielte der von Heidegger öfter positiv erwähnte Carl Braig die mit Abstand wohl gewichtigste Rolle.9 Das Verhältnis zu Engelbert Krebs bedürfte einer vertieften Untersuchung.10 Insgesamt geht aus den bruchstückhaften Äußerungen dieser Jahre hervor, daß Martin Heidegger die künftige Ausrichtung seines philosophischen Weges zweifellos in einer Vertiefung der klassischen scholastischen Philosophie suchte.11 Dabei ging es ihm immer schon um die Verbindung der griechischen und mittelalterlichen Philosophie mit modernen philosophischen Richtungen, übrigens auch der modernen Logik. Es ist jedoch gleichzeitig auch nicht zu übersehen, daß Martin Heidegger sich mit einer bloßen Erneuerung der Schulphilosophie nicht begnügen konnte. Dafür waren die philosophischen Antriebe zu stark und auch zu mächtig. Dies wird z. B. gut erkennbar in der Rezension des berühmten Lehrbuches von Joseph Gredt Elementa Philosophiae Aristotelico-Thomisticae aus dem Jahr 1912 (vgl. GA 16,29 f.). Neben einigem Lob spürt man sehr deutlich auch das Ungenügen: »Etwas anderes aber ist die Frage, ob überhaupt eine sol150 | karl kardinal lehmann

che Arbeit heute sich noch rechtfertigen läßt. Wenn die Neu-Scholastik sich nicht gründlich entwickelt, wäre dies nur das Signal einer neuen Dekadenz.« Immer deutlicher erklärt er, daß er in den Lehrbüchern und Vorlesungen nicht das gefunden hat, was er suchte (vgl. GA 16,37). Wie Heidegger selbst später erklärte, und zwar anläßlich der Aufnahme in die Heidelberger Akademie der Wissenschaften (1957), waren die Jahre zwischen 1910 und 1914 eine geradezu erregende Entwicklung. Er verwies auf die Neuauflage von Friedrich Nietzsches Wille zur Macht, die Übersetzung der Werke Kierkegaards und Dostojewskis, das erwachende Interesse für Hegel und Schelling, Diltheys Gesammelte Schriften, aber auch an Rilkes und Trakls Gedichten. Eine entscheidende Bedeutung, die hier nicht näher darzustellen ist, ist die Annäherung an Husserl und seine Phänomenologie.12 Es besteht aber auch kein Zweifel, daß sich in dieser Zeit das Verhältnis zur katholischen Theologie und auch zur katholischen Kirche aus einem Bündel von Faktoren lockerte. Heidegger gab das theologische Studium auf. Er hatte große Schwierigkeiten mit dem sogenannten ›Modernisten-Eid‹ (eigentlich: ›Anti-Modernisten-Eid‹).13 Es kommt in dieser Zeit auch zu einer stärkeren Reflexion auf die Bedeutung der Geschichte, zur Begegnung mit der zeitgenössischen, protestantischen Theologie und wohl auch mit den Ergebnissen der Religionsgeschichtlichen Schule. Es braucht hier nicht entschieden zu werden, ob ein weiterer Durchbruch zu Heideggers eigenem Weg und/oder gar ein Bruch mit dem Katholizismus sich bereits im Schlußkapitel der Habilitationsschrift oder in den Vorlesungen des Kriegsnotsemesters 1919 bekunden. Sicher scheint mir zu sein, daß man trotz dieser Krise die sehr vielfältige und differenzierte Nachwirkung der religiösen und theologischen Anstöße nicht unterschätzen darf. Die harte Diktion des Briefes Heideggers vom 9. Januar 191914 darf darüber nicht hinwegtäuschen. Ich will aber die einschneidende Schärfe dieses Briefes nicht herunterspielen: »Erkenntnistheoretische Einsichten, übergreifend auf die Theorie geschichtlichen Erkennens haben mir das System des Katholizismus problematisch und unannehmbar gemacht – nicht aber das Christentum und die Metaphysik (diese allerdings in einem neuen Sinne).« Er spricht von einer »Umbildung meiner prinzipiellen Standpunktnahme«, weist aber auch darauf hin, daß er Heideggers Beziehung zu Luther | 151

nicht »das objektive vornehme Urteil und die Hochschätzung der katholischen Lebenswelt einer verärgerten und wüsten Apostatenpolemik hintansetzen« möchte. »Es ist schwer zu leben als Philosoph – die innere Wahrhaftigkeit sich selbst gegenüber und mit Bezug auf die, für die man Lehrer sein soll, verlangt Opfer und Verzichte und Kämpfe, die dem wissenschaftlichen Handwerker immer fremd bleiben. – Ich glaube, den inneren Beruf zur Philosophie zu haben und durch seine Erfüllung in Forschung und Lehre für die ewige Bestimmung des inneren Menschen – und nur dafür das in meinen Kräften Stehende zu leisten und so mein Dasein und Wirken selbst vor Gott zu rechtfertigen« (HJB 1, 67 f.).

3. Heideggers Abwendung von der Scholastik und seine Zuwendung zu Luther Dies zeigt, mit welcher Dynamik Martin Heidegger nun entschieden dieser Berufung, wie er sie versteht, folgt. Mit Recht sagt Thurnher: »Als charakteristisch für Heideggers philosophisches Bemühen erweist sich von Anfang an seine Radikalität, sein Ursprungsgestus, sein Ringen um die Gewinnung eines fundierenden Ursprungsbogens.«15 Dabei konzentriert Heidegger das Denken immer stärker auf das Phänomen des menschlichen Lebensvollzugs in seiner Einmaligkeit, Situationsbestimmtheit und Geschichtlichkeit. Im Unterschied zu den idealistischen Konzepten des Subjekts, die auch noch bei Husserl zu finden sind, geht Martin Heidegger viel stärker auf die faktische Situation und den geschichtlichen Kontext des Menschen ein. Die Vorlesungen zwischen 1919 und 1923 widmen sich betont diesem Aufgabenfeld. Ab 1923 erscheint dafür auch der Begriff einer »Hermeneutik der Faktizität‹.16 Es ist deutlich, daß sich Heidegger im Verfolgen dieser Spur auch noch stärker von der scholastischen Tradition abhebt, übrigens auch von der damit verbundenen Rezeption des Aristoteles. Um so stärker widmet er sich den oben schon genannten Denkern und Dichtern, zu denen man noch Pascal hinzunennen muß. Einen gewichtigen Platz nimmt dabei Kierkegaard ein. Es braucht kaum gesagt zu werden, daß Martin Heidegger in der Lebensphilosophie und in der Reflexion auf die Geschichtlichkeit des Menschen 152 | karl kardinal lehmann

in der zeitgenössischen Philosophie wichtige Anstöße findet, aber diese Ansätze sind ihm dann im Blick auf das leidenschaftlich gesuchte Ziel zu wenig radikal. Das Verhältnis zu Wilhelm Dilthey ist dafür ein schlagendes Beispiel. Dabei geht es nicht nur, wie es den Anschein haben könnte, zuerst um geniale und originelle einzelne Denker. Wie die geplanten Vorlesungen Die philosophischen Grundlagen der mittelalterlichen Mystik belegen,17 entdeckt Heidegger erste Zugänge zu dieser faktischen Lebenserfahrung, auch in der mittelalterlichen Welt. Freilich hatte das Schlußkapitel18 der Habilitationsschrift auch schon u. a. Arbeiten zur Mystik angekündigt. Dies ist zugleich ein Hinweis dafür, daß er zwar neue Zugänge zur faktischen Lebenserfahrung im religiösen Verhalten des Menschen findet, aber er verfolgt nicht die eigene religiös-spirituelle und theologische Bedeutung dieser Ansätze.19 Hier trennt er überraschend rigoros, aber am Ende methodisch konsequent. Heidegger ist ausschließlich an der Hermeneutik der Faktizität interessiert. Es hat wenig Sinn, von einer ›Säkularisierung‹ des christlichen Gedankengutes zu sprechen. Darum muß man aber nicht minder zurückhaltend sein in der persönlichen Stellungnahme und Wertung Heideggers zu Religion und Kirche. Dies ist ein differenziert zu betrachtendes Feld. Damit sind wir in der Lage, uns dem engeren Problembereich ›Heidegger und Luther‹ zuzuwenden. Auch wenn es eine inzwischen umfangreichere Literatur zu diesem Thema gibt,20 so besteht doch kein Zweifel, daß die Zahl und der Umfang der überkommenen Äußerungen ziemlich schmal sind und wenig verglichen werden können mit anderen umfangreicheren Interpretationen und Auseinandersetzungen, wie z. B. mit Paulus und Augustinus. Wenn ich recht sehe, dann kommt Martin Luther im Zusammenhang der Ausarbeitung der Mystik-Vorlesung stärker ins Spiel, also im Jahr 1918/19.21 Heidegger notiert (GA 60,310): »In Luther bricht eine – auch bei den Mystikern nicht antreffbare – originale Form von Religiosität auf.« Er ist dabei der Überzeugung, daß das Glaubensverständnis in Protestantismus und Katholizismus grundverschieden ist (ebd.). In den folgenden Vorlesungen, so z. B. im Wintersemester 1920/21 wird Luther im Zusammenhang des Paulinischen Galaterbriefes genannt (GA 60,68): »Luther und Paulus sind religiös radikalste Gegensätze.« Deswegen warnt Heidegger auch, sich zu sehr Heideggers Beziehung zu Luther | 153

auf Luthers Übersetzung einzulassen, »die allzu sehr von Luthers eigenem theologischen Standpunkt abhängig ist« (ebd.). An dieser Stelle muß ein wichtiger Hinweis erfolgen, der für das Verständnis Heideggers überhaupt unerläßlich ist. Er unterscheidet grundlegend den faktischen Lebensvollzug, wie er sich unmittelbar bekundet, vom theoretischen Bewußtsein und erst recht von der wissenschaftlichen Reflexion über diesen Lebensvollzug. Heidegger betont (GA 60,310): »Scharf zu trennen: Das Problem der Theologie und das der Religiosität. Bei der Theologie ist zu beachten ihre ständige Abhängigkeit von Philosophie und der Lage des jeweiligen theoretischen Bewußtseins überhaupt. Die Theologie hat bis jetzt keine originäre theoretische Grundhaltung der Ursprünglichkeit ihres Gegenstandes entsprechend gefunden.« Heidegger ist primär am ›Vollzugssinn der Erfahrung‹ interessiert. Ihm ist das Wiesein der Offenbarung und der Bekundung des Lebensvollzugs entscheidend wichtig. Darauf ist später nochmals zurückzukommen. Die faktische Lebenserfahrung der urchristlichen Religiosität bricht aber auch nach Paulus und Augustinus22 immer wieder neu auf. Für Heidegger haben darum die Heidelberger Disputationsthesen Luthers von 1518, die 1921 noch wenig bekannt waren, eine große Bedeutung erhalten. Später ist dies durch den Einfluss der dialektischen Theologie anders geworden. Luther unterscheidet bekanntlich in diesen Thesen den Theologen der Herrlichkeit und den Theologen des Kreuzes, meist auch kurz bezeichnet als ›theologia gloriae‹ und ›theologia crucis‹. Dabei spielen die 19., die 20. und die 22. These eine besondere Rolle. In der These 19 heißt es: »Der ist es nicht wert, ein Theologe genannt zu werden, der Gottes ›unsichtbares‹ Wesen ›durch seine Werke erkennt und versteht‹«. Es erfolgt ein Hinweis auf Röm 1,20 und 1 Kor 1,21 – 25. Wichtig ist die Fortsetzung in These 20: »Aber der verdient ein rechter Theologe genannt zu werden, der das, was von Gottes Wesen sichtbar und der Welt zugewandt ist, als in Leiden und Kreuz sichtbar gemacht, begreift.«23 These 22 lautet: »Jene Weisheit, die Gottes unsichtbares Wesen in den Werken erkennt und schaut, bläht auf, macht blind und verstockt.« Dieser Text spielt wohl auch später immer noch eine Rolle. Als Beispiel möchte ich die 1949 veröffentlichte Einleitung zu Was ist Metaphysik? erwähnen,24 wo es mahnend heißt (GA 9,379): »Ob die christliche Theologie sich noch einmal entschließt, mit dem 154 | karl kardinal lehmann

Wort des Apostels und ihm gemäß mit der Philosophie als einer Torheit Ernst zu machen?« Luther erklärt in den Thesen auch, der ›Theologe der Herrlichkeit‹ nenne das Schlechte gut und das Gute schlecht. Die metaphysische Spekulation will ihrem Wesen nach eine Rechtfertigung Gottes sein. Sie muß aber so gerade von dem wegsehen, worin Gott in der Tat gehandelt hat: vom Leiden und vom Kreuz. Solche Weisheit bläht auf und macht blind. Allein die ›Theologie des Kreuzes‹ holt die ›faktische Lebenserfahrung‹ des frühen Christentums zurück, die auf Metaphysik verzichtet und auch die Schwächen der faktischen Lebenserfahrung reflektiert. Wir haben das Vorlesungsfragment über die Mystik genannt (GA 60,303 – 337), die Einleitung in die Phänomenologie der Religion mit dem Hinweis auf den Galaterbrief kommt hinzu (GA 60,67). Wesentlich für das soeben Dargestellte ist die Vorlesung Augustinus und der Neuplatonismus. Heidegger ist der Meinung (GA 60,281 f.): »Erst Luther hat sie [scil. die Paulus-Stelle: Röm 1,19 f.] zum ersten Male eigentlich verstanden. Luther hat in seinen ersten Werken ein neues Verständnis des Urchristentums eröffnet […]. Die Erkenntnisse Luthers aus seiner frühen Zeit sind entscheidend für die geistigen Zusammenhänge des Christentums mit der Kultur. Dies wird heute bei der Bekümmerung um christlich-religiöse Erneuerung verkannt.«

4. Zum Zwiespalt in Heideggers Einschätzung Luthers Hier darf man jedoch nicht stehen bleiben. Heidegger ist nämlich auch schon sehr früh der Meinung, daß Martin Luther die zunächst durchaus kräftige Wiedereinholung der urchristlichen faktischen Lebenserfahrung nicht durchgehalten hat. In dem soeben zitierten Text heißt es (GA 60,282): »Später ist er selbst der Last der Tradition zum Opfer gefallen: Es beginnt dann das Einsetzen der protestantischen Scholastik.« So sehr Heidegger die einmalige Leistung Luthers herausstellt, so sehr ist er der Überzeugung, daß die Rezeption der griechischen Philosophie schon in früher Zeit die Ursprünglichkeit des christlichen Glaubens verfremdet und im Grunde auch entstellt hat. So heißt die Konsequenz in der Vorlesung Phänomenologie der Anschauung und des Ausdrucks aus dem Sommersemester 1920 (GA Heideggers Beziehung zu Luther | 155

59,91): »Es besteht die Notwendigkeit einer prinzipiellen Auseinandersetzung mit der griechischen Philosophie und der Verunstaltung der christlichen Existenz durch sie. Die wahrhafte Idee der christlichen Philosophie; christlich keine Etikette für eine schlechte und epigonenhafte griechische. Der Weg zu einer ursprünglichen, christlichen – griechentumfreien – Theologie.« Heidegger sah es also als eine philosophische Aufgabe an, die christliche Theologie von ihren griechischen und ihren späteren römischen Überlagerungen zu befreien. Vielleicht hängt es damit zusammen, daß Martin Heidegger sich in diesem Sinne in einem Brief an Karl Löwith25 im Jahr 1921 offenbar zu den ›christlichen Theologen‹ gesellen konnte. Zugleich ist aber auch unübersehbar, daß er postulierte, die Philosophie müsse von den religiösen und theologischen Gehalten Abstand nehmen und im strengen Sinne des Wortes ›a-theistisch‹ sein.26 So sehr also Luther, einmal abgesehen von Paulus und Augustinus, zeitweise auch mit Kierkegaard an den Wurzeln von Heideggers frühem Weg steht, so radikal kann auch die Kritik werden. Er kann beide zwar zum Vorbild erklären,27 zugleich aber schreiben: »Diese Theologie wurzelt in der reformatorischen, der nur in ganz geringem Ausmaß eine genuine Explikation der neuen religiösen Grundstellung Luthers und ihrer immanenten Möglichkeiten gelangen. Diese Grundstellung ihrerseits ist erwachsen aus seiner ursprünglich zugeeigneten Paulus- und Augustinus-Auslegung bei einer gleichzeitigen Auseinandersetzung mit der spätscholastischen Theologie (Duns Scotus, Occam, Gabriel Biel, Gregor von Rimini).«28 Damit ist die Position Heideggers in den Grundlinien deutlich, wenn auch Spannungen bleiben. Ein Niederschlag dieser Äußerungen findet sich insgesamt vor allem in Sein und Zeit. Dort heißt es sehr prinzipiell im Zusammenhang einer Erneuerung der Geisteswissenschaften (SuZ 19): »Die Theologie sucht nach einer ursprünglichen, aus dem Sinn des Glaubens selbst vorgezeichneten und innerhalb seiner verbleibenden Auslegung des Seins des Menschen zu Gott. Sie beginnt langsam die Einsicht Luthers wieder zu verstehen, daß ihre dogmatische Systematik auf einem ›Fundament‹ ruht, das nicht einem primär Glaubenden Fragen entwachsen ist und dessen Begrifflichkeit für die theologische Problematik nicht nur nicht zureicht, sondern sie verdeckt und verzerrt.« Damit ist der Befund 156 | karl kardinal lehmann

aus den Heidelberger Disputationsthesen auf einen systematischen Nenner gebracht.29 Auf der einen Seite kann Heidegger lakonisch erklären: »Der Theologe des Kreuzes sagt, wie die Dinge sind« (GA 60,282), auf der anderen Seite rechnet er gerade auch später die Ausgestaltung der Theologie beim späten Luther und in der protestantischen Scholastik unter die ›Metaphysik‹. Dabei werden einige Akzente erkennbar, die freilich noch genauer verfolgt werden müßten. Es fällt auf, daß Heidegger schon früh nicht nur von einer »Verunstaltung der christlichen Existenz« durch die griechische Philosophie spricht, sondern daß er im selben Atemzug auch eine ursprüngliche christliche, ›griechentumfreie‹ Theologie sucht (GA 59,91). Offensichtlich gibt es für solche Äußerungen, die ja in einem gewissen Kontrast stehen zu den übrigen Äußerungen im Blick auf das griechische Denken, mehrere Anstöße. Gewiß ist Luthers Urteil über eine Theologie der Herrlichkeit in den Heidelberger Disputationsthesen, die ja zugleich eine massive negative Metaphysik-Beurteilung darstellt, am Ursprung dieser Metaphysik-Kritik. Die dialektische Theologie des frühen Barth hat dieses negative Bild verstärkt. Die wachsende Beschäftigung Heideggers mit Nietzsche kommt hinzu. Gewiß aber ist hier auch der Einfluss von Franz Overbeck zu nennen. Dabei mag es offen bleiben, wann die ersten Begegnungen mit ihm und seinem Werk stattgefunden haben. Jedenfalls darf man nach den Angaben von Hans-Georg Gadamer annehmen, daß Heidegger zu Beginn seiner Marburger Zeit (1924) auf Franz Overbeck und seine Skepsis hingewiesen hatte. »Damals berief sich Heidegger wiederholt auf den Kirchenhistoriker Franz Overbeck, den Freund Nietzsches, dessen Kampfschrift über die ›Christlichkeit der Theologie‹ die eigensten Zweifel, die Heidegger beseelten, aussprach. Sie bestätigte ganz seine philosophische Erfahrung von der Unangemessenheit des griechischen Seinsbegriffs für den christlichen Gedanken des Eschaton, das nicht Erwartung eines kommenden Ereignisses ist. Wenn er in jenem Brief an Löwith schrieb: ›Ich bin ein christlicher Theologe‹, so meinte er gewiß: Ich möchte gegen die angemaßte Christlichkeit der heutigen Theologie die wahre Aufgabe der Theologie anpacken, ›das Wort zu finden, das imstande ist, zum Glauben zu rufen und im Glauben zu bewahren‹ (Worte, die ich 1923 in einer theologischen Diskussion von ihm hörte). Das aber Heideggers Beziehung zu Luther | 157

war eine Aufgabe des Denkens.«30 Dieser Einfluß Overbecks hat auch seine tiefe Bedeutung im Zusammenhang mit Heideggers Beschäftigung mit Friedrich Nietzsche.31 In dieser Zeit kam Martin Heidegger gewiß auch mit den protestantischen Dogmengeschichtswerken, vor allem Adolf von Harnacks,32 in Berührung, die dem frühen nachbiblischen Christentum eine Entfremdung durch die Übernahme hellenistischen Denkens vorwarfen.33 Es gibt später immer wieder einmal Hinweise auf Martin Luther, die aber zum Teil seine Bibelübersetzung betreffen34 oder keine substanziellen Erkenntnisse mehr bringen.35 Den späteren Heidegger, den ich hier nicht ausführlich behandele, müßte man eigens nach weiteren Äußerungen zu Luther untersuchen. Ich habe jedoch nicht den Eindruck, daß sich noch wesentliche Erkenntnisse beibringen lassen.36

5. Zu Luthers Bedeutung für Heideggers Stellung zur Theologie Es muß jedoch noch von einer wichtigen Erkenntnis Heideggers die Rede sein, die gewiß nicht auf die Begegnung mit Martin Luther allein zurückgeht, sich aber auch hier festmachen läßt. Beim Versuch, im Bereich des religiösen Lebens auf die urchristliche Lebenserfahrung zurückzugehen, und zwar durch alle Schichten und Überlagerungen hindurch, taucht schon früh der Begriff der ›Destruktion‹ auf. Dieser in unserer heutigen Sprache weitgehend negativ eingefärbte Begriff hat im Grunde eine positive Bedeutung. Im Blick auf die christliche Theologie sah es Heidegger als seine Aufgabe an, diese von griechischen und späteren Überlagerungen zu befreien. Die Hermeneutik hat für ihn die Aufgabe, »die überkommene und herrschende Ausgelegtheit nach ihren verdeckten Motiven, unausdrücklichen Tendenzen und Auslegungswegen aufzulockern und im abbauenden Rückgang zu den ursprünglichen Motivquellen der Explikation vorzudringen. Die Hermeneutik bewerkstelligt ihre Aufgabe nur auf dem Wege der Destruktion«, so in der schon zitierten Aristoteles-Einleitung (GA 62,368). Man muß sehen, daß dieser hermeneutische Vorgang im Grunde sehr konstruktive Absichten hat, nämlich bisher ungenutzte Möglichkeiten ausfindig zu machen und so mit Hilfe der Tradition neue und zugleich alte Wege in die Zu158 | karl kardinal lehmann

kunft zu finden. So formuliert Heidegger in Sein und Zeit: »Die Destruktion will nicht die Vergangenheit in Nichtigkeit begraben, sie hat positive Absicht. Ihre negative Funktion bleibt unausdrücklich und indirekt.«37 Es geht also hauptsächlich darum, die Vergangenheit positiv anzueignen und auf die ursprünglichen Erfahrungen zurückzugehen.38 Als Heidegger diese Sätze schreibt, hat er schon über Jahre diese methodische Operation der ›Destruktion‹ ausgeübt. Dies könnte auch noch ausführlicher gezeigt werden am Verständnis und Begriff der Zeit, was hier allerdings nicht möglich ist.39 Damit dieser Begriff von ›Destruktion‹, der schon 1920 sehr programmatisch in der ›Hermeneutik der Faktizität‹ (GA 63) begegnet, nicht einen negativen Beiklang behält, mag es nun auch nützlich sein, außer den schon genannten Beispielen ein weiteres Exempel genauer darzulegen; es geht dabei um die ›Destruktion‹ des Glaubensverständnisses, wie es vor allem die Theologie ausprägte.40 Wir haben früher darauf aufmerksam gemacht, wie fundamental für Heidegger die Differenz zwischen der faktischen Lebenserfahrung und der theoretischen Explikation darüber ist. Der Begriff der Destruktion verlangt ja gerade, daß man auf die elementaren Erfahrungen zurückgeht und die überlagernden Schichten, die bis zur Entstellung gehen können, abbaut. Heidegger möchte mit Hilfe phänomenaler Aufweisungen zu diesen Ursprüngen zurückkehren, gleichsam zu einer vortheoretischen Unbefangenheit und Offenheit. Wenn auch der Begriff der Destruktion von Anfang an im Denken Heideggers eine grundlegende Rolle spielt, so erhält die Hermeneutik der Destruktion im Bereich des faktischen religiösen Lebens und der Theologie eine besondere Zuspitzung und Dringlichkeit. Dafür gibt es bei Heidegger viele Zugänge. Er vertritt streng die These: »Die Theologie ist eine positive Wissenschaft und als solche daher von der Philosophie absolut verschieden.« Deshalb muß die Angewiesenheit des Glaubens und der Theologie auf etwas, was vorgegeben ist und enthüllt werden muß (›Positivität‹) an erster Stelle stehen. Heidegger fordert, »daß dieses vorliegende Positum vorfindlich ist in einer bestimmten vorwissenschaftlichen Zu- und Umgangsart mit den Seienden, in welcher Umgangsart sich schon die spezifische Sachhaltigkeit dieses Gebietes und die Seinsart des betreffenden Seienden zeigt, also vor aller theoretischen Erfassung, Heideggers Beziehung zu Luther | 159

wenn auch unausdrücklich und ungewusst enthüllt ist.« Freilich ist dies kein blindes Tasten oder irrationales Fühlen, sondern dazu gehört, »daß auch dieses vorwissenschaftliche Verhalten zu den vorliegenden Seienden […] schon erleuchtet und geführt ist von einem, wenngleich noch unbegrifflichen Seinsverständnis.« Vor diesem Hintergrund behandelt Heidegger in seinem bekannten Vortrag Phänomenologie und Theologie aus dem Jahr 1927/28 in Tübingen und Marburg die Positivität und Wissenschaftlichkeit der Theologie sowie auf diesem Fundament ihr mögliches Verhältnis zur Philosophie.41 Das ›Positum‹ für die Theologie ist, wie Heidegger näher ausführt, die ›Christlichkeit‹ (GA 9,52 ff.). In diesem Zusammenhang erläutert Heidegger das Verständnis des Wortes Glauben. Er ist eine eigene Existenzweise des menschlichen Daseins, die sich selbst aus dem Glauben erhellen muß. Auch hier ist wiederum die Heidelberger Disputation zu spüren. Das Zentrum ist Jesus Christus, »der gekreuzigte Gott. Das so durch Christus bestimmte Verhältnis des Glaubens zum Kreuz ist ein christliches. Die Kreuzigung aber und alles ihr Zugehörige ist ein geschichtliches Geschehnis, und zwar bezeugt sich dieses Geschehen als solches in seiner spezifischen Geschichtlichkeit nur für den Glauben in der Schrift. Um dieses Faktum kann nur im Glauben ›gewußt‹ werden«(GA 9,52). Diese eigene Form der Teilnahme ist »immer nur als Glauben durch den Glauben gegeben« (GA 9,53). Hier wiederum kommt Heidegger auf Luther zu sprechen (ebd.). Wenn der Glaube sich anders verstehen würde, wäre er entfremdet. Nur auf diesem Fundament kann es auch eine Theologie als Wissenschaft geben. Zugleich wird aufgezeigt, wie das Verhältnis zwischen Philosophie und Theologie auf diesem Fundament zu verstehen ist (GA 9,55 – 67). Wie sehr Heidegger im Prinzip diesen Darlegungen treu geblieben ist, zeigt eine Ausarbeitung aus dem Jahre 1964 mit dem Titel Das Problem eines nichtobjektivierenden Denkens und Sprechens in der heutigen Theologie (GA 9,68 – 78). Als Beispiel für ein nichtobjektivierendes Denken und Sagen wird die Dichtung bezeichnet. Heidegger scheint später (1964) eher skeptisch zu sein, »ob die Theologie noch eine Wissenschaft sein kann, weil sie vermutlich überhaupt nicht eine Wissenschaft sein darf«(GA 9,77). Gewiß gibt es in der theologischen Tradition, begründet schon im biblischen 160 | karl kardinal lehmann

Glaubensverständnis, die Überzeugung, daß der Glaube selbst seine eigene innere Helle hat, daß er sich selbst erschließt und sich so auch zu artikulieren versteht. Wie weit Heideggers zugespitzte Überlegungen freilich auch dem Glauben eine Rechenschaftsablegung im Kontext moderner Wissenschaften erlauben oder daran hindern will, müsste eigens gefragt werden. Ebenso kann offen bleiben, ob die frühere Forderung Heideggers, eine christliche Theologie ›griechentumsfrei‹ zu erstellen überhaupt realisierbar ist, wenn man bedenkt, daß die griechische Kultur weitgehend und weltweit das Fundament nicht nur von Wissenschaft, sondern auch von Kommunikation geworden ist. Verständlich ist freilich die Forderung Heideggers nach dem eigenen Licht des Glaubens. Er zwingt gleichsam die Theologie auf ihren eigenen Ursprung zurück. Nur so ist die schon zitierte scharfe Skepsis Heideggers aus der Einleitung zu Was ist Metaphysik? (1949) zu verstehen: »Ob die christliche Theologie sich noch einmal entschließt, mit dem Wort des Apostels und ihm gemäß mit der Philosophie als einer Torheit Ernst zu machen?«42 Freilich gab es immer die Augustinische Konzeption der ›fides quaerens intellectum‹, die nicht so grundverschieden ist. Damit bin ich am Ende dieser Besinnung über das Verhältnis Heideggers zu Luther. Im Unterschied zu der Zeit vor 45 Jahren, als ich meine Dissertation schrieb, haben wir heute einen unvergleichlich größeren Quellenbestand, auch wenn er immer noch in diesen Fragen schmal zu nennen ist. Man sieht aber auch, wie vorausschauend Otto Pöggelers frühe Darlegungen über »Die faktische Lebenserfahrung im christlichen Glauben« war.43 Immer wieder ist gefragt worden, ob Heidegger nicht »durch gelehrte Hinweise wie ein Fuchs mit dem Schwanz die Spuren des eigenen Weges verwischt« habe.44 In der Zwischenzeit sind immer neue Aspekte ans Licht gebracht worden. Die Frage Pöggelers bleibt jedoch trotzdem bestehen. Es bleiben auch andere Fragen. Ist es z. B. möglich, die Heidelberger Disputation so auszuwerten und in den eigenen Dienst zu stellen, ohne überhaupt das zentrale Thema der Rechtfertigung aus dem Glauben anzusprechen? Schließlich erhebt sich auch die Frage, ob am Ende das Vorhaben einer ›Überwindung‹ der Metaphysik – Heidegger sagt auch gelegentlich ›Verwindung‹ – überhaupt ein nachvollziehbares Vorhaben ist.45 Dies braucht hier nicht entschieden zu werden. Heideggers Beziehung zu Luther | 161

Es ist jedenfalls deutlich geworden, wie viel Martin Heidegger in seinem Denken den Anstößen aus der christlichen Tradition vieler Jahrhunderte verdankt. Heidegger beschäftigte sich z. B. auch ausführlicher mit Thomas von Aquin.46 Später haben wir die Nachricht, daß Heidegger im WS 1960/61 in einem Seminar von Gerhard Ebeling in Zürich bei zwei Sitzungen zur Interpretation von Luthers Disputatio de homine (1536) anwesend war und lebhaft mitwirkte. Es finden sich jedoch keine nennenswerten Informationen.47 Dieses Gut läuft in mannigfachen Verwandlungen auch weiter durch sein großes Werk.48 Um so wahrer und um so rätselhafter bleibt so sein wichtiges Wort aus dem Gespräch mit dem Japaner stehen: »Ohne diese theologische Herkunft wäre ich nie auf den Weg des Denkens gelangt. Herkunft aber bleibt stets Zukunft. Wenn beide einander rufen und die Besinnung in solchem Rufen einheimisch wird […] und so zur wahren Gegenwart.«49

Anmerkungen

Vgl. WhD; GA 8,182. Karl Lehmann: Vom Ursprung und Sinn der Seinsfrage im Denken Martin Heideggers. Versuch einer Ortsbestimmung. 2 Bände. Mainz 2003 (22006); hier 817 – 841; Exkurs III: Der Ursprung der Geschichtlichkeit des Daseins aus der fundamentalontologischen Interpretation der neutestamentlich-christlichen Geschichtserfahrung. Otto Pöggeler hat diesen Exkurs 1969 als Aufsatz unter dem Titel Christliche Geschichtserfahrung und ontologische Frage beim jungen Heidegger in den Sammelband Heidegger übernommen. Ursprünglich war er erschienen in: Philosophisches Jahrbuch 74, 1966, 126 – 153. 3 Die erste Kenntnis der frühen Ausbildung der Grundgedanken Martin Heideggers durch Anstöße aus der christlichen Tradition, die Pöggeler von Oskar Becker (ab 1922 Privatdozent in Freiburg) mündlich erhielt, fi ndet sich 1959 in Pöggelers Abhandlung: Sein als Ereignis. Martin Heidegger zum 26. September 1959, vgl. bes. 604 f. Später wurden diese Nachrichten aufgenommen in Pöggeler: Der Denkweg M. Heideggers, 36 – 45. Zu den Einwänden gegen Pöggelers Darstellung vgl. meinen oben genannten Beitrag: Christliche Geschichtserfahrung und ontologische Frage beim jungen Heidegger, 154 f., 161 Fn 4 (überarbeitete und leicht ergänzte Fassung des Exkurses III meiner Dissertation aus dem Jahr 1962 (vgl. Fn 2): 3 Bände, LXVIII – 1417 Seiten; Diss.phil. 1962, Päpstliche Universität Gregoriana). Vgl. zuletzt zur Sache Otto Pöggeler: Heideggers Luther-Lektüre im Freiburger Theologenkonvikt, bes. 190. 1 2

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Vgl. Frühe Schriften (GA 1); eine erste Ausgabe der frühen Schriften war schon 1972 unter demselben Titel erschienen; GA 1 ist gegenüber der ersten Ausgabe »um sieben Arbeiten des jungen Heidegger vermehrt« (vgl. GA 1,438). Heidegger beschreibt in dem zu wenig beachteten Vorwort der früheren Ausgabe (vgl. dort IX – XI) sein Verhältnis zu diesen frühen Schriften. 5 Vgl. zusammenfassend Karl Lehmann: Vom Ursprung und Sinn der Seinsfrage im Denken Martin Heideggers. Bd. 2, 780 – 797; Exkurs I: Metaphysik, Transzendentalphilosophie und Phänomenologie in den ersten Schriften Martin Heideggers (1912 – 1916); zuerst veröffentlicht in: Philosophisches Jahrbuch 71, 1964, 331 – 357. 6 Dazu nun sehr ausführlich Holger Zaborowski: »Herkunft aber bleibt stets Zukunft.« Anmerkungen zur religiösen und theologischen Dimension des Denkweges Martin Heideggers bis 1919 (mit weiterer Literatur). 7 Vgl. dazu ausführlicher Karl Lehmann: Feldweg und Glockenturm. Martin Heideggers Denken aus der Erfahrung seiner Heimat (an zwei Orten derzeit im Druck: 1. in der Festschrift der Stadt Meßkirch zum 30. Todestag Heideggers; 2. in Stimmen der Zeit). 8 Nachweise bei Holger Zaborowski: »Herkunft aber bleibt stets Zukunft«, 130 f. 9 Vgl. nun ausführlich Johannes Schaber OSB: Der Theologiestudent Martin Heidegger und sein Dogmatikprofessor Carl Braig (dort weitere Literatur). Ders.: Martin Heideggers »Herkunft« im Spiegel der Theologie- und Kirchengeschichte des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts; Bernhard Casper: Martin Heidegger und die Theologische Fakultät Freiburg 1909 – 1923. 10 Vgl. dazu sehr vorläufig Albert Junghanns: Der Freiburger Dogmatiker Engelbert Krebs (1881 – 1950). Ein Beitrag zur Theologiegeschichte. Diss.-Theol. Freiburg i. Br. 1979 (Dissertationsdruck). 11 Neben den schon genannten Zeugnissen vgl. Hugo Ott: Martin Heidegger. Unterwegs zu seiner Biographie, 67 ff. 12 Vgl. zur Hinführung Renato Cristin (Hg.): Edmund Husserl, Martin Heidegger – Phänomenologie (1927), 7 – 32; Michael Steinmann: Martin Heidegger: Philosophie als Intensität (wichtig für ›Vollzug‹, ›Vollzugssinn‹ usw.). 13 Vgl. Vita; GA 16, 41 – 45:, hier 41: »Im Verlauf der ersten Semester hatte mein theologisch-philosophisches Studium eine solche Richtung genommen, daß ich Frühjahr 1911 aus dem Konvikt austrat und das theologische Studium aufgab, da ich den damals zur ausdrücklichen Forderung erhobenen ›Modernisten-Eid‹ nicht auf mich nehmen konnte.« 14 Vgl. den Text in HJB 1,67f. 15 Vgl. Rainer Thurnher: Vorboten der Hermeneutik der Faktizität, 322. 16 Vgl. dazu Ontologie (Hermeneutik der Faktizität); GA 63, 3 u. ö. 17 Vgl. Die philosophischen Grundlagen der mittelalterlichen Mystik [Ausarbeitungen und Entwürfe zu einer nicht gehaltenen Vorlesung 1918/19]; GA 60, 303 – 337. 4

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Das Schlußkapitel (KBDS 341 – 353) ist laut Heideggers Hinweis im Vorwort (vgl. KBDS 133) einige Zeit nach der Abhandlung geschrieben und weist in vieler Hinsicht mehr auf die Zukunft . 19 Außer den Arbeiten von Otto Pöggeler vgl. auch Matthias Jung: Das Denken des Seins und der Glaube an Gott. Zum Verhältnis von Philosophie und Theologie bei Martin Heidegger; Stephan Loos; Holger Zaborowski (Hg.): Leben, Tod und Entscheidung. Studien zur Geistesgeschichte der Weimarer Republik; Gerhard Ruff: Am Ursprung der Zeit. Studie zu Martin Heideggers phänomenologischem Zugang zur christlichen Religion in den ersten »Freiburger Vorlesungen«. 20 Vgl. außer den in diesem Beitrag zitierten Veröffentlichungen Gerhard Oehlschläger: Der junge Luther und Martin Heidegger; Andreas Großmann: Heidegger und Luther. John van Buren: Martin Heidegger, Martin Luther. Helmuth Vetter (Hg.): Heidegger und das Mittelalter. Wiener Tagungen zur Phänomenologie 1997, 81 – 99; Sean J. McGrath: Das verborgene theologische Anliegen von Sein und Zeit. Die Luther-Lektüre des jungen Heidegger. In allen genannten Titeln fi nden sich zahlreiche frühere Veröffentlichungen zitiert. 21 Vgl. GA 60,308 f. (hier ist der Hinweis auf Johannes Ficker aufschlußreich). 22 Vgl. GA 60,67 ff. und 160 ff. 23 Heidegger verwendet gewöhnlich die Erlanger Ausgabe Luthers. – Zum Text vgl. heute die Martin Luther Studienausgabe; hg. von Hans-Ulrich Delius, Band 1, 186 – 218; dazu Heinrich Bornkamm: Luther im Spiegel der deutschen Geistesgeschichte, 159 – 168; Gerhard Oehlschläger: Der junge Luther und Martin Heidegger (mit weiterer Literatur); Heinrich Bornkamm: Die theologischen Thesen der Heidelberger Disputation 1518; Karl-Heinz zur Mühlen: Die Heidelberger Disputation Martin Luthers vom 26. April 1518. Programm und Wirkung. 24 Vgl. Wegmarken (GA 9), 365 – 383, bes. 379. 25 Vgl. Dieter Papenfuss; Otto Pöggeler (Hg.): Drei Briefe Martin Heideggers an Karl Löwith, bes. 29; dazu Theodore Kisiel: War der frühe Heidegger ein ›christlicher Theologe‹? 26 Vgl. dazu Phänomenologische Interpretation zu Aristoteles – Ausarbeitung für die Marburger und die Göttinger Philosophische Fakultät (1922) (= NB; GA 62), 343 – 419 (mit Beilagen), bes. 363 mit wichtiger Fn 54. Vgl. Fn 29. 27 Vgl. z. B. GA 61,182; zum Verhältnis Heidegger – Kierkegaard vgl. die Hinweise im Personenregister von HJB 1, 416; weiterhin Dieter Thomä (Hg.): Heidegger-Handbuch, 12 – 15, 56 f., 65 f., 69 ff., 87 f. u. ö., 560. Zu Luther ebd.: 12 ff. Otto Pöggeler: Neue Wege mit Heidegger, 149 – 155 u. ö. 28 Dieser Satz stammt aus der berühmten Ausarbeitung für die Marburger und die Göttinger Philosophische Fakultät Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles (Anzeige der hermeneutischen Situation, Herbst 1922 (= NB; vgl. oben Fn 27). Dieser im Jahr 2005 erschienene Text entspricht der früheren 18

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Veröffentlichung der wiedergefundenen Aristoteles-Einleitung, wie Heidegger den Text selbst abkürzte, in: Dilthey-Jahrbuch für Philosophie und Geschichte der Geisteswissenschaften 6, 1989, 234 – 274. Aufschlußreich ist immer noch Hans-Georg Gadamers Artikel Heideggers ›theologische‹ Jugendschrift , in: ebd., 228 – 234. Heideggers und Gadamers Text sind zusammen mit einer instruktiven Einführung des Herausgebers Günther Neumann leicht zugänglich als Reclam-Heft 18250; vgl. auch GA 62,427 ff. mit dem Nachwort des Herausgebers Günther Neumann. 29 In SuZ kommt Heidegger in zwei Fußnoten nochmals auf Martin Luther zurück; vgl. 190 Fn 3 und 338 Fn 2. 30 Die religiöse Dimension, 314 f. (vgl. auch 180, 197, 207); Andreas Großmann: Heidegger-Lektüren, 30; Theodore Kisiel: War der frühe Heidegger ein ›christlicher Theologe?‹, 74 f. 31 Näheres dazu bei Johannes Schaber: Martin Heideggers »Herkunft« im Spiegel der Theologie- und Kirchengeschichte des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, 175 – 180; vgl. den wichtigen Hinweis auf die Bedeutung der Erzabtei Beuron für Martin Heidegger (180, Fn 114; mit weiterer Literatur). 32 Vgl. Lehrbuch der Dogmengeschichte Band I; Das Wesen des Christentums, vgl. auch GA 61,6 ff. 33 Dazu Alois Grillmeier: Mit ihm und in ihm, 423 – 488; Bernard Lonergan: A Second Collection, 11 – 32. Wie wenig dies der Forschung gerecht wird, zeigen auch Karl Lehmann: Dogmengeschichtliche Hermeneutik am Beispiel der Christologie des Konzils von Nikaia, 190 – 209, bes. 202 ff., und Christoph Markschies: Luther und die altkirchliche Trinitätstheologie, 37 – 85 (alle mit weiterer Literatur). 34 WhD; GA 8,120 f. 35 Dazu gehört auch: UzS 203. 36 Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang noch das Protokoll einer Seminarsitzung aus dem Jahr 1924 mit dem Titel: Das Problem der Sünde bei Luther. In: Bernd Jaspert (Hg.): Sachgemäße Exegese. Die Protokolle aus Rudolf Bultmanns Neutestamentlichen Seminaren 1921 – 1951, 28 – 33. Es ist keine unwichtige Nebenerkenntnis, daß Heinrich Schlier das eben genannte Protokoll anfertigte. Dazu auch Andreas Großmann: Heidegger-Lektüren, 11 – 26, 27 – 49 (mit weiterer Literatur). 37 Vgl. § 6 mit dem Titel Die Aufgabe einer Destruktion der Geschichte der Ontologie, SuZ 19; Zitat 23. 38 Dazu auch SuZ 19 – 23, 26, 219, 220. 39 Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriff s. Marburger Vorlesung im Sommersemester 1925 (GA 20); Der Begriff der Zeit. Vortrag vor der Marburger Theologenschaft im Juli 1924 (GA 64), 107 – 125. 40 Es gibt in der Zwischenzeit zur ›Destruktion‹ eine sehr umfangreiche Literatur. Ich nenne nur vorläufig: John Sallis: Heidegger und die Dekonstruktion (mit weiterer Literatur). Heideggers Beziehung zu Luther | 165

Jetzt in: Wegmarken (GA 9), 45 – 78, Zitate: 49 – 51; dazu Andreas Großmann: Heidegger-Lektüren, 27 – 49. 42 Einleitung zu »Was ist Metaphysik?« (GA 9), 379. Heidegger bezieht sich ebd. auf »I. Kor. 1,20«. 43 Otto Pöggeler: Der Denkweg Martin Heideggers, 36 – 45. Als dieses Buch erschien, war meine eigene Überlegung zu Heideggers Ursprüngen bereits abgeschlossen. Der große Aufsatz Pöggelers Sein als Ereignis aus dem Jahr 1959, gab mir, unterstützt von eigenen Recherchen und Überlegungen, genügend Sicherheit im Vorgehen. Ich danke auch heute noch Otto Pöggeler für freundliche Korrespondenz und Hilfe. Sie hat dem römischen Studenten viel Mut gemacht zu einem eigenen Weg. 44 Otto Pöggeler: Heidegger in seiner Zeit, 268. 45 Vgl. schon meine entsprechenden Anfragen im Exkurs III meiner Dissertation: Vom Ursprung und Sinn der Seinsfrage im Denken Martin Heideggers, Band 2, 833 – 841. 46 Geschichte der Philosophie von Thomas von Aquin bis Kant. Marburger Vorlesung WS 1926/27 (GA 23), 41 – 103, 214 – 216. 47 Vgl. Gerhard Ebeling: Lutherstudien II: Disputatio de homine Teil 1: IX, 42, 88; Teil 3, 88.– Das Luther Handbuch, hg. von Albrecht Beutel, läßt einen beim Thema im Stich (vgl. 487); ebenso Bernd Moeller (Hg.): Luther in der Neuzeit. 48 Ich habe dies bei der schon genannten Festrede zum 30. Todestag Martin Heideggers am 26. Mai 2006 in Meßkirch unter dem Titel Martin Heidegger und seine Heimat wenigstens an einigen Beispielen aufzuzeigen versucht. Im Druck unter dem Titel Feldweg und Glockenturm; vgl. oben Fn 7. 49 UzS 96. Der zitierte Satz wird abwechselnd von einem Japaner und von einem Fragenden gesprochen. Vgl. dazu insgesamt Paola-Ludovika Coriando (Hg.): »Herkunft aber bleibt stets Zukunft«. Martin Heidegger und die Gottesfrage. 41

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– Otto Pöggeler –

Heideggers Weg von Luther zu Hölderlin

Kardinal Karl Lehmann wurde früh darauf aufmerksam, daß ich zum 70. Geburtstag Martin Heideggers im September 1959 den Aufsatz Sein als Ereignis publizierte und darin einige Sätze aus Heideggers frühen Freiburger Vorlesungen über Phänomenologie der Religion und über Augustinus zitierte. So kam es zu einer Verbindung zwischen mir und dem fast acht Jahre jüngeren Theologiestudenten. Karl Lehmann vermutete richtig, daß ich über Heideggers frühe Vorlesungen informiert worden war durch meinen Bonner Lehrer Oskar Becker, der einst mit Heidegger zusammen Schüler bei Edmund Husserl gewesen war. Jedenfalls konnte die damals herrschende Auffassung durchbrochen werden, daß Heidegger erst durch seine Marburger Freundschaft mit Rudolf Bultmann auf die urchristlichen Zeugnisse verwiesen worden sei. In einem Brief vom 20. Oktober 1960 ging Karl Lehmann nicht nur auf meinen Heidegger-Aufsatz ein, sondern auch (wie dann des öfteren) auf meine Hegel-Arbeiten. Wenig später, am 8. Dezember, berichtete er, daß Martin Heidegger ihm am 10. 8. 59 in Meßkirch gesagt habe, die Unterlagen der genannten frühen Vorlesungen seien verloren gegangen (er habe sie ausgeliehen und nicht zurückbekommen). Karl Lehmann schrieb, er wolle aus 4000 Zetteln mit Exzerpten aus Heideggers Schriften eine Dissertation machen und bei Naber in Rom promovieren. Ausgegangen sei er vom Weltbegriff der Vorträge und Aufsätze von 1954. Dort erscheint die Welt als das Geviert von Erde und Himmel, Sterblichen und Göttlichen; so ist die Frage gestellt, wie das Philosophieren der sterblichen Menschen zur Verkündigung des Wortes Gottes in der Theologie stehe. Der Titel von Karl Lehmanns Dissertation sollte lauten: Sein – Geschichte – Mensch beim späten Heidegger. Am 21. 1. 1961 vermerkte Karl Lehmann Neuerscheinungen wie Wahrheit und Methode von Hans-Georg Gadamer und die Metaphorologie von Hans Blumenberg. Auch von diesen Arbeiten her konnte er aufnehmen, was ich | 167

von Heidegger her Topologie nannte, aber mit der Toposforschung von Ernst Robert Curtius und der Topik Vicos verknüpfte. Vor Ostern 1961 kündigte Karl Lehmann an, nach den Feiertagen werde er mir einen Plan seiner Arbeit senden. Das geschah denn auch. Im Begleitbrief wurde eine grundlegende Änderung in seiner Planung angeführt: »Ich habe nun doch nur das Frühwerk bis zur Einführung in die Metaphysik genommen, weil ich für die Darstellung des Spätwerkes […] praktisch keine entsprechend weite Darstellung des Frühwerkes gefunden habe.« Karl Lehmann gestand auch zu, daß gegenüber Heidegger ein unbefangenes Wort kaum auftauchen könne; für eine einigermaßen sachliche Interpretation müsse man sich seinen Weg »durch einen solchen Wald von Unsinn« bahnen, »daß der naive Betrachter von außen auf die Idee kommen muß, hier sei eine einzige Verteidigungsschlacht in einem simplen Ja im Gange«. Karl Löwith hatte mich als Heidegger-Schüler abgetan (obwohl ich keine einzige Lehrveranstaltung bei Heidegger besucht hatte). Von ihm sagte Karl Lehmann: »Löwiths Kritik ist einfach verblendet. Seine Skepsis und billige Metaphysik einer fraglosen Ewigkeit (ob Gottes oder der Welt ist ihm ja gleich!) bringen ja überhaupt nichts sachlich Angemessenes.« An der römischen Staatsuniversität hatte Karl Lehmann im April Adorno gehört, nach seinem Bericht »eine ganze Stunde Generalangriff auf Heidegger; es war aber wohl kaum ein Zitat sauber aufgenommen«. Die sechs anwesenden Philosophieprofessoren hätten in der Diskussion allmählich das »uneingeschränkte Einverständnis« erzielt, daß Heidegger doch nur »un piccolo pensatore« sei. Karl Lehmann sah sich selbst in zeitlicher Bedrängnis, da er schon im Oktober an der Gregoriana das Examen mit seiner 1500 Seiten langen Dissertation über Heidegger ablegen mußte. Karl Lehmann hatte im Juli 1960 ein Verzeichnis von Heideggers Vorlesungen und Übungen von 1916 – 1958 angefertigt. Davon bekam ich einen Durchschlag. (Die Kopiermöglichkeiten und Komputerausdrucke von heute gab es noch nicht; so mußte man mit Schreibmaschinendurchschlägen arbeiten oder Drucke zeitweise ausleihen.) Es war damals Max Müller, der aus meiner Topologie eine Seinstopik machte und mich 1960 auf der Generalversammlung der Görres-Gesellschaft in Trier und dann an der Universität München über Metaphysik und Seinstopik bei Heidegger reden ließ. 168 | otto pöggeler

Ihm gegenüber wies ich am 22. 11. 60 darauf hin, daß ich auch Heideggers Beiträge zur Philosophie von 1936/37 mit der Rede vom Sein als Ereignis durch Heideggers Freundlichkeit habe lesen können. Ich sagte dann: »Ein bißchen würde ich auch versuchen, die Dinge zurechtzurücken. ›Diktate des Seins‹ mag ich nicht leiden. Ich fasse Topologie mehr als ein Aufmerksammachen auf unbedachte Voraussetzungen, in jenem Sinn, den das Goethewort meint, das Heidegger an den Schluß seines Jünger-Briefes gesetzt hat. Auch scheint mir bei Heidegger die Gefahr nicht immer vermieden, daß die Seinsgeschichte zu einer Art Prozeß von höherer Notwendigkeit wird. Deshalb möchte ich an die Stelle der Seinsgeschichte das ›Gespräch der Geschichte‹ setzen, das seine letzte Zuspitzung im Gespräch der Zeitgenossen findet, so daß nicht behauptet werden kann, in jeder Epoche sei nur ein Denken und dieses Denken sei notwendig. Schließlich scheint es mir ergiebig, nicht nur an das Spruchdenken der Vorsokratiker, sondern auch an spätere Traditionen, etwa an Vicos Idee der Topik, anzuknüpfen.« Max Müller hat meinen Vortrag sofort 1962 im Philosophischen Jahrbuch veröffentlicht. Der junge Heidegger war davon ausgegangen, daß das personale Verständnis des Menschen zu stärken sei. In diesem Sinn schrieb er noch im Ersten Weltkrieg, am 15. Juli 1918, an Elisabeth Blochmann: »Das geistige Leben muß bei uns wieder ein wahrhaft wirkliches werden – es muß eine aus dem Persönlichen geborene Wucht bekommen, die ›umwirft‹ und zum echten Aufstehen zwingt – und diese Wucht äußert sich als echte nur in der Schlichtheit, nicht im Blasierten, Dekadenten, Erzwungenen.«1 Am 2. Oktober sprach er vom »personalen Dasein« der Pädagogin. In Sein und Zeit kritisiert er aber im § 10 über die Abgrenzung der Daseinsanalytik gegen Anthropologie, Psychologie und Biologie den ›Personalismus‹, vor allem die Interpretation der Personalität bei Husserl und Scheler. Diese fasse das Personsein zu wenig aus dem Vollzug der Existenz. Wie wir von Karl Löwith wissen, hat der junge Heidegger Franz Overbecks Hinweis auf den eschatologischen Charakter des Urchristentums und Karl Barths Römerbrief als etwas theologisch Entscheidendes genommen. Davon gibt die Vorlesung Einleitung in die Phänomenologie der Religion vom Winter 1920/21 Zeugnis. Die Vorlesung des folgenden Semesters Augustinus und der Neuplatonismus Heideggers Weg von Luther zu Hölderlin | 169

spricht von der Bekümmerung als Grundzug des Existierens. Sie führt die curiositas, die Neugier als Gier auf immer Neues ein und sieht sie bei den Griechen wie im modernen Kino vor allem als cupiditas oculorum in Bezug auf das Erkennen als Sehen auftreten. Die Sorge kommt noch vor als »Sorge für das alltägliche Leben«. Sein und Zeit kennt die curiositas nur noch als Neugier. Dabei wird Augustinus dafür genannt, daß er die Rolle der concupiscentia oculorum, der Augenlust, in der Antike erkannte. Heidegger schickte einen Bericht über seine Aristoteles-Studien 1922 an Natorp nach Marburg und an Misch nach Göttingen; darin wird die Verflechtung von cura und curiositas als der griechische Geburtsfehler im Philosophieren angeführt.2 Die Untersuchungen über Goethes Faust und die Sorge von Burdach werden in Sein und Zeit zum Ausgangspunkt für die vorontologische Darstellung der Sorge nach einer Fabel des Hyginus. Max Müller hat gegenüber Heideggers Bemerkung über den Personbegriff darauf bestanden, daß der Personbegriff ein Grundbegriff der Lehre vom Menschen bleiben müsse. Er hat mir gegenüber auch das Sichvordrängen der etwas belanglosen Fabel des Hyginus als ein Verdecken der ursprünglichen Problemsituation gefaßt. Dabei gebrauchte er das Bild vom Fuchs, der mit dem Schwanz seine Spuren verwischt. Dieses Bild habe auch ich aufgenommen, als ich gegen Ende des letzten Jahrhunderts in Prag, Köln und Zagreb über Philosophie und Theologie in Sein und Zeit sprach.3 In jedem Fall wurde für Heidegger die dialektische Theologie von Barth und Gogarten wichtig. Am 24. August 1925 schrieb er an Karl Löwith: »Was noch ›Leben‹ zeigt, ist die Barth-Gogarten-Bewegung –, die in Marburg durch Bultmann selbständig und vorsichtig vertreten wird«. Löwith hat diese Auszeichnung in seinem Bericht über Heidegger dann wiedergegeben. Unklar bleibt aber schon, an welchen Karl Barth Heidegger denkt: an die erste Auflage des Römerbriefs von 1919 mit ihren expressionistischen Schreien oder an die vollständig umgearbeitete Auflage von 1922, die auch ein rationaler Kopf wie Bultmann lesen und besprechen konnte. Daß die Namen Barth und Gogarten in Sein und Zeit nicht vorkommen, kann schon überraschen. Die wenigen Sätze, die ich 1959 von Oskar Becker her aus Heideggers frühen Vorlesungen mitteilte, wurden von anderen durchaus 170 | otto pöggeler

nicht so wie von Karl Lehmann aufgenommen. Aus dem Kreis jener, die nach dem Zweiten Weltkrieg die mehr privaten Freiburger Seminare Heideggers besuchen konnten, bezweifelte man, daß Heidegger mit Auslegungen von Paulus und Augustinus sein eigenständiges Philosophieren begonnen habe. War die Seinsfrage nicht eher aus einem ständigen Meditieren über die Metaphysik des Aristoteles entstanden? Karl-Heinz Volkmann-Schluck in Köln verband Dikta aus Heideggers Seinsgeschichte mit dem Hören der Musik Richard Wagners; aus seinem Kreis trug man mir die Meinung zu, meine Hinweise auf den frühen Heidegger seien frei erfunden. Da ich in der Hegel-Edition beschäftigt war, bekam ich von dort her so etwas wie eine Abmahnung, solche Eskapaden künftig zu lassen. Es zeigte sich, daß ich wegen meines spezifischen Interesses für Heidegger keine Chance für eine Habilitation an einer Universität in Nordrhein-Westfalen hatte. So holte Hans-Georg Gadamer mich zur Habilitation nach Heidelberg. Schon vorweg konnte ich im Sommer 1962 bei den Heidelberger Hegel-Tagen sprechen, und zwar über Hegel und die griechische Tragödie. Ich suchte zu zeigen, daß der junge Hegel aus seiner Nähe zu Hölderlin heraus sich mit dem tragischen Denken der Griechen gegen die alttestamentliche Tradition stelle. Hegel habe später jedoch diese Einstellung korrigiert. Der Vortrag war eine Mahnung, nicht – etwa mit Nietzsche und Heidegger – in der eigenen Zeit den einstigen Einseitigkeiten zu folgen. Richard Kroner stimmte in seiner Eröffnungsrede und auch in persönlichen Worten mir ausdrücklich zu, daß Hegel in der Phänomenologie des Geistes eine spezifische Weise von Geschichtsdeutung gebe.4 Ich erinnere mich, wie damals Karl Lehmann und ich abends durch die Hauptstraße Heidelbergs gingen. Die Häuser im Tal waren aus irgendeinem Anlaß illuminiert, das Schloß auf dem Berge war angestrahlt. Wir waren überzeugt, daß auch in geschichtsträchtigen Städten wie Heidelberg ein neues, durchaus eigenständiges Philosophieren nötig sei. Welche Bedeutung hat für uns das Philosophieren mit Husserl und Heidegger in Freiburg gleich nach dem Ersten Weltkrieg? Man kann nicht daran zweifeln, daß Heidegger selbst das Denken, das von ihm zählt, mit dem Aufbrechen der Seinsfrage 1922/23 beginnen lassen wollte. So sind seine frühen Freiburger Vorlesungen in der Heidegger-Gesamtausgabe auch heute noch ein Anhang zu den Heideggers Weg von Luther zu Hölderlin | 171

späteren Vorlesungen. Dagegen sah Oskar Becker und dann auch Hans-Georg Gadamer in diesen Vorlesungen das schöpferische Denken Heideggers, das wieder aufgebrochen sei in den Erfahrungen, die zu den Vorträgen über den Ursprung des Kunstwerks führten. Mit der Aufnahme des Seinsbegriffs habe eine neue Scholastisierung begonnen, die auch für Sein und Zeit kennzeichnend sei. Sicherlich darf man den Weg Heideggers so nicht sehen. Heidegger selbst hat betont, daß die Seinsfrage am Anfang seines Denkweges stand; Karl Lehmann ist den Zeugnissen dafür aus den Jahren 1912 – 1916 genauer nachgegangen. Heideggers Denken aus den Jahren 1919 – 1923 können wir heute als genau so wichtig und eigenständig nehmen, wie wir das bei Hegels sogenannten ›Jugendschriften‹ tun. Als ich zum 80. Geburtstag Heideggers in einem Sammelband repräsentative Arbeiten zum Denken Heideggers zusammenstellte, war es für mich selbstverständlich, auch Karl Lehmann (als jüngsten Beiträger) zu Wort kommen zu lassen, nämlich mit seinem Aufsatz Christliche Geschichtserfahrung und ontologische Frage beim jungen Heidegger von 1966. Bei den vielen Angriffen gegen meine ersten Versuche war es für mich eine glückliche Bestätigung, daß Karl Lehmann meinen Bericht über den jungen Heidegger aufnahm und darüber hinaus bemerkte, Heidegger habe mein Buch über seinen Denkweg gebilligt.5 Karl Lehmann hatte mir gegenüber am 12. Januar 1964 ein anderes gemeinsames Interesse markiert: »Ich wollte noch gelegentlich eine Bultmann-Arbeit machen, zweifle aber, ob es dieses Jahr gelingt.« Doch strebte er damals in die praktische Seelsorge. Er schrieb: »Nach 17 – 18 Semestern, dauernd im ›Kasten‹, muß man einmal ›hinaus‹ …« Er hat dann seine exegetischen Versuche eigenständig ausgeführt. Er gab die theologische Dissertation 1968 zum Druck und wurde nach Mainz berufen. Am 2. Oktober 1968 schrieb er mir: »Ich war durch die Berufung so gehetzt, daß ich kaum zu einer ruhigen Stunde kam.« Man darf nicht vergessen, welche Überfülle an Aufgaben auf Karl Lehmann auch schon vor dem Bischofsamt zukamen. Im folgenden möchte ich nach den Ausführungen Karl Lehmanns noch einmal erinnern an den Bezug, den der junge Heidegger zu Luther gewann. Die entscheidende Frage soll dann sein, wie er zu Nietzsche und Hölderlin fand und seinen weiteren Weg mit Hölderlin ging. Bei Heideggers Begräbnis mußte Bernhard Welte 172 | otto pöggeler

sich auf eine reduzierte Liturgie beschränken; am offenen Grabe wurden gemäß Heideggers Wunsch bestimmte Worte Hölderlins gesprochen.

1. Luther als Geleit Martin Heidegger, Sohn des Mesners von Meßkirch, ist früh mit dem Streit der Konfessionen konfrontiert worden. Als in Meßkirch die Altkatholiken mächtig wurden, bekamen sie die Stadtpfarrkirche zum heiligen Martin zugesprochen. Die Katholiken mußten in eine Notkirche ausweichen, den einstigen Fruchtkasten. Doch dann stellten die Katholiken wieder die Mehrheit, und so wurde ihnen 1895 die Martinskirche zurückgegeben. Heideggers Bruder berichtete, daß der altkatholische Mesner den Schlüssel zur Kirche zum ersten Adventssonntag dem sechsjährigen Martin Heidegger ausgehändigt habe, weil er sich vor dem alten Mesner genierte.6 Als Student der katholischen Theologie äußerte Martin Heidegger sich in der Zeitschrift Der Akademiker, der Zeitschrift des katholischen Akademikerverbandes. Er bezog seine Position auf dem rechten Flügel der Katholiken, lehnte also den Modernismus ab, der vom Papst verurteilt worden war. Als er 1915 für das Habilitationsverfahren einen Lebenslauf fomulierte, faßte er sein Streben klar zusammen: Er habe auch die neuere Philosophie seit Kant berücksichtigt; doch seine »philosophischen Grundüberzeugungen« seien die der »aristotelisch-scholastischen Philosophie« geblieben.7 Freilich konnte Heidegger, z. B. durch die Lektüre von Ludwig von Fickers Zeitschrift Der Brenner, auch andere Tendenzen aufnehmen. Es verwunderte mich jedoch, als Heidegger mir vor mehr als vierzig Jahren in Freiburg vom Weg am Schloßberg aus nicht nur den schönen Münsterturm zeigte, sondern auch das Fenster seines einstigen Zimmers im Theologischen Konvikt und dabei betonte, hinter diesem Fenster habe er Luther gelesen. Damit wollte er die Auffassung abwehren, Luther sei ihm durch die sogenannte Dialektische Theologie, also nach dem Ersten Weltkrieg, aufgedrängt worden. Heidegger war 1909 ins Freiburger Theologenkonvikt gekommen. Der Luthertext, mit dem er sich dort befaßte, war sicherlich der erste Band einer Reihe Anfänge reformatorischer Bibelauslegung von 1908, nämHeideggers Weg von Luther zu Hölderlin | 173

lich Johannes Fickers Edition Luthers Vorlesung über den Römerbrief 1515/16. Johannes Ficker schildert, daß die Psalmbitte In iustitia tua libera me den jungen Augustinermönch und Exegeten Luther zu Paulus geführt habe. Luther habe nach der lateinischen Übersetzung gearbeitet, doch mitten in seiner Arbeit sei die griechische Ausgabe des Neuen Testaments von Erasmus erschienen. Die »Großmacht« der deutschen Mystik sei Luther immer »Trost und Hilfe in schwerster Zeit der Verzweiflung« gewesen. Die Situation in Wittenberg sei durch die Spätscholastik geprägt worden, durch die Skotisten sowie durch Occam und Biel. Entscheidend sei eine neue Auseinandersetzung mit Augustinus geworden. Der junge Heidegger konnte in diesem Weg Luthers seinen eigenen Weg gespiegelt sehen; nur war bei ihm Meister Eckhart vor Tauler getreten. Martin Luthers Jugend war geprägt worden durch die Angst vor Tod und Gericht. Er hat im Alter darauf hingewiesen, daß für ihn als Mönch und Exeget der Römerbrief des Apostels Paulus wichtig geworden sei. Er hatte sich langsam davon gelöst, Gottes Gerechtigkeit aktivisch im Sinne der Tradition vor allem als strafende Gerechtigkeit zu verstehen. Mußte sie nicht passivisch aufgefaßt werden, nämlich von der Zuwendung Gottes her, die es dem Menschen ermöglicht, durch seinen Glauben gerecht zu werden und nicht vorzüglich durch seine Werke? In Luthers früher Römerbriefvorlesung folgen auf die Bemerkungen im Teil Die Glosse die Scholien. Dieser Kommentar beginnt damit, daß er die Summe des Schreibens des Paulus in die Auffassung legt, die Weisheit und Gerechtigkeit des Fleisches sei zu destruieren und auszureißen und zugrunde zu richten: Summarium huius epistolae est destruere et evellere et disperdere omnem sapientiam et iustitiam carnis. Heidegger hat sich dagegen gewehrt, daß sein philosophischer Lehrer Edmund Husserl ihn vor allem auf die Religionsphilosophie verpflichten wollte. In der Tat hat Heidegger die transzendentale Phänomenologie Husserls überhaupt in eine hermeneutische Phänomenologie umgewandelt. Doch die Religionsphänomenologie war in Heideggers frühen Freiburger Jahren eine bevorzugte Thematik. Im Winter 1920/21 suchte Heidegger aus der Abwehr damals führender Theologen wie Troeltsch und Harnack eine Einleitung in die Phänomenologie der Religion zu entfalten. Er setzte so grundsätzlich an, daß sich Ende November ein Theologiestudent beim 174 | otto pöggeler

Dekan beschwerte, weil Heidegger – nach fünf Wochen! – immer noch nicht zur Religion gekommen sei. Der Dekan ermahnte den jungen Privatdozenten; dieser gab im Zorn den Vorlesungsplan auf und beschränkte sich fortan auf Paulusauslegungen. Darauf hatte er aber wohl immer schon zugesteuert.8 Heidegger wollte die leitenden Motive des Daseins formal anzeigen, damit in diese existenzialen Strukturen (wie dann Sein und Zeit sagte) die existenziellen Entscheidungen für oder gegen einen bestimmten Glauben eingetragen werden konnten. So wurden diese für alle verständlich gemacht als mögliche Antworten auf entscheidende Lebensfragen. Als Phänomenologie verzichtet die Philosophie darauf, von metaphysischen Vorgaben auszugehen; sie will mit dem Leben gehen. Sie sieht, daß der Mensch sich nicht selbst ins Dasein gebracht hat, aber nach einem Sinn im Existieren sucht. In dieses Sichverschulden und in diese Sinnoffenheit kann die Theologie die Botschaft vom Menschen als Sünder und von der erlösenden Offenbarung Gottes eintragen. Die Glaubensentscheidungen sind aber nicht mehr Sache der Philosophie. Doch kann von der formal anzeigenden Phänomenologie oder existenzial-ontologischen Analytik der Existenz aus auch eliminiert werden, was nicht zum Kern des Lebens und des Glaubens gehört. Darin besteht, recht verstanden, die ›Entmythologisierung‹ Rudolf Bultmanns, die freilich durch diesen Terminus zu negativ und einseitig bestimmt wird. Im Sommer 1921 las Heidegger über Augustinus und den Neuplatonismus. Er zitierte aus dem ersten Kapitel des Römerbriefes des Apostels Paulus, das Unsichtbare Gottes werde an den Werken der Schöpfung erkannt. Auf diese Stelle habe die Patristik ihre Bemühung gestützt, Platons Aufstieg von der sinnlichen zur übersinnlichen Welt als Vorverweis auf den christlichen Glauben zu nehmen. Luther habe erstmals gezeigt, daß Paulus damit mißverstanden werde. »Luther«, so sagte Heidegger, »hat in seinen ersten Werken ein neues Verständnis des Urchristentums eröffnet. Später ist er selbst der Last der Tradition zum Opfer gefallen: es beginnt dann das Einsetzen der protestantischen Scholastik.« Die »Bekümmerung um christlich-religiöse Erneuerung« (also die frühe Religionsphilosophie Max Schelers, aber auch Bestrebungen in der protestantischen Theologie) sehe nicht, daß der frühe Luther entscheidend sei für die Bestimmung des Verhältnisses von Christentum und Heideggers Weg von Luther zu Hölderlin | 175

Kultur. Heidegger zitiert die Disputationsthesen, die Luther noch als Augustinermönch 1518 in Heidelberg vorgetragen hat: Nicht der sei ein Theologe, der das Unsichtbare Gottes durch das Geschaffene erblicke. Er ergötze sich »ästhetisch« an den Wunderbarkeiten der Welt; dabei nenne er (in der Theodizee) das Böse gut und das Gute böse. Der Theologe des Kreuzes (der Christus in seiner Erniedrigung findet) sehe dagegen die Dinge, wie sie sind.9 Heidegger hatte längst vor der Lektüre von Barths Römerbrief seinen eigenen Weg gefunden, indem er zu seinem Ausgang von Aristoteles den jungen Luther stellte, zur Phänomenologie seines Lehrers Husserl Kierkegaard. Wichtig wurde das Jahr 1922, in dem Martin Heidegger – wie wir hörten – den »a-theistischen« Charakter der Phänomenologie herausstellte. Dieses Jahr brachte von Franz Overbeck das Nachlaßwerk Christentum und Kultur. Weist es nicht voraus auf den genannten A-theismus, der durchaus kein weltanschaulicher Atheismus ist? In diesem Jahr legte Martin Heidegger in einer Vita für ein Berufungsverfahren in Göttingen dar, daß ihn die Untersuchungen von Franz Overbeck und Albert Schweitzer einst zum Abbruch des theologischen Studiums bewegt hätten. Das aber war eine neue Sicht, die vorher so nicht vorgetragen wurde.10 In der Vorlesung vom Sommer 1923 über Ontologie oder Hermeneutik der Faktizität gab Heidegger einen zusammenfassenden Rückblick auf seinen Weg: »Begleiter im Suchen war der junge Luther und Vorbild Aristoteles, den jener haßte. Stöße gab Kierkegaard und die Augen hat mir Husserl eingesetzt.« Als Edmund Husserl seinem Marburger Kollegen Natorp am 1. Februar 1922 Heidegger für eine Marburger Professur empfahl, sagte er auch, Heidegger könne in Freiburg als früherer katholischer Philosoph nicht frei über Luther handeln. In Marburg könne er ein Mittelglied zwischen der Philosophie, also der Phänomenologie Husserls, und der Theologie werden. Husserl hat Heideggers weiteren Weg richtig gesehen. Nur dachte er bei den Marburger Theologen an Rudolf Otto. Heidegger aber tat sich zusammen mit dem Exegeten Rudolf Bultmann, der wie Heidegger zu Rudolf Ottos synkretistischer Phänomenologie des Heiligen bald in Gegensatz geriet. Bultmanns Einführungsvorlesungen Theologische Enzyklopädie von 1926-1936 bauen auf Heidegger auf und zeigen geradezu eine Allergie gegen den Kollegen Rudolf Otto. Heidegger brachte in die Marburger theologischen Streitgespräche 176 | otto pöggeler

den Nietzschefreund Franz Overbeck ein, der energisch auf den eschatologischen Charakter des urchristlichen Glaubens hingewiesen hatte, aber die moderne Welt auf anderen Wegen sah. So konnte Heideggers Schüler Hans-Georg Gadamer sich fragen, ob Heidegger mit Overbeck die Theologie zurückweisen oder ihre Aufgabe bestätigen wollte.11 Martin Heidegger hatte in dem jungen Julius Ebbinghaus einen Gefährten gefunden. Dessen Vater hatte einst Dilthey bekämpft; der Sohn erschloß sich von Dilthey her den jungen Hegel bis zu dessen ersten Jenaer Jahren. Heidegger suchte den Freund auf Luther hinzulenken, um ihn in Distanz zu Hegel zu bringen. Er schrieb ihm am 4. Januar 1924 aus Marburg: »Es ist ein Jammer, wie gänzlich desorientiert die protestantische Theologie in ihren Grundlagen ist. Bultmann ist der einzige hier, von dem ich noch lernen kann – Oldenburger, scharf und vorsichtig, er will um jeden Preis aus der Religionsgeschichtlichen Theologie heraus, in der er aufwuchs.« Heidegger gab auch die Lehrveranstaltungen an, die er für den Sommer 1924 und den Winter 1924/25 plante. »Im Sommer lese ich Augustinus vierstündig, und im Winter will ich dann an die Hermeneutik der historischen Wissenschaften.«12 Doch es kam anders. Im Sommer las Heidegger über Aristoteles (vielleicht seine schönste Vorlesung), im Winter über Platons Sophistes und damit über die spätplatonische Dialektik. Die klassische griechische Philosophie war es also, mit der Heidegger die Auseinandersetzung führte. Doch in den letzten Marburger Jahren wurde ihm klar, daß Kant radikaler als Aristoteles die Zeit zum Problem gemacht hat, als er Sinnlichkeit und Verstand durch eine »Schematisierung« von der Zeit her verbinden wollte. Heideggers spätere Abhandlung über Platons Lehre von der Wahrheit bereitete sich vor, in der er der metaphysischen Tradition von Platon bis Nietzsche im ganzen eine Vernachlässigung des Zeitproblems vorwarf. Von Nietzsche führte der Weg zu Hölderlin. Sind für uns nicht auch die Fragen unabweisbar, die Heidegger schon als Student beim jungen Luther aufspürte? Beiseite bleiben mag hier, daß der britisch-amerikanische Theologe Ed Parish Sanders, auch in einer Weiterführung von Albert Schweitzer, in Paulus den Mystiker sah. Bekanntlich heißt es im siebten Kapitel des Römerbriefes: »ich tue nicht, was ich will; sondern, was ich hasse, das tue ich.« Nach Sanders bezieht Paulus sich hier nicht auf sein vorHeideggers Weg von Luther zu Hölderlin | 177

christliches Leben oder auf das nichtchristliche Leben überhaupt, sondern auf den Neurotiker. Wenn Bultmann gerade an dieses Kapitel anknüpft, sichert sein Paulusverständnis (neurotisch!) nur sich selbst. Eugen Biser hat in Deutschland an Sanders angeknüpft.13 Unabhängig von den historischen Überlegungen bleiben Gerechtigkeit und Rechtfertigung theologische Grundprobleme. So kam es am 14. März 1997 zwischen den Kirchen zu einer Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigung. Darin heißt es im § 14: »Das gemeinsame Hören auf die in der Heiligen Schrift verkündigte Frohe Botschaft und nicht zuletzt die theologischen Gespräche der letzten Jahre zwischen den lutherischen Kirchen und der römisch-katholischen Kirche haben zu einer Gemeinsamkeit im Verständnis der Rechtfertigung geführt. Es umfaßt einen Konsens in den Grundwahrheiten, die unterschiedlichen Entfaltungen in den Einzelaussagen sind damit vereinbar.«

2. Hölderlin: Die Deutschen und die Griechen Als Martin Heidegger zum Wintersemester 1928/29 dem Ruf nach Freiburg folgte, machte nur Edmund Husserl sich noch für eine kurze Zeit Illusionen darüber, daß seine phänomenologische Philosophie von Heidegger weitergeführt würde. Heidegger stieß auch von sich, was er in Marburg in Zusammenarbeit mit Rudolf Bultmann aufgebaut hatte. Als er die Freiburger Assistentenstelle besetzen mußte, schrieb er an Jaspers: »Eigene ›Schüler‹ habe ich nicht und wünsche eigentlich etwas anderes.«14 Werner Brock empfahl sich, weil er über Nietzsche gearbeitet hatte; Heidegger wollte mit ihm auch den Nietzscheanismus von Ernst Jüngers Schriften über den Arbeiter und die totale Mobilmachung aufarbeiten. Da Brock jüdischer Herkunft war, wurde er 1933 in die Emigration getrieben. Karl Löwith, Gerhard Krüger und Hans-Georg Gadamer waren für Heidegger gemäß dem Brief an Jaspers keine Schüler mehr; in der Tat schlugen Löwith und Krüger Wege ein, auf denen sie sich gegen ihren Lehrer richteten. Doch vor allem war Heidegger selbst es, der Schritte in ein philosophisches Neuland wagte. Freilich hatte schon Sein und Zeit im § 74 Die Grundverfassung der Geschichtlichkeit überraschend die Begriffe von Schicksal und Geschick in den Vor178 | otto pöggeler

dergrund gerückt. Diese Begriffe waren in der deutschen Geistesgeschichte vor allem verknüpft mit der griechischen Tragödie. Heidegger hatte Anfang der zwanziger Jahre Schelers Wertethik und Religionsphilosophie abgelehnt. Doch kam Heidegger nach einem Kölner Vortrag vom Dezember 1924 Scheler nahe, der in einer neuen Weise metaphysische Fragen aufwarf. Es sollte nicht nur eine Ontologie des Lebendigen und eine Ontologie des Geistes geben; sondern Leben und Geist sollten von einem bipolaren metaphysischen Urgrund her als eine Konstellation verstanden werden, die die Wege des Menschen prägt. Scheler und ähnlich gesinnte Denker wie Ludwig Klages verwiesen zurück auf Friedrich Nietzsche, der das Denken und Dichten von Spinoza bis zu Schelling und Goethe weitergeführt habe. Unterdrückt die Berufung auf die Vernunft, wie sie seit Platon und verschärft seit Descartes das abendländische Denken bestimmt, nicht das Leben, und zwar sowohl die Leiblichkeit, die den Menschen mit dem Tier verbindet, wie das religiöse Leben, das sich nicht mehr von der Überlieferung allein leiten lassen will?15 Als Elisabeth Blochmann Heidegger an Marburger Theologiestudenten erinnert hatte, schrieb Heidegger ihr am 20. September 1930: »Es ist doch eine verzweifelte Situation für diese Theologen – denn sie sind eben nur Theologen und wirken nicht mehr mit einer apostolischen Berufung.«16 Liest man Bultmanns Predigten und sieht seine Bereitschaft, bei Schwierigkeiten durch Vereinbarungen zwischen Kirche und Staat in ein Pfarramt seiner Oldenburger Heimat zurückzukehren, dann wird deutlich, daß er durch Heideggers Kritik nicht getroffen wird. Schon vorher, im September 1929, hatte Elisabeth Blochmann es als eine fremde Gewalt empfunden, daß Heidegger sie, die halbjüdische Protestantin aus dem liberalen Milieu von Goethes Weimar, zu den Mönchen nach Beuron mitgenommen hatte. Heidegger schrieb ihr: »Gott – oder wie Sie es nennen – ruft jeden mit anderer Stimme.« Wir müßten in der Geschichte »die Macht und Gediegenheit des Großen verehren«. Dieses Große fand Heidegger im gregorianischen Gesang der Mönche, der mehr als ein Jahrtausend alt war. Elisabeth Blochmann hätte – wenn schon nicht im fremden Hochamt, so doch in der abendlichen Komplet – »die mythische und metaphysische Urgewalt der Nacht« hören können, in der uns immer auch das Böse Heideggers Weg von Luther zu Hölderlin | 179

bedrohe. Heidegger schrieb: » So muß uns der heutige Katholizismus und all dergleichen, der Protestantismus nicht minder, ein Greuel bleiben – und doch wird ›Beuron‹ wenn ich es kurz so nenne – als ein Samenkorn für etwas Wesentliches sich entfalten.« Noch im Oktober 1931 schrieb Heidegger, daß er in den Herbstferien wie üblich das liturgisch geordnete Leben der Mönche mitmache und am liebsten »auch noch gleich das Mönchsgewand« hätte. Doch am 18. September 1932 hieß es, er gehe dieses Jahr nicht nach Beuron; in seiner Todtnauberger Hütte sei er »viel einsamer als im Kloster«. So kamen ihm die Elegien und Hymnen Hölderlins nahe als jene Liturgie, die in Zukunft den gregorianischen Gesang aus neuen geschichtlichen Erfahrungen weiterführen könne. In einem Brief vom 22. Juni 1932 setzte Heidegger mit einem Begriff Nietzsches die »Rangordnung« gegen den Liberalismus, bei dem er nur ein nivellierendes Alles-gelten-lassen finden konnte. Er wollte einen Politiker wie Brüning nicht parteipolitisch sehen; vielmehr fand er in der Zentrumspartei eine politische Nutzung des Liberalismus zugunsten des katholischen Fraktionsgeistes. Solche Nutzung könne auch kommunistisch ausfallen »… ich sehe Rom – Moskau und – ja und – ich will sagen, die Griechen, von denen Nietzsche sagte, daß allein die Deutschen ihnen gewachsen seien.«17 So konnte Heidegger schon vor 1933 in Hitler den Politiker finden, der das Risiko schöpferischer Politik auf sich nehme und – gemäß dem Programm Wilsons – die Selbstbestimmung der Völker auch für die Deutschen durchsetzen wolle. (Auch Roosevelt und Churchill sahen ja eine zeitlang in Hitler den humanen Österreicher im verhaßten preußischen Berlin.) Heidegger wies einen Weg, der seit den Tagen Winckelmanns eingeschlagen, dann von Archäologen wie Ernst Buschor auf das vorklassische Griechenland bezogen worden war. Am 19. Januar 1933 schrieb Heidegger, ein großer Sturm sei über ihn gekommen; die Takelage sei zu Bruch gegangen, ein Flikken sei nicht möglich. Heidegger hatte Photoaufnahmen aus Griechenland geschenkt bekommen, sich selbst dem vorsokratischen Denken zugewandt. So schrieb er: »Die Trümmer der griechischen Tempel und Götterbilder sind wie die Reste und Fetzen der alten Sprüche ihrer Philosophen.« Wären Tempel, Götterbilder und philosophische Werke unversehrt auf uns gekommen, dann wäre längst alles im Gewohnten und Entleerten aufgegangen. Doch die Trüm180 | otto pöggeler

mer, die umstellt seien von Dunkel, könnten die Auseinandersetzung mit den Griechen und die Besinnung auf den eigenen Auftrag wecken. Die Heutigen würden, so sagte Heidegger mit einem Wort Nietzsches, als »Gezwerge« weggefegt. Martin Heidegger und Karl Jaspers suchten die Machtergreifung des Nationalsozialismus zu nutzen, um ihren Plan einer »aristokratischen« Universität durchzusetzen. Jaspers konnte in seinen Thesen zur Frage der Hochschulerneuerung vom Juli 1933 in der Durchsetzung des Führerprinzips an der Universität einerseits eine Chance sehen: »die Möglichkeit der Überwindung aller verschleppenden und verwässernden Verhandlungen von Kommissionen und Instanzen durch die entscheidenden Anordnungen eines die Universität schrankenlos beherrschenden Mannes, der auf den mächtigen Antrieb einer der Situation bewußten Jugend und die ungewöhnliche Bereitschaft der sonst Lauen und Gleichgültigen sich stützen kann«. Jaspers sah andererseits die Gefahr eines endgültigen Todes der Universität, wenn die führenden Lehrstuhlinhaber nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden könnten und die Universität einer Reglementierung von außen unterworfen werde.18 Ende 1933 mußte Jaspers den Antisemitismus des Nationalsozialismus ernstnehmen und sehen, daß er falsche Erwartungen gehegt hatte. Doch auch in den folgenden Jahren tauschten Heidegger und Jaspers ihre Arbeiten und Überlegungen aus. Heinrich Buhr berichtet, daß er im Herbst 1933 als einziger Theologe an einem Ferienlager Heideggers in Todtnauberg teilgenommen habe. Heidegger habe sich nicht nur gegen die Christologie ausgesprochen, sondern schon gegen den Schöpfungsglauben überhaupt. Er habe Buhr angeboten, bei ihm zu promovieren, sich so gegen die Theologie und für das Größere, die Philosophie, zu entscheiden. Doch habe er bei einer erneuten Begegnung Ende 1935 gesagt: »Sie haben recht, bleiben Sie bei Ihrer Theologie.«19 Heidegger konnte nicht nur den Widerspruch zulassen, sondern auch eine eigene Verirrung zugeben. Nach seiner ersten Enttäuschung über sein politisches Engagement wandte Heidegger sich Hölderlin zu, von dem er nichts weniger als eine Revolutionierung aller Lebensverhältnisse erwartete. Er behandelte von seinem philosophischen Lehrstuhl aus 1934/35 zwei Hymnen Hölderlins: Die Hymne Germanien spreche vom Warten Heideggers Weg von Luther zu Hölderlin | 181

auf den Aufbruch, die Hymne Der Rhein nenne jene Großen, die Geschichte gestalten, »Halbgötter«. Diese sollten ein ganzes Land prägen, indem sie das Göttliche den Menschen vermittelten. Aus einem solchen Blickwinkel würden Konfessionen wie Katholizismus und Protestantismus nebensächlich. Heidegger mokierte sich darüber, daß man auf den Kanzeln nun von Christus als dem Führer spreche und in der Sprache Nietzsches predige. Christlich gesehen sei das eine Blasphemie, denn seit dem Konzil von Nicaea gelte Christus als wesensgleich mit Gott dem Vater, nicht nur als wesensähnlich. Ein Führer aber habe (wie Hölderlins Halbgötter Herakles, Dionysos, der Rhein) ein Schicksal und daher ein »endliches Seyn«.20 Wenn Nietzsche dem dionysischen Werden das apollinische Sein mit seinen Begrenzungen entnehmen wolle, dann habe er das Wesensgesetz des Abendlandes gesehen, aber unzulänglicher als Hölderlin formuliert. In seinem zweiten Hauptwerk, den Beiträgen zur Philosophie von 1936/37, hat Heidegger jenes neue Denken gestaltet, das er von Hölderlin her und mit dessen Sprache ausgebildet hatte. Dort stellt er die Erneuerung des Protestantismus, die durch den Namen Kierkegaards bezeichnet wurde, zu der anderen Erneuerung des Lebens von Nietzsche her; doch überbietet er den Gegensatz KierkegaardNietzsche durch Hölderlin. Das Textstück Hölderlin – Kierkegaard – Nietzsche sagt, nicht von ungefähr seien jene, die die Entwurzelung am tiefsten durchlitten und »zugleich ihre Götter am innigsten erahnt« hätten, frühzeitig aus der Helle des Tages hinweggenommen worden. Der früheste dieser drei, also Hölderlin, dichte am weitesten voraus in die Zukunft.21 Am Schluß der Beiträge heißt es, mit dem Tod des metaphysischen Gottes fielen Monotheismus, Pantheismus, Atheismus und alle Arten des Theismus hinweg; die Rede davon gebe es erst seit der »jüdisch-christlichen ›Apologetik‹, die die ›Metaphysik‹ zur denkerischen Voraussetzung« habe. Heidegger hat zu den Beiträgen noch einen zusätzlichen Abschnitt Das Seyn gestellt. Dort sagt er von seinem Denken: »Das seynsgeschichtliche Denken steht außerhalb jeder Theologie und kennt aber auch keinen Atheismus im Sinne einer ›Weltanschauung‹ oder einer sonstwie gearteten Lehre.« Heidegger mußte einsehen, daß Hitler keineswegs nur die Arbeitslosen von der Straße brachte und Deutschland in den Kreis der 182 | otto pöggeler

sich selbst bestimmenden Völker zurückführte. Später konnte er darauf bestehen, daß er nicht erst seit Stalingrad, sondern schon in seinem »Wendejahr« 1938 in Hitler »den Räuber und Verbrecher des Jahrhunderts« erkannt habe.22 Die Schmach, 1932/33 für Hitler eingetreten zu sein, führte ihn bis zum Entschluß, aus dem Leben zu scheiden. Er sah sich mit seiner philosophischen Arbeit und damit mit seinem Beruf und seiner Berufung in Frage gestellt. Zu seinem privaten Testament stellte er als Beilage die Überlegung Über die Bewahrung des Versuchten. Er sah seine Bemühungen kulminieren in dem »neuen Anlauf« der Beiträge und überließ das Versuchte (mit 48 Jahren!) dem »Nachlaß«. Doch gelang es ihm, von diesem Nullpunkt aus sein Leben und Denken in anderer Weise weiterzuführen. Die dritte Hölderlin-Vorlesung wandte sich im Sommer 1942 dem Ister zu, das heißt der oberen Donau, Heideggers engerer Heimat bei Beuron. Grob abgewiesen wird der Literaturhistoriker Paul Böckmann, der die Götter in der Dichtung Hölderlins wie sonst einen literarischen Gegenstand habe feststellen wollen. Heidegger fährt fort: »Es macht im Wesentlichen keinen Unterschied, ob man dazu noch die christliche Theologie zu Hilfe ruft und darlegt, daß die Götterlehre Hölderlins eine Verfallsform des einen wahren christlichen Monotheismus sei, oder ob man mit Hilfe der Mythologie der Griechen und ihrer Abwandlung bei den Römern die Götter ›erklärt‹.«23 Jedes Zurück sei eine Täuschung, ob es nun wie bei Walter F. Otto dem klassischen Altertum oder wie bei Rudolf Bultmann (und in Romano Guardinis Hölderlin-Buch) dem Neuen Testament gelte. Besonders schroff wird Heinrich Weinstock abgelehnt, der in seinem Sophokles-Buch das erste Standlied aus der Antigone als das Hohelied der Kultur deutete, dann aber Luther zu Hilfe rief, um ihn mit Sophokles zu verbinden und in der griechischen Tragödie den Hinweis auf die Endlichkeit des Menschen und damit auf die Ausgesetztheit gegenüber dem Schicksal zu finden. Dieses Einbringen Luthers und der Reformation in den Bezug zu den Griechen und ihrer Tragödie lenkt nach Heideggers nunmehriger Meinung nur vom Gespräch mit den Griechen ab. Heidegger glaubte 1939-41 in seiner Auslegung von Wie wenn am Feiertage festhalten zu können, daß in der Hymne Der Einzige Christus gerade nicht die einzige der göttlichen Gestalten sei; der Denkende soll die Frage, welches Göttliche uns in Zukunft angehe, offen lasHeideggers Weg von Luther zu Hölderlin | 183

sen. Diese Frage wurde neu diskutiert, als 1954 Hölderlins Hymne Die Friedensfeier ediert worden war. Als Heidegger noch glaubte, bei Günther Neske in Pfullingen so etwas wie einen Hausverlag gefunden zu haben, erschien dort 1960 von Walter Bröcker und Heinrich Buhr das kleine Büchlein Zur Theologie des Geistes. Im Vorwort sagen die beiden: »Die Korrektur der theologia crucis durch die theologia spiritus, deren Vorkämpfer Hegel und Hölderlin gewesen sind, ist keineswegs eine abwegige Ketzerei. Ihre Quelle ist das Johannes-Evangelium und ihre feierliche Sanktion der dritte Artikel des Glaubensbekenntnisses.« Dem Theologen Buhr wurde wie einst Bultmann mit dem Kirchenausschluß gedroht. Im Gespräch gab mir Heidegger zu, daß sein Schüler Walter Bröcker in seiner Polemik allzu grob und Heinrich Buhr in der Exegese zu undifferenziert verfahre. Doch meinte Heidegger, die beiden seien nur zu früh vorgeprescht. Er teilte die Auffassung, daß Hölderlin auf lange Sicht auch die überlieferte christliche Theologie auf neue Wege bringen müsse. Inzwischen war die Frage dringlich geworden, ob Bultmanns Rede von der Geschichtlichkeit der menschlichen Existenz nicht in eine umfassende Geschichte gestellt werden müsse. Der Bonner Alttestamentler Martin Noth hatte die hebräische Bibel hineingestellt in die vorderasiatische Geschichte; dagegen hatte Gerhard von Rad in Heidelberg das Alte Testament als Theologie und so als Heilsgeschichte gefaßt. Schüler von Rads wie Wolfhart Pannenberg brachten 1961 einen Sammelband heraus, der unter dem Titel Offenbarung als Geschichte die christliche Offenbarung von der Heilsgeschichte her verstand, wie sie im Alten Testament konzipiert worden war. Der amerikanische Theologe James M. Robinson setzte die Lichtungsgeschichte des späten Heidegger und die Heilsgeschichte des Alten Testaments geradezu gleich. Als ich Heidegger auf den Aufsatz Robinsons hinwies, erlebte ich einen seiner Zornesausbrüche: Er habe, so sagte er, nur als Student ein wenig Hebräisch gelernt; sein Weg mit den Griechen und mit Hölderlin habe nichts mit dem Alten Testament zu tun.24 Gerhard Ebeling, der von der Exegese her zu einem großen dogmatischen Entwurf ansetzte, betonte in einem Papier zur Vorbereitung eines Gespräches mit Heidegger im Winter 1960/61 die Unterschiede im Reden von Philosophie und Theologie, fand aber schon 184 | otto pöggeler

bei Luther jenes unmetaphysische Denken, das Heidegger vorbereiten wollte. Heidegger antwortete auf solche Thesen nur: »Was meinen Sie, wie viele Katholiken schon bei mir waren, um zu fragen, ob nicht doch der hl. Thomas von diesem Geschick der Seinsvergessenheit auszunehmen wäre.«25 Das aber heißt: Heidegger kann weder Thomas noch Luther aus dem Vorwurf der Seinsvergessenheit ausnehmen. Ihm geht es darum, bei den Griechen und ihrer Entfaltung des Mythos, der Dichtung, Kunst und Philosophie einen vergessenen Anfang zu finden und von ihm her einen anderen Anfang zu suchen, der in eine offene Zukunft führt. Dafür gilt dann Hölderlins Wort »Dichterisch wohnet der Mensch«. Rudolf Bultmann hat in den dreißiger Jahren durchaus anders als Martin Heidegger in der Antigone-Tragödie den Widerstand gegen eine angemaßte politische Gewalt gefunden. Doch glaubte er, daß das tragische Dichten wie auch der stoische Bezug auf die Vernunft erst im christlichen Glauben ihr Ziel hätten.26 Was Hölderlin über Christus und Dionysos oder Christus und Herakles sagte und was Nietzsche aufnahm, sollte nicht etwas Künstliches bleiben, sondern von der Wirkung Dostojewskis her aufgenommen werden.27 Bultmann interessierte sich für meine Darstellung des Denkwegs von Heidegger, weil er sehen wollte, was es denn mit Heideggers Kehre und seinem späten Denken auf sich habe. Heideggers Rede von einem »geschichtlichen Wesen« etwa der Dichtung bei Hölderlin im Unterschied zu Sophokles konnte er nicht aufnehmen. Er selbst war überhaupt auf anderen Wegen als Heidegger. Bultmanns Schüler Heinrich Schlier hat anders als sein Lehrer sich das späte Denken Heideggers und dessen Sprache angeeignet. Er schrieb mir am 16. Juni 1963 beim Dank für mein Buch über den Denkweg Heideggers: »Mich selbst beschäftigte und beschäftigt fortwährend Heideggers seltsame Nähe und Ferne zu und von der Wahrheit, wie sie das Neue Testament versteht … ›Formal‹ ist m. E. Heideggers Denken einfach das der Hl. Schrift. Die Wahrheit, die sich gibt, indem sie sich zurückhält und als Geheimnis auf eine zukünftige Offenbarung weist, oder die Wahrheit, die sich entzieht, indem sie sich gibt, ist die λεια des Johannes-Evangeliums. Ich bedaure es immer wieder, daß niemand Heidegger theologisch gewachsen ist. Auch ich vermag leider nur ein wenig auf ihn zu achten, kann aber nicht eigentlich mit ihm sprechen.« Schlier hat HeiHeideggers Weg von Luther zu Hölderlin | 185

degger kontinuierlich zu Gesprächen aufgesucht. Was er nicht aufnehmen konnte, war die Weise, in der Heidegger sich nicht mehr unmittelbar auf das Christliche bezog, sondern von Hölderlin her eine Verwandlung der Überlieferung suchte. Wegen Schliers Tod blieben die Grundzüge einer paulinischen Theologie von 1978 Fragment; so aber wurden sie zu seinem Vermächtnis. Schlier spricht darin einfach vom Philosophen, wenn er Heideggers Grundfrage anführt und zugleich theologisch beantwortet: »Warum ist Sein und nicht Nichts? fragt der Philosoph. Weil Gott Gott ist und dieser Gott der Schöpfer ist.«28 Es blieb Schlier bei aller Aufmerksamkeit auf Dichter wie Trakl oder Celan doch die Bedeutung fremd, die Hölderlin für Heidegger hatte.

Anmerkungen

Vgl. Martin Heidegger; Elisabeth Blochmann: Briefwechsel 1918 – 1969, 7 und 8. – Zum folgenden vgl. Martin Heidegger: Phänomenologie des religiösen Lebens (GA 60), 223 ff., 245. 2 Vgl. Dilthey-Jahrbuch 6, 1989, 241, 250. – Zum folgenden vgl. SuZ, § 42. 3 Vgl. Otto Pöggeler: Heidegger in seiner Zeit. München 1999, 268. 4 Vgl. Hans-Georg Gadamer (Hg.): Heidelberger Hegel-Tage 1962, 285 ff., 11f. 5 Vgl. Lehmanns Aufsatz jetzt in: Otto Pöggeler (Hg.): Heidegger. Perspektiven zur Deutung seines Werkes, 140 ff., vor allem Fn 4, 161. 6 Vgl. Hugo Ott: Martin Heidegger. Unterwegs zu seiner Biographie, 48; zum folgenden ebd., 63 ff. 7 Vgl. Martin Heidegger: Reden und andere Zeugnisse eines Lebensweges (GA 16), 38. 8 Vgl. Nachwort des Herausgebers in GA 60,339. – Zum folgenden vgl. zur formalen Anzeige Pöggeler: Heidegger in seiner Zeit, 25 ff. 9 Vgl. GA 60,281 f. (Ergänzungen aus der Nachschrift von Oskar Becker). 10 Vgl. Martin Heidegger: Vita (GA 16,41ff.). – Zum folgenden Vgl. Martin Heidegger: Ontologie. Hermeneutik der Faktizität (GA 63), 5. – Über Heidegger und das Lutherbild von Troeltsch und Holl vgl. Andreas Großmann: Reformatorische Impulse. Heidegger und Luther. In ders.: Heidegger-Lektüren, 11 ff. 11 Vgl. Hans-Georg Gadamer: Philosophische Lehrjahre, 37; ferner Rudolf Bultmann: Theologische Enzyklopädie. 12 Vgl. Otto Pöggeler: Heidegger in seiner Zeit, 9. 13 Vgl. Ed Parish Sanders: Paulus. Eine Einführung, 125 ff.; Eugen Biser: Paulus. Zeugnis – Begegnung – Wirkung. – Zum folgenden vgl. Martin Honekker; Karl Kertelge: Zur ökumenischen Debatte um die »Rechtfertigung«, 34. 1

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Vgl. Martin Heidegger; Karl Jaspers: Briefwechsel 1920 – 1963, 140. Vgl. Martin Heidegger: Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit (GA 29/30), 103 ff. 16 Vgl. Martin Heidegger; Elisabeth Blochmann: Briefwechsel, 39; zum folgenden vgl. dort 32, 43 und 53. 17 Vgl. Heidegger; Blochmann: Briefwechsel, 52; zum folgenden vgl. dort 57 und 58. 18 Vgl. Heidegger; Jaspers: Briefwechsel, 259 ff., vor allem 261; zum folgenden vgl. dort 157 ff. 19 Vgl. Günther Neske (Hg.): Erinnerung an Martin Heidegger, 53 f. 20 Vgl. Martin Heidegger: Hölderlins Hymnen »Germanien« und »Der Rhein« (GA 39), 210; zum folgenden 294. 21 Vgl. Martin Heidegger: Beiträge zur Philosophie (GA 65), 204; zum folgenden 411 und 439. 22 Vgl. dazu Otto Pöggeler: Der Denkweg Martin Heideggers, 384. – Zum folgenden vgl. Martin Heidegger: Besinnung (GA 66), 427 f. 23 Vgl. Martin Heidegger: Hölderlins Hymne »Der Ister« (GA 53), 38; zum folgenden vgl. dort 81 und 119. 24 Vgl. Otto Pöggeler (Hg.): Heidegger. Perspektiven zur Deutung seines Werkes; 29. 25 Vgl. Alfred Jäger: Gott. Nochmals Martin Heidegger, 98; zum folgenden 120. 26 Vgl. Otto Pöggeler: Schicksal und Geschichte. Antigone im Spiegel der Deutungen und Gestaltungen seit Hegel und Hölderlin, 160 und 169 f. Sicherlich gibt es beim späten Hölderlin eine Wendung zum Christlichen, die bei Heidegger keinen Widerhall gefunden hat. 27 Vgl. Rudolf Bultmann: Glauben und Verstehen. Zweiter Band, 206. – Zum folgenden vgl. Martin Heidegger: Ontologie. Hermeneutik der Faktizität. (GA 63), 5. 28 Vgl. Heinrich Schlier: Grundzüge einer paulinischen Theologie, 44. – Vgl. zum Schlier-Buch von Bendemanns Hans Hübner: Der katholische und der evangelische Schlier; vgl. auch ders.: Evangelische Fundamentaltheologie. 14

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– Albert Raffelt –

Heidegger und Pascal – eine verwischte Spur

Der Titel dieser Skizze ist durch Otto Pöggeler angeregt, der einmal fragt, ob Heidegger ›durch gelehrte Hinweise wie ein Fuchs mit dem Schwanz die Spuren des eigenen Weges‹ verwische.1 Eine solche verwischte Spur könnte auch die Beziehung Pascal – Heidegger sein.2 Sie zieht sich durch wesentliche Teile des Werks, ist aber nur selten eindeutig. Dazu gibt es andere Hinweise auf eine persönliche Nähe.3 Eine verwischte Spur kann man in vielen Fällen nicht mehr rekonstruieren. Aber man kann versuchen, plausible Zusammenhänge herzustellen. Zunächst ist dazu eine Bestandsaufnahme nötig, die zeigen soll, wo Heidegger explizit auf Pascal Bezug nimmt.

1. Explizite Bezüge im Werk Heideggers Es sind nur relativ wenige Stellen im publizierten Werk Heideggers, die den Namen Pascals nennen. Durch Veröffentlichung der Vorlesungen Heideggers kommen einige weitere hinzu, die aber rein quantitativ auch nicht allzu umfangreich sind.4 Allerdings ergeben sie durchaus eine ›Spur‹. Es liegt nahe, zunächst auf Sein und Zeit zu schauen. Schon auf Seite 4 wird von Pascal der Satz zitiert: »Man kann es nicht unternehmen, das Sein zu definieren, ohne in die folgende Absurdität zu verfallen: Man vermag nämlich ein Wort nicht zu definieren, ohne gerade damit – ›das ist‹ – zu beginnen, indem man es entweder ausspricht oder stillschweigend einschließt. Also müßte man, um das Sein zu definieren, sagen, ›das ist‹ und somit das definierte Wort in einer Definition gebrauchen«.5 Die Zitation hat nur ›illustrierenden‹ Charakter: »per genus proximum et differentiam specificam« ist das Sein wirklich nicht definierbar, aber das »dispensiert nicht von der Frage nach seinem Sinn, sondern fordert dazu gerade auf« (SuZ 4). | 189

In § 29 (Das Da-sein als Befindlichkeit) handelt Heidegger von ›Stimmung‹ und ›Gestimmtsein‹ als »ursprüngliche[r] Seinsart des Daseins […], in der es ihm selbst vor allem Erkennen und Wollen und über deren Erschließungstragweite hinaus erschlossen ist« (SuZ 136). Nach einer kurzen philosophiegeschichtlichen Rückschau auf die Affektenlehre schreibt er: »Es ist ein Verdienst der phänomenologischen Forschung, wieder eine freiere Sicht auf diese Phänomene geschaffen zu haben. Nicht nur das; Scheler hat vor allem unter Aufnahme von Anstößen Augustins und Pascals die Problematik auf die Fundierungszusammenhänge zwischen den ›vorstellenden‹ und ›interessenehmenden‹ Akten gelenkt« (SuZ 139). Dabei wird in einer Anmerkung zu Pascal wiederum aus den »Betrachtungen über die Geometrie im allgemeinen«6 der Satz zitiert: »Und daher kommt es, daß man sagt, wenn man von den menschlichen Dingen spricht, man müsse sie erkennen, bevor man sie liebe, was zu einer sprichwörtlichen Redensart geworden ist, während die Heiligen hingegen sagen, wenn sie von den göttlichen Dingen sprechen, daß man sie lieben müsse, um sie zu erkennen, und daß man nur durch die Liebe [charité] zur Wahrheit gelange, und daraus haben sie eine ihrer nützlichsten Lehren gemacht«.7 Wesentliche Pascal-Hinweise finden sich m.W. in den nächsten zehn Jahren, publikationsgeschichtlich sogar knapp zwanzig Jahren nicht mehr im Werk Heideggers. Erst der Aufsatz Nietzsches Wort ›Gott ist tot‹ – material den Nietzsche-Vorlesungen zugehörig, aber erst 1950 in Holzwege publiziert – enthält den kurzen Hinweis: »Das aus Plutarch genommene Wort Pascals: ›Le grand Pan est mort‹ (Pensées, 695) gehört, obzwar aus entgegengesetzten Gründen, in den selben Bereich«.8 Gemeint ist ein Kontext, der von der Aussage Hegels über »das Gefühl, worauf die Religion der neuen Zeit beruht – das Gefühl: Gott selbst ist tot«9 bis zu Nietzsches ›tollem Menschen‹ reicht. Pascal wird damit in Heideggers seinsgeschichtliche Ortung der Gottesfrage eingeordnet. Mehr als die Präsenz Pascalscher Texte bei Heidegger, wird man dem Zitat wohl nicht entnehmen können; es ist allerdings die Präsenz eines immerhin doch relativ entlegenen und in den späten Sektionen der Brunschivcg-Ausgabe häufig gar nicht mehr wahrgenommenen Fragments. 190 | albert raffelt

Wesentlicher scheint mir der knappe Hinweis in dem Vortrag Wozu Dichter? von 1946, ebenfalls in den Holzwegen erstveröffentlicht (GA 5,282): »Fast gleichzeitig mit Descartes entdeckt Pascal gegenüber der Logik der rechnenden Vernunft die Logik des Herzens. Das Innen und das Unsichtbare des Herzraumes ist nicht nur innerlicher als das Innen des rechnenden Vorstellens und darum unsichtbarer, sondern es reicht zugleich weiter als der Bereich der nur herstellbaren Gegenstände« – mit Weiterführung und Zitat des Schlusses von Rilkes Neunter Duineser Elegie: »Überzähliges Dasein / entspringt mir im Herzen« (KA 2,229). Bemerkenswert ist hier die Gegenstellung zu Descartes, womit wohl ein zentraler Punkt der Heideggerschen Beschäftigung mit Pascal angesprochen ist, aber eben nicht entfaltet. Die Publikation der Heideggerschen Vorlesungen in der Gesamtausgabe gibt einige weitere Hinweise, die zeigen, daß Pascal doch hintergründig präsent ist. Eine – m. E. die – Schlüsselstelle für Heideggers Pascal-Verständnis findet sich in der Marburger Vorlesung vom Sommer-Semester 1925 Geschichte des Zeitbegriffs,10 einer Vorfassung von Sein und Zeit. Die Vorlesung skizziert die philosophiegeschichtliche Situation, die zum Durchbruch der Phänomenologie führte und entwickelt daraus den eigenen Ansatz. Entscheidend für das Verständnis der im folgenden herangezogenen Beurteilung Pascals ist das dritte Kapitel des Hauptteils,11 in dem die Grundverfassung des Daseins als Inder-Welt-sein ausgearbeitet wird. Der Ausgangspunkt des Gedankengangs ist eine Kritik am Entwurf des Descartes, dessen cogito sum »sofern es expliziert wird, sich gerade auf die Bestimmung des cogito und des cogitare richtet und das sum herausfallen läßt, während wir […] darauf aus sind, das sum und seine Bestimmung zu gewinnen« (PGZ; GA 20,210). Die Kritik an Descartes gipfelt in dem Satz, »daß dieser Ansatz Descartes’ ein Widersinn ist« (PGZ; GA 20,210). Zunächst wird das In-Sein gegenüber dem rein räumlichen Seinin des Vorhandenen beschrieben. Mit einer etymologischen Argumentation wird der Sinn des ›in‹ als ›vertraut sein mit‹ bestimmt. Als Weisen des In-Seins werden genannt »hantieren an etwas mit etwas, herstellen von etwas, bestellen und pflegen von etwas, in Gebrauch nehmen von etwas, verwenden von etwas für etwas, in Heidegger und Pascal | 191

Verwahrung halten von etwas, aufgeben, in Verlust geraten lassen von etwas, befragen, besprechen, durchsetzen, erkunden, betrachten, bestimmen von etwas« (PGZ; GA 20,213 f.). Zusammengefaßt werden diese Weisen des In-Seins als ›Besorgen‹ bezeichnet. Dieses In-Sein ist »die Seinsverfassung des Daseins, in der jede Seinsweise dieses Seienden gründet« (PGZ; GA 20,214). Von hier aus wird das Erkennen als abgeleiteter Modus des ›In-Seins‹ des Daseins ausgelegt, d. h. nicht als Grundart des In-der-Welt-seins. Die Kritik an den ›Scheinproblemen‹ der Erkenntnistheorie und die positive Darlegung der Stufenfolge des Erkennens vom »Sichrichten-auf bis zum Behalten« (PGZ; GA 20,220) führt zur Betonung des Sehenlassens, Begegnenlassens auf dem Grund des In-Seins als grundlegend für das Erkennen, das keine primäre, sondern eine fundierte Seinsart ist. Darauf folgt der Passus (PGZ; GA 20,222): »Das, was wir hier als In-Sein des Daseins herausstellten und noch näher charakterisierten, ist das ontologische Fundament dafür, was Augustinus und vor allem [!] dann Pascal kannten. Sie nannten das, was eigentlich erkennt, nicht das Erkennen, sondern Liebe und Haß. Alles Erkennen ist nur Aneignung und Vollzugsart des schon durch andere primäre Verhaltungen Entdeckten. Erkennen hat gerade eher nur die Möglichkeit der Verdeckung des ursprünglich im nicht erkennenden Verhalten Entdeckten.« Der Name Pascals steht in diesem Zusammenhang für einen Gegenentwurf zu dem des Descartes. Die Stelle verdeutlicht zugleich die verschiedenen Anspielungen auf diesen Zusammenhang bei Heidegger, die oft noch auf Scheler verweisen, dessen Aufsatz Liebe und Erkenntnis von Heidegger herangezogen worden ist.12 Allerdings bietet Scheler nur einen allgemeinen Hinweis auf die Pensées und das ›tiefsinnige‹ Gespräch über die Leidenschaften der Liebe,13 aus dem er eingangs seines Aufsatzes den »schier unglaublich klingenden Satz« zitiert »Liebe und Vernunft sind ein und dasselbe« zitiert.14 Daß dieses Zitat aus einer leider – wenn auch mit Pascal-Anspielungen gespickten – unauthentischen Abhandlung stammt,15 ist sachlich nicht bedeutend, da der Augustinische Grundgedanke sonst bei Pascal genuiner nachweisbar ist. Im wesentlichen legte Scheler in diesem Zusammenhang Augustin selbst aus. Man wird also diese Hervorhebung Pascals gegenüber Augustin in der genannten Vor192 | albert raffelt

lesung nicht aus der Lektüre Schelers begründen können, sondern als eine Heideggersche Akzentsetzung verstehen dürfen. In Sein und Zeit ist auf den Zusammenhang – wie oben zitiert – zwar hingewiesen, in der zitierten Vorlesung wird aber der Rang dieser Entdeckung höher qualifiziert und gleichzeitig in den Cartesischen Kontext gestellt. Weitergeführt auf die Husserlsche Phänomenologie wird dies in der Marburger Vorlesung vom SommerSemester 1928 Metaphysische Anfangsgründe der Logik im Ausgang von Leibniz (GA 26). Dort findet sich eine analoge Stelle nach einer Kritik der Husserlschen Charakterisierung der »Grundstruktur alles intentionalen Verhaltens als νόησις« (GA 26,169): »Erst Scheler hat deutlich gemacht, besonders in dem Aufsatz ›Liebe und Erkenntnis‹, daß die intentionalen Verhaltungen ganz verschieden sind, und daß z. B. Liebe und Haß sogar das Erkennen fundieren; Scheler nimmt hier Motive von Pascal und Augustinus auf.« Die Arbeit von John van Buren The young Heidegger. Rumor of the hidden king untersucht die frühen Vorlesungen exakt. Sie bietet den Vorteil, einzelne der Fundstellen sachlich Themen zuzuordnen. So erscheinen in seinem Vokabular bei ›Care‹, ›Understanding and Mood‹, ›Anxiety‹, ›Death‹, ›Falling, Authenticity, Inauthenticy‹16 Hinweise auf die Pascalsche Anthropologie – Hinweise auf die Themen Liebe und Haß, Unruhe, Zerstreuung. Allerdings ist dabei wieder ersichtlich, daß die ›Pascalschen‹ Themen wesentlich Augustinische sind und daß auch Luther (›care‹) und Kierkegaard (›anxiety‹) jeweils gegebenenfalls prominenter zu nennen wären – und entsprechend bei van Buren erwähnt werden. Von diesen expliziten Bezügen aus läßt sich sagen, daß die Analytik des Daseins in Sein und Zeit Parallelen zu Pascalschen Texten aus den Pensées enthält. Sie sind allerdings nur selten als einziger Anstoß für die jeweiligen Gedankengänge zu vermuten. Andere Analysen Heideggers (die Vorlesungen zu Texten des Neuen Testaments, zu Augustinus usw.) führen ebenfalls hierhin. Will man dem Pascal-Bezug größeren Rang geben, so kann man das nur, indem man Heideggers Absicht als eine Art Nachvollzug oder Neuauflage von Pascals Anthropologie ansieht. Solche Versuche gibt es inzwischen. Darauf wird unten eingegangen. Sie setzen allerdings einen Deutungsrahmen, der das philologisch Erweisbare überschreitet Heidegger und Pascal | 193

und seine Überzeugungskraft aus der Leistungsfähigkeit für eine Gesamtinterpretation Heideggers ziehen müßte. Zum Abschluß dieses Abschnitts sei noch auf den Hinweis in Heideggers Nachruf auf Max Scheler verwiesen (GA 26,63): »Neue Bedeutung gewannen Augustinus und Pascal – neu als Antwort auf und gegen Nietzsche.« Man ist versucht, daran auch ein Stück Selbstaussage Heidegger zu sehen, allerdings auf einem Weg, der nicht geradlinig ist.

2. Frühe Wahrnehmung Die Parallelen Heideggerschen Denkens zu Pascal sind schon früh aufgefallen. Der Pädagoge Josef Sellmair war 1933/34 wohl der erste, der darauf in seinem Aufsatz Das Menschenbild nach Pascal und Heidegger hingewiesen hat. Er erweitert auch gleich den Kontext auf Augustinus, dessen Bedeutung für Pascal ihm als Kenner des Jansenismus17 selbstverständlich bewußt ist. Die Augustinische Frage nach dem Menschen (›tu quis es? Et respondi: Homo. Conf. X,6‹) steht am Anfang, Unruhe und das transzendierende Streben (»Der Mensch weist über sich hinaus ins Unendliche«) werden skizziert.18 Das Menschenbild des Jansenismus mit der zentralen Rolle der drei Konkupiszenzen wird aber – katholisch-harmonisierend – als ›reformatorisch‹ gekennzeichnet – natürlich wäre ›Augustinisch‹ korrekter. Und Pascals Größe besteht in der Überwindung dieser ›Teilwahrheit‹. Dies geschieht einmal, indem er Positionen hinzuzieht, die mit den Namen Montaigne und Epiktet bezeichnet sind und die Lösungen dieser beiden ›Sekten‹ (Lafuma 131, Brunschvicg 434 u.ö.) in ihrer wechselseitigen Kritik als unzureichend herausstellt, die ›Lösung‹ in der religiös-christlichen Sicht des Menschen findet – dogmatisch mit dem Thema der Erbsünde, ›philosophisch‹ im Aufweis der Unruhe, die der menschlichen Existenz eingeschrieben ist, zur unabschließbaren Transzendenzbewegung (»L’homme passe infiniment l’homme«, Lafuma 131; Brunschvicg 434) führt und ihre Aufhebung erst in der Ordnung der Liebe und im Geheimnis der Gnade findet. »Vgl. dagegen Heidegger!«, fügt Sellmair ein (12). Er nimmt Heideggers Analysen als materiale Anthropologie und fragt nicht nach ihrer methodischen Stellung im denkerischen 194 | albert raffelt

Entwurf Heideggers. Die Pascalsche Anthropologie wird dabei selbst noch einmal verschärfend ›jansenistisch‹ vereinseitigt – Schwächung der Vernunft gegenüber Descartes, ›pessimistische Deutung des Lebens vom Tode aus‹, Radikalisierung der ›Einsamkeit des Hineingeworfenseins des Ich in die Unendlichkeit‹ (14)19: »man hört die eintönige Totenglocke von Port-Royal« (ebd.). Von hier aus wird eine Linie zu Kierkegaard, Nietzsche, Bergson usw. gezogen und Heidegger in diese Linie eingezeichnet mit der Quintessenz: »Heidegger will den Menschen erlösen; seine Lehre vom Menschen will Heilslehre sein: Schuldig wird der Mensch nicht durch den Abfall von Gott, sondern durch Abfall von sich, durch das Sichverlieren an das Man« (18) – und weiter: »Die Philosophie Heideggers ist der Ausdruck einer sich ihrer Tragik bewußt werdenden Untergangszeit, darum ihrem Wesen nach unfruchtbar, passiv, trotz des Heroischen« (19). Die Heidegger-Interpretation Sellmairs fügt sich damit in eine Reihe früher katholischer Heidegger-Deutungen ein.20 Sie ist hier im einzelnen nicht mehr weiterzuverfolgen, sondern mag selbst als zeittypisch hier stehenbleiben. Für unseren Zusammenhang ist nur relevant, wie hier schon früh die Parallelität von Themen in einem jeweils anderen Bezugsrahmen wahrgenommen wurde, der freilich – nach beiden Seiten – zu befragen bleibt.

3. Parallelen im Werk Die wenigen Studien zum Verhältnis Pascal-Heidegger stützten sich (mit Ausnahme Biraults, der aber dann auch die systematische Frage des Verhältnisses von Philosophie und Theologie behandelt) weniger auf die Nennungen Pascals bei Heidegger als auf Sach- oder Strukturparallelen im jeweiligen Werk.21 Die Ähnlichkeiten in Heideggers existenzialer Analyse des Daseins mit den Pascalschen Bemerkungen zur Anthropologie, zur Zerstreuung, Neugier, Langeweile, Tod, Einsamkeit22 ist leicht zu sehen und wurden schon öfter genant.23 Weitere Parallelen lassen sich feststellen oder konstruieren: Aber soll man Pascals Rede vom Deus absconditus mit Heideggers Seinsvergessenheit parallelisieren oder die Entgegensetzung des Gottes Heidegger und Pascal | 195

der Erzväter mit dem der Philosophen und Gelehrten im Mémorial mit Heideggers Rede vom Gott der Philosophen, vor dem man nicht musizieren oder tanzen kann?24 Das »jetée dans le corps« (Lafuma 418, Brunschvicg 233) mit der Geworfenheit und ähnliches mehr? Es lassen sich viele durchaus plausible Assoziationen nennen. Sie sind aber immer zu differenzieren und können historisch meist genauso gut aus anderen Quellen geschöpft oder originäre Formulierungen sein. Eine anscheinende Strukturparallele – was wiederum nicht Abhängigkeit heißt – gibt es m. E. an einigen Punkten hinsichtlich des Verhältnisses von Theologie und Philosophie. Pascal hat die Theologie in seiner Wissenschaftssystematik als historische Wissenschaft klassifiziert. Er rechnet sie zu »jenen Wissensgebieten, in denen man allein zu ermitteln sucht, was die Autoren geschrieben haben«, »die entweder die einfache Tatsache oder die göttlichen oder auch menschlichen Satzungen als Grundlage haben«, über die allein die »Autorität […] Aufschluß geben« kann.25 Heidegger hat sich in seinem Vortrag Phänomenologie und Theologie (1927 in Tübingen; 1928 in Marburg)26 zu dem Verhältnis beider Wissenschaften – Philosophie und Theologie – geäußert, die Theologie dort als ›positive Wissenschaft‹ bezeichnet und gesagt, sie stehe der ›Chemie und der Mathematik‹ näher als der Philosophie. Dies gilt für die genannten als ›ontische Wissenschaften‹ gegenüber der ›ontologischen Wissenschaft‹ der Philosophie. Die Unterscheidung ist damit gegenüber Pascals Unterscheidung zwischen Autoritäts- und Vernunftwissenschaften verschoben. Es bleibt aber die Differenz der Glaubens- / Vernunftwissenschaft, nun bezogen auf Theologie und Philosophie. Ihre Spezifik gewinnt sie aber erst aus der Bestimmung der Positivität der Theologie. Diese liegt nicht in dem geschichtlichen Selbstbewußtsein des Christentums sondern in Faktum der ›Christlichkeit‹. Dieses ist durch den Glauben bestimmt, ist Vollzug, Teilnahme an einem Geschehen, des Geschehens der Offenbarung im ›gekreuzigten Gott‹.27 Auf diesem Weg gelangt Heidegger dann doch wieder in größere Nähe zu Pascals Fragment einer Vorrede wenn er schließlich die spezifische Wissenschaftlichkeit der Theologie als eine in »ihrem innersten Kerne […] historische Wissenschaft« bestimmt.28 Allerdings nimmt Heidegger im nächsten den Gedanken der Aneignung des christlichen 196 | albert raffelt

Geschehens wieder auf. Mit ›Christlichkeit‹ ist die Existenzweise der Gläubigen Gegenstand und somit die Theologie gleichzeitig eine praktische Wissenschaft. Beim Rückblick auf Pascal kann man diese Wendung nicht mehr mit seiner (in der Fragestellung eingeschränkten) Wissenschaftstheorie aus der Vorrede belegen, sondern müßte wohl den Kern seines Kampfes gegen die jesuitische Moraltheologie heranziehen, der m. E. darin besteht, daß in dieser Theologie – nach der polemischen Deutung Pascals – die Gottesliebe als Kern des Vollzugs des christlichen Glaubensvollzugs eskamotiert wird.29 In dieser Beziehung auf den faktischen Vollzug der ›Christlichkeit‹ läßt sich sicher eine Nähe feststellen. Damit durchaus in einem sehr wesentlichen Punkt von Heideggers früher Hermeneutik des Christlichen. Sie ist aber wiederum zu differenzieren durch Pascals Sicht der konkreten Theologie in ihrer Differenziertheit (»La théologie est une science, mais en même temps combien est-ce de sciences?«, Lafuma 65, Brunschvicg 115) und anderseits durch die Art, wie die ›historische Theologie‹ in die Struktur der Apologie Pascals eingebaut wird, die eine sehr rationalistische und heute befremdliche Konstruktion des Geschichtszeugnisses impliziert und fernab von Heideggers Denken führt. So zeigt sich auch an diesem Punkt, daß es leicht ist, Parallelen zu finden und Ähnlichkeiten zu sehen, daß diese aber in eine eigene Denkstruktur überführt werden und mit dem pascalschen Kontext nicht mehr kompatibel bleiben.

4. Ein Nachvollzug der Intentionen Pascals? Die säkularisierende (oder: philosophische?) Tendenz der Aneignung der augustinisch-pascalinischen Tradition bei Heidegger steht außer Zweifel, auch wenn hinsichtlich Pascals die ganz klaren und direkten ›Übernahmen‹ zweifelhaft bleiben. Aber es gibt Versuche, auch Pascal selbst schon in eine Richtung zu lesen, die Heideggers ›säkulare‹ Analyse des Daseins vorwegnimmt. Sie sind bezeichnenderweise nicht von der Heidegger-Exegese unbeeinflußt und sollen daher hier noch genannt werden, um zu zeigen, daß die Wege der Geistesgeschichte verschlungen sind. Heidegger und Pascal | 197

Vincent Carraud hat in seinem Aufsatz Bemerkungen über die zweite Anthropologie: Das Denken als Entfremdung30 eine doppelte Anthropologie bei Pascal herauszustellen versucht. Die erste Stufe der anthropologischen Analysen gehören in das religiöse Schema ›Elend des Menschen ohne Gott, Glück des Menschen mit Gott‹. Sie ist gewissermaßen der Abschluß einer »tausendjährigen apologetischen Tradition«,31 während die zweite Stufe eine von der religiösen Hintergrundfolie abgelöste ›säkulare‹ Analyse darstellt, als »Beobachtung, Beschreibung und Analyse von menschlichem Verhalten oder Verhaltensweisen […], von Menschen in ihrer konkreten Existenz oder vom Menschen insoweit er die Erfahrung seiner Endlichkeit macht«.32 In seinen umfangreichen Analysen der Kontraposition Descartes/Pascal kommt Carraud zu dem Ergebnis, daß diese hochoriginelle phänomenologische Anthropologie Pascals in das erstere Schema gar nicht mehr hätte integriert werden können.33 Diese ›zweite Anthropologie‹ geht aus von einem »Quartett der Fundamentalkonzepte, in denen Pascal beginnt – das erste Mal in der Philosophie –, die menschliche Existenz in ihrer Endlichkeit zu denken: Ruhm, Einbildung, Gerechtigkeit, Macht und Zerstreuung. Gestatten Sie mir, zumindest vorläufig, einen heideggerschen Begriff zu verwenden, um das neuartige philosophische – anthropologische – Projekt zu benennen, das sich in diesen Texten vollzieht: Pascal arbeitet nichts weniger als eine ›existenziale Analytik‹ aus«.34 Die Pointe dieser zweiten Anthropologie in Carrauds Deutung ist ihre Enttheologisierung: sie wird »von keinem theologischen Prinzip geleitet«35 und ist »nicht mehr in den ausdrücklichen Dienst einer Apologetik gestellt, sondern sie bildet selbst das Ziel der Pascalschen Analyse«.36 Eine Bestätigung findet Carraud in Jean-Luc Marions Analyse der ›Langeweile‹,37 die sich auf Heideggers Freiburger Vorlesung vom WS 1929/1930 bezieht (GA 29/30) und natürlich Parallelen in dem Fragmentenkapitel ›Langeweile‹ der Pensées (Lafuma 77 – 79; Brunschvicg 152, 126, 128) hat. Carraud kommentiert: »Es ist deutlich, daß Heideggers Analysen das zu ›lesen‹ gestatten, was bereits bei Pascal vorhanden war, was wir aber nicht zu sehen imstande waren«.38 Pascal hätte in dieser Interpretation gewissermaßen Heideggers Daseinsanalyse partiell vorweggenommen. Daß diese Interpreta198 | albert raffelt

tion ein Rückschlag der Heidegger-Exegese auf die Pascal-Interpretation ist, läßt sich m. E. schon anhand der Kronzeugen vermuten (Jean-Luc Marion, Emmanuel Martineau). Für unseren Zusammenhang läßt sich als Gedankenspiel diese Interpretation m. E. auch lesen als eine mögliche Parallele, eine Art Nachvollzug zu Heideggers eigener vorauszusetzender Pascal-Lektüre. Möglicherweise ist aber die ›Enttheologisierung‹ hier stärker als bei Heidegger, dessen existenziale Analyse den Zeitgenossen immerhin viel reformatorisches Gut zu enthalten schien (wenn schon nicht Pascalsches und wenn vielleicht auch die noch wichtigere Quelle Augustin nicht so durchschien). Wir hätten dann den Fall, daß Heidegger eine Intention Pascals klarer durchgeführt hätte, als dieser es vermochte. Das ist durchaus ein nachzuvollziehender Gedanke. Aber es handelt sich bei Carraud um keine philologische, sondern eine systematische Behauptung zum Verhältnis Heidegger – Pascal. Denn Pascals eigene Arbeit mit seinen fragmentarischen Versuchen (der Zustand des Nachlasses) läßt immerhin doch erkennen, daß diese ›enttheologisierten‹ phänomenologischen Analysen für ihn im Zusammenhang eines großen theologischen Bemühens stehen, das vielleicht eine neuartige ›Apologie‹ gegenüber den ersten Ansätzen hervorgebracht hätte, dessen völlige Ablösung aus diesem Arbeitsprozeß aber nicht ausreichend werkgeschichtlich untermauert ist.

5. … oder eine parallele ›Strategie‹? Auf der Folie des vorigen Abschnitts ist der Aufsatz Heideggers philosophisch-religiöse (pascalsche) Strategie. Über das Problem der Umdeutung der Existenzialien von Herman Philipse von Interesse.39 Der Autor polemisiert gegen die gängigen Trends der HeideggerDeutung und fordert eine »gewissenhafte historische Interpretation« (571). Er nimmt dazu das Problem der Umdeutung der Existenzialien bei Heidegger zum Ausgangspunkt, um ein Verständnis von Heideggers Denkweg mit seiner ›Kehre‹ zu ermöglichen. Philipses Vorschlag ist, das frühe und späte Denken Heideggers als »die zwei Schritte einer ›pascalschen Strategie‹« (577) anzusehen. Mit diesem Begriff sucht er die zwei Teile des Entwurfs einer ApoHeidegger und Pascal | 199

logie durch Pascal zu benennen, die in den Pensées so beschrieben sind: »(1.) Teil. Elend des Menschen ohne Gott. (2.) Teil. Glückseligkeit des Menschen mit Gott. In anderer Form (1.) Teil. Daß die Natur verderbt ist, an Hand der Natur selbst. (2.) Teil. Daß es einen Versöhner gibt, an Hand der Heiligen Schrift«.40 Den ersten Teil deutet Philipse als eine »säkulare Analyse der menschlichen Existenz ohne Gott« (578), den zweiten als den Aufweis, »daß das Christentum die rätselhafte Natur des Menschen erklärt und ihn glücklich macht, indem es ihm die Aussicht auf ewige Glückseligkeit bietet« (ebd.). Die Methode ist, »Gründe des Herzens« anzuführen, »die die Vernunft nicht fassen kann«. Apologetik ist ›Strategie‹. Die vergröberte Pascal-Deutung, die die Komplexität der Schritte der Pascalschen Apologie des Christentums und den ›Rationalismus‹ seiner mehrschichtigen Argumentation nicht erkennen läßt, braucht hier nicht beachtet zu werden, da es für uns letztlich nur auf die These ankommt, daß Heideggers Absicht gewesen sei, »eine systematischere Version von Pascals säkularer Analyse der menschlichen Existenz aus[zu]arbeiten41 […], die ihn und seine Leser auf die göttliche Gnade vorbereiten sollte« (579). Für die Beziehung Heidegger-Pascal sind zwei Dinge von Interesse: die Parallelität der heideggerschen Analyse in Sein und Zeit und der Betrachtung der menschlichen Lage bei Pascal und die Frage nach dem zweiten Schritt und seiner ›pascalinen‹ Struktur. Nun ist in die Analyse des alltäglichen Daseins in Sein und Zeit, aber auch in anderen Vorlesungen – wie jetzt schon mit verschiedensten Interpreten belegt – durchaus mit manchen Gedanken in den Fragmenten aus dem ersten Teil der Pensées in der Anordnung des Pascalschen Nachlasses42 zu parallelisieren, wie bereits gesagt. Dies gilt, auch wenn der exakte philologische Nachweis von ›Entlehnungen‹ kaum möglich ist. Problematisch scheint aber die Isolierung von Sein und Zeit (wenn mit dem Werktitel die gemeinte Analyse der menschlichen Existenz kurz bezeichnet werden darf) als eines ›ersten Schritts‹ gegenüber dem späten ›zweiten‹. Sein und Zeit ist Teil eines Denkwegs, nicht eines Plans eines Lebenswerks, höchstens eines eigenen Werkplans, der aber nicht durchgehalten 200 | albert raffelt

wurde. Es wäre zu fragen, inwieweit dieser Plan nicht in der letzten Grundstruktur einem klassischen Schema (Welt – Mensch – Gott) folgt und weshalb es nicht durchgeführt wurde. Das Problem der Gottesfrage im Denken Heideggers43 ist wohl einer der Schlüssel zur Interpretation. Die Wahrnehmung der Zeitgenossen hinsichtlich der Position Heideggers scheint mir an diesem Punkt bemerkenswert. So schreibt Karl Rahner in seinem Aufsatz Einführung in den Begriff der Existentialphilosophie bei Heidegger,44 daß der ›Abschluß‹ (345) des Heideggerschen Vorhabens in zwei Richtungen gehen könnte, die eines atheistischen oder eines zutiefst religiösen Sinnes: »Den Menschen von der einen Idee zu lösen und ihn in seine eigene Existenz und Geschichte zu werfen, wie es Heidegger tut, hieße dann, ihn im Grunde vorzubereiten und im voraus aufmerksam zu machen auf die – historische und existentielle – Tatsache einer göttlichen Offenbarung, ihn für den ›Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs‹ zu öffnen« (345). Das Zitat von Ex 3,6 45 läßt unmittelbar an Pascals Mémorial denken.46 Bemerkenswert ist, daß ein Heidegger-Schüler der 30er Jahre beide Möglichkeiten sieht, dahinter aber jedenfalls den religiösen – negativ oder positiv – Impuls hinter Heideggers Fragestellung. Nun ist unbestreitbar und hat Heidegger oft genug gesagt, daß er lebenslang ein theologisches Interesse bewahrt hat. Es ist eher verwunderlich, daß Philipse ein solches Interesse bei einem Philosophen bemerkenswert findet. Es sind ja kaum bedeutende Philosophen vor Heidegger auszumachen, bei denen dies anders gewesen wäre (sieht man von gewissen Tendenzen des antiken Materialismus oder französischer Aufklärungsphilosophie ab). Es wäre eher nach dem spezifischen Bezug dieses Interesses zu fragen. Wenn man es mit ›religiöse Sehnsucht‹ (Löwith)47 benennen kann, überschreitet es existentiell das philosophische Interesse an der Theo-logie, das m. E. großen Philosophen der Tradition selten abgeht. Daß man aus diesem Impetus die Kehre Heideggers erklären könne, ist nicht mehr Thema dieser kurzen Bemerkungen. Es findet sich allerdings außer der behaupteten ›Strategie‹ dafür kein Pascalscher Anknüpfungspunkt. Insofern überschreitet dieser Deutungsversuch unsere Thematik.

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6. Weitere verwischte Spuren? Auch wenn man Philipses Interpretation hinsichtlich eines zweiten ›Pascalschen‹ Schrittes nicht teilt, ist die ›religiöse‹ Dimension des Spätwerks Heideggers auffällig. Wenn man es als ein Ergebnis des Nachdenkens über den christlichen Glauben und die ›Christlichkeit‹ des Lebensvollzugs ansieht, könnte es dafür noch weitere verwischte Spuren geben, die in Heideggers Bezug zur christlichen Tradition gehören. Ein philosophisches Denken, das – seinerseits in der Spur Pascals – eine Öffnung der menschlichen Existenz auf den Empfang der Gnade ausdrücklich denkerisch ausarbeitet, ist Maurice Blondels Haupt- und Meisterwerk L’ Action von 1893. Henry Duméry hat berichtet, daß Heidegger im mitgeteilt habe, Blondels Action »en cachette chez les Jésuites« gelesen zu haben.48 In der kurzen Zeit, die dafür zur Verfügung gestanden hätte, müßte Heidegger das Werk verschlungen haben. Die heimliche Lektüre erklärt sich dadurch, daß L’Action – 1909 noch heftig umstritten – von vielen dem kirchenamtlich verurteilten ›Modernismus‹ zugerechnet wurde und Novizen des Jesuitenordens normalerweise kaum zu Verfügung stand. Die in einer Fußnote versteckte Bemerkung hat verständlicherweise kaum Eingang in die Heidegger-Interpretation gefunden. Max Müller hat aber immerhin darauf hingewiesen, daß die Blondel-Lektüre in einer frühen Prägephase des Heideggerschen Denkens stattgefunden hat49 und parallelisiert sie mit der Maréchal-Lektüre Rahners, die für dessen Denken strukturbildend geworden ist. Das mag eine übertriebene Insinuation sein. Man muß sich wohl damit zufriedengeben, daß eine letzte Aufhellbarkeit solcher Einflüsse nicht möglich ist – weder für den Denkenden selbst noch für seine Interpreten. Die kurze Betrachtung pascalscher Zitate und Assoziationen bei Heidegger ist letztlich nicht sehr ergebnisreich hinsichtlich von ›Übernahmen‹ und direkt ausweisbaren Verbindungen. Sie kann aber eine unbestreitbare Kenntnisnahme von einer anscheinend nicht geringen Intensität nachweisen und einzelne mögliche Spuren im ›Denkweg‹ aufdecken. Immerhin steht Pascal für ein Abrücken vom Denkweg der cartesianisch bestimmten Moderne, das Heidegger zu vollenden sucht. Er bietet eine Parallele zu Heideggers Re202 | albert raffelt

konstruktion des Vollzugssinns der ›Christlichkeit‹ und seine Präsenz schimmert durch manche phänomenologisch-anthropologischen Analysen hindurch. Damit ist Pascals Name mit zentralen Themen Martin Heideggers verbunden. Die Tatsache, daß man geistvoll versuchen kann, Heidegger durch Pascal zu lesen wie Pascal durch Heidegger, zeigt, daß die Bezüge enger sind als philologische Aufweise belegen können.

Anmerkungen

Otto Pöggeler: Heidegger in seiner Zeit, 268. 2 In Rockmores Buch über Heidegger und die französische Philosophie kommt Pascal in diesem Zusammenhang gar nicht vor, er ist nur peripher genannt z. B. für die Seltsamkeit, daß er – als einer der »Autoren […], die im englischsprachigen Sinn des Begriffs keine Philosophen sind« – sogar in der agrégation bei der Aufgabenstellung vorkommen kann. Vgl. Tom Rockmore: Heidegger und die französische Philosophie, 33. 3 Karl Löwith schreibt etwa (vgl. Der europäische Nihilismus, 517): »Aus dieser Freiburger Zeit [nämlich anfangs der 20er Jahre, A.R.] erinnere ich mich, auf seinem Schreibtisch Bilder von Pascal und Dostojewski gesehen zu haben.« Daß es nach dem Krieg »geraten [war], sich auf die französische Schiene zu setzen« und Heidegger aus diesem Grund eine Arbeitsgemeinschaft über Pascals Esprit de géometrie et de finesse [sic] anbieten wollte, berichtet Hugo Ott: Martin Heidegger, 304. 4 Vgl. dazu Henri Birault: Philosophie et théologie. Heidegger et Pascal, 390: »En dehors de ces références explicites mais exigües, le nom de Pascal, à notre connaissance, n’est guère mentionné dans l’édition des œuvres de Heidegger que de manière accidentelle et toujours, semble-t-il en liaison avec celui de quelque autre grand auteur : Saint Augustin, Max Scheler ou Bergson.« Der Aufsatz ist leicht verändert nachgedruckt in Henri Birault: De l’être, du divin et des dieux, 88 – 113, vgl. hier 91 mit ausführlicherer Dokumentation. 5 Blaise Pascal: Betrachtungen über die Geometrie im allgemeinen, 75 (Übersetzung von Ulrich Kunzmann). Heidegger zitiert das Original nach Léon Brunschvicgs ›kleiner Ausgabe‹ (vgl. Blaise Pascal: Pensées et Opuscules, 169). 6 Der Quellenbeleg: »Vgl. Pensées, a.a.O.« bezieht sich auf die genannte Ausgabe Pensées et Opuscules und darin eben nicht auf die Pensées. Er nennt auch nicht die korrekte Seitenzahl (185). 7 Blaise Pascal: Kleine Schriften, 93 [in der Übersetzung Kunzmanns interpretierend: »christliche Liebe«]. Die Anmerkung wird durch ein Wort Augustins ergänzt (c. Faust. 32,18): »non intratur in veritatem, nisi per charitatem«. 8 Martin Heidegger: NWGit 198. Ob der sachliche Zusammenhang des 1

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Pascal-Wortes mit dem Nietzsche-Hegel-Kontext a.a.O. korrekt gesehen ist, bliebe noch zu fragen. Pascal gebraucht das Fragment im ›historischen‹ Teil seiner Apologie. In den Ausgaben nach der Ordnung des Nachlasses gehört es in die Serie ›Prophéties‹ (Lafuma 343; Sellier 375; Le Guern 324). Heidegger zitiert nach der damals gebräuchlichen Brunschvicg-Ausgabe, die die Fragmente ohne Rücksicht auf den Überlieferungszusammenhang klassifi ziert. – Pascal hat das Zitat wahrscheinlich aus Charron: Les Trois Vérités übernommen, vgl. Pascal: Pensées. Hg. von Philippe Sellier, 309, Fn 21, und mit ausführlicherem Zitat der Quelle Blaise Pascal: Œuvres complètes. Hg. von Michel Le Guern. Band 2, 1437. 9 Glaube und Wissen (1802). In: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 2,432. Hegel fügt übrigens in Klammern hinzu: »(dasjenige, was gleichsam nur empirisch ausgesprochen war mit Pascals Ausdrücken: »la nature est telle qu’elle marque partout un Dieu perdu et dans l’homme et hors de l’homme«)« (Lafuma 471, Brunschvicg 441). 10 Ediert von Petra Jaeger unter dem Titel Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs (GA 20). 11 Genauer: des 1. Abschnitts des Hauptteils, der aber den wesentlichen Teil der Vorlesung ausmacht. 12 Jetzt in: Max Scheler: Gesammelte Werke 6, 77 – 98. 13 Scheler: Gesammelte Werke 6,97. 14 Scheler: Gesammelte Werke 6,77; vgl. Blaise Pascal: Kleine Schriften, 378. 15 Vgl. dazu Albert Raffelt: Einleitung. In: Pascal: Kleine Schriften, LV f. 16 Vgl. The young Heidegger. Rumor of the hidden king, 170 – 182. 17 Josef Sellmair: Die Pädagogik des Jansenismus. 18 Josef Sellmair: Das Menschenbild nach Pascal und Heidegger, 10. 19 Womit die Pascalsche Dialektik dieser Texte außerhalb des Blicks bleibt, vgl. Lafuma 427, Brunschvicg 194: »Wer würde einen Menschen zum Freund haben wollen, der so redet?« 20 Vgl. Richard Schaeffler: Frömmigkeit des Denkens? Martin Heidegger und die katholische Theologie, bes. Der ›Philosoph der tragischen Existenz‹ und seine katholischen Kritiker, 49 – 54. 21 Zu nennen wäre noch Aimé Forest: Pascal et Heidegger; Mark A. Wrathall: The revealed word and world disclosure. Heidegger and Pascal on the phenomenology of religious faith. 22 Vgl. hier besonders: Die Grundbegriffe der Metaphysik (GA 29/30). 23 Vgl. Jean Brun: La philosophie de Pascal, 67 f.: »Toutes ces analyses de Pascal sur le divertissement et la curiosité se retrouveront dans les pages que Heidegger conscare à ›l’inauthentique‹ et au On (das / Man).« 24 Vgl. OVM (GA 11), 77. 25 Vorrede zur Abhandlung über die Leere. In: Blaise Pascal: Kleine Schriften, 59 – 68, hier 60. Zu den möglichen historischen Quellen Albert Raffelt: Einleitung, a.a.O., XLIII f. 204 | albert raffelt

Veröffentlicht Frankfurt 1970, jetzt in: Wegmarken (GA 9), 45 – 78. »Un Dieu crucifié.« Blaise Pascal: Pensées, Lafuma 964, Brunschvicg 953. Zweifellos könnte man genau so gut Martin Luther heranziehen. 28 PuT (GA 9), 55. 29 Bis zur Karikatur im 4. Provinzialbrief in Blaise Pascal: Briefe in die Provinz, 57. 30 Vgl. auch ausführlicher die eindrucksvolle große Studie von Vincent Carraud: Pascal et la philosophie. Dazu Catherine Malabou: De Pascal à Heidegger. 31 Carraud: Bemerkungen über die zweite Anthropologie, 161. 32 Ebd., 162. 33 Carraud: Pascal et la philosophie, 453 – mit der noch weitgehenderen Anmerkung, daß es nicht ›absolument certain‹ scheine, daß Pascal 1660 – 62 überhaupt die Idee einer Apologie bewahrt hätte, vgl. Bemerkungen über die zweite Anthropologie, 16 f. Carraud sieht sich bestätigt durch parallele Überlegungen von Emmanuel Martineau in dessen Pascal-Rekonstruktion: Blaise Pascal: Discours sur la religion et sur quelques autres sujets, die m. E. allerdings philologisch problematisch ist, vgl. dazu die Rezension von Albert Raffelt. 34 Bemerkungen über die zweite Anthropologie, 169. Es verwundert, daß Carraud hier nicht zumindest auch die höchst traditionellen Konzepte der Konkupiszenz im Hintergrund sieht – von Augustinus bis Jansenius vielfach belegbar. 35 Bemerkungen über die zweite Anthropologie, 170. 36 Ebd., 171. 37 Jean-Luc Marion: Réduction et donation, 280 – 289. 38 Bemerkungen über die zweite Anthropologie, 171. 39 Im Hintergrund steht das opus magnum von Herman Philipse: Heidegger’s philosophy of being. A critical interpretation. 40 Vgl. Blaise Pascal: Gedanken, 38 (Lafuma 6, Brunschvicg 60). 41 – soweit treffen sich Carraud und Philipse. 42 Also der Ausgaben von Louis Lafuma, Philipp Sellier etc. Heidegger aber hat die Ausgabe von Léon Brunschvicg benutzt. 43 Vgl. Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Stationen der Gottesfrage im frühen und späten Denken Heideggers. 44 Französische Originalpublikation: Introduction au concept de philosophie existentiale chez Heidegger. Hier nach Karl Rahner: Geist in Welt. Philosophische Schriften. 45 Vgl. die Wiederaufnahme Mt 22,32 u.ö. 46 Lafuma 913. 47 Zitiert nach Philipse: Heideggers philosophisch-religiöse (pascalsche) Strategie, 576. 48 Henry Duméry: Blondel et la philosophie contemporaine, 92. 49 Vgl. Max Müller: Zu Karl Rahners Geist in Welt, 31. 26 27

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– Paola-Ludovika Coriando –

Sprachen des Heiligen. Heidegger und Hölderlin

1. Heidegger, Hölderlin und die christliche Tradition Im Rahmen des Themas ›Heidegger und die christliche Tradition‹ liegt es nahe, sich auch dem Verhältnis von Heidegger zu Hölderlin zuzuwenden. Dennoch drängt sich die Frage auf, inwiefern Hölderlin, aus dem Horizont Heideggers her gesehen, überhaupt der ›christlichen Tradition‹ zugerechnet werden kann. Denn Hölderlin ist für Heidegger als der ›zukünftigste‹ Dichter jene Gestalt in der europäischen Geistesgeschichte, die aus den Grenzen der Metaphysik und deshalb – und in dieser Folgerung liegt die Anzeige eines weiteren Problems – auch des Christlichen herausragt und in den ›anderen‹, ›nachmetaphysischen‹ ›Anfang‹ deutet. Der Gott des ›anderen Anfangs‹, der ›letzte‹ Gott, ist in der Formulierung der Beiträge zur Philosophie »der ganz Andere gegen die Gewesenen, zumal gegen den christlichen« (Beiträge; GA 65,403). Heideggers Zuwendung zu Hölderlin scheint auf weiten Strecken – wenigstens der ausgesprochenen Intention nach – nicht in die christliche Tradition hinein, sondern aus dieser herauszuführen. Der skizzierte Horizont eröffnet Fragen, die zu verfolgen ohne weiteres interessante Perspektiven und Ausblicke eröffnen könnte. Doch die wesentliche Begegnung zwischen Heidegger und Hölderlin geschieht, scheint mir, auf einer anderen, zwar vielschichtigen, zugleich aber äußerst elementaren Ebene, elementar deshalb, weil es in ihr nicht um bereits existierende und vordefinierte Elemente geht, zu denen ein Denken, ein Dichten – oder überhaupt Sprache, Welterfahrung, Leben – zugerechnet werden können. Im Dialog des Denkers mit dem Dichter wird das Element des menschlichen Lebens und Denkens überhaupt erörtert: das Sprechen und seine herausgehobenen, ›eigensten‹ Möglichkeiten. Eine der äußersten Erfahrungen, die der Mensch mit der Sprache machen kann, besteht darin, daß die Sprache das ›Heilige‹ und das ›Göttliche‹ – die Mög| 207

lichkeit eines Sinnes – nicht nur, wie z. B. die Kunst, evozieren und indizieren, sondern ausdrücklich nennen kann. Das Auszeichnende an der Sprache besteht darin, daß sie den möglichen Sinn wie die Abwesenheit von Sinn, wenigstens ihrem Anspruch nach, unmittelbar teilbar und mitteilbar macht. Dennoch scheint der Mensch den Drang verlernt zu haben, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen und sich nach ihr auszurichten. »Es fehlen heilige Namen«, und nur selten ist dieses Fehlen als Schmerz erfahren und begriffen. Das Spannungsfeld dieser geteilten Erfahrung ist das Element der Begegnung Heideggers mit Hölderlin.

2. Der Fehl heiliger Namen – Denken und Dichten In dem 1974 entstandenen Text Der Fehl heiliger Namen gibt Heidegger eine besonders prägnante Darstellung des Verhältnisses seines eigenen seinsgeschichtlichen Denkens zur Dichtung Hölderlins (GA 13,232): »Was den Dichter in das Sagen nötigt, ist eine Not. Sie verbirgt sich im Ausbleiben des Anwesens des Göttlichen. In der letzten Strophe seiner Elegie ›Heimkunft‹ gelangt dieser Ausbleib in das einfache, alles klärende und gleichwohl geheimnisvolle Wort: ›es fehlen heilige Namen‹. Die große Gewährnis, die einem Verstehen der Not helfen könnte, wäre der Einblick in das Eigentümliche dieses ›Fehls‹ durch die Erfahrung seiner Herkunft, die sich vermutlich in einem Vorenthalt des Heiligen verbirgt und ein treffendes Nennen der ihm gemäßen und es selbst lichtenden Namen verwehrt.« Hölderlin ist ins Dichten genötigt aus der Erfahrung des Ausbleibens der Präsenz des Göttlichen in der Geschichte des Menschen: kein Gott durchdringt die Welt mit dem Glanz seiner Anwesenheit. Zwar besteht ein religiöses Verhältnis des Menschen zu Gott. Doch dieses Verhältnis ist nicht mehr ›geschichtegründend‹. Von der Not dieses Fehlens ist der Dichter dahingehend angesprochen, daß die Erfahrung dieser Leere von ihm eine Sprache erfordert, die dazu imstande sei, die Leere auszuhalten, sie ›faßbar‹ und ›sagbar‹ zu machen. Formal gesehen handelt es sich hier um dieselbe Struktur (um dieselbe Grundstimmung), die Heidegger in den Beiträgen zur Philosophie denkt als das erstmalige Sich-Öffnen und Aufgehen des 208 | paola-ludovika coriando

Abgrundes und dessen Zeit-Spiel-Raumes in seiner ambivalenten Dimensionalität des bloßen Fernbleibens des Grundes (Ab-grund) einerseits und der Feststellung und Zuwendung dieses Fehlens (Abgrund) anderseits. Doch – ich kommentiere hier weiter die zitierte Stelle – während die Not des Dichters aus dem Fernbleiben einer alles um sich versammelnden Gottesgestalt herrührt, seine Sprache somit dieses Fehlen nennt, ist die Erfahrung der Herkunft dieser Not, die Erfahrung des Vorenthalts des Heiligen selbst eine Erfahrung des Denkens. Während der Dichter die Not selbst (das Abwesen des Göttlichen) in eine Sprache bringt, die ›alles klärend‹ zugleich ›geheimnisvoll‹ bleibt, blickt das Denken ein in das Eigentümliche der Not und grenzt sie somit ab in ihrem Wesen. So einblickend in das Wesen der Not und dieses Wesen benennend, hilft das Denken, die Not zu verstehen. Wenigstens formal scheint hier zwischen Denken und Dichten dasselbe Verhältnis vorzuliegen wie in dem klassischen, metaphysisch ausgerichteten Verhältnis zwischen Poesie bzw. Literatur und Philosophie. Laut diesem Verständnis bringt die Poesie mittels der Sinnlichkeit und der Einbildungskraft eine bildliche oder erzählerische Erfahrung zur Sprache, die als Kunst gleichsam ›blind‹ bleibt gegenüber ihrem eigenen Horizont, gegenüber ihren eigenen Voraussetzungen. Nur die Philosophie, nur die Rationalität des Verstandes dringt zum wahren Sein der Dinge und macht sie durchsichtig für ihre eigene Herkunft. Doch im selben Text erläutert Heidegger, was ›verstehen‹ im Horizont einer nicht mehr metaphysisch fundierten Begegnung von Denken und Dichten bedeutet (GA 13,234): »Erst ein Denken, das in sich Wegcharakter hat, könnte die Erfahrung des Fehls vorbereiten. So könnte es dem Dichter, der die Not des Fehls zu sagen hat, ›verstehen helfen‹. Hierbei meint verstehen nicht: verständlich machen, sondern: ausstehen die Not, nämlich jene anfängliche, aus der erst die Not des Fehls heiliger Namen entspringt: die Seinsvergessenheit, d. h. das Sichverbergen (Λη) der Eigentümlichkeit des Seins als Anwesen.« Das Denken hebt nicht das dichterische Wort von der vermeintlich niedrigeren Ebene der Einbildungskraft auf die vermeintlich höhere des Verstandes. Ebensowenig handelt es sich um eine bloße Hermeneutik, um eine ›Textinterpretation‹. Verstehen ist ein ›AusHeidegger und Hölderlin | 209

stehen der Not‹: ähnlich wie die Verstehensstruktur in Sein und Zeit ein Können, ein Sichverstehen auf die Not, ein Zulassen der Not und ein Sichdurchstimmenlassen von ihr. Auch der Dichter ist von der Not durchstimmt. Doch die Not, die das Denken zur Erfahrung bringen und ausstehen muß, ist die ›anfängliche‹ Not. Was der Dichter als ›Fehl heiliger Namen‹ erfährt, als das Ausbleiben des Göttlichen, ist für das Denken ›anfänglich‹, d. h. in seinem Ursprung, erfahren als das Sichverbergen des Seins in seiner geschichtlichen Wesung. Weil der Gott des Seins bedarf, um in der Geschichte des Menschen zu erscheinen, die geschichtliche Gegenwart aber durch Seinsverlassenheit und Seinsvergessenheit geprägt ist, erfährt das Denken die Herkunft des Ausbleibens des Heiligen in der geschichtlichen Wesung des Seins als Seinsverlassenheit. Die Anfänglichkeit des Denkens gegenüber dem Dichten darf aber nicht wie ein Ursprungsgefälle oder gar wie eine unterschwellig sich einschleichende Wertung aufgefaßt werden. Denn die Anfänglichkeit des Denkens ist streng genommen kein Mehr, sondern ein Weniger, oder wie Heidegger später sagen wird: eine Armut. So charakterisiert Heidegger den Unterschied von Denken und Dichten in einem Text (Winke) aus dem Jahr 1941 folgendermaßen (GA 13,33): »Das Sagen des Denkens ist im Unterschied zum Wort der Dichtung bildlos. Und wo ein Bild zu sein scheint, ist es weder das Gedichtete einer Dichtung noch das Anschauliche eines ›Sinnes‹, sondern nur der Notanker der gewagten, aber nicht geglückten Bildlosigkeit.« Als das bildlose Sprechen ist das Denken immer schon auf mögliche Bilder bezogen, auf die es verzichten muß, um das bildlose Wort zu suchen. Was heißt es aber, daß das Denken im Unterschied zur Dichtung bildlos ist? Diese negative Definition ist zu lesen im Zusammenhang mit den Textstellen, in denen Heidegger das Eigene des Denkens positiv als ein begriffliches Sprechen charakterisiert, als ein Begreifen, das im Unterschied zur Begrifflichkeit der Metaphysik kein vorstellendes, sondern ein andenkendes Erfassen und Sprechen ist. Die Bildlosigkeit des Denkens ist somit nicht in der Rationalität des Verstandes begründet, sondern im seinsgeschichtlichen Wesenszug des nicht-vergegenständlichenden Andenkens. (So wie der Unterschied von Denken und Dichten, so ist auch der Unterschied von andenkendem und vorstellendem Denken nicht als ein Faktum, 210 | paola-ludovika coriando

sondern als eine Tendenz zu verstehen. Während das Denken die Erfahrung des Fehlens umschreibt und auslegt, läßt das Dichten diese Erfahrung unvermittelt aufgehen in ihrer Einmaligkeit. Während der metaphysische Begriff abgrenzt und (neuzeitlich) den Gegenstand ›klar und deutlich‹ als in Besitz genommenes Gegenüber vorstellt, öffnet die andenkende Sprache die Grenzen zum Nicht-Feststellbaren und ist stets begleitet von der Möglichkeit, daß es auch anders sein könnte.) Um den Zusammenhang zwischen Denken, Dichten und dem Heiligen bei Heidegger zu verfolgen, sollen nun einige Gedanken aus Heideggers Erläuterungen zum Gedicht Wie wenn am Feiertage systematisch – in sechs Gedankenschritten – dargestellt werden (EHD 47 – 74).

3. »Wie wenn am Feiertage« a) Die Dichter und die Natur Der erste Gedankenschritt bestimmt das Verhältnis der künftigen Dichter zu dem, was Hölderlin hier »noch ›Natur‹ nennt« (EHD 51).1 Die erste und zweite Strophe des Gedichts vollziehen einen Vergleich: so wie »ein Landmann auf seinem Gang, froh ob der Behütung seiner Welt, in der Feldmark verweilt«, so stehen die Dichter »unter günstiger Witterung«, nämlich die Gunst, jene zu sein, die die »mächtige, die göttlichschöne Natur« »erziehet« (ebd.). Während die erste Strophe den Aufenthalt des Landmannes »in der Flur am Morgen des Feiertages« nennt, »fast als wollte sie ein Bild beschreiben«, geht die zweite Strophe dazu über, das ›Bild‹ in den umgreifenderen Horizont einer (dichterischen) Besinnung der Dichtung auf sich selbst zu verlegen. So wie der Landmann am Feiertag anders das Offene der Natur erfährt und von diesem durchstimmt ist, so steht es auch um jene (künftigen) Dichter, die »unter günstiger Witterung« stehen, die offen sind für das sich offenbarende Wesen der Natur, sich von ihr erziehen, in ihr Wesen als Dichter bringen lassen, in der Sprache der Beiträge: jene Dichter, die den Zuwurf der ›Natur‹ in ihren dichterischen Entwurf aufnehmen und ihm in ihrem dichterischen Werk entsprechen. Heidegger und Hölderlin | 211

b) Die Natur als die Allgegenwart Der zweite Gedankenschritt geht dazu über, das Wesen der Natur im Ausgang von der griechischen φσις als die Allgegenwart zu interpretieren. Die Natur ist die allgegenwärtige, weil sie »sich niemals irgendwo innerhalb des Wirklichen als ein vereinzeltes Wirkliches antreffen« läßt. Die Natur ist nicht ein Bereich des Seienden unter anderen, der sich nach geläufiger Vorstellung etwa gegenüber Kultur und Kunst abgrenzen läßt, sondern das in allem, was ist, anwesende Offene, das das Anwesende durchwaltet.

c) Das Allgegenwärtige als die Schönheit Im dritten, entscheidenden Gedankenschritt wird die so interpretierte Natur als die Schönheit gedacht. Hölderlin nennt die allgegenwärtige Natur ›die mächtige‹«, weil sie »das Machtende selbst« ist (EHD 52), das in allem Anwesenden anwest, die ›Macht‹, die Alles anwesen- und aufgehen läßt. »Mächtig ist die Natur, weil sie göttlichschön ist« (ebd.) – was nicht bedeutet, daß sie einem Gott oder einer Göttin gleicht. Das Wesen der Natur wird nicht am Göttlichen gemessen. Denn die Natur west gerade auch im Göttlichen an, ist in ihm gegenwärtig. Das Göttliche steht nicht über der Natur, sondern ist von ihr durchwaltet wie alles Anwesende. Doch ein Gott oder eine Göttin, kommentiert Heidegger, kommen in ihrem Erscheinen dem reinen Erscheinen der allgegenwärtigen Natur am nächsten. Der Gott vermag unter den Seienden »den höchsten Schein des Schönen« (EHD 53). Die von Heidegger vollzogene Bestimmung der Schönheit ist entscheidend, um den nächsten Schritt – die Bestimmung der Natur als das Heilige – zu verstehen. Die Natur hält »die äußersten Gegensätze des höchsten Himmels und des tiefsten Abgrundes einander entgegen« und läßt so »das Gegensätzliche in die äußerste Schärfe seiner Andersheit herauskommen« (ebd.). Die äußersten Gegensätze sind das am meisten Erscheinende, das Erscheinendste: das platonische Ekfanestaton. Doch das Ekfanestaton wird von Heidegger als Spannung der Gegensätze gedacht, und im engeren Sinne als das Berückende, als die eine Seite des Gegensatzes, die ihrerseits »in die Einheit«, in das Zusammengehören der 212 | paola-ludovika coriando

äußersten Gegensätze entrückt ist. Die Einheit der Allgegenwart, die Natur, ist das Entrückende. »Die allgegenwärtige Natur berückt und entrückt. Das Zumal der Berückung und Entrückung ist aber das Wesen des Schönen. […] Die Schönheit ist die Allgegenwart« (EHD 52). Das Wesen des Schönen ist die Einheit von Entrückung und Berückung. In den Beiträgen zur Philosophie nennen Entrückung und Berückung die zwei dimensionalen Öffnungen des Ab-grundes, in dem der Zeit-Spiel-Raum des Ereignisses sich öffnet. Als Ab-grund, als Weg- und Fernbleiben des Grundes, ist die Seinsverlassenheit ursprünglich entrückend in das Sichversagen. Diese Entrückung ist die geschichtliche Zeitigung des Ereignisses, das sich in unserer Epoche als Ent-eignis zeigt. Weil aber das Sichversagen kein totales Fernbleiben ist, sondern ein ›zögerndes‹ Sichversagen, ist der Ab-grund zugleich Ab-grund, die ›ursprünglichste Berückung‹, die »die Möglichkeit der Schenkung« einräumt, so daß die Verlassenheit eine »fest-gestellte, auszustehende« ist (Beiträge; GA 65,384). Dieses ›Zumal‹ von Entrückung und Berückung wird im Hölderlin-Vortrag als das Wesen des Schönen gedacht. Werden hier die beiden Begriffe anders verwendet als in den Beiträgen? Ja, insofern die Perspektive eine andere ist. Zugleich aber sagen beide Begriffe dasselbe, insofern hier das Wesen der Schönheit im Ausgang von der Erfahrung des Abgrundes neu definiert wird. Die Schönheit ist – geschieht als – der ›Streit‹ zwischen den Gegensätzen, die so zusammen- und zueinandergehalten sind, daß sie niemals zu einem ›matten Ausgleich‹ kommen, sondern in eine ›Ruhe‹ zurückgenommen werden, in welcher »Eines das Andere in das Erscheinen hinausstellt«. Die Schönheit ist hier die seinsgeschichtlich wiederholte harmonia aphanes, die allgegenwärtig anwesend sich zurücknimmt und das rein Sichunterscheidende auf- und auseinandergehen läßt.

d) Das Wesen der Natur als das Heilige Im vierten Gedankenschritt, der die dritte Strophe interpretiert, wird das Wesen der Natur als das Heilige bestimmt. »Das dichterische Nennen sagt das, was das Gerufene selbst aus seinem Wesen den Dichter zu sagen nötigt. So genötigt nennt Hölderlin die Natur Heidegger und Hölderlin | 213

das ›Heilige‹« (EHD 56). »Doch warum muß ›das Heilige‹ das Wort des Dichters sein? Weil der ›unter günstiger Witterung Stehende‹ nur das zu nennen hat, dem er ahnend zuhört: die Natur. Indem sie [die Natur] erwacht, enthüllt sie ihr eigenes Wesen als das Heilige« (EHD 57). Der entscheidende Gedanke ist hier nicht die Aussage, das Wesen der Natur sei das Heilige. Denn es heißt vielmehr: so genötigt nennt Hölderlin die Natur das Heilige, und: indem die Natur erwacht, enthüllt sich ihr Wesen als das Heilige. Es geht hier nicht um eine Wesensbestimmung im klassischen, metaphysischen Sinne, sondern um einen besonderen, herausgehobenen Augenblick, in dem die ›in allem gegenwärtige Lichtung‹ erwacht und sich in diesem Erwachen für den Dichter als heilig offenbart. Heilig ist die Natur im Augenblick ihres Erwachens, der das Wort des Dichters durchstimmt und prägt, das Wort, das »das Wesen vom Unwesen« scheidet (EHD 57), weil es das reine Sichunterscheiden sich zeigen läßt, das Sichunterscheiden, das den Dichter in Anspruch nimmt, damit er dieses – die Schönheit, oder: die reine Differenz – ins Wort bringe. Doch dieser in allem verborgen waltende Unterschied, die Schönheit, die sich im Augenblick als das Heilige zeigende Natur, ist kein Ergebnis eines flüchtiges Moments des Einverständnisses, sondern ist »›älter denn die Zeiten‹«, »zeithafter«, »zeitlicher« denn das Zeitliche und die Ewigkeit (EHD 57). Heilig ist die Natur, weil sie immer wieder den Einbruch der Differenz – den Einbruch der Zeit – in sich birgt, den Augenblick, der das Wort durchstimmt, um in ihm bewahrt zu bleiben und sich gleichzeitig zu entziehen.

e) Das Heilige als das Chaos und die Innigkeit Im fünften Gedankenschritt wird das Wesen des Heiligen, mit Bezug auf das Ende der dritten Strophe, als das Chaos gedacht (EHD 58): »Das Heilige ist nicht heilig, weil es göttlich, sondern das Göttliche ist göttlich, weil es in seiner Weise ›heilig‹ ist; denn ›heilig‹ nennt Hölderlin in dieser Strophe auch ›das Chaos‹«. Heidegger erklärt (EHD 61): »Doch χάος bedeutet zuerst das Gähnende, die klaffende Kluft, das zuvor sich öffnende Offene, worin alles eingeschlungen ist.« »Das Chaos ist das Heilige selbst. Kein Wirkliches 214 | paola-ludovika coriando

geht dieser Aufklaffung vorher, sondern geht stets nur in sie ein« (ebd.). Demnach ist das Heilige nichts anderes als die Lichtung des Seins, in der sich alles Seiende zeigt, erscheint und hervorscheint. Das Göttliche ist zwar unter den Seienden dasjenige Seiende, das, wie es hieß, am meisten einen Bezug zum Erscheinen hat, bzw. dieser Bezug ist: das Göttliche ist das Erscheinendste. Doch wenn das Heilige nichts anderes ist als die Lichtung des Seins – wie können Denken und Dichten durchstimmt sein von der Erfahrung eines Fehlens, eines Fernbleibens des Heiligen? Es ist hier wichtig, auf die Valenz dieses Sprechens zu achten. Heidegger denkt mit Hölderlin nicht die Natur überhaupt, sondern die Natur im Augenblick ihres Erwachens als das Heilige. Entscheidend ist hier der Augenblick und das Einfallen, das Eingehen dieses Augenblicks in die Sprache des Dichters. Das Heilige ist nicht eine ontologische Struktur, sondern ein Geschehen, das Geschehen einer Grundstimmung, die für das Offene empfänglich macht. Das Heilige ist die Grundstimmung des Erwachens, ist die Grundstimmung des Aufgehens eines Sichunterscheidenden, einer Differenz. Nur als solche Grundstimmung kann das Heilige die ›Innigkeit‹ sein, das ›Herz‹, aus dem ›alles hervorscheint‹ (EHD 71). Das Heilige ist die Innigkeit, weil es – für Augenblicke – die Welt versammelt und zusammenfügt.

f) Das Heilige im Spiel von Begeisterung und Nüchternheit Dieses Versammeln und Zusammenfügen ist jedoch kein bloßes Verschmelzen mit der allgegenwärtigen Innigkeit, mit dem ›Sinn‹. Denn ein solches Verschmelzen würde gerade das Eigentümliche im Wesen des Menschen verleugnen, nämlich daß der Mensch dasjenige Seiende ist, das offen ist für die Differenz – daß der Mensch die Differenz selbst ist. Der Mensch ist die Differenz, weil er der Logos ist, der in das Ganze des Seienden einbricht und es erst aufgehen und auseinandergehen läßt. Bei Heidegger heißt es weiter (EHD 58): »Die Natur be-geistert alles als die allgegenwärtige, allerschaffende. Sie ist selbst ›die Begeisterung‹. Be-geistern kann sie nur, weil sie ›der Geist‹ ist. Der Geist waltet als die nüchternde aber kühne Aus-einandersetzung, die alles Anwesende in die wohlgeHeidegger und Hölderlin | 215

schiedenen Grenzen und Gefüge seiner Anwesung einsetzt.« »Das Kühle und Schattige des Nüchternen entspricht dem Heiligen. Diese Nüchternheit verleugnet nicht die Begeisterung. Die Nüchternheit ist die allzeit bereite Grundstimmung der Bereitschaft für das Heilige« (EHD 74). Mit dem Wechselspiel von Begeisterung und Nüchternheit ist ein Wesensgeschehen im Sein des Menschen angesprochen. Begeisterung – das ist das Aufgehen der Differenz im Augenblick des Erwachens, ist das Durchströmt- und Durchstimmtwerden vom Unterschied, von der Schönheit, vom Sinn, von der Liebe. Begeisterung ist der Enthusiasmus, das Erfülltsein vom Göttlichen, das für Augenblicke den Menschen fortbringt, ihn den Schmerz, den Riß vergessen läßt, der mit seinem Sein in das Seiende im Ganzen gelegt ist. Die Begeisterung ›heiligt‹ die Welt und läßt den Menschen Worte finden für das Sinnvolle, das sich ihm in allem Seienden entgegenbietet und gesagt werden will. Die Begeisterung ist der Feiertag, an dem die Welt uns so erscheint, als gäbe es einen Grund, als ›wüßten‹ wir, daß alles eingeschrieben ist in eine höhere Ordnung. Durch die Begeisterung wird der »Fehl heiliger Namen« für Augenblicke ausgefüllt von der Präsenz des Heiligen und des Göttlichen. Wie der Feiertag, so unterbricht die Begeisterung den Alltag des indifferenten Fortlebens und bringt uns vor den Unterschied selbst – vor die Schönheit. Nüchternheit – das meint hier nicht die bloße Ernüchterung des Zurückgestelltseins in den Alltag, das Aufhören des Rausches, das diesen, den Rausch, die Begeisterung, als eine bloße Illusion entlarvt und im Leben nur noch den Un-sinn und das Un-heil erblikken kann. Die Nüchternheit ist nicht ein ›Zustand‹, der dem ›Zustand‹ der Begeisterung folgt, sondern umgekehrt, der Halt, die Bereitschaft für das Heilige. Die Nüchternheit kann sich zwar und muß sich immer wieder auch als Skepsis äußern, als Ironie, als Abstand gegenüber der Begeisterung, doch dieser Abstand ist nie ein bloßes Zurücktreten und Sichverschließen. Durch die Nüchternheit ist die Begeisterung zurückgestellt auf die eigene Endlichkeit, auf die Grenzen, die dem Menschen beschieden sind, zugleich aber auch vor ihre eigene Freiheit gebracht. Während die Begeisterung ›um den Sinn‹ – um das Theion – kreist und sich im Augenblick des Unterschiedes seines Heils ›gewiß‹ ist, stellt die Nüchternheit dieses 216 | paola-ludovika coriando

Aufgehen in den Sinn zurück in die Frage, in die Differenz und somit in die Möglichkeit, daß es auch anders sein könnte. Nur im ständigen Beachten und Bewahren dieser Möglichkeit ist der Mensch in eigentlicher Weise bei sich selbst. Der Mensch ist das Zwischenspiel von Begeisterung und Nüchternheit. Nur der Mensch erfährt in seinem Lebensraum den Einbruch der Differenz, der im Schein des Heils (oder des Heiligen oder gar des Göttlichen) die Möglichkeit des Unheils offen hält und im Unheil – in der Sinnlosigkeit – stets dem möglichen neuen Aufgehen des Heilen und Sinnvollen entgegenblickt. Der Mensch ist das Andere seiner selbst: die Verdoppelung des Blickes, der für Augenblicke Abstand nehmen muß auch noch von der höchsten Erfüllung, auch noch vom höchsten Glück des Erwachens, auch noch von der Gegenwart des Sinnes und des Theion, Abstand nehmen um der Differenz willen, der ihn von einer blinden Verschmelzung mit dem Nur-Einen und Einträchtigen bewahrt. Denn ohne diese Nüchternheit, die mitten in der Begeisterung und im Erwachen das ganz Andere – und wäre dies auch die im wahrsten Sinne des Wortes vernichtende Möglichkeit einer endgültigen Nacht – offen läßt, ohne dieses Mitdenken und Mitfühlen des Unterschiedes wäre selbst das Glück, selbst das Theion keine wahre Harmonie, sondern etwas Blindes und Automatisches – die für sich selbst undurchsichtige Betäubung eines mit sich selbst identischen, ›animalischen‹ Lebens. Durch die Nüchternheit ist die Begeisterung eine freie, hoffende und zugleich sich zurücknehmende Begeisterung. Denn nicht nur in der Nähe, nicht nur im Sich-Vergessen und nicht nur im Leben, sondern gleichursprünglich auch in der Differenz dazu, in der Differenz zum allebendigen Theion, im Sich-Unterscheiden (und deshalb auch im Sterben-›können‹) liegt das Eigene des Menschen. »Das Kühle und Schattige des Nüchternen entspricht dem Heiligen. Diese Nüchternheit verleugnet nicht die Begeisterung. Die Nüchternheit ist die allzeit bereite Grundstimmung der Bereitschaft für das Heilige« (EHD 74). Nur aus dieser Spaltung heraus, nur aus diesem Zusammenspiel von Enthusiasmus und Nüchternheit ist eine menschliche Erfahrung des Heiligen und des Göttlichen möglich. Diese Erfahrung ist offen für den ›Gruß‹ des Göttlichen und maßt sich jedoch nicht an, über dessen Ankunft zu bestimmen oder diese Ankunft auch nur zu erwarten. Kreisend um das Theion hält Heidegger und Hölderlin | 217

sich die Begeisterung offen für die exzentrische Bahn, die jeglicher Gewißheit absagen muß und in das Fehlen jeglichen Grundes führt. Doch auf dieser Bahn noch weiß sie von ihrer höchsten Hoffnung, vom plötzlichen Aufgehenkönnen des Heilen und Freien. Dann erwacht die Natur, dann steht der Mensch wieder vor dem Gruß des Göttlichen, »wie am Feiertage«.

Anmerkung

Laut EHD 54 »wird ›Natur‹ jetzt ein ungemäßes Wort im Hinblick auf das Kommende, das es nennen soll.« 1

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– Joachim Ringleben –

Freiheit und Angst Heidegger zwischen Schelling und Kierkegaard

Wer versucht, Heideggers Aussagen zu Angst und Freiheit zu denen Kierkegaards und Schellings systematisch ins Verhältnis zu setzen, tut gut daran, dabei die genetischen Verhältnisse zu berücksichtigen, denn bekanntlich sind die Gedanken Kierkegaards zum Thema nicht ohne gewisse Äußerungen Schellings konzipiert worden, und Heidegger seinerseits weist ausdrücklich auf Kierkegaards Begriff Angst hin (SuZ 190, Fn 1). Ich gehe daher von Schellings Philosophischen Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände (1809) aus, die auch Heidegger 1936 und 1941 intensiv behandelt hat (GA 42 und 49), um dann Kierkegaards Angst-Monographie (1844) und von hier aus schließlich § 40 von Sein und Zeit in den Blick zu nehmen.

1. Das Verhältnis von Angst und Freiheit: Schwindel, das Böse und das Verfallen a) Schelling Schelling geht,1 um den »natürlichen Hang des Menschen zum Bösen«,2 und das besagt für den einzelnen Menschen, daß ›die Eigenheit und der besondere Wille‹ erregt werden (WmF 381), zu erklären, davon aus, daß im Menschen der Bestimmung zur Freiheit ein »Wille des Grundes« (als der dunklen, sich in sich verschließenden Natur im Menschen)3 widerstrebt (ebd.): »Darum reagirt er nothwendig gegen die Freiheit als das Uebercreatürliche und erweckt in ihr die Lust zum Creatürlichen.«4 Das besagt, der zu sich erregte Eigenwille wird böse, indem er sich in seiner Partikularität gegen die Bestimmung zum Allgemeinen der Freiheit festhält. Diese zwei| 219

deutige ›Lust‹ zum Kreatürlichen als sich abstrakt behauptendem, gewollt endlichen Fürsichsein erläutert Schelling durch einen Vergleich, der sich dann auch bei Kierkegaard findet: das Erregtwerden der »Lust zum Creatürlichen« ereignet sich so, »wie den, welchen auf einem hohen und jähen Gipfel Schwindel erfaßt, gleichsam eine geheime Stimme zu rufen scheint, daß er herabstürze« (ebd.). Das suggestive Bild vom »hohen und jähen Gipfel« beschreibt die Exponiertheit der sich zum Vollzug aufgegebenen Freiheit, die in der Isolierung als je eigene Freiheit des einzelnen Menschen sich auf nichts Festes, d. h. in der Welt Vorgegebenes abstützen kann (das wird sich bei Heidegger wiederfinden). In dieser krisenhaften Situation – als einem Schwanken zwischen der ungreifbaren Bestimmung, sich der Freiheit zu überlassen, und dem Sichklammern an die eigene Kreatürlichkeit – ist der ›Schwindel‹ das unruhige Zugleich einer Verlockung, d. h. jener ›Lust‹, die Schelling auch mit dem Sirenengesang vergleicht (ebd.), die zugleich als Ruf in den Abgrund erfahren wird, und eines Schauders, eben vor diesem Absturz, der von ihm sogleich als Fallen »durch eigene Schuld« (WmF 382), als Sündenfall gedeutet wird. Was sich als dieser Schwindel zu erfahren gibt, ist das Ausgesetztsein an einen verzehrenden, weil schwer zu vereinbarenden Widerspruch in der Verfaßtheit menschlicher Willensausrichtung. Schelling schreibt (WmF 381): »Schon an sich scheint die Verbindung des allgemeinen Willens mit einem besonderen Willen im Menschen ein Widerspruch, dessen Vereinigung schwer, wenn nicht unmöglich ist.« Von diesem irritierend widersprüchlichen Anspruch, als Partikulares doch allgemein oder als Kreatürliches doch frei zu sein bzw. sein zu sollen, wird der Mensch überwältigt und in das ambivalente Kraftfeld jenes Schwindels hineingetrieben, das den Widerspruch in ihm gleichsam von außen her erfährt. Zur Erläuterung dieses Schwindels folgt der an Böhme erinnernde5 und Kierkegaard vorarbeitende Satz: »Die Angst des Lebens selbst treibt den Menschen aus dem Centrum, in das er erschaffen worden« (ebd.).6 Diese »Angst des Lebens«7 ist zum einen (als genetivus subiectivus gelesen) Angst als Erfahrung des zerreißenden Widerspruchs zwischen dem besonderen (Eigen-)Willen und dem, wie Schelling sagt, verzehrenden Feuer des allgemeinen Willens.8 Zugleich ist sie auch Angst des Lebens (als genetivus obiectivus) im 220 | joachim ringleben

Sinne der Angst um das Leben, weil der Mensch im Läuterungsfeuer des allgemeinen Willens »aller Eigenheit absterben« muß (ebd.).9 Sofern dieser Widerspruch für den Menschen nicht auszuhalten ist, treibt ihn der Schwindel seiner Angst zu dem »fast nothwendigen Versuch«, »aus diesem [das ist: dem Zentrum] in die Peripherie herauszutreten, um da eine Ruhe seiner Selbstheit zu suchen« (ebd.). Weil er im Zentrum seines ihm übergebenen Seins sich einem unerträglichen Widerspruch ausgeliefert vorfindet, flieht er in seiner Angst in die ›Peripherie‹, d. h. die einseitig ergriffene Kreatürlichkeit, um darin seine Ruhe als endliches Selbst zu finden, anstatt seine Selbstheit in überkreatürlicher Freiheit zu ergreifen. Der »Lust zum Creatürlichen« zu folgen, bedeutet den ersten Schritt in die Entlastung vom Umgetriebensein durch die schwindelerregende Unruhe jenes konstitutiven Widerspruchs, und die so sich selbst verendlichende ›Selbstheit‹ ist eine einseitige und mit der Freiheit entzweite Identität. Ähnlich wird Heidegger die Entlastung von der Eigentlichkeit des Daseins durch Flucht in das Man bzw. durch Verfallen an die Welt als ›Flucht‹ (SuZ 184) aus einem Wirbel (SuZ 178; vgl. 179) und so als ›beruhigend‹ (SuZ 177; 195) beschreiben, die zugleich ein ›Absturz‹ ist (SuZ 178). So bedrängend für Schelling die Angst ist und wenngleich sie – im Schwindel – jenen Schritt »fast nothwendig« macht, so entschieden hält er diesen als eigenen, wenn auch verkehrten Selbstvollzug fest (WmF 382): »das Böse als solches, kann der Grund nicht machen, und jede Creatur fällt durch ihre eigne Schuld«.10 Das Erregtsein zur Lust, sich im Schwindel der Freiheit an der eigenen Kreatürlichkeit festzuhalten,11 wird doch nur im selbsttätigen Vollzug realisiert, und so »bleibt das Böse immer die eigne Wahl des Menschen« (ebd.). Es ist als solches Sichlosreißen von der Bestimmung zur Freiheit, als ein sich »Lossagen vom Guten […] die Sünde« (WmF 400).

b) Kierkegaard Diese Andeutungen Schellings hat Søren Kierkegaard in der AngstSchrift aufgenommen12 und in einer genialen, ›psychologischen‹ Interpretation der Geschichte vom Sündenfall (Gen 3) eindringlich ausdifferenziert, um so das theologische Thema der Sünde nach Freiheit und Angst | 221

ihrer Möglichkeit im Kontext der krisenhaften Genese sich ergreifender Freiheit (als Bestimmung des Menschen zum Geist) annäherungsweise13 verständlich zu machen.14 Auch Kierkegaard vergleicht Angst mit Schwindel (BA 60 f.): »Solchermaßen ist die Angst der Schwindel der Freiheit,15 der aufsteigt, wenn der Geist die Synthesis [scil. zwischen der leibseelischen Sinnlichkeit und sich] setzen will, und die Freiheit nun niederschaut in ihre eigene Möglichkeit, und sodann die Endlichkeit packt sich daran zu halten.16 In diesem Schwindel sinkt die Freiheit zusammen«. Dies ist der Sündenfall sensu strictu, der in seiner Tatsächlichkeit unableitbar ist:17 »Den gleichen Augenblick ist alles verändert, und indem die Freiheit sich wieder aufrichtet, sieht sie, daß sie schuldig ist. Zwischen diesen beiden Augenblicken liegt der Sprung, den keine Wissenschaft erklärt hat oder erklären kann« (61). Die ›psychologische‹ Zwischenbestimmung dabei ist der Begriff Angst (BA 41):18 »Der qualitative Sprung steht außerhalb aller Zweideutigkeit, aber er, welcher durch Angst hindurch schuldig wird, er ist ja unschuldig; denn er ist es nicht selbst gewesen, sondern die Angst, eine fremde Macht, welche ihn gepackt […] und doch ist er ja schuldig, denn er versank in der Angst, welche er dennoch liebte, indem er sie fürchtete. Es gibt in der Welt nichts Zweideutigeres als dies […].« Was, so müssen wir fragen, ist diese Angst und wieso hat sie solche zweideutige Macht über den Menschen?19 Kierkegaard erklärt sie aus der vorausgesetzten Indifferenz ursprünglicher ›Unschuld‹,20 in der der Mensch noch nicht ist, was zu sein er bestimmt ist: »In der Unschuld ist der Mensch nicht als Geist bestimmt, sondern seelisch bestimmt in unmittelbarer Einheit mit seiner Natürlichkeit. Der Geist ist träumend im Menschen« (BA 39). In diesem scheinbar ungestörten Einklang ist aber noch eine Spannung wirksam, die sie stört; mit ihr macht sich die noch nicht realisierte Bestimmung zum Geistsein bemerklich; aber diese ist keine positive Gegebenheit, kein Etwas (ebd.): »Was ist es denn? Nichts. Aber welche Wirkung hat das Nichts? Es gebiert Angst.« Im Herzen der Unschuld also lebt heimlich Angst.21 Kierkegaard verwendet hierfür die Metapher des Träumens (ebd.): »Der Geist ist träumend im Menschen«22 – und (BA 40): »Träumend spiegelt der Geist seine eigene Wirklichkeit hin, aber diese Wirklichkeit ist Nichts«, d. h. noch.23 Dies »angedeutete Nicht« hat die Unschuld »fort und fort 222 | joachim ringleben

außerhalb ihrer« (ebd.); es läßt sich aber – ebenso unabweisbar wie ungreifbar – nicht verdrängen: »Wie verhält der Geist sich zu sich selbst und seiner Bestimmung? Er verhält sich als Angst. Seiner selbst ledig werden kann der Geist nicht; sich selber ergreifen kann er auch nicht, so lange er sich selbst außerhalb seiner hat« (BA 42).24 Zwischen seiner Bestimmung zur Selbstverwirklichung und dem drohenden Selbstverlust der unmittelbaren Einheit ausgespannt, erfährt er sich als Bestimmung zu sich zweideutig: ebenso als feindliche wie als freundliche Macht, da er die Unschuld stört und doch das Verhältnis von Seele und Leib allererst wirklich begründen kann (vgl. BA 42). Diese Zweideutigkeit teilt sich als Angst mit (vgl. BA 41), und diese hat mithin selber ein tief ambivalentes Wesen: »Angst ist eine sympathetische Antipathie und eine antipathetische Sympathie«, wobei dies Zugleich (›und‹) gerade ihr Oszillieren zwischen Verlockung und Sichängstigen in Gang hält (vgl. BA 40): »In der Angst ist die selbstische Unendlichkeit des Möglichen, die nicht versuchlich ist wie eine Wahl, sondern drückend ängstigt mit ihrer süßen Beängstigung« (BA 61).25 Während sich die empirische ›Furcht‹ immer auf etwas Bestimmtes bezieht (BA 40), ist »der Gegenstand der Angst ein Nichts« (BA 77),26 aber ein sich unvermeidlich aufdrängendes Nichts: die Bestimmung des Geistes, sich selber zu setzen bzw. zu ergreifen, um frei und selbsthaft für sich zu sein, was er an sich ist (BA 40): »Angst ist die Wirklichkeit der Freiheit als Möglichkeit für die Möglichkeit.« Denn der Geist ist frei erst, indem er es durch sich selbst ist, und in der Angst wird er sich als seine eigene Möglichkeit zu sich selbst ansichtig (BA 55): »Die Reflexion der Freiheit in sich selber nach ihrer Möglichkeit.« Angst ist so die Freiheit des Geistes im Unterschied von sich selbst (BA 114): »das sich für sich Zeigen der Freiheit in der Möglichkeit.«27 Im ursprünglichen Zustand nicht verwirklichten Geistseins liegt ein Widerspruch: aussagbar als »eine Unwissenheit, die geistbestimmt ist« (also die ›Unschuld‹; BA 42) oder als in ihrer »Natürlichkeit […] als Geist bestimmt« zu sein (BA 40). In der Angst reflektiert sich also der Schein der Wirklichkeit des Geistes, sein Sich-Aufgegebensein (vgl. BA 47), und somit die krisenhafte Genesis der Freiheit. Konkret bedeutet das für den Menschen, daß er nur im Überschreiten seiner unmittelbaren Einzelheit auf seine Allgemeinheit Freiheit und Angst | 223

hin frei er selbst sein kann: Denn »›Selbst‹ […] bedeutet eben den Widerspruch, daß das Allgemeine gesetzt ist als der Einzelne« (BA 79),28 und die Verbindung dieses Widerspruchs ist die Aufgabe seiner Existenz (vgl. BA 25 f.),29 in der sich Verlieren (nach seiner Unmittelbarkeit) und sich Finden eins werden sollen. Da »das eigentliche ›Selbst‹ […] erst gesetzt (ist) im qualitativen Sprunge« solchen Selbstvollzugs (BA 80),30 ist seine Konstitution in Freiheit von der Angst begleitet, die – in Gestalt des Sündenfalls – es auch in die Selbstverfehlung abgleiten lassen kann. Die weiteren Stufen der Angst, die Kierkegaard im Anschluß an Gen 3 noch namhaft macht, um ihr sich in sich vertiefende Wesen zu beschreiben, können hier nicht mehr behandelt werden; dazu gehören das göttliche Verbot (BA 43), das die ängstigende Möglichkeit zu können sozusagen präzisiert,31 wie die Angst vor dem Tod als mögliche Schuldfolge (ebd.) u. a. mehr;32 Potenzierungen der Angst, bei denen das Nichts als ihr Gegenstand »gleichsam mehr und mehr zu einem Etwas wird« (BA 61). Aber schuldig wird das Individuum trotz aller Disposition dazu in der in sich reflektierten Angst doch allein durch den qualitativen Sprung (ebd.). In der Angst weiß sich die Freiheit33 im Modus ihres krisenhaften Werdens zum Geist. Darum ist die Zwischenbestimmung der Angst weder einfach eine Bestimmung von Freiheit, noch gar der Notwendigkeit: »sie ist eine gefesselte Freiheit, wobei die Freiheit in sich selbst nicht frei ist, sondern gefesselt, nicht in der Notwendigkeit, sondern in sich selbst« (BA 48),34 und dementsprechend ist auch das Böse als Unfreiheit noch »eine Erscheinung der Freiheit« (BA 140 Fn).35 Demgegenüber ist für Kierkegaard ›das Gute‹ nicht eigentlich definierbar, weil es ›die Freiheit‹ selbst ist (BA 114 Fn); anders als in der sich festhaltenden bösen Selbstverendlichung der Sünde ist das Gute derart durch die »Einheit von Zustand und Übergang« (BA 116 und 140) gekennzeichnet.36

c) Heidegger Heideggers Thematisierung der Angst dient einer ursprünglichen Erschließung menschlichen In-der-Welt-seins.37 Da Sein und Zeit das Dasein wesentlich als »Sein in einer Welt« begreift (SuZ 13), ist 224 | joachim ringleben

mit dieser gegliederten, ganzheitlichen Verfassung zugleich die Spannung ihrer beiden Momente von Selbstsein und immer schon in der Welt Sein gegeben – ähnlich wie für Kierkegaard die von Geist und Sinnlichkeit.38 Formal kann man zunächst sagen, daß in der Angst das Selbst des Daseins von seinem In-der-Welt-sein, das unausweichlich zu ihm gehört,39 auch unterschieden wird. Insofern zum Dasein seine Geworfenheit als Befindlichkeit gehört und es seine Existenz (daß es ist und zu sein hat) als ›Last‹ erfährt (SuZ 134),40 kann man auch von der ausgezeichneten ›Stimmung‹ der Angst sagen, daß sie »das Dasein vor das Daß seines Da bringt, als welches es ihm in unerbittlicher Rätselhaftigkeit entgegenstarrt« (SuZ 136).41 Insofern »wirft« die Angst das Dasein auf sich »zurück«, d. h. »auf das […], worum es sich ängstigt, sein eigentliches In-derWelt-sein-können« (SuZ 187; Hervorh. J. R.) – nämlich als es selbst. Um sich davon zu entlasten (SuZ 127), treibt die Angst das Dasein in die Tendenz, sich aus der Welt zu verstehen (SuZ 15, 58) und so »im Aufgehen in der besorgten Welt«, gerade nicht als es selbst zu sein (SuZ 125).42 So gilt (SuZ 186): »Die Abkehr des Verfallens gründet […] in der Angst.« Weil die Angst das Verfallen des Daseins verständlich macht, zugleich aber eben sie es ist, die das Dasein aus seinem Verfallen zurückholt (SuZ 189), nimmt Heideggers Analyse der Angst (SuZ 182) ihren Ausgang vom Phänomen des Verfallens (SuZ 184).43 Das Verfallen ist die ›ausweichende Abkehr‹ (SuZ 136) von der Bestimmung des Daseins, selbst zu sein, indem es sich an die Welt ausliefert (SuZ 139). »Im Verfallen kehrt sich das Dasein von ihm selbst ab« (SuZ 185), und es ist somit die Flucht vor ihm selbst (SuZ 184) und nicht die vor innerweltlich Seiendem (SuZ 185; vgl. 186, 187), sondern Flucht zu solchem (189) bzw. in das trügerische ›Zuhause‹ der Öffentlichkeit, d. h. des ›Man‹-selbst, das gerade nicht ein eigentliches, nämlich eigens ergriffenes Selbst-Sein, sondern Entfremdung (SuZ 178) ist. Aber gerade auch diese Flucht des Daseins vor ihm selber (SuZ 178, 184) setzt ontologisch dasjenige vor sich Gebrachtsein (die Erschlossenheit: SuZ 132 f.) des Daseins voraus (SuZ 184), die es ontisch gerade verdeckt; ähnlich setzt bei Kierkegaard das nicht man selbst sein Wollen bereits das man selbst Sein (bzw. sich zu sich Verhalten) voraus.44 So ist das Dasein »von ihm selbst als eigentliches Selbstseinkönnen zunächst immer schon abFreiheit und Angst | 225

gefallen und an die ›Welt‹ verfallen« (SuZ 175). Wegen dieses ›immer schon‹ – ihm entspricht das ›noch nicht‹ eigentlich Sein45 – soll die Verfallenheit nach Heidegger auch nicht als ein ›Fall‹ aus einem vorhergehenden, reinen Urstand o. ä. aufgefaßt werden (SuZ 176; vgl. 186); gleichwohl handelt es sich beim Verfallen um einen ›ontologischen Bewegungsbegriff‹ (SuZ 180) und verfehlt sich das Dasein in seinem eigentlichen Selbstsein. Von der Angst, die ins Verfallen an die Welt treibt, gilt nun aber zugleich: sie »holt das Dasein aus seinem verfallenden Aufgehen in die Welt zurück« (SuZ 189). Genau darum ist Angst (als verstehende Befindlichkeit) eine ausgezeichnete und ursprüngliche Erschließungsmöglichkeit, in der das Dasein unverstellt vor sich selbst gebracht wird (vgl. SuZ 182 und 184).46 Die Erfahrung von Angst wirft das Dasein – es von seinem In-sein als Sein bei der Welt unterscheidend – auf sich zurück (SuZ 189). Sein ›Benommensein‹ durch vertraute welthafte Bewandtnisse (vgl. SuZ 113) wird durch die Angst aufgebrochen, und es wird sich so erst in seiner Ganzheit (SuZ 181) und ›vereinfacht‹ zugänglich (SuZ 182) im Unterschiedensein von seiner Welt, d. h. von allem, ›worin‹ es ist, ohne es selbst zu sein. Es ist also im Falle der Angst »sein eigenes Sein« (vgl. SuZ 188), durch das das Dasein »vor es selbst gebracht« wird (SuZ 184). Allererst in der Angst öffnet das Sein des Daseins sich als sich erschlossenes, ist es Sein im Für-sich-sein als Sein. Im Auflösen bzw. Sichablösen von der Verfallenheit wird nun verständlich, was Angst an ihr selber ist. Das Spezifische an der Angst ist ihr ›Wovor‹, d. h. das, wovor sie sich ängstet; dieses ist kein Etwas in der Welt, sondern: »Das Wovor der Angst ist das In-derWelt-sein als solches« (SuZ 186; vgl. 187). Es geht dabei sozusagen um die Ausbalancierung von eigentlichem Selbstsein und In-derWelt-sein, das zu ihm gehört, ohne es als solches schon zu sein. Indem die Angst dem Dasein »Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit als Möglichkeiten seines Seins offenbar« macht (SuZ 191), ist es in der Schwebe zwischen Selbstverwirklichung und Selbstverlust begriffen. Darum ist das ›Worum‹ der Angst »sein eigentliches In-derWelt-sein-können« (SuZ 187), das besagt: Im Wovor der Angst reflektiert sich ihr Worum (vgl. SuZ 191 und 188). Da es bei der Angst um das In-der-Welt-sein ›selbst‹ geht (SuZ 187), »weiß (sie) nicht, was es ist, wovor sie sich ängstet«, denn »das 226 | joachim ringleben

Wovor der Angst ist kein innerweltlich Seiendes« (SuZ 186). Genau das unterscheidet die Angst von der ›Furcht‹ (vgl. SuZ § 30) – bei Heidegger wie bei Kierkegaard – und gestattet, ihr ontologisches Verhältnis genauer zu bestimmen (vgl. SuZ 189, 185 f.). Für Angst jedenfalls ist das Kennzeichnende: »Das Wovor der Angst ist völlig unbestimmt« (SuZ 186). Es ist nichts Seiendes in der Welt, sondern vielmehr »die Welt als solche« (SuZ 187). Nur indem Angst das Dasein vor seine Welt als Welt bringt, kann dieses auch eigentlich vor sich selbst kommen (vgl. SuZ 188). Insofern aber die Welt selber nichts Innerweltliches, vielmehr dessen Nichts ist, d. h. das Nichts von weltlich Seiendem schlechthin, macht sich das Wovor der Angst ihr als »Nichts ist es und nirgends« vernehmlich (SuZ 186), eben als ›Nichts Bestimmtes‹. Indem er derart als »das Wovor der Angst das Nichts, das heißt die Welt als solche« bestimmt (SuZ 187), worin die völlige Unbedeutsamkeit des Innerweltlichen sich bekundet (ebd.), denkt Heidegger Angst als Erfahrung reiner Allgemeinheit. »In der Angst versinkt das umweltlich Zuhandene, überhaupt das innerweltlich Seiende« (ebd.); aber dies Nichts von weltlich Seiendem ist kein ›totales Nichts‹, sondern eben die Welt als solche in reiner Unbestimmtheit und d. h. nicht im Einzelnen oder Bestimmten, sondern nur (noch) als die unbestimmte »Möglichkeit von Zuhandenem überhaupt«. So gilt (ebd.): »Die Angst erschließt […] allererst die Welt als Welt.« Das Offenbarwerden des »Nichts ist es und nirgends« (SuZ 186) macht die Welt als Welt ›unheimlich‹ (188 f.), weil es die ›alltägliche Vertrautheit‹ des ›In-der-Welt-seins‹ in sich zusammenbrechen läßt (SuZ 189).47 Solche Unheimlichkeit der Welt (vgl. Joh 16,33) macht eine Bedrohung gegenwärtig, »die das Dasein selbst von ihm selbst her trifft« (SuZ 189), denn »das beruhigt-vertraute In-der-Welt-sein ist [als Verfallen] ein [verdeckender] Modus der Unheimlichkeit des Daseins [selbst]« (SuZ 189), dem ein Un-Zuhause ursprünglich zukommt, »weil das Dasein im Grunde seines Seins sich ängstet« (SuZ 190). Im Ablösen vom alltäglichen In-der-Welt-sein gibt sich die Angst einerseits – wie der Wortsinn andeutet – als das Beengende zu erfahren: das Drohende in der Angst »ist so nah, daß es beengt und einem den Atem verschlägt – und doch nirgends« (SuZ 186). Genau so vereinzelt Angst das Dasein aber auf sich selbst (SuZ 187 f.; Freiheit und Angst | 227

189); eben so ist es sich auch in seiner ursprünglichen Ganzheit erschlossen (SuZ 190 f.). Derart radikal vor sich selber gebracht und angesichts der unbestimmten Allgemeinheit bzw. qualitativen Nicht-Struktur der Welt (Welt als das Nichts von Innerweltlichem) wird sich das Dasein wesentlich als eigenstes Möglichsein zugänglich: als das, was »als verstehendes wesenhaft auf Möglichkeiten sich entwirft« (SuZ 187). Darum erschließt »die Angst das Dasein als Möglichsein« (SuZ 188). Selber seine Möglichkeit sein, heißt aber Freiheit, und eben in diese läßt Angst das Dasein ein (ebd.): »Die Angst offenbart im Dasein das Sein zum eigensten Seinkönnen, das heißt das Freisein für die Freiheit des Sich-selbst-wählens und -ergreifens. Die Angst bringt das Dasein vor sein Freisein für […] die Eigentlichkeit seines Seins als Möglichkeit, die es immer schon ist.«48 Sofern damit auch die Möglichkeit des Sichverfehlens eröffnet ist, steht der ihrer sich ängstend ansichtig werdenden Freiheit (im Sichbefreien aus der Verfallenheit) beides noch offen. Denn (SuZ 191): »Das Freisein für das eigenste Seinkönnen und damit für die Möglichkeit von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit zeigt sich in einer ursprünglichen, elementaren Konkretion in der Angst.« Erschließt so für Heidegger die Angst gerade Freiheit, so löst für Kierkegaard das Sich-inne-Werden der Freiheit seinerseits Angst aus. Ist diese bei Heidegger die das Freisein für … ermöglichende Erfahrung, so bei Kierkegaard die Krise im Zusichkommen von Freiheit selber.

2. Die logische Grundfigur Die bisher dargestellten auffälligen Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen bei Schelling, Kierkegaard und Heidegger sind in jeweils durchaus verschiedene philosophische Theoriezusammenhänge eingebettet:49 bei Schelling in eine Metaphysik des Bösen in seinem Zusammenhang mit Gott, bei Kierkegaard in eine ›psychologische‹, d. h. im Kontext einer Philosophie des subjektiven Geistes rekonstruierte, Erbsündenlehre und bei Heidegger schließlich in die fundamentalontologische Analyse des Daseins. Anstatt dem damit verbundenen unterschiedlichen Stellenwert einzelner Begriffe und Aussagen weiter nachzugehen,50 will ich zum Schluß noch etwas 228 | joachim ringleben

Anderes, vielleicht Interessanteres versuchen, nämlich diejenige logische Figur herausarbeiten, die sich – wiederum mit konzeptuell bedingten Abwandlungen – sowohl in Heideggers Begriff vom Sein des Daseins, wie in Kierkegaards Theorie von Freiheit und Sünde als auch in Schellings metaphysischem Gottesgedanken nachweisen läßt.

a) Heidegger Hier haben wir davon auszugehen, daß ›Sein‹ in sich (als Sein) differenziertes Sein ist. Denn Heidegger stellt in Aussicht, »daß die Idee von Sein überhaupt ebensowenig ›einfach‹ ist wie das Sein des Daseins« (SuZ 196). Der Titel ›Dasein‹ dient bekanntlich »als reiner Seinsausdruck zur Bezeichnung dieses Seienden« (SuZ 12), d. h. seiner in seinem Sein (vgl. SuZ 42). In vorgreifender Bestimmung gilt als die Auszeichnung des menschlichen Daseins, »daß es diesem Seienden in seinem Sein um dieses Sein selbst geht« (SuZ 12).51 Was besagt das ontologisch, d. h. für die Logik dieses Seins? Das Sein dieses Seienden ist nicht die sozusagen neutrale Basis für irgendetwas, worum es ihm gehen könnte, sondern sein Sein selber ist das Worumwillen des Daseins in seinem Sein.52 Es ist, um zu sein, d. h. um als dieses Dasein zu sein. Mithin geht es ihm nicht (erst) in irgendwelchen zusätzlichen (abkünftigen) Einstellungen u. a. auch um sein Sein selber, sondern es geht ihm ›in‹ seinem Sein (schon) um dieses Sein. Das aber besagt: sein Sein ist nur als Verhältnis zu ihm da bzw. es ist als Sein ein Selbstverhältnis des Seins. Daher und so gehört zur Seinsverfassung des Daseins, »daß es in seinem Sein zu diesem Sein ein Seinsverhältnis hat« (SuZ 12).53 ›Sein‹ ist hier als Sein sich vollziehendes Verhältnis zu sich.54 Es geht um Sein als Beziehung auf sich als Sein. Das Sein des Daseins ist erst wahrhaft ›Sein‹, indem es sich auf sich bezieht. Selbstbezügliches Sein (– das ist ›in‹ solcher Beziehung zu sich –) ist Sein, das es selbst und eins nur ist im Unterschied von sich bzw. als Einholen dieses Unterschiedes (sc. der Beziehung auf sich), d. h. im Zusichkommen als Sein. Sein ist also (im Falle von Dasein) nicht einfachhin Sein, sondern Sein als (seiendes) Verhältnis zum Sein. Dieses Sein ist eins Freiheit und Angst | 229

(mit sich) nur in Beziehung auf sich, d. h. von der Differenz zu sich her. Im Zugehen auf sich (Sich-zu-sich-Verhalten) ist es allererst oder immer schon das Sein, als das es ist. Daher gilt: »Das ›Wesen‹ dieses Seins liegt in seinem Zu-sein« (SuZ 42),55 d. h. in seinem »zu sein haben«, nämlich je sein Sein (zu sein haben) bzw. sich verhalten zu dem Sein, um das es ihm als solches geht.56 ›Zu-sein‹ ist Sein im Ergreifen des (eigenen) Seins, d. h. als Übergreifen der Differenz zu seinem Sein im eigenen Sein dieses Seins. Weil Sein nicht ein in sich verschlossenes, schlechthin Einfaches ist,57 sondern überhaupt nur ist in der Weise des sich zu sich als Sein Verhaltens, folgt für Heidegger, daß »Seinsverständnis […] selbst eine Seinsbestimmtheit des Daseins ist« (SuZ 12). Das Verstehen seines Seins als Sein macht mithin selber das Sein des Daseins aus.58 Darin liegt zweierlei inbegriffen: 1. Das Sein des Daseins ist sich zu sich (als Sein) verhaltenes Sein, indem es sich verstehendes Sein, d. h. Sein im Verstehen seiner selbst (als Sein) ist. Es hat (oder ist) sein Sein im eigenen Verständnis von Sein.59 Das Sein ergreift sich hier somit als Sein im Sichverstehen von Sein, d. h. seiner selbst und ist überhaupt so erst ›Sein‹; es ist »seiend in der Weise eines Verstehens von Sein« (ebd., Hvh. J.R.).60 ›Seinsverständnis‹ besagt: Verstehen des (eigenen) Seins als selber Sein oder Vollzug von Sein, d. h. sich verstehendes Sein.61 2. Ist Sein (im Falle von Dasein) als sich zu sich verhaltendes und darin sich verstehendes Sein eine seiende, d. h. selber das Sein ausmachende Selbstbeziehung, so gibt es das Sein des Daseins nur als (seiendes, nicht hinzukommendes) Selbstsein. Daher besteht das ›Wesen‹ des Daseins genau darin, »daß es je sein Sein als seiniges zu sein hat« (ebd.; Hvh. J.R.). Sein Sein ist dem Dasein als zu ergreifendes aufgegeben, und nur indem es selbst es ergreift, ist es sein eigenes. Denn »das Sein, darum es diesen Seienden in seinem Sein geht, ist je meines« (SuZ 42), und es kann es daher nur selbsthaft auch ›sein‹.62 Dasein ist in sein Sein nicht einfach eingelassen, sondern dies ist ihm zu eigenem Vollzug übergeben: um selbst es zu sein. Es muß um zu sein, sich zum eigenen Sein ausdrücklich verhalten, und erst in diesem Sich-Verhalten zum Sein als dem eigenen ist es es selbst. Darum gilt: »Als Seiendes dieses Seins ist es seinem eigenen Sein überantwortet« (SuZ 41 f.).63 Indem das Dasein sein Sein ergreift im Verstehen dieses Seins als 230 | joachim ringleben

des je eigenen, ist es, was es ist, im Verstehen seines Sein. Sein Sein als es selbst übergreift somit eine Differenz, in der das Dasein sich zu dem Sein, das es »je […] als seiniges zu sein hat« (verstehend) »immer irgendwie verhält« (SuZ 12) und so diese Differenz im Seinsvollzug zum Verschwinden bringt. Dies »Sein selbst, zu dem das Dasein sich so oder so verhalten kann und immer irgendwie verhält, nennen wir Existenz« (ebd.).64 Daher heißt es: »Das ›Wesen‹ des Daseins liegt in seiner Existenz« (SuZ 42). ›Existenz‹ ist das Sein des Daseins, sofern es vom Dasein selbst als das seinige zu ergreifen ist,65 und sie macht das ›Wesen‹ des Daseins aus,66 insofern es nur im Aufsich-zu-Sein bzw. -Gehen sein Sein eigentlich (als es selbst) ist.67 Weil nun dem Dasein die Identität seines Seins nicht einfach vorgegeben, sondern erst zu vollziehen ist im Verhältnis dazu, »verhält es sich zu seinem Sein als seiner eigensten Möglichkeit« (SuZ 42), bzw. »Dasein ist je seine Möglichkeit« (ebd.), und ›hat‹ sie nicht nur.68 Dabei versteht »das Dasein […] sich selbst immer aus seiner Existenz, einer Möglichkeit seiner selbst, es selbst oder nicht es selbst zu sein« (SuZ 12). Der wesentliche Seinsvollzug des Daseins, der Existenz ausmacht, besteht im Realisieren der Möglichkeit zu sich als Selbstsein (oder deren Verfehlen). Derart hat Dasein sein Sein als Existenz immer erst hervorzubringen, und es entscheidet sich sein Sein im Sich-Aneignen dieses Seins durch es selbst.69 Seine Existenz ist das selbsthaft zu sich gekommene Sein seiner selbst; als Sichergreifen in seiner Existenz ist sein Sein ein sich zur Existenz Bringen und insofern ein Werden zu sich.70 Das aber schließt bei diesem Seienden, dem es wesentlich um sein Sein geht, ein ›Sich-vorweg-sein‹ (SuZ 192) ein.71 Diese ›Seinsstruktur‹ (ebd.) eines Seins als Sicheinholen des Seins macht die logische Grundfigur im Dasein aus.

b) Kierkegaard Im Zusammenhang des Begriffs vom Sprung kommt Kierkegaard – übrigens in Nähe zu Kant – darauf zu sprechen, daß nach der biblischen Erzählung »die Sünde […] durch eine Sünde in die Welt gekommen « ist (BA 29).72 Diese ›tiefsinnige Folgerichtigkeit‹ erklärt er so: »daß die Sünde sich selbst voraussetzt, daß sie auf die Art in die Freiheit und Angst | 231

Welt gekommen sei, daß sie, indem sie ist, vorausgesetzt ist« (ebd.).73 Die eigentümliche Figur des Sich-Voraussetzens74 wird später präzisiert, um sie von einer vergegenständlichten Vorstellung zu unterscheiden: »zumal die Sünde sich selbst voraussetzt, natürlich nicht, ehe denn sie gesetzt ist (dies wäre eine Prädestination), sondern sich voraussetzt, indem sie gesetzt ist« (BA 62; Hvh. J.R.).75 Die Sünde ist also in ihrem Vollzug ein sich Verdoppelndes, nämlich ein sich sich selber Voraussetzendes: indem sie ist, ist sie als das, was schon war.76 In ihrem Sein geht sie sich selber voraus.77 Für Kierkegaard bleibt sie nur auf diese Weise Sünde, d. h. zurechenbare Schuld, denn eben dies Sich-sich-Voraussetzen teilt sie mit der Freiheit, die auch nur durch sich und aus sich selbst verstanden (also von nichts, was nicht schon sie selber ist, abgeleitet) werden kann. Sünde wird aus einer Logik der Freiheit als das Sich-Voraussetzende begriffen – wie bei Kant (BA 115): »wir […] wiederholen, daß die Sünde sich selbst voraussetze ebenso wie die Freiheit und sich ebenso wenig aus etwas Vorhergehendem erklären lasse wie diese.«78 Freiheit ist nur Freiheit, wenn sie durch sich selbst begriffen wird: »Freiheit ist unendlich und entspringt aus nichts« (BA 116);79 ›aus nichts‹ heißt hier aber genauestens: aus sich selbst.80 Weil die Freiheit – sich selbst sich voraussetzend – ihre eigene Möglichkeit ist,81 ist sie nie bloß Möglichkeit: »die Freiheit ist niemals möglich; sobald sie ist, ist sie wirklich, im gleichen Sinne, wie man in einer älteren Philosophie gesagt hat, wenn Gottes Dasein möglich sei, sei es notwendig« (BA 19 f.).82 Die Freiheit führt also ›ontologisch‹ ihren Selbstbeweis,83 und daher ist für Kierkegaard auch die menschliche Existenz ein Werden zu sich.84

c) Schelling (Existenz aus ihrem Grund) Das führt zu Schelling zurück,85 bei dem in der Freiheitsschrift Gottes eigenes Werden zu sich die logische Grundfigur ausmacht, wie noch kurz zu erinnern ist.86 Schelling will den allgemein geltenden Satz, daß Gott »den Grund seiner Existenz in sich haben« muß (WmF 357) gegen die abstrakten Begriffe vom ›actus purus‹ und von ›Aseität‹ (WmF 356) bzw. einer ›causa sui‹87 konkret und lebendig machen, d. h. »zu et232 | joachim ringleben

was Reellem und Wirklichem« (WmF 358).88 Dazu führt er die Unterscheidung ein »zwischen dem Wesen, sofern es existiert, und dem Wesen, sofern es bloß Grund von Existenz ist« (WmF 357; vgl. 373.411),89 die ihm erlaubt, Gott als den sich aus sich Hervorbringenden zu denken);90 in diesem Sinne spricht er metaphorisch vom sich selbst Gebären des Einen.91 Die Unterscheidung von Grund und Existenz ›in‹ Gott soll Gott als den Einen konkret, d. h. als den sich in seiner Einheit (als Einer und das Eine Selbst) zur Existenz Bringenden zu denken geben.92 »Es ist dies der einzig rechte Dualismus, nämlich der, welcher zugleich eine Einheit zuläßt« (WmF 359 Anm. 1).93 Die Unterscheidung steht selber nur im Dienst der Ausarbeitung von Einheit:94 Gott unterscheidet sich (als Grund) von sich selbst,95 um so wahrhaft (als er selbst existierend) mit sich eins sein zu können.96 Weil Grund und Existenz sich ›in‹ Gott unterscheiden, ist er gerade in der Aufhebung dieser Unterscheidung er selbst (als der Eine bzw. wirklich Existierende). Das bedeutet: jener »Grund in Gott« ist (noch) nicht Gott selber, sondern er ist Gott im Unterschied zu sich, das »was in Gott selbst nicht Er Selbst ist« (WmF 359). Insofern ist er nicht Gott in seiner Absolutheit selber,97 sondern »nur der Grund seiner Existenz« (WmF 358), »ein von ihm zwar unabtrennliches, aber doch unterschiedenes Wesen« (ebd.). Grund seiner ist das, woraus Gott als er selber zu sich kommt.98 Zwar ist »dieser Grund seiner Existenz, den Gott in sich hat, […] nicht Gott absolut betrachtet, d. h. sofern er existiert« (ebd.); aber er gehört zu Gott als das, von woher er wirklich er selbst ist: als Voraussetzung (oder Basis)99 seiner Existenz als das ewige eine Selbst, das er ist. Als Voraussetzung seiner selbst,100 die er in seine Existenz als absolutes Selbst (Existierender)101 hinein aufhebt, ist der Grund seiner »gleich ewig« wie Gott selber (WmF 346; vgl. 359). Zur Selbst-Voraussetzung Gottes – im Zuge seines Sich-Hervorbringens102 – gehört eine ewige Selbstunterscheidung, um seine ewige Einheit mit sich zu verwirklichen.103 Daher ist Gottes sich zur Existenz Hervorbringen der ›Circel‹ des sich sich selber Voraussetzens: »In dem Cirkel, daraus alles wird, ist es kein Widerspruch, daß das, wodurch das Eine erzeugt wird, selbst wieder von ihm gezeugt werde [vgl. auch WmF 346]. Es ist hier kein Erstes und kein Letztes, weil alles sich gegenseitig vorausFreiheit und Angst | 233

setzt, keins das andere und doch nicht ohne das andere ist« (WmF 358). Dieser Zirkel ist also die Selbstentzweiung einer sich darin als solche manifestierenden Einheit.104 Er besteht darin, daß Gott sich in seinem Grunde voraussetzt, um aus solcher Voraussetzung seiner selbst mit sich zusammen zu gehen und so erst wahrhaft mit sich eins, er selbst zu sein, d. h. wirklich zu ›existieren‹. Gott kommt sich aus seinem ›Grunde‹ selber entgegen.105 Dabei geht der Grund seiner Gott zwar in gewisser Weise voraus,106 aber nur so, daß er selbst schon die eigentliche Erstursache dieser Voraussetzung seiner ist: »Gott hat in sich einen innern Grund seiner Existenz, der insofern ihm als Existirendem vorangeht; aber ebenso ist Gott wieder das Prius des Grundes, indem der Grund, auch als solcher, nicht seyn könnte, wenn Gott nicht actu existirte« (WmF 358).107 Gottes SichHervorbringen aus seinem ›Grund‹ ist in einer lebendigen Bewegung das (immanente) Aussichheraussetzen seiner Voraussetzung (das Unterscheiden von Grund und Existenz), um sich durch das Aufheben dieser Selbstentzweiung zur selbsthaften Einheit mit sich zusammenzuschließen. Gott ›existiert‹ als ›Er Selbst‹, indem er die selbstgesetzte Voraussetzung seiner in sich (als den actu Existierenden) hinein aufhebt.108 So existiert Gott bzw. hat sein Sein im Werden zu sich.109 In diesem Sinn kann Schelling – unter Anspielung auf 1 Tim 6, 16 – sagen: »Gott allein – Er selbst der Existirende – wohnt im reinen Lichte, denn er allein ist von sich selbst.«110 Anmerkungen

Vgl. auch den Briefwechsel mit Eschenmayer bezüglich WmF (SW I/8, 145 – 189). 2 Die Anklänge an Kants Lehre vom radikal Bösen bei Schelling sind hier und passim unübersehbar. Vom ›Hang‹ redet Heidegger SuZ 195. 3 Vgl. WmF 363: »Das Prinzip, sofern es aus dem Grunde stammt und dunkel ist, ist der Eigenwille der Creatur.« 4 Vgl. WmF 364: »Dadurch aber, daß die Selbstheit Geist ist, ist sie zugleich aus dem Creatürlichen ins Uebercreatürliche gehoben, sie ist Wille, der sich selbst in der völligen Freiheit erblickt«. Genau damit hängt »die Möglichkeit des Guten und des Bösen« zusammen (ebd.). 5 Vgl. Von der Menschwerdung Jesu Christi (1620), II, 3 und 4. Für Schelling ist der Mensch allein »ein Centralwesen und soll darum auch im Centro bleiben« (WmF 411). 1

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Diese Angst – als Reflex der »Sehnsucht, die das ewige Eine empfi ndet, sich selbst zu gebären« (WmF 359) – ist Geburtsangst der Freiheit. Auch für Hegel ist Angst – als die »Furcht des Todes« Werdebedingung des Selbstbewußtseins (Phänomenologie des Geistes. Werke 3,153): »Dies Bewußtsein hat nämlich nicht um dieses oder jenes […] Angst gehabt, sondern um sein ganzes Wesen; denn es hat die Furcht des Todes, des absoluten Herrn, empfunden. Es ist darin innerlich aufgelöst worden, hat durchaus in sich selbst erzittert, und alles Fixe hat in ihm gebebt. Diese reine allgemeine Bewegung, das absolute Flüssigwerden alles Bestehens, ist aber das einfache Wesen des Selbstbewußtseins, die absolute Negativität, das reine Fürsichsein […].« 7 Diese Passage ist in Heideggers Schelling-Interpretation marginal geblieben; vgl. die kurze Bemerkung zur »Angst um sein Selbst« (GA 42,263). Immerhin berichtet Hans Georg Gadamer, daß Heidegger im Seminar über den Satz Schellings: »Die Angst des Lebens selbst treibt den Menschen aus dem Centrum« (WmF 381) gesagt habe: »Nennen Sie mir einen einzigen Satz von Hegel, der diesem Satz an Tiefe gleichkommt!« Vgl. Martin Heidegger – 85 Jahre, 266; Die Geschichte der Philosophie, 306. Ich verdanke diesen Hinweis Otto Pöggeler; vgl. auch Dietmar Köhler: Freiheit und System im Spannungsfeld von Hegels Phänomenologie des Geistes und Schellings Freiheitsschrift, 253. Immerhin darf man auf Hegels in der vorigen Fußnote zitierte Einsichten verweisen! 8 WmF 381; vgl. WmF 391: »so wird […] eben jener in der Tiefe des Dunkels auch in jedem einzelnen Menschen leuchtende Lebensblick dem Sünder zum verzehrenden Feuer entflammt […].« Vom zum Bösen versuchten Menschen heißt es, daß sein »Auge, unvermögend, auf den Glanz des Göttlichen und der Wahrheit hinschauend, Stand zu halten, immer auf das Nichtseyende hinblickt« (WmF 390); vgl. WmF 403 mit dem Hinweis auf den »verzehrenden Grimm«. 9 Wie Gott »mit dem Willen der Liebe im Guten«, so herrscht er »mit dem Willen des Zornes im Bösen« (WmF 409). 10 Vgl. WmF 399: »Denn das Böse kann immer nur entstehen im innersten Willen des eignen Herzens, und wird nie ohne eigne That vollbracht.« Zum Eigenwillen vgl. auch WmF 374, 375 und 365! 11 Es ist zu überlegen, ob Schellings Rede von der ›concupiscentia‹, dem »Hunger der Selbstsucht« (WmF 390), nicht in Heideggers Bestimmung der ›Neugier‹ als Modus des Verfallens – bei Augustin: ›curiositas‹ – noch nachwirkt; vgl. SuZ 170 ff. 12 Vgl. Jochem Hennigfeld; Jon Stewart: Kierkegaard und Schelling. Freiheit, Angst und Wirklichkeit. Daneben lassen sich deutliche Anklänge an Kants Interpretation der Sündenfallgeschichte (Gen 3) in Kants Religionsschrift beobachten; vgl. RGV B 25 f. = AA 6,31 f. Zur Kritik Kierkegaards an Schelling vgl. BA 58 Anm. 2 und 78. 13 »Was die Psychologie beschäft igen kann […], ist, wie die Sünde entstehen kann und nicht, daß sie entsteht« (BA 19). Der qualitative Sprung in die 6

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Sünde entzieht sich den approximativen Bestimmungen der Psychologie (vgl. auch BA 11, 19, 77 und Fn 22, 23 und 32). 14 Das geschieht vor allem in § 5: BA 39 ff.; die weitere Interpretation von Gen 3 fi ndet sich in § 6 (BA 44 ff.). 15 BA 60: »Angst kann man vergleichen mit Schwindel.« Auch in Die Krankheit zum Tode (1849) kommt Kierkegaard mehrfach auf den Schwindel (als psycho-physisches Phänomen) zu sprechen, vgl. KT 24. Abt. 9.12 und 41.47; dazu SuZ 190. Auch Schelling bezieht sich zum Vergleich mehrfach auf ›Krankheit‹ (vgl. WmF 366 und 346; zur ›Schwermuth‹ vgl. WmF 399). 16 Zum ›Sichklammern‹ (scil. an das Endliche) vgl. Heideggers Rede davon, daß »sich das Dasein zunächst und zumeist« an innerweltlich Seiendes »klammert« (SuZ 191). 17 BA 46: »Nun folgt der Sündenfall. Diesen kann die Psychologie nicht erklären; denn er ist der qualitative Sprung.« Vgl. WmF 382: »das Böse, als solches, kann der Grund nicht machen, und jede Creatur fällt durch ihre eigne Schuld.« 18 Vgl. BA 39: »Die psychologische Erklärung darf nicht die Pointe zerreden, sie muß in ihrer geschmeidigen Zweideutigkeit bleiben, aus welcher die Schuld hervorbricht im qualitativen Sprung.« 19 Am Schluß seines Buches zitiert Kierkegaard Hamann, und diese Briefstelle dürfte auch eine Art Keimzelle seiner Konzeption gewesen sein: »Diese Angst in der Welt [vgl. Joh 16, 33b] ist eben der einzige Beweis unserer Heterogeneität. Denn fehlte uns nichts; so würden wir es nicht beßer machen als die Heiden und Transcendentalphilosophen, die von Gott nichts wißen, in […] die liebe Natur sich wie die Narren vergaffen, und kein Heimweh uns anwandeln. Diese impertinente Unruhe, diese heil. Hypochondrie ist vielleicht das Feuer, womit wir Opferthiere gesaltzen und vor der Fäulnis des laufenden Seculi bewahrt werden müßen« (An Herder, 3.VI. 1781. In Johann Georg Hamann: Briefwechsel Band 4, 301 f.). 20 Zum Begriff ›Unschuld‹ vgl. § 3 (BA 32 ff.). Zum mythisch als vorhergehend vorgestellten Zustand der Unschuld vgl. Schelling WmF 385 und 378. 21 Vgl. BA 39: »Das ist die tiefe Heimlichkeit der Unschuld: sie ist zugleich Angst.« 22 Vgl. BA 47: »In Unschuld war Adam als Geist träumender Geist«, denn der Geist ist da »noch nicht gesetzt als Geist.« 23 Vgl. BA 42: »Der Geist ist mithin gegenwärtig, aber als unmittelbar, als träumend.« 24 Vgl. BA 47: »In dem Augenblick, da der Geist sich selbst setzt, setzt er die Synthesis [scil. von Seele und Leib, d. h. Sinnlichkeit], um aber die Synthesis zu setzen, muß er sie erst unterscheidend durchdringen, und das Äußerste am Sinnlichen ist eben das Geschlechtliche. Dies Äußerste kann der Mensch erst in dem Augenblick erreichen, da der Geist wirklich wird […]« [!]. Zur Sinnlichkeit (als an sich nicht böse) vgl. auch Schelling WmF 371 f. 236 | joachim ringleben

›Süße Angst‹ fi ndet sich z. B. schon bei Schiller; vgl. Gedichte (Hochzeitsgedicht), 618: »Wie süß die Angst«. 26 Der ›Gegenstand‹ der Angst ist Nichts (BA 99): »Angst und Nichts entsprechen ständig einander. Sobald die Wirklichkeit der Freiheit und des Geistes gesetzt ist, ist die Angst behoben.« Vgl. auch zum Verhältnis von Angst und Trauer (in der Tragödie); vgl. Entweder-Oder I (1. Abt.), 165 f. Kierkegaard beruft sich auch auf den Sprachgebrauch (BA 41): »Sich Ängsten um nichts«, wie ebenso Heidegger (SuZ 187). Zum ›Nichtseyn‹ bei Schelling vgl. WmF 373 Fn 2 (Augustin) und 348. 27 Die letzte, der Psychologie erreichbare Annäherung an den Sündenfall ist »das wissende Für-sich-Sein der Freiheit in der Angst der Möglichkeit, oder im Nichts der Möglichkeit, oder im Nichts der Angst« (BA 77). 28 Wohingegen die Sünde das (nur noch) ›Selbstische‹ ist (BA 78): »das Selbstische ist gerade das Einzelne, und was dies bedeutet, kann nur der Einzelne als der Einzelne wissen.« 29 Denn das Wesentliche an der menschlichen Existenz ist, daß »der Mensch Individuum ist und als solches zu gleicher Zeit er selbst und das ganze Geschlecht« (BA 25); vgl. damit auch BA 79 Fn: »Die Pointe beim Einzelnen ist eben sein negatives Sichverhalten zum Allgemeinen, das Abstoßen zum Allgemeinen […].« 30 Zum ›kritischen‹ Wesen dieses Selbstvollzugs vgl. oben Anm. 24. 31 BA 48: »Die Möglichkeit ist das Können.« 32 Vgl. beispielsweise BA 74. 33 Die Seligkeit des in sich Gekehrten ist »Freiheit bei sich selbst zu wissen, daß er Freiheit ist« (BA 111). Denn »es ist das Höchste an der Freiheit, daß sie stets nur mit sich selbst zu schaffen hat« (ebd.). 34 Vgl. Kierkegaards Polemik gegen das »liberum arbitrium (indifferentiae)« BA 47 f. und 115 f. (mit Fn), die sich auch schon bei Schelling fi ndet (WmF 392), der sich auf Luther bezieht (vgl. WmF 386 Fn 1: De servo arbitrio!). 35 Kierkegaard konstatiert einen »Willen der Unfreiheit«, der nicht als solcher »fest geworden« ist, sondern davon lebt, daß »der Wille der Freiheit […] fort und fort, sei es auch noch so schwach, gegenwärtig im Selbstwiderspruch« ist (BA 149 Fn). Die tendenzielle Selbstabschließung der Unfreiheit und ihr sich in sich Behaupten hängt daran, daß sie »dies fort und fort« will (BA 140). 36 Vgl. BA 95: »Hätte Adam […] nicht gesündigt, so wäre er gleichen Augenblicks in die Ewigkeit übergegangen.« 37 Kierkegaards Schrift Der Begriff Angst begegnet bei Heidegger bereits 1921 im Zusammenhang der Vorlesung über Augustinus und der Neuplatonismus (vgl. GA 60,257 und 268). 38 Heidegger gesteht Kierkegaard zu, bisher am weitesten in der Analyse des Angstphänomens vorgedrungen zu sein (SuZ 190 Fn 1). 39 Zu ›Geworfenheit‹ und Faktizität vgl. SuZ 134 f.; dem entspricht der ›Entwurf‹ (SuZ 145, 148 und 181). Zum Zusammenhang mit der ›Angst‹ vgl. 25

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SuZ 191. Man kann überlegen, ob nicht in Heideggers Begriff der Geworfenheit Schellings ›dunkler Grund‹ (s. u.) nachklingt. 40 Dem entspricht die ›Entlastung‹ des Daseins von sich durch das ›Man‹ (127). Von der »Last, die ursprünglich im Leben überhaupt zu liegen scheint«, spricht schon Kant in seiner Anthropologie (A 71 = AA 7,170). 41 Die Befi ndlichkeit (z. B. der Angst) erschließt das Dasein (in seiner Geworfenheit; vgl. SuZ 136). Als ›Stimmung‹ ist sie weder ›außen‹ noch ›innen‹ (vgl. ebd., was an den Schwindel bei Kierkegaard erinnert; vgl. oben Anm. 15). Daß auch die reine ϑεωρία nicht ohne ›Stimmung‹ ist (SuZ 138) hat auch Kierkegaard in Der Begriff Angst festgehalten, vgl. BA 11 mit Anm. 42 Vgl. SuZ 115: »Es könnte sein, daß das Wer des alltäglichen Daseins gerade nicht je ich selbst bin«; vgl. auch SuZ 116 und bes. 129: »Zunächst ›bin‹ nicht ›ich‹ im Sinne des eigenen Selbst, sondern die Anderen in der Weise des Man. Aus diesem her und als dieses werde ich mir ›selbst‹ zunächst ›gegeben‹.« 43 Eine frühe Umschreibung des Verfallens fi ndet sich 1920/21 im Zusammenhang mit 1 Thess 5,3. Gegenüber der »ständigen Unsicherheit des faktischen Lebens« gibt es die, »welche Friede und Sicherheit« sagen, und sie »geben sich aus an das, was das Leben ihnen bringt, beschäft igen sich mit irgendwelchen Aufgaben des Lebens. Sie sind aufgefangen von dem, was das Leben bietet; sie sind im Dunkel, angesehen auf das Wissen um sich selbst« (GA 60,105). 44 Vgl. KT 8; zur Interpretation vgl. Joachim Ringleben: Die Krankheit zum Tode von S. Kierkegaard. Erklärung und Kommentar, 41 ff. Auf diese Schrift Kierkegaards bezieht Heidegger sich bereits 1921 in AuN (GA 60), 178. 248 und 265. 45 Es ist zu betonen, daß ›Eigentlichkeit‹ etwas ist, das es für das Dasein immer erst noch zu erreichen gilt; vgl. SuZ 128 (»sich noch nicht gefunden«); 129 (»muß sich erst fi nden«); 175 (»von ihm selbst als eigentlichem Seinkönnen zunächst immer schon abgefallen«) und 176.180. 46 Vgl. oben Fn 41. 47 Vgl. schon GA 60,103: »Was mir in meinem welthaften Verhalten begegnet, trägt in sich kein Motiv zur Beunruhigung.« 48 Hier ist eine besondere Nähe zu Kierkegaards Formulierung (BA 40): »Angst ist die Wirklichkeit der Freiheit als Möglichkeit für die Möglichkeit.« 49 Heidegger hat konstatiert, daß es vor allem die christliche Theologie war, die das Angst-Phänomen prominent thematisiert hat, und dies wegen des Problems »des Seins des Menschen zu Gott« (SuZ 190 Fn 1); das gilt natürlich für Schelling und Kierkegaard ohne weiteres. Und die Verkennung des Phänomens ›Angst‹ (SuZ 190) ist wohl ähnlich gelagert wie die der Sünde (zum Zusammenhang von Angst und Sünde vgl. BA 52). Heidegger weist außer auf Kierkegaards Erbsündenlehre ausdrücklich auf Augustinus (div. qu. 33: de metu; 34: utrum non aliud amandum sit, quam metu carere) und Luther hin (WA 42, 106 ff.: zu Gen 3). 238 | joachim ringleben

Was Luther betrifft , so scheint seine Bibelübersetzung den Terminus ›Angst‹ besonders nachhaltig ins allgemeine Bewußtsein gehoben zu haben. Denn er übersetzt bevorzugt mit ›Angst‹, wo sich im Urtext andere Ausdrücke fi nden: vgl. z. B. Joh 16,33: λ"ψις (V: pressura); Röm 8,19: ποκαραδοκα (V: expectatio) und 8,22: συνωδνει (V: parturit) mit 2 Kor 2,4: λ"ψις κα7 συνοχ (V: tribulatio et angustia) und Röm 2,9: λ"ψις κα7 στενοχωρα (V: tribulatio et angustia). Zur ›Geburtsangst‹ vgl. Jer 4,31 (LXX: στεναγµς); Joh 16,21 (λπη bzw. λ"ψις ; V: tristitia bzw. pressura) und Gal 4,19 (8δνω ; V: parturio); hier haben Jakob Böhme und Schelling sicher angeknüpft . ›Angst der Seele‹ fi ndet sich Gen 42,21 (λ"ψις ; V: angustia), ›Angst des Herzens‹ Hiob 7,11 (LXX: ν!γκη ; V: tribulatio); vgl. auch Ps 77,4: ›mein Herz in Ängsten‹ (LXX 76,4: 8λιγοψχησεν) und Jesus Sirach 4,19: ›angst und bange‹ (LXX 4,17: φβος κα7 δειλα). Trotz seiner Bezugnahme auf die christliche Tradition bestreitet Heidegger, diese in SuZ nur ›säkularisiert‹ zu haben; vgl. GA 42,87 f. und 251! 50 Die verschiedenen Begriffe von Existenz bei Kierkegaard (so wie Jaspers) und Schelling im Verhältnis zu ›Existenz‹ in SuZ hat Heidegger 1941 herauszuarbeiten unternommen; vgl. GA 49,18 ff. (151 ff.) und 93 ff.; zu Schellings Existenzbegriff vgl. die Interpretation GA 42, 191 und 193. 51 SuZ 42: »Das Sein ist es, darum es diesem Seienden je selbst geht.« 52 SuZ 84: »Das ›Umwillen‹ betrifft aber immer das Sein des Daseins, dem es in seinem Sein wesenhaft um dieses Sein selbst geht.« 53 Dies ist deutlich zu unterscheiden von Kierkegaards Fassung des Selbst als »ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält« (KT 8). Heideggers Ontologie des Daseins ist keine bloße Variante von ›Subjektivität‹. 54 SuZ 41: »Im Sein dieses Seienden verhält sich dieses selbst zu seinem Sein.« 55 Vgl. auch die Rede vom »Sein zu sich selbst« (SuZ 124) bzw. »Sein des Daseins zu ihm selbst« (SuZ 124 f.). 56 Bei Schelling heißt es im Anschluß an Fichte (WmF 385): »das Wesen des Menschen ist wesentlich seine eigne That« (vgl. WmF 386, 387 und 389); vgl. auch WmF 385: »ein Ur- und Grundwollen, das sich selbst zu etwas macht«. Für Schelling ist »Wollen […] Urseyn« (WmF 350); vgl. dazu Heidegger SuZ 194. Zum Willen Gottes und des ›Grundes‹ im Verhältnis zum besonderen ›Eigenwillen‹ vgl. Schelling WmF 375, 381 und 395. 57 Zur ›Erschlossenheit‹ des Daseins an ihm selbst vgl. SuZ 87, 132 f.(!), 134 f., 136 f., 188 u.ö. 58 Vgl. SuZ 183: »Sein aber ›ist‹ nur im Verstehen des Seienden, zu dessen Sein so etwas wie Seinsverständnis gehört.« 59 Daher gilt als die ontische Auszeichnung des Daseins, »daß es ontologisch ist« (SuZ 12). 60 SuZ 17: »Dasein ist in der Weise, seiend so etwas, wie Sein zu verstehen.« Freiheit und Angst | 239

SuZ 182: »Seiend ist es [scil. das Dasein] ihm selbst in seinem Sein erschlossen.« 62 Daher ist dem Dasein – im Unterschied zu bloß vorhandenem Seienden – sein Sein nicht ›gleichgültig‹ (vgl. SuZ 42). 63 Es handelt sich um das Seiende, »dem das Dasein in seinem Sein überantwortet wurde als dem Sein, das es existierend zu sein hat« (SuZ 134). 64 Zur logischen Diskussion vgl. Josef König: Die offene Unbestimmtheit des Heideggerschen Existenzbegriffs. 65 Existenz wird in der Weise des Übernehmens eigenen Daseins als eines solchen; denn »das Dasein [ist] je nur existierend sein Selbst« (SuZ 117), und das bedeutet, ›Ich‹ oder ›Selbst‹ kommen nur als »eine bestimmte Seinsart des Daseins« infrage (ebd.). 66 ›Existenz‹ ist eine exklusive Seinsbestimmung des Daseins (vgl. SuZ 42). Das Dasein ist »seinem Wesen nach mögliches eigentliches, das heißt sich zueigen« (ebd.). 67 SuZ 43: »Das Dasein bestimmt sich als Seiendes je aus einer Möglichkeit, die es ist und d. h. zugleich in seinem Sein irgendwie versteht.« In allen seinen Möglichkeiten bezieht es sich also auf sich. 68 Vgl. SuZ 191: »Das Dasein hat sich in seinem Sein je schon zusammengestellt mit einer Möglichkeit seiner selbst.« Dem Seienden, »dem es in seinem Sein um dieses selbst geht«, eignet die »Seinsverfassung des Verstehens als des sichentwerfenden Seins zum eigensten Seinkönnen« (ebd.). 69 Darum gilt (SuZ 12): »Die Existenz wird in der Weise des Ergreifens oder Versäumens nur vom jeweiligen Dasein selbst entschieden. Die Frage der Existenz ist immer nur durch das Existieren selbst ins Reine zu bringen.« 70 Vgl. SuZ 145: »Und nur weil das Sein des Da […] ist, was es wird bzw. nicht wird, kann es verstehend ihm selbst sagen: ›werde, was du bist!‹« 71 Vgl. SuZ 191: »das Dasein ist ihm selbst in seinem Sein je schon vorweg.« 72 Vgl. BA 30: »Durch Adams erste Sünde ist somit die Sünde in die Welt gekommen.« 73 Schon bei Kant heißt es (RGV B 46=AA 6,43): »Das Böse hat nur aus dem Moralisch-Bösen […] entspringen können« und RGV B 44=AA 6,41: »Nach ihr [scil. der Schrift] fängt das Böse […] von der Sünde (an)«. Damit hängt das ›Intelligible‹ des Sündenfalls zusammen, den Schelling außerzeitlich geschehend versteht (WmF 385, 387 und 388); dies ebenfalls im Zusammenhang mit der sich selbst voraussetzenden Freiheit (WmF 384) und unter Berufung auf Kant (WmF 383 f., 388; 381: ›Hang zum Bösen‹). 74 Entsprechend ›setzt‹ die Dogmatik das Vorhandensein der Sünde ›voraus‹ und »erklärt es damit, daß sie die Erbsünde voraussetzt« (BA 17) und sie erklärt diese »damit, daß sie sie voraussetzt als […] ein bewegendes Etwas, welches keine Wissenschaft zu fassen bekommt« (ebd.). 75 Kierkegaard spricht auch von der »tiefsinnigen Folgerichtigkeit, daß die Sünde sich selbst voraussetzt, daß sie auf die Art in die Welt gekommen sei, 61

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daß sie, indem sie ist, vorausgesetzt ist« (BA 29). Sie ist ein ortlos »Unruhiges, das fort und fort […] sich selber zeugt« (BA 19). 76 Bezeichnend für die logische Grundfigur ist auch folgende Bemerkung in De omnibus dubitandum est: »Wie aber wird dann die Unmittelbarkeit aufgehoben? Durch die Mittelbarkeit, welche die Unmittelbarkeit aufhebt, indem sie sie voraussetzt« (10. Abt., 154 f. Hervorh. J.R.). Kierkegaard denkt hier unverkennbar in den Bahnen der Hegelschen Logik (des Wesens): »Das Aufheben eines Vorausgesetzten ist der verschwindende Schein; erst in dem das Unmittelbare aufhebenden Tun wird dies Unmittelbare selbst«; vgl. Wissenschaft der Logik (Lasson), 2. Teil, 186. 77 So wie Hegel es von der »Reflexion in sich« sagt: sie »ist wesentlich das Voraussetzen dessen, aus dem sie die Rückkehr ist« (Wissenschaft der Logik (Lasson), 2. Teil, 16). 78 Als intelligiblen Charakter der reinen Vernunft , d. h. ohne Vorher und Nachher, hat schon Immanuel Kant Freiheit als Selbstabstoßung und Selbstvoraussetzung gedacht: »Freiheit kann man […] positiv durch ein Vermögen bezeichnen, eine Reihe von Begebenheiten von selbst anzufangen, so daß in ihr selbst nichts anfängt, sondern sie als unbedingte Bedingung jeder willkürlichen Handlung über sich keine der Zeit nach vorhergehende Bedingungen verstattet, indessen daß doch ihre Wirkung in der Reihe der Erscheinungen anfängt, aber darin niemals einen schlechthin ersten Anfang ausmachen kann« (KrV B 581 f.). Als das Vermögen, von selbst anzufangen, ist die Freiheit das Vermögen, sich selbst zur Ursache der ›Erscheinungen‹ zu bestimmen. So ist sie unbedingte Bedingung, der selber keine Bedingungen in der Zeit vorausgehen, vielmehr ist sie, indem sie ist, als ihre eigene Bedingung, bedingt sich selber. Als Anfang überhaupt, setzt sie zuerst immer sich selber, ergreift sich, um als sie selbst zu sein, und eben dazu (d. h. um ›unbedingt‹ und von nichts anderem her sie selbst zu sein) setzt sie sich in dem Sinne voraus, daß sie mit sich anfängt bzw. nur sich selbst in Anspruch nimmt (d. h. ohne etwas ihr zeitlich Vorausgehendes). Sie ist, was sich an sich selber halten kann, um zu sein. Weil sie – als unbedingt – nur sich selber voraussetzt, stößt sie sich, um sie selbst zu sein, nur von sich selber ab – zu sich, und vermag so »von selbst anzufangen«. Daraus erklärt sich einmal, daß sich an ihren Wirkungen in der zeitlichen Erscheinungsreihe niemals ein »schlechthin erster Anfang« ausmachen läßt, denn sie ist für diese immer schon als sie selber vorausgesetzt bzw. hat sich darin immer schon vorausgesetzt; zum andern erklärt sich auch, »daß in ihr selbst nichts anfängt«, denn, indem erst mit ihr alles zeitlich Erscheinende anfängt, kann in ihr selber nichts davon – im zeitlichen Schema von vorhernachher – anfangen bzw. weitergehen, weil es dabei eben niemals einen schlechthin ersten Anfang gibt. Das Verhältnis von »von selbst anfangen« und Sichabstoßen der Freiheit zu sich fi ndet sich in Hegels Logik wieder; vgl.Wissenschaft der Logik (Lasson), 2. Freiheit und Angst | 241

Teil, 186: »Das Anfangen von sich selbst ist erst das Setzen dieses Selbsts, von dem das Anfangen ist«; und 147: »das Abstoßen ihrer von sich ist ihr eigenes Setzen.« Heidegger unterscheidet in seiner Schelling-Interpretation 7 Bedeutungen von ›Freiheit‹ (vgl. GA 42, 144 f. (152 f.), 167 und 178). 79 BA 11: »Die Sünde […] hat gar keinen Ort, dies aber ist ihre Bestimmung.« 80 Wie Gott, eben indem er nicht ›ab alio‹ ist, a se ist. Kierkegaard bemüht dafür die Figur des Kreises, vgl. BA 116 und 29. 81 Vgl. BA 162: »Erst wer durch die Möglichkeit gebildet wird, wird gebildet nach seiner Unendlichkeit.« 82 Vgl. Philosophische Brocken, 40 Anm. mit der Erinnerung an Leibniz: »wenn Gott möglich ist, so ist er eben damit notwendig«. 83 Ähnlich hat das Fichte (mit Bezug auf den ontologischen Gottesbeweis) in der Wissenschaftslehre (21804; 27. Vortrag) für das »Sehen, als Sehen gesetzt« gezeigt (268; vgl. 267 f.): »Das Sehen läßt sich gar nicht setzen, ausser als unmittelbar lebendig, kräft ig und thätig daseiend«. Entsprechend kann das Ich sich nicht denken, ohne (eodem actu) zu sein. 84 Von der ›Geschichte‹ des Einzelnen heißt es (BA 26): »eine Bewegung aber auf das Gleiche zu als Aufgabe, die durch das Gleiche aufgegeben worden ist« (BA 107 ist in empirischer Wendung von »sich selbst einholen« die Rede); zum ›Werden‹ der Existenz vgl. Joachim Ringleben: Aneignung. Die spekulative Theologie S. Kierkegaards, 184 ff.; 340 ff. und 347 ff. 85 Insbesondere Paul Tillich hat immer wieder Schelling als den eigentlichen Begründer des Existenz-Denkens herausgestellt; vgl. z. B. Schelling und die Anfänge des existenzialistischen Protestes; vgl. 30 ff. (und die Deutung von Gen 3: 39-42). 86 Heidegger interpretiert Schellings Metaphysik des Bösen durchgängig als eine Philosophie von der Frage nach dem Sein her gedacht, d. h. ontologisch; vgl. GA 42, 110. 112. 132. 251; bes. 181 f. und 192. 87 Vgl. Spinozas ›statische‹ Defi nition (Ethica. Pars prima. Definitiones I): »Per causam sui intelligo id, cuius essentia involvit existentiam […]«; dazu WmF 340 und 358. 88 Zur reellen, statt bloß logischen Unterscheidung von Grund und Existenz vgl. WmF 407; abstrakte Begriffe wie ›Aseität‹ etc. stehen »mit der Lebenskraft und Fülle der Wirklichkeit in dem schneidensten Contrast« (WmF 356). 89 Zum Wesen als solchen, d. h. in seiner ›Indifferenz‹ vgl. WmF 406-408. Grund und Existenz als in einem Wesen unterschieden: I/8, 165. Die kritische Frage an Schelling drängt sich auf, ob sein Konzept eines indifferent Absoluten als ›Ungrund‹ (WmF 406 ff.) nicht durch die Logik des Sichselbstvoraussetzens eigentlich überholt ist – darin läge das relative Recht von Eschenmayers (freilich ganz abstrakt-positioneller) Kritik – und diese die undialektische Rede vom unmittelbaren ›Hervorbrechen‹ der Dualität (WmF 407; vgl. 408: ›theilt sich‹) wie auch die (vergegenständlichende) Rede von den »zwei ewigen 242 | joachim ringleben

Anfängen« (ebd.) obsolet macht. Muß wirklich das »Wesen des Grundes, wie des Existierenden« das »vor allem Grunde Vorhergehende« sein (WmF 407 f.), zumal alles in der Liebe aufgehoben wird (vgl. WmF 408), von der aus die Konstruktion doch entworfen ist? 90 So ist vom Sich-Machen Gottes (beil. zu sich bzw. persönlich) die Rede (vgl. WmF 395, 399 und 404: eschatologisch). Heidegger spricht von dem »sich Schaffenden Absoluten« (GA 42,235). 91 Vgl. »die Sehnsucht des Einen, sich selbst zu gebären« (WmF 395; vgl. 359); Eschenmayer gegenüber hat Schelling das als »die Evolution Gottes aus sich selbst« formulieren können; vgl. SW I/8,169. 92 WmF 375: »Aber Gott selbst, damit er seyn kann, bedarf eines Grundes, nur daß dieser nicht außer ihm, sondern in ihm ist, und hat in sich eine Natur, die obgleich zu ihm selbst gehörig, doch von ihm verschieden ist.« 93 Vgl. WmF 375: »werden also gerade dadurch eins, daß sie geschieden sind«; für Gott gilt demgemäß, daß »Basis und Existierendes in ihm sich nothwendig zu Einer absoluten Existenz vereinigen« (WmF 395). 94 Vgl. WmF 346: »das Gesetz des Grundes ist darum ein ebenso ursprüngliches wie das der Identität.« Schelling spricht gegenüber Eschenmayer selber von seiner »dialektischen Theorie vom ersten Ursprung der Zweiheit« (SW I/8, 176 u.ö.); zum ›Dialektischen‹ vgl. GA 42, 137 und 140 (192). 95 WmF 399: »Alle Existenz fordert eine Bedingung, damit sie wirkliche, nämlich persönliche Existenz werde. Auch Gottes Existenz […], nur daß er diese Bedingung in sich […] hat.« Gott selber macht diese Bedingung »zu sich« (ebd.) Zur ›Persönlichkeit‹ Gottes vgl. WmF 357, 364, 394, 399; er ›macht‹ sich dazu, vgl. 395. 96 Von Gott gilt (I/8, 168): »Was er auch ist, das ist er durch sich selbst.« 97 Der Grund für sich ist nicht Gott zu nennen (WmF 398); vgl. auch: »ewig nur Grund […], ohne selbst zu seyn« (WmF 378). 98 Denn schon »der ewige Grund zur Existenz Gottes« muß »in sich selbst, obwohl verschlossen, das Wesen Gottes gleichsam als einen im Dunkel der Tiefe leuchtenden Lebensblick enthalten« (WmF 361). 99 Vgl. (I/8,173): »Grund, d. i. Grundlage, Bedingung, Medium der Offenbarung seines nur in sich seyenden Subjekts«. 100 Auch für ihn selber gilt (WmF 378): Gott »ließ den Grund in seiner Independenz wirken«, d. h. sich voraus. Weil es sich dabei um eine Selbst-Voraussetzung Gottes handelt, ist Gott selber aber keineswegs eine ›Folge‹ des ewigen Grundes (vgl. an Eschenmayer: SW I/8, 165) bzw. Gott als actu wirklich existierendes Subjekt geht nicht überhaupt erst aus dem Grunde hervor (vgl. WmF 372, 380 und 394: Gott als Geist). 101 Gegenüber Eschenmayer betont Schelling, daß er nicht von Existenz Gottes überhaupt, sondern von Gott als Existierendem (existierendem Subjekt, sc. seiner Wirklichkeit) gesprochen habe (vgl. I/8, 164, 165 und 172). Als Existierender ist Gott erst wahrhaft τ :ν bzw. :ντως :ν (vgl. I/8,172 mit 180). Freiheit und Angst | 243

Zur Bewegung des Grundes im Zuge von Gottes Selbstverwirklichung gehört, daß er als Grund ist, d. h. »als bleibendes Wesen sich gründet« (WmF 408), und genau dies entspricht dem Sichaufheben der Voraussetzung in Gott selber. 103 Daher gilt auch hier, daß »nichts so getrennt und nacheinander ist, […] sondern im Früheren auch schon das Spätere mitwirkt und alles in Einem magischen Schlage zugleich geschieht« (WmF 387); zum »magischen Schlag« der Einheit in der Selbstentzweiung vgl. WmF 409. 104 Vgl. zur »nothwendigen Correspondenz, die zwischen Gott und seiner Basis stattfi ndet« (WmF 391). Nach Heidegger sind ›Zusammengehörigkeit‹ und ›Scheidung‹ zusammenzudenken (vgl. GA 42,198). 105 Zu ›enthalten‹ vgl. oben Anm. 98; zur ›Sehnsucht‹ vgl. an Eschenmayer, I/8,170. Der Grund enthält also schon das ganze göttliche Wesen, nur nicht als Einheit (WmF 378); zugleich ist das eine – sich in zwei Wesen scheidende (vgl. WmF 409) – Wesen in jedem der beiden ›das Ganze‹ (WmF 408). Aber dennoch kann »das Wesen des Grundes für sich nie die wahre und vollkommene Einheit erzeugen« (sozusagen von sich alleine her); vgl. WmF 379. 106 Von zwei gleich ewigen Anfängen ist WmF 395 und 408 die Rede. 107 Zur ›Priorität‹ vgl. auch WmF 360. 108 Zum ›Aufheben‹ vgl. WmF 359 (das Höhere) und 409 (unterworfen) sowie 390, 400 (im Guten). Das Gegenteil wäre Gottes Selbstaufhebung (399, 403); dies erinnert an Martin Luther: De servo arbitrio (WA 18,712, Z. 22 f.): »hoc est optare, ut Deus propter impios desinat esse Deus.« 109 WmF 403: »Das Seyn wird sich nur im Werden empfi ndlich« (zum einzig angemessenen Begriff des ›Werdens‹, vgl. 358 f.). Heidegger hat ebenfalls vom »Werden zu sich selbst« des absolut Seienden gesprochen (GA 42, 77); vgl. zum Sein Gottes als ein »Zusichselbstwerden aus sich selbst« (GA 42,195 f., 213 und 216) bzw. zum Werden Gottes als Zusichselbstkommen (190 f.). 110 WmF 360. Heidegger hat in seiner Schellinginterpretation 1936 den Begriff von Gottes Werden zu sich für einen neuen Begriff von Ewigkeit fruchtbar gemacht (GA 42,196 f., 215) und so formale Andeutungen in SuZ (427 Fn 1 und schon 18) weiter ausgeführt. 102

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– Ulrich Fülleborn –

Dichten und Denken: Bemerkungen zu Rilke und Heidegger Es mag nicht überflüssig sein, vorweg daran zu erinnern, daß dieser Beitrag von einem Literarhistoriker geschrieben ist, und zwar von einem, dem der Dichter Rilke näher liegt als der Denker Heidegger – wenngleich ich wohl nicht Rilke-Interpret geworden wäre, ohne dem Denken Heideggers begegnet zu sein. Zur inhaltlichen Vororientierung sei nur noch gesagt: Die folgenden Bemerkungen beziehen sich 1. auf den größeren geistig-geschichtlichen Zusammenhang des Themas unter der Überschrift: Literatur des ›ist‹ statt des ›ich‹; sie betreffen 2. Rilkes ›Wendung‹ als ein ›Erlernen des Bezuges‹, die ihn in eine große Nähe zu Heidegger brachte; 3. befragen sie beispielhaft späte Ergebnisse dieses Lernens, nämlich die Poetik des ›Hörens‹ und die französischsprachige Lyrik Rilkes, um abschließend noch die Aufmerksamkeit zu richten auf das unterschiedliche Verhalten des denkenden Dichters Rilke und des dichtenden Denkers Heidegger an den jeweils erreichten Grenzen der Sprache. – Der um und um gewendete Heidegger-Vortrag Wozu Dichter? soll nicht noch einmal ausdrücklich zum Gegenstand des Nachdenkens gemacht werden.1

1. Dichtung des ›ist‹ statt des ›ich‹ Im Jahr 1957 erschien ein bedeutender Großessay zur Dichtung im 20. Jahrhundert mit dem ebenso bescheidenen wie anspruchsvollen Titel Statt einer Literaturgeschichte. Er stammte von dem damals schon sehr bekannten Autor und Literaturkritiker, dem Klassischen Philologen und Tübinger Professor für Rhetorik Walter Jens.2 Darin steht zu lesen, daß es der modernen Literatur aufgegeben sei, eine Poesie des ›Ist‹ zu verwirklichen und so ›Anspruch‹ (des ›Ist‹) und ›Antwort‹ (des ›Ich‹) jenseits der alten Subjekt-Objekt-Beziehung | 245

sichtbar zu machen.3 Wie weit das Konzept damals bereits in der europäischen und amerikanischen Literatur verwirklicht war, zeigte Jens an vielen repräsentativen Texten jener Autoren, die heute als Begründer und zum Teil schon als Vollender der Klassischen Moderne des 20. Jahrhunderts gelten, darunter die Romanautoren Marcel Proust, James Joyce, Hermann Broch. Und zwar stellte er ihre poetischen Welten unter der Überschrift ›Uhren ohne Zeiger‹ dar, die das zentrale dichtungs- und geistesgeschichtliche Ereignis des Umsturzes der Zeitauffassung zu Beginn des 20. Jahrhunderts prägnant benennt. Rilke ist mit den Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge von 1910 in diesem Kontext vertreten. Die Literatur des ›ist‹ erscheint hier in erster Linie als das Zeugnis einer Wirklichkeit eigenen Sinnes und eigener Mächtigkeit, der gegenüber das spätneuzeitliche Ich sich nicht zu behaupten wußte oder es nicht wollte. Dahinter stand die Einsicht, »daß wir nicht sehr verläßlich zu Haus sind / in der gedeuteten Welt« (Rilke: Erste Duineser Elegie, V.12 f.); die ›gedeutete Welt‹ meint bei Rilke eine unzulänglich und falsch, anthropozentrisch und subjektiv ausgelegte Wirklichkeit. Also statt um Selbstbehauptung des Ich ging es um eine möglichst weite Öffnung des menschlichen Daseins auf das zu, was man als die ›wirkliche Wirklichkeit‹ hinter allen Übermalungen und Verunstaltungen erfuhr oder vermutete. Aus Rilkes Roman zitiere ich das berühmt gewordene Leitmotiv des Malte: »Ich lerne sehen«. Über die Wendung zum ›ist‹ in der Lyrik, und speziell der Rilkeschen, verständigt man sich schnell und scheinbar problemlos anhand so bekannter Gedichte wie Der Panther, Blaue Hortensie, Das Karussell. Sie stammen aus Rilkes Neuen Gedichten, Teil 1 (erschienen 1907) und haben nach Struktur und Motivik die ›ich‹-Lyrik, die seit dem jungen Goethe und der Romantik vorherrschte, hinter sich gelassen. Wenn man solche Texte Ding-Gedichte nennt, wie es lange unangefochten üblich war, so orientiert man sich an einem lyrikgeschichtlichen Wandel, der schon bei Eduard Mörike und Conrad Ferdinand Meyer faßbar wird. Ich nenne von Mörike nur Die schöne Buche und das durch Emil Staiger, Heidegger und andere einst kontrovers diskutierte Gedicht Auf eine Lampe;4 von Meyer bleibe der Römische Brunnen nicht unerwähnt. Lange genügte es, in solchen Gedichten die Zurückdrängung und schließlich gänzliche 246 | ulrich fülleborn

Vermeidung eines sich zuvor deutlich als erlebendes und sprechendes Subjekt bekundenden Ich zu beobachten. Und natürlich könnten wir im Sinne Heideggers fragen, der ja mit diesen Gedichten zum Teil selbst befaßt war, ob eine ›ist‹Dichtung in der Form solcher Ding-Lyrik nur Seiendes als Seiendes darstellt und nichts darüber hinaus. Zunächst tut sie das zweifellos. Zumindest liegt in ihr überall eine deutliche Emphase darauf, daß ihre Tiere, Pflanzen und das Karussell deshalb ins Gedicht Eingang fanden, weil sie ›sind‹. Ja sie erscheinen als solche in ihrem je eigenen Sein poetisch besonders gesteigert. Man möchte ihnen mit Goethe zurufen: »wie wahr, wie seiend!«5 Bei Goethe besaßen die so gerühmten Dinge, die Schnecken und Krebse der Lagunen Venedigs, ihren onto-theologischen Rang als Naturphänomene, also vom spinozistisch gedachten deus sive natura geschenkt. Rilkes Dinge dagegen beziehen ihre Aura nicht aus der Natur im goethezeitlichen Sinn. Sie erscheinen in einem Licht ganz eigener Art. Es ›nur ästhetisch‹ zu nennen, wäre nicht richtig. Die Versmelodie, die Klangfarbe der Zeilen, die besondere Realisation der Sonettform sind zwar die poetischen Zeichen einer ästhetischen Verwandlung des dinghaften Gegenstands in eine unsichtbare Geistform, aber deren Bedeutung geht nicht im Ästhetischen auf. Für Ludwig Wittgenstein besteht zum Beispiel das »künstlerischeWunder«, wie er es an Gedichten Rilkes und Trakls wahrgenommen hat, darin, immer wieder zu zeigen, »daß es […] das gibt, was es gibt.«6 Heidegger spricht bekanntlich im gleichen Sinne von dem »Wunder aller Wunder: Daß Seiendes ist«,7 wobei er das ›daß‹ und das ›ist‹ durch Kursivierung hervorhebt. Genauso meint es auch Wittgenstein, wenn er sagt: »Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische [d. h. das Wunderbare], sondern daß sie ist.«8 In der Dichtung kann dieses ›daß‹ jedoch nur durch das poetische ›wie‹ evoziert werden. Dazu einiges an späterer Stelle. Jetzt soll jedoch noch eine nicht unwichtige historische Feststellung zu dem Phänomen der ›ist‹-Dichtung als ganzer getroffen werden. Mein erster Lehrer, Hermann Kunisch, hat – in naher Beziehung zu Romano Guardini, den wir auch als Interpreten der Duineser Elegien kennen, – das Authentische und geistes- wie religionsgeschichtlich Relevante der Dichtung Rilkes in der Lehre »von den Dingen, ihrem Anspruch an den Menschen« gesehen. So in eiBemerkungen zu Rilke und Heidegger | 247

ner kleinen Schrift vom Ende des zweiten Weltkriegs,9 die der antikchristlichen Ontologie bei diesem Dichter nachspürt. Dem folgten von anderen Autoren ähnliche Untersuchungen größeren Maßstabs.10 Ihnen ist zu entnehmen, wie sehr man sich im Fall Rilkes, von kundigen Lesern geführt, in der onto-theologischen Geistesund Sprachwelt des Abendlandes befindet. Nicht nur läßt sich im Rückgang auf die christliche Tradition, das heißt auf Augustin und Thomas von Aquin, Rilkes Dingbegriff allgemein beschreiben, man gelangt so auch zu einer recht genauen Erfassung einzelner Strukturzüge seiner dichterischen Welt. Das bedeutet nun aber, daß wir es hier mit dem Kulturphänomen eines spätneuzeitlichen Säkularisationsprozesses, einer ›Verweltlichung‹ christlicher Glaubensbestände, zu tun haben, die bis in die Sprache und Denkform erkennbar geblieben sind. Der religions- und allgemein geistesgeschichtliche Vorgang zeigt sich beim einzelnen Dichter meist als ein bewußtes Heraustreten aus den traditionalen Bindungen an Kirche und Orthodoxie, zielt aber zugleich auf die Gewinnung einer neuen Spiritualität und Religiosität, ja auf die ›Heiligung‹ dessen, was ›ist‹. Das Ganze vollzog sich hauptsächlich in der Welt der Habsburger Monarchie, das heißt, auf dem Boden eines althergebrachten Katholizismus. Die vielleicht überraschende These gewinnt sofort an Evidenz, wenn man an die Klassiker dieser österreichischen Moderne denkt, nämlich außer an Rilke und Georg Trakl etwa noch an Hofmannsthal und Musil.11 Das hier eben sehr kurz skizzierte Thema wäre angemessen nur unter dem übergreifenden Titel ›Literatur und Religion in der Moderne‹ zu behandeln.12 Dabei würde dann auch die Literatur des ›ich‹, auf die ja die ›ist‹-Dichtung antwortet, besonders in Erscheinung treten. Und zwar als das um 1800 zu datierende Ereignis einer ersten geistig-geschichtlichen Säkularisierungsphase, die in der Literatur durch Albrecht Schöne als die Entstehung einer ›Dichtung deutscher [d. h. protestantischer] Pfarrersöhne‹ diagnostiziert wurde.13 Denkgeschichtlich bedeutet jene Jahrhundertwende die Geburt des deutschen Idealismus, die sich dank der neuesten Forschungen Dieter Henrichs als spekulative »Grundlegung aus dem Ich«!14 sehr genau nachvollziehen läßt. Ort des Geschehens war das berühmte evangelische Stift Tübingen, aus dem Hegel, Schelling und Hölderlin hervorgegangen sind. – Nach diesem Rundblick in weite dichtungs248 | ulrich fülleborn

und geistesgeschichtliche Zusammenhänge, in denen Rilke und Heidegger sich vorfanden und von früh an dichtend und denkend mitwirkten, konzentrieren wir uns jetzt auf den späten Rilke.

2. Rilkes ›Wendung‹ oder Vom ›Erlernen des Bezugs‹ Wir suchen zunächst einige Texte auf, die zum Teil wörtlich von einer dringend erhofften, ja geforderten ›Wendung‹ im Übergang von Rilkes mittlerem zum späten Werk sprechen. In ihnen greift der Dichter in überstrenger Selbstkritik zurück auf sein früheres Verhalten gegenüber der ›Welt‹ und versucht gleichzeitig zu sagen, worauf es statt dessen in Zukunft ankäme. In dem ersten Text, Waldteich, weicher, in sich eingekehrter vom Juni 1914, trifft die ganze Härte seiner Kritik jenes ›Schauen‹, das man mit Käte Hamburger als eine entschieden phänomenologische Einstellung bezeichnen kann und das Theorie wie Gestus seiner Neuen Gedichte bestimmte. Jetzt erscheint es nur noch als eine ungeheure Gewaltsamkeit: »blieb das Angeschaute sich entziehend, / schaut ich unbedingter, schaute knieend, / bis ich es in mich gewann. // […] Hab ich das Errungene gekränkt, / nichts bedenkend, als wie ich mirs finge, / […] Bilder, Zeichen, dringend aufgelesen, / hat es euch, in mir zu sein, gereut?« (KA 2,99 f.). Unmittelbar nach diesem Selbstgericht, das sich kritisch einer extrem besitzergreifenden Sprache bedient, schreibt Rilke dann jenes berühmt gewordene Gedicht, das unter der programmatischen Überschrift Wendung eine radikale innere Umkehr als unerläßlich erkennt (KA 2,101): »Denn des Anschauns, siehe, ist eine Grenze. Und die geschautere Welt will in der Liebe gedeihn.« Statt die Liebe, von der es im selben Gedicht vorher ausdrücklich heißt, daß das Ich sie nicht habe, in ihrer Bedeutung näher, zum Beispiel poetologisch, festzulegen, sehen wir noch auf ein drittes Gedicht desselben Jahres, in dem es um die gleiche ›Wendung‹ geht. Es heißt, mit einer der ganz seltenen Zeitangaben: ›Vor Weihnachten 1914‹. In ihm wird die Erinnerung an frühe familiäre WeihBemerkungen zu Rilke und Heidegger | 249

nachtsbescherungen zum Anlaß, etwas Grundsätzliches zu klären. Der sich Erinnernde gesteht, daß es ihm in der Kindheit stets mißlang, ein solches Fest in der rechten Weise zu begehen. Warum? Weil seine zugreifende Hand aus jedem Gegenstand, um den eben noch »Schein von (dem) Scheine« des Heiligen Abends lag, plötzlich ein neues Ding machte, »das bange, fast gemeine/ Ding, das besitzen heißt«. Bewirkt wurde diese drastische Veränderung durch »mein Mißverstehn; mein Wollen/ es solle etwas sein, was es nicht war« (KA 2,126). Die Fortsetzung des Gedichts ist ein halbes Jahr später geschrieben und bringt die Anwendung des an dem Kindheitserlebnis Erkannten auf die Situation des Erwachsenen, auf sein Verhältnis zur Welt überhaupt, und zwar in einem gebetartigen Wunsch: »Oh, daß ich nun vor dir / so stünde, Welt, so stünde, ohne Ende / anschauender. Und heb ich je die Hände / so lege nichts hinein; […] // Doch laß durch mich wie durch die Luft den Flug / der Vögel gehen. Laß mich, wie aus Schatten / und Wind gemischt, dem schwebenden Bezug / kühl fühlbar sein« (KA 2,127). Die zuletzt zitierten Verse erträumen die Möglichkeit einer Welt, die nicht durch ein widerständiges und gewaltsames Subjekt-Objekt-Verhältnis bestimmt ist, in der vielmehr das lyrische Ich sogar noch dem »Flug der Vögel«, oder gerade ihm, ein heimatlich offenes Element wäre. Dann gäbe es kein Verlieren, aber auch kein Besitzen mehr, sondern nur den ›schwebenden Bezug‹ ohne jede Grenze zwischen Außen- und Innenwelt. Wenn sich das Ich wünscht, dem »Bezug / kühl fühlbar« zu sein, so wird in dieser leicht anthropomorphisierenden Wendung ausgedrückt, daß ein inniges Einbezogensein in die offene Welt der Bezüge möglich sein könne. Eine solche Innigkeit wird jedoch nicht vom fühlenden Ich her gedacht, sie bliebe ganz ohne die Beimischung emotionaler Subjektivität. Mit diesen kühnen Bildgedanken sind wir auf den bekanntesten von Rilkes späten Welt- und Dichtungsentwürfen in einer wenig bekannten Fassung gestoßen. Zur Bestätigung brauche ich nur aus dem Gedicht Es winkt zu Fühlung fast aus allen Dingen zu zitieren – es stammt ebenfalls aus dem Jahr 1914; die wichtigsten Verse lauten: »Durch alle Wesen reicht der eine Raum: / Weltinnenraum. Die Vögel fliegen still / durch uns hindurch« (KA 2,113). Auch hier geht es, vielleicht noch deutlicher, darum, den Menschen als Störfaktor 250 | ulrich fülleborn

aus der Welt zu entfernen, den Zustand rückgängig zu machen, den Rilke aus der Erfahrung des Ersten Weltkrieges mit dem bitteren Wort benannt hat: »die Welt ist in die Hände der Menschen gefallen«.15 Gleichwohl ist das ›Weltinnenraum‹-Bild nur einer der Versuche, unsere herkömmlich falsch ›gedeutete‹ und mißhandelte Welt neu und anders zu sehen und zu denken. Umfassender formuliert findet sich das, was Rilke in den drei bzw. vier herangezogenen Texten von 1914 als die zu erreichende ›Wendung‹ entworfen hat, in einem Brief vom 22. Februar 1923,16 also genau ein Jahr nach Vollendung der Duineser Elegien. Der Brief richtet sich an ein junges Mädchen, das Rilke dazu veranlaßt, seine dichterischen Fortschritte seit der frühen Zeit, die die Korrespondentin vor allem kannte und liebte, möglichst deutlich zu machen. Der zentrale Satz lautet: »statt des Besitzes erlernt man den Bezug«. Umfassend ist dies insofern gemeint, als es im Rückblick auf die gesamte Werkentwicklung gesagt ist und sich weder auf die Vorstellung des ›Weltinnenraums‹ beschränkt noch bloß gegen das ›Schauen‹ in den Ding-Gedichten gewendet ist. Vielmehr wird jetzt, sehr überraschend, das StundenBuch als die negative Folie eines possessiven Verhaltens herangezogen. Rilke spricht zwar noch vom damals über ihn »hereingebrochenen Gott«, aber ausschlaggebend ist der Satz: »So nannte ich ihn damals auch«. Denn dagegen richten sich all die folgenden Aussagen: »Jetzt würdest Du mich ihn kaum je nennen hören […], und wo einmal Nähe war und Durchdringung, da spannen sich neue Fernen […]. Das Faßliche entgeht, verwandelt sich, statt des Besitzes erlernt man den Bezug, und es entsteht eine Namenlosigkeit, die wieder bei Gott beginnen muß, um vollkommen und ohne Ausrede zu sein.« Damit ist auch poetologisch sehr präzis gesagt, was hier nach Rilkes Diktum dem ›Besitz‹ zuzuordnen ist, nämlich das Nennen als überschwengliche Namengebung für das Unsagbare, und die mit rhythmischen und klanglichen Mitteln, vor allem dem Übermaß der Reime, erzeugte Wirkung einer unmittelbaren ›Nähe und Durchdringung‹ von Ich, Sprache und göttlicher Sphäre. Genau hierauf hatte nun aber das ›sachliche Sagen‹ der Neuen Gedichte auf seine Weise schon einmal reagiert. Die tatsächlichen werkgeschichtlichen Verhältnisse sind eben immer komplizierter, als es nach Rilkes Selbstdeutungen den Anschein hat. Bemerkungen zu Rilke und Heidegger | 251

Gemäß dem soeben interpretierten Brief von 1923 hat sich also die ›Wendung‹ ausgeweitet zu einem das ganze Dichterleben Rilkes umfassenden Vorgang, ja zu einer neuen Bestimmung des Daseins als Erlernen des ›Bezuges‹. Und das Erlernen ist nicht etwa als abgeschlossen verstanden, es bleibt immer noch Auftrag nicht nur für Rilke, sondern – dieser Sinn steckt in dem Worte ›man‹ – allgemein für seine Generation und womöglich das Zeitalter. Was hier ein Dichter an den Veränderungen seiner dichterischen Haltung beschreibt und was er praktisch davon in seiner poetischen Arbeit verwirklicht hat, das könnte man mit Heidegger seine Arbeit an der ›Metaphysik‹ nennen. Ob oder wieweit dabei von einer Überwindung oder Verwindung gesprochen werden kann, bleibe dahingestellt. Jedenfalls entspricht Rilkes dichterische Arbeit dem Denken Heideggers insofern, als es Kritik an der abendländischen geistigen Situation ist, der condition moderne. Dabei stellt sich etwas Überraschendes heraus: ›Vom Besitz zum Bezug‹ ließen sich auch jene Veränderungen umschreiben, um die es Heidegger ging. Und die sprachlichen Leitmotive, die wir bei Rilke im Zusammenhang mit dem antreffen, was zu ›verlernen‹ sei, begegnen uns in Heideggers Kritik der ›Metaphysik‹ überall. Es sind die durchweg negativ besetzten Begriffe des ›Besitzens‹, ›Habens‹, ›Verfügens‹, der ›Machenschaft‹, ganz besonders aber des ›Berechnens‹.17 Ebendiese Wortund Denkmotive, ihr Aufkommen und ihre Alternativen, habe ich als Literarhistoriker in Texten besonders der Moderne untersucht,18 ohne dabei dem Zusammenhang mit Heideggers Denken und Sprachgebrauch explizit nachzugehen. Im folgenden soll, immer mit dem Blick zu Heidegger hinüber, bedacht werden, was sich für Rilke mit dem ›Erlernen des Bezuges‹ geändert hat. Ich beginne mit einem in jeder Hinsicht erstaunlichen Satz: »Wie kann / das Geringste geschehn, wenn nicht die Fülle der Zukunft, / alle vollzählige Zeit, sich uns entgegenbewegt?«19 Die Zeit so von der ›Fülle der Zukunft‹ her und immer schon als ›vollzählig‹ zu denken und nicht uns in Bewegung auf sie zu, sondern sie umgekehrt in einer Bewegung uns entgegen zu erfahren, das stellt das überlieferte zeitmetaphysische und das zeitphysikalische Denken auf den Kopf; man meint, sich schon in Heideggers Denkwelt zu befinden. Aber es sind Verse Rilkes, die Ende 1912, d. h. während der Lebensund Dichtungskrise bald nach dem kühnen Beginn der Duineser 252 | ulrich fülleborn

Elegien, entstanden sind. Solche Verse rechtfertigen es vielleicht, Rilke einen Dichter der Zukunft zu nennen,20 so wie Heidegger gewiß ein Denker der Zukunft war. Schon in dessen Vortrag vor der Marburger Theologenschaft von 1924 Der Begriff der Zeit heißt es: »das Grundphänomen der Zeit ist die Zukunft«.21 Aus dem Wortlaut des Rilke-Zitats: »Wie kann das Geringste geschehn«, ersieht man, daß es darum geht, daß und wie überhaupt etwas geschieht. Im weiteren folgt daraus bei Rilke und Heidegger die Herkunft allen Geschehens, jeden Geschicks und der Geschichte aus der Zukunft. Heidegger hat dafür einen eigenen Begriff von Geschichtlichkeit als unableitbarer Spontaneität der Ereignisse gewonnen und so die Kausalität als historisches Erklärungs- und Berechnungsmittel ausgeschaltet.22 Rilkes primäres ›geschichtliches‹ Erfahrungsfeld dieser Art dürfte sein dichterisches Bewußtsein gewesen sein. Er nennt es den Raum des ›Herzens‹: »Wo, o wo ist der Ort – ich trag ihn im Herzen –, / […] wo sich das reine Zuwenig / unbegreiflich verwandelt –, umspringt / in jenes leere Zuviel. / Wo die vielstellige Rechnung / zahlenlos aufgeht« (Fünfte Elegie, V.73 – 86). Eine Freiburger Dissertation hat den hier nur eben anklingenden Sachverhalt unter dem glücklich gewählten Titel Herz-Raum-Geschehen im Augenblick behandelt.23 Gegenüber einer solchen Erfahrung von Geschichte als äußerem und innerem Geschehen scheint es für den Menschen kaum anderes als die bejahende Akzeptanz zu geben. Theoretisch folgt daraus bei Rilke eine umfassende Ontodizee: »Nur das Nirgends ist böse, / alles Sein ist gemäß« (KA 2,387).24 Um dem ›Erlernen des Bezuges‹ jedoch in noch anderer Richtung und mit dem Blick auf Heidegger auf der Spur zu bleiben, seien zwei späteste Exempel hierfür herangezogen.

3. Die Poetik des Hörens und die französischsprachigen Gedichte An der Schwelle zum Februar 1922, der in Muzot die Vollendung der Duineser Elegien ermöglichte, entstanden einige Gedichte, die schon nicht mehr zu den Elegien gehören. Vielmehr handelt es sich um präludierende Verse, wie sie in Rilkes Gesamtwerk wiederholt am Beginn eines poetologischen Neuanfangs stehen. In ihnen künBemerkungen zu Rilke und Heidegger | 253

digte sich ein zweiter großer Gedichtzyklus an, nämlich die Sonette an Orpheus. Vor allem im letzten jener ›Auftaktgedichte‹ erkennen wir den neuen Werkentwurf. Es beginnt mit einer Frage, die nicht mehr in die Richtung elegischen Dichtens weist: »… Wann wird, wann wird, wann wird es genügen das Klagen und Sagen?« Und es schließt mit einer zukunftsgewissen Antwort, deren Sinn im Orpheus-Zyklus voll realisiert werden sollte: »Da uns die Sterne schweigende scheinen, im angeschrieenen Äther! Redeten uns die fernsten, die alten und ältesten Väter! [Gemeint ist Orpheus] Und wir: Hörende endlich! Die ersten hörenden Menschen«. (KA 2,276) Dementsprechend entwickelt sich gleich zu Beginn der Sonette an Orpheus das ›Hören‹ zu einem poetischen Leitmotiv und tritt so an die Stelle des ›Klagens und Sagens‹ der Elegien, das dort freilich von Anfang an vom hymnischen Rühmen überwölbt war. Mit der Entdeckung des Hörens wird eine besonders große Annäherung von Rilkes Dichten an das Denken Heideggers erreicht. Wenn Heidegger auf den ›Gott‹ wartete und ihn in Hölderlins späten Hymnen nahe wähnte: Rilke hat ihn bescheiden-unbescheiden gefunden, mit seiner Wendung zu Orpheus. Die Bedeutung des ›Hörens‹ für ein sich Neuem öffnendes Denken und Dichten kann man gar nicht überschätzen; sie zeigt sich zum Beispiel in Manfred Riedels Schritt zu einer akroamatischen Philosophie im engen Bezug zu Heidegger und unter Einbeziehung Nietzsches, von welchem sich bei ihm schließlich noch ein wichtiger Brückenschlag zu Rilke ergab.25 Das Hören setzt eine hörbare Welt voraus, wie zum Beispiel schon in der Ersten Elegie: »Stimmen, Stimmen. Höre, mein Herz, wie sonst nur / Heilige hörten« (V.54 f.). In den Sonetten verdankt sich die reiche Welt aus Sprache, die den zweiteiligen Zyklus erfüllt, einem vorgängigen Verwandeltsein durch den vergöttlichten Sänger Orpheus, der die Tiere und Menschen mit Gehör begabte, ja der die Welt in seinem Gesang überhaupt erst erschuf. Seither ist ein 254 | ulrich fülleborn

›Sagenkreis‹ des Hörens, Verstehens und singenden Antwortens geschlossen. In-der-Welt-Sein heißt in dieser mythopoetischen Dichtung In-Orpheus-Sein. Das gilt für das dichterische Ich des Sonett-Zyklus, das als hörender und erhört werdender OrpheusAdept spricht, und für jeden, der mithörend in die Gedichte eingeht. Rilkes Sonette an Orpheus bedeuten eine geschichtlich späte und ganz besondere Auszeichnung des Hörens für den die Welt und das Dasein heiligenden Gesang. Sie sind eine moderne Antwort auf den ältesten Sänger der Griechen, denn die Antwort erfolgt in der neuzeitlichen Geistform des Sonetts. Und das Ganze fügt sich zum lyrischen Werk zusammen und schließt sich als vollendet nach außen ab. Als solches ist es da, ohne sich noch irgendwie fortzusetzen. Es bleibt danach in der spätesten Lyrik Rilkes auch nicht bei der herausgehobenen Rühmung des Hörens. Rilke hat immer alle Sinne in die Wahrnehmung der Welt und ihre poetischeVerwandlung einbezogen.26 So auch in der letzten Werkphase, worin dem Orpheus wie dem Engel der Elegien keine mythopoetische Aufgabe mehr zukommt. Was es jetzt an Neuem gibt, sind vor allem die französischen Gedichte. Daß die Gedichte in französischer Sprache nach Masse und Bedeutung den Kern von Rilkes spätestem Werk ausmachen, veranlaßt uns, noch einen genaueren Blick auf das zu richten, was in dieser Dichtung am Ende möglich wurde. Dafür seien die Quatrains Valaisans von 1924, die Walliser Gedichte in ihrer schlichten vierzeiligen Strophenform, gewählt (KA 5,78 – 109). In ihnen feiert Rilke seine Schweizer Wahlheimat. Wir wenden uns dem zweiten Text des Lyrikzyklus zu, den wir als eines von dessen Portalgedichten lesen wollen. Das Gedicht rühmt auf einer ersten Bedeutungsebene das Valais als erlebbare Landschaft und findet den Tenor, der die Quatrains Valaisans weithin bestimmt. Was aber dieses »Lied überm Land« eigentlich »heiligt und feiert« (Sonette an Orpheus I,19), bleibt ein ›offenbares Geheimnis‹. Es scheint, als werde dem Land seine Eigenart und Schönheit nur schlicht vorgesagt, aber in solchem Sprechen geschieht auch hier eine Verwandlung: »Pays, arrêté à michemin / entre la terre et les cieux […] // comme une offrande levée / vers d’accueillantes mains« – »Land, auf halbem Weg angehalten / zwischen der Erde und den Himmeln,[…] // gleich einer Opfergabe emporgehoben / hin zu empfangenden Händen« (V.1 – 6).27 Diese Bemerkungen zu Rilke und Heidegger | 255

reichen Bilder überschreiten, achtet man auf die Raum und Zeit betreffenden Aussagen, die Grenzen unserer Vorstellungskraft. Zwar wird das Land zwischen Erde und Himmel quasi eindeutig ›verortet‹, indes nicht in einem statischen Raum, sondern sprachlich erfaßt im Empordringen zu anderen Räumen, ›den Himmeln‹, und dabei ›auf halbem Weg angehalten‹. Doch dem statischen Angehaltensein widerspricht sofort die nächste poetische Evokation, wonach das Land in einer Opfergebärde emporgereicht und von oben ›empfangen‹ wird – eine Vorstellung, die an ägyptische Tempelreliefs erinnert, wie sie Rilke in Karnak gesehen hat. Darin setzt sich die Aufwärtsbewegung auf andere Weise fort und trifft im Empfangenwerden auf eine Gegenbewegung. Dennoch öffnen sich die dichterischen Bilder nicht auf eine Transzendenz im Sinne der überkommenen Metaphysik, vielmehr führen die Schlußverse den sprachlichen Prozeß ganz zurück auf den hiesigen, irdischen Bereich: »Land, schön und vollendet, / warm wie das Brot!« Die einander widersprechenden dichterischen Erfassungs- und Transformierungsakte sind offenbar in erster Linie paradoxe Versuche, etwas schlechterdings Unsagbares dennoch zu sagen. Probeweise läßt sich das vielleicht mit Hilfe Heideggers so denken: Das Gedicht deutet mit allen seinen poetischen Möglichkeiten darauf hin, daß es nicht die ›ancilla‹ der Metaphysik sein will, auch dann nicht, wenn es sich reichlich der Sprache der Metaphysik bedient. Dadurch wird eine in sich tief widersprüchliche Wirkung erzeugt. Einerseits ist viel, man möchte sagen, alles je Geglaubte und metaphysisch Vorgestellte, in der Sprache gegenwärtig: das Transzendieren, die Himmel, die Opferhandlung mit der Antwort von oben; soweit reicht sozusagen das sprachlich-poetische Paradigma des Gedichts. Anderseits bewirkt die Syntax, nämlich die alogische, paradoxe Fügungsart, daß dies alles nur in der Weise da ist, daß es sich zugleich dem Vorstellen entzieht, das heißt, es ist als das sprachlich Gegebene in einem sehr genauen Sinne ›anwesend‹ und ›abwesend‹ zugleich. Das Ganze aber, Paradigma und Syntax zusammengenommen, fügt sich nun noch sehr deutlich zu einer einzigen ›poetischen Figur‹, mit seiner Aufwärtsbewegung zu einem Gipfelpunkt und der Rückkehr zu sich selbst: »Land, […] warm wie das Brot«. Dem Gedicht Rilkes als Figur in etwa diesem Sinne hat schon Beda Allemann eine gewichtige Monographie gewidmet, und 256 | ulrich fülleborn

Winfried Eckel konnte mit genauen Untersuchungen noch besonders die ›Wendung‹ als das wesentliche Phänomen innerhalb der Rilkeschen Figur ins Blickfeld rücken.28 Und was hat es nun mit den bestimmten Wortbedeutungen, dem metaphysischen Paradigma, das in die Figur eingeht, auf sich, und zwar über das Abstrakt-Figürliche mit Aufstieg und Wendung hinaus, wie es sich übrigens in jedem Brunnen-, Baum- oder Ballwurf-Gedicht Rilkes zeigt? In den Sonetten an Orpheus liest man (I,12): »Heil dem Geist, der uns verbinden mag; / denn wir leben wahrhaft in Figuren«. Heißt das nicht, daß wir gerade auch durch das Was und das Wie der jedesmal geistig erzeugten Sinnfigur ›wahrhaft‹ zum Leben gebracht werden sollen? Sind also die Bilder und Vorstellungen, die wir metaphysisch genannt haben, als verbindlich zu nehmen? Das unmittelbar vorausgehende Sonett (I,11) gibt eine Antwort. Es fragt: »Sieh den Himmel. Heißt kein Sternbild ›Reiter‹?« Und es entwirft rein hypothetisch eine siderische Verbindung zwischen dem menschlichen Dasein und der »sehnige(n) Natur des Seins« eben in der Reiter-Pferd-Konstellation, um dann das Gedicht mit den gnomischen Sätzen zu schließen: »Auch die sternische Verbindung trügt. / Doch uns freue eine Weile nun / der Figur zu glauben. Das genügt.« Bedeutet das nur einen Bescheidenheitstopos oder die Unverbindlichkeit aller Inhalte? Gewiß weder das eine noch das andere. Denn, wie wir hörten, wird den Figuren als poetischen Sinngebilden ›Wahrhaftigkeit‹ zugesprochen. Wir befinden uns also fern von jedem Relativismus oder Nihilismus. Aber wie das, möchte man fragen. Die Antwort im Sinne Rilkes und Heideggers wäre wohl diese: Weil hier jedes Gedicht, das sich in Sprache realisiert, nicht als Zufallsprodukt eines beliebigen Autor-Ich gilt, sondern quasi als seinsgeschichtliches Ereignis, sowohl vom Dichter her wie, in der Intention, für den Leser. Als solches ist es ganz ernst zu nehmen, obgleich sich die dichterischen Ereignisse als Sinnfiguren bei gleichem Wahrheitsanspruch nach der herrschenden Logik des EntwederOder widersprechen. Das ›Glauben auf Zeit‹ aber gibt allen das gleiche Recht. Noch auf eine andere Weise läßt sich das Problem darstellen: In der Metaphysik, wie Heidegger sie gedacht hat, ist alles besitz- und verfügbar, wenngleich nur geistig und im Glauben, wie es auch im Nihilismus verlierbar wird. In der modernen Lyrik aber, wie der späte Rilke sie zu verwirklichen suchte, ist von vornBemerkungen zu Rilke und Heidegger | 257

herein nichts zu ›haben‹, da der Entzug ins Unsichtbare und Abwesende immer mitgedichtet wird. Und darauf läßt sich sogar ›freudig‹ mit einem ›Glauben auf Zeit‹ antworten.

4. Dichten und Denken an den Grenzen der Sprache Von allen Lesern Rilkes scheint mir sein kongenialer Generationsgenosse Robert Musil die klügsten Gedanken zum Wesen der Rilkeschen Lyrik, wie es sich auch zuletzt in den französischen Gedichten zeigte, geäußert zu haben: »die Bewegtheit des Sinnes im Rilkeschen Vers […] entfaltet sich nicht gedeckten Rückens, an die Mauern irgendeiner Ideologie, Humanität, Weltmeinung gelehnt; sondern entsteht, von keiner Seite festgehalten oder gestützt, als ein der geistigen Bewegung frei und schwebend Überlassenes.«29 Was heißt das? Sicher scheint mir, daß Rilke in seiner Grundhaltung verstanden ist. Vorstellbar auch, daß Heidegger dem Urteil in seiner Tendenz hätte zustimmen können. Es gibt nämlich ein Zeugnis aus seiner Schrift Vom Wesen der Wahrheit, wonach das Denken, auch Heideggers eigenes Denken, in seiner höchsten Form sich nicht anders zu verhalten hätte als das Dichten Rilkes in seinen freiesten Möglichkeiten, die ihm hier attestiert wurden. Gesagt wird das von Heidegger indirekt mit einem Kant-Wort aus der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten: »Hier sehen wir nun die Philosophie in der Tat auf einen mißlichen Standpunkt gestellt, der fest sein soll, unerachtet er weder im Himmel noch auf der Erde an etwas gehängt oder woran [er] gestützt wird. Hier soll sie [die Philosophie] ihre Lauterkeit beweisen als Selbsthalterin ihrer Gesetze, nicht als Herold derjenigen, welche ihr ein eingepflanzter Sinn oder wer weiß welche vormundschaftliche Natur einflüstert […].«30 Die beiden erstaunlichen Zitate deuten unübersehbar darauf hin, daß Dichten wie Denken, sobald sie sich neuen Erfahrungen stellen, ohne jeden Rückhalt an die Grenzen der überlieferten Sprache gelangen und sich dort halten müssen. 258 | ulrich fülleborn

Bei Heidegger zeigt sich dieses Sprachproblem in der Textgeschichte seiner berühmtesten Veröffentlichungen, zum Beispiel in dem soeben herangezogenen Vortrag Vom Wesen der Wahrheit. Er wurde seit 1930 wiederholt gehalten, erfuhr seine 1. Auflage 1943 mit einer gewichtigen ›Anmerkung‹, in die 1949 ein neuer erster Absatz eingefügt wurde. Auf solche Weise präsentieren sich mehrere Sprachstufen, deren frühe in immer noch scheinbar metaphysischer Sprache der ›Wahrheit‹ auf der Spur sind. Unterschwellig ändert sich daran immer wieder einiges. Aber erst zuletzt kann der Autor sagen, daß Wortlaut und Gemeintes von Anfang an nicht übereinstimmten und das Denken erst in einer deutlichen ›Kehre‹ sprachlich zu sich selbst zu kommen vermag. Markiert ist diese ›Kehre‹ hier in dem nunmehr eingeführten Wort ›Seyn‹ für das in der Metaphysik nie Gedachte und auch jetzt für Heidegger noch nicht Sagbare. Am Ende einer längeren Entwicklung des Textes tritt also erst die eigentliche ›Sache‹, um die es Heidegger geht, hervor, und sie liegt jenseits des Sagbaren, als eine neue Sprachtranszendenz. Paradoxerweise kann oder will der Denker an dieser Grenze nicht etwa auf das Denken und damit auf den Gebrauch der Sprache verzichten, sondern er bearbeitet sie auf die verschiedenste Weise, und oft gewaltsam, um ihr eine neue Dimension zu erschließen. Die Mittel, etwa die Einführung kühner Sprachbilder oder Etymologien, ähneln den in der Dichtung gebrauchten, aber folgt die Sprache hier wirklich den Intentionen des Denkers, oder verweigert sie vor einem letztlich nicht Sagbaren den Dienst? Auch für die moderne Poesie, exemplarisch bei Rilke, gibt es Unsagbares, das sprachlich unverfügbar ist. Doch kann es hier in Bildern, Gleichnissen und ähnlichem immer neu und anders angedeutet und umspielt werden. Diese zeichenhafte, nicht in Begrifflichkeit übersetzbare Sprache, die sehr reich wirkt, weil alle Sinne, das Auge, das Gehör, der Tast- und der Geschmackssinn bewußt einbezogen sind und ihr quasi zuarbeiten, wie ja auch die überlieferte Metaphysik immer wieder poetische Sinnfiguren auf Zeit ermöglicht – diese Sprache steht der früheren Mythen- und Symbolschöpfung sehr fern. Das unterscheidet sie auch von Hölderlins später Dichtung, die der Wiederkehr der Götter in elegisch-hymnischen Gesängen vorauszugehen hoffte, vor allem nach der Deutung Heideggers. Das heißt nun aber nicht, daß wir von Rilkes später Lyrik im engen Kreis Bemerkungen zu Rilke und Heidegger | 259

unserer herkömmlichen Erfahrbarkeiten festgehalten werden. Im Gegenteil, im Bereich der Dichtung des ›ist‹, also von James Joyce, Marcel Proust über Virginia Woolf bis hin zu Rilke, findet sich eine große Reihe von in dichterischer Sprache realisierten Ereignissen, die dem ›seinsgeschichtlichen‹ Wahrheitsgeschehen, dem Heidegger auf der Spur ist, nahekommen und entsprechend beschrieben werden können, und zwar als plötzlicher »Einblitz von Welt«,31 wobei absence sich in présence zu wandeln vermag. Wie die ersten poetischen Verwirklichungen James Joyce zu verdanken sind, so stammt auch die Bezeichnung für das Phänomen von ihm: Sie lautet ›Epiphanie‹;32 höher konnte die Sprache nicht in die Sphäre des Religiösen ausgreifen, obgleich eine Grenzüberschreitung der Poesie nicht beabsichtigt ist. Nach Bedeutung und Umfang handelt es sich um ein eigenes Thema, an dem sich die Forschung gegenwärtig ernsthaft versucht.33 Hier scheint das Äußerste erreicht, was der modernen ›ist‹-Dichtung möglich war. Alle Gegenständlichkeit, jede Gefahr der Verdinglichung ist ferngehalten. Und es haben sich der Dichtung Wege ins Zukünftige, in eine neue Offenheit gezeigt, die Heidegger wie Rilke gesucht und erkundet haben, aber auf unterschiedliche Weise. Vielleicht sind wir ausreichend vorbereitet, um zum Schluß diesen Unterschied, der die Grenze zwischen Dichten und Denken betrifft, in eine Formel zu fassen: Je mehr man versucht, dem Denken Heideggers nachzudenken, das heißt, seiner Denkbewegung zu folgen – es ist häufig dieselbe und nie die gleiche34 –, desto mehr wird einem bewußt, daß hier immer wieder und mit größtem Ernst etwas gedacht wird und gedacht werden soll, was sich im Grunde nicht denken läßt und das doch gebieterisch zum Denken herausfordert. Heidegger hat, so scheint es, sein Dasein an eine Sache gegeben, die bei Kafka eine ›unmögliche Möglichkeit‹ hieße. Darf man es ein gelebtes Paradoxon religiösen Denkens nennen, das nur ein Gott, wenn er denn erschiene, auflösen und rechtfertigen könnte? So läge wohl ein besonders radikaler Versuch des Denkens an einer bewußt erfahrenen Grenze vor – einer Grenze, an der sich die Sprache aber von sich aus dem Denken zu verweigern scheint. Und Rilke? Je öfter man der sprachlichen Bewegung seiner späten Gedichte zu folgen versucht – auch hier geht es zunehmend um dasselbe bei lebhaftestem Wechsel im einzelnen –, desto deutlicher erfährt man, daß darin etwas 260 | ulrich fülleborn

gedacht und gesagt, auch gemacht ist (im Sinne des ποειν) und sich immer wieder dichterisch ereignet, was im Grunde als nicht weniger ›unmöglich‹ erscheint – : ebenfalls ein religiöses Paradox, doch eines des Dichtens, von dem man glauben möchte, daß es ›ist‹, ohne daß es noch von einem Gott her aufgelöst werden müßte. Auch dies als Ganzes ein Wagnis an einer äußersten Grenze menschlicher Erfahrungen, das aber von der Sprache der Dichtung offensichtlich getragen wird. – Damit ist nur gesagt, was der späte Heidegger nie bezweifelt hätte: daß an den Grenzen der Sprache die Dichtung dem Denken überlegen ist. Ja es scheint, als wenn Gedichte mit ihren sprachlichen Verwirklichungen, wie wir sie zum Beispiel Hölderlin und Rilke verdanken, dem Denken die Chance einräumen, sich verändern zu lassen. Die Freiheit und Genauigkeit, mit der die Dichtung sich in unverfügbaren geistigen Sinn- und Seinsbezügen bewegt, kann auch dem Denken, das den Dialog mit der Dichtung sucht, zu neuen Möglichkeiten verhelfen. Heidegger war mit seinen Schriften zur Kunst und zu Hölderlin theoretisch und praktisch eben darum bemüht. Der Tenor seiner Bemühungen hätte sich womöglich am Ende noch einmal ändern können, wäre die moderne Dichtung des 20. Jahrhunderts ihm noch stärker ins Blickfeld gekommen und hätte er den Dialog mit Rainer Maria Rilke weitergeführt.

Anmerkungen

Aus der einschlägigen Forschung nenne ich: Eckhard Heftrich: Die Philosophie und Rilke, wegen der genauen kritischen Sichtung der frühen RilkeRezeption (Otto Friedrich Bollnow, Else Buddeberg usw.), sowie die philologisch gründliche Arbeit von Joachim W. Storck: Rilke und Heidegger. Über eine »Zwiesprache« von Dichten und Denken, und den philosophisch strengen Versuch von Beda Allemann: Denken, Dichten: Literaturtheoretisch. 2 Walter Jens: Statt einer Literaturgeschichte. 3 Ich bevorzuge für die beiden von Jens übernommenen Kennzeichnungen im weiteren die Kleinschreibung, um darauf hinzudeuten, daß das ontologische Problem hier immer zugleich auch ein Sprach- und Schreibproblem ist. 4 Siehe u. a. Emil Staiger: Zu einem Vers von Mörike. Ein Briefwechsel mit Martin Heidegger. 5 Italienische Reise (HA 11,93). 6 Tagebücher 1914 – 1916, 181; Tagebucheintragung 20. 10. 1916. 1

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Nachwort zu: Was ist Metaphysik? (1943); vgl. GA 9,307. Ludwig Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus 6.44. 9 Hermann Kunisch: Rainer Maria Rilke und die Dinge, 6. 10 Wie die von Otto H. Olzien: Rainer Maria Rilke. Wirklichkeit und Sprache; und zuletzt Roland Ruffi ni: Rilkes Seins- und Kunst-Begriff im Spiegel seiner dichterischen Welt. 11 Diese These habe ich ausführlicher zu begründen versucht in dem Aufsatz Österreichische Literatur und Klassische Moderne. 12 Einen wesentlichen Beitrag hierzu bietet Bernd Auerochs: Literatur und Religion. 13 Albrecht Schöne: Säkularisation als sprachbildende Kraft. Studien zur Dichtung deutscher Pfarrersöhne. 14 Dieter Henrich: Grundlegung aus dem Ich. Untersuchungen zur Vorgeschichte des Idealismus. 15 Brief an Erica Yvette Hauptmann-von Scheel, 18. 8. 1915. In: Rainer Maria Rilke: Briefe zur Politik, 134. 16 An Ilse Jahr. In: Rainer Maria Rilke: Briefe, bes. 819 f. 17 Der Ursprung des Kunstwerkes (GA 5,64); weiterhin GA 67,25.86. 92.93.97; außerdem 247 und öfter. 18 Ulrich Fülleborn: Besitzen als besäße man nicht. Besitzdenken und seine Alternativen in der Literatur. 19 Perlen entrollen ( KA 2,39). 20 Vgl. Ulrich Fülleborn: Rilke – ein Dichter der Zukunft. 21 Vgl. Der Begriff der Zeit; GA 64,118. 22 Vgl. z. B. Das Ding (GA 7), 172. 23 Natalie Knapp: Herz-Raum-Geschehen im Augenblick. Erfahrungen mit dem Wesen des Menschen in der Begegnung von Dichten und Denken (Heidegger – Derrida – Rilke). 24 Praktisch kann das dann so aussehen: In kurzfristiger Verblendung hat Rilke den Ersten Weltkrieg mit Fünf [Kriegs-] Gesängen (KA 2,106 – 111) in Hölderlins Hymnenstil begrüßt, ist er vorübergehend Parteigänger der Münchner Räterepublik gewesen und glaubte später auch einmal, Mussolini zustimmen zu müssen. Ich erwähne dies, um von hier aus mit aller Vorsicht einen Gedanken auf Heideggers politischen ›Sündenfall‹ zu richten. Wer seine Sache so entschieden auf die Zukunft gestellt hatte wie Rilke und Heidegger, war im 20. Jahrhundert ein ungeduldiger revolutionärer Kopf und verführbar durch die Vorstellung gewaltsamer Umwälzungen. Ohne näher auf die Frage persönlicher Schuld in diesem Zusammenhang und nachträglicher Korrekturmöglichkeiten einzugehen, füge ich nur an, daß Rilke schon im letzten seiner Gesänge dem neuen »schrecklichen Gott« (V.1) nicht mehr folgte, sondern gegen ihn die »Fahne des Schmerzes. Das schwere/ schlagende Schmerztuch« aufbot (V.12 f.). Damit war für ihn als Dichter sehr schnell eine Korrektur vollzogen und der ›Fall‹ sozusagen an die Mit- und Nachwelt zur Beurtei7 8

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lung übergeben. Und die beiden späteren Fälle blieben bei ihm ohne besondere Nachwirkung. Daß Heidegger auf sein Verhalten von 1933 (vereinfachendes Stichwort: die Rektoratsrede) nachträglich, vor allem nach 1945, nicht mit einem ›mea culpa‹ geantwortet hat, muß man wohl dahingehend interpretieren, daß er sein ›seinsgeschichtliches‹ Denken nicht widerrufen konnte; er hatte eine revolutionäre Stunde mitzuvollziehen versucht und mußte, auch nach ihren ungeheuren negativen Folgen, sein Denken, das nie NS-ideologisch war, mit neuen, um so größeren Anstrengungen weiterführen, nun mit dem Ereignis der Usurpation der Technik konfrontiert. 25 Vgl. Manfred Riedel: Hören auf die Sprache. Die akroamatische Dimension der Hermeneutik. Ders.: Pathos des Hörens. Orphischer Gesang bei Nietzsche und Rilke. 26 Silke Pasewalck: »Die fünffingrige Hand«. Die Bedeutung der sinnlichen Wahrnehmung beim späten Rilke. Die Ergebnisse belegen die enorme Wirkung der in Husserls Phänomenologie vollzogenen Wendung ›zu den Sachen‹. 27 Die Übersetzung nach der Ausgabe Rainer Maria Rilke: Les Quatrains Valaisans. Die Walliser Gedichte, 12 f. 28 Beda Allemann: Zeit und Figur beim späten Rilke. Ein Beitrag zur Poetik des modernen Gedichtes. Winfried Eckel: Wendung. Zum Prozeß der poetischen Reflexion im Werk Rilkes. 29 Robert Musil: Rede zur Rilke-Feier in Berlin am 16. Januar 1927, 896. 30 GMS BA 60 = AA 425; zitiert von Martin Heidegger: Vom Wesen der Wahrheit (GA 9), 199. 31 Vgl. Die Kehre 43 f.; GA 11,121. 32 Joyce schrieb 1900 bis 1903 kleine Prosadichtungen, die er ›Epiphanien‹ nannte und zum Teil in seine späteren Werke aufnahm. Für die Beschreibung der Epiphanie bezieht Joyce die Begriffe ›integritas‹, ›consonantia‹ und ›claritas‹ von Thomas von Aquin; vgl. Ulrich Schneider: James Joyce: ›Dubliners‹, 49 f. 33 Manfred Engel: Rainer Maria Rilkes ›Duineser Elegien‹ und die moderne deutsche Lyrik, 45 – 59, bes. 58 f. Im Entstehen begriffen ist eine Monographie von Birgit Neuhold über die Elemente der europäischen Epiphanie. Vgl. auch Wolfgang G. Müller: ›Verwandlung als Epiphanie‹ [in den Neuen Gedichten], 304 f. 34 Vgl. » … dichterisch wohnet der Mensch …« (GA 7), 187.

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Siglen und Hinweise zur Zitation

Siglen zu Schriften Heideggers AuN EHD EiM GA KBDS NB NWGit OVM PGZ PLW PuT SD SuZ UzS WD WhD

Augustinus und der Neuplatonismus (GA 60) Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung (GA 4) Einführung in die Metaphysik (GA 40) Martin Heidegger Gesamtausgabe Die Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus (GA 1, 189 – 411) Natorp-Bericht (= Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles; GA 62,339 – 399) Nietzsches Wort ›Gott ist tot‹ (GA 5, 209 – 267) Die onto-theo-logische Verfassung der Metaphysik (GA 11,51 – 79) Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs (GA 20) Platons Lehre von der Wahrheit (GA 9,203–238) Phänomenologie und Theologie (GA 9,45–78) Zur Sache des Denkens Sein und Zeit (GA 2) Unterwegs zur Sprache (GA 12) Wozu Dichter? (GA 5,269 – 320) Was heißt Denken? (GA 8)

Weitere Siglen AA AL BA CAG conf. DH GMS HA HJB 1 KA KpV KrV KSA KT LXX

Kant: Gesammelte Schriften. Akademieausgabe Augustinus-Lexikon Kierkegaard: Der Begriff Angst Corpus Augustinianum Gissense Augustinus: Confessiones Denzinger-Hünermann Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Goethes Werke. Hamburger Ausgabe Denker; Gander; Zaborowski (Hg.): Heidegger-Jahrbuch 1 Rilke: Werke. Kommentierte Ausgabe Kant: Kritik der praktischen Vernunft Kant: Kritik der reinen Vernunft Nietzsche: Kritische Studienausgabe Kierkegaard: Die Krankheit zum Tode Septuaginta (Vetus Testamentum Graecum. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht)

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Prol RGV SW V WA WL WmF

Kant: Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik Kant: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft Sämmtliche Werke von Schelling Vulgata (Nova Vulgata Bibliorum Sacrorum Editio. Libreria Editrice Vaticana) Luther: Weimarer Ausgabe Nietzsche: Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinn (KSA 1, 873 – 890) Schelling: Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit

Hinweise zur Zitation: Heideggers Schriften und Nachlaß werden grundsätzlich – soweit bereits erschienen – nach GA zitiert (Frankfurt/M.: Klostermann). Wo Stellen von Schriften aus der Abteilung I von GA (1 – 16: Veröffentlichte Schriften 1910 – 1976) nur mit Werktitel oder Sigle und Seitenzahl ohne Nennung des Bandes von GA oder mit nachgeschobener Erwähnung dieses Bandes belegt werden, wird der Wortlaut zwar nach GA zitiert, aber die Stelle nur laut Originalpaginierung belegt, wie sie in GA enthalten ist. Wo GA mit Bandzahl genannt ist, wird auch bei den veröffentlichten Schriften nach der GA-Paginierung zitiert (vor allem dort, wo die Originalpaginierung veröffentlichter Schriften aus unterschiedlichen Gründen in GA nicht aufgenommen worden ist; z. B. GA 8). GA enthält im übrigen am Ende der Bände in Anmerkungen, in Nachweisen und dem Nachwort der Herausgeber Hinweise zu früheren Veröffentlichungsorten und weitere wichtige Angaben.

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Literaturverzeichnis

I. Zitierte Ausgaben von Werken, Schriften und Briefen Martin Heideggers

1. Zitierte Bände der I. Abteilung der Martin Heidegger-Gesamtausgabe (Veröffentlichte Schriften 1910 – 1976) GA 1 GA 2 GA 4 GA 5 GA 6.1/6.2 GA 7 GA 8 GA 9 GA 10 GA 11 GA 12 GA 13 GA 16

Frühe Schriften (1912 – 16). Gegenüber der Erstausgabe (1972) um sieben Arbeiten erweitert. Hg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann, 1978. Sein und Zeit (1927). Hg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann, 1977. Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung (1936 – 1968). Hg. von FriedrichWilhelm von Herrmann, 1981. Holzwege (1936 – 1946). Hg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann, 1977. Nietzsche (1936 – 1939; 1939 – 1946). Hg. von Brigitte Schillbach, 1996. Vorträge und Aufsätze (1936 – 1953). Hg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann, 2000. Was heißt Denken? (1951 – 1952). Hg. von Paola-Ludovika Coriando, 2002. Wegmarken (1919 – 1961). Hg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann, 1976. Der Satz vom Grund (1955 – 1956). Hg. von Petra Jaeger, 1997. Identität und Differenz (1955 – 1963). Hg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann, 2006. Unterwegs zur Sprache (1950 – 1959). Hg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann, 1985. Aus der Erfahrung des Denkens (1910 – 1976). Hg. von Hermann Heidegger, 1983. Reden und andere Zeugnisse eines Lebensweges (1910 – 1976). Hg. von Hermann Heidegger, 2000.

2. Zitierte Bände der II. Abteilung der Martin Heidegger-Gesamtausgabe (Vorlesungen 1919 – 1944) GA 20 GA 22 GA 23 GA 24

Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs (Sommersemester 1925). Hg. von Petra Jaeger (1979), 31994. Die Grundbegriffe der antiken Philosophie (Sommersemester 1926). Hg. von Franz-Karl Blust (1993), 22004. Geschichte der Philosophie von Thomas von Aquin bis Kant (Wintersemester 1926/27). Hg. von Helmuth Vetter, 2006. Die Grundprobleme der Phänomenologie (Sommersemester 1927). Hg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann (1975), 31997.

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GA 26

Metaphysische Anfangsgründe der Logik im Ausgang von Leibniz (Sommersemester 1928). Hg. von Klaus Held (1978), 21990. GA 27 Einleitung in die Philosophie (Wintersemester 1928/29). Hg. von Otto Saame und Ina Saame-Speidel (1996), 22001. GA 29/30 Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit (Wintersemester 1929/30). Hg. von Friedrich-W. von Herrmann (1983), 32004. GA 32 Hegels Phänomenologie des Geistes (Wintersemester 1930/31). Hg. von Ingtraud Görland (1980), 31997. GA 39 Hölderlins Hymnen »Germanien« und »Der Rhein« (Wintersemester 1934/ 35). Hg. von Susanne Ziegler (1980), 31999. GA 40 Einführung in die Metaphysik (Sommersemester 1935). Hg. von Petra Jaeger, 1984. GA 42 Schelling: Vom Wesen der menschlichen Freiheit (1809) (Sommersemester 1936). Hg. von Ingrid Schüßler, 1988. GA 49 Die Metaphysik des deutschen Idealismus. Zur erneuten Auslegung von Schelling: Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände (1809) (I. Trimester 1941; Sommersemester 1941). Hg. von Günter Seubold (1991), 22006. GA 51 Grundbegriffe (Sommersemester 1941). Hg. von Petra Jaeger (1981), 21991. GA 53 Hölderlins Hymne »Der Ister« (Sommersemester 1942). Hg. von Walter Biemel (1984), 21993. GA 55 Heraklit. 1. Der Anfang des abendländischen Denkens (Sommersemester 1943). 2. Logik. Heraklits Lehre vom Logos (Sommersemester 1944). Hg. von Manfred S. Frings (1979), 31994. GA 56/57 Zur Bestimmung der Philosophie. 1. Die Idee der Philosophie und das Weltanschauungsproblem (Kriegsnotsemester 1919). 2. Phänomenologische und transzendentale Wertphilosophie (Sommersemester 1919). 3. Anhang: Über das Wesen der Universität und des akademischen Studiums (Sommersemester 1919). Hg. von Bernd Heimbüchel (1987), 21999. GA 58 Grundprobleme der Phänomenologie. (Wintersemester 1919/20). Hg. von Hans-Helmuth Gander, 1992. GA 59 Phänomenologie der Anschauung und des Ausdrucks. Theorie der phi-losophischen Begriffsbildung (Sommersemester 1920). Hg. von Claudius Strube, 1993. GA 60 Phänomenologie des religiösen Lebens. 1. Einleitung in die Phänomenologie der Religion (Wintersemester 1920/21). Hg. von Matthias Jung und Thomas Reghely, 1995. 2. Augustinus und der Neuplatonismus (Sommersemester 1921). 3. Die philosophischen Grundlagen der mittelalterlichen Mystik (Ausarbeitung und Einleitung zu einer nicht gehaltenen Vorlesung 1918/19. Hg. von Claudius Strube. GA 61 Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles. Einführung in die phänomenologische Forschung (Wintersemester 1921/22). Hg. von Walter Bröcker und Käte Bröcker-Oltmanns (1985), 21994. GA 62 Phänomenologische Interpretationen ausgewählter Abhandlungen des Aristoteles zur Ontologie und Logik (Sommersemester 1922). Hg. von Günther Neumann, 2005. GA 63 Ontologie. Hermeneutik der Faktizität (Sommersemester 1923). Hg. von Käte Bröcker-Oltmanns (1988), 21995.

268 | Literaturverzeichnis

3. Zitierte Bände der III. Abteilung der Martin Heidegger-Gesamtausgabe (Unveröffentlichte Abhandlungen. Vorträge – Gedachtes) GA 64 GA 65 GA 66 GA 67

GA 68

GA 70

Der Begriff der Zeit (1924). Hg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann, 2004. Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis) (1936 – 1938). Hg. von FriedrichWilhelm von Herrmann (1989), 2003. Besinnung (1938/39). Hg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann, 1997. Metaphysik und Nihilismus. 1. Die Überwindung der Metaphysik (1938/39). 2. Das Wesen des Nihilismus (1946 – 1948). Hg. von Hans-Joachim Friedrich, 1999. Hegel. 1. Die Negativität (1938/39). 2. Erläuterung der »Einleitung« zu Hegels »Phänomenologie des Geistes« (1942). Hg. von Ingrid Schüßler, 1993. Über den Anfang (1941). Hg. von Paola-Ludovika Coriando, 2005.

4. Zitierte Schriften Heideggers, die noch nicht in der Gesamtausgabe vorliegen Zur Sache des Denkens (1969). Tübingen: Niemeyer 42000 (vorgesehen für GA 14). Darin: Zeit und Sein (1962), 1 – 60. Weiterhin: Mein Weg in die Phänomenologie (1963), 81 – 90. Des hl. Augustinus Betrachtung über die Zeit. Confessiones lib. XI (Kopie des Typoskripts der Vorlesung vom 26. x. 1930; aufbewahrt in der ›Bibliotheca Beuronensis‹).

5. Zitierte Briefsammlungen Martin Heidegger; Heinrich Rickert: Briefe 1912–1933 und andere Dokumente. Hg. von Alfred Denker. Frankfurt/M.: Klostermann 2002. Martin Heidegger; Karl Jaspers: Briefwechsel 1920 – 1963. Hg. von Walter Biemel und Hans Saner. Frankfurt/M.: Klostermann 1990. Martin Heidegger; Elisabeth Blochmann: Briefwechsel 1918 – 1969 (1989). Hg. von Joachim W. Storck. Marbach am Neckar: Deutsche Schillergesellschaft 21990. Hannah Arendt; Martin Heidegger: Briefe 1925 – 1975 und andere Zeugnisse. Aus den Nachlässen hg. von Ursula Ludz (1998). Frankfurt/M.: Klostermann 32002. Martin Heidegger: Briefe an Max Müller und andere Dokumente. Hg. von Holger Zaborowski und Anton Bösl. Freiburg/München: Alber 2003. »Mein liebes Seelchen!« Briefe Martin Heideggers an seine Frau Elfride. Hg. und kommentiert von Gertrud Heidegger. München: DVA 2005.

Literaturverzeichnis | 269

II. Zitierte Grundlagenwerke ausdrücklich behandelter Autoren

1. Augustinus Sancti Augustini Hipponensis Episcopi Opera Omnia. Post Lovanensium Theologorum Recensionem. Opera et studio Monachorum ordinis Sancti Benedicti e Congregatione S. Mauri. Editio novissima, ed. J.-P. Migne; Bände 32 – 47 von: Patrologiae cursus completus. Series latina. Paris 1841 – 1849 (= MPL). Corpus Augustinianum Gissense. A Cornelio Mayer editum. Die elektronische Edition der Werke des Augustinus von Hippo: – Lemmatisierte Texte, – Zitatauszeichnung, – Literaturdatenbank. Basel: Schwabe 2004 (=CAG 2). Augustinus: Confessiones / Bekenntnisse (1955; lat. – dt.). Übersetzt, eingeleitet und erläutert von Joseph Bernhart. München: Kösel, 41980 (seit 1987 auch Frankfurt/M.: Insel 41994). Aurelius Augustinus: Confessiones / Bekenntnisse. Lat. – dt. Übersetzt von Wilhelm Th imme. Mit einer Einführung von Norbert Fischer. Düsseldorf/Zürich: Artemis & Winkler 2004. Ausgaben einzelner Bücher der Confessiones: Kurt Flasch: Was ist Zeit? Augustinus von Hippo. Das XI. Buch der Confessiones. Historisch-philosophische Studie. Text – Übersetzung – Kommentar. Frankfurt/M.: Klostermann 1993. Was ist Zeit? Confessiones XI/Bekenntnisse 11 (PhB 534). Lat. – dt. Eingeleitet, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Norbert Fischer. Hamburg: Meiner 2000. Suche nach dem wahren Leben. Confessiones X/Bekenntnisse 10 (PhB 584). Lat. – dt. Eingeleitet, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Norbert Fischer. Hamburg: Meiner 2006. 2. Meister Eckhart Die deutschen Werke. Band 5: Meister Eckharts Traktate. Hg. und übersetzt von Joseph Quint. Stuttgart: Kohlhammer 1963. Deutsche Predigten und Traktate. Hg. und übersetzt von Josef Quint (1963). München: Hanser 31969. Prologus generalis in opus tripartitum. In: L’œuvre latine de Maître Eckhart I. Hg. von A. de Libera; E. Weber; E. zum Brunn. Paris: Cerf 1984. Expositio sancti Evangelii secundum Iohannem. In: A. de Libera; E. Weber; E. zum Brunn (Hg.): L’œuvre latine de Maître Eckhart VI. Paris: Cerf 1989. Werke I. Hg. von Niklaus Largier. Frankfurt/M.: Deutscher Klassiker Verlag, 1993. 3. Martin Luther Studienausgabe. Hg. von Hans-Ulrich Delius. Berlin: Evang. Verlagsanstalt 1979, Band 1. De servo arbitrio. In: Werke. Kritische Gesamtausgabe = Weimarer Ausgabe. 18. Band. Weimar: Böhlau 1908, 600 – 787. 4. Blaise Pascal Œuvres complètes. Éd. Louis Lafuma. Paris: Éditions du Seuil 1963. Œuvres complètes. Éd. Michel Le Guern. Bd. 2. Paris: Gallimard 2000 (Bibliothèque de la Pléiade 62).

270 | Literaturverzeichnis

Pensées. Éd. Philippe Sellier. Paris: Bordas 1991. Pensées et Opuscules. ›Kleine Ausgabe‹ von Léon Brunschvicg. Paris: Hachette 61912. Gedanken. Übers. von Ulrich Kunzmann. Stuttgart: Reclam 2004. Briefe in die Provinz. Übersetzt von Karl-August Ott. Heidelberg: Lambert Schneider 1990. Kleine Schriften zur Religion und Philosophie (PhB 575). Übersetzt von Ulrich Kunzmann. Mit einer Einleitung und Anmerkungen. Hg. von Albert Raffelt. Hamburg: Meiner 2005. Betrachtungen über die Geometrie im allgemeinen. In: Kleine Schriften zur Religion und Philosophie, 69 – 108. 5. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände (1809). In: Friedrich Wilhelm Joseph von Schellings sämmtliche Werke. Stuttgart; Augsburg: Cotta 1861. 1. Abtlg. 7. Band: 1805 – 1810, 331 – 416. Auch in: Ausgewählte Werke. Schriften von 1806 – 1813. Darmstadt: WBG 1976, 275 – 360 (mit Originalpaginierung). Briefwechsel mit Eschenmayer bezüglich der Abhandlung Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit etc. In: Friedrich Wilhelm Joseph von Schellings sämmtliche Werke. Stuttgart; Augsburg: Cotta 1861. 1. Abtlg. 8. Band: 1811 – 1815, 145 – 189. Auch in: Ausgewählte Werke. Schriften von 1806 – 1813. Darmstadt: WBG 1976, 657 – 701. 6. Søren Kierkegaard Entweder-Oder (1843). Hg. und übersetzt von Emanuel Hirsch. Düsseldorf: Diederichs 1964. Der Begriff Angst (1844). Hg. und übersetzt von Emanuel Hirsch. Düsseldorf: Diederichs 1952. Philosophische Brocken (1844). De omnibus dubitandum est. Hg. und übersetzt von Emanuel Hirsch. Düsseldorf: Diederichs 1952. Die Krankheit zum Tode (1849). Hg. und übersetzt von Emanuel Hirsch. Düsseldorf: Diederichs 1954. 7. Rainer Maria Rilke Werke. Kommentierte Ausgabe in vier Bänden. Frankfurt/M.; Leipzig: Insel 1996 (KA 1 – 4). Supplementband. Gedichte in französischer Sprache. 2003 (KA 5). Briefe. Besorgt durch Karl Altheim. Wiesbaden: Insel 1950. Briefe zur Politik. Hg. von Joachim W. Storck. Frankfurt/M.; Leipzig: Insel: 1992. Les Quatrains Valaisans. Die Walliser Gedichte. Zweisprachige Ausgabe. Übertragen von Yvonne Goetzfried. Nachwort von Ulrich Fülleborn. Cadolzburg: Ars-VivendiVerlag 2002.

Literaturverzeichnis | 271

III. Weiterhin zitierte Literatur

Aall, Anathon: Der Logos: Geschichte seiner Entwickelung in der griechischen Philosophie und der christlichen Litteratur (2 Bd.). Leipzig: Reisland 1886 – 1899. Allemann, Beda: Zeit und Figur beim späten Rilke. Ein Beitrag zur Poetik des modernen Gedichtes. Pfullingen: Neske 1961. - : Denken, Dichten: Literaturtheoretisch. In: Kunst und Technik. Gedächtnisschrift zum 100. Geburtstag von Martin Heidegger. Hg. von Walter Biemel und Fr.-W. von Herrmann. Frankfurt/M.: Klostermann 1989, 377 – 402. Angelus Silesius (Johannes Scheffler): Cherubinischer Wandersmann. Kritische Ausgabe. Hg. von Louise Gnädinger. Stuttgart: Reclam 1984. Aristoteles: Metaphysik. Übersetzt von Herbert Bonitz, neu bearbeitet, mit Einleitung und Kommentar. Hg. von Horst Seidl. Griech. – dt. 2 Bände, Hamburg: Meiner 1978/ 1979. Auerochs, Bernd: Literatur und Religion. I. Kulturgeschichtlicher Überblick, II. Gegenwärtige Diskussion. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. Band 5. Tübingen: Mohr Siebeck 42002, 391 – 403. Baldensperger, Wilhelm: Der Prolog des vierten Evangeliums. Sein polemisch-apologetischer Zweck. Freiburg i. Br.: Mohr 1898. Béatrice de Nazareth: Sept degrés d’amour. In: Hadewijch d’Anvers: Lettres spirituelles; Béatrice de Nazareth: Sept degrés d’amour. Introduction, trad. et annexes de Fr. J.-B. M. Porion. Genève: Martingay 1972, 229 – 249. Beierwaltes, Werner: Plotin. Über Ewigkeit und Zeit (1967). Frankfurt/M.: Klostermann 31995. Bendel-Maidl, Lydia: Tradition und Innovation. Zur Dialektik von historischer und systematischer Perspektive in der Theologie. Am Beispiel von Transformationen in der Rezeption des Thomas von Aquin im 20. Jahrhundert. Münster: Lit 2004. Berlinger, Rudolph: Augustins dialogische Metaphysik. Frankfurt am Main: Klostermann 1962. Bert, Georg: Das Evangelium des Johannes. Gütersloh: Bertelsmann 1922. Beutel, Albrecht (Hg.): Luther Handbuch. Tübingen: Mohr 2005. Birault, Henri: Philosophie et théologie. Heidegger et Pascal. In: Martin Heidegger. Hg. von Michael Haas. L’Herne. Paris 1983, 389 – 402. Jetzt überarbeitete Fassung in: Henri Birault: De l’être, du divin et des dieux. Paris: Cerf 2005, 88 – 113. Biser, Eugen: Paulus. Zeugnis – Begegnung – Wirkung. Darmstadt: WBG 2003. Blondel, Maurice: L’Action (1893). In: Œuvres complètes. Bd 1. Paris: PUF 1995, 15 – 530. Böhme, Jakob: Von der Menschwerdung Jesu Christi (1620). Frankfurt/M.: Insel 1995. Bornkamm, Heinrich: Luther im Spiegel der deutschen Geistesgeschichte: mit ausgewählten Texten von Lessing bis zur Gegenwart. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (1955) 21970. - : Die theologischen Thesen der Heidelberger Disputation 1518. In: Reformation und Humanismus. Hg. von Martin Greschat. Witten: Luther-Verlag 1969, 58 – 66. Brachtendorf, Johannes: Augustins ›Confessiones‹. Darmstadt: WBG 2005. Braig, Carl: Rezension zu Ludwig Schütz: Einleitung in die Philosophie. Paderborn 1879; Jakob Deby: Die eine wahre Kirche. Freiburg 1879; Hubert Theophil Simar: Lehrbuch der Dogmatik, 1. und 2. Hälfte. Freiburg 1879/1880. In: Theologische Quartalschrift 63, 1881, 681–700.

272 | Literaturverzeichnis

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Literaturverzeichnis | 283

Personenregister

Aall, Anathon 53 Adam 236 f., 240 Adorno, Theodor W. 168 Albert der Große (Albertus Magnus) 44, 89, 98 Allemann, Beda 256, 261, 263 Angelus Silesius (Johannes Scheffler) 130, 147 Arendt, Hannah 18, 73, 78, 83, 85 f., 88, 90 Aristoteles 42, 80, 83, 85, 89, 101, 104, 122 f., 131, 135 – 137, 140, 152, 158, 164 f., 170 f., 176 f. Auerochs, Bernd 262 Augustinus 10–14, 16, 18, 20, 55–59, 61–80, 82–90, 96, 101, 153–156, 161, 167, 169–171, 174, 175–177, 190, 192 – 194, 199, 203, 205, 235, 237 f., 248 Baader, Franz von 142 Baeumker, Clemens 115 f., 127 Barth, Karl 157, 169 f., 176 Béatrice von Nazareth 129, 147 Becker, Oskar 162, 167, 170, 172, 186 Bendel-Maidl, Lydia 124, 127 Bendemanns, Reinhard 187 Bergson, Henri 195, 203 Berkeley, George 103 Berlinger, Rudolf 57, 79

Bert, Georg 54, 93 Beutel, Albrecht 166 Biel, Gabriel 156, 174 Birault, Henri 130, 195, 203 Biser, Eugen 178, 186 Blochmann, Elisabeth 55, 78, 81, 90, 126, 179, 186 f. Blondel, Maurice 202, 205 Blumenberg, Hans 167 Böckmann, Paul 183 Böhme, Jakob 220, 239 Bollnow, Otto Friedrich 261 Bonaventura (Johannes Bonaventura) 101 Bornkamm, Heinrich 164 Brachtendorf, Johannes 78 Braig, Carl 39, 92, 94–103, 105–107, 124 f., 150, 163 Broch, Hermann 246 Brock, Werner 178 Bröcker, Walter 184 Brun, Jean 204 Brüning, Heinrich 180 Brunschvicg, Léon 194, 196–198, 204 f. Buddha (Gautama Buddha) 138 Büchsel, Friedrich 54 Buhr, Heinrich 181, 184 Buddeberg, Else 261 Bultmann, Rudolf 175–179, 183–187 Buren, John van 164, 193 Buschor, Ernst 180 Capelle, Philippe 88 Carraud, Vincent 198 f., 205 Casper, Bernhard 163

Celan, Paul 186 Charrons, Pierre 94 Coriando, Paola-Ludovika 8, 10, 14, 82, 156 Corti, C. Agustín 80 Cristin, Renato 163 Curtius, Ernst Robert 168 Deby, Jakob 124 Delius, Hans-Ulrich 164 Denker, Alfred 80, 117 Derrida, Jacques 129, 132, 147, 262 Descartes, René 17, 42, 78, 121, 179, 191 f., 195, 198 Dietrich von Freiberg 44, 54 Dillersberger, Josef 54 Dilthey, Wilhelm 56, 81, 98, 125, 151, 153, 165, 177, 186 Dionysos 83, 182, 185 Döring, Heinrich 124 Dostojewski, Fiodor 151, 185, 203 Dreher, Theodor 93 f., 124 Duilhé de Saint-Projet, François 95, 124 f. Duméry, Henry 202, 205 Düsing, Edith 89 Dyroff, Adolf 119 Ebbinghaus, Julius 177 Ebeling, Gerhard 13, 162, 166, 184 Eckel, Winfried 257, 263 Eckhart (Meister Eckhart) 7, 10, 13 f., 16, 44–48, 51, 54, 88, 129 f., 132, 146, 174

| 285

Engel, Manfred 263 Epiktet 194 Epiney-Burgard, Georgette 147 Erasmus von Rotterdam 174 Esch, Daniel 124 f. Eschenmayer, Carl August von 234, 243 f. Esposito, Costantino 89 Eucken, Rudolf 97, 125 Feldmann, Joseph 118 Feuerbach, Ludwig 82 Fichte, Johann Gott lieb 81, 239, 242 Ficker, Johannes 14, 64, 174 Ficker, Ludwig von 173 Fischer, Norbert 10, 11, 78–80, 83–89 Fleteren, Frederick van 80 Forest, Aimé 204 Frege, Gottlob 34 Fülleborn, Ulrich 10, 15, 262 Gadamer, Hans Georg 9, 18, 157, 165, 167, 171 f., 177 f., 186, 235 Gander, Hans-Helmuth 117 Geyser, Joseph 116 Gigon, Olof 54 Goethe, Johann Wolfgang von 169 f., 179, 246 f. Gogarten, Friedrich 170 Grabmann, Martin 96– 99, 109, 115–117, 125, 127 Gredt, Joseph 104, 125 f., 150 Gregor von Rimini 156 Greiff, Anton 54 Greisch, Jean 10, 13 Grillmeier, Alois 165 Grondin, Jean 9 Großmann, Andreas 164– 166, 186 Guardini, Romano 183, 247

286 | Personenregister

Hadewijch von Antwerpen (Hadewijch d’Anvers) 129, 147 Hamann, Johann Georg 236 Hamburger, Käte 249 Harnack, Adolf von 81, 158, 174 Harris, James Rendel 54 Hauptmann-von Scheel, Erica Yvette 262 Heft rich, Eckhard 261 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 37, 40, 42, 49, 52–54, 85, 106 f., 121, 151, 167, 171 f., 177, 184, 186 f., 190, 204, 253, 241, 248 Heidegger, Elfride 87 f. Heinz, Gerhard 124 Henrich, Dieter 248, 262 Herakles 83, 182, 185 Heraklit 40, 46, 52, 54 Herder, Johann Gottfried 236 Herrmann, FriedrichWilhelm von 10, 31, 57 f., 79–81, 83, 89, 205 Hertling, Georg 53 Hitler, Adolf 180, 182 f. Hoberg, Gottfried 102 Hofmannsthal, Hugo von 248 Hölderlin, Friedrich 10, 13–15, 54, 139, 171–173, 177–187, 207 f., 211–215, 248, 254, 259, 261 f. Honecker, Martin 186 Honnefelder, Ludger 126 Hübner, Hans 187 Husserl, Edmund 16, 22, 31, 34, 78 f., 102, 105, 112, 118, 130 f., 151 f., 163, 167, 169, 171, 174, 176, 178, 193, 263 Innitzer, Theodor 54 Ivánka, Endre von 78

Jäger, Alfred 187 Jahr, Ilse 262 Jansenius (Cornelius Jansens) 205 Jaspers, Karl 75, 178, 181, 187, 239 Jaspert, Bernd 165 Jens, Walter 245 f., 261 Jesus von Nazareth (Jesus Christus) 94, 138, 160 Johannes (Evangelist) 10, 39 f., 44 f., 48, 53 f., 184 f., Johannes Duns Scotus 10, 12, 91 f., 108, 113, 126 Joyce, James 246, 260, 263 Jung, Matthias 164 Junghanns, Albert 163 Jünger, Ernst 178 Justinus Martyr 54 Kafk a, Franz 260 Kant, Immanuel 12, 17, 19 f., 60 f., 72–75, 77, 81 f., 84, 87, 89, 96, 101, 104, 106 f., 111, 119, 121 f., 138, 140, 166, 173, 177, 231 f., 234 f., 238, 240 f., 258 Kertelge, Karl 186 Kiefl, Franz Xaver 125, 127 Kierkegaard, Søren 10, 13– 15, 151 f., 156, 164, 176, 182, 193, 195, 219–222, 224 f., 227–229, 231 f., 235–242 Kisiel, Theodore 164 f., Klages, Ludwig 179 Klein, Joseph 118 Klug, Hubert 118 Kluxen, Wolfgang 124 Knapp, Natalie 262 Kögel, Julius 54 Köhler, Dietmar 235 Köstler, Hermann 127 Krebs, Engelbert 39 f., 53, 113 f., 120, 126, 150, 163 Kreiner, Armin 124 Kremer, Klaus 86 Kroner, Richard 171 Krüger, Gerhard 20, 178

Kunisch, Hermann 247, 262 Kunzmann, Ulrich 203 Lafuma, Louis 194, 196– 198, 204, 205 Lagrange, Marie-Joseph 54 Lask, Emil 92, 106, 112, 115, 118 Laslowski, Ernst 80, 93, 107, 108, 124, 126 Le Guern, Michel 204 Lebreton, Jules 53 Lehmann, Karl 5, 7, 10 – 13, 31, 57, 79, 134, 147, 149, 162 f., 165, 167 f., 171 f., 186 Leibniz, Gottfried Wilhelm 129–132, 134– 137, 140, 193, 242 Levinas, Emmanuel 72, 87 Lonergan, Bernard 165 Loos, Stephan 164 Lotze, Rudolf Hermann 102, 118 Löwith, Karl 19, 81 f., 89, 156 f., 164, 168–170, 178, 201, 203 Luther, Martin 10, 13 f., 16, 38, 72, 83, 87, 89, 107, 149 f., 152–158, 160–167, 172–177, 183, 185 f., 193, 205, 237–239, 244 Malabou, Catherine 205 Maréchal, Joseph 202 Marion, Jean-Luc 198 f., 205 Markschies, Christoph 165 Martineau, Emmanuel 199, 205 Mayer, Cornelius 78 McGrath, Sean J. 83, 126, 164 Mechthild von Magdeburg 129 Meyer, Conrad Ferdi nand 246

Minges, Parthenius 117 f., Misch, Georg 85, 170 Moeller, Bernd 166, Mohammed 138 Montaigne, Michel Eyquem de 194 Mörike, Eduard 246, 261 Müller, Max 18, 57, 62, 79, 83, 168–170, 202, 205, 263 Musil, Robert 141, 248, 258, 263 Naber, Alois 18, 167 Natorp, Paul 64, 170, 176 Neske, Günther 184, 187 Neuhold, Birgit 263 Neumann, Günther 165, 269 Nietzsche, Friedrich 14, 17, 19, 60 f., 63, 76, 82, 84, 89 f., 151, 157 f., 171 f., 177– 182, 185, 190, 194 f., 204, 254, 263 Niggl, Günter 85 Nikolaus von Kues (Cusanus) 69, 80 Noth, Martin 184 Novalis (Friedrich von Hardenberg) 142

Pascal, Blaise 8, 10, 14, 152, 189–205 Pasewalck, Silke 263 Paulus (Apostel) 10, 14, 22, 24–26, 28, 30, 38, 81, 153–156, 171, 174 f., 177 f., 186 Philipse, Herman 199– 202, 205 Piper, Josef 54 Platon 19, 42, 54, 59, 60, 63, 78, 81, 83, 85, 89, 175, 177, 179 Plotin 69, 71, 84, 89 Plutarch 190 Pöggeler, Otto 10, 13 f., 19, 31, 53, 55–57, 79, 81 f., 88 f., 149, 161 f., 164, 166, 167, 186 f., 189, 203, 235 Pölzl, Franz Xaver 54 Proust, Marcel 246, 260

Ockam (Occam), Wilhelm von 107, 108, 156, 174 Oehlschläger, Gerhard 164 Olzien, Otto H. 262 Orpheus 254 f., 257 Ott, Hugo 124, 163, 186, 203 Otto, Rudolf 176 Otto, Walter F. 83, 183 Overbeck, Franz 157 f., 169, 176 f.,

Rad, Gerhard von 184 Raffelt, Albert 5, 10, 14, 204 f. Rahner, Karl 149, 201, 205 Rickert, Heinrich 91 f., 106–109, 113–115, 126 f., Riedel, Manfred 263 Rilke, Rainer Maria 10, 15 f., 84, 245–249, 251– 263, 265 Ringleben, Joachim 10, 15, 219, 238, 242 Robinson, James M. 184 Rockmore, Tom 203 Roesner, Martina 10, 11, 33 Roosevelt, Theodore 180 Ruff, Gerhard 164 Ruffi ni, Roland 262 Ruster, Thomas 125

Panis, Daniel 130, 133, 140, 145–147 Pannenberg, Wolfhart 184 Papenfuss, Dieter 164 Papst Benedikt XVI. 16 f. Papst Pius X. 126

Sallis, John 165 Sanders, Ed Parish 177 f., 186 Schaber, Johannes 5, 7, 10, 12, 80, 91, 124 f., 163, 165 Schaeffler, Richard 126, 204

Personenregister | 287

Schanzenbach, Leonhard 93 f., Scheler, Max 135, 169, 175, 179, 190, 192–194, 203 f., Schell, Herman 92, 96 f., 99, 102, 124 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 10, 15, 19, 107, 140, 142, 151, 179, 219 – 221, 228 f., 232, 234– 240 Schiller, Friedrich 237 Schlatter, Adolf 54 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 19, 38, 60, 81, 101 Schlier, Heinrich 165, 185– 187 Schmid, Lothar 54 Schmidt-Leukel, Perry 124 Schneider, Arthur 126 Schneider, Ulrich 263 Schöne, Albrecht 248, 262 Schopenhauer, Arthur 136 f., 140 Schütz, Ludwig 124 Schweitzer, Albert 176 f. Seeberg, Reinhold 118 Sellier, Philipp 204 f. Sellmair, Josef 194 f., 204 Sheehan, Thomas 124 Simar, Hubert Theophil 124

288 | Personenregister

Sokrates 85 Sophokles 183, 185 Spinoza, (Baruch) Benedictus de 179, 242 Staiger, Emil 246, 261 Steinmann, Michael 163 Stenger, Georg 147 Storck, Joachim W. 261, 270, 272 Straubinger, Heinrich 94 Switalski, Bronislaus W. 119 Tauler, Johannes 45, 54, 174 Teichner, Wilhelm 90 Tezuka (Professor der Kaiserlichen Universität Tokio) 17 Thomä, Dieter 164 Thomas von Aquin 95, 98, 101, 121 f., 124 f., 162, 166, 248, 263 Thomas von Erfurt 113 Thurnher, Rainer 83, 152, 163 Tillich, Paul 242 Tillmann, Fritz 54 Trakl, Georg 151, 186, 247 f. Troeltsch, Ernst 81, 116 f., 174, 186

Uebinger, Johann 102 Vattimo, Gianni 132 Vetter, Helmuth 164 Vico, Giambattista 168 f. Viola, Coloman 90 Volkmann-Schluck, KarlHeinz 171 Wagner, Richard 171 Weil, Eric 20 Weinstock, Heinrich 183 Welte, Bernhard 14, 172 Wetter, Gillis Peterson 53 Winckelmann, Johann Joachim 180 Wippern, Jürgen 81 Wittgenstein, Ludwig 247, 262 Wittwer, Hector 20 Wolff, Francis 145, 147 Wolzogen, Christoph von 53 Woolf, Virginia 260 Wrathall, Mark A. 204 Zaborowski, Holger 85, 117, 163 f. Zum Brunn, Emilie 147 Zur Mühlen, Karl-Heinz 164