Hegel-Studien Band 22 9783787329472, 9783787314867

TEXTE UND DOKUMENTE "An Mademoiselle Christiane Hegel". Ein unveröffentlichter Brief Hegels und ein Briefkonze

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German Pages 310 [309] Year 1987

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Hegel-Studien Band 22
 9783787329472, 9783787314867

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HE G E L- STU DIEN In Verbindung mit der Hegel-Kommission der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben von FRIEDHELM NICOLIN und OTTO PÖGGELER

B and 2 2

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

Inhaltlich unveränderter Print-On-Demand-Nachdruck der Originalausgabe von 1987, erschienen im Verlag H. Bouvier und Co., Bonn.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-1486-7 ISBN eBook: 978-3-7873-2947-2 ISSN 0073-1578

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2016. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruckpapier, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de/hegel-studien

INHALT

TEXTE UND DOKUMENTE „An Mademoiselle Christiane Hegel" Ein unveröffentlichter Brief Hegels und ein Briefkonzept des Dekans Göritz. Mitgeteilt und erläutert von HANS-CHRISTIAN LUCAS, Bochum . .

9

Düsseldorf J. P. Hebels „Schatzkästlein" als Schülerprämie an Hegels Gymnasium

17

FRIEDHELM NICOUN,

Eduard Gans' Briefe an Athanase Jourdan Mitgeteilt und erläutert von NORBERT WASZEK, Hannover

25

Zwei Hegel-Nachschriften von J. E. Erdmann Eine Mitteilung von BURKHARD TUSCHLING, Marburg

45

ABHANDLUNGEN Lima Bemerkungen zu Hegels Begriff der Handlung

51

P. VINCENZO, University Park, Pa. The nature and legitimacy of Hegel's critique of the Kantian moral philosophy

73

Jerusalem Can there be a religion of reason?

89

MIGUEL GIUSTI,

JOSEPH

NATHAN ROTENSTREICH,

Hamburg Hegel und die Vertragstheorie

111

Hamburg Hegel und Jacobi. Ein methodisches Beispiel zur Interpretation der Phänomenologie des Geistes

129

Duisburg Musik bei Kant und Hegel

143

HERBERT SCHNäDELBACH,

GUSTAV FALKE,

JENS KULENKAMPFF,

KLEINE BEITRÄGE

Bonn Hegels Evolutionskritik

165

Oldenburg Chemische Einsichten wider Willen. Hegels Theorie der Chemie ....

173

Bochum Westdeutsche Zentren in der Umbruchszeit um 1800

180

OLAF BRHDBACH,

ULRICH RUSCHIG,

OTTO POGGELER,

LITERATURBERICHTE UND KRITIK

Theformation ofHegel's constitutiomlism. — Hegels Rechtsphilosophie im Zusammenhang der europäischen Verfassungsgeschichte. Hrsg. v. H.Ch. Lucas u. O. Pöggeler (MYRIAM BIENENSTOCK, Jersusalem)

191

R. Enskat: Die hegelsche Theorie des praktischen Bewußtseins GER, Bielefeld)

204

(LOTHAR WIG-

Hegel; Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 2 u. 3. Hrsg. v. W. Jaeschke (FRIEDRICH WILHELM GRAF, München)

211

Hegel: Lecciones sobre Filosofia de la Religiön. T. 1. Ed. de R. Ferrara BRIEL AMENGUAL, Palma de Mallorca)

215

U.

Asendorf: Luther und Hegel

(EDITH DüSING,

E. Brito: La Christologie de Hegel

Köln)

(RICARDO FERRARA,

Ch. Hackenesch: Die Logik der Andersheit

(GA-

218

Buenos Aires)

225

Bonn) . . .

228

A. Schubert: Der Strukturgedanke in Hegels „Wissenschaft der Logik" (Lu DE VOS, Löwen)

231

Logica e storia in Hegel. Hrsg. v. R. Racinaro u. V. Vitiello TIST, Roma)

232

(STEFAN MAJETSCHAK,

(GABRIELLA BAP-

Hegels pädagogische Texte. — J. E. Pleines (Hrsg.): Hegels Theorie der Bildung. Bd 1; H. u. W. Schuffenhauer (Hrsg.): Pädagogisches Gedankengut bei Kant, Fichte, Schelling, Hegel, Feuerbach (FRIEDHELM NICOLIN, Düsseldorf)

234

A. Cavarero: L'interpretazione hegeliana di Parmenide Roma

241

F. W. Lupi [u a.]: Tra scetticismo e nichilismo

(GABRIELLA BAPTIST,

Roma) . .

242

M. Mangiagalli; Logica e metafisica nel pensiero di F. A. Trendelenburg (GABRIELLA BAPTIST, Roma)

244

J.

S.

V. Snellman: Die Persönlichkeit. Hrsg. Bielefeld) Mercier-Josa: Retour sur le jeune Marx

v.

(GABRIELLA BAPTIST,

R. Wilenius

(LOTHAR WIGGER,

246 (ÖNAY SOZER,

Bochum)

248

Kurzreferate und Selbstanzeigen über W. Salomon, M. Giusti. R. W. Henke, L. Wigger, G. Rinaldi, E. Albizu, A. Schmidt, H. Mayer, St. Wackwitz, F. Hölderlin (ed. Sattler/George)

250

BIBLIOGRAPHIE

Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1984. Mit Nachträgen aus früheren Berichtszeiträumen (Zusammenstellung: BARBARA STEMMRICH-KöHLER, Bochum)

261

AN MADEMOISELLE CHRISTIANE HEGEL" Ein unveröffentlichter Brief Hegels und ein Briefkonzepts des Dekans Göritz Mitgeteilt und erläutert von Hans-Christian Lucas (Bochum)

Im philosophischen Werk Hegels, aber auch in dessen privaten Äußerungen' kommt der Frau in der Rolle der Schwester eines Bruders eine besondere Bedeutung zu. In diesem Zusammenhang verdient auch Hegels Verhältnis zu seiner etwas über zwei Jahre jüngeren Schwester CHRISTIANE besondere Aufmerksamkeit.^ — Die am 7. April 1773 in Stuttgart geborene und dort aufgewachsene CHRISTIANE LUISE HEGEL bestritt ihren Lebensunterhalt ab 1807 als Gouvernante in Diensten des GRAFEN VON BERLICHINGEN in Jagsthausen bzw. Ludwigsburg, dessen acht Töchter sie nach dem Tod der Mutter betreute. Eine im Frühjahr 1814 zum Ausbruch kommende psychische Erkrankung führte zum Abbruch dieses Arbeitsverhältnisses. Der Graf gewährte ihr eine jährliche Pension von einhundert Gulden, die ihr bis zu ihrem Tode ausbezahlt wurde. CHRISTIANE blieb vornehmlich auf die Hilfe der Vettern GöRITZ angewiesen, wenngleich ihr Bruder sie im Rahmen seiner Möglichkeiten finanziell unterstütze. Nach Aufenthalten in den Nervenkliniken in Neustadt und Zwiefalten kehrte sie in ihre Vaterstadt zurück und erteilte jungen Mädchen Privatunterricht in häuslichen Tätigkeiten und in der französischen Sprache. Vier Monate nach dem Tod ihres Bruders nahm sie sich in Bad Teinach das Leben. Das in der Kindheit und Jugend offenbar sehr innige Verhältnis der Geschwister litt seit der Erkrankung CHRISTIANES unter einer zunehmenden Distanzierung Hegels von seiner Schwester. Hegel beschränkte sich darauf, einen sporadischen Briefwechsel mit CHRISTIANE aufrechtzuerhalten. Der im folgenden erstmals veröffentlichte Brief Hegels vom 21. August 1824 schließt eine Lücke unseres Wissens über diese Korrespondenz. Soweit uns heute bekannt ist, hat Hegel vor dem hier

' Vgl. insbesondere Hegels Kondolenzbrief vom 27. Mai 1830, den er nach dem Tode der Schwester des Ministers an Altenstein richtete. Siehe Briefe von und an Hegel. Hrsg, von J. Hoffmeister. Hamburg 1952 ff Bd 3. 303 f. ^ Auf eine eingehendere Darstellung dieses Verhältnisses und der Lebensumstände Christianes soll hier jedoch verzichtet werden, da sie bereits an anderer Stelle gegeben wurde. Vgl. besonders den Abschnitt „Christiane" in meinem Artikel: Zwischen Antigone und Christiane. Die Rolle der Schwester in Hegels Biographie und Philosophie und Derridas „Glas", sowie meine Artikel Die Schwester im Schatten. Bemerkungen zu Hegels Schwester Christiane - (Erscheinen demnächst. - Dort auch weitere Quellennachweise.)

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HANS-CHRISTIAN LUCAS

vorgelegten Brief zuletzt am 31. August 1822 an seine Schwester geschrieben^, der nächste Brief erfolgte erst wieder am 20. September 1825*. Der Brief ist auf ein quergefaltetes Folioblatt geschrieben, das dann zusammengefaltet und versiegelt wurde. Der Brieftext findet sich auf den drei ersten durch die Faltung entstandenen Quartseiten, die letzte, zunächst freigelassene Seite bildet nach weiterer Faltung die Außenseite des Briefes. Hier findet sich von Hegels Hand die Adresse; „An Mademoiselle Christiane Hegel in Stuttgard". Neben „in" stehen zwei Schrägstriche und von Hegels Hand der Vermerk „frey". Neben dem Siegel steht die Ziffer „4". Über der Adresse findet sich ein (Post-)Stempel „Berlin/ 21. Aug."; Hegel hat den Brief also sofort nach der Niederschrift befördern lassen. Wie die bisher vorliegenden Briefe Hegels an seine Schwester, so vermittelt auch dieses Schreiben keine im engeren Sinne philosophisch bedeutsamen Erkenntnisse. Es zeigen sich jedoch einige persönliche und berufliche Relationen Hegels, insbesondere zur Familie des Ministers ALTENSTEIN®, in einem deutlicheren Licht. Immerhin mag es auffallend scheinen, daß sich die Schwägerin des Ministers (wohl im Zusammenhang einer ohnehin geplanten Reise) zu einem Besuch der Schwester des Philosophen in Stuttgart bequemt hat, um diesem später ausführlichen Bericht über deren Befinden zu geben. Diese Tatsache ermöglicht uns freilich auch eine Präzisierung der Beurteilung des Verhältnisses des Philosophen zu seiner Schwester. Zwar hat er unbestreitbar eine Distanz zwischen sich und seine Schwester gelegt und sie seit ihrem Besuch in Nürnberg im Herbst 1815, der offenbar wegen der unübersehbar hervortretenden Symptome von CHRISTIANES psychischer Erkrankung überaus unglücklich verlaufen war, nicht mehr gesehen. Die Gründe sind sicher vielfältig gewesen, nicht zuletzt muß man von einer (ja nicht nur Hegel eigenen, sondern auch zeittypischen und bis heute feststellbaren) Scheu, ja geradezu Angst vor dem Umgang mit psychisch Erkrankten ausgehen. — Einblick in das Krankheitsbild, aber auch Informationen über das Verhältnis CHRISTIANES ZU ihrem Bruder und ihrer Schwägerin nach der Erkrankung, sowie über das Verhältnis CHRISTIANES ZU dem Dekan GORITZ, der lange Zeit für Hegels Schwester sorgte, zeitweise sogar von Hegel als ihr Vormund eingesetzt war, vermag das unvollständige Konzept eines Briefes von GöRITZ an CHRISTIANE ZU bieten, das in der Württembergischen Landesbibliothek^ in Stuttgart aufgehoben wird. ® Vgl. Briefe von und an Hegel. Bd 2. 334. Dort ist allerdings nur ein kurzes Zitat aus diesem Brief abgedruckt. Vollständig ist der Brief erst veröffentlicht in: Briefe von und an Hegel. Bd 4, Teil 2. Hrsg, von F. Nicolin. Hamburg 1981. 43 f. Diese Ausgabe der Briefe wird im folgenden kurz als Briefe zitiert. * Vgl. Briefe. Bd 3. 96. Auch hier ist nur ein kurzes Bruchstück bekannt, das K. Rosenkranz (Hegels Leben. Berlin 1844. 4) überliefert hat; „Heute ist der Jahrestag des Todes unserer Mutter, den ich immer im Gedächtnis behalte." ® Zu dem Verhältiüs von Hegel zu Altenstein vgl.K. R. Meist: Altenstein und Gans. Eine frühe politische Option für Hegels Rechtsphilosophie, ln: Hegel-Studien. 14 (1979), 39— 72. * Signatur: Cod. hist. 4°333a, 87a. Der Württembergischen Landesbibliothek danke ich für die freundliche Überlassung einer Kopie und die Druckerlaubnis.

,An Mademoiselle Christiane Hegel'

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Das Manuskript ist bisher nicht veröffentlicht worden, es ist aber dennoch nicht völlig unbekannt, denn J. HOFFMOSTER hat daraus referiert und zitiert (vgl. Briefe von und an Hegel. Bd 2. 486 f.).

Briefkonzept des Dekans Göritz [.. .] eine Wohnung im Pfarrhaus u. abwechselnder Aufenthalt bey Deinen Fraüleins bald im rothen Schloß. Ins Pfarrhaus nach Jaxthausen hatte ich Dich abgehen lassen, und an Herrn Pf[arrer] von J [axthausen] hatte ich Dich empfohlen. Das war die Abrede, darauf war auch Deine Begleiterin angewiesen. Aber Du verdarbst selbst den ganzen schönen Plan und fuhrst am Schloß vor, was sie nicht finden konnte, die keinen Weg wußte. Wie ganz anders hätte es gehen müssen, hättest Du m. Rath befolgt! Weiter will ich nicht[s] sagen. Nur so viel. Mit meinem Willen wärst Du nie nach Zwiefalten gekommen. Daß es in der hiesigen Gegend keinen Platz für Dich gab, und daß Du an die Orte die man Dir vorschlug nicht wolltest, aber schlechterdings aus Aalen hinweg, weißt Du wohl. Sonderbar und in der Tat befremdend kommt es mir vor, daß Du mir schreibst. Du wolltest mir keine Vorwürfe machen. So schwach ist doch Dein Verstand nicht, daß Du vergessen haben könntest, wie Du vor mehr als 4. Jahren hirhergebracht und von mir freundlich empfangen wurdest, wie Du entzweyt mit Dir selbst Tage lang laut jammernd und schreyend auf unserm Sopha lagst, wie ein tiefer Haß gegen Deine Schwägerin eine hohe Unzufriedenheit mit Deinem Bruder, lautes Mißvergnügen mit dem Amtmann FEST, Tadel des Pfjarrers] von Jaxthausen — Unmuth über die Frau GRäFIN VON BERLIGHINGEN der fortdauernde Gegenstand [darüber: Inhalt] Deiner Gespräche war, und wie Du aufgemuntert von uns Dich endlich wieder faßtest u. auf meinen Rath das einzige Mittel wähltest, wodurch Dir geholfen werden konnte, (ergriffest), Beschäftigung u. Eingreifen in die Welt, — wie Du bis dahin mit Ehren in Aalen bestandest. Vier Wochen aber wohl eingebildete Nahrungssorgen hattest, wie Du durchaus mit Freundlichkeit behandelt wurdest u. ich Dir nachgab, so lange nicht Herrschsucht und Anmaßung von Deiner Seite mir es zur Pflicht machte. Dir zu widerstehen. Du hast mir u. m[einer] seligen Frau so wie mjeiner] jetzigen sehr sehr viel zu danken. Denn es bedarf grosser Geduld Dich in Deinen Launen zu tragen. Seit mehr als 4 Jahren ist von mir alles geschehen, was eine Schwester erwarten konnte, und was besonders während Deiner Krankheit von uns an Dir geschehen ist, das bist Du gar nicht im Stande uns je zu vergelten und daran muß ich Dich jetzt

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HANS-CHRISTIAN LUCAS

erinnern. Das ist nicht blos Schwäche u. Verwirrung des Verstandes [,], das ist auch Bosheit u. Verdorbenheit des Herzens [,] woran Du krank bist. Besserst Du dich darin nicht [,], bleibt Dein Hochmuth [,] Dein Geiz und Deine Undankbarkeit, so kannst Du freylich nicht gesund werden. Daran fehlt es Dir hauptsächlich. Dadurch verdunkelst Du alle Deine übrigens guten Eigenschaften, ja Du hebst sie ganz auf. Was (endl) Deine angeblichen Nahrungssorgen betrifft, so waren solche [,] so lange Du hier bist [,] ganz unbegründet. Du hattest 275 f. jährliches CapitalEinkommen, und Deine Stickschule trug Dir etwas beträchtliches ein [,] nicht nur an Geld, sondern auch an anderen Sachen. In den ersten Jahren, wo es Dir an Geld fehlte, war ich es [,] der Dich unterstützte u. Dich in die Lage setzte. Dir so manches von Werth neu anzuschaffen, wie am Tage ist. Wer auf ein Jahr voraus schon alle Ausgaben in besondere Päckchen für jeden Monat das Geld schon eingewickelt, und doch noch alle seine Zinsen gut hat, der ist reich und undankbar gegen Gott. - Wie viele Kleider u. Meubles hast Du Dir nicht in dieser Zeit angeschafft und dabey nie Mangel gelitten. — Ausserdem wirst Du Dich wohl erinnern, wie oft ich bey Gelegenheit Dich versicherte [,] ich werde [,] wenn Du je Mangel haben solltest. Dich gerne unterstützen. Nun beklagst Du Dich über das große Kostgeld, das ich von Dir bezogen habe. Du hast mir inerhalb 370 f. sage 370 f. also jährlich samt wein, welcher in den theuren Zeiten allein 45—50 f. jährlich betrug. 130 f. Ab Wein baare Auslage 50 f.—80 f [.] — und wenn Du in der letzten Zeit (im Hause) nicht zu Nacht essest, so war doch der tägliche Genuß zwischen der Zeit groß. Und diese dumme Unwahrheit machst Du anderen weiß [,] und sie sind dumm genug [,] sie zu glauben! Du kamst fast ohne Geld mit Schulden hirher, und ich fand bey Dir [,] ehe Du gingest [,] fast auf ein Jahr Geldvorrath, den Du nun freylich verthan hast. u. sprichst von Nahrungssorgen. Wenn Du zu retten bist, worin ich ganz überzeugt bin, so kannst Du nur auf die Weise gerettet werden, wie es vor 4V2 Jahr geschah, durch Thätigkeit [,] durch Eingreifen in die Welt. Aber Deinen Hochmuth mußt Du lassen, u. Deine Ansprüche auf Gelehrsamkeit, u. Deinen Geiz u. Dein Mißtrauen gegen Gott. Wenn Du die Gräfin nicht spielen willst, so bist Du reich genug, und wo es Dir mangelt, wird es an Hülfe nicht fehlen. Zu arbeiten auch für andre ums Geld ist keine Schande.

Neben die Distanzierung Hegels von seiner Schwester ist also, zumindest zeitweise, ein gereiztes Sichzurückziehen CHRISTIANES getreten, dennoch hat Hegel die Distanzierung nicht so weit getrieben, und das wird aus dem hier mitgeteilten

,An Mademoiselle Christiane Hegel'

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Brief besonders deutlich, seine Schwester und deren Erkrankung in Kreisen, die ihm wegen seines Ansehens besonders in beruflicher Hinsicht wichtig sein mußten, totzuschweigen. Dementsprechend blieb er bis zu seinem Tode bemüht, CHRISTIANE nach Kräften finanziell zu unterstützen. Die Handschrift ist im Besitz des Stadtarchivs Stuttgart, das sie kürzlich erworben hat. Dem Stadtarchiv danke ich für die Erlaubnis zur Veröffentlichung, Herrn Prof. Dr. OTTO POGGELER für seine Vermittlung und Herrn Prof., Dr. FRIEDHELM NICOLIN für die kritische Durchsicht der Transskription.

Hegels Brief

Berlin den 21 Aug. 1824. Es hat mich gefreut, meine liebe Schwester, im April dieses Jahres Nachrichten^ von deinem Befinden zu erhalten, nach welchen ich sehe, daß es dir theils wohl, theils wenigstens leidlich gegangen ist; mit meiner Antwort® wollte ich eine Anweisung auf eine kleine Geldsumme verknüpfen, die dir zu einiger Erleichterung dienen sollte; es ist aber itzt erst, daß (ich) die Gelegenheit dafür eingetreten ist; Hr JOBST® wird also, meinen Anweisungen nach, an Hn Vetter Postkassier GöRITZ^®, den ich herzlich zu

’’ Offenbar spielt Hegel auf einen Brief an, den ihm Christiane im April 1824 geschrieben hat; dieser Brief ist nicht bekannt, wahrscheinlich nicht erhalten. ® Ein früherer Brief Hegels an Christiane aus dem Jahr 1824 ist nicht bekannt. Heinrich Friedrich Jobst (1786-1859), 1803-06 Kaufmannslehrling in Nürnberg, gründete 1806 eine eigene Materialwarenhandlung, d. h. eine Apotheke und Drogerie, in Stuttgart, aus der später die erste Chininfabrik in Deutschland entstand; Kommerzienrat und Hofrat. (Vgl. Bricjfe Bd 4, Teil 2. 208). Jobst war möglicherweise der Lehrherr von Hegels unehelichem Sohn Ludwig Fischer . (Vgl. Briefe. Bd 1. 357 f; Bd 2. 306 f, 318 f. Diese Briefe betreffen Ludwigs Lehrstelle als Kaufmannsgehilfe, im letztgenannten Brief ist auch von Christiane die Rede.) Jobst hat auch in diesem Zusammenhang die Regelung von Geldangelegenheiten für Hegel übernommen. Das geht aus Ludwigs Brief an Ebert, den Pflegevater von Ludwigs Schwester Therese Burkhardt, vom 11. Juli 1825 hervor: vgl. Briefe. Bd4, Teil 1. 238. Eine Abweichung hinsichtlich des Vornamens („J. Jobst" statt: F. Jobst) geht möglicherweise auf einen Fehler Ludwigs zurück (Brief Ludwigs an seine Schwester vom 27. 8. 1825; Briefe Bd 4, Teü 1. 240). Karl Wilhelm Göritz (1776—1852) Vetter Hegels, Sohn des Christian Friedrich Göritz, des Schwagers von Hegels Mutter; Oberpostsekretär in Stuttgart. Er war einer der Brüder des Ludwig Friedrich Göritz, der sich als Stadtpfarrer und Dekan von Aalen um Christiane kümmerte. Vgl. Hegels Brief an den Dekan Göritz vom 17. Juni 1820, in dem er diesen als Vormund Christianes bevollmächtigt. In diesem Brief läßt Hegel neben den übrigen Geschwistern Göritzens besonders den „Herrn Postsekretär" grüßen. Der gesamten Familie drückt er seine „herzliche Erkenntlichkeit für ihre vielfachen Mühen" aus. {Briefe. Bd 2. 234). Hegel hat K. W. Göritz auch sonst mit Geldangelegenheiten für Christiane beauftragt; vgl. seinen Brief an Christiane vom 31. 8. 1822: „Ich habe an unsem Vetter, den Herrn Haupt-

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grüssen bitte, für dich 30 f ausbezahlen lassen; mehr habe ich dißmal nicht thun können; voriges Jahr hat mir der König eine ausserordentliche Gratification verwilligt*^ zu der es dieses Jahr nicht wieder hat kommen können, einestheils nothwendige Discretion, anderntheils die Abwesenheit u. früher Krankheit des Hn Ministers, hat es dieses Jahr nicht dazu kommen lassen. Hier sind die Colonialwaaren gleichfalls in wohlfeilem Preise, aber die übrigen Lebensmittel stehen verhälnißmäßig nicht so niedrig, weil in einer Hauptstadt Arbeitslohn und Vertrieb immer hoch stehen und oft den grösten Theil des Preises ausmachen; wogegen denn auch solche Theurung, wie ich vor 8 Jahren in der fruchtbaren Pfalz^^ erfahren, und (bey) am Rhein und auch bey euch geherrscht hat, hier nicht eingetreten ist. Von deinem Befinden hat mir vorigen Herbst Frau Geh. Räthin VON ALTENSTEIN^^ sehr erfreuliche Nachrichten gegeben; sie hat mir erzählt, daß postamtskassier, einen Wechsel von 50 f geschickt; er ist am geschicktesten, ihn realisieren zu lassen." (Briefe. Bd 4, Teil 2.44). ” Mit der Rede von der „außerordentlichen Gratifikation" scheint Hegel hier absichtlich von den Tatsachen abzuweichen, möglicherweise um seine Schwester zu schonen. Tatsächlich hat Hegel im Mai 1823 die Königliche Ministerial-Kommission erfolgreich um die Rückerstattung einer Kaution in Höhe von 500 Reichstalem gebeten, die er 1820 für den Studenten Asverus geleistet hatte. Hegel hatte die Kaution in der Form von Staatsschuldscheinen geleistet und bot die Kaution nun erneut an, wies jedoch gleichzeitig darauf hin, daß seine regelmäßigen Bezüge als Beamter als Sicherheit gelten könnten. Da die Ministerial-Kommission diesen Hinweis akzeptierte, konnte Hegel im Sommer 1823 über 500 Reichstaler verfügen. (Vgl. Briefe. Bd 3. 14 f, die Briefe Nr 451 und 452). Eine besondere Gratifikation von „300 Talern" erhielt Hegel tatsächlich im Jahre 1824 und nicht, wie in dem vorliegenden Brief angedeutet wird, bereits 1823 (vgl. Dokumente zu Hegels Reise nach Österreich. Mitgeteilt u. eingeleitet von I. Blank, ln: Hegel-Studien. 16 (1981), 41—55, hier 46), wenngleich die Gratifikation ihm schon 1823 vom König persönlich bewilligt worden war (vgl. ebd.). Hegel bezieht sich hier auf eine Hungersnot von 1816, die er bereits in seinem Brief an Christiane vom 26. Juli 1817 geschildert hatte. Da er auch in diesem Brief die Formulierungen„fruchtbare Pfalz" und „Teuerung" verwendet, kann man davon ausgehen, daß Hegel bei der Abfassung des vorliegenden Briefes der Entwurf des früheren Schreibens vorlag. Es scheint mir bemerkenswert, daß eben diese Hungersnot auch Eingang in Hegels erste Vorlesung über Rechtsphilosophie von 1817/18 gefunden hat: „So verhielt es sich mit dem Grafen Waldeck in der württembergischen Ständeversammlung, der das Ministerium anklagte, von zehn anscheinend guten Maßregeln gegen den vorjährigen Mangel nicht eine ergriffen zu haben; aber die Ständeversammlung mußte alle zehn verwerfen." (G. W. f. Hegel: Vorlesungen über Naturrecht und Staatswissenschaft. Heidelberg 1817/18 mit Nachträgen aus der Vorlesung 1818/19. Nachgeschrieben von P. Wannenmann. Hrsg. v. C. Becker u. a. Einleitung von O. Pöggeler. Hamburg 1983. § 154 Anm.; Hervorhebung H.-C. L. Vgl. auch Ch. Jamme: Die Erziehung der Stände durch sich selbst. Hegels Konzeption der neuständisch-bürgerlichen Repräsentation in Heidelberg 1817/18. In: Hegels Rechtsphilosophie im Zusammenhang der europäischen Verfassungsgeschichte. Hrsg, von H.-C. Lucas und O. Pöggeler. Stuttgart-Bad Cannstatt 1986. 169, Anm. 48). Es handelt sich um die Gattin Sigismunds von Altenstein, des um zwei Jahre jüngeren Bruders des Ministers Karl Freiherr v. Stein zum Altenstein, den dieser förderte und der Rat im Justizministerium war.

,An Mademoiselle Christiane Hegel

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sie dich heiter und munter gefunden hat, was mich vornemlich gefreut hat, denn bey deiner körperlichen Constitution ist es auch vornemlich die Ruhe und Zufriedenheit des Gemüths, von denen jene abhängig ist. — Die Tochter der Fr. Geh. Räthin VON ALTENSTEIN, Frl. LUISE, ist Braut mit einem Hn VON STEIN aus Weimar^^, wohin sie gegenwärtig gereist sind, um mit der Familie gegenseitige Bekanntschaft zu machen; Hr v. STEIN ist ein vorzüglicher, gediegener junger Mann, und von sehr bedeutendem Vermögen. Meine Frau und Kinder grüssen dich herzlich; sie sind itzt Gottlob recht wohl auf; meiner Frau ist ein Aufenthalt von 3 Wochen in Potzdam, wo sich ein nicht unwirksames Bad befindet, sehr wohl bekommen, es hat sie von einem hartnäckigen Augenübel und gichtigen Kopf- und Zahnweh befreyt; meine beyden Jungen, welche gerade Ferien haben, haben sich gleichsam durch diesen Landaufenthalt [,] denn sie haben ausser der Stadt gewohnt, recht sehr gestärkt. Mache meinem Freunde, FIn Medjicinal] R[ath] SCHELLING^^^ auch in meinem Nahmen meinen Dank für die Sorgfalt, mit der er, wie du es rühmst, sich deiner annimmt. Bey deiner Constitution mußt du zwar auf vielfache Abwechslung gefaßt seyn, aber bey gehöriger Sorgsamkeit, und wie ich vorhin sagte, mit Gemüthsruhe

Der „Herr von Stein aus Weimar", der mit Luise, der einzigen Tochter Sigismund von Altensteins verheiratet war, ist entgegen der Auskunft der ADB (Bd 35. 659) nicht der Sohn, sondern der Enkel der berühmten Charlotte Albertine Ernestine v. Stein. Karl Freiherr v. Stein (1800—1871) war ein Sohn des Karl Freiherr v. Stein (1765—1837), des älteren Sohnes der Charlotte v. Stein. (Die Namensgleichheit erklärt wohl den Irrtum.) Der jüngere Karl v. Stein erwarb das Gut Kochberg (daher v. Stein zu Kochberg), er war Jurist, trat in preußische Dienste und wurde Rat im Ministerium Altenstein, als solcher stand er dem Minister nahe. (Vgl. W. Bode: Charlotte von Stein. Berlin 1927. 654—656, 674-676. Hier ist übrigens ein anderer Irrtum zu korrigieren, denn Luise wird hier fälschlich als die Tochter des Ministers angeführt; vgl. 656). Für die Nähe dieses Verhältnisses spricht die Tatsache, daß Nachkommen dieses Karl Freiherr v. Stein zu Kochberg den Privatnachlaß des Ministers Altenstein an das Staatsarchiv zu Bamberg gegeben haben. (Für diese Mitteilung danke ich Herrn Priv. Doz. Dr. Kurt Rainer Meist, der diesen Nachlaß wiederentdeckt hat.) Karl Eberhard Schelling (1783—1854), der jüngere Bruder des Philosophen, studierte ab 1799 Medizin in Jena. Selbst noch Student war er an der Disputation zu Flegels Habilitation als Hegels Respondent beteiligt; die Opponenten waren der Student Thomas Schwarzott und die Professoren Schelling und Niethammer: Vgl. Dokumente zu Hegels Entwicklung. Hrsg, von J. Hoffmeister. Stuttgart 1936. 312—314; ferner H. Kimmerle: Dokumente zu Hegels Jenaer Dozententätigkeit (1801 — 1807). In: Hegel-Studien. 4 (1967), 43 f. Im WS 1801/02 war er Hörer Hegels. Ab 1802 studierte er in Tübingen, wo er 1803 promovierte. Ab 1805 war er als praktischer Arzt, vor allem als „Augen- und Seelenarzt" (diese präzisierende Information und die über das korrekte Todesjahr K. E. Schellings verdanke ich Herrn Prof. X. TUliette) in Stuttgart tätig, wurde später Amtsarzt und Medizinalrat. Er betreute Christiane mehrere Jahre lang medizinisch.

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HANS-CHRISTIAN LUCAS

verbunden, hält solcher Körper gewöhnlich viel länger aus, als oft ein noch so stark scheinender Bau. Was meine Gesundheit betrifft, so (ist) genieße ich zwar nicht völliger Kraft, — ich fange nothwendig auch an [,] die Jahre zu fühlen, doch fühle ich mich dieses Jahr von Arbeiten nicht so angegriffen, als seit mehrern Jahren; ich habe mich sehr anstrengen müssen^^, um meinem Standpunkte und mir selbst zu genügen, und sehe noch viel Arbeit vor, von der ich mich nicht abziehen werde [,] so lange mir Gott Leben und Kräffte dazu schenkt — Lebe recht herzlich wohl, liebe Schwester, dein aufrichtiger Bruder Wilhelm H. [Daneben, quer auf dem Innenrande:] Die Freunde und Freundinnen, die sich meiner erinnern, und deren Liebe gegen dich du mir anrühmst, grüsse von mir recht herzlich. Hr D. GRüNEISEN'^ ist diesen Sommer einige Zeit hier gewesen, und ich habe ihn sehr schätzen gelernt.

Ehe Überanstrengung, von der Hegel hier seiner Schwester berichtet, ist durch einen Briefwechsel der preußischen Ministerialbürokratie bestätigt. Johannes Schulze bringt sie in seinem Antrag einer „besonderen Gratifikation" für Hegel (vgl. Anm. 5) zur Geltung, den er an Kamptz richtet, der Altenstein aus Krankheitsgründen vertritt: Erholung sei für Hegels „durch ununterbrochene übermäßige geistige Anstrengung geschwächten Körper ein Bedürfnis". (Vgl. I. Blank: Zu Hegels Reise nach Österreich. 48). Man hat hier wohl vornehmlich an die Anstrengung zu denken, die Hegel die Ausarbeitung seiner großen Vorlesungszyklen kostete, die stofflich, aber auch konzeptionell über seinen Grundriß in der Enzyklopädie von 1817 weit hinausgingen. Vgl. die Zusammenstellung der Berliner Vorlesungen (insbes. 1822 bis Sommer 1824) in: G. W. F. Hegel: Berliner Schriften. Hrsg, von J. Hoffmeister. Hamburg 1956. 774 f, und in: Briefe. Bd4, TeU 1. 114-125. Karl Grüneisen (1802—1878) hatte seit 1819 Theologie und Philosophie in Tübingen studiert, war 1824 Hörer in Berlin, wirkte später als Hofprediger und Oberkonsistorialrat in Stuttgart.

FRIEDHELM NICOLIN (DÜSSELDORF)

J. P. HEBELS „SCHATZKÄSTLEIN" ALS SCHÜLERPRÄMIE AN HEGELS GYMNASIUM

Ein Gruß an Wolfgang Klafki . morgen haben wir Preisverteilung", schreibt Hegel zum Beschluß eines Briefes, den er am 28. August 1816 aus Nürnberg an seine Schwester CHRISTIANE richtet. ^ Er verweist damit indirekt auf sein letztes amtliches Auftreten in der Öffentlichkeit der Stadt. Die Jahre seines Rektorats am Nürnberger Gymnasium gehen zu Ende; in dem zitierten Brief hat er gerade der Schwester mitgeteilt, daß er zum Herbst einem Ruf an die Universität Heidelberg folgen werde. Die Preisverteilung, die Hegel hier anspricht und die in seinem persönlichen Hinweis wie ein Farbtupfer im Bild seines beruflichen Alltags erscheint, war der Nürnberger Bürgerschaft schon einige Wochen zuvor in der Lokalpresse angekündigt worden, und zwar als ein offenbar wohlbekanntes institutionelles Ereignis: „Die öffentliche Preiß-Vertheilung", so lesen wir im Anschluß an die Prüfungstermine der „Königlichen Gymnasial-Anstalt" im Nürnberger Intelligenzblatt, „wird den 29. August Vormittags auf dem untern Rathhaus-Saale dahier mit den gewöhnlichen Feierlichkeiten vorgenommen werden. Die Vergabe der Preise an die Schüler, die im beendeten Schuljahr in der Leistungsskala ihrer Klasse einen der vorderen Plätze erringen konnten, war also nicht nur eine interne pädagogische Maßnahme, sondern ein actus publicus, an dem alle Lehrer und Studierenden der Anstalt, aber auch die Eltern, der Regierungskommissar und sicherlich Honoratioren der Stadt teilnahmen. Der Schule als Institution ermöglichte diese jährlich wiederkehrende Schlußfeier eine Selbstdarstellung nach außen, eine Darlegung ihrer Ziele und Arbeitsweisen, aber auch ihrer Besorgnisse und Desiderata. Die bekannten Schulreden, in denen Hegel die Intentionen, Inhalte und organisatorischen Formen der Gymnasialbildung schrittweise

' Briefe von und an Hegel. Bd 4, Teil 2. Hrsg, von F. Nicolin. Hamburg 1981. 28. ^ Allgemeines Intelligenz-Blatt der Stadt Nürnberg. Jg. 69. Nürnberg 1816. 761.

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durchreflektiert hat, sind bei dieser Gelegenheit vorgetragen worden.^ Für die Schüler selbst bedeutete der Preisverleihungsakt nach Hegels Einschätzung eine konkrete Erfahrung des vereinigten Interesses von Familie und Staat an ihrem Werdegang - und mit der öffentlichen Anerkennung zugleich eine erste Erfahrung des Übergangs „aus dem stillen Kreise der Schule in eine Beziehung zum Publikum" und „zur wirklichen Welt"^. Jüngst ist nun — wenn ich recht sehe, zum erstenmal — ein unmittelbares Dokument aus dem hier umrissenen Kontext zum Vorschein gekommen: eine Buchprämie mit einer von Hegel Unterzeichneten Widmung an den Empfänger der Auszeichnung. In der Universitätsbibliothek Düsseldorf befindet sich ein Exemplar der Erstausgabe von JOHANN PETER HEBELS Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes (Tübingen 1811), das auf dem Vorsatzblatt folgende Eintragung aufweist^: Macte Tpuer virtute! Preisbuch für Lud. Fried. Wilh. Aug. Seebeck Schüler der Oberprimairclasse Im Studienjahr 1815/16 Kön. Gymnasial-Rectorat Hegel

Nürnberg den 29 Aug. 1816. Das Ganze ist von Schreiberhand geschrieben, die Unterschrift von Hegel (vgl. die fotographische Abbildung). Das Buch stammt aus den in die Universitätsbibliothek eingegangenen Beständen der ehern. Landes- und Stadtbibliothek Düsseldorf. Es wurde kurz nach dem 2. Weltkrieg aus ei-

® Zur inhaltlichen Linie dieser Gymnasialreden vgl. f. Nicolin: Pädagogik - Propädeutik — Enzyklopädie, ln: Hegel. Einßhrung in seine Philosophie. Hrsg, von Otto Pöggeler. Freiburg, München 1977. 91-105. - Auf die Verknüpfung mit der Preisverleihung nimmt Hegel bei den meisten Reden am Anfang oder Schluß Bezug. ^ Zitate aus der Rede von 1811. Vgl. Hegel: Nürnberger Schriften. Hrsg, von J. Hoffmeister. Leipzig 1938. (Philos. Bibliothek. 165.) 348, 341. 5 Für den Hinweis auf diesen Sachverhalt ist Herrn Rudolf Schmitt-Föller, für die freundlich erteilte Erlaubnis zur Wiedergabe dem Leiter der Universitätsbibliothek, Herrn Prof. Dr. Gattermann, sehr zu danken.

Hebels „Schatzkästlein" an Hegels Gymnasium

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nem Antiquariat erworben. Weiter zurück läßt sich sein Weg nicht verfolgen. Auch ohne dies ist aber der Preisempfänger leicht zu identifizieren. Es handelt sich um den jüngeren Sohn des Physikers THOMAS JOHANN SEEBECK (1770—1831), der erfolgreich auf dem Gebiet der Optik (besonders der Farbenlehre) forschte sowie den nach ihm benannten thermoelektrischen Effekt entdeckte. Hegel kannte SEEBECK, „GoETHEns Freund und Mitoptiker"^, schon von Jena her. Von 1812 bis 1818 lebte SEEBECK mit seiner Familie in Nürnberg. Die beiden im Januar und Dezember 1805 geborenen Söhne besuchten das dortige Gymnasium, richtiger die Vorstufen des „Gymnasial-Instituts", wie sie die NiETHAMMERSche Schulreform für Bayern von 1808 vorsah: die von der allgemeinen Volksschule abgetrennte Primärschule und das auf diese folgende Progymnasium. ^ So finden wir in dem Schülerverzeichnis von 1816* LUDWIG FRIEDRICH WILHELM AUGUST SEEBECK auf dem 4. Platz des „erstjährigen Cursus" der Ober-Primärklasse registriert, einen Jahrgang höher seinen Bruder JULIUS MORITZ^. AUGUST SEEBECK studierte später in Berlin Mathematik und Naturwissenschaften, promovierte 1830, war als Lehrer der Physik am FRIEDRICH WERDERschen Gymnasium und am Cöllnischen Realgymnasium in Berlin tätig, wurde 1843 Direktor der technischen Bildungsanstalt in Dresden, erhielt im Winter 1848/49 einen Ruf an die Universität Leipzig, starb aber schon

* Diesen Ausdruck braucht der Historiker Niebuhr, der Seebeck und Hegel im August 1816 in Nürnberg besuchte. Vgl. seinen Brief an Dora Hensler, 13. 8. 1816. In; Lebensnachrichten über Barthold Georg Niebuhr. . . Bd 2. Hamburg 1838. 224. (Abgedruckt auch: Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen. Hrsg, von G. Nicolin. Hamburg 1970. 125.) - Im übrigen vgl. über Thomas Johann Seebeck: Allgemeine deutsche Biographie. Bd 33. 564 f. ^ Zur Erläuterung: Die Primärschule, etwa für das 8. bis 12. Lebensjahr gedacht, umfaßte eine jeweils zweijährige Unter- und Oberklasse, das Progymnasium zwei einjährige Klassen. Charakteristisch für Niethammers Reformkonzept war es, daß es auf der Ebene der Sekundärschule eine Gabelung enthielt: neben das Progymnasium trat die Realschule. Diese Parallelität setzte sich auf der höheren Stufe der sog. Studieninstitute fort; neben das Gymnasium rückte das Realinstitut. (Letzteres wurde nur an zwei Orten, in Augsburg und in Nürnberg, eingerichtet und schon 1816 durch die bayerische Regierung wieder aufgehoben, womit Niethammers Reformansatz gescheitert war.) Siehe Allgemeines Normativ der Einrichtung der öffentlichen Unterrichtsanstalten in dem Königreiche (1808). Abgedruckt in Friedrich Immanuel Niethammer: Philanthropinismus — Humanismus. Texte zur Schulreform. Hrsg, von W. Hillebrecht. Weinheim 1968. 46 ff. Vgl. auch Albert Reble: Das Schulwesen. In: Handbuch der bayerischen Geschichte. Bd 4, Teil 2. München 1975. 949- 990; dort 958 ff. ® Jahresbericht von der Königlichen Studienanstalt des Gymnasiums zu Nürnberg, bekannt gemacht bei der öffentlichen Preisaustheilung den 29sten August 1816. Nürnberg 1816: Bieling. 36 und 34. ^ Dieser machte sich nach 1850 einen Namen als Kurator der Universität Jena und wurde nach seinem Tode in einer Gedenkschrift von Kuno Fischer {Erinnerungen an Moritz Seebeck. Heidelberg 1886) gewürdigt. Vgl. auch Allgemeine deutsche Biographie. Bd 33. 560- 564.

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kurz darauf. Seine Hauptarbeitsgebiete waren Optik und Akustik; bekannt wurden seine Untersuchungen zu Phänomenen der sogenannten Farbenblindheit. Der über die Dedikation des Buches gestellte lateinische Zuruf „Macte puer virtute", der den Knaben wegen seiner Leistungen preist, übernimmt eine altlateinische Glückwunschformel, die sich z. B. in VERGILS Aeneis findet (Buch 9, Vers 641; Apoll zum jungen Ascanius: „macte nova virtute, puer: sic itur ad astra. . Die Frage, ob diese Formel in allen Preisbüchern und in allen Schuljahren gleichlautend verwendet wurde, kann vorerst nicht beantwortet werden. Offen bleibt auch, ob die Auswahl der Buchgeschenke von Hegel selbst oder von den Klassenlehrern vorgenommen wurde. Zumindest mußte Hegel die Prämien ausdrücklich billigen, und so wäre es lohnend, die während seines Rektorats verteilten Buchgaben (sie sind in den jährlichen Programmen des Gymnasiums aufgeführt) einmal einer Gesamtbetrachtung zu unterziehen. HEBELS Schatzkästlein, 1811 veröffentlicht, scheint zuerst 1814 unter die Preise aufgenommen worden zu sein und wird von da an mehrmals genannt, und zwar stets für zehn- bis zwölfjährige Schüler, Die Zuordnung impliziert die für diese Altersstufe angenommene Faßlichkeit des Buches; doch darf man daraus wohl nicht schließen, Hegel habe die HEBELschen Kalendergeschichten auf das Kindertümliche festgelegt. (Denkt man daran, daß JOHANN PETER HEBEL im 20. Jahrhundert aufmerksame Leser und Interpreten u. a. in WALTER BENJAMIN, MARTIN HEIDEGGER, ERNST BLOCH gefunden hat, so ist es sicherlich zu bedauern, daß wir keine Äußerung von Hegel haben, die sein persönliches Urteil über den alemannischen Erzähler erkennen ließe.) Erwähnt sei noch, daß die „gewohnten Feierlichkeiten", von denen die Preisverleihung umgeben wurde (s. o.), stark literarisch geprägt waren: aus allen Klassen traten Schüler mit Deklamationen auf. So trug bei der Abschlußfeier von 1816 der Oberkläßler GEORG FRIEDRICH PUCHTA (der spätere Rechtshistoriker) ein Stück aus GOETHES Werther vor, es folgten weitere Zum Vorstehenden vgl. Allgemeine deutsche Biographie. Bd 33. 559-560. - Ein Corrigendum, das hier nicht übersprungen werden darf: In meinem kommentierten Personenregister zu Hegels Briefwechsel sind als „Kinder" von Thomas J. Seebeck, die mehrfach Vorkommen, nur die Tochter Adeline und Julius Moritz nachgewiesen, August Seebeck fehlt (Briefe von und an Hegel. Bd 4, Teil 2. 274). Hier danke ich Reinhard Häußler, einem Düsseldorfer Fakultätskollegen, für hilfreiche Hinweise. Ich möchte dies bei anderer Gelegenheit versuchen. Vgl. die Jahresberichte des Gymnasiums von 1814 bis 1816, jeweils unter den Primärklassen.

Hebels „Schatzkästlein" an Hegels Gymnasium

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Texte von GARVE, GOETHE, HERDER, GELEERT, GOTTLIEB KONRAD PFEFFEL und dem Nürnberger Mundartdichter GRüBEL. In dem unscheinbaren Preisbuch vom 29. August 1816, das wir in der Hand halten, schneiden sich mancherlei Linien einer Schulwirklichkeit, die Hegel damals gerade hinter sich ließ, der er aber acht Jahres seines Lebens gewidmet hatte.

Jahresbericht . . . 1816 (wie Anm.

8). 41.

EDUARD GANS' BRIEFE AN ATHANASE JOURDAN Mitgeteilt und erläutert von Norbert Waszek (Hannover)^

Der früh verstorbene EDUARD GANS^ gilt zu Recht als einer der originellsten und vielleicht als einflußreichster Denker der unmittelbaren Hegelschüler. Sein Beitrag zur Rechts- und Geschichtsphilosophie der Schule gewann jedoch erst im Zuge der Hegel-Renaissance, die nach dem 2. Weltkrieg einsetzte, langsam die Aufmerksamkeit, die ihm unter historischen und systematischen Gesichtspunkten zukommt^: noch in den ansonsten repräsentativen Textsammlungen der Hegelianer, die 1962 von KARL LöWITH und HERMANN LüBBE besorgt wurden'*, ist GANS nur mit

' Die hier vorgelegte Edition konnte ich während eines dreimonatigen Forschungsaufenthaltes in Paris vorbereiten (Oktober bis Dezember 1986). Der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die meinen Aufenthalt durch eine großzügige finanzielle Förderung ermöglichte, sei an dieser Stelle herzlich gedankt. ^ Zu Gans' Lebensdaten vergleiche: Allgemeine Deutsche Biographie (Sigle: ADB). Bd 8. Leipzig 1886. 361 f; Neue Deutsche Biographie. Bd 6. Berlin 1964. 63; H. G. Reissner: Eduard Gans. Ein Leben im Vormärz. Tübingen 1965. (Sigle: Reissner) Reissners Studie hat neben zahlreichen Detailergebnissen das große Verdienst, den jüdischen Hintergrund von Gans entscheidend zu erhellen. Andererseits wird diese Biographie den philosophischen Leistungen Gans' kaum gerecht. ^ Aus der wachsenden Literatur zu Gans möchte ich nur die folgenden Titel nennen: W. R. Beyer: Gans' Vorrede zur Hegelschen Rechtsphilosophie. In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie. 45 (1959), 257-273; Hermann Lübbe: Die politische Theorie der Hegelschen Rechten. In: Archiv für PhUosophie. 10 (1961), 175- 227, bes. 198 ff; Horst Schröder: Zum Gedenken an Eduard Gans. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin. Gesellschaftsund Sprachwissenschaftliche Reihe. 13,4 (1964), 515- 522; Manfred Riedel: Hegel und Gans. In: Natur und Geschichte. Karl Löwith zum 70. Geburtstag. Hrsg, von Hermann Braun und Manfred Riedel. Stuttgart 1967. 257-273; K. R. Meist: Altenstein und Gans. Eine frühe politische Option für Hegels Rechtsphilosophie. In; Hegel-Studien. 14 (1979), 39— 72; Johann Braun: Schwan und Gans. Zur Geschichte des Zerwürfnisses zwischen Friedrich Carl von Savigny und Eduard Gans. In; Juristenzeitung. 34 (1979), 769- 775. Meine eigene Auseinandersetzung mit Gans hat sich bisher in den folgenden Aufsätzen niedergeschlagen: Die Hegelsche Schule. In: Pipers Handbuch der politischen Ideen. Hrsg, von Iring Fetscher und Herfried Münkler. Bd 4. München, Zürich 1986. 232-246, bes. 242 f; Eduard Gans on Poverty: Between Hegel and Saint-Simon. In: The Owl of Minerva. 18,2 (Spring 1987), 167-178; eine modifizierte deutsche Fassung demnächst in: Hegel-Jahrbuch 1986; The Stagnation ofthe Consciousness of Freedom: A Challenge to Hegelianism. In: Philosophy - History - Politics. Hrsg von H.-C. Lucas, Z. A. Pelczynski, H. Williams. Oxford 1987. * Die Hegelsche Linke und Die Hegelsche Rechte. Hrsg, von Karl Löwith bzw. Hermann Lübbe. Stuttgart-Bad Cannstatt 1962.

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einem vierseitigen Auszug vertreten. Der Schlaganfall, dem GANS 1839 erlag, riß den 42-jährigen aus vielfältigen Projekten, so daß es trotz zahlreicher Publikationen kein von ihm selbst veröffentliches philosophisches Hauptwerk gibt. Die Zeitgenossen versprachen sich daher viel von einer Edition des Nachlasses, die von H. G. HOTHO und F. F. BENARY geplant wurde. Die politische Wende, die mit der Thronfolge FRIEDRICH WILHELMS IV. einsetzte und die sich in der Berufung von F. J. STAHL auf GANS' Lehrstuhl augenfällig niederschlug, schuf allerdings ein Klima, in dem ein solches Projekt kaum eine Realisierungschance besaß. So blieb der Nachlaß unbearbeitet, und seit der von den nationalsozialistischen Machthabern vollzogenen Enteignung der Nachkommen von GANS' Geschwistern, die den Nachlaß zunächst geerbt hatten, fehlt jede Spur seiner wissenschaftlichen Manuskripte und persönlichen Aufzeichnungen. Als karger Ersatz blieben der Forschung nur die studentischen Nachschriften von GANS' Berliner Vorlesungen, von denen bisher drei ediert worden sind®, sowie eine Reihe von Briefen, die GANS an Kollegen und Freunde geschrieben hatte. Die folgende Edition von sieben bislang unveröffentlichten Briefen erweitert die textliche Grundlage und will damit eine breitere Diskussion über die Rolle und Signifikanz des Beitrags von GANS zur Entwicklung der Hegelschule vorbereiten helfen. Neben seinen anderen Leistungen, die hier nicht erörtert werden können, galt GANS bereits den Zeitgenossen als Botschafter des französischen Beitrags zur philosophischen und politischen Kultur in Deutschland und damit als Vermittler von deutschem und französischem Geist. So konnte VICTOR COUSIN schon im April 1826 an Hegel schreiben: „Le Dr GANS sera le secretaire de tous vos amis"®, und K. A. VARNHAGEN VON ENSE ließ in seine Schilderung der Trauerfeierlichkeiten folgende Bemerkung einfließen: „Mit GANS ist uns hier die Vertretung des französischen Geistes, der französischen Entwicklung, der französischen Tagesinteressen, so gut wie abgestorben. Er kannte und liebte die französische Nation, sprach und schrieb französisch wie jetzt kein anderer Gelehrter hier, stand mit Frankreich in regem Lebensverkehr. Und dabei wußte er wohl, was er an Deutschland hatte, und auch insbesondere an Preußen und an Berlin, wiewohl er immer, aus Liebe, gegen die Heimath in Opposition stand, und sie zum Bessern aufreizen wollte."^ In diesen Zusammenhang gehören die Briefe an ATHANASE JOURDAN: der Kontakt mit dem französischen Rechtsgelehrten ist ein schönes Beispiel für den Austausch mit Frankreich, den GANS ständig praktizierte. Sie entstanden während (Brief 1) bzw.

® Horst Schröder publizierte die Nachschriften von Theodor Schütze („Naturrecht" Wintersemester 1828/29) und Georg Waitz („Deutsches Staatsrecht" Sommersemester 1834) im Rahmen seines Bandes: Eduard Gans: Philosophische Schriften. Glashütten/Taunus 1971. Manfred Riedel gab die Nachschrift von Immanuel Hegel heraus: Eduard Gans: Naturrecht und Universalrechtsgeschichte (Stuttgart 1981), die auf das Wintersemester 1832/33 zurückgeht. * Briefe von und an Hegel. Hrsg, von Johannes Hoffmeister und Friedhelm Nicolin. 3. Aufl. 4 in 5 Bdn. Hier Bd 3. Hamburg 1981. 111. ^ K. A. Varnhagen von Ense: Tagebücher. Bd 1. Leipzig 1861. 127.

Eduard Gans' Briefe an Athanase Jourdan

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im Anschluß an GANS' ersten, mehrmonatigen Aufenthalt in Paris (Mai bis Dezember 1825), den er selbst in einem Aufsatz seiner autobiographischen Rückblick^ schildert. Dieser Aufenthalt in Paris markiert eine durch Hindernisse im wissenschaftlichen Werdegang ausgelöste Krise in GANS' Leben. Dem aufsteigenden und bereits gut ausgewiesenen Rechtsphilosophen und -historiker war die Universitätslaufbahn in Preußen wegen seiner Zugehörigkeit zur jüdischen Religionsgemeinschaft unmöglich gemacht worden.® Es gibt Indizien, die vermuten lassen, daß sich GANS damals auf ein längeres Exil einstellte und darauf hoffte, eine adäquate Anstellung an einer französischen Universität oder Forschungsinstitution zu erhalten. Sicher ist, daß die Bittgänge, die GANS in Paris unternahm, nicht zu dem gewünschten Ziel führten. Heimweh nach Berlin und Sehnsucht nach der deutschen Sprache mögen weitere Gründe für den folgenden Schritt gewesen sein: er nahm in Paris Religionsunterricht und ließ sich dort am 12. Dezember 1825 taufen. Damit war das formaljuristisch begründete aber zweifellos antisemitisch motivierte Hindernis ausgeräumt, und GANS wurde als außerordentlicher Professor für Völkerrecht, Preußisches Recht und Kriminalrecht an die Berliner Universität berufen. In seinem Aufsatz Paris im Jahre 1825, den er erst 1836 veröffentlichte, berichtet GANS weder von seinen erfolglosen Bemühungen um eine Anstellung in Frankreich noch von seiner Konversion. Der damalige Ordinarius, der sich der größten Lehrerfolge erfreuen konnte, mochte sich vermutlich an seine dunkelsten Stunden nicht gern erinnern. Es gibt allerdings eine Bemerkung, die man als Antwort auf den Vorwurf des Opportunismus verstehen kann, den GANS von Seiten seiner ehemaligen Glaubensbrüder sicher hinnehmen mußte**: „. . .die Anklage der Inkonsequenz trifft weit mehr die großen Wellen der Weltgeschichte, als denjenigen, welchen sie ergreifen."

8 Eduard Gans: Rückblicke auf Personen und Zustände. Berlin 1836. Hier „Paris im Jahre 1825", 1—47 (Sigle: Rückblicke). ® Mit der von Vorurteilen nicht freien Darstellung von Max Lenz {Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Bd 2,1. Halle/Saale 1910. 216—224) vergleiche die grundlegenden Arbeiten von E. Hamburger: Juden im öffentlichen Leben Deutschlands. Tübingen 1968; M. Richarz: Der Eintritt der Juden in die akademischen Berufe. Tübingen 1974. sowie die speziellen Untersuchungen: Reissner. 49, 55-57, 65 f, 91-93; /. Braun (s. Anm. 3). *0 Zunächst ist hierbei daran zu erinnern, daß Gans seine Reise nach Paris in Göttingen unterbrach, um Heinrich Heine zu besuchen (Rückblicke. 3). Reissner vermutet doch wohl zu Recht, „daß Fragen von Karriere und Religion den Gegenstand einer erregten Auseinandersetzung" bildeten (108 f). Darüber hinaus könnte man es als Anspielung auf Gans' Stellensuche verstehen, wenn Cousin an Hegel schreibt: „ces rues interminables que les jambes alertes de Mr Gans connoissent trös bien" (Briefe von und an Hegel. Bd 3. 123; vgl. Reissner. HO). ** Ein beredtes Beispiel dieses Vorwurfs - wenn auch eines, das Gans nicht kennen konnte, da es erst nach seinem und des Dichters Tode veröffentlicht wurde — lieferte Heinrich Heine in dem Gedicht Einem Abtrünnigen. - Das Zitat von Gans aus: Rückblicke. 13 f.

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der Empfänger der Briefe wurde 1791 in Saint-Aubin des Champs (Nievre) geboren und absolvierte auch seine ersten Studien an der ecole centrale seiner Heimatprovinz. Erst dann begab er sich nach Paris und beschloß seine Studien an der dortigen juristischen Fakultät mit den Prüfungen zum Advokaten (Dezember 1812) und Doktor (August 1813). Das mit dem Advokatentitel verbundene Privileg zu praktizieren, gebrauchte JOURDAN nur sehr selten. Er scheint statt dessen zunächst ein Lehramt an der Pariser Fakultät angestrebt zu haben. Schließlich bevorzugte er es aber, sich in erster Linie der juristischen Forschung zu widmen und nur im privaten Kreis („dans son cabinet"), also ohne Hochschulposition, lehrend zu wirken. Mit der Zeitschrift Themis^^, die er gemeinsam mit den Professoren BLONDEAU, DEMANTE und DUCAURROY herausgab, schuf sich JOURDAN ein Organ, in dem er seine Forschungsergebnisse verbreiten konnte.'“* Die acht Bände, deren Edition JOURDAN selbst besorgte, etablierten die Zeitschrift als bedeutendstes juristisches Journal in Frankreich. Unterstützt von ausländischen Mitarbeitern wie WARNKONIG, gelang es JOURDAN, die Themis zu einem Forum von internationalem Ruf zu machen. Obwohl er als Forscher produktiv und originell war, haben seine Leistungen erst nach seinem Tod volle Anerkennung erfahren. Heute gilt er als der große Erneuerer des Studiums des römischen Rechts in Frankreich. In diesem Zusammenhang gehörte es zu seinen Verdiensten, den Blick seiner französischen Fachkollegen für die rechtswissenschaftlichen Erkenntnisse zu öffnen, die damals in Deutschland, Italien und Großbritannien erzielt wurden. Gerade dies Verdienst mag ihm zu seiner Zeit eher geschadet haben, denn es entstand bald ein gewisses Ressentiment gegen die „petite secte allemande", die aus seinem Privatunterricht hervorging. JOURDAN widmete sich auch der französischen Rechtsgeschichte*^ und der vergleichenden Rechtswissenschaft*''. Darüberhinaus bereitete er als Mitglied einer königlichen Kommission neue Gesetze für die französischen Kolonien vor. In dieser Funktion reiste er 1826 nach England, um die dortigen Kolonialgesetze zu studieren. Auf der Rückreise starb er, in Deal ATHANASE JOURDAN'^,

*^ Die folgenden Ausführungen über Athanase Jourdan stützen sich auf die Nekrologe zeitgenössischer Zeitschriften - Le Globe. Bd 4, Nr 10 (5. 9. 1826), 52; Revue Encyclopedique. Bd 32 (Octobre 1826), 259-262; Thimis, ou Bibliotheque du Jurisconsulte. Bd 8 (1826), 154-159 und folgende spätere Quellen: Nouvelle Biographie Ginerale. Paris 1852-1866. Bd 27. 74 f; Biographie Universelle. Paris o. J. Bd 21. 254 f. *3 Themis, ou Bibliothique du Jurisconsulte. Bd 1 — 10. 1819-1830. ** Jourdan schrieb zwanzig Beiträge für die Thimis. Eine detaillierte Auflistung findet sich in: Tables analytiques de la Revue de Legislation. Paris 1860. 32. *5 Zu diesem Themenbereich ist Jourdans Erstlingsschrift zu nennen; Relation de concours ouvert ä Paris pour la chaire de droit romain vacante par la mort de M. Berthelot (Paris 1819), sowie seine folgenden EdiHonen: Juris civilis ecloga (1822); Vaticana Juris romani fragmenta (1823); Tabulas chronologicas quibus Juris romani externa illustratur (1823). *^ Mit den vier Bänden über die Gesetzgebung Ludwigs XVI. beteiligte sich Jourdan an dem Sammelwerk Recueil general des anciennes lois frangaises. Paris 1821-1833. **’ Jourdan bereitete eine vergleichende Studie über Geschworenengerichte und Friedensrichter vor; vgl. Rückblicke. 15.

Eduard Gans' Briefe an Athanase Jourdan

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bei Dover, an einer Gehirnentzündung, die auf Überarbeitung zurückgeführt wurde. Eine vollständige Auswertung der Briefe GANS' wird erst im Rahmen einer großen Studie über diesen Hegelschüler möglich sein, die noch immer aussteht. Hier kann die Bedeutung der Dokumente nur in ersten Hinweisen angedeutet werden. Zunächst sind die umfangreichen Literaturempfehlungen, die GANS JOURDAN macht und die in den Anmerkungen bibliographisch überprüft und größtenteils nachgewiesen werden, für die ideengeschichtliche Erforschung von GANS' eigenen Schriften heranzuziehen. Zweitens schließen die Angaben in den Briefen 6 und 7 die Lücke in REISSNERS Auflistung der Lehrtätigkeit von GANS.'® Drittens wird in dem Austausch mit JOURDAN und den korrespondierenden Passagen der Rückblicke deutlich, wie sehr sich GANS in seiner Planung der Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik^^ an französischen Vorbildern, insbesondere an Themis und Globe orientierte. Schließlich illustriert der Briefkontakt zu JOURDAN GANS' Bemühungen, seinem universalhistorischen Anspruch in der Rechtswissenschaft gerecht zu werden.

Editorische Bemerkungen

Die sieben hier vorgelegten Briefe befinden sich in der Bibliotheque Cujas, Paris (Manuscrit No. 27) und werden mit deren Erlaubnis veröffentlicht.Die Briefe sind am linken Rand auf Kartonstreifen geklebt, die gemeinsam mit diversen anderen Manuskripten aus dem Nachlaß JOURDANS und den Sonderdrucken verschiedener Nekrologe auf JOURDAN ZU einem Band gebunden sind. Einzelheiten über die Herkunft der Dokumente können einem Brief entnommen werden, der den übrigen Unterlagen beigebunden ist. Es handelt sich dabei um das Begleitschreiben, in dem EDOUARD DE LABOULAYE^' die Manuskripte der Bibliothöque de l'Ecole de Droit (der heutigen Bibliotheque Cujas) im März 1877 gestiftet hat. Das

Vgl. Reissner. 117: „Ob und welche Vorlesungen er bereits im Sommersemester 1826 gehalten hat, ist nicht mehr feststellbar, da das Vorlesungsverzeichnis bereits vor diesem Termin in Druck gegangen war." Zur Geschichte der Jahrbücher vgl. Fritz Schlawe: Die Berliner Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik. Ein Beitrag zur Geschichte des Hegelianismus. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte. 11 (1959), 240- 258, 343-356; Hans-Christian Lucas: Das Entstehen der Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik'. In: Hegel in Berlin. Katalog. Hrsg, von O. Pöggeler. Wiesbaden 1981. 104-112. 20 Für die Druckerlaubnis und die freundliche und unbürokratische Hilfe, die mir in Ihrer Bibliothek gewährt wurde, möchte ich Madame Madeleine Ventre-Denis (Conservateur, Bibliothäque Cujas) herzlich danken. - Die Anregung, in der Bibliothäque Cujas nach Gans' Briefen zu suchen, erhielt ich durch eine Anmerkung zu Johann Brauns Artikel (s. Anm. 3). 2' Edouard-Renö Lefebvre de Laboulaye (1811-1883) war seit 1849 Professor, seit 1873 Verwaltungsleiter (,administrateur') des College de France; vgl. La Grande Encyclopedie. Bd21. 691.

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Schreiben richtet sich an den damaligen Dekan der juristischen Fakultät^^ und berichtet, daß LABOULAYE die Dokumente „vor 20 Jahren" von A. TAILLANDIER^^ erhalten habe, der den o. g. Nekrolog auf JOURDAN in der Revue Encyclopedique verfaßt hatte. Neben den Briefen von GANS enthält der Nachlaß JOURDANS die Korrespondenz zahlreicher anderer Juristen. Darunter dürfte zumindest das Folgende von rechtshistorischem Interesse sein: ein Brief FRIEDRICH KARL VON SAVIGNYS (vom 27. März 1826)^^, neun Briefe von KARL JOSEF ANTON MITTERMAIER^^ und sieben Briefe von WALTHER FRIEDRICH VON CLOSSIUS^®. Die Briefe 2 und 3 tragen je einen Poststempel und einen französischen Eingangsstempel. Brief 1 ist vermutlich persönlich (bzw. durch einen privaten Boten), Brief 5 von Herrn ROBERT übergeben worden. Da die Briefe 4, 6 und 7 keinerlei Empfängerangaben auf der Außenseite tragen, liegt die Vermutung nahe, daß sie von GANS entweder den Schreiben an andere Pariser Korrespondenten beigefügt oder persönlich bekannten Parisreisenden mitgegeben wurden. Dem Brief 2 war ein Brief von GANS an COUSIN beigelegt; Brief 6 enthielt einen Brief Hegels an CouSIN^^.

Das Französisch, in dem EDUARD GANS seine Briefe geschrieben hat, ist leider noch nicht so fehlerfrei, wie seine spätere Meisterschaft dieser Sprache vermuten ließe. Dieser Sachverhalt wirft editorische Probleme besonderer Art auf. Einerseits kann es nicht darum gehen, sprachliche Korrekturen vorzunehmen, die die Authentizität seiner Briefe und deren stilistische Eigenart verfälschen würden. Andererseits sollte ein Text erstellt werden, der lesbar ist und im Zweifelsfall modernen Konventionen folgt. Die Cedille (g), Akzente (aigu, grave, circonflexe) und Bindestriche, die GANS oft wegließ und deren Gebrauch ansonsten uneinheitlich ist, wurden ohne Anmerkung modernem Sprachgebrauch angeglichen. Auch die Interpunktion bei der GANS nachlässig ist und eher deutschen Regeln folgt, wurde so vereinheitlicht. Bei am Satzende vergessenen Punkten wurde auch die Großschreibung des nächsten Wortes stillschweigend vollzogen. Unrichtige Formenbildung wurde, wo dies möglich war, ohne Anmerkung in eckigen Klammern korrigiert^*. ^ Dabei handelte es sich um Gabriel-Fräd^ric Colmet-Daäge (1813—1896), der von 1868—1879 Dekan der juristischen Fakultät war. Diese Angaben verdanke ich Madame Ventre-Denis. ^ Alphonse-Honor6 Taillandier (1797—1867), Advokat (seit 1823), Rechtsgelehrter und Politiker; vgl. La Grande Encyclopidie. Bd 30. 874. In der Edition Adolf Stolls, Friedrich Karl von Savigny. Ein Bild seines Lebens mit einer Sammlung seiner Briefe (Berlin 1927—1939) ist dieser Brief nicht erhalten. Ob er anderweitig publiziert wurde, ist mir nicht bekannt. Die Briefe Mittermaiers (1787-1867) stammen aus den Jahren 1825 und 1826. Mittermaier war seit 1821 Professor in Heidelberg; vgl. ADB. Bd 23. 25 - 33. 2* Die Briefe von Clossius (1796-1838), stammen aus den Jahren 1820 bis 1824. Clossius war Professor in Tübingen und seit 1824 in Dorpat. Vgl. ADB. Bd. 4. 343 f. Dabei handelt es sich vermutlich um Hegels Brief vom 5. 4. 1826: Briefe von und an Hegel. Bd. 3. 107-111 (Nr. 508). 2* Für ihre freundliche Hilfe bei den sprachlichen Korrekturen möchte ich Mlle Martine Colombani (Romanisches Seminar, Universität Hannover) danken.

Eduard Gans' Briefe an Athanase Jourdan

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sonstige Veränderungen am Manuskript sind mit hochgestellten Buchstaben im Text angekündigt. Ihre Auflösung folgt jeweils dem Text des einzelnen Briefes.

BRIEF 1

Monsieur, Mr Abel Remusat^^ m'ayant envoye des billets pour la Seance publique de rinstitut^“, ce serait, ä ce que je crois, manquer de politesse de ne pas assister ä la seance. C'est pour® cette raison que je vous prie, mon eher Docteur, de me permettre que je vous accompagner, Lundi ou mardi, ä une heure que vous fixerez avec^ MM. Ducaurroy^^ et Demante^^. J'ai l'honneur d'etre avec la plus haute consideration Votre obeissant serviteur. Gans. Je desireraijs] beaucoup“^ voir Mr Etienne^^. A Monsieur Jourdan, Docteur en droit et Avocat ä Paris Rue Hautefeuille No 20 bis ® pour] Ms.: par coup de

avec] Ms.: chez

dösirerais beaucoup] Ms.: desirerai beau-

Jean-Pierre-Abel Remusat (1788—1832), Sinologe, seit 1824 Kustos der Sammlung orientalischer Manuskripte an der Bibliothäque Royale; vgl.La Grande Enq/clopedie. Bd 28. 390. ^ Hier scheint es sich um die öffentlichen Sitzungen des Instituts de France (Akademie) zu handeln. Adolphe-Marie Ducaurroy de la Croix (1788-1850), Advokat und Rechtsgelehrter, seit 1820 Professor für römisches Rechf in Paris. Vgl. Nouvelle Biographie Ginirale. Bd 14. 924 f. Antoine-Marie Demante (1789-1856), zunächst (seit 1809) Advokat, dann Professor (seit 1819) in Paris. Vgl. Nouvelle Biographie G&nirale. Bd 13. 517 f. Louis Etienne (1799-1885), Advokat und Rechtsgelehrter mit vielfältigen Beziehungen zu Deutschland (Studienaufenthalt in Heidelberg 1822-1824). Er praktizierte als Rechtsanwalt in Metz (1826-1830) und Marseille (nach 1850) und lehrte in Paris, Poitiers und Aix. Vgl. La Grande Encyclopedie. Bd6. 661.

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BRIEF 2

Francfort sur le Main® ce 29. Decembre 1825. Mon eher confrere, Mille et mille*^ remerciements'^ pour la bonte extreme que vous avez eue pour moi, pendant mon sejour ä Paris, et qui s'est manifestee de nouveau par renvoi*^ que j'ai trouve dans votre aimable lettre du 17 de ce mois. Si je® trouve assez penible d'etre prive du plaisir de vos entretiens aussi doctes qu'ingenieux, j'espere qu'une correspondance animee suppleera^ en quelque sorte ä ce defaut. J'ai ete ä Stuttgart, et je suis entre dans des relations assez importantes avec Mr Cotta^^. Mr Cotta se propose d'envoyer dans le mois de Mars suivant Mr Robert^^ de Carlsruhe ä Paris pour contracter une alliance parfaite de la librairie allemande et frangaise, de sorte que tous les bons livres allemands soient connus en meme temps en France autants qu'ils*’ le sont en Allemagne. J'ai conseille ä Mr Cotta de reunir cette entreprise au Globe36 et il est tres tente de le faire. J'ai promis ä Mr Robert de lui donner une lettre pour vous. Mr Mohr ä Heidelberg a ete Charge de vous envoyer swr‘ mon campte un Exemplaire de mon traite sur les obligations^^. Ayez la bonte de vous charger de la lettre pour Mr Cousin^® [Mil] lei amities Gans.

^ Johann Friedrich Cotta (1764-1832). In seinem Verlag erschienen die Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik. Vgl. ADB. Bd 4. 527-533. Ernst Friedrich Ludwig Robert (1778—1832), jüngerer Bruder von Rahel Varnhagen von Ense, der eine Reihe von wenig erfolgreichen Bühnenstücken schrieb; vgl. ADB. Bd 28. 720- 722. ^ Le Globe. Von Paul Dubois und Pierre Leroux 1824 gegründete Zeitschrift, deren Geschichte und Charakter ich geschildert habe in meinem Aufsatz: Weltgeschichte und Zeitgeschehen. Hegels Lektüre des ,Globe'. In: Logik und Geschichte in Hegels System. Flrsg. von H.-C. Lucas und G. Planty-Bonjour. Stuttgart-Bad Cannstatt 1987. - Mit der nicht idiomatischen Formulierung ,reunir cette entreprise' scheint Gans auf eine geschäftliche Vereinbarung des Verlegers Cotta mit der Zeitschrift Le Globe anzuspielen. Die noch ausstehende systematische Auswertung des Cotta Archivs (im Deutschen Literaturarchiv, Marbach/Neckar) mag hier weitere Aufschlüsse geben. Der Heidelberger Buchhändler Jakob Christian Benjamin Mohr (1778—1854) verlegte Gans' Schrift: Über römisches Obligationenrecht. Heidelberg 1819. Dieser Brief an Victor Cousin konnte noch nicht identifiziert werden.

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A Mr. Jourdan, Docteur en droit, membre de la Commission Royale pour les Colonies. Paris Rue Hautefeuille No 20 bis “ le Main] Ms.: Mein Mille et mille] Ms.: Milles et milles remerciements] Ms.: remerciments l'envoi] im Ms. folgt: du regu ' Si je] im Ms. folgt: le ^suppleera] Ms.: supliera 8 autant que] Ms.: que >’ qu'ils] im Ms. folgt: se ‘ sur mon campte] Ms.: pour man campte i Mille] Ms.: . . .les. Die ersten Buchstaben wurden mit dem Siegellack ausgerissen.

BRIEFS

Berlin ce Janvier. 1826 Mon eher confrere De retour ä Berlin depuis quelques temps je crois devoir commencer^ avec notre correspondance, laquelle j'espere restera en bon train. J'ai trouve en arrivant votre lettre du 23 Decembre, ma malle n'est pas encore ä Berlin quoique les 25 jours fix[es] pour le transport soient dejä de beaucoup passes. J'espere que vous aurez regu ma lettre de Francfort, et l'exemplaire de mon traite sur les obligations par l'intermediaire de Mr Mohr, auquel j'ai enjoint de vous l'envoyer sur mon compte. Comme les libraires sont quelquefois des fripons je vous supplie de le rayer s'il osait'^ le mettre sur le votre. j'aeheterai l'edition du Gajus^^ de Leipzig'^ et j'aurai soin de l'envoyer SOUS bande. Si le Coutumier general de Mr Bigot de Preameneu^° a ete achete pour moi, ayez la bonte de me le faire transmettre par le roulage. Je VOUS ferai parvenir le prix aussitöt que j'en aurai quelque nouvelle. Je suis Charme que vous ayez‘^ un moyen de correspondance avec les libraires d'Italie. Je vous prie de donner des ordres, afin qu'on m'envoie tous les Statuta Italica"*^ qu'on pourra encore avoir, et qu'on trouve ä la Bibliotheque royale de Paris. J'aurai soin de faire aussitöt le rembourse-

39 An welche der zahlreichen Ausgaben des Gajus Gans hier denkt, ist nicht sicher zu entscheiden. ^ Felix-Julien-Jean Bigot de Preameneu (1747-1825), Jurist und Politiker, der sich, durch die Restauration in den Ruhestand versetzt, um die Geschichte des Zivilrechts verdient machte. Eine von ihm besorgte Ausgabe des Grand Coutumier de France — einer Kompilation vom Ende des 14. Jahrhunderts — ist nicht nachweisbar; vgl. La Grande Encyclopedie. Bd 6. 811 f; Bd 13. 222 -224. 91 An welchen Gesetzestext Gans hier denkt, konnte ich nicht ermitteln.

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ment. Je vous rends mille^ gräces de l'extrait que vous m'en[v]oyez du motu proprio, et si cela ne vous gene^ pas trops j'aurais la hardiesse de solliciter le titre entier, par le moyen de l'ambassade. Aussitöt que le travail de Mr Etienne sur mon livre est imprime, ayez la bonte de me l'envoyer sous bandes. Vous ne me dites pas si Mr Treuttel et Wurtz^^ veulent se charger de la traduction de Mr Etienne. Je desirerais en avoir quelques nouvelles. J'ai eu quelques Conferences avec le ministre au*^ sujet de ma nomination. Je crois qu'on me nommera ä une chaire de Berlin cela peut encore durer 6 ä 8 semaines. Si je ne puis vous entretenir ce mois d'un mouvement grave dans notre bibliographie, je suis plus heureux quant ä la Codification. Un[e] Circulaire du Ministre de la' justice adresseje] ä toutes les cours royales ordonne une revision du Code prussien. Chaque cour royale a nomme deux rapporteurs, et le travail des rapporteurs doit etre fini le 1. mars de cette annee. Alors une Commission legislative nommee par le Roi s'occupera de rediger ces rapports et de faire sur ces bases une revision des loi[s]. Je n'attends pas beaucoup de cette nouvelle legislation. On part d'un principe tout ä fait faux: il nous faudr[a]it un code autre que celui que nous avons: il faudr[a]it recommencer un travail penible, et on ne veut que faire des changemen[t]s partiels, sans changer le Systeme. Si la Commission a ete nomme[e] je m'aventurerais peut-etre dans cette partie de la Science, et j'emettraii un livre sur les defauts et les vices de notre code^^. L[a] Circulaire n'a pas ete imprime[e], mais si vous desirez l'avoir, je vous l[a] ferai copier. J'espere que la grande gazette litteraire^ que j'ai entrepris[e] et qui sera basee sur des principes tout ä fait nouveaux paraitra ä Berlin. Aussitöt qu'il y aura'^ quelque chose de fixe je vous en donnerai des nouvelles. J'ecrirai ä Mr Hudtwalkei^® pour l'echange de la Themis. Mille' compli-

Treuttel et Wurtz, eine Verlagsbuchhandlung, deren Pariser Büro sich in der rue de Bourbon No 17 befand. Hierbei könnte es sich um die 1830-1832 von Gans herausgegebenen Beiträge zur Revision der Preußischen Gesetzgebung handeln. Sicher eine Anspielung auf die Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik. ■*5 Martin Hieronymus Hudtwalcker (1787—1865), Hamburger Jurist und Senator, gab gemeinsam mit C. Trümmer die Zeitschrift Criminalistische Beiträge (1824-1827) heraus; vgl. ADB. Bd 13. 279- 281. Jourdan scheint Gans um die Vermittlung eines Austausches der Beiträge mit der Thämis gebeten zu haben.

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men[t]s ä MM. Etienne, Marchand^^, Blondeau“*^, Ducaurroy et Royer-Collard^*. Je vous embrassje] Gans. A Mr. Jourdan, Docteur en droit, membre de la Commission royale pour les Colonies ä Paris Rue Hautefeuille No 20 bis ® devoir commencer] Ms.: devoir faire un commencement *’ osait] Ms.: oserait •^Leipzig] Ms.: Leipsick ayez] Ms.: avez mille] Ms.: milles ^ gene] Ms.: generait s pas trop] Ms.: pas tout ä fait au] Ms.: pour le ‘dela]Ms.:de ) j'toettrai] Ms.: j'emetterai y aura] Ms.: y'a ‘ Mille] Ms.: Milles

BRIEF 4

Berlin ce 28 Fevrier 1826 Mon eher confrere, J'ai regu avec le plus grand plaisir votre lettre en date du 12 de ce mois que j'avjajis attendue depuis plusieurs semaines. Ma malle est enfin arrivee apres un voyage de 8 semaines, et je vous rends gräce de la peine que vous vous® etes donneje] pour moi. Je’’ suis charme que vous donnerez une analyse de mon traite sur les obligations. Si Mr Mohr a mis ce livre sur votre compte, il y a*^ erreur de sa part. Ayez la bonte de le rayer et de lui ecrire que je lui avjajis dit que'’ c'etait un cadeau® et qu'il devjajit le mettre sur mon compte. Vous ne me dites rien sur l'analyse de Mr Etienne: N'aura-t-elle’, pas lieu, ou les redacteurs de la Themis refusent-ils Tinsertion? Je vous suis bien oblige de Tachat du regiement de 1816^^, ainsi que de votre Intervention en Italie. Pour vous mettre en etat de faire des achats pour moi, j'ai donne les ordres necessairejs] aujourd'huis ä mon

^ Charles Frangois Marchand (1794—?), Jurist, später Präfekt des Department de l'Ain. Anonym veröffentlichte er Journies mimorables de la revolution frangaise. 11 Bde. Paris 1826-1827. ^ Jean-Baptiste-Antoine-Hyacinthe Blondeau (1784-1854), Rechtsgelehrter mit Lehrämtern an den Universitäten Straßburg (bis 1808) und Paris. Vgl. La Grande Encyclopedie. Bd 6. 1166 f. “ Pierre-Paul Royer-Collard (1763-1845), Philosoph und Staatsmann. Woran Gans hierbei denkt, bleibt unklar.

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banquier de cette ville de vous faire un credit de deux mille francs chez Mr Lafitte qui vous payera tout ce que vous avez la bonte d'acheter pour moi. Je vous enverrai la lettre de credit, dans ma prochaine lettre*’. En* ce moment il me faut toutes les coutumes de France qui ne sont pas dans le coutumier general. Achetez pour moi tout ce que vous trouvez ä Paris touchant ce point-lä. Je crois ma nomination tres prochaine, et j'attends jour apres jour) l'ordonnance. Des qu'elle aura ete donnee je vous la communiquerai: J'ai ete extremement fache et surpris de lire dans les journaux que vous vous etes retire du concours. Cependant la nomination des memes juges qui vous ont ete si contraires lors du dernier concours, justifie tout ä fait cette mesure. Que faire avec des imbeciles*^, des nigauds qui sont fiers de leur ignorance? Consolez-vous avec l'estime generale de l'Allemagne ou l'opinion de tous les hommes d'esprit vous repute* premier jurisconsulte de votre pays, et croyez que tot ou tard on se repentira dans votre pays meme des gaucheries qu'on commet; n'etait-ce pas Cujas qui a eprouve des refus?^** Je reviens ä present"" ä mon rapport mensuel. Quant ä la bibliographie il n'y a" que les livres suivants qui sont plus ou moins dignes de votre attention: I) Heffter Institutionen des roemischen" und deutschen Prozesses (InstitutionsP du proces romain et germanique) Bonn 1826.^* Quoique l'auteur ait fait quelquefois des plagiats principalement en ce qui regarde mon livre sur les obligations3 et malgre un mauvais style, ce livre merite d'etre nomme"'. II) Bauer Projet® d'un code penal, pour le Royaume d'Hannovre. Gott. 1826.52

III) Projet du Code penal, pour le royaume de Baviere. Munich. 1826.53

IV) Dans le journal litteraire intitul[e] Hermes Tome XXV. Cahier 2. Leipzig* 1826. Il y a" un article tr^s complet et tres bien ecrit sur toutes les decouvertes qui ont ete faites, en ce qui touche la litterature'" ancienne

Dies könnte eine Anspielung darauf sein, daß der große Rechtslehrer Jacques Cujas (1522-1590) bei einem Wettbewerb (ca. 1553) um den Lehrstuhl für römisches Recht an der Universität seiner Heimatstadt Toulouse verlor; vgl. La Grande Encydopidie. Bd 13. 596. August Wilhelm Heffter: Institutionen des römischen und teutschen Civil-Prozesses. Bonn 1825. Anton Bauer: Entwurf eines Strafgesetzbuches für das Königreich Hannover. Göttingen, 1826. Es ist mir nicht gelungen, dieses Werk bibliographisch nachzuweisen.

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principalement la litterature'' juridique.^^ Vous y trouv[ez] renondation” complete de tout ce qui a ete ecrit sur Gajus et sur les Fragmen[t]s; votre nom n'est pas oublie: vous vous y trouverez souvent. Voilä tout ce que j'ai ä vous dire sur la Bibliographie, quant ä la Codification, tout se prepare. On parle d'un[e] abolition prochaine du Jury dans nos provinces Rhenanes et d'une loi sur les majorats. Autant que je connais notre gouvernement, on n'osera rien faire’' sans avoir l'assentiment des etats provinciaux des Provinces du Rhin qui viennent d'etre convoques. La plupart des membres de notre Commission legislative sont de7 francs imbeciles^. Mr de Henning et moi, nous preparons un Journal sur cette legislation.^5 Je congois bien que la France nouvelle reclame contre le droit d'ainesse.'^ Cependant, l'Angleterre nous demontre que ce droit n'est pas tout ä fait contraire ä la liberte et ä un gouvernement representatif, l'argument de Mr Dupin^^ que ce projet est contraire au premier article de la Charte, „Les Frangais sont egaux devant la loi" est precieux. L'egalite ainsi commentee, il nous faudrjajit la legislation de Lycurgue. Je crois que le projet ne passerja] pas la Chambre des Pairs hautement interessee au morcellement du bien foncier. Je suis Charme de nos Conferences philosophiques, et surtout de votre täche. Mr Cousin m'ignore tout ä fait: il ne repond pas, les redacteurs du Clobe de meme: ils m'av[a]ient promis le Clobe que j'attendjs] depuis 8 semaines: Dites ä Mr Cuigniaujt]®^, s'il vous plait, que j'ai prepare un article pour le Clobe. J'ai envoyö son livre^® ä Mr de Humboldt qui m'a dit qu'il lui ecrira bientot. Mr Hegel est charme des religions de l'antiquite®^ que je lui ai transmisjesj.

^ Hierbei handelt es sich um den Aufsatz: A. W. von Schröter: Übersicht der vorzüglichsten seit dem Jahre 1813, besonders durch Codices rescripti neuentdeckten Stücke der griechischen und römischen Literatur. 271—388; juristische Veröffentlichungen werden ab S. 282 behandelt. Da Leopold von Henning (1791 — 1866) an der späteren Herausgabe der Beiträge zur Revision der Preußischen Gesetzgebung (s. Anm. 43) nicht beteiligt war, scheint es sich hier um ein nicht realisiertes Projekt zu handeln. 5* Andre-Marie-Jean-Jacques Dupin (1783-1865), Jurist und Politiker; vgl. La Grande Encyclopödie. Bd. 15. 80 f. 5^ Joseph-Daniel Guigniaut (1794-1876), Professor (1818-1822) und Direktor (1830-1836) der Ecole normale, später Mitglied der Akademie und des College de France; vgl. Dictionnaire de Biographie Frangaise. Fase. 97. Paris 1986. 93 f. 5® Da Guigniaut zu diesem Zeitpunkt noch kein anderes Buch veröffentlicht hatte, muß es sich um den 1. Band seiner kommentierten Übersetzung von Creuzer handeln: Religions de l'antiquite, considerees principalment dans leurs formes symboliques et mythologiques. 10 Bde. Paris 1825-1851. 5^ Siehe vorige Anmerkung.

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Mille'^ Complimen[t]s ä MM. Cousin, Dubois“, Guigniaut, Blondeau, Ducaurroy, Royer-Collard, Etienne, Marchand Votre tr^s dövoue Gans. Vous recevez ci-inclus la^ lettre de Credit sur Lafitte. Si vous achetez les Coutumes ayez la bonte de me les envoyer par le roulage. Mon banquier, le nom du Banquier est^ M. Friedländer + Co., me fait dire qu'il a ecrit directement ä Mr Lafitte et que vous etes accredite pour la somme de 2 000 francs. G ^vous] Das zweite ,vous' fehlt im Ms. ^ Je] Ms.: J'en y a] Ms.: y'a que] Ms.: qu'e ^ cadeau] Ms.: cadot ' N'aura-t-elle] Ms.: N'aura t'elle 8 aujourd'hui] Ms.: aujourdhoui prochaine lettre] Ms.: prochaine ' En] Ms.: Pour i jour aprfes jour] Ms.: de jour en jour imbeciles] Ms.: imbecilles 'röpute] Ms.: repute le ä present] Ms.: apresant " il n'y a] Ms.: il n'ya ° roemischen] Ms.: roemichen P Institutions] Ms.: Institutes i obligations] im Ms folgt gestrichen: ,cependant e' ■■ nomme] Ms.: nominne ® Projet] im Ms. folgt gestrichen: ,de loi' ‘ Leipzig] Ms.: Leipsic “ il y a] Ms.: il y'a '' littörature] Ms.: literature l'6nonciation] Ms.: l'enonciration rien faire] Ms.: faire rien y de] Ms.: des ^ imböciles] Ms.: imbecilles d'ainesse] Ms.: d'ainase ® pas ä] Ms.: pas Mille] Ms.: Milles la] fehlt im Ms. ^ est] fehlt im Ms.

BRIEFS

Berlin ce 8 Mars 1826 Mon eher confrere, Vous aurez sans doute re?u ma lettre du 28 fevrier. Par la presente, je recommand[e] ä votre amitie pour moi, mon ami intime Mr Robert, un des plus celebres poetes et litterateurs® allemands. Comme je sais que rien ne vous est etrange de*^ ce qui se trouve en rapport avec vos etudes de notre langue et de notre litterature, j'ose croire que vous lui ferez l'accueil qu'il merite*^ tous les egards. Je n'ai donc rien ä ajouter. Mr Robert va ä Paris pour conclure, s'il est possible, le traite d'alliance entre la litterature® fran-

“ Paul-Fransois Dubois (1793-1874), bedeutender Publizist (Herausgeber des Globe), nach der Julirevolution Politiker und Inhaber diverser öffentlicher Ämter.

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gaise et allemande, but constant de nos desirs et de nos discours. Jugez donc de rimportance que vos secours doivent avoir pour lui. Mille^ amities Gans. A Monsieur Jourdan, Docteur en droit, Membre de la Commission Royale pour les Colonies Paris Rue Hautefeuille no 20 bis qitterateurs] Ms.: literateurs de] fehlt im Ms. merite] Ms.: mente SOUS ® litterature] Ms.: literature ^ Mille] Ms.: Milles

ä] Ms.:

BRIEF 6

Berlin ce 13 Avril 1826 Mon eher ami et confrere, Quoique charme d'avoir enfin regu une lettre de vous, j'ai appris avec^* une profonde douleur que votre maladie^^ continue. J'espere qu'elle cessera bientot, dans votre interet et dans celui de la Science. Par ordonnance royale en date du vingt-trois mars, j'ai ete nomme Professeur ä la faculte de Berlin, malgre l'opposition assez vive de Mr de Savigny. On a fait meme circuler le bruit que Mr de Savigny quitterait Berlin, si ma nomination avait*’ lieu, pour se rendre ä Göttingue. C'et[a]it pour intimider le ministre qui cependant, cette fois, n'a montre aucune faiblesse. A presenb me voilä nomme et Mr de Savigny reste. Je ferai deux cours dans ce semestre I) l'histoire et les institutions'^ du droit anglais II) le droit hereditaire. Je vous parlerai plus tard du succes de ces cours. Si l'article de Mr Etienne n'etait pas satisfaisant, vous avez bien fait de ne pas l'inserer. Je suis de l'avis de Mr Cousin qu'une traduction de la preface vaudr[a]it bien mieux qu'un® mauvais article. Le nouveau recueil sur la jurisprudence criminelle par Mr Hitzig®^ dont vous faites mention n'est d'aucun interet pour vous, d[u] moins, jusqu'ici.

** Jourdan litt unter chronischen Kopfschmerzen und starb an „Gehirnfieber"; vgl. Rückblicke. 15 f. “ Zeitschrift für die Criminal-Rechts-Pflege in den Preußischen Staaten mit Ausschluß der Rheinprovinzen. Hrsg, von Julius Eduard Hitzig. Bd 1-24. Berlin 1825—1833.

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car il regarde seulement le droit prussien et il ne renferme que des proces verbaux aux^ causes peu interessantes. Je proposerai uns echange avec la Themis. Je n'ai regu que deux feuilles du Globe posterieures ä votre lettre du 27 mars, la feuille du 28 et du 30 mars. Ayez la bonte de dire cela ä Mr Dubois. Je lui enverrai bientöt un article. Je suis Charme que Mr Cousin fasse*' paraitre sa collection^^. J'ai lu un fragment dans le Globe sur la philosophie de l'histoire qui me parjajit tres beau et tres concluant: j'ai ecrit deux fois ä Mr Cousin, sans qu'il m'ait repondu. Il a meme ecrit ä Mr Hotho^ qu'il ne le Charge en aucune maniere de complimenjtjs pour moi. Je ne saurjajis guere expliquer cela. Je n'ai pas encore regu la loi du Pape. La torture est abolie partout en Allemagne. C'est dans le pays d'Hanovre qu'elle s'etait conservee jusqu'en* 1826. -i Quant ä la Bibliographie. Il a paru: I. Essai d'unje] histoire du droit anglo-saxon (Versuch einer Geschichte des Angelsächsischen Rechts) par George Phillips Göttingue 1825, un livre excellent.®^ Je vous en donnerai, si vous voulez, un[e] analyse pour la Themis. Le Catalogue de*^ Leipsic annonce: II. System der Criminalrechtswissenschaft (Systeme de Science criminelle) par Mr Abegg. Königsberg. III. Nouveau recueil pour le droit civil et criminel par Mr. S. P. Gans (un de mes cousins germains) qui est avocat ä la cour de cassation d'Hannovre.^^

IV. Ausbeute von Nachforschungen über verschiedene Rechtsmaterien (Essais sur plusieurs points d[e] droit) par Mr Gesterding. I. Volume. Greifswald. V. Haubold eclogae juris justinianei ed. Wenk.^^ Victor Cousin: Fragmens phüosophiques. Paris 1826. Es handelt sich hierbei um eine Sammlung von Aufsätzen, die in den Jahren 1816-1819 in den Zeitschriften Journal des Savans und Archives Phüosophiques erschienen waren. ^ Heinrich Gustav Hotho (1802-1873), war 1825 Gans' Reisegefährte; vgl. Rückblicke. 3. *5 George Phillips: Versuch einer Darstellung der Geschichte des Angelsächsischen Rechts. Göttingen 1825. ^ Julius Friedrich Heinrich Abegg: System der Criminal-Rechts-Wissenschaft, als Grundlage zu historisch-dogmatischen Vorlesungen über das gemeine und preußische Criminal-Recht. Königsberg 1826. Zeitschrift für Civil- und Criminal-Rechtspflege im Königreich Hannover. Herausgegeben von Salom. Phil. Gans. Bd 1. St. 1-4. Hannover 1826-1827. ^ F. C. Gesterding: Ausbeute von Nachforschungen über verschiedene Rechtsmaterien. T. 1. Greifswald 1826. ^ Es ist mir nicht gelungen, diese Publikation eindeutig bibliographisch nachzuweisen. Es

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VI. Haubold opuscula academica ed Wenk.^° VII. Savigny Histoire du droit Romain dans le moyen äge Tome IV.^^ VIII. Zimmern Histoire du droit Romain. Quant ä la Codification nous ne sommes pas encore tres avances. Je publierai un recueil sur notre legislation. Le droit d'ainesse' occupe tous les esprits ici. Je crois ce projet mauvais quant au contenu et pire encore quant ä la forme. II faut une pairie pour la monarchie, mais il ne faut pas de™ pairie pour le tiers etat. Je crois Topposition assez vive en France pour faire tomber ce projet. J'ai donne ä Mr Robert une lettre pour vous. Je vous prie de lui faire un bon accueil, ce" qu'il merite. Mille" complimen[t]s ä Mr. Cousin, Guigniau[t], Blondeau, DucaurroyP, Dubois, Marchand, Etienne, Royer-Collard. Cette lettre qui va par Tambassade renferme une lettre de Mr Hegel ä Mr Cousin Je vous embrassje] Gans. “ j'ai appris avec] Ms.: je n'ai appris qu'avec avait] Ms.: auroit A present] Ms.: Aprösant institutions] Ms: Institutes ^ bien mieux qu'un] Ms.: bien un 'aux] Ms.: de (folgt gestrichen: proces) s un] Ms.: une *’ fasse] Ms.: fait ‘jusqu'en] Ms.: jusque il826. —] im Ms. von anderer Hand ergänzt durch: ,bastonnade en (im Ms. folgt ein Wort: unleserlich) torture dans le grand duche de Bade en deux cas' '' de] im Ms. folgt gestrichen: Leipzig ' d'ainesse] Ms.: d'ainesses ^ pas de] Ms.: pas une " ce] fehlt im Ms. ° Mille] Ms.: Milles P Ducaurroy] Ms.: Ducaurroi

könnte sich um die folgende Schrift handeln: Christian Gottlieb Haubold: Doctrinae pandectarum lineamenta cum locis classicis juris, imprimis Justinianei et selecta literatura maxime forensis. Leipzig 1820. Christian Gottlieb Haubold: Opuscula academica ad exempla a defuncto recognita partim emendavit. T. 1. Hrsg, von C. Fr. C. Wenk. Leipzig 1825. Friedrich Karl von Savigny: Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter. Bd 4: Das 12. Jahrhundert. Heidelberg 1826. Siegmund Wilhelm Zimmern: Geschichte des römischen Privatrechts bis Justinian. Heidelberg

1826.

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BRIEF 7

Berlin ce 25 Juin 1826. Mon eher ami, J'ai re?u vos lettres du 10 May et du 16 Juin. Si j'ai retarde un peu ma reponse, ce n'et[a]it pas ma faute. Mes cours ont occupe tout le tem[p]s qui me restait, et toujours pret ä vous ecrire, j'ai ete contrarie par beaucoup de choses qui ne voulaient pas me laisser parvenir. J'apprends avec beaucoup d'interet votre voyage pour Londres. Ayez la bonte d'y acheter pour moi, si vous pouvez, la bibliotheque de Clarke^^ et les livres de Glanvilleje]^^, Bracton^^ et Fleta^^, si vous pouvez les avoir ä bon marche. De retour ä Paris vous pourrez vous rembourser chez Mr. Lafitte oü je vous ai ouvert un credit de 2 000 francs. J'ai espere^ recevoir quelques Coutumes qui ne sont pas dans le Coutumier, mais il parait qu'il n'y en*^ a pas ä Paris. Avez-vous quelque reponse des libraires d'ltalie, vos correspondants? Je me häterai de communiquer ä Mr de Savigny ce que vous me mandez, et rancune tenante, pour nous parier aussi. Mr de Savigny a regu un conge de neuf mois, il partira le 18 Juillet pour Naples, et ne fera son retour qu'au 1. Avril 1827. J'ai ete Charge de faire le cours des Digestes l'hiver prochain et j'ai Mr Hollweg^^ pour concurrent. Je ferai d'ailleurs'^ un cours d'exegese et j'expliquerjai] les lois selecta des Digestes. En etes-vous content? Mon cours du droit des successions est tres suivi. Celui du droit anglais inspire moins d'interet.*^ Cependant il etait necessaire de faire connaitre les institutions de l'Angleterre chez nous oü on se trouve encore dans une profonde ignorance sur ce pays. Hier handelt es sich vermutlich um Sir Thomas Clarke (1703-1764), Direktor des englischen Staatsarchivs (,master of the rolls'); vgl. Dictionary of National Biography. London 1908. Bd 4. 447 f. Clarke veröffentlichte nur ein einziges Werk: Fleta, seu Commentarius juris anglicani. Londini 1735. Der Kontext macht es wahrscheinlich, daß Gans mit seinem Kaufauftrag an diese Edition dachte. Ranulf Glanville (starb 1190), englischer Oberrichter, der als Autor des ältesten englischen Rechtsklassikers gilt: Treatise on the Laws and Customs of England (geschrieben um 1187); vgl. Dictionary of National Biography. Bd 7. 1292—1294. Henry de Bracton (starb 1268), Geistlicher und Richter, dessen Werk De legibus et consuetudinibus Angliae (geschrieben nach 1235) als erster Versuch einer vollständigen, systematischen und praxisbezogenen Darstellung des englischen Rechts gilt; vgl. Dictionary of National Biography. Bd 2. 1052—1055. 76 Obwohl Fleta häufig wie ein Eigenname gebraucht wird, handelt es hierbei um den Namen eines Lehrbuchs des englischen Rechts, das um 1290 entstanden ist. Das Vorwort des Originalmanuskripts erklärt den Titel folgendermaßen: „this book may well be called Fleta, for it was composed in Fleta." Vgl. Dictionary of National Biography. Bd 7. 290. 77 Moritz August von Bethmann-Hollweg (1795-1877) war 1823-1829 Ordinarius für römisches Recht und Zivilrecht in Berlin, später in Bonn.

Eduard Gans' Briefe an Athanase Jourdan

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J'av[a]is rintention de vous proposer un rendez-vous ä Heidelberg au® mois de Septembre. Peut-etre qu'en retournant d'Angleterre vous prenez le chemin de Francfort, pour voir un peu notre Allemagne. Mürissez ce projet-lä, j'aur[a]is bien des choses ä vous proposer qui ne se communiquent guere par des lettres. J'attend[s] votre röponse de Paris ou de Londres oü je voudrais bien savoir votre adresse. Que fait Mr Robert ä Paris? Vous ne m'en di[tes] rien dans votre derni^re lettre^ La torture est abolie partouts. Elle n'existe plus dans le grand Duche de Bade. La bastonnade doit etre consideree comme peine et non comme moyen d'arracher un aveu. Le depart de Mr Etienne^® est une perte pour votre ecole. Restera-t-il longtem[p]s en Isle*’ de France? Mon livre sur les successions ne sera donc pas du tout analyse. Je prepare pour la Themis un article sur le livre de Mr Phillips sur le droit anglo-saxon. Ayez la bonte d'embrasser pour moi Mr Cousin, et dites-lui que dans peu de jours il aura ma reponse sur le cadeau’ precieux qu'il m'a fait de son livre. Mr Hegel et nous tous, nous sommes charmes de son introduction, et ce sera probablement le premier livre qui sera analyse dans le nouveau journal litteraire qui paraitra sous nos auspices ä Berlin.Si j'ai ete un peu tardif dans ma correspondance avec Mr Cousin ce sont les cours qui m'ont empeche. Un professeur debutant a tant ä faire surtout quand il est environne d'ennemis qui ne demandent pas mieux que de le culbuter. Notre litterature offre peu de chosesi remarquable[s]. I) Code civil pour la Pologne. traduit en allemand par Mr E. G. Faltz. Breslau. 1826.®° II. Freiesieben. Dissertations sur l'histoire du droit Romain 1. Cahier (Beiträge zur Römischen Rechtsgeschichte) Leipzig.®^ III. Pfizer. Beiträge zum Behuf einer neuen Straftgesetzgebung. Ulm.

^ Etienne (vgl. Anm. 33) ging nach Metz und kehrte erst 1830 nach Paris zurück; vgl. Dktionnaire de Biographie Frangaise. Hrsg von Roman d'Amat. Bd 13. Paris 1975. 211 f. Bei der neuen Zeitschrift handelt es sich um die Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik. Es ist mir nicht gelungen, diesen Titel bibliographisch nachzuweisen. Carl Friedrich Freiesieben: Beiträge zur römischen Rechtsgeschichte. Bemerkungen über einige Eigenthümlichkeiten in den Schriften der alten römischen Juristen. Leipzig 1826. Benjamin Friedrich von Pßtzer: Beyträge zum Behuf einer neuen Strafgesetzgebung. 2. verm. Ausg. Ulm 1826.

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NORBERT WASZEK

IV. Wachsmuth. Hellenische Alterthumskunde aus dem Gesichtspunkt des Staats (Antiques grecques) Leipzig*^. (Un tres bon livre).®^ Mille amities ä‘ Mr Blondeau, Ducaurroy, Etienne, Marchand, RoyerCollard. Je vous embrassje] Gans

= j'espere] im Ms. folgt: de ® n'y en] Ms.: ne y'en d'ailleurs] Ms.: dailleurs ® interet] im Ms. folgt: a ce qui parait ' au] Ms.: dans le ' lettre] fehlt im Ms. 8 partout] Ms.: par tout ^ en Isle] Ms.: dans l'isle * cadeau] Ms.: cadot ) choses] fehlt im Ms. Leipzig] Ms.: Leipsic *ä] Ms.: pour

Wilhelm Wachsmuth: Hellenische Alterthumskunde aus dem Gesichtspunkte des Staates. Halle

1826.

ZWEI HEGEL-NACHSCHRIFTEN VON J . E . ERDMANN Eine Mitteilung von Burkhard Tuschling (Marburg)

In Band 20 der Hegel-Studien konnte WERNER STARK berichten über eine von ihm in der Universitätsbibliothek Torün aufgefundene Nachschrift von Hegels Vorlesung zur „Philosophie des Geistes", geschrieben „von einem ,L. WALTER' im Winter 1827/28".* Am Institut für Philosophie in Marburg sind jetzt weitere Reproduktionen bisher nicht bekannter Hegeliana vorhanden^, darunter zwei Vorlesungsnachschriften von der Hand des späteren Philosophiehistorikers JOHANN EDUARD ERDMANN, deren Originale in der Biblioteka Narodowa Warszawa aufbewahrt werden. Über sie soll hier eine erste Mitteilung gegeben werden. Unsere Beschreibung konnte bislang nicht an den Originalen in Warschau überprüft werden; sie stützt sich ausschließlich auf den aus der Filmkopie erkennbaren Befund. - Die beiden Nachschriften werden im folgenden kurz als „Ms. Erdmann I" und „Ms. Erdmann 11" bezeichnet. 1. Das Ms. Erdmann I ist folgendermaßen tituliert: „Hegel Vorlesungen über: Philosophie der Weltgeschichte. Nachgeschrieben von ED. ERDMANN. Berlin Wintersem. 1826/27". Es umfaßt 107 Blatt (nach der Zählung eines Bibliothekars), das Format ist vermutlich Folio. Das Ms. besteht aus Bogenlagen von drei Doppelbögen Umfang am Anfang und am Ende des Ms. bzw. von vier Doppelbögen im Mittelteil. Dies ist daraus zu erschließen, daß im Abstand von je 12 bzw. 16 Seiten, also auf der ersten Seite jeder Bogenlage in der oberen rechten Ecke „Phil. d. Weltgesch." vermerkt ist. In der Mitte der Bogenlage läßt sich auf dem Film auch der Bindefaden erkennen. Anfänglich sind diese Bogenlagen auch durchnumeriert. Das Ms. ist am Anfang sehr säuberlich, von der Mitte an zunehmend flüchtiger geschrieben; die Handschrift ist dieselbe wie im Ms. Erdmann II. Im zweiten Teil des Ms. ist häufig Raum freigelassen, z. T. von der Länge eines Absatzes, z. T. in einem Umfang von bis zu zwei Seiten. Da zu vermuten ist, daß dieser Raum für spätere Nachträge freigelassen wurde, kann das Ms. wohl keine Abschrift sein. Daß die Mss. Erdmann I und II tatsächlich von ERDMANN selbst angefertigt und * Werner Stark: Eine neue Quelle zu Hegels Berliner Vorlesungen. In: Hegel-Studien. 20 (1985), 121. - Der Vorname des Schreibers muß, abweichend von Starks Wiedergabe, als „F". gelesen werden; siehe dazu unten Abschnitt 5. 2 Sie sind dem Verfasser auf Anfrage bei verschiedenen Bibliotheken zugesandt worden. Einige bisher unveröffentlichte Briefe Hegels werden wir im folgenden Band der Hegel-Studien edieren.

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BURKHARD TUSCHLING

nicht von ihm nur gekauft worden sind, wird durch einen Vergleich mit der Handschrift in Briefen ERDMANNS^ wahrscheinlich gemacht und kann aufgrund der biographischen Umstände sowie von Äußerungen ERDMANNS (siehe unten Abschnitt 5) als gesichert angesehen werden/ 2. Das Manuskript „Erdmann II" trägt auf der ersten Seite den Titel „Hegel. Vorlesungen über die Philosophie des Geistes, Berlin im Wintersemester 1827/28". Darunter steht der Namenszug „JOHANN EDUARD ERDMANN". Die Nachschrift ist vom Schreiber des Ms. fortlaufend in der oberen äußeren Ecke paginiert, beginnend mit „1" auf der ersten und endend mit „260" auf der letzten Textseite; das Format ist vermutlich Folio. Die Seiten sind zu Beginn sehr eng, später etwas lockerer beschrieben. Der Rand ist sehr breit, das Manuskript von einer einzigen Hand geschrieben, derselben wie im Fall des Ms. I. Auf dem Rand befinden sich folgende Einträge: — einige wenige Zusätze mit Verweiszeichen; — Verweise auf die §§ der zweiten Auflage der Enzyklopädie, und zwar deutlich weniger als im Manuskript „Walter''^; — Wiederholungen der Zwischenüberschriften aus dem Haupttext; — das Datum der jeweiligen Vorlesungsstunde, allerdings erst beginnend mit Ms.-S. 13 („d. 6‘" 9*”'"). Der letzte Eintrag findet sich auf Seite 120 („d. 22. Jan."). Es finden sich auch Datumseinträge mit Angabe der Jahreszahl 1827 bzw. 1828. — Auf den Seiten 11, 35, 59, 83, 107 und 131 steht in der rechten oberen Ecke der Eintrag „Philosophie des Geistes" bzw. ein abgekürzter Eintrag desselben Inhalts. Da diese Einträge im Abstand von genau 24 Seiten aufeinander folgen, ist anzunehmen, daß sie jeweils auf der ersten Seite einer Bogenlage, die aus 6 Doppelbögen bestehen würde, stehen.® Das Schriftbild ändert sich regelmäßig an jenen Manuskriptstellen, die durch Datumseinträge den Beginn einer neuen Vorlesungsstunde markieren; der Schreiber benutzt eine deutlich spitzere Feder. Dies läßt vermuten, daß das Manuskript im Wintersemester 1827/28 kontinuierlich angefertigt worden ist. - Die Schrift ist ausgeprägt und nähert sich bisweilen im Charakter einer Schönschrift. Das Ms. ist im allgemeinen säuberlich geschrieben. Durchstreichungen, Korrekturen und Ergänzungen finden sich nur ganz selten. Der Schreiber des Ms. verwendet Sigeln, Endsilben (v. a. Flexionsformen) werden fast durchweg weggelassen; auch sonst

^ Diejenigen Erdmannschen Autographen, die bislang verglichen werden konnten, stammen allerdings aus späterer Zeit, sc. aus den Jahren 1836 bis 1841. * Da das Ms. noch nicht genauer bearbeitet worden ist, muß hier auf eine inhaltliche Würdigung verzichtet werden. Sinnvoll wäre ein Vergleich mit der späteren Version von Hegels Vorlesung, die nach Mitteilung von Herrn Pöggeler in einer im Hegel-Archiv vorhandenen Nachschrift aus dem WS 1830/31 überliefert ist. ® Vgl. dazu die Beschreibung des Ms. Walter bei Stark (Anm. 1). ® Die Frage, warum diese 24-Seiten-Lagen erst mit S. 11 beginnen, kann nur anhand des Originals geklärt werden.

Zwei Hegel-Nachschriften von Erdmann

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kürzt er vielfach ab. Es kann wohl ausgeschlossen werden, daß das Ms. von einem kommerziellen Schreiber stammt oder überhaupt als Reinschrift intendiert war. Sehr wahrscheinlich ist es allerdings auch keine Mitschrift. Es dürfte sich am ehesten um eine nach eigenen oder fremden Unterlagen nachträglich angefertigte Ausarbeitung handeln, die aber vermutlich, wie schon gesagt, in direktem zeitlichem Zusammenhang mit Hegels Vortrag entstanden ist. 3. Die Nachschriften Walter und Erdmann II zu Hegels Philosophie des Geistes 1827/28 sind inhaltlich zum Teil sehr nahe miteinander verwandt; es gibt Textstükke, die beinahe wörtlich übereinstimmen, so etwa die ersten vier Seiten beider Manuskripte. In anderen Partien weichen Formulierungen und Satzbau voneinander ab, während der Inhalt, teilweise auch der Wortbestand gleich ist. Auffällig ist, daß ein Großteil nach nachträglichen Randzusätze im Manuskript „Walter" sich wörtlich im Manuskript „Erdmann" finden, so daß zu vermuten ist, daß die Hörer von Hegels Vorlesungen ihre Hefte zur gegenseitigen Ergänzung untereinander ausgetauscht haben.^ 4. Gegenstand der Vorlesung, die in den Mss. Walter und Erdmann II mitgeteilt wird, ist die Philosophie des subjektiven Geistes; der gedruckte Bezugstext ist die zweite Auflage von Hegels Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften von 1827, 3. Teil, 1. Abteilung. Beides wird sowohl durch den Text als auch durch zahlreiche eindeutig zu identifizierende Paragraphenangaben und Zitate belegt. Hegel hat demnach bei der ersten sich bietenden Gelegenheit die soeben erschienen Überarbeitung seiner Enzyklopädie seiner Vorlesung zugrunde gelegt. Dem entspricht auch die Anzeige im Index Lectionum der Berliner Universität. Für das Wintersemester 1827/28 kündigte Hegel Psychologie und Anthropologie oder Philosophie des Geistes nach der zweiten Auflage seiner Enzyklopädie an.* Da beide Manuskripte nicht in einem Zug geschrieben, sondern über einen längeren Zeitraum hinweg angefertigt wurden, ist auszuschließen, daß es sich um spätere Abschriften oder Kompilationen handelt. Sie dürften daher den Text von Hegels Vorlesungen aus dem Wintersemester 1827/28 einigermaßen verläßlich wiedergeben, freilich nicht wörtlich, sondern von den Hörern stilistisch überarbeitet. 5. Die bisher angestellten Vermutungen werden durch die Biographie von WALTER und ERDMANN bestätigt.® ERDMANN, 1805 in Livland geboren, seit 1829 Pfarrer in seiner Heimatstadt Wolmar, 1834—1836 Privatdozent der Philosophie in Berlin, seit 1836 Professor für Philosophie in Halle, studierte seit 1823 Theologie in Dorpat, zwischen 1826 und 1828 Theologie und Philosophie in Berlin.'“ Studienkollege Siehe dazu unten Abschnitt 5. * „G. W. F. Hegel, Dr. Privatim/1) Historiam philosophiae quinquies p. hebd. H. XII-I/ 2) Psychologiam et anthropologiam sive philosophiam mentis duce libro suo (Encyclop. d. philos. Wiss. Vol. III. P. I. ed. II) quater per hebd. h. V-VI dieb. Lun. Mart. Jov. Ven. enarrabit." Vgl. Briefe von und an Hegel. Bd4, Teil 1. Hrsg. v. F. Nicolin. Hamburg 1977. 117; vgl. auch ebd. 123 die Ankündigung aus dem deutschsprachigen Verzeichnis der Vorlesungen. ® Die nachfolgenden Informationen wurden von Franz Hespe zusammengetragen. Angaben nach H. Glöckner:}. E. Erdmann. Leben und Werke, Stuttgart 1932. 1. Vgl. auch W. Ziegenfuß, G, ]ung: Philosophenlexikon. Berlin 1949.

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BURKHARD TUSCHLING

in Berlin war der Bruder seiner Mutter (er war nur vier Jahre älter als E.), FERDINAND WALTER, der später Pfarrer, Oberkonsistorialrat und schließlich Generalsuperintendent von Livland wurde. Nach Studium, Promotion und Hauslehrertätigkeit in Livland studierte WALTER 1827/28 in Berlin. Er wurde am 31. 10. 1827 in der theologischen Fakultät eingeschrieben.Den biographischen Daten gemäß, ist WERNER STARKS oben zitierte Lesung des Namens auf dem Titelblatt der von ihm entdeckten Nachschrift - „L. Walter" — zu korrigieren in: „F. Walter". Zwischen JOHANN EDUARD ERDMANN und FERDINAND WALTER bestand jedoch nicht nur ein enges verwandtschaftliches Verhältnis, sie haben auch in Berlin zusammen gewohnt'^ und Hegels Vorlesungen gehört. FERDINAND WALTER schreibt in einem Bericht über seine Studien in Berlin, er höre „Hegels Logik" bei HENNING, „Geschichte der Philosophie" und „Psychologie und Anthroplogie" bei Hegel. JULIUS WALTER berichtet darüber hinaus, FERDINAND WALTER habe im Sommer 1828 noch Logik Natur- und Geistesphilosophie bei Hegel gehört, ohne dies freilich zu belegen.'^ In der zweiten Dezemberhälfte und im Januar konnte er wegen Krankheit an den Kollegien nicht teilnehmen, er bedauerte dies, aber weniger als einen ausgefallenen Theaterbesuch, „weil ich der Anderen Hefte als Surrogate finde".'^ Über Hegels Vorlesungen berichtet J. E. ERDMANN, er habe weder diktiert noch so gelesen, daß man die Vorlesung Wort für Wort habe mitschreiben können. „Wie die Notizen, welche er vor sich hatte, bald oben, bald unten in seinem Heft geschrieben standen, wie er sie bald von dieser, bald von jener Seite, bald mit Hilfe eines, bald eines anderen Blättchens zusammen suchte, geradeso wurden auch die Worte mühselig zusammen gesucht und schlossen sich nur selten zu correkt gebauten Perioden zusammen. Die Hauptgedanken traten in einzelnen Schlagworten prägnant hervor, so dass der Sinn und Geist gegeben war, der Nachschreibende aber dazu die Form selbst suchen musste. Dadurch kam es, dass man jeden Gedanken zunächst nur als Hegelschen vernahm, dann aber durch die sprachliche Veränderung (Sprechen ist Denken) ihn sogleich wiederholte und sich assimilierte. "1^ Die Mitteilungen WALTERS und ERDMANNS belegen, daß beide Hegels Vorlesungen über die Philosophie des Geistes im Wintersemester 1827/28 regelmäßig gehört, nachgeschrieben und (auch mithilfe der Nachschriften anderer) ausgearbeitet haERDMANNS

'' Alle Angaben nach /. Walter (anonym): Bischof Dr. Ferdinand Walter, weil. General-Superintendent von Livland. Seine Landtagspredigten und sein Lebenslauf. Leipzig 1891. 20 f. — Julius Walter, ein Sohn Ferdinand Walters, war Professor in Königsberg. Vgl. auch WalramWerdmüller in: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd 41. „In der Luckwaldtei, Bischofsstr. 17, am neuen Markt, 4 Treppen hoch." Walter, 102. Ebd. 104. Ebd. 109. Die letzte Angabe kann nicht zutreffen, weil Hegel im Sommer 1828 nicht über Geistesphilosophie las. 15 Ebd. 105. 15 Erdmann: Vorlesungen über akademisches Leben und Studium. Leipzig 1858. 264. 17 Ebd. 264 f.

Zwei Hegel-Nachschriften von Erdmann

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ben. ERDMANNS Zeugnis bestätigt darüber hinaus den Befund der beiden Parallelnachschriften, insbesondere den Charakter ihrer Übereinstimmungen und ihrer Differenzen betreffend: Hegels Studenten waren in der Tat darauf angewiesen (dank der Eigenart des Hegelschen Vortrags allerdings auch in der Lage), ausgehend von Formulierungen Hegels dessen Gedanken selbständig zu formulieren und zu verarbeiten. Dies erklärt, warum der ursprüngliche Wortlaut der Vorlesung Hegels in den Nachschriften zugleich greifbar nahe und unerreichbar erscheint: Hegels Gedanke ist in der Artikulation des Schreibers präsent. Vor diesem Hintergrund erscheint der Versuch, den ursprünglichen Wortlaut von Hegels Vortrag in einer Edition von Vorlesungsnachschriften rekonstruieren zu wollen, als problemaHsch. In der geplanten Edition der Nachschriften Walter und Erdmann von Hegels Vorlesung über die Philosophie des Geistes wird deshalb auf einen solchen Versuch von vornherein verzichtet werden.

MIGUEL GIUSTI (LIMA)

BEMERKUNGEN ZU HEGELS BEGRIFF DER HANDLUNG

Angesichts der Fülle der neueren Arbeiten über Hegels praktische Philosophie, die sich u. a. auch mit ganz konkreten Fragen entwicklungsgeschichtlicher Art beschäftigen, mag es auffallend sein, wie wenig Aufmerksamkeit dabei dem Handlungsbegriff gewidmet wird.^ Ein solcher Umstand erklärt sich nicht so sehr aus der Vernachlässigung der entsprechenden Passagen der Rechtsphilosophie oder der Phänomenologie, als vielmehr aus dem immer noch verbreiteten Unbehagen gegenüber Hegels systematischem Vorgehen, bei dem Individuelles oder Moralisches überhaupt mehr oder minder unter den allgemeinen Anspruch des Staatlichen vermeintlich unterdrückt würde. Obwohl zumindest für die Hegelforschung die Zeiten der pauschalen Verurteilung Hegels als des preußischen Staatsphilosophen längst vorbei sind, bleibt doch die Angemessenheit seiner Beurteilung der Rolle des Einzelnen innerhalb der Sittlichkeit bzw. des Staates ein höchst umstrittener Punkt. Immer noch wird Hegels Analyse der subjektiven Handlung als prinzipielle Abwertung der Freiheit Hegels Philosophie des Rechts wird mit Rph. unter Angabe der Paragraphen zitiert. Die Vorlesungen werden zitiert nach folgenden Ausgaben; G. W. f. Hegel: Vorlesungen über Rechtsphilosophie 1818—1831. Edition und Kommentar . .. von Karl-Heinz Ilting. Stuttgart-Bad Cannstatt 1973 ff; G. W. F. Hegel: Die Philosophie des Rechts. Die Mitschriften Wannenmann (Heidelberg 1817/18) und Homeyer (Berlin 1818/19). Hrsg., eingel. u. erläutert von Karl-Heinz Ilting. Stuttgart 1983; G. f. W. Hegel: Philosophie des Rechts. Die Vorlesung von 1819/20 in einer Nachschrift. Hrsg, von Dieter Henrich. Erankfurt a. M. 1983. - Auf die verschiedenen Editionen wird wie folgt hingewiesen: Rph. I; 1817/18 (Wannenmann) (Seitenangabe nach Ilting 1983) Rph. II: 1818/19 (Homeyer) (Seitenangabe nach Ilting 1983) Rph. III: 1819/20 (Seitenangabe nach Henrich 1983) Rph. IV: 1821/22 Rph. V: 1822/23 (Hotho) (Seitenangabe nach Ilting 1973, Bd 3) Rph. VI: 1824/25 (Griesheim) (Seitenangabe nach Ilting 1973. Bd 4) Rph. VII: 1831 (Strauß) (Seitenangabe nach Ilting 1973. Bd 4) ' Abgesehen von dem Artikel /. Derbolavs (in: Hegel-Studien. 3 [1965], 209- 223; auch in Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie. Hrsg. v. M. Riedel. Erankfurt a. M. 1975. Bd 2. 210-216), der eine ganz allgemeine Behandlung der „Moralität" in der Rechtsphilosophie enthält, gibt es meines Wissens keine spezifischen Arbeiten über dieses Thema.

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MIGUEL GIUSTI

des Individuums betrachtet, die er aus „theoretischer Pflicht"^ bzw. aus einer „tendenziösen" Absicht^ habe entwickeln müssen. Dementsprechend verschiebt sich die Diskussion auf die Erörterung der theoretischen Legitimität der dialektischen Behandlung realphilosophischer Themen, wobei einzelne Problemkomplexe — wie etwa der Handlungsbegriff — in den Hintergrund treten. Die Auffassung der „Sittlichkeit" ist zweifelsohne das Novum der Hegelschen praktischen Philosophie und daher ist die Auseinandersetzung um ihre kategoriale Gültigkeit von größter Bedeutung. Hegels Idee der Sittlichkeit beruht jedoch zugleich auf einer wesentlichen Kritik an den neuzeitlichen Moral- und Staatslehren (also auch an dem darin implizit enthaltenen Handlungsbegriff), die heutzutage um so interessanter erscheint, als die neuformulierten Einwände gegen Hegels politische Philosophie auf gesinnungsethische bzw. auf kontraktualistische Elemente zurückgreifen. Eine genauere Analyse des Handlungsbegriffs bei Hegel müßte vor allem die wichtigsten Aspekte dieser Kritik hervorheben, um somit den Sinn der beanspruchten Aufnahme des Individuellen in die sittlichen Gebilde angemessen erfassen zu können. Was Hegel aber unter „Handlung" versteht, ist zunächst einmal zweideutig. Zwar heißt „Handlung" für ihn strictu sensu „die Äußerung des Willens als subjektiven oder moralischen" (Rph. § 113), der Begriff des Willens selber wird jedoch seinerseits durch Elemente einer theoretischen Handlungsstruktur bestimmt. Mehr noch: der so gedeutete Willensbegriff liefert erst den eigentlichen Schlüssel zum Verständnis der Kritik an den Widersprüchen und „Verstellungen" der moralisch intendierten Handlung und erlaubt, letztere als Stufe der Verwirklichung der Freiheit innerhalb der systematischen Rekonstruktion der Sittlichkeit einzuordnen. Es sollen im Folgenden 1. die Hegelsche Umdeutung des Willensbegriffs im Sinne einer Handlungsstruktur und 2. die nähere Bestimmung der moralischen Handlung in der Rechtsphilosophie erörtert werden.

1 .

Im Naturrechts-Auf Satz bringt Hegel die politischen Theorien und Moraltheorien von HOBBES bis FICHTE auf den gemeinsamen Nenner „Naturrecht" und führt dabei eine Unterscheidung systematischer Art ein, die ^ So D. Henrich in der Einleitung zu seiner Ausgabe: Hegel: Philosophie des Rechts. Frankfurt a. M. 1983. 31. 3 So /. Habermas: Der philosophische Diskurs der Moderne. Frankfurt a. M. 1985. 52.

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jene Theorien als zwei „Arten" eines und desselben Ansatzes erscheinen läßt. Beide, die sogenannte „empirische" und die „transzendentale" Behandlungsart kommen darin überein, daß sich das Sittengesetz gegen die chaotische Mannigfaltigkeit bzw. gegen die zwingenden Kausalzusammenhänge der Natur durchzusetzen hat. Die „transzendentale" Behandlungsart „vervollständigt" indessen insofern die Intention der „empirischen", als sie deren Inkonsequenz (den noch bestehenden Rückgriff auf empirische Bestimmtheiten) aufhebt und die Opposition zur Natur bis zur völligen Ausschließung derselben führt. Der gemeinsame Ansatz besteht folglich in der Entgegensetzung von Sittengesetz und Natur, von Begriff und empirischer Anschauung oder, wie Hegel sich in Glauben und Wissen ausdrückt, im Stehenbleiben bei der Entgegensetzung von Unendlichkeit und Endlichkeit. Der wichtigste Vorwurf, den HOBBES gegenüber der traditionellen Ethik vorbringt, besteht darin, daß letztere weder über einen adäquaten Ausgangspunkt (principium) noch über eine zureichende Methode verfügt habe. Die Moralphilosophie müsse daher mit der gleichen Gewißheit (pari certitudine) wie die Geometrie durchgeführt werden, die allein eine „vortreffliche Verwaltung" ihres Gebiets bewiesen habe.^ Diese Analogie zum geometrischen Verfahren — eine verbreitete Tendenz der neuzeitlichen Philosophie — wird von HOBBES konsequenterweise mit der These verbunden, daß der Mensch Gewißheit in der Erkenntnis nur von solchen Dingen erlangen könne, die er selber erzeugt habe.^ Die politische Philosophie HOBBES' wird nun paradoxerweise dadurch eine demonstrative und „apriorische" Wissenschaft, daß sie den Bereich der menschlichen Praxis durch eine am Modell des „Herstellens" orientierte Theorie behandelt. Auf eine Weise, die den KANiischen Ansatz vorwegnimmt, schreibt HOBBES die Vollkommenheit der herstellenden Tätigkeit nicht der Naturerkenntnis zu (denn die Natur wird ja nicht vom Menschen erzeugt), sondern lediglich der voluntas, die einen absoluten Anfang und eine absolute Ursache für die Gründung des Staates darstellt. Was dieses Modell des Herstellens zum Ausdruck bringt, ist jedoch nicht eine bloße Übertragung der aristotelischen poiesis auf das Gebiet der Politik. Die Analogie beschränkt sich hauptsächlich auf das Moment des kausalen (im Sinne von causa efficiens) Ursprungs des künstlichen Werks „Geometrae quidem provinciam suam egregie administraverunt." Th. Hobbes: De Cive. Epistola dedicatoria (Op. lat. Vol. 2. 137). 5 „. .. earum tantum rerum scientia per demonstrationem illam a priore hominibus concessa est, quarum generatio dependet ab ipsorum hominum arbitrio." Th. Hobbes: De Homine. c. 10,4 (Op. lat. Vol. 2. 92).

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MIGUEL GIUSTI

Leviathan, wobei dieses Herstellen die Merkmale eines enttheologisierten Schöpfungsgedankens aufweist. Die politische Handlung ist für HOBBES eine herstellende Tätigkeit, deren Ergebnis (deren Werk) der Rechtszustand ist. Da sie kausal erklärt wird, ist sie eine begründende, stiftende Tätigkeit. Hierin liegt gleichsam die Würde der modernen Subjektivität. Weder Naturordnung noch Tradition, weder Religion noch Macht bilden die Legitimationsgrundlage des Rechts. Der Wille allein soll als Begründungsinstanz gelten. Zwischen Ursache und Wirkung, zwischen menschlichem Willen und Rechtszustand soll jedoch ein Übergang stattfinden, der, wie es der demonstrative Charakter der Theorie verlangt, notwendig und zwingend sein muß. Es ist aber bekannt, daß HOBBES dies nur durch ein doppeltes Postulat - das des natürlichen Egoismus und das der Selbsterhaltung - leisten konnte, aus dem dann die Notwendigkeit des Rechtsvertrags „abgeleitet" wurde. Hierin sah Hegel zurecht HOBBES' Inkonsequenz. War es HOBBES trotz (oder vielleicht wegen) der „Inkonsequenz" seines Ansatzes noch möglich gewesen, den Übergang von der absoluten, negativen Bestimmung des Willens in die positive Ordnung des Rechtszustandes plausibel zu machen, so wird dieser Übergang mit der Trennung von einer politischen und einer moralischen Sphäre erst recht unmöglich. Die kausale Erklärung des menschlichen Willens, d. h. die Rückführung jeglicher Ordnung auf ein begründendes Subjekt, wird aufrechterhalten, nicht aber als solche in einen rechtlich-politischen Zustand einbezogen. Moral und bürgerliches Recht werden so in zwei theoretisch voneinander getrennte Bereiche überführt. Deren erster hat den reinen Willen bzw. die absolute Begründung zum Gegenstand, der zweite die bedingte (gegebenenfalls durch Verzicht auf wichtige Eigenschaften des ersten) Umsetzung des Willens in eine vertragliche rechtliche Gemeinschaft. Die Trennung von Moral und Recht läßt zwar den Willen oder die Subjektivität in ihrer absoluten Autonomie erscheinen, vertieft aber die Kluft zwischen dem „Hersteller" und seinem „Werk". Dies eben ist der Fall bei KANTS und FICHTES Auffassung der Moral- und Rechtsphilosophie; und dies erklärt, warum Hegel sie als die Radikalisierung der HoBBEschen Entgegensetzung von Natur und Begriff bezeichnet. Was Hegel zum Ausdruck bringen will, ist nun, daß das begründende Prinzip der Autonomie des Willens gegenüber jeglicher heteronomen Ordnung aufrechterhalten, aber zugleich so umgedeutet werden muß, daß es gewissermaßen nicht nur als theoretischer Anfang, sondern auch als geschichtliches Resultat einer Entwicklung von gesellschaftlichen Institutionen erscheint.

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Hegel setzt an FICHTES Begriff des Ich an. Im Anschluß an KANT hatten seine Nachfolger die Philosophie durch Rückführung auf ein begründendes Prinzip zu vollenden versucht. FICHTE hatte die Notwendigkeit erkannt, daß den geforderten Absolutheitscharakter nur dasjenige Prinzip erfüllen konnte, das in der Lage wäre, Grundlage alles Anderen zu sein, ohne dadurch jedoch von einem Fremden gesetzt zu werden. Das Prinzip muß beides in Einem enthalten; es muß Ausgangspunkt eines Begründungsverfahrens sein, und es muß den Grund der Bewegung in sich tragen; es muß tätig sein und den Grund der Tätigkeit in sich haben. Die Leistung dieses Prinzips beschreibt FICHTE in Anspielung an REINHOLDS „Tatsache des Bewußtsein" als eine „Tathandlung".^ Der erste, „schlechthin unbedingte Grundsatz" der Wissenschaftslehre lautet: „Das Ich setzt ursprünglich schlechthin sein eigenes Sein."^ Dieser Grundsatz ist zwar Ergebnis einer Reflexion über ein beliebiges Identitätsurteil, aber er soll diejenige fundamentale Struktur ausdrücken, die notwendigerweise als Grundlage für jedes Bewußtsein mitgedacht werden muß. Jedes Urteil sowie jede Bewußtseinsoperation ist ein Handeln, dessen vorauszusetzende und begründende Struktur das Sich-selbst-setzen des tätigen Ich ist. Ein solcher Ich-Begriff war von Hegel sowohl aufgrund der in ihm gelegenen Entwertung der Natur (die nur als „Nicht-Ich" vom Ich selber „gesetzt" wird) kritisiert worden als auch aufgrund der Unfähigkeit des Begriffs, aus sich heraus eine politische Gemeinschaft begründen zu können. Hegels Anknüpfung an diesen Begriff ergibt sich weniger aus der Zurücknahme seiner Kritik, als vielmehr aus einer originellen Umdeutung dieses Ansatzes. Er interpretiert das „Setzen" des Ich als eine negative Beziehung des Ich auf sich selbst, die eine Besonderung zur Folge hat, aus welcher (oder in welcher) das Ich zu sich zurückkehrt (oder sich in ihr anerkennt). Das Setzen des Ich wird als reflexive Struktur gedeutet, in der der Handlungscharakter des tätigen Ich nicht nur von der Seite des Ich selber, sondern auch von der Seite seiner gesetzten Besonderung her entdeckt werden kann. Genauer besehen ist diese Struktur als solche das Novum in Hegels Deutung, denn die Frage nach dem setzenden Ich bekommt ihren Sinn nicht dadurch, daß man es für sich als absolut oder ursprünglich betrachtet, sondern erst dann, wenn es als in einer von ihm gesetzten Struktur als sich setzend (oder mit Hegels Worten, als „in sich

® Siehe Recension des Aenesidemus oder über die Fundamente der vom Herrn Prof. Reinhold in Jena gelieferten Elementarphilosophie. In; Fichte: Werke. Hrsg, von I. H. Fichte. Berlin 1845 -46 (Nachdr. 1971). Bd 1. 8. ^ Grundlage der Wissenschaftslehre. In: Fichte: Werke. Bd 1. 98.

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zurückgekehrt") aufgefaßt wird. Was das Ich ist, kann nur am Ende dieses Prozesses gesagt werden; der Wille — sagt Hegel — ist „nicht bloße Möglichkeit, Anlage, Vermögen (potentia), sondern das Wirklich-Unendliche (infinituna actu)" (Rph. § 22). Diese reflexive Struktur des Ich entspricht der Hegelschen Auffassung des Begriffs. Die logische Bestimmung der begrifflichen Struktur des Willens führt Hegel in der Rechtsphilosophie aus. „Das Rechtssystem" — schreibt Hegel — ist „das Reich der verwirklichten Freiheit, die Welt des Geistes aus ihm selbst hervorgebracht, als eine zweite Natur" {Rph. § 4). Die Freiheit, von der hier die Rede ist, ist die Freiheit des Willens, der durch folgende Struktur bestimmt wird: Der Wille ist a) absolute Allgemeinheit, absolute Abstraktion, reine Unbestimmtheit, d. h. die „absolute Möglichkeit, von jeder Bestimmung, in der Ich mich finde oder die Ich in mich gesetzt habe, abstrahieren zu können" {Rph. § 5). b) Der Wille ist zugleich Besonderung, d. h. er enthält das Moment der Negativität, durch welches er aus der Unbestimmtheit in die Unterscheidung, ins Bestimmen und ins Setzen einer Bestimmtheit kommt, c) Der Wille ist die Einheit dieser beiden Momente, „die in sich reflektierte und dadurch zur Allgemeinheit zurückgeführte Besonderheit - Einzelheit" {Rph. § 7). Diese drei Momente des Willens entsprechen der Dreiteilung der dialektischen Bewegung des Begriffs, die Hegel in bezug auf den Willen auch als die Momente der „Unendlichkeit", „Endlichkeit" und „wahrhaften Unendlichkeit" bzw als „Identität", „Unterschied" und „Grund"® bezeichnet. Wie in der vorherigen Erörterung dargestellt, deutet diese Teilung den notwendigen Prozeß an, den das Ich vollziehen muß, um die Vollendung seiner Bestimmung zu erreichen. Durch das Element der abstrakten Allgemeinheit bezieht sich Hegel auf denjenigen Willen, der von jeglicher Besonderheit abstrahiert, d. h. der, um rein zu bestehen, jegliche Besonderheit als „positiv"und als ihm unangemessen negieren muß. Wir erkennen hier ein Hauptelement von Hegels Kritik der Aufklärung wieder, das sowohl in den Jugendschriften als auch in der Phänomenologie des Geistes zu finden ist. Es ist daher nicht verwunderlich, daß das nächstliegende Beispiel für einen solchen Willensbegriff die „Furie des Zerstörens" {Rph. § 5 Anm.) oder, mit einem Ausdruck der Phänomenologie des Geistes, die „absolute Freiheit und der Schrecken" ist. Die KANxische und FiCHiEsche Idee des Willens betrachtet Hegel als eine inadäquate Bestimmung dessen, was die notwendige Besonderung des

* Rph § 6 Anm.; Enz. (1830). § 164 Anm.

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allgemeinen Willens heißt. Es ist sehr wichtig, im Auge zu behalten, daß Hegels eigentliche Übernahme und Kritik der modernen Auffassung der Freiheit in der näheren Bestimmung dieses Verhältnisses von Allgemeinheit und Besonderung vollzogen wird. In der Hauptsache lautet die Kritik folgendermaßen: weder KANT noch FICHTE (die ja für Hegel diejenigen Philosophen sind, die die Natur des Ich spekulativ am tiefsten durchdrungen haben) haben die innere Notwendigkeit des Äußerlichwerdens bzw. des Sich-negierens der Allgemeinheit wirklich begriffen, so daß sich ihr nur durch Ausschließung der Differenz gewonnener Ichbegriff in seinem Verhältnis zur Empirie nur als Sollen bzw. als Beschränkung verstehen ließ. Dies besagt: beide haben bei ihrer Bestimmung des Ich dessen notwendige Beziehung auf das von ihm Ausgeschlossene als dem Ich nicht wesentlich erachtet, mit dem Ergebnis, daß dadurch ein unversöhnbarer Dualismus bzw. eine abstrakte Entgegensetzung von Unendlichkeit und Endlichkeit, von Freiheit und Natur sowie von Form und Inhalt geschaffen wurde — wofür Hegel das Verfahren der Reflexion verantwortlich macht. ^ Wird nun aufgrund der inadäquaten Bestimmung des Verhältnisses von Allgemeinheit und Besonderheit der Übergang in die Bestimmtheit thematisiert, so muß man beim Willen „Form" und „Inhalt" unterscheiden. „Formal" ist der Wille, insofern er allgemein und abstrakt ist; er ist eine „Möglichkeit", ein „Vermögen", das sich in die Vorgefundene Außenwelt umzusetzen hat. Der „Inhalt" dieses Willens hingegen besteht aus den subjektiven Zwecken, die er sich selbst setzt, welche aber zugleich durch die in ihm selber vorausgesetzte empirische Natur beeinflußt werden. Die unmittelbare Bestimmung dieses Willens ist also, allgemeine Form und zugleich bestimmter Inhalt zu sein. Hegel nennt ihn den nur „an sich" freien Willen {Rph. § 10). Die ünmittelbarkeit der Vorgefundenen Naturbestimmungen — die Triebe, Neigungen, Begierden — kann nun positiv (wie bei ROUSSEAU) oder negativ (wie bei HOBBES oder KANT) beurteilt werden; in beiden Fällen bleibt die unversöhnbare Differenz zwischen Form und Inhalt bestehen, so daß der Wille als absoluter sich nicht anzuerkennen braucht (und auch nicht kann) in den vorausgesetzten oder in den gesetzten empirischen Inhalten. Indem der Wille den Schritt in die Außenwelt vollzieht, „entschließt er sich" für einen bestimmten Inhalt; um seine Absolutheit zu retten, muß er aber seine Überlegenheit über jeglichen Inhalt behaupten. Nicht der gesetzte Inhalt macht ihn zum absolu-

’ Siehe u. a. Rph. § 8; Rph. § 15 Anm.

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ten Willen, sondern die Möglichkeit, die er bewahrt, überhaupt zu wählen (oder zu setzen). Diese Freiheit ist die Willkür, und ihre Umsetzung in die Außenwelt ist immer nur eine Möglichkeit, die durch zufällige äußere Umstände vorgegeben ist {Rph. §§ 8-20). Aus dem Dilemma einer solchen Willensauffassung führt nur eine Umdeutung des Verhältnisses von Allgemeinheit und Besonderung heraus. Dies geschieht, wenn der Wille die durch seine vermeintliche Beschränkung zustandegebrachte Wirklichkeit eben als die „seinige" anerkennt bzw. wenn er dem durch ihn hergestellten Dasein dieselbe „Unendlichkeit" zuschreibt, die er an sich selbst als Allgemeinheit besitzt. Wenn der Wille (als Allgemeinheit) in dem verwirklichten Zusammenhang von Inhalten, Gegenständen und Zwecken die Allgemeinheit (d. h. sich selbst) erkennt, dann ist er nicht mehr nur „an sich", sondern ebenso „für sich" Wille (Rph. § 21). Diese reflexive Struktur des Willens beschließt die dreistufige Bewegung des Ich in dem Sinne, daß erst sie insgesamt den Sinn der jeweiligen Stufen bestimmt, nicht aber in dem Sinne, daß sie diese Stufen beseitigt. D. h. der Wille ist zwar „allgemein" und muß sich zugleich „beschränken", seine Beschränkung ist jedoch im strengen Sinne nur seine Verwiklichung bzw. seine Selbsterkennung in der „subjektiv" gestalteten Struktur der Wirklichkeit. „Einzelheit" meint diese dialektische, abgeschlossene Totalität, die den „Grund" für die ihr vorausgehenden Momente der „Identität" (Allgemeinheit) und des „Unterschiedes" (der Besonderung) in sich trägt. In diesem Lichte ist die schon zitierte Behauptung Hegels zu verstehen, der Wille sei nicht bloße Möglichkeit, Vermögen (potentia), sondern das Wirklich-Unendliche (infinitum actu).

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Die logische Konstruktion der Rechtsphilosophie deutet die verschiedenen Stationen des Werkes als „Daseinsformen des Rechts", die gemäß der Vollständigkeit der Bestimmungen des Willensbegriffs entfaltet werden sollen. Dabei ist das explizite systematische Interesse das Primäre, so daß keine strenggenetischen Übergänge in Frage kommen können. Bekanntlich betont Hegel selber mehrmals, die begriffliche Reihenfolge der Bestimmungen koinzidiere nicht mit dem geschichtlichen Auftreten der ihnen entsprechenden Gestalten. Es soll aber in Auge behalten werden, daß diese Willensstruktur sowie ihre systematische Entfaltung gerade Hegels Auseinandersetzung mit der modernen praktischen Philosophie widerspiegelt. Vor diesem Hintergrund gewinnt sein konsequentes Festhalten

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an dem Stufengang des Begriffs in allen Vorlesungsversionen an Bedeutung. Zwischen der abstrakten, ersten Willensbestimmtheit des Rechts und der komplexeren geistigen Form der Sittlichkeit erstreckt sich ein langer Vermittlungsprozeß. Der Sinn der „logischen" Verfolgung dieses Prozesses liegt darin, aus der inmanenten Analyse einer in sich durchaus kohärenten Gestalt des Willens die ihm anhaftende Defizienz hervortreten zu lassen bzw. die Erscheinungsformen der modernen praktischen Philosophie soweit ernst zu nehmen, daß man ihre notwendige systematische Verknüpfung einzusehen vermag. Hegel versucht nun „logisch" zu begründen, daß zwischen der abstrakten Form des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der gesellschaftspolitischen Lebensform, die ihr qua geltendem Recht zugrundeliegen muß (zwischen „abstraktem Recht" und „Sittlichkeit"), ein Zwischenglied die Vermittlung zu leisten hat, nämlich die „Moralität". Dies soll näher erläutert werden. „Formal" ist die Beziehung von Person und Sache deswegen, weil sie keine Rechenschaft geben kann und zwar hinsichtlich des Subjekts, warum es eine bestimmte Sache wollen oder sogar das Eigentum Anderer respektieren soll, hinsichtlich des Objekts, wie komplexe Verhältnisse, die sich auf die nivellierende Bestimmung der Sachlichkeit nicht reduzieren lassen, zu erklären sind. Der von jeglichem Inhalt abstrahierten „Person" korrespondiert nämlich eine nur zur Aneignung bestimmte Äußerlichkeit der „Sachen". Die Möglichkeit der Thematisierung eines Willens, der die Äußerlichkeit nicht nur als Dinglichkeit, sondern auch als vernünftige Lebendigkeit (also ihm gleich bestimmt), und der zugleich sich selber nicht nur als allgemeines, sondern auch als besonderes Ich versteht, die Thematisierung also eines Willens, der sich in der Äußerlichkeit der Welt als in einem Produkt seines Willens wiedererkennt, vollzieht sich durch die Trennung der unmittelbaren Beziehung von Person und Sache, d. h. durch die Reflexion des Ich in sich und durch die Infragestellung der Vernünftigkeit der äußeren Welt. Und genau dies ist die Bestimmung der „Moralität". Gewiß, die Moralität als Gestalt des Willens bringt in Hegels Meinung gerade die extremste Entgegensetzung von Einzelheit und Allgemeinheit und somit die theoretische Unmöglichkeit ihrer Versöhnung zur Sprache. Aber gleichzeitig sind erst in ihr die Elemente vorhanden, die eine Überwindung der Entgegensetzung möglich machen. Zu dieser Überwindung gelangt Hegel, wie gezeigt, indem er zwar von dem Gedanken der Vernunftbestimmung des Willens ausgeht, sie aber im Sinne eines Handlungsvollzuges interpretiert. Die Vermittlungsrolle der Moralität wird deutlich, wenn man auf die

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Beschaffenheit der Daseinsform reflektiert, die diese Sektion im Ganzen darstellt. „Dasein" des Willensbegriffs in dieser Sphäre ist die aus der unmittelbaren Identität mit der Äußerlichkeit in sich zurückgekehrte Subjektivität. Diese Beziehung des Ich auf sich selbst ist die eigentliche „Gestalt" und somit das entsprechende „Recht" der Moralität. Es ist das „Recht der Subjektivität - des Wissens, meines Wollens, meiner Bedürfnisse, Wohl"^°, von dem ein „abstraktes Recht" nichts wissen kann. Die angesprochene Reflexivität knüpft an KANTS Definition der Selbstbestimmung des Willens an und macht sie (eigentlich ganz im Sinne von KANTS Intention) zur Grundlage des Persönlichkeitsrechts; es ist nunmehr der Wille qua „besonderer", der sich selbst als „allgemeiner" will (oder wollen soll). Dieses Moment des Fürsichseins wird aber nur dadurch gewonnen, daß die vorherige Welt der Äußerlichkeit als von der Vernunft verlassen betrachtet wird. Der Wille erkennt dabei nur das, was er persönlich gewollt hat oder auch, in einer höheren Stufe seines Prozesses, nur diejenige Ordnung (das Gute), die seiner vernünftigen Selbstbestimmung angemessen ist. Diese theoretische Wechselbestimmung basiert jedoch auf einem Widerspruch, den Hegel fruchtbar zu machen versucht. Das Gute ist nämlich ein zu verwirklichendes Gute, und die Pflicht ist Pflicht, etwas zu tun. Zwischen dem besonderen und dem allgemeinen Willen liegt der systematische Ort der „Handlung". Erst nachdem das abstrakte Personsein sich zu einem sich selbst bestimmendes Subjekt und die allgemeine Rechtsordnung sich zu einem in der Welt zu verwirklichenden Guten entwickelt haben, läßt sich die Frage nach ihrem Verhältnis, die Frage nach ihrer Vermittlung also, stellen. Interessanterweise nennt Hegel dieses in der „Moralität" erscheinende „Recht" des subjektiven Willens „die Seite der Existenz der Idee" oder „die reale Seite des Begriffs der Freiheit" {Rph. § 106).Damit wird die Subjektivität des Willens gekennzeichnet als die bewegende und bestimmende Kraft in der Gesamtkonstruktion; allen anfänglichen Widersprüchen zum Trotz soll in ihrer Struktur selber der „höhere Boden" der Freiheit {Rph. § 106) erkannt werden, der, konsequent entfaltet, die logische Grundlage für das komplexere Gebilde der Sittlichkeit liefert. „Existenz"

Hegels eigenhändige Notiz zu Rph. § 33. " Die Subjektivität wird auch „das Bestimmende" und „das Moment der Wirklichkeit des Sittlichen" {Rph. § 141), die „bestimmende Tätigkeit der Vernunft" (Notiz zu Rph. § 141), die „Seite der Realität" {Rph. 111. 91), „das Material der Realisierung der Freiheit" {Rph. V. 332) genannt. Auch in der Logik wird in bezug auf die Willensidee gesagt, das Fürsichsein sei „die Form der Existenz" der Idee (GW 12. 232).

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oder „Realität" kommt der Subjektivität in dem Sinne zu, daß sie „die bestimmende Tätigkeit der Vernunft"^^ ist, von der aus sich auch die Objektivität des Sittlichen verstehen läßt. Diese Bestimmung ist von größter Wichtigkeit; denn auch wenn klar ist, daß Hegel den ganzen Prozeß des Willens in Richtung auf das Substantielle der Sittlichkeit hin entfaltet, so ist doch dieses Substantielle als durch die vernünftige Subjektivität durchdrungen verstanden; die Subjektivität ist „das Moment der Wirklichkeit des Sittlichen" {Rph. § 141). Wenn das Verhältnis zwischen der Subjektivität und dem Guten auf diese Weise dargestellt wird, dann besagt das, daß die Subjektivität eben die „Wirklichkeit" des Guten ausmacht. Die angestrebte Vermittlung ergibt sich aus der konsequenten Analyse der nur scheinbar unversöhnlichen Relate: durch das Handeln tritt die Subjektivität in die Wirklichkeit, d. h. sie ist die Verwirklichung derjenigen Rationalität, die sie nur als „seinsollende" betrachtete; andererseits ist die Wirklichkeit selbst keine bloß unvernünftige Objektivität, sondern ihrerseits Produkt des Handelns. Diese Wechselbestimmung ist es, die das „Dasein" des Willensbegriffs in der Sittlichkeit konstituiert; erst hier erhält die Begriffsstruktur eine ihr angemessene Gestalt. Deswegen nennt Hegel diese Stufe „das lebendige Gute". Es stellt sich indes die Frage, wie diese systematische Intention in concreto im Aufbau der „Moralität" in der Rechtsphilosophie entwickelt wird. Von einer Übernahme der KANxischen Unterscheidung von Legalität und Moralität kann nur im ganz allgemeinen Sinne die Rede sein, und zwar nicht nur weil die Sittlichkeit beide Bereiche miteinander zu vermitteln beansprucht, sondern auch aufgrund einer Vielzahl von der Legalität angehörigen Themen, die das „abstrakte Recht" unberücksichtigt läßt, und vor allem aufgrund des inneren Aufbaus der Gestalt der „Moralität". Die hier vorliegende Dreiteilung scheint auf den ersten Blick in der Tat eine eigenartige Zusammenfügung eines wohl zur Legalität gehörenden Themas (das Problem des „dolus" und der „imputatio" im 1. Abschnitt über den „Vorsatz und die Schuld") und des strictu sensu nach KANTIschem Muster konstruierten moralischen Themas („das Gute und das Gewissen") zu sein; mehr noch: zwischen beiden tritt als Vorstufe der Moralität (also zumindest in einer wesentlichen Hinsicht völlig gegen KANTS Intention) die eudaimonistische Ethik unter dem Titel „die Absicht und das Wohl" auf.

'2 Hegels Notiz zu Rph. § 141.

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Der genannten Konstruktion wird ein Handlungsbegriff vorausgeschickt, der seinen systematischen Ort in der Spaltung des subjektiven Willens hat, so daß er nun sich selbst als absolutem und der äußerlichen Welt gegenübersteht. Diesem Handlungsbegriff liegt wohl die KANiische Trennung des Willens als eines Vermögens von der empirischen Welt bzw. von einer Vielzahl möglicher Bestimmungsgründe desselben zugrunde. Aber anders als KANT unternimmt es Hegel nun, die Spaltung selbst, eben diesen Mangel an Koinzidenz zwischen dem Willen als einzelnem und als allgemeinem oder zwischen dem Willen und der Welt zu thematisieren, ohne jedoch die Problematik des Bestimmungsgrundes des Willens aus den Augen zu verlieren. Er legt großen Wert darauf, daß Handlung im strengen Sinne „die Äußerung des Willens als subjektiven oder moralischen" (Rph. § 113) ist, und zwar deswegen, weil sie zwei Bestimmungen kategorial zusammenhält: sowohl das subjektive Vermögen der Realisierung und der Anerkennung von Zwecken als auch das Aufheben eines dabei intendierten Widerspruchs zwischen Innerem und Äußerem, zwischen Subjektivität und Objektivität. Die erwähnten drei Abschnitte werden dem Grad der Entgegensetzung nach als unterschiedene Formen moralischer Handlung gedeutet. Warum aber der „Vorsatz" und die „Schuld"? Der hiermit bezeichnete Sachverhalt war in der juristischen Tradition als das Problem des ,dolus' (d. h. einer vorsätzlich vollzogenen widerrechtlichen Handlung) und der entsprechenden ,imputatio' (Schuldzuweisung) bekannt und u. a. auch von KANT in die Metaphysik der Sitten übernommen worden.Hegel subsumiert nun dieses privatrechtliche Problem unter die KANTische Auffassung der Beziehung des Willens zu seinen jeweiligen Zwecken, so daß es im Ganzen als die erste Form der moralischen Handlung erscheinen kann. Was KANT aus systemimmanenten Gründen nicht direkt machen konnte oder wollte, vollzieht Hegel, ohne die KANTische Terminologie zu vergewaltigen: er verbindet nämlich den für KANT im äußeren Rechtsbereich völlig irrelevanten Begriff des „Vorsatzes" mit dem im systematischen Bereich doch wesentlichen Begriff der Maxime eines Willens. „Maxime" ist nämlich das „subjektive Prinzip zu handeln, was sich das Subjekt selbst

'3 In seinem Werk System des Pandekten-Rechts Oena 1809) unterscheidet A. F. J. Thibaut die „culpa", nämlich eine widerrechtliche Tat ohne widerrechtliche Absicht, von dem „dolus" als einer absichtlich vollzogenen widerrechtlichen Tat (Bd 1. § 250). Genauso auch Kant, der die unvorsätzliche Übertretung „culpa" oder „Verschuldung", die vorsätzliche dagegen „dolus" oder „Verbrechen" nennt {Metaphysik der Sitten. Einl. IV, AB 23).

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zur Regel macht (wie es nämlich handeln will)" d. h. sie gehört zu denjenigen praktischen Grundsätzen, deren „Bedingung nur als für den Willen des Subjekts gültig von ihm angesehen wird"^^; gerade dies ist das vom subjektiven Willen beanspruchte Recht, in seinen Handlungen nur das als das Seinige anzuerkennen bzw. nur daran „Schuld" haben zu wollen, was er „in seinen Zwecken weiß, was davon in seinem Vorsatze lag" {Rph. § 117). In dieser Gestalt ist der subjektive Wille eines besonderen Individuums am Werke, das sich in einer Vorgefundenen äußeren Welt Zwecke setzt und umsetzt, wobei es sich nur an einen für es gültigen Vorsatz hält, nach dem allein es die vollzogenen Handlungen beurteilt. Entscheidend für die behauptete Verbindung ist es, daß ein endlicher Wille nach der Vorstellung eines nur für ihn gültigen Prinzips handelt; darauf beruht sein vermeintliches „Recht des Wissens". Daß Hegel an diese Verbindung denkt, beweisen seine expliziten Verweise auf den Begriff der Maxime in der Nachschrift WANNENMANNS. Der Vorsatz des subjektiven Willens wird dort als „Anwendung seiner Maximen auf die bedingenden Umstände" gedeutet^^, und bezüglich der Verurteilung eines Verbrechens ist zu lesen, man müsse nachweisen, daß „die Maxime im Zweck des Subjekts war. . . Die Handlung muß Vorsatz gewesen sein"^^. Bereits in der zweiten Vorlesung (1818/1819) verschwindet zwar der explizite Verweis auf diesen Begriff, nicht aber die mit dieser Verbindung zusammenhängende systematische Intention. Nach KANTS Auffassung besteht Legalität in der Übereinstimmung einer Handlung mit dem Gesetz, Moralität dagegen in der Übereinstimmung der Maxime der Handlung mit dem Gesetz.*® Für die Legalität ist also die Maxime, für die Moralität die Handlung irrelevant. Die Scheidung von Legalität und Maxime nimmt Hegel zwar in die Behandlung des „abstrakten Rechts" auf, doch in der Trennung von Moralität und Handlung liegt genau der entscheidende Punkt seiner Kritik an KANT, die hier unmittelbar in der Subsumtion des Begriffs der Maxime unter den der Handlung vorgebracht wird. Das ist der Sinn der Verknüpfung von „dolus" und „Maxime": es soll nämlich geprüft werden, ob die subjektive Maxime

Metaphysik der Sitten. Einl. IV, AB 27. Kritik der praktischen Vernunft. A 35. Rph. I. 77 (§ 54). Ein Vergleich mit dem § 115 der veröffentlichten Rph., d. i. dem ersten Paragraphen des Abschnitts „Der Vorsatz und die Schuld", zeigt, daß dieser fast buchstäblich den Text von Rph. I (§ 54) wiederholt, mit der einzigen Ausnahme, daß der Verweis auf die Maximen verschwunden ist. Rph. I. 78. 1® Metaphysik der Sitten. Einl. IV, AB 26.

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allein zur Bestimmung der Tat ausreicht, oder ob die Handlung selber nicht einen allgemeineren Zusammenhang stiftet, der den Rahmen der eigenen Intentionen sprengt. Daher wird die Defizienz dieser Gestalt durch eine Reflexion auf die „Folgen" der Handlung hervorgehoben: ihre objektive Vielfältigkeit zwingt den besonderen Willen, auf seine Naivität zu verzichten und in der Setzung seiner subjektiven Zwecke auf die Verflechtung der möglichen Konsequenzen Rücksicht zu nehmen. Aus dieser Überlegung ergibt sich der Übergang in die nächste Gestalt, die „Absicht". Die Einführung des Begriffs des „dolus" ermöglicht gleichzeitig auch eine stringentere Anknüpfung an das „abstrakte Recht". Dieser Teil endet mit der Thematisierung des Verbrechens, das die Grenzen der Legalität insofern deutlich macht, als es aus Gründen, die für das Rechtssystem selber irrelevant sind, die prinzipielle Gültigkeit des Rechts in Frage stellt. Solche Gründe oder, besser gesagt, die diesen Gründen zugrundeliegende Struktur der Zwecksetzung und ihrer praktischen Umsetzung treten jetzt in den Vordergrund. Auch dadurch wird die Kluft zwischen Legalität und Moralität in theoretischer Hinsicht überbrückt. Mit dem 2. Abschnitt knüpft Hegel an die Glückseligkeitslehre an, und auch hier läßt sich die Frage nach dem eigentlichen Stellenwert dieser Lehre sowie die nach der Bedeutung des Begriffs der „Absicht" stellen. Der Sache nach ist es klar, daß Hegel die eudaimonistische Ethik als eine Form der Moralität einstufen will, die genauso wie die KANxische auf die ihr zugrundeliegende Handlungsstruktur nicht reflektiere. Deswegen tritt sie als eine komplexere Gestalt des handelnden Willens auf, die die Spaltung von Einzelheit und Allgemeinheit weiter ausführt. Sie trägt zwar alle ihr von KANT zugeschriebenen Bestimmungsmerkmale mitsamt der Heteronomie, sie wird aber wiederum unter dem Gesichtspunkt der konkreten, notwendigen Konsequenzen des ihr zugrundeliegenden Ansatzes geprüft, so daß erst aus ihrem Scheitern, i. e. aus der Aufdeckung ihrer theoretischen Defizienz, sich die neue Gestalt ergeben soll. Der durch die „Absicht" gekennzeichnete einzelne Wille ist einer, der nicht mehr blind bei der Unmittelbarkeit seines Wissens bezüglich des Vollzuges seiner Handlungen stehenbleibt, sondern die mannigfaltigen Folgen derselben (ihre „Allgemeinheit") insofern erkennt, als er sie in den Zusammenhang einer Zweck-Mittel-Beziehung stellt. Gegenüber der virtuellen ihm bewußten Komplexität seines Tuns hat der Wille es eben auf einen konkreten Zweck „abgesehen" in der Überzeugung, dieser werde ihm als Mittel über wieviele anderen Stationen auch immer zum Zweck seiner Befriedigung (zu seinem „Wohl") führen. Innerhalb dieser Struktur läßt sich ins-

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besondere die subjektive Bewertung der selbstgesetzten Zwecke (was Hegel den „Wert" oder das „Interesse" einer Handlung für den Willen nennt) thematisieren, solcher Zwecke, die aufgrund der Besonderheit des Subjekts als Befriedigung von natürlichen Bedürfnissen oder Wünschen erscheinen. Diese Merkmale werden bekanntlich später in der Behandlung der „bürgerlichen Gesellschaft" wieder auftauchen, dann aber unter der Voraussetzung einer allgemein anerkannten gesellschaftlichen Lebensform in Verbindung mit den sonst abstrakten Normen der Legalität. Es ist daher nicht verwunderlich, daß Hegel gerade in diesem Zusammenhang auf die geschichtliche Bedeutung des Prinzips der subjektiven Freiheit zu sprechen kommt. Und es scheint in Anbetracht des vernünftigen Charakters der Selbstbestimmung auch angebracht zu sein, eine Analogie herzustellen zwischen dem Verhältnis der Glückseligkeitslehre zur Moralität einerseits und dem Verhältnis der „bürgerlichen Gesellschaft" zum „Staat" andererseits. Daß Hegel als letzte Gestalt der „Moralität" die KANrische Auffassung der Selbstbestimmung des Willens verstanden wissen will, gilt zwar unbezweifelt, jedoch kann eine genauere Untersuchung der Konstruktion dieser letzten Form der moralischen Handlung auch andere Einflüsse bzw. eine verdeckte Kritik freilegen, zu der sich Hegel aus Gründen der Logik der Argumentation veranlaßt sah. Nach der prinzipiellen, wesenslogischen Bestimmung der Differenz, die diese ganze Sphäre kennzeichnet, ist die hier erreichte letzte Stufe weiterhin ein „Verhältnis" des subjektiven zu dem nun absoluten und objektiven Willen. Anders als beim bloß subjektiven „Vorsatz" und beim nur subjektiv intendierten „Wohl" (auch Aller) „soll" jetzt der subjektive Wille sich dem allgemeinen sittlichen Gesetz gemäß machen. Nur ein Wille — schreibt KANT -, „dessen Maxime jederzeit diesem Gesetz gemäß ist, ist schlechterdings, in aller Absicht, gut, und die oberste Bedingung alles Guten" i®. Nun scheint auf diesem Weg über die Übereinstimmung der Maxime mit dem Gesetz die rein vernünftige Selbstbestimmung des Willens prinzipiell gesichert, doch steht die Verlagerung des Kriteriums auf die Gesinnung auf schwankendem Boden, denn das besondere Individuum allein darf Richter über die in Frage kommende Koinzidenz sein. Auf dieser in der Logik der KANiischen Moralität selber angelegten Möglichkeit eines immanenten Widerspruches gründet Hegels Analyse und Kritik dieser Gestalt, die er bekanntlich in seinen Jenaer

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Schriften, insbesondere in der Phänomenologie des Geistes, in noch schärferer Form geübt hat. Hegels Einwände gegenüber KANT richten sich in diesem Zusammenhang hauptsächlich gegen die in seinen Augen logisch bedingte Entgegensetzung von Einzelheit und Allgemeinheit, aufgrund derer das Gute immer nur als ein „Sollen" erscheinen könne; hinzu kommt ein immanenter Einwand gegen den formalen, tautologischen Charakter des kategorischen Imperativs, der die Gefahr der Umkehrung des „Guten" ins „Böse" in sich einschließe. Tautologisch wird die Beziehung der Maxime zum Gesetz in dem Sinne genannt, daß bei jedem Fall immer nur zu prüfen ist, ob der Wille seinen allgemeinen Charakter behält oder nicht; da indes kein bestimmter Inhalt (weder der zu prüfende noch anderes dadurch Ausgeschlossenes) als irgendwie „wünschenswert" angenommen werden darf, und da sich bei jedem so abstrakt aufgefaßten Inhalt wohl gute Gründe für seine Verallgemeinerung denken lassen, erweist sich die vermeintliche Prüfung als bloße Wiederholung der Identität des Willens mit sich. Die Reinheit des Gesetzes ist so abgesichert worden, daß sich kein positiver Inhalt mehr aus ihm ableiten läßt. Deswegen sagt Hegel, einen sinnvollen Widerspruch bzw. eine sinnvolle Übereinstimmung könne man nur bezüglich eines vorausgesetzten, festen Prinzips (etwa daß es gut sei, daß die Menschen leben, oder daß es Eigentum überhaupt gebe) feststellen. Nun zeigt sich aber, daß die in der Form von Maximen jedesmal zu prüfenden Inhalte doch bestimmt sind, und daß das subjektive Gewissen die einzige Prüfinstanz abgibt, so daß die Gefahr besteht, in concreto unbemerkt genau das Gegenteil dessen zu erreichen, was als sittlich angestrebt war, nämlich die extremste subjektive und sogar selbstgefällige Willkür zum Prinzip der Moralität zu erheben. Schritte in dieser Richtung hat Hegel auch in der nachkantischen Diskussion selber gefunden, sei es in JACOBIS Zuspitzung der moralsense Argumentation gegen das sittliche Gesetz, sei es in FICHTES Sittenlehre, die mit dem Anspruch einer Letztbegründung der KANiischen Moralität auftritt. Er hat beide Ansätze im Sinne einer Verschiebung des Gewichts dieser Entgegensetzung auf die Seite der subjektiven Überzeugung gelesen und hat offensichtlich aus ihnen den Begriff des „Gewissens" übernommen. In einer ganz eigenartigen Deutung der Formel des kategorischen Imperativs schreibt etwa FICHTE: „Das Verhältnis ist nicht so: weil etwas Princip einer allgemeinen Gesetzgebung seyn kann, darum soll es Maxime meines Willens seyn; sondern umgekehrt, weil etwas Maxime meines Willens seyn soll, darum kann es auch Princip einer allgemeinen Gesetzgebung seyn. Die Beurtheilung geht schlechthin von mir aus.. . denn wer

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beurtheilt denn wieder, ob etwas Princip einer allgemeinen Gesetzgebung seyn könne? Doch wohl ich selbst, Was FICHTE bei KANT vermißt, ist also eine absolute Gewißheit der Übereinstimmung des empirischen Ich mit dem sittlichen Gesetz. Er sieht wie KANT, daß dies keine Leistung des Sittengesetztes selber sein könne, da letzteres kein Erkenntnisvermögen ist. Die Betätigung der frei reflektierenden Urteilskraft biete aber wohl die Möglichkeit, daß sie ein unmittelbares „Gefühl der Wahrheit und Gewißheit" erfahre, nämlich die unmittelbare Evidenz, daß man auch in der Zukunft nur so und nie anders zu handeln habe; eine solche Überzeugung, die „nicht durch Argumentation", sondern lediglich durch „unmittelbares Gefühl" gewonnen werde, schöpfe ihre „Unerschütterlichkeit" aus der in ihr zur Geltung gebrachten, genauso ,,unmittelbare[n] Übereinstimmung unseres Bewußtseins mit unserem ursprünglichen Ich; wie es in einer Philosophie, die vom Ich ausgeht, nicht anders kommen konnte".Es ist daher konsequent, wenn FICHTE die Formel des kategorischen Imperativs so neuformuliert: „Handle stets nach bester Überzeugung von deiner Pflicht; oder: handle nach deinem Gewissen. Für JACOBI ist eine derartige Gewißheit jedoch noch zu sehr an eine anmaßende menschliche Vernunft gebunden, die nur von sich aus das Wahre und das Gute bestimmen will. In seinem Brief an Fichte von 1799 nennt er das KANTische und FiCHTESche Sittengesetz „den Willen der Nichts will, diese hohle Nuß der Selbständigkeit und Freyheit im absolut Unbestimmten"^^, welches das „Gewissen" und dessen lebendige Wurzel, „das Herz des Menschen", sich zu unterwerfen versuche. Doch in seinem Gewissen, in der „heiligsten Gewißheit, die ich in mir habe" und die zugleich „das eigentliche Majestätsrecht des Menschen, das Siegel seiner Würde, seiner göttlichen Natur"^'* sei, finde er das Kriterium zur moralischen Beurteilung bestimmter Handlungen, die der reine Buchstabe des absolut allgemeinen Vernunftgesetztes bloß als Fälle einer Regel einzustufen vermöge. Die Nähe zur moral-sense Philosophie ist nicht nur sachlich deutlich, JACOBI selber zitiert FERGUSON als Autorität in diesem Zusammenhang.^ Nun ist dieser Brief deswegen so wichtig, weil Hegel ihn bei der Das System der Sittenlehre (1798). In; Fichte: Werke. Bd 4. 234. In der Phänomenologie erläutert Hegel die Selbstgewißheit des „Gewissens" folgendermaßen: . es ist itzt das Gesetz, das um des Selbsts willen, nicht um dessen willen das Selbst ist" (GW 9. 344). Das System der Sittenlehre. In: Werke. Bd4. 163-170. 22 Ebd. 156. 22 F. H. Jacobi: Werke. Leipzig 1812—1825 (Nachdr. Darmstadt 1968). Hrsg, von F. Roth und F. Koppen. Bd 3. 37. 24 Ebd. 38. 25 Ebd. 38-39.

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Bestimmung des Gewissens ausdrücklich anführt; „Das Wissen des Willens überhaupt, das Gewissen, diese allgemeine Macht, ist zuerst darin ausgesprochen, daß JACOBI sagt, daß der Mensch sich in seinem Gewissen als die absolute Macht wisse. (Brief an Fichte. JACOBI und FICHTE haben also von verschiedenen Ansätzen ausgehend den Schritt vollzogen, der in der KANiischen Auffassung des Sittengesetzes zwar angelegt, aber noch durch das Übergewicht der Objektivität des Willens gewissermaßen verbaut war, indem sie das subjektive Gewissen zur alles urteilenden Macht erhoben haben.Hegel knüpft somit bei der Behandlung des Verhältnisses vom „Gewissen" und „Guten" an seine im Naturrechts-Aufsatz und vor allem in Glauben und Wissen aufgestellte Diagnose über die Philosophie der modernen Zeit an; die KANiische, die JACOBische und die FiCHTEsche Philosophie werden dort als die drei Formen einer „Reflexionsphilosophie der Subjektivität" gekennzeichnet, die die Einseitigkeit des sie tragenden Prinzips nicht hätten einsehen können. Und doch kommt der vernünftigen und handelnden Subjektivität nicht nur eine wesentliche, sondern zugleich eine begründende Funktion in der Gesamtkonstruktion der Rechtsphilosophie zu. Dies kann man auch in Hegels Bestimmung dessen sehen, was im Bereich der Moralität „das Gute" ausmacht. Er nennt dort das Gute „die realisierte Freiheit, den absoluten Endzweck der Welt" {Rph. § 129). Dieser Ausdruck ist philosophiegeschichtlich vorbelastet, und in dieser Formulierung vorzüglicherweise geeignet, über Hegels systematische Intention Auskunft zu geben. Innerhalb einer Gestalt, die die KANiische Moralität darzu stellen hat, das „Gute" als „Endzweck der Welt" zu bestimmen, hat zuerst einmal eine gewisse Berechtigung. KANT selber hat im Anschluß an die theologische Rezeption der aristotelischen Ursachenlehre den Endzweck als einen solchen definiert, „der keines anderen als Bedingung seiner Möglichkeit bedarf"28; er denkt dabei an den letzten Zweck einer Reihe, in bezug auf welchen und aufgrund von dessen innerer Unbedingtheit sich alle anderen Zwecke jeweils zu Mitteln umdeuten lassen. Wegen der absoluten Unbedingtheit des moralischen Gesetzes, die den Bestimmungsgrund jeglicher Zwecksetzung abgibt, ist es wohl der Mensch allein als Endzweck der Schöpfung zu verstehen, während das Wohl oder die Glückseligkeit

Rph. III. 113. In der Phänomenologie wird diese Abgrenzung in noch deutlicherer Form durch den Unterschied zwischen dem „moralischen Bewußtsein" und dem „Gewissen" vollzogen (siehe GW 9. 340 ff, bes. 343). Kritik der Urteilskraft. § 84, A 391.

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einen nur subjektiven und von Natur bedingten Zweck darstellen kann. Das moralische Gesetz selber, das ohne Rücksicht auf die Vorstellung möglicher Folgen gebietet, ist indes kein Zweck im strengen Sinne, und doch verlangt es, nach ihm zu handeln mit dem letzten Ziel, daß die Gesamtheit der natürlichen Gegebenheiten (mitsamt der Glückseligkeit selber) mit dem Primat des sittlichen Willens übereinstimmt. Nicht das moralische Gesetz allein — so korrigiert KANT die unzutreffende Deutung seines Werkes durch CH. GARVE — sei der Endzweck des Menschen, sondern das „höchste Gut", nämlich die Übereinstimmung von Moralität und Glückseligkeit: „Endzweck aller Dinge" sei „weder die Moralität des Menschen für sich, noch die Glückseligkeit für sich allein, sondern das höchste in der Welt mögliche Gut, welches in der Vereinigung und Zusammenstimmung beider besteht".Derselbe Gebrauch des Ausdrucks findet sich auch bei FICHTE, der auf KANTS Spuren in dem Begriff und in der Problematik des „höchsten Guten" den Weg zur „Deduction der Religion überhaupt" sieht. Der Endzweck der Welt ist für ihn auch die vom sittlichen Gesetz gebotene, doch nur durch die Vorstellung eines göttlichen Wesens als möglich zu denkende „völlige Congruenz des Glücks mit der Sittlichkeit"^*’. „Endzweck der Welt" nennt KANT „das höchste Gut", nicht aber „das Gute" schlechthin. Das Gute nämlich als Gegenstand der reinen praktischen Vernunft enthält das „Paradoxon", daß es nicht „vor", sondern nur „nach" dem moralischen Gesetz und „durch" es bestimmt werde^’, so daß sich beide Begriffe semantisch identifizieren lassen. Entsprechend muß dann KANT bemerken, daß das höchste Gut zwar als vom sittlichen Gesetz geboten, doch keineswegs als Bestimmungsgrund des Willens gedeutet werden dürfte.Interessanterweise weist KANT darauf hin, daß man in der Verkennung dieses Unterschiedes einen „Fehler" der „Alten" feststellen könne, der dadurch „unverhohlen" gewesen sei, daß sie ihre moralischen Untersuchungen „gänzlich auf die Bestimmung des Begriffs vom

^ Über den Gemeinspruch: das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis. A

210-211. Kant bezieht sich auf Garve: Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Literatur und dem gesellschaftlichen Leben. Teil 1. Breslau 1792, 111-116. Andere Belege für Kants Gleichsetzung von „höchstes Gut" und „Endzweck": Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Vorrede BA VII ff; Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnizens und Wolfs Zeiten in Deutschland gemacht hat? A 103; Kritik der Urteilskraft. A 454 ff. ^ Versuch einer Kritik aller Offenbarung. In: Werke. Bd 5. 41. Kritik der praktischen Vernunft. A HO. Siehe etwa: Die Religion. . . BA IX ff (Anm.); Kritik der Urteilskraft. A 455 f (Anm.).

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höchsten Gut . . . setzten".Gerade diesen „unverhohlenen Fehler", offensichtlich im Anschluß an die „Alten" will nun Hegel in der Rechtsphilosophie begehen, wenn er absichtlich dem „Guten" die Bestimmung des „höchsten Guten", also des „Endzwecks der Welt", beimißt. Systematisch stützt er sich dafür auf seine Deutung der Subjektivität im allgemeinen und speziell auf die der Handlungsstruktur, deren konsequente Analyse ihm erlaubt zu behaupten: „Daß der absolute Endzweck überhaupt hervorgebracht werde, geschieht nur durch die Handlung.In philosophiegeschichtlicher Hinsicht knüpft er aber dabei an die antike, aristotelische Auffassung der praktischen Philosophie an, die vom Guten eben als vom letzten Worumwillen (vom „Endzweck" also) ausgeht, welches jedoch nicht in der Form einer bloßen dynamis bzw. einer nur postulatorisch gestellten Aufgabe, sondern als energeia im Handlungszusammenhang der Polis zu denken ist. Die Hierarchie und Unterordnung der Zwecke (TeXq), die die Rede von einem „Endzweck" (aji^wg TEX,EIOV) bzw. einem „höchsten Gut" (axpotaxov ayaSöv oder agioTov) erst n.öglich machen, beruhen bei ARISTOTELES auf der Struktur des „Worumwillen" (Tö O-ö evexa) bezüglich der Künste, Lehren und Handlungen. Das „höchste Gut" ist ein „Endzweck", insofern es „um seiner selbst willen und das andere um seinetwillen"^^ erstrebt wird; eine solche Bestimmung kommt zwar der „Eudaimonie" zu^^, doch nicht im Sinne KANTS als der vorgestellten Befriedigung völlig beliebiger, subjektiv gesetzter Zwecke, sondern im Sinne des ständigen am-Ziel-Seins verschiedenartiger Einzelaktivitäten innerhalb des Handlungszusammenhangs der Polis. Die politische Gemeinschaft selber wird ja auch als höchstes Gut gekennzeichnet, weil sie alle anderen Zwecke^^ bzw. die Zwecke aller anderen Gemeinschaftsformen^® umfaßt; als „Endzweck" (im Sinne von Ziel und von Vollendung) liefert erst sie den adäquaten Ausgangspunkt zur Behandlung der praktischen Philosopie schlechthin. Gewiß ließe sich nachweisen, daß KANTS Zweckbegriff durch Abstraktion sowohl von einer ontologischen Naturordnung als auch von einem

Kritik der praktischen Vernunft. A 113. ^ Rph. I. 81. Dies ist auch der Sinn der Deutung der Idee des Guten in der Logik als „Ausführung" des absoluten Zweckes (GW 12. 231—235). Von der Sittlichkeit sagt Hegel auch, sie sei „das Unbewegte, welches bewegt" (Rph. III. 127); so auch Rph. § 125, § 258. 35 Nik. Ethik. Buch 1, 1094 a 18-19. 3* xeXeiov 6rj TI qiaivETai xai aÖTaQxe? f| efi6ai|Lovia, xwv ngamibv oiaa xeXog (Nik. Ethik. Buch I, 1097 b 20-21). 37 Nik. Ethik. Buch I. 3® Politik. Buch I.

Zu Hegels Begriff der Handlung

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konkreten Handlungszusammenhang und durch Rückgriff auf ein prinzipiell losgelöstes subjektives Vermögen gewonnen wird. Gerade dies will Hegel jedoch durch die wohlüberlegte Verbindung antiker und moderner Ansätze als den Preis verstanden wissen, den die neuzeitliche Reflexionsphilosophie durch ihre Auffassung der Subjektivität zahlen muß. Die Trennung der Subjektivität von der Empirie bzw. von der Allgemeinheit ist für die Theorie so notwendig, daß sie die Versöhnung streng genommen zugleich erstreben muß aber nie erreichen darf; die Unmöglichkeit der Übereinstimmung und die Reinheit der Selbstbestimmung gehören zusammen. ARISTOTELES' Definition des höchsten Guten und des Endzwecks hat als Ausgangspunkt die Zusammengehörigkeit der Handlungsbereiche, deren Übereinstimmung KANT nur mit Hilfe eines theologischen Postulats in Aussicht stellen kann. Diesen Ansatz macht sich Hegel bei der Umdeutung des KANrischen Begriffs des „Endzwecks der Welt" zu eigen, jedoch versucht er ihn in gezeigter Weise durch die Rolle der handelnden Subjektivität modern zu begründen.

JOSEPH P. VINCENZO (UNIVERSITY PARK, PA)

THE NATURE AND LEGITIMACY OF HEGEL'S CRITIQUE OF THE KANTIAN MORAL PHILOSOPHY

There are essentially four places within the Hegelian opus where an explicit or implicit critique of KANT'S moral philosophy can be observed. These are: (1) Hegel's lectures on the History of Philosophy, (2) the Philosophy of Right, (3) Natural Law, and (4) the Phenomenology of Spirit. I shall restrict my Interpretation of this critique to the fourth source — the Phenomenology of Spirit. Within this work there exist two sustained and critical analyses by Hegel which attack the Spirit of KANT'S practical philosophy. The first of these occurs within the moment of Reason, in two sections entitled: Reason as lawgiver and Reason as testing laws.^ These sections are essentially criticisms of KANT'S alleged formalism with respect to the judgements of pure practical reason. The second critique within Hegel's Phenomenology occurs within the moment of Spirit, in two sections entitled: the moral view of the world and dissemblance or duplicity.^ I shall restrict my interpretation of this critique to the section within Hegel's Phenomenology which attempts to sublate the Spiritual expression of the KANTian moral world view. Our reflections will unfold in five parts. Part 1 will locate the KANTian moral philosophy within the overall structure of Hegel's Phenomenology of Spirit. This will allow us a proper understanding of the nature of what it was that Hegel's dialectic of Absolute Spirit sublates in the Phenomenology. Part II will present Hegel's critique of the KANTian postulates of pure practical reason and show how these postulates lose their power over man. Part III will present Hegel's understanding of the presuppositions of the KANTian moral world view. Part IV will bring to light what, for Hegel, is the root problem of the KANTian moral philosophy. Part V will ascertain the legitimacy of Hegel's critique of the Spirit of the moral philosophy of KANT.

1 G. W. F. Hegel: Phenomenologie of Spirit. Tr. A. V. Miller. New York 1979. 252—256. 2 Ibid. 365- 374.

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I. The Place of the Kantian Moral Philosophy Within the Structure of Hegels Phenomenology of Spirit Before attempting an interpretation of the nature of Hegel's critique of KANTian moral philosophy, it is essential that we locate this aspect of Hegel's critique within the dialectical structure of the Phenomenology of Spirit. Within the advent of the coming to be of Spirit, and hence, of reason, self-consciousness, and consciousness, Spirit assumes the shape of a moral Spirit, and appears. This moral Spirit Hegel terms the moral world view (Weltanschauung). This moral world view occupies a place at the threshold of the first form of absolute Spirit (i. e., Religion). But it is, for Hegel, not, as yet, a form of absolute Spirit. Let us, therefore, situate this moral Spirit, by looking to those forms of Spirit which arrive prior to, and subsequent to, this moral Weltanschauung. It should be noted at the outset that the section preceeding the arrival of moral Spirit is termed by Hegel: absolute freedom and terror. It itself is part of a larger division of Spirit called: Self-alienated Spirit, Culture. What is necessary to notice is the fact that Hegel's discussion of the moral world view takes place against the background of an extreme form of alienated cultural Spirit: the historical Spirit of revolution, its reign of absolute freedom and terror. Here, no doubt, Hegel has in mind the cultural Spirit of the French Revolution and the dialectic of its reign of terror. All we need to notice for our purpose of locating Hegel's critique is that, for Hegel, the moral world view is itself a form of cultural Spirit and that this form of cultural Spirit is that which follows after (in time) the historical Spirit of which the French Revolution is a concrete instance. For Hegel, moral Spirit arises out of the Spirit of absolute freedom and terror. At the level of self-consciousness, Hegel expresses this Spirit of absolute freedom and terror more concretely as the revolutionary Citizen whose object is the penetration of the universal will of all into the substance and ethical life of the existing culture. Through his inability to concretize this universal will into the actual existing world, the revolutionary Citizen is driven to self-destructive terror. Furthermore, when the revolutionary Citizen is at the extreme limit of his terror, when he is experiencing the extreme form of cultural alienation, if he becomes aware of the impossibility of imposing his universal will onto the existing world, the revolutionary Citizen and hence, the whole cultural Spirit at large, moves into a new form of Spirit. This new shape of Spirit, therefore, arises out of an inability of the revolutionary Citizen to impose

Hegel's critique of the Kantian moral philosophy

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his universal will onto the existing world. The new form of Spirit arises out of a retreat of the revolutionary Citizen into his own self-conscious knowledge of himself as the embodiement of pure universal will. That is to say, for Hegel the moral world view emerges out of absolute freedom and terror as a form of Spirit which has knowledge of itself as pure knowing and willing. Moreover, this knowledge of pure knowing and Willing is its essence and absolute freedom. For Hegel, this awareness of absolute freedom allows Spirit to take hold of its freedom through pure duty, for the actions of the moral subject are committed — for the sake of pure law as such — to the absolute law of universal reason. Here we have the essential form of moral Spirit — a Weltanschauung that finds its absolute freedom in pure duty for the sake of the law of universal reason. It is here that we locate the presence of the KANxian moral Weltanschauung with the structure of Hegel's Phenomenology. But we do well to notice also that although there are striking parallels between the essence of the moral Spirit in the Hegelian System (if we assume the Phenomenology as not only a deduction to the absolute standpoint, but also as part of Hegel's actual System) and the pure practical reason of KANT'S moral philosophy, there is an essential distinction within the Constitution of the very structure of these two Systems. We should notice at the outset that for Hegel, the moral world view is not identical to KANT'S practical philosophy. Hegel is speaking rather of the Spiritual expression of KANxian moral philosophy, he is, therefore, not offering a critique of KANT'S philosophy as such; but rather, Hegel is attempting to negate, preserve, and hence, transcend the KANxian moral cultural Spirit. Hegel is speaking of the internal Spirit which both gives rise to a certain cultural Spirit and also reflects this Spirit within its innermost structure. Throughout Hegel's analysis of the moral world view, he never mentions KANT'S name. Only once Hegel mentions the word "KANxian". This is the point at which he first reveals the fundamental presupposition or root Problem within moral Spirit. Here Hegel says: "The Moral world-view is, therefore, in fact nothing other than the elaboration of this fundamental contradiction in its various aspects. It is, to employ here a KANxian expression where is it most appropriate, a 'whole nest' of thoughtless contradictions."^ The KANxian expression is "most appropriate" for Hegel because Hegel thinks that the inner Spirit and cultural Spirit of the KANxian moral world view harbors a fundamental

3 Ibid. 374.

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contradiction and a "whole nest" of contradictory manifestations. But what we should notice here is that Hegel's critique is of a certain KANiian mode of cultural Spirit. It is in this sense that the Status of Hegel's critique of KANT'S moral philosophy must be conceived. It is this conception of the Spirit of KANT'S practical philosophy that will provide the key to our Interpretation of the nature and Status of this critique. Before moving into this critique itself, we need first to complete our task of locating the moral World view within Hegel's Phenomenology. Let us therefore, turn to those forms of Spirit which follow after moral Spirit up to the first form of absolute Spirit. As was previously indicated, the moral world view Stands at the threshold of Hegel's notion of absolute Spirit; yet, it is not absolute Spirit. For Hegel, before spirit reaches the first form of the absolute standpoint (Religion) three additional moments of the dialectic must first transpire. First, the moral world view must become transparent to itself as being founded on an essential contradictory presupposition in all of its various manifestations. Second, the moral Spirit must become cognizant of these antinomies within its inner-most structure. And third, moral self-consciousness must separate itself from this inadequate foundation and contradictory presupposition, preserve the self-certainty of its absolute freedom and hence, raise itself to a new and higher (more free and seif certain) form of moral existence. This new form of Spirit is conscientious Spirit that is certain of itself in concrete existence (das Gewissen). But Gewissen is still not absolute Spirit. We must note, therefore, that Hegel's critique is not one that attempts to refute KANT'S moral philosophy and then opt for another kind of morality. This is not the movement of Hegel's critique at all. For the form of Spirit that functions to supersede the moral world view is itself superseded. Thus, before Spirit reaches the first form of warranted certainty with respect to the absolute standpoint, it must first traverse three additional forms. In outline, these three forms are as follows. First, selfcertain conscientious Spirit assumes the shape of concrete acting Spirit in its individuality. This is Gewissen, the moment of the absolute freedom of the individual in existence, in the process of creating history through his own individual and universal self-realization. This is the moment of cultural Spirit whereby the "moral genius" (the world-historic individual) becomes a law unto himself - for whom law is made for him by the Spirit of his nature and not he for the sake of the law of freedom. Second, out of this form of individual active Spirit, self-certain Spirit in its universality emerges. This is the moment of the contemplative

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'beautiful soul' (e. g., the Romantics of Hegel's time) who, in the universal purity of his soul, ends up rejecting action all-together so as not to lose his own purity. It is only after Gewissen häs reconciled these two forms of Spirit (the individual and the universal) in such a way that the 'beautiful soul' is brought out of himself in his self-rightous attitude, and the sinful man of action comes into himself to see his own evil, and each are united in mutual forgiveness that absolute Spirit (Religion) will manifest itself within historical existence. Now that we have situated Hegel's critique of the KANiian moral philosophy within the dynamic structure of his Phenomenology, we are in a Position to understand the nature of Hegel's critique of the KANxian Postulates of pure practical reason.

II. Hegel's Critique of the Postulates of Pure Practical Reason According to Hegel, the first postulate of the KANiian moral philosophy, the postulate of the harmony of pure duty and reality (the Final purpose of the world) loses its consoling, redemptive, and obligatory power over the self-conscious rational spirit in the following manner. From the viewpoint of moral consciousness, the satisfaction it receives through the mere performance of duty is sufficient. From the viewpoint of the nature within the moral consciousness, however, the natural man of concrete moral action learns that nature is indifferent to its moral destination. Hence, the moral spirit comes to realize that nature may, by chance, allow it to become happy, or, it may not.^ Moreover, the moral self-consciousness observes that, for the most part, those who act immorally are happy even though these actions arise out of hypothetical imperatives and not categorical imperatives - that is, for the sake of pure duty alone. Furthermore, moral spirit observes that sometimes those who act for the sake of pure duty, in fact, suffer. For Hegel, from the viewpoint of the nature within moral consciousness, the failure of the natural order to reward the demands of duty give rise to a realization of the inherent incompatibility between itself as a purely moral being and itself as a natural being in concrete existence. Consequently, from the viewpoint of nature, the moral consciousness finds reason for complaint concerning the injustices of the natural order. For this reason, therefore, seen from the

*

Ibid. 366.

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viewpoint of natural existence, the moral consciousness cannot find sufficient satisfaction through the incomplete fulfillment of an impersonal, universal, abstract, purely formal imperative. In order to resolve this conflict, the moral Spirit goes on to contrive an imaginary synthesis between the reality of the natural order, and pure duty. It does this in Order to convince itself that, one day, it will be rewarded for its actions; and hence, will achieve personal happiness. Thus, practical reason demands that such a conformity of natural reality and pure duty be postulated beyond the present actuality of this concrete finite life.® The postulated harmony of pure duty and natural reality begin to lose its power to guide moral action when the moral Spirit begins to make thematic the underlying pragmatic presupposition inherent within its essence. This occurs when the moral Spirit comes to realize that the postulated harmony is, in fact, merely a thought of harmony, merely the idea of a state that must be in an infinitely remote future.^ That is, it is postulated as a Situation that must be, but is not yet; and moreover, never can be in actuality.^ The moral Spirit, therefore, is left with an insight into its own hypocrisy, for it realizes that it must proceed "as if" the natural Order will someday come into conformity with itself as pure duty, on the one hand; while, at the same time, it realizes that such a synthesis is merely an idea that can not, in principle, ever be achieved in concrete spacial, temporal existence. Moral Spirit, therefore, comes to realize the dissemblance or duplicity {Verstellung) within itself: that the absolute harmony of volition (Willkür) and the divine Will (Wille) is unwarranted. Hence, the KANTian postulate of the highest good, the final purpose of the World (i. e., freedom) loses its consoling, redemptive, and obligatory power over man. The second postulate of the KANTian moral philosophy is the postulate of the harmony of pure duty and the sensuous will (the final purpose of the soul). This postulate loses its consoling, redemptive, and obligatory power over man in the following manner. According to the KANTian practical philosophy, nature is not only the external, objective order of theoretical cognition, it is also within consciousness itself. This nature, which is for consciousness its own nature, is sensuousness, which, in the shape of volition (Willkür), reveals

5 Ibid. 367. 6 Ibid. 368. ^ Ibid.

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itself as particular inclinations directed to specific ends.® For the moral Spirit these urges, tendencies, instincts or, if they become restrained, habits, are opposed to the pure will and its ultimate purpose. The moral consciousness, however, does not at first realize that both of these elements (i. e., pure duty and the sensuous will) are, in themselves, a single consciousness.^ Nonetheless, from the viewpoint of pure practical reason, the essential aim is to resolve this alleged conflict. Indeed, for Hegel, the very essence of pure practical reason is to resolve this ambivalence between pure duty and the sensuous will of man. Although what really exists in its own existence is the actual conflict between pure duty and its own sensuous nature, the moral Spirit nonetheless postulates a conformity between the two. This conformity is the final purpose of the soul (i. e., the KANiian postulate of the immortality of the soul). This postulate, which has its proper existence as an ideal in thought alone, possess an essential problem for the moral consciousness. This problem is that if the harmony between pure duty and sensuous will were to be in fact achieved, then the moral consciousness would be done away with altogether, for the moral consciousness is as such essentially pure duty as opposed to natural inclination. At this point, therefore, a critical contradiction is revealed for the moral Spirit — the contradiction of a task thought to be the final purpose of the soul which, on the one hand, ought to be fulfilled; and, on the other hand, ought not to be fulfilled, for if it were, morality so defined would itself be dissolved.^® The self-consciousness of man's sensuous will which ought to be abolished through moral action is precisely that which mediates between pure duty and reality. Sensuality in the very medium used by the moral spirit for its realization. The moral Spirit, therefore, comes to realize that it is not in earnest in canceling inclination and impulse in the postulate of the immortality of the soul. For Hegel, the inherent dissemblance or duplicity (Verstellung) within the moral spirit with respect to the postulate of the final purpose of the soul is revealed to the moral consciousness in the following manner. Morality must and ought to be the essential view (Ansicht). The moral conscience must, for itself, find completion in the present moment of moral action if the second postulate is to have any consoling, redemptive.

8 Ibid. 367. 8 Ibid. >0 Ibid.-368.

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or obligatory power over it. For this reason the moral Spirit postulates an ideal harmony between pure duty and the inner nature (i. e., the sensuous nature) of the moral consciousness. In truth, however, this postulate is an attempt to dissemble the inessentially of actual moral action. The postulate of the final purpose of the soul (i. e., pure purpose) is posited as being completely independent of all inclination. But it is precisely the sensuous nature of man which drives the imperfect moral being toward making himself complete and acutal. Since nature has its own laws, laws which are essentially different from the law of freedom, the moral consciousness to which these internal natural laws are to conform can not find its driving force in its own sensuous nature. The actual harmony between pure duty and the sensuous will can not, therefore, be present for the moral consciousness within the present moment of concrete moral action. It is, rather, postulated as existing in an infinitely remote future toward which the impure moral agent must direct himself. With such an insight into its own nature, the moral spirit comes to realize that "progress" or "advancement" toward moral perfection means nothing more than movement toward the nullification of the moral Spirit itself. Since the actual harmony of pure duty and sense nature does not exist in the' present moment of conrete moral action, nor does it exist in the second postulate itself which is ever on the way toward completion, Hegel contends that the KANrian synthesis of pure duty and external nature (i. e., reality) and pure duty and internal nature (i. e., the sensuous will) must exist ultimately within an other consciousness. This other is none other than the third postulate; the holy moral Legislator which embodies within its essence both the final purpose of the world (i. e., freedom) as well as the final purpose of the soul (i. e., the immortality of the soul).^i For Hegel, the real existence of the moral world is located in the postulate of God, for it is in this ideal alone that morality becomes self-complete in-itself and for-itself.^^ It is complete in-itself in that this being has complete existence and actuality as a thought of postulate; and, it is complete for-itself in that it is for a consciousness positively related to nature. The third postulate is, therefore, the alleged synthesis in-and-for-itself of the first two. But like the other two postulates, this one also conceals a critical contradictory displacement. It also displaces the fundamental ” Ibid. 380. 12 Ibid. 381.

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contradiction within the moral consciousness. It does this by shifting the Work of creating particular duties to the imagined portrayal of a divine Legislator who is both under the commänd of the categorical imperative and who, nonetheless, sanctifies specific duties for man. Thus, the moral consciousness is able to see each of its concrete duties issue, not from one's will (Willkür); but rather, from the divine Will (Wille) of God. The moral consciousness, therefore, projects outward from itself into another divine consciousness (into an Intellectus Archetypus) the postulated unity of pure duty and reality, and, pure duty and the sensuous will — a world ruler who pluralizes duty and connects these concrete duties with happiness in an infinite and nebulous after-life. In its concrete actions, therefore, the moral spirit places the pure law of duty outside of itself in a perfect Lawgiver. Pure duty can not be found in any concrete moral action. For in its moral action consciousness necessarily thinks of itself as imperfection in knowledge and will, and the victim of sensuous urges. On the other hand, the moral consciousness also posits pure duty as something existing in thought (i. e., in the moral law). Thus, even though in its concrete actions the moral agent contradicts pure duty by being always the victim of sensuous urges, it also, at the same time, gives itself the character of being a consciousness whose actuality is superseded by the idea of an Absolute which no longer contradicts pure duty. The postulate of God, therefore, is absolutely essential for the moral Spirit, yet it is also self-deceptive to the moral Spirit. It is essential because without it consciousness would have no way of reconciling the necessary imperfection of its will. It is self-deceptive because, through the particular legislation of the postulate of God, the moral spirit never, in fact, is able to experience pure duty as the highest good. The truth is that the moral consciousness is condemned to a life and after-life of infinite imperfection and conflict. The "promise" is dishonest because there is, in fact and in principle, never concrete moral action, for the actual accomplishment of moral purity (the actual unity of pure duty and reality) exists as a state of affairs infinitely beyond actuality, in a beyond which exists only in thought, yet ought to be actual. Here the moral Spirit comes to view, the fundamental Verstellung within the KANTian moral world view. On the one hand, the moral Spirit locates its ultimate goal completely outside of itself, in the postulated harmony of pure duty and internal reality, in the ideal of a "Kingdom of Ends" or "Commonwealth of Virtue". From this viewpoint it sees the worth of this life, of these particular duties, only for the sake of its ultimate postulated ends. On the other hand, however, the moral spirit sees the only

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worthwhile goal in its own endeavors to be the attainment of this state of perfection, while the idea of God is understood only as a regulative principle, for the sake of its own progress and the progress of the world. Each side of this dissemblance is valid only from the viewpoint of the other. Concrete moral action is valid only from the viewpoint of the Postulates, and the postulates are valid only from the viewpoint of concrete duty. Hegel reduces this antinomy to the formula: moral action both is and it is not.^^ Moral action is, only insofar as it exists in the thought of ideals of pure practical reason; however, it is not, insofar as the ideals exist only in a state of affairs which are, in principle, unattainable. Hegel uses the word "Verstellung" to express this shifting of one side of the essentiality of the moral spirit to the other side.^“* The word "Verstellung" denotes, in German, a combination of duplicity, displacement, dissemblances and even dishonesty. In Hegel's usage it means the attitude and movement of the moral Spirit in the process of establishing itself as the sole agent of moral action which is in accord with, and for the sake of, the categorical imperative, on the one hand; and then goes on to establish a postulate of pure Being which is absolutely other than itself. For Hegel, such an insincere shuffling from one moment to the other regarding one side of its being as the mere "mask" of the other, discloses to the moral Spirit the inherent moral duplicity and pretense within the KANiian moral world view.

III. Presuppositions of the Kantian Moral Philosophy Hegel interprets the KANiian moral philosophy as being grounded in the following set of presuppositions. (1) The moral self-consciousness knows pure duty to be its essence and absolute freedom. Thus, the law of pure practical reason is the law of absolute freedom. (2) However, moral self-consciousness is only such insofar as an internal nature which is essentially other than pure duty is present within it. The moral selfconsciousness has a natural existence and this nature is contraposed to the law of reason. Nature is that which is to be overcome by the moral law. (3) The absolute freedom of pure duty and the laws of nature are two independent and mutually indifferent forms of legislation. What is

>3 Ibid. 373. Ibid. 374.

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essential for the moral consciousness is to act according to, and for the sake of pure duty alone. Nature, on the other hand, unfolds according to the laws of theoretical casuality and Cognition. Nature appears as indifferent to the commands of the moral law. (4) Nevertheless, the indifference between morality and nature is not complete. For the moral consciousness who is constituted by both finds only pure duty as essential, and nature as inessential. In other words, there is a Subordination of nature of the law of freedom. (5) Since pure duty and nature are indifferent to one another while, at the same moment of moral action, nature appears dependent on the moral law, there is necessitated a Synthesis which functions to dissolve the ambivalent relation of nature and freedom. But this synthesis does not occur within the existing world of concrete action. For concrete moral action always assumes the inessentiality of nature and the essentiality of moral freedom. Thus, the pure synthesis taken place in thought only and not in concrete moral action. The synthesis of pure duty and nature is postulated by reason in the form of pure transcendent ideas. This synthesis assumes three forms; (a) the synthesis is posited in-itself as the harmony of pure duty and reality — the final purpose of the world, (b) it is posited for-itself as the indefinite progress of the moral self-consciousness via the harmony achieved between its internal nature and the moral law, the end of which is the final purpose of the soul, and (c) it is posited in-and-for-itself in the idea of a holy moral Legislator, a moral Author of nature, the world, and the soul, a Divine Legislator who sanctifies a plurality of particular commands which are taken to be issuing from the law of freedom itself. For Hegel, these presuppositions constitute the inner Spirit of KANrian moral philosophy. The cultural Spirit and rational self-consciousness of a particular interpretation of KANT'S moral philosophy. They are for Hegel, the essential problematic presuppositions upon which the Spirit of KANT'S practical philosophy rest.

IV. The Root Problem The fundamental problem that Hegel sees within the inner Spirit of the KANTian moral world view is stated by Hegel as follows: ". . . a moral view of the world consists in the relation between the absoluteness of morality and the absoluteness of Nature. This relation is based, on the one hand, on the complete indifference and independence of Nature toward moral purposes and activity, and, on the other hand, on the consciousness of

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duty alone as the essential fact, and of Nature as completely devoid of independence and essential being."^^ For Hegel, the internal Spirit of the KANTian moral world view contains this fundamental conflicting presupposition as well as the moments which are present within the development and alleged solution and synthesis of such completely conflicting presuppositions. Since, for Hegel, this fundamental contradiction, and the moments of the development of this contradiction, is the root problem of the KANTian moral world view, it is the legitimacy of the interpretation of the alleged root problem that must be placed into question and ascertained. This questioning of the root problem is the root question. In order to ascertain the legitimacy of Hegel's interpretation of the fundamental contradiction within the moral world view, we shall attempt to interpret the above quoted passage in the light of one aspect of KANT'S Critique of Practical Reason.^^

V. The Legitimacy of Hegel's Critique of the Kantian Moral Philosophy As was indicated above, for Hegel, the root problem of the Spirit of the KANTian moral world view is the relation between nature and morality. According to Hegel, the KANiian moral Spirit, on the one hand, assumes nature and freedom to be two mutually indifferent realms and, on the other hand, assumes nature as subordinate to, and dependent upon, the moral law. But if one undertakes a careful study of the Critique of Practical Reason within the context of KANT'S other moral, political, historical, and pragmatic anthropological writings, there is little textual evidence of this particular relation between nature and freedom thus characterized by Hegel. There are several sections of KANT'S second Critique which testify to this illegitimate portrayal of the relation between nature and pure duty. One section entitled "Of the Typic of Pure Practical Judgment", for example, renders this alleged root problem illegitimate, if it is attributed to KANT'S practical philosophy itself. In order to demonstrate the illegitimacy of this alleged root problem (if it is ascribed to the position of KANT'S moral philosophy itself) we will now briefly turn to Hegel's explication of the alleged root problem in the light of one essential aspect of KANT'S practical philosophy - the typic. 15 Ibid. 365. 1* I. Kant: Critique of Practical Reason. Tr. Lewis White Beck. Indianapolis 1975. 59— 70.

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For KANT, the typic of pure practical judgment is a moment within the determination of the will by the legislation of the categorical imperative. The categorical imperative legislates the will by providing a checking of one's System of maxims. Thus one asks himself if he is acting only according to the maxim by which he can at the same time will that it should be a universal law of nature. It is this "law of nature", this "natural law" made intelligible by the moral law and exhibited in concreto by the moral agent, in objects of the senses, by the understanding which KANT terms the type of moral law, or simply the typic. The typic of pure practical judgement is an understanding of natural law as a moral law. Thus KANT says: "We are therefore allowed to use the nature of the sensuous world as the type of an intelligible nature . . Here we observe that, for KANT, reason has a right to use nature as the typic of moral judgments. According to KANT therefore, nature and the moral law are not mutually indifferent, for reason uses the typic of intelligible nature in its practical judgments. Futhermore, for KANT, nature is not subordinated to the law of freedom; it is rather, shaped into the form of pure duty. For KANT, nature is not something inessential to morality, it is the very substance by which the moral law becomes more and more a universal law of nature. We must conclude therefore, that Hegel's explication of the fundamental contradiction within the KANTian moral world view does not reach the actual moral philosophy of KANT — it does not penetrate the realm of pure practical reason with respect to natural law as KANT himself conceives it. Such an attempt to attribute this root Problem to KANT'S moral philosophy already falls to understand the Status of Hegel's critique. It is a critique not of KANT'S actual philosophy but of the cultural Spirit of the KANTian moral world view. Hegel's critique, if it is understood within the movement and structure of the Phenomenology, does not intend to refute KANT'S practical philosophy; it is rather, a critique of a particular Interpretation of KANT. It is a critique of a moral philosophy which establishes a complete rupture between natural law and moral law. It is beyond the intent and scope of these reflections to point out what KANTian moral philosophies do in fact reflect the cultural Spirit of the moral philosophy of KANT. But it is perhaps helpful to point out what appears to be a typical expression of the cultural Spirit against which Hegel's critique is directed in the Phenomenology. This is the moral philosophy of FICHTE. JOHANN GOTTLIEB FICHTE was a KANTian who held a >7 Ibid. 72.

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complete schism between pure spirit and nature. As such, FICHTE'S thought is a typical instance of Hegel's understanding of the KANiian moral Spirit. Unlike KANT, FICHTE saw man as being composed of "two Orders", one pure spirit, the other sensuality. The former is its ultimate and eternal truth, its will as ruler. The latter, sensuality, is the order of the Operation of deeds. The vocation of man, therefore, is to realize these two Orders and to understand oneself as being composed of these two Orders. But the ultimate moral project for FICHTE is to identify one's true existence with pure spirit, pure will. This, he contends, is the true nature and vocation of man. As he asserts in his The Vocation of Man: "This then is my whole subline vocation, my true nature. 1 am a member of two Orders: — the one purely spiritual, in which 1 rule by my will alone; the other sensuous, in which I operate by my deed.''^® But, FICHTE continues, the true significance, purpose and value of human existence is found only in the spiritual order. As he says: "These two Orders — the purely spiritual and the sensuous . . . the latter order is only a phenomenon for myself, and for those with whom 1 am associated in this life; the former alone gives it significance, purpose, and value.We can see from these two passages which represent the Spirit of FICHTE'S entire moral philosophy, that FICHTE'S moral philosophy is a concrete instance of the KANTian moral Spirit against which Hegel's critique is directed. And, as such, it is rooted in the same presuppositions and arises out of the same root problem as Hegel conceived it in his Phenomenology of Spirit. At this point we are in a position to ascertain the legitimacy of Hegel's critique of the KANTian moral philosophy. Hegel's critique of the KANTian moral philosophy appears illegitimate only when one falls to understand the nature and Status of what it is that is sublated by virtue of his critique. If one wrongly maintains that Hegel meant to refute the actual moral philosophy of KANT, it then appears that Hegel is projecting a complete schism between morality and nature into the practical philosophy of KANT. From here it is argued that Hegel sought to refute KANT by first reading into KANT a false dichotomy based upon duplicity and then went on to unmask and sublate the duplicity inherent in KANT'S moral philosophy. Consequently, by virtue of a careful reading of KANT, one can find little evidence of any absolute dichotomy in KANT. From this Standpoint, Hegel's critique appears illegitimate. But, this assertion falls to

/. G. Fichte: The Vocation of Man. Tr. William Smith. La Salle, Illinois, 1965. Ibid. 141-142.

Hegel's critique of the Kantian moral philosophy

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recognize what it is that overcomes itself in the shape of selfcritidsm in Hegel's Phenomenology of Spirit with regard to the KANiian moral philosophy. In other words, Hegel's critique of the KANiian moral philosophy is legitimate if it is properly understood. It appears illegitimate only when one falls to discriminate between the actual moral philosophy of KANT; and, the cultural Spirit of the moral philosophy of KANT. We must conclude, therefore in the light of what has been said thus far concerning the Position of Hegel's critique within the structure of his Phenomenology of Spirit; the nature of Hegel's critique of the KANiian postulates of practical reason; Hegels understanding of the presuppositions and root problem of the KANiian moral philosophy; together with a proper conception of what it was that Hegel set out to sublate by virtue of his critique, that Hegel's critique is indeed legitimate.

NATHAN ROTENSTREICH (JERUSALEM)

CAN THERE BE A RELIGION OE REASON?

In considering the problem in general, beginning with KANT'S conception of religion within the boundaries of reason alone, one may Start with an Observation on what seems a rather trivial issue, namely, the different interpretations of concept of reason. In German "Vernunft", related to "vernehmen", indicates what may be translated as a conception or awareness leading towards making things intelligible or taking them as such. Reason, or "raison" related to ratio, is at least to some extent akin to calculating, a sense still maintained in ratio as a proportional relationship between elements or things. KANT, of course, gave "Vernunft" a special Interpretation, and, paradoxically or dialectically, precisely that interpretation makes the concept of the religion of reason problematic. This variety of meanings appears also in the context of the essence of religion. Yet in this context, the Situation is even more problematic, since religion is not only a concept which has been variously interpreted, but is a historical phenomenon. When we speak of religion we are not concemed with the definition of a constructed concept but with data. Let US quote a recent formulation of the essence of religion by LESZEK KOLAKOWSKI: "The socially established worship of the eternal reality."^ This definition combines several aspects: from the point of view of intentionality, it refers to eternal reality - and it is clear that questions will arise conceming the meaning of "eternal" in this context. The formulation also refers to worship; the assumption seems to be that there is no religion without the specific expression of the content and the attitude towards it, an expression which goes by the name of worship. If we look into different formulations of this aspect, we shall see for instance that in German the term is "Gottesdienst" - the reference is by definition to God. In Hebrew we say, "avodat hakodesh" and the reference is to Holiness with the presupposition of the conjunction or even identity of ' Leszek Kolakowski: Religion. London 1982. 12. - "Worship" is apparently related to ’worth".

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Holiness and God. Yet, from the point of view of the history of religions, we find that the conjunction between worship and its socially established character is, to say the least, problematic; and questions have arisen concerning the relationship between the spontaneous nature of worshiping expression and its socially established character. Even when the established character of worship has been maintained there have been tendencies, directed by piety, sense of unity, etc. to go beyond and above. Yet, in the context of KANT'S analysis, we might ask, first of all, whether worship is essential for religion, and we see, for instance, that in KANT'S understanding of religion^ emphasis is laid on the freedom of the soul and on immortality, that is to say, on specific concepts systematically established and not on the attitude expressed in worship. 2. — Since we are concerned with a phenomenon and not with a construction the significant elements in religions as a phenomenon must be taken into account. It may be appropriate to refer to two etymological interpretations of religion, that related to the root religare which connotes Corning back and bringing about a connection, and that related to religere — Coming back and walking. Even if the correct underlying root is controversial, both are possibilities suggestive precisely because of the prefix "re". "Re" here seems to connote the coming back, the return, and the assumption is that there has been a connection between human beings and the entity referred to (for we cannot escape the "re"). Religion is thus basically understood as the reestablishment of a relation between man and God. For instance, to remain within the context of the monotheistic religions, if God created man, man in his attitude comes back to his origin or Creator. The same applies, mutatis mutandis, to what goes by the broad term "Messianic expectation". Hence, we can say that religion, whatever its expression, is an attitude with an inherent certainty about a reality, though essentially religion as such does not contain proof for the presence of the reality referred to. With this context in mind we shall make some observations on the traditional direction of the philosophical concern with religions. 3. — First we shall briefly touch on the encounter of the Greek philosophical tradition with the monotheistic religions. If we take the biblical narrative — and the narrative aspect is essential in this context —

2 Kritik der reinen Vernunft. B 773; transl. by Kemp Smith. New York 1929. 597.

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we do not find in it a proof of the existence of God. We do not even find the general expression that God is the creator of the world. What we find is the presentation of the process of creation. The fact that the biblical religions rely on a narrative is perhaps part of the built-in circle of the religious attitude, that is to say, that it relies on God, but its reliance is part of its attitude and there is no hermeneutic first Step although there is a cosmological one. At this point, the philosophical approach, precisely as it was moulded by the AmsTOTELian tradition, brought into the religious context the formulation of that which is implied in the religious attitude. God is the creator and thus the first Step has been made towards a conceptual presentation. Or, to put it differently, the Step from the narrative to the designation of the creator is a manifestation of the philosophical reflection applied to the religious presentation. Concurrently, an additional Step takes place, namely, philosophy translates the narrative into a reflection imbued with justification. A proof has to be put forward for the existence of God as a creator, whatever the direction of the proof may be. The religious presentation is thus transferred to the philosophical-justifying explication. In this sense, philosophy takes the fundamental religious concepts out of their inner texture and directs them towards a justification, which can be understood as based on reason. But reason is here manifested in application and not in invention or legislation, in KANT'S sense. Before going on to some aspects of the nature of religion that seem to be related to reason, let us make two comments on the essence of reason and of faith in KANT'S System. 4. — Since knowledge of reason is related to principles, one consequence is that objects in themselves, the very nature of things, should be subject to principles as demands which, if not impossible, is at least quite contrary to common sense.^ This is a Statement with a far-reaching bearing on the essence of religion and its relation to reason since religion as a domain and not as a construction refers to the essence of things. Thus even the application of the principle to that essence, let alone the continuity from principles to the nature of things, is problematic. Architectonically speaking, reason refers to understanding and not to any object.'*

3 Kritik der reinen Vernunft. B 358; transl. 302. ^ Kritik der reinen Vernunft. B 359; transl. 303.

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The second issue is that of the difference between the theoretical application of reason and the practical one: Theoretical knowledge is defined as knowledge of that which is, while practical knowledge is related to that which ought to be.® If religion is related to practical knowledge, that is to say that which is known a priori as what ought to be, then the relationship to the ultimate reality would be listed under the heading of what ought to happen. We may wonder whether systematically speaking or from the point of view of the immanent meaning of the reality of God religion can indeed be classified under the heading of what ought to be or to happen. Even when we interpret the reality of God as a primary synthesis between existence and the moral norms, the component of existence, cannot be eliminated. The synthesis is not a sublation of reality, but the elevation of it to the level of the moral context. This must be observed even before we take into account KANT'S own distinction between theological morals or ethics which contain moral laws, and those which presuppose the existence of a supreme ruler of the World. What KANT calls moral theology is in fact a conviction of the existence of a supreme being, and that conviction is based on moral laws.^ If we think of ultimate reality, that reality by definition cannot be understood as a realization or personification of the moral laws. To be Sure, the shift from ultimate reality to the personification of moral law is the main theme of KANT'S interpretation of religion within the boundaries of pure reason. 5. — We come now to the well known Statement: "I have therefore found it necessary to deny knowledge in order to make room for faith."'^ The knowledge referred to in this context apparently has several components. One is the communication of the findings, and together with this goes a conviction of the validity of the Statement concerned. In this context KANT says that my conviction is not a logical but a moral certainty. Hence the implied Statement has to be reformulated, namely: "One should not say it is morally certain that there is a God etc., but I am morally certain etc." If we consider this re-wording, we are bound to come to a different conclusion, namely, that the certitude is in the conviction of the subject and not in the validity of the object i. e., God, even from the moral

5 Kritik der reinen Vernunft. B 661; transl. 526. ^ Kritik der reinen Vernunft. B 662; transl. 526. ^ Kritik der reinen Vernunft. B XXX; transl. 29.

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perspective. The dimension of a moral conviction is therefore central to the attitude of faith. The communication of faith or its content is apparently not denied from the point of view of the moral conviction, but the central issue seems to be the conviction of the subject entertaining faith. If this is correct, we may come to the conclusion that from the various connotations of the concept Glaube, such as love, hope, praise (Lob) etc., KANT apparently extracted a combination of the aspect of hope with that of confidence. Confidence refers to God as a realization of the moral essence but also to the immortality of the soul - in this context we may disregard the notion of freedom. Yet precisely the context of the immortality of the soul Stresses that we are not referring to a given reality but to that which ought to come about. To be sure, if the ultimate reality is considered from the point of view of a projected future, this would not be congruent with religion as a historical phenomenon. 6. - It is in this context that we must ask what is the justification of this Statement in Prolegomena: "Every single experience is only a part of the sphere of its domain, but the absolute totality of all possible experience is in itself not experience. Yet it is a necessary problem for reason . . . Whereas the concepts of reason and of the completeness, that is the collective unity of all possible experience . . . Thus they become transcendentIn this context, as we see, the reference is not to faith as hope for a fulfillment, but to awareness of the difference between non-completeness and completeness. Since reason is the highest intellectual capacity its symmetrical correlate would be the completeness of the universe or of the System which, though transcendent, is still, so to speak, within the horizon of reason. Again, this is not the moral direction or interest of reason, but its systematization. From the perspective of the philosophy of reason the significant point seems to be that KANT confines religion to the moral or ethical aspect of reason and not to its overriding systematization. Hence we are bound to ask what led KANT to arrive at this conclusion, explicitly stated or not. The transcendence referred to can be understood as a horizon and not as a reality, let alone a reality within the broad scope of the horizon. In this sense, the transcendent is a symmetrical correlate of reason. No aspect of conviction or faith is implied in this reference to the horizon. Put

* Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können. In; Akademie-Ausgabe. Bd 4. 328; transl. by L. VV. Beck. Indianapolis 1950. 76.

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differently, we may say that the transcendence is an architectonic position and not one embodying or personifying the position of God or some "moral world ruler". To be sure, KANT, uses the concept of postulate in the context of systematization, saying that the idea related to the unity of reason postulates a complete unity in the knowledge obtained by the understanding. In this context, knowledge is not a mere contingent aggregate but a System connected to necessary laws.^ In a sense KANT moves from this architectonic Statement to the context of moral laws when he says that if the moral laws necessarily presuppose the existence of any being as a condition of the possibility of their obligatory power, this existence must be postulated. Yet he adds a reservation when he says that at some future time we shall prove that the moral laws are not merely the presupposition of the existence of a supreme being, but are absolutely necessary in themselves. They justify us in postulating this existence though, indeed, only from a practical point of view. At this point KANT remarks: "For the present, however, we are leaving this mode of argument aside."^° To be sure, systematically speaking, KANT did not hold that moral laws as such presuppose the existence of a supreme being because they are autonomous. Hence, not their imperative aspect, but only the fulfillment of moral expectations on the one hand and the realization of the moral content on the other, can be related to a supreme being. If we understand KANT'S term "nature" as the principle of the cultivation of happiness in human beings and if we understand under the term "grace" the moral predisposition inherent in us and unintelligble, that is to say, the principle of pure morality — then we find that nature and grace are not only different from each other but are also very often contradictory. In this sense, the two aspects of human nature or essence are not harmonious. If harmonization is looked for at all it is bound to be realized beyond human nature. This dichotomy between happiness and grace is apparently the background for the postulate pointing towards transcending it. But certain questions arise: a) must the horizon of the transcendence be presupposed so that the hoped-for harmony between nature and grace may be placed within it; b) whether that harmony is to be achieved within the extended boundaries of human existence, i. e., the immortality of the soul; c) whether the postulate in terms of the existence

’ Kritik der reinen Vernunft. B 673; transl. 534. Kritik der reinen Vernunft. B 662; transl. 526 - 527.

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of God is necessary to safeguard the expectation of immortality, or whether the postulate in terms of God points to the ideal harmony between reality and the moral law, that harmony which cannot be achieved within the boundaries of human existence where happiness and grace are dichotomically present. This alternative must be stressed, for the fundamental approach to the autonomy of the moral sphere leads KANT to the well-known Statement: "So far as morality [Moral] is based upon the conception of man as a free agent . . . it Stands in need neither of the idea of another being over him . . . nor of an incentive other than the law itself, for him to do his duty." In the same context KANT makes a reservation: "for an act must, first of all, itself be weighed according to the moral law before it is directed to the happiness of others or to translate it differently, to the Strange happiness. The requirement laid down by this end . . . is a duty only conditionally and cannot serve as a supreme principle of moral maxims."ii This formulation does not place the moral law and the expectation of happiness on the same plane. It gives priority to the moral law and at the same times it characterizes the position of happiness and adherence to it as only conditional. Hence, the question of harmonization is not only one of bringing together two different directions of human attitudes but of bringing together a categorical commitment with a conditional one. In any case, we may wonder what is the precise meaning of the ideal of harmony if that harmony is to be realized within the divine realm, where there is no symmetry between the two motivations of human behaviour. Perhaps KANT'S own description "of a certain subtle anthropomorphism"!^ mitigates not only the notion of the cause of the World as the realization of transcendence, but also the meaning of the moral essence of that cause. Bringing together God and future life^^, KANT Combines the two from the human perspective, thus leaving the meaning of that combination from the perspective of God open to question. The definition of the character and position of religion is clearly related to this issue. Religion is subjectively regarded as the recognition of all duties as divine commands. That religion, KANT adds, where I must know in advance that something is a divine command in order to recognize it as

Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. In; Akademie-Ausgabe. Bd 6. 3; transl. by Theodore M. Greene and Hoyt H. Hudson. New York 1960. 3. Kritik der reinen Vernunft. B 728; transl. 569. Kritik der reinen Vernunft. B 856; transl. 650.

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my duty, is the revealed religion. In contrast, that religion where I must first know that something is my duty before I can accept it as a divine injunction is the natural religion.*'* It seems that the term "natural" may be replaced by the terms "rational" or "within reason alone", since the primacy of the moral duty over the divine command is inherent in the essence of reason, and by the same token in the essence of the religion of reason. Moreover, to assume the position of a revealed religion is to presuppose that God reveals, that is to say gives; we know the Constitution which belongs to the world itself without pretending to determine the nature of its cause in itself. We can only compare the effects of the supreme cause to the effects of human reason.*® If we observe the adherence to reason in the strict sense of the term we are bound to come to the conclusion that God is the realization of the moral law. Yet we must still ask why we have to shift from obedience to the moral law to its complete and given realization. KANT here apparently assumes a kind of "projection" which we know from a later stage of philosophy, in FEUERBACH. But the realization in KANT'S sense would be a projection of pure reason while projection in FEUERBACH's sense is a realization qua fulfilment of empirical human beings, who are looking for something that they do not encounter in the given reality. Nonetheless, the systematic question as to the shift from reason via projection to realization, remains significant in relation to KANT'S concept of religion of reason. 7. — The basic issue related to the concept of religion of reason or within the boundaries of reason is the following: What is the inner motivation in terms of reason which leads to the engagement in religion at all? Religion — according to KANT — is a recognition of all duties as divine commands. The commands are not sanctions, that is to say the arbitrary and contingent ordinances of a foreign will. They are essential laws of any free will as such. The duties are related to any free will. Therefore, they cannot be seen as related exclusively — or primarily — to God. We thus come back to the question whether the relation between duties and God is a projection from the perspective of duties founded on reason. If we refer to free will, we are referring basically to a broad sphere of reason or freedom as such, and we consequently relate that sphere to God. The additional aspect of religion, namely that we may hope that someday we will

Die Religion. In: Akademie-Ausgabe. Bd 6. 153-154; transl. 142—143. Prolegomena. In: Akademie-Ausgabe. Bd 4. 360; transl. 108.

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participate in happiness in proportion to our continous endeavour to be worthy of happiness — that hope relates to the fulfilment of the moral law and the moral expectation, but not to the very content of the moral law. If this is so, then the following systematic question arises: what led KANT to the assumption of God, since he is so cautious not to refer to the reality of God but to his moral meaning, and by the same token, to remain within the boundaries of reason? Since reason is basically the capacity of legislation, can it be possible to maintain spontaneous legislation together with the reference to the ultimate reality, which by definition cannot be a Statement grounded in legislation or an outcome of it. The attempt to find a moral equivalent for the notion and essence of the ultimate reality cannot make us oblivious of the incongruence between legislation of reason and religio as relation to the ultimate reality understood as God. Hence, we come back to examining KANT'S logic in his very reference to religion. A possible solution may lie in that KANT is referring to the historical phenomenon of religion, trying as it were to find an equivalent for it from the point of view of reason qua legislation, though he is bound to be aware of the fact that the built-in relation to the ultimate reality cannot find a synonym within the boundaries of reason. KANT is, of course, referring to historical religions. For Christianity Judaism was preparatio evangelica. For KANT Christianity is, so to speak, preparatio rationis within the boundaries of history, going beyond the historical manifestations of religions in the direction of religion within the boundaries of "reason". What are the features of Christianity as a historical religion which may make it into the preparation for the religion of reason? The issue becomes even more problematic since Christianity as a learnt faith relies upon history. It is not in itself a free faith, or one deduced from insight into adequate theoretical foundations.^^ Chronologically speaking Christianity is a preparation, but structurally it is the visible representation of the in visible kingdom of God on earth. ln this context KANT significantly uses the term scheine which we know from the System of pure or theoretical reason, where scheme must in one respect be intellectual, and in another, sensible or sensuous.^^ ln what sense can a historical religion be intellectual? This question is even more important because the scheme in the sphere of theoretical reason refers to forms of Intuition i. e., to time. The concepts or categories

Die Religion. In: Akademie-Ausgabe. Bd 6. 164; transl. 152. Kritik der reinen Vernunft. B 178; transl. 181.

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are realized within the form of sensuality. Thus there is a factual congruence between understanding and sensuality due to forms. There is tertium comparationis between the two because of the formal character of time on the one hand and of understanding on the other. Yet in terms of the relation between the historical process of religions and religion within the boundaries of reason there is no a priori congruence between reason and historical data. The most that can be said is that we look at historical data retrospectively as a preparatio for the religion of reason. Hence the Position of the scheme is an interpretation of historical data and not a Synthesis prescribed by the formal character of its components. This issue can be restated by saying that if faith is imposed it cannot be transformed into religion within the boundaries of reason, since reason prescribes the direction out of spontaneity. At all events, we come to the conclusion that KANT'S System in its built-in structure will probably not call for a reference to the phenomenon of religion. The fact that KANT applies the concept of reason to religion is motivated not by a systematic approach to explicating religion but by an attempt to "save the phenomenon of religion" by transposing it to the realm of reason. Yet this Step leads to the Situation that, as the saying goes, "the main thing has been forgotten."

8. — We shall now look into a different presentation of religion within the sphere of reason or religion of reason — i. e., Hegel's position. Firstly, we shall present some of his descriptions of religion. Reason, Hegel says, is the soil in which religion can be at home.^® Though this is the description of the broad sphere of religion, Hegel apparently tried to define some of the more specific qualities, for instance, that religion is a relation of the spirit to the absolute spirit, or that religion is the knowledge of the divine Spirit through the mediation of the finite spirit.This distinction between absolute spirit and finite spirit enables Hegel to maintain the correlative structure of religion without adopting the direction of legislation which is characteristic of KANT'S conception and which makes the structure of correlation impossible. Hegel, because of consideration which will be discussed below, could maintain that religion is that phenomenon in

Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Hegel: Werke. Berlin 1832 ff. Bd 11. 198—199. The topic in its broad or comparative context is discussed in the Author's Legislation and Exposition. Critical Analysis of Differences between the Philosophy of Kant and Hegel. Bonn 1984. (Hegel-Studien. Beiheft 24.) 175 ff. Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Werke. Bd 11. 200.

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which man searches for the basis of this lack of independence. Man finds bis quietude by having the infinite before his eyes. In Hegel's way of thinking, this is a significant Statement, because notwithstanding his view of the emergence of religion in the sphere of spirit, he presents religion as it is, emphasizing in it man's lack of independence. Therefore the reference to a spiritual reality does not in itself absorb, let alone annihilate, the position of man. A further description is probably connected with this one, namely, that religion has to be feit (gefühlt) or that faith cannot exist without feeling (Gefühl), otherwise it is not religion.These descriptions must be seen in their broad systematic context, namely that religion is related to spirit or to reason but cannot be the full manifestation of spirit or reason. Systematically, this is enabled by Hegel's approach, namely, that reason or spirit underly various phenomena and are manifested in them. But the adequate manifestation is that which presents reason or spirit adequately, that is to say, where the content as well as the manifestation is reason. This is characteristic of philosophy. Religion is not a phenomenon of this sort, and therefore, can be both historically and phenomenologically understood as a Step toward the adequate manifestation of reason but not as containing or incorporating that adequate presentation of its hidden content. The difference between KANT and Hegel on this issue is related to their different interpretation of reason: of legislative reason, Hegel says that it is brought down to the level of reason which is only probing (probirt).^^ Hence Hegel criticizes KANT'S view, since to him the probing reason cannot legislate in the strict sense of that term; probing refers to that which is present and not created. The proper interpretation of reason, is the certainly of being all reality.^ Reason as legislation is basically limited because legislation does not create the ground to which it is applied. Hence legislation is a limited spontaneity. In order to maintain full spontaneity, it is necessary to overcome the applicative aspect of reason in the direction of identity between reason and reality. This interpretation of reason has an immediate bearing on the essence of religion: religions are a Step towards the awareness of that identity. But religion or religions as such do not manifest that identity. In Order to reach identity and its awareness it is necessary to go beyond and above the preliminary steps, including that of the distance between man in absence of independence Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Werke. Bd 12. 385. Phänomenologie des Geistes. Werke. Bd 2. 319; GW 9. 232. Phänomenologie des Geistes. Werke. Bd 2. 177; GW 9. 134.

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and the total spirit. Systematically, Hegel's approach places religion within the process of reason but does not make it into a religion of reason because reason is characterized in terms of the full identity between awareness and reality. With regard to the essence of religion in terms of the concept of religion of reason a basic systematic difference emerges between KANT and Hegel. For KANT, the distinction between cognitio ex datis and cognitio ex principiis is a basic one leading to a permanent dichotomy, that is to say there is no way to bring about the transition of cognition out of data into the sphere of cognition our of principles. There is thus a basic relation between the historical approach and that considering the data as given from outside, whether that outside is experience or instruction. Hence, historical religions are fundamentally historical in that they are presented to the subject, and thus cannot be transformed into a cognition stemming from principles. As against this, religion of reason is a religion originating in reason. Hence, the interpretation of ethical imperatives as divine commands is an interpretation stemming from the nature of the sphere of the imperatives and their content. Again, historical religions, including Christianity, are and can only be steps in the direction of religion of reason. The basic distinction between the historical and that which originates in reason is maintained and there is no way for a sublation of the historical data to the level of reason by not maintaining the difference between the two levels. Hegel's approach to history is systematically different. History in itself is the becoming which at the same time is knowing. Therefore history is the spirit which externalizes itself in time.^^ The course of history is not the becoming of foreign things but it is our own becoming, the becoming of our knowledge. Hence history is the thought's finding itself (Sich-selbst-Finden).^'^ There is no observation of exterior data since reason cannot negate the fact even when it conceives of present data it knows itself. This position entails the result that reason is present in the data, but does not achieve full self-knowledge in them. Hence, according to Hegel, every religion is a religion of reason if we consider the substance of reason. But in the sense of the full self-understanding of the substance, that is to say, the identity of reason and self-knowledge, there is no religion of reason. The synthesis of reason and self-knowledge is inherent in philosophy only, and not in any Phänomenologie des Geistes. Werke. Bd 2. 610—611; GW 9, 432 ff. Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Werke. Bd 13. 15. 25 Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Werke. Bd 13. 21.

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religion, including Christianity. Christianity represents the step dosest to self-knowledge but it is not religion of reason since the very conjunction of religion and reason has to be taken in a mitigated form. Religions are of reason from the point of view of essence or content but not from that of an adequate self-understanding. An expression of the difference between the historical stage and reason par excellence is manifest in the interpretation of Christianity as the teaching of God becoming man or of the presence of the holy spirit in the believing community. In this context we must emphasize that the identity of God and man makes the knowledge of the spirit in its absolute infinity possible but it is not as such the synthesis between the absolute spirit and knowledge of it.^^ Christianity conceived within the realm of religious presentations is not an individual spirit but an absolute one. Being a religion, it displays the absolute spirit in a representation (Vorstellung) and not conceptually, wherever a conceptual interpretation is the correlative of knowledge and self-knowledge. Hence, the idea of spirit is understood as a concrete spirit. The cult is the relation of the finite spirit to the absolute.This is so though the content of the Christian religion is to know God as spirit, but to know the spirit is not by the same token the elevation of knowledge to conceptual understanding — the latter being manifest in philosophy in the strict sense of the term. We reach the conclusion that the essence of Christianity lies in the conception of the identity between man and God and that identity is perceived (angeschaut) in Christ. Yet we must distinguish between the presentation or manifestation in Anschauung and manifestation on the conceptual or ideational level. Christ is man who is God and God who is man. Through this identity peace and conciliation are present in the world.^^ We may add that peace and conciliation representing the synthesis or the integrity of spirit are still not on the level of self-awareness of the spirit. The systematic conclusion which Hegel reaches is that all religions though historical are religions of reason. Therefore, there is no systematic need to establish a self-contained religion of reason, as KANT presented it, because for KANT, as we have seen, reason is of a legislative character and is not the identity between subject and object inherently accompanied by self-knowledge of the object manifested in the subject. For Hegel,

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Geschichte der Philosophie. Werke. Bd 13. 63. Geschichte der Philosophie. Werke. Bd 15. 101 Philosophie der Religion. Werke. Bd 12. 385. Philosophie der Geschichte. Werke. Bd 9. 394.

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philosophy as a full manifestation of reason becomes manifest Step by Step in the historical process by a kind of a detour, but it is not, in KANT'S sense, a legislation of human reason which has two objects - nature and freedom. "All philosophy is either knowledge arising of pure reason, or knowledge obtained by reason from empirical principles."^® We can further clarify this point by saying that for KANT there is pure reason, but for Hegel pure reason cannot exist, since reason is an awareness of an identity and not a faculty of principles. Here arises a question relating to KANT but not to Hegel: What is the systematic argument for the construction of a religion of reason if religion is only a continuation of autonomous moral principles? There are possibly two points that explain KANT'S position, problematic as it is. The first is a sort of affinity, looming large but not explicitly stated, between the attitude evoked or to-be-evoked by the ethical principles and the attitude inherent in religion, namely that of respect, acceptance of imperatives, or even obedience. The sphere of morality is characterized by self-legislation but within self-legislation there is an acceptance of moral principles or imperatives and an adherence to them. To be sure, historical religions, explicitly or not, Interpret that adherence as obedience to an extramundane or transcendent imperative imposed on human beings in commands or commandments. KANT attempted to distinguish between the transcendent source of commandments calling for obedience and adherence and obedience as such. Hence, historically speaking, the emancipation of adherence from the context of historical religions led KANT to distinguish between religions and still to maintain the self-emancipation of adherence which is still adherence. If this interpretation is correct, then it may lead us to the conclusion that in spite of the dichotomy, KANT maintains that there is a sort of affinity between historical religions and religion of reason. The second aspect should be brought in at this point. With all his reservations, regarding the traditional or the populär interpretations of grace, KANT still gives that name to the influence of God on our morality^i: grace is the moral predisposition inherent in us, even when it is unintelligible. The reference is explicitly to the principle of pure morality, juxtaposed to the principle of cultivated man's own happiness, which is the ruling principle in man's nature.In this Statement grace is Kritik der reinen Vernunft. B 868; transl. 659. Die Religion. In: Akademie-Ausgabe. Bd 6. 194; transl. 182. Der Streit der Fakultäten, ln: Akademie-Ausgabe. Bd 7. 43.

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interpreted as a kind of inexplicable intervention making it possible to characterize human beings by the predisposition towards moral principles which defies their built-in urge towards happiness. Grace is understood not an intervention in specific human acts, but is the very presence or possibility of adhering to moral principles which as such contradict man's natural urges. To be sure, KANT does not say that this presence of a moral disposition is an act of divine intervention in human nature or essence. But the fact that he uses the term "grace", with its traditional associations, may lead us to the conclusion that where KANT faced an unintelligible predisposition which is central to the moral attitude as such he availed himself of a religious term to annote it. Autonomy or self-determination, being opposed to determination by nature, is presented as grace - a sort of an immanent force. When Hegel speaks about grace he is referring to the spirit of God in man. The presence of the spirit of God leads to the self-perception of human beings as passive in their acts, that is to say, human acts are not their own activity.^^ concept of divine grace assures human beings that human nature cannot truly be something alien to the divine nature.^ The difference between KANT and Hegel is clear. KANT talks of the unintelligibility of the moral attitude and employs the term "grace"; Hegel refers to the unity between man and God, and the presence of God in the human setting amounts to grace. On this point KANT'S employment of the term "grace" is more akin to the traditional use of that term because of the aspect of unintelligibility, while Hegel, stressing the identity between man's nature and the divine spirit is faithful to his System, but one may wonder whether he is faithful to the authentic meaning of grace. A topic parallel to that of grace is revelation. KANT says: "For the theoretical part of ecclesiastical cannot interest us morally if it does not conduce to the performance of all human duties as divine commands (that which constitutes the essence of all religion)."^5 He says even that the interpreter of revealed teachings is "the God in us''.^^ From the point of view of biblical scholarship revelation is not denied as a teaching transmitted from God to human beings. But that revelation, or that mode of it, cannot overshadow revelation in the philosophical sense, which again is part of the affinity between reason and moral content, once

Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Werke. Bd 12. 117. 3* Philosophische Propädeutik. Werke. Bd 18. 76. 33 Die Religion. In: Akademie-Ausgabe. Bd 6. 110; transl. 100. 33 Der Streit der Fakultäten. In: Akademie-Ausgabe. Bd 7. 48.

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religion is basically ethical. If this is so then that which belongs to revelation is asserted by reason itself, which in this sense cannot be associatfd with historical religions understood as receiving in the traditional signification of revelation: God transmits and man - or even his reason — receives. We again find here the built-in limitation of the systematic attempt to translate religion as a phenomenon into religion as a manifestation of reason or as a construction of it. A parallel Situation is present in Hegel's interpretation of revelation, with all due differences between them. To give a few examples: Hegel says that God is here revealed as he is. He is here as he is in himself. He is here in spirit.^^ Spirit which is not revealed (offenbar) is not spirit. To be sure, Hegel introduces the concept of act into the context, but the act does not imply departure from the realm of God towards man but the continuation of the essence of God as spitit, since to manifest itself is the essence of spirit.^® Religion is a relation of spirit to spirit. Are we to understand this interpretation of revelation as a built-in quality or feature of reason or spirit as such? Since spirit contains the harmonious synthesis between content and consciousness of it, spirit amounts to reason as self-consciousness. Revelation is the continuous motion from content to self-awareness: the content knows itself out of its own resources or essence. This is an act based on the content and not an act posited by a transcendent being adressing itself to the receiver qua man. Neither the transcendence of the giver nor the will to act appear in the context of the notion of revelation. Hence revelation is not what is called Kundgabe, that is to say, a manifestation of a certain content. It is not a disclosure of God to man, traditionally described as a revelatio mysterii. In spite of the position of Christ within the absolute religion, revelation is obviously not the manifestation of the presence of Christ as, for instance. St. Augustine interpreted it. Man appears on the horizon of revelation because he adds his own Position and essence to the self-consciousness of reason or spirit, knowledge or understanding, for man is "the knowing spirit". One of the expressions of Hegel's shift from the notion of revelation as a message to that of revelation as identity with man is his interpretation of the Christian religion as a religion of the unity of man with God. Man is the finite

Phänomenologie des Geistes. Werke. Bd 2. 571—572; GW 9. 710 ff. Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Werke. Bd 12. 197. Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Werke. Bd 11. 98.

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consciousness^® but the dimension of finitude is but a manifestation of infinity and, by the same token, a mediating link between the infinity of the essence and the infinity of self-consciousness. 9. - These two systematic attempts to present the religion of reason as a sort of continuation of historical religions but also as a replacement of them demonstrate the built-in deficiency of the systematic approach. The two philosophies are paradoxically related: KANT constructed a religion within the boundaries of reason replacing historical religions, while Hegel incorporated historical religions into the System of reason or spirit. This difference is due to Hegel's different interpretation of reason: legislation is not a comprehensive attitude or faculty, while spirit is comprehensive and its comprehensiveness becomes manifest — also - through historical stages. KANT'S interpretation of reason makes reason spontaneous and limited to legislation, while Hegel's makes is open to that which is reason only in itself but not for itself. Hegel's System is thus more receptive to historical phenomena but it still interprets them only as transitional stages towards philosophy. Both KANT and Hegel do not explicate religions from within, but interpret them from the perspective of reason and its own inner logic. Thus the systematic shortcomings of these interpretations are exposed. Even if we admit that not all historical religions adhere to the concept of a transcendent divine being, we cannot ignore the fact that some historical religions do adhere to that concept. The emphasis must be placed both on transcendence and on being — or to put it differently, on the positional aspect of God and his ontological essence. Neither KANT'S interpretation nor Hegel's can do justice to the dimension of transcendence or even come to grips with it. The religion of reason does not refer to the divine being as such; it presents only that divine being's ethical content, which as we have seen before, is but the continuation of the ethical imperatives inherent in the self-legislation of reason. The same applies, with all the due differences, to Hegel. Since the core of religions is spirit, the trend of spirit towards self-knowledge is bound to present spirit as self-enclosed and thus not transcendent or refering to it. Whether we interpret this Position as a kind of Variation on the pantheistic tendency or not, we must conclude that the course of historical events and also man in his position are included in the totality of reason or spirit. From this point of view.

Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Werke. Bd 12. 41.

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religion of reason, being a construction intended to replace the historical religions, exhibits the discrepancy between the inner meaning of historical religions and that which is proposed to replace it. Historical religions are thus negated, not sublated, as regards maintaining their core. On this point there is perhaps no basic difference between historical religions adhering to transcendence and those that do present a basic Synthesis between the ontological element and the ethical or axiological. God is a being as such or a being in its excellence he is: the paradigm of ethical behaviour, a position manifest among other things in guiding human behaviour and making demands on it. The varieties of religion of reason must lead to one-sidedness. For KANT there is no ontological component but only the ethical one; for Hegel there is a synthesis between reality and self-knowledge of it which can be understood as a replacement of absoluteness not as a transcendent entity but as a comprehensive one. Yet this interpretation does not make the axiological component of divine reality an essential component of it. It should be stressed that Hegel characterizes the moral man as one who is conscious of his doing^^ or, to put it differently, that morality essentially contains one's own subjective reflection. I am convinced that what I do conforms to the general or universal determinations of the will which are rational and universal duties.^^ This description of the ethical sphere is rather dose to KANT'S interpretation of it, but there is no reference to the position of the divine being, even in KANT'S limited sense. Thus we are bound to draw the conclusion that a philosophical construction of religion, being a construction and not an explication in the conceptual sense of the phenomenon or phenomena of religion, cannot bridge the gap between the phenomena and the construction. We shall look now into a third attempt, that of HERMANN COHEN, which is even more ambitious than KANT'S, since COHEN presents a religion of reason and not only a religion within the boundaries of reason. — There are three concepts in COHEN'S last work (published posthumously) which should be considered in terms of their congruence with built-in Orientations in religions or religion and also in terms of their character which supposedly originates in reason. The first is that of true being. Only God can have being. God is true being and thus there is only 10.

Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Werke. Bd 12. 14 f. 42 Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Werke. Bd 13. 334; Bd 14. 460.

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one substance, that is, God. God is understood as a Creator, and in this Position he is unique and totally different from any other existence. In this context COHEN employs the distinction between being = Sein and existence = Dasein, since God is reality while the world is in the state of process or becoming. Hence, the dependence of existence upon being — is the dependence of the process on permanent reality. This dependence makes God not only primary and the world secondary but emphasizes that duality by applying the term of reality proper only to God.^^ The question that arises in this context relates to the two perspectives, that is to say: what is the justification for this systematic outlook from the perspective of reason, and, concurrently, to what extent does that systematic presentation do justice to the various aspects of the religious view, insofar as it entertains the attitude towards transcendence. From the Position of reason, what is the justification of giving transcendence any place at all, or of preserving the difference between reality as permanent and the process which is characteristic of existence, that is, of nature? With all due differences, COHEN here follows KANT'S distinction between phenomena and the thing in itself, applying to the thing in itself the Status of the intelligible cause. For KANT the distinction had several reasons, one of them at least being the distinction between that data and their hidden cause. Concurrently, the architectonic view possibly relates to the Position of reason, which is not confined to data, and thus can be void, or related to a thing in itself, or to the intelligible reality. The last would be the correlate of reason which as a superior faculty faces the intelligibility beyond and above the phenomena. If this is so, KANT had architectonic considerations for the very introduction of the concept of the intelligible cause. But the intelligible cause is not the Creator nor is it reality positing the secondary level of existence out of its own decision or will. When COHEN applies the term Creator to the level of true being does he mean to imply the personal essence of that level? The answer seems to be yes, since otherwise he would not be in the position of referring to the Creator. But the shift from intelligible reality as a true reality to the Creator does not follow from the position of true reality. The dependence of the phenomenal reality on true reality does not imply the deliberate Intervention of true reality in the sphere of the secondary existence. That dependence does not imply the affirmative aspect of the act of positing Hermann Cohen: Die Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums. Leipzig 1919. 41—42; Religion of Reason out of the Sources of Judaism. Transl. with an Introduction by Simon Kaplan. Intr. Essay by Leo Strauss. New York 1972. 34- 35.

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nature and its outcome, expressed in the biblical phrase: "He saw that it was good." Moreover, positing the cause does not imply providence and the judging of the process, which also comprises the responsibility of human beings who belong to the secondary existence and are exposed to the judging of the Creator who is not only a cause but also a judge. COHEN apparently tried to save the character of reason and its impact on the structure and essence of religion but he could do so only by isolating the aspect of the cause identifying it with true reality. The different nuances and directions of the phenomena of religion were not adequately translated into the scope of reason. A second topic in COHEN'S interpretation of religion of reason is that of revelation. Revelation is not a manifestation vis-a-vis the world at large, but vis-a-vis man. God created the world and within it he revealed himself only to man. Since revelation apparently implies the position of the recipient, it relates to man and not to the world as a whole. Revelation is related to the reason inherent in man, but reason itself is a creation of revelation. What is the basic problem which led COHEN to interpret revelation as he did? Reason or its authority^ is a fact within the human sphere and not within that of the existence of nature. It seems that the process of reality cannot explain the presence of reason, whether intellectual or ethical or both. Therefore a special Intervention of the Creator took place in the course of reality, and that intervention implanted reason in the sphere of human existence, making it present, and thus turning man into a being capable of a special relation with God, which COHEN calls correlation. Vis-a-vis the world the dependence is one-directional, that is, the dependence of the second reality on the primary one is synonymous with dependence upon the Creator. In terms of the Position of man the direction from the Creator to man is exhibited in the creation of reason. This direction is supplemented by man's response and thus by his position correlated with that of the Creator. If we interpret COHEN'S attempt to formulate the essence of religion of reason, we find that reason is indeed present, but is created. The presence of reason enables COHEN to use the concept of religion of reason, while creation enables the use of the concept of religion. However, though argued in this context that reason cannot emerge out of the immanent process of the world and thus is related to the transcendent cause, there is

Ibid. 82 ff; transl. 84 ff.

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no assumption that revelation has the specific content of the reception of commands or commandments. Revelation becomes an explanation — however mysterious — of the presence of reason, and not of the contents entertained by it. Here too, we are bound to come to the conclusion that in Order to maintain the notion of religion of reason, COHEN distinguishes between the position of reason, making it dependent upon creation, and the reception of certain kinds of guidance inherent in contents which is intrinsic in the concept of revelation. KANT attempted to find the congruence between reason and contents by applying to the latter the criteria of reason. In COHEN we find a regression from the spontaneity of reason as such to its dependence on the Creator's intervention. The transition from the position of reason to its reception of that which revelation reveals, remains unexplained. There is a third issue in COHEN regarding religion of reason which calls for a critical analysis, though it is of a different character. COHEN sees the ethics of reason in its basic essence as KANT saw it, that is, the ethics of universality in two senses: referring to mankind as a whole and referring to every human being separately, to be approached as an end and not only as a means. In this sense, there is no individual or specific concern with a particular man but a concern with man as representing the human position in general or representing man as such. COHEN attempted to introduce a further dimension into the ethical sphere, which he sees as of a religious character, and in this sense he Supplements the KANTian ethics of reason. In religion we encounter the correlation of the individual, who is a reality, with God, who is true being. We discern the individual not as a postulate for establishing the correlation but by encountering his specific individual characteristic. Only individuals have the attribute of guilt. In this context COHEN refers to awareness of one's own sin. Sin is an individual act and an individual experience, and through the possibility of repenting one's sin the individual becomes a free "I".45 Paradoxically, we see here that religion of reason needs the unreasonable or irrational act of sin in order to establish the position of the individual. If the sin — and this is obviously a religious category — is a transgression of divine commands, then the encounter between reason and the facticity of sin amounts to the awareness of the limiations of sin. Even when COHEN does not follow KANT'S view of evil, he is still bound to face the issue of the transition from sin to the free "I". To put it

« Ibid. 105 ff; transl. 189 ff.

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differently, in order to establish the free "I" as a Status and activity of reason or spontaneity one has to go through the detour of sin. Is COHEN here adopting the view of the "cunning of reason" {List der Vernunft), namely that reason needs the antirational act of sin in order to establish itself? We find in COHEN not the emphasis on the detour but the emphasis on the individuality of the sinner cjua man. Yet systematically there is no need to anchor the position of the individual in the act of sin. When man is regarded not as a means but as an end, or as representing the universality of mankind or the unversal essence of man, the position of the individual is by no means erased or abolished. To look at man as representing the essence of man does not imply that the factual Status of man is that of a given individual empirically situated and even circumscribed by the boundaries of his physical presence. To look at an individual as representing mankind or as an end leads to an acknowledgement of the individual as he is in his individuality because of the distinction between mankind manifesting the universal Status and the individual manifesting the existence of the agent who has to live up to universality, but not by being annihilated by it. COHEN tried to incorporate sin in the System of reason, yet one wonders whether the argument presented for the sake of that incorporation is valid and, moreover, whether it is necessary for the broad aspects of the ethical attitude.^^ We thus come to the conclusion that COHEN's attempt to formulate the essence of religion of reason falls short vis-a-vis the phenomenon of religion, while at the same time he pays a tribute to religion, a tribute not grounded in the perspective or reason. Our systematic conclusion is that reason applied to religion must be analogous to reason applied to other phenomena such as knowledge or art, that is, it must lead us in the direction of exploring the presuppositions of the various areas of phenomena, articulating them and justifying them from within. A construction, even one guided by reason, cannot be an equivalent of the phenomena. The analysis of the various constructions leads us to admit not only the shortcomings of the constructions but also their inadequacy when systematically compared with the phenomena. Why should religion be religion of reason — that is the question - more than knowledge, Science or art are? ■** S. H. Bergman in his analysis of Cohen's work argues that Cohen did not succeed in his attempt to guide religion into philosophy. "Religion overcame the framework of philosophy." (Hogei Hador. [In Hebrew.] 2nd ed. Jerusalem 1970. 243.)

HERBERT SCHNÄDELBACH (HAMBURG)

HEGEL UND DIE V E R T R A G S T H E O RI E

In* vielen Bereichen der Philosophie ist Hegel durch seine Wirkungsgeschichte auch heute noch gegenwärtig; die Vertragstheorie gehört nicht dazu. Das Wort „Vertragstheorie" hat mindestens zwei Bedeutungen; es bezeichnet zum einen die rechtsphilosophische oder rechtstheoretische Interpretation des Vertrags als Rechtsinstitution, zum anderen (als Sammelbegriff) die Vielzahl der Lehren vom Gesellschafts- oder Staatsvertrag als der faktischen oder normativen Grundlage des rechtlich geregelten Zusammenlebens der Menschen. Hegels Nachwelt ist ihm in beiden Feldern nicht gefolgt. In der Theorie des Vertrags schloß sie sich bis in die Kodifikation des BGB hinein nicht ihm, sondern seinem Widersacher SAVIGNY und der Historischen Rechtsschule an^; durch seine Kritik an den Staatsvertragslehren, die in Wahrheit Liberalismus-Kritik ist, setzt sich Hegel bis heute der Opposition aller Liberalen und dem Verdacht aus, dem Faschismus und dem autoritären Marxismus den Weg geebnet zu haben.^

^Überarbeiteter Text eines Vortrags, der im Frühjahr 1984 in Athen und in Komotini (WestThrazien) gehalten wurde. Der Vortrag stellt Hegels philosophische Einschätzung des privatrechtlichen Vertrags, der Staats- und Gesellschaftsvertragstheorien und der völkerrechtlichen Verträge dar, und dies in der Absicht, die Überlegenheit der Positionen Kants und der nachhegelschen Rechtsphilosophie zum Vertragsproblem nachzuweisen. Es soll deutlich werden, warum Hegel eine völkerrechtlich fundierte, internationale Friedensordnung für unmöglich halten muß, und daß diese Einschätzung auf kritisierbaren Prämissen beruht. Bei Hegel stehen die Ideen der „substantiellen Sittlichkeit" und des „ewigen Friedens" (Kant) in einem systematischen Widerspruch zueinander. Dieser Widerspruch ist vermeidbar, wenn man Hegels Interpretation der Vertragsfigur kritisiert, und wenn man sie so rekonstruiert, daß sie von Hegels Einwänden nicht mehr erreicht werden kann. Dadurch wird zwar der Staat selbst von der „substantiellen Sittlichkeit" herabgestuft zu einem rechtlichen Vertragsverhältnis; dafür gewinnt man aber die Möglichkeit, auch internationale Beziehungen zwischen Staaten im Sinne friedenssichernder Rechtsbeziehungen zu verstehen. ' Vgl. Peter Landau: Hegels Begründung des Vertragsrechtes. In: Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie. Hrsg, von M. Riedel. Bd 2. Frankfurt a. M. 1975. 185. 2 Vgl. vor allem Rudolf Haym: Hegel und seine Zeit. Berlin 1857; Karl R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. Bd 2. Bern 1958; Ernst Topitsch: Die Sozialphilosophie Hegels als Heilslehre und Herrschaftsideologie. Neuwied, Berlin 1967.

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In der Tat scheint Hegel die rechten und die linken Kritiker des bürgerlichen Staates und seiner Legitimationsgrundlagen durch eine gemeinsame Inspiration zu vereinen. Ob es nun die hergebrachte völkische Sitte oder das proletarische Klasseninteresse ist, in dessen Namen die Abstraktheit und der entfremdete Charakter formaler Legalität kritisiert wird - Hegel ist „konkret" und verspricht so die jeweils eigene Sache auch inhaltlich, d. h. weltgeschichtlich zu begründen. Schließlich sehen beide Traditionen sich auch darin von Hegel bestärkt, die Weltgeschichte selbst nicht als einen Prozeß anzusehen, der formalen Rechtsfiguren zu folgen hätte, obwohl Hegel selbst sie (mit SCHILLER) als das Weltgericht bezeichnet {Rechtsphilosophie; Rph. § 340). Im Nationen- oder Klassenkampf gibt es keinen Richter, sondern hier entscheidet die Macht, die Hegel freilich als die Macht des Weltgeistes selbst und nicht wie einige seiner Nachfahren als dasjenige interpretiert, was aus der Substanz der Rasse oder aus den Gewehrläufen kommt. Der Glaube an den Weltgeist ist uns abhanden gekommen; die Macht ist das einzige, woran im Ernst noch geglaubt wird, denn die Macht der Idee ist der Idee der Macht gewichen.^ Auf die Macht des Rechts können wir nur hoffen, denn es ist die einzige Instanz, die die bloße Macht zu zügeln vermöchte. Gerade die bürgerlichen Vertragstheorien waren einmal als Basis für die machtkontrollierende Macht des Rechts entworfen worden. Wer sich mit Hegel dagegenstellt, scheint im nationalen Maßstab die Macht dem Recht überzuordnen und international die Idee einer legitimen Friedensordnung, die ja ebenfalls nur auf zwischenstaatlichen Verträgen beruhen könnte, als schlechte Utopie abzutun — gemäß dem Umgang Hegels mit KANTS „ewigem Frieden" {Rph.% 333 Anm.). So wird das verbreitete Verfahren, Hegel mit denen, die sich auf ihn berufen, gleichzusetzen, weder Hegel noch der Sache gerecht. Er hat sich auf verschiedenen Ebenen seiner Rechtsphilosophie auf die Vertragsfigur bezogen, und die genauere Analyse der Beziehungen zwischen diesen Ebenen führt auch in der Vertragstheorie auf ein viel komplexeres Bild als das übliche. Hegel hat den Vertrag nicht verworfen, sondern nur Grenzen seiner verrechtlichenden Kraft aufgewiesen; er hat nicht das Recht eingeschränkt, um für die Macht Platz zu bekommen, sondern er hat sich geweigert. Recht überhaupt mit Vertragsrecht zu identifizieren — das ist der Kern seiner Kritik am Gesellschafts- oder Staatsvertrag. So führt die

^ Vgl. Manfred Asendorf in: Aus der Aufklärung in die permanente Restauration. Hrsg, von M. Asendorf. Hamburg 1974. 32,

Hegel und die Vertragstheorie

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Beschäftigung mit Hegels Beiträgen zur Vertragstheorie unmittelbar auf die Grundfrage der Rechtsphilosophie - die Frage nach dem Recht selbst und seiner Legitimierbarkeit: Was ist in diesem Feld von der Vertragsfigur zu erwarten? Gibt es hierzu akzeptable Alternativen?

I.

In seiner Rechtsphilosophie kommt Hegel in drei Bereichen auf den Vertrag zu sprechen: im Abschnitt „das abstrakte Recht" (§§ 71 ff), in der Staatslehre (insbes. § 258) und in der Theorie des Völkerrechts (§§ 330 ff). Die positive Darstellung der Vertragslehre bleibt dabei dem ersten Bereich Vorbehalten, und sie ist so angelegt, daß eine Übertragung der dort entwickelten Vertragsfigur in die anderen Felder als unsinnig oder widersprüchlich erscheinen muß. Bekanntlich verwendet Hegel den Ausdruck „Recht" in einem engeren und einem weiteren Sinne. Recht im engeren Sinne des Wortes ist von der Moralität und der Sittlichkeit unterschieden, wobei die Sittlichkeit als die Einheit von Recht und Moralität bestimmt wird. Recht und Moral verhalten sich bei Hegel wie reiner objektiver Normenbestand zur subjektiven Gesinnung, und wenn die Einheit beider verwirklicht ist, d. h. wenn die Menschen das, was Recht ist, aus eigenem Wissen und Willen zu ihrer eigenen Sache machen, ergeben sich Lebensformen, Ordnungen und Institutionen, die Hegel im Abschnitt „Sittlichkeit" unter den Titeln „Familie", „bürgerliche Gesellschaft" und „Staat" darstellt. Dies alles zusammengenommen — Recht, Moralität und Sittlichkeit also — bezeichnet Hegel dann auch als Recht im weiteren Sinne des Wortes (vgl. § 33 Z), und so ist der Ausdruck im Titel der Rechtsphilosophie zu verstehen: Grundlinien der Philosophie des Rechts. Hinter dieser Begriffsstrategie steht eine philosophische These. KANT hatte das Recht bestimmt als den „Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammen vereinigt werden kann" (Metaphysik der Sitten. A 33). Hier erscheint das Recht als das Gesetz der allseitigen Freiheitsbeschränkung, die notwendig ist, um die Freiheit aller so weit wie möglich zu sichern. Diese Freiheitssicherung durch Freiheitsbeschränkung läßt aber den Bereich frei, in dem die Menschen aus freien Stücken nach dem Gesetz der Freiheit handeln, d. h. die Moralität, so daß hier eine äußere Freiheitsschranke nicht errichtet zu werden braucht. Hegel unternimmt nun nichts anderes als den Versuch, das Recht selbst im Sinne der KANTischen Moralität zu konstruieren, d. h. nicht bloß als Be-

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Schränkung, sondern als Verwirklichung der Freiheit^, und damit das möglich ist, muß das Recht selbst die Moralität in sich enthalten. Hegel sagt: „Dies, daß ein Dasein überhaupt, Dasein des freien Willens ist, ist das Recht. — Es ist somit überhaupt die Freiheit, als Idee." {Rph. § 29) Die Idee der Freiheit ist nach Hegel die Einheit von Begriff und Verwirklichung der Freiheit, und diese Einheit ist das Recht im weiteren Sinne. Das Recht als die Idee der Ereiheit muß somit das subjektive Wissen der Freiheit, das KANT in der Moralität lokalisiert hatte, mit dem objektiven Bestehen freiheitlicher Institutionen in sich vereinigen. Dies vermag es nicht, so lange es als Bestand bloßer Rechtsnormen gedacht ist. Recht, als Einheit von Norm, subjektiver Triebfeder und institutioneller Wirklichkeit nennt Hegel „Sittlichkeit". Sittlichkeit ist so bestimmt als der soziale Zustand, in dem die freiheitssichernden objektiven Rechtsnormen von den Menschen aus Motiven befolgt werden, die ihnen die Erfahrung ihrer subjektiven Freiheit gewähren, d. h. aus moralischen Motiven, und genau dann wird nach Hegel das Recht nicht mehr als Beschränkung, sondern als Verwirklichung ihrer Freiheit erfahren. So kann Hegel formulieren: „Das Sittliche ist subjektive Gesinnung, aber des an sich seienden Rechts." (§ 141 Anm.) Das Recht als bloßer Rechtsnormenbestand ist nach Hegel das „abstrakte Recht". Es ist abstrakt, weil hier bei der Betrachtung der Idee des Rechts abgesehen wird von der subjektiven Motivation der Rechtsbefolgung und der objektiven Institutionalisierung; da somit abstrahiert ist von den beiden Formen der Rechtsverwirklichung, bleibt der bloße Begriff des Rechts zurück. Hegel behauptet nun, daß dieser Begriff des Rechts nichts anderes sei als das, was vor ihm unter dem Naturrecht verstanden wurde; der Abschnitt über das abstrakte Recht in Hegels Rechtsphilosophie enthält somit eine Rekonstruktion des „vorpolitischen Zustandes der Naturrechtslehre".^ Hier wird auch der Vertrag behandelt, und dies bedeutet, daß für Hegel der Vertrag eine Figur des Naturrechts ist. Er versteht unter „Naturrecht" die Natur, d. h. das begriffliche Wesen des Rechts und nicht das Recht der Natur oder von Natur, denn das Recht ist nicht Natur, sondern objektiver Geist. Der Vertrag als Naturrechtsfigur gehört nach Hegel

* Vgl. Joachim Ritter: Person und Eigentum. Zu Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts §§34 bis 81. In: Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie. Hrsg, von M. Riedel. Bd 2. Frankfurt a. M. 1975. 156; vgl. auch Manfred Riedel: Natur und Freiheit in Hegels Rechtsphilosophie. In: Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie. 118. 5 Manfred Riedel ebd. 117; vgl. auch Norberto Bobbio: Hegel und die Naturrechtslehre. In: Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie. 81 ff.

Hegel und die Vertragstheorie

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somit zum Begriff des Rechts selber; der Begriff des Vertrags ist a priori wie der des Rechts, und er ist a priori gültig.^ In ihm ist analytisch enthalten der Bezug auf einzelne Subjekte, die aus Freiheit, d. h. nicht unter kausalem Naturzwang Verträge abschließen und darin ihre Rechtsfähigkeit als Personen realisieren/ Hegel geht dadurch über die tradierten Vertragstheorien hinaus, daß er die Lehren von der Apriorität der Vertragsfigur und des Personbegriffs ergänzt durch die These, daß der Vertragsabschluß selbst notwendig sei (vgl. § 71 Anm.). Diese Notwendigkeit ist nicht eine Naturnotwendigkeit, sondern bedeutet, daß die Person ihre Freiheit nur dadurch realisieren kann, daß sie Verträge mit anderen Personen abschließt; sie kann nicht zugleich frei sein wollen und keine Verträge schließen, oder: sie hat nicht die Freiheit, keine Verträge einzugehen, weil sie dann die Freiheit selbst nicht hat: „Diese Beziehung von Willen auf Willen ist der eigentümliche und wahrhafte Boden, in welchem die Freiheit Dasein hat." (§ 71) Hegel bestimmt dann diese „Beziehung von Willen auf Willen" als gegenseitige Anerkennung der Personen als Personen. Damit hat die Freiheit der Person nur als durch andere Personen anerkannte Freiheit Dasein, und die wechselseitige Anerkennung der Freiheit ist das, was nach Hegel im Vertrag vollzogen wird. Eine weitere Besonderheit der Hegelschen Vertragstheorie ergibt sich aus der Lehre vom Vertragsgegenstand. Verträge müssen über etwas abgeschlossen werden; nur der Wille, der etwas Bestimmtes will, kann sich nach Hegel auf einen anderen Willen beziehen und mit ihm Übereinkommen, und darum können sich Personen nur im Hinblick auf etwas gemeinsam Gewolltes gegenseitig anerkennen. Wichtig ist nun, daß Hegel als Vertragsgegenstand das Eigentum bestimmt und nur das Eigentum®, woraus sich seine Kritik an den Staatsvertragstheorien fast von selbst ergibt. Das Eigentum ist das erste Dasein der Freiheit, die fundamentale Rechtsinstitution; sein Begriff gilt a priori und seine Existenz ist notwendig für die Wirklichkeit der Freiheit, und so ist das Naturrecht auf seiner Elementarstufe Eigentumsrecht. (Vgl. §§ 41 ff) „Die Person muß sich eine äu-

^ Vgl. Johannes Strangas: Privatautonomie und Freiheit der Person. In; Revue hellenique de droit international. 24 (1971), 286, wo diese These unabhängig von Hegel entwickelt wird. ^ „Hegel gehört, insoweit er seine politische Theorie mit dem isolierten Subjekt, das durch den freien Willen bestimmt ist, beginnen läßt, noch zur Epoche der frühbürgerlichen politischen Philosophie." Walter Euchner: Freiheit, Eigentum und Flerrschaft bei Flegel. In: Politische Vierteljahrsschrift. 11 (1974), 533. * Dies ist die wichtigste Differenz Hegels gegenüber fast allen anderen Vertragstheoretikern; vgl. Handbuch der Sozialwissenschaften. 1961. Art. „Vertrag"; auch: Peter Landau (Anm. 1). 179.

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ßere Sphäre ihrer Freiheit geben, um als Idee zu sein" (§ 41), d. h. um als Einheit von Begriff und Wirklichkeit der Freiheit zu existieren, und weil nach Hegel diese Existenz zugleich rechtliche Existenz sein muß, um Gegenstand des Rechts sein zu können, kann die intersubjektive Anerkennung der rechtlichen Existenz des Eigentums (vgl. § 71 Anm.) nur in privatrechtlichen Verträgen, die sich auf Eigentum beziehen, erreicht und gesichert werden. Dies hat zur Folge, daß die vertragschließenden Subjekte sich im Vertrag nicht als Subjekte oder Personen schlechthin anerkennen, sondern nur als Eigentümer, und weiter reicht die verrechtlichende und freiheitssichernde Kraft des Vertrages nach Hegel nicht; „Diese Vermittelung, Eigentum nicht mehr nur vermittelst einer Sache und meines subjektiven Willens zu haben, sondern ebenso vermittelst eines anderen Willens, und hiermit in einem gemeinsamen Willen zu haben, macht die Sphäre des Vertrages aus." (§ 71) Hegel schließt so per definitionem andere Vertragsgegenstände als das Eigentum aus seiner Vertragstheorie aus. Der Grund hierfür ist, daß er den naturrechtlichen, d. h. apriorischen und notwendigen Charakter der Vertragsfigur systematisch von dem naturrechtlichen Status des Eigentumsbegriffs abhängig macht; damit sind dann Verträge, die sich nicht auf Eigentumsangelegenheiten beziehen, nur Verträge im uneigentlichen Sinne oder bloß rechtsähnliche Figuren, die nicht durch das Naturrecht abgedeckt sind. Bevor man den Konsequenzen dieser Vertragstheorie für die Lehre vom Staatsvertrag nachgeht, empfiehlt es sich, Alternativen ins Auge zu fassen. Bei HOBBES ist der Vertrag nicht vom Eigentum abhängig, weil ihm zufolge „Eigentum" überhaupt erst durch den Abschluß eines Vertrages, der Gesellschafts- und Herrschaftsvertrag in einem ist, als Rechtstitel begründet wird.^ Der Vertragsgegenstand ist hier also nicht das Eigentum, sondern der allseitige gegenseitige Machtverzicht zugunsten eines Machtmonopolisten, der dann die Gesetze des Mein und Dein festsetzt und durchsetzt. Bei JOHN RAWLS ist der Vertragsgegenstand die Anerkennung von Gerechtigkeitsregeln, die rationale Individuen unter Bedingungen der ursprünglichen Situation vor dem „Schleier des Nichtwissens" über ihre individuellen Lebenschancen wählen würden. Es wäre eine problematische Erweiterung des Begriffs, wenn man Macht, Sicherheit, Frieden, faire Chancengleichheit usf. sämtlich als „Eigentum" klassifizieren wollte, obwohl doch darüber Verträge abgeschlossen werden können. Hegel

^ Vgl. Thomas Hobbes: De cive. Kap. 6, 15. Vgl. John Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit. Frankfurt 1979. Insbes. Kap. 3.

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selbst bestimmt das Eigentum wesentlich als materielle „Sache" (vgl. §§ 42 und 52), und diese Beschränkung seiner Vertragslehre auf physische veräußerliche Dinge (vgl. § 75) ist einer der Gründe für seine Polemik gegen die Vertragstheorien, die ihm als unerlaubte Extrapolationen erscheinen müssen.

II. In der Kritik Hegels an den Staatsvertragstheorien lassen sich im wesentlichen drei Argumente unterscheiden. Zunächst wendet er sich gegen die „Einmischung" des „Vertragsverhältnisses. . . sowie der Verhältnisse des Privateigentums überhaupt in das Staatsverhältnis." (§ 75 Anm.) Dies habe „die größten Verwirrungen im Staatsrecht und in der Wirklichkeit hervorgebracht. Wie in früheren Perioden die Staatsrechte und Staatspflichten als ein unmittelbares Privateigentum besonderer Individuen gegen das Recht des Fürsten und Staats angesehen und behauptet worden, so sind in der neueren Zeitperiode die Rechte des Fürsten und des Staats als Vertragsgegenstände und auf ihn gegründet, als ein bloß Gemeinsames des Willens und aus der Willkür der in einen Staat Vereinigten Hervorgegangenes, betrachtet worden. — So verschieden jene beiden Standpunkte sind, so haben sie dies gemein, die Bestimmungen des Privateigentums in eine Sphäre übergetragen zu haben, die von ganz anderer und höherer Natur ist." (Ebd.) Für Hegel ist es das Kennzeichen einer vergangenen Epoche der Staatsentwicklung, politische Rechte und Pflichten als Privateigentum anzusehen, gegen die sich die zentrale Staatsmacht erst durchzusetzen hat — etwa durch Wahlkapitulationen im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Die neueren Vertragstheorien hingegen kehren nach Hegel dieses Verhältnis einfach um und behaupten nun, die Staatsmacht sei selbst vom Typ des Privateigentums, weil sie aus dem in einem Vertrag vereinigten Willen der Eigentümer hervorgegangen sei. Das Gemeinsame beider „Standpunkte" liegt nach Hegel in der Komplementarität von Einzelwillen und Eigentum, das wegen der Vereinzelung des Eigentümers nur Privateigentum sein kann. Das zweite Argument Hegels ergibt sich aus dem ersten und verweist darauf, daß die Vereinigung zweier und vieler Einzelwillen in einem Vertrag diese Vereinzelung nicht aufzuheben vermag, sondern nur deren jeweilige Gemeinsamkeit fixiere. Die Vertragsfigur sei deshalb ungeeignet, das Staatsrecht als das Dasein des zugleich allgemeinen und einzelnen Willens zu rekonstruieren; nicht der vernünftige, sondern bloß der ver-

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ständige Staat, d. h. der Staat der abstrakten, dem Einzelnen äußerlichen Allgemeinheit oder der „Not- und Verstandesstaat", unter dem alle seufzen, werde so theoretisch abgeleitet. „Die Vernünftigkeit besteht, abstrakt betrachtet, überhaupt in der sich durchdringenden Einheit der Allgemeinheit und der Einzelheit und hier konkret dem Inhalte nach in der Einheit der objektiven Freiheit, d. i. des allgemeinen substantiellen Willens und der subjektiven Freiheit als des individuellen Wissens und seines besondere Zwecke suchenden Willens." (§ 258 Anm.) Hegel wiederholt an dieser Stelle die Kritik an KANTS Rechtsdefinition als einer bloß negativen, die Freiheit einschränkenden im staatstheoretischen Zusammenhang und fordert auch hier, das Recht als Dasein der Freiheit zu denken. Dies aber ist ihm zufolge nur möglich, wenn die volonte generale als konkret-allgemeiner, vernünftiger Wille gedacht wird und nicht bloß als „Gemeinschaftlichkeit" (vgl. ebd.) der Einzelwillen. Der Preis für dieses Hinausgehen über ROUSSEAU, KANT und FICHTE ist, daß nach Hegel das Staatsrecht der individuellen Disposition entzogen wird. Bei den genannten Theoretikern „wird die Vereinigung der Einzelnen im Staat zu einem Vertrag, der somit ihre Willkür, Meinung und beliebige, ausdrückliche Einwilligung zur Grundlage hat, und es folgen die weiteren bloß verständigen, das an und für sich seiende Göttliche und dessen absolute Autorität und Majestät zerstörenden Konsequenzen. Zur Gewalt gediehen, haben diese Abstraktionen deswegen wohl einerseits das, seit wir vom Menschengeschlechte wissen, erste ungeheure Schauspiel hervorgebracht, die Verfassung eines großen wirklichen Staates mit Umsturz alles Bestehenden und Gegebenen nun ganz von vorne und vom Gedanken anzufangen und ihr bloß das vermeinte Vernünftige zur Basis geben zu wollen; andererseits, weil es nur ideenlose Abstraktionen sind, haben sie den Versuch zur fürchterlichsten und grellsten Begebenheit gemacht." (§ 258 Anm.) Für Hegel besteht zwischen der Vertragstheorie und dem revolutionären Terror ein notwendiger Zusammenhang: für ihn ist die tödliche Tugenddiktatur der Jakobiner der „Not- und Verstandesstaat" in reinster Ausprägung. Über Hegels Einschätzung der französischen Revolution ist seit JOACHIM RITTERS berühmter Arbeit^^ viel diskutiert worden. Zumindest die zitierte Stelle zeigt, daß der altbekannte Vorwurf der „Staatsvergötzung" zu kurz greift. „Das an und für sich seiende Göttliche und dessen absolute Autorität und Majestät" — dieser Ausdruck bezieht Vgl. Joachim Ritter: Hegel und die französische Revolution. Frankfurt 1965; vgl. auch: Jürgen Habermas: Hegels Kritik der französischen Revolution. In: Habermas: Theorie und Praxis. Frankfurt 1971. 128 ff.

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sich auf den wahrhaft vernünftigen Willen als das Prinzip der Autorität des Staates; der Staat, der sich auf dieses Prinzip gründet, ist kein autoritärer oder gar totaler Staat, und dies ist er nicht einmal gegenüber dem sich absolut setzenden Einzelwillen - im Gegensatz zur revolutionären Diktatur. Hegels These ist, daß der Staat nur dann dem Einzelnen nicht als eine fremde, seine Freiheit einschränkende Macht gegenübersteht, wenn der Einzelne seinerseits darauf verzichtet, sich selbst und seinesgleichen zum Prinzip der Staatsmacht zu machen: als Theoretiker des modernen Rechts- und Verfassungsstaates, in dem die subjektive Freiheit gesichert ist, ist er zugleich Kritiker des liberalistischen Staatsverständnisses. Die liberalen Kritiker Hegels haben ihm darum bis heute nicht abgenommen, daß er überhaupt einen freiheitlichen Staat im Auge gehabt habe. Verdeutlichen kann man diesen scheinbar paradoxen Tatbestand am Verhältnis zwischen Staat und Recht, wie es Hegel darlegt. Hegel ist ein Theoretiker des modernen Staates^^ nicht zuletzt deswegen, weil der abstrakte Normenbestand seines Staates - nicht die im Staatsrecht formulierten institutioneilen Regelungen — nichts anderes ist als der Inbegriff des bürgerlichen Privatrechts; das abstrakte Recht des Hegelschen Staates ist das bürgerliche Recht, und dieses Recht wird positiv, d. h. zum Gesetz in der bürgerlichen Gesellschaft durch staatliche Gesetzgebung und Rechtspflege (vgl. §§ 3 Anm. und 209 ff). Was Hegel kritisiert, ist die Vorstellung, man müsse, um den bürgerlichen Prinzipien der Freiheit und Gleichheit zu folgen, auch die Verfassung oder das Staatsrecht selbst nach privatrechtlichen Mustern, d. h. vertragstheoretisch rekonstruieren. Rechte und Verträge gibt es nach Hegel nur im Staat und durch den Staat; darum kann er selbst nicht schon auf vorstaatlichen Rechten und Verträgen beruhen. In Wahrheit macht sich Hegel an dieser Stelle eine alte Crux der Vertragstheorien zunutze, die darin besteht, daß der die Rechte begründende Vertrag selbst schon eine Rechtsfigur ist, und die war auch der Grund dafür, daß LOCKE und viele Theoretiker nach ihm es vorzogen, statt von Verträgen lieber von Übereinkommen zu sprechen, um nicht in jenen Begründungszirkel zu geraten. Wichtig ist aber, daß Hegel hier nicht das vertritt, was seine präfaschistischen Gefolgsleute im Bereich des Rechtshegelianismus aus diesem Gedanken gemacht haben: nämlich die Lehre vom präjuridischen Machtstaat, der Rechte gewährt und entzieht, He-

Vgl. Shlomo Avineri: Hegels Theorie des modernen Staates. Frankfurt 1976. Vgl. Hubert R. Rottleuthner: Die Substantialisierung des Formalrechts. Zur Rolle des Neuhegelianismus in der deutschen Jurisprudenz, ln: Aktualität und Folgen der Philosophie Hegels. Hrsg. V. O. Negt. Frankfurt 1970, 211 ff.

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gels Staat ist der Staat des bürgerlichen Rechts, des Code civile, d. h. er wäre nicht mehr der Staat, der er ist, wenn er dieses Recht kassierte; also kann er es auch nicht gewähren oder nicht gewähren, sondern es gilt in ihm a priori. Darum ist das Vertragsrecht notwendiger Normenbestandteil dieses Staates, aber es ist nicht seine Grundlage. Analog zum Verhältnis von allgemeinem und einzelnen Willen gilt nach Hegel, daß Staatsautorität und Vertragsfreiheit nur dann zusammen bestehen können, wenn die Staatsautorität selbst nicht auf Verträge zurückgeführt wird - weder theoretisch noch praktisch.

III. Hegels Behauptung, daß sich das Recht der Subjektivität nur in einem Rechtsgefüge sichern lasse, das selbst nicht nur auf subjektivem Recht beruht, führt im äußeren Staatsrecht zu Konsequenzen, die die Grenzen der Leistungsfähigkeit der Hegelschen Theorie verdeutlichen. Die brennendste rechtliche Frage der Gegenwart ist die nach einer internationalen Friedensordnung, deren Subjekte souveräne Einzelstaaten sind. Nach Hegel ist das Streben danach aussichtslos, denn es würde die Dogmen der traditionellen Vertragstheorie im weltpolitischen Maßstab bloß wiederholen und den aporetischen Versuch unternehmen, Verträge zur Basis einer vertragsrechtlichen Ordnung zu machen. So gibt es für ihn kein Völkerrecht, sondern nur ein „äußeres Staatsrecht". „Das äußere Staatsrecht geht von dem Verhältnisse selbständiger Staaten aus; was an und für sich in demselben ist, erhält daher die Form des Sollens, weil, daß es wirklich ist, auf unterschiedenen souveränen Willen beruht." (§330) Das Recht, das im Staat „an und für sich" ist, d. h. objektiv gilt und subjektiv gewußt wird, bleibt im Verhältnis der Staaten zueinander ein bloßer Anspruch, ein „Sollen", weil es keine überstaatliche Gewalt gibt, die den Rechtsanspruch auch erzwingen könnte: „Da nun keine Gewalt vorhanden ist, welche gegen den Staat entscheidet, was an sich Recht ist, und die diese Entscheidung verwirklicht, so muß es in dieser Beziehung immer beim Sollen bleiben." (§330 Z) Der einzelne Staat bleibt gegenüber anderen Staaten „die absolute Macht auf Erden" (§§ 331); darum darf man ihn nicht mit rechtlichen oder moralischen Personen vergleichen, die ja immer schon und unabhängig von ihrer Willkür in einem Staate leben. Zwar bedürfen diese Staaten auch der wechselseitigen Anerkennung, und sie schließen auch Abkommen, die aber bloß „die formelle Natur von Verträ-

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gen überhaupt haben" (§ 332), wenigstens nicht wie Anerkennung und Vertrag innerhalb einer staatlichen Rechtsordnung mit Durchsetzungsgewalt versehen sind. So bleiben die Einzelstaaten auch im vertraglich geregelten Außenverhältnis im Naturzustand, der im Konfliktfall notwendig ein Kriegszustand ist (vgl. §§ 333 und 334). „Es gibt keinen Prätor, höchstens Schiedsrichter und Vermittler zwischen Staaten, und auch diese nur zufälligerweise, d. i. nach besonderen Willen. Die KANTische Vorstellung eines ewigen Friedens durch einen Staatenbund, welcher jeden Streit schlichtete und als eine von jedem einzelnen Staate anerkannte Macht jede Mißhelligkeit beilegte und damit die Entscheidung durch Krieg unmöglich machte, setzt die Einstimmung der Staaten voraus, welche auf moralischen, religiösen oder welchen Gründen und Rücksichten, überhaupt immer auf besonderen souveränen Willen beruhte und dadurch mit Zufälligkeit behaftet bliebe." (§333 Anm.) Nicht der Weltstaat, sondern der Prozeß der Weltgeschichte ist das Weltgericht (§ 340); der Weltgeist selbst ist selber „Prätor" der Volksgeister, und dies als Kriegsgott und nicht als Friedensengel. (Vgl. § 259 Z.) Hegel kann einer völkerrechtlichen Friedensordnung darum keine Chance geben, weil ihn dies zwänge, die Prämissen seines rechtsphilosophischen Denkens zu ändern. Eine solche Ordnung zu etablieren liefe auf den Versuch hinaus, auf der Basis des notwendig individuellen Willens eine überindividuelle Verfassung und in ihr die Einheit von individuellem und allgemeinem Willen zu konstruieren und auf Dauer zu stellen. Für Hegel ist es „sinnlos" zu fragen, „wer die Verfassung machen soll . . . Denn sie setzt voraus, daß keine Verfassung vorhanden, somit ein bloßer atomistischer Haufen von Individuen beisammen sei. Wie ein Haufen, ob durch sich oder andere, durch Güte, Gedanken oder Gewalt zu einer Verfassung kommen würde, müßte ihm überlassen bleiben, denn mit einem Haufen hat es der Begriff nicht zu tun." (§ 273 Anm.) Solche Arroganz des Begriffs ist aber nur die Außenseite der verfassungsrechtlichen Resignation, die Verfassungsschöpfungen immer nur als Verfassungsänderungen interpretieren kann (vgl. ebd.), denn Hegel sagt: „Überhaupt aber ist es schlechthin wesentlich, daß die Verfassung, obgleich in der Zeit hervorgegangen, nicht als ein Gemachtes angesehen werde; denn sie ist vielmehr das schlechthin an und für sich Seiende, das darum als das Göttliche und Beharrende und als über die Sphäre dessen, was gemacht wird, zu betrachten ist." (Ebd.) Was PLATON und ARISTOTELES als das Paradigma politischen Handelns schlechthin erschien — die :IO(T]015 der Verfassungsgesetzgebung - erscheint bei Hegel nach der Kritik an den subjektivistischen Vertragstheorien selbst noch als Subjektivismus und Beeinträchti-

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gung der Majestät des Staates, der der „Gang Gottes in der Welt" (§ 258 Z) ist. Der Staat als der „wirkliche Gott" (ebd.) kann kein menschliches Werk sein; darum kann auf der weltgeschichtlichen Bühne kein Gott erscheinen, der im Außenverhältnis der Staaten innerstaatlichen Frieden stiftete.

IV. Wenn eine Theorie an ihre eigenen Grenzen stößt, hat dies vielfach interne Unstimmigkeiten zur Folge; dies ist auch bei Hegels Vertragstheorie der Fall. Was das „ungeheure Schauspiel" der Französischen Revolution kennzeichnet, ist der Versuch, „die Verfassung eines großen wirklichen Staates mit Umsturz alles Bestehenden und Gegebenen nun ganz von vorne und vom Gedanken anzufangen" (§ 258 Anm.); aber nicht darin lag der Grund des Scheiterns, sondern in der Tatsache, daß dieser neuen Verfassung „bloß das vermeinte Vernünftige zur Basis" gegeben wurde. Da die Französische Revolution selbst für Hegel keine bloße Verfassungsänderung war und er sie im übrigen als welthistorisch notwendig akzeptiert, kann er nicht prinzipiell ausschließen, daß Verfassungen etwas Gemachtes und nicht bloß Entstandenes sind. Seine Äußerungen über die Verfassung als „das schlechthin an und für sich Seiende" und als „das Göttliche" verraten sich damit gerade durch ihr Pathos als antirevolutionäre, d. h. bloß politische und nicht wirklich philosophische Verlautbarungen. — Nach Hegel befinden sich die souveränen Staaten in ihrem Verhältnis zueinander im Naturzustand. Erstaunlich ist nun, daß Hegel das, was er über die bürgerlichen Naturrechtslehren vor ihm zustimmend sagt, nicht auf das äußere Staatsrecht anwendet: „Das Recht der Natur ist .. . das Dasein der Stärke und das Geltendmachen der Gewalt, und ein Naturzustand ein Zustand der Gewalttätigkeit und des Unrechts, von welchem nichts Wahreres gesagt werden kann, als daß aus ihm herauszugehen ist." (Enz. § 502 Anm.) Der Weltgeist als der Prätor der Weltpolitik ist offenbar nicht im Stande, den weltgeschichtlichen Naturzustand zu beenden und uns aus ihm herauszuführen, obwohl doch aus ihm „herauszugehen" wäre. Hegel hält die Menschen selbst dazu nicht für fähig, denn sonst müßte er ihnen auch Zutrauen, eine Verfassung zu „machen", sich selbst eine Verfassung zu geben. - In Wahrheit fällt Hegel an dieser Stelle zurück hinter die neuzeitlichen Naturrechtstheorien, die seit HOBBES die staatliche legitime Ordnung auf der Freiheit des Willens als Privatautonomie zu begründen versuchten. Legitime Herrschaft so zu denken, daß sie

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der Autonomie des Einzelwillens nicht zuwiderläuft — dies ist das schwierige Thema von ROUSSEAU und KANT, und was sich bei ihnen findet, läßt sich nicht mit dem Hinweis auf den revolutionären Terror, der angeblich notwendig daraus folge, und mit dem Übergang zu einem positiven Freiheitsbegriff wirklich widerlegen. Bei Hegel wird sichtbar, daß der Preis für das Recht als Dasein (und nicht nur als Schranke) der individuellen Freiheit für die Individuen zu hoch ist: Die substantielle Sittlichkeit des Hegelschen Staates erfordert nicht nur, daß sie ihn als „wirklichen Gott", d. h. nicht als von ihnen Gewolltes und Gemachtes ansehen; sie entwindet ihnen auch die Möglichkeit, sogar in der Rolle der Herrschenden Verantwortung für den Weltfrieden zu übernehmen, denn die These von der Weltpolitik als Naturzustand spricht sie davon frei. Hegel sagt: „Die Gesellschaft ist . . . der Zustand, in welchem allein das Recht seine Wirklichkeit hat; was zu beschränken und aufzuopfern ist, ist. . . die Willkür und Gewalttätigkeit des Naturzustandes." (Enz. §502 Anm.) Was spricht dagegen, auch im internationalen Maßstab den Status naturalis „aufzuopfern" und in den Status civilis überzuwechseln? Sind dies nur empirische oder prinzipielle Argumente? Hegels Antwort beruht auf kritisierbaren Prämissen, die mit seinem Vertragsbegriff selbst Zusammenhängen. In der Vertragstheorie nimmt er einerseits weniger und dann wieder mehr in Anspruch als die meisten Vertragstheoretiker vor und nach ihm. Zunächst reduziert Hegel die Vertragsfigur auf die Sphäre des Privateigentums und vermag so Verträge nur aus der Perspektive des Rechtsverkehrs zwischen Privateigentümern zu interpretieren. Die Folge ist, daß in seiner Rechtsphilosophie für öffentlich-rechtliche und internationale Verträge, die nicht nur „vertragsähnlich" sind, kein Raum bleibt. Für die Staatstheorie bedeutet dies: Das liberale Staatsverständnis wird (wie dann auch bei MARX) als die unerlaubte Übertragung von Privateigentumsgesichtspunkten auf das öffentliche Leben angeprangert, und damit verliert „die bürgerliche Theorie das Instrument, mit dem sie die Welt verändert hatte" (WiLLMs)i^, nämlich die Figur des Gesellschaftsvertrages als ideelle Legitimationsbasis des bürgerlichen Staates. Schon SAVIGNY hatte diese Beschränkung der Vertragstheorie auf die Eigentumssphäre bei Hegel kritisierte^ und zuvor eine Interpretation des Vertrages vorgeschlagen, der dann die deutsche Jurisprudenz und Gesetzgebung gefolgt sind und die sie weiterentwickelten: die Deutung als ein mehrseitiges Rechtsge-

Zitiert nach Christoph Helferkh: Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Stuttgart 1979. 74. '5 Vgl. Peter Landau (Anm. 1). 192, Fußnote 33.

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schäft, das auf übereinstimmenden Willenserklärungen von autonomen Rechtssubjekten zur Herbeiführung eines Rechtseffektes beruht. Dann besteht die Möglichkeit, Verträge auch in anderen als bloßen Eigentumssachen abzuschließen, ohne sie nur als vertragsähnlich einstufen zu müssen. Genau diese Erweiterung der Vertragstheorie ist jedoch für Hegel ein Zuwenig, denn sie ist erkauft um die Rückstufung des vertragschließenden Willens auf die Willkür, Rechtsgeschäfte abzuschließen oder auch nicht abzuschließen. Für Hegel verschwindet hier die Notwendigkeit des Vertrages „als einjes] Verhältnis[ses] des objektiven Geistes" {Rph. § 71 Anm.), die ihrerseits der Widerschein des „schlechthin an und für sich Seienden" und des „Göttlichen" der Sittlichkeit im beschränkten Horizont des abstrakten Rechts ist. Diese Notwendigkeit ist für ihn zugleich die normative Basis der Rechtsgeltung der Vertragsfigur als solcher, die er damit dem individuellen Zustimmungsvorbehalt entzieht: Nur im jeweiligen Vertragsabschluß, der rechtlich zufällig sei, ist ihm zufolge das Individuum frei. Verträge ganz auf Privatautonomie zu gründen hieße für Hegel, die Vertragsfigur selbst der individuellen Beliebigkeit auszuliefern und ihr die objektive Rechtsverbindlichkeit zu nehmen. So nimmt Hegel in seiner Vertragstheorie mehr in Anspruch, als sich in Staatsvertragstheorien und im Völkerrecht aufweisen läßt: die Existenz einer transsubjektiven sittlichen Macht, die die objektive Notwendigkeit des Vertragsabschlusses und die normative Gültigkeit der Vertragsfigur begründet. Was er dagegen im „äußeren Staatsrecht" Vertrag nennt und für möglich hält, kommt mit dem überein, was der Hauptstrom unseres Rechtsdenkens unter einem Vertrag versteht.

V. Hegels Vertragstheorie zeigt, daß die Aufgabe einer vertraglich geregelten internationalen Friedensordnung dann prinzipiell unerfüllbar wird, wenn man die Vertragsidee mit dem Theorem substantieller Sittlichkeit belastet; verzichtet man darauf, bleibt KANTS Differenzierung zwischen Legalität und Moralität das letzte Wort der praktischen Philosophie. Dies gilt auch.

Vgl. Handbuch der Sozialwissenschaften (wie Anm. 8); auch: Staatslexikon. Freiburg 1963. Art. „Vertrag". Deutlich wird dies in Hegels Lehre vom notwendigen Übergang des Vertrags in das Unrecht, d. h. des Privat- in das Strafrecht, wo die strafende Macht des sittlichen Allgemeinen schon im abstrakten Recht sichtbar und wirksam wird: vgl. Rph. §§ 81 ff.

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wenn es gelingt. Recht und Moral aus einem gemeinsamen Prinzip abzuleiten^®, aber dies wäre immer ein formales Apriori und nicht der objektive Geist oder der Weltgeist, d. h. seine Realisierung bliebe den Handelnden selbst aufgegeben und könnte nicht von ihnen — wie bei Hegel — als an sich schon Realisiertes in Anspruch genommen werden. Genau dann aber sind auch vertragliche Regelungen Zustände, die wir hervorbringen, und nicht objektiv vorgegebene, an sich schon sittliche Strukturen, die nur von uns auszufüllen wären. Sicher erfolgen Vertragsabschlüsse nicht voraussetzungslos, denn die jeweilige Rechtsordnung stellt dafür die normativen Muster bereit, aber es besteht kein Grund, diese Muster selbst für den objektiven Geist zu halten. Ist nun damit auch in der Vertragstheorie der Positivismus das letzte Wort?^^ KANT hat gezeigt, wie man Verträge als von Menschen gemachte Rechtsfiguren zusammendenken kann mit einer Idee des Vertrages, die aber nicht wie bei PLATON oder Hegel objektive oder absolute Idee sein muß, um normativ wirksam zu sein, sondern die ein Begriff der praktischen Vernunft selbst ist, die wir uns in normativen Diskursen immer schon zugetraut haben. So sagt KANT: „Der Akt, wodurch sich das Volk selbst zu einem Staat konstituiert, eigentlich aber nur die Idee desselben, nach der die Rechtmäßigkeit desselben allein gedacht werden kann, ist der ursprüngliche Kontrakt, nach welchem alle (omnes et singuli) im Volk ihre äußere Freiheit aufgeben, um sie als Glieder eines gemeinen Wesens, d. i. des Volks als Staat betrachtet (universi) sofort wieder aufzunehmen." (Metaphysik der Sitten. Teil 1. § 47) Bei KANT kann von einer unzulässigen Einmischung des Privatrechts in das Staatsrecht keine Rede sein, weil die „äußere Freiheit" hier nicht nur als Dasein der Freiheit in einem Äußeren, d. h. dem Eigentum, zu verstehen ist; gemeint ist — wie bei HOBBES — die Freiheit der Menschen im Verhältnis zueinander, und die betrifft alle sozialen Beziehungen. Die Idee des Vertrages ist dann nichts weiter als das Kriterium der normativen Rechtmäßigkeit aller Rechtsbeziehungen in einem Staat^^: in Wahrheit formuliert sie die Idee der legitimen Herrschaft auf der Grundlage der freien Zustimmung aller zu ihrem Bestehen. „Man kann nicht sagen: der Staat, der Mensch im Staate, habe einen Teil seiner angebornen äußeren Freiheit einem Zwecke aufgeopfert, sondern er hat die wilde gesetzlose Freiheit gänzlich verlassen, um seine Freiheit über-

Vgl. Johannes Strangas: Kritik der Kantischen Rechtsphilosophie. Hamburg 1982. Zum Gegensatz Positivismus-Apriorismus in der Vertragstheorie vgl. Staatslexikon. Art. „Vertrag".

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haupt in einer gesetzlichen Abhängigkeit, d. i. in einem rechtlichen Zustande unvermindert wieder zu finden; weil diese Abhängigkeit aus seinem eigenen gesetzgebenden Willen entspringt." (Ebd.) Unterscheidet man mit KANT zwischen der Vertragsidee und dem Vertrag als positivem Rechtsinstitut, besteht auch kein Anlaß mehr, das Hegelsche Prätor-Argument für einen Einwand zu halten. Wird der „ursprüngliche Kontrakt" als ein formales Legitimitätskriterium aufgefaßt, kann man die Frage, wer das als legitim Erkannte durchsetzt, getrost der Empirie überlassen. Dies wäre Hegel nicht möglich, weil ihn seine These von der Vernünftigkeit des Wirklichen und der Wirklichkeit des Vernünftigen auch in der Vertragstheorie dazu zwingt, die Einheit des Normativer. und Faktischen als wirkliche und nicht bloß gedachte Einheit aufzuweisen. Darum kann ein bloßes „Sollen", ein reiner normativer Anspruch ohne Durchsetzungsmacht wie die Vertragsidee KANTS, hier nicht als Recht oder gar als Grundlage des Rechts erscheinen; umgekehrt muß Hegel staatliche Durchsetzungsgewalt schlechthin für etwas an sich Sittliches halten, um sein Prinzip nicht zu dementieren. KANTS Rechtsphilosophie nötigt nicht dazu, den Staat für den „Gang Gottes in der Welt" zu halten, obwohl sie uns gleichzeitig zum unbedingten Rechtsgehorsam verpflichten möchte; man verletzt aber die Kantischen Prämissen nicht, wenn man das Prinzip „Räsonniert, aber gehorcht!", das KANT FRIEDRICH II. von Preußen in den Mund legt, nicht für der Weisheit letzten Schluß hält. (Es läßt sich zeigen, daß eine Theorie des legitimen zivilen Ungehorsams mit einer KANTischen Position vereinbar ist.^^) Der Preis für den Kantianismus in der Rechts- und Staatsphilosophie ist ein Verzicht: Man muß sich entschließen, der Versuchung nachzugeben, die Idee des Rechts in der rechtlichen und staatlichen Wirklichkeit unmittelbar realisiert sehen zu wollen, damit sie nicht „bloße" Idee bleibt; umgekehrt darf man die faktischen Mächte nicht als Materialisierungen normativer Gültigkeiten ansehen etwa damit sie mehr seien als bloß faktisch. Nicht die Identität von Rechtsidee und Rechtswirklichkeit, sondern ihre Übereinstimmung in dem Sinne, daß die Wirklichkeit der Idee entspricht, daß sie ihr normativ folgt, daß sie ihren Anspruch einlöst, ohne sie als Idee aufzuheben — dies allein läßt sich in der Rechtsphilosophie als vernünftige Zielvorstellung menschlicher Praxis rechtfertigen.

Vgl. Johannes Strangas: Privatautonomie (Anm. 6). 288 ff. Jürgen Habermas: Ziviler Ungehorsam - Testfall ßr den demokratischen Rechtsstaat. Wider autoritären Legalismus in der Bundesrepublik, ln: Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat.

den Hrsg, von P. Glotz. Frankfurt 1983. 29 ff.

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Hegels Kritik an der Staatsvertragstheorie trägt trotz ihrer prinzipiellen Mängel bis heute dazu bei, daß man im liberalen Lager der Staatstheoretiker immer noch von der Vertragsfigur loszukommen sucht, um sich nicht den üblichen und den Hegelschen Einwänden auszusetzen. So wird bei RAWLS aus dem Vertrag die rationale Wahl von Gerechtigkeitsprinzipien unter allgemeinen Fairneßbedingungen; bei HABERMAS wird er durch die Idee des idealen Konsensus ersetzt.^ Es spricht aber nichts dagegen, bei der Vertragstheorie zu bleiben, wenn man die Vertragsfigur selbst so expliziert und ihren theoretischen Status so bestimmt, daß sie Hegels Argumente nicht treffen. Sie ist wohl immer noch das geeignetste Gedankenbild des Ausgangs der Menschen aus dem Naturzustand und ihres Eintritts in friedliche, freiheitssichernde Lebensformen und Institutionen. Auch empirisch und historisch spricht vieles für die Vertragstheorie. Es ist keine bloße Metapher, wenn man davon spricht, daß in der Schweiz nach dem Sonderbundskrieg und in den Niederlanden in der Zeit des Ersten Weltkriegs nach langen Jahren politischer Lähmung ein neuer Gesellschaftsvertrag geschlossen worden sei; im Libanon sind solche Verträge immer wieder zerbrochen, und nur ein neuer könnte dort den Staat wieder aufrichten. Dies alles für falsch halten wird man nur, wenn man bei der letztlich theologisch fundierten Theorie reiner Staatssouveränität^^ stehen bleibt und dann glaubt, es gebe etwas rechtlich Höheres und Effektiveres als die freie Übereinkunft von Menschen in der Zustimmung zu ihrer gesellschaftlichen Ordnung. Daß eine solche Übereinkunft nicht nur besteht oder nicht besteht, sondern daß sie, wenn sie besteht, die Beteiligten durch Selbstverpflichtung bindet, ist in der Vertragsidee deutlicher angezeigt als im Konsensbegriff; er ist darum dem Vertragsbegriff unterlegen. Gibt es nun normativ nichts Höheres im Staat als solche allseitig selbstverpflichtende Übereinkunft, ist nicht einzusehen, warum genau dies nicht auch im internationalen Maßstab realisierbar sein sollte, d. h. es verschwindet der Hiatus zwischen der substantiellen Sittlichkeit und der Idee des Friedens. Beruht der Staat normativ nicht auf mehr als dem „ursprünglichen Kontrakt", braucht der Weltfrieden nicht auf weniger zu gründen. Viele Staaten der Welt haben heute schon durch die Ratifizierung von Bündnisverträgen, durch den Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft oder anderen Staatengemeinschaften, aber auch durch die Aner-

Vgl. Rawls (Anm. 10). Kap. 2 und 3; ferner Jürgen Habermas: Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus. Frankfurt 1974. ^ Vgl. Carl Schmitt: Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität. 3. Aufl. Berlin 1979.

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kennung der Charta der UNO als geltenden Völkerrechts faktisch und rechtlich Souveränitätsverzichte geleistet, und wenn hier bei Verstößen auch kein „Weltpolizist" erscheint, sind die drohenden internationalen Sanktionen doch in ihrer Wirkung nicht zu unterschätzen. Noch die blutigste Diktatur muß heute zumindest vorgeben, die Menschenrechte zu achten und zu schützen. Freilich ist die innerstaatliche Sanktionsgewalt immer noch ungleich stärker, aber überschätzen sollte man sie auch nicht; demokratische Staaten machen immer wieder die Erfahrung, daß legal getroffene Entscheidungen faktisch nicht durchsetzbar sind, wenn betroffene Bürger sich wehren. Was bei den Konservativen das Gespenst der „Unregierbarkeit"^^ heraufbeschwört, ist genau das Phänomenfeld, in dem sich heute innerstaatliche und internationale Friedensprobleme aufeinanderzu bewegen. Auch der mächtigste Staat kann heute den inneren Frieden gegen den vereinigten Widerstand seiner Bürger nicht bewahren; umgekehrt wäre der Weltfrieden heute optimal gesichert, wenn die Einzelstaaten einer internationalen Friedensordnung wenigstens in dem Maße zustimmten, wie freie Bürger ihren Staat durch einen „ursprünglichen Kontrakt" zu sichern vermögen.

Vgl. Claus Offe: „Unregierbarkeit". Zur Renaissance konservativer Krisentheorien. In: Stichworte zur „Geistigen Situation der Zeit“. 2 Bde. Frankfurt 1979. 294 ff.

GUSTAV FALKE (HAMBURG)

HEGEL UND JACOBI Ein methodisches Beispiel zur Interpretation der Phänomenologie des Geistes^

Große Bedeutung hat die Hegelforschung von jeher der Untersuchung von Aufbau und Methode der Phänomenologie beigemessen. Seinen reinsten und vielleicht derzeit fortgeschrittensten Ausdruck findet dieses Interesse in der Habilitationsschrift von C.-A. SCHEIER.^ Andrerseits sind immer wieder einzelne Abschnitte aus dem Gesamtzusammenhang gelöst und für Sachdiskussionen fruchtbar gemacht worden. Zwischen den aktualisierbaren Hegelschen Mikroanalysen und der immerhin nachvollziehbaren Gesamtstruktur klafft jedoch interpretatorisch eine Lücke: Inhaltlich erscheint die Abfolge der Erfahrungen eher als willkürlich. Wenn darüber Konsens zu erzielen sein dürfte, das Hegelsche Verfahren als „Einheit von Darstellung und Kritik"^ zu kennzeichnen, so müßte sogleich die Frage folgen: Was wird denn da dargestellt und kritisiert, wie gewinnt Hegel die für archetypisch angesehenen Gestaltungen des Bewußtseins? Es wäre ja beispielsweise unsinnig davon zu reden, daß die Lust oder die Tugend kritisiert wird; Zielscheibe kann nur eine Position sein, die sich auf die Lust oder die Tugend als letztes Prinzip des Handelns zurückzieht. Ich möchte die These aufstellen, daß sich - neben der Grundstruktur des „Beweises" des absoluten Wissens und der Sachhaltigkeit der einzelnen Bewußtseinsinhalte - eine dritte Ebene der Argumentation identifizieren läßt: Jede Erfahrung des Bewußtseins ist am Leitfaden einer festmachbaren historischen Position konstruiert.'* Ohne jeglichen methodi' Hegel wird zitiert nach der Ausgabe der Freunde des Verewigten (G. W. F. Hegel's Werke) mit Band und Seitenzahl bzw. nach der historisch-kritischen Edition (Gesammelte Werke = GW). So GW 9: Phänomenologie des Geistes (= Phän.); Glauben und Wissen aus GW 4. - Ferner wird im Text zitiert: Friedrich Heinrich ]acobi: Werke. Leipzig 1812 ff (= /); f. H. Jacobi: Woldemar. Neue verb. Ausgabe. Königsberg 1796 (= W); F. H. Jacobi: Brief an Fichte. Hamburg 1799 (= F). 2 Claus-Arthur Scheier: Analytischer Kommentar zu Hegels Phänomenologie des Geistes.

Freiburg, München 1980. 3 Michael Theunissen: Sein und Schein. Frankfurt a. M. 1980. 15. Bekanntes Beispiel ist die Darstellung des sittlichen Geistes. Wer nicht weiß, daß Hegel am Leitfaden der Antigone vorgeht, ist in diesem Kapitel hoffnungslos verloren.

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sehen Anspruch seien zur Bestimmung dieser Ebene folgende Verfahrensvorschläge gemacht: 1) Von der jeweiligen Begrifflichkeit, mit der eine Erfahrung des Bewußtseins dargestellt wird, müßte im Hegelschen Gesamtwerk überprüft werden, im Zusammenhang welcher Autoren oder Traditionen sie Verwendung findet. 2) Es müßte festgestellt werden, welche Schriften dieser Autoren oder Traditionen Hegel direkt oder indirekt zur Kenntnis genommen hat und welche dieser Schriften er an anderen Orten selber zitiert. Letzteres könnte vor allem hilfreich sein, um die so offenkundig zahlreichen indirekten Zitate an der Phänomenologie zu dechiffrieren. 3) Die gesamte Erfahrung des Bewußtseins müßte auf Charakter, Situation und Handlung schematisiert werden. Ein solches Röntgenbild könnte Zuweisungen zu einem historischen oder einem Romangeschehen erleichtern.^ Erschwert wird das angegebene Verfahren allerdings dadurch, daß Hegel an einer exemplarischen Position erarbeitete Grundstrukturen, eben weil es sich dabei um Grundstrukturen handelt, natürlich auch in anderen Positionen wiederfinden kann. Sollte sich dieses Verfahren bewähren, so ließe sich der Intention, die die Methode der Phänomenologie bewegt, sozialhistorisch ein präziser Sinn zuweisen: Hegel sieht sich im Reiche des Gedankens wie im Reiche der Wirklichkeit dem Übergang einer traditionalen in eine moderne Gesellschaft gegenüber. Mit der französischen Revolution hat sich die höfische Gesellschaft als vergangene Form des Weltgeistes erwiesen, die Aufklärung hat die jenseitige Welt entvölkert. So sehr Hegel nun auch das neue Zeitalter begrüßt, so gefährlich scheint ihm doch, daß mit der Auflösung überkommener Strukturen eine Freisetzung der sich in ihrer Partikularität für absolut erklärenden Individualität einhergeht. Ihm malt sich das Schreckensbild einer atomistischen Gesellschaft, einer Gesellschaft, die ihr soziales wie ihr weltanschauliches Zentrum und somit ihre Identität verloren hat. Einerseits weiß er, daß, ist das unendliche Recht des Subjekts in der Realität durchgesetzt, eine Rückkehr zu den alten Inhalten eines hierarchisch organisierten Staates oder einer offenbarten Religion ohne Legitimation nur temporär und gewaltsam möglich ist, andrerseits erscheint ihm der Besitzindividualismus und sein ideologisches Pendant, der Subjektivismus, als das schlechthin Böse. Soll die Zufälligkeit der individuellen Existenz und die Beliebigkeit der individuellen Meinungen nicht unüberwindbar bleiben, soll aus dem Pluralismus des bloßen Nebenein5 Die damit gestellte Aufgabe läßt sich zum Teil sehr präzise formulieren: Wer z. B. ist der Ritter, der sich durch Loswickeln „von einem äußerlich umgeworfenen Mantel . . . und durch Hinterlassung desselben" frei machen kann {Phän. 211)?

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ander und dem trockenen Versichern ein Entkommen sein, bleibt nur der Weg immanenter Kritik. Die Darstellung des erscheinenden Wissens soll dementsprechend an archetypischen Positionen kritisch zeigen, wo diese ihr Recht haben und wo sie in einseitiger Fixierung zu Widersprüchen führen, als deren Lösung sich dann die übergreifende spekulative Wissenschaft anbieten kann. Ich möchte an einem relativ gut erforschten Abschnitt — „Das Gewissen. Die schöne Seele, das Böse und seine Verzeihung" — das von mir vorgeschlagene Verfahren verdeutlichen: Der Charakter, der zu Beginn dieses Abschnittes vorgestellt wird, zeichnet sich dadurch aus, daß er für sein Handeln keine Autorität jenseits der Stimme seines Gewissens anerkennt; er ist sich „das in seiner Zufälligkeit Vollgültige" {Phän. 341). Daran kann ein theoretischer und ein praktischer Aspekt unterschieden werden. Was die Analyse der Situation angeht, die eine moralisch relevante Entscheidung erfordert, so findet sich, „indem die Trennung des Ansich und des Selbsts aufgehoben ist, . . . der Fall unmittelbar in der sinnlichen Gewißheit des Wissens, wie er an sich ist" {Phän. 342). Es wird nicht darauf reflektiert, daß „die vorliegende Wirklichkeit [nie] auf uneingeschränkte Weise zu umfassen" ist {Phän. 346), sondern dem gewissenhaften Bewußtsein gilt „sein unvollständiges Wissen, weil es sein Wissen ist, ... als hinreichend vollkommenes Wissen" {Phän. 346). Was aber die Entscheidung selbst betrifft, so ist das gewissenhafte Bewußtsein „einfaches pflichtmäßiges Handeln, das . . . das konkrete Rechte weiß und tut" {Phän. 342). Es kommt in keinerlei Zweifel, daß die allgemeine Pflicht der einzelnen Situation unangemessen sein oder gar mit einer anderen Pflicht kollidieren könnte, sondern weiß, daß „die reine Pflicht in der leeren Abstraktion des reinen Denkens besteht und ihre Realität ... nur an einer bestimmten Wirklichkeit hat, . . . welche Wirklichkeit des Bewußtseins ... als eines Einzelnen ist". „Das Gewissen hat für sich selbst seine Wahrheit an der unmittelbaren Gewißheit seiner selbst", d. h., das, was der dargestellte Charakter bei seiner Kenntnis der Umstände als richtig empfindet, gilt ihm als wahr, unerachtet dessen, was andere davon halten mögen; er handelt nur nach seiner „eigene[n] Überzeugung" {Phän. 343). Diesem Charakter ist die Pflicht „nicht mehr das dem Selbst gegenübertretende Allgemeine" {Phän. 344), sondern sein Bestreben ist gerade gegen die Form der bloßen positiven Vorhandenheit von Recht und Gesetz gerichtet (vgl. Phän. 348 f); „es ist jetzt das Gesetz, das um des Selbst willen, nicht um dessen willen das Selbst ist" {Phän. 344). Er bestimmt sich „aus sich selbst" {Phän. 347), „in der Kraft der Gewißheit seiner selbst hat (er) die Majestät der absoluten Autarkie, zu binden und zu lösen" {Phän. 349).

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Diese Autarkie will er jedoch nicht mit Gewissenlosigkeit verwechselt wissen, sondern „die Pflicht besteht in der Überzeugung des Gewissens von ihr" {Phän. 345). Seine Handlungen können somit auch nicht nach dem beurteilt werden, was sie objektiv sind oder welche Folgen sie zeitigen, sondern sie gelten „allein dadurch als Pflicht, daß die Überzeugung ausgesprochen wird" {Phän. 351). Indem der dargestellte Charakter nur seiner eigenen Überzeugung folgt, kann er als „moralische Genialität" angesehen werden, „welche die innere Stimme als göttliche Stimme weiß" {Phän. 352). In der inneren Stimme ist Gott „unmittelbar seinem Geist und Herzen .. . gegenwärtig". Zwar gilt ihm die „vermittelnde Bewegung" des Bewußtseins als „ein Anderes als . . . die Unmittelbarkeit des gegenwärtigen Wesens", aber dieser ünterschied ist eine „Gedankenlosigkeit", denn „die unmittelbare Beziehung . . . heißt in der Tat nichts anderes als die Einheit" {Phän. 353). Damit wird das Selbstbewußtsein dieses moralischen Genies zu einem „Gottesdienst in sich selbst" {Phän. 353), ein Gottesdienst, der „wesentlich Gottesdienst einer Gemeinde" (ebd.) ist. Aber da die Pflicht nur als ausgesprochene Überzeugung gilt und die Handlungen nicht nach ihrem Anschein beurteilt werden sollen, degeneriert „das Sprechen der Gemeinde über ihren Geist" zu einer „gegenseitigejn] Versicherung von ihrer Gewissenhaftigkeit" (ebd.). Es zeigt sich, daß der gewissenhafte Charakter letztlich nur eine „sogenannte schöne Seele" ist, der die „Kraft der Entäußerung" fehlt {Phän. 355, 354). Auf die Schilderung dieses gewissenhaften Charakters folgt die Beschreibung einer Situation, die zu einer Kollision führt. Eine Person A handelt auf eine Weise, die zwar ihrer eigenen Überzeugung, nicht aber dem, was sie selber öffentlich als pflichtmäßig vertritt, entspricht und gerät dadurch in Widerspruch zuerst mit sich selber, sodann mit einer Person B, die aus dem Bewußtsein des öffentlich Vertretenen das Verhalten von A als böse und heuchlerisch be- und verurteilt; böse, da A seine partikulare Individualität über den Willen der Gemeinschaft stellt, heuchlerisch, da A sich selbst als gewissenhaft bezeichnet {Phän. 356). Auch B ist jedoch in diesem Sinne böse und sogar „niederträchtig" {Phän. 359), weil er die ausgesprochene Überzeugung von A aus einer „von ihr selbst verschiedenen Absicht und eigennützigen Triebfeder erklärt" {Phän. 358), des weiteren ist B ebenso heuchlerisch wie A, weil er sein ürteil nicht als partikulares einsieht, sondern sich „für das rechte Bewußtsein der Handlung ausgibt" {Phän. 359) und obendrein „das ürteilen für die wirkliche Tat genommen wissen will" {Phän. 357). Letzteres bezeugt übrigens, daß B als mit der schönen Seele identisch gedacht werden muß.

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Die Reziprozität des Verhaltens von A und B setzt die Handlung in Bewegung, die die beschriebene Kollision auflöst. A erlernt daran, daß B sich ihm gegenüber genau so verhält, wie er sich selbst eingangs verhalten hatte, die Einstellungsübernahme; er erkennt, was es bedeutet, wenn Interaktionspartner unter dem Scheine des allgemein Anerkannten partikulare Ziele verfolgen. „Hervorgelockt . . . durch die Anschauung seiner selbst im Anderen" {Phän. 361) macht A ein Geständnis der Handlung, die ursprünglich die Kollision hervorgerufen hatte, und bekennt sie als fehlerhaft. Er nimmt dabei an, daß seine Offenheit die verfahrene Situation klären werde, und hofft auf ein entsprechendes Verhalten von B. B jedoch ist durch die Situation nicht gleichermaßen zur Einstellungsübernahme befähigt, denn er erfährt nicht die Verhärtung des Anderen als Reaktion auf seine Reflexion-in-sich, sondern glaubt, nur der Reagierende zu sein. Weiterhin in der Meinung befangen, das rechte Bewußtsein zu haben, beantwortet er das Geständnis mit stummer Zurückweisung und zeigt sich als „das harte Herz" {Phän. 359). A gerät hierüber zurecht in „höchste Empörung" (ebd.), denn B, die schöne Seele, war es gerade gewesen, der die Überzeugung für das Wesen der Pflicht erklärt hatte; dadurch aber, daß er A nicht zubilligen will, seine Überzeugung geändert zu haben, gerät er in Widerspruch mit sich selber. Die Situation hat sich umgekehrt; während anfangs A die Reziprozität der Interaktion störte, ist es jetzt B, der sich nicht mitteilt und so „die üngleichheit hervorbringt, welche noch vorhanden ist" {Phän. 360). Damit tritt er jedoch aus der Gemeinschaft heraus, ein Verbrechen, das - ganz der Hegelschen Theorie von Strafe gemäß — sich selber rächt. Da B jede Gleichheit mit A zurückgewiesen hatte, kommt er nicht „zur angeschauten Einheit (seiner) selbst im Anderen" und wird, indem er diese Isolierung nicht erträgt, „zur Verrücktheit zerrüttet" {Phän. 360). Nach dieser Krisis muß jedoch auch B dazu kommen, von seiner Partikularität abzulassen; denn in der Tat hat A ja mit seinem Bekenntnis die böse Handlung ungeschehen gemacht. Indem er „das versöhnende Ja" {Phän. 362) ausspricht, bekennt er sich, leistet auf sein verstocktes ürteil Verzicht und erkennt mit diesem „Wort der Versöhnung" {Phän. 362) A als gut an. In der resultierenden wechselseitigen Anerkennung ist die ursprüngliche Reziprozität als selbstbewußte restituiert, und jeder der beiden hat „in seiner vollkommenen Entäußerung . .. die Gewißheit seiner selbst" {Phän. 362). Bis in Einzelheiten der Terminologie stimmt nun das Entwickelte mit Hegels Interpretation der Philosophie von FRIEDRICH HEINRICH JACOBI überein, wie sie vor allem in Glauben und Wissen, in der Rezension über Fried-

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rieh Heinrich Jacobis Werke Dritter Band, in der Enzyklopädie und in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie ausgeführt vorliegt.^ In Glauben und Wissen, einer Schrift, die ja der Ausarbeitung der Phänomenologie viel näher liegt als die anderen genannten Texte, fügt Hegel darüberhinaus programmatisch an, daß ein angemessenes Verständnis von JACOBIS Moralphilosophie, „da für Jacobi sittliche Schönheit dem Begriffe und der Objektivität zuwider ist, sich . . . allein an Gestalten halten [kann], in denen er seine Idee der sittlichen Schönheit klarmachen wollte" (GW 4. 382). Gemeint sind die Romanhelden Allwill und Woldemar. Dementsprechend konnten am referierten Abschnitt der Phänomenologie zwei Abschnitte unterschieden werden. Die Darstellung des gewissenhaften Charakters behandelt mehr allgemein die jACOBischen Positionen, läßt sich aber auch genauer auf den ersten Teil des Woldemar beziehen; dieser erste Teil ist ja eher als Gesprächsroman entworfen, vage in der Nachfolge der PLATONischen Dialoge. Den Test auf diese Positionen jedoch machen die als Situation und Handlung beschriebenen Passagen, die exakt den „plot" des zweiten Romanteils schematisieren. Im ersten Teil des Woldemar also wird primär über Fragen sittlichen Handelns debattiert. Während Hornich und Alkam streng an der Positivität der Gesetze orientiert sind und der Kreis von Caroline, Henriette, Luise, Dorenburg und Biderthal - die „Gemeinde" des Hegelschen Textes — immerhin „jede Form, der nur etwas Gutes noch anklebte" (W. I. 48) verteidigen, ist für Woldemar das Gewissen „die einzige Quelle der Moral, der Ursprung aller Rechte" (W. I. 100). Das Prinzip des Gewissens oder

* Der Bezug zu Jacobi ist in der Forschung durchaus bemerkt worden und somit keineswegs originell. Emanuel Hirsch beispielsweise (Die Beisetzung der Romantiker in Hegels Phänomenologie. In: Materialien zu Hegels Phänomenologie. Hrsg, von Hans Friedrich Fulda u. Dieter Henrich. Frankfurt a. M. 1973, 245-275) und Jean Hyppolite (Genese et structure de la phenomenologie de l'esprit de Hegel. Paris 1946) haben Stellen aus dem Woldemar und aus dem Brief an Fichte zur Interpretation herangezogen, Jacobi gilt ihnen jedoch als eine unter vielen Quellen. Am weitesten ist vermutlich Otto Pöggeler gegangen, wenn er in seiner Dissertation (Hegels Kritik der Romantik. Bonn 1956. 54) alle Gestalten des Hegelschen Kapitels im Woldemar wiederfindet. Er verharrt jedoch in einem „Auch": die Bezüge zu den Romantikern sind so zulässig wie die Jacobiinterpretation. Ich behaupte demgegenüber eine strukturelle Differenz zwischen diesen Bezügen. Reale Auseinandersetzung wird nur mit Jacobi geführt. Die Rede vom Bekenntnis des Bösen und dem versöhnenden Ja wäre ganz sinnlos, würde sie nicht auf ein durchgehendes Handlungsschema bezogen, das eben mit dem Verlauf des Woldemar identisch ist. Darüberhinaus hat Hegel natürlich die Position Jacobis für zeittypisch angesehen, sonst hätte er sie wohl kaum dem dritten Terminus der Realgeschichte nach Griechenland und Mittelalter und frühe Neuzeit zugeordnet. Im Rahmen dieser Repräsentativität kann man dann darüber streiten, wer für Hegel weiter unter diesen Typus fällt. Der Novalisbezug z. B. ist sicher plausibler als der zu Schlegel.

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der unmittelbaren Gewißheit — eine Ethymologie, mit der Hegel wie JACOBi spielt, — kann auch bei JACOBI nach seiner theoretischen und nach seiner praktischen Seite untersucht werden. JACOBI unterscheidet — der späteren Lebensphilosophie in vielen Punkten vergleichbar — zwei Arten von Erkenntnis. Vernunfterkenntnis, die Qualität auf Quantität reduziert (J. IV/ 2. 132 f), gilt ihm als Mittel der Selbsterhaltung (/. IV/2. 131). „Wir begreifen eine Sache nur insofern wir sie construiren, in Gedanken vor uns entstehen, werden lassen können" (F. 15). „Aber das schlechterdings und an sich Wahre kommt auf diesem Wege nicht zum Menschen" (W. I. 144). Dem vermittelten Wissen der Vernunfterkenntnis (/. IV 2, 153; vgl. Hegel, Bd 15, 539 ff) stellt JACOBI ein „unmittelbares Wissen" (W. I. 143) gegenüber, das er — HUME folgend — auch als Glauben bezeichnet. In dieser „unmittelbaren Gewißheit" (/. IV/1. 210), die jeden Beweis ausschließt (W. I. 142), „wissen wir, daß wir einen Körper haben, und daß außer uns andere Körper und andere denkende Wesen vorhanden sind", im Glauben „haben wir die Offenbarung der Natur" (/. IV/1. 211) — und auch die Offenbarung Gottes, wie zu sehen sein wird. Das zitierte „unmittelbare Wissen" wird in der Phänomenologie vor allem als „sinnliche Gewißheit" thematisiert. Hegel hat mehrfach betont, daß JACOBIS Leistung darin zu suchen sei, „daß durch ihn das Moment der Unmittelbarkeit. . . herausgehoben" wurde (Bd 17. 9). So wie jedoch die „sinnliche Gewißheit" erst im „absoluten Wissen" zu sich selbst kommt, einseitig gegen die Vermittlung fixiert dagegen „sich selbst für die . . . ärmste Wahrheit" ausgibt (Phän. 63) so habe auch JACOBI übersehen, daß „das, was wir jetzt unmittelbar wissen, ein Resultat von unendlich vielen Vermittlungen" ist (Bd 15. 549). Auf diesen Problemzusammenhang wird auch im hier thematisierten Abschnitt wiederholt angespielt, u. a., wenn es heißt: „Indem die Trennung des Ansich und des Selbsts aufgehoben ist, so ist der Fall unmittelbar in der sinnlichen Gewißheit des Wissens, wie er an sich ist" {Phän. 342), oder wenn dem gewissenhaften Charakter vorgeworfen wird, nicht zu reflektieren, daß er die Totalität der Umstände eines Falles gar nicht umfassen kann {Phän. 346). Was nun die inhaltlichen Bestimmungen des sittlichen Handelns angeht, so soll das Gewissen das Problem der Besonderung lösen, an dem für Hegel wie für JACOBI die KANxische Ethik notwendig scheitern mußte. Wie in der Phänomenologie das Gewissen als Gestaltung des Bewußtseins einer Kritik des KANxischen Formalismus entspringt, in der die Erfahrung gemacht wurde, „daß die reine Pflicht in der leeren Abstraktion des reinen Denkens besteht" {Phän. 343), so setzt sich auch JACOBI gegen KANX ab: „Das Moral-Princip der Vernunft: Einstimmigkeit des Menschen mit sich

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selbst; stete Einheit - ist das höchste im Begriffe . . . Aber diese Einheit ... in sich allein ist öde, wüst und leer" (F. 34 f). „Was gut ist, sagt dem Menschen unmittelbar und allein sein Herz" (W. 1. 134). Damit ist keineswegs moralischem Indifferentismus das Wort geredet, wie dies Woldemar im Gespräch von den Vertretern des Positiven vorgeworfen wird, aber Gesetze werden gewissermaßen nur als Gedächtnisstützen des Gewissens akzeptiert. „Die Pflicht... wird ... gewußt, nur Moment zu sein" {Phän. 344), heißt es bei Hegel. „Der vortreffliche Mann (muß) sein Verhalten nach diesen Grundsätzen [verändern], wie es Zeit und Umstände von ihm fordern" (W. I. 100). „Für solche Licenzen hoher Poesie hätte die Grammatik der Tugend keine bestimmte Regel" (W. I. 129). Aus solchen Licenzen heraus kann es im besonderen Fall - und das Bewußtsein weiß, so Hegel, „daß die reine Pflicht.. . ihre Realität. . . nur an einer bestimmten Wirklichkeit hat" {Phän. 343) — erforderlich sein, zu lügen und zu betrügen, zu morden, Gesetz und Eid zu brechen, Selbstmord zu beschließen usf. (F. 32); „denn mit der heiligsten Gewißheit, die ich in mir habe, weiß ich — daß das privilegium aggratiandi . . . das eigentliche Majestätsrecht des Menschen das Siegel . . . seiner Göttlichen Natur ist" (F. 33). Diese Passage aus dem Brief an Fichte muß für Hegels jACOBiverständnis eine Kernstelle gebildet haben. Er zitiert sie mehrfach in extenso (GW 4. 380 f; Bd 17, 23) und spielt auch in dem hier zu interpetierenden Abschnitt häufiger auf sie an: Das Prinzip der „heiligsten Gewißheit" ist eingegangen in die „unmittelbare Gewißheit seiner selbst" an der „das Gewissen für sich selbst seine Wahrheit (hat)" {Phän. 343); Jacobis „Majestätsrecht" findet sich wieder in der „Majestät der absoluten Autarkie, zu binden und zu lösen" {Phän. 349). Wenn ferner JACOBI die genannten Licenzen am gleichen Ort damit begründet, daß „das Gesetz um des Menschen willen gemacht ist, nicht der Mensch um des Gesetzes willen" (F. 32 f), so zitiert Hegel ihn fast wörtlich, wenn es heißt: „Es ist jetzt das Gesetz, das um des Selbst willen, nicht um dessen willen das Selbst ist" {Phän. 344). Kritisiert wird damit bei JACOBI „alles auf Sittlichkeit sich beziehende Positive . .. Kein Mensch hat je einem Gesetz, bloß als Gesetz, gehorcht; sondern immer nur der Gewalt, von der es ausging" (W. I. 135). „Freyheit, eigenes Urtheil, Selbstbestimmung ist der Charakter des Menschen" (W. I. 101). „Selbstbestimmung" ist aber auch bei Hegel „unmittelbar das schlechthin Pflichtmäßige" {Phän. 349), es gilt, nur nach seiner „Überzeugung" {Phän. 343) zu handeln. Als Überzeugung bezeichnet übrigens JACOBI direkt das von ihm proklamierte unmittelbare Wissen (W. I. 143). Wenn für Hegel das Aussprechen dieser Überzeugung einen so hervor-

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ragenden Stellenwert gewinnt, obwohl JACOBI selber zum Thema der Sprache relativ wenig bemerkt, so hat das zwei Seiten. Zum einen bietet es ihm Gelegenheit, über den Woldetnar das Füllhorn seines Spottes auszugießen; wird doch in diesem Roman wirklich nur pausenlos von Gewissenhaftigkeit geredet, ohne daß je große Taten auf die großen Worte folgten. Zum anderen aber wird über die Sprachproblematik das Anerkennungsverhältnis entwickelt. JACOBIS Konzept der Liebe steht in durchgängiger Analogie zu Hegels Begriff der Anerkennung. JACOBI seinerseits reiht sich in die wohl vom Neuplatonismus ausgehende Tradition der Vereinigungsphilosophie ein. Als weitere Eckpunkte wären zu nennen: die Lettre sur les desirs von HEMSTERHUIS, Liebe und Selbstheit von HERDER, die Theosophie des Julius von SCHILLER. Dieser breite Unterstrom, der die Schulphilosophie seit je begleitet hat - er ließe sich in unserem Jahrhundert bei MUSIL, BENJAMIN oder ADORNO sehr gut wieder nachweisen —, ist wohl nie recht gesellschaftsfähig geworden. Ein Philosoph wie HEMSTERHUIS — um 1800 von ungeheurer Popularität — ist heute fast völlig vergessen. Vielleicht war HENRICH der erste, der in weiterem Rahmen auf die Bedeutung vereinigungsphilosophischen Gedankengutes für die Ausbildung des Idealismus aufmerksam gemacht hat.^ So kann es durchaus als glaubhaft angesehen werden, wenn ROSENKRANZ unter den wenigen Angaben, die er zu Hegels Lektüre in Tübingen macht, gleich drei Werke von JACOBI nennt.® JACOBI war mit HEMSTERHUIS enger befreundet und bringt in seinen Werken immer wieder lange Auszüge aus HEMSTERHUIS' Schriften; ein fast wörtliches Zitat aus der Lettre sur l'homme et ses rapports ist es auch, wenn es im Woldemar heißt: „Unsere körperliche Gestalt können wir nicht gewahr werden, als in einem andern Körper, der sie vor uns abspiegelt; unsere Seele kann sich nicht empfinden, als mittelst eines anderen Geistes, der ihren Eindruck auf sie zurückwirft" (W. I. 56). In Von den Göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung wird es später ganz prägnant heißen: „ohne Du kein Ich" (J. III. 292). Die Erfahrungen, die die schöne Seele bei Hegel und Woldemar bei JACOBI machen, gehen genau im Sinne des vereinigungsphilosophischen Gedankens darauf hin, sich nicht als Subjektivität in deren Fixierung für absolut zu nehmen, sondern zu lernen, daß das Selbst erst im Anderen Wirklichkeit erlangt.

^ Dieter Henrich: Der Begriff der Schönheit in Schillers Ästhetik. In: Zeitschrift für philosophische Forschung. 11 (1957), 527—548, bes. 538 ff, und ders.: Hegel im Kontext. Frankfurt a. M. 1981. 13. pass. ® Karl Rosenkranz: G. W. F. Hegels Leben. Berlin 1844. 40.

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Zuerst tritt das Gewissen jedoch nur als die selbstbezogene moralische Genialität auf. Der Geniebegriff spielt für die Theorie der Sittlichkeit, die von der Figur des Woldemar entwickelt wird, eine bedeutende Rolle: „Der Geschmack am Guten wird . . . durch vortreffliche Muster ausgebildet; und die hohen Originale sind immer Werke des Genies" (W. I. 90). Diese Äußerung wird noch dadurch besonders hervorgehoben, daß andere Romanfiguren sie als charakteristisch für Woldemar ansehen (W. II. 173, 219). Wenn dieses Genie bei Hegel seine „innere Stimme ... als göttliche Stimme weiß" {Phän. 352), so wird sicher vorab auf die genannte Kernstelle angespielt, in der ja die Freiheit des Gewissens als Siegel der göttlichen Natur des Menschen bezeichnet wurde. Auch Woldemar betont jedoch, „daß wir göttlicher Natur sind" (W. I. 145) und sieht den „sittlichen Trieb" als „Gott im Menschen" an (W. I. 258). „In meinem Gewissen werde ich einen . . . heiligen verborgenen Gott . . . und zu diesem eine . . . Liebe gewahr, . . . die über alle Zweifel sich erhebt" (W. I. 109 f). Gott ist somit, wie Hegel sich ausdrückt, „unmittelbar seinem Herzen gegenwärtig" (Phän. 353). Darin aber, daß „die vermittelnde Bewegung . . . ihm ein Anderes [ist] als jenes verborgene Innere" (ebd.), liegt der Hauptkritikpunkt Hegels an JACOBIS Philosophie des Glaubens. JACOBI sehe nicht, daß „unmittelbares Wissen nur als Aufheben jener Vermittlung" (Bd 17. 9) zu denken sei. Wenn die oben zitierte „Majestät im Menschen . . . seine göttliche Natur genannt [wird], ... ist es selbst gesagt, daß Gott ebensosehr nicht außer mir ist, denn was wäre das gottverlassene Göttliche in mir" (Bd 17, 33 f)?. Der Unterschied, der mit der Trennung von unmittelbarem und vermitteltem Wissen noch zwischen Gott und dem Selbst gemacht wird, gilt Hegel als „Gedankenlosigkeit" {Phän. 353). Er sieht vielmehr „in diesem Standpunkte, daß der Mensch unmittelbar von Gott weiß, daß Große, daß dies eine Anerkenntnis der Freiheit des menschlichen Geistes ist. . . alle . . . Autorität ist so in diesem Prinzip aufgehoben" (Bd 15. 550). Wenn dennoch dieser „Gottesdienst in sich selbst" {Phän. 353), mit dem das „Prinzip . . . des Protestantismus" (GW 4. 316) auf den Begriff gebracht wurde, in einen „inneren Götzendienst" (GW 4. 382)^ umschlägt, so folgt daraus keineswegs, daß Hegel das durch Woldemar verkörperte Prinzip des Gewissens, das unendliche Recht des Subjekts, kritisierte. Problematisch ist für ihn jedoch, daß „nur das Prinzip" (Bd 15. 550) gegeben wird. Es hat keine wahrhaft Objektivität. Erst in seiner einseitigen ’ Die Parallele von „Gottesdienst in sich selbst" (Phän. 353) und „innerem Götzendienst" (GW 4. 382) verdeutlicht übrigens gut die Beweiskraft simpler Parallelstellenphilologie für eine Phänomenologieinterpietation.

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Fixierung als „formelle Subjektivität" ist es „schlechthin dies, auf dem Sprunge zu sein, ins Böse umzuschlagen" (Rechtsphil. § 139); denn jetzt erhält es Objektivität nur durch „das Besondere, Zufällige" (Bd 15. 550). Es hat „als Bestimmung und Inhalt das natürliche Bewußtsein, d. h. die Triebe und Neigungen" (Phäti. 346 f). Desgleichen ist daran, daß „die Pflicht in der Überzeugung des Gewissens von ihr" besteht {Phän. 345), nicht die Kritik heteronomer Autorität problematisch, sondern die Tatsache, daß vom ungebildeten natürlichen Bewußtsein ausgegangen wird. Wenn man aber „das unmittelbare Wissen gelten läßt, so hat es jeder nur mit sich zu tun; alles ist dann gerechtfertigt" (Bd 15, 547). So verkommt denn auch „das Sprechen der Gemeinde über ihren Geist", das analog zum inneren Gottesdienst für den Lutheraner Hegel ansich höchste Form religiösen Bewußtseins bedeutet, zu einem „Laben an der Herrlichkeit des Wissens und Aussprechens, des Hegens und Pflegens solcher Vortrefflichkeit" (Phän. 353), weil die Besonderheit des Selbstbewußtseins nicht in der Allgemeinheit erstorben ist (Phän. 419), sondern das Individuum sich als einzelnes wichtig ist. Hegel charakterisiert die Eitelkeit der von der empfindsamen Gemeinde betriebenen Selbstbespiegelung überaus ironisch. Aber auch hierbei kann er sich auf eine Rede Woldemars berufen, die fraglos auch von JACOBI kritisch gemeint ist; „Unsere eigene innerliche Beschaffenheit [muß], weil sie uns unmittelbar angeht, uns unendlich über alles andere wichtig seyn" (W. 1. 227). Woldemar wird von anderen Personen des Romans ausdrücklich als schöne Seele intituliert (z. B. W. 11. 168, 177). Daß Hegel tatsächlich an ihn mit der schönen Seele denkt, zeigt sich deutlich, zieht man die Charakterisierung Woldemars in den Vorlesungen über Ästhetik zum Vergleich heran. Neben zahlreichen anderen Korrespondenzen wird an Woldemars „Schönseelischkeit" dort kritisiert, daß sie „die Schwäche, den echten Gehalt der vorhandenen Welt nicht ertragen ... zu können, vor sich selbst durch die Vornehmheit versteckt, in welcher sie alles als ihrer nicht würdig ablehnt" (Bd 10/1, 310). Dementsprechend fehlt der schönen Seele in der Phänomenologie „die Kraft der Entäußerung" und sie lebt „in der Angst, die Herrlichkeit [ihres] Innern ... zu beflecken" (Phän. 354). Die Handlung nun, in deren Verlauf die schöne Seele ihrer isolierten Subjektivität zu entsagen lernt, entspricht - wie gesagt - genau den Geschehnissen des zweiten Teils des Romans. Die Person A kann als Henriette identifiziert werden, die — von ihren Verwandten bedrängt und in der Hoffnung, ihrem sterbenden Vater eine letzte Erleichterung zu verschaffen — das Gelöbnis ablegt, Woldemar nie zu heiraten. Da sie jedoch fürchtet, mit diesem Schritt Woldemar zu kränken, ist sie mit ihrem Ge-

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wissen entzweit (W. II. 14) und verschweigt dieses Gelöbnis. Daß dabei objektiv Henriettes Handlung zwar vielleicht für falsch, keineswegs allerdings für böse gehalten werden kann, spielt für Hegels Darstellung insofern keine Rolle, als primär die Perspektive der beurteilenden schönen Seele eingenommen wird. Woldemar, die Person B, erfährt auf Umwegen von Henriettes Tat und beginnt, wie diese es befürchtet hatte, an ihr zu zweifeln: „Sie hat ein Geheimnis . . . gegen Woldemar! - O, ich bin ihr nicht, was ich dachte" (W. II. 63). Er beurteilt ihr Handeln zum einen als böse — sie konnte „gegen Freundschaft, gegen die Ruhe meines Lebens, andre Dinge auf die Wage legen - so kalt!" (W. II. 127) - zum andern als heuchlerisch {Phän. 356) — „Sie hat . . . sich gegen mich verstellt" (W. II 128). Henriette bemerkt die Veränderung, die in Woldemar vorgeht und — das ist zentral - versetzt sich in seine Lage. „Fürchterlich muß die leiseste Anwandlung eines Zweifels an mir den Mann erschüttert haben" (W. II. 182). Eine solche Einstellungsübernahme wird ihr möglich, da sie an sich selber umgekehrt die Folgen von Woldemars Zweifel schmerzlich empfinden mußte. „Die Verzweiflung, die ihn martert, wollte auch mich zu Grunde richten. Schon war aus meinem Herzen alle Zuversicht entflohn" (W. II. 183). Durch diese Anschauung ihrer selbst im Anderen hervorgelockt {Phän. 361) bekennt sie sich und erwartet, voller Zuversicht in Woldemars Tugend (W. II. 172), daß auch dieser sich bekennen werde (W. II. 174). Daß bei Hegel die beiden Bekenntnisse, die Henriette im Laufe des Romans ablegt, zusammengedacht werden, ist insofern nicht sträflich, da es ihm nur auf die Konstellation ankommt. Wider Erwarten verhärtet Woldemar sich jedoch gegenüber diesem Bekenntnis. „Kaltes freundliches Lächeln war seine ganze Erwiderung" (W. II. 136). „Es war in seinem Herzen, wie wenn ein Damm durchgeht" (W. II. 104). Daß mit dem harten Herzen {Phän. 359) tatsächlich Woldemar gemeint ist, bestätigt ein weiteres Mal die Darstellung in den Vorlesungen zur Ästhetik. Dort ist davon die Rede, daß aus einer „unendlichen Empfindlichkeit in betreff auf alle übrigen" bei kleinsten „Ungeschicklichkeiten . .. eine Härte und Grausamkeit der Seele [entspringe], in welcher sich vollends die ganze Miserabilität und Schwäche dieser schönseelischen Innerlichkeit kundgibt" (Bd 10/1. 311). Für JACOBI wie für Hegel ist dabei wichtig, daß die schöne Seele „nicht zur angeschauten Einheit ihrer selbst im Anderen" gelangt {Phän. 360). „Das war Täuschung also, daß wir ein Herz, eine Seele .. . Henriette ist mir ein Anderer; Henriette ist wider mich" (W. II. 107 f). Wie die schöne Seele bei Hegel über ihrer Isolierung „zur Verrücktheit zerrüttet" {Phän. 360) ist, so ist auch Woldemar endlich „nah dem

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Wahnsinn" (W. II. 155), und der Erzähler redet von ihm als dem ,,arme[n] Zerrütteten" (W. II. 271). Es kommt jedoch auch Woldemar dazu, von seiner Verstocktheit abzulassen, sich zu bekennen und das versöhnende „Ja" (W. II. 288) auszusprechen. Bei diesem „Ja" ließe sich übrigens auch an die bereits mehrfach erwähnte Kernstelle denken. Auch diese beginnt mit einem Geständnis: „Ja, ich bin der Atheist und Gottlose, der . . . lügen und betrügen will" (F. 32). Die beiden Schlußsprüche des Romans fassen dann die Moral, die JACOBI gezogen wissen will, noch einmal zusammen: „Richtet nicht!" (W. II. 300). Entsprechend entsagt bei Hegel die schöne Seele „der Härte [ihrer] abstrakten Allgemeinheit" {Phän. 427). „Vertrauet der Liebe" (W. II. 300). Entsprechend erzeugt „das Wort der Versöhnung . . . ein gegenseitiges Anerkennen" (Phän. 361). Es ist „das Dasein des zur Zweiheit ausgedehnten Ichs, das darin sich gleich bleibt" (Phän. 362), „der Begriff ... in der Einheit mit seiner Entäußerung" (Phän. 426). Der alte Streit, ob Hegel gesehen habe, daß JACOBI der Figur des Woldemar kritisch gegenübersteht, dürfte sich somit durch die Hinzuziehung der Phänomenologiestelle schlichten lassen. Im übrigen hieß es schon in Glauben und Wissen: „So sehen wir an den Helden Allwill und Woldemar eben diese Qual der ewigen Beschauung ihrer selbst ... als den Grund der Katastrophe ihrer . . . Begebenheiten dargestellt" (GW 4. 382 f). Wenn er dennoch darauf beharrt, daß „zugleich in der Auflösung dies Prinzip nicht aufgehoben" wird (GW 4. 383), so wird er in Bezug auf den Roman so unrecht nicht haben: Das empfindsame Kreisen-in-sich-selbst wird durch die Hineinnahme des Anderen kaum substantiell sich ändern. Wichtiger ist jedoch, daß eine Änderung im Verhältnis Hegels zu JACOBI eingetreten ist, die ihn von der begeisterten Rezeption des Konzeptes von Liebe entfernt hat. Fraglos hat er JACOBI zeit seines Lebens hochgeschätzt. In einem Brief an NIETHAMMER anläßlich JACOBIS Todes wird JACOBI ZU den alten Stämmen gerechnet, „zu denen man von Jugend an hinaufgeschaut hat ... Er war einer von denen die einen Wendepunkt der geistigen Bildung der Zeit sowie der Individuen formierten".Das wird auch in Jena kaum anders gewesen sein. Zwar wird er in Glauben und Wissen heftig kritisiert, aber immerhin auf gleicher Ebene wie KANT und FICHTE; und wer wollte behaupten, daß diese keinen Einfluß auf Hegel gehabt hätten? Immerhin hat Hegel sich die Mühe gemacht, die verbesserte Auflage des Woldemar (1796) noch nach seiner Tübinger Lektüre der Erstausgabe durchzuarbeiten; denn die wesentlichen Stellen für die Phänomenologie Briefe von und an Hegel. Hrsg, von Johannes Hoffmeister. Hamburg 1952 ff. Bd 2. 213.

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GUSTAV FALKE

sind noch nicht einmal in der Ausgabe von 1794 enthalten. Dennoch darf nicht darüber hinweggegangen werden, daß der Begriff von Anerkennung, wie Hegel ihn in Jena entwickelt, mit dem Konzept von Liebe, das er noch in Frankfurt - durchaus in Übereinstimmung mit den vereinigungsphilosophischen Grundgedanken — vertrat, nur formal korreliert. JACOBI faßt Liebe viel realer als Hegel, der später in der Liebe nur noch die Einheit des Anerkennungsverhältnisses in der „Form der Besonderheit" (Enz. § 436. Zusatz) zu sehen vermag. Besteht doch für JACOBI Woldemars Irrtum gerade darin, „aus einem minder Vergänglichen, minder Zufälligen in ihm, auf ein mögliches, wahrhaft Ewiges" zu schließen (W. II. 180), d. h. Liebe als ein „Eins in Allem" (W. II. 107) zu denken. Unter diese Kritik fiele für JACOBI jedoch auch Hegels Konzept von Anerkennung als einem Im-Anderen-bei-sich-selbst-Sein.

JENS KULENKAMPFF (DUISBURG)

MUSIK BEI KANT UND HEGEL

Nach' der Aktualität der klassischen Ästhetik zu fragen, heißt nach meinem Verständnis, klassische Texte der philosophischen Ästhetik daraufhin zu untersuchen, wie weit sie etwas zur Lösung der uns immer noch bewegenden Probleme der Kunsttheorie beitragen können. Ich werde zunächst (I) skizzieren, worin meines Erachtens das Hauptproblem einer philosophischen Musiktheorie besteht, um mich dann KANT (II) und danach Hegel (III) zuzuwenden. Meine Darstellung von Hegels Musiktheorie wird mit einem Hinweis auf ernsthafte theoretische Schwierigkeiten enden. Ich werde dann aber in einem letzten Teil (IV) noch den Versuch anschließen, in Anlehnung an Hegel ein paar Momente zu nennen, die sich entwickeln und vielleicht zu einer adäquaten Musiktheorie ausarbeiten lassen.

I. Die Hauptaufgabe der philosophischen Kunsttheorie scheint mir zu sein, daß sie herausarbeiten muß, in welchem Sinne Kunstwerke bedeutungsvolle Hervorbringungen des Menschen sind. Daß Kunstwerke Bedeutung haben, ist der bestimmende und unabweisbare Eindruck, der über ein bloß ästhetisches Bewußtsein hinaus das Wesen jeder genuinen Kunsterfahrung ausmacht. Alle Kunstwerke sprechen an und begegnen einem mit der Aufforderung, sie zu verstehen. Allein: in welcher Form ihnen Bedeutung zukommt, ist eine durch die Gewißheit, daß sie ihnen zu-

' Diese Abhandlung geht auf einen im Januar 1984 in Budapest gehaltenen Vortrag zurück. Hans-Friedrich Fulda und Reiner Wiehl danke ich für wertvolle Hinweise in der Diskussion, Thomas Baumeister für Bemerkungen zum Manuskript. Frau Annemarie Gethmann-Siefert (Hegel-Archiv Bochum) danke ich dafür, daß sie mir Einblick in unveröffentlichte Vorlesungsnachschriften gewährt hat, soweit sie sich auf Hegels Äußerungen über Musik beziehen.

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kommt, noch nicht beantwortete Frage. Sie stellt sich am wenigsten gegenüber Sprachkunstwerken, weil diese, wie alles Sprachliche und trotz der Tatsache, daß die Interpretation im einzelnen unendlich schwierig sein kann, uns auf ihre Bedeutung hin grundsätzlich transparent erscheinen. Nicht so bei Kunstwerken, die sich nichtsprachlicher Medien bedienen. Denn streng genommen, sprechen sie nicht. Verglichen mit Sprachkunstwerken, sind nichtsprachliche Werke in Hinsicht auf ihre Bedeutung opak: durchscheinend zwar, aber nicht durchsichtig. Und daran liegt es, daß am Anfang jeder philosophischen Theorie über nichtsprachliche Künste die Aufgabe steht, zu explizieren, in welchem nicht bloß metaphorischen Sinne solche Werke bedeutungsvolle Gebilde sind. Was nun Musik angeht, so wird der unausweichliche Eindruck, es bei einem Stück mit einer Art Mitteilung zu tun zu haben, zu einem guten Teil gerade durch eine Reihe von Verwandtschaften erzeugt, die — bei allen Unterschieden - zwischen Musik und Sprache gleichwohl bestehen. Wie gesprochene Sprache existiert auch gespielte Musik lediglich im Verlauf von Hervorbringung und unmittelbar folgendem Vergehen. Bis vor ganz kurzer Zeit, nämlich bis zur Erfindung mechanisch-elektronischer Reproduktionstechniken, war es außerdem so, daß man gesprochener Sprache und gespielter Musik nicht begegnen konnte, wenn sie nicht zu eben derselben Zeit von Menschen hervorgebracht wurden. Es ist vollkommen natürlich und selbstverständlich, bei einer solchen Begegnung dem Tun der Menschen Sinn zuzuschreiben, selbst wenn er einem noch verschlossen sein sollte. Denn zu unseren tiefsten Überzeugungen gehört die Annahme, daß die Menschen zwar vielleicht Verkehrtes, aber nur höchst selten etwas schlechterdings Unverständliches tun. Weiter gilt, daß wir, wie für die Sprache, auch für die Musik Mittel erfunden haben, das im Nu Vergehende zu notieren und ihm dadurch Wiederholbarkeit und Dauer und in einem ganz neuen Maße Mitteilbarkeit zu geben. Ferner gilt, daß Musik und Sprache sich beide auf die gleiche Art vom bloßen Geräusch unterscheiden, nämlich durch Artikulation. Ihr Gegliedertsein erlaubt in beiden Fällen Verwandtes: Komposition im Fall der Musik, im Fall der Sprache die Bildung von Sätzen und Texten. Eine offenkundige Verwandtschaft von Sprache und Musik, auf der man sogar eine ganze Musiktheorie hat aufbauen wollen, besteht außerdem darin, daß auch der gesprochenen Sprache Melodie eigentümlich ist, ohne die die Sätze oft nicht bedeuten würden, was sie bedeuten, ja, die oftmals genauer und feiner als der bloße Wortlaut das Gemeinte zum Ausdruck bringt. Schließlich sind wohl jedem Hörer bei vielen Stücken die Eindrücke geläufig, daß sich da gleichsam ein Dialog abspiele, sich ein Hin und Her von Fragen

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und Antworten vollziehe oder daß gleichsam die Geschichte einer Melodie oder eines Themas erzählt werde. Man könnte versuchen, dieser Sprachartigkeit der Musik weiter nachzugehen, um in einer weiteren Ausarbeitung der Analogie die Art zu bestimmen, wie Musik etwas bedeutet. Aber mir scheint, daß man sich die angedeutete Sprachartigkeit der Musik nicht deutlich vor Augen führen kann, ohne ebenso deutlich die Grenzen der Analogie zu erkennen: Zum einen fehlt der Musik, was für die Sprache das Wörterbuch oder Lexikon ist. Es hat im 19. Jahrhundert Versuche einer musikalischen Hermeneutik gegeben, die den Sinn von einzelnen Elementen der Musik anzugeben trachtete, ebenso wie es im 18. Jahrhundert den Versuch gab, unter Leitung der alten Vorstellung, daß Musik die Sprache der Gefühle sei, eine Art musikalisches Wörterbuch zu erstellen, das bestimmten musikalischen Elementen bestimmte Gefühle zuordnete.^ Solche Versuche sind zum Scheitern verurteilt, weil sie die Sprachartigkeit der Musik zu wörtlich nehmen. Die Melodie oder die Phrase sind keine Sätze, und ein Sonatensatz ist keine Geschichte, wie zwingend auch oft der Eindruck sein mag, es gehe in ihnen um eine dramenartige Auseinandersetzung mit Schürzung und Lösung des Knotens. Zum andern kann man nicht sagen, daß sich musikalische Elemente auf etwas beziehen oder daß sie Referenz haben, so wie sich bestimmte Wörter auf Dinge beziehen und Sätze wiedergeben, was in der Welt geschieht. Natürlich gibt es Assoziationszusammenhänge: Ein Ländler mag an ein ländliches, ein Menuett an ein höfiches Fest und die Kuhglocken bei GUSTAV MAHLER mögen an Kühe auf der Alm erinnern. Aber Lieder, Tänze, Märsche, Kuhglocken etc. als musikalische Ereignisse haben ihren Sinn nicht darin, für das zu stehen, woran sie einen erinnern, sondern haben einen Sinn als das, was sie sind: ein Lied, ein Menuett, ein Kuhglockenschall. Etwas anderes ist es, daß sich innerhalb eines musikalischen Werkes die mannigfachsten Bezüge der Elemente aufeinander vorfinden. Sie konstituieren die Form des Werkes. Aber ihr Wesen ist es gerade, sich innerhalb der Einheit zu halten, die das Werk bildet. Hat eine bestimmte Phrase innerhalb eines Werkes die Bedeutung einer Vorwegnahme oder die einer formalen Verklammerung oder von etwas ähnlichem, so allein darum, weil sie zu einem anderen Element desselben Werkes in Beziehung steht. Keine dieser Beziehungen geht nach außen und keine geht auf etwas, was nicht Musik wäre. Der literari^ Hierzu vgl, Denes Zoltai: Ethos und Affekt. Geschichte der philosophischen Musikästhetik von den Anfängen bis Hegel. Budapest 1970; ferner: Musikalische Hermeneutik. Hrsg, von Carl Dahlhaus. Regensburg 1975.

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sehe Bericht über eine wirkliche Begebenheit ist demgegenüber nur darum einer, weil sich gewisse seiner Elemente auf Dinge beziehen, die ganz und gar nicht sprachliche Dinge sind. Auch die fiktive Geschichte lebt von derselben semantischen Form, nämlich, daß wir verstehen, wie es wäre, wenn Riesen und Elfen herumsprängen oder man sich auf Atlantis befände. Ein Analogon zu dieser Art Referenz sprachlicher Ausdrücke gibt es in der Musik nicht. Wegen dieser Disanalogien zwischen Sprache und Musik denke ich, daß man in einer anderen Richtung nach einer befriedigenden Musiktheorie suchen sollte. Vielleicht bietet der unmittelbarste und stärkste Eindruck, den Musik auf uns machen kann, auch zugleich den Schlüssel zur Antwort auf die Frage nach der Form von Bedeutung, die wir der Musik zuschreiben können. Der unmittelbarste und stärkste Eindruck ist, daß Musik eine Macht ist. Ihre Macht liegt darin, daß sie uns anzusprechen, anzurühren, in Bewegung und Stimmung zu versetzen und daß sie uns auf diese Weise zugleich ein bestimmtes Gefühl unserer selbst zu geben vermag. Eben das, so könnte es doch sein, macht ihren Sinn, macht ihre Bedeutung aus. Von der Urerfahrung, daß Musik Macht über die Seelen ihrer Hörer hat, zu der oft versuchten theoretischen Konzeption ist es nur ein kleiner Schritt, wonach die Musik die Sprache der Emotionen ist, also das Medium, in dem sich Bewegungen des Gemüts, Gefühle ausdrücken. Musik, so denkt man, ist Ausdruck von Gefühlen. Mir scheint, daß dieser Gedanke immer noch den Ausgangspunkt einer adäquaten Musiktheorie abgeben könnte, wenn man nur herausbrächte, was es heißt, daß Musik der Ausdruck von Gefühlen ist. Ich betrachte Hegels Musiktheorie als entwickelte Form einer Ausdruckstheorie der Musik. Ihre Vorzüge kann man sich zunutze machen und aus ihren Nachteilen Verbesserungsvorschläge ableiten. Doch bevor ich mich Hegel zuwende, möchte ich einen Blick auf KANTS Musiktheorie werfen.

II. Wer glaubt, daß KANTS Ästhetik wegen der ihr oftmals attestierten Eigenart, formale Ästhetik zu sein, eine besondere Affinität zur Musik als einer Kunst der Formen haben müßte, sieht sich enttäuscht.^ Zum einen, weil Musik gar keinen besonders hervorgehobenen Platz in KANTS Kunsttheo3 Vgl. den informativen Aufsatz von Carl Dahlhaus: Zu Kants Musikästhetik. In: Archiv für Musikwissenschaft. (1953), 338—347. Sehr lesenswert sind immer noch die Bemerkungen des

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rie einnimmt, zum andern, weil die Musiktheorie, die KANT vertritt, ebenso wie die Hegels, eine Ausdrucksiheorie der Musik ist. Über diesen Befund wird sich weniger wundern, wer sich von der immer noch verbreiteten Vorstellung befreit hat, zwischen der Ästhetik KANTS und der Hegels bestehe der Gegensatz, daß die eine formale Ästhetik und die andere (etwa unter dem Namen „historische Kunsttheorie") eine Ästhetik des künstlerischen Gehalts sei. Wie besonders klar und deutlich aus einem Brief KANTS an den Komponisten JOHANN FRIEDRICH REICHARDT^ hervorgeht, war es KANTS eigentliches Ziel, mit der Analytik des Schönen und Erhabenen den Nachweis anzutreten, daß diese beiden ästhetischen Grundphänomene für uns nicht existierten, wenn sie nicht eine Beziehung auf den Menschen als sittliches Wesen oder als moralische Person besäßen. Der Zusammenhang, den KANT ZU erkennen glaubt, ist kompliziert und vermittelt: Um des Schönen oder des Erhabenen gewahr werden zu können, müssen wir die Welt auf eine von kognitiven, emotionalen und praktischen Präokkupationen freie Ärt ansehen. Diese Freiheit von Voreinstellungen und Fremdbestimmungen bildet eine formale Änalogie zum moralischen Bewußtsein, sofern auch hier das Subjekt sich von heteronomen Bestimmungen befreit hat und nur seine Äutonomie gelten läßt. Äuf diesem Wege wird das Schöne für uns zu einem Symbol der Sittlichkeit, wie KANT im vorletzten Paragraphen der Kritik der ästhetischen Urteilskraft auseinandersetzt (§59). Wie vermittelt dieser Zusammenhang auch immer sein und wie immer man ihn beurteilen mag, damit, daß die Kritik der ästhetischen Urteilskraft auf diesen Zielpunkt zuläuft, ist doch deutlich, daß KANTS Ästhetik von der Idee eines ganz bestimmten geistigen Gehalts geleitet wird und viel mehr ist als eine Ästhetik des bloßen Formenspiels. Ällerdings ist es nun so, daß die mit Schönheit und Erhabenheit verbundene sittliche Bedeutung nicht erschöpft, was den geistigen Gehalt eines Kunstwerks ausmacht. Ein Kunstwerk kann schön, aber geistlos, oder es kann geistvoll, muß aber nicht schön sein (vgl. KU § 50). Im Idealfall ist es beides, und dann ist seine Schönheit „Äusdruck ästhetischer Ideen" (204), oder ist: geistvolle Schönheit (vgl. § 49, S. 192 u. §§ 45, 46).^ Die Lehre von den ästhetischen Ideen ist KANTS Theorie vom Gehalt der

wohl schärfsten Kritikers der Ästhetik Kants: Johann Gottfried Herder: Kalligone. 3 Bde. Leipzig 1800; zur Musik vgl. Bd 2. 147—186. * Vgl. den Brief an Reichardt vom 15. 10. 1790. ln: Immanuel Kant: Briefwechsel. Hrsg, von Otto Schöndörffer, Nachtrag von R. Malter und J. Köpper. Hamburg 1972. 490. 5 Die Kritik der Urteilskraft wird zitiert mit der Seite der Auflage C nach der Ausgabe von Karl Vorländer. Leipzig 1924. Nachdr. Hamburg 1968.

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Kunst, eine Theorie freilich, die — da sie sich nicht wie Hegels Ästhetik zu einer Aufarbeitung des kunstgeschichtlichen Materials fortentwickelt — auf der Stufe abstrakter und allgemeiner Bestimmungen stehenbleibt. Entsprechend formal sind ihre Aussagen. Danach soll gelten, daß ein Werk dann Gehalt hat, wenn es anspricht, genauer: wenn es durch das anschauliche und gedankliche Material, das es bereitstellt, aber darüber hinausführend, „die Seele belebt" (192). Das soll heißen, daß ein solches Werk unser Denken und Fühlen in Bewegung setzt, und zwar in eine Gedanken- und Gefühlsbewegung, die, obwohl nicht völlig regellos, doch frei ist, die, ohne durch einen Zweck bestimmt zu sein, doch nicht ziellos ist und die im Gegenteil, indem sie gerade ganz auf sich bezogen bleibt, ihr Ziel erreicht. Sie ist ein selbstgenügsames „Spiel, welches sich von selbst erhält und selbst die Kräfte dazu stärkt" (192). Werke, die uns in ein solches Gefühls- und Gedankenspiel versetzen können, haben Geist oder verkörpern ästhetische Ideen. Ästhetische Ideen sind nicht etwa Zeichen oder Symbole oder Embleme für ungreifbare geistige Gehalte; vielmehr sind sie Träger des Gehalts, den der ein Kunstwerk Interpretierende nur herausbringen kann, indem er das dargebotene Material auffaßt, deutet, überschreitet, zu seinen Gedanken und Empfindungen in Beziehung setzt und dabei, je mehr er in die Details des Materials eindringt, seine eigenen Gedanken fortentwickelt und spezifiziert. Was dieser Gefühls- und Gedankenbewegung Einheit, Regel und Sinn gibt, ist die Einheit des Werkes, das den Fokus unserer Betrachtung bildet, wobei der Gehalt nichts Vorbestimmtes und einmal endgültig zu Erreichendes, sondern etwas allein im Spiel der Gemütskräfte Herauszubringendes ist. Nun stellt sich die Frage, wie diese im Umriß skizzierte allgemeine Theorie vom Gehalt des Kunstwerks in einem ihrer Spezialfälle, nämlich dem der Musik, aussieht. Unter dem Titel „Von der Einteilung der schönen Künste" (§ 51) kommt KANT zum ersten Mal etwas ausführlicher auf Musik zu sprechen. Äls Einteilungsprinzip bedient er sich (versuchsweise, wie er betont) einer „Analogie der Kunst mit der Art des Ausdrucks, dessen sich die Menschen im Sprechen bedienen, um sich, so vollkommen als möglich ist, einander, d. i. nicht bloß ihren Begriffen, sondern auch Empfindungen nach mitzuteilen" (204). KANT sieht also, daß die gesprochene Sprache das beste und vollkommenste Medium des Austausches unter Menschen ist und daß ihre Leistungsfähigkeit darauf beruht, neben dem Wort auch Gebärde und Ton oder Modulation einzuschließen. Die Einteilung der Künste ergibt sich unter dem Gesichtspunkt, welche dieser drei Dimensionen sprachlichen Ausdrucks sie favorisieren. Daher unterteilt KANT in redende Künste, bildende Künste und die Künste des

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„Spiels mit dem Ton der Empfindung", wobei hier unter „Empfindung" Klänge und Farben zu verstehen sind, ln diese dritte Kategorie gehört Musik als ein Spiel mit Klängen, gehört aber auch „Farbenkunst" (211), wobei KANT vermutlich an Farbenornamentik, an die Kunst des Kolorits gedacht hat. Wenn man so will, stehen hier also zusammen die Kunst der Klangfarben und die Kunst der Farbklänge. Bedeutender als die erste ist die zweite Stelle, an der KANT über Musik spricht. Im Vergleich der schönen Künste untereinander (§ 53) führt KANT aus, daß, was „Reiz und Rührung des Gemüts", also die Macht der Kunst angehe, die Tonkunst nach der Dichtkunst die zweite Stelle einnehme (vgl. 218). Musik spreche zwar allein durch Empfindungen, d. h. Klänge, und nicht durch Begriffe, sie bewege uns daher auch nicht, indem sie „etwas zum Nachdenken" übrig lasse, aber sie bewege das Gemüt, wenngleich vorübergehend, doch mannigfaltiger und sogar inniglicher als die Poesie. Die nun folgende Theorie — ein Fall der von ZOLTAI^ SO genannten Intonationstheorie der musikalischen Bedeutung — kann als KANTS Versuch verstanden werden, anzugeben, was es denn im Fall der Musik eigentlich heißt, das Gemüt zu bewegen. Im Fall der Poesie heißt es, im Flörer oder Leser eine sich fortspinnende Gedankenfolge zu erwecken, indem die Dichtung „etwas zum Nachdenken" gibt. Aber was heißt es im Fall der Musik, in dem nichts zum Nachdenken gegeben wird? KANTS theoretische Spekulation besagt Folgendes. Jeder sprachliche Ausdruck habe in dem Zusammenhang, in dem er steht, einen bestimmten Ton, der dem Sinn des sprachlichen Ausdrucks „angemessen ist". Weiter bezeichne dieser Ton „mehr oder weniger" „einen Affekt des Sprechenden" und erzeuge im Hörenden denselben Affekt, der nun seinerseits im Hörenden „auch die Idee erregt, die in der Sprache mit solchem Tone ausgedrückt wird" (218/19). Affekte (vgl. 121 A) sind nach KANT spontane, unvorsätzliche und „stürmische", d. h. vorübergehende Gefühle wie z. B. Furcht, Freude, Zorn oder Ärger. Solche momentanen Stimmungen sind etwas anderes als langfristig unseren Willen bestimmende Leidenschaften. Welche Bedeutung den spontanen Gefühlen zukommt, läßt sich leicht interpolieren: In ihnen drückt sich für den Sprechenden und, wenn sie nicht unterdrückt werden und sichtbar werden, auch für den Hörenden am unmittelbarsten und deutlichsten die jeweilige Haltung oder Einstellung des Sprechers zur besprochenen Sache oder zur gegenwärtigen Situation aus. KANT glaubt also, daß mit der Sprache als Wortsprache gewisserma-

* Vgl. oben Anm. 2.

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ßen noch eine zweite, universell verständliche Sprache der Sprachmodulation oder der Sprachtonempfindungen verknüpft sei, durch die wir den zu einem begrifflich-verbalen Gehalt gehörigen Affekt mitteilen. Umgekehrt versteht der Hörer, was wir mit unserer Rede meinen, er versteht ihre Idee besser, wenn der Ton unserer Rede in ihm einen entsprechenden Affekt erzeugt. — Musik, so wird nun weiter gedacht, hat ihren Ursprung darin, diese Dimension des Sprachtons abzulösen und für sich selbst auszugestalten, zu entwickeln und in eigenen Gestaltungen vorzutragen. Sie ist „Sprache der Affekte" (219), weil sie das an der Wortsprache ist, was den Affekt des Sprechers mitteilt, indem es im Hörer den entsprechenden Affekt erzeugt. Da aber im Fall der Musik anders als im Fall der echten Sprachtonmelodik der Affekt nicht an den bestimmten Sinn eines ganz bestimmten verbalen Ausdrucks gebunden ist, so kann die Idee, die mit dem Affekt gleichwohl assoziiert sein soll, auch keine bestimmte Idee sein. Denn es sind nun einmal keine Begriffe und keine Gedanken, die die Musik uns zum Nachdenken gibt und an die sie die Affekte, die sie auslöst, binden könnte. Insofern ist Musik also keine Sprache, auch wenn sie als Komposition, also als das Zusammensetzen von Tönen und Harmonien etwas der Form einer Sprache ganz Ähnliches ist. Und sie ist keine Sprache, obwohl sie sogar etwas der Rede Ähnliches tut, wenn sie durch Harmonie und Melodie den herrschenden Affekt eines Stückes so mit Stimmungen und korrespondierenden Affekten in Beziehung setzt, daß beim Hörer die Idee vom „zusammenhängenden Ganzen einer unnennbaren Gedankenfülle" (219) entsteht. Dies letzte, weil kein bestimmter Gedanke oder bestimmter Begriff, ist, sagt Kant, die ästhetische Idee, welche die Musik zu verkörpern vermag. - Soweit KANTS Musiktheorie. Es wäre leicht, von dieser Theorie aus Parallelen zu Hegels Musikästhetik zu ziehen. Aber auf solche Parallelen kommt es mir hier nicht an, sondern darauf zu sehen, ob Hegels Theorie gewisse Schwächen der KANTschen Musikästhetik vermeiden kann. Ich sehe in der Hauptsache zwei solche Schwächen bei KANT. Die erste hängt mit dem Begriff der ästhetischen Idee zusammen. Eine ästhetische Idee, sagt KANT, sei eine „Vorstellung der Einbildungskraft, die viel zu denken veranlaßt" (192). Es ist also die Vorstellung von etwas Bildlich-Anschaulichem, die den deutenden, vielleicht nie völlig zu Ende kommenden Gedankengang in Bewegung setzt. Die einzelnen Künste unterscheiden sich nun, wie man leicht sieht, je nach dem Verfahren, durch das sie die entsprechende „Vorstellung der Einbildungskraft" vermitteln, sei es wie im Fall der Poesie durch entsprechende verbale Schilderungen, sei es wie bei Malerei und Plastik

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durch das Vor-Augen-stellen eines bestimmten Gebildes. Wichtig ist, daß die so gewonnene Vorstellung der Einbildungskraft zwar vielleicht unerschöpflich viel, aber auf jeden Fall wirklich etwas zu denken veranlaßt. Übertragen auf den Fall der Musik würde das heißen: Dadurch, daß den Ohren etwas zu hören gegeben wird, entsteht eine Vorstellung der musikalischen transitorischen Gestalt, die ihrerseits einen vielleicht unabschließbaren, aber doch ganz konkret von diesem auf jenen Gedanken führenden Denkprozeß in Gang setzt. So aber verhält es sich bei der Musik nicht. KANT (wie übrigens auch Hegel) sieht ganz richtig, daß die gedanklichen Assoziationen, die einem beim Hören kommen mögen, gerade nicht den Gehalt der Musik ausmachen {KU 218; Hegel: Ästhetik. Bd 2 269 f).^ Aus diesem Grunde sagt KANT ja auch mit aller Deutlichkeit, daß die Musik im Gegensatz zur Poesie nichts „zum Nachdenken" übrig lasse. Aber eben damit zerstört KANT das Konzept der ästhetischen Idee, oder besser: er zeigt damit, daß es auf Musik, genau genommen, nicht anwendbar ist. Sein Rettungsversuch, die ästhetische Idee der Musik als den abstrakten Gedanken an ein zusammenhängendes Ganzes von unnennbarer Gedankenfülle zu bestimmen, glückt nicht, denn die ästhetische Idee ist nicht der Gedanke an unbestimmte Gedankenfülle überhaupt, sondern eine auseinderlegbare Fülle bestimmter Gedanken, wenngleich eine Fülle von unbestimmter Mächtigkeit. Was aber, wenn nicht die Gedankenfülle einer ästhetischen Idee macht dann den Gehalt der Musik aus? Man wird sich an KANTS Rede von der Musik als Sprache der Affekte halten und folglich darin den Gehalt der Musik erkennen wollen, daß sie Affekte ausdrücke. Doch näher betrachtet, liegt hier die andere Schwäche der KANTSchen Theorie. Man wird den Satz „Musik ist die Sprache der Affekte" naheliegenderweise als die folgende Analogie verstehen: Ebenso wie die Wortsprache die Sprache der Gedanken ist, weil sie sie ausdrückt, ist die Musik die Sprache der Affekte, weil sie diese ausdrückt. Die Frage, der man sich dann zuzuwenden hat, verlangt Auskunft darüber, was es heißt und wie es zugeht, daß Musik Affekte auszudrücken vermag. An dieser Stelle finden wir bei KANT nur den Hinweis, daß Musik als Tonempfindung Affekte auszulösen oder zu erzeugen vermag. Nun mag das wahr sein; und wer die Macht der Musik erfahren hat, wird nicht bestreiten, daß es manchmal oder auch oft tatsächlich so ist, daß Musik einen Affekt

^ Hegels Ästhetik wird im folgenden zitiert nach der Ausgabe von H. Bassenge; alle Zitate stammen aus Bd 2 dieser Ausgabe.

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erzeugt. Eine solche Wirksamkeit der Musik ist aber doch etwas anderes als ihr Ausdruck. Es kann nämlich sein, daß ein Musikstück einen anderen Affekt auslöst als es ausdrückt. Und es wird oft so sein, daß man den musikalisch ausgedrückten Affekt versteht, ohne selbst den nämlichen Affekt zu spüren. Den Finger auf diese Schwäche der KANischen Musiktheorie zu legen, darf nun nicht heißen, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Vorderhand ist unklar, wie, aber etwas scheinen Ausdruck und Ausdrucksverstehen doch auch mit der Wirksamkeit, in unserem Fall mit der Macht der Musik zu tun zu haben: Den Ausdruck der Traurigkeit an einer Trauermusik zu verstehen, schließt zwar nicht ein, selber traurig zu werden, wohl aber zu wissen, wie es wäre, traurig zu sein. Und das, scheint es, kann man nicht wissen, ohne selbst die Erfahrung des Traurigseins gemacht zu haben. Vielleicht können wir, wenn wir ihn nicht schon kennen, den Affekt, den eine Musik ausdrückt, nur verstehen, indem wir ihn an uns selbst erfahren. Die Frage ist, wie das geht. Ich wende mich jetzt Hegel zu und werde nach einer Skizze seiner Musiktheorie der Frage nachgehen, ob wir hier eine überzeugendere Ausdruckstheorie der Musik vor uns haben.

III. Kunst im allgemeinen ist für Hegel eine Gestalt des Geistes; er äußert sich in ihr. Und daher ist jedes Kunstwerk der Ausdruck eines geistigen Gehalts {Enz. § 558). Allerdings äußert sich der Geist nicht in allen Kunstformen im gleichen Maße und nicht gleichermaßen adäquat. Daher ergibt sich eine Rangfolge der Künste, bei der die progressive Adäquatheit der Äußerung des Geistes im umgekehrten Verhältnis zur festen und selbständigen Materialität des Kunstwerks steht, Materie als ein Schweres, Beharrliches und Äußerliches, Geist als das immaterielle Gegenstück dazu verstanden. Die Ordnung der Künste geht von der Architektur über Plastik, Malerei und Musik® zur Poesie. Im Wortkunstwerk tritt das materiel® Auf die Literatur zu Hegels Musikästhetik gehe ich nicht näher ein. Besonders aufschlußreich sind mir folgende Arbeiten gewesen: Heinz Heimsoeth: Hegels Philosophie der Musik. In: Hegel-Studien. 2 (1963), 161-201; Denes Zoltai (wie oben Anm. 2); Adolf Nowak: Hegels Musikästhetik. Regensburg 1971; Bernhard Billeter: Die Musik in Hegels Ästhetik, ln: Musikforschung. 26 (1973), 295-310; Carl Dahlhaus: Hegel und die Musik seiner Zeit. In: Kunsterfahrung und Kulturpolitik im Berlin Hegels. Hrsg, von O. Pöggeler und A. Gethmann-Siefert. Bonn 1983. (Hegel-Studien. Beiheft 22.) 333-350; Konrad Schüttauf: Melos und Drama. Hegels Begriff

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le Element, das Wort als Druck oder artikulierter Schall, nicht ganz, aber doch am weitesten hinter den geistigen Gehalt zurück. Am anderen Ende steht das Bauwerk, das eigentlich nichts anderes als geformte und nach den Gesetzen des Lastens und Tragens am Zusammenstürzen gehinderte Materie ist. Für die Poesie ist es genug, daß man das Wort versteht, wie immer es materiell fixiert sein mag. Bauwerk, Plastik, Bild und gespiegelte Musik wären dagegen, streng genommen, nicht mehr dieselben, wenn sich an ihrer Materialisation etwas änderte. Trotzdem steht die Musik der Poesie näher als z. B. die Malerei, und zwar deshalb, weil ihr Material, der Schall, etwas Ungreifbares hat und, kaum hervorgebracht, ein auch schon wieder Vergehendes ist. Was im Ohr, eigentlich im Gemüt eines Hörers nicht nach- und wiederklingt, ist auf immer verschwunden. Das Material der Musik steht also gewissermaßen auf der Schwelle zur Immaterialität. Für einen Ausdruck durch solches Material eignet sich nur etwas, das seinerseits nichts objektiv Festes, nichts substantiell Selbständiges, sondern bloß subjektiv, bloß für das Subjekt und bloß bewegt ist. Von hier aus ergibt sich eine Reihe wiederkehrender Bestimmungen der Musik in Hegels Ästhetik, z. B. daß sich für den Musikausdruck „nur das ganz objektlose Innere, die abstrakte Subjektivität als solche . . . unser ganz leeres Ich, das Selbst ohne weiteren Inhalt" (261) eigne. Oder daß die Hauptaufgabe der Musik sei, „die Art und Weise wiederklingen zu lassen, in welcher das innerste Selbst seiner Subjektivität und innersten Seele nach in sich selbst bewegt ist" (ebd.). Zur selben Kategorie von Wesensbestimmungen der Musik ist zu rechnen, wenn Hegel sagt, Musik bringe ihren Inhalt nicht als „allgemeine Vorstellung" oder „bestimmte äußere Gestalt" (wie Poesie oder bildende Kunst) zu Bewußtsein, „sondern in der Weise, in welcher er in der subjektiven Innerlichkeit lebendig wird" (172). Auch die Macht der Musik besteht nach Hegel darin, daß sie „hauptsächlich auf das Gemüt als solches" einwirkt, wobei das Gemüt „weder zu verständigen Betrachtungen fortgeht, noch das Selbstbewußtsein zu vereinzelten Anschauungen zerstreut, sondern in der Innigkeit und unaufgeschlossenen Tiefe der Empfindung zu leben gewohnt ist. Denn gerade diese Sphäre, der innere Sinn, das abstrakte Sichselbstvernehmen ist es, was die Musik erfaßt" (274). An allen diesen Äußerungen Hegels über den allgemeinen Charakter der Musik ist eine Abstraktheit und Unbestimmtheit auffällig, die ein doppeltes Problem aufwirft. Einerseits fragt sich, wie Hegel zu diesen Bestimder Oper. In: Welt und Wirkung von Hegels Ästhetik. Hrsg, von A. Gethmann-Siefert und O. Pöggeler. Bonn 1986. (Hegel-Studien. Beiheft 27.) 183-194.

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mungen kommt, was er mit ihnen meint und wie man sie sich verständlich machen kann. Andererseits ist absehbar, daß es — dem Grundkonzept der Hegelschen Kunsttheorie gemäß — bei solchen abstrakten Bestimmungen nicht bleiben kann. Der geistige Gehalt muß ein bestimmter sein, so wie jedes Kunstwerk schließlich ein Individuelles und Bestimmtes ist. Und daher fragt sich, wie Hegel zu konkreten Bestimmungen für den Gehalt musikalischer Werke gelangt. Was die erste Frage anlangt, so lassen sich seine Überlegungen am leichtesten verstehen, wenn man sich vor Augen führt, daß Hegel die Bestimmungen des allgemeinen Charakters der Musik aus Vergleichen mit der Malerei einerseits und mit der Poesie andererseits gewinnt. Thema der Malerei wie der Poesie ist, ganz allgemein gesagt, Subjektivität. Das soll heißen: Thema ist die ganze Mannigfaltigkeit von seelischen Verhältnissen, Bewußtseins- und Erlebnisweisen, die Vielfalt der Einstellungen, Empfindungen und Leidenschaften, in denen und durch die die Menschen auf das reagieren und sich zu dem verhalten, was mit ihnen und um sie herum in der Welt geschieht. Beide Künste geben ihrer Thematik eine objektive Gestalt: Die Malerei in der Form der „objektiven Erscheinung" (262), d. h. in der Eorm eines äußeren, für sich bestehenden Gegenstandes, dessen Oberfläche aber zu einem „Schein" gestaltet ist, der, ohne selbst das dargestellte Ideelle zu sein, eben dies zu erkennen gibt. Die Poesie andererseits bringt es zu dem, was Hegel „innere Objektivität" nennt (269). Das heißt: Alles, was die Poesie darzustellen vermag, und zwar die äußeren, der Anschauung zugänglichen Verhältnisse der Welt wie auch die unanschaulichen inneren Zustände und Begebenheiten der Seele, steht gewissermaßen als die Sache selbst vor unserem inneren Augen, so wie die äußeren Dinge als sie selbst vor unserem äußeren Auge stehen. Während die zweidimensionale Räumlichkeit des Bilderscheins das äußere Auge verlangt, wenn wir des ideellen Gehalts inne werden sollen, müssen wir bei der Poesie das Sprachzeichen nur lesen und verstehen, aber nicht es selbst betrachten, um vor unserem inneren Augen eine ganze Welt entstehen zu sehen. Wie steht nun die Musik zu Malerei und Poesie? Hegel sieht mit aller Deutlichkeit, daß man bei Musik nicht wie bei Malerei und Poesie von einer Thematik im Sinne einer Vielfalt von Begebenheiten sprechen kann, die so oder so dem geistigen Augen präsentiert würde. Gegenstandslosigkeit (262), Eormalität, Abstraktheit ist das Kennzeichen der Musik. Aber Hegel hält daran fest, daß sich auch der Musik ein Inhalt zuschreiben lasse. Weiter hält Hegel daran fest, allen drei romantischen Künsten: Malerei, Musik und Poesie, als gemeinsames Prinzip zu unterlegen, daß sie Subjektivität zum Ausdruck bringen (vgl. 260).

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Bei dieser Konstellation bleibt Hegel kaum etwas anderes übrig, als Inhalt von Musik „abstrakte Subjektivität als solche" (261) anzugeben. Konkrete Subjektivität,also dieses oder jenes Erlebnis, dieses oder jenes subjektiv bedeutsames Ereignis würde der Gegenstandslosigkeit der Musik widerstreiten; etwas anderes als Subjektivität den Inhalt der Musik bilden zu lassen, würde Musik aus ihrer Stelle im System der Künste herausfallen lassen. Daher wird der Inhalt von Musik selbst als etwas Abstraktes bestimmt. Soweit läßt sich der Gang von Hegels Überlegung leicht nach vollziehen. Daß der Gedanke, für sich selbst genommen, plausibel sei, ist damit noch nicht erwiesen. Was dieses Resultat suspekt macht, ist gerade, daß es sich nicht vollständig phänomenologischer Analyse, sondern zu einem wesentlichen Teil einer gewissen systematischen Voreingenommenheit verdankt. Ein Moment des Konstruktiven, des Systemzwanges ist unverkennbar und vielleicht nur darum nicht so auffällig, weil Hegels Musikästhetik mit der Angabe des allgemeinen Charakters der Musik nicht zu Ende ist. Hegel scheint nämlich seiner eigenen Überlegung nicht voll zu trauen und sucht daher nach Wegen, den Gehalt der Musik konkret zu bestimmen. Nach einer Reihe von schwankenden Äußerungen (z. B. 269), bricht sich die Forderung nach einer konkreten Bestimmung des geistigen Gehalts ungestüm Bahn. Zwar räumt Hegel noch einmal das Losgelöstsein der Musik „vom Ausdruck irgend eines bestimmten Inhalts" ein, zwar betont er noch einmal die Gegenstandslosigkeit, Abstraktheit oder Formalität, die den „rein musikalischen Bereich der Töne", also Musik als solche kennzeichnen, aber dann wird gesagt: Als rein musikalisches Element „bleibt die Musik leer, bedeutungslos und ist, da ihr die Hauptseite aller Kunst, der geistige Inhalt und Ausdruck abgeht, noch nicht eigentlich zur Kunst zu rechnen" (271). Der Satz, durch den Hegel das Tor zum Konkreten aufzustoßen versucht, lautet: „Die abstrakte Innerlichkeit nun hat zu ihrer nächsten Besonderung, mit welcher die Musik in Zusammenhang kommt, die Empfindung". (272) Man glaubt das Gefühl der Befreiung förmlich zu spüren, wenn sich der folgende Absatz sozusagen mit Wonne der Mannigfaltigkeit des Konkreten ergibt: „Hier breitet sie sich dann zum Ausdruck aller besonderen Empfindungen auseinander, und alle Nuancen der Fröhlichkeit, Heiterkeit, des Schmerzes, der Laune, des Jauchzens und Jubelns der Seele, ebenso die Gradationen der Angst, Bekümmernis, Traurigkeit, Klage, des Kummers, des Schmerzes, der Sehnsucht usf. und endlich der Ehrfurcht, Anbetung, Liebe usf. werden zu der eigentümlichen Sphäre des musikalischen Ausdrucks" (272). Hier wird Musik als „Seelensprache" (298) aufgefaßt, und zwar nicht als eine, die Empfindung als solche, abstrakte Seelenhaftigkeit oder Subjektivität als sol-

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che ausdrückt, sondern als der Ausdruck ganz bestimmter Empfindungen und Zustände der Seele. Zwar ist die „eigentümliche Gewalt der Musik" nichts als die „elementarische Macht" der Töne, das Bewußtsein zu befangen, aber Musik erfüllt die eigentliche Aufgabe der Kunst, nämlich eine „Befreiung der Seele . . . ein Lossagen von Bedrängnis und Beschränktheit" (266), erst dadurch, daß sie konkreter Ausdruck bestimmter Empfindungen ist, daß sie „Lust und Schmerz des Gemüts in Töne ergießt und in diesem Erguß sich über die Naturgewalt der Empfindung mildernd erhebt, indem sie das präsente Ergriffensein des Innern zu einem Vernehmen seiner . . . selbst macht" (298 i). Diese kathartische Eunktion kann der Musik nur zugeschrieben werden, wenn sie nicht bloß abstrakte Innerlichkeit oder Subjektivität als solche, das gegenstandslose, leere Ich, sondern ganz bestimmte subjektive Zustände zum Inhalt hat. Auch der Begriff der Empfindung selbst, der hier in den Mittelpunkt der Musiktheorie rückt, führt ein Konkretisationsverlangen mit sich, dessen sich Hegel gern bedient, um zu seiner voll entwickelten Ausdruckstheorie der Musik zu gelangen. Empfindungen, nicht sofern man damit bloß allgemeine Sachverhalte wie Lust, Schmerz, oder Trauer meint, sondern sofern sie als seelische Ereignisse wirklich stattfinden, müssen bestimmt sein hinsichtlich dessen, wer, wann, wo und gegenüber welchen Personen und Ereignissen was empfindet. Dementsprechend heißt es: Die Musik habe die Aufgabe „in betreff auf den bestimmten Inhalt und die besonderen Verhältnisse und Situationen, in welche das Gemüt sich eingelebt hat und in denen es nun sein inneres Leben zu Tönen erklingen macht, dem Ausdruck selber die gleiche Besonderung zu geben. Denn die Musik hat es nicht mit dem Inneren als solchem, sondern mit dem erfüllten Inneren zu tun, dessen bestimmter Inhalt mit der Bestimmtheit der Empfindung auf engste verbunden ist. . . Das Nähere des Inhalts ist nun eben das, was der Text angibt" (309/10). Mit anderen Worten: Das, was Hegel „begleitende Musik" nennt, also textgebundene Musik, erweist sich als der paradigmatische Fall seiner Musikästhetik. Kein Wunder also, daß seine Ausführungen über diesen Typus von Musik ausgiebiger und materialreicher sind (306—319) als das, was er zur sogenannten „selbständigen Musik" (319-323), also zur absoluten Musik zu sagen hat. In der Charakterisierung der absoluten Musik kehrt Hegel zu den abstrakten Bestimmungen des Ausgangs zurück: „Das Prinzip der Musik macht die subjektive Innerlichkeit aus. Das Innerste aber des konkreten Selbst ist die Subjektivität als solche, durch keinen festen Gehalt bestimmt und deshalb nicht genötigt, sich hierhin oder dorthin zu bewegen, sondern in ungefesselter Freiheit nur auf sich selbst beruhend" (320). Zwar kann Hegel nicht

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umhin, der absoluten Musik zuzugestehen, daß sie „rein musikalisch" und von jedem „ihr nicht eigentümlichen Element" befreit ist (ebd.), aber man spürt sogleich die Halbherzigkeit und das Schwankende dieses Zugeständnisses, wenn Hegel z. B. sagt, daß absolute Musik, weil sie nicht Vorstellungen nachgeht, „an das abstraktere Empfinden überhaupt verwiesen" sei, daß sie einen „freilich unbestimmteren Inhalt" ausdrücke und in Gefahr sei, „etwas sehr Gedanken- und Empfindungsloses" (322) oder „leer und trivial" (309) zu werden. Hegels Vorbehalt gegenüber der absoluten Musik ist also unübersehbar. Überblickt man Hegels Musikästhetik im ganzen, so sieht man, daß sich in ihr zwei deutlich unterschiedene Bestimmungen für den musikalischen Gehalt finden. Einmal soll es die Musik, rein als sie selbst genommen, vermögen, abstrakte Innerlichkeit, inhaltlose Subjektivität als solche auszudrücken. Dann aber soll sie, unter die Forderung gestellt, wirkliche Kunst zu sein, die Mannigfaltigkeit konkreter Empfindungen, wie sie durch einen außermusikalischen Text vorgegeben werden, ins musikalische Medium übersetzen und so zum Ausdruck bringen können. Beide Charakterisierungen der Musik sind offensichtlich nicht gleich. Und man sieht nicht, wie ein und dasselbe, nämlich Musik, so Verschiedenes soll leisten können. Einen Zusammenhang zwischen beiden Bestimmungen von Musik stellt Hegel notdürftig durch die wenig überzeugende These her, daß sich „abstrakte Innerlichkeit" im nächsten Schritt zur Mannigfaltigkeit „aller besonderen Empfindungen" (272) entfalte. Wer sich von dieser Konstruktion eines Zusammenhangs nicht einnehmen läßt, wird leicht entdecken, daß mit beiden Bestimmungen der Musik spezifische Schwierigkeiten verknüpft sind. Von der richtigen Einsicht in die Abstraktheit oder Gegenstandslosigkeit des rein musikalischen Elements hatte sich Hegel, gemäß den in seiner Ästhetik herrschenden Kategorien von „Ausdruck" und „Inhalt" dazu leiten lassen, den Inhalt der Musik ebenfalls als etwas Abstraktes zu bestimmen. Was das heißen könnte, bleibt undurchsichtig, solange Hegel Ausdruck und Äußerung, im Grunde ganz simpel, nach dem Modell versteht, daß da ein Inneres ist, das nach außen tritt und vernehmbar wird, indem es sich in äußere Formen ergießt. Abstrakte Innerlichkeit, das gegenstandslose Ich, das Innere als solches, Subjektivität als solche, — all das ist aber nichts, was nach diesem Modell als ein innen vorhanden Seiendes zu verstehen wäre und ist daher auch nichts, was sich in einem bestimmten Äußeren zu äußern vermöchte und ist, nebenbei gesagt, auch nichts, was sich zu einer Mannigfaltigkeit von Besonderem entfalten könnte. Über der Abstraktheit der Musik darf man ihre Konkretheit nicht vergessen, die darin besteht, daß jedes Musikstück,

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zumal (was hier ja das Entscheidende ist) als gespieltes oder aufgeführtes, ein individuelles Klanggeschehen ist. Eine Ausdruckstheorie der Musik wird nur dann überzeugen können, wenn es ihr darzutun gelingt, welches die Sphäre konkreter Sachverhalte ist, die sich in Musik ausgedrückt finden können. Angesichts dieser Forderung wird man Hegels zweiter Kennzeichnung von Musik mehr Chancen auf Überzeugungskraft einräumen, der Kennzeichnung nämlich, wonach die Musik das Vermögen hat, die konkrete Mannigfaltigkeit aller besonderen Empfindungen auszudrücken. Aber um diese Charakterisierung steht es nicht besser. Ihr gegenüber stellt sich nämlich unausweichlich die Frage, wie Musik die ihr zugeschriebene Leistung eigentlich vollbringt, wie man sich den Vorgang vorzustellen hat, wenn eine Empfindung von Musik als ihrem Inhalt ergriffen und zu einem entsprechenden musikalischen Ausdruck gebracht wird. Eine Möglichkeit, diesen Vorgang zu verstehen, haben wir bereits im Zuge der Diskussion um KANTS Musiktheorie verworfen, nämlich die simple Vorstellung, daß Ausdruck in Wirksamkeit, im Hervorrufen einer bestimmten Empfindung bestehe. Offensichtlich, weil er ihre Schwächen sieht, geht Hegel dieser theoretischen Möglichkeit nicht nach. Aber was hat er eigentlich an ihrer Stelle zu sagen? Man braucht nur Nachdruck auf diese Frage zu legen, um zu sehen, daß Hegels Theorie der Begleitenden Musik auf mindestens so unklaren Fundamenten ruht wie seine Theorie der absoluten Musik. Es wundert daher nicht, daß man in der Ästhetik keinerlei Auskunft auf diese Frage bekommt. Hegel sieht, daß ihm naive psychologische Spekulationen verwehrt sind. Zwar glaubt auch er noch, in Interjektionen als den unmittelbaren Äußerungsformen von Seelenzuständen den Ursprung der Musik zu erkennen (273). Aber Musik ist nicht Interjektion, sondern bringt in „kunstmäßiger Weise den Inhalt des Geistes" (ebd.) zum Ausdruck, wobei das Kunstmäßige darin besteht, „die harmonische und melodische Bewegung ganz zum Ausdruck des einmal erwählten Inhalts und der Empfindungen zu verwenden, welche derselbe zu erwecken imstande ist" (275). Eine bessere Formulierung für das Problem der Musik als Ausdruck von Empfindungen kann man kaum geben; nur für die Lösung des Problems wird man diesen Satz Hegels nicht halten können. Denn offen bleibt, welches eigentlich der innere Zusammenhang zwischen dem vorgegebenen Gehalt und der zu ihm gefundenen adäquaten musikalischen Gestalt ist.

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IV. So zeigt sich also, daß Hegels Musikästhetik in ihren beiden unterscheidbaren Stücken ernsthafte theoretische Schwierigkeiten enthält. Hegel vermeidet zwar die Schwäche der KANischen Musiktheorie, aber man sieht nicht, was er Positives an ihrer Stelle zu bieten hat. Nun soll der Hinweis auf diese Schwierigkeiten in Hegels Ästhetik nicht heißen, daß seine Musiktheorie mit einem Schlage für erledigt zu gelten hätte und zu den Akten zu legen wäre. Gerade wenn an meinen Ausgangsüberlegungen etwas dran ist, daß nämlich die Bedeutung von Musik wesentlich etwas mit der Macht zu tun hat, die sie auf den konzentrierten Hörer auszuüben vermag, dann wird man den Eindruck nicht leicht los, daß sich Hegel, allen Unzulänglichkeiten und Zeitgebundenheiten zum Trotz, irgendwie auf dem richtigen Wege befindet. Etwas an den zunächst kritisierten abstrakten Bestimmungen ist auch wieder wahr und kommt heraus, wenn man sie so betont: Daß Musik Subjektivität, „subjektive Innerlichkeit als solche" (262) in Anspruch nehme, das soll vor allen Dingen heißen, daß es der Musik um nichts anderes als Subjektivität geht, aber — so möchte man fortsetzen und das zweite Element in Hegels Musiktheorie ebenfalls zur Geltung bringen — um Subjektivität in konkreter, bestimmter Gestalt. Man möchte also einen Weg finden, die beiden Stücke der Hegelschen Musikästhetik zusammenzubringen, ohne in die bezeichneten Schwierigkeiten zu geraten. Ich möchte zum Schluß meiner Ausführungen dartun, daß sich bei Hegel selbst Ansatzpunkte zu einer Lösung dieser Aufgabe finden lassen. Die Schwierigkeiten, in die Hegels Theorie gerät, hängen meines Erachtens vor allem mit zwei zentralen Begriffsfamilien zusammen: Zur einen gehören Begriffe wie Inhalt, Gehalt und Ausdruck; zur anderen Begriffe wie Innerlichkeit, Subjektivität und Seele. Hegel hat, soweit ich sehe, nicht versucht, die Kategorie des Ausdrucks expressis verbis einer nachhaltigen Klärung zu unterziehen, von wenigen Stellen in der Phänomenologie und Bemerkungen in der Logik und der Enzyklopädie über „Form und Inhalt" einmal abgesehen. Ich will nicht ausschließen, daß sich aus solchen Stellen in seinem Werk eine Hegelsche Theorie des Ausdrucks herauspräparieren ließe. Gleichwohl scheint mir Hegel den Begriff des Ausdrucks, unbefangen betrachtet, einigermaßen naiv und mit der Unterstellung zu gebrauchen, daß zunächst schon etwas da sei, welches in einer Art Übergang in ein anderes Medium zum Ausdruck komme. Die Schwierigkeiten in Hegels Musikästhetik hängen mit der so verstandenen Kategorie des Ausdrucks zusammen. Denn sie treten genau dann in den Blick,

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wenn man nach Auskunft sucht über die Art und Weise des Zusammenhangs zwischen dem äußerlichen, wahrnehmbaren Ausdrucksereignis oder Ausdrucksgegenstand und jenem Inneren, an sich Unanschaulichen, das da zum Ausdruck kommt: Ist jenes Innere etwas Abstraktes, so sieht man nicht, wie es in einem Konkreten wie einem Ereignis oder einem Gegenstand soll zum Ausdruck kommen können; ist das Innere als besondere Empfindung gefaßt, so weiß man nicht, wie hier der Zusammenhang zwischen einer Empfindung und der Ausdrucksgestalt, die ja keine Empfindung ist, beschaffen ist. Begünstigt wird die Entstehung dieser Schwierigkeit durch die Art, wie Hegel von Innerlichkeit, Subjektivität oder Seele redet. Zwar ist in der Ästhetik wie allen seinen anderen Werken deutlich sichtbar, wie Hegel mit aller Kraft darum bemüht ist, substantialistische oder vergegenständlichende Vorstellungen von dem, was Subjekt oder Seele sei, abzuhalten, wozu ihm besonders der Begriff der Bewegung dient. Aber ein vergegenständlichender Gegensatz, nämlich der zwischen Innerem und Äußerem, bleibt bestehen, tritt immer wieder auf und spielt der Problematik des Ausdrucksbegriffs in die Hände. Suchen wir statt nach Defiziten nach positiven Möglichkeiten, so kann der für Hegels Musikästhetik so wichtige Begriff der Empfindung weiterhelfen. Ich halte mich an das, was Hegel in der Enzyklopädie dazu sagt (§§ 399 — 402). Interessant für diesen Zusammenhang sind nicht die durch die Sinnesorgane vermittelten „äußerlichen Empfindungen" (§ 401 Zus.), auch nicht die Empfindung körperlicher Schmerzen, sondern die „inneren Empfindungen". Dabei denkt Hegel einerseits an vorübergehende Regungen und Gefühle wie Zorn, Freude, Scham oder Reue (ebd.), andererseits an dauerhafte Gefühle und Einstellungen wie ein gutes Herz, einen rechtlichen Sinn, Wahrheitsliebe etc. Von solchen inneren Empfindungen sagt Hegel, daß sie, um empfunden werden zu können, verleiblicht werden müssen (§ 401). Das klingt zunächst so, als gäbe es die diversen Empfindungen schon irgendwie und irgendwo, ohne daß sie empfunden würden, und als müßten sie, um empfunden zu werden, noch eine schwer verständliche Transsubstantiation, eben die Verleiblichung erfahren. Das scheint jedoch nicht Hegels Meinung zu sein. Richtiger klingt es nämlich, wenn Hegel sagt: „Das Empfinden überhaupt ist das gesunde Mitleben des individuellen Geistes in seiner Leiblichkeit" (§ 401). Wenn man nun hinzusetzt, daß es Empfindungen nicht gibt, es sei denn, jemand habe sie, und wenn man weiter Hegels Beobachtung unterstreicht, daß das Subjekt „erst durch die Verleiblichung der inneren Bestimmungen" dahin kommt, „dieselben zu empfinden" (§401 Zus.), dann ist es wohl ein erlaubter Interpretationsschritt, Hegel so zu lesen, daß Verleiblichung

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nicht die Verwandlung schon bestehender Empfindungen, sondern eine Bedingung für die Existenz von Empfindungen ist. Empfindungen gibt es nicht, es sei denn verleiblicht. Empfindungen müssen sich verleiblichen, weil sie „ein unmittelbares Dasein gewinnen müssen, in welchem die Seele/ür sich wird" (ebd.). Mit anderen Worten: Eine Empfindung ist ein körperlicher Zustand, der sich (wie Hegel angibt) „unwillkürlich" (ebd.) und auf eine „äußere Veranlassung" hin (ebd.) einstellt und der ein Sich-fühlen des Subjekts ist. Empfindungen sind also körperlich gebundene Reaktionsweisen auf die jeweilige Situation, und sie sind konkrete Weisen des Für-sich-Seins. Soweit der Befund, der sich aus der Enzyklopädie über Empfindungen entnehmen läßt. Die folgenden Überlegungen gehen über Hegel hinaus, aber ich glaube, sie sind in seinem Geiste. Die körperliche Gebundenheit von Empfindungen zeigt sich in einer zwar unterdrückbaren, aber wohl nie fehlenden Tendenz zur körperlichen Bewegung oder zu einem mimischen Verhalten nicht nur des Gesichts, sondern des ganzen Leibes, besonders auch der Stimme. Das mimische Verhalten ist es, wodurch wir uns fühlen. Man kann die Bedeutung von körperlicher Bewegung für das Verständnis dessen, was Empfindungen sind, kaum genügend unterstreichen. Wir haben zwar im Zuge unserer Sozialisation gelernt, nicht einfach durch Bewegung auf die Situation zu reagieren, in die wir gerade geraten, obwohl vielleicht nichts deutlicher zeigen würde, wie wir uns dabei fühlen. Wir haben gelernt, den Bewegungsimpuls zu unterdrücken und uns in bestimmten, sozial anerkannten Formen zu verhalten. Aber diese Tatsachen dürfen einen nicht darüber täuschen, daß eine ursprüngliche Form des Sich-fühlens körperliche Bewegung ist: Wie wir uns bewegen, so fühlen wir uns. Und mir scheint, daß die ursprüngliche Form von Empfindung, in dem hier relevanten Sinne als ein Sich-fühlen in bestimmten Situationen, körperliche Bewegung ist. Erst ein Zweites ist es, dem Drang nach mimischer Bewegung nicht nachzugeben und darum die Empfindung als einen inneren Zustand aufzufassen, der nach außen treten kann, vielleicht auch nach außen strebt, aber nicht nach außen treten muß. Pointiert gesagt: Nicht die Äußerung einer Empfindung in körperlicher Bewegung, sondern ihre Verinnerlichung zu einem im äußeren Verhalten nicht wahrnehmbaren Zustand ist das sekundäre Phänomen. Daß wir lernen müssen, unsere Empfindungen zu verinnerlichen, sie zu benennen und mit ihnen in bestimmten Formen umzugehen, hat natürlich mit dem Zusammenleben von Menschen zu tun; auch für unser Verhalten zu unseren eigenen Empfindungen gibt es Normen und Konventionen. Dazu paßt es, daß unsere Sprache eigentlich arm an Wörtern für Empfindungen ist, verglichen mit den unabsehbar

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vielen, auch individuell verschiedenen Empfindungsmöglichkeiten, die jeder von uns besitzt und für die wir zumeist keine Wörter haben. Die Empfindungswörter scheinen sich nun vornehmlich auf solche Empfindungen zu beziehen, die gewissermaßen sozial konventionalisiert sind und mit bestimmten Normen in Zusammenhang stehen: Sich bei bestimmten Gelegenheiten nicht zu freuen oder zu sehr zu freuen, gar nicht oder zu traurig zu sein, gehört sich nicht. Was aber ist mit dem großen Bereich der unbenannten und nuancierten Empfindungen oder Formen des Sich-fühlens, die ein Subjekt, ein bestimmtes Individuum viel mehr kennzeichnen als die typisierten und mit Namen belegten? Wir können sie uns und anderen kenntlich machen, indem wir uns entsprechend bewegen oder uns durch das rhythmische und melodische Angebot eines Musikstücks in Bewegung versetzen lassen. Jetzt, hoffe ich, wird deutlich, was den Begriff der Empfindung für die Musikästhetik so interessant macht. Empfindung ist ein Sich-fühlen, und zwar ursprünglich in der Form des Sich-bewegens. Jedes Sich-bewegen ist ein Sich-fühlen. Nun stellt jede Musik (wenngleich nicht für jedermann und nicht zu jeder Zeit - man findet sich nicht immer in eine Musik hinein) für den Hörer ein Angebot des Mitgehens, Mitschwingens, ja im genauen Sinn eines Sich-mitbewegens, und eines entsprechenden Sichfühlens dar. Genau genommen, ist ja das Stillsitzen beim Musikhören eine künstliche Haltung, die die natürliche Tendenz, sich irgendwie mitzubewegen und infolgedessen sich irgendwie zu fühlen, unterdrückt. Wahrscheinlich ist es so, daß wir die Fähigkeit ausgebildet haben, beim Musikhören in der Vorstellung mitzuvollziehen, wie wir uns bewegen würden, so daß wir, auch ohne uns wirklich zu bewegen, der entsprechenden Empfindung innewerden können. Die Macht der Musik ist also keine uns schlechterdings überwältigende Gewalt. Man kann ihr widerstehen. Aber wir können uns ihr eben auch hingeben und überlassen, und werden uns dann in bestimmter Weise fühlen oder eine Empfindung haben, für die wir in den allermeisten Fällen gar kein Wort besitzen. So erklärt sich, warum wir einerseits gegenüber Musik den bestimmten Eindruck haben, ihr Gehalt sei Empfindung, und es auf der anderen Seite doch zumeist lächerlich arm finden, was man von diesem Gehalt in Worte fassen kann. Das aber ist auch nicht nötig, wenn wir uns klarmachen, daß unser Leib das Organ der Empfindung ist: Es gibt sie nicht anders außer als verleiblichte, und wir kennen sie gerade in den spezifischen Nuancen auch gar nicht anders als in ihrer verleiblichten Gestalt. Sprache der Empfindungen ist Musik nicht deshalb, weil sie die benennbaren Empfindungen irgendwie nachzuahmen und in musikalische Form übersetzen ver-

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mag, sondern vielmehr deshalb, weil sie für die vielen unbenannten und oftmals sogar noch unbekannten Empfindungen Bewegungsmuster zur Verfügung stellt. Daß Musik Empfindungen ausdrückt, heißt nicht, daß sie schon gegebene Empfindungen als ihren Inhalt ergreift und in ein musikalisches Medium transponiert, sondern es heißt, daß sie Formen des Sich-bewegens, mithin des Sich-fühlens, also von Empfindungen darbietet. Aber ist diese vielleicht reichlich gewagte Spekulation nicht den schon erhobenen Vorwürfen ausgesetzt, daß Ausdruck von Empfindung nicht mit der Auslösung von Empfindung zu verwechseln ist? Läuft die angedeutete Idee nicht schnurstracks auf eine Theorie hinaus, derzufolge eine Empfindung auszudrücken heißt, sie im Hörer auszulösen? Die Sache ist verzwickt, weil man sowohl mit „ja" wie mit „nein" antworten muß. Natürlich können wir Empfindungen kennen, erinnern und wiedererkennen, ohne sie zu haben. Aber wir können Empfindungen nicht kennen, ohne sie je gehabt zu haben. Gerade dort, wo es nicht um die gleichsam konventionalisierten und mit Worten benannten Empfindungen geht, kann Musik ein Doppeltes leisten: Sie bietet uns an, uns von ihr in Schwingung und Stimmung, in ein Sich-fühlen oder eben in eine Empfindung versetzen zu lassen, die wir so vielleicht noch niemals hatten, und die wir so und nur so kennenlernen. Und die Musik, sei es eine Phrase, eine Melodie, ein Satz oder ein ganzes Stück kann uns späterhin als Ersatz für den Mangel an Wörtern dienen und unter Umständen in irgendeiner ganz anderen Lebenssituation als genaueste Bezeichnung für unsere Stimmung oder Empfindung in jener Lage dienen. Wenn man sich (mit Hegel) vor Augen hält, daß die Seele, daß unser Inneres, daß das Subjektive nichts Festes und nichts Feststehendes, sondern ein sich Bewegendes und sich Bildendes ist, das zu seiner baren Existenz der bestimmenden Form bedarf, dann darf man diese Spekulation vielleicht noch einen Schritt weiterführen und behaupten, daß wir der Kreativität der Musik Weisen des Empfindens, also Seele verdanken. Es geht in der Musik also wirklich um das Sichselbstvernehmen, um Inneres, um Subjektivität als solche, aber es geht in der Musik nicht um abstrakte Subjektivität, sondern um ganz konkrete Gestalten des Sich-fühlens. Wie die Malerei uns Formen zur Verfügung stellen kann, die Welt zu sehen, so kann uns Musik Formen des Sich-fühlens, also Seele zur Verfügung stellen. Und insofern nimmt sie an jenem Prozeß der Entfaltung und Entwicklung des subjektiven Geistes teil, der darin besteht, uns für uns selbst Gestalt zu verleihen und Existenz zu geben.

KLEINE BEITRÄGE

HEGELS EVOLUTIONSKRITIK

1. — Im Lichte der modernen Evolutionslehre verdichtet sich die in einer Vielfalt verlorene Fülle des Lebens zur Einheit. Die verschiedensten hoch diversifizierten Lebewesen sind nach dieser Theorie von einfachen Vorläufern abzuleiten. Insofern wird es möglich, diese komplexen Strukturen als Endpunkte in der Entwicklung, als Verzweigungen eines oder mehrerer in der Vergangenheit verwurzelten Stämme zu begreifen. Solche „Monophylie" wird denn auch zentrales Dogma jeder vergleichend-systematischen Rekonstruktion der Verwandtschaftsverhältnisse. Sind sie aus Früherem, Einfachem entstanden, wird es möglich, die rezenten Organismen aufeinander zu beziehen. Alles Existente besitzt eine zumindest in Teilen gemeinsame Vorfahrenreihe. Insoweit ist die erdrückende Vielfalt der Organismen vereinheitlicht. Über das Postulat einer Monophylie gewinnt die Biologie ihren definierten Objektbereich. Sie ist als Wissenschaft geboren. Ein gegen diesen Theorienansatz polemisierendes Denken wird für die Biologie somit nicht nur eine Teilhypothese in Frage stellen; es bezweifelt vielmehr den Grundsatz dieser empirischen Wissenschaft. Solche Diskussion zielt nicht nur auf ein „Wie" des Theoriegefüges, sie problematisiert das „Ob" solcher Konstruktion. Insofern ist gerade die Hegelsche Polemik gegen die Evolutionslehre — selbst aus dem Zusammenhang gerissen — für jeden Biologen zunächst ein Affront. Eine entsprechende Wertung seiner Aussagen ist damit prädisponiert. Hält diese Reaktion gegen die Thesen Hegels und die damit implizit ausgesprochene Ablehnung einer Denkmethodik, die zu solchen Teilaussagen führen konnte, in der angesprochenen Problematik das letzte Wort? 2. — Hegels Diktum gegen die Evolutionslehre ist eindeutig: In dem Verweis an die Geschichte liege keine Erklärung für die uns derzeit vorliegende Struktur der Organik. Der Verweis an die Geschichte hebe die Beschreibung der Natur nicht auf eine höhere, analytische Ebene, sondern weite sie allein aus. Hier aber insistiert die moderne Biowissenschaft: gerade die abgestrittene Erklärungsfunktion der Genesis sei durch die DARWiNsche Evolutionslehre bewiesen. Sie postuliere einen Mechanismus — von Adaption und Selektion —, der über die Zeit eine Eigendynamik entwickle und so die Gestalt der rezenten Biosphäre bestimme. Vor einer Diskussion dieser Sachfrage hat zunächst aber die Rekonstruktion des Hegelschen Argumentes selbst zu stehen; denn Hegel richtete sich nicht gegen DARWIN, auch LAMARCK findet sich nicht erwähnt. Worauf bezieht sich also die von

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Hegel so pointiert formulierte Absage an eine Evolutionslehre? Demgegenüber ist die Diskussion der prinzipiellen Seite von Hegels Argumentation zunächst zurückzustellen: Ein Rekurs auf die Historie eines Geschehens erkläre an diesem nichts. Diese Aussage — dies sei vorweggenommen — richtet sich gegen die Qualität, die diesem Historischen zugesprochen wird. Trägt die Genesis die Erklärung der Qualität des Existenten, oder verbirgt sich in diesem Zeitablauf eine Strukturgesetzmäßigkeit, an der die eigentliche Analyse ansetzen müßte? Hegels Formulierungen sind klar: „Die zwei Formen, in denen der Stufengang der Natur gefaßt worden, sind Evolution und Emanation. Der Gang der Evolution, die vom Unvollkommenen, Formlosen anfängt, ist, daß zuerst Feuchtes und Wassergebilde waren, aus dem Wasser Pflanzen, Polypen, Mollusken, dann Fische hervorgegangen seien, dann Landtiere; aus dem Tiere sei endlich der Mensch entsprungen. Diese allmähliche Veränderung nennt man Erklären und Begreifen, und diese von der Naturphilosophie veranlaßte Vorstellung grassiert noch, aber dieser quantitative Unterschied, wenn er auch am leichtesten zu verstehen ist, so erklärt er doch nichts." (Enz. § 249 Zus.) Die Vorstellung einer Evolution ist nach Hegel durchaus möglich, ihre potentielle Faktizität ist unbestritten: Sie ist sogar „notwendig", um die Einheit der Natur erfassen zu können, sie selbst in der Stufung ihrer Organisation in sich zu überführen. Dies geschieht eben „vermittelst einer Evolution" (Enz. § 252 Zus.). Damit richtet sich die Argumentation also von vorneherein nicht gegen die Realität eines Evolutionsgeschehens sondern vielmehr gegen einen möglichen Anspruch, diese Historie der Natur führe dazu, das Natürliche zu begreifen. Hegel richtet seine Ablehnung nicht gegen die Möglichkeit solchen Geschehens, sondern auf die daran geknüpften theoretischen Implikationen, die - und dies dürfte zunächst befremden — seinen Worten zufolge „durch die Naturphilosophie veranlaßt" seien (Enz. § 249). Damit weist Hegel auf ein konkretes Bezugsmoment für seine Argumentation. Dieses finden wir im Konzept seines ehemaligen Kollegen, des Botanikers VOIGT. Dieser unterbreitet in seinem Lehrbuch der Botanik die Evolutionsvorstellung, die Hegel im Zusammenhang der betrachteten Kritik referiert. Nach VOIGT entsteht das Leben aus im Wasser flottierienden „erdigen" Substanzen, die sich unter Bestrahlung mit Licht so verändern, „daß es das Allerfeinste in thierische Gallerte, das Gröbere zu Kalk verwandele, und beide nicht mehr als bloßes Krystall, sondern mollusken — und zoophytenartiges Geschöpf auf den Meeresboden niedersenken konnte".* Unter fortwährender Einwirkung von Licht konnten sich in dem von erstem Leben bevölkerten Milieu nun auch spontan entstandene höhere Lebensformen halten. So daß schließlich über „Polypen, Mollusken, Fische und Landtiere" auch der Mensch ins Dasein fände. Die Abfolge tieferer und höherer Daseinsformen bietet insofern allein die Bühne zur Präsentation naturaler Vielfalt, auf der auch höchste Lebensformen, wie ein Phoenix, immer wieder neu entständen. Nur die höheren Formen stünden in komplexeren, sie * F. S. Voigt: Lehrbuch der Botanik. Jena 1808. 210.

Hegels Evolutionskritik

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zumindest im Zeitpunkt ihrer Manifestation bindenden Wechselwirkungen mit dem Milieu. Sie können sich erst durchsetzen, wenn die niederen Formen — von denen sie sich dann zu ernähren hätten — präsent sind. Die Grundorganisation der Natur ist nicht Resultat einer sich über Jahrmillionen hinziehenden Entwicklung, sie ist für VOIGT Voraussetzung jeder Evolution. Diese ist insoweit für ihn dann nur die Aufführung eines schon „fertigen" Stückes und eben keine eigengenerierte Schöpfung. Diesen Grundgedanken, daß die Natur in ihrer Strukturbestimmtheit eben Bedingung einer sich in ihr vollziehenden Entwicklung sei, erst die vorgegebene Organik des Naturalen das Lebendige evolvieren lasse, nimmt auch Hegel auf. Die Natur ist ihm „als ein System von Stufen zu betrachten, die eine aus der anderen notwendig hervorgeht" {Enz. § 249). Die Stufung ist also kein bloß willkürliches, der Kategorisierung eines ordnend-systematisierenden Sammlers entsprungenes Klassifikationsraster. Sie ist die „reale" Darstellung der Natur. Nun ist für Hegel damit aber nicht gesagt, daß die höhere der Stufen aus der niederen „natürlich erzeugt würde" (ebd.). Ein genetisches Verständnis der Entfaltung in Sinne unserer modernen Evolutionsvorstellungen verbiete sich hier; „Aus dem Wassertier ist aber nicht natürlich ein Landtier hervorgegangen, dieses nicht in die Luft geflogen, noch der Vogel dann etwa wieder zur Erde zurückgefallen". (Enz. § 249 Zus.) Das zugegebene Nacheinander der Formen ist nicht als Abstammung zu deuten. Hegel wird noch deutlicher: Er erkennt die Daten einer vergleichenden Betrachtung an. Auch seinen Worten zufolge „ist es wohl richtig, wenn man bemerkt, das dieses Tier eine Herzkammer, jenes zwei hat; aber man muß dann nicht sagen, es sind Stücke hinzugekommen, als wenn dies geschehen wäre" (ebd.). Die verschiedenen Realisationen der Idee des Lebens sind voneinander unabhängig. Gemeinsam ist ihnen, daß sie Teil der Natur sind. Insoweit finden sie sich auch zusammen, sie sind Realisationen einer Grundidee, der Organik. Die Verwandtschaft der Tiere A und B ist nur Ausdruck dafür, daß sie je verschiedene Formulierungen desselben Naturprinzips sind. Nicht eine äußerlich, vordergründig „natürliche" Abstammung sondern die eine „den Grund der Natur ausmachende Idee" {Enz. § 249), die sich eben in verschiedenen Organisationsstufen konkretisiere, gebe den Ansatz zu einem Verständnis der graduierten Präsentation des Organisch-Materiellen. Bewußt an GOETHE anlehnend gibt Hegel hierzu das Stichwort „Metamorphose". Die Stufung des Naturalen präsentiere die Metamorphose der Idee der Natur, die aber schon in allen Stadien sie selbst und somit in allen — auch den niederen Stufen ihrer Entfaltung schon vollends Natur sei. GOETHES Werk über die Metamorphose der Pflanzen zeigt die gleiche Grundidee. Der Typus der Pflanze ist die ihr mögliche Struktur, die in der unendlichen Fülle der Individuen unter jeweils verschiedenem Akzent verwirklicht ist. D. h. das Individuum ist jeweils nur als Konkretion eines Momentes der Grundidee „Pflanze" verstanden. Dies Konzept überträgt Hegel auf die gesamte Natur. Die mit der konkreten Metamorphose z. B. eines Käfers verbundene Zeitlichkeit der Entwick-

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lung ist hier allerdings nur eine äußerliche Bestimmung solcher Schichtung. Die Stadien: Embryo, Larve, Puppe, Imago werden bei dem Insekt zwar sukzessive durchlaufen, doch bringt dies auch einen Entomologen nicht dazu, die Raupe eines Kohlweißlings und die Imago unterschiedlich zu benennen. Die Abfolge der Stadien vermag auch nicht die Struktur der Art zu erklären. Vielmehr ist es gerade Chrakteristikum dieser Art, entsprechende Stadien zu durchlaufen. Dies Charakteristikum hätte ich also zu erklären, will ich die Struktur der Art verstehen. Begnüge ich mich mit der Erläuterung, erst kam die Larve, usw., so verbleibe ich im Reich reinen Beschreibens. Eine Geschichte wäre erzählt, doch keine Analysis gewonnen. Übertragen wir diesen Gedanken nun auf die Natur: Ich zeichne — nach Hegel — wenn ich die Abfolge der Schichten benenne, in denen sich die Natur entfaltet, nur die Stadien nach, in denen sich die schon immer bestehende Struktur der Natur ausformt. Will ich die Natur begreifen, muß ich verstehen, warum diese sich uns nur als evolvierendes System präsentiert. Dies zu Erklärende nun selbst zur Lösung anzusetzen, aus der Realität der Genesis der Natur ihre Struktur zu bestimmen, führt an der Problematik nur vorbei. Die Genese einer Struktur erklärt nicht diese selbst; die Idee, daß sie geworden ist, befreit mich nicht von der Aufgabe, sie zu begreifen. Wir haben - wollen wir Hegels Einwand verstehen — also zwischen der bloßen Existenz und der Qualität dieser Existenz zu unterscheiden, die Realität einer etwaigen Entwicklungsreihe steht nicht in Frage. Es mag die zeitlich sukzessive Folge in der Stufung der Organik geben. Hegel zeichnet in der Realphilosophie selbst ein entsprechendes Bild.^ Im Hegelschen Denken wäre diese Zeitlichkeit als eine Äußerlichkeit, als Tribut der Versinnlichung der Organik zu verstehen. Sie wäre bloße Illustration, und als solche aus der Struktur des sich versinnlichenden diskursiven Denkens auch zu fordern.^ Hegel interessiert nicht, die Beschreibung der ihm vorliegenden Struktur der Organik noch zu erweitern, indem er sich deren Geschichte versichert. Er will deren Typik erfassen. Insofern ist die Stufung, kommt ihr Realität in diesem Sinne zu, nicht als eine äußerlich dynamische, sondern als der Idee selbst immanente Selbstexplikation der Natur zu verstehen. Die Organik der Natur ist zu erfassen, ihre Typik zu begreifen. Der Typus selbst ist nun keine Weltformel, die sich ja dann erst ins Werk setzen müßte und so der Zeitlichkeit als notwendiger Bedingung bedürfte. Die Idee der Natur — und das heißt zugleich auch schon jeweils konkrete Natur (denn das Konkret-Sein ist ja notwendiger Bestandteil des Begriffes von Natur) — ist immer schon reale Natur. Sich erst ins Werk setzend wäre die Natur ja nicht aus sich und damit nicht in sich real. Zu fordern ist also eine in sich existente, d. h. entfaltete Totalität, denn nur spezifiziert in ihre Detaillierung hat sie ihre Realität. Als bloße Idee wäre die Natur ja wieder nichts an sich sondern

^ Hegel: Jenaer Realphilosophie. Hrsg, von J. Hoffmeister. Hamburg 1931. 103 ff. ä Hegel: Wissenschaft der Logik. Teil 2: Die subjektive Logik. Abschnitt 3: Die Idee.

Hegels Evolutionskritik

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eben nur die Idee und damit ideal und nicht real und so ihrer Notwendigkeit selbst enthoben. Die Natur ist also immer reale Natur, ihre Realität findet sie in ihrer Diversifizierung, d. h. in ihrer Stufung, die eben insofern notwendig ist. — ScHELLiNG formulierte im ersten Entwurf seines Systems der Naturphilosophie^: daß die „Thätigkeit der Natur nur unendliche Evolution aus einer ursprünglichen Involution wäre". Hegel formuliert in der Enzyklopädie: „Die Evolution ist so auch Involution, indem die Materie sich zum Leben involviert." (Enz. § 252 Zus.) Evolution ist nach SCHELLING die immer neue Entfaltung der Typik des Naturalen, die sich in ihrer fortwährenden Regeneration in der benannten Stufung etabliert. Evolution ist damit bloße Entfaltung, der ihre Zeitlichkeit nur dadurch zukommt, daß sich diese Entfaltung immer wieder neu in ihre Form bringt. Hegel denkt demgegenüber statisch. Zwar kennt er den Prozeß der Gattung, in den sich das Einzelne überführt, doch ist ihm die Natur nicht in einer Tätigkeit, einer sich in sich tragenden Bewegung. Ihre Dynamik erhält die Natur - nach Hegel - erst aus dem sich auf sie richtenden Denken, nur in diesem wird sie wahrhaft lebendig. Die Typik statuiert sich in der Konfiguration der Individuen, die im Einzelnen aber nicht in ihrer Form wechselt. Auch der Biologe spricht nur von Arten, bestenfalls von Populationen, nicht aber von einer Folge näher zu benennender Individuen. Die Natur ist in ihrer Involution in sich selbst gegründet, existent. Doch ist sie solcherart in sich gegründet doch nur als das Entfaltungsfähige, d. h. als sich evolvierende Natur verständlich. Die Zeit dieser Entwicklung ist insofern eine unwesentliche Bestimmung, nicht die Zeit bestimmt die Struktur, vielmehr bedingt die Struktur der Natur ihre „Verzeitlichung". In der Zeit schuf sich bestenfalls das Milieu, das den Boden für die Präsentation des der Natur Inhärenten bot. Jenes selbst ist aber Natur, die sich insofern denn auch in ihrer Evolution nur involviert. Damit reduziert sich diese — hier dem Hegelschen Verständnis nachgezeichnete — Evolutionsvorstellung aber zur bloßen Anekdote, die — unwesentlich zu Bestimmung der Organik — nur in ihrer Notwendigkeit als solche ein Interesse gewinnen kann. 3. — Hegel zielt in seiner Kritik über den dargelegten konkreten Bezug somit aber gegen jeden „Historismus" der Biowissenschaften. Solch prinzipielle Kritik trifft auch eine Darwinistische Evolutionslehre. DARWIN vermochte unter der Idee des „struggle for existence" eine Eigendynamik des Biotischen zu postulieren, die keine vorherbestimmte Typik mehr inaugurieren ließ. Die sich evolvierende Organik glich vielmehr einem Münchhausen, der sich selbst am Schopfe hielt. Denn der Existenzkampf ließ — in dieser Vorstellung - mit einer gewissen Zeit - für jede „neu" ansetzende Art einen jeweils völlig neuen Raum, in dem sie sich gegenüber solch veränderten Umständen zu ■* Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie. In: f. W. ]. Schelling: Werke. Hrsg, von M. Schröter. 3. Aufl. München, 1977. Bd 2. 102.

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behaupten hätte. Insofern fortwährend im Fluß blieben die Rahmenbedingungen für die Neuentstehung und Konsolidierung solch etwaiger „neuer" Arten nie gleich. Die Entwicklung wurde ziellos, nur noch sich selbst verpflichtet. Resultat solchen Geschehens ist ein sich fortwährend diversifizierendes System interagierender Arten, das aber nur vorübergehend stabilisiert und insgesamt auch keinem normierenden Trend verpflichtet ist. Die synthetische Theorie vermochte unter Einbeziehung der ersten Ergebnisse der Genetik dieses Konzept in den 30er Jahren zu erweitern und insbesondere mit dem Mutationskonzept auch das bisherige Postulat „zufälliger Entstehung neuer Typen" auf ein analytisches Fundament zu setzen. Eine weitere Vertiefung erfährt die Evolutionslehre derzeit mit den neueren Befunden der Molekular- und Populationsbiologie.® Die zentralen Vorstellungen einer fortwährenden Umverteilung und Umformung des Erbgutes einer Population erlauben ein Verständnis der zunächst als richtungslos gezeichneten Systemdynamik der Evolution. Wir betrachten hier eine Genesis, deren Gesetzmäßigkeit rekonstruiert werden kann und sie als eine ateleologisch, rein aus sich zu verstehende Natur begreift. Die hier gewonnene Natur ist nicht mehr die bloße dem Ich gegenüberstehende Formel potentieller Verwirklichung des dem Ich Anderen; sie steht — buchstäblich — auf eigenen Füßen. Ist sie damit, daß ihre Zufälligkeit, ihre Individuation einem ersten analytischen Verständnis zugänglich scheint, aber nicht jeder mit Hegel ansetzenden Kritik entzogen? Die Evolutionslehre erklärt — und widerspricht damit faktisch der Hegelschen Polemik. Hat sich dessen Argumentation folglich also völlig zurückzuhalten? Was erklärt nun aber die insoweit bestehende Evolutionstheorie? Verstehe ich unter den skizzierten Prämissen die Richtung der in ihr vollzogenen Entwicklung und kann ich entsprechend die vorliegende Organik auch in ihrer Qualität ausdeuten? Reicht das Prädikat „entwickelt" hier zu einer näheren Kennzeichnung zu? Wir verstehen noch sehr wenig von der Organisation biologischer Strukturen, dies zeigt etwa die doch erst seit kurzem eröffnete Sicht auf eines der komplexesten Teilsysteme biologischer Organisation — das Immunsystem. Bleibt in dieser Situation der oft sehr schnell vollzogene Rückzug der Biologie gegenüber Fragen nach der Qualität des von ihr Untersuchten auf das Phänomen Evolution nicht vorschnell? Operieren wir hier mit der Evolutionslehre nicht zu leichtfertig? Diese Frage kann sich hier nur andeuten.® Im Blick auf Hegel läßt sich zumindest ein Aspekt dieser Problematik akzentuieren. Die Biologie kennt nur eine Minimalvorstellung von „Erklärung". Erklärung ist ihr — speziell im Zusammenhang evolutionärer Modelle — genau das, was es mir erlaubt, aus einer Ereignisreihe a, b .. . n ein neues Ereignis A abzuleiten. Hierbei schließe ich, um die Reihe zu konstruieren, von A — dem rezenten Systemelement

® Siehe hierzu; G. G. Stebbins/F. J. Ayala: Die Evolution des Darwinismus. In: Spektrum der Wissenschaft. Sept. 1985, 58—71. ® Vgl. meinen Aufsatz: Zur wissenschaftskonstitutiven Funktion der Evolutionslehre. In: Philosophia naturalis. 20 (1983), 365-381.

Hegels Evolutionskritik

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— zurück auf dessen Antecedenzbedingungen a, b, ... n. Mir genügt es hierbei zu wissen, daß immer wenn a, b, . .. n, dann A ist. Schon diese sehr reduzierte Erklärung leistet die Evolutionslehre jedoch nur mit Einschränkung, muß sie doch zunächst von einmaligen Ergebnissen ausgehen. Speziell die moderne Genetik kann hier zwar Bauprinzipien der Veränderung des Erbgutes aufweisen, die eine nicht nur singuläre Geltung haben^, doch was sagt mir eine entsprechende Feststellung? Es gibt Dispositionen, bestimmte näher eingegrenzte Entwicklungsmöglichkeiten, die mir etwaige Entwicklungsvorgänge in Teilbereichen verständlich werden lassen. Was sagt mir diese spezifizierte Vorstellung von der Entwicklung einer Organismengruppe, von speziellen Trends setzenden Strukturveränderungen des Genoms aber über die Qualität der schließlich als Resultat zu findenden Organisation? Uns fehlt beispielsweise schon jede spezifiziertere Vorstellung von Selektions- und Adaptionsprozessen, die eine etwa entstandene Struktur stabilisieren ließen. Insoweit kann die — sehr lückenhafte — Analysis der Mechanik des Evolutionsgeschehens also bestenfalls die Möglichkeit einer Sukzession postulieren, deren Kausalität rekonstruieren und versuchen in ihr allgemeiner gültige Gesetzmäßigkeit zu identifizieren. Sie wird damit vielleicht die konkrete Abfolge der Entwicklung hinreichend verständlich machen, doch bedeutet dies, daß ich hiermit letzthin A als Funktion der insoweit aufgewiesenen Reihe deuten kann? — Hegels Ansatz war different: Verständnis eines Sachzusammenhanges ist nur zu erlangen, wenn dessen Struktur erkannt wird; es ginge nicht darum, die Ornamentik seiner Ausgestaltung sondern die Struktur seiner Gestalt zu erfassen. Erweitere ich nun eine Beschreibung der mir vorliegenden Struktur, indem ich sie als Endpunkt einer Entwicklungsreihe begreife, verbleibe ich — dem Hegelschen Denken nach — in der Ornamentik. Die insbesondere der Evolutionslehre eigene Schlußfigur, die die Notwendigkeit einer Entwicklung a, b, . .. n zu A nur aus dessen temporaler Schichtung ableitet, vermag die hiermit aufgewiesene Grenze eines aus der Beschreibung zu gewinnenden Verständnisses nicht zu überschreiten. Denn wenn ein A sich nur aus der Reihe erklären läßt, was zeichnet es selbst aus? Diese Problematik wird vereinzelt auch innerbiologisch diskutiert.® Die Notwendigkeit der dargestellten Reihe ist zudem bloßes Postulat, da zur Rekonstruktion zwar Gesetzmäßigkeiten bemüht werden konnten, die aber doch immer nur die Möglichkeit, nicht aber die konkrete Gestalt der Reihung abzuleiten erlaubten. Insofern widerspricht ein streng analytischer Anspruch an die Evolutionstheorie auch bestimmten Zügen des Theorieentwurfes. Muß ich doch — um die Darstellung analytisch zu begründen — eine strikte Kausalität fordern. Andererseits ist aber Charakteristikum der uns vorliegenden Entwicklung, daß sie ziellos, zufällig ist. Ein sinnvoller Lösungsansatz findet sich hier wohl zunächst in einem Versuch,

’’ Vgl. B. Lewin: Genes. 2. Aufl. New York Chichester 1985. ® M. Eigen: Goethe und das Gestaltproblem in der modernen Biologie. In: Rückblick in die Zukunft. Hrsg, von H. Rösner. Berlin 1981, 209-255.

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etwaige Systembedingungen von Evolution zu rekonstruieren und somit nicht allein die Entwicklung einer isolierten Art sondern die eines Biotops zu beschreiben. Die damit einzubringende Komplexität mag aber eine vereinfachende Lösung sehr erschweren. Festzuhalten bleibt beim bisherigen Stand der Forschung, daß eine strikte Kausalität der Abfolge nicht zu fordern ist, vielmehr nur Teilmechanismen analysiert und in ihrem möglichen Effekt auf die Entwicklung zu rekonstruieren sind. Damit bleibt diese selbst aber nur in Ansätzen begriffen. Kann ich aus einer in ihrem analytischen Anspruch dergestalt offener Theorie nun aber die mir vorliegenden Strukturen ableiten? Hier trifft nun die Hegelsche Kritik, aber hier scheiden sich auch die Geister: Verbleibe ich in einer pragmatischen Wissenschaftsauffassung, die zunächst die Tragfähigkeit der erarbeiteten Konzeption weiter auszutesten sucht, ist Hegel abzulehnen. Seine Kritik ist nicht konstruktiv, sie richtet sich nicht gegen Einzeltheoreme sondern gegen den Erklärungsansatz in seiner Gesamtheit. Suche ich Kriterien, über solch relative — heuristische Konzeptionen zumindest den Blick für den diese Forschung tragenden Grundsatz nicht zu verlieren, bleibt die Hegelsche Kritik von Interesse. Hegel geht auf das Ganze. Für ihn ist solches Detailwissen immer nur aus einer Einbettung in den gesamten Denkvollzug verständlich. Diese Perspektive völlig zu vergessen, bedeutet denn auch gegenüber einer Realität, die sich für uns ja nicht im möglichen analytischen Zugang einer Teildisziplin erschöpft, seine Augen zu verschließen. Olaf Breidbach (Bonn)

CHEMISCHE EINSICHTEN WIDER WILLEN

Hegels Theorie der Chemie Schon zu Hegels Zeit wurden die stöchiometrischen Gesetze chemischer Umsetzungen als glänzende Bestätigung des Atomismus und als entscheidende Widerlegung „der speculative(n) Philosophie gewisser deutscher Schulen"^ interpretiert. So behauptete BERZELIUS 1827, die Proportionsgesetze wären „für immer unbekannt geblieben unter der Herrschaft dieser Philosophie"^ — gemeint waren Hegel und ScHELLiNG. Aber gerade die stöchiometrischen Gesetze stehen in der Wissenschaft der Logik als hervorragende Beispiele für die Logik der Maßverhältnisse, chemische Begriffe wie Neutralität, Verwandtschaft und Wahlverwandtschaft werden für logische Bestimmungen verwendet. Am Ende seines Lebens unternahm Hegel nochmals umfängliche Studien der Chemie, um das Maßkapitel zu überarbeiten. Hegels Bestimmung des Verhältnisses von Stoff und Reaktion, seine Begründung des Äquivalentgewichts und die der Wahlverwandtschaft sollen dargestellt werden. Hegels Bestimmung des Verhältnisses von Stoff und Reaktion Das „chemische Objekt" ist wesentlich durch seine „Beziehung auf Anderes" — seine Reaktionen mit anderen Stoffen - „und die Art und Weise dieser Beziehung" {Werke. V. 201)^ — die quantitativen Gesetze dieser Reaktionen - bestimmt. Deshalb ist das „chemische Objekt" nicht aus ihm selbst begreiflich, sein Begriff enthält entgegengesetzte Bestimmtheiten, die an zwei Objekte gesetzt sind. — Der Säure-Begriff enthält den Basen-Begriff, ist Totalität entgegengesetzter Bestimmtheiten. Real ist dieser Gegensatz an zwei besonderen „gegeneinander negativen und gespannten" {Werke. V. 200) Stoffen. Das Verhältnis der gespannten Objekte gegeneinander wird als ihre Verwandtschaft (ebd. 202) bezeichnet. Für ein einzelnes chemisches Objekt ergibt sich somit der Widerspruch: Sein Begriff ist Totalität entgegengesetzter Bestimmtheiten, der Existenz nach ist es einseitiges auf ein an-

' /. /. Berzelius: Lehrbuch der Chemie. Übersetzt von F. Wöhler. Dresden 1827. Bd 3, Abt. 1. 29. 2 Ebd. 30. 2 Werke. V = Hegel: Werke. Berlin 1832 ff. Bd 5: Wissenschaft der Logik. Teil 2.

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deres bezogenes Objekt, diese Beziehung macht seine chemische Bestimmung aus. Weil im chemischen Objekt unmittelbare Existenz und immanenter Begriff sich widersprechen, hat dieses Objekt an ihm selbst „ein Streben, die Bestimmtheit seines Däseyns aufzuheben, und der objektiven Totalität des Begriffes die Existenz zu geben" (Werke. V. 202). Damit ist der „chemische Proceß" gesetzt, der sich negativ gegen die selbständigen Bestimmtheiten der Objekte verhält und sie in einer dem Begriff gemäßen Einheit aufhebt. Die realen Unterschiede der Objekte sind im Reaktionsprodukt aufgehoben; der Begriff, der die entgegengesetzten Bestimmtheiten der Ausgangsstoffe Säure und Base als Momente enthält, ist in der „Neutralität" (Werke. V. 203) realisiert. Zur Kritik: Für Hegel ist im chemischen Prozeß nur die einseitige Selbständigkeit des chemischen Objekts aufgehoben, dagegen dessen wesentliche Bestimmung bewahrt. Deshalb kann er dem Prozeß vorausgesetzte Qualitäten der Substanzen in Bestimmungen des Prozesses und dessen quantitativer Relationen auflösen. Hegel polemisiert gegen vorausgesetzte chemische Elemente; die von ihm als zentral angesehenen Elemente (Stickstoff, Sauerstoff, Wasserstoff, Kohlenstoff) sind wie alle anderen chemischen Stoffe Resultat des „realen Processes" (Werke. VII, 1. 369)* und durch diesen begründet. „Sein Gang ist das Bestimmende, und die Bestimmtheiten der Körperindividuen [der chemischen Substanzen] haben nur in seinen unterschiedenen Stufen ihren Sinn." (Werke. VII, 1. 377) Richtig an der Hegelschen Bestimmung des Verhältnisses von Objekt und Prozeß ist, daß chemische Qualitäten nur in der Beziehung auf andere Substanzen, also in chemischen Reaktionen, zu bestimmen sind. Hegels Fehler, den er mit Chemikern des 20. Jahrhunderts, die gar nichts von ihm wissen wollen, teilt, liegt darin, die spezifische Qualität einer Substanz vollständig in den Bestimmungen der Reaktionen dieser Substanz - modern gesprochen: in den Freien Reaktionsenthalpien, den Aktivierungsenthalpien etc. aufgehen zu lassen. Weder können aus der Freien Reaktionsenthalpie die spezifischen chemischen Qualitäten der reagierenden Substanzen noch aus den vorausgesetzten chemischen Qualitäten die Freie Reaktionsenthalpie deduziert werden. Für eine chemische Reaktion und die Bestimmung von Reaktionsenthalpien sind spezifisch unterschiedene Substanzen vorausgesetzt, obgleich der Unterschied der Substanzen nicht ohne spezifische Reaktionen bestimmbar ist. Hegels Begründung des Äquivalentgewichts Wenn zwei Stoffe, die miteinander zu einem dritten reagieren, nur durch die „einfache Qualität" (Werke. III. 426)^ bestimmt, also das wären, was sie sind, dann würden sie im Reaktionsprodukt sich aufheben — am Beispiel: Schwefelsäure und Natronlauge reagieren zu Glaubersalz (und Wasser), die Schwefelsäure, als einfa* Werke. VII, 1 = Hegel: Werke. Bd 7, Abt. 1: Naturphilosophie. 5 Werke. III = Hegel: Werke. Bd 3: Wissenschaft der Logik. Teil 1, Abt. 1.

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che Qualität genommen, verschwindet im Glaubersalz als in einem anderen „Etwas". Sind die Stoffe dagegen durch spezifizierte Maße bestimmt, sind sie vergleichbar untereinander und in dem zu bildenden Maßverhältnis enthalten. Die stöchiometrischen Mengen — 98 g Schwefelsäure, 80 g Natronlauge — sind spezifizierte Maße, das stöchiometrische Verhältnis ist deren Einheit, ein Maßverhältnis. Während die einfachen Qualitäten untergehen, erhalten sich die Maße im Maßverhältnis und sind dessen spezifizierende Momente. Die Möglichkeit, mathematische Relationen auf qualitativ unterschiedene, vergehende und entstehende Stoffe anzuwenden, also Reaktionsgleichungen zu formulieren, liegt darin begründet, daß einem Stoff wesentlich ein spezifiziertes Maß zukommt. Dieses resultiert aus den stöchiometrischen Relationen des betreffenden Stoffes mit allen anderen, was ohne Reaktionen und spezifische Qualitäten der Stoffe nicht denkbar ist. Insofern wäre für das spezifizierte Maß die besondere Qualität z. B. der Schwefelsäure vorausgesetzt. Weil aber das chemische Objekt den Prozeß setzt, weil also die chemische Qualität der Schwefelsäure deren Reaktionen begründet und nur durch diese bestimmt werden kann, ist für Hegel die Qualität der Schwefelsäure die Summe aller chemischen Prozesse derselben. Diese Prozesse sind durch die stöchiometrischen Gesetze bestimmt, aus deren Zahlenverhältnissen sich die spezifizierten Maße ergeben. Dasjenige, was den Prozeß bewirkt (die Schwefelsäure), wird im Prozeß zu einem Maß spezifiziert, welches das Ansichbestimmtsein, die chemische Qualität der Schwefelsäure ausdrückt. Insofern ist die vorausgesetzte einfache Qualität im spezifizierten Maß aufgehoben und durch es ersetzt. Mit einem spezifizierten Maß ist die Reihe der Relationen dieses Maßes mit den anderen erschlossen. Denn ohne chemische Reaktion und deren stöchiometrische Verhältnisse erzwingendes Gesetz ist eine spezifische Bestimmung des einzelnen Stoffes unmöglich. Hegels charakteristischer Fehler aber besteht in der Behauptung, das Verhältnis der Maße sei hinreichend bestimmt als Bedingung der Möglichkeit des einzelnen spezifizierten Maßes und deshalb könne zur Reihe der Maßverhältnisse übergegangen werden. Damit sind die besonderen Voraussetzungen des Prozesses, die aus diesem logisch sich nicht ableiten lassen, unterschlagen — so z. B., daß die Reaktionen eindeutig und vollständig ablaufen, daß Säure und Ba^ bis zum Äquivalenzpunkt titriert werden. Die Umsetzung der qualitativ unterschiedenen Stoffe Schwefelsäure und Natronlauge wird durch eine Massenrelation dargestellt, in der die Grammzahlen der Reaktionspartner als Quanta miteinander kompatibel sind. Die für die Neutralisation Schwefelsäure/Natronlauge erhaltene stöchiometrische Verhältniszahl ist nur äußerliche Bestimmtheit für das neu gebildete Maßverhältnis. Denn Schwefelsäure kann auch mit Kalk, Magnesia oder Ammoniak neutralisiert werden, was durch Maßverhältnisse charakterisiert wird, die nur als Zahlenverhältnisse unterschieden und als solche Quanta gleichgültig gegeneinander sind. In nur einem, somit willkürlich herausgegriffenen Zahlenverhältnis drückt sich die „specifische Eigenthümlichkeit" {Werke. III. 427) des neuen Maßverhältnisses nicht aus. Wie die bei-

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den Ausgangsstoffe wesentlich durch die spezifizierten Maße des Anfangs so ist die entstandene „Neutralität" wesentlich durch dieses neue Maßverhältnis bestimmt. Die Neutralisationsreaktionen der Schwefelsäure mit den verschiedenen Basen ergeben verschiedene Zahlenverhältnisse; bezogen auf dieselbe Einheit (1000 g Schwefelsäure) sind es äquivalente Mengen der Basen. Die Reihe dieser Zahlen ist das aus den quantitativen Massenrelationen zurückgekehrte Qualitative der Schwefelsäure. Für die Neutralisationsreaktionen von 1000 g Salpetersäure ergibt sich eine andere für Salpetersäure eigentümliche Reihe der neutralisierenden Basenmengen. Schwefelsäure reagiert nicht mit Salpetersäure in einer Neutralisationsreaktion, beide können lediglich verglichen werden. Ist das Qualitative der Säure als die Reihe der Verhältniszahlen bestimmt, besteht der qualitative Unterschied zwischen Salpetersäure und Schwefelsäure im (quantitativen) Unterschied der Reihen. Ein Vergleich dieser Reihen ist aber unbestimmt, denn sie sind auf die Einheit 1000 g bezogen, was als Festsetzung willkürlich ist, die Reihen also mit beliebigen Faktoren multipliziert werden können. Um Salpetersäure und Schwefelsäure in ein spezifiziertes Verhältnis zu setzen, bedarf es eines gemeinschaftlichen Maßstabs, einer „fürsichseyenden Einheit" {Werke. III. 428); Einheit insofern, als ein für alle Säuren gemeinschaftlicher Maßstab vorliegt, fürsichseiend insofern, weil der Maßstab als Resultat aus den Relationen von sehr vielen besonderen Säuren zur bestimmten Reihe der Basen zurückkehrt. Denn nur der Vergleich der Reihen sehr vieler Säuren ermöglicht die Entdeckung, daß diesen Reihen ein konstantes Verhältnis zugrundeliegt: das Verhältnis der Äquivalentgewichte der Basen. Weil dieses Zahlenverhältnis für alle Säuren dasselbe ist, drückt es die Qualität „Säure schlechthin" aus, während der Faktor, mit dem dieses Zahlenverhältnis multipliziert werden muß, um die äquivalenten Mengen für eine besondere Säure zu erhalten, gerade die spezifische Qualität dieser Säure angibt. Werden die neutralisierenden Reihen auf eine besondere Säure bzw. Base mit dieser als Einheit (1000 g) bezogen, so erhält man verschiedene Reihen, die nicht zu einem System zusammenstimmen. Hegel gibt die Normierungsbedingung an: für eine Säure müssen der Zahlenwert in Gramm, der die gegenüberstehende Reihe der Basen neutralisiert, und diejenige Menge, die verglichen mit den Mengen anderer Säuren eine herausgegriffene Base neutralisiert, in demselben Quantum zusammenfallen. FISCHER^ hatte 1802 diesen Normierungsschritt für die von RICHTER’’ vorgelegten Reihen vollzogen. Damit kann zu einer Säure bzw. Base ein einziger Zahlenwert zugeordnet werden, das Äquivalentgewicht. Hegel anerkennt weder vorausgesetzte Elemente noch qualitativ unterschiedene Atome. Er geht von einem bestimmungslosen Substrat aus. Jeder Unterschied soll durch den Prozeß erst hergestellt und im System der quantitativen Relationen

^ E. G. Fischer: Anmerkung zu C. L. Berthollet, Über die Gesetze der Verwandtschaft. Berlin 1802. 229-235. ’ /. B: Richter: Anfangsgründe der Stöchyometrie oder Meßkunst chimischer Elemente. Bd 1. Breslau 1792.

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bestimmt werden. So kehrt aus dem System der stöchiometrischen Verhältnisse der Substanzen das Äquivalentgewicht als einfache, fürsichseiende Bestimmtheit, als spezifische Qualität zurück. Richtig daran ist, daß das Aquivalentgewicht die Totalität der gesetzmäßigen Relationen voraussetzt. Jedoch ist für Hegel das Äquivalentgewicht begründete, gesetzte Qualität, in der die vorausgesetzten Qualitäten der Stoffe und deren Reaktionen aufgehoben seien. Das Äquivalentgewicht sei eine aus den quantitativen Relationen zurückgekehrte Qualität, die als in sich bestimmte Maßgröße Prozesse begründe. Die aus den stöchiometrischen Relationen mögliche Deduktion des Äquivalentgewichts als eine spezifische Bestimmtheit der Substanz nimmt Hegel fälschlicherweise für eine Deduktion der Voraussetzung der Relationen aus diesen selbst. Die Voraussetzung, die spezifische Qualität der Substanz, wäre damit aufgehoben, sie wäre begründet, d. i. gesetzt durch das System der Relationen. Hegels Begründung der Wahlverwandtschaft Die spezifische Qualität einer Substanz ist deren Verhalten in allen möglichen chemischen Prozessen. Die Prozesse ihrerseits sind durch die stöchiometrischen Relationen bestimmt. Das aus ihnen deduzierte Äquivalentgewicht ist nicht akzidentelle Bestimmtheit an einer Substanz, sondern Ansichsein, die spezifische Bestimmung der Substanz. Äls Äquivalentgewicht tritt die Substanz in das System der Relationen ein, bestimmt dieses System und wird durch es bestimmt. Eine besondere Base wird durch äquivalente Mengen verschiedener Säuren neutralisiert. Diese Mengen sind als Quanta gleichgültig gegeneinander. In der Gleichgültigkeit der Quanta drückt sich das spezifische Reaktionsverhalten der Base nicht aus, sondern lediglich die Qualität „Verwandtschaft schlechthin" - die Base steht im gespannten Verhältnis mit Säuren, sie hat die Fähigkeit, mit ihnen, abgesehen von deren Besonderheiten, Salze zu bilden. Einer Base kommt zugleich die entgegengesetzte Bestimmung, nämlich die Wahlverwandtschaft zu: Indem eine Wahlverwandtschaft eingegangen wird — z. B. die des Ca^+ mit H2SO4, werden alle anderen möglichen Salzbildungen mit der Reihe der Säuren, alle anderen möglichen Wahlverwandtschaften ausgeschlossen - so auch die zu CO2, um GOETHES Demonstrationsbeispiel aus dem Roman Die Wahlverwandtschaften zu zitieren.® Bezogen auf den Prozeß der Neutralisation einer Base und dessen stöchiometrisches Gesetz ist der Unterschied der einzelnen Säuren lediglich quantitativ gefaßt, als die äquivalenten Mengen. Die „Verwandtschaft schlechthin", das gespannte Verhältnis Säure-Base setzt (d. h. begründet) ein Substrat „Neutralität schlechthin". Daraus könnte geschlossen werden, daß die speziellere Bestimmtheit innerhalb der Verwandtschaft, die Wahlverwandtschaft, durch die unterschiedlichen quantitativen Relationen innerhalb dieses Substrats „Neutralität schlechthin" bestimmt wäre. Hegel erkennt, daß aus dem stöchiometrischen Massenverhältnis bei ® /. W. von Goethe: Poetische Werke. Bd 12. Berlin, Weimar 1976. 41.

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der Neutralisation nicht unmittelbar die besondere Spezifität der Wahlverwandtschaft folgt. Bis zu Hegels Zeit hatten Chemiker versucht, die Wahlverwandtschaften oder Affinitäten durch die stöchiometrischen Massenrelationen zu begründen. Die Hypothesen über einen solchen Zusammenhang widersprachen sich, BERGMAN nahm direkte Proportionalität, BERTHOLLET umgekehrte Proportionalität an.^ Hegel kann erklären, warum jene Versuche unternommen wurden: Wenn die Wahlverwandtschaft auf das die stöchiometrische Massenrelation ausdrückende Quantum zurückgeführt wird, dann lassen sich unter Voraussetzung des Umschlagens von extensiver und intensiver Größe unmittelbar sowohl stöchiometrische Massenverhältnisse als auch Wahlverwandtschaften/Affinitäten ablesen. Und Hegel entdeckt den Fehler, weshalb jene Versuche zwangsläufig scheitern mußten: das Quantum ist gleichgültig dagegen, ob eine Verbindung allein oder eine Kombination im entsprechenden Verhältnis entsteht; also kann das bloße Quantum als Substrat genommen die Wahlverwandtschaften nicht begründen. Aus dieser Hegelschen Erkenntnis folgt, daß eine von den Massenrelationen spezifisch unterschiedene Qualität existieren muß, die die Rangfolge unter den Wahlverwandtschaften oder Affinitäten regelt. Diese Qualität kann quantifiziert werden: Die Freie Bindungsenthalpie ist das Maß, das angibt, welche Reaktionen in welchem Ausmaß bevorzugt bzw. benachteiligt sind. Hegel führt Argumente {Werke. III. 432) gegen ein identisches Substrat vor, das keine weitere qualitative Bestimmung hätte als diejenige, quantifizierbar zu sein, und das sich extensiv und intensiv in Materie und Energie zerlegte. Ein solches Substrat könne gerade nicht die Differenz von Materie und Energie aus sich heraus setzen. Zugleich kann Hegel wegen seines idealistischen Gesamtprogramms nicht zugestehen, zwei unterschiedene Qualitäten oder Substanzen Materie und Energie vorauszusetzen. Wie Hegel diese seine Aporie löst, sei im folgenden skizziert: Ein chemisches Objekt enthält an sich die Beziehungen zu allen möglichen Reaktionspartnern, seine chemische Qualität ist sein Verhältnis zu den ihm entgegengesetzten Objekten, die Realisation dieses Verhältnisses (der Verwandtschaft) ist der chemische Prozeß. Bezogen auf das schlichte Ablaufen von chemischem Prozeß unterscheiden sich die Reaktioirspartner durch die umgesetzten Mengen — am Beispiel: bezogen auf den Prozeß der Neutralisation ist es für eine besondere Base gleichgültig, welche der möglichen Säuren diese neutralisiert, bezogen auf den Begriff „Neutralität schlechthin" kann von den Besonderheiten der neutralisierenden Säuren untereinander abgesehen werden, sie zählen jeweils nur als neutralisierende Quanta. Jene Gleichgültigkeit der umgesetzten Quanta bezogen auf den Prozeß begründet für Hegel ein Substrat „Neutralität". In diesem ist die vorauszusetzende qualitative Differenz der Salze gelöscht, an ihm gibt es lediglich quantitative BesHmmtheiten (die stöchiometri-

’ H. Kopp: Geschichte der Chemie. Bd 2. Braunschweig 1844. Nachdr. Hildesheim 1966. 313, 323; T. Bergman: Von der Attraktion. Kleine Physische und Ghymische Werke. Bd 3. 1785, 360-614; C. L. Berthollet: Essai de Statique Chimique. Bd 1. Paris 1803. Nachdr. New York, London 1972.

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sehe Zusammensetzung der Salze). Die quantitative Bestimmtheit schlägt um in eine qualitative, die hierdurch begründet sein soll. Logisch ist dieses Umschlagen als Negation der Negation gefaßt. Die erste Negation ist die der vorausgesetzten Qualität — die Äquivalentgewichte sind als Quanta gleichgültig gegeneinander, sie drücken weder die spezifische Qualität der Substanzen noch deren unterschiedliches Reaktionsverhalten aus. Die zweite Negation, die Negation der ersten: Im chemischen Prozeß ist das Übergehen der einander gleichgültigen Quanta negiert, die Äquivalentgewichte werden „negativ gesetzt" (Werke. III. 429), d. h. in ein konstantes, beide gegenseitig bestimmendes Verhältnis gesetzt. In der Verbindung sind die Äquivalentgewichte in einer negativen, ausschließenden Einheit; ausschließend insofern, als das konstante Verhältnis andere Äquivalentgewichte ausschließt. Somit schlägt das gleichgültige, bloß quantitative Verhalten der Äquivalentgewichte um in deren negatives, ausschließendes Verhalten in der Verbindung. Für Hegel ist damit die spezifische Qualität, die Wahlverwandtschaft, begründet. Dem muß widersprochen werden. Richtig sind der Schluß auf das besondere Salz als vorauszusetzendes Substrat des konstanten Massenverhältnisses und der Schluß auf eine von den Massenverhältnissen qualitativ unterschiedene und ebenfalls vorauszusetzende Energiegröße, falsch dagegen ist die Begründung einer spezifischen Qualität als zurückgekehrt aus den quantitativen Relationen. Resümee Hegel unternimmt eine philosophische Begründung theoretischer Begriffe der Chemie. Programm ist die Ersetzung vorausgesetzter qualitativer Substanzen durch Maßbestimmungen; dieses Maße stehen in quantitativen Relationen; aus dem System dieser Relationen kehren spezifizierte Maßgrößen zurück (was an den Beispielen Äquivalentgewicht und Wahlverwandtschaft demonstriert wird); im Unterschied zu den vorausgesetzten Substanzen sind diese Maße begründet. Mit Blick auf dieses Programm erweist sich die verbreitete Entgegensetzung positivistische Naturwissenschaft versus idealistische Naturphilosophie als Irrtum. Hegel fördert wider Willen chemische Einsichten gerade dadurch, daß er den logischen Gehalt dieses problematischen Programms mit auch vom Positivismus nicht übertroffener Stringenz durchdenkt. Es resultiert ein Text, der immanent auf seine Kritik hin konstruiert zu sein scheint. Ulrich Ruschig (Oldenburg)

WESTDEUTSCHE ZENTREN IN DER UMBRUCHSZEIT UM 1800

Für den Stuttgarter Beamtensohn Hegel muß es eine entscheidende Erfahrung gewesen sein, daß der bunte Flickenteppich des deutschen Südwestens mit seinen Fürstentümern, bischöflichen Gebieten, Reichsritterschaften, Reichsabteien und Reichsstädten nach 1800 in wenigen Jahren im wesentlichen auf zwei arrondierte Länder — Baden und Württemberg — sich reduzierte. Diese Länder mußten eine neue Verfassung finden; Hegel selbst hat sich zweimal zu den Verfassungsbemühungen in seinem Heimatland Württemberg geäußert; 1798 in einer ungedruckt gebliebenen Flugschrift, von der nur Fragmente überliefert sind, und 1817/18 in einer aktuellen kritischen Besprechung der Stuttgarter Ständeverhandlungen. Das Repräsentativsystem oder — wie Hegel schließlich mit dem späteren Titel sagte — die konstitutionelle Monarchie schienen die Lösung der Verfassungsprobleme zu bringen. Doch der Heidelberger Professor Hegel, der noch im Frühjahr 1818 zu Verhandlungen über eine Tübinger Stelle in Stuttgart war, ging nach Berlin, um in einem Mittelpunkt und nicht in der Provinz zu sein. Hegel entschied sich gegen Baden und gegen Württemberg für Preußen, das nach den Befreiungskriegen nicht nur das voll berechtigte Mitglied der europäischen Pentarchie geworden war, sondern auch mit seinen neugewonnenen disparaten Gebieten sich über die Verfassungsbemühungen und über die Bildung erst zu einem einheitlichen Staat formen mußte. Diese Aufgabe zog Hegel an, doch blieb die versprochene Verfassung aus; die Bildungsbemühungen aber machten Berlin zur führenden, modellhaft wirkenden Universität. Preußen tat dann das, was Hegel ihm gerade nicht als Aufgabe hatte zuweisen wollen; es organisierte die deutschsprechenden Länder zu einem neuen Reich. Dieser Weg führte schließlich in die Katastrophe; Preußen, auf das Hegel gesetzt hatte, verschwand aus der Geschichte. Auch Hegels Gedanken waren aber schon nach Amerika und nach Rußland geschweift und hatten dort die Möglichkeiten zu einer neuen weltgeschichtlichen Entwicklung gefunden. Man darf nicht übersehen, daß Hegel als achtundvierzigjähriger Mann mit einer vollausgebildeten Gedankenwelt nach Berlin gekommen ist. ln die Jahre seines Studiums fiel die Eranzösische Revolution und damit das Ereignis, das den Tübinger Studenten besonders aufregen mußte. Die eigentliche Ausbildung der Hegelschen Gedankenwelt fiel in seine Hofmeister- und Dozentenjahre, die Hegel nach dem krisenhaften Vorspiel in Bern in Frankfurt am Main und in Jena verlebte, ln

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Frankfurt konnte Hegel aus nächster Nähe erfahren, in welcher Weise die westdeutschen Gebiete und Zentren unter den Auswirkungen der Französischen Revolution erschüttert wurden und sich veränderten, ln Jena lebte er einige Jahre lang im Schatten der trügerischen Ruhe des Baseler Friedens zwischen Preußen und Frankreich; diese Ruhe gestattete es immerhin, in Weimar das aufzubauen, was man später die deutsche Klassik genannt hat, und in Jena der idealistischen Philosophie und der Romantik zum Durchbruch zu verhelfen. Es war die Handelsstadt und freie Reichsstadt Frankfurt selbst, die Hegel während seiner vier dortigen Jahre die größten Anregungen gab. Indem Hegel CARTS Schrift gegen die Herrschaft Berns über das Waadtland übersetzte und sich zum württembergischen Verfassungsstreit äußerte, bewahrte er sich in Frankfurt, was ihm auf seinem früheren Weg an Erfahrungen zuteil geworden war. HöLDERLINS nächster Freund, ISAAK VON SINCLAIR, gab mit seinem Kreis vom nahen Homburg vor der Höhe aus Anregungen. Hegel hatte sich in seinen Berner Aufzeichnungen kritisch über die Länder mit „geistlichen Herren" geäußert; von Frankfurt aus besuchte er 1798 und 1800 das französisch besetzte Mainz. Zumal der letzte Besuch dort könnte im Zusammenhang mit Hegels Plänen gestanden haben, verschiedene Universitäten zu besuchen. Hatte Mainz nicht einmal — wie das Königsberg KANTS und das Düsseldorf JACOBIS — einen Reichtum geistiger Interessen gezeigt, als ein toleranter Erzbischof und Kurfürst JOHANNES VON MüLLER, GEORG FöRSTER und WILHELM HEINSE an die Universität und den Hof gezogen hatte? Diese Zeit war vorbei, doch auch aus der Erneuerung der Mainzer Universität mit französischer Hilfe wurde nichts — wie FRANZ WILHELM JUNG (der Freund SINCLAIRS, HöLDERLINS und Hegels, der direkt an diesen Bemühungen beteiligt war) erfahren mußte. In seiner Schrift über die Verfassung Deutschlands setzte Hegel auf eine Erneuerung und Selbstbehauptung des Reiches unter der Führung Österreichs. Dabei schlug er vor, Mainz (das doch in den Händen der Franzosen war) zum „Centralort" des Reiches für die auswärtigen Angelegenheiten zu machen. Später ist dann Frankfurt Sitz des Bundestages geworden; Mainz machte sich für Hegel nur noch bemerkbar als Sitz jener zentralen Untersuchungskommission, die nach den Karlsbader Beschlüssen die „Demagogen" zu verfolgen hatte. Innerhalb der Reihe Deutscher Idealismus ist (nach Bänden über Homburg vor der Höhe und Frankfurt) ein Band dem Glanz und dem Sturz von Mainz in den Umbruchsjahren um 1800 gewidmet; Mainz — „Centralort des Reiches". Politik, Literatur und Philosophie im Umbruch der Revolutionszeit. ^ Die einzelnen Aufsätze dieses Sammelbandes handeln über die Geschichte des geistlichen Kurfürstentums und der Stadt Mainz in den Jahren des Untergangs des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Weitere Themen sind die Geschichte der Mainzer Universität und der Mainzer Kantianer, das Wirken von FRANZ WILHELM JUNG und die Geschichtsschreibung von NIKLAS VOGT, die Positionen von WILHELM HEINSE, JOHANNES VON MüLLER und GEORG FöRSTER, der Toleranzgedanke 1 Hrsg, von Christoph Jamme und Otto Pöggeler. Stuttgart: Klett-Cotta 1986. 347 S.

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bei FöRSTER und WILHELM VON HUMBOLDT, die Musik und die Kunsttopographie im damaligen Mainz. CHRISTOPH JAMME handelt in seinem Artikel (282—294) über Hegel und Mainz. Dabei wird sichtbar, daß Hegel wohl schon (wie HöLDERLIN) in seiner Studienzeit von HEINSES Ardinghello Kenntnis genommen hat. GEORG FöRSTERS Ansichten übten einen prägenden Einfluß auf den jungen Hegel aus. Die Berichte von Vater und Sohn FöRSTER über ihre Weltreise wurden von Hegel benutzt; wenn Hegel in die Vorerinnerung der CART-Übersetzung das „Discite iustitiam moniti" wie ein Motto einflicht, dann übernimmt er das oft gebrauchte VERGiLzitat wohl aus Försters Parisischen Umrissen. Indem Hegel VOLNEY (im französischen Original) las, wandte er sich einem Autor zu, um den auch FöRSTER sich bemüht hatte. JOHANNES VON MüLLER wird mit seiner Geschichte der Schweiz schon in der Übersetzung der CARTSchrift herangezogen (für die Frage der ständischen Repräsentation). MüLLERS Schrift über den Fürstenbund wird in der Verfassungsschrift verwertet. Als Bamberger Zeitungsredakteur verbreitete Hegel MüLLERS Rede vor den Kasseler Ständen. In Heidelberg und Berlin nahm Hegel sich noch einmal MüLLERS postum erscheinende sämtliche Werke vor. Damit zeigt sich, daß nicht nur das Schicksal der Stadt Mainz bei Hegel auf Resonanz stieß, sondern auch die geistigen Bemühungen im alten Mainz ihn geformt haben. So mögen hier die Ausführungen stehen, mit denen der Band über Mainz am 22. Mai 1986 im Mainzer Ratssaal dem Oberbürgermeister der Stadt übergeben und der Öffentlichkeit vorgestellt wurde: Geht man durch eine Stadt wie Mainz, dann ist immer noch eine Geschichte von zweitausend Jahren unmittelbar gegenwärtig: im Römisch-Germanischen Zentralmuseum, im Dom, vor den Resten des kurfürstlichen Schlosses. Das römische Legionslager Moguntiacum wurde zur Hauptstadt der Provinz Germania Superior; das christliche Mainz gliederte sich ein in die Pfaffengasse der geistlichen Fürstentümer von Lüttich und Trier über Köln und Mainz bis Würzburg, Bamberg und Salzburg. Der Mainzer Erzbischof und Kurfürst wurde zum Erzkanzler des Reiches; was Mainz für den kulturellen Bereich bedeutete, zeigt sich z. B. daran, daß GUTENBERG hier die Buchdruckerkunst erfand. Durch die Forschung mußte der Vergessenheit erst wieder entrissen werden, daß Mainz als Residenz eines geistlichen Kurfürstentums Vorort der Aufklärung hat werden wollen und durch viele Jahre hindurch Orten wie Weimar und Jena, die später so berühmt wurden, überlegen war. Doch der Umsturz in Europa, der durch die Französische Revolution den entscheidenden Anstoß bekam, hat dem „Goldenen Mainz“ den Untergang gebracht. Mainz war schöner wiederhergestellt worden, als es in den Eroberungskriegen LUDWIGS XFV. zerstört worden war (1689). Als es um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert in Schutt und Asche sank, wurde es wiederhergestellt als Festung, die zuerst von Frankreich aus gegen Osten gedreht wurde, dann als deutsche Bundesfestung wieder gegen Westen. Mainz sank, eingezwängt in den Festungsgürtel, zu einer hessischen Provinzstadt herab. Der Schrecken über den Sturz von Mainz wurde von den Zeitgenossen eindrucksvoll beschrieben. Der Historiker JOHANNES VON MüLLER, der lange in Mainz gewirkt hatte, kam 1793 noch einmal nach Mainz zurück, als die Stadt wenigstens

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für einige Jahre den französischen Truppen wieder entrissen worden war. Er fand einen Haufen Schutt, „zermalmten Schutt", dazu den Geruch verwesender Leichen in den Trümmern. Die Ruinen erinnerten ihn noch an Bauten, die „Meisterstücke des Geschmacks" gewesen waren; doch was VON MüLLER noch kurz vorher in Mainz erlebt hatte — z. B. die Versammlung der Fürsten nach der Wahl des Kaisers FRANZ II. unmittelbar vor dem verhängnisvollen Aufbruch nach Frankreich —, war ferne Vergangenheit. JOHANNES VON MüLLER ging heim wie nach einer Predigt über das Buch Kohelet, das von der Vergänglichkeit und Nichtigkeit alles Irdischen spricht. Die Hoffnungen, die von Mainzer Gelehrten wie GEORG FöRSTER und dann auch von jüngeren Leuten wie dem Frankfurter Hofmeister HöLDERLIN an ein republikanisches Mainz geknüpft worden waren, erfüllten sich nicht. Wenn Hegel damals in seinen Überlegungen über die Verfassung Deutschlands Mainz in einem wiederhergestellten deutschen Reich zum „Centralort" für die auswärtigen Angelegenheiten machen wollte, dann zeigte schon die alte Schreibung des Wortes „Centralort" an, daß etwas Antiquiertes und nichts Zukünftiges gesucht wurde. Die Auslieferung von Mainz an Frankreich war von dem jungen GöRRES ZU Recht als Tod des Reiches aufgefaßt worden. GOETHE, der als Schlachtenbummler 1793 an der Belagerung und Rückeroberung von Mainz teilgenommen hatte, wollte sich nicht mehr darüber betrügen, daß die alte Welt nicht wiederkehren würde. Er nutzte die vergehende Zeit und baute in den Jahren der Ruhe nach dem Baseler Frieden das auf, was man später die Weimarer Klassik nannte. Vor Mainz kämpfte auch der noch nicht sechzehnjährige HEINRICH VON KLEIST, dazu der Gefreiter-Korporal CARL VON CLAUSEWITZ, der während der Belagerung dreizehn Jahre alt und Fähnrich wurde. CLAUSEWITZ hat nicht vergessen, daß die Zeit sich gewandelt hatte, obwohl das französisch besetzte Mainz in Flammen aufging: in den Revolutionsheeren stand nach der levee en masse den Truppen der alten Monarchien ein völlig neuer Gegner gegenüber; nach den Befreiungskriegen hat CLAUSEWITZ in der einsamen Arbeit an seinem Buch Vom Kriege gefragt, ob und wie diese neue Form des Krieges noch zurückzubinden sei an eine Politik, die eine sinnvolle Zukunft sucht. Das Unglück von Tschernobyl bei Kiew erinnert uns daran, daß unsere Städte heute auch im sog. Frieden und ohne Erdbeben über Nacht ausgelöscht werden können. Wie schnell die Dinge sich auch ohne große Umwälzungen wieder ändern und wie hartnäckig sich andere Dinge auch nicht ändern, sei an zwei persönlichen Erinnerungen verdeutlicht: an einen Besuch in Mainz um 1950 und an ein damaliges Seminar über den Artikel 29 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, das ja 1949 in Kraft trat. Gleich nach den Kriege hatte Mainz nicht zuletzt durch die französischen Initiativen und Hilfen seine Universität bekommen oder wiederbekommen; man war sich darüber im Klaren, daß nur die geistige Erneuerung aus einer europäischen Perspektive heraus in die Zukunft führe. Doch damals gab es nur wenige Städte, in denen die Zerstörung einen so lähmenden Eindruck hinterließ wie in Mainz; niemand konnte ahnen, daß die Stadt als Hauptstadt eines Bundeslandes und z. B. als Sitz einer Großorganisation des Medienwesens wie des ZdF eine völlig neue Rolle in einer neuen Bundesrepublik

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spielen werde. Die Diskussion über den Artikel 29 des Grundgesetzes zur Neugliederung des Bundesgebietes stellte heraus, daß neue Ländergrenzen unumgänglich seien. Für diese Neugliederung gab es radikale Vorschläge, z. B. den Plan der City-Bildung, der neue Verwaltungseinheiten um die führenden Großstädte herumleg. n wollte. Die Muß-Vorschrift der Neugliederung wurde später in eine Kann-Vorschrift umgewandelt; ein Buch zu diesem Artikel aus dem Jahre 1983 (von ALMUTH HENNINGS) trägt den Titel Der unerfüllte Verfassungsauftrag. So schmerzlich das gerade für Mainzer ist — eine realistische Einsicht sagt: die Verwaltungsgewohnheiten und Steuerforderungen, dazu die eingespielten Interessen der Verbände stehen auch einer marginalen Neuordnung der Ländergrenzen entgegen. Wird es also in absehbarer Zeit eine Neuordnung nicht geben, so hat sich jedoch längst etwas anderes vollzogen: die Profilierung führender Städte und neuer Regionen (z. B. auch der Euregio zwischen Rhein, Ems und Ijssel über die alten europäischen Ländergrenzen hinweg). Vieles von dem, was heute noch die Landkarte bestimmt, hat sich schon in dem großen Umbruch um 1800 durchzusetzen begonnen. Betrachten wir etwa den deutschen Südwesten in dem alten römischen Dekumatland hinter dem Limes: seit dem Untergang des staufischen Kaiserhauses und damit auch des Herzogtums Schwaben gab es dort keine Führungsmacht mehr! Zwischen der Pfalz im Norden und der Schweiz im Süden lagen die zersplitterten Gebiete von BadenDurlach und Baden-Baden und die vorderösterreichischen Lande, ferner die Hohenzollerschen Länder und Fürstenberg, bischöfliche Gebiete wie Speyer mit Bruchsal, Reichsabteien wie die Reichenau und Zwiefalten, Deutschordensgebiete und eine Fülle von Reichsritterschaften und Reichsstädten. Natürlich war Altwürttemberg oder Wirtemberg ein größerer Block. Aber nicht weit von Stuttgart lag die freie Reichsstadt Eßlingen. Binnen weniger Jahre blieben von diesem Flickenteppich neben den Hohenzollerschen Kleinfürstentümern nur noch Baden und Württemberg, und wenn wir heute ein Land Baden-Württemberg kennen, dann ist der Unterschied zwischen seinen beiden Teilen keineswegs vollständig aufgehoben. Wenn man jedoch nach dem Wiener Kongreß von Stuttgart aus versuchte, diese alten Gebiete des Reiches als dritte Kraft zwischen Österreich und Preußen zu etablieren, dann wurde der Versuch schnell zum Scheitern gebracht. Mainz war nach längerem Hin und Her Hessen-Darmstadt zugeschlagen worden; eine besondere Weisheit des Wiener Kongresses sollte darin liegen, daß Preußen nun mit den Provinzen Rheinland und Westfalen gegen Frankreich, das Europa an den Rand des Abgrunds geführt hatte, die Wacht übernehmen sollte. Damit war nicht nur vorprogrammiert, daß nach einigen friedlicheren Jahrzehnten Preußen zum Kampf gegen Österreich antrat und sich erneut mit Frankreich maß. Vielmehr brach nach wiederum einigen Jahrzehnten der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn im Ersten Weltkrieg auseinander. Doch ein heimatloser Wiener organisierte von Preußen-Deutschland aus jenes großdeutsche Reich, das den Imperialismus nachzuholen suchte, mit dem England sein Weltreich aufgebaut hatte, mit dem aber auch die Amerikaner und die Russen als Basis ihrer Macht jeweils einen halben Kontinent in ihren Besitz gebracht hatten. Der Wahnwitz HITLERS brachte die Zer-

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schlagung Deutschlands, die Zerstörung des Zusammenwohnens vieler NaHonalitäten in Mitteleuropa und die Vernichtung des Judentums dort, damit den Untergang Europas als der einstigen Mitte der Welt. Die Deutschen, die seit je in den offenen und ungeschützten Gebieten Mitteleuropas mit anderen Völkern zusammenlebten, sind durch ihre ganze Geschichte hindurch in den verschiedensten Weisen geteilt gewesen. Als die Staufer in den Süden ausgriffen, meldete sich ihr Gegensatz gegen die Welfen. Als die Deutschen um 1500 an die Spitze einer religiös-geistigen Reform traten, wurden sie durch die konfessionellen Unterschiede, die zu politischen Unterschieden wurden, zerrissen und stürzten schließlich in den Dreißigjährigen Krieg. Als BISMARCK ein zweites deutsches Reich gründete, verfestigte er nur den Riß zwischen Preußen und Österreich. HITLER, der die Deutschen erstmals in ihrer Geschichte zu einigen schien, zerriß auf die makaberste Weise ihre Einheit, indem er die jüdischen Mitbürger ebenso austrieb oder vernichtete wie jene, die MARX und ENGELS folgten oder die liberale Tradition nicht aufgeben wollten. In der heutigen Spaltung Deutschlands ist in die äußere Wirklichkeit übertragen, was schon lange an gegensätzlichen Tendenzen am Werk war. Das schlechthin Neue der heutigen Teilung aber besteht darin, daß die deutschen Gebiete zur Aufmarschfläche der neuen Hegemomialmächte geworden sind. Daß diese Mächte sich einmal die Welt teilen würden, hatte freilich schon Hegel geahnt. Er schrieb dem estnischen Baron VON UEXKüLL, die europäischen Staaten hätten das Ziel ihrer Entwicklung im wesentlichen schon erreicht, und so sei Europa zu einem Käfig geworden, bei dem die einen die Verschließer spielten, die anderen sich hinter den Gittern einrichten müßten. Dagegen sah Hegel in Rußland und in Amerika eine Fülle unausgeschöpfter Möglichkeiten, doch war Rußland für ihn ein autoritärer Staat auf alter agrarischer Grundlage, Amerika eine expandierende bürgerliche Gesellschaft, die erst noch nach dem Ausschreiten des Weges westwärts zu voller Staatlichkeit finden müsse. Merkwürdigerweise zweifelte Hegel nicht daran, daß der Umsturz der Welt, den er durchaus ins Auge faßte, keine andere Organisation als eben jene erbringen werde, die Hegel als Ziel der geschichtlichen Entwicklung schon in Europa vorfand (die Verbindung jener Elemente, die das erste Seßhaftwerden der Menschen erbracht hatte, mit dem Ertrag der bürgerlichen Bewegung vor allem in den nordeuropäischen Städten, also eine konstitutionelle Monarchie mit einem Zweikammersystem und so die Integration der bürgerlichen Gesellschaft in den Staat). TOCQUEVILLE, der Amerika selber bereist hatte, sah wenige Jahre nach Hegels Tod die Dinge völlig anders. In 150 Jahren, so meinte er, würden Amerika und Rußland sich die Welt unter sich teilen, jedoch auf eine höchst gefährliche Weise. Die Gefahr Rußlands blieb die Diktatur auf autoritärer Grundlage mit einer byzantinischen Verquickung der staatlichen und der religiösen oder pseudoreligiösen Sphäre; die Gefahr Amerikas war jene Diktatur der Mehrheit, die durch den Konsens der Meisten jede abweichende Auffassung und jedes schöpferische Risiko niederhalten konnte und ihre Macht über den freien Handel demonstrierte. Kann Europa in der heutigen weltgeschichtlichen Konstellation noch einen eigenen geschichtlichen Weg beanspruchen? Man kann diese Frage speziell für die

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deutschsprechenden Gebiete stellen, aber kaum so, daß man sofort von der Alternative ausgeht: die Deutschen haben kein Vaterland mehr oder auch nie wirklich gehabt — auch die Deutschen müssen zu einer nationalen Identität finden. Die nationale Tendenz hat mit dazu beigetragen, daß Europa sich selbst zerstörte; der Regionalismus heute in Nationalstaaten wie Spanien, Frankreich und England zeigt zugleich, daß diese Tendenz auch dort nicht mehr eine unumstrittene ist. Wenn man nach unserem zukünftigen geschichtlichen Weg fragen will, muß man bei den kleinen Einheiten, den Zentren und Regionen, einsetzen und sich dabei von den Vorurteilen der Vergangenheit befreien. Die geschichtliche Erinnerung ist immer selektiv; gemäß dem biblischen Satz „Wer hat, dem wird gegeben" stilisiert sie das Erfolgreiche schließlich zum einzigen und läßt anderes, das einmal gleich wichtig war, in die Vergessenheit sinken. So trat um 1800 gegen das, was GOETHE und SCHILLER in Weimar nach dem Sturz von Mainz aufbauten, in Jena die Romantik auf; von diesen Auseinandersetzungen her hat man schließlich überhaupt den geistigen Weg jener Zeit auf den Gegensatz zwischen Klassik und Romantik gebracht und dabei allenfalls zugestanden, daß in Heidelberg eine Spätromantik neue Motive einbrachte. Die politische Geschichte nahm die preußischen Reformen seit 1808 als Vorklang der Befreiungskriege und sah die Geschichte der deutschsprechenden Länder aus der preußisch-deutschen Perspektive. So entstand freilich ein Gegensatz zwischen den beiden Königskindern Berlin und Weimar, zwischen denen die Wasser schließlich doch zu tief waren, als daß sie wirklich hätten zueinander kommen können. Fragt man hier in Westdeutschland nach der eigenen geschichtlichen Herkunft, dann sind die beiden genannten geschichtlichen Linien schlechthin unangemessen. Auch als GOETHE seine Heimatstadt Frankfurt verlassen hatte, blieb die Handelsstadt und freie Reichsstadt ein Zentrum der Begegnungen und Diskussionen: mit dem BRENTANO-Kreis verkehrten SAVIGNY und die GONDERRODE; Hofmeister wie HöLDERLIN und Hegel verbrachten dort eine Reihe ihrer besten Jahre. In der kleinen Residenz Homburg vor der Höhe ganz in der Nähe konnten ein geistig interessierter Landgraf und ein Beamter wie ISAAK VON SINCLAIR Kreise von Gelehrten und jungen Leuten sammeln. Das größte von dem, was in der Stille Homburgs und der Lebhaftigkeit Frankfurts entstand, konnte sich damals jedoch nicht öffentlich durchsetzen: HöLDERLINS Empedokles-Drama wurde nicht fertig; Hegels Aufzeichnungen über den Geist des Christentums — nach DILTHEY das Schönste, was Hegel geschrieben hat — verschwanden in der Schublade und wurden erst im zwanzigsten Jahrhundert ediert. Einer der meist diskutierten kürzeren Texte des Deutschen Idealismus, das älteste Systemprogramm von der Hand Hegels, gehört mit seinen Grundgedanken zum Frankfurt-Homburger Kreis um SINCLAIR und HöLDERUN. Als dieses Programm mitten im Ersten Weltkrieg ediert wurde, versuchte ein so bedeutender Kopf wie FRANZ ROSENZWEIG mit Gewalt, es dem Jenaer Kreis um SCHELLING zuzusprechen — die historische Selektion hatte nur diesen Kreis in der Erinnerung bestehen lassen und eine neue Aktualisierung rückte SCHELLINGS philosophischen Weg in die Mitte der Interessen. Das Original dieses Programms wurde im letzten Krieg mit anderen Schätzen der Preußischen Staatsbibliothek nach

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Grüssau in Schlesien ausgelagert und war lange Zeit verschollen. MARTIN BUBER brachte eine Fotografie aus dem Besitz seines Schwiegersohns, des HOLOERUNforschers LUDWIG STRAUSS, mit nach Deutschland, und heute kann man auch das Original wieder in der Jagiellonischen Bibliothek in Krakau einsehen. Auch andere Texte, die dem Frankfurt-Homburger Kreis um SINCLAIR zugehören, kann man heute nur noch in Jerusalem und Krakau (vielleicht von Auschwitz herkommend) studieren, und das ist sicherlich ein Symptom. Im Sommer 1806 kam FRIEDRICH SCHLEGEL nach Frankfurt. SINCLAIR machte ihn aufmerksam auf die späten Hymnen HöLDERLINS; als SCHLEGEL auch nach Homburg kam, war HöLDERUN jedoch so durch seine Krankheit gefesselt, daß es zu einer Begegnung nicht mehr kam. SINCLAIR aber vertrat gegenüber SCHLEGEL, der die Konversion zum Katholizismus und den Weg nach Wien suchte, den Geist des Kreises um HöLDERLIN und Hegel. Das Gedicht SINCLAIRS, das offenbar von dieser Begegnung spricht, wurde jedoch über Jahrzehnte hinweg nicht auf diese Begegnung bezogen. Der Frankfurter FRANZ MOLITOR, der in dieser Begegnung als Vermittler auftrat, hat die ScHLEGELSche Erneuerung des Streites zwischen den Alten und den Modernen fortgeführt und zwei seiner Schriften SINCLAIR gewidmet. Er wurde später zum wichtigsten Erforscher der mittelalterlichen jüdischen Mystik; GERSHOM SCHOLEM hat darauf immer wieder hingewiesen, und wenn man ihn in Jerusalem besuchte, konnte er auch eine der Frühschriften MOLITORS mit einem Handgriff aus seiner Bibliothek nehmen: was aus Frankfurts und Homburgs Vergangenheit hier vergessen ist, lebte wenigstens in Jerusalem noch lebendig fort. Junge Leute wie HöLDERLIN, Hegel und SINCLAIR, die im Frankfurt-Homburger Raum sich trafen, orientierten sich sicherlich am Weimar HERDERS, GOETHES und SCHILLERS sowie am Jena FICHTES und SCHLEGELS. Ebenso wichtig und in mancher Hinsicht wichtiger noch war für sie FRIEDRICH HELNRICH JACOBIS Wirken in Düsseldorf und der Kreis der JOHANNES VON MüLLER, GEORG FöRSTER und WILHELM HEINSE, der über Jahre hinweg in Mainz zusammen war. Auch Düsseldorf blieb damals nicht länger Residenz; aber mit Institutionen wie dem Landgericht und dem zeitweiligen Sitz eines preußischen Prinzen im Jägerhof war es doch so etwas wie eine Quasiresidenz, und so konnte IMMERMANN sich um das Theater bemühen, WILHELM SCHADOW in der Kunstakademie eine Schule bilden. Da der Festungsring um Düsseldorf niedergelegt war, geriet die Stadt bald auf die ganz anderen Wege der Industrialisierung. Von den unterschiedlichen Wegen, die Mainz und Düsseldorf gingen, stach der Weg Stuttgarts ab, das ohne gewagte geistige Experimente seinen sicheren Weg zur Hauptstadt des Südwestens ging. Die Jahrhundertfeier der Heidelberger Universität in diesem Jahr gibt mannigfache Gelegenheit, das einseitige Bild vom romantischen Heidelberg nach 1800 zu korrigieren. Hatten dort die rationalistischen Kreise um den alten JOHANN HEINRICH Voss oder den Theologen PAULUS und vermittelnde Gruppen nicht gleiches Gewicht wie die VON ARNIM, BRENTANO und GöRRES? Ein glücklicher Nachschriftenfund hat gezeigt, daß Hegel im Winter 1817/18 in Heidelberg — und keineswegs erst in Berlin — seine vollausgebildete Rechtsphilosophie vorgetragen hat. Diese Philosophie, die nach MARX als einzige auf gleichem Fuße mit der Geschichtsbewegung stand, ist in der Ausein-

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andersetzung mit dem süddeutschen Konstitutionalismus entstanden, und es gehörte zu den großen Enttäuschungen Hegels, daß neben Österreich auch das neue Preußen sich dann doch diesem Konstitutionalismus versagte. Immerhin ist Hegel 1818 von Heidelberg nach Berlin gegangen, weil er in einer Hauptstadt leben wollte und nicht in der Provinz. Seit 1871 war Berlin dann für eine kurze Reihe von Jahrzehnten Hauptstadt eines deutschen Reiches. Doch schon zur Zeit Hegels zog die Berliner Universität als die maßgebliche Universität Deutschlands Studenten aus allen deutschen und dazu aus den slawischen Ländern an. War in Polen die Hauptstadt von der alten Königsstadt Krakau in der Zeit der Aufklärung nach Warschau gewandert, in Rußland Petersburg als eine rationale Gründung mit dem Blick nach Westen gegen Moskau gestellt worden, so war Berlin nach 1800 wenigstens in Preußen ohne weiteren Rivalen. Auf Berlin lag nicht — wie auf Rom - der Glanz eines Mythos, aber auf Grund der wirtschaftlichen, politischen und geistigen Energien, die sich dort entfalteten, wurde es zur steuernden Mitte Deutschlands, konnte es neben London und Paris treten. Freilich kann man fragen, ob das deutschsprechende Mitteleuropa statt der einen Hauptstadt nicht immer viele Residenzen, Handelsstädte und Universitätsstädte gehabt hat; wenn auch ein Zentrum, dann wenigstens zwei Zentren in Wien und Berlin. Doch konnte Berlin im zwanzigsten Jahrhundert für viele zu „der" Stadt werden. GOTTFRIED BENN Z. B. schrieb in seinem Text Urgesicht von der Stadt Berlin: „Da ich Ninive nicht sah mit seinem Grund aus Jaspis und Rubin, da ich Rom nicht sah im Arm der Antonine, betrachtete ich diese, sie trug die Mythe, die in Babylon begann." Nach 1945 sah BENN Berlin wie Angkor im Urwalt versinken; doch dieser Vergleich ist für das heutige Berlin ganz unpassend geworden; Berlin ist eher wie eine offne Wunde, es zeigt durch seine Teilung mit besonderer Prägnanz das verhängnisvolle Schicksal Mitteleuropas an. So kann man über die westdeutschen Zentren um 1800 nicht handeln, ohne nicht auch einen Blick auf Berlin zu werfen. Vor fast zehn Jahren begann die WERNER REiMERS-Stiftung in Bad Homburg vor der Höhe damit, eine Reihe regionbezogener Kolloquien einzurichten. Andere forschungfördernde Organisationen unterstützten vergleichbare Veranstaltungen. So konnten inzwischen fast ein Dutzend Sammelbände erscheinen oder für den Druck vorbereitet werden. Im Verlag KLETT-COTTA in Stuttgart erschienen Bände über Homburg, Frankfurt und Mainz; die Bände über Heidelberg und Stuttgart sollen folgen. Im FROMMANN-Verlag Stuttgart erscheint der Sammelband Hegels Rechtsphilosophie int Zusammenhang der europäischen Verfassungsgeschichte. Der BouviER-Verlag Bonn brachte den Band Kunsterfahrung und Kulturpolitik im Berlin Hegels heraus; dort soll auch der Band über HöLDERLINS letzte Homburger Jahre folgen. Ein Ausstellungskatalogband Hegel in Berlin. Preußische Kulturpolitik und idealistische Ästhetik wird von der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz ausgeliefert; der Sammelband Johannes von Müller — Geschichtsschreiber der Goethezeit erscheint gerade im Verlag Peter Meili in Schaffhausen. Der Band Düsseldorf in der deutschen Geistesgeschichte (1750—1850) wurde im Verlag Schwann in Düsseldorf herausgebracht. Da der philosophische Teil des Bandes über Homburg auch als japanisches

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Buch erschien, verwechselt man auch in Ostasien Homburg nicht mehr mit Hamburg. Die verschiedenen Ansätze verlangen nunmehr eine zusammenfassende Sicht, die auch zur Klärung unserer heutigen Situation beitragen kann. Städte wie Düsseldorf oder Berlin mit ihren siebenhundert Jahren sind ja relativ jung; Trier, Mainz und Köln, aber auch London, Paris, Wien und Belgrad sind tausend Jahre älter, sofern man die Städte des Mittelalters an die römischen Gründungen anschließen darf. Blickt man über die Alpen hinweg auf Rom und Neapel, Athen, Tunis-Karthago, Beirut, dann muß man wieder weitere Reihen von Jahrhunderten hinzufügen. Hat diese Stadtlandschaft noch ein eigenes Gewicht gegenüber New York und Mexiko, Kalkutta und Tokio? Das ist eine Frage, die in der heutigen, so gefährdeten weltpolitischen Situation uns alle angeht. Otto Pöggeler (Bochum)

LITERATURBERICHTE UND KRITIK

The Formation of Hegels Constitutionalism

Accommodation to Prussia or Response to Post-Revolutionary Experiences?* Already in bis Hegel und der Staat, FRANZ ROSENZWEIG noted that Hegel did not always give the same meaning to the notion of „Constitution" (Konstitution or Verfassung): according to ROSENZWEIG, Hegel resorted to this term — in a typically 18th. Century way — in Order to designate the social articulation of a people. But he also ascribed to it the French modern, revolutionary sense: in his work, the term „Constitution" also refers to the written rules a govemment should follow in its activity. Indeed, ROSENZWEIG argued, Hegel's endeavour to combine these two very different meanings of the term may well account for the highly general way in which he used the term. It may shed light, too, upon the evolution of his political thought; for Hegel in 1820 — in fact, already in 1817/18 - a „Constitution" rests not so much upon the unity between govemment and people, as was the case before, as upon an immediate relation of man to the state, of Gesinnung to institutions; and this shows that the explicitly critical stance Hegel endorsed towards certain aspects of the French revolution in his earlier writings gave way in later years to a more positive assessment of its achievements.' These few remarks undoubtedly deserve further development: as is wellknown, the fight over constitutionalism played a decisive role in shaping postrevolutionary, 19th. Century Europe — the very world in which Hegel Uved; and it is essential to determine which position Hegel adopted in this fight. A clarification of this Position might also well serve as a guiding line in the study of the evolution of HegeTs political thought. Indeed, ROSENZWEIG may well have been right to argue that in 1817/18 Hegel modified his attitude. To establish this point, he himself drew upon HegeTs vindication, in his 1817 Ständeschriß, of the 1815 Würtemberg Constitution — one which was explicitly framed on the model of the French Charte constitutionnelle of Louis XVIII (1814).^ But he did not and could not know that, as

* Hegels Rechtsphilosophie im Zusammenhang der europäischen Verfassungsgeschichte. Hrsg, von Hans-Christian Lucas und Otto Pöggeler. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 1986. ' Franz Rosenzweig: Hegel und der Staat. Bd 2. München, Berlin 1920. 134 f. 2 G. IN. F. Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Hrsg, von E. Moldenhauer und K. M. Michel. Frankfurt a. M. 1970. Bd 4.

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the recently-published WANNENMANN Lecture notes^ show, it is precisely in these years that Hegel seems to have first completed a full Version of his philosophy of right: shouldn't one subject this latter document to the same attentive examination ROSENZWEIG was the first to do of all those political writings of Hegel which were known to him? Such an examination is bound to shed more light upon Hegel's attitude towards post-revolutionary institutional developments in France, and also towards the evolution of his political thought. It may well lead to a reassessment of the very meaning of this thought, too. These are the questions — and the hopes — which underlie Hegel’s philosophy of right in the context of European constitutional history. This collection of essays is based upon a joint French and German Conference which took place in Bochum in 1984.^ But HANS CHRISTIAN LUCAS and OTTO POGGELER, the editors of the collection, have done much more than merely editing the lectures given at the Conference: they have aimed at presenting a full picture of Hegel's attitude towards the political developments of his time. To this end, they have added to the already rieh variety of essays presented at the Conference contributions of authors who were not able to actually take part in it, yet clarify further important aspects of Hegel's political thought. HANS-CHRISTIAN LUCAS has also compiled, specially for the volume, a bibliography containing not only those books and articles which deal with Hegel's political philosophy itself, but also the most important studies of 19th. Century constitutional history relevant to the subject. All this turns the volume into a highly instructive and extremely useful Instrument of work, one which will undoubtedly become a necessary reference for any further research into the evolution and meaning of Hegel's political philosophy as a whole. The question of determining how exactly the relations between the thought of a systematic philosopher like Hegel and the historical, political reality of his time ought to be conceived is a notoriously difficult, controversial one. Yet whatever the way in which one defines these relations, a good knowledge of that historical reality is essential; and it must be acknowledged that such a knowledge was only too often lacking in former interpretations of Hegel's thought - so true it is that, as one of Hegel's contemporaries, the jurist HUGO, already noted in a quip quoted by WALTER JAESCHKE, there are always more jurists who read philosophy books than philosophers who read the works of jurists (224). Hegel's Philosophy of Right in the context of European Constitutional History sets this misgiving straight: the primarily

^ G. W. F. Hegel: Vorlesungen über Naturrecht und Staatswissenschaft. Heidelberg 1817/18 mit Nachträgen aus der Vorlesung 1818/19. Nachgeschrieben von P. Wannenmann. Hrsg, von C. Becker et al. mit einer Einleitung von O. Pöggeler. Hamburg 1983. See also G. W. f. Hegel: Die Philosophie des Rechts. Die Mitschriften Wannenmann (1817/18) und Homeyer (1818/19). Hrsg, eingeleitet und erläutert von Karl-Heinz Ilting. Stuttgart 1983. * The Conference was organized by both the French Centre de Recherche et de Documentation sur Hegel et sur Marx (affiliated to the C. N. R. S) of the University of Poitiers and the German Hegel-Archiv of the Ruhr-Universität in Bochum. The Fritz Thyssen Stiftung made it financially possible.

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historical, genetical approach endorsed by most participants to the volume yields invaluable insights into the actual relationship of Hegel to the time he tried to conceive in thought. Once related to their proper historical and political background, indeed, some of Hegel's most bewildering political options become at last understandable. The first part of the book, which contains articles by GUY PLANTY-BONJOUR (Poitiers), JACQUES D'HONDT (Poitiers), EUG6NE FLEISCHMANN (Paris), ZBIGNIEW A. PELCZYNSKI (Oxford) and NORBERT WASZEK (Krefeld), examines influences from abroad upon HegeTs political thought - influences from France, but also from England. These articles enable one to determine much more adequately than had been done before the extent of Hegel's indebtedness to the political conceptions which were developed and put into practice in these countries. The examination of HegeTs attitude towards the French Revolution but also, beyond the French Revolution, towards the social and political developments which marked French history during the first quarter of the 19th. Century deserves special notice: it will undoubtedly lead to revise, perhaps even put an end to some widespread misrepresentations of that attitude. The second part of the book, which contains articles by HEINZ KIMMERLE (Rotterdam), CHRISTOPH JAMME (Bochum), HANS-CHRISTIAN LUCAS (Bochum) and WALTER JAESCHKE (Bochum), deals more explicitly with the evolution of HegeTs political thought „between revolution and restauration". It is in the treatment of this issue that one could expect the most significant results from the examination of the new sources on HegeTs philosophy of right. Indeed, the exploitation of these sources made by all contributors to the volume is remarkable: they all take full advantage of the WANNENMANN 1817/18 Lecture notes, but also of the 1819/20 Lectures on the Philosophy of Right recently published by DIETER HENRICH^ — and of the wealth of material scrupulously gathered by K. H. ILTING in his four-volume edition of the Philosophy of RighP‘. As we shall see below, this minute examination proves rewarding: it establishes that the years 1817/18 were indeed decisive for the evolution of HegeTs political thought. It also shows that the still widespread representation of HegeTs philosophy of right as the mere distillation of post-1815 Prussian political institutions is utterly inadequate. The reassessment of HegeTs attitude towards Prussia offered in the third part of the volume, with articles by ROLF GRAWERT (Bochum), OTTO PöGGELER (Bochum), and WOLFGANG BONSIEPEN (Bochum), deserves special attention: it may well give the final blow to the myth of HegeTs „Prussianism". The fourth part of the book gathers articles by LUDWIG SIEP (Duisburg), GERTRUDE LüBBE-WOLFF (Bielefeld), ADRIAAN PEPERZAK (Nijmegen) and KURT RAINER MEIST (BO-

® G. W. F. Hegel: Philosophie des Rechts. Die Vorlesung von 1819/20 in einer Nachschrift. Hrsg, von Dieter Henrich. Frankfurt a. M. 1983. G. W. f. Hegel: Vorlesungen über Rechtsphilosophie 1818/1831. Edition und Kommentar in vier Bänden von Karl-Heinz Ilting. Stuttgart-Bad Cannstatt 1973 - 1974 -.

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chum). These articles deal in a more systematic way with the very issues other papers treat in a genetical, historical perspective: with HegeTs attitude towards „declarations of right", towards representation and the division of powers, and with his philosophy of history. In this review, I shall take these issues as a point of departure, and endeavour to bring to bear upon them the results of the more genetical, historical research furthered in the other articles. I shall begin with the examination of Hegel's attitude towards declarations of right; then look into his attitude towards the call for the Institution of a representative body and of a division of powers. Finally, 1 shall try to determine whether or not HegeTs political Position was one of „accommodation" to the political reality of his time or rather a „reformist" one - a question which runs through practically all the essays collected in the volume. In her article On the Lack of Fundamental Rights in Hegel's Philosophy of Right. Also a Contribution on the Understanding of the Historical Foundations of the Hegelian Concept of State, GERTRUDE LüBBE-WOLFF raises what may well be considered as the fundamental question in any discussion over HegeTs „constitutionalism": how is it that, although Hegel unambiguously identifies himself as a supporter of a constitutional regime, he makes no room in his Philosophy of Right for that which was considered in his time as one of the main components of constitutionalism: a „declaration of rights"? To answer this question, LüBBE-WOLFF writes, one ought to pay attention to the fact that „fundamental rights" (Grundrechte) or „natural rights" of the kind vindicated in the French Declaration of 1789 are, at bottom, rights which the individual does not transfer to the state and which he may vindicate against the state. But, she says, the iura singulorum or iura et libertates of the feudal estates and their individual members belong to this category; and it is precisely the vindication of such „feudal" rights which Hegel held responsible for the disintegration of the German Empire. Indeed, LüBBE-WOLFF Claims, HegeTs Opposition to any „declaration of rights" draws its meaning precisely from his Opposition to feudalism. For, she says, it should be noticed that Hegel used the notion of „feudalism" not just in a narrow sense, in Order to refer to the System of feudal domination (Lehnswesen) which developed between the 9th. and the 13th. Century, but also in a much broader sense, in Order to refer to any „private-right" conception of political relations, as well as to any strengthening of particular rights against the state. Here, Hegel would have endorsed a practice which was to become quite common throughout the 19th. Century: in the many debates which developed then — most often about the conception of the reactionary thinker KARL-LUDWIG VON HALLER — the distinction between feudalism and modern conceptions of a constitutional state hinged precisely upon the Opposition of „private-right" to „public-right" (privatrechtlichen — öffentlich-rechtlichen) conceptions of the state. LüBBE-WOLFF also urges us to recognize that the fact that Hegel rejected in principle any formal declaration of rights had no significant practical implications. Hegel, she says, fully acknowledged in his political philosophy the „fundamental

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rights" (Grundrechte) of man: he made room for personal freedom and freedom of property and also, to a large extent, for freedom of economic exchanges and of religion. He only objected to the form such an acknowledgment took in „declarations of right". Does this objection really matter, though? After all, LüBBE-WOLFF adds, the actual, practical meaning of „declarations of right", throughout the 19th. Century, was itself quite insignificant. LüBBE-WOLFF'S agreement with EUG6NE FLEISCHMANN on all these important points is striking: in his article on Hegel and the Restauration, FLEISCHMANN deliberately focusses — in the very spirit of Hegel - upon the examination of whatever belongs to the „objective spirit", i. e., to institutions, claiming with much right that ideologies, and particularly those of the French Revolution, are too problematic to serve as an adequate basis for any comparison. But, FLEISCHMANN says, once one focusses upon institutional history, one discovers that Hegel accepts much more of the French Revolution than he himself is ready to acknowledge. He endorses the abolition of feudalism, as realized by the Constituante: the political and juridical unification and the abolition of hereditary Privileges. He also vindicates the Code civil. But this is the essential point: Hegel's achievement, FLEISCHMANN emphasizes, consists in having recognized — and this, very early on - that although the Code civil deals explicitly only with private right, its meaning reaches far beyond „private right", and actually involves the recognition of those very „fundamental rights" proclaimed by the French revolutionary Declaration of Right. The line of interpretation endorsed by both LüBBE-WOLFF and FLEISCHMANN is undoubtedly right: Hegel himself strongly emphasized — in the Wannenmann Lecture notes, for example — that the Step forward made by the French Revolution „towards the rational existence of the state" consists in having recognized, „as against the form of private right", that „political rights are rights which the singulär individual cannot possess" (§ 125). One of his problematic yet fundamental theses about feudalism also was that the vindication of „private", abstract rights began already with the Roman Empire.^ Furthermore, it is interesting to note, as JAESCHKE does in his own contribution to the volume, that in one of GANS' Additions to the 1820 Philosoph^ of Right (§ 258) Hegel asserts his own conception of the state against both ROUSSEAU'S individualism and HALLER'S partriarchal, reactionary theory: can't one infer from this that for him, because HALLER'S conception was framed explicitly against ROUSSEAU, it remained embedded in the latter's viewpoint? As JAESCHKE puts it, HALLER'S conception would thus be an „inverted RousSEAuism" (229). One may wonder, though, whether this Opposition to both feudal and modern „natural rights" fully accounts for Hegel's objections to any revolutionary „declaration of rights": did Hegel have no Claims at all against the specifically modern, „bourgeois" contents of these declaraHons? It is worth emphasizing

’’ See here Michel Villey: Das römische Recht in Hegels Rechtsphilosophie, in: Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie. Hrsg, von Manfred Riedel. Bd 2. Frankfurt am Main 1975.

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that much of what FLEISCHMANN says purports to make of Hegel first and foremost a „bourgeois" thinker — „bourgeois" in the sense of the bourgeois Restauration, of the „bourgeois" king LOUIS-PHILIPPE: FLEISCHMANN argues that once one has freed oneself from prejudices over the allegedly egalitarian contents of the French Revolution, one discovers Hegel's basic agreement to its real bearing. But was Hegel's state nothing eise than a „bourgeois" state in this sense? FLEISCHMANN chooses here to disregard Hegel's specifically philosophical approach: the endeavour to ground the state upon a „concept" - the „concept" of the will. He also rejects as obsolete Hegel's subsequent derivation of histoiical and constitutional developments from the Volksgeist. He himself acknowledges, though, that this derivation is far from being politically innocuous (90 f). This comes out in a peculiarly striking way in ADRIAAN PEPERZAK'S Moral Aspects of the Hegelian Philosophy of Right: what PEPERZAK tries to do in this article is precisely to bring out the meaning of Hegel's idiosyncratic philosophical approach, one according to which the world of right and, indeed, of morality itself should be integrated into the world of „spirit". PEPERZAK'S analysis - which he focusses, interestingly enough, upon the paragraphs in which Hegel analyzes the passage from right to morality {PhR 103—4, also Wannenmann § 38—40 and Anm., Homeyer § 45) - leads him to conclude that Hegel, from the Start, narrows the concept of morality to the classical virtue of Gerechtigkeit or Rechtschaffenheit (dikaiosune) and adopts an essentially practical perspective, one which is grounded not upon the moral right of the individual, subjective will but rather upon the right of the Community to hold the individual responsible for his actions, and upon the right of the individual to protect himself against the Community (457 ff): isn't it first and foremost this perspective - and, beyond it, the decision to place the rights of man as an individual into the framework of the rights of the community - which motivated Hegel to oppose any „abstract" declaration of rights? The „narrowing" of the concept of morality which follows from such a decision is certainly far from being insignificant. Indeed, PEPERZAK also points out, just like FLEISCHMANN, that Hegel's Identification of moral rights with the Volksgeist — with an „ethical life" (Sittlichkeit) associated with different communities rather than with the world as such — may lead to nationalism and is therefore potentially dangerous (460). But isn't the absence of any declaration of rights in Hegel's Philosophy of Right apt to lead to precisely such conclusions? To clarify the meaning of the relationship Hegel establishes between the state and the Volksgeist, one must examine the position Hegel endorsed in the famous debate over the „codification" of right which developed in his time between partisans and adversaries of the „Historical School of Right". It is certainly true — and this is an essential point to make — that the core issue at stäke in this debate was the question of the acceptance or rejection of the Code civil. WALTER JAESCHKE makes this point perfectly clear in his The Rationality of Law. Hegel and the Restauration in the Fight over Civil and Constitutional Right. However, JAESCHKE also shows that what makes up the originality of Hegel's attitude in the debate over the codification of right is the „reflected" concept of history which Hegel wants to vindicate: he expo-

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ses the problematic concept of history presupposed by the partisans of the Historical School of Right — showing, in particular, that SAVIGNY'S Opposition to codification was grounded not so much upon strictly historical considerations as upon political motives; and he draws attention to the central issue raised by Hegel's approach: what are, for Hegel, the proper criteria of historical rationality? What is, indeed, Hegel's „concept" of history? These are, it seems to me, the crucial questions one ought to answer in order to fully appreciate Hegel's attitude towards the French Revolution. As KURT RAINER MEIST also points out in his Differences in Hegel's Interpretation of „Recent Times" in his Conception of World-History, it is precisely with the help of the notion of Geist that Hegel endeavoured to understand history. But what does this approach imply for the conceptualization of modern, post-revolutionary history? MEIST Claims, interestingly enough, that it was only in his very last Lecture on the philosophy of history (1830/31) — not even in that of 1822123 (compiled by GRIESHEIM) — that Hegel did more than merely describe post-1789 events: Hegel would then submit the idea of political liberalism, as that of a misidentification of itself of the modern consciousness of freedom, to a systematic criticism. It is certainly highly significant to note (cp. 489) that for Hegel the key-problem of recent times was precisely that of political liberalism; it was in order to solve this very problem that Hegel endeavoured to develop a systematic historical argumentation, one grounded upon the systematic perspective of the Encyclopaedia rather than that of the Phenomenology. What this means is that for us to account for Hegel's attitude towards „declarations of right", we must also pay attention to his original philosophical endeavour: his attempt to develop a „speculative" concept of history which would allow for political liberalism. We must relate to his System as such, ln his The Political Constitution as Konstituierung der absoluten sittlichen Identität in the Jena conception of Natural Right, HEINZ KIMMERLE strongly emphasizes the latter requirement; he argues that Hegel's attitude towards his time can only be assessed once one has clarified the meaning of the conceptual apparatus he develops in his System. It seems to me that there is much to be said in favour of this approach. What can be achieved through it, though, remains to be seen. With regard to the constitutionalist issue, in particular, one should endeavour to determine whether or not and to what extent the conceptual apparatus Hegel develops in his System accounts for the all-embracing meaning he ascribes to the notion of „Constitution". We shall now turn to an examination of this question. In the Introduction to his own edition of the Wannenmann Lecture notes, KARL-HEINZ gives an enthusiastic account of the contents and meaning of these notes: according to him they show that Hegel conceived his own constitutional doctrine on the basis of an exact knowledge of French constitutionalism, which was then moving towards parliamentary monarchy. This confrontation with French constitutional doctrines and practices, ILTING says, made Hegel the most prominent theoretician of early constitutionalism in Southern Germany. The picture Hegels RechtsILTING

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Philosophie im Zusammenhang der europäischen Verfassungsgeschichte gives of Hegel's doctrine in 1817/18 is more detailed and in many respects soberer than that sketched by ILTING. But — remarkably enough — it confirms ILTING S appreciation. This comes out in the first place in Hegel's treatment of the issue of representation. In bis Du regime representatif selon Sieyes ä la monarchie constitutionnelle selon Hegel, GUY PLANTY-BONJOUR points out that one of the interesting aspects of the Wannenmann lectures is precisely the use Hegel makes in them of the notions of „representation" and „representative"; Hegel does not hesitate to write in these lectures that the monarch, as well as the Regent and the functionaries, is a „representative of the people". According to PLANTY-BONJOUR, Hegel is then not far from admitting the theory advocated by SIEY£S of a necessary delegation of powers by the people, a delegation which would be grounded upon a diversity of functions and competences (Wannenmann, § 153). To establish this point, PLANTY-BONJOUR brings out the many similarities between SIEYES S and Hegel's doctrines: he points out that SIEYES just like Hegel, Supports a monarchical regime, one which might even be grounded upon hereditary principles; and that Hegel is also very dose to him on the conception of the irresponsibility of the monarch. This, however, should not induce one to overlook the important differences between the two: SIEYES gives power to Parliament, whereas Hegel makes the monarch the summit of the state. Although both authors are elitists, SIEYES rejects the Institution of two Chambers which was essential to Hegel. Furthermore - and this is perhaps the main point — Hegel is extremely violent against SIEYES S Claim that every delegate should represent the whole nation (Wannenmann, 228). He rather vindicates a conception of corporative representation: where SIEYES had believed that corporations are an obstacle to the unity of the nation, Hegel Claims that the very suppression of corporations would lead to the dissolution of the state (28-33). These are all essential points. The latter one is perhaps decisive to determine to what extent Hegel endorsed a „modern" conception of the state. Here, however, one must bear in mind that Hegel's criticism of an „atomistic" representation involves no dismissal of the principle of representation itself: this important point is made by OTTO POGGELER who shows, in an interesting aside to his lecture (341 ff), that the link between Hegel's criticism of an atomistic conception of elections and the criticism of the representative principle itself — as well as, beyond this link, the thesis of a Hegelian „slandering of the representative Constitution" (Perhorreszierung der Repräsentativverfassung) — arose from a passage introduced by Hegel's son, KARL HEGEL (but already taken out by LASSON), into the second edition of the Philosoph]/ of History. One ought to acknowledge that representation, according to Hegel, was necessary. But it had to be corporative: doesn't Hegel himself emphasize, in 1824/25, that „Corporation is the great point at stäke today in the world, in what concerns the Constitution" (§251 Zus.)? CHRISTOPH JAMME'S The Self-Education of the Estates. Hegel’s 1817/18 Heidelberg Conception of a neuständisch Bourgeois Representation goes a long way towards clarifying the meaning of this essential Hegelian thesis. Just like POGGELER, JAMME sharply distinguishes between the pre-revolutionary, altständisch estates and Hegel's con-

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ception of a Ständeversammlung-, for Hegel the role played by such an assembly would be an essentially political, educative one. An assembly of estates would be able to contribute to the formation of public opinion and thereby to play a mediating role between the government and the people. Shouldn't one infer from this, though, that the Opposition between Hegel and SIEY6S on the role of the corporations is not as fundamental as it appears on a first reading? Both authors appear to have the same purpose in mind: to further the general interest. SiEYfis, however, believed that a representative System grounded upon corporations furthers particularism; whereas Hegel was convinced that the opposite was the case. As PLANTY-BONJOUR himself strongly emphasizes, though, what distinguishes Hegel from SiEYfis is first and foremost Hegel's „organicism" (25 f): Hegel's fundamental thesis about the Constitution is that the „organism" of the state itself is its politische Verfassung (see, e. g., § 269 of the 1820 Philosophy of Right). But what is the meaning — systematic and political - of this thesis? This is the question LUDWIG SiEP sets himself in his Hegel's Theory of the Division of Powers. SIEP, too, gives much weight to the Wannennwnn Lecture notes. Indeed, the interpretation of Hegel's political doctrine which he gives on the basis of these notes is one of the most attractive presentations of this doctrine I have ever read. SIEP shows in great detail how the debate over constitutionalism in France and in the south of Germany affected Hegel's political thought: just like PLANTY-BONJOUR, he brings Hegel's 1817/18 vindication of a representative principle in connection with the French debate over this issue. It is probably this debate, he says, which induced Hegel to ascribe an essential role, from the years of his stay in Heidelberg onwards, to the legislative power. He also draws attention to the right of Gegenzeichnung and, beyond it, the measure of independance from the king Hegel Claims for the ministers in 1817/18: in these years, Hegel argued that the politics of the ministers must find the acquiescence of a majority in the assembly of the estates (241); an idea he was to drop later on. Furthermore, in 1817/18 Hegel seems to have believed that the contrast between those parts of the assembly closer to government and those which attack it was essential to the legislative power: doesn't this mean that, in those years, he acknowledged a „parliamentary" moment specific to this power? The very conception of an Opposition, of an aspiration to gain seats in Parliament, and of a majority which can be replaced also appears in Hegel's Ständeschrift. For SIEP, all these points confirm ILTING'S positive assessment of the political doctrine Hegel developed in 1817/18 — even if they do not justify his diagnosis of a fundamental change, in those years, in Hegel's very conception of a philosophy of right. But they do make an inquiry into its systematic basis imperative. SIEP thus uses his vivid account of Hegel's 1817/18 political doctrine as a background for handling his central question about the meaning of Hegel's „organicism": it is this „organicism" which induced Hegel to reject the „checks-and-balances" principle of the division of powers, and also to ascribe a fundamentally equal weight to these powers. Hegel acknowledged the need to distinguish between them, but he denied them any real autonomy and he endeavoured to Integrate them into a whole. Still, couldn't he have developed, on the basis of his own conception of „spirit"

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and, more particularly, of „subjective spirit", a political conception very different from the one he actually developed? In such a conception, the state would have been grounded upon man's conscious will. It would also have acknowledged man's right to develop a personal identity, thereby allowing scope to the tensions and oppositions such a development necessarily implies. What would have prevented Hegel from fully developing this conception, however, was his characterization of the state as a „natural" individuality — in other terms, his very reliance upon naturalistic, „organicistic" models and metaphors. SiEP makes an essential point here — one which is only too often overlooked: it is only by elucidating the nature of Hegel's conception of „subjective spirit" that one can fully appreciate the meaning and implications of Hegel's political doctrine. But I wonder whether the modern conception of „consciousness" is as crucial to this doctrine as SIEP believes it to be: in his own presentation of his philosophy of subjective spirit, Hegel himself explicitly declares his allegiance to ARISTOTLE S conception of mind; and this latter conception is certainly not grounded upon the modern notion of „consciousness". What Hegel praises in ARISTOTLE'S philosophy of mind is the introduction of the „concept" in the knowledge of spirit (Enz. § 378); it is to the „concept" that, as we know, he ascribes „subjectivity". As PLANTY-BONjouR also emphasizes in his examination of the Wannenmatm lecture notes, Hegel's main objection to the French constitutions was indeed that they lack „subjective unity" {Wannenmann, 187, 1133A.); and it is illuminating to argue, together with SIEP, that in his conception of the division of powers Hegel thought about the realization and execution of determinate purposes, not about the position of rules by the general will (392 f). But what is the meaning of the term „subjective" in the context of this discussion? Hegel does not refer here to the subjectivity of modern consciousness but, rather, to that of the „concept" gnd, beyond it, to the „conceptual" unity of an organic whole. The interpretation SIEP gives of Hegel's philosophy of subjective spirit is perhaps much more attractive than the naturalistic, „organicist" one; was it ever Hegel's, though? It also makes much sense to argue, it seems to me, that Hegel resorted to the „organicist" model in order to assert that a „Constitution" is not and cannot be „made" by men, but rather develops throughout history®. In his Hegel and Napoleon, JACQUES D'HONDT puts strong emphasis upon this fundamental Hegelian teaching. He argues that Hegel inferred it from an attentive Observation of post-revolutionary French history. Here, he singles out the key-role played in the formation of Hegel's thought by NAPOLEON S defeat in Spain; Hegel takes this defeat as an example precisely in his treatment of the problem of determining whether or not a Constitution can be made by men. Hegel, JACQUES D'HONDT insists, adopts the very attitude and, indeed, uses the very terms NAPOLEON himself seems to have used; both argue that it would be foolish to give a Constitution a priori to a people — a ® On this point see, e. g., Michael Wolff's recent Hegels staatstheoretischer Organizismus. Zum Begriff und Methode der Hegelschen Staatswissenschaft." In: Hegel-Studien. 19 (1984), 147-177.

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priori, i. e., on the simple basis of the activity of a legislator, regardless of the „Spirit" of a people. One must acknowledge that JACQUES D'HONDTS sustained reflection upon Hegel's proclaimed admiration of NAPOLEON brings out surprising affinities between the thought of the philosopher and that of the statesman precisely with regard to this issue. These affinities also amply confirm FLEISCHMANN S positive assessment of Hegel's attitude towards the lasting achievements of the French Revolution: JACQUES D'HONDT, too, shows that Hegel's assessment of NAPOLEON is grounded upon an evaluation of this great man's achievements which is much more realistic than that of many amongst his contemporaries. It would be erroneous, though, to over-emphasize Hegel's indebtedness to the French revolutionary experience. Hegel had certainly other concrete political experiences in mind when he rejected any endeavour to make a Constitution and favoured an organic development: could he have thought about England? ZBIGNIEW A. PELCZYNSKI makes here an interesting point: in his Hegel and British Parliamentarism he puts much emphasis on Hegel's admiration for British institutions. But he also shows that Hegel „was not prepared to declare his admiration" for these institutions: everything happens, he says, as if Hegel had known only „two methods of fundamental political change: the French way of appealing to abstract principles by radical politicians, populär upheavals and violent overthrow of the Status quo, and the German way of slow reforms from above, prepared by well-trained and capable officials and imposed by absolute monarchs". This would have made him unable to appreciate the path of peaceful parliamentary reform followed by Britain (107 ff). However that may be, the Prussian political and historical context does seem to have played an essential role in the formation of Hegel's political doctrine. ROLF GRAWERT'S authoritative account of The Constitutional Question and the Legislation in Prussia. A Comparison of the Political Praxis in the Vormärz with Hegel's Concept of a Philosoph]) of Right, is illuminating in this matter: GRAWERT establishes that in Vormärz Prussia legislation developed without a Constitution and was nevertheless meant to contribute to the formation of a Constitution: and he shows that Hegel's conception of the relations between the laws and the conshtution agrees with this practice. He also points to an interesting evolution of this conception: in 1817/18, at Heidelberg, Hegel still associated the notion of „Constitution" to the legislative power (Wannenmann, § 131); whereas in 1820 this association is loosened. Hegel writes then that the legislative power is „itself a part of the Constitution . . . which is presupposed by it and to that extent lies absolutely outside the sphere directly determined by it" but „becomes progressively more mature in the course of the further elaboration of the laws" (§ 298; transl. by Knox). In 1824—25, he endeavours to shed some light upon this problematic sentence by adding that the codification of a Constitution is not essential, for the form alters itself progressively (IT ting. IV. 697; cf. 286 f). One may well wonder, following GRAWERT, how one should Interpret these changes: do they bear evidence to an adaptation to conservative trends in Prussia?

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It is interesting to note here, together with GRAWERT, that the many references, in the 1817/18 Wannenmann Lecture notes, to concrete political institutions — to the question of the ministerial responsibility, of Gegenzeichnung, of the Bewilligungskompetenzen of the Stände — are all missing in 1820 (296). GRAWERT finds it difficult, for this reason, to identify the political forces to which Hegel would have wanted to give constitutional powers in his political doctrine: and he concludes that in 1820 there is no decision for a determinate direction: whether restauration or reform. Still, should one - and can one - remain with such an open thesis? This has certainly not been the position endorsed by Hegel's own students and, beyond these students, by his many interpreters — whether sympathetic or inimical to his philosophy: HANS-CHRISTIAN LUCAS'S „Who has to make the Constitution, the People or Somebody Else?" On Hegel's Understanding of Constitutional Monarchy between Heidelberg and Berlin offers a detailed, well-grounded and very instructive perspective over these interpretations: LUCAS shows how the old accusation of personal ambition and careerism first raised against Hegel by RUDOLF HAYM has been replaced today, in ILTING'S typical thesis of an Opposition between an esoteric and an exoteric doctrine, by that of a fear of censorship and persecutions; and he Claims with much right that what the long series of politically-oriented misinterpretations of Hegel should teach us is first and foremost that Hegel's printed text deserves authority in these matters, not his or his many students' unpublished notes. He also focusses upon Hegel's treatment, in his many lectures on the philosophy of right, of the crucial question „Who must make the Constitution: the people or somebody eise?", judiciously arguing that it is this very treatment which may help US determine whether or not we must accuse Hegel of an intended „accommodation" to Prussia. It is interesting to note that in 1817/18, Hegel referred explicitly to Louis XVIII: he vindicated the sheer act of authority by means of which Louis XVIII „gave" (octroy) a Constitution to his people, arguing that what made the importance of this act was the fact that the contents of the Constitution he gave were those of the Volksgeist (Wannenmann, 191). Hegel, LUCAS Claims, believed then that it would be the role of intellectuals, associated with government, to clarify the rational contents of the Volksgeist (210; cf. Wannenmann, 190; § 134 Anm.). He also argues that if Hegel does not deal later on with the question about the foundation of States, this is because he realizes that there is no great man in Prussia who can perform this act. The variations in Hegel's treatment of the question about the foundation of States notwithstanding, however, Hegel's position is remarkably steady and shows no traces of „accommodation" to Prussia. OTTO POGGELER'S authoritative Hegel's Encounter with Prussia gives full Support to this thesis. Indeed, it is astonishing to discover with the help of PöGGELER how strongly and persistently negative Hegel's attitude towards Prussia was: for a very long time, Hegel remained blind towards the reforms in preparation in this country, as well as towards the intellectual life there. PöGGELER calls upon his impressive knowledge of Hegel and of Hegelianism in Order to establish that Hegel could not have had Prussian specific political conditions in mind when he elaborated his philosophy of right. He shows, in particular, that it is wrong to ascribe Hegel's

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vindication of the political function of the Majorat to a direct influence of Prussian conditions. Here, Hegel would rather have thought about English Lords and French pairs. And besides, says POGGELER, how could Hegel adjust to Prussia when he explicitly required in his Rechtsphilosophie the institution of a „representation" and of trials by jury, whereas these institutions did not exist then in that regime? On a more fundamental level, we know now that the basic outline of Hegel's philosophy of right was completed well before Berlin, ever since Heidelberg; and this definitively weakens the thesis of Hegel's „Prussianism". PöCGELERalso points out, interestingly enough, that in some fundamental respects Hegel completely misunderstood the Situation in Prussia: the nobility, in this country, did not constitute an Oberhaus, but rather dominated the Stände. The position Hegel adopted, he says, was an altliberal one, which ought to be clearly distinguished from that of some of his students: e. g., of VON HENNING on the one hand, GANS on the other. In his Leopold von Henning's position on the constitutional question in Prussia, WOLFGANG BONSIEPEN (Bochum) furthers this analysis: he opposes GANS' and HENNING'S endeavours, showing that HENNING was more faithful to Hegel than GANS in that contrarily to GANS he only acknowledged hereditary monarchy. HENNING, however, overemphasized the monarchical principle. Furthermore, HENNING unhesitatingly related Hegel's conception of right to the doctrine of the Prussian political right: he used Hegel's conception of right as a philosophical foundation of the Prussian political right (the Allgemeines Landsrecht). It is undoubtedly in this endeavour that, as BONSIEPEN shows, VON HENNING departs from Hegel's philosophy: HENNING simply vindicated the existing political relations. The very problem of a mediation between the philosophical standpoint and political relations which was crucial to Hegel thus disappears. This problem, BONSIEPEN says, was perceived by GANS. Indeed, a detailed study, of the kind provided by BONSIEPEN on HENNING, of GANS' Hegel-interpretation would certainly bring more interesting results. To determine whether or not Hegel strived to „accommodate" with his time it may well be instructive to compare his political stand with that of some leading statesmen at the time, too. The analysis furthered by NORBERT WASZEK (Krefeld) in his Fox and Pitt. Field of Tension of British Politics as Reflected in Hegel’s Thought may well be paradigmatic in this matter: ROSENZWEIG believed that Hegel's 1831 support of the Tory statesman PITT contradicts his early criticism of this very statesman in his 1798 edition of CARTS Leiters and sustains the „accommodation" thesis.^ WASZEK'S careful, detailed analysis of the constitutional issues at stäke in the debate between Fox and PITT enables him to establish that this judgment was erroneous. WASZEK is thus able to confirm in one central issue of the constitutional debate — the question of representation — one of PELCZYNSKIS basic Claims: Hegel's sharp criticism of Britain in the 1831 Reform Bill notwithstanding, Hegel did not revise his positive judgment on Britain. It would be rewarding, it seems to me, to apply the Same kind of analysis to Hegel's attitude towards the positions endorsed by French statesmen — e. g., by BENJAMIN CONSTANT, ROYER-COLLARD and COUSIN. It * Rosenzweig: Hegel und der Staat. Bd 1. 53.

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would be rewarding, too, to apply it to some leading political figures in Hegel's Prussia. This would perhaps give even more support to the thesis which dominates the volume: that Hegel did not, after all, look for an „accommodation" to Prussia. Myriam Bienenstock (Jerusalem)

Rainer Enskat: Die hegelsche Theorie des praktischen Bewußtseins. Frankfurt

a. M.: Klostermann 1986. 163 S. In einer systematischen Abhandlung versucht der Autor Hegels Theorie des praktischen Bewußtseins zu entfalten. Von Hegels Geschichtsphilosophie ausgehend bezieht er sich vor allem auf die Grundlinien der Philosophie des Rechts, einige Passagen aus der Phänomenologie des Geistes zieht er an wenigen Stellen zusätzlich zur Stützung seiner Ausführungen heran. Ohne das in Büchern übliche Vorwort, ohne weitschweifige Einleitung und methodische Vorbemerkungen, aber auch ohne Zusammenfassung des bisherigen Forschungstandes und Einordnung des eigenen Ansatzes setzt ENSKAT mit seinem Argumentationsgang ein. Sein Ausgangspunkt ist GADAMERS Diktum, daß man ganz allgemein überhaupt erst einmal lernen müsse, Hegel zu buchstabieren. ENSKATS methodischer Ansatz läßt sich vielleicht am besten als „Rekonstruktion" charakterisieren. JüRGEN HABERMAS hat das Verfahren der Rekonstruktion, das er auf den Historischen Materialismus anwendet, einmal so charakterisiert: „Rekonstruktion bedeutet in unserem Zusammenhang, daß man eine Theorie auseinandernimmt und in neuer Form wieder zusammensetzt, um das Ziel, das sie sich gesetzt hat, besser zu erreichen: das ist der normale . . . Umgang mit einer Theorie, die in mancher Hinsicht der Revision bedarf, deren Anregungspotential aber noch (immer) nicht ausgeschöpft ist." Nun beabsichtigt ENSKAT keine Revision der Hegelschen Philosophie, sondern verfolgt angesichts der Verständnisprobleme zunächst ein viel bescheideneres Ziel. Er versucht, die Probleme, die Hegel sich gestellt hat, und sein Argumentationsziel herauszuarbeiten und zu klären und die Elemente seiner praktischen Philosophie von dort aus neu zu ordnen und zu deuten. Zu diesem Zweck verläßt er die ausgetretenen Pfade der Hegel-Interpretation. So geht es ihm nicht um eine genetische oder biographische Interpretation des Hegelschen Denkens oder um die systematische Überprüfung von Hegels Argumentation auf ihre logische Struktur und Notwendigkeit oder seiner Voraussetzungen und Begründungen auf ihre Legitimität. Er versucht vielmehr, ein konsistentes und überzeugendes Bild des Ansatzes von Hegels praktischer Philosophie in einer systematischen Abfolge von Problemstellungen und Lösungsversuchen zu zeichnen. Hegels praktische Philosophie ist das Ergebnis seiner Auseinandersetzung mit der antiken Ethik und Politik und basiert auf der anthropologischen Einsicht in die Freiheit der Menschen bzw. der geschichtsphilosophischen These der Entwick-

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lung des Freiheitsbewußtseins. Hegel faßt seine Synthese der PLAiONischen Idee des Guten, der ARisroxELischen Konzeption der „arete" und der KANxischen Entdeckung des Prinzips der Freiheit in der Formulierung des § 142 der Grundlinien zusammen: „Die Sittlichkeit ist die Idee der Freiheit, als das lebendige Gute." ENSKAX liest Hegels praktische Philosophie als geschichtsphilosophisch begründete Ethik: „Sie erörtert die Bedingungen, von denen abhängt, daß das Gute lebendig ist" (6). Hegel hielt nach ENSKAX diese Erörterung für eine wichtige Aufgabe seiner Zeit, „weil man auf dem von Kant entdeckten Weg .. . zum ersten Mal das richtige gegenständliche Freiheitsbewußtsein entwickeln kann" (9). Die Freiheit des Menschen wird durch den Kategorischen Imperativ aufgezeigt, der nicht nur eine „sittengesetzliche Funktion" hat, sondern auch eine „freiheitserschließende": er ist die „ratio cognoscendi der Freiheit". Seine Abstraktheit, das Absehen von allen Interessen und Motiven (KANXS negativer Freiheitsbegriff), verweist auf das „Faktum der Freiheit": die Fähigkeit zur praktischen Einsicht; seine Formalität, die Anwendung auf konkrete Maximen und deren Prüfung mittels des logischen Widerspruchsverfahrens, läßt praktische Einsichten gewinnen (KANXS positiver Freiheitsbegriff) und offenbart so die „Struktur der Freiheit". Faßt man den Kategorischen Imperativ als Norm auf, „seine Freiheit gut zu gebrauchen" (KANX), SO stellt sich die Frage nach den Gründen der Respektierung der Norm. Hat KANX nur am Rande die Voraussetzung, eine „erworbene Fertigkeit der Vernunft", erwähnt, so wird für Hegel die Frage, wie ein guter Freiheitsgebrauch erworben wird, zentral. In seinen Vorlesungen zur Philosophie der Geschichte beansprucht Hegel den „Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit" darzustellen und in seiner Notwendigkeit zu erkennen. ENSKAX weist darauf hin, daß Hegel die Geschichte nicht unter eine quasi-naturgesetzliche Notwendigkeit stellt, sondern mit einem Begriff „praktischer Notwendigkeit" arbeitet, also zeigt, „daß und inwiefern die Menschen einen Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit nötig haben" (26). „Ein Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit ist deswegen nötig, weil sich die Menschen im Schatten eines falschen gegenständlichen Freiheitsbewußtseins nur allzu leicht an falschen Normen, Institutionen und Handlungsschemata orientieren" (28). ENSKAX wendet sich gegen den Eindruck der Banalität oder Trivialität, sondern hält es für die Quintessenz der Hegelschen Geschichtsphilosophie, „wie wenig sich unmittelbar aus dem Faktum, der Verteilung und der Struktur der Freiheit ergibt und wie lange die Menschen gleichwohl gebraucht haben, um dieses Wenige zu realisieren" (28). Eine Geschichtsphilosophie, die die Notwendigkeit des Fortschritts im Bewußtsein der Freiheit aufzeigen will und die die Verbesserung des Handelns durch die Korrektur des falschen Freiheitsbewußtseins für möglich hält, steht vor einem methodischen Problem: Wie kann den Menschen einer Epoche ein Fortschritt im Freiheitsbewußtsein zuteil werden, wenn sie über das einzige zuverlässige Kriterium, nämlich das richtige Freiheitsbewußtsein, nicht verfügen? Für Hegel ist es „lediglich eine Angelegenheit der geschichtlichen Dauer und der Gunst der weltgeschichtlichen Umstände, bis das Tun und Lassen der Menschen sowie die Einstellung der Menschen zu ihrem Tun und Lassen ein Material für die Reflexion bieten.

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das in paradigmatischer Weise eine Gelegenheit zur letzten Korrektur am Inhalt und an der Form eines falschen und zur Entwicklung des richtigen gegenständlichen Freiheitsbewußtseins bietet" (33). Zeigt sich aber, daß ein Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit auch von anderen Bedingungen als dem richtigen Freiheitsbewußtsein abhängen kann, daß es Beispiele für praktische Vortrefflichkeit auch unter der Voraussetzung eines falschen oder fehlenden Freiheitsbewußtseins gibt, dann wird es problematisch, „in welchem Sinne das richtige gegenständliche Freiheitsbewußtsein zu den Bedingungen dafür gehört, daß das Gute lebendig ist". Für ENSKAT sind die Grundlinien der systematische Ort, „an dem Hegel Bedingungen erörtert, unter denen auch das richtige gegenständliche Freiheitsbewußtsein noch eines Fortschritts sowohl fähig wie auch bedürftig ist" (40). Hegel spricht KANT die Einsicht in das Faktum, die Struktur und die Verteilung der Freiheit zu, und damit habe „die Entwicklung des gegenständlichen Freiheitsbewußtseins ein Stadium erreicht. . ., das durch keinen weiteren Fortschritt mehr überboten werden kann" (25). Das Erreichen des letzten „Stadiums der Geschichte" ist nicht gleichbedeutend mit dem Ende der Geschichte. Denn auch die Inhaber des richtigen gegenständlichen Freiheitsbewußtseins können sich noch in Irrtümer und Selbsttäuschungen verwickeln. Diese Irrtümer und Selbsttäuschungen entspringen Fehlern bei der Anwendung des Prinzips der Freiheit auf die Weltlichkeit. „Das letzte Stadium der Geschichte, das Hegel mit der Einsicht der Philosophen des Deutschen Idealismus in die Struktur, das Faktum und die Verteilung der Freiheit gekommen sieht, besteht daher ... in den Fortschritten, deren das Freiheitsbewußtsein bei seiner Anwendung auf die Weltlichkeit bedarf" (42). Enskat deutet die Rechtsphilosophie nun unter diesem Aspekt der möglichen Irrtümer des Freiheitsbewußtseins in Bezug auf seine angemessene, beste Anwendung: „Das lebendige Gute ist nämlich nichts anderes als die gute Anwendung des Prinzips der Freiheit auf die Elemente der Weltlichkeit durch alle freien Wesen. Das Gute ist dann, aber nur dann, lebendig, wenn alle freien Wesen das Prinzip der Freiheit gut auf die Elemente der Weltlichkeit anwenden." (46) Der Autor differenziert die Elemente der Weltlichkeit nach ihrem ontologischen Status und den Unterschieden der subjektiven Aneignung: Handlungen, „die ureigensten Stiftungen des Subjekts", Sachen, die gebraucht oder in Besitz genommen werden, und Institutionen, deren sittlicher Charakter die Individuen als ihr eigenes Wesen und als Resultat ihres eigenen sittlichen Handelns erkennen. Der Handelnde kann sich in seiner Selbstdeutung als personifizierte Urteils- und Handlungsmacht in der Weise über seine Freiheit täuschen, daß er andere Personen, Sachen oder Institutionen als Einschränkungen seiner Freiheit auffaßt. Die Gestalt einer solchen einseitigen moralischen Radikalisierung ist die „schöne Seele", die ihre größtmögliche Unabhängigkeit durch ihren Rückzug aus der Sphäre der Praxis zu erreichen sucht. Korrigiert wird das falsche moralische Freiheitsbewußtsein durch die Erfahrung der natürlichen und rechtlichen Nichtigkeit der Sachen. Die zweite Fehlform, die einseitig radikalisierte rechtliche Freiheit, sieht ENSKAT in der Gestalt des Arbeiters, der sich in den auf der Grundlage von Eigentum und Vertrag gestalteten Arbeitsverhältnissen der bürgerlichen Gesellschaft, die

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immer die Möglichkeit der Arbeitslosigkeit und Verelendung beinhalten, zu übermäßigen Arbeitszeiten vertraglich verpflichtet, die seine Rechtsfähigkeit gefährden und seinem Wohl widersprechen. Die Berücksichtigung der moralischen Verpflichtung, für das eigene Wohl zu sorgen, wäre die Überwindung dieser Fehlform des praktischen Freiheitsbewußtseins. In Bezug auf die sittlichen Mächte kann das Subjekt eine Einstellung entwickeln, „in der es zwischen ihnen und den Hervorbringungen und Mächten der Natur keinen wesentlichen Unterschied zu erfassen vermag" (76). Aufgrund seiner falschen Einstellung erfährt es sich ausschließlich als passiv Betroffener oder glaubt die sittlichen Institutionen wie natürliche oder technische Sachen benutzen zu können, anstatt die sittlichen Mächte als sein Wesen und ihm gemäße Lebenssphäre zu erkennen. Hegels Theorie der Sittlichkeit versteht ENSKAT als „eine umfassende Theorie der Normen, Handlungsschemata und der Lebensweise, die die . .. Subjekte in ihrem Verhältnis zu den sittlichen Elementen der Weltlichkeit im günstigsten Fall verwirklichen" (79). Zugleich soll diese Theorie eine Chance zur Einsicht in die Bedingungen der Überwindung der immer drohenden Entfremdung von der Sittlichkeit eröffnen. ENSKAT führt drei Irrtümer als Symptome der Entfremdung von den sittlichen Institutionen an: die Erziehung zur Selbständigkeit und freien Persönlichkeit in der Familie erscheint bloß als Erziehung zur Funktionstüchtigkeit in der bürgerlichen Gesellschaft; die Freiheit des egoistischen Nutzenkalküls im Rahmen des Funktionsgefüges der bürgerlichen Gesellschaft erscheint nur als Abhängigkeit; der Staat wird mit der bürgerlichen Gesellschaft verwechselt und einem verabsolutierten Nützlichkeitsdenken unterworfen, so daß der Staat entweder zugunsten des bürgerlichen Wohls zweckentfremdet wird oder angesichts des ausbleibenden bürgerlichen Nutzens mit Gleichgültigkeit behandelt oder abgelehnt wird. Die letzte und wichtigste Form des falschen Bewußtseins, „die Entfremdung der Staatlichkeit" (100), wird durch die Einsicht in die sittliche Eigenart der staatlichen Institutionen überwunden, wodurch dem Individuum „der letzte Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit zuteil [wird], dessen es bedürftig und fähig ist" (101). Die entsprechende praktische sittliche Einstellung ist das Vertrauen in die politischen Einrichtungen. Im letzten Teil seiner Abhandlung geht ENSKAT der Frage nach, „weswegen die staatlichen Elemente eines Zutrauens der Individuen überhaupt fähig und würdig sind" (107). Er stellt heraus, daß Hegels Staatsphilosophie in ihrem Kern eine politische Ethik ist, da die Organisation des politischen Institutionen- und Amtsgefüges einer sittlichen Norm untersteht. Die Bedingungen, die Hegel als Garantie des öffentlichen Wohls entwirft, haben den Charakter von Normen: Bedingung für eine Vertrauen findende politische Arbeit ist die „Reife der Entscheidung" (epistemische Norm), die wiederum ein wohlgeordnetes Beratungswesen zur Bedingung hat (organisatorische Norm). Aufgabe der politischen Amtsinhaber ist die Suche nach dem öffentlichen Wohl, deshalb wird ihnen die Sorge um das eigene Wohl durch die öffentliche Sicherung ihrer Subsistenz genommen (staatsökonomische Norm). Zu diesem Normengefüge zählt auch die legislatorische Norm der Förderung der allgemeinen wechselseitigen Verläßlichkeit durch allgemeine, verbindliche Gesetze.

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Indem Hegels politische Philosophie die Bedingungen für das öffentliche Wohl als Normen formuliert — die konkreten Inhalte der Gesetze entziehen sich ihren Methoden —, kann sie zwar nicht das Vertrauen in individuelle Ämter, Amtsinhaber oder Modi der Amtsausübung, wohl aber das Vertrauen in verfassungspolitische Tatsachen, also ein „konstitutionelles Zutrauen und Vertrauen" (136) rechtfertigen. Mit ihrer systematischen Erörtertung verfolgt sie auch ein „bewußtseinsbildendes Ziel" (138): das falsche praktische Freiheitsbewußtsein, das politische Regulierungen für die Auslöschung der Freiheit hält, zu korrigieren, das Vertrauen in die politische Ordnung zu wecken und zur Förderung des politischen Lebens zu motivieren. ENSKAT charakterisiert Hegels Standpunkt als „politischen Quietismus" (155), der sich schon deutlich in der Zwecksetzung der VerfassungsSchrift äußerte, „das Verstehen dessen, was ist und damit die ruhigere Ansicht sowie ein in der wirklichen Berührung und in Worten gemäßigteres Ertragen derselben zu befördern". ENSKATS „Rekonstruktion" (s. o.) der Hegelschen Rechtsphilosophie charakterisiert als deren Grundmuster das „Wechselspiel von Entfremdung und Erfahrung" (74). Hegel verwendet die Begriffe Entfremdung und Erfahrung vor allem in der Phänomenologie des Geistes zur „Darstellung des erscheinenden Wissens". Er versucht in dieser „Geschichte der Bildung des Bewußtseins selbst zur Wissenschaft" den Weg des natürlichen Bewußtseins zum wahren Wissen bzw. den Weg der Seele durch die Reihe von Gestaltungen bis zur Läuterung zum Geist mit den Kategorien der Entfremdung und Erfahrung zu begreifen. Es stellt sich hier jedoch die Frage, inwieweit sie auch ein Schlüssel zum besseren Verständnis der Rechtsphilosophie sind. Hegel selbst verwendet den Begriff der Entfremdung in seinen Grundlinien nur zur Charakterisierung des Verhältnisses der Personen in der bürgerlichen Gesellschaft. Demgegenüber liest ENSKAT aus der Gliederung des Abschnitts „Sittlichkeit" die „Ordnung des Weges, auf dem die Menschen für die Entfremdung der Sittlichkeit anfällig werden können" (79) heraus. So interpretiert er den § 238 als Darstellung der ersten Form der Entfremdung der Sittlichkeit und bezieht diese Deutung auf den § 175 der Grundlinien, um Hegels Charakterisierung der Aufgaben der familialen Erziehung eine falsche Bewußtseinsform an die Seite zu stellen. In § 238 reflektiert Hegel jedoch nur den historischen Wandel der Neuzeit: die bürgerliche Gesellschaft entzieht durch ihre neue ökonomische und rechtliche Ordnung den Familien die traditionelle Grundlage einer landwirtschaftlichen, auf Selbstversorgung ausgerichteten Produktion und damit auch Möglichkeiten der Vorsorge und Subsistenzsicherung. Der Einzelne ist damit, wie die Familie, von der arbeitsteiligen bürgerlichen Gesellschaft und ihren Entwicklungsgesetzen abhängig; Aufgaben, die bislang die Familie übernehmen konnte, stellt sich nun die Instanz, die wir heute „Sozialstaat" nennen. Inwieweit dieser historische Wandel eine Auffassung über die Ziele der Familienerziehung in der Weise entstehen läßt, wie der Autor darstellt (80 f), ist nicht einzusehen, zumindest läßt sie sich nicht auf Hegels Ausführungen stützen. Im Hinblick auf die bürgerliche Gesellschaft beschreibt ENSKAT den Prozeß von Entfremdung und Erfahrung des praktischen Freiheitsbewußtseins: „Das Opfer

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der Entfremdung der Sittlichkeit kann . .. sogar irrtümlich meinen, daß seine ,Freiheit.. . zur . . . Abhängigkeit [wird]'" (83). Das Individuum darf aber die teilweise Abhängigkeit seines Wohls, bzw. seiner Subsistenz von der bürgerlichen Gesellschaft nicht mit einer Unfreiheit seiner Person verwechseln, sondern soll in seiner freien Nutzenüberlegung „die genuin freiheitliche Komponente seiner Funktionstüchtigkeit" in der bürgerlichen Gesellschaft erkennen. „Daher kann Hegel mit derselben stenographischen Zuspitzung, mit der er von der Freiheit sagt, daß sie im Banne der Entfremdung der Sittlichkeit zur Abhängigkeit wird, umgekehrt von dieser Abhängigkeit auch sagen, daß ,... diese wieder zur Freiheit [wird], wenn die Entfremdung überwunden wird'" (86). ENSKATbezieht sich in seiner Charakterisierung des falschen und richtigen Freiheitsbewußtseins auf eine Stelle aus Hegels rechtsphilosophischer Vorlesung von 1819/20, an der Hegel die Dialektik der Willkürfreiheit (d. h. der bürgerlichen Freiheit) herausstellt: „Das Recht des besonderen Willens ist es, was die Menschen besonders unter Freiheit zu verstehen pflegen. Bürgerliche Freiheit soll so sein, nicht beschränkt zu werden in seiner Neigung, seiner Willkür, der Ausübung der Geschicklichkeit usf. . .. Die Besonderheit ist ein Inhalt, der nicht ein Inhalt der Freiheit ist. Notwendigkeit und Freiheit sind hier im Kampfe miteinander: eins schlägt immer um in das andere. Die Freiheit wird zur Notwendigkeit und Abhängigkeit und diese wieder zur Freiheit." (Philosophie des Rechts. Die Vorlesung von 1819/20 in einer Nachschrift. Hrsg. V. D. Henrich. Frankfurt 1983. 150). ENSKAT bestimmt das Ineinander von Freiheit und Abhängigkeit im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft durchaus richtig, und Irrtümer über diesen Sachverhalt sind gewiß nicht zu bestreiten; aber die Charakterisierung des Bewußtseins der Abhängigkeit als Ausdruck von Entfremdung der Sittlichkeit bzw. der Erfahrung von Freiheitsräumen und Selbstbestimmungsmöglichkeiten als ein richtiges Freiheitsbewußtsein verfehlt nach Auffassung des Rezensenten den Sinn von Hegels dialektischer Kritik der Willkürfreiheit. Ein grundlegendes Beispiel für die Entfremdung der Sittlichkeit sieht der Autor in der subjektiven Einstellung, die zwischen sittlichen Institutionen und natürlichen Mächten keinen Unterschied zu sehen vermag und sich auf sittliche Institutionen so instrumentalistisch wie auf natürliche Dinge bezieht. Die entgegengesetzte Einstellung beruht auf dem Wissen um die Identität von sittlicher Substanz und Subjektivität. „Mit der Charakterisierung dieser beiden extremen Einstellungen des Subjekts hat Hegel die beiden Pole des praktischen, kognitiven und emotionalen Spannungsfeldes markiert, in dem die Menschen dem Wechselspiel von Entfremdung und Erfahrung ihres Freiheitsbewußtseins auch dann ausgesetzt sind, wenn sie schon alle das richtige gegenständliche Freiheitsbewußtseins entwickelt haben." (77) Ob Hegel in den §§ 146 und 147 der Grundlinien allerdings die beiden Gestalten des richtigen und falschen Freiheitsbewußtseins entworfen hat, scheint zweifelhaft. Hegel bestimmt hier die Sittlichkeit vom Standpunkt des individuellen Bewußtseins: Sie ist selbständiges Sein und Macht für es und zugleich sein eigenes Wesen. Zur Verdeutlichung der absoluten Autorität der sittlichen Gesetze und Gewalten vergleicht Hegel sie mit denen der Natur, stellt sie in ihrer

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Unerschüttlichkeit gar über die Natur. Wenn es Hegel um die Beschreibung und Kritik eines falschen Bewußtseins an dieser Stelle geht, dann um die Abwehr von Auffassungen, die die Gestaltung der sittlichen Gesetze anzweifeln oder ihre Verbindlichkeit in Frage stellen. Beide Bestimmungen des Bezugs des Individuums auf die sittlichen Mächte, bedingungslose Unterordnung und wesensmäßige Identität, gehören für Hegel zusammen und stellen somit nicht den Gegensatz einer (aufzugebenden) entfremdeten Stellung zur Sittlichkeit und einer (anzustrebenden) angemessenen sittlichen Haltung dar. ENSKATS Interpretation, die in ihrer Konsistenz beeindruckt, stellt einen affirmativen Hegel heraus, durchaus in Übereinstimmung mit der oben zitierten Absicht Hegels. Nicht zuletzt die bis heute nicht abgeschlossene Kontroverse um die Rechtsphilosophie und Hegels politische Position bzw. die politische Wirkungsgeschichte seiner Philosophie zeigen jedoch, daß der affirmative Hegel nicht die ganze Wahrheit ist. Seine dialektischen Begriffe der Vernunft und Wirklichkeit z. B. haben durchaus kritische Valenz. Dieser vemunftkritische Moment geht in ENSKATS Interpretation vielleicht deshalb verloren, weil er die Rechtsphilosophie von der Antike aus nur als Ethik, als System von Bedingungen für die Lebendigkeit des Guten liest und einseitig den Sollensaspekt der einzelnen Bestimmungen herausstreicht. Hegel verstand aus guten Gründen seine Philosophie nicht als Sollenslehre, sondern hat immer darauf beharrt, die Wirklichkeit erkannt zu haben. Mit der systematischen Entwicklung des Kreises der Bestimmungen beanspruchte er, sie in ihrer Notwendigkeit zu begründen. Deshalb war für ihn die philosophische Entwicklung der notwendigen und wirklichen Verhältnisse identisch mit einer immanenten Pflichtenlehre. Werden jedoch die einzelnen Bestimmungen aus ihrem Begründungszusammenhang gelöst und als Ideale oder Normen formuliert, so wird alles das schon vorausgesetzt, was Hegel begründen wollte, nämlich Recht, Moral und die Institutionen und Verhältnisse von Familie, bürgerlicher Gesellschaft und Staat. Damit gleicht sich eine solche Ethik dem von Hegel kritisierten Ansatz einer Pflichtenlehre an. ENSKATS Interpretation wirft damit erneut die Frage nach Hegels Ethik, die Berechtigung und Tragfähigkeit ihres Ansatzes und ihrer inhaltlichen Konkretisierung auf. Von der weitergehenden Klärung der interpretatorischen Fragen sind auch substanzielle Beiträge zum heute wieder verstärkt diskutierten Problem philosophisch begründeter Prinzipienethik zu erwarten. Lothar Wigger (Bielefeld)

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G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 3: Die vollendete Religion. Herausgegeben von Walter Jaeschke. Hamburg: Felix Meiner 1984. VIII, 372 S. (Hegel: Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte. Bd 5.) G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 2: Die bestimmte Religion. In zwei Bänden (a: Text; b: Anhang). Herausgegeben von Walter Jaeschke. Hamburg: Felix Meiner 1985. XIII, 1024 S. (Hegel: Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte. Bd 4a und 4b.) hat seine Edition von Hegels Berliner Vorlesungen über die Philosophie der Religion schon zwei Jahre nach dem Erscheinen des ersten Teiles zum Abschluß gebracht. Das hohe Lob, das der Rezensent diesem 1983 erschienenen ersten Teilband mit Einleitung und Begriff der Religion gespendet hat (vgl. HegelStudien. 19 [1984], 317-326), ist bezüglich der nun veröffentlichten Bände Die bestimmte Religion und Die vollendete Religion nicht nur zu bekräftigen, sondern zu verstärken. Zwar soll die jetzt vorliegende Ausgabe von Hegels Religionsphilosophie-Vorlesungen eine historisch-kritische Edition im Rahmen der Gesammelten Werke insoweit noch nicht vorwegnehmen, als diese einen sehr viel umfangreicheren textkritischen Apparat enthalten, soll. Aber die im Rahmen der Reihe „Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte" geleistete Präsentation der von Hegel in den Sommersemestern 1821, 1824, 1827 und 1831 gehaltenen Religionsphilosophie-Vorlesungen ist editorisch so gelungen, daß sie, sollten trotz JAESCHKES intensiver und durchaus erfolgreicher Bemühungen um die Erschließung neuen Überlieferungsmaterials nicht doch noch bisher unbekannt gebliebene Vorlesungsnachschriften oder -mitschriften aufgefunden werden können, nur noch unwesentlich perfektioniert werden kann. Es ist keineswegs zu hoch gegriffen, wenn man feststellt, daß JAESCHKES äußerst sorgfältige editorische Arbeit in der Geschichte der Überlieferung von Hegels Religionsphilosophie eine tiefe Zäsur markiert. Bekanntlich hatten die Herausgeber der bisher gebräuchlichen Ausgaben, PHILIPP KONRAD MARHEINEKE, BRUNO BAUER und in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts GEORG LASSON, die in Architektonik und materialer Durchführung erheblich von einander abweichenden vier Vorlesungen so zu einer (fiktiven) Berliner Religionsphilosophie ineinandergefügt, daß weder die zwischen den einzelnen Jahrgängen bestehenden Differenzen zureichend erkennbar waren noch gar eine einzelne dieser Vorlesungen angemessen dargestellt war. Demgegenüber hat JAESCHKE nun erstmals das Manuskript der Vorlesung von 1821 sowie die Mit- bzw. Nachschriften von 1824, 1827 und 1831 gesondert ediert. Dabei wird die Vorlesung von 1821 durch das in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz verwahrte Manuskript dokumentiert. Auch im nun vorliegenden zweiten und dritten Teil ist es JAESCHKE dabei überzeugend gelungen, die Randzusätze, welche zumeist nachWALTER JAESCHKE

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trägliche Ergänzungen zum Text zum Inhalt haben, in den Text zu integrieren; der mit großer Sorgfalt gearbeitete Apparat bietet neben präzisen Auskünften darüber, wie Hegel diese Randbemerkungen jeweils auf den Haupttext bezogen hat, noch solche Randbemerkungen, die den Charakter von bloßen Stichworten für den Vortrag oder von Gliederungsentwürfen haben und sich deshalb nicht in den Haupttext integrieren ließen, sowie Sondergut aus der zweiten, im wesentlichen von BRUNO BAUER redigierten Ausgabe der Religionsphilosophie. Für die in fünf Nachschriften überlieferte Vorlesung von 1824 bildet eine Reinschrift von KARL GUSTAV VON GRIESHEIM den Leittext, weil Hegel selbst der Vorlesung 1827 ein von ihm überarbeitetes Exemplar der VON GRiESHEiMschen Reinschrift zugrundegelegt hatte; dieser Leittext ist durch drei weitere Vorlesungsnachschriften kontrolliert und gegebenenfalls korrigiert bzw. erweitert worden. Die Vorlesung von 1827 ist durch den Textbestand der alten Ausgaben sehr viel besser als durch drei von JAESCHKE neu aufgefundene Mit- bzw. Reinschriften überliefert; mithilfe dieser neuen Quellen hat JAESCHKE einen Leittext deshalb aus dem Textmaterial der LASSONEdition rekonstruiert und diesen dann gegebenenfalls von den Primärquellen her ergänzt und korrigiert. Die Vorlesung von 1831, die am schlechtesten überlieferte Vorlesung, wird in einer Beilage durch Auszüge aus einer Nachschrift dieser Vorlesung dargestellt, die DAVID FRIEDRICH STRAUSS sich bei seinem Berlin-Aufenthalt im Wintersemester 1831/32 angefertigt hatte. Die Beilage bietet darüber hinaus „Blätter zur Religionsphilosophie", die 1972 bereits von H. SCHNEIDER publiziert worden sind, und Fragmente aus zwei verschollenen Vorlesungsnachschriften CARL LUDWIG MICHELETS, die in der Kontroverse um Hegels Religionsphilosohie überliefert worden sind. Erstmals in der problematischen Geschichte der Überlieferung von Hegels Berliner Religionsphilosophie-Vorlesungen sind damit die vier Vorlesungen je für sich bzw. in ihrer jeweiligen Selbständigkeit dokumentiert. Die Vorzüge dieser gesonderten EdiHon der einzelnen Vorlesungsjahrgänge sind so evident, daß sie hier nicht im einzelnen erläutert werden müssen. Gut 150 Jahre nach dem Erscheinen von MARHEINEKES Edition ist es der Hegel-Forschung nun endlich möglich, auf einer so weit wie möglich gesicherten Textgrundlage die komplizierte Entwicklungsgeschichte von Hegels Berliner Religionsphilosophie zu erkennen und die in den divergierenden Aufrissen implizierten systematischen Entscheidungen zu analysieren. So ist zu hoffen, daß in Philosophie und Theologie die mit der neuen Edition gegebenen Chancen erkannt und die in ihr liegenden Herausforderungen produktiv aufgenommen werden. Jedenfalls wird sich die weitere Forschung zu Hegels Religionsphilosophie zunächst nun vordringlich der Aufgabe stellen müssen, die tiefgreifenden Änderungen entwicklungsgeschichtlich aufzuklären, denen Hegels religionsphilosophisches Denken zwischen 1821 und 1831 unterlegen ist. Ohne den Resultaten einer differenzierten entwicklungsgeschichtlichen Analyse der architektonischen und materialen Veränderungen in den Religionsphilosophie-Konzeptionen Hegels vorgreifen zu wollen, läßt sich schon jetzt sagen, daß die Vorlesungen von 1824, 1827 und 1831 gegenüber der im Manuskript von 1821 dokumentierten ersten selbständigen Religionsphilosophie Hegels einen erhebli-

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eben gedanklichen Fortschritt erkennen lassen. Daß nur diese erste Vorlesung durch ein Manuskript Hegels überliefert ist, darf nicht zu ihrer inhaltlichen Privilegierung gegenüber den allein durch Mit- oder Nachschriften überlieferten späteren Vorlesungen führen. Zwar lassen Gliederungen und inhaltliche Ausführung des jetzt vorliegenden dritten Teiles der Religionsphilosophie, der bekanntlich der Explikation der christlichen Religion dient, insgesamt eine bemerkenswerte Kontinuität erkennen; relevante Veränderungen gibt es hier im wesentlichen nur bezüglich der Darstellung des Verhältnisses von Religion und Sittlichkeit. Desto mehr fällt aber auf, daß Hegel im ersten Teil und im zweiten Teil der Vorlesung die Konzeption von 1821 fortlaufend verändert hat; diese Modifikationen in den späteren Vorlesungen betreffen im ersten Teil vor allem die begriffliche Struktur der Explikation des allgemeinen „Begriffs der Religion" und im zweiten Teil zur „Bestimmten Religion" insbesondere die Logik der Darstellung der religionsgeschichtlichen Enwicklung. Insgesamt sind die späteren Vorlesungen in Architektonik und leitender Begrifflichkeit differenzierter und in ihrer materialen Durchführung sehr viel reicher als die Konzeption von 1821. Eine nähere entwicklungsgeschichtliche Analyse der vier Berliner Religionsphilosophien Hegels muß deshalb die Erage aufwerfen, in welchem Verhältnis der hier jeweils erreichte gedankliche Eortschritt zu Modifikationen der Philosophie des absoluten Geistes bzw. der philosophischen Gesamtkonzeption Hegels steht. Die im dritten Teil der Vorlesung über die Philosophie der Religion entfaltete christliche Religion ist in den Ausgaben MARHEINEKES, BAUERS und LASSONS unter dem Titel „Die absolute Religion" dargestellt worden. JAESCHKE präsentiert diesen Teil nun als „Die vollendete Religion". Denn dieser Titel findet sich sowohl im Manuskript der ersten Religionsphilosophie-Vorlesung von 1821 als auch in DAVID FRIEDRICH STRAUSS' Exzerpten aus der unbekannten Nachschrift der Vorlesung des Sommersemesters 1831; darüber hinaus wird die bisher eingebürgerte Bezeichnung auch in keiner Mit- bzw. Nachschrift der beiden mittleren Vorlesungsjahrgänge im Titel verwendet. Wie schon dem ersten Teil der Vorlesung ist auch der Neuedition des dritten Teiles ein umfangreicher Anmerkungsapparat beigegeben, der in der Regel auf Nachweise der in Hegels Text vorkommenden Zitate bzw. der Bezugnahmen auf andere Schriften sowie auf Verweise innerhalb des Textes beschränkt bleiben soll. Erneut betont JAESCHKE, daß dieser Anmerkungsapparat „kein Kommentar" (311) sei. Doch ist dies eher Understatement. Mit großem detektivischen Spürsinn hat der Herausgeber auch Zitate und Anspielungen aus zeitgenössischen Texten nachzuweisen vermocht, die an weit entlegenen Orten publiziert worden sind. Dabei sind, im Lfnterschied zur editorischen Praxis in den Gesammelten Werken, die Zitate hier ausführlich wiedergegeben worden; altsprachlichen Zitaten ist nach Möglichkeit eine heute gebräuchliche Übersetzung beigegeben. So kommt der äußerst zuverlässige Anmerkungsapparat dem Ideal eines historischen Kommentars insoweit bereits nahe, als die philosophischen, theologischen und religionsgeschichtlichen Publikationen, die Hegel für seine Religionsphilosophie-Vorlesungen jeweils erarbeitet hat, nicht nur genannt — schon dies ist eine beachtenswerte eigenständige Forschungsleistung! — sondern auch im

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Zitat auszugsweise dargestellt werden. Der Benutzer von JAESCHKES Edition kann dadurch im einzelnen überprüfen, wie Hegel die von ihm herangezogenen Texte jeweils aufgenommen bzw. verarbeitet hat. Es war ein Grundproblem der älteren Ausgaben von Hegels Religionsphilosophie, deren drei Teile in zwei Bänden zu präsentieren und dadurch den künstlich auseinandergerissenen zweiten Teil mit der „Bestimmten Religion" seiner Selbständigkeit zu berauben. Erst in JAESCHKES Edition ist nun eigenständig dargestellt, was nahezu so umfangreich wie der erste und dritte Teil zusammen ist. In der Neuedition umfaßt die „Bestimmte Religion", deren Vortrag Hegel fast die Hälfte der jeweils verfügbaren Kollegstunden eingeräumt hat, 648 Druckseiten; der hier besonders wichtige, die Fülle des von Hegel erarbeiteten religionsgeschichtlichen Materials dokumentierende Anmerkungsapparat von gut 180 Seiten ist zusammen mit einem nahezu zweihundert Seiten umfassenden Anhang zu allen drei Teilen der Religionsphilosophie deshalb in einem eigenen Teilband, dem Band 4b der Vorlesungen, publiziert worden. Über die komplexe Entwicklung von Hegels Konzeption der „Bestimmten Religion" im einzelnen zu informieren, ist im Rahmen dieser Anzeige nicht möglich; daß erst durch JAESCHKES Edition der hervorragende Rang des zweiten Teiles der Religionsphilosophie überhaupt sichtbar gemacht und nun der hier besonders intensive Prozeß der Revision von Hegels ursprünglicher Konzeption en detail verfolgt werden kann, gibt Anlaß zur Hoffnung, die neue Ausgabe möge gerade bezüglich der Versuche, die Religionsgeschichte philosophisch zu begreifen, eine qualitativ neue Beschäftigung mit Hegels Religionsphilosophie provozieren. Schon die Monographien von REINHARD LEUZE: Die außerchristlichen Religionen bei Hegel (Göttingen 1975) und IGNATIUS VIYAGAPPA: G. W. F. Hegel's Concept of Indian Philosophy (Roma 1980) haben gezeigt, daß Hegel in der Darstellung der „Bestimmten Religion" keineswegs jener unhistorische, die Besonderheit des Geschichtlichen einer abstrakten Allgemeinheit des Begriffs subsumierende Konstruktivist gewesen ist, zu dem er von einer historistisch geprägten pauschalen Hegel-Kritik stilisiert worden ist. Doch erst durch JAESCHKES Edition ist nun die Intensität erkennbar, mit der Hegel sich das zu seiner Zeit bekannte religionsgeschichtliche und religionsgeographische Material erarbeitet hat. „Nichts ist Hegels Vorgehen weniger angemessen als das gängige Bild des Kathederphilosophen, der den bunten Reichtum der geschichtlichen Wirklichkeit durch ein vorfabriziertes Netz abstrakter Bestimmungen zur fahlen Räson bringen will." (IX) Diese These des Herausgebers wird nicht nur durch den reichen Anmerkungsteil zur „Bestimmten Religion", sondern auch den ausführlichen „Anhang zu den Teilen 1-3 der Religionsphilosophie" eindrucksvoll bestätigt. Dieser Anhang bietet zunächst eine instruktive, penibel gearbeitete „Bibliographie der Quellen zur Religionsphilosophie", in der all jene Quellen verzeichnet sind, auf die Hegel sich in den Vorlesungen über die Philosophie der Religion entweder explizit oder aber mit sehr großer Wahrscheinlichkeit bezogen hat. Für viele der hier verzeichneten gut 240 Titel weist JAESCHKE neben den von Hegel benutzten Ausgaben auch neuere Standardausgaben nach; darüber hinaus sind sowohl Werke aus Hegels Bibliothek als auch

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solche Titel, bei denen sich die von ihm benutzte Ausgabe zweifelsfrei bestimmen läßt, jeweils durch entsprechende Sigla gekennzeichnet. Wohl zur Freude aller Benutzer seiner Edition hat JAESCHKE sich dazu entschließen können, der Ausgabe im Anhang ein äußerst umfangreiches, gut 160 Druckseiten umfassendes Register beizugeben, das nicht nur den Textteil, sondern auch Vorwort und Anmerkungen erschließt. Dieses mit vorbildlicher Präzision gearbeitete Register gliedert sich in ein „Verzeichnis der Bibelstellen", ein äußerst differenziertes „Sachverzeichnis" und ein Personen Verzeichnis. Im Sachverzeichnis werden in vier Abteilungen philosophisch-theologische Begriffe, mythologische Personen und Begriffe, „Realia" wie „Feste, kultische Handlungen, Kultgegenstände, Organisationsstrukturen" (996) sowie schließlich Eigennamen von Religionen, Völkern, Texten und Orten unterschieden. Diese Register erlauben einen schnellen Zugriff nicht nur auf Hegels Text, sondern vor allem auch auf die in den reichen Anmerkungsteilen präsentierten philosophie-, theologie- und religionsgeschichtlichen Materialien. So ist Walter JAESCHKES Neuedition von Hegels vier Berliner Vorlesungen über die Philosophie der Religion keineswegs nur für Hegel-Spezialisten von Interesse. Sie ist vielmehr über die Grenzen der Hegel-Forschung hinaus von großer Bedeutung für alle an der Geschichte der Religionsthematik Interessierten. Philosophen, Theologen, Religionshistoriker und alle mit der Geistesgeschichte von Spätaufklärung und „Sattelzeit" Beschäftigten finden den religionstheoretischen Diskurs des 18. und frühen 19. Jahrhunderts hier mit einer Intensität bzw. einer souveränen Genauigkeit im historischen Detail erschlossen, die über den bisherigen Kenntnisstand in Philosophie- und Theologiegeschichtsschreibung weit hinausführt. Friedrich Wilhelm Graf (München)

G. W. F. Hegel: Lecciones sobre Filosofia de la Religion. 1. Introduccion y Concepto de Religion. Ediciön y traducciön de lücardo Ferrara. Madrid: Alianza Editorial 1984. LXVII, 379 S. Es handelt sich um die spanische Ausgabe der Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 1: Einleitung. Der Begriff der Religion. Herausgegeben von WALTER JAESCHKE. Hamburg; Meiner 1983, die von FR. W. GRAF in den Hegel-Studien. 19 (1984) 317—326 ausführlich besprochen worden sind. Eine editorische Anmerkung, die jeder Ausgabe vorangeht, lautet: „Diese Ausgabe ist aus der Zusammenarbeit von RICARDO FERRARA (Conicet, Argentina), PETER C. HODGSON (Vanderbilt University, Nashville, Tennessee) und WALTER JAESCHKE (Ruhr-Universität, Bochum) hervorgegangen. Die Genannten haben gleichen Anteil an der Herstellung des Textes". Die drei Ausgaben in deutscher, englischer und spanischer Sprache erscheinen parallel. Seinerseits fügt R. FERRARA im Vorwort hinzu: „Der Text wurde

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auf solidarische Weise hergestellt, die Einleitungen und die Anmerkungen des Herausgebers stammen aus einem gemeinsamen Austausch, auch wenn sie sich nach den kulturellen Voraussetzungen der verschiedenen Ausgaben unterscheiden." Es handelt sich darum nicht um eine bloße Übersetzung, sondern um eine Edition und - das sei betont - um eine Teamarbeit, die sehr zu bewundern ist. Diese Zusammenarbeit bedeutet, daß die spanische Ausgabe im wesentlichen der deutschen gleich ist, die Unterschiede dagegen nur in Kleinigkeiten bestehen. Sie betreffen die Verwendung von Zeichen im textkritischen Apparat sowie die in den Anmerkungen befolgte Tendenz, die längeren Zitate zu kürzen. Erwähnt sei hier nur, daß im Text der Gebrauch der eckigen Klammern vermehrt worden ist, weil es sich öfters empfiehlt, dem spanischen Wortlaut die entsprechende deutsche Wendung beizufügen. Die Übersetzung ist sehr sorgfältig. In der Einleitung (XLIII-XLV) werden die Kriterien dargestellt und am Ende (370—375) ein deutsch-spanisches Glossar angegeben. Sowohl die Kriterien als auch das festgesetzte Glossar werden treu befolgt, so daß sogar Zitate aus anderen Übersetzungen nach diesem Glossar umgewandelt werden. Man darf also von einer sehr guten Übersetzung sprechen, treu dem Wort und Begriff, und der Gliederung der Sätze, ohne Paraphrasierung, ohne allzu künstliche und komplizierte Neologismen oder Substantive und verbale Formen, die sonst im Spanischen ungewöhnlich sind. Das Resultat ist ein flüssiger Text in guter spanischer Syntax, der die Lektüre erleichtert. All diese Eigenschaften, gerade weil sie einem Hegelschen Text zugeschrieben werden dürfen, sprechen sehr für diese Übersetzung. Zu diskutieren wäre die Übersetzung der Hegelschen Terminologie, insofern ein wichtiges und dringliches Thema, als neue Texte Hegels übersetzt werden und andere neu übersetzt werden. „An sich" wird systematisch mit „virtual" wiedergegeben, wobei daneben immer das deutsche Wort in eckigen Klammern hinzugefügt wird, und „Wirklichkeit" mit „realidad efectiva". Sowohl im einen wie im anderen Fall hat die Wahl einen guten Grund, in beiden Fällen scheint der leitende Gesichtspunkt gewesen zu sein, auf die lateinische und indirekt die griechische Wurzel zurückzugehen, aus der der deutsche Begriff entstand, um damit einen normalen Sprachgebrauch zu gewährleisten. Nach diesem Prinzip hätte man „Wirklichkeit" mit „actualidad" wiedergeben müssen, obwohl die getroffene Entscheidung verständlich ist, wenn man so wenig wie möglich vom üblichen Wortsinn und Wortgebrauch abweichen will. Originell ist die Übersetzung von „Bestimmtheit" durch „distintividad". Damit wird im Wort selbst gesagt, daß es sich dabei um den unterschiedlichen Charakter handelt, um die eigentliche Eigenschaft, um das, was macht, da die Sache so sei, wie sie ist. (Vgl. Hegel: Science de la logique. Premier tome — Premier livre. Traduction, Präsentation, notes par P.-J. LABARRIERE et G. JARCZYK. Paris 1972. 11. Fußnote 12.) Bisher war für die Übersetzung „Bestimmtheit" das Wort „determinidad" üblich. Da es sich sowohl bei „distintividad" als auch bei „determinidad" um ein neues Wort handelt, würde ich „determinidad" vorziehen, weil damit die gemeinsame Wurzel und der entsprechende semantische Zusammenhang mit „determinar" (bestimmen) und „deter-

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minaciön" (Bestimmung) bewahrt werden. Außerdem gibt es noch einen Grund, der gegen „distinitividad" spricht: dieses Wort stellt den Unterschied in den Vordergrund und damit die Beziehung auf anderes, die nicht hierher gehört. „Schranke" und „Grenze" werden mit „conffn" und „limite" wiedergegeben, die prinzipiell den sonst üblichen „limite" und „termino" (so in der Übersetzung der Wissenschaft der Logik durch A. und R. MONDOLFO) m. E. vorzuziehen sind, da sie gewisse semantische Konnotationen ausdrücken, mit denen die terminologische Unterscheidung zusammenhängt. „Confin" scheint mir die Konnotation der Beziehung auf anderes auszudrücken, die „Schranke" bezeichnet. „Limite" dagegen scheint „Grenze" adäquater wiederzugeben. „Tärmino", mit dem üblicherweise „Grenze" ausgedrückt wird, scheint mir zweideutig zu sein, da es auch Ziel bedeutet, und dabei kann auch Vollendung mit anklingen, etwa in Ausdrücken wie „llevar a termino". Diese Anklänge fallen bei „Grenze" total aus. Diese Zweideutigkeit verschwindet ganz, wenn „Grenze" mit „limite" wiedergegeben wird. Die Schwierigkeit von „confin" besteht darin, daß es keine Adjektiv-Ableitung hat. Vielleicht ist deswegen R. FERRARA seinem Glossar gelegentlich untreu geworden; z. B. auch, weil er die verbale Ableitung „confinar con" als Übersetzung von „angrenzen" gebraucht hat, das ebensogut mit „limitar con" wiedergegeben werden konnte (vgl. 186/119-120, 190/264). Eine lange und konzise Einleitung des Herausgebers R. FERRARA geht dem Hegelschen Text voraus. In ihr kann man zweierlei Informationen unterscheiden: eine bezieht sich auf die Quellen und die Kriterien der Edition und Übersetzung, die andere auf die Religionsphilosophie Hegels. Die erste (III—IV, XII—XLV) stimmt mit der deutschen Edition (außer natürlich, was die Übersetzung betrifft) überein. Die zweite dagegen ist für den spanischen Leser gedacht und findet keine Parallele in der deutschen Ausgabe. Dieser zweite Text bietet eine komprimierte Zusammenfassung von präziser und reicher Information, die die Grundzüge der Religionsphilosophie anzeigt. Drei Aspekte werden dargestellt: 1. die Entwicklung der Hegelschen Religionsphilosophie von der Tübinger Zeit an bis zu den Berliner Vorlesungen (IV—VII), 2. die Berliner Vorlesungen über die Philosophie der Religion, ihr geschichtlicher Kontext und die Entwicklung der verschiedenen Vorlesungsjahrgänge (VII—XI), und 3. die Struktur und Entwicklung der Vorlesungen über Einleitung und Begriff der Religion, die diesen ersten Band ausmachen (XLV-LXV). Wenn die deutsche Ausgabe als die Edition begrüßt worden ist (vgl. FR. W. GRAF in: Hegel-Studien. 19 [1984], 326), so gilt dies für die spanische aus doppeltem Grund: 1. aus dem gemeinsamen Grund, daß sie den parallelen Text der vier Vorlesungen vorlegt, und 2. aus dem spezifischen Grund, daß sie die erste spanische Ausgabe der Vorlesungen über die Philosophie der Religion ist, denn dies war das einzige Werk Hegels, das noch nicht ins Spanische übersetzt war. Es ist spät angekommen, aber es ist jetzt die beste Edition eines Hegelschen Werkes, die auf Spanisch gelesen werden kann. Sie ist dem philologischen und philosophischen (wie auch dem historischen und theologischen) Sinn von R. FERRARA ZU danken. Gabriel Amengual (Palma de Mallorca)

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Ulrich Asendorf: Luther und Hegel. Untersuchungen zur Grundlegung einer neuen systematischen Theologie. Wiesbaden 1982. 529 S. Der als LuiHER-Forscher bekannt gewordene Theologe ASENDORF unternimmt es in seinem ebenso anspruchsvollen wie gedankenreichen Werk, den bislang „unbekannten lutherischen Hintergrund" (264) von Hegels Denken zu erhellen. Eine „heimliche Präsenz LUTHERS" — so lautet die zentrale These — sei „wesentlich der Ursprung des Hegelschen Denkens überhaupt" (262). Prononciert vertritt ASENDORF die Auffassung, daß zwischen LUTHERS theologischem und Hegels philosophischem Denkansatz eine tiefgründige innere Affinität bestehe. Dies bedeutet in bezug auf Hegel, daß sein von ihm selbst hervorgehobenes Befestigtsein im „Luthertum" (vgl. Briefe von und an Hegel. IV/2.61) bestimmend geworden sei für sein Denken. Das vorliegende Werk ist somit ein groß angelegter, weit gespannter Versuch, die Standorte Hegels und LUTHERS einander anzunähern und Hegels eigene Einschätzung seines Verhältnisses zu LUTHER (vgl. Grundlinien d. Phil. d. Rechts. Hrsg, von J. Hoffmeister. Hamburg^ 1955.17) sowohl in der Hegelschen Prinzipienlehre als auch in unterschiedlichen geistesphilosophischen Systemteilen als zutreffend nachzuweisen. Das Werk enthält einen Hauptteil über LUTHER und einen weiteren über Hegel. Insgesamt steht die Hegel-Deutung ASENDORFS in der Traditionslinie derjenigen Interpreten, die seit MARHEINEKE die Logik Hegels und demnach die Grundlagen seines Systems als spekulative, spezifisch christliche Theologie auffassen und die damit zugleich zentrale Inhalte altkirchlicher Dogmatik philosophisch fundieren wollen. Dabei ist für ASENDORF Hegels Denken zugleich ein im theologischen Sinne geschichtliches Denken, mit dem dieser eine durch das historisch-faktische Christus-Ereignis, durch die Inkarnation und Kondeszendenz Gottes veränderte Wirklichkeit zu begreifen suche. Hegels Denken sei „beides, Philosophie von der Offenbarung her und Philosophie der Offenbarung" (162). Deshalb habe Hegel auch gar nicht gegen LUTHERS Verdikt der philosophischen Spekulation gegenüber verstoßen, weil er überhaupt nicht „mit Hilfe der Spekulation an der Offenbarung vorbei zu Gott gelangen" wolle und nicht die Vernunft an die Stelle von Offenbarung setze. Hegel denke vielmehr philosophisch von der in Christus geschehenen Offenbarung her (409). LUTHER sei es nicht um eine „Befreiung" der Theologie von der Philosophie gegangen, sondern um einen „adäquaten Einsatz" philosophischer Methoden innerhalb der Theologie, die der magnitudo materiae gerecht werden (136 f). Solcher Einsatz gelinge Hegel. Sofern im Zuge der Auseinandersetzung der Theologie mit dem wissenschaftlichen Methodenbewußtsein der Aufklärung KANT als der kritisch- konstruktive Philosoph des Protestantismus angesehen wurde, hat die Theologie sich nach ASENDORF — angesichts der Unmöglichkeit einer theoretischen Metaphysik als Wissenschaft — einer dadurch notwenig werdenden Denkbewegung der Anthropologisierung und Versubjektivierung und schließlich sogar einer Entmythologisierung aller theologischen Inhalte unterworfen, die von SCHLEIERMACHERS psychologischhermeneutischer Exegese bis zu BULTMANNS existentialer Theologie reicht. Die von

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seiten der Theologie erfolgte Aneignung KANiischer Metaphysikkritik hat demnach wesentlich beigetragen zu einem dogmatischen Substanzverlust und hat ein Gefälle auf einen immer mehr sich potenzierenden Subjektivismus hin ermöglicht, der zuletzt nur noch — im Sinne FEUERBACHS — Theologie in Abhängigkeit von Anthropologie zu betreiben erlaubt (vgl. 128 ff, 200 f). Nach ASENDORFS großer Gesamtschau setzt sich die seit der aufklärerischen Religions- und Bibelkritik theologisch nicht überwundene Dichotomie zwischen historisch-kritischer Methode einerseits und religiöser Innerlichkeit andererseits bis in die Theologie des 20. Jahrhunderts hinein fort. Dem sucht nun ASENDORF entgegenzutreten durch die Inanspruchnahme Hegels, nicht KANTS als des Philosophen des Protestantismus. ASENDORF unternimmt es, Fundamente für eine „neue systematische Theologie mit Hilfe des Hegelschen Denkes" (511 ff) zu legen, eine Theologie, die den wissenschaftlichen und philosophischen Kriterien neuzeitlichen Denkens standhalten soll und in welcher noch einmal die genuin christliche Lehre von der göttlichen und menschlichen Natur JESU und von der trinitarischen Verfaßtheit Gottes denkend gedeutet und überdies mit der vielschichtigen Problematik menschlicher Subjektivität vermittelt werden kann. Nicht mehr aber sollen Anthropologie oder existentiale Hermeneutik als solche zum Kriterium theologischer Aussagen erhoben werden; nicht mehr soll dem theologischen Aussagegehalt im vorhinein irgendein Maßstab subjekHven Verstehenkönnens als die innere Logik der Sache selbst unterschoben werden. Die Theologie müsse darauf reflektieren, daß sie sich nicht in einen philosophischen Ansatz hineinzwingen lasse, der es ihr schließlich unmöglich mache, „sachgerecht von ihrem eigenen Gegenstand" zu sprechen (130). So sucht ASENDORF Hegels dialektische Logik und Geistesphilosophie fruchtbar zu machen für die von ihm intendierte nicht-subjektivistische Neubegründung einer Fundamentaltheologie nach BULTMANN. Vorliegendes Buch enthält laut ASENDORF nicht schon die namhaft gemachte neue systematische Theologie selbst, wohl aber „Vorarbeiten, soweit sie in den Bereich einer logischen Voraussetzungsanalyse gehören" (516). Die bezeichnete Problematik neuzeitlicher Theologie läßt sich nach ASENDORF insbesondere mit Hegels Denken lösen, in dem sich für ihn im Gegenzug gegen Aufklärung und Romantik eine „Erneuerung der Kreuzestheologie" im lutherischen Sinne vollzieht, die den Tod Gottes und sein Wiedererstehen im Geist zum Schlüsselthema hat, und zwar auf der Basis einer Ontologie. Schon LUTHER hat, wie ASENDORF in Anknüpfung an seine Interpretation u. a. der Römerbriefvorlesung, der späten Genesisvorlesung und der Schrift De servo arbitrio darlegt, im Bruch mit scholastischer Lehre die Theologie dahin geführt, „dialektisch" zu denken (XV). LUTHER habe nämlich erkannt, daß die Theologie allein durch „dialektisches" Denken in der Lage ist, bestimmte im biblischen Zeugnis enthaltene Gegensätze wie deus absconditus und deus revelatus, JESUS als Gott und JESUS als Mensch, das „simul iustus et peccator" des gerechtfertigten Sünders, den freien und unfreien Willen des Menschen u. ä. adäquat zu erfassen und gedanklich zu explizieren (92 f, 96 f). LUTHER hat danach im Ansatz eine neue Methodologie theologischen Denkens entwickelt aus der Einsicht, daß die Christologie mit der Schullogik, der aristotelischen Syllogistik, die am Satz vom Wider-

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Spruch orientiert ist, nicht angemessen erfaßt und dargestellt werden kann (110 ff, 156). Die von LUTHER formulierten Gegensatzpaare, paradigmatisch vor allem das christologische vere deus — vere homo und das anthropologische simul iustus — simul peccator, bleiben bei ihm keine unversöhnten Widersprüche (159). ASENDORF sieht bei LUTHER die Hegelsche Einsicht vorgeprägt, daß eine theologische Logik notwendig spekulativ sein müsse, nämlich als Dialektik den Satz vom Widerspruch für bestimmte metaphysische Inhalte außer Geltung setzen müsse. In dieser Einsicht erblickt ASENDORF die unüberbietbare theologische Bedeutung von Hegels Dialektik, in der eine „teleologische" Vermittlung der Gegensätze intendiert ist (372). Aufgrund seiner trinitätstheologischen Konzeption einer vollkommenen personalen Union von Gott und Mensch in JESUS CHRISTUS, der vollständigen „communicatio idiomatum", woraus insbesondere folgt: Wenn der Mensch JESUS, der mit Gott eine Person ist, sterben muß, „so heißts recht Gottes tod" (LUTHER, zit. 138), habe LUTHER in prononcierter Weise vom Tode Gottes selbst sprechen können. Genau dieses spezifisch lutherische Motiv vom „Tode Gottes" im Kontext einer Kreuzestheologie sucht ASENDORF als ein Schlüsselmotiv in unterschiedlichen Partien von Hegels Theorie des Geistes nachzuweisen. — Das „Hineinnehmen des Widerspruchs" in das Innerste des Geistes macht für ihn daher den unvergleichlich hohen Rang von Hegels Denken für die Theologie aus; zugleich bezeichne dies „die lutherische Spur", deren Ursprünge bei LUTHER in der als „communicatio idiomatum" verstandenen Zwei-Naturen-Lehre liegen, im Denken Hegels; denn allein eine derart pointiert gefaßte Einheit von Gott und Mensch in JESU Person legitimiert die Rede vom Tode Gottes (358). — Durch LUTHER sieht ASENDORF ferner die Einsicht Hegels vorweggenommen, daß mit dem Eintritt des Christentums in die Welt, vor allem durch das Kreuz CHRISTI, die natürliche Einheit des Menschen mit sich und sein bloß natürliches Streben radikal in Frage gestellt sei. Die Rangordnung von allem in der Welt und vor Menschen Geltenden muß im Begreifen menschlicher Untreue Gott gegenüber und des in CHRISTUS dennoch rechtfertigenden Gottes ganz neu bestimmt werden. Dieser christlichen Grundansicht werde Hegels Geistbegriff dadurch gerecht, daß Entfremdung und Entäußerung ihm wesentlich zugehören (8, 351). Hegel habe darauf hingewiesen, daß sogar die Logik mit dem Eintritt des Christentums in die Welt „einer totalen Umarbeitung bedürfe" (XV). Ähnlich wie Hegel „erschließt" schon LUTHER nach ASENDORF - bei Aufrechterhaltung seiner Unterscheidung zwischen dem deus absconditus und dem deus revelatus — die verborgene, von der Welt abgewandte „immanente Trinität" aus der „Offenbarungstrinität" (152). Die geoffenbarte Trinität verstehe LUTHER wiederum vor dem Hintergrund der Schau eines universalen heilsgeschichtlichen Zusammenhangs von Verheißung und Erfüllung; hierin sieht ASENDORF eine Präfiguration der Hegelschen Auffassung vom geschichtlich sich vermittelnden „konkreten Geist". Die heilsgeschichtliche Stellung JESU in der Weltgeschichte und im Ganzen des Seienden lasse sich theologisch bei LUTHER als eine „trinitarische Mittlerchristologie" (153) zusammenfassen; diese ganzheitliche Sicht auf die universelle

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Geltung göttlicher Versöhung bei LUTHER finde ihre Entsprechung in Hegels Begreifen von Versöhnung als an sich geschehene. LUTHERS Wiederaufnahme der Vorstellung aus altkirchlicher Lehre, wonach die geoffenbarte Trinität in heilsgeschichtlichem Zusammenhang verstanden werden muß, wird nach ASENOORF von Hegel konsequent und mit philosophischen Mitteln fortgesetzt. Hegel reformuliere insofern LUTHERS Sicht auf die Konkretheit des göttlichen als des maßgebenden Geistes, daß der Geist geschichtlich vermittelt, nämlich zuletzt „hingeordnet und bezogen" sei auf „Inkarnation und Passion" CHRISTI (163). In einer tiefdringenden Aneignungs- und Synthesisleistung und unter Berücksichtigung der neueren Forschungsliteratur interpretiert ASENDORF in diesem theologisch-philosophischen Horizont u. a. Hegels Theologische Jugendschriften, Hegels Jenaer Schriften, aus Hegels Spätwerk die Logik, die Ästhetik und die Religionsphilosophie. Er sucht dabei theologische Grundmotive als spezifische Prämissen für Hegels Denkentwicklung sowie Systembildung und -entfaltung aufzudecken. Da sich die Darstellung vorwiegend an Theologen wendet, werden Hegels Texte oft ausführlich appräsentiert. Manche schnelle Abweisung z. B. des KANiischen „Subjektivismus" oder seines „abstrakten Gottesbegriffs" unterläuft dabei; hier hätte man genauere Begründungen gewünscht. Lichtvoll jedoch sind die Partien z. b. über FICHTES absolutes Ich als Voraussetzung von Hegels Prinzip absoluter Subjektivität, über Hegels Ästhetik als Beitrag zum Spannungsverhältnis von Humanismus und Christentum und über Hegels Diktum vom „Schmerz als Vorrecht lebendiger Kreaturen". Innerhalb der Theologischen Jugendschriften sucht ASENDORF in Hegels Rezeption des Johannes-Evangeliums Spuren lutherischer Trinitätstheologie auf, — mit der Hegel seines Erachtens zumindest „schulmäßig" (153) vertraut gewesen sein müsse. Hegels frühe Philosophie des Geistes in den Frankfurter Fragmenten geht hervor aus einer johanneischen Theologie der Liebe und des göttlichen Lebens; vor allem in den späteren Partien seiner Jugendschriften konzentriert Hegel sich „immer mehr auf eine Meditation des Johannesevangeliums mit dem eigentlichen Zentrum einer Liebestheologie" (281). Insofern hat Hegel, wie ASENDORF darlegt, aus ursprünglich theologischen Erwägungen heraus die Philosophie auf eine neue Grundlage stellen wollen. — ASENDORF bemerkt sehr wohl, wie weit entfernt der Frankfurter Hegel in seiner Philosophie des Lebens und der Liebe als Versöhnung von Getrennten von einer „dogmatisch korrekten" (256) Darstellung christlicher Erlösung ist; der Glaubende folge CHRISTUS als dem Urbild der schönen Seele. An das trinitarische Geheimnis „taste" Hegel sich hier erst allmählich heran (258), und zwar im Zusammenhang mit seinem Interesse am Prolog und an den Abschiedsreden JESU im Johannes-Evangelium; die trinitarische Einigkeit des Sohnes mit dem Vater deute Hegel als eine lebendige Beziehung Lebendiger zueinander, die gleiches Leben in sich tragen, ja bloße „Modifikationen" desselben Lebens sind. — Daß der junge Hegel die Relation von Endlichem und Unendlichem als eine gelingende Einheit, als wahres göttliches Leben zu konzipieren vermag, verweist für ASENDORF zwingend auf die implizit im Hintergrund stehende Zwei-Naturen-Lehre JESU, mit deren Hilfe sich Hegel paradigmatisch die Einheit des Unendlichen und Endlichen

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verdeutlicht habe (277). Insbesondere schließt ASENDORF U. a. aus Hegels Anknüpfung an den Liedvers: „Den aller Weltkreis nicht umschloß, der liegt nun in Mariä Schoss" auf eine „Vorordnung" des Unendlichen in dem Verhältnis von Endlichem und Unendlichem; diese Vorordnung wiederum deute darauf hin, daß Hegel eine ganz bestimmte Auffassung in der Christologie vorschwebe, nämlich die einer „Vorordnung der wahren Gottheit Christi vor seiner wahren Menschheit" (262), so wie sie z. B. LUTHER formuliert habe, — wodurch Hegel für die Anfangsgestalt seiner Geisteslehre zu einer Bestimmung des Endlichen vom Unendlichen her motiviert worden sei. Hegels anfängliches Bemühen um philosophische Grundfragen bewegt sich nach ASENDORF im Medium theologischer Gedankengänge. Nur angedeutet findet sich bei ASENDORF, daß Hegel vor 1805 die christliche Religion überaus kritisch einschätzt, daß JESUS Z. B. als untergehendes Moment einseitiger,bloß innerlicher Versöhnung einer schönen Seele erscheint, die ohnmächtig der verhärteten Gesetzes-Positivität gegenübersteht. — Bei dem pointierten Aufweisen theologischer, speziell lutherischer Hintergründe in den Frankfurter Schriften tritt Hegels eigene damalige Konzeption m. E. zu sehr zurück, nach der wahre Religion weder christliche Offenbarungsreligion noch aufklärerische Vernunftreligion, sondern Synthesis von Gefühl und Reflexion ist, die geschichtlich konkret wird. Diese Bestimmung ergibt sich aus Hegels philosophischer Theorie. Aus Hegels Jenaer Schriften wendet ASENDORF sich zunächst Glauben und Wissen zu. Dort habe Hegel damit begonnen, vermöge seiner Rede vom „Tode Gottes" und vom „spekulativen Karfreitag" das Zentrum christlichen Glaubens, das Kreuz Christi, spekulativ zu denken in einer Weise, die es ihm erlaube, die Aufgabe der Philosophie im Gegenzug gegen die Aufklärung neu zu bestimmen. Im Sinne Hegels könne die Philosophie ihr Eigentümliches nur finden, wenn sie „die Mitte des Glaubens neu begreift und auslegt" (235 f). Auf seine Art habe Hegel hier das theologische Zentralthema der Kreuzestheologie erschlossen. Die „Radikalität", in der er den Tod Gottes gedacht habe, sei in der Tradition des christlichen Glaubens nahezu beispiellos. Schon für Glauben und Wissen unterstellt der Verf. Hegel ein genuin trinitätstheologisches Interesse, das sich in der emphatischen Rede vom „Tode Gottes" bekunde. — Für Hegel jedoch bedeutete zu dieser Zeit, wie man m. E. einschränkend hinzufügen muß, das Christentum keineswegs schon die absolute Religion, die es für ihn von 1805/06 an geworden ist. Die Wendung vom „Tode Gottes" ist für den damaligen Hegel nur die exemplarische Veranschaulichung der These, daß im Absoluten in metaphysischer Hinsicht Negativität anzunehmen sei. Metaphorische Wendungen Hegels wie die vom „Schmerz des Negativen" indizieren seinen Gedanken eines absoluten Gegensatzes, aus dem er seine erste Dialektik in Jena zu entwickeln beginnt. Solche Erwägungen sind zeitlich früher als seine Konzeption und Anerkennung der christlichen Religion als der absoluten. Die unbedingten Gegensätze, die Hegel zu seiner Dialektik inspirieren, sind wohl weniger die erwähnten Gegensätze innerhalb des Christentums wie der Gegensatz vere deus — vere homo, sondern vielmehr PLATOS antithetische Gegensatzreihen im Parmenides und KANTS Antinomien in der Kritik der reinen Vernunft.

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Entscheidend ist für die Genese der spekulativen Dialektik als erster Schritt die Aufstellung von Verstandesgegensätzen in kontradiktorisch einander widersprechenden Sätzen. In der Phänomenologie des Geistes hat Hegel nach ASENDORF ein mehrfaches modernes Mißverständnis christlichen Glaubens aufgeklärt: Glaube sei weder bloß unendliche romantische Sehnsucht noch bloßer Jenseitsglaube, dem eine leere Innerlichkeit entspreche, wobei die wirkliche Entäußerung Gottes nicht emstgenommen werde, noch auch sei Glaube ein bloßes religiöses Bewußtsein ohne objektiv korrelierende Realität (331 ff). Durch solche Bestimmungen, die auf die Einheit von subjektiver Gewißheit und objektiver Wahrheit im Begriff des Glaubens abheben, hat Hegel laut ASENDORF die Krise des neuzeitlichen Christentumsverständnisses deutlich bezeichnet und zugleich Lösungsversuche wie diejenigen SCHLEIERMACHERS oder KIERKEGAARDS im Ansatz schon in Frage gestellt, — Konzeptionen, auf denen insbesondere die LuTHER-Rezeption im 20. Jahrhundert perspektivisch gebrochen aufruhe. Die Reduktion des Glaubens auf eine religiöse Innerlichkeit führe diesen aus seiner neuzeitlichen Krise nicht heraus. Bei Hegel sei weder der „Ethizismus" KANTS noch der Ichbegriff FICHTES, aber ebensowenig die romantische Subjektivität SCHLEIERMACHERS der Schlüssel zur Lösung des Problems einer unbefriedigten Aufklärung. Der Glaube als religiöses Bewußtsein, worauf die Aufklämng ihn reduziert habe, sei nur die Entsprechung zur „Reflexionsphilosophie" (332). — Hegels eigene Lösung des Problems einer Wesensbestimmung christlichreligiösen Glaubens, die aufklärerischer Kritik standhält, erfolgt für ASENDORF durch die Explikation eines Substanzbegriffes, der zu denken erlaubt, wie das erste absolute Wesen, die einfache ewige Substanz als Geist in ein relationales Sein-für-Anderes übergeht. Hegel erweist demnach, wie die Sichselbstgleichheit der Substanz zu dem „wirklichen, sich opfernden absoluten Wesen" wird (332). Hiermit sei in einer kaum verschlüsselten Weise das „christliche Heilsdrama" im Kontext einer trinitarischen Verfaßtheit Gottes angesprochen, in der der Kreuzestod die Handlungsmitte darstellt. Hegel erinnere nicht einfach die Theologie an ihre große dogmatische Tradition, sondern er rekonstruiere solche Inhalte christlicher Dogmatik im Medium spekulativen Denkens. In diesem Sinne sei die Phänomenologie Hegels erster in sich geschlossener religionsphilosophischer „Gegenentwurf gegen den Wirklichkeitsverlust des neuzeitlichen Denkens" (332). Dabei verstehe Hegel „Substanz" ganz anders als die Tradition, nämlich als Leben, das gekennzeichnet ist durch „Schmerz", „Geduld", „Arbeit des Negativen" und Überwindung der Entfremdung. In solchen Wendungen im Hinblick auf das Absolute bereitet sich für ASENDORF die Hegelsche Form einer Kreuzestheologie vor, die den Tod Gottes zu denken unternimmt (340). Das Thema vom „Tode Gottes" mit seiner Vorgestalt in Glauben und Wissen gehört mithin „in den größeren Rahmen der Entdeckung der Negativität hinein" (321). Die Substanz ist wesentlich Subjektivität, das Absolute wesentlich Geist; mit diesen kategorialen Grundbestimmungen verfolge Hegel seine Argumentation, in der die Möglichkeit göttlicher Selbstexplikation durch die Konsequenz des Übergangs von der Substanz zur Subjektivität aufgezeigt werden könne. Die Selbsterniedrigung, Kondeszendenz

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des göttlichen Wesens verstehe Hegel im Sinne der dogmatischen Tradition als die „Entäußerung" des Sohnes; in ebendiesem Sinne sei auch für Hegel der „Zielpunkt" der Bewegung des Absoluten „im Verfolg der Inkarnation das Kreuz, genauer, der Tod Gottes am Kreuz". Der Akzent auf dem Tode Gottes selbst stehe dabei in Übereinstimmung mit dem inneren Gefüge von LUTHERS Theologie. Es gehe in diesem Zusammenhang um weitaus mehr als nur um eine Theorie des unglücklichen Bewußtseins, nämlich zugleich um die „vollkommene Entäußerung der Substanz" als die Kondeszendenz und den Kreuzestod Christi (348 ff). Auf diese Weise füge Hegel „Hauptstücke" christlicher Dogmatik, vor allem der Christologie und Trinitätslehre, in sein Denken ein. Eine in den Frühschriften dominierende „dialogische" Philosophie des Lebens und der Liebe trete nun zurück hinter einer Philosophie des Geistes, deren Zentrum Tod und Wiedererstehen Gottes im Geist ausmachen. Die zentrale Stellung der Kreuzestheologie in LUTHERS Auslegung christlichen Glaubens wiederholt sich für ASENDORF somit bei Hegel auf philosophischer Ebene (354 ff). Von eminent theologischer Bedeutung ist für ASENDORF nicht nur die Aufhebung der Geltung des Satzes vom Widerspruch in der Dialektik, sondern überhaupt Hegels Logik als Ontologie und Ontotheologie in Gestalt einer Theorie absoluter Subjektivität. Daß Hegel die absolute Subjektivität zum ersten und höchsten Prinzip erhebt, deutet ASENDORF theologisch dahingehend, daß die umfassende Seinsbedeutung Gottes als Geist und Person gedacht wird (390 f). Überdies findet ASENDORF in Hegels Subjektivitätstheorie als Ontologie eine Affinität zu LUTHER, bei dem man ebenfalls von einer „Ontologie der Person" (123) sprechen könne. Die theologische Bedeutung von Hegels Begriff des realen Geistes sieht ASENDORF in der Auffassung der Konkretheit des Geistes, der die irdische Existenz als Einzelseiendes nicht verschmäht. - Im Rahmen der Logik entfaltet Hegel das Allgemeine, das , wie er selbst mit Anklang an HAMANNS Kondeszendenzbegriff formuliert hat, zur Einzelheit „heruntersteigt". Der Kondeszendenzgedanke wird nach ASENDORF damit impliziter Bestandteil der Begriffslogik. Die von der Abstraktion verschmähte Einzelheit wird von der Liebe aufgehoben und als die Tiefe entdeckt, in der sich der Begriff selbst erfaßt. Vor dem impliziten Bedeutungshorizont des aus Liebe Mensch und Einzelheit gewordenen Gottes verbinden sich nach ASENDORF die „üniversalität des Begriffs und die Persönlichkeit", ja der so verstandene Begriff ziele gleichsam auf seine „inkarnatorische Verwirklichung" (400). Im Gottesbegriff der Religionsphilosophie Hegels sieht ASENDORF die Gesamtkonzeption der spekulativen Logik als Subjektivitätstheorie begründet. Er stellt sich also angesichts der viel erörterten Frage nach dem Bedingungsgefüge von Logik und Religionsphilosophie auf die Seite der Religionsphilosophie und Theologie als des letztbegründenden Fundaments. Die Gotteslehre selbst wiederum erscheint ASENDORF wesentlich vom lutherischen Modell der Christologie her entworfen zu sein als dem inneren „Organisationszentrum" (475) des Gedankenzusammenhangs. In der Berliner Religionsphilosophie eruiert ASENDORF die trinitarische Verfaßtheit des Geistes und der Liebe (483 ff), den Hegel als die Einheit des göttlichen und menschlichen Selbstbewußtseins konzipiert habe. Für ASENDORF ist also die

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Kategorienentwicklung der Hegelschen Logik keine für sich autarke ontologische Ableitung, die Hegel dann im Nachhinein für eine begrifflich-logische Erfassung der Trinität fruchtbar macht; vielmehr erscheint ihm umgekehrt Hegels Logik durch die innere Struktur des altkirchlichen Dogmas in lutherischer Ausprägung inspiriert und deshalb so vorzüglich zur adäquaten Explikation desselben geeignet. Doch ist für ASENDORF nur unter einer Einschränkung das spekulative Denken Hegels das „legitime Erbe" der Reformation. Nach seiner Ansicht kann durch spekulative und in sich konsistente Deutung des Christentums nicht, wie Hegel intendiert, der reformatorische „rechtfertigende Glaube" ganz in Wissen aufgehoben werden; Hegel wahre die Differenz der Sphären nicht. So zeichnet dieses Buch ASENDORFS eine konsequent durchgehaltene theologische Hegel-Interpretation vor dem Hintergrund einer eigenständigen theologischsystematischen Gesamtperspektive aus. Seine Deutung enthält sehr aufschlußreiche Aufweisungen von zentralen Elementen lutherischer Theologie in Hegels Denken, ist insgesamt überaus perspektivenreich und regt zu neuem Nachdenken über das alte Thema: Philosophie und Theologie nachhaltig an. Edith Düsing (Köln)

Emilio Brito S. /.; La Christologie de Hegel. Verbum Crucis. Traduit par B. Pottier. Paris: Edition Beauchesne 1983. 696 S. (Bibliotheque des Archives de Philosophie. Nouveile serie. 40) Dans un ouvrage precedent Tauteur soutenait en these que la Christologie du Hegel mür, critiquee justement par maintes christologies contemporaines, permettait pour sa part de les surpasser dans leurs unilateralites par l'integration de ses trois perspecitves complömentaires: la Christologie subjective de la Phenomenologie de l'Esprit, la Christologie objective des Legons sur la Philosophie de la religion et la Christologie absolue de YEncyclopedie (cf. E. Brito: Hegel et la täche actuelle de la Christologie. Paris 1979; recension dans: Hegel-Studien. 18 [1983], 419—422). L' ouvrage present veut ötablir la dite tridimensionalite par une soigneuse exegese des principaux textes christologiques du Hegel mür (89-522; cf. Reprise dans 522-532). Ce commentaire volumineux est introduit par une Präsentation des christologies du jeune Hegel (19—85) et epilogue par une esquisse de Christologie post-hegelienne (535—656) qui exprime la prise de position personnelle de l'auteur. Dans son commentaire litteral BRITO est präoccupe par la „rigueur philologique", c'est ä dire par le technicisme du vocabulaire de la Logique et de la Philosophie de TEsprit, et par „Tamplitude systematique", c'est ä dire par les structures logiques (syllogistiques) qui gouvernent le plan des textes analyses (17). Ce deuxieme aspect est däcisif pour BRITO quand il vient ä formuler les conclusions touchant la Christologie trine et une du Hegel mür (524—532). Le rythme des trois syllogismes

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de la Philosophie {Enz. 575—577) determine une triple lecture de VEncyclopedie mais aussi une triple exposition du Systeme qui s'etend ä la Phänomenologie et aux Legons de Berlin; ce rythme articule, comme en Cascade, les correspodantes expositions de la religion, de la Christologie, etc., dans la meme mesure oü il s'agit de Philosophie de la religion et pas simplement de religion. Ainsi les „variantes" de la Christologie du Hegel mür peuvent etre expliquees par des perspectives complementaires et pas necessairement par une evolution de la pensee (531—532, note). Cette grille de lecture marque l'aspect le plus originel quoique parfois fragile d'une methode qui, par ailleurs, integre le g^netique et le systematique, le philologique et le structurale, l'hermeneutique et le critique (14-18). Sans minimiser cette richesse d'apects developpes par BRITO nous reduirons nos observations ä la these centrale qui vient d'etre indiquee. En abordant, dans la premidre partie, la Christologie de la Phenomenologie de l'Esprit (89—222) BRITO pose la question de la pluralite de lectures de cette oeuvre singuliere (97—106), prend le detour du double context, inmediat (107—134) et lointain (135-172), pour arriver finalement au texte choisi pour le commentaire litteral (173—222), c'est ä dire, les pages 539—543 de l'edition d'HoFFMEisTER [sigle: Ph]. La Christologie envisagee ici fait partie du contenu developpe dans la conscience presente de la communaute {Ph 532, 35 ss). Le rythme „ascetique" de desappropriation de la naturalite inmediate pour acceder au v6ritable Soi universel, rythme qui anime l'ensemble de l'oeuvre et le chapitre „Religion", revient egalement dans ce passage oü l'Essence alienee dans les deux consciences, bonne et mauvaise, surmonte cette Opposition par le mouvement de desappropriation commence dans la conscience bonne (Mort du Christ). Dans cette perspecitve l'Incarnation et la Mort du Christ coincident reflexivement (203). On admire la rigueur avec laquelle BRITO analyse ces pages de Ph 539—543 mais on aurait souhaite une exegese pareillement approfondie pour Ph 525—531. Dans ces pages (dont BRITO donne un bref apergu dans 123—127) l'Incarnation ne se reduit pas ä la Mort: eile est revelation plutöt que reconcilation {Ph 528,18), eile souligne le moment du Christ singulier et sensible comme appartenant ä la consommation du Concept {Ph 529, 34 ss), comme concept inmediat de l'esprit, pas encore developpe {Ph 530, 29 ss). En tout cas la Christologie „reflexive" ach6ve mais aussi pr6suppose une Christologie plus „historique" ou objective, meme dans la Phenomenologie de l'Esprit. Un proces analogue mais en sens invers pourrait etre etabli pour la Christologie des Legons sur la Philosophie de la religion si nous envisageons l'ensemble de ces Legons et pas seulement le manuscrit de 1821. En adoptant l'edition de LASSON l'auteur a limite son enquete au manuscrit et a ecart6 le texte des Legons suivantes pour des raisons (cf. 246, note) valables quand il ecrivait mais qui ont perdu toute sa force apres la röcente edition de W. JAESCHKE {Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 3: Die vollendete Religion. Hamburg 1984; sigle: Rel. 3). En se röduisant ä la Christologie du manuscrit de 1821 BRITO nous donne un commentaire litteral de plus de deux-cent pages (245—468) qui n'a pas de precedent dans la recherche h6gelienne pour ce qui regarde le texte en question et par la pluralite' d'aspects qui

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revet la methode deployee dans son analyse. Nous devons nous circonscrire ä la thöse globale (cf. 526—529) que nous rösumons dans ces trois propositions: a) dans les Legons le rythme du premier syllogisme de la philosophie („logique — nature — esprit") revient dans toute la philosophie de la religion (245—269) et, jusqu' aux moindres details, dans les deux traitös qui composent sa Christologie (incarnation 270—343 et redemption 303—321); b) l'intuition sensible de THomme-Dieu (303—321) et de sa vie et sa mort (402—455) constitue le moyen terme particulier du syllogisme; c) cette mediation permet que Ton parle ici d'une perspective „historique", distincte de la perspective „reflexive" de la Christologie phenomenologique (529) . Cette thöse nous semble juste, si nous parlons en lignes generales s rer dans la discussion de d6tail, y comprise la distinction de deux traites christologiques. La thäse nous semble juste surtout ä propos du manuscrit de 1821, point auquel s'arretait l'enquete de BRITO. Mais eile doit etre nuancee ä propos des autres Legons en ce qui regarde l'exposition de la religion chretienne et, en particulier, la Christologie. A partir de la Legon de 1824 Hegel observe que la religion chretienne doit etre exposee dans element mödiateur de l'esprit ou du culte et remplace la structure anterieure (Rel. 3. 122; cf. 120—122) par une articulation en trois „elements" (cf. ib. 122 ss, 131 ss, 153 ss; pour la Legon de 1827 cf. 197—199 et 199 ss, 215 SS, 251 ss); or, il est frappant que cette articulation se ressemble plus ä celle de la Phenomenologie (cf. Ph 534 ss, 536 ss, 543 ss) qu' ä celle du manuscrit de 1821 ou qu'ä celle de VEncyclopedie 567—570. En outre, si BRITO pouvait affirmer que dans la Christologie du manuscrit l'histoire separe le Christ de l'Eglise (529), cela n'est pas tout ä fait exact ä propos de la Christologie des Legons suivantes, surtout celles de 1827 et 1831: le point de vue de la communaute croyante y commence ä s'introduire progressivement dans l'exposition objective ou „historique" en aboutissant ä une double consideration, prophane et röligieuse, du Christ (cf. Rel. 3. 244 ss, 284 ss). Donc, dans la Christologie „historique" des Legons on assiste ä l'incorporation des el6ments plus „reflexifs" ou spirituels de la Phenomenologie. Finalement, on 6prouve une difficulte analogue pour comprendre comme Christologie „absolue" (529—531) le paragraphe 569 de VEncyclopedie, dont Brito nous donne une soigneuse exegese (508—522). En effet, le texte en question expose l'Incarnation, la Mort et la Resurrection du Christ dans un syllogisme qui, par la forme, n'a pas surmonte l'exteriorite du syllogisme de l'etre-lä. La perspective „absolue" du troistöme syllogisme de la philosophie, qui a son pendant dans le syllogisme „pneumatologique" de la religion r6vel6e (Enz. 570, 3) semble etre absente du syllogisme „christologique" plus proche de la perspective „historique" des Legons. BRITO connait l'objection mais il est persuad6 que ce paragraphe „malgre sa forme syllogistique inmediate exhibe, lui aussi, la pulsation proprement encyclopedique" (530) . Mais la raison donn^e ä continuation (.. . „un moyen terme qui est ment Concret . . .") n'est pas facile ä saisir, meme dans la Version plus d6velopp6e de son ouvrage anterieur (cf. Brito: Hegel et la täche actuelle de la Christologie. 54). Ces observations n'invalident pas la thäse d'une triple perspective dans la Christologie du Hegel mür mais eiles sugg6rent la difficulte de son application ä des textes qui sont plus complexes et peut-etre moins formeis que ce que l'on pourrait

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souhaiter pour une comprehension logique. Nous croyons, quant au reste, que les merites de ce livre de BRITO ne se circonscrivent pas ä la these avant mentionnee ni ä la seule comprehension systematique des textes hegeliens; les renseignements historiques et les jugements doctrinaux pourront, au meme titre, suscriter de l'interet et encore de la polemique. Mais cela excede le cadre que nous nous sommes assignes dans cette recension. Ricardo Ferrara (Buenos Aires)

Christa Hackenesch: Die Logik der Andersheit. Eine Untersuchung zu Hegels Begriff der Reflexion. Frankfurt a. M.: Athenäum-Verlag 1987. 294 S. (Monographien zur philosophischen Forschung. Bd 234.) Die Idee, daß „etwas" als „das Andere seiner selbst" zu begreifen sei, bildet fraglos ein methodisches Basisphilosophem der Hegelschen Theorie. Eine derartige Konzeption, die Selbstbezüglichkeit als strukturell durch Negation, Fremdbezüglichkeit, vermittelt denkt, wird für Hegel durch das Prinzip der Reflexion beschrieben. Die Arbeit von CHRISTA HACKENESCH versucht die Reflexionsstruktur als diejenige „Struktur zu explizieren .. ., die sein System trägt" (231). Doch der Gedanke, in dem Anderen seiner selbst sich nur auf sich selbst zu beziehen, erläutert strukturanalog auch den Begriff des Selbstbewußtseins. Dieses sei nämlich aufgrund seiner (Selbstbegründungs-)Zirkularität „nicht darstellbar anhand einer von logischen Prämissen freien Phänomenologie des Ich" (257). Solche Zirkularität meine „die Paradoxie, daß ein Ich, indem es sich zum Gegenstand seines Bewußtseins macht . . ., eine Leistung vollbringt, deren Resultat zugleich ihre Voraussetzung ist. Das „ursprüngliche Ich" muß immer schon dasselbe sein, wie das, das Selbstbewußtsein geworden ist" (250). Um dieser Zirkularität zu entgehen - so eine Grundthese von HACKENESCH —, „autonomisiere" (257 u. ö.) Hegel den Begriff der Reflexion gegenüber phänomenalen Befunden einer (introspektiven) Selbstdeskription endlichen Selbstbewußtseins, welches nunmehr als „Derivat" (vgl. 176) „absoluter Subjektivität" erscheine. Indem so „eine Struktur, die das Charakteristikum der Reflexion im Sinne des Subjekts" ausmache, „zur Struktur des Logos deklariert" werde, sei sie „von ihrer Bindung an das endliche Subjekt" gelöst, so daß „das subjektive Denken nur noch die Möglichkeit" habe, der vor allem in der Wissenschaft der Logik vollzogenen Entfaltung des autonomen Logos „zu folgen oder sie zu stören" (184). Die Wissenschaft der Logik entfaltete demnach in ihrem zentralen Reflexionsbegriff die Genesis einer aporienfreien Selbstbezüglichkeitsstruktur, die durch die „Verdoppelung" ihrer selbst sich ihrer vergewissere, sich im Anderen nur auf sich selbst, d. h. auf andere Reflexion, die sie selbst ist, zu beziehen. In der von der Reflexion so „gesetzten Reflexion" sei damit eine „logische Struktur mit ontologischem Anspruch“ (232) bedacht.

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Die Arbeit gliedert sich in drei Teile. Teil 1 („Substantiale Reflexion", 6 ff) widmet sich dem Reflexionsbegriff vor allem beim Jenaer Hegel. Bereits dort habe Reflexion Hegel nicht nur als „trennendes Tun", sondern zugleich als „Verweis auf das Ganze, das die Getrennten eint" (6), gegolten. Aufgrund der schon in der Differenz-Schrift programmatisch formulierten Forderung nach „Darstellung des Absoluten für das Bewußtsein" (so Hegels damaliger Spekulationsbegriff), sei der Reflexion die Aufgabe zugefallen, die nur in intellektueller Anschauung aufweisbare positive Einheit der absoluten Identität darzustellen. Die von einem endlichen Denken reflektierend verfestigten Gegensätze des Urteilens sind deshalb als notwendig für die Darstellung des Absoluten angesehen. Die Reflexion sei damit „nicht das aus ,ursprünglicher Einheit' konstituierte, sondern selbst ein Konstituierendes" (54). Daher kann der in Urteilen ausgesprochene Gegensatz als „negatives" Dasein — „Bild" — des Absoluten in der „Entzweiung" gedeutet werden. Die Reflexion ist daher eine solche, „die in ihrer Konstruktion die leere (weil nichtbestimmte) Identität erst als eine inhaltliche Totalität konstituiert" (55). Diese Interpretation entspricht ungefähr dem Hegelschen Konstruktionsbegriff der Jenaer Logik von 1805/06, wie HACKENESCH überhaupt den Diskussionsstand um Hegels Jenaer Systementwurf widerspiegelt. Eine ausführliche Interpretation des Reflexionsbegriffs in dieser Logik - die fehlt - hätte aber noch mehr erhoffen lassen. Teil II („Reflexion als Struktur von Wirklichkeit; Sprache und Geist", 60 ff) untersucht zunächst Hegels Sprachkonzeption anhand der „enzyklopädischen" Psychologie. Auch hier sieht HACKENESCH keine Genese der Selbstbezüglichkeit des erkennenden Subjekts aus einer Theorie „konkreter Subjektivität" geleistet. Der Psychologie gehe „es zwar darum, den Begriff eines realen erkennenden Subjekts zu entwickeln, aber diese Realität legitimiert sich einzig durch eine logische Struktur, nämlich durch die einer ,absoluten Subjektivität', die Logos ist" (75). Es bleibe deshalb Voraussetzung, „daß das sich-auf-sich-beziehen dieses Subjekts gegenüber jeder Form des sich beziehens auf Anderes Exklusivität" (77) besitze. Der logische Begriff der Subjektivität stelle daher das „Telos" (78) der Entwicklung „konkreter Subjektivität" dar. Der Verlauf der enzyklopädischen Psychologie wird darum — wohl zutreffend — als Prozeß der Immanentisierung eines vermeintlichen Fremdbezugs des Bewußtseins zugunsten des vorrangigen Selbstbezugs der „Intelligenz" gedeutet (90). Doch Hegels Argumentation gelte „nicht der Wirklichkeit des Individuums, sondern der des Logos, die der Geist ist" (103), weshalb in „Hegels Auffassung von ,Sprache' . .. Individualität immer schon retuschiert" sei „zur , empirischen Zufälligkeit' eines Ich, das über seine Abhängigkeit von einem Außen noch nicht hinausgekommen ist" (100). HACKENESCH kann deshalb mehrfach von der völligen „Unbedeutsamkeit" des Individuums in Hegels Konzeption sprechen (131/133 u. ö.). Man hat allerdings den Eindruck, daß sie eine — zwar vorhandene — Dimension in Hegels Geistbegriff in einseitiger Weise überinterpretiert, sofern Hegel so verstanden wird, daß die „objektive Dimension der Sprache" (130) allein als Macht über das individuelle Sprechen begriffen werde. Es sei nur in aller Kürze darauf hingewiesen, daß z. B. in den Jenaer Systementwürfen I, am Ende von Fragment 20, es gerade die Sprache ist, die das Bewußtsein individualisiert

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und damit zur interpersonalen Gegenstellung von Individuen führt, die sich je selbst als Totalität interpretieren und so in den (mittlerweile „berühmt-berüchtigten") „Kampf um Anerkennung" geraten (Fragment 22). Zugleich ist es für den Jenaer Hegel der „Werkcharakter" derjenigen Gestalten, die später auch als „objektiver Geist" bezeichnet werden, der verdeutlicht, wie das Werk „wechselseitig" sowohl von den Individuen „erzeugt" (so Hegel) als auch ihnen gegenüber ein bedingender Faktor sein kann. Genau diese Dimension des Geistbegriffs als , Einheitsfunktion' einer nicht agglomerativ verstandenen Gemeinschaft von Individuen wird auch noch in der Phänomenologie in Anschlag gebracht (vgl. Phän, Hrsg, von Hoffmeister. Bes. 257). Leider wird diese Konzeption bei HACKENESCH nicht diskutiert. Teil III der Arbeit („Das Reich der Schatten: Reflexion als absolute Negativität", 207 ff) unternimmt eine Analyse des Hegelschen Reflexionsbegriffs in der Wissenschaft der Logik sowie eine Applikation der erzielten Resultate auf das „phänomenologische" Selbstbewußtseinsproblem. Der Prozeß der Entwicklung des Reflexionsbegriffs von der „setzenden" über die „voraussetzende" zur „bestimmenden" Reflexion wird als ein Prozeß der Einsichtnahme in die Identität von Setzendem und Gesetzem vorgeführt. Dabei sei das „in phänomenologischer Perspektive Erste, die Differenz vonReflexion und Gegenstand, .. . hier ein ,Zweites', Resultat der Tätigkeit der Reflexion selbst", weshalb diese Logik der Reflexion „nicht Logik unserer Reflexion" sein könne, „sondern Darstellung einer Struktur, die ontologischen Anspruch hat" (226). Es eröffnet sicher neue Aspekte, wenn man die „Reflexionsverdoppelung" der Wissenschaft der Logik mit der „phänomenologischen" Verdoppelung des Selbstbewußtseins parallelisiert, wie HACKENESCH es (240 ff) unternimmt. Das Selbstbewußtsein kann nur dann — so Hegel — im Anderen sich selbst erkennen, wenn das Andere dasselbe ist wie es, ein anderes Selbstbewußtsein. Dies inauguriert innerhalb der Phänomenologie die sog. „Anerkennungsbewegung". Auch hier mißlinge es, eine interpersonal „ausgeglichene" Anerkennungsbewegung als den Geist, aus dem heraus Selbstbewußtseine in Beziehung stehen, aus der endlichen Subjektivität einsichtig zu machen. Dies wäre in einer Struktur erreicht, in der die Selbstbewußtseine sich anerkennen, „als gegenseitig sich anerkennend" (Phän. 143; Hackenesch 246). Nach Meinung von C. HACKENESCH demonstriert aber gerade die Entwicklung des Kapitels „Herrschaft und Knechtschaft", daß es zu dieser gegenseitigen Anerkennung als geistiger Einheit nicht komme. „Die Anerkennung, der das Selbstbewußtsein bedarf, gewinnt es also nicht durch ein anderes Selbstbewußtsein, sondern durch die Verdoppelung seiner selbst, durch seine Manifestation in der „Welt der Dinge", die es zu Sachen macht, indem es ihnen seine Bedeutung aufzwingt. Das Andere ist nicht „der Andere", sondern „das Ding" (247). Kein Individuum vermöchte darum, „im Anderen bei sich selbst zu sein" (255). Die selbstbewußtseinskonstitutive Verwiesenheit des einzelnen Bewußtseins auf die Anerkennung Anderer könne also in der Phänomenologie nicht demonstriert werden. Hier wird man wohl darauf zu verweisen haben, daß die Anerkennungsbewegung mit dem von HACKENESCH diskutierten Anfangsstück der Phänomenologie noch nicht zu

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Ende ist. Jedenfalls rechtfertigt dieses Teilstück keinesfalls, ein Scheitern der Anerkennungstheorie zu diagnostizieren. Eher zeitigt eine Lektüre der Phänomenologie den Eindruck, daß diese Theorie erst in der „Verzeihung" am Schluß des „Moralitätskapitels" einen gewissen Abschluß findet (Phän. 471). Erst dort ist im „Wort der Versöhnung" „ein gegenseitiges Anerkennen" erreicht, „welches der absolute Geist ist". Stefan Majetschak (Bonn)

Alexander Schubert: Der Strukturgedanke in Hegels „Wissenschaft der Logik".

Königstein/Ts: Hain 1985. 286 S. (Monographien zur philosophischen Forschung. 232.) versucht in Hegels Text der Wissenschaft der Logik den anderen Hegel zu finden. Dieser andere Hegel soll der Denker der irreduziblen Differenz oder der unaufhebbaren Negativität sein. Damit soll Folgendes gezeigt werden: Die innere Struktur der Denkbestimmungen selbst schließt den teleologischen Abschluß und die ontotheologische Hypostasierung des Systems aus. Diese Ontotheologisierung stellt sich nach SCHUBERT in der Enzyklopädie dar, sowie auch schon in der Logik durch die rein affirmative Selbstpräsenz der absoluten Idee. Die Negativität des Hegelschen Denkens zeigt SCHUBERT zunächst am Anfang. Das Sein ist eine Konstruktion im Rahmen der strukturalen Negativität, die den Schein einer fundamentalen Bestimmtheit hervorbringt. Mit dieser negativen Bestimmtheit des Seins, die sowohl das Prinzip-Sein des Seins wie das Zu-GrundeLiegen desselben Seins negiert, soll nach SCHUBERT der Übergang von der objektiven zur subjektiven Logik konsequenterweise nicht mehr darstellbar sein. Die Darstellung aber des subjektiven Begriffs im vierten Kapitel, in der die genannte Konsequenz dargelegt werden muß, ist leider unzureichend. Die Reflexion ist zweitens der absolute Gegenstoß in sich selbst. Dieser bewirkt, daß die Reflexion sowohl sich selbst als Sein voraussetzt, wie sie in diesem Sein die Voraussetzung aufhebt. Diese Voraussetzung ist die Abstraktion des Setzens im Setzen selbst. Gerade diese Abstraktion oder Ontologisierung ist Gegenstand der Hegelschen Kritik der Metaphysik. Die Reflexion ist eine objektive Struktur ohne Bezug auf ein reflektierendes Subjekt. Sie ist in sich die Einheit von setzender, äußerer und bestimmender Reflexion. So ist sie ein reiner Funktionszusammenhang oder die Bewegung von Nichts zu Nichts. Der eigentlich strukturale Gesichtspunkt der Darstellung der selbstbezüglichen Negation ist der spekulative Gedankengang der absoluten Negativität. Hegels Aufhebung des Widerspruchs wird aber von SCHUBERT in diesem Gedanken zur Kritik der metaphysischen Verwendung des Widerspruchs entschärft. Der strukturale Gesichtspunkt wird als Logik der „differance" (DERRIDA) gedeutet, wobei Hegels Kritik an ARISTOTELES und KANT pointiert wird. SCHUBERT

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Im letzten Kapitel wird die Kritik des Idealismus dargestellt. Am Ende der Wissenschaft der Logik soll die Negativität als Moment einer als Telos je präsenten, logisch vor- und systematisch übergeordneten Affirmation gedeutet werden. Leider bleibt diese Interpretation bloße Behauptung. Es wird selbst nicht versucht, auch die absolute Idee als absolute Persönlichkeit so zu rekonstruieren, daß sie als solche von ihren Beziehungen nicht zu unterscheiden sei (vgl. 276). Lu De Vos (Löwen)

Logica e storia in Hegel [Logik und Geschichte bei Hegel]. Hrsg, von Roberto Racinaro und Vincenzo Vitiello. Napoli: Edizioni Scientifiche Italiane 1985. 97 S.; 2 S. unpag. Dieser Sammelband ist das Ergebnis eines von der Universität Salerno organisierten Seminars, das im März 1983 unter Mitwirkung von einigen der prominentesten italienischen Hegelforscher stattgefunden hat. Die fünf Beiträge, die zum Teil die Lebendigkeit des Vortrages beibehalten haben und in die die Autoren die Anregungen der Diskussion aufnahmen, haben in dem Verhältnis von Logik und Geschichte bei Hegel ihren gemeinsamen Leitfaden. Der Beitrag von LEO LUGARINI (Rom) über Die Hegelsche Figur des „denkenden Geschichtsforschers" (7-18) untersucht die Bedeutung dieses Hegelschen Ausdrukkes von der zweiten Version der Positivität der christlichen Religion, wo er das erste Mal auftaucht, bis zu den Vorlesungen. Wenn seine Aufgabe das Begreifen der zeitlichen Erscheinung des Geistes sein soll, so wird der „denkende" Geschichtsforscher in der „wirklichen" Geschichte ihr zirkuläres und dialektisches Wesen hinter dem Phänomen einer anscheinend bloß geradlinigen Zeitfolge erkennen müssen. So ist für LUGARINI das Problem des zeitlichen „Werdens zu sich" des Geistes in dem Insichgehen der Erinnerung und in der „Rückkehr in sich" der Reflexion eng mit der Frage nach dem Verhältnis von Zeit und Begriff verbunden, wobei wiederum der teleologische Prozeß die zeitliche Folge in eine Kreisbewegung umkehrt; Das geschichtliche Werden erweist sich für den „Denkenden" als Erscheinung der teleologischen Bewegung des Begriffes, diese letztere ist das Wesen des in der Zeit Versunkenseins des Geistes. Der Artikel von BIAGIO DE GIOVANNI (Neapel) über Die Kritik des Grundes in der „Logik" Hegels (19—39) verbindet das Problem des Grundes in der Wissenschaft der Logik mit der Thematik ihres Anfanges und dessen Begründung: In diesem begrifflichen Zusammenhang will Hegel nach DE GIOVANNI die Möglichkeit einer immanenten Konstruktion eröffnen, welche die innere Spannung der Seinsbewegung darstellt. Wenn einerseits Hegels Theorie des logischen Anfanges in der Auseinandersetzung mit dem KANiischen Begriff der Kausalität zu verstehen ist, in der LEiBNizianische und SpiNOzistische Motive neu belebt werden, so ist andererseits

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die HEiDEGGERSche „subjektive Reduktion" Hegels seiner Thematisierung der Verbindung von Begriff und Zeit unangemessen. Mit Hegel kündigt sich in der Tat ein Bruch in der abendländischen Philosophie des unbezweifelbaren Anfanges aus dem Sein, aus dem cogito, aus der Wahrheit an. Der Anfang bei Hegel ist in dem Abgrund der absoluten Kontingenz des Lebens als Einheit von Zeit und Begriff versunken, er ist eine leere Stille als Bereitschaft, Energie und Potentialität und kein gefülltes und triumphierendes Wort. In dem Anbruch der Logik begründet der Grund ihren Anfang in der Bewegung der Erinnerung, wahrhaften Ausdrukkes der Einheit von Logik und Geschichte, und erweist sich als mit ihm gleich. Der Text von Livio SICHIROLLO (Mailand) über Die „Weltgeschichte" der Rechtsphilosophie (§§ 354—360) (41—53) hat den Charakter einer Notizensammlung als Grundlage eines analytischen Kommentars, den sich SICHIROLLO als zukünftige Aufgabe genommen hat. Aufgrund einer Anregung von E. WEIL untersucht er die Paragraphen 354—360 der Grundlinien der Philosophie des Rechtes, den einzigen von Hegel veröffentlichten Text über die Grundlagen einer Geschichtsphilosophie und einer philosophischen Geschichte als universeller politischer Geschichte der Staaten. In einer textnahen Erläuterung der einzelnen Paragraphen zeigt SICHIROLLO, wie der Hegelsche Text auch in den zeitgenössischen Diskussionen anregend sein kann und auf welcher Weise er zu einem philosophischen Verständnis einer gar nicht abgeschlossenen Weltgeschichte beigetragen hat. Der Aufsatz von VALERIO VERRA (Rom) über Die Natur in der Geschichte (55—67) untersucht die artikulierte Bedeutung der Natur in den Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, und besonders den Begriff einer „zweiten Natur". Wenn einerseits die Geschichte von der Natur unterschieden werden muß, insofern die harte „Arbeit" des Geistes sich dem ruhigen „Hervorgehen" der Natur entgegensetzt, ist andererseits das Ziel der Weltgeschichte, daß sich der Geist in der Gestalt einer zweiten Natur in einer ihm angemessenen Welt und in einer dem Begriff entsprechenden Wirklichkeit entwickelt. So ist der Begriff der Natur für den geschichtlichen Prozeß nicht nur ein Terminus a quo, sondern auch ein Terminus ad quem und muß deshalb innerhalb der Parabel von einer Natur in der Geschichte als bloße Äußerlichkeit und Fixiertheit zu einer Natur als im Rahmen der Weltgeschichte realisierte Organizität gedeutet werden, wobei die Vielschichtigkeit der Hegelschen Konzeption klar zum Ausdruck kommt. Der Beitrag von CLAUDIO GESA (Pisa) über Modelle der Geschichtsphilosophie im deutschen Idealismus (69—97) präsentiert in einer historischen Synthese die Stellungnahmen FICHTES, SCHELLINGS und Hegels zu dem damals viel diskutierten Thema der Geschichtsphilosophie. Daß GESA den Ausdruck „Modell" wählt, zeigt schon seine Verweigerung, die damalige Diskussion über die Geschichtsphilosophie als eine Entwicklung zu analysieren: Die verschiedenen Positionen lassen sich in der Tat in das gleiche kulturelle Panorama einordnen, darüber hinaus sind sie öfters Ausdrücke eines gegenseitigen Einflusses sowie der wechselseitigen Polemik. Ein erstes moralisches Modell, hauptsächlich durch KANT geprägt, wird von FICHTE palingenetisch gewendet und durch ein juristisches Modell ersetzt. Bei SCHELLING wird das Verhältnis von Natur und Freiheit in historischen Epochen artikuliert, in wel-

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chen das Absolute sich dialektisch verwirklicht. Bei Hegel setzt schließlich die Geschichtsphilosophie die Rechtsphilosophie voraus, dabei handelt es sich nicht um eine Kulturphilosophie, sondern um eine geschichtliche Philosophie des Staates. So fordert CESA, daß Hegels Geschichtsphilosophie als politische definiert werden soll, und fragt sich am Ende, ob der Hegelsche Gott der Geschichtsphilosophie nicht ein politischer sei. Die fünf Beiträge bieten insgesamt einen informativen Überblick über die neueste Auseinandersetzung mit Hegel in Italien, überdies gelingt die angestrebte Synthese zwischen den Ansprüchen der Forschung und den Anforderungen der didaktischen Vermittlung. Gabriella Baptist (Roma/Bochum)

Hegels pädagogische Texte

1. Jürgen-Eckardt Pleines: Hegels Theorie der Bildung. Band 1: Materialien zu ihrer Interpretation. Hildesheim, Zürich, New York: Olms 1983. XXXVl, 350 S.

(Philosophische Texte und Studien. Bd 8.) Die pädagogische Rezeption Hegels war in ihren Anfängen bestimmt durch ein negatives Urteil: Man tadelte, daß das von ihm ausgearbeitete System des Wissens keine entwickelte Darstellung der Pädagogik aufweise. Vor allem zwei Autoren der Hegelschen Schule waren es, die — z. T. miteinander konkurrierend — versuchten, das hier empfundene Defizit zu beseitigen: der Hegel-Biograph KARL ROSENKRANZ und der Kieler Pädagogikprofessor GUSTAV THAULOW. ROSENKRANZ veröffentlichte 1848 eine Pädagogik als System. Er bezog sich, wie er selbst bekundet, auf die nach seinem Dafürhalten jeweils einseitig akzentuierten systematischen Ansätze von NIEMEYER, SCHWARZ, HERBART und BENEKE (die nachgelassenen Pädagogikvorlesungen SCHLEIERMACHERS waren noch nicht erschienen) und richtete sein Bemühen „auf eine gleichmäßige Revision des Ganzen aus dem Standpunkt der Hegel'schen Philosophie". THAULOW dagegen suchte Hegels Pädagogik aus dessen eigenen Äußerungen nachzuschaffen: er stellte aus dem inzwischen edierten Gesamtwerk alle pädagogischen und pädagogisch relevanten Textstücke zusammen und gab sie — „systematisch geordnet" — 1853/54 in einer vierbändigen Sammlung unter dem Titel Hegels Ansichten über Erziehung und Unterricht heraus. Dieses Dokumentationswerk wurde 1974, also 120 Jahre nach seinem ersten Erscheinen, in einer von HEINZ JOACHIM HEYDORN und GERNOT KONEFFKE besorgten Reihe von Neudrucken historischer pädagogischer Werke vollständig wieder vorgelegt. HEYDORNS begründende Feststellung, die kommentierte Sammlung THAULOWS bilde auch heute noch „eine unentbehrliche Voraussetzung für das Studium der Hegelschen Bildungstheorie", ist freilich nur mit der Einschränkung haltbar, daß

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hier eine fachspezifische Textsammlung (incl. Fundstellen) vorliegt, die Hegels sämtliche Schriften auf der Basis der ersten Gesamtausgabe berücksichtigt. Nun hat sich JüRGEN-ECKARDT PLEINES aufs neue der Erschließung von Hegels Theorie der Bildung angenommen. Wohlvertraut mit dem bildungstheoretischen Fachgespräch der Gegenwart und durch eine Reihe eigener Arbeiten an ihm beteiligt, sieht PLEINES heute zum Schaden der Sache die Rückfragen an Hegel vernachlässigt. Dem will er begegnen, indem er 1) einschlägige Texte neu präsentiert und 2) eine Auswahl interpretatorischer Arbeiten zusammenstellt. Der zuerst vorgelegte und hier zu beurteilende Band bietet — unter dem etwas unglücklich gewählten Leitwort „Materialien" — die Quellentexte dar. PLEINES will das ältere Werk von THAULOW nicht ersetzen, obwohl seine Intention über den Zeitenabstand hinweg derjenigen THAULOWS verwandt ist. Eine erste bemerkenswerte Differenz ergibt sich aus der bewußt angestrebten quantitativen Beschränkung. Es geht PLEINES nach seinen eigenen Worten darum, „den reinen Textbestand, wie er sich bei Hegel darstellt, in möglichst knapper, aber noch verständlicher Form gerafft vorzustellen" (XXXIII). Ein qualitativer Unterschied, der ins Auge fällt und positiv hervorzuheben ist, besteht in der Art der Textbehandlung. THAULOW zieht einerseits zahlreiche Einzelbemerkungen Hegels aus ihrem Kontext heraus und gibt sie in quasi aphoristischer Gestalt wieder, andererseits montiert er aus Stücken, die er verschiedenen Werken oder Werkpartien entnimmt, größere Gedankengänge. PLEINES nimmt demgegenüber in seine Sammlung nur in sich zusammenhängende Textpassagen auf. Abgedruckt werden Auszüge aus den Nürnberger Gymnasialreden und den Gutachten über den Philosophieunterricht in Gymnasium und Unversität, „Zusätze" zu einigen Paragraphen der Enzyklopädie (Abt. „Der subjektive Geist"), größere Partien aus der Einleitung zur Philosophie der Weltgeschichte sowie aus den Vorlesungen über Geschichte der Philosophie, je ein kurzer Passus aus der Differenzschrift und aus der Wissenschaft der Logik, mehrere Abschnitte aus der Phänomenologie (genauer: aus „Vorrede", „Herrschaft und Knechtschaft", „Der sich entfremdete Geist") und schließlich aus der Philosophie des Rechts. Mit Blick auf die Umfangsbegrenzung kann man der getroffenen Auswahl zustimmen — vielleicht mit einer Ausnahme: Die Nürnberger Reden scheinen uns zu fragmentarisch berücksichtigt. Sie stellen nicht nur, nach Funktion und Adressatenkreis, eine besondere und ausdrücklich mit pädagogischen Themen befaßte Textgruppe dar, sondern entfalten auch in ihrer Abfolge eine eigene Sinnlinie, indem sie verschiedene Aspekte der Gymnasialbildung behandeln. Die Texte sind nicht neu gesetzt, sondern fotomechanisch aus vorliegenden Editionen übernommen, zumeist aus der ersten Gesamtausgabe des „Freundesvereins" (mit der Paginierung der GLOCKNERSchen Jubiläumsausgabe), in einigen Fällen aus den neueren Ausgaben von LASSON und HOFFMEISTER. Läßt man textkritische Ansprüche hier einmal auf sich beruhen (ich komme unten kurz darauf zurück), so muß es doch als Mangel markiert werden, daß die Wahl der Textgrundlage im einzelnen für den Leser ohne Begründung bleibt. Gravierendere Fragen werfen Anordnung und Bezeichnung der Texte auf. PLEI-

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NES gruppiert die Auszüge nicht gemäß den zugrundeliegenden Werkzusammenhängen, die wir aufgeführt haben, sondern nach sachlichen Gesichtspunkten wie „Bildung und Unterricht", „Anthropologie und Bildung" etc. Werden damit an die Texte systematisierende Maßgaben herangetragen, so werden diese im Gesamtaufbau des Bandes noch von einer didaktischen Absicht durchkreuzt, die offenbar von der Rücksichtnahme auf den Schwierigkeitsgrad der jeweiligen Hegelschen Gedankengänge geleitet ist. Demgemäß steht am Anfang das aus den Nürnberger Gymnasialreden Entnommene, am Schluß aber das Phänomenologie-Kapitel „Der sich entfremdete Geist; die Bildung" — dies in der vom Herausgeber ausgesprochenen Hoffnung, daß nach Kenntnis der schrittweise von Hegel „durchgespielten Lesarten des Bildungsbegriffs" auch die „schwierige . . . Betrachtungsweise" der Phänomenologie des Geistes „von nunmehr geübten Lesern bewältigt werden kann" (XXXIV). Den einzelnen Textgruppen sind je zwei bis vier „Unterabteilungen" zugewiesen: Auszüge, die manchmal aus weit auseinanderliegenden Quellen stammen. Nicht recht verständlich ist es, daß der Herausgeber darauf verzichtet hat, die Herkunftstexte zu benennen. Zwar gibt er Band- und Seitenzahlen der Jubiläumsausgabe an, aber das sagt dem Leser, der diese Edition nicht zur Hand hat, im Augenblick seiner Lektüre nicht, ob er sich gerade in einem Passus der Rechtsphilosophie oder der Philosophischen Propädeutik, der Phänomenologie oder der Differenzschrift befindet. Möglicherweise entspringt solche Neutralisierung der Texte dem vom Herausgeber mitgebrachten systematischen Interesse. Auch die Entstehungszeit der einzelnen Textpassagen — ein unentbehrlicher Eaktor, wenn Entwicklungs- oder Differenzierungsprozesse in Hegels Bildungsdenken wahrgenommen und erörtert werden sollen — bleibt dem Benutzer des Bandes vorenthalten. Schließlich fehlt es auch den Überschriften, die den Textauszügen vorangestellt sind, an Transparenz. Herausgebertitel und Hegelsche Formulierungen wechseln miteinander ab; der Nichtfachmann kann aber vielfach gar nicht erkennen, ob eine Überschrift von Hegel stammt oder eine Zutat des Herausgebers ist. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß sich über den Gehalt der frei geformten Überschriften manchmal streiten läßt. Sind z. B. — so möchte man fragen — die inhaltlichen Akzente der Ausführungen Hegels zum Vortrag der Philosophie an Gymnasien und an Universitäten in der übergreifenden Titulierung „Bildung und Unterricht" adäquat erfaßt? Kann man es gutheißen, daß bei einem Passus aus der Differenzschrift Hegels eigene Überschrift „Bedürfnis der Philosophie" ersetzt wird durch: „Bedürfnis philosophischer Bildung" — zumal der Text Bildung und Philosophie in ein Spannungsverhältnis zueinander rückt? Und so fort. Halten wir noch einmal fest: Es ist das Anliegen von PLEINES, Hegels Theorie der Bildung durch eine neue Präsentation der Texte von den Überlagerungen bisheriger Interpretationen zu befreien. Es drängt sich aber die Frage auf, ob nicht die Weise des herausgeberischen Zugriffs der Erreichung des gesteckten Zieles eher im Wege steht. Uns scheint, der Herausgeber hat zwar Barrieren weggeräumt, aber selbst ein Gitter von Ordnungsvorstellungen über die Texte gelegt, das den freien Blick und Zugang des Lesers zum überlieferten Wort Hegels behindert.

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Auch die einführenden Überlegungen, die am Anfang des Bandes stehen, machen etwas ratlos. Zunächst ist zu bemerken, daß in puncto sachlicher Korrektheit diese Einleitung vom Autor und/oder Verlag nicht gut betreut ist. ln den Fußnoten, deren erste gleich durch eine Zeilenverwerfung unlesbar gemacht ist, begegnen mancherlei bibliographische Fehlangaben. Der Name von JOSIAH ROYCE ist entstellt aus einer zitierten Sekundärschrift übernommen, der gerade für Pädagogen wichtige KANiherausgeber RINK erscheint als „Ring", der Hegelschüler HINRICHS trägt falsche Vornamen. H.-J. HEYDORNS bekanntes gesellschaftskritisches Buch von 1970 wird angeführt mit dem Titel „Über den Widerspruch von Bildung und Wissenschaft" statt „. .. Bildung und Herrschaft", in einem weiteren Titel HEYDORNS erscheint fälschlich „Bildungsbegriff" anstelle von „Bildungsproblem". Auch Hegel selbst bleibt nicht von Mißgriffen verschont. Eine „sog. Berliner Einleitung in die Philosophie" (VIII) gibt es nicht; gemeint ist das Berliner Vorlesungsmanuskript der Einleitung zur Geschichte (!) der Philosophie. Daß „System der Philosophie" kein Hegelscher, sondern ein von GLöCKNER gewählter Titel ist, sollte in einer Textsammlung wie dieser nicht überspielt, sondern, wenn man ihn überhaupt zitiert, dem Leser bewußt gemacht werden. — Bei einem Hinweis auf Merkmale des Bildungsbegriffs, die Hegel in den Nürnberger Schriften herausgearbeitet habe, sind von den vier Bezugsstellen, auf die durch Seitenangaben verwiesen wird, zwei mit falschen Zahlen belegt (vgl. XI, Fußnote 1: statt 412 ist 312, statt 448 ist 338 zu lesen). Wenden wir uns von den Nachweisen, die die Fußnoten geben, zu den in der Einführung zitierten Texten selbst, so widerfährt uns leider ebenfalls Schlimmes. Auf Seite VIII finden sich in einem einzigen Hegel-Zitat von 17 Zeilen Umfang nicht weniger als 12 Abweichungen vom Original, die Mehrzahl sinnverändernd bzw. -entstellend, wofür ich drei Beispiele anführe: Hegel stellt den Metamorphosen im Kreislauf der Natur die Veränderungen im Geschichtsprozeß des Geistes gegenüber und sagt von letzterem: „Der Begriff selbst ist es, der berichtigt wird". Im Zitat lesen wir: „. . . der berechtigt wird". Etwas weiter heißt es bei PLEINES, „daß sich die höhere Gestaltung durch ümarbeiten der vorigen wiederum hervorgebracht hat". Richtig muß es heißen: „... durch Umarbeitung der vorigen, niedrigem hervorgebracht". Schließlich lesen wir, „wie sich im Raum die Idee der Natur auslegt", statt: „wie sich im Raume die Idee als Natur auslegt". — Derartige Zitierfehler begleiten den Leser durch die Einführung hindurch. Nennen wir noch zwei: Seite XII wird in einem wiedergegebenen Hegeltext Bildung als „Form des Denkens" dahingehend erläutert, „daß der Mensch sich zu kennen weiß"; Hegel sagt aber: „sich zu hemmen weiß". Ebenso irreführend ist es, wenn (ebd.) die „gebildete Reflexion" in Bezug gesetzt wird zu den „Umständen" statt zu den „Gegenständen", wie es im Original heißt. Erstaunen müssen auch manche Verknüpfungen von Zitatstücken hervorrufen, die der Verfasser vornimmt und durch die er dem Anschein nach homogene Äußerungen Hegels herstellt. So führt er etwa S. XI aus den Jugendschriften die Notiz Hegels an, daß „Christus bei seinem Unterricht nur die Bildung und Vollkommenheit des einzelnen Menschen vor Augen hatte", und fährt interpretierend

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unmittelbar fort: „wobei der vorrangige Wert solcher Bildung dann [sc. von Hegel] darin gesehen wird, damit anzufangen, ,Gedanken anderer auffassen zu können'. . ." Geht man zurück auf die Kontexte, so wird sichtbar, daß der erste Gedanke bezogen ist auf das von JESUS aufgestellte Vollkommenheitsideal des radikalen Besitzverzichts, das Hegel auf individuelle Fälle begrenzt sieht und konsequenterweise der Ausdehnung auf eine Gesellschaft nicht für fähig hält — während der zweite aus der Geschichte der Philosophie entnommen ist und mit dem Noviziat der Pythagoräer zusammenhängt, das durch eine lange „Lernzeit des Stillschweigens" charakterisiert ist. Kann eine solche Verknüpfung klärend sein? Mit dem letzten Beispiel sind wir zu dem Inhaltlichen der Einführung von PLEINES übergegangen. Der in ähnlicher Fassung schon früher veröffentlichte Beitrag steht hier unter der unspezifischen Überschrift: „Das Problem der Interpretation". Der Autor bewegt sich hin und her zwischen den verschiedenen Aspekten und Akzentuierungen des von Hegel gebrauchten Begriffs der „Bildung" wie zwischen einigen unterschiedlichen Auslegungen von Hegels Bildungstheorie; er zieht auch Linien zu Bildungsauffassungen, die Hegel in seiner Zeit vorfand (HEUSINGER, GREILING, F. H. C. SCHWARZ, HERBART), und zu späteren Ansätzen (NATORP, SCHEUER). Als Ergebnis kann man mit der Zusammenfassung S. XXVIII f die Doppelthese festhalten, daß Hegel den Begriff der Bildung in einer Gestalt ausgearbeitet hat, die später nicht mehr überholt werden sollte, daß aber seine kritische Analyse zugleich an dem Bildungsstreben des aufgeklärten Bewußtseins die immanente Möglichkeit oder sogar Tendenz des Irregehens, des Leerwerdens und der subjektivistischen Verfestigung aufgewiesen hat. Besonders die zweite, kritische Dimension der Hegelschen Bildungstheorie scheint dem Verfasser von der Fachpädagogik nicht hinreichend rezipiert worden zu sein. PLEINES bringt in der Einführung eine Fülle von Einzeläußerungen Hegels bei und fügt sie im Sinne der verborgenen Systematik zueinander, die auch seine Anordnung der Texte regiert (s. o.). So erhebt sich auch hier die Frage, ob es nicht angemessener und seinem eigenen Vorhaben dienlicher gewesen wäre, die Mehrfältigkeit von Hegels Kategorie der „Bildung" von den Werkzusammenhängen her zu erschließen, in denen sie verwendet ist. Außerdem hätten die nicht durch ein vorgängiges Hegelstudium instruierten Benutzer des Bandes, die PLEINES nach mehreren diesbezüglichen Bemerkungen vor Augen hat, eine deutlichere und eingehendere Information über die Eigenart und den (eingeschränkten) Wert der Editionen benötigt, aus denen die vorgelegten Texte stammen. Wir meinen damit nicht ein Durchexerzieren philologischer Details, wohl aber Anstöße zu kritischem Bewußtsein. Die kurze pragmatische Begründung für die Heranziehung der alten Gesamtausgabe (XXXIV f) genügt als solche nicht. Wie unerläßlich wachsame Distanz zu den editorisch vermittelten Texten ist, belegt wiederum ein Zitierbeispiel. Arglos verwendet PLEINES (XXI) als Hegelisch die These: „Pädagogik ist die Kunst, die Menschen sittlich zu machen", obwohl dieser Satz, der sich in der Freundesvereinsausgabe innerhalb der Vorlesungszusätze zur Rechtsphilosophie findet, schon vor über dreißig Jahren als nichtauthentisch erwiesen worden ist. Zu erwähnen bleibt noch der Registeranhang, dessen gewichtigster Bestandteil

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das sehr differenzierte Begriffsregister ist. Allein der Titelbegriff „Bildung" wird in den Seitennachweisen mit 33 spezifizierenden Adjektiven und mit fast 120 Bezugsbegriffen verbunden. Dieses mit Sorgfalt angefertigte Inventarium signalisiert zugleich die Möglichkeiten einer fruchtbaren Arbeit an den Texten selbst, die PLEINEs in diesem Band vereinigt hat. 2. Pädagogisches Gedankengut bei Kant, Fichte, Schelling, Hegel, Feuerbach. Ausgewählt, eingeleitet und erläutert von Heinz und Werner Schuffenhauer unter Mitarbeit von Dorothea Schuffenhauer. Berlin: Volk und Wissen Volkseigener Verlag 1984. 604 S. (Pädagogische Bibliothek.) Dieser umfangreiche, fast gleichzeitig mit dem vorigen erarbeitete und veröffentlichte Sammelband verfolgt eine ganz andere Zielsetzung, der sich auch die Auswahl einschlägiger Hegeltexte einfügt: Er will ein Bild vermitteln von der „Pädagogik im Schoße der klassischen bürgerlichen deutschen Philosophie" (Einleitung, 13) und einen Beitrag liefern „zur Bestimmung und Erschließung des pädagogisch relevanten Erkenntnis- und Erfahrungsschatzes" jener Epoche, „im Sinne marxistisch-leninistischer Erberezeption" (Vorwort, 9). Eine ausführliche Einleitung der Herausgeber (13—94) begründet die Auswahl der Texte und bereitet ihre Lektüre vor. Sie folgt der historischen Linie, die durch die im Titel genannten Namen bestimmt ist, ohne sie zugleich als „Entwicklung" zu interpretieren. Jedem der fünf Autoren ist ein relativ selbständiges Kapitel gewidmet. Im einzelnen versucht die Einleitung 1) „Einblicke in das pädagogische Denken KANTS" ZU geben, gestützt auf seine Ethik, Anthropologie und nicht zuletzt auf seine (von RINK edierten) Pädagogik-Vorlesungen. 2) wird „FICHTES Bedeutung für Erziehung und Volksaufklärung" erörtert; dieser Gedankengang führt hin auf den Nationalerziehungsplan der Reden an die deutsche Nation. 3) Der folgende Abschnitt konzentriert sich auf einen einzigen Textzusammenhang und heißt darum „Der junge SCHELLING und sein Beitrag zur ,Methode des akademischen Studiums'". 4) In dem Kapitel über Hegel (62—83) wird dessen „pädagogischer Gedanken- und Erfahrungskreis" thematisiert, während 5) der Abschnitt über „FEUERBACH und die Erziehung in erneuerter philosophischer Sicht" die aus der Kritik an Hegels idealistischer Spekulation gewonnene anthropologische Wende FEUERBACHS zugrundelegt. Daß gerade bei Hegel der Erfahrungshegriff erscheint, entspricht der Feststellung der Herausgeber (in den Vorbemerkungen zum Textteil, vgl. 389), daß Hegel als einziger der hier vertretenen Philosophen „eine längere zusammenhängende schulpraktische Schaffens- und Entwicklungsperiode aufzuweisen" hat. Einführung und Textauswahl behalten dies im Auge. In der Einleitung werden Hegels „schulpraktisches Wirken in Nürnberg" und die „Ausformung seines pädagogischen Gedankengutes" zueinander in Beziehung gesetzt. Dem Hauptabschnitt, der dies leistet, folgt mit begrenzterem Anspruch der „Versuch einer Überschau

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pädagogisch bedeutsamer Gedankengänge der Hegelschen Philosophie". Allerdings ist die hier geübte Beschränkung wohl vornehmlich didaktisch bedingt; im übrigen zweifeln die Herausgeber nicht daran, daß Hegel „in erster Linie durch seine das Denken der Zeit revolutionierende Philosophie" Einfluß auf die pädagogische Theoriebildung gewann (78). Die wichtigsten Impulse verdankt nach ihrer Auffassung die Pädagogik „der Hegelschen Ausarbeitung der Dialektik" (79). Außerdem betonen die Herausgeber die in Hegels Theorie aufweisbare Verflechtung von Gesellschaft und Erziehung. Wie bei den anderen Denkern, so korrespondiert in diesem gut durchgestalteten Band auch bei Hegel die Textauswahl (389—533) den einführenden Darlegungen sehr genau. So sind die Gymnasialreden fast ungekürzt abgedruckt. Sie werden ergänzt durch Rektoratsberichte über den Zustand der Anstalt im ganzen wie über einzelne Unterrichtsgegenstände und -probleme, schließlich durch Berichte aus Hegels Schulratstätigkeit. Es folgen Gutachten wie das über die Stellung des Realinstituts und das bekannte über den Vortrag der Philosophie auf Gymnasien. Auch die Entwürfe zur Begutachtung von Abituraufsätzen aus Hegels Berliner Zeit erscheinen den Herausgebern als Dokumente aus dem Praxisfeld wichtig. Den Beschluß (ab 488) bilden Auszüge aus den philosophischen Werken. Es liegt in der Natur der Sache, daß diese Auszüge zu größeren Teilen Texten entsprechen, die wir auch in dem Band von PLEINES finden, wenngleich sie im einzelnen etwas anders (meist knapper) begrenzt sind. Nicht berücksichtigt ist die bei PLEINES recht ausführlich dokumentierte Geschichtsphilosophie — was vielleicht durch die enger gefaßte Gesamtorientierung an „pädagogischem" Gedankengut begründet ist. Dagegen ist die Absicht erkennbar (vgl. auch Vorbemerkungen, 390) mit einer Partie der Logik, die dem Kapitel über das „Erkennen" entnommen ist, ein Beispiel für Hegels dialektisches Vorgehen zu geben und damit seinen Beitrag zur Fundierung auch des pädagogischen Denkens zu vergegenwärtigen. Anders als PLEINES, dessen systematisierende Anordnung des Textmaterials wir oben diskutierten, haben die Herausgeber dieses Bandes bei den Auszügen die chronologische Folge der Werke eingehalten, deren Titel auch in den Überschriften erscheinen: Phänomenologie, Philosophische Propädeutik, Wissenschaft der Logik, Philosophie des Rechts, Zusätze zur Enzyklopädie (auch hier unter dem von uns kritisierten Editorentitel „System der Philosophie"), Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Irritierend ist folgende Einzelheit: Ein größerer Extrakt aus der von Hegel in Nürnberg vorgetragenen Rechts-, Pflichten- und Religionslehre (457—463) hat seine Stelle nicht innerhalb der Philosophischen Propädeutik, wo man ihn nun geradezu vermißt, sondern unter den „Plänen und Gutachten". Ansonsten ergeben sich in deutlicher Abhebung zwei Textgruppen: der schulpraktisch-bildungstheoretische Komplex und die im eigentlich philosophischen Zusammenhang entwickelten Gedanken. Damit werden auf sachgerechte und für den Leser übersichtliche Weise die beiden unterschiedlichen Zugänge zur pädagogischen Problematik repräsentiert, die sich bei Hegel verbinden. Die Gymnasialreden und die philosophischen Auszüge werden nach der Jubiläumsausgabe (jedoch in modernisierter Schreibweise), alte übrigen Passagen nach

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den von HOFFMEISTER herausgegebenen Nürnberger bzw. Berliner Schriften ediert. Fragen der Textkritik werden nicht angeschnitten. Für einen historisch ausgerichteten Textband sind sie gewiß von geringerem Stellenwert als für eine Sammlung, die vor allem eine zulängliche Interpretation sichern will. Man darf sagen, daß Hegel in die Konzeption dieses Bandes angemessen einbezogen worden ist. Zu wünschen wäre, daß pädagogische Textsammlungen von derartiger Thematik, von solchem Umfang und solchem Ausstattungsniveau auch in westdeutschen Verlagen ihren aktuellen Platz hätten. Friedhelm Nicolin (Düsseldorf)

Adriana Cavarero: L'interpretazione hegeliana di Parmenide [Die Hegelsche In-

terpretation des Parmenides]. Trento: Verifiche 1984. 121 S. In Hegels Interpretation des PARMENIDES stellt sich nach A. CAVARERO das radikalste (weil einzigartige) Verhältnis der Philosophiegeschichte dar, insofern in ihr explizit wie implizit der Anfang des abendländischen Denkens und seine angebliche Vollendung sich zu einem symphilosophein verschmelzen. Zunächst wird der rezeptionsgeschichtliche Hintergrund dargestellt, innerhalb dessen sich die Hegelsche Interpretation entwickelt. Die verschiedenen Ausgaben und Lehrbücher, von denen Hegel Gebrauch gemacht hat, werden kurz vorgestellt und die Grundlinien der verschiedenen Deutungen sowie die Zusammenhänge etwa mit der SpiNozA-Diskussion, mit nach-kantischen Entwicklungen und mit theologischen Aneignungen Umrissen. In den folgenden Kapiteln stellt die Verfasserin die Gegenwart des PARMENIDES im Denken Hegels dar, von den ersten Spuren im Tübinger hen kai pan bis hin zum PARMENiDES-Kapitel der Berliner Vorlesungen. In der Seinsproblematik, wie sie der junge Hegel entfaltet (als Verbindung und Vereinigung), in der Identität von Sein und Denken, wie sie sich in Jena entwickelt, in dem ersten Kapitel der Phänomenologie erkennt A. CAVARERO die Wirkung einer Auseinandersetzung mit PARMENIDES, die später hauptsächlich in der Thematik des Anfanges zum Ausdruck kommen wird, wo Logik, Philosophie und Geschichte der Philosophie miteinander verknüpft sind. Das Schwergewicht wird daher auf die Wissenschaft der Logik (auch in der Enzyklopädie-Fassung) und besonders auf ihre erste Triade gelegt, die auch für die Deutung der der eleatischen Schule gewidmeten Kapitel der späteren Vorlesungen gebraucht wird. Die kritische Auseinandersetzung Hegels mit PARMENIDES kreist um theoretisch wesentliche Punkte. Wenn auch PARMENIDES mit dem reinen Sein das Element der Wissenschaft und damit ihren Anfang geschaffen hat, zwingt er das Denken zur Unbeweglichkeit, insofern er dem Sein das reine Nichts in einer abstrakten Weise entgegensetzt, so daß jede Determination unmöglich wird. Damit ist das Sein als Anfang zugleich auch Ende des reinen Wissens innerhalb eines Dualismus von

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Sein-Nichts, Wissen-Meinen. So erweist sich die PARMENiDEische Totalität in der Tat nicht als Kreis, sondern als bloßer Punkt. Die Identifizierung dieses abstrakten Seins mit einem ebenso abstrakten Denken verurteilt darüber hinaus die Selbstproduktivität des Denkens zur Unfruchtbarkeit, so daß es nichts anderes ausschöpfen kann als seinen Anfang. Trotz aller Einwände bleibt PARMENIDES aber für Hegel das Paradigma eines fruchtbar zu machenden Beginns des authentischen Philosophierens. Für den Leser des Buches erweist sich als sehr nützlich der Anhang mit dem griechischen Text der Ausgabe C. A. BRANDIS (Commentationum Eleaticarum. Altona 1813), die Hegel in den Vorlesungen zitiert und übersetzt hat, und mit der deutschen Übersetzung aus der Ausgabe der Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie von BOLLAND (Leiden 1908, Neudruck der zweiten Ausgabe von MICHELET). Gabriella Baptist (Roma/Bochum)

F. Walter Lupi, Rino Genovese, Giuseppe Panella, Giuseppe Varnier: Tra scetticismo e nichilismo. Quattro studi [Zwischen Skeptizismus und Nihilismus. Vier

Studien]. Pisa: ETS Editrice 1985. 158 S. Die vier Studien dieses Sammelbandes sind im Rahmen eines Seminars der Universität Pisa über Aspekte des Nihilismus im akademischen Jahr 1981-82 entstanden. Ihre gemeinsame Absicht ist, die Vorgeschichte dieses Begriffes in den emotionell gefärbten Wiederaufnahmen von Argumenten des antiken Skeptizismus zu umreißen, die schon seit Ende des sechzehnten Jahrhunderts als Reaktion gegen die Krise des Rationalismus und der Erkenntnistheorie vorgebracht wurden, sowie die Dynamik dieser Vorgeschichte bis zu den Anfängen der Hegelschen Philosophie zu verfolgen. Schon die Beschränkung auf diese historische Zeitspanne, die Tatsache, daß man sich nicht auf eine Auseinandersetzung mit NIETZSCHE oder HEIDEGGER einläßt, zeigt die provokative Intention der Autoren, gegen das Pathos der zeitgenössischen italienischen Nihilismus-Diskussion (SEVERINO, VATTIMO, AGAMBEN) durch eine historiographische Untersuchung auch theoretisch anzugehen. Der Beitrag von F. WALTER LUPI über Montaigne oder der Morgen der freien Geister (11-58) entdeckt in den Essais MONTAIGNES eine Anthropologisierung der Philosophie, die zu einer skeptischen Ethik führt. In MONTAIGNES Aktualisierung von skeptischen Motiven erkennt LUPI eine bedeutende Wende im Verständnis des menschlichen Subjektes innerhalb der abendländischen Tradition. Der Artikel von RINO GENOVESE über Hume und die anthropologische Philosophie (5989) versucht hauptsächlich anhand des Treatise of Human Nature dem traditionellen Bild eines bloß skeptischen HUME dasjenige eines anthropologischen entgegenzustellen. In HUMES Thematisierung des wechselseitigen Spieles zwischen Einbil-

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dungskraft und Gewohnheit, aus dem „belief" hervorgeht, versucht HUME nach GENOVESE eine kritische Distanz, einen äußeren Blick zu gewinnen, um die in dem Zirkel der Selbstreferentialität liegende Gefahr eines absoluten Skeptizismus bewältigen zu können. Der Aufsatz von GIUSEPPE PANELLA mit dem Titel: Von Hume bis Hamann. Von der anthropologischen Kritik zur kenosis des Wunders (91-125) analysiert HUMES Kritik an den Wundern und ihre Rezeption, die als emblematisches Beispiel eines nicht unschuldigen „mis-reading" in der Geschichte der europäischen Kultur zwischen dem achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert dargestellt wird. HAMANNS Übersetzung von HUMES „belief" mit „Glaube" wird nach PANELLA bei JACOBI und noch bei KIERKEGAARD weiter Argumente für die Trennung zwischen Glauben und Wissen liefern, sowie dem paradoxen Erfolg von HUME als Irrationalisten in Deutschland Vorschub leisten. Der Beitrag von GIUSEPPE VARNIER, Der Nihilismus zwischen Jacobi und dem jungen Hegel. Paradigmen einer Kritik der Vorstellungslehre (127-155) stellt schließlich die Anfänge der modernen Nihilismus-Diskussion in der Radikalisierung des modernen Skeptizismus dar, der seinerseits als Phänomen der Krise der Erkenntnistheorie vor unberechenbaren geschichtlichen Transformationen präsentiert wird. Bei JACOBI und dem jungen Hegel erkennt VARNIER zwei paradigmatische Modelle der Auseinandersetzung mit den „impasses" der Vorstellungslehre. Bei JACOBI entwickelt sich die Problematik des Nihilismus im Rahmen seiner Kritik des modernen Rationalismus, der sich sowohl in seiner ontologisch-objektivistischen Version (SPINOZA) als auch in der transzendental-subjektivistischen Gestalt (KANT-FICHTE) als eine Philosophie der Vorstellung und des logischen Verstandes und deswegen als eine Philosophie ohne Transzendenz erweist. In beiden Fällen kann eine solche Philosophie dem ethischen und religiösen Bedürfnis, aber auch dem Bedürfnis nach Realismus, nicht mehr entsprechen, insofern Gott durch eine „omnitudo realitatis" oder durch rationelle Normen des subjektiven Tuns ersetzt werde. Die Ablehnung der Vorstellungslehre KANTS und FICHTES, die der junge Hegel mit JACOBI teilt, kehrt aber nach VARNIER den naiven Realismus und Fideismus JACOBis in einen metaphysischen und ontologischen Skeptizismus bzw. Nihilismus um. Die Schlußfolgerungen des Nihilismus werden vom jungen Hegel als korrekte und notwendige Konsequenzen der modernen Erkenntnistheorie als Reflexionsphilosophie und VorsteUungslehre akzeptiert, aus der allerdings eine neue Ontologie entstehen müsse. Der Nihilismus wird dann in Glauben und Wissen — die für diese Thematik wichtigen vorhergehenden Texte werden auch kurz erwähnt — die Hauptaufgabe des Denkens, wenn auch nur negahv, damit die Vernunft sich über die Sphäre der Vorstellung und der empirischen Endlichkeit erheben kann: Die Philosophie hat eine skeptisch-negative Funktion, insofern sie die geschichtliche und individuelle Subjektivität in einem absoluten Prinzip vernichten muß. Später wird dies Modell eines negativen Weges zugunsten einer positiven Dialektik verlassen, die eine Theorie des Seins als Produktion eines Absoluten als Subjekts und als Gesamtprozesses der Wirklichkeit und Erkenntnis darstellt.

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Auch wenn die Charakterisierung JACOBIS als Fideist problematisch bleibt und manche Aspekte der Hegelschen Auseinandersetzung mit der Nihilismusproblematik in Glauben und Wissen, wie zum Beispiel der Einfluß SCHELLINGS, weiter geführt werden könnten, bildet der Aufsatz VARNIERS eine erste Orientierung in dem verwickelten und von der Forschung immer noch nicht völlig erhellten Panorama der Nihilismus-Diskussion zu Beginn des deutschen Idealismus. Gabriella Baptist (Roma/Bochum)

Maurizio Mangiagalli: Logica e metafisica nel pensiero di F. A. Trendelenburg

[Logik und Metaphysik im Denken F. A. Trendelenburgsj. Milano: CUSL 1983. 224 S. Der Denkweg FRIEDRICH ADOLF TRENDELENBURGS in dem verwickelten Panorama des Ausganges der deutschen klassischen Philosophie hat in letzter Zeit neues Interesse geweckt, seine Anstöße für die zeitgenössische philosophische Debatte sowie die antizipatorische Kraft mancher seiner Ansätze haben zu einer historiographischen Wiederentdeckung geführt, als deren Ausdruck jetzt die Arbeit von MANGIAGALLi gelten kann. Er gibt eine kritische Darstellung des Denkens von TRENDELENBURG, die besonders die Logischen Untersuchungen berücksichtigt und deren Ansatz deutlich durch die Mailänder neoscholastische Schule geprägt ist. MANGIAGALLI untersucht aufgrund dieses Ausgangspunktes hauptsächlich das Problem der Metaphysik bei TRENDELENBURG, die von TRENDELENBURG konstruierte Identität zwischen Logik und Metaphysik sowie seinen Versuch, einen neuen Realismus zu begründen. Er sieht in den Logischen Untersuchungen einerseits „eine phänomenologische Ontologie, die den systematischen Höhepunkt des theologischen und teleologischen Spiritualismus des neunzehnten Jahrhunderts darstellt" und andererseits „den Auftakt der Philosophien anfangs des zwanzigsten Jahrhunderts" (150). So erscheint TRENDELENBURG Z. B. durch seinen Schüler BRENTANO als ein Inspirator der phänomenologischen Bewegung. TRENDELENBURGS Deutung der Identität von Denken und Sein könnte man als Vorwegnahme des Intentionalitätsbegriffs lesen (53), seine Aufforderung, „auf die Sache selbst ein[zu]gehen", als einen Anlaß zu HusSERLS späterem Motto (20). Über seinen Schüler DiLTHEvwird TRENDELENBURG überdies zum Initiator der historischen Schule: die Vierteilung seiner Kategorienlehre antizipiert nach MANGIAGALLI die DiLiHEvsche Unterscheidung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften (185). Durch Vermittlung von G. S. MORRIS beeinflußte TRENDELENBURG sogar den anglo-amerikanischen Organizismus und Instrumentalismus (193 f). Diese „Modernität" TRENDELENBURGS rechtfertigt eine genauere Untersuchung seiner Schriften, die MANGIAGALLI texttreu darstellt. Nach einer kurzen bio-bibliographischen Einführung (15—27), nach einer Darstellung der ARiSTOTELES-Studien (29 -49) und der Gesamtproblematik des Verhältnisses Logik-Metaphysik (51—64), ist das vierte Kapitel der Auseinandersetzung mit Hegel gewidmet (65—101). MANGIAGALLI betont vor allem die spekulative Be-

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deutung von TRENDELENBURGS Hegel-Kritik und den Einfluß, den sie in der zeitgenössischen sowie in der späteren Diskussion um die Dialektik gehabt hat (vgl. 65). Nachdem MANGIAGALLI kurz auf die historischen Voraussetzungen der TRENDELENBURGSchen Kritik in den Arbeiten von HüLSEMANN, CARGANICO, SCHUBART, OHLERT und FEUERBACH eingeht (ein Einfluß SCHELLINGS auf TRENDELENBURG wird — in Übereinstimmung mit M. Rossi — bestritten: 68 ff), analysiert er in einem weiteren Schritt anhand der Logischen Untersuchungen die beiden Aspekte der Auseinandersetzung mit Hegel, nämlich die Kritik am Anfang des dialektischen Prozesses und an der Theorie der Negation in seiner konstruktiven Funktion. Die Originalität von TRENDELENBURGS Kritik sieht MANGIAGALLI in den phänomenologischen und logischen Aspekten (72 ff), wobei ein starker ARisioxELischer Einfluß sowie ein darunter liegendes KANTisches Denkmuster deutlich werden (79). Auch die Rückwirkungen der TRENDELENBURGSchen Kritik auf die Hegelsche Schule werden kurz dargestellt, und besonders in der Diskussion um den Anfang der Logik (WERDER, ROSENKRANZ, ERDMANN, FISCHER; 89 ff) erkennt der Verfasser die „unersetzbare Funktion TRENDELENBURGS als Anreger jener „Reform"-Positionen, die schon in den Werken der genannten Autoren Vorkommen, welche man unter diesem Gesichtspunkt gewissermaßen für Neuhegelianer halten könnte" (92). Besonders in K. FISCHERS Reaktion auf TRENDELENBURGS Kritik steckt nach MANGIAGALLI der Keim der „Reform", die später in GENTILES Aktualismus dank der Vermittlung SPAVENTAS durchgeführt wird (92 ff). TRENDELENBURGS Kritik an der Dialektik findet weiter ein Echo in CROCES Thematisierung der „distinti" (Unterschiede) sowie in dem nicht-hegelschen Marxismus DELLA VOLPES und kann somit bis in unsere Tage etwa bei MERKER oder COLLETTI wirksam bleiben (100 f). Auch als Gegner Hegels hat TRENDELENBURG aber paradoxerweise zur Verbreitung des Hegelianismus in Europa und in Amerika wesentlich beigetragen: „Die TRENDELENBURGSche Hegel-Kritik bildete ohne Zweifel das wichtigste Ereignis in der Geschichte der ersten Opposition gegen den Idealismus, so daß man jetzt behaupten kann, daß sie eine der bedeutendsten Episoden in der Geschichte des Hegelianismus selbst darstellt" (95). In seinem der Hegel-Kritik gewidmeten Kapitel berücksichtigt MANGIAGALLI hauptsächlich die italienische Diskussion über die Beziehung TRENDELENBURG-Hegel (CALOGERO, BERTI, M. ROSSI USW.), vernachlässigt aber die internationalen Forschungen, die sich dieses Themas angenommen haben, so z. B. J. SCHMIDT: Hegels Wissenschaft der Logik und ihre Kritik durch Adolf Trendelenburg. München 1977 (vgl. die Besprechung in: Hegel-Studien. 14 [1979], 358—63). Nach einer Darstellung der KANT-Interpretation TRENDELENBURGS (103—123), seiner Kategorienlehre (125-159) und seiner Logik (161-177) beurteilt MANGIAGALLI in einem abschließenden Kapitel (178-209) TRENDELENBURGS Versuch, einen Ideal-Realismus zu begründen, als nicht gelungen. Es handele sich dabei um einen „idealisierten Natuarlismus", der das System TRENDELENBURGS zu Dualismus und Unbeständigkeit zwinge, da ihm sowohl eine „angemessene Phänomenologie der Erkenntnis" wie auch eine „vollständige metaphysische Dialektik" fehle (208 f). Gabriella Baptist (Roma/Bochum)

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LITERATURBERICHTE UND KRITIK

J. V. Snellman: Die Persönlichkeit. Eingeleitet und herausgegeben von Reijo Wilenius. Sankt Augustin: Richarz 1981. 167 S. (Texte zur Philosophie. Hrsg, von Karl Albert. Bd 6.) (1806-1881) ist berühmt geworden als Vorkämpfer in der nationalen Bewegung Finnlands, das im 19. Jahrhundert als Großherzogtum in Personalunion durch den russischen Zaren regiert wurde und dessen führende und gebildete Schicht schwedisch sprach und sich an der schwedischen Kultur orientierte. Die politische und publizistische Wirksamkeit SNELLMANS, sein Beitrag zum Aufstieg der finnischen Sprache und einer eigenständigen finnischen Kultur hat seine philosophischen Arbeiten weitgehend in Vergessenheit geraten lassen. Schon als Student wurde er ein Anhänger der Hegelschen Philosophie; gegenüber der Philosophie HERBARTS, der damaligen Modephilosophie, blieb er distanziert. Seine Habilitationsschrift 1835 war eine Verteidigung des Hegelschen Systems, seine in schwedisch erschienenen Schriften verfaßte er vom Standpunkt und im Einklang mit der Hegelschen Philosophie. Während eines kurzen Studienaufenthalts in Tübingen schrieb er sein Buch Versuch einer speculativen Entwicklung der Idee der Persönlichkeit, das 1841 in Tübingen in deutscher Sprache erschien. CARL MICHELET hat es 1842 in den Berliner Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik ausführlich und uneingeschränkt positiv rezensiert. Er nimmt SNELLMANS Schrift als Beleg, daß nun auch die finnische Philosophie „die Höhe Deutscher Wissenschaft in unserer Zeit mit der Gewinnung des Hegelschen Standpunkts erreicht" hat. SNELLMAN bleibt weitgehend in den Bahnen des Hegelschen Denkens, sowohl hinsichtlich der dialektisch-spekulativen Methode als auch im Hinblick auf den Inhalt. Seine Differenz zur Hegelschen Philosophie wird deutlich in seinem Vorwurf, daß Hegel in der Rechtsphilosophie „die Seite des Selbstbewußtseyns allzusehr übersehen hat" und deshalb „die Sittlichkeit ganz die Bedeutung von sittlicher Substanz, nicht von sittlicher Gesinnung, sittlichem Gewissen" erhält. SNELLMAN beanspruchte mit seiner Schrift also, eine Einseitigkeit Hegels zu korrigieren, denn seinem Verständnis nach hat „die Philosophie des objektiven Geistes die wesentliche Seite, daß sie nicht nur eine Entwicklung der Begriffe des Rechts u. s. f. enthält, sondern zugleich das Sichbestimmen des persönlichen Geistes, d. h. eine Entwicklung des persönlichen Selbstbewußtseyns ausmacht" (71). SNELLMAN entwickelt die „Idee der Persönlichkeit" in seinem Buch von 1841 in drei Kapiteln; der vorliegende Band enthält in photomechanischer Wiedergabe nur das letzte über „Persönlichkeit", die Einleitung und die beiden Kapitel über „Individualität" und „Subjektivität" sind weggelassen worden. SNELLMAN bestimmt den „Begriff der Persönlichkeit als das Sichwissen des substantiellen Geistes“, oder anders, als „Identität des subjektiven und objektiven Geistes" (33). Diese Identität des Geistes mit sich hat der Geist nicht in einem endlichen Wissen, sondern als Wissen vom Absoluten, das zugleich Wissen des Absoluten ist. SNELLMAN erläutert die Entwicklung von dem Begriff zur Idee der Persönlichkeit in Hinblick auf das menschliche Bewußtsein so, daß an sich „der Mensch als verJOHANN VILHELM SNELLMAN

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nünftiges im Absoluten" (28) steht und es nur darauf ankommt, „das Absolute in ihm zum Bewußtseyn zu bringen" (28). Empirisch vollzieht sich diese Entwicklung als „sittliche Bildung des Menschen", „durch die Aufhebung seiner Subjektivität, durch die Versenkung des Subjekts in die absolute Substanz" (28; vgl. 67). Der Mensch als endlicher hat also keine wahre Persönlichkeit, das Verhältnis von einzelnen Menschen zum substantiellen Geist kann als gleichgültig oder zufällig angesehen werden; SNELLMAN betont aber, „daß der menschliche Geist in seiner Wahrheit nicht der endliche, sondern der unendliche Geist ist, im absoluten Geiste se i n e Wahrheit hat und als den absoluten Geist wissend diese Wahrheit ist" (160). Nur im Menschen hat das Absolute sein Selbstbewußtsein, für SNELLMAN ist „die Herablassung Gottes zu dem Menschen, das Sichwissen Gottes im Menschen, und die Erhebung des Menschen zu Gott, das Sichwissen des Menschen in Gott, als derselbe identische Prozeß" (36). In langen Passagen kritisiert SNELLMAN andere zeitgenössische philosophische und theologische Auffassungen. Seine eigene begriffliche Darstellung ist demgegenüber knapp. Ausgehend von dem Begriff der Persönlichkeit und dem Nachweis der Notwendigkeit der Selbstobjektivierung des Geistes stellt er die Stufen dieser Selbstrealisierung des Geistes dar: die Begierde als die Unmittelbarkeit des Geistes, als das bestimmungslose Streben des Geistes sich zu setzen, und die Bildung als tätige Aufhebung der Natürlichkeit (73 ff); der freie Wille als bestimmte Zwecktätigkeit und als Wissen um die Freiheit von allen Bestimmungen und das Böse als notwendige Unvollkommenheit aller gesetzten objektiven Gestaltungen (34 ff); die Strafe, die Reue und das sittliche Gewissen als das Bewußtsein der Identität von subjektiven und substantiellen Willen, als der Prozeß der Aufhebung der Subjektivität, der Unterordnung unter den allgemeinen Willen, der tätigen Verwirklichung des substantiellen Inhalts (133 ff). SNELLMAN betont, daß das Tun des Subjekts erst dann wahrhaft sittlich ist, wenn es „als im Geschäfte des Weltgeistes thätig betrachtet wird" (150), wenn der durch den Volksgeist gegebene Inhalt des Tuns als eine Bestimmung des Weltgeistes aufgefaßt wird (I5I). „Indem nun der Geist durch die Aufhebung seiner Subjektivität die in allen Geistern identische Thätigkeit des Weltgeistes geworden, und als selbstbewußter Geist sich als diese Thätigkeit weiß, so ist sein bestimmtes Bewußtseyn seinem Selbstbewußtseyn gleich. . .. Diese Identität des Bewußtseyns und Selbstbewußtseyns ist die Idee der Persönlichkeit, das Sichwissen des substantiellen Geistes als wirklichen." (156) Der finnische Herausgeber REIJO WILENIUS und der Herausgeber der Reihe, KARL ALBERT, haben mit diesem Buch einen Text leicht greifbar gemacht, der die Wirkung Hegels im Ausland dokumentiert und in der Erschließung der Geschichte des Rechtshegelianismus zu beachten ist. Lothar Wigger (Bielefeld)

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LITERATURBERICHTE UND KRITIK

Solange Mercier-fosa: Retour sur lejeune Marx. Deux etudes sur le rapport de Marx ä Hegel dans les manuscrits de 44 et dans le manuscrit dit de Kreuznach. Paris: Meridiens Klincksieck 1986. 195 S. (Collection „Philosophie" dirigee par Olivier Bloch.) (deren vorletztes Buch Pour lire Hegel et Marx in den HegelStudien. 18 [1983], 428-431 rezensiert wurde) präsentiert uns eine anregende polemisch-kritische Lektüre des Textes „L'Ontologie de Marx“ von GUY HAARSCHER (Bruxelles 1980). MERCIER-JOSA schreibt schon am Anfang: „Les theses de GUY HAARSCHER meriteraient d'etre exposees dans leur litteralite, et, selon la methode souvent utilisee par MARX lui-meme, d'etre immediatement suivies d'un examen critique" (8). Nach diesem Ansatz läßt sich das Buch in drei Hauptteile einteilen, nämlich in die eigentliche Darstellung der Ideen HAARSCHERS, die Antwort auf ihn und einen Epilog (dem drei ergänzende Texte folgen). Worin liegt der Kern des Interesses, das MERCIER-JOSA bei durchaus kritischer Distanz dem Werk von HAARSCHER entgegenbringt? Ist es seine Unterscheidung der drei Bedeutungen des Begriffs der Entfremdung in den Manuskripten von 1844 nämlich „kapitalistische", „ontologische" Entfremdungen und „la scission de la theorie et de la pratique"? Oder ist es seine Grundthese, die auf einer Auseinandersetzung mit Hegel und gleichzeitig mit MARX basiert: „On pourrait soutenir . .. que la totalite hegelienne se trouve toujours confrontee ä une nature autre, ä une exteriorite ä laquelle eüefait sa part, et qu'elle n'englobe que theoriquement, tout en la maitrisant de dehors gräce ä TEtat. Au contraire la ,marxian totality' apparait, dans son fond, comme illimitä: aucun dehors ,natureV ne la borne, comme c'etait le cas chez Hegel.. ." (zitiert von MERCIERJOSA, 11-12)? Diese zwei Fragenkomplexe stehen selbstverständlich in Verbindung, und der erstere führt zum zweiten. Wenn eine ontologische Entfremdung aufgrund der „ontologie de l'activite" im politisch-moralischen Sinne von der kapitalistischen unterscheidbar ist, dann könnte man in der Formulierung von MERCIERJOSA sagen: „le spiritualisme effrene de MARX a un caractere totalitaire" (17). Obwohl die Autorin den dritten Sinn der Entfremdung als „Spaltung zwischen Theorie und Praxis" unter der Bedingung, daß er gut verstanden wird, „richtig und interessant" findet, wendet sie sich gegen die Ontologie-These und die ihr zugrundeliegende Unterscheidung (53). Eine ontologische Interpretation kann nur dann nicht falsch sein, wenn man sie in dem Sinne versteht, daß sie „das Sein der Menschen" als „Individuen" anerkennt, aber es gleichzeitig von der „praktischen Aktivität der Produktion" definieren läßt (133). Gegen die These von HAARSCHER, die den MARXschen Standpunkt mit einem „spiritualisme effrene" identifiziert, weil er das Äußere, die Natur nicht anzuerkennen hat, stützt sich MERCIER-JOSA auf einen gemeinsamen wichtigen Punkt zwischen MARX und Hegel, dem es um die Beziehung der Natur zur Geschichte geht: „L'historisation de la nature est le corollaire de la naturalisation de l'histoire. MARX reprend et reajuste le double mouvement begehen de la subjectivisation de Tobjectivite et de Tobjectivation de la subjectivite" (139; vgl. 72-73, 75). Der interessante Punkt der Überlegungen HAARSOLANGE MERCIER-JOSA

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liegt für MERCIER-JOSA in der Tatsache, daß HAARSCHER die Beziehung vom jungen MARX ZU Hegel berücksichtigt und zwar „comme une radicalisation de Thügelianisme. GUY HAARSCHER n'identifie cependant pas comme un högölianisme consequent ou accompli legitime, Targument du jeune MARX, mais le juge eminemment suspect, contestable" (7). Es handelt sich also um eine Rückkehr, nach Pour Marx von Louis ALTHUSSER, ZU denselben Texten von K. MARX, mit einer Neubelebung der Hegelschen Problematik (in diesem Zusammenhang muß man auch den Namen MICHEL HENRY nennen). Auf diese Grundbeziehung konzentrieren sich alle Bemühungen von MERCIER-JOSA. Auf keinen Fall will sie die Möglichkeit einer ontologischen Begründung bei den Schriften des jungen MARX ganz ausschließen; aber dieser ontologische Aspekt muß seinem eigentlichen Zusammenhang nach neu definiert werden. Bei dieser Definition gewinnt der Begriff „lebendige menschliche Praxis" Bedeutung, zusammen mit dem Begriff „Individuum" (über den oben schon ein Hinweis gegeben worden ist): „Si toute vie est activite, Tactivite vitale de Thomme se distingue de celle de Tanimal en ce qu'elle est ,activite vitale consciente', soit, en ce qu'elle n'est pas une döterminite avec laquelle homme se confond immödiatement; mais en vivant de la nature, c'est-ä-dire en l'elaborant, l'homme se dedouble pratiquement et prend ainsi une conscience de soi qui n'est pas seulement intellectuelle, mentale, pensöe, mais röelle" (132). Das ist aber präzise der Punkt, an dem eine kritische Hegel-Lektüre wieder anfangen kann, die ihrerseits den MARXschen Ansatz zu erhellen vermag. Önay Sözer (Bochum) scHERs

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KURZREFERATE UND SELBSTANZEIGEN

Werner Salomon: Urteil und Selbstverhältnis. Kommentierende Untersuchung zur Lehre vom Urteil in Hegels „Wissenschaft der Logik". Frankfurt: R. G. Fischer 1982. 123 S. Die Urteilslehre bestimmt nach SALOMON bei Hegel den Sinn der Identität der Entgegengesetzten, Allgemeinheit und Einzelheit. Der Urteilung des Begriffs gehorcht das Hervortreten des Urteils. Das Urteil selbst ist Kritik der Einseitigkeit des Begriffs. Das Resultat der Urteilslehre ist die Selbstidentität des Begriffs als Grund der Einheit mit sich selbst. Mit diesem Resultat soll nach SALOMON eine erste konsistente Antwort auf die Frage nach der spekulativen Wahrheit gegeben sein. Im Kommentar wird weder eine Rekonstruktion der Argumente, noch eine Satz-für-Satz-Analyse gegeben. Die Paraphrase bietet einen lockeren Text innerhalb der Hegelschen Begrifflichkeit. Viele wichtige Stellen und die ganze metaphysische Deutung der Urteile aber werden in der Untersuchung ausgelassen und eine Rechtfertigung der Hegelschen Gliederung nicht gegeben. Zudem führt SALOMON unkommentiert das Besondere ein, möchte er die abstrakte Allgemeinheit nicht mit der Verstandesallgemeinheit identifizieren und unterscheidet er die äußerliche Reflexionsallgemeinheit nicht von der äußeren Reflexion. Unklar bleibt ebenso, warum mit dem letzten Reflexionsurteil die urteilskonstitutive Differenz der Urteilsbestimmungen (57) aufgehoben und beendet sein soll. Die behauptete Einheit von Selbstverhältnis und Selbstbewußtsein hat zwar in der Hegelschen Urteilslehre eine Voraussetzung, ohne die Schlußlehre aber ist eine einheitliche Theorie des Selbstverhältnisses für Hegel unmöglich. Nur in der Schlußlehre könnte diese Subjektivität sich mit und durch sich selbst vermitteln. Lu De Vos (Löwen)

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Miguel Giusti: Hegels Kritik der modernen Welt. Über die Auseinandersetzung mit den geschichtlichen und systematischen Grundlagen der praktischen Philosophie. Würzburg: Königshausen & Neumann 1987. 333 S. Für die gegenwärtige Auseinandersetzung um den Charakter, das Projekt oder das Wesen der Moderne ist Hegels Philosophie deswegen relevant, weil sie den die Epoche prägenden Zusammenhang zwischen Rationalität und Zeitbewußtsein begrifflich herausarbeitet. Mit dem Ausdruck „moderne Welt" bzw. „moderne Zeit" (er kennt die Substantivierung „die Moderne" nicht) will Hegel die Zusammengehörigkeit der in der Neuzeit auch implizit herrschenden theoretischen Grundlagen andeuten und philosophisch auf den Begriff bringen. Das theoretische Novum und den Mittelpunkt der Epoche faßt er unter dem Begriff „Prinzip der Subjektivität" zusammen. Dieses Prinzip einer „neuen Form der Welt" — so lautet Hegels Diagnose — hat zwar die Bedeutung eines unverkennbaren Fortschritts der Rationalität, ist jedoch zugleich in seiner Verabsolutierung der letzte Grund für die Entfremdung und Zerrissenheit in der modernen Zeit. Die Subjektivität enthält die tiefe Ambivalenz, Erklärungs- und Begründungsprinzip nur durch die Setzung unversöhnbarer Dualismen werden zu können, und dies nur auf Kosten des Auseinandertretens aller Lebenssphären. Hegels philosophisches Werk läßt sich als der permanente Versuch deuten, alle unterschiedlichen Formen der Verabsolutierung des Prinzips der Subjektivität in ihren wechselseitigen, impliziten Verbindungen kritisch aufzudecken und die Pluralität der Entgegensetzungen durch ein angemesseneres Vernunftverständnis systematisch zu überwinden. In diesem Sinne ist die moderne Welt für ihn ein philosophisches Problem geworden. Sein Ansatz stellt eine originelle Antwort auf die neuzeitliche „Querelle des Anciens et des Modernes" dar. Hegels Kritik und systematische Deutung des Prinzips der Subjektivität dient als Leitfaden für die vorliegende Untersuchung. Sie fängt an (Kap. I) mit einer Präzisierung der Fragestellung, nämlich mit einer Klärung dessen, was Hegel unter dem Ausdruck „moderne Welt" versteht, worin sein Beitrag zur begrifflichen Bestimmung dieser Epoche besteht und in welchem philosophiegeschichtlichen Kontext sie erfolgt. Anschließend (Kap. II) wird gezeigt, daß dieser kritische Ansatz Hegels einen Schlüssel zum Verständnis seiner frühen Schriften liefert. Dafür erweist sich der Begriff der Positivität als fruchtbar, den Hegel nicht nur zur Kennzeichnung der verobjektivierten Zustände seiner Zeit verwendet, sondern auch (im Anschluß an ARISTOTELES und SPINOZA) um anzudeuten, daß vernünftige Freiheit objektiv werden muß. In den darauffolgenden Kapiteln wird anhand zweier Grundbegriffe des Hegelschen Systems - nämlich anhand des Willensbegriffs (Kap. III) und des Geistbegriffs (Kap. IV) — die anvisierte, breitangelegte Auseinandersetzung mit der Tradition der praktischen Philosophie dargestellt. Hegel verfolgt nicht nur eine Kritik, sondern auch eine Umgestaltung der traditionellen Ansätze; deswegen beanspruchen seine neuen Kategorien die Inkorporation der relativierten Standpunkte. Dies wird deutlich in der Umdeutung des Willens als

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einer Handlungsstruktur und in der Vergeschichtlichung der Handlung durch den Begriff des Geistes. Diesem Vermittlungsgedanken folgend, wird dann (Kap. V) die logische Struktur der Rechtsphilosophie analysiert. Dort wird hauptsächlich die originelle Zusammenführung von Systematizität und Kritik, die dieses Werk zum Ziel hat, erörtert. Der logische Stufengang von Bestimmungen und Gestalten des Willens dient Hegel der Verknüpfung und Subordinierung moderner Freiheitstheorien als relativer Daseinsformen des Rechts im Hinblick auf die Sittlichkeit. Die Absicht einer Vermittlung der modernen Subjektivität mit der antiken Substantialität kommt auch innerhalb der Sittlichkeit selber zum Ausdruck. Dies wird (Kap. VI) bei der Diskussion der Hegelschen Auffassung vom Verhältnis zwischen Gesellschaft und Staat gezeigt. Für das Verständnis seiner Epochenbestimmung ist es dabei von höchster Bedeutung, auf die philosophische Relevanz der begrifflichen Fixierung des Unterschiedes von bürgerlicher Gesellschaft und Staat hinzuweisen. Sie ist eine Antwort auf die zeitgenössische, aber unzeitgemäße Reduzierung des Politischen auf das Soziale (wie bei A. SMITH oder CONDORCET) bzw. des Sozialen auf das Politische (wie bei ROUSSEAU). Darin findet ferner die Zurückweisung der demokratischen Verfassung ihren letzten Grund. Dieses Kapitel endet mit der Prüfung der beanspruchten Vermittlung beider Sphären, nämlich mit der Erörterung der ständischen Vermittlung des Politischen. Zum Schluß (Kap. VII) wird die in Hegels Ansatz vorhandene Spannung zwischen den geschichtsphilosophischen Prämissen seiner Diagnose der Zeit und dem absoluten Anspruch der Geschichtsphilosophie als solcher beschrieben und diskutiert. Die gewonnene Einsicht in die innere Problematik der modernen Welt läuft nämlich Gefahr, in jener Spannung ihre philosophische Relevanz zu verlieren. M. G.

Roland W. Henke: Die didaktischen Prinzipien von Hegels Philosophieunterricht, aufgewiesen an der „Rechts-, Pflichten- und Religionslehre für die Unterklasse". Bonn, Phil. Diss. 1986.

Die „Rechts-, Pflichten- und Religionslehre", Hegels propädeutischer Kurs für die Unterklasse des Nürnberger Gymnasialinstituts, ist von der Forschung bislang eher stiefmütterlich behandelt worden. Allenfalls zur Klärung der Frage, auf welchem Entwicklungsstand sich das Hegelsche System in Nürnberg befand, wurde auf die genannte Schrift rekurriert. Die angezeigte Arbeit nun untersucht sie unter dem ihr von Hegel selbst zugewiesenen Zweck: Schüler des Gymnasialinstituts in die Philosophie einzuführen. Die Wahl dieser neuartigen Perspektive taucht einige Probleme der Nürnberger Systementwicklung in ein neues Licht und hat insofern auch heuristischen Wert. In einem ersten Teil wird Hegels Theorie der individuellen sittlichen Bildung im Kontext des Systems sowie auf der Grundlage der Gymnasialreden entfaltet. Da-

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bei kommt u. a. das Gefüge des gymnasialen Bildungsganges in seiner inneren Affinität zum Ziel der „sittlichen Bildung" zur Sprache. Zwar sind die Humaniora für Hegel der exklusive Stoff, an dem sich sittliche Bildung initiieren läßt, aber als versöhnende Rückführung des Subjekts in seine sittliche Substanz bedarf dies Ziel ergänzend der (Hegelschen) Philosophie, weil nur dadurch ein anerkennendes und somit hinreichend stabilisiertes Sich-Wissen des Einzelnen in den neuzeitlichen sittlichen Gestaltungen erreichbar ist. Die Frage nach der didaktischen Reduktion, die Hegel der konkreten Fülle des philosophischen Systems in Inhalt und Methode abringen muß, führt auf den propädeutischen Unterklassenkurs und die Untersuchung der sich in ihm niederschlagenden Lehrprinzipien. Als fundamentalstes entdeckt sich seine verständig-abstrakte Form, d. h. die zentralen begrifflichen Bestimmungen werden nicht dialektisch-spekulativ, sondern in klar voneinander abgegrenzter dichotomischer Ordnung präsentiert. Die dem eigentlichen Textcorpus zugesellten „Erläuterungen" haben dabei die abstrakte philosophische Lehrsubstanz an das einzelne Lernsubjekt, den Schüler, zu vermitteln. Seine Bildungsbewegung innerhalb der „Rechts-, Pflichten- und Religionslehre" wird im Anschluß an die Aufdeckung der didaktischen Grundsätze im einzelnen nachgezeichnet und in Beziehung zu Hegels gymnasialem Bildungsziel gesetzt. Die Arbeit endet mit dem Versuch, Hegels aufgespürte und konkretisierte Lehrprinzipien für die gegenwärtige philosophiedidaktische Diskussion fruchtbar zu machen. In ihrem Hauptteil werden auch Fragen der Datierung und der ursprünglichen Gestalt des analysierten Textes behandelt, der nur in einer von ROSENKRANZ (teilweise fehlerhaft) edierten Fassung vorliegt; die vom Verfasser hierbei erarbeiteten Vorschläge zur Textrevision sind der Studie in einem eigenen synoptischen Anhang beigegeben. R. W. H.

Lothar Wigger: „Was soll ich tun?“ Ein Arbeitsbuch zur philosophischen Ethik. Hrsg, von Bruno H. Reifenrath. Frankfurt a. M., Berlin, München: Diesterweg 1987. 216 S. (Philosophia Propaedeutica. Bd 2.) Die Reihe „Philosophia Propaedeutica" bietet eine Einführung in die Grundlagen der Philosophie und umfaßt problem- oder disziplinbezogene Themenhefte für den Philosophieunterricht in der Sekundarstufe II. Dem Konzept liegt die These zugrunde, daß zwar nicht die Philosophie, wohl aber das Philosophieren gelernt werden kann. Philosophieunterricht versteht sich demnach als Nachvollzug von bereits Gedachtem. Der Band Was soll ich tun? umfaßt eine repräsentative Auswahl von Lehrstücken aus der Geschichte der philosophischen Ethik, bei der systematische mit historischen Gesichtspunkten verbunden werden. Im Anschluß an Texte zu Themen der

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zeitgenössischen Handlungstheorie und zu Fragen nach den anthropologischen Voraussetzungen (moralischen) Handelns (1) folgen zentrale Begriffe und Phänomene der Moral, die aus dem Alltag bekannt sind, in klassischen philosophischen Formulierungen und Abhandlungen (2), sodann verschiedene Ansätze zur Krihk der Moral und Moralphilosophie (3), und schließlich werden wichtige ethische Ansätze zur Begründung der Moral in Auszügen vorgestellt (4). Drei Abschnitte des Arbeitsbuches enthalten Texte von G. W. F. Hegel. Im Abschnitt I „Aspekte des Handelns" sind die Paragraphen 115 bis 124 aus den Grundlinien der Philosophie des Rechts von 1820 wiedergegeben, in der Einleitung wird Hegels Handlungsbegriff erläutert. Themen dieses Textauszugs sind Tat und Handlung, Schuld und Zurechnung, Gesinnungs- und Erfolgsethik, Vorsatz und Absicht, Interesse und Wohl, subjektive Befriedigung und objektive Zwecke. Im Abschnitt III „Kritik der Moral" ist die lange Anmerkung des § 140 der Grundlinien mit Hegels Kritik der verschiedenen Formen der Heuchelei und der verabsolutierten Subjektivität abgedruckt. Hegels Ausführungen zur Zweideutigkeit des Gewissens werden in dem einführenden Text referiert. Der Abschnitt IV „Begründungsansätze der Ethik" enthält auch einige kurze Passagen aus dem Abschnitt „Sittlichkeit" der Rechtsphilosophie: §§ 148-151 und 153 mit den allgemeinen Bestimmungen zur ethischen Pflichtenlehre, der Pflicht, der Tugend und Rechtschaffenheit, der Sitte und Sittlichkeit; sodann die §§ 162-163 über Ehe und Liebe und die §§ 260, 261 und 268 über das Verhältnis von Staat und Individuum. In dem einleitenden Text wird Hegels Unterscheidung von Moralität und Sittlichkeit sowie seine KANT-Kritik dargestellt. Einzelne kritische Argumente Hegels sind schließlich noch in mehrere Arbeitsvorschläge zu Texten von KANT und FICHTE eingearbeitet. Lothar Wigger (Bielefeld)

Giacomo Rinaldi: Dalla dialettica della materia alla dialettica delVIdea. Critica del materialismo storico. Vol. 1. Napoli: S. E. N. 1981. 260 S.

In diesem ersten Band seines Werkes versucht der Verfasser, auf der Grundlage der Hegelschen idealistischen Dialektik eine systematische Kritik jener materialistischen „Ontologie" zu entwickeln, die er für wesentlichen Bestandteil der MARXschen und ENCELSSchen Natur- und Geschichtsauffassung hält. Bloß oberflächlich und kontingent, zum Gegenteil, erscheint ihm der auf ihre geschichtliche Gestaltung ausgeübte Einfluß des Hegelschen Idealismus. In ausdrücklicher Polemik gegen jene Auslegungen des historischen Materialismus (z. B. von G. LUKäCS, A. GRAMSCI, USW.), die Nachdruck auf die „unmittelbare Kontinuität" zwischen der idealistischen und der materialistischen Dialektik legen, nimmt er sich vielmehr vor, die grundlegende Diskrepanz der geistigen Einstellungen beider philosophi-

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sehen Perspektiven hervorzuheben (s. inbesondere: Einleitung, § 4: „ENGELS- Mißverständnis von Hegel"; Kap. l, § 4: „Prozeß und Endlichkeit bei Hegel und MARX"; Kap. III, § 2: „Der Begriff der Entfremdung bei Hegel und MARX"; Kap. IV, § 2: „Dialektik der Selbstbewußtsein und Klassenkampf, Ökonomie und Gesellschaft bei Hegel und MARX"). G. R.

Edgardo Albizu: Estructuras formales de la dialectica hegeliana [Formale Struk-

turen der Hegelschen Dialektik], Lima: Universidad Nacional Federico Villarreal 1984. 207 S. Diese Abhandlung ist die vorläufige und nur zu Seminar-Übungen bestimmte Darstellung einer Untersuchung über die formalen Hauptgestaltungen der Logik Hegels. Maßgeblich für die Auslegung ist die These, diese Formen seien Zeitgestaltungen. Diese These läuft nicht auf eine Anthropologisierung oder Historisierung der Hegelschen Dialektik und Spekulation hinaus, sondern auf die Analyse der Logik im Licht ihres durch Zeit konstituierten Bedeutungshorizontes. Da die Zeit kein autonomes Bedeutungssystem ausmacht, zeigt sich die Logik auf der einen Seite als vielschichtig: als ein Metasystem von drei semantischen Metasystemen komplementärer Kalkülrechnungen. Auf der anderen Seite aber erscheint die Logik als formale Einheit. Die Voraussetzungen beider Aspekte werden zunächst (im ersten Teil der Arbeit) in einer Bestimmung der Sinnhorizonte des Textes durch die Festlegung der Spekulation (1. Kapitel) stricto sensu, durch eine Charakteristik der verschiedenen Argumentationsschemata der Logik (2. Kapitel) und schließlich in einer topologischen Beschreibung dieser Logik (3.-5. Kapitel) geklärt. Im zweiten Teil der Abhandlung werden die so gewonnenen Momente der Hegelschen Logik zur Grundlage der Textinterpretation. Die spezifische These dieser Überlegungen ist, man könne nur in den implizierten Zeitstrukturen dieser Logik die Erklärung für die beständige Mutation bzw. Verschiebung des Gedankenganges finden. Deshalb sind die drei letzten Kapitel der - funktionell begriffenen — Zeit der Logik gewidmet. Der Verfasser schlägt - von ROGOWSKIS Formalisierungsversuch ausgehend — nicht nur eine Anordnung der möglichen Interpretationen der dialektischen Logik, sondern auch ein vorläufiges Schema ihres zeitlich ausgelegten formalen Systems vor. Die Dialektik konstituiert, so interpretiert, die Logik als einen sich selbst metadiskursiv-übergreifenden Diskurs. Diese Abhandlung wie ihre geplante Weiterentwicklung stellt der Verfasser in den Rahmen seines Vorhabens, eine Philosophie der Zeit zu entwickeln. E. A.

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LITERATURBERICHTE UND KRITIK

Alfred Schmidt: Goethes herrlich leuchtende Natur. Philosophische Studie zur deutschen Spätaufklärung. München, Wien: Hanser 1984. 208 S. (Edition Akzente.) Wissenschaftsdenken gewinnt heute an Aktualität, „weil wir allmählich irre geworden sind an den Errungenschaften eines technischen Fortschritts, der seit GALILEI und NEWTON auf einem geschichtlichen ,Entwurf' von Natur beruht hat, der nicht darauf abzielt, ihrer , Wirklichkeit' zum Ausdruck zu verhelfen, sondern darauf, sie allseitig verfügbar zu machen" (14). Am nachdrücklichsten zu einer Art Rehabilitierung der Naturwissenschaft GOETHES beigetragen haben GOTTFRIED BENN mit seinem GoETHE-Essay von 1932 und WERNER HEISENBERG in seinem 1941 gehaltenen Vortrag Die Goethesche und die Newtonsche Farbenlehre im Lichte der modernen Physik. Auch die Darstellung von A. SCHMIDT, erwachsen aus seinem Frankfurter Vortrag über GOETHES Wissenschaftsbegriff im Sommersemester 1982, läßt sich in diese Rezeptionslinie einordnen, wenn er sie auch selber nicht nennt. Sein methodisches Instrumentarium gewinnt er aus den Untersuchungen von LUKACS {Goethe und seine Zeit, 1955) und LEPENIES {Das Ende der Naturgeschichte, 1976) über die krisenhaften wissenschaftsgeschichtlichen Prozesse um 1800 (59 ff). Das Buch gliedert sich in zwei Teile. Im ersten wird GOETHES Verständnis von (Natur-)Wissenschaft, genauer; werden „einige Hauptmomente jener - keineswegs unterschiedslosen — Einheit von Kunst und Wissenschaft" (19) herausgearbeitet. Der zweite Teil gilt GOETHES philosophischer Entwicklung, besonders der Herausbildung seines „Pantheismus", der, wie SCHMIDT zeigt, „für GOETHE weniger emotional als sachlich bedeutsam ist" (79). Hier zeichnet SCHMIDT (in Auseinandersetzung mit der Herausarbeitung der spinozistisch-religionskritischen Motive im Frühwerk GOETHES durch M. BOLLACHER: Der junge Goethe und Spinoza. Tübingen 1969) vor allem detailliert die GoETHESche SpiNozA-Rezeption nach (79 ff), besonders den neben HERDER wichtigsten Vermittler SPINOZAS, SCHELLING, dessen Naturphilosophie in einem längeren Exkurs (110-133) gewürdigt wird. Der Einfluß SCHELLINGS auf das Denken und Dichten des reifen GOETHE wird abschließend dann an den Kategorien der Polarität und der Steigerung erwiesen. Mehrere kurze Seitenblicke streifen dabei - neben KANT - auch die Hegelsche Naturphilosophie (37, 51 f, 59 f, 96 f, 103, 135 u. ö.). Christoph Jamme (Bochum) GOETHES

Hans Mayer: Das unglückliche Bewußtsein. Zur deutschen Literaturgeschichte von Lessing bis Heine. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1986. 622 S. Der Band versteht sich als „Nachdenken über das unglückliche deutsche Bewußtsein im ,Großen deutschen Jahrhundert' zwischen 1750 und 1850" (620). Unter dem aus Hegels Phänomenologie entlehnten Titel werden Gestalten der deutschen

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Kurzreferate und Selbstanzeigen

Literaturgeschichte behandelt wie

LESSING, WIELAND,

SCHILLER, GOETHE, KLEIST, JEAN PAUL,

E. T. A.

J.

M.

R.

LENZ, ULRICH BRäKER,

HOFFMANN, GRABBE, BüCHNER, IMMERMANN

und die Konfrontation BORNE/HEINE. MAYER sieht in Hegels Analyse einen dialektischen Umschlag gegenüber allem Früheren. Dialektik der Aufklärung wird damals, um 1800, zum erstenmal ins Selbstbewußtsein aufgenommen. „Drei Männer vom Jahrgang 1770 haben sie, jeder in seiner Weise und Erfahrung, am deutlichsten verstanden; Hegel, HöLDERLIN und BEETHOVEN. Sie sind gleichzeitig: BEETHOVENS NAPOLEON-Symphonie und sein Fidelio; HöLDERLINS Friedensfeier, wo gleichfalls der Korse mitgemeint ist; Hegels Phänomenologie des Geistes, die er in Jena abschließt, als der siegreiche Kaiser der Franzosen in der Stadt einreitet." (11) Was MAYER an Hegel heraushebt, ist die Beobachtung, daß dem unglücklichen Bewußtsein eine „entzweigebrochene Wirklichkeit" (12) entspricht. Ausgehend von dieser Analyse, sieht MAYER die deutsche Literatur seit der Romantik als Kampf zwischen dem „Primat der Innenwelt" und der Außenwelt (37) - wobei er wohl nicht hinreichend berücksichtigt, daß das Verhältnis zwischen Aufklärung und Romantik nicht auf ein Gegensatzverhältnis reduziert werden kann (hier — wie auch sonst in seinem Buch, etwa bei seiner Deutung der Iphigenie — steht er zu sehr im Banne der Aufklärungs-Kritik von ADORNO/HORKHEIMER). Ein Exkurs (338-355) gilt „HöLDERLIN in dürftiger Zeit". Hier geht MAYER auch auf die große „Übereinstimmung der Herzen und Gedanken zwischen Hegel und HöLDERLIN" (345) ein. DIETER HENRICHS These von der Beeinflussung Hegels durch HöLDERLIN sucht MAYER hier anhand eines Vergleiches zwischen der Elegie Brod und Wein und dem an HöLDERLIN gerichteten Gedicht Eleusis zu untermauern (wobei der HöLDERLiN-Philologie zu Unrecht angekreidet wird, diese Parallelität nicht beachtet zu haben). MAYER schließt seinen Exkurs mit einem Blick auf PAUL CELANS Gedicht Tübingen, Jänner. C.J.

Stephan Wackwitz: Friedrich Hölderlin. Stuttgart: Metzler 1985. 157 S. (Sammlung Metzler. Realien zur Literatur. 215.) Der METZLER-Verlag hat die kleine HöWer/in-Biographie in seiner Reihe „Realien zur Literatur", die LAWRENCE RYAN verfaßt hatte, jetzt durch eine vollständig neue, von dem jungen HOLDERLiN-Forscher WACKWITZ geschriebene Darstellung ersetzt (wobei allerdings das Vorgängerbuch von RYAN merkwürdigerweise mit keinem Wort Erwähnung findet). Die Studie behandelt, neben Überblicken über die Editions- und Rezeptionsgeschichte, vor allem die Biographie (hier wird in einem eigenen Exkurs auch die in jüngster Zeit stark diskutierte Frage der Pathographie angeschnitten) und das Werk. Leider fehlt bei der Darstellung der Stiftsjahre ein Hinweis auf die (von DIETER HENRICH herausgearbeitete) Bedeutung der Repetenten; ein wenig zu kurz gekommen (mit ganzen 13 Zeilen) ist auch die Jenaer Studienzeit. Für den

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LITERATURBERICHTE UND KRITIK

Hegel-Forscher von besonderem Interesse ist im Werk-Teil der Abschnitt über „Philosophische und ästhetische Schriften" (69—88). WACKWITZ zeigt sehr detailliert und kenntnisreich, v^iie die Homburger Aufsätze HöLDERLINS am Schnittpunkt zweier Traditionslinien stehen: der Vereinigungsphilosophie einerseits, des beginnenden deutschen Idealismus anderseits. Etwas zu oberflächlich wird das Fragment Urteil und Seyn behandelt, vor allem wird das (wohl von BACHMEIER unkritisch übernommene) Urteil, der Text sei „aporetisch" (75), nicht begründet. Beim Systemprogramm wird noch immer die falsche Datierung „Sommer 1796" genannt (obwohl WACKWITZ den Band, in dem sich die erste exakte buchstabenstatistische Datierung findet — Mythologie der Vernunft —, im Literaturverzeichnis nennt). WACKWITZ übergeht in seiner Bibliographie einige zentrale Untersuchungen zu den Homburger Aufsätzen, etwa die Dissertation von ANDREAS THOMASBERGER. Sehr richtig zeigt er dann (110 ff), wie HöLDERLIN seine Tragödientheorie in den Anmerkungen zu den SoPHOKLES-Übersetzungen weiterentwickelt, die das Christliche und das Antike zu verbinden suchen. Vielleicht hätte man hier noch stärker auf die Einbindung vieler Theoreme in die Traditionen aufklärerischer Poetik hinweisen sollen. — Insgesamt ist das Buch als wohlgelungene Einführung jedem Studenten zu empfehlen. Der Wissenschaftler hätte sich dagegen in einigen Punkten etwas größere Klarheit gewünscht. C.J.

Friedrich Hölderlin: Sämtliche V/erke. Frankfurter Ausgabe. Historisch-kriti-

sche Ausgabe herausgebeben von Dietrich Eberhard Sattler. Supplement 3: Homburger Folioheft. Hrsg, von D. E. Sattler und Emery E. George. Frankfurt a. M.: Verlag Roter Stern 1986. Fasimile; 127 S. Nach langem auch in der breiten Öffentlichkeit beachteten Streit ist das Streitobjekt nunmehr erschienen, und jedermann kann sich selbst einen Eindruck von der Notwendigkeit und von dem Rang dieser Edition machen: das legendäre 92seitige Heft aus dem Besitz der Stadtbibliothek Bad Homburg, das HöLDERLIN Ende Oktober oder Anfang November 1802 in Nürtingen begonnen und in das er seine poetischen Entwürfe und Segmente, Glossen und Notate bis in die erste Zeit im Tübinger Turm eingetragen hat. Die Notwendigkeit einer Faksimileedition ergibt sich daraus, daß nur sie es dem Leser gestattet, ,von editorischen Annahmen ... unabhängig" zu sein (20). Die Textkonstitution der hier notierten Gesänge, u. a. Entwurfsstufen zu Die Titanen, Patmos, Heimath, Einst hab ich die Muse gefragt, Germanien, Tinian, Mnemosyne und Das Nächste Beste, gehört ja zum Schwierigsten in der HöLDERLiN-Philologie; außerdem liegen gerade in diesem Bereich der Homburger Spätdichtung HöLDERLINS die augenfälligsten Schwächen von BEISSNERS Stuttgarter Ausgabe. Etwa ein auch für die Erforschung der politischen Optionen des jungen Hegel wichtiges Bruchstück wie Dem Fürsten, das zur Zeit ins Zentrum

Kurzreferate und Selbstanzeigen

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gerückt ist und kontrovers diskutiert wird (vgl. die Beiträge von R. ZBIKOWSKI und D. UFFHAUSEN, in: Jenseits des Idealismus. Hölderlins letzte Homburger Jahre. Hrsg, von C. J. und Otto Pöggeler. Bonn 1987), wird jetzt erst in der eigentlichen Gestalt seiner verschiedenen Fassungen sichtbar. Sogar ganz neue Gedichte und -ansätze gibt es zu bewundern. Die vorliegende Edition gliedert sich in das aufwendig hergestellte Faksimile des Konvoluts, das dem Original bis zur differenzierten Wiedergabe der Tintenfarben nahekommt, und in einen Band, der die typographisch differenzierte Umschrift enthält. Hier gelangen den Herausgebern und Mitarbeitern der Frankfurter Ausgabe (genannt sei vor allem MICHAEL FRANZ) eine Reihe sinnstiftender Neuentzifferungen. Ein Vorwort informiert über die Entstehung (hier u. a. über die Frage der verschiedenen Faltungen) und Überlieferung des Konvoluts. Eine abschließende Bewertung der Edition wird erst dann erfolgen können, wenn sowohl die von DIETRICH UFFHAUSEN angekündigte Konkurrenz-Edition des Homburger Foliohefts und die Bände 7/8 („Gesänge") der Frankfurter Ausgabe erschienen sein werden. C.J.

BIBLIOGRAPHIE

ABHANDLUNGEN ZUR HEGEL-FORSCHUNG 1984 Zusammenstellung und Redaktion: Barbara Stemmrich-Köhler (Bochum) In dieser laufend fortgesetzten Berichterstattung wird versucht, das nicht selbständig erschienene Schrifttum über Hegel, also Abhandlungen aus Zeitschriften, Sammelbänden usw. möglichst breit zu erfassen und im einzelnen durch kurze Inhaltsreferate bekanntzumachen. Die Anordnung geschieht alphabetisch nach den Namen der Autoren. Nachträge aus früheren Berichtszeiträumen sind in einem Anhang gesondert zusammengestellt. Nicht alle vorgesehenen Inhaltsreferate konnten bis zum Redaktionsschluß fertiggestellt werden. Sie werden im nächsten Band nachgeholt. Für diesen Band haben Berichte verfaßt; Edgardo Albizu (Lima, Peru), Georgia Apostolopoulou (Athen), GabrieUa Baptist (Roma), Claudia Becker (Bochum), Gentscho Dontschev (Sofija), Felix Duque (Valencia), Istvän Feher (Budapest), Pierre Gamiron (Paris), Sok-Zin Lim (Seoul), Eric von der Luft (New York), Mariano de la Maza (Santiago der Chile), Swiatoslaw Florian Nowicki (Warszawa), Lu de Vos (Leuven), Friedhelm Nicolin (Bonn), sowie Wolfgang Bonsiepen, Hans-Jürgen GawoU, Annemarie Gethmann-Siefert, Friedrich Hogemann, Walter Jaeschke, Christoph Jamme, Hans-Christian Lucas, Kurt R. Meist, Helmut Schneider und Elisabeth Weisser vom Hegel-Archiv (Bochum). Die über Hegel arbeitenden Autoren sind freundlich eingeladen, durch Einsendung von Sonderdrucken die Berichterstattung zu erleichtern. Allen, die solche Hilfe bisher schon leisteten, sei besonders gedankt.

La idea hegeliana de materia y el tränsito de Io ideal a lo real [Hegels Begriff der Materie und der Übergang des Ideellen ins Reale]. - In: Dialoges. Puerto Rico. 45 (1985), 51-69. ALBIZU, EDGARDO:

Verf. analysiert am Beispiel der §§ 260 und 261 der Enzyklopädie und der Begriffe Materie und Kraft aus der Phänomenologie des Geistes und der Naturphilosophie den Übergang von dem Logischen ins Natürliche in H. s Denken. Das Logische und die Natur sind operative Systeme: im Logischen ist die Idee die Zusammenfassung der ganzen dialektischen Operativität; in der Natur wird diese Ganzheit von außen erwirkt. Daher liegt eine rein logische Übersetzung der Dichotomie natura naturans/natura naturata nahe. Die logische Bedingung einer solchen Komplementarität ist in der Begrifflichkeit der Zeit zu suchen.

Das Problem des Anfangs bei Hegel. - In: Philosophisches Jahrbuch. Freiburg, München. 92 (1985), 225-238. ALEKSANDROWICS, DARIUSZ:

Verf. untersucht H. s Logik hinsichtlich der impliziten Annahmen über die Natur des Absoluten. Er geht aus von H. s — im Verhältnis zu Kants transzendentaler Erkenntnislehre

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BIBUOGRAPHIE

— „umgekehrten Kritizismus". Dieser schließt eine Kritik der klassischen Logik insofern ein, als in ihr das Wissen vom Absoluten nicht ausgedrückt werden kann. H. geht deshalb vom Ur-teil als ursprünglicher Teilung dessen aus, was im Begriff eine Einheit bildet, damit aber vom spekulativen Begriff als wahrhafter Form. Es handelt sich um einen bedingungslosen und keine Bedingungen fordernden „leeren" (informationslosen) Anfang des Wissens. Der semantische Gehalt des Begriffs liegt für H. auf der Ebene der Charakteristik der seienden Subjektivität als „Träger" des Begriffs. Der „Inhalt", der die Charakteristik des Seins der erkennenden Subjektivität und damit die Ausgangsgrundlage der Erkenntnis darstellt, ist zugleich die Überwindung der Leere des Begriffs als Ausgangspunkt des Wissens.

Hegel's Critique of Kant's Theoretical Philosophy. - In: Philosophy and Phenomenological Research. Buffalo, N. Y. 46 (1985), 1-36.

AMERIKS, KARL:

Darstellung und Analyse der Kritik H.s an Kants theoretischer Philosophie. Seine Kritik entwickelt drei spezifische Einwände gegen Kants transzendentale Ableitung (die Repräsentation des „Ich", die Notwendigkeit der Kategorien, die epistemologische Prämisse) und drei Einwände gegen seinen Idealismus (das „Ding an sich", die Antinomien und weitere Aspekte der transzendentalen Dialektik).

Hegel und die „Gesetzlose Gesellschaft". Ein neu aufgefundenes Dokument. - In: Hegel-Studien. Bonn. 20 (1985), 113-116.

ARNDT, ANDREAS; WOLFGANG VIRMOND:

Feature Book review: The discovery of Hegel's early lectures on the Philosophy of Right. — In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 16 (1984/1985), 199-208. AVINERI, SHLOMO:

Anläßlich der Edition der Wannenmann-Nachschrift (Hegel-Archiv und llting) und des Kollegs 1819/20 durch D. Henrich fragt Verf. nach der „textual evolution of the Rechtsphilosophie", - ein Problem, von dessen Lösung die Deutung von H. s politischer Philosophie und ihr Stellenwert abhängt. Das Neue der beiden Vorlesungen von 1817/18 und 1819/20 diskutiert Verf. anhand von drei Fragekomplexen; der Beziehung zwischen dem Vernünftigen und dem Wirklichen, der Armut in der bürgerlichen Gesellschaft und der fürstlichen Gewalt. Die Arbeit schließt mit einer zeilengetreuen Übersetzung des Abschnitts über bürgerliche Gesellschaft und Armut aus Henrichs Edition.

Der Begriff der Liebe in der Philosophie. Ein Vergleich zwischen Hegel und Schopenhauer. — In: Schopenhauer-Jahrbuch. Frankfurt a. M. 66 (1985), 192-198. BENDER, CHRISTIANE:

Der junge H. und Schopenhauer gelangen zu einem Begriff der Liebe, der die Dichotomien Kants überwindet. H. betont die Einheit aller Gegensätze in der Liebe, weil die Individualität der Liebenden in der Vereinigung erhalten bleibt. Schopenhauer unterscheidet zwischen der vom „Willen" beherrschten erotischen Liebe, die der Fortpflanzung dient, und der Mitleidsliebe, die sich von der Herrschaft des Willens zu lösen versucht. Nur letztere läßt sich mit H. s Vorstellung von Liebe vergleichen. Aber sie ist von ihr durch ein Moment der Apersonalität geschieden: dadurch, daß bei Schopenhauer das Individuum gegenüber dem allgemeinen Weltwillen keine eigenständige Bedeutung erlangt.

Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1984

263

F. M.; Die Bedeutung der Philosophie Heraklits. [Neugriechisch]. — In: Hellenike Philosophike Epetheörese Athena. 2 (1985), 243-251. BERENSON,

Verf. stellt Heraklits Einfluß auf H. s Philosophie in den folgenden Aspekten dar: die Vernunft als Ziel der menschlichen Erkenntnis, die sinnliche Wahrnehmung als Ursache des Falschen, die Seele als Welt-Seele, die Übereinstimmung der Welt in allen Teilen als das Allgemeine.

Sulla teoria hegeliana dello spirito assoluto [Über Hegels Theorie des absoluten Geistes]. — In: Verifiche. Trento. 14 (1985), 257-294. BIGNAMI, LIVIA:

Verf. analysiert anhand des Sammelbandes Hegels Logik der Philosophie (Hegel-Tage Anacapri-Neapel 1983) das erneute Interesse für den systematischen Hegel. Die einzelnen Aufsätze werden kurz referiert und die noch offenen Probleme diskutiert.

Von Hegels Dialektik zu der Dialektik von Marx. [Neugriechisch.] — In: Politistike. N. 22. Athena 1985. 49—58.

BITSAKES,

EUTYCHES:

Nach Meinung des Verf. hat H. s dialektische Logik das ontologisch-geschichtliche Verhältnis von Materie und Geist umgedreht, das Abstrakte zum Objekt der Philosophie gemacht und eine philosophische Form der Theologie entwickelt. Obwohl sie die Wahrheit einiger Aspekte der Wirklichkeit entdeckt hat, bleibt sie ohne ihre materialistische Umkehrung in den Grenzen ihres Idealismus befangen.

Why Hegel at all? — In: Southwestern Journal of Philosophy. Norman, Okl. 13 (1985), 113—122. BOTE, THOMAS; JOHN MARK STEVENS:

The authors decry, first, the general failure of Contemporary American and English philosophers to defend their current study of H., second, the tendency of such philosophers to abstract from H.'s whole System only bits and pieces here and there, and third, these philosophers' typical view of H.'s absolute as non-logical. Instead, the authors chart a different course. Their interest in H. ist systematic and non-compartmentalized, and their approach „construes the principle of that System strictly logically" (113). Their analysis of the Logic concludes with the assertion that H.'s unique categorial and dialectical method of overcoming contradictions affords him an unusually strong position from which to criticize other philosophies.

Hegels Raum-Zeit-Lehre. Dargestellt anhand zweier Vorlesungsnachschriften. — In: Hegel-Studien. Bonn. 20 (1985), 9— 78. BONSIEPEN, WOLFGANG:

Whitehead and German idealism: A poetic heritage. — ln: Process Studies. Claremont, Cal. 14 (1985), N. 4, 265-286.

BRAECKMAN, ANTOON:

Verf. untersucht den Einfluß des deutschen Idealismus auf Whitehead. Dieser gab H. s Einfluß auf sein Denken zu, erklärte aber, daß er nur indirekt durch Bradleys, Haldanes oder McTaggarts Vermittlung zustande gekommen sei. Entgegen dieser Ansicht stimmt der Verf. der These Victor Lowes zu, wonach Whiteheads Bekanntschaft mit dem Deutschen Idealis-

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BIBLIOGRAFHIE

mus nicht in erster Linie durch seine indirekte Kommunikation mit H.schem Gedankengut bestimmt war, sondern durch seinen Austausch mit dem Denken Schellings, wie es durch die romantische englische Poesie vermittelt wurde durch Coleridge, Shelley und besonders Wordsworth. Der Einfluß Schellings auf Whitehead ist daher letztlich bedeutender als der H. s.

Philosophie und Religion im einigen Ganzen des Lebens. Zu Hegels „Systemfragment von 1800". — In: All-Einheit. Wege eines Gedankens in Ost und West. Hrsg, von Dieter Henrich. Stuttgart 1985. (Veröffentlichungen der Internationalen Hegel-Vereinigung. 14.) 200-219. BüCHNER, HARTMUT;

Nach Auffassung des Verf. möchte H. im ersten Fragmentteil des „Systemfragments" zeigen, wie sich Reflexion und Leben zueinander verhalten, ln der Reflexion kann das Leben immer nur befangen in Beschränkungen gegenwärtig sein. Aufgabe der Philosophie ist das Aufzeigen und Destruieren der Reflexionsbeschränkungen als solcher. Insofern ist sie negative oder skeptische Philosophie im Dienste der Religion: ancilla religionis — nicht theologiae. Philosophie und Relgion stehen nicht diesseits und jenseits einer Schranke, sondern gehören in den „Zusammenhang eines Weges", auf dem die Philosophie als Reflexion ihrer eigenen Negativität inne wird.

Contraries and contradictories: Reasoning in Schelling's late philosophy. — In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 16 (1984/1985), 55-68. BURBIDGE, JOHN:

A study of the challenge to H. in the „positive" philosophy of H.'s onetime liberal friend, now conservative, who was summoned in 1841 by the new Prussian regime to lead the fight against Hegelianism. Schelling in this period believed that reason was not capable of either describing or directing nature, that reason alone, by virtue of its self-enclosure, could produce only a „negative" philosophy, and that something beyond reason - namely, the will, whose decisions determine what exists - was needed for an overarching, „positive" philosophy of all existence. Yet Schelling did not abandon either reason or rational philosophy entirely, since he recognized that if that were done, any answer to any question would be arbitrary. Instead he declared that the unity of reason and the will constitutes the „ecstasy of reason".

The place of process cosmology in absolute idealism. — In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 16 (1984/1985), 161-174. BUTLER, CLARK:

Verf. zeigt Übereinstimmungen und Differenzen zwischen H. s und Whiteheads Philosophie auf. H. s theologische, kosmologische Ontologie unterscheidet sich von derjenigen Whiteheads dadurch, daß dieser Gott nicht mit dem kosmischen Bedingungszusammenhang identifiziert. H. s und Whiteheads Kategorien korrespondieren nicht, bilden aber komplementäre Schemata. H. s metaphysische Hermeneutik kommt Whiteheads kosmologischer Ontologie in der Darstellung der Modalkategorien seiner Wissenschaft der Logik am nächsten.

Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1984

265

Rationality, democracy, and freedom in Marxist critiques of Hegel's „Philosophy of Right". — In: Inquiry. Oslo. 28 (1985), N. 1, 55-74. CAMPBELL, DAVID:

With paramount emphasis on chronology, Campbell examines H.'s, Marx's, Engels', and the Bolsheviks' respective treatments of questions pertaining to the rational state in its relationship to mass democracy. The main thread of argument begins with Marx's 1859 views on H.'s idea of political rationality as the embodiment of freedom and culminates with Engels' 1886 reinterpretation of Marx on this issue. Campbell Claims that it was Engels, not Marx, who in this regard prepared the way for Bolshevism. Although Campbell does not deny the powerful influence of Marx on the Bolsheviks, he concludes that Marx saw socialism as a resource or tool toward the establishment of mass democracy, while Bolshevism, on the other hand, sees socialism as „necessarily not .. . a resource but a goal", and tolerates mass democracy only to the extent that such a policy serves the establishment of socialism.

Una lectura Hegeliana del „Dios deseado y deseante" de Juan Ramön Jimenez [Eine hegelianische Lektüre von „Der ersehnte und sehnende Gott" von J. R. Jimenez]. - In: ER — Revista de Filosofia. Sevilla. 1 (1985), 43-50. CANSINO MACIAS, ELIACER:

Obwohl Philosophie und Poesie seit der Antike getrennt werden, sieht Verf. eine Möglichkeit, diese Exzision am Beispiel der H. sehen Philosophie und der Poesie von Juan Ramön Jimenez zu überwinden. Verf. gibt Hinweise auf eine mögliche philosophische, hier hegelianische Lektüre der Gedichte und zeigt Analogien der Kunstkonzeption und des Gottesbegriffes bei beiden Autoren auf.

L'idea del „Rechtsstaat" nella „Positivitätsschrift" di Hegel [Die Idee des Rechtsstaates in Hegels Positivitätsschrift]. — In: Annali della Facoltä di Fettere e Filosofia dell'Universitä di Napoli. Napoli. N. S. 15 (1984-1985), 11-28. CANTILLO, GIUSEPPE:

Die Sehnsucht nach der Antike, die als Gegenvorstellung der Aufklärungsphilosophie Kants die Schriften des jungen H. charakterisiert, kommt auch in seinen frühen politischen Theorien zum Ausdruck. Der Verf. analysiert die Auseinandersetzung mit Kant und der Antike vor allem in der Positivitätsschrift, die den Rechtsstaat als „societas civilis" auf dem Gesellschaftsvertrag begründet und die Legalität von der Moralität unterscheidet. Voraussetzung dafür ist eine Trennung zwischen Staat und Privatleben, Staat und Kirche, die hauptsächlich auf die naturrechtliche und kontraktualistische Tradition zurückzuführen ist. In dem von Rosenkranz übermittelten Kommentar H. s zu Kants Metaphysik der Sitten ist der Staat dagegen Ausdruck der lebendigen Totalität und der sittlichen Gemeinschaft des Volkes, wobei der Bezug auf die Grundprinzipien der klassischen politischen Philosophie stärker wird, und auch der Einfluß Hölderlins zu erkennen ist.

P.: The dialectic of becoming in Hegel's logic. — In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 16 (1984/1985), 147-160. CA VE, GEORGE

Verf. kommentiert das Kapitel; „Anfang und Methode der Logik" aus Hegel im Kontext von D. Henrich. Er stimmt im allgemeinen mit Henrichs Interpretation der Natur des Anfangs

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BIBLICX^RAPHIE

von H. s Logik als der Grundlage der Logik selbst und des reinen Seins überein. Der Übergang von Sein/Nichts zum Werden und vom Werden zum vorherbestimmten Sein ist ganz von der Beziehung zwischen Gleichheit und Differenz abhängig, eine Relation, die H. in ihrer ganzen Bedeutung zu entfalten versäumt hat.

Apres la catastrophe. La pensee d'Emil Fackenheim. - In: Revue de Metaphysique et de Morale. Paris. 90 (1985), 342-361.

CHALIER, CATHERINE:

Fackenheim hat sich die Aufgabe vorgenommen, nach der Katastrophe von Auschwitz und nach der nihilistischen Desolation westlicher Rationalität weiter den Imperativ des Denkens auf sich zu nehmen. Sein Denken wird von Verf. u. a. unter dem Gesichtspunkt des Verhältnisses zu H. charakterisiert. Fackenheims Ablehnung jedes Systems (auch des in Der Stern der Erlösung von Rosenzweig unternommenen) und seine Abweisung jeder Totalisierung, Dialektik und rationellen Theodizee in der Geschichte prägen seine Auseinandersetzung mit H. Er kritisiert die H. sehe Deutung des Judentums, insbesondere H. s These von seiner Aufhebung in der Geschichte: H. habe die Tradition des Talmud vernachlässigt und deswegen die ständige Aktualität des jüdischen Lebens nicht verstanden.

Unsichtbarer Hegelianismus und Staatstheorien. [Neugriechisch.] - In: Thesis. N. 10. Athena 1985. 105-114.

CHARALAMPES, DEMETRES:

Nach Verf. sind die liberale, die sozialdemokratische und die marxistisch-leninistische Staatstheorie h. ianisch. H. s Staatstheorie sieht den Staat als Inkarnation des Geistes, als das transzendente Subjekt, das die kontinuierliche Reproduktion der bürgerlichen Gesellschaft in der Geschichte aufbewahrt. Die folgenden Theorien betrachten den Staat zwar nicht mehr als Inkarnation des Geistes, jedoch in jeweils verschiedener Weise als das Transzendente der Gesellschaft und als das Subjekt der Geschichte. Dieser H. ianismus kann nach Meinung des Verf. nur durch Rekurs auf Marxens „antistaatliche" Staatstheorie überwunden werden.

Le concept spinozien d'infini aux origines de la dialectique hegelienne. — In: Spinoza entre lumiere et romantisme. Paris 1985. (Les Cahiers de Fontenay. N.s. 36-38.) 115-121. CHIEREGHIN, FRANCO:

La substance absolue, moment necessaire (mais non unique) de la subjectivitä absolue: ce n'est pas lä la seule dette de H. envers Spinoza. Deux autres concepts spinozistes etroitement li6s, decisifs dans la genäse du systäme dialectique, constituent des sortes de „mätacategories" qui en penetrant et en soutiennent la totalitä: 1) „toute determination est nägation". Ce principe spinozien est pour H. la condition süffisante pour decouvrir la näcessitä de la limite entre deux termes quelconques (cf. Logique de 1804-1805: le „rapport simple"), et aussi dans le mouvement en tant que passer d'une dätermination ä une autre (cf. Science de la Logique. I, T. 2). H. parvient ä ce concept de contradiction lorsqu'il prend contact, ä Francfort, avec la mathämathique infinitesimale (Tinfiniment petit nul et non nul en tant qu'6vanouissant). 2) Ainsi apparait la seconde „metacategorie", le concept d'infini, qui ne prend une teile portee späculative que par la mediation de Spinoza, que H. loue d'avoir manifeste le vrai infini (Tinfini actu en tant que „differer", „etre en rapport" du fini, qui est ainsi pour soi contradiction interne) däs la Sphäre de Timagination, dans Texemple fameux de Tespace compris entre deux cercles non concentriques. Avec ces deux concepts, c'est „Tesprit du spinozisme dont Tefficace .. . imprägne la totalitä du systäme hägälien".

Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1984

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Hegel in Suspense. Derrida/Hegel and the question of prefaces. - In: Philosophy Today. Celina. 29 (1985), 122-134. CLARK, TIMOTHY:

Verf. überprüft Derridas „Dekonstruktion" Hegels, soweit sie an seinem Beispiel darlegt, wie die Struktur von Vorworten philosophischer Texte den Inhalt und die dialektische Methode des Textes verzerren kann. Der Begriff „Aufhebung" muß so redefiniert werden, daß Derridas eigener Text als Verstrickung in einer besonderen Methode der Dialektik verstanden werden kann.

CoMOTH, KATHARINA: Ein Dokument über Hegels Aufenthalt in Heidelberg.

— In: Hegel-Studien. Bonn. 20 (1985), 117-120.

Was Wittgenstein influenced by Hegel? — In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 16 (1984/1985), 102-107. COOK, DANIEL J.:

Verf. argues that Wittgenstein was not influenced by H., even indirectly. He denies three common assumptions which support the possibility of such influence, i. e., that Wittgenstein knew H. ians in England, that the pervasive H. ian atmosphere at turn-of-the-century British universities must have left its mark on him, and that Wittgenstein read books which contained H. ian ideas.

CsiKös, ELLA: A szämüzött tevedes. Kritikai jegyzetek Hegel logikäjäröl [Der verbannte Irrtum. Kritische Bemerkungen zu Hegels Logik]. — In: Magyar Filozöfiai Szemle. Budapest. 29 (1985), 719-728. Verf. ist der Ansicht, das wirklich Falsche und Zufällige habe in H. s Logik wegen ihres Monologismus und ihrer Gebundenheit an das Bildungsideal der Aufklärung keinen Platz. Kategorien wie Problem, Erscheinungen wie Sackgasse oder Umkehr in der Entwicklung werden aus seiner Logik verwiesen. Eine marxistische Logik dagegen habe ihren Gegenstand zu erweitern und - über die klassische Frage Wahrheit-Falschheit hinausgehend - die komplexe Erscheinung des Irrtums in ihren Horizont einzubeziehen.

S.: The appearence and appropriation of religious consdousness in HegeTs Phenomenology. - In: The Modern Schoolman. St. Louis, Mo. 62 (1985), 165-185. DE NYS, MARTIN

Art, philosophy and concreteness in Hegel. — In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 16 (1984/1985), 131-146. DESMOND, WILLIAM:

Verf. fragt nach der Beziehung zwischen Kunst und Philosophie, wobei er auch H. s praktische Erfahrungen mit Kunstwerken berücksichtigt. Im Mittelpunkt steht die Frage nach der Konkretheit, die von H. als Beziehung zwischen Denken und Sein diskutiert worden ist. Das Kunstwerk soll die Natur der Konkretheit erhellen. Detailliert werden Ähnlichkeiten zwischen dem Kunstwerk und dem (philosophischen) Begriff anhand der Termini „origin, emergence, and telos" nachgewiesen.

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BIBLIOGRAPHIE

Hegel, dialectic, and deconstruction. - In: Philosophy and Rhetoric. University Parks, Pa. 18 (1985), N. 4, 244-263. DESMOND, WILLIAM:

Verf. zeigt H. s Auffassung von Dialektik als eine produktive vor dem Hintergrund der moderneren Theorie der Dekonstruktion. Letztere wird zuerst hinsichtlich ihrer Quelle in Nietzsches und Heideggers Denken untersucht, dann im Verhältnis zu den Konzepten der Univozität und Äquivozität betrachtet und schließlich mit der dialektischen Theorie im Licht ihrer einfachen Gestalt verglichen. Insbesondere hinsichtlich der Kunst liefert die dialektische Theorie im Gegensatz zur Dekonstruktion eine ganzheitliche Perspektive.

Hermeneutics and Hegel's aesthetics. - In: Irish Philosophical Journal. Dublin. 2 (1985), 94—104. DESMOND, WILLIAM:

Desmond establishes and examines several instances of affinity or convergence between H.'s philosophy of art and modern hermeneutic theory, especially that of Gadamer (whom Desmond apparently sees as the most scholarly and the most fair to H. among the prominent exponents of hermeneutics). Dealing primarily with three aspects of our reception of the art work, i. e., its historicity, the finite nature of our understanding it, and the importance of our experiencing it, Desmond relates each of these aspects to H.'s thought, and thus denies that H.'s philosophy is a panlogism, even though finally „art does not possess for H. the same ultimateness as philsophy". The connection of H. with hermeneutics is made by means of an analysis of the human experience of art, emphasizing the essentially religious/ philosophical character of this experience.

God, mens werdend. Hegels visie op het christendom [Menschwerdung Gottes. Hegels Deutung des Christentums]. - In: Streven. Antwerpen. 53 (1985), 3—13. DEVOS,

ROB:

Im Christentum erfährt der Mensch, daß das Absolute offenbar geworden ist, und er erinnert sich dieser Erfahrung. Zugleich aber muß diese Erfahrung ins absolute Wissen aufgehoben werden; So erhält die religiöse Vorstellung durch die Aktivität des Selbstbewußtseins eine gesellschaftliche und geschichtliche Relevanz.

V.: What is dialectical about Hegel's concept of spirit? — In: Prudentia. Auckland, New Zealand. 1985, Supp. N., 187—198. DONIELA, WILLIAM

Doniella believes that a genetic exposition of H.'s idea of spirit — i. e., in terms of love, change, progress, continuity, Aristotelian potentiality/actuality, the empirical basis of spirit, etc. — will render spirit and its dialectical development more intelligible. For Doniela, love is H.'s empirical basis of spirit. Thus the dynamic of love becomes understood as the dialectic of spirit.

J. J.: Who is fooled by the „cunning of reason"? - In: History and Theory. Middletown, Gönn. 24 (1985), 147—169. DRYDYK,

Obwohl H. s Gedanke der „List der Vernunft" als zusammenhängend und haltbar gezeigt werden kann, bleibt H. s Sicht der Geschichte dogmatisch und wird nicht auf die aktuellen geschichtlichen Ereignisse bezogen. Dies stellt Verf. aufgrund der Phänomenologie des Geistes fest. Der Gedanke, daß die Menschen zu einer ständig wachsenden Partizipation an der Freiheit fortschreiten, wird ohne Bezug auf eine historische Rechtfertigung expliziert.

Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1984

269

Forma e natura nei presupposti della logica come scienza in Hegel [Form und Natur in den Voraussetzungen der Logik als Wissenschaft bei Hegel]. — In: II Pensiero. Roma. N. S. 26 (1985), 137—163. FERRINI, CINZIA;

Verf. untersucht im H. sehen System das vielschichtige Verhältnis zwischen .Logik' als Wissenschaft und ,dem Logischen' als unbewußtem, naturhaftem, instinktmäßigem Trieb und zugleich als allgemeinem, übernatürlichem, reinem Begriff. Durch eine synchrone Lektüre der H. sehen Texte (hauptsächlich: Phänomenologie des Geistes, Nürnberger Schriften, Wissenschaft der Logik und Enzyklopädie) versucht Verf., das logische Denken vor allem in seinem methodologischen Aspekt zu umreißen, ln der Wissenschaft der Logik stellt sich ,das Logische' als inneres Gerüst vor der Differenzierung in Natur und Geist dar, diese absolute Form ,des Logischen' ist der einzige Inhalt der .Logik'.

La critica di Rosmini a Hegel nella „Teosofia" [Rosminis Hegel-Kritik in der „Theosophie"]. - In: Rivista Rosminiana di Filosofia e di Cultura. Stresa. 79 (1985), N. 1, 51-76. FERRONI, LORENZO:

Als Teil einer zukünftigen Untersuchung analysiert Verf. die Rosminische Kritik gegenüber dem Idealismus und faßt sie in dem Vorwurf eines dialektischen Paralogismus zusammen. Verf. stellt Rosminis Stellungnahme zu Kant dar und analysiert Rosminis H. Kritik in seiner Theosophie: H. hat dem Kantischen psychologischen Widerspruch einen ontologischen substituiert. Rosmini betrachtet den Widerspruch auch wie H. als den Ursprung der dialektischen Bewegung, nur wird für ihn die Genese des Widerspruchs nicht in der Idee, sondern in der Begrenzung des erkennenden Subjekts erkannt. Die Einheit des Denkens ist (auch wenn dieses das Entgegengesetzte und Konträre beinhaltet) eine psychologische. Deswegen ist der Widerspruch nicht in der Sphäre der Idealität oder des Seins, sondern in derjenigen der Realität, und zwar in der subjektiven Einheit des Erkenntnisaktes, angesiedelt. Die Schwierigkeiten der Rosminischen Ontologie liegen für Verf. in der Frage, wie sein anfängliches Sein, in welchem Denken und Objekt in eins fallen, die Probleme der Antinomizität des Denkens zu lösen vermag. Er vermutet, daß es trotz aller Kriterien der H. sehen absoluten Idee entspricht.

Arbeit und Reflexion. [Koreanisch.] — In: Hegel-Studien. Seoul. 2 (1985), 280- 292. FURTH, PETER:

Koreanische Übersetzung aus: Hegel-Jahrbuch 1976. Köln 1978. Vgl. dazu: Hegel-Studien. Bonn. 15 (1980), 389.

Ende der Kunst? Von Hegels Lehre vom Vergangenheitscharakter der Kunst bis zur Antikunst von heute. — In: Ende der Kunst - Zukunft der Kunst. Hrsg, von der bayerischen Akademie der schönen Künste. München 1985. 16—33. GADAMER, HANS-GEORG:

Anknüpfend an H.s Behauptung vom Vergangenheitscharakter der Kunst sucht Verf. die Fragwürdigkeit der Kunst in der Moderne zu bedenken. Garantierte einst der Mythos — die alle verbindende Wahrheit - die „ästhetische Nichtunterscheidung", so beendete die Auflösung der christlich-humanistischen Tradition dieses Gemeinsame. Die H. sehe Definition des Schönen der Kunst als Einheit von Idee und Erscheinung gilt auch für die Kunst der Moderne, die nicht aufgibt, nach jenem Gemeinsamen und Selbstverständlichen zu suchen, das die „ästhetische Nichtunterscheidung" ermöglicht. Die falsche Alternative von Produktions-

270

BIBLIOGRAPHIE

und Rezeptions-Ästhetik zurückweisend, vergleicht Verf. das Werk mit dem „echten Dialog", der Unvorhersehbares eintreten läßt und „dem Fortgang des Gesprächs seine Richtung weist". Alle Kunst kommt erst in der „Wiedererkennung" zur Erfüllung. Drei Weisen solcher Wiedererkennung werden unterschieden: der Vollzug des Bedeutungshaften der Rede; die Ausfüllung der freien Anschauungsräume; die Auffüllung, d. i. das Hinausgreifen des Lesers über das, was in dem sprachlichen Gebilde selbst greifbar ist. In dieser „zwingenden Auffüllung" kommt zum Ausdruck, was H. mit der Bestimmung der Kunst als Anschauung im Blick hatte. In der Anschauung oder dem „Auffüllen" verschwindet jeder Gegensatz zwischen Meinen und Sein, jeder subjektive Aspekt des Werkes ist ins Allgemeine gewandelt.

Introduction d'une ontologie du sensible. Parcours de Rimbaud. — In: Revue de Metaphysique et de Morale. Paris. 90 (1985), 204-217. GARELLI, JACQUES:

In Abgrenzung gegen H. s Theorie des Kunstwerkes (als Vermittlung zwischen dem unmittelbaren Sinnlichen und dem reinen Sein in der Ökonomie des absoluten Wissens) erläutert der Verf. den Weg Rimbauds. Hier erweist sich der Ort der Kunst als ein Insichstehen, das die Welt stiftet und in dem die Struktur einer ontologischen Enthüllung des Seienden sowie der Transzendenz des Daseins zum Ausdruck kommt. Das „il y a" (es gibt) einer Illumination Rimbauds wird in diesem Rahmen als vorprädikative Einheit gedeutet.

Hegel tra logica classica e dialettica [Hegel zwischen klassischer Logik und Dialektik]. — In: Annali della Facoltä di Lettere e Filosofia dell'Universitä di Napoli. Napoli. N. S. 15 (1984—1985), 29—46. GELDSETZER, LUTZ:

Der Verf. sieht in der spekulativen Logik H. s eine Erweiterung der klassischen Logik, aber keine Verneinung ihrer Grundregeln im Sinne der Sophistik. Damit steht die H. sehe Logik in der Mitte von klassischer Logik und sophistischer Dialektik. Ihre formale Struktur wird anhand einiger Schlußfiguren untersucht, wobei Verdienste und Grenzen herausgestellt werden. Manche H. sehen Überlegungen, wie diejenige eines logischen Dritten, das weder wahr noch falsch, sondern wahr und falsch zugleich ist, können auch heutzutage neue Perspektiven in der Lösung einiger logischen Probleme eröffnen, wie z. B. im Falle der Dispositionsbegriffe oder der unentscheidbaren Sätze.

F.: The impossibility of philosophy ... and its realization. — In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 16 (1984/1985), 31-38. GERAETS, THEODORE

Geraets considers the relation between System and method in H.'s thought and attempts to answer the question of the degree of correlation between H.'s philosophy and actual reality, or among H.'s philosophy of philosophy, his philosophy of reality, and the reality of philosophy. In other words, is reality in fact dialectical and is everything in fact possible? To deal with these questions, Geraets examines the final sections in the Phenomenology, the greater Logic, and the Encyclopedia.

La naissance de L'Etat hegelien. A propos d'un ouvrage recent de Jacques Taminiaux (Naissance de la philosophie hegelienne de TEtat. Commentaire et Traduction de la Realphilosophie d'Jena, Paris 1984). — In: Revue philosophique de Louvain. Louvain-La-Neuve. 83 (1985), 239-261. GERARD, GILBERT:

Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1984

271

C'est principalement la troisieme partie de ce commentaire de la philosophie de l'Esprit des Jenaer Systementwürfe III (1805—1806) qui est presentee ici par G. Gerard, assortie de certaines reserves et nuances. J. Taminiaux considere qu'en depit du passage d'une philosophie de la substance ä une philosophie de l'esprit, la philosophie politique hegelienne de 18051806 est dans une continuite essentielle avec celle de l'article sur le Droit naturel (1802—1803): majeste absolue de l'Etat que rien ne transcende profondement inspiree de Hobbes, „organidsme speculatif", oü le peuple en tant que totalit6 est „le phenomene sans reste" de l'absolu. H. porte ainsi ä l'accomplissement la mathesis moderne — donc la „forclusion de l'etre-aumonde": J. T. se refere ä Heidegger - dont Hobbes a ete l'initiateur decisif pour la pens6e politique. H. est ainsi essentiellement infidele aux Anciens (Platon, Aristote), que J. T. situe ici dans la proximite fundamentale de Kant, c'est ä dire d'une pensee de la finitude, qu’il oppose ä celle de H.

The problem of immediate evidence: the case of Spinoza and Hegel. — In: Hegel-Studien. Bonn. 20 (1985), 145—162. GILEAD, AMIHUD:

Zur formalen Ordnung der Kategorien und Momente in Hegels Logik. — In: History and Philosophy of Logic. Kent. 6 (1985), 1-24. GRIEDER, ALFONS:

Abgesehen von den Bemerkungen zur Methode am Ende der Subjektiven Logik enthält die Wissenschaft der Logik keine zusammenhängende Untersuchung ihres Ordnungsschemas. Verf. arbeitet dieses Ordnungsschema mit Hilfe mathematischer Operationen heraus. Seine Betrachtung von H. s Logik ist formal, nicht aber formalisierend.

Punishment and reparation. - In: Philosophy Quaterly. St. Andrews. 35 (1985), 394-413. GRISERI, PAUL:

Moral und Sittlichkeit. Hegels Kantkritik im Lichte der Diskursethik. - In: Merkur. Stuttgart. 39 (1985), 1041-1062. HABERMAS, JüRGEN:

Im Zuge einer allgemeinen Erörterung und Verteidigung der von ihm selbst vertretenen Diskursethik geht Verf. auf einige Aspekte in H. s Auseinandersetzung mit Kants ethischem Ansatz ein. So räumt Verf. bezüglich H. s Kritik an Kants Begriff der Moral ein, daß diese zurecht wie auch die Diskursethik im Zuge einer deontischen Abstraktion der normativen Regeln - eine eigentümliche Entfremdung von dem in der konkreten Sittlichkeit (i. S. H. s) vorgegebenen Bild eines „guten Lebens" bei Kant (oder auch Rousseau) wahrnimmt. In diesem Kontext bestehe H. legitimerweise gegen Kant darauf, die moralischen Fragen einer Rechtfertigung von moralischen Normen um solche der Anwendbarkeit in konkretem geschichtlichem Kontext zu erweitern.

Omnis determinatio negatio est? Hegels lezing van Spinoza polemisch getoetst door Pierre Macherey [. . . Hegels Spinoza-Lektüre polemisch überprüft von P. M.]. - In: Algemeen Nederlands Tijdschrift voor Wijsbegeerte. Assen. 77 (1985), 222—234. HEEMST, JAN VAN:

Spinozas Auffassung der causa sui ist mittels des teleologischen Prinzips der doppelten Negation in H. s religiöser und idealistischer Subjektivitätsphilosophie nicht aufhebbar.

272

BIBLIOGRAPHIE

Anfang und Methode der Logik. [Koreanisch.] — In: Hegel-Studien. Seoul. 2 (1985), 258—279. HENRICH, DIETER:

Koreanische Übersetzung des Aufsatzes aus: Heidelberger Hegel-Tage 1962. Bonn 1964. (Hegel-Studien. Beiheft 1.)

C.: Alienation and reconciliation in Hegelian and postHegelian perspective. — In: Modern Theology. Oxford. 2 (1985), Nr. 1, 42-63. HODGSON, PETER

Generally in terms of Christian salvation theology, Hodgson deals with four closely related topics: the possibility of a H. lian Interpretation of the history of Christian reconciliation theory (42), and the treatment of alienation/reconciliation in H.'s Lectures on the Philosophy of Religion, among H.'s immediate successors, and among our contemporaries. The first section concentrates on the contribution of F. C. Baur, and juxtaposes Baur's theological with H.'s philosophical language to describe the same phenomena. The second identifies alienation for H. as the human prerequfsite of moral evil. The third compares right (Göschei), middle (Baur), and two forms of left (Marx and Strauss) interpretations of H. on the alienation/ reconciliation question. Finally, the fourth section establishes Wolf-Dieter Marsch as a modern middle H. lian who „has made an important contribution toward understanding H.'s christology".

C.: Hegel's Christology: Shifting nuances in the Berlin lectures. — In: Journal of the American Academy of Religion. Missoula, Mont. 53 (1985), 23 -40. HODGSON, PETER

Verf. skizziert die Entwicklung von H. s religiösen Überlegungen zwischen 1821 und 1831 und entwickelt unter einem dreifachen Aspekt die Differenzen in der Christologie der vier verschiedenen Kollegien. Sein Ergebnis resümiert er in sechs Thesen, die mit einer Empfehlung an die Theologie schließen, H. s „Anti-Theologie" mit der theologischen Tradition zu verknüpfen.

Eigentum und Bewußtsein. — In: Annali della facoltä di lettere e filosofia dell'universitä di Napoli. Napoli. N. S. 15 (1984-1985), 50-69. HOGREBE, WOLFRAM:

Ausgehend von der These, daß Bewußtsein ein epistemisches Haben sei, findet Verf. in H. s Theorie des subjektiven Geistes aus der Enzyklopädie eine possessive Wahmehmungstheorie wieder. Die von H. hier vollzogene Fundamentierung der Semiotik in besitzergreifenden Akten des Bezeichnens zeigt sich innerhalb der Sphäre des objektiven Geistes als persönlichkeitsbezogene Eigentumstheorie: Die Genese des Eigentums fällt nach H. mit der Genese des Bewußtseins zusammen.

Ontologischer Monismus und Selbstbewußtsein. — In: All-Einheit. Wege eines Gedankens in Ost und West. Hrsg, von Dieter Henrich. Stuttgart 1985. (Veröffentlichungen der internationalen Hegel-Vereinigung. 14). 230-246. HORSTMANN,

ROLF-PETER:

Gegen die Meinung Russells und der meisten seiner Nachfolger, nach der mit der Widerlegung des sog. „subtanzontologischen" Monismus jeder Monismus hinfällig geworden sei.

Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1984

273

versucht Verf. zu zeigen, daß ein mit H. verbundener „relationsontologischer" Monismus eine mögliche Alternative zu pluralistischen ontologischen Positionen darstellt. Im Jenaer Systementwurf zur Logik und Metaphysik von 1804/05 sieht er den Ansatz einer Metaphysik der Subjektivität, in der die relationale Struktur des Selbstbewußtseins behauptet wird, und deren Hauptpunkte sich noch in der Wissenschaft der Logik und in der Enzyklopädie finden.

G.: Some notes on Rosen's „Hegel's Dialectic and its Criticism". — In: Hegel-Studien. Bonn. 20 (1985), 213—219. HOULGATE, STEPHEN

Hegels Idee der Negativität und die metaphysische Tradition. — In: Hübener: Zum Geist der Prämoderne. Würzburg 1985, 105-109. HüBENER, WOLFGANG:

Der Gedanke einer Negation gegen das Negative ist H. eigen. Die aristotelische Tradition erfordert nämlich, daß Wechselbeziehungen positive Glieder enthalten. Neben H. hat auch Adam Müller versucht, in seiner Gegensatzlehre den Begriff des Negativen einzuführen. Von H. her gesehen, verbleibt dieser Versuch aber im bloßen Verstandesdenken.

Hegel on Leibniz and Individuation. — In: Kantstudien. Bonn. 76 (1985), 420-435. INGRAM, DAVID:

Verf. analysiert H. s Argumente im Buch 2 der Logik zur Lehre von den internalen Beziehungen. Sie vermeiden beides, Nominalismus und Monismus, besonders die Monistische Charakteristik des Rationalismus. H. s Argumente werden als bedingt durch die Aufnahme von Leibniz' Konzeption der Essenz im Zusammenhang mit Kants synthetischem Urteil apriori und den Antinomien aufgefaßt.

Hegels Religionsphilosophie. Ein Plädoyer für ihre Rückgewinnung als Philosophie. — In: Information Philosophie. Basel. 13 (1985), N. 2, 6-16.

JAESCHKE,

WALTER:

Verf. plädiert gegenüber der allgemeinen H. forschung für eine besondere Stellung der Religionsphilosophie H. s im Sinne der Zeit um 1830. Dies setze jedoch eine immanente Rekonstruktion der religionsphilosophischen Vorlesungen, eine Analyse der Stellung der Religionsphilosophie im Systemzusammenhang und eine Rekonstruktion ihres philosophiegeschichtlichen Kontextes voraus.

Maitre/valet chez Hegel: alternative ä la lecture kojevienne. - In: Le cahier. College international de philosophie-seminaires 1984— 85. Paris 1985. 108-110.

JARCZYK, GWENDOLINE; PIERRE-JEAN LABARRIFRE:

Arbeitsbericht über zwei Seminare, wobei das erste der Lektüre des Textstücks „C. Die Reflexion" aus H. s Logik des Wesens gewidmet war. Das zweite versuchte auf der Grundlage des Ergebnisses des ersten eine Interpretation des Textes „Herr und Knecht", die an die Stelle derjenigen treten sollte, die Kojeve vor fünfzig Jahren vorgelegt hatte.

274

BIBLIOGRAPHIE

Concept du travail et travail du concept chez Hegel. — In: Archives de Philosophie. Paris. 48 (1985), 21—35.

JARCZYK, GWENDOLINE:

Verf. stimmt H. s These zu, wonach die Arbeit wie die Sprache eine Äußerung des Geistes ist, die die Unmittelbarkeit der Welt in den Mittelbegriff von „Ordnung" oder „Kultur" des Menschen und der Menschen bringt. Es ist eine syllogistische Bewegung, deren innere Form die Reflexion selbst ist, mit ihrer doppelten Bewegung von Bedingungen: Arbeit als Selbstkonzept, das den Fortgang des Konzeptes der Arbeit bestimmt.

Feuerbachs Hegel-Kritik. [Koreanisch.] - In: Hegel-Studien. Seoul. 2 (1985), 116-135. KANG, DAE-SUK:

Verf. stellt Feuerbach als Vermittler zwischen H. und Marx vor und analysiert dazu seine kleinen Schriften zwischen 1839 und 1843.

Freiheit und Vernunft. [Koreanisch.] — In: Hegel-Studien. Seoul. 2 (1985), 82-115. KANG, YUNG-KAE:

Verf. unternimmt es, den inneren Zusammenhang des Sinnes von Freiheit und Vernunft in H. s Geschichtsphilosophie aufzuklären. Diese Problematik wird von ihm in der Bestimmung von Freiheit und Vernunft, der Analyse von Möglichkeit und Grenze des dialektischen Geistes und in der Untersuchung der Beziehung zwischen Individuum und Geist dargestellt. Wenn diese Grundbegriffe nicht aufgeklärt werden, bleibt H. s Philosophie der Geschichte von einem Phantom des Historismus überschattet.

Fragen an Hegels Religionsphilosophie anhand neuer Publikationen. — In: Zeitschrift für Kathologische Theologie. Wien. 107 (1985), 271-286. KERN, WALTER:

Im Anschluß an eine Besprechung von Neuerscheinungen zu H. s Religionsphilosophie erörtert Verf. kritisch den Anspruch von H. s Logik, spekulative Theologie zu sein, das Verhältnis von Idee zur Natur, die Frage von Freiheit und Endlichkeit, die Charakteristik der Religionsphilosophie H.s als Pantheismus sowie die Behandlung der Trinitätsfrage bei H.

L'interpretation d'Aristote par Hegel. — In: Revue de Philosophie ancienne. Bruxelles, Paris. 3 (1985), N. 1, 29—68. KERN, WALTER:

Übersetzung des Aufsatzes: Die Aristotelesdeutung Hegels. In: Philosophisches Jahrbuch. 78 (1971). Vgl. Hegel-Studien. 8 (1973), 333.

Widerspruch und Totalität. [Koreanisch.] — In: HegelStudien. Seoul. 2 (1985), 183-209.

KIM, CHANG-HO:

Eine materialistische Ansicht über Hegels Lehre vom „Sein". [Koreanisch.] - In: Hegel-Studien. Seoul. 2 (1985), 34—81.

KIM, HONG-MYONG:

Verf. untersucht H. s Logik, indem er ihre Struktur dem ersten Teil, der Seinslehre, entnimmt und diese materialistisch interpretiert. Die Dialektik spiegelt die Allseitigkeit des ma-

Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1984

275

teriellen Prozesses und seine Einheit wider und ist auch die richtige Darstellung der ewigen Entwicklung der Welt.

De verhouding tussen geloven en denken. Schleiermacher, Hegel en Wij [Das Verhältnis von Glauben und Denken. Schleiermacher, Hegel und Wir]. — In: Filosofische theologie. Hrsg, von J. Sperna Weiland [u. a.J. Baarn 1985. 91-119. KIMMERLE, HEINZ:

Im Gegensatz zu Schleiermacher, der die Einheit des Bewußtseins im religiösen Gefühl als Fundament des Wissens betrachtet, und zu Hegel, der die Religion ins philosophische Denken aufheben möchte, soll in einer Philosophie der Vielheit der endlichen Wir die Einheit und Differenz stiftende Sprache in sich selbst als religiös betrachtet werden.

Entwicklung und Funktion des Antike-Vorbildes bei Friedrich Schlegel und Hegel. - In: Weimarer Beiträge. Berlin. 31 (1985), 24-32. KEIN,

EUGENIUSZ:

H. s und Fr. Schlegels Verhältnis zur antiken Kunst bringt die grundsätzlichen weltanschaulichen Differenzen der Denker zum Ausdruck. Während das Frühwerk Schlegels den H. sehen Einschätzungen der Antike nahe steht und Ausdruck für die gemeinsame historische Grundlage (Französische Revolution) ist, sinkt die Bedeutung des Antike-Vorbildes bei Schlegel im Laufe seiner Entwicklung und ist schließlich ab 1802 nur noch in „deformierter Reliktform" vorhanden. Nimmt H. s Wertschätzung der Antike im Spätwerk eher zu, so führt die Relativierung der antiken Kunstwerke Schlegel auf restaurative Bahnen und bewirkt eine immer stärkere Distanzierung von H. s Position.

The oldest program towards a System in German Idealism. — In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 17 (1985/1986), 5—19. KRELL, DAVID FARRELL:

Verf. erörtert ironisch die Frage der Autorschaft des „Ältesten Systemprogramms des deutschen Idealismus" aus dem Jahr 1797. Nach einem Rückblick auf die Geschichte der Textstudien dieses Dokumentes kommt er zu dem Schluß, daß es den Hauptgedanken keines der drei Freunde H., Schelling oder Hölderlin repräsentiert, stattdessen aber 90 Jahre im voraus den Hauptgedanken Nietzsches vorwegnimmt.

Hegel and religion: Some recent writings. — In: The Heythrop Journal. Oxford. 26 (1985), 399-415. LAKELAND,

PAUL:

Verf. bespricht in drei Abschnitten Peter C. Hodgsons neue englische Ausgabe von H. s Vorlesungen über die Philosophie der Religion, die Arbeiten zu H. s Religionsphilosophie von Quentin Lauer, Raymond Keith Williamson und James Yerkes sowie schließlich Emilio Britos und Eberhard Jüngels theologische Auseinandersetzung mit H.

The life of consciousness and the world come alive. — In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 16 (1984/1985), 183-198. LAUER, QENTIN:

Frühere Version eines Beitrages für das International Hegel and Whitehead Symposium (Fordham University) 1984. Verf. behandelt in kommentierender Reflexion die einleitenden Passagen zu dem Kapitel „Selbstbewußtsein" der Phänomenologie des Geistes. Abschließend

276

BIBLIOGRAPHIE

wird eine Übersetzung der entsprechenden Paragraphen zur „Philosophie des Geistes" aus H. s Enzyklopädie (3. Aufl.) angefügt. Das frühere Werk vermag aber nicht nur die späteren Darlegungen zu erhellen, sondern bildet ein einzigartiges Konzept des „Geistes" und des „Bewußtseins", wie es von H. später nicht mehr entworfen wurde.

Philosophie transcendentale et idealisme absolu. — In: Archives de Philosophie. Paris. 48 (1985), 371—384. LAUTH, REINHARD:

L'auteur rassemble ici les arguments de la philosophie transcendantale (dans sa forme la plus achevee selon lui: la Doctrine de la Science de Fichte) contre l'idealisme absolu (ä sa naissance ä lena, notamment avec Schelling et H.): c'est le Moi lui-meme qui se pose comme unite englobante de lui-meme et du Non-Moi, celle-ci ne leur est pas transcendante; l'intuition intellectuelle de l'identite absoiue comme sujet-objet n'est que le produit d'une Imagination delirante; on ne peut pas comprende le developpement transcendantal comme faisant partie d'un developpement ontologique, deduire le Moi de la nature, ou passer du logique ä l'existence naturelle; et surtout; pourquoi H., pour qui toute position est antinomique, s'arrete-t-il dans l'identite de l'identite et de la difference, sinon parce qu'il se reclame du fait empirique de l'unite?

Avant-propos. Hegel et les Grecs. - In: Revue de Philosophie ancienne. Bruxelles, Paris. 3 (1985), N. 1, 3—8. LEGROS, ROBERT:

Das Thema befragt ein Denken, das die völlige Rationalität alles Wirklichen lehrt. H. selbst hat aber nicht geglaubt, definitive Antwort gegeben zu haben. Denn wenn er der Überzeugung gewesen wäre, er hätte das griechische Denken in den Netzen seines Systems gefangen, wäre er nicht immer wieder darauf zurückgekommen.

Hegel et „L'esprit de beaute". — In: Revue de philosophie ancienne. Bruxelles, Paris. 3 (1985), N. 2, 3—37. LEGROS, ROBERT:

1797 schreibt der junge H., der Geist der Griechen sei die Schönheit. Wenn er auch in Jena sein ästhetisches Ideal zugunsten der Höherrangigkeit der Philosophie aufgegeben hat, so hält er doch in der Folgezeit an der Charakteristik des Geistes der antiken Welt als Schönheit fest. Verf. verfolgt die Verwendung dieser Charakteristik vom sog. Tübinger Fragment über die Phänomenologie bis hin zu den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie mit ihrer Schilderung Griechenlands, ln der Darstellung der Philosophie von Platon und Aristoteles denke der griechische Schönheitsgeist sich gleichsam selber.

Hegels Naturbegriff in seiner „Enzyklopädie". - In: Philosophie und Natur. Beiträge zur Naturphilosophie der deutschen Klassik. Weimar 1985. (Collegium philosophicum Jenense. Heft 5. Hrsg, von Erhard Lange.) 156-173. LEY, HERMANN:

Entgegen der These Lenins sieht Verf. das „Zukommen (H. s) auf die Natur" kritischer. Eine kurze Durchsicht der Enzyklopädie in systematischer und methodologischer Hinsicht ergibt für ihn das Resultat, daß Marx und Engels an H. s Naturbegriff anknüpften. Der Versuch eine natürliche Evolution empirisch und theoretisch zu belegen, erfolgte weitaus später.

Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1984

277

Das Problem der Entfremdung im Lichte der Auffassungen von Hegel und Marx. [Koreanisch.] - ln: Hegel-Studien. Seoul. 2 (1985), 9-33. LIM, SOK-ZIN:

Verf. sucht den Doppelcharakter der „Entfremdung" in ihrer ontologisch-geschichtlichen Erscheinungsweise aufzuzeigen, die durch Hegel philosophisch bestimmt und durch Marx historisch-konkret analysiert wurde. Die Entfremdung ist der Sache nach von zwiespältig gebrochenem Charakter. Er ergibt sich einerseits aus dem realen Vollzug der gesellschaftlichen Arbeit als mit der Natur des Menschen verbundene materielle Basis seines Daseins und andererseits aus der bewußten Verwirklichung der individuellen Freiheit als Grundtendenz des menschlichen Seins. Der Verf. plädiert mit dem Hauptanliegen des koreanischen Philosophen Won-Goo Lee (1750-1820) dafür, daß die Arbeit und die damit zusammenhängenden Bereiche Technik und Industrie, mithin die markantesten Lebensäußerungen der modernen Zivilisation einerseits und die Freiheit, Ethik und Zukunftsordnung der humanen Welt andererseits, in Harmonie und Einheit aufeinander bezogen werden.

Die Eine und oberste Synthesis. Zur Entstehung von Krauses System in Jena in Abhebung von Schelling und Hegel. — In: Karl Christian Friedrich Krause (1781-1832). Studien zu seiner Philosophie und zum Krausismo. Hrsg, von Klaus M. Kodalle. Hamburg 1985. 22-41. LUCAS, HANS-CHRISTIAN:

Inhaltlich leicht veränderte Fassung eines 1984 in spanischer Sprache (in:Cuadernos Salmantinos) erschienenen Aufsatzes. Vgl. Hegel-Studien. 21 (1986), 278.

J.: The meaning of „will" in Hegels's Philosophy of Right. — In: Interpretation. New York. 13 (1985), 195—212.

MALETZ, DONALD

Eine Studie über H. s Gedanken aus der Einleitung zur Rechtsphilosophie, wonach die Basis von Recht und Justiz im „Willen" gefunden werden kann. Der Verf. diskutiert H. s Behandlung der Operationen des Willens und beurteilt H. s Überlegungen als eine Form der Utopie, insofern als dort eine vollständige Befriedung des Willens in einer reformierten Welt in Aussicht gestellt wird.

J.: An introduction to Hegel's „introduction" to the Philosophy of Right. — In: Interpretation. New York. 13 (1985), 67—90.

MALETZ, DONALD

In diesem Aufsatz gibt der Verf. eine detaillierte Analyse von H. s Kritik des Naturrechtes und der ersten drei Paragraphen aus der Einleitung der Rechtsphilosophie. Gegenüber dem Naturrecht behauptet H., daß das Prinzip des Rechtes aus der Vernunft bzw. aus dem freien Willen stammt. Ebenso lehnt H. eine bloß positive Rechtswissenschaft ab, die die Gesetze und Institutionen eben dadurch relativiert, daß sie von den jeweiligen historischen Umständen abhängig gemacht werden. H. selbst, indem er nach der praktischen Verwirklichung der Idee des Rechtes fragt, vertritt einen „idea-ologischen" Realismus, demzufolge sich die Geschichte als ein Prozeß darstellt, dessen verschiedene Stufen die Komplementarität von Begriff und Wirklichkeit immer weiter erfüllen.

278

BIBLIOGRAPHIE

Nowe badania nad Heglowska filosofia prawa [Neue Forschungen über Hegels Rechtsphilosophie]. - In: Studia Filosoficzne. Warszawa. 1985, N. 5—6, 199—201. MARKIEWICZ, BARBARA:

Im Rahmen des Kolloquiums „Hegels Rechtsphilosophie im Zusammenhang mit der europäischen Verfassungsdiskussion" - veranstaltet durch das H.-Archiv (Bochum) und das Centre de Recherche de Documentation sur H. et sur Marx (Poitiers) vom 19. bis 22. Sept. 1984 — wurde die Möglichkeit der Rekonstruktion der H. sehen Rechtsphilosophie in ihrer ursprünglichen Form diskutiert.

Wechselbeziehungen zwischen Naturverständnis und Unterschieden in der dialektischen Methode bei Goethe und Hegel. - In: Philosophie und Natur. Beiträge zur Naturphilosophie der deutschen Klassik. Weimar 1985. (Collegium philosophicum Jenense. Heft 5.) 174-184. METZLER, HELMUT:

Goethes und H. s Naturauffassung und Methode der Naturphilosophie werden kurz skizziert und verglichen. Goethes mehr phänomenologische, an Sinnlichkeit und Anschauung und eigenen Erfahrungen orientierte Naturauffassung steht der mehr spekulativen, von der Entwicklung des Begriffs vermittelten Naturauffassung H. s gegenüber. Obwohl H. auf die naturwissenschaftlichen Veröffentlichungen anderer Forscher angewiesen war, hat er durch seine dialektische Methode größere Nähe zu den Positionen der zeitgenössischen Naturwissenschaft.

Le probleme de l'esthetique spinoziste ä la lumiere de quelques interpretations de Leibniz ä Hegel. — In: Les Cahiers de Fontenay. N. s. 36-38. Paris 1985. 123-141. MIGNINI, FILIPPO:

L'utilisation par Leibniz de categories esthetiques etroitement liees aux categories ontologiques pour la critique de Spinoza lui fait reconnaitre chez celui-ci une connexion semblable. Mais l'amene ä occulter, en tant qu'il la refuse pour ses consequences ontologigues, la pensee esthetique du philosophe hollandais. C'est-ä-dire la presence dans son oeuvre d'une doctrine de l'imagination et de la cupiditas qui, en montrant la nature et la genäse de l'art, affirme la subjectivite du beau. C'est l'attitude plus ou moins consciente envers cette esthetique dont l'auteur s'attache ä souligner l'importance dans une Serie d'interpretations marquantes du spinozisme: celles, diversement negatives de Bayle, Wolf et Jacobi; celle, en fait complexe et mitigee, de Lessing; celle de Herder et des premiers romantiques, qui voient en lui un apötre de l'amour; celle impliquee dans l'esthetique de Goethe (l'art comme produit necessaire de la spontaneite de la nature, d'oü la critique des concepts de beau en soi, d'imitation et de finalisme); celles qui visent ä purifier Spinoza de son pantheisme au prix de la meconnaissance de sa pensee esthetique, comme c'est le cas de Mendelssohn, ou avec la reconstruction de Fichte du „spinozisme systematique", ou enfin avec l'interpretation „acosmiste" de H. qui, en ignorant la doctrine de l'imagination et de la cupiditas de Spinoza, n'approfondit pas sa critique de la teleologie (laquelle est impliquee, dit l'auteur, dans le concept de negation de la negation).

L'idee vraie et la pensee de l'etre dans la tradition metaphysique. — In: Revue Philosophique de Louvain. Louvain-La-Neuve. 83 (1985), 374- 398. MOREAU, JOSEPH:

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279

Der Ehrgeiz H. s ist es, im Begriff die Einigung des Subjekts und des Objekts zu vollziehen, alle Gegenstände der Erkenntnis im Selbstbewußtsein zusammenzufassen. Daher verwirft er nicht nur das unerkennbare Ansich, sondern auch die Transzendenz des absoluten Geistes.

Hegel a-t-il abuse de Platon? - In: Revue de Philosophie ancienne. Bruxelles, Paris. 3 (1985), N. 1, 9-28. MOREAU, JOSEPH:

H. s Plato-lnterpretation muß als eine Verkehrung der Dialektik Platos betrachtet werden. Zwar zeigt H. s System ein idealistisches Gesicht, ist aber in Wirklichkeit dem Geist Platos radikal untreu.

Hegel pris au mot. La critique de l'histoire chez Franz Rosenzweig. — In: Revue de Metaphysique et de Morale. Paris. 9o (1985), 328- 341. MOSES, STEPHANE:

Schon in Rosenzweigs Hegel und der Staat sind die Themen vorgezeichnet, die 1918/19 für seinen Stern der Erlösung bestimmend sind: der Kampf gegen die Geschichte, so wie sie das 19. Jahrhundert aufgefaßt hat, und der Kampf für die Religion, so wie sie das 20. Jahrhundert begreift. Indem die Tyrannei der Universalgeschichte scheitert — eine Tyrannei, die nur eine Seite der Tyrannei des Logos ist — wird eine Dimension außerhalb dieser Geschichte sichtbar; eine Zeitlichkeit ohne Werden, eine Gesellschaft ohne Kriege und Revolutionen - ein idealer Raum, der von dem jüdischen Volk bewohnt wird.

Symbolische und klassische Kunst in der Sicht Hegels. [Neugriechisch.] — In: Parnassos. Athenai. 27 (1985), 124—133. MOUKANOS, DEMETRIOS:

Verf. stellt das Verhältnis der Idee zu ihrer Form in der symbolischen und in der klassischen Kunst dar und deutet (in der Folge von Moutsopoulos) den Übergang von der einen zu der anderen als „Kairos", als entscheidendes Moment, das ein Minimum und ein Optimum verbindet. Nach Verf. s Ergebnis kann man H. s Ästhetik nur richtig verstehen, wenn man ihren systematischen Zusammenhang mit der Religions- und der Geschichtsphilosophie berücksichtigt.

M. L.: A note on contradiction in The Phenomenology of Mind. - In: Hegel-Studien. Bonn. 20 (1985), 219-221. NATHAN, N.

Historical roots of the concept of autonomy in Western philosophy. — In: Praxis International. Oxford. 4 (1985), 363 —377. NAUTA, LOLLE:

Nauta believes that purely theoretical or ideological political concepts, such as „autonomy", can only be understood in the light of specific examples. That is, in Order to understand what Hobbes or Marx each meant by „autonomy", to understand that they each meant by it something different from what the other meant, and to understand that they meant something different from what we in the late 20th Century would probably mean by it, we need first to grasp the historical and ideological context or set of presuppositions in which each thinker worked. Nauta calls such a context a thinkePs „exemplary Situation". Given this methodological propaedeutic, Nauta proceeds to examine two paradigm cases; the liberal tradition (i. e. Hobbes, Locke, et al.) and the Marxist tradition (which includes H.). The

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BIBLIOGRAPHIE

„exemplary Situation" of the former tradition is the capitalist market, while that of the latter is the feudal mode of production embodied in the dialectic of master/slave. „Autonomy" for the former means one's freedom from being subject to another individual, while for the latter it means the general human freedom from economic exploitation.

Der Beitrag des Christentums zu einer menschlicheren Welt. Zur Aktualität der Geschichtsphilosophie Hegels. — In: Salzburger Jahrbuch für Philosophie. Salzburg. 30 (1985), 29—54. OEING-HANHOFF, LUDGER:

Verf. stellt die Frage nach dem Beitrag des Christentums zu einer menschlicheren Welt, geleitet durch den Blick auf H. s Geschichtsphilosophie, da H. im Prinzip des Christentums, d. h. im Bewußtsein der Freiheit aller, die Angel sieht, um die sich die Weltgeschichte dreht. In weiteren Abschnitten legt er den Beitrag des Christentums zur Verwirklichung freiheitlicher Institutionen und die Ausbildung und Beförderung der Subjektivität durch den christlichen Glauben dar und reflektiert über gegenwärtige Aufgaben der Christenheit.

Hen-Panta in der Philosophie von Nishida in Abhebung von der Hegelschen Philosophie, ln: All-Einheit. . . .Hrsg, von D. Henrich. Stuttgart 1985. 220-229. OHASHI, RYOSUKE:

Verf. vergleicht das Verständnis von Eins-gleich-Vieles („Hen-Panta") bei Hegel und dem „Erzvater" der japanischen Philosophie, Kitaro Nishida. Für beide ist das Eins als das Absolute bzw. als das wahre Unendliche dem Endlichen bzw. dem Einzelnen nicht entgegengesetzt. Doch die Absolutheit im H. sehen Sinne ist absolute Identität mit sich, während in der Ortlogik Nishidas die Mitte dieser Identität als „gebrochen" erfahren wird. Verf. findet im Gedanken des „Erwachtseins zum Tode" den gemeinsamen Ursprung der Spekulation beider Philosophen und sieht zugleich in der jeweiligen Auffassung dieses Gedankens die genannte Verschiedenheit bestätigt.

Hegels Interpretation des antiken Skeptizismus. [Neugriechisch.] - In: Pentzopoulou-Valala: Vorlesungen über Erkenntnistheorie und Ontologie. [Neugriechisch.] Thessalonike 1985. 177-196. PENTZOPOULOU-VALALA, TEREZA:

Verf. untersucht die Bedeutung des antiken Skeptizismus und der neueren Akademie für H. s Denken und widerspricht J.-P. Dumonts Urteil über H. s „Mißinterpretation". Der antike Skeptizismus repräsentiert nach H. das Prinzip der Negation; dabei bleibt er zwar auf der Ebene des Versfandes, beschränkt jedoch keineswegs die Möglichkeit der spekulativen Philosophie, wie z. B. Schulzes radikaler Skeptizismus, H. beurteilt den antiken Skeptizismus als eine Theorie des Seienden und ordnet ihn der Philosophiegeschichte zu, während Dumont den antiken Skeptizismus auf eine Theorie der Erscheinung reduziert und ihn nur der Wissenschaftsgeschichte zurechnet.

Telos in Hegel's „Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems". - ln: Philosophy Research Archives. Bowling Green, Oh. 10 (1985), 393-440. PERCESEPE, GARY:

Verf. untersucht die Differenzschrift als das erste philosophische Werk H. s, in dem er sich selbst kritisch gegen seine Zeitgenossen abgrenzt. Die Schrift enthält das „konzeptuell-her-

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meneutische Gerüst" für alle zukünftigen Gedanken H. s und enthüllt ein zielgerichtetes System, in dem die aktuelle historische Situation, die „Not der Zeit", die prinzipielle Kraft für den historischen Fortschritt hervorbringt.

B.: Marcuse on Hegel and historicity. - In; Philosophical Forum. Boston, Mass. 16 (1985), 180—206. PIPPIN, ROBERT

Verf. analysiert Marcuses Werk: Hegels Ontologie und die Grundlegung einer Theorie der Geschichtlichkeit (1932). Er zeigt die Entwicklungslinien, die von Heidegger ausgehen, und die fundamentalen theoretischen Aspekte, die in späteren Werken Marcuses wiederaufgegriffen werden. Dieses frühe Werk vermag damit nicht nur viele problematische Aspekte Marcuses, sondern darüber hinaus der kritischen Theorie allgemein aufzuweisen.

Pozzo, RICCARDO: Sulla periodizzazione degli scritti jenensi di Hegel (1801-1807) [Zur Periodisierung der Jenaer Schriften Hegels]. — In: Revista di storia della filosofia. Firenze. 40 (1985), 481—501. Anläßlich der italienischen Übersetzung der Jenaer Geistesphilosophie und Logik und Metaphysik bietet der Verf. einen Überblick über die Phasen des H. sehen Denkens in Jena mit besonderer Berücksichtigung der logischen und systematischen Entwicklungen von einer Metaphysik der Substanz und von der Trennung zwischen Reflexion und Spekulation bis zur Verschmelzung von Logik und Metaphysik aufgrund der Bewußtseinsstruktur.

Inconsistencies in motion. - In: American Philosophical Quarterly. Pittsburgh. 22 (1985), 339-346. PRIEST, GRAHAM:

Verf. benutzt die Terminologie der parakonsistenten Logik, um die H. sehe Bilanz des Gefühls darzustellen. Demnach ist sie durch den Wechsel als unmittelbaren, instabilen Status gekennzeichnet. Auf diese Weise erscheint die H. sehe Bilanz des Gefühls einsichtiger als die Bertrand Rüssels, wonach Gefühl einfach Sein an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten bedeutet.

PsiMMENOS, NIKOS: Die klassische Bildung des jungen Hegel. [Neugrie-

chisch.] — In: Dödöne. löannina. 14 (1985), 173-194. An H. s eigenhändigem Lebenslauf vom September 1804 zeigt Verf. seinen Weg zur Philosophie über das Studium der klassischen Philologie. Auch H. s Beschäftigung mit der Theologie ist aus der Verbindung der klassischen Philologie mit der Philosophie verständlich. Während seines Predigtamtes tritt bereits eine Differenzierung seiner Interessen ein: H. räumt der Philosophie eine Vorzugsstellung ein und beschränkt sich allmählich auf die philosophischen Erzeugnisse der Antike.

La systemacite et le cercle hegelien. — In: Archives de Philosophie. Paris. 48 (1985), 3-20. ROCKMORE, TOM:

Nach Ansicht des Verf. will die Kreisbewegung, wie sie durch Hegel geltend gemacht wird, die kritische Philosophie unter der Form eines Systems wiederherstellen. Sie opponiert gegen Reinhold, Maimon, Schulze und schließlich gegen Fichte. H. akzeptiert den notwendigen Charakter des Zirkels, wie er von Fichte wiederentdeckt wird, will aber im Gegensatz

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BIBLIOGRAPHIE

zu ihm die Kreisbewegung gleichzeitig absolut in sich selbst begründen. Verf. sieht die Schwierigkeit der H. sehen Theorie, sich unter der Gestalt des Kreises zu konstituieren in dem Ergebnis: in dem Maße, wie sie sich anschickt, der Grund zu sein, ist sie nicht zirkelhaft, sondern linear. Sie korrespondiert nicht anders als in einer vergangenen Fassung mit ihrer eigenen metatheoretischen Konzeption.

L.: Entendement et raison chez Hegel. — In; Archives de Philosophie. Paris. 48 (1985), 385—399.

ROSENFIELD, DENIS

Verf. analysiert Verstand und Vernunft nicht als Möglichkeit, sondern als zwei Positionen, die einen gleichen Bezug auf den Gegenstand der Welt übernehmen. Verf. bevorzugt daher eine Annäherung an die Philosophie H. s, die sich gegen das Empirische wendet, der Verstand als Raum verstanden oder: der Geist kommt zu sich. Abgesehen von den drei Elementen der Logik — das abstrakte, das dialektische und das spekulative Element, wird ein Fortgang der Negativität gezeigt, die zunächst in der Weise einer Überlegung „über" das Wirkliche, sich dann als Reflexion „des" Wirklichen an sich beschreibt.

N.: Hegel emberfölfogäsa es a szüksegletek rossz vegtelensege [Hegels Menschenauffassung und die schlechte Unendlichkeit der Bedürfnisse], - In; Magyar Filozöfiai Szemle. Budapest. 29 (1985), 683-697. RöSZA, ERZSEBET

Der Begriff des Bedürfnisses stellt in der H. sehen Rechtsphilosophie von 1820 bzw. in dem in ihr dargelegten ökonomisch-philosophischen System eine zentrale Kategorie dar. Jenes System beruht auf anthropologischen Voraussetzungen: der Notwendigkeit des Menschen, sich aus dem Bereich der Natur in den des Geistes zu formen, Voraussetzungen, die auch die Grundlage für die Bestimmung der menschlichen Bedürfnisse darstellen. H. s Analyse vermag dadurch zu einer Kritik der nur materiell verstandenen Bedürfnisse in der spätkapitalistischen bürgerlichen Gesellschaft beizutragen, daß er die Bestimmung der Bedürfnisse auf allgemein-anthropologische und geschichtsphilosophische Ebene hebt.

Rorty's Interpretation of Hegel. - In; Review of Metaphysics. Washington, D. C. 33 (1985), 321—333. ROTENSTREICH, NATHAN;

On Erdmann's phenomenology of religious consciousness. - In; Hegel-Studien. Bonn. 20 (1985), 199—212.

ROTENSTREICH, NATHAN;

Zur Rezeption und Überwindung Hegels in lateinamerikanischer Philosophie der Befreiung. Ein Beitrag zur Darstellung ihres Konfliktes in der Auseinandersetzung mit europäischem Denken. — In; Hegel-Studien. Bonn. 20 (1985), 221—245. SAUERWALD, GREGOR;

ScHEiBER, WOLFGANG; „Habitus" als Schlüssel zu Hegels Daseinslogik. - In;

Hegel-Studien. Bonn. 20 (1985), 125—144.

Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1984

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Hegels Straftheorie in seinen „Grundlinien der Philosophie des Rechts." — In: Juristische Schulung. Frankfurt. 19 (1979), 687-691. SEELMANN, KURT:

Anhand der Ende der siebziger Jahre zugänglichen Nachschriften überprüft Verf. ein Vorurteil der Juristen gegen H., das seiner Meinung nach vornehmlich auf einer Formulierung aus den von Gans redigierten Zusätzen zu den Grundlinien der Philosophie des Rechts basiert, in der die Strafe als „Negation der Negation des Rechts" bezeichnet wird. — Aktualität gewinnt H. für Verf., weil er in seiner Rechtstheorie den Abschreckungsgedanken durch den Maßstab des Wertausgleichs begrenzt: „die generalpräventiv begründete Strafe darf auf den Täter nicht über die Quantität des zugefügten Anerkennungsverlusts hinaus Zurückschlagen".

esszerü ällamjog. Kritikai es megbekeles-mozzanatok Hegel politikai iräsaiban [Das vernünftige Staatsrecht. Kritische und Versöhnungsmomente in Hegels politischen Schriften]. — In: Magyar Filozöfiai Szemle. Budapest. 29 (1985), 698-718. SIMON, FERENC: AZ

H. s Versöhnungsbegriff ist eine Folge des falschen Moments seiner idealistischen Dialektik. Die Versöhnung zwischen dem Vernunftsideal und der Wirklichkeit entfaltet sich in seiner Berliner Periode. Im Maße es H. deutlich wird, daß sich die Wirklichkeit nicht verändern läßt und der Philosoph nicht in den Lauf der Welt eingreifen kann, entfaltet sich seine ontologisch falsche Methodologie.

Genese et structure d'une remarque critique de Hegel sur la construction kantienne de la matiere dans la Science de la Logique. - In: Archives de Philosophie. Paris. 48 (1985), 401-419. STANGUENNEC, ANDRE:

Die kritische Lektüre der Konstruktion der Prinzipien der kantischen Dynamik wird von Schelling und H. durch die Entwicklung des Konzepts der spekulativen Konstruktion beigesteuert. ln einer Bemerkung im ersten Buch der Logik von 1812 hat H. seine Position definitiv ausgedrückt, selbst wenn der Text in der zweiten Auflage zu einer größeren Treue hinsichtlich der kantischen Epistemologie zurückgeführt worden ist. Inkonsequenterweise scheint Kant auf sein Projekt der Konstruktion des synthetischen Apriori zu verzichten, um sich mit der Tatsache einer Analyse des Aposteriori zu begnügen, die gleichsam wie eine authentische Dialektik von Anziehung—Abstoßung in nichtbewußter Weise durch seine Schrift entsteht. Die Struktur der H. sehen Kritik, das heißt, seine Methode im Sinne von V. Goldschmidt und M. Gueroult, bewirkt eine Verschiebung des Konzepts der Konstruktion, die den Bruch der philosophischen Methode zwischen Kant und H. bescheinigt.

Max Stirner as Hegelian. — In: The Journal of the History of Ideas. New York, N. Y. 45 (1985), N. 4, 597-614. STEPELEVICH, LAWRENCE S.:

Verf. will beweisen, daß Max Stirner (1806-1856) ein ständiger Schüler H. s war, der seinen Ausgang vom Konzept des absoluten Wissens nahm, wie es in der Zusammenfassung der Phänomenologie gefunden wird. Vorhergehende Versuche, die Auffassung von Stirners Hauptwerk: Der Einzige und sein Eigentum (1845) zu verstehen, waren nicht erfolgreich in ihrem heterogenen Weg, entweder vom historischen oder politischen Standpunkt aus mit Hegels Phänomenologie oder mit nicht von Hegel beeinflußten Überlegungen zusammengestellt worden zu sein. Wie Marx' Polemik gegen Stirner zeigt, wurde Stirners individualisti-

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BIBLIOGRAPHIE

scher Hegelianismus zuerst erkannt als eine ethische Alternative zu Marx' synkretischem Kollektivismus. Sie bleibt es noch als eine konsistente ethische Haltung für einen „praktischen" Hegelianer.

Eine neue Quelle zu Hegels Berliner Vorlesungen. Mitteilung über einen Fund. - In: Hegel-Studien. Bonn. 20 (1985), 121-123. STARK, WERNER:

Leib und Leben. Zum Hegel-Nietzsche-Problem. - In: Hegel-Studien. Bonn. 20 (1985), 173-198. STEGMAIER, WERNER:

W. A.: Marx, Hegel and „Contradiction". - In: Philosophy of the Social Sciences. Toronto, Aberdeen. 15 (1985), 405—432. SucHTiNG,

El litigo entre dos concepciones de la critica: Hegel y Kant [Der Gegensatz zweier Konzeptionen der Kritik: Hegel und Kant]. — In: Revista de Filosofia. Sevilla. 2 (1985), 125—131.

TRIAS, EUGENIO:

Während Verf. im ersten Teil H. s Kritik der Kantischen Konzeption der Begrenzung der Erkenntnis, damit der Grenze überhaupt untersucht und die Phänomenologie des Geistes als konsequente Durchführung dieser Kritik darstellt, widmet er den zweiten Teil des Artikels einer Unterscheidung Kants, die H. „nicht kennt oder ausstreicht": den Unterschied zwischen Denken und Kennen. So wendet er die Kritik auf Kants Spuren gegen H. zurück: Die unmögliche Grenzwissenschaft von der Grenze, die kritisch und methodisch verstandene Metaphysik könne strenggenommen nur „Doxologie" sein.

WASZEK, NORBERT:

Hume, Hegel, and history. — In: Clio. Fort Wayne. 14

(1985), 379-392. This article brings together and evaluates the evidence of H.'s early reading of Hume, then discusses the allusions and references to David Hume in H.'s early manuscripts, and culminates in an interpretation of fhe fragment „Hume as a historian ..." (Rosenkranz, 1844, 529 ff).

Adam Smith and Hegel on the pin factory. — In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 16 (1984/1985), 229—233. WASZEK, NORBERT:

Diese Miszelle vergleicht die sieben Stellen in H. s Schriften und Vorlesungsnachschriften, die Adam Smith' Beispiel der Arbeitsteilung, die Fabrikation von Stecknadeln, aufgreifen und verarbeiten. Aus dem Grad der Präszision, den H. s Zitat bzw. Anspielung aufweist, versucht der Autor, Rückschlüsse auf die Daten der H. sehen Smith-Lektüren zu ziehen.

Hegels Exzerpte aus der „Edinburgh Review" 1817—1819. Mitgeteilt und erläutert. — In: Hegel-Studien. Bonn. 20 (1985), 79-112. WASZEK,

NORBERT:

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A stage in the development of Hegel's theory of the modern state. The 1802 excerpts on Bonaparte and Fox. — In: Hegel-Studien. Bonn. 20 (1985), 163-172. WASZEK, NORBERT:

Dialectic and intersubjectivity. - In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 16 (1984/1985), 39-54.

WESTPHAL, MEROLD:

H.'s dialectic is a „transcendental holism" insofar as its phenomenological exposition shows forth the conditions under which experience is possible, its logical exposition the conditions under which thought is possible, and its ontological exposition the conditions under which the world is possible. All three of these aspects necessarily involve a „social praxis", which means that all knowing and all being have an inextricably intersubjective dimension. The dialectic of this intersubjectivity must eventually lead to increasing rationality and unity, to the development of virtue, and to the ethical and political amelioration of the World (in spite of H.'s several famous warnings that philosophy ought not to try to make the world into what it thinks the world ought to be).

Der Begriff des Krieges bei Hegel. [Koreanisch.] — In: Hegel-Studien. Seoul. 2 (1985), 136-182. WHANG, TAE-YUN:

Orgasmic idealism: A Hegelian entertainment. - In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 16 (1984/1985), 236-242.

WHITE, ALAN:

Nothing that the final paragraph in the PhG „Phrenology" section mentions only two of the three major functions of the uro-genital organ in higher animals and further nothing that Findlay in his commentary on that section mentions only different two of the three, Verf. proceeds to probe the text for an underlying metaphor that H. failed to develop and perhaps even to recognize. The result of the author's Investigation is a skillfully wrought Satire. And, as with every instance of truly H. ian comedy, the butt of the final joke is Schelling.

C.: The need of philosophy and its satisfaction: Speculative thought in Hegel and Whitehead. - In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 17 (1985/1986), 31-39. WHITTEMORE, ROBERT

Für H. and Whitehead wird die Notwendigkeit von Philosophie deutlich, wenn der Gedanke ein unabhängiges und externes Objekt fordert. Die Überwindung dieser Dichotomie von Denken und Natur ist erreicht, wenn Spekulation, im Gegensatz zur Reflexion, zu der Einsicht gelangt, daß die Realität ein Prozeß ist, ein „Werden einbegriffen in einem Produzieren". Die beständige Vitalität beider Systeme des Denkens ist in ihrem offenen Charakter zu finden, in ihrem Vertrauen in die spekulative Vernunft und ihre „transzendentalen Schemen".

Hegel and transcendental philosophy.—In: The Journal of Philosophy. New York, N. Y. 82 (1985), 595-606. WILLIAMS, ROBERT R.:

Verf. vermutet, daß Hegels Konzept des Geistes nicht - wie in der transzendentalen Philosopie - auf einer problemfreien transzendentalen Region basiert. Diese beruht auf einer

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BIBLIOGRAPHIE

radikalen und realen Unterscheidung zwischen empirischem und transzendentalem Bewußtsein. Stattdessen geht H. von dem normalen Bewußtsein als dem initiierenden Punkt des spekulativen Gedankens aus. Dieses initiierende Bewußtsein wird, obwohl es spekulative Elemente enthält, zurückgelassen in der phänomenologischen Entwicklung.

Hegel and Whitehead als categorical thinkers.—In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 17 (1985/1986), 41—53. WILLIAMS, ROBERT R.:

Verf. vergleicht die Philosophie von Whitehead und H. Zwar stimmt das philosophische Projekt der Denker weitläufig in „kategorialer Analyse und Kritizismus" zusammen. Trotzdem differieren sie in der Frage, was eine Kategorie konstituiert. Der Verf. erwartet von der fundamentalen Intention ihrer philosophischen Schlüsse, daß der Zusammenstoß beider Denker eine Gelegenheit erneuter Anstrengung in kategorialer Analyse liefert, die H. s Logik und Whiteheads post-Newtonsche Kosmologie synthetisiert.

Das unendliche Urteil. Zur Interpretation eines Kapitels aus Hegels „Wissenschaft der Logik". — In: Zeitschrift für philosophische Forschung. Meisenheim/Glan. 39 (1985), 85—100. WoHLFART,

GüNTER:

Verf. weist anhand der Interpretation des Kapitels über das unendliche Urteil in der Wissenschaft der Logik auf die Bedeutung der Sprache für die spekulative Methode der Logik hin. - Bei dem Aufsatz handelt es sich um die Summe des zweiten Teils der Habilitationsschrift des Verf.: Der spekulative Satz. Bemerkungen zum Begriff der Spekulation bei Hegel. Berlin; New York 1981.

Le dialogue Hegel-Spinoza; sa structure logique et sa voix humaine. — In: Les Cahiers de Fontenay. N.s 36—38. Paris 1985. 103-113. YOVEL, YIRMIAHU:

Par sa critique bien connue (manque de logique dialectique, de vie et d'esprit, acosmisme), H. vise ä conserver la totalite absolue de Spinoza, non plus comme existant d'avance et eternellement, mais comme se produisant elle-meme dans le procäs temporel de Thistoire. La logique dialectique voit dans la substance spinoziste en tant que causa sui une totalite organique. Elle la rapproche ainsi de Tunite de Vego kantien, interpretäe comme structure autoparticularisatrice ä laquelle celle de l'objet est fondamentalement identique ; eile foumit ainsi la mediation entre Spinoza et Kant {Versöhnung et Aufhebung). Profondement liee ä la „doctrine d'un Dieu devenant", eile apporte „une validation rationnelle" ä „Tanthropomorphisme" du „mythe du fils de Dieu" et implique une teleologie immanente, toutes choses incompatibles avec, chez Spinoza, la logique non dialectique „des aspects compl6mentaires du meme" et „la rationalite de type causal". Cette incompatibilite H. Spinoza s'explique dans une certaine mesure par les differences de leurs racines culturelles : l'un est „un philosophe Protestant hetörodoxe", Tautre „un juif ex-marrane häretique" (disciple notamment de Maimonide) depouillant Dieu de toute dimension trinitaire et anthropomorphique. Bien que Spinoza ait precede H. dans le rejet d'une methode a priori en philosophie, son immanence est inconciliable avec celle de H., et se retrouvera — diversement — chez Marx et chez Nietzsche.

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ZucAL, SILVANO: L'ambiguitä prometeica dell' „escatologia" hegeliana. He-

gel neU'interpretazione teologica di Hans Urs von Balthasar [Die prometheische Zweideutigkeit der Hegelschen „Eschatologie". Hegel in der theologischen Interpretation von H. U. v. B.]. - In: Verifiche. Trento. 14 (1985), 211-256. Verf. gibt eine Darstellung der Auseinandersetzung des Schweizer Theologen von Balthasar mit H., wie er sie im ersten Band seiner Apokalypse der deutschen Seele vorgelegt hat. Obwohl bei H. die Grundbegriffe einer christlichen Eschatologie in der Zentralstellung der Negation und der „Aufhebung" zu finden sind (Tod und Auferstehung, Gericht und Verklärung), erweist sich H. s Denken als eine Gnosis der List der Vernunft, als ein prometheischer Idealismus, in dem die Eschatologie weltlich und immanent, menschlich-„allzumenschlich" bleibt.

Nachträge aus früheren Berichtszeiträumen

Wybrane problemy Przedmowy do Heglowskiej „Fenomenologii ducha". Ksztaltowanie sie koncepcji filozofii [Ausgewählte Probleme des Hegelschen Vorworts zur „Phänomenologie des Geistes". Die Herausbildung der Philosophiekonzeption]. - In: Wokoi Przedmowy do Fenomenologii ducha G. W. F. Hegla [Um die Vorrede zu Phänomenologie des Geistes G. W. F. Hegels] . . . Acta Universitatis Wratislaviensis. N. 711. Prace Filozoficzne XLI. Historia Filozofii 2. Wroclaw 1984. 61-70. ADAMSKI, ZBIGNIEW:

Verf. stellt die Probleme aus dem Vorwort zur Phänomenologie des Geistes dar und die sich daraus ergebenden weiterführenden Fragen nach der Entwicklung der philosophischen Systeme in Bezug auf den Geist ihrer Zeit, die Frage nach der substantiellen Seite der Wahrheit (Bewegung, Veränderlichkeit, Überwindung der Entfremdung), die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem wissenschaftlichen Denken und dem Selbstbewußtsein des Subjekts und die Frage nach der Rolle der Negativität im Verhältnis zur Wahrheit. Verf. vertritt die These, daß die Negativität die Natur der Wahrheit ausmacht. Sie ist eine den doppelten Prozeß des Werdens vereinende Gesamtheit. Diese Bewegung macht die Erkenntnis aus und führt zu einem unabdingbaren Ergebnis. Die Methode jedoch erwächst daraus und wird durch deren wesentliche Momente bestimmt.

Marks i metafizyka Hegla [Marx and Hegel's metaphysics]. — In: Studia Filozoficzne. Warszawa 1983, N. 3, 57— 64. ALEKSANDROWICZ, DARIUSZ:

In the first part of the article, the author considers the question in what sense Marx is not a continuator of post-Kantian tradition in the German philosophical thought. He lays emphasis on the problem, central to this tradition, of the identification of objective language and metalanguage (or the problem of „objectivity" and „subjectivity"). In this way, he arrives at arguments against that interpretation of the problem of Marx's relation to H. which derives from Lukäcs' Inspiration of the Frankfurt School. The second part deals with those elements of Marxian thought in which some assumtion of Hegelian metaphysics are present. These are, in particular, questions relative to the Marxian conception of the construction of theories.

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BIBLIOGRAPHIE

Bildung et Bildungsroman. — In: Temps de la reflexion. Paris. 1983, N. 4, 141-159. BERMAN, ANTOINE:

La Bildung allemande doit dtre consideree comme la derni&re figure de la „culture"; eile n'est dominante que de 1770 ä 1840 environ. D^signant le processus de formation dans son intimit^, la Bildung est interpr^tee par H. (et par le dernier Goethe) avant tout comme elevation pratique de Tindividu ä l'universel. Plus generalement et speculativement, eile est pour lui, comme pour tout l'idealisme allemand, le devenir-esprit de l'esprit par retour ä soi ä partir de l'alterite, de l'etrangete du monde, laquelle savfere etrangete de l'individu ä soimdme et se supprime: d'oü le thdme de la Bildung comme voyage (Goethe, etc.), comme „grand tour" (F. Schlegel). „Über-Setzung", la Bildung sera ainsi „Übersetzung" (traduction), philo-logie, et donc „Bildsamkeit" (formabUite), enracinee dans la faculte — reine Einbildungskraft. La Bildung trouve son „Urbild" en s'ouvrant au „Vorbild" de l'Antiquite classique, avant de retrouver ses propres racines germaniques (v. p. ex. les Grimm). L'art de la Bildung s'incarne avant tout dans la forme litWraire du Bildungsroman, „voyage initiatique" tres organise, „trajectoire ideale d'un personnage ideal dans un monde ideal". L'auteur s'arrete en particulier sur le Nachsommer d'A. Stifter (1857), oü „la Bildung jette ses demiers feux", pour l'admiration de Nietzsche. L'auteur evoque enfin le processus de sa d^composition et de son effondrement, la tentative de la faire revivre (Th. Mann, H. Hesse), et la nostalgie suscit^e par la disparition de cette culture ouverte ä Tautre et non pas sur Tautre, comme Tavait ^te le classicisme francais.

C. FRANCISCO: Heidegger, 1916-1921. Hegelianismo y Filosofia Medieval en los origenes del pensamiento heideggeriano [Heidegger, 1916—1921. Hegelianismus und mittelalterliche Philosophie in den Ursprüngen des heideggerschen Denkens]. — In: Cuadernos de Filosofia. Buenos Aires. 19 (1983), N. 30/31, 135-154. BERTELLONI,

Verf. versucht, durch eine historisch-kritische Darstellung Heideggers Denken zwischen den Jahren 1916-1921 zu rekonstruieren. Er verfolgt dabei das Ziel, den Zeitpunkt zu bestimmen, von dem an Heidegger die eigentliche Form seines Denkens gewonnen hat, und einige Züge seiner reifen Philosophie in den Schriften dieser Jahre zu analysieren. Vorwort und Schluß der Habilitationsschrift über Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus, die Vorlesungen zwischen 1919—1920 und ein Brief an den Theologen Krebs werden als Hauptdokumente einer Entwicklung herangezogen, in der u. a. H.s Programm einer Geschichte der Philosophie im Sinne der Überwindung eines „bloßen Buchstabierens" der Wirklichkeit und eines „Durchbruchs in die wahre Wirklichkeit und wirkliche Wahrheit" aufgenommen in Richtung einer Interpretation der Faktizität des Daseins weitergedacht wird.

Prawda jako byt w totalnosci [Die Wahrheit als Existenz in der Totalität]. — In: Woköi Przedmowy . . . Wroclaw 1984. 7-15. BOROWICZ-SIEROCKA, BEATA:

Verf. versucht, das Wahrheitsproblem in der H. sehen Vorrede zur Phänomenologie des Geistes zu rekonstruieren. Die Wahrheit ist als die das traditionelle Gebiet der Epistemologie überschreitende Kategorie bestimmt. Sie erhält ontologische Qualität und wird damit zur Totalität der Existenz. Somit legt sie das Ziel und die Entwicklungsrichtung des Geistes fest, der hier mit dem gesellschaftlichen Bewußtsein, mit dem überindividuell aufgefaßten Menschen gleichgesetzt wird. Die Wahrheit ist soweit real, wie sie dem Geist als Erzeugnis seiner eigenen Aktivität bewußt wird. In einer so verstandenen Wahrheit realisiert sich die Freiheit.

Abhandlungen zur Hegel-Forschung / Nachträge

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Aber gleichzeitig ist dieses Moment, das den Herausbildungsprozeß der Wahrheit krönt, die Aufhebung aller sie konstituierenden Momente, eine Aufhebung der historischen Zeit und der Dynamik der logischen Struktur.

Od fenomenologii ducha do fenomenologii nienawisci [De la phenomenologie de l'esprit ä la phänomenologie de la haine]. — In: Archiwum Historii Filozofii i Myöli Spolecznej. Warszawa. 29 (1983), 95-112. BUKOWSKI, JERZY:

La Philosophie de Sartre prösente des affinitös avec la philosophie de H. dans tous ses points principaux, et en particulier dans la fa^on de considärer les rapports: Moi - les Autres. En les döfinissant comme conflictuelles, Sartre interpröte la röflexion högölienne sur le maitre et l'esclave de maniöre sans doute arbitraire, mais l'influence du penseur allemand reste övidente. Les principes ontologiques ont pousse les deux penseurs dans deux directions differentes, mais incontestablement les distinctions du systöme conceptuel begehen ont repris la vie dans la philosophie de Sartre.

Hermeneutic Hegelianism. — In: Idealistic Studies. Worcester. 15 (1985), 121-136.

BUTLER, CLARK:

Verf. unterscheidet drei Arten, H. zu interpretieren: 1. die „panlogischen" Formen, wie sie z. B. E. Gilson repräsentiert, die neuplatonischen Interpretationen wie die von J. N. Findlay und die hermeneutische Interpretation. Für letztere setzt der Verf. sich ein. Er versteht die Auslegung des Hegelianismus als „empathische Rekonstruktion der historischen Dialektik kosmischen Selbstverständnisses". Diese Interpretation wird mit den Positionen von Herder, den marxistischen Auffassungen und denjeiügen von Rawl und Nozick verglichen.

L'immagine romantica della Madonna nella „Estetica" di Hegel [Das romantische Bild der Madonna in der Ästhetik Hegels]. — In: Studia patavina. Rivista di scienze religiöse. Padova. 31 (1984), N. 1, 159-167. CEPPA, LEONARDO:

Verf. rekonstruiert die Darlegung der Figur der Madonna in H. s Ästhetik. Als prototypische Gestalt der romantischen Liebe und der religiösen Innerlichkeit in ihren Entzweiungen und Paradoxien wird Maria zum ästhetischen Objekt und beliebten Thema der Malerei und so zum Bild des Geistes, wenn auch zu einem ungenügenden.

Knowing and changing. - In: Philosophia. Jerusalem. 12 (1983), N. 3-4, 283-298. CHERRY, CHRISTOPHER:

An attempt by an analytic philosopher to use H. as the basis to distinguish two epistemological prototypes; (a) with a subject of change and hence without a connection between changing and knowing, and (b) without such a subject and hence with such a connection. Cherry comments snidely on a few selected epistemological passages from Baillie's translation of the Phänomenologie des Geistes, and does not even consult the original German text. He ist quite gratuitous with his anti-Hegelian invective, e. g., saying that one could not easily be less interested in specifics than was H.

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BIBLIOGRAPHIE

Ipocrisia e dialettica [Heuchelei und Dialektik]. - In: Verifiche. Trento. 9 (1980), 343-376. CHIEREGHIN, FRANCO:

Von einer kritischen Einstellung zur Dialektik aus analysiert Verf. den komplexen Zusammenhang zwischen Heuchelei und moderner Subjektivität. Nach einem Abriß der semantischen Wandlungen des Begriffes der Heuchelei von Homer über Plato bis zur Neuzeit erscheint H. als derjenige, der diese Wandlungen registriert und ihre spekulative Bedeutung in der Evolution des Subjektivitätsprinzips deutlich macht. Der Verf. interpretiert von dieser Perspektive aus das Kapitel über das Gewissen in der Phänomenologie und den Übergang von der Moralität zur Sittlichkeit in den Grundlinien: Die Heuchelei entlarvt die Widersprüche und führt zur Überwindung des subjektiven Standpunktes. Vor dem Hintergrund der Entwicklungen des zeitgenössischen absoluten Subjektivismus, der als Nihilismus und paradoxales Erlöschen des Subjekts nichts anderes als eine neue Form der Heuchelei ist, sollte heute wieder vom Subjekt als energeia der Intelligenz ausgegangen werden.

Die Unendlichkeit des Selbstbewußtseins bei Hegel. [Koreanisch.] — In: Hegel-Studien. Seoul. 1 (1984), 103—127. CHOE, JAE-KEUN:

E.: Whitehead's „prehension" and Hegel's „mediation": Parallel dynamical concepts at the Service of different methodologies. — In: The Review of Metaphysics. Washington, D. C. 38 (1984), 341-374. CHRISTENSEN, DARREL

The first ten pages trace the differences between H. and Whitehead, but then Christensen begins to argue, that if we take prehension as a sort of abstraction (which Whitehead says is indispensable to thought), then H.'s „mediation" may serve a similar systematic function, mutatis mutandis, even though the end of mediation is a concrete actuality (truth as the whole) in a sense quite different from anything that Whitehead may have had in mind. In other words, Hegelian „concreteness" and Whiteheadian „concrescence" are not nearly so similar as their common etymology may indicate.

Die geistesgeschichtliche Bedeutung der junghegelianischen intellektuellen Bewegung. [Koreanisch.] — In: Hegel-Studien. Seoul. 1 (1984), 176-209. CHUNG, MOON-KIL:

Verf. will die historisch-theoretische Entwicklung der junghegelianischen Bewegung mit besonderer Berücksichtigung ihrer kritischen Absicht gegen ihre Zeit als Ganzes überschaubar machen. Danach wird die gesamte Entwicklungsphase dieser Bewegung in drei Abschnitte unterteilt: 1. die Kritik der Religion (deren Endresultat die unwiederbringbare Spaltung der H. sehen Schule mit sich brachte), 2. die Kritik der politischen Zustände in den Hallischen und Deutschen Jahrbüchern und 3. die erneute Entfachung der Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Parteien der junghegelianischen Schule, die schließlich die Auflösung der Bewegung in verschiedene kritische Richtungen zur Folge hatte.

Dialectique et theorie economique. — In: Cahiers d'economie politique. Paris. 8 (1982), 97—105. COLLIOT-THELENE, CATHERINE:

Verf. diskutiert die Intentionen von Henri Denis (L'economie de Marx, histoire d'une ichec. Paris 1980), die Marxsche Ökonomie auf ihre H. sehe Basis zurückzuführen, um die Theorie

Abhandlungen zur Hegel-Forschung / Nachträge

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des Wertes und des Kapitals dialektisch zu rekonstruieren. Sie widerlegt die Möglichkeit, die H. sehen Kategorien in den ökonomischen Diskurs zu „applizieren"; Die Verwurzelung der Marxschen Unterscheidung zwischen Wert und Wechselwert im Maßkapitel der H. sehen Logik läßt z. B. ihren Sinn aber auch ihre Grenze erkennen. Der Marxsche Wert ist in diesem Rahmen das Analoge der Realität, die am Ende des zweiten Kapitels des Abschnittes für das Maß erscheint. Die Pertinenz dieses H. sehen Modells in dem Marxschen ökonomischen Diskurs wird vom Verf. in Frage gestellt. Die H. sehe Metaphysik kann auch nach der eigenen Intention nicht als konkrete empirische oder positive Theorie verwendet werden. Die Schwierigkeiten der Marxschen Theorie sind eher von der soziologischen Seite her zu lösen, nicht durch eine dialektische Interpretation oder durch Begriffe wie Ware und Wert

Hegel, Marx, and Wittgenstein. — In: Philosophy and Social Criticism. Chestnut Hill, Mass. 10 (1984), N. 2, 49— 74. COOK, DANIEL].:

Cook argues against the revisionist view of von Wright, Easton, Lamb, Rubinstein, et al., and in favor of Wittgenstein's own self-assessment, by holding that whatever points of agreement or instances of common purpose are alleged to exist between Wittgenstein and H. and/or between Wittgenstein and Marx cannot in fact be philosophically significant. On the contrary, the similarities between Wittgenstein and H./Marx are represented only in isolated curiosities or as illusions and not in any strongly systematic or thematic way in terms of a common methodology, epistemology, or „Weltanschauung".

Jacobi. La plentitud simbolica del silencio [Jacobi. Die symbolische Fülle der Stille]. — In: Annuario filosöfico. Pamplona. 17 (1984), N. 1, 127-145.

CRUZ CRUZ, JUAN:

Während in Eleusis der junge H. die Ruhe, die Nacht, das Unendliche, das Vergessen und das Anschauen als Symbole des Erhabenen in einer pantheistischen Sicht gebraucht, wird der spätere H. — der lieber Licht- und Tagmetapher anwendet, und der den Begriff höher als jede Kontemplation schätzt — das Jacobische Unsagbare als unbedeutend und unwahr kritisieren. Anhand einiger Stellen aus Heideggers Unterwegs zur Sprache zeigt der Verf. die Aktualität der Jacobischen Thematisierung der geistigen Stille.

Heglowskie ujecie absolutu w „Przedmowie" do „Fenomenologii ducha" [Die Hegelsche Auffassung des Absoluten im Vorwort zur „Phänomenologie des Geistes"]. — In: Wok^ Przedmowy . . . Wroclaw 1984. 71-79. DEHNEL, PIOTR:

Im „Vorwort" zur Phänomenologie des Geistes wird der Bruch mit der Philosophie Schellings deutlich. Für Schelling ist das Absolute eine unmittelbare Identität, und das Wissen, das zu ihm führt, kann nicht auf begrifflichem Weg erlangt werden, sondern ist eine Art unmittelbarer Intuition, eine „intellektuelle Anschauung". Im „Vorwort" wird diese Auffassung des Absoluten kritisiert. Die Kritik entsteht aus der H. sehen Konzeption der Substanz als Gegenstand, in der das Absolute historisch durch eine schrittweise Entwicklung des Begriffs eingeführt wird. Die Konzeption der Substanz als Gegenstand ist die Konzeption des Absoluten als Prozess, Überleitung, wo die Veränderung des „Seins an sich" in das „Sein für sich" erfolgt. Deshalb kann auch das Wissen um das Absolute nicht ein unmittelbares Wissen der intellektuellen Intuition bleiben, sondern muß eine rational-begriffliche Erkenntius werden. Daher ist die wirkliche Existeitzform des Absoluten für den Autor der Phänomenologie des Geistes ein wissenschaftliches System, ein Begriff, nicht aber, wie in der Philosophie Schellings, die Kunst.

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BIBUOGRAPHIE

Hegel et la reformation de la Science economique. — In: Cahiers d'economie politique. Paris. 8 (1982), 107—117.

DENIS, HENRI:

Hinsichtlich einer Erneuerung der ökonomischen Wissenschaft und bezüglich des Bedürfnisses nach einer philosophischen Reflexion über ihre Themen und Kategorien bieten H. s Grundlinien und Marx' Grundrisse zwei wichtige Orientierungspunkte. H. s Keim einer Theorie des Wertes wird auch aufgrund des Maßkapitels der Logik kurz problematisiert, ebenso H. s System der Bedürfnisse und der Interessen in der bürgerlichen Gesellschaft. Dabei erhellt, daß die Marxschen Grundrisse in vielen Hinsichten H. s Grundlinien weiterführen und daß die H. sehen Ansätze in der heutigen Diskussion über die gesellschaftlichen Modelle noch aktuell sind.

A.: The logic of theology since Hegel. — In: Dionysius. Halifax. 7 (1983), 129-136. DOULL, JAMES

Verf. referiert H. s Position im Rahmen der Theologiegeschichte des 19. Jahrhunderts. H. habe es für unsinnig erklärt, eine wahre Religion unabhängig von einer wahren weltlichen Institution zu fordern. Die von ihm angezielte Versöhnung der Freiheit des einzelnen mit der objektiven und allgemeinen Vernunft der Institutionen ist jedoch wenig später durch die Revolution zerstört worden. Mit dem Ende der Revolution sieht der Verf. auch die Möglichkeit einer geordneten weltlichen Freiheit gekommen.

Le sentiment de culpabilite d'apres la psychologie, la litterature et la philosophie moderne. — In: Nova et Vetera. Geneve. 59 (1984), 271-297. ELDERS, LEON:

Verf. stellt das Thema des Schuldgefühls in der Literatur und in der Psychologie und Psychoanalyse dar, darunter auch H. s Theorie der Sünde in der Phänomenologie und in der Religionsphilosophie (284 f). Verf. behauptet, daß H. ein dialektisches Schema dem moralischen Leben appliziert, die Sünde sowie das Schuldgefühl zu einer ontologischen Struktur reduziert und das moralische Böse auf das Niveau des gesellschaftlichen Lebens verlagert. Dadurch wäre H. s Theorie im Grunde pantheistische Inspiration. Gegen die allgemeine Tendenz, sich des Schuldgefühls zu entledigen, plädiert Verf. für eine Rückkehr zum Bewußtsein der persönlichen moralischen Verantwortung und für einen christlichen Optimismus.

Acerca de la lögica de la Fenomenologia de 1807 [Zur Logik der Phänomenologie von 1807]. - In: Revista Venezolana de Filosofia. N. 18. Caracas. 1984. 101 — 135. FULDA, HANS FRIEDRICH:

Übersetzung aus: Hegel-Tage Royaumont 1964. Bonn 1966. (Hegel-Studien. Beiheft 3.) 75-101.

On the war path and beyond: Hegel, Freud and Feminist Theory. - In: Hypatia. Oxford. 1 (1983), 565 -572. FUCHS, JO ANN PILARDI:

Verf. überprüft kritisch H. s und Freuds Theorien über die Natur des Krieges. Die Überprüfung führt zu einem Brennpunkt über H. s Verständnis des Staates als eines „Individuum" und zu Freuds „Todestrieb". Die aktuellen feministischen Theorien, wie sie in den Werken von Gilligan, Chodorow und Benjamin vertreten sind, werden zitiert als Beispiele „the-

Abhandlungen zur Hegel-Forschung / Nachträge

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rapeutischer" Studien, die H. s „Metaphysik der Trennung" und Freuds „patriarchalischem Eros" überlegen sind. Während diese Theorien letztlich den Krieg rechtfertigen, kann die feministische Theorie als Versuch verstanden werden, das Individuum und den Eros in einer nicht-gegensätzlichen Weise zu redefinieren.

La relacion de la dialectica Hegel-Marx y SU Inversion [Das Verhältnis der Hegelschen und Marxschen Dialektik und ihre Umkehrung], — In: Franciscanum. Bogota. 25 (1984), N. 76, 41-53. GIL OLIVERA, NUMAS ARMANDO:

Der Verf. analysiert hauptsächlich die H. sehe Phänomenologie und vergleicht ihre wichtigsten Stellen mit der Marxschen Interpretation. Die Problematik der Arbeit, der Entfremdung, des Kampfes zwischen Herrn und Knecht sowie die Darstellung der Geschichte im sechsten Kapitel bieten die Hauptthemen für die Marxsche Auseinandersetzung mit der H. sehen Dialektik und für ihre politische Umkehrung durch eine Verhefung der theologisch-anthropologischen Krihk Feuerbachs: die für H. schon beendete Geschichte setzt sich bei Marx im Klassenkampf fort, dessen Ziel ihre wahrhafte Vollendung ist.

De la societe civile ä l'Etat: l'irruption de l'inegalite. — In: Philosophiques. Ottawa. 11 (1984), N. 2, 373—387. GIROUX, FRANCE:

Das Studium der Passage von dem Zustand der bürgerlichen Gesellschaft in der polihschen Philosophie H. s enthüllt einen Einbruch von zwei Formen der Ungleichheit: einer politischen (zwischen den Subjekten und den Gesetzgebern) und einer sozialen (zwischen den Einbezogenen und den Ausgeschlossenen der Erklärung der universalen Rechte des Menschen, wobei die Ausgeschlossenen der Arbeiterklasse von Marx gleichen). Andererseits erlaubt die Analyse der Diagnose, wie sie H. über die französische Revolution gibt, nicht nur die These H. s zwischen der von Platon und Rousseau anzusiedeln, sondern auch die Inadäquatheit vorschneller Urteile über die Philosophie H. s festzustellen, wie: die Philosophie sei liberal oder konservativ.

N.: La cancelaciön hegeliana de la fitica: origen y consecuencias [Die Hegelsche Tilgung der Ethik. Ursprung und Konsequenz]. — In: Revista Latinoamericana de Filosofia. Buenos Aires. 10 (1984), N. 3, 231-253. GUARIGLIA, OSVALDO

Verf. vergleicht die H. sehe und die traditionelle Terminologie über Moralität und sittliches Leben. Er vertritt die These, daß H. den Bereich des Moralischen unangemessen auf die Kantische Moralität beschränke, wobei diese bloß als eine subjektive verstanden wird. Damit werde die vermeintliche Überwindung der subjektiven Moralität in Wirklichkeit zu einer Tilgung aller möglichen Ethik und bilde sich in eine Religions- oder Geschichtsphilosophie

Hegel et la vengeance. - In: La vengeance. Etudes d'ethnologie, d'histoire et de philosophie. Ed. par G. Gourtios. T.4: La vengeance dans la pensee occidentale. Paris 1984. 203-217. GUINLE, JEAN-PHILIPPE:

In Der Geist des Christentums und sein Schicksal hebt H. die Rache dadurch auf, daß er das Verbrechen sich in Nächstenliebe verwandeln und den Beleidigten auf die Rache verzichten

294

BIBUOGRAPHIE

läßt. Im System der Sittlichkeit sucht er die Lösung im Kampf ums Leben, von dem er die Versöhnung des Verbrechers mit der Totalität des Lebens erwartet. In den Grundlinien erkennt er, daß die Rache wie das Verbrechen nichts als die Verallgemeinerung eines Besonderen sind und daher einen Widerspruch bilden. Dieser kann nur auf der Ebene der Rechtsprechung aufgehoben werden, da mit dieser das wahre Allgemeine erreicht ist.

Über die Methode der Hegelschen Philosophie. [Koreanisch.] — In: Hegel-Studien. Seoul. 1 (1984), 17—45. HAN, DAN-SUK:

Hegels Metaphysik in Jena. [Koreanisch.] — In: HegelStudien. Seoul. 1 (1984), 256-277. HAN, DONG-WON:

Hegel and the Gnostik Tradition. I. - In: Philosophical Studies. Dublin. 30 (1984), 23—48. HANRATTY, GERALD:

Verf. gibt einen Einblick in die gnostischen Traditionen, die für H. bestimmend werden, die chiliastische Tradition (Joachim von Fiore) und die mystische Tradition (Eckhart, Boehme und die Kabbala).

Pan i shiga a konstytucja podmiotu historycznego [Herr und Knecht und Konstitution des geschichtlichen Subjekts]. Aus dem Deutschen übers, von Krystyna Krzemieniowa. — In: Czlowiek i Swiatopoglad. Warszawa. 1984, N. 6, 36-45. HOLZ, HANS HEINZ:

Polnische Übersetzung des erstmals 1968 erschienenen Aufsatzes. Verf. analysiert die Metapher vom Herr-Knecht-Verhältnis auf dem Hintergrund der H. sehen Überlegungen in der Phänomenologie des Geistes und der Philosophie des Rechts und erwägt ihre Nützlichkeit für die Beschreibung des Klassenkampfes.

Selbsterfahrung und Erfahrung des Selbst. Ein Denkgang mit Hegel. — In: Archiv für Religionspsychologie. München. 16 (1983), 269-281. HOLZLEITNER, MANFRED:

Verf. berührt einige Themen in H. s Begriffen des Selbstbewußtseins, der Freiheit und der Dialektik und stellt dabei eine mögliche ünterscheidung von Philosophie und Theologie vor, in deren Mittelpunkt jeweils das Verständnis des Menschen steht. Die Philosophie verwahrt die Menschlichkeit des Menschen unter der Bedingung der Gottlosigkeit, während die Theologie die Menschlichkeit des Menschen aus der Göttlichkeit anmahnt.

Hegel und das Problem der dialektischen Sprachphilosophie. [Koreanisch.] — In: Hegel-Studien. Seoul. 1(1984), 278—316.

HONG, YUN-KI:

Abhandlungen zur Hegel-Forschung / Nachträge

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Die Religionsphilosophie Hegels. [Koreanisch.] - ln: Hegel-Studien. Seoul. 1 (1984), 210 -234. KANG, YUNG KYE:

Verf. untersucht aktuelle Probleme der Religionsphilosophie H. s. Er fragt nach dem Ursprung des absoluten Geistes. Ob es nicht die christliche Religion ist, die auf der letzten Stufe der historischen Entwicklung zum absoluten Zustand und zum Stillstand des Geistes gelangt. Das Verhältnis von Glauben und Vernunft scheint von H. s dialektischer Religionsphilosophie sowohl theoretisch als auch praktisch unzureichend gelöst.

Hegel's conditions of recognition and the modern state. - In: Kinesis. Carbondale, 111. 13 (1984), N. 2, 47-64.

HOWLAND, JACOB:

Using the themes of recognition and identity-in-difference as H. presents them in the Phänomenologie des Geistes: Howland argues that the 20th Century Citizen cannot realistically hope to feel „at home" in the kind of modern state which H. describes in the Rechtsphilosophie. Accordingly, Howland concludes that it is Marx, not H., who can offer a forthright and honest assessment of the relationships - and tensions - among the state, its leaders, and its citizens, and even insinuates that just about all H. can give to political phUosophy is a „noble lie" or a quasi-religious „Illusion of unity" in the state.

Marksowski program przekraczania filozofii a Hegel [Das Marxsche Programm des Überwindens der Philosophie und Hegel]. - In: Czlowiek i Öwiatopogl§d. Warszawa. 1984, N. 2, 32-43.

JASINSKI, BOGUSLAW:

Verf. sieht eine Zweideutigkeit in der Stellungnahme H.s. zur Bedeutung und Rolle der Philosophie im gesellschaftlichen Leben. Die Philosophie kann die uns umgebende Wirklichkeit nicht erkennen, weil sie daran teilnimmt. Anderenteils behauptet H. die Möglichkeit von Erkenntnis, insofern die Philosophie sich von den Begrenzungen der Realität befreie. Dieses gegen die erkannte Welt geäußerte Prinzip ist Theologie. Die H.sche These von der subjektiv-objektiven Einheit überwindet die Isolation der Philosophie nicht, sondern verstärkt sie, indem sie die Philosophie in die Grenzen des reinen Denkens schließt.

Idea identycznoöci myölenia i bytu [Idee der Identität des Denkens und Seins]. — In: Woköl Przedmowy . . . Wroclaw 1984 17-30.

JEZIOROWSKI, ARTUR:

Verf. behandelt die Grundlagen der Identität zwischen Sein und Deiücen in der Fichteschen Philosophie (der Identität von Subjekt und Objekt im Ich), der Schellingschen Philosophie (der Identität des Bewußtseins und des Geistes in der transzendentalen Erfahrung der Natur) und der H. sehen. H. war sich zunächst mit Schelling darin einig, daß die Philosophie unter den Anspruch eines Systems des Absoluten zu stellen sei und daß es ihre Aufgabe sei, die Identität von Identität und Nichtidentität als absoluten Prozeß darzustellen. H.s Philosophie zielt auf eine Aufhebung des Unterschiedes von Denken und Begreifen, von Wissen und Sein. Er faßt die gesamte Geschichte als den Prozeß, in dem sich die Einheit von Erkennen und Sein vollzieht. Die Idee ist für ihn das Verhältnis von Subjekt und Objekt oder die Totalität als Einheit des Gegensatzes von Idealität und Realität. Die H.sche Idee der Einheit von Denken und Sein macht daher die Rationalisierung der ganzen Wirklichkeit möglich.

296 KARKOWSKI,

BIBLIOGRAPHIE

CzEStAW: Wiedza absolutna u Hegla [Das absolute Wissen bei

Hegel]. — In: Wokol Przedmowy . . . Wroclaw 1984. 91-102. Das Problem des absoluten Wissens muß vom Gesichtspunkt des gesamten Erkenntnisprozesses des Bewußtseins aus betrachtet werden, in dessen Verlauf es sich von seinen Begrenzungen befreit. Die Befreiung des Geistes beruht auf dem Bewußtseinsprozeß, daß sie nicht nur vom Gegenstand ihres Wissens, sondern auch von dem Prozeß selbst, d. h. von der Weise, in welcher die Wirklichkeit, die sein Erzeugnis ist, sich ihm vorstellt, abhängt. Das schrittweise Übergewicht des Elements des „Wie" über das „Was" des Objekts legt die allgemeine Richtung der Entwicklung des Geistes bis zu dem Moment fest, in dem das Objekt völlig in der Klarheit aufgeht, eine geistige Einheit wird. Dann ist die Geschichte im absoluten Wissen aufgehoben. Vom Gesichtspunkt dieses Absoluten aus fällt die Geschichte (auch die zukünftige) in die Rolle einer Illustration der im System des absoluten Wissens beschriebenen Gesetzmäßigkeit herab.

Hegels Vorstellung von Armut und Reichtum. [Koreanisch.] — In: Hegel-Studien. Seoul. 1 (1984), 235—255. KIM, HONG-MYONG;

Verf. analysiert aus der Perspektive der klassischen politischen Ökonomie das Eigentumsrecht in H.s Rechtsphilosophie. Indem Armut und Reichtum als Ergebnisse des Eigentumsrechts der bürgerlichen Gesellschaft charakterisiert werden, müßte das Eigentumsrecht als materielle Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft charakterisiert werden, müßte das Eigentumsrecht als materielle Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft, als die Ursache der historischen Bewegung von Armut und Reichtum erscheinen. Da H. aber nur auf die Darstellung der gesellschaftlichen Verhältnisse Wert legt, ohne sich speziell für die ökonomische Bewegung zu interessieren, bleibt die Bewegung von Armut und Reichtum - im Gegensatz zu dem zentralen Interesse der modernen politischen Ökonomie — außer Betracht.

Heglowska koncepcja absolutu. Cz. I. [Die Hegelsche Konzeption des Absoluten. Erster Teil]. - In: Studia Sandomierskie. Sandomierz. 3 (1982) [ersch. 1984], 268—304.

KOWALCZYK, STANISCAW:

Verf. beschäftigt sich mit den grundlegenden Fragen im Zusammenhang der Philosophie H.s: der Genese seines Denkens nach der Philosophietradition, dem Verhältnis H.s zum Absoluten und dem Verhältnis Bewußtsein/absolutes Sein (wie es sich in der Phänomenologie des Geistes, der Wissenschaft der Logik und §§ 18, 575 und 577 der Enzyklopädie darstellt). Verf. charakterisiert H.s Philosophie als idealistisch-theistischen Monismus.

Pitch: Genitality/excrementality from Hegel to crazy Jane. - In: Boundary 2. A Journal of Postmodern Literature. Birghamton, New York. 12 (1984), N. 2, 113-141. KRELL, DAVID FARELL:

Ausgehend von dem Kapitel über die beobachtende Vernunft in der Phänomenologie des Geistes untersucht der Verf. die Rolle von Genitalien und Exkrementen für die Philosophie H.s. Wie Phoenix kann sich für H. der Geist in seiner Entwicklung nur aus der Asche der Natur erheben, die er als ein negatives Moment hinter sich zu lassen hat. Damit dokumentiert die H.sche Dialektik jedoch eine neurotische Unfähigkeit des Menschen, in seinem Körper zu leben, was ebenso die Unfähigkeit zu sterben impliziert.

Abhandlungen zur Hegel-Forschung / Nachträge

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La negation fondement logique et ontologique. — In; Revue de l'Enseignement Philosophique. Gagny. 34 (1983), N. 6, 43-60. KREMER-MARIETTI, ANGELE:

La „logique de la recherche" (Popper) fait apparaitre la faculte de nier comme la condition de possibilite pour toute proposition en tant qu'information d'etre vraie ou fausse: sa possibilite d'Stre vraie implique sa refutabilite. Partant de cette remarque, l'auteur examine le role et l'importance de la negation dans la logique d'Aristote, notamment dans sa theorie des propositions et du syllogisme, ä laquelle eile confronte celle des Stoiciens. Mais c'est dans la dialectique de H. que la negation prend toute sa signification logique, dans la mesure notamment oü il y est montre que le jugement n'affirme ce qu'il affirme qu'en tant qu'il le nie (renversement de la logique predicative heritee d'Aristote). Et par sa necessaire dimension ontologique en tant que savoir pur cette logique dialectique (que l'auteur rapproche de la dialectique du Parminide de Platon) met en evidence la negation en tant que fondement ontologique donnant tout son sens au omnis determimtio est negatio de Spinoza: c'est ainsi que la notion absolument affirmative de Dieu de la metaphysique classique s'av^re indetermination pure. Se referant aux recherches d'E. Morot-Sir sur la pensee negative, l'auteur compare ä H. et valorise O. Hamelin, lui aussi representant de l'idealisme absolu. Elle reproche finalement ä celui-ci son „parti-pris de depassement" du sensible (cf. Phenomenologie), dans la perspective d'une certaine revalorisation de la dialectique aristotelicienne et du formalisme kantien.

Das Problem der Zeit und Geschichte bei Hegel. [Koreanisch.] — In: Hegel-Studien. Seoul. 1 (1984), 74-102. LEE, SANG-CHUL:

A.: On infinity and totality in Hegel and Levinas. — In: South African Journal of Philosophy. Pretoria. 2 (1983), 31—33. LICHTIGFELD,

Richard Rorty wrote that systematic philosophers „want to put their subject on the sure path of Science", while edifying philosophers „want to keep space open for the sense of wonder". By Rorty's definitions, Lichtigfeld calls H. „systematic" and Levinas „edifying", because H. seeks to develop self-conscious absolute knowledge, while Levinas develops his thought on the basis of the perceived ethical bond among human beings.

Die Vermittlung von Dialektik und Praxis in Hegels Philosophie der unendlichen Doppelbewegung — ein Schritt zur rationellen Beleuchtung der koreanischen Philosophie.[Koreanisch.] — In: Hegel-Studien. Seoul. 1 (1984), 128-155. LIM, SOK-ZIN:

Verf. sieht den Anfang der Philosophie H.s in dem „Bedürfnis" nach Philosophie, wie es in H.s Programm der „Versöhnung" zum Ausdruck kommt. Die Pole von Ich und Welt werden in einem synthetisch-vermittelnden dritten Moment zusammengeführt. In diesem dritten Moment als der vermittelnden Zentralkraft sieht Verf. die Gestalt der zweifachen Doppelbewegung und damit eine Kreisform beschlossen. Die schließlich von H. eruierte weit komplexere Gestalt der Vermittlungsbewegung zwischen Identität und Nichtidentität erscheint als der wahre Sinn von Tao („ganzer Mitte des Herzens"). Mit dieser Untersuchung soll die Gemeinsamkeit zwischen der dialektischen Denkweise H.s und dem altchinesischen Gedankengut (Laudse und dem Buch I-Ging) aufgezeigt werden, um damit der koreanischen Philosophie den Weg zu einer eigenständigen, rationellen Entfaltung zu ebnen.

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BIBLIOGRAPHIE

The theological significance of Hegel's four worldhistorical realms. - In: Auslegung. Lawrence, Ks. 11 (1984), 340-357. LUFT, ERIC VON DER:

H.'s nomendature for his four arenas of world history is misleading because it suggests affinities which do not exist with certain peoples and regions but falls to suggest affinities which in fact do exist with certain philosophical concepts in H.'s vocabulary. We can darify the philosophical meaning of these four realms by giving them new names which more accurately describe their content: the Oriental Realm = the Unmediated Monistic Realm; the Greek Realm = the Pluralistic Realm; the Roman Realm = the Dualistic Realm; and the Germanic Realm = the Mediated Monistic Realm. A major criterion for distinguishing among these four realms is the view and place of religion in each.

Hegel's anarchistic Utopia: the politics of his „Aesthetics". — In: Southern Journal of Philosophy. Memphis, Tenn. 22 (1984), 203-210. MCCUMBER, JOHN:

H.'s Lectures on Aesthetics are often viewed as unrelated to his political thought. In fact, the relation is intrinsic to the Aesthetics: as the first stage of „Absolute Spirit", they negate the final Stage of „Objective Spirit", which is the Philosophy of Right, the „sdence of the state". Several passages in the Aesthetics confirm that „ideal art" has a political message, and that it is an anarchistic „negation" of the state itself. Ideal art portrays the heroes of archaic Greece as „independent" (selbständig) in ways inhabitants of modern States can never be: ungoverned by political structures, they uphold social mores (Sittlichkeit) by the strength of their own characters; without the oppressions of the modern economy, they are non-alienated providers for their own economic needs. By teaching moderns that non-alienated ways of life have existed in the past, art provides the basis for a radical critique of the state. But religion, the next stage in Hegel's System, negates this in tum: teaching that all men are Brothers, it exposes the heroic ideal as elitist, and thus as no model for social revision. Because art can teach US about political structures, it is not really „dead" for Hegel; but because it is overcome by the higher importance of religion, it is only „dreaming".

Omöwienie wyniköw ekspertyzy r§kopisu „Eine Ethik" [Die Besprechung der Ergebnisse des Befunds vom Manuskript „Eine Ethik"]. - In: Studia Filozoficzne. Warszawa. 1984, N. 7, 184-186. MARKIEWICZ, BARBARA:

La „filosofia dello spirito" di Hegel [Hegels „Philosophie des Geistes"]. - In: Verifiche. Trento. 13 (1984), 402-408.

MENEGONI, FRANCESCA:

Verf. berichtet über ein von Adriaan Peperzak im Mai 1984 in Neapel gehaltenes Seminar über H.s Philosophie des Geistes. Die Schwerpunkte der Peperzakschen Lektüre der Enzyklopädie, besonders der Geistbegriff, der Zusammenhang zwischen Ethik und Geistesphilosophie und die Struktur des absoluten Geistes, werden dargelegt, sowie einige Probleme, die die Diskussion angeregt haben.

A.: La critica de Hegel a la 6tica de Kant en la „Fenomenologla del esplritu" [Die Kritik Hegels an der Ethik Kants in der „Phänomenologie des Geistes"]. — In: Actas del tercer congreso nacional de filosofia. Vol. 2. Buenos Aires 1982. 100—108. MERCADO, VERA

Abhandlungen zur Hegel-Forschung / Nachträge

299

Verf. faßt unter didaktischen Gesichtspunkten die Themen: moralische Weltanschauung und Verstellung aus der Phänomenologie des Geistes zusammen. Es fehlt jedoch die Auseinandersetzung mit den philosophischen Vordenkern H.s, insbesondere mit Kants Position. Seine Ethik wird als leerer Formalismus und letzlich als Heuchelei abgetan.

W.: Das Verhältnis von ,Person' und ,Eigentum' in Hegels Philosophie des Rechts. — In: Studia Philosophica. Supplementum 12. Lausanne 1983. 69—86. MEYER, RUDOLF

Die beiden Phasen der frühen Rechtsphilosophie H.s, die Einbindung des tätigen Subjektes in den Zusammenhang der Natur (System der Sittlichkeit) und die Organisation der rechtlich-staatlichen Verhältnisse aus der Freiheit des Selbstbewußtsein (Jenaer Realphilosophie 1805/06) geben für den Verf. den Rahmen des Verständnisses der Rechtsphilosophie von 1821 ab. Sie hat zu ihrer Grundlage den Begriff der Person als Gestalt des freien Willens, der über die Besitznahme zu einer Versachlichung der ihm gegenüberstehenden Natur gelangt, und zwar so, daß sich ebenfalls die Fähigkeiten der Person und alle menschlichen Beziehungen verdinglichen. Damit ist das auf Sachen beschränkte Verhältnis von Personen für H. in gleichem Maße die Bedingung der Befreiung aus der Natur wie der Freiheit des Einzelnen.

H.: Hegel on international law. - In: Perspektiven der Philosophie. Amsterdam. 10 (1984), 37—51. MITIAS, MICHAEL

Wiederabdruck des zuerst 1980 veröffentlichten Aufsatzes. Vgl. Hegel-Studien. 17 (1982), 310 f.

L'eau et le feu. — In: Cahiers d'economie politique. Paris. 8 (1982), 87-95. MONGIN, PHILIPPE:

Verf. untersucht anläßlich einer These von Henri Denis (L'economie de Marx, histoire d'un echec, Paras 1980) die Beziehung von Marx zu H. und Ricardo. Marx' Theorie der Arbeitswelt koinzidiere nicht mit Pücardos Theorie des Wertes, sondern sei selbst dialektisch konstruiert, eben um Ricardos Substantialismus zu überwinden. Die H.sche Interpretation Ricardos nimmt Denis hauptsächlich in der Auseinandersetzung mit H.s Theorie des Maßes und mit seiner Wesenslogik vor, so wenn er z. B. die Arbeitsquantität als Maß/Wesen und den Preis als Maßeinheit/Phänomen deutet. Durch die Marxsche Anwendung der Dialektik auf die Ökonomie verführt, interpretiert Denis die Dialektik auch ökonomisch mit dem Resultat, einerseits Ricardo zu „hegelianisieren", dafür auch H. zu „ricardisieren".

Incidence sur Hegel de la lecture de Gibbon ou: comment le philosophe se revele ä lui-meme par la lecture de l'historien. - In: Studia Philosophica. Lausanne. 41 (1982), 161-176. MüLLER, PHILIPPE:

Verf. analysiert H.s Interesse für die Geschichte in seiner Jugend. Wesentlich ist H.s Lektüre von Edward Gibbon in den Berner Jahren; Obwohl dieser Autor sehr selten von H. direkt zitiert wird, hat Gibbon H.s philosophische Geschichte antizipiert und sogar inspiriert. Ein Fragment H.s von 1794 (Schüler N. 45), das auch ins Französische übersetzt wird, vermag diesen Einfluß zu belegen. Der plötzliche Tonwechsel im Vergleich mit den vorhergehenden aufklärerisch geprägten Texten zeigt den Einfluß Gibbons, der sehr klar auch in der Positivitätsschrift zu erkennen ist und in der diachronischen Sicht der Entwicklung des Christentums und in dessen Verhältnis zu dem römischen Staat zum Ausdruck kommt.

300

BIBLIOGRAPHIE

Must time have a stop? Hegelian reflections. — In: Journal of the British Society for Phenomenology. Manchester. 15 (1984), N. 3, 231-242. O'HAGAN, TIMOTHY;

O'Hagan attempts to understand H.'s famous characterization in the Phämotnenologie des Geistes of time as both the concept itself and the locus of spirit until spirit grasps its concept and annuls time. To do this, he analyzes „moments of process" to try to determine what, for H., is meant by being „temporal". He uses Derrida against Kojäve and other Interpreters, arguing that time is as much an element of dialectic as anything eise which is subject to „Aufhebung". This may even suggest that time has nothing to do with eternity, that its affiliation with history, progress, or even process is one-sided, and that it could best be employed with regard to the world as an adverb rather than as a noun.

Societä Borghese e umanesimo nella nascita e nello sviluppo della dialettica hegeliana [Bürgerliche Gesellschaft und Humanismus in der Entstehung und Entwicklung der Hegelschen Dialektik]. — In: Eilosofia. Torino. 33 (1982), 181—202. PALLAviDiNi, RENATO:

Verf. untersucht die erste Form des dialektischen Denkens beim jungen Hegel, seine geschichtlichen und strukturellen Wurzeln sowie Kontinuität und Brüche, die die späteren Schriften im Vergleich mit den früheren aufweisen, ln der Konzeption der Dialektik des Systemfragments und des Systems der Sittlichkeit erkennt der Verf. einen wissenschaftlichen Anspruch, insofern die Dialektik ein Mittel zum Verständnis der Widersprüche in den geschichtlichen und sozialen Prozessen wird. Ebenso erkennt er einen utopischen und humanistischen Zug, da die Sphären des Wissens und der Kultur einen progressiven und sogar revolutionären Aspekt aufweisen. Die spätere Dialektik der Phänomenologie und der Logik ist im Vergleich dazu komplexer und artikulierter: ihr wissenschaftlicher Ehrgeiz nimmt ein ideologisches und konservatives Gepräge an. Dies, obwohl das Streben nach einer humanistischen Erneuerung am Ende des dialektischen Prozesses, im absoluten Wissen oder im absoluten Geist, als wechselseitiges Verhältnis zwischen Kultur und Gesellschaft, Wissen und Entfremdung, wieder auftaucht, wenn auch ohne politische und revolutionäre Implikationen.

Eticitä e logica nella crisi jenense del pensiero di Hegel [Sittlichkeit und Logik in der jenenser Krise des H. sehen Denkens]. In: Eilosofia. Torino. 35 (1984), 217—243. PALLA VIDINI, RENATO:

Verf. zeigt die logischen und systematischen Implikationen der Entwicklung von H. s ökonomischen, ethischen und politischen Theorien in Jena. Das System der Sittlichkeit und der Naturrechtsaufsatz werden als Krisenpunkte betrachtet, die zur Revision der früheren philosophischen Impostationen zwingen und Ansätze der späteren Entwicklung antizipieren. Besonders das Verhältnis zwischen subjektivem und objektivem Moment im Prozeß der Entwicklung der Aufhebung der Differenz wird untersucht. Im System der Sittlichkeit hat der objektivistische Gesichtspunkt Vorrang, wobei die dialektische Entwicklung der ethischen Totalität manchmal wie vorgeordnet und unabhängig von der Subjektivität erscheint, wie z. B. in der Dialektik der Arbeit. Diese erscheint als Basis der Strukturen der Ökonomie und des Rechts. Die Entwicklung des Naturrechtsaufsatzes betrifft die neue Weise, in welcher die Identität im Reich der Differenz und das Verhältnis Identität-Differenz in der absoluten Identität (der Sittlichkeit) sich präsentieren, wobei das subjektive Moment entscheidend wird. So bereitet H. durch die Analyse der objektiven Dynamik der ökonomischen Strukturen die spätere Darstellung der Rolle der Subjektivität im dialektischen Prozeß vor.

Abhandlungen zur Hegel-Forschung / Nachträge

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Cziowiek, czas, historia, Hegel Kojeve'a [Mensch, Zeit, Geschichte. Hegel in der Auffassung Kojeves]. — ln: Archiwum Historii Filozofii i Mysli Spolecznej. Warszawa. 29 (1983), 87—94. PANASIUK,

RYSZARD:

Verf. versucht die Leitfäden der Rekonstruktion der H.sehen Anthropologie von A. Kojeve in seiner Introduction ä la lecture de H. darzulegen. Kojfeve sieht bei H. die Beschreibung des Phänomens des menschlichen Daseins in allen seinen wesentlichen Erscheinungen gelungen. H. schuf eine Metaphysik, eine Ontologie und eine Phänomenologie des Menschen. Sein Mensch ist ein freies, expressives, autokreatives, in der Zeit (Geschichte) und Gesellschaft existierendes und kulturschaffendes Wesen.

L'homme, l'histoire et l'Univers chez Hegel et Marx. — ln: Akta Universitatis Lodziensis. Folia Philosophica. Lodz. 2 (1983), 83-97. PANASIUK, RYSZARD:

Der Prozeß der Entwicklung des philosophischen Denkens des Abendlandes — vom Altertum über die christliche Tradition bis zur Aufklärung - führt zur Destruktion des moralischen und metaphysischen Absoluten. Die Opposition zwischen der axiologisch-inhaltslosen Welt und dem Menschen als einem freien Sein wird zuerst von Kant formuliert. Hegel strebt den Kantschen Dualismus zwischen dem natürlichen Sein und dem Menschen durch das die Werte in der Zeit schaffende Absolute zu überwinden. Die Geschichte deckt so bei ihm den axiologischen Inhalt auf. H.s Schüler, zuerst Feuerbach und Marx, fassen das Universum als eine bloß natürliche, räumliche und zeitliche Ordnung auf, in die der Mensch durch seine bewußte, kulturschaffende Tätigkeit die Werte einschreibt. Diese sind intentioneil und nur in Beziehung auf die menschliche Welt erkennbar.

The man and the System. The place of anthropology in Hegel's philosophy. — In: Dialectics and Humanism. Warszawa. 1983, N. 4, 157-168. PANASIUK, RYSZARD:

Übersetzung des 1981 in polnischer Sprache (in: Studia Filosoficzne) erschienenen Aufsatzes. Vgl. Hegel-Studien. 19 (1984), 463.

J.: Hegel's criticism of Newton. A lecture delivered at the Free University, Amsterdam, on the one hundred and fiftieth anniversary of Hegel's death, 18. November 1981. — In: Clio. Fort Wayne, Ind. 13 (1984), 331-348. PETRY, MICHAEL

H.s Kritik der Newtonschen Philosophie erweist sich nicht nur im Lichte der zeitgenössischen Entwicklungen als gerechtfertigt. Sie enthüllt zugleich auf den Gebieten der Mathematik, Mechanik und Optik ein tiefes Vorwissen des fundamentalen Gebrauchs des neuzeitlichen vergleichenden wissenschaftlichen Denkens.

Od Hegla do Marksa. U zrödel marksowskiej ontologii cztowieka [Von Hegel zu Marx. Bei den Quellen der Marxschen Ontologie des Menschen]. — In: Cziowiek i Öwiatopoglad. Warszawa. 1983, N. 6, 83-89. PLUZANSKI, TADEUSZ:

Die Marxsche Ontologie des gesellschaftlichen Menschen und die Ontologie des gesellschaftlichen Seins, welche innerhalb des historischen Materialismus die Grundlage einer ein-

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BIBLICXSRAPHIE

heitlichen philosophischen Theorie des Menschen bildet, stützt sich auf die von H. erarbeiteten Kategorien und auf zahlreiche Motive seiner Philosophie. Die H.sche Philosophie des Geistes verabsolutiert nicht die menschliche Subjektivität (wie später der Existentialismus), sondern sie situiert sie im breiteren Kontext des geschichtlichen Prozesses. Zu diesem Zweck können die H. sehen Kategorien, wie z. B. des „Ansichseins", „Fürsichseins", „Füreinanderseins", der „Bildung", die Dialektik von Subjekt und Objekt genutzt werden.

Heglowska wizja pracy [Das Hegelsche Bild der Arbeit]. — In: Wektory. Warszawa. 1984, N. 7/8, 49—53. PTUZASISKI, TADEUSZ:

Im Denken des jungen H. sind in Bezug auf das Problem der menschlichen Arbeit die Gedanken vorgebildet, die Marx aufgenommen und entwickelt hat: der bildende Charakter der Arbeit, die Arbeitsteilung (mit ihren positiven wie negativen Folgen) und die aus der Arbeit resultierende Entfremdung der menschlichen Welt. Insbesondere hinsichtich des bildenden Charakters der Arbeit ist Marx anderer Ansicht als H.. Sie ist nicht Voraussetzung zur Schaffung der menschlichen Welt, sondern Quelle der Erniedrigung des Menschen. Der Verf. differenziert zwischen dem kulturschaffenden und dem entfremdenden Charakter der Arbeit. Nur die Entfremdung enthalte das zerstörerische Moment für den Menschen. Jedoch auch sie könne im Ergebnis Werke der Kultur hervorbringen. PöLTNER, GüNTHER: Die spekulative Deutung des Christentums bei Hegel.

— In: Theologie und Glaube. Paderborn. 72 (1982), 310—329. Verf. referiert H. s Deutung des Christentums unter dem Gesichtspunkt der absoluten Religion, der Religion des Geistes sowie seiner spekulativen Umdeutung des Christentums. Verf. kritisiert vom Gedanken der Personalität her das Defizit der Freiheit und das Fehlen der Berücksichtigung des Heiligen Geistes in H. s Trinitätslehre. Er kommt zu dem Resultat, daß H. s Deutung des Christentums uns vor die Aufgabe stelle, für das Phänomen der „personalen Kausalität" die zureichende Begrifflichkeit allererst zu erarbeiten.

Zur Geschlossenheit metaphysischer Konzeptionen: Whitehead, Hegel und Heidegger. — In: Whitehead und der Prozeßbegriff. Whitehead and the Idea of Process. Beiträge zur Philosophie Alfred North Whiteheads auf dem Ersten Internationalen Whitehead-Symposion 1981. Proceedings of the First International Whitehead-Symposium 1981, Hrsg. V. Harald Holz u. Ernest Wolf-Gazo. Freiburg, München 1984, 424—443. RAPP, FRIEDRICH:

Ein Vergleich der Konzeptionen Whiteheads, Heideggers und H.s - der eine Reihe von Gemeinsamkeiten, vor allem aber von grundlegenden Unterschieden erkennen läßt — führt Verf. zu der Begründung der These, daß es für die Formulierung metaphysischer Konzeptionen inhaltlich und methodisch keinen schlechthin verbindlichen und als einzig möglich ausgewiesenen Bezugspunkt gibt.

M. G.: Schelling's critique of Hegel. — In: Religious Studies. Cambridge. 20 (1984), 543— 557. REARDON, BERNHARD

Verf. interpretiert Schellings H.-Kritik, deren Zusammenfassung die Münchner Vorlesungen über die Geschichte der neueren Philosophie enthalten, als eine interne Kritik am Idealismus. H.s negativer Philosophie wird eine logische Verabsolutierung der Idee vorgewor-

Abhandlungen zur Hegel-Forschung / Nachträge

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fen, was nach Schelling dazu führt, daß H. die vitale Dynamik der realen Welt nicht erfassen kann. Die für Schelling verächtlich dogmatische Gleichsetzung von Logik und Wirklichkeit endet in der bloßen Annahme, Natur vermöge das Spiegelbild einer abstrakten Rationalität zu sein. Allerdings wird die negative Philosophie H. s, die sich in der reinen Selbstvermittlung der Idee erschöpft, von Schelling nicht vollständig verworfen. Vielmehr bildet sie einen Bestandteil der positiven Philosophie, für die die unvordenkliche Realität eines transzendenten Seins gegeben ist.

Marxian epistemology and two kinds of pragmatism. — In: Studies in Soviel Thought. Dordrecht. 28 (1984), N. 2, 117-125. ROCKMORE, TOM:

Rockmore's basic aim is to define more clearly Marx's epistemology. In so doing, he compares it favorably with phenomenological epistemology. Relying on the Grundrisse, Rockmore shows that Marx's epistemology, like H.'s, is analytically/synthetically and empirically/ theoretically circular, but with several key differences from H.'s, chiefly as regards the idea of „concrete subject" and the nature of epistemological circularity. For H., this circulatiry enhances knowledge, but for Marx, it puts limits on experience, and thus also on knowledge-

Heglowska krytyka poznania rozs§dkowego [Die Hegelsche Kritik an der verständigen Erkenntnis]. — In: Woköl Przedmowy . . . Wroclaw 1984. 31—46. RO^ANOWSKI, RYSZARD:

Faßt man die Phänomenologie des Geistes als eine Einführung in H.s philosophisches System auf, nimmt die Kritik der praktischen Vernunft darin einen besondem Platz ein. In der Konfrontation des hier vorgeschlagenen Modells der„sich selbst erzeugenden" Wissenschaft mit der in der Kritik der reinen Vernunft sanktionierten Erkenntnisfähigkeit erweist sie sich gleichzeitig als vernünftige Überwindung der verständigen Wissensform und (gegen Kant) als eine Affirmation der Vernunft. Verf. stellt den Standpunkt H. s bezüglich des Raumes und der Rolle der praktischen Vernunft im Prozeß der Bewegung vom vorwissenschaftlichen Bewußtsein zur Wissenschaft dar. In diesem Prozeß tritt der Verstand in verschiedenen Formen auf, soweit er das vermittelnde (positive und negative) Moment in dem Wissensprozeß bildet. Weil die von H. beschriebene Bewegung eine von Begriffen ist, erweist sich die von ihm durchgeführte Kritik des Verstandes als eine verdeckte, eine Kritik, in der sich seine Auffassung der Geschichte als „Werden im Wissen" und ein uirkritischer Positivismus treffen.

I. N.: Otricanie otricanija kak prinzip logiceskoj soderzatelnosti kategorii tragiceskogo Gegela [Negation der Negation als das Prinzip des logischen Inhalts der Hegelschen Kategorie des Tragischen]. — In: Vestnik Moskovskogo Universiteta. Serija 7, Filosofija. Moskva. 1984, N. 1, 59-63. SAGDEDINOVA,

Verf. versucht mit Hilfe des Prinzips der Negation der Negation die ästhetische Kategorie des Tragischen zu bestimmen. Das logische Formprinzip bezieht sich auf die Entwicldung des Ideals in der Geschichte und somit auf seine Konkretion in den unterschiedlichen geschichtlichen Kunstformen wie auf den systematischen Zusammenhang der ästhetischen Kategorien von Tragik, Komik und Tragikkomik.

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BIBLIOGRAPHIE

Hegel's aesthetics and „the end of art". — In: Philosophical Studies. Dublin. 30 (1984), 62-72. SANTORO, LIBERATO:

Art, understood as the universal mode of self-expression of a cultural identity, is no longer the adequate means by which we grasp truth. It no longer provides a comprehensive and harmonious representation of the world, of man and of God. This is so because of the removed and interiorised disposition of subjective consciousness and, at once, because of the lack of social and cultural stability, unity, cohesion. Art is no longer the congenial, universal and communally shared „medium" in which Post-Cartesian cultures have adequately expressed their identity. In the end, the paper suggests that H. conceived art as primarily „iconic", in the sense of Peirce's distinctions. H. understood the physical make-up and structural form of Works of art as necessarily pointing to a „meaning" and „content". To conclude, references are made to semiological approaches to art. Even in our understanding of art-works as „signs" we are indebted to H.

Ende und Zukunft des Strafrechts. - In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie. Mainz, Wiesbaden. 70 (1984), 71—112. SCHILD, WOLFGANG:

Neben Kant stellt Verf. H. als wichtigsten Vertreter einer absoluten Straftheorie dar, die darauf zielt, den Begriff der Strafe allererst zu begründen. In einer ausführlichen Interpretation von H.s Rechtsphilosophie weist Verf. nach, daß für H. zwar die Vergeltung das Prinzip der Strafe, ihre Zwecke aber die General- und Individualprävention sind, die durch das Verwaltungshandeln eines sozialen Rechtsstaates erreicht werden. Verhängung und Vollzug der Strafe im Sinne eines Strafübels sollen nach H. so beschaffen sein, daß man für alle das Verbrechen vernichtet und ein neues Zusammenleben aller ermöglicht. Indem nach H. die Strafe als sozialstaatliche Maßnahmehandlung qualifiziert werden muß, ist das Strafrecht selbst an sein Ende gekommen

R.: Pueblo y saber en la 'Fenomenologla del del Esplritu' de Hegel [Volk und Wissen in Hegels Phänomenologie des Geistes]. - In: Actas del tercer congreso national de filosofia. Vol. 2. Buenos Aires 1982. 59-70. SEIBOLD, JORGE

Indem der Verf. die Hauptmomente der Phänomenologie nachzeichnet, macht er auf die Bedeutung aufmerksam, die das Wissen des Volkes in dem allmählichen „Auftauchen" des Absoluten Wissens spielt. Das Volk erscheint am Ende dieser Untersuchung als der Ort, in dem sich die „Sache selbst" des philosophischen Denkens zeigt. Dieses Resultat verbindet Volk und Wissenschaft im Verhältnis der gegenseitigen Anerkennung, aus der sich die Verpflichtung zum Selbstwissen beider im Wissen des Unterschiedes ergibt.

Przedmiot i metoda filozofii w uj§ciu G. W. F. Hegla [Der Gegenstand und die Methode der Philosophie in der Auffassung Hegels]. - In: Wokoi Przedmowy . . . Wroclaw 1984. 47—60. SKRZYPCZAK-KOSTYSZAK,

MARIA:

Verf. interpretiert das Vorwort der Phänomenologie des Geistes als Programm zur Begründung der Allgemeinheit der Philosophie. Die Phänomenologie insgesamt stellt einen Schritt in die Richtung der „Lehre der Vernunft" dar, indem sie von der unmittelbaren Existenz der Sachen in Form von Vorstellungen im geistigen Bewußtsein ausgeht und zu einer stufenweise immer konkreteren Vergegenständlichung gelangt. Um den Proeß der Konkretisierung

Abhandlungen zur Hegel-Forschung / Nachträge

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der Begriffe zu erläutern, bereitet H. im Vorwort das Verständnis der Natur der Allgemeinheit vor. Ausgehend von der Voraussetzung, daß die Wirklichkeit selbst Tendenzen zum Übergang in eine logische Form, d. h. zum Werden im Begriff hat, fordert H., diese Bewegung mit dem begrifflichen Denken zu erforschen. Die Mehrdeutigkeit seiner Forderung (des Postulats der Intersubjektivität des Wissens und des Problems der Notwendigkeit der Erkenntnis) führt unter anderem zur Notwendigkeit, den Gegenstand und die Aufgaben der Philosophie zu begrenzen. ÖLgczKA, KAZIMIERZ: Dwie ontologie: Hegla? Marksa? Lukäcsa? [Two onto-

logies: of Hegel? of Marx? of Lukäcs?]. - In: Studia Filozoficzne. Warszawa. 1983, N. 10, 3-14. In his „Ontology of Social Existence", Lukäcs perceives in H. two different ontologies, though interfering with each other, of the historical process: false (idealistic) and proper (materialistic). According to Lukäcs, Marx had allegedly overcome H., abolishing the first and developing the second ontology into the universal form. The later marxists allegedly retumed to philosophical-historical idealism, pressing the history into a single, univocally determined System of logic of historical development. Historical materialism means, in Lukäcs' opinion, the recognition of history as being unsusceptible to any final cognitive totalization, as being basically alternativistic. However, this ontological duality is alien neither to Marx nor to Lukäcs, albeit the latter has created premises for a new overcoming of this duality.

ontologies: of Hegel? Marx? Lukäcs? [Aus dem Polnischen übers, von Zygmunt Nierado]. - In: Dialectics and Humanism. Warszawa. 1983, N. 3, 23-34. ÖL5CZKA, KAZIMIERZ: TWO

Englische Übersetzung des vorigen Aufsatzes.

Hegel'S views on war, the state, and international relations. - In: The American Political Science Review. Washington, D. C. 77 (1983), 624- 632. SMITH, STEVEN B.:

H.s reflections on war are an attempt to answer the problems of political Obligation or the question of why anyone should willingly die for the state. Accordingly, it examines H.'s critique of Kantian morality for its inability to account for political Obligation proper; and although H. never completely extricated himself from Kant's belief in a providentialist historicism leading to a condition of „perpetual peace," war remains for H. an essential moment in the „ethical" life of the state and perhaps the chief means whereby the dignity and autonomy of the state can be exerted over the network of private interests that constitutes civil Society. SoARES GOMES, FRANCISXO: „O Capital" como sistema filosöfico [„Das Kapi-

tal" als philosophisches System]. - In: Revista portuguesa de Filosofia. Braga. 40 (1984), N. 1-2, 65-81. Verf. will beweisen, daß das Kapital von Marx — über seine kritischen Absichten bezüglich der Politik und Ökonomie und über seine materialistische Proselytenmacherei hinaus — wesentlich ein philosophisches System auf der Grundlage des Begriffs der Arbeit ist. Die Ahn-

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BIBUOGRAPHIE

lichkeiten mit der H.schen Logik zeigen sich sowohl in der formellen Darstellung der Entwicklung der Begriffe, als auch in der Absicht, eine verständliche, rationelle und menschliche Weltanschauung zu strukturieren.

La critique hegölienne de la construction kantienne de la matiäre ä partir des forces d'attraction et de repulsion dans la „Science de la logique". - In: Acta Universitatis Lodziensis. Folia Philosophica. Lodz. 2 (1983), 69 -82.

STANGUENNEC, ANDRE:

L'auteur considäre le concept h.'ien de construction speculative (de preuve) dans contexte de l'analyse et de la critique de la construction kantienne de la matiire ä partir des forces d'attraction et de repulsion. 11 montre la direction de la modifiction de la dynamique kantienne, introduite par H. selon les principes de sa logique dialectique. L'article est divise en cinq parts suivantes: 1. Le concept h.ien de construction speculative; 2. L'importance historique de la construction kantienne selon H.; 3. Inconsequences de Kant qui n'offre pas la construction synth6tique qu'il promet; 4. L'6mergence de l'identite dialectique des forces dans la deduction kantienne; 5. Les deplacement subis par le concept kantien de construction de l'interpretation de H.

Z. : Zagadnienie granicy w filozofii Hegla jako glöwny Problem osobowosci [The question of limit in Hegelian philosophy as the main personality problem]. - In: Studia Filozoficzne. Warszawa. 1984, N. 10, 71-81. STOLARCZYK, EL2BIETA

The article interprets the question of limit in H.ian philosophy as a question concerning the profundity of changes in the personality structure of the species. It assumes that changeability of this kind is being modelled in the H.ian theory of the development of the absolute, a theory which can be seen as a theory of the development (change) of the universal relations between the body and consciousness. In H.'s view, the changeability of these relations is at the same time a guarantee of the personality identity of the species, for it shows a change of relations of a cosmological type into relations of an axiological type as well as their hierarchical coexistence. This coexistence consists in subordinating changes in the domain of relations of a cosmological type to changeability in the realm of relations of an axiological type.

SusKA, MIROSCAWA: L'etat et la religion dans la philosophie de Hegel. - In:

Acta Universitatis Lodziensis. Folia Philosophica. 137-150.

Lodz.

2 (1983),

Klammer der Philosophie H.s ist die Freiheit, wie sie geschichtlich in der christlichen Religion und im Staat erscheint. Die Idee der Freiheit wird Mittelpunkt des Systems, das die Sphären des absoluten Geistes und die des objektiven Geistes miteinander verbindet. H. überwindet die Opposition zwischen dem „Menschen" und dem „Bürger" durch die Vereinigung des subjektiven Willens mit dem vernünftigen und konstruiert so ein sittliches Ganzes, den Staat, der die Wirklichkeit ausmacht, in der das Individuum seine Freiheit entfalten kann. Das Verhältnis von Staat und Religion ist unproblematisch: das Gebiet der Religion ist der individuelle Glaube, der Staat repräsentiert dagegen das allgemeine. Vernünftige, Sittliche. Der vernünftige Staat steht über der Institution der Religion, der Kirche, weil er das christliche Prinzip als ein objektives verwirklicht.

Abhandlungen zur Hegel-Forschung / Nachträge

307

SzLACHCic, KRZYSZTOF: Nauka i filozofia naukowa [Wissenschaft und wis-

senschaftliche Philosophie]. - In: Woköl Przedmowy . . . Wroclaw 1984. 81-90. Verf. erläutert das Verhältnis von „Wissenschaft" und „wissenschaftlicher Philosophie", wie H. es in der Phänomenologie des Geistes bestimmt. Die geistesgeschichtliche Bedeutung der „wissenschaftlichen Philosophie", wie H. sie für sich in Anspruch nimmt, besteht in der Unerreichbarkeit ihres Ziels: der Erkenntnis Gottes. Daher kann H. die Überlegenheit der philosophischen Methode gegenüber der Wissenschaft feststellen: das rastlose Streben nach Erkenntnis, das sein Ziel nicht erreicht. H. verkennt mit dieser Verklärung des Erkenntnisweges die spezifischen Möglichkeiten der Wissenschaft: eine Orientierung an Regeln, die zur intersubjektiven Überprüfbarkeit der Ergebnisse führen.

SzLACHCic, KRZYSZTOF: Dwa stanowiska w sporze o aktualnos^ filozofii

Hegla [Zwei Standpunkte in dem Streit über den Wert von Hegels Philosophie]. - In: Studia Filozoficzne. Warszawa. 1984, N. 8, 177—190. Die Bewertungen des H.'schen Denkens: als aktuell bedeutsame philosophische Tradition (M. J. Siemek) und als Schaden für eine kognitiv orientierte philosophische Reflexion (D. Aleksandrowicz) sind auf unterschiedliche Vorstellungen der Autoren von geistiger Tätigkeit zurückzuführen und lassen nur eine begrenzte Diskussion zwischen ihren Standpunkten zu.

Sobre la relaciön entre la Fenomenologia del Espiritu y la Ciencia de la Lögica [Über das Verhältnis zwischen der Phänomenologie des Geistes und der Wissenschaft der Logik]. — In: Revista Venezolana de Filosofia. N. 17. Caracas 1983. 127—162. VäSQUEZ, EDUARDO:

In der Auseinandersetzung mit anderen Interpretationen deutet der Verf. die Phänomenologie des Geistes unter dem Gesichtspunkt der Dialektik des Begriffs. Aufgrund dieses interpretatorischen Ansatzes kommentiert er die Darstellung der Bewegung des Begriffs und erkennt bzw. analysiert H.'s Bestimmung der Vernunft als exemplarisch.

J.: Ser-en-si y Ser-para-otro [Sein-an-sich und Sein-füranderes]. — In: Cuademos de Filosofia. Buenos Aires. 19 (1983), N. 30/31, 77-94. WALTON, ROBERTO

Verf. analysiert die Identität des Ansichseins und Sein-für-Anderes als Schlüsselstelle des Kapitels über das bestimmte Sein in der Wissenschaft der Logik. An diese Analyse knüpft er eine Kritik von Theunissens Interpretation, nach welcher der Übergang von der objektiven zur subjektiven Logik die Bedeutung eines Überschreitens des Momentes der Macht zum Moment der kommunikativen Freiheit hat. Im Gegensatz zu dieser These versucht Verf. auf der Basis der Relationsproblematik in der Phänomenologie des späten Husserl und vor allem in Whiteheads Philosophie des Orgarusmus den Übergang als einen Fortschritt der Relationsbestimmungen aufzufassen.

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BIBLIOGRAPHIE

Hegel and the deformation of Symbols in modernity. - In: Philosophical Studies. Dublin. 30 (1984), 49—61. WALSH, DAVID:

The deformation of Symbols on which the modern ideological constructions of reality are based, is still not sufficiently understood. To comprehend the process it is essential to examine it in the hands of an astute and articulate practitioner such as H. The present essay analyses his distortion of the central complex of classical-Christian symbols, and indicates its foundational role in his speculative elaboration of a wholly new conception of reality. This identification of the core deformation of Symbols in H. brings to light the essential „magic" behind all of the later ideological attempts to transform the nature of man, society and history.

Hegels Begriff der Geschichte und das Problem des Schicksals. [Koreanisch.] — In: Hegel-Studien. Seoul. 1 (1984), 156—175. WHANG, MOON-SOO:

WiNFiELD, RICHARD DIEN: The Route to Foundation-Free Systematic Philoso-

phy. — In: Philosophical Forum. Boston, Mass. 15 (1984), 323— 343. Philosophie fällt in das Dilemma der Metaphysik, wenn sie sich auf vorgegebene Begründungen bezieht. Das transzendentale Argument bietet keine Hilfe, weil es metaphysische Referenzen auf die Konditionen des Wissens macht und sich selbst eliminiert, wenn es seinen eigenen Standpunkt kritisiert. Eine nicht-transzendentale Phänomenologie kann als eine Einführung zu einer voraussetzungslosen systematischen Philosophie dienen, indem sie zeigt, wie das Projekt der Gegründetheit zusammenbricht, indem es weder Referenten noch Referenz übrigläßt. Dieses Ergebnis erlaubt für eine voraussetzungslose selbst-begründete Wissenschaft der Bestimmtheit, sich von den leidlichen Schwierigkeiten metaphysischer und transzendentaler Philosophie abzugrenzen. Im Gegensatz zur herrschenden Interpretation ist festzustellen: H.s Phänomenologie des Geistes bereitet präzise die nicht-transzendentale Phänomenologie vor, die die Möglichkeit für eine voraussetzungslose systematische Philosophie eröffnen kann. Dies wird evident durch eine Analyse der phänomenologischen Methode, ihren Ausgangspunkt und ihre Schlüsse.

You, JooN-Soo: Einige Bemerkungen zur Entwicklung des jungen Hegel. [Koreanisch.] — In: Hegel-Studien. Seoul. 1 (1984), 47—73.

L.: Poj§cie ducha obiektywnego w filozofii Diltheya na tle mysli Hegla, Rickerta i Hartmanna [The concept of objective spirit in Dilthey's philosophy in the light of the philosophies of Hegel, Rickert and Hartmann]. - In: Studia Filozoficzne. Warszawa. 1984, N. 8, 29-46. ZACHARIASZ, ANDRZEJ

The article presents Dilhtey's conception of objective spirit against the background of the views of H., Rickert, and Hartmann. In this sense, the article has the character of a comparative analysis. At the same time, the author formulates the thesis that the concept of objective spirit in German idealistic philosophy served to express the most vital development tendencies in history and reflects a standpoint which ascribes to ideas the decisive role in shaping these tendencies. The views analyzed in the article are presented as an expression of this thesis.

Abhandlungen zur Hegel-Forschung / Nachträge

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E. R.: El hegelianismo penal [Der strafrechtliche Hegelianismus]. - In: Justitia. Saö Paulo. 44 (1982), N. 118, 129—146. ZAFFARONI,

Verf. folgt als Repräsentant eines konservativ-katholischen Denkens der H.-Auslegung juristischer Handbücher (Hernändez Gil, Legaz y Lacambra) und bewertet H.s Philosophie wie den Hegelianismus als Gefahr für Staat und Religion. Insbesondere H.s Auffassung von der Strafe als Sanktionsmittel für Vertragsverletzungen ist positivistisch und unzureichend, den Charakter der Strafe in allen Dimensionen zu erfassen.