Aufklärung, Band 22: Shaftesbury 9783787324491, 9783787319695

Herausgegeben in Verbindung mit der "Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts".

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Aufklärung, Band 22: Shaftesbury
 9783787324491, 9783787319695

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AUFKLÄRUNG Interdisziplinäres Jahrbuch zur Erforschung des 18. Jahrhunderts und seiner Wirkungsgeschichte

In Verbindung mit der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts herausgegeben von Lothar Kreimendahl, Martin Mulsow, Monika Neugebauer-Wölk und Friedrich Vollhardt Redaktion: Marianne Willems

Band 22 · Jg. 2010

Thema: S H A F T E S B U RY Herausgegeben von Rainer Godel und Insa Kringler

FELIX MEINER VERLAG

ISSN 0178 – 7128 Aufklärung. Jahrbuch für die Erforschung des 18. Jahrhunderts und seiner Wirkungsgeschichte. – In Verbindung mit der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts herausgegeben von Lothar Kreimendahl, Monika Neugebauer-Wölk und Friedrich Vollhardt. – Redaktion: Dr. Marianne Willems, Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für deutsche Philologie, Schellingstraße 3, 80799 München, E-mail: [email protected]. Ò Felix Meiner Verlag 2010. Das Jahrbuch und alle in ihm enthaltenen Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Bindung: Druckhaus „Thomas Müntzer“, Bad Langensalza. Printed in Germany. www.meiner.de

I N H A LT

Einleitung: Die Figur des ,moral senseÍ bei Shaftesbury . . . . . . . . . . . . . . .

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ABHANDLUNGEN

Barbara Schmidt-Haberkamp: ,Go to the poetsÍ: die Kunst des Selbstgesprächs bei Shaftesbury . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Alexandra Kleihues: Figuren der Evidenz in Shaftesburys Moralists . . . . . 41 Michael B. Prince: Mimetic Virtue. On ShaftesburyÌs moral sense . . . . . . 59 Mark-Georg Dehrmann: Shaftesburys stoischer Sokratismus . . . . . . . . . . . 77 Insa Kringler: Shaftesburys Natur- und Moralverständnis hinsichtlich der Rezeption des ,Cambridge PlatonismÍ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Simon Grote: ShaftesburyÌs Egoistic Hedonism . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Björn Pecina: Gefühlte Ganzheit. Shaftesburys Metaphysik des ,moral senseÍ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Martin Kirves: Das Urteil des Herkules – Shaftesburys gemalte Kunsttheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Patrick Müller: “Dwell with honesty & beauty & order”: The Paradox of Theodicy in ShaftesburyÌs Thought . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Katja Battenfeld / Melinda Palmer Kolb: Protestant ethics and the Ímoral senseÌ in the mid-eighteenth-century novel. C. F. GellertÌs Leben der Schwedischen Gräfinn von G*** in Mary CollyerÌs English translation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233

Aufklrung 22 · Ò Felix Meiner Verlag 2010 · ISSN 0178-7128

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Inhalt KURZBIOGRAPHIE

Cornelia R¤mi: Albrecht von Haller (1708 – 1777) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261

DISKUSSION

Cornelia R¤mi: Albrecht von Haller im 21. Jahrhundert. Ein Forschungsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265

EINLEITUNG

Die Figur des ,moral senseÍ bei Shaftesbury

I Unstrittig scheint zu sein, daß Anthony Ashley Cooper, der dritte Earl of Shaftesbury, zu einem der bedeutendsten und wirkungsvollsten (Moral-)Philosophen des 18. Jahrhunderts wurde. „He was one of the most important philosophers of his day, and exerted an enormous influence throughout the eighteenth and nineteenth centuries on British and European discussions of morality, aesthetics, and religion“,1 konstatiert Michael B. Gill im Eingang seines Artikels in der Stanford Encyclopedia of Philosophy. Lothar Kreimendahl hat Shaftesbury in seiner einführenden Darstellung von Philosophen des 18. Jahrhunderts als einen von nur zwölf aufgenommen – neben Berkeley, Hutcheson, Hume aus dem englischen Sprachraum, Voltaire, Rousseau, Diderot, Condillac aus dem französischen und Wolff, Kant, Mendelssohn und erstaunlicherweise Lichtenberg aus dem deutschen. Aufklärung ist – so wird auch hier deutlich – ein europäisches Projekt (wenn auch vielleicht zunächst in erster Linie ein west- und mitteleuropäisches), und Shaftesbury ist einer seiner prominentesten Vertreter.2 Doch mit den Stichworten „Philosophie“ und „Europa“ sind zwei Problemfelder bereits benannt, die die wissenschaftliche Erforschung Shaftesburys zu einem Wagnis internationaler und interdisziplinärer Zusammenarbeit machen. In philosophischer Hinsicht ist nicht nur die Konsistenz seiner Argumentation gelegentlich in Frage gestellt worden, sondern die Fachphilosophie stellt auch nicht sehr häufig das Verhältnis von literarischer Form und philosophischer Strenge in das Zentrum methodologischer Überlegungen, eine Frage, die für das Verständnis

Michael B. Gill, Lord Shaftesbury [Anthony Ashley Cooper, 3rd Earl of Shaftesbury], in: The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Fall 2008 Edition), hg. von Edward N. Zalta, siehe unter: http://plato.stanford.edu/archives/fall2008/entries/shaftesbury/ [Zugriff am 10. 4. 2010]. 2 Vgl. Jürgen Sprute, Shaftesbury. Philosophie der Harmonie und Schönheit in der Natur, in: Lothar Kreimendahl (Hg.), Philosophen des 18. Jahrhunderts. Eine Einführung, Darmstadt 2000, 33 – 47. 1

Aufklrung 22 · Ò Felix Meiner Verlag 2010 · ISSN 0178-7128

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Einleitung

Shaftesburys unerläßlich scheint.3 Der vielfältig interessierte, breit publizierende, witzig, elegant, ironisch, teilweise scheinbar ziellos schreibende Earl kann trotz seiner Verdienste um die Grundlegung zentraler moralphilosophischer, ethischer und naturphilosophischer Theoreme kaum als Fachphilosoph verstanden werden. ,PhilosopherÍ war Shaftesbury im Sinne seiner Zeitgenossen und im eigenen Selbstverständnis, kaum aber ein ,PhilosophÍ im strengen Sinne, welcher seine Wurzeln im späten 18. Jahrhundert in Kants Scheidung der Einzelwissenschaften von der Philosophie hat. Zentrale Beiträge der Forschung zu Shaftesbury stammen nicht nur von Philosophen, sondern auch von Historikern, Anglisten, von Wissenschaftshistorikern, Politikwissenschaftlern, nicht zuletzt von Theologen und Germanisten.4 Desiderat bleibt indes besonders hinsichtlich Shaftesburys Zentralkategorie des ,moral senseÍ ein transdisziplinärer Zugang, der am Werk des Briten selbst zeigt, wie sich literarisch-dialogische Form und propositional-philosophischer Gehalt verschränken,5 wie Aisthesis und Ästhetik (avant la lettre) eine Verbindung eingehen, wie vernünftige Skepsis und Glauben allen zeitgenössischen und späteren Bedenken zum Trotz vereinbar sein können, wie Moral gegründet, aber nicht auf eine rational tingierte Methode des Selbstzwangs zurückgeführt wird. Ein solcher Zugang kann gerade auch auf die neuere Forschung zu anderen Problemkomplexen im Werk Shaftesburys zurückgreifen, deren Verdienst es ist, die Chancen fachübergreifender Beschäftigung mit Shaftesbury zu eindrucksvollen Resultaten gebracht zu haben, ohne die Risiken eines solchen Tuns unreflektiert zu ignorieren.6 Vgl. jedoch Alexander Dick, Christina Lupton (Hg.), Theory and practice in the eighteenthcentury: writing between philosophy and literature, London 2008, darin: Joseph Chaves, Philosophy and Politeness, Moral Autonomy and Malleability in ShaftesburyÌs ,CharacteristicsÍ, 51 – 68; und, grundlegend, Gottfried Gabriel, Christiane Schildknecht (Hg.), Literarische Formen der Philosophie, Stuttgart 1990. 4 Vgl. hierzu die umfassende Bibliographie des Erlanger „Shaftesbury Projects“: http:// www.dozenten.anglistik.phil.uni-erlangen.de/shaftesbury/bibliography3.html [Zugriff am 22. 4. 2010]. 5 Darauf weist als einer der ersten bereits hin: Ernst Theodor Voss, Nachwort, in: Johann Jakob Engel, Über Handlung, Gespräch und Erzählung. Faksimiliedruck der ersten Fassung von 1774 aus der ,Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen KünsteÍ, hg. und mit einem Nachwort versehen von E. Th. V., Stuttgart 1964, 1*-171*, hier 71*. 6 Erwähnt seien nur – um die Vielfalt der disziplinären Zugänge zu verdeutlichen – die wichtigen Arbeiten von Barbara Schmidt-Haberkamp (Die Kunst der Kritik. Zum Zusammenhang von Ethik und Ästhetik bei Shaftesbury, München 2000), Alexandra Kleihues (Der Dialog als Form. Analysen zu Shaftesbury, Diderot, Madame dÌÃpinay und Voltaire, Würzburg 2002), Mark-Georg Dehrmann (Produktive Einsamkeit. Gottfried Arnold – Shaftesbury – Johann Georg Zimmermann – Jacob Hermann Obereit – Christoph Martin Wieland, Hannover 2002, und Das „Orakel der Deisten“. Shaftesbury und die deutsche Aufklärung, Göttingen 2008), Angelica Baum (Selbstgefühl und reflektierte Neigung. Ästhetik und Ethik bei Shaftesbury, Stuttgart-Bad Cannstatt 2001), Dirk Großklaus (Natürliche Religion und aufgeklärte Gesellschaft. Shaftesburys Verhältnis zu den 3

Einleitung

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Darüber hinaus ist es unabdingbar, die Forschung zu Shaftesbury in ihrer internationalen Breite wahrzunehmen und nicht auf eine Sprache zu beschränken. II Im vorliegenden Band wird der Fokus auf einen Aspekt in Shaftesburys Theoriebildung gerichtet – sofern man von „Theoriebildung“ bei einem Anti-Systemiker7 überhaupt sprechen kann –, der einen genuin disziplinenübergreifenden Zugang erfordert. Die Grundlegung der Ethik in einer von platonisch-neuplatonischen Motivkomplexen durchdrungenen Naturphilosophie verbindet Shaftesbury mit einer Psychologie, die plausibel machen soll, daß die in der Natur angelegte Teil-Ganzes-Relation im empfindenden, reflektierenden Subjekt zu einem wirklichkeitsschaffenden Gefühl gerinnt. Shaftesburys „polite philosophy“8 bedarf eines vermittelnden Junktims zwischen theoretischer Reflexion und praktischem, ethisch geleitetem Handeln. Jene neuartige Schaltstelle zwischen Welt und Mensch, jene Schaltstelle zwischen Wahrnehmung, Erkenntnis und Handeln bezeichnet Shaftesbury als „moral sense“. Paradigmatisch beschreibt Shaftesbury diesen im Inquiry concerning Virtue or Merit: Bei einem Geschöpf, das imstande ist, sich allgemeine Begriffe von den Dingen zu bilden, sind nicht nur die äußeren Dinge, die sich den Sinnen darbieten, Gegenstände der Gemütsbewegung, sondern auch die Handlungen selbst und die Gemütsbewegungen des Mitleids, der Sorge für die eigene Art, der Dankbarkeit, sowie die jeweils entgegengesetzten Gefühle, indem sie durch Reflexion in das Bewußtsein eingebracht und dadurch zu Gegenständen werden. So daß mittels dieses nach innen gewandten Sinnes eine andere Art von Gemütsbewegung entsteht, die sich auf eben jene Gemüts-

Cambridge Platonists, Heidelberg 2000), Jan Engbers (Der „Moral-Sense“ bei Gellert, Lessing und Wieland. Zur Rezeption von Shaftesbury und Hutcheson in Deutschland, Heidelberg 2001), Rebekka Horlacher (Bildungstheorie vor der Bildungstheorie. Die Shaftesbury-Rezeption in Deutschland und in der Schweiz im 18. Jahrhundert, Würzburg 2004) und Friedrich A. Uehlein (Anthony Ashley Cooper, Third Earl of Shaftesbury: Bibliographie der Schriften [Erstausgaben; Ausgaben des 18. Jahrhunderts; moderne Ausgaben; Übersetzungen] – Doxographie – Wirkung, in: Helmut Holzhey, Villim Mudroch [Hg.], Grundriß der Geschichte der Philosophie: Die Philosophie des 18. Jahrhunderts, Basel 2004, Bd. 1, 51 – 56, 62 – 89, 164 – 168). 7 „The most ingenious way of becoming foolish, is by a System“ (Anthony Ashley Cooper, Third Earl of Shaftesbury, Standard Edition: Sämtliche Werke, ausgewählte Briefe und nachgelassene Schriften, in englischer Sprache mit deutscher Übersetzung, hg., übers. und komm. von Wolfram Benda u. a., Stuttgart-Bad Cannstatt 1981 ff., hier Bd. 1.1: Characteristicks, Vol. 1: Soliloquy, or advice to an author, 210). Shaftesburys Schriften werden unter der Verwendung der Sigle SE nach der Standard Edition zitiert. 8 Vgl. Lawrence E. Klein, Shaftesbury and the culture of politeness. Moral discourse and cultural politics in early eighteenth century England, Cambridge 1994, 27.

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Einleitung

bewegungen richtet, die schon empfunden wurden und nun zum Gegenstand einer neuen Zuneigung oder Abneigung geworden sind.9

Unser Band intendiert, in Shaftesburys Werk selbst, an relevanten Vorläufern und signifikanten Nachfolgern Begriff und Figur des ,moral senseÍ in ihrer Stellung und Funktion detailliert zu beschreiben.10 Der ,moral senseÍ Shaftesburys machte in der europäischen Aufklärung in vielerlei Weise und in vielerlei Variationen Karriere:11 als ,internal senseÍ bei Francis Hutcheson, als moralisches Zustimmungsvermögen bei Adam Ferguson, als ,moral sentimentÍ bei David Hume und Adam Smith, als ,moral facultyÍ bei John S. Mill, als ,sens moralÍ bei Jean B. Robinet, als ,instinctus moralisÍ bei Christian Wolff, als angeborene Neigung zu moralischen Urteilen bei Christian A. Crusius. Schon Jürgen Sprute konstatiert, daß in „philosophisch-systematischer Hinsicht“ Shaftesburys Grundlegung der ,moral senseÍ-Ethik „am bedeutendsten gewesen sei“.12 Doch gerade die Wirkung des ,moral senseÍ geht über diese im engeren Sinne philosophische Tradition hinaus: Seit Sauders noch immer wegweisender Studie zur Empfindsamkeit ist Shaftesburys ,moral senseÍ völlig zu Recht als eines der prägenden Konzepte für Literatur und Selbstverständnis dieser Epoche erkannt worden.13 Wolfgang Riedel kennzeichnete in seinem Forschungsbericht zur Anthropologieforschung die Schlüsselrolle der ,moral senseÍ-Theorie für die empfindsame Anthropologie als Forschungsdesiderat.14 Angesichts der differenzierten neueren Forschung insbesondere zum Zusammenhang von Anthropologie und Aufklärung verkürzte man indes – so hat kürzlich Mark-Georg Dehrmann gezeigt – die Breite der Argumente und Rezeptionsstränge Shaftesburys, wenn man ihm lediglich Wirkung und Wirken in der Empfindsamkeit zuschriebe.15 Die breite Wirkung von Shaftesburys Figur des ,moral senseÍ auf Literaten,

SE II.3, S. 60 (Eine Untersuchung über Tugend und Verdienst III). Bereits Sauder macht zu Recht darauf aufmerksam, daß der Begriff ,moral senseÍ nicht genuin von Shaftesbury stammt. Vgl. Gerhard Sauder, Empfindsamkeit, Bd. 1: Voraussetzungen und Elemente, Stuttgart 1974, 73. 11 Vgl. zur folgenden Reihung u. a. den Artikel von Björn Pecina in diesem Band. 12 Vgl. Sprute, Shaftesbury (wie Anm. 2). 13 Vgl. Sauder, Empfindsamkeit (wie Anm. 10), insb. 73 ff. 14 Vgl. Wolfgang Riedel, Anthropologie und Literatur in der deutschen Spätaufklärung. Skizze einer Forschungslandschaft, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur, 6. Sonderheft, 3. Folge (1994), 93 – 157. 15 Vgl. Dehrmann, Orakel (wie Anm. 6), 16 f. et passim. Schon Schings hat darauf hingewiesen, daß das Thema ,MelancholieÍ – eines der Kernthemen literarischer Anthropologie, das auch auf Shaftesbury rekurriert – keineswegs einen gegenaufklärerischen Pol besetzt, sondern den Weg zu avantgardistischen Literaturen, etwa im Bereich der aufklärerischen Erfahrungsseelenkunde, bahnt. Vgl. Hans-Jürgen Schings, Melancholie und Aufklärung. Melancholiker und ihre Kritiker in Erfahrungsseelenkunde und Literatur des 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1977, 9. Zur neueren Anthropo9

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Einleitung

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Künstler, Theologen des 18. Jahrhunderts kann hier nicht einzeln aufgeführt werden; sie bleibt nicht nur episodisch, sie schließt die „Rehabilitierung der Sinnlichkeit“ im Sinne Panajotis KondylisÌ auf,16 sie ist auch kaum auf einzelne Gattungen oder Motive beschränkt. Shaftesburys ,moral senseÍ wird – ob im Sinne Shaftesburys verstanden oder weiterentwickelt – zu einer der entscheidenden Anregungen für das 18. Jahrhundert, das Jahrhundert der Aufklärung. In Shaftesburys Konzeption selbst erscheint der Begriff ,moral senseÍ auf den ersten Blick lediglich als Marginalie aus der Inquiry, die in den Moralists nicht wieder aufgegriffen wird. Der Begriff bleibt zudem in einer Weise unbestimmt, die den Erfordernissen konsistenter Begriffsbildung nicht entspricht. Er bezeichnet nicht, wie es der Begriff ,senseÍ nahe legt, ein passiv-empfangendes Vermögen, sondern eine Befähigung, aufgrund welcher wahre und falsche Vorstellungsbilder unterschieden und beurteilt werden können. Das sich hinter dem Begriff ,moral senseÍ verbergende Konzept ist also nicht auf diesen Begriff zu reduzieren, Shaftesburys Sprachgebrauch ist flüssig, seine Begriffe sind keine festen Größen.17 Das Spezifische der Figur des ,moral senseÍ liegt dabei zum einen gerade in diesem Punkt, der manchen Schwierigkeiten bereiten mag: Sie wird von Shaftesbury nicht im Rahmen einer philosophisch-deduktiven Begriffsbestimmung eingeführt, sondern dialogisch verhandelt. Der vorliegende Band fokussiert die Aushandlungsprozesse, die Narrative und Strategien, die die Rezeption der Figur entscheidend bestimmen. Der ,moral senseÍ erscheint zum anderen als anthropologische Kategorie,18 die zur Schaltstelle verschiedener Diskussionsstränge wurde, und die es letztlich – sub specie anthropologiae – für Shaftesbury, seine Nachfolger und Adepten schwierig macht, von den Möglichkeiten einer reinen Vernunft zu sprechen, da – um mit Niklas Luhmann zu reden – eine Beobachtung zweiter Ordnung durch den Menschen erschwert ist, da er doch immer als Mensch agiert. Mit dieser doppelten Markierung als formal dialogisch und inhaltlich anthropologisch steht die Figur des ,moral senseÍ in besonderer Weise für die Problematik von Aufgeklärtwerden und ,SelbstdenkenÍ, von Eklektik und Mündigkeit – tragende Grundideen der (nicht nur) deutschen Aufklärung, die die aufklärerischen logieforschung vgl. u. a. Jörn Garber, Heinz Thoma (Hg.), Zwischen Empirisierung und Konstruktionsleistung: Anthropologie im 18. Jahrhundert, Tübingen 2004. 16 Vgl. Panajotis Kondylis, Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, Stuttgart 1981, 394, 397. Das nicht selten allzu polemische Argument KondylisÌ muß indes im Detail kritisch gewürdigt werden. Dies betrifft gelegentlich auch seine Darlegungen zu Shaftesbury. Vgl. ebd., S. 301. 17 So wird der ,moral senseÍ u. a. auch als ,natural Sense of Right and WrongÍ oder als ,reflected senseÍ bezeichnet. Vgl. Wolfgang Schrader, Ethik und Anthropologie in der englischen Aufklärung. Der Wandel der moral-sense-Theorie von Shaftesbury bis Hume, Hamburg 1984, 10 – 17. 18 Vgl. hierzu Daniel Carey, Locke, Shaftesbury, and Hutcheson: Contesting Diversity in the Enlightenment and Beyond, Cambridge 2006.

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Debatten entscheidend bestimmten.19 Angestoßen wird also die Frage, inwieweit unter den spezifischen Bedingungen der realen Erkenntnissituation eigene, selbständige Vernunfttätigkeit und die Wendung gegen das Althergebrachte im Namen der eigenen Ratio erlaubt und überhaupt möglich sein könne. Die menschliche Denk- und Handlungsfreiheit eröffnet sich im Zwischenraum zwischen Bewerten und moralischem Handeln, der sich im ,moral senseÍ selbst konstituiert. Der ,moral senseÍ selbst trägt damit die Dialektik von Objektivität und Subjektivität in sich. Das Paradox, daß der Autor die Selbstbildung des Lesers proklamiert und fördern möchte, sie aber durch die öffentliche Darstellung von Wahrheiten auch gleichzeitig wieder beschränkt, scheint unauflösbar. Denn wie wäre der Wunsch des Autors, daß gefundene Wahrheiten angenommen würden und nach ihren Maßgaben gehandelt werde, mit dem von Shaftesbury konstatierten „ReaderÌs Privilege above the Author“20 vereinbar? Wie sucht Shaftesbury seine anthropologisch basierte Skepsis, die ihn davon abhielt, auf Dogmatik mit neuen Dogmen zu antworten, mit dem aufklärerischen Anspruch der Verschiebung der Grenzen des Nichtwissens zu vermitteln?21 Shaftesburys Figur des ,moral senseÍ erweist sich also als ein Konzept von außerordentlicher Reichweite, die sich indes gerade aus der Gleichzeitigkeit des Dazwischen ergibt, aus der Komplexität seiner Möglichkeiten, Bedingungen und Bedingtheiten, aus seiner Anschluß- und Ausschlußfähigkeit. Der ,moral senseÍ steht zwischen Natur und Kunst, zwischen Dogmatik und ,SelbstdenkenÍ, zwischen Aufklärung und Empfindsamkeit. Und doch bleibt er eine elementare Figur gerade der moralischen Aufklärung. Der vorliegende Band des Jahrbuchs „Aufklärung“ verbindet daher in seiner Analyse zentrale Aspekte, die die Figur des ,moral senseÍ bei Shaftesbury bestimmen. Hierzu kooperieren mehrere Disziplinen: Die Beiträger des Bandes sind Germanisten, Anglisten, Philosophen, Komparatisten, Historiker, Systematische Theologen und Kunsthistoriker. Sie verhandeln – erstens – die Frage der innerweltlichen Verortung des Menschen in der Figur des ,moral senseÍ. Offenbar handelt es sich hierbei dezidiert nicht um ein Konzept im Rahmen der theoretischen Philosophie oder der Erkenntnistheorie. Was ist der Stellenwert, so wird gefragt, von Shaftesburys Argumenten und Schriften innerhalb philosophischer Systeme? Angesichts der Schwierigkeiten einer solchen ,VerortungÍ wird evident, daß eine Philosophie für das praktiVgl. Norbert Hinske, Die tragenden Grundideen der deutschen Aufklärung. Versuch einer Typologie, in: Raffaele Ciafardone (Hg.), Die Philosophie der deutschen Aufklärung. Texte und Darstellung, Stuttgart 1990, 407 – 458. Zur Debatte um die ,libertas philosophandiÍ vgl. die demnächst erscheinende Arbeit von Kay Zenker, Libertas philosophandi. Zur Theorie und Praxis der Denkfreiheit in der deutschen Aufklärung (Diss. Univ. Münster 2010). 20 SE I.2, 292 (Miscellaneous Reflections V, 1). 21 Vgl. die Artikel von Barbara Schmidt-Haberkamp und Patrick Müller im vorliegenden Band. 19

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sche Leben intendiert ist, die die ethische Praxis nicht nur reflektierend in den Blick nimmt, sondern zu Handlungsoptionen transformiert. Shaftesbury zielt darauf ab, die Philosophie für das praktische, tugendhafte Handeln nutzbar zu machen. Daran knüpft die Frage an, in welchem Verhältnis eine so gestaltete praktische Tugend zur ,NaturÍ steht. Ist ein solches Handeln gemäß dem ,moral senseÍ ein ,natürlichesÍ Handeln – und falls ja: Welche philosophischen Konsequenzen ergeben sich daraus für das Verhältnis von Natur und menschlicher Vernunft? Auch eine innerweltliche Figur indes bedarf – dies wird zweitens untersucht – einer wenigstens impliziten epistemologischen Basis. Gefragt wird daher, welches Erkenntnisverfahren, welche Methoden im Sinne DescartesÌ Shaftesbury empfiehlt und anwendet. Als ersten Erkenntnisschritt sieht Shaftesbury die Selbsterfahrung in einem an ältere Traditionen fortschreibend und variierend anknüpfenden Soliloquium. Diese Selbsterfahrung soll Kritikfähigkeit und Selbstkritik ermöglichen, doch wird auch untersucht, wie Shaftesbury die Möglichkeiten und Grenzen dieses Selbstgesprächs reflektiert. Wie schließlich weitet sich das Soliloquium zum Dialog aus? Worauf zielt die Dialogizität in Shaftesburys Texten? Der Shaftesburysche Dialog, in dem die Wissensdifferenz zwischen den Dialogpartnern zumindest flacher ist als in den meisten sokratischen Dialogen, auch wenn die Konzeption des Selbstgesprächs durchaus Parallelen zu Platon aufweist, steht durchaus in einem intentional komplementären Verhältnis zum aufklärerischen Streben nach Erkenntnisgewißheit.22 Vielleicht könnte gar die dialogische Form unter den Vorzeichen der anthropologischen Selbstreflexion überhaupt erst als die angemessene Form betrachtet werden, um mit der Diagnose des unvermeidbaren Nichtwissens umzugehen, dessen Grenzen lediglich verschoben, dessen Konturen gezeichnet, dessen Interdependenzen sichtbar gemacht werden müssen.23 In Shaftesburys Characteristicks heißt es zu dieser vermeintlich widersprüchlichen Figur: „I will venture to make the Experiment throughout; and try what certain Knowledg or Assurance of things may be recoverÌd, in that very way, by which all Certainty, you thought, was lost, and an endless Scepticism introducÌd“.24 Doch was bedeutet diese spezifische Form epistemologisch grunVgl. das „innere Gespräch der Seele mit sich selbst“ bei Platon, Sophistes 263 e, 3 f., in: Platon, Sämtliche Werke in zehn Bänden. Griechisch und Deutsch, hg. von Karlheinz Hülser, Bd. 7, Frankfurt am Main 1991. Die Maieutik erfordert strukturell in der Regel einen Wissensvorsprung des Fragenden, der die Funde in der Seele der Mitunterredner prüft und Falsches aussondert. Vgl. Helmut Meinhardt, Art. „Maieutik“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. von Joachim Ritter und Karlfried Gründer, Bd. 5: L-Mn, Basel, Stuttgart 1980, Sp. 637 f., hier Sp. 637. 23 Vgl. zur Prägnanz des Nichtwissens im Zeitalter des Fragens: Hans Adler, Rainer Godel (Hg.), Formen des Nichtwissens der Aufklärung, München 2010. 24 SE I.3, 44 (Sensus Communis I, 6). Vgl. hierzu auch Carlos Spoerhase, Dirk Werle, Markus Wild, Unsicheres Wissen. Zur Einführung, in: dies. (Hg.), Unsicheres Wissen. Skeptizismus und Wahrscheinlichkeit. 1550 – 1850, Berlin 2009, 1 – 13, hier 1. 22

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dierter Dialogizität für das Verhältnis von Autor und Leser, für die Rezeptionsperspektive, für die Gültigkeit und Reichweite von propositiones und zu vermittelnden Normen, für die Sicherheit von Standpunkten? Aus Shaftesbury einen Poststrukturalisten avant la lettre zu machen wäre indes ebenso verfehlt wie die Verkürzung seiner funktionalen Referenz auf die Verbindung von Form und Inhalt zugunsten nur einer der beiden Seiten der Medaille. Wie situiert sich – so wird drittens in diesem Band gefragt – das epistemopraktische Verfahren, das den ,moral senseÍ ausmacht, im verschränkten Mit- und Gegeneinander von Affekten und (natürlicher) Vernunft des Menschen? Beinhaltet der ,moral senseÍ ein reflektiertes, ein präreflexives oder gar ein der Reflexion überhaupt nicht bedürfendes Gefühl von Recht und Unrecht? Das Modell der ,eingeborenen TugendÍ ist genuin anthropologisch rückgebunden. Während in Halle Christian Thomasius über die Unvermeidbarkeit von Vorurteilen räsoniert und konstatiert, daß genau jene „erroneas opiniones […] ” consecutione veritatis maximº abducentes“,25 die er „praeiudicia“ nennt, aufgrund der Prädominanz der Affekte in manchen Entwicklungsphasen des Menschen und in manchen Situationen stärker wirkten als die Vernunft und dennoch partiell sogar funktional positiv seien,26 macht Shaftesbury den ,moral senseÍ als nicht-nur reflexives Vermögen gar zur Möglichkeitsbedingung moralischen Wohlverhaltens. Shaftesburys Prägung durch die vernunftbetonte Theologie der ,Cambridge PlatonistsÍ mit ihren physikotheologischen Implikationen spielt dabei ebenso eine Rolle wie die Wirkung der altenglischen Erbauungsliteratur, der christlichen Offenbarungstheologie und der Stoa. Welche Funktion der Kunst resultiert schließlich – viertens – aus der engen Verschränkung von Affekten und Ratio, die die epistemologische Ebene bestimmt? Gefragt wird nach dem Verhältnis von Ethik und Ästhetik und nach den sich daraus ableitenden Lesarten von Moral und Moralität. Dabei richtet sich der Fokus dieses Bandes auf die Verortung von Shaftesburys Konzept des ,moral senseÍ zwischen den Begriffspolen Natur und Kunst, also zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit, zwischen instinktivem Gefühl und kühler Reflexion, zwischen ,tasteÍ und ,connatural ideasÍ, zwischen Empfindsamkeit und Aufklärung. Gefragt wird nach den Zusammenhängen zwischen Shaftesburys ,moral senseÍ-Konzept, seinem Kunstverständnis und seiner Psychologie des Selbst. Auf welche Weise kann Kunst Wahrheiten aufdecken, die der menschlichen Ratio und natürlichen Vgl. Christian Thomasius, Introductio ad philosophiam aulicam, seu lineae primae libri de prudentia cogitandi et ratiocinandi, ubi ostenditur media inter praejudicia Cartesianorum, & ineptias peripateticorum, veritatem inveniendi via […]. Addita est Ulrici Huberi, […] oratio de paedantismo, Leipzig 1688, in: ders., Ausgewählte Werke, hg. von Werner Schneiders, Bd. 1, Hildesheim, Zürich, New York 1993, 121. 26 Vgl. hierzu u. a. Rainer Godel, Vorurteil – Anthropologie – Literatur. Der Vorurteilsdiskurs als Modus der Selbstaufklärung im 18. Jahrhundert, Tübingen 2007, 96 f. 25

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Wahrnehmung zunächst verborgen geblieben waren? Auch Shaftesburys vielfach rezipierter ,test of ridiculeÍ – die Entlarvung von Falschheit durch Verspottung und anschließender kritischer Reflexion – basiert nicht auf einer zunächst logischen Beweisführung, und doch soll er enorme Überzeugungskraft entfalten.27 Inwieweit ist die ästhetische Ebene eine Möglichkeit, das Wirken der Urteilskraft im Selbststudium zu erproben? Wie vollzieht sich der affektive Widerstreit in der Kunst selbst? Wie vermitteln sich Naturerlebnis, Kunsterfahrung und moralische Erkenntnis? Shaftesburys Kunsttheorie bot einen zentralen Neuanstoß für die kunstphilosophischen Entwicklungen ab der Mitte des 18. Jahrhunderts. Zum Zusammenhang von Schönheit, Moral und Wahrheit heißt es bei Shaftesbury: „AND thus, after all, the most natural Beauty in the World is Honesty, and Moral Truth. For all Beauty is Truth“.28 Schönheit selbst wird zum Evidenzkriterium.29 Nicht mehr die sachliche ,RichtigkeitÍ eines Kunstgebildes also soll über ästhetische Gültigkeit entscheiden, sondern die innere Stimmigkeit des Werks, die im harmonischen Zusammenspiel aller Teile sichtbar wird: „Like that Sovereign Artist or universal Plastick Nature, he forms a Whole, coherent and proportionÌd in it-self, with due Subjection and Subordinacy of constituent Parts“.30 Wenn der Künstler nicht mehr naturgegebene Gegenstände, sondern die göttliche creatio ex nihilo nachahmt, wird das Konzept der Kunstautonomie wenigstens in den Grundzügen vorbereitet.31 Es ist, schon bei Johann George Sulzer, die Kombination von „Verstand“ und „sittlichem Gefühl“, auf die die schönen Künste wirken.32 Die breite, sprachen- und kulturenübergreifende Wirkung Shaftesburys manifestiert sich nicht zuletzt in der gegenseitigen Durchdringung von Moralphilosophie und literarischer Form auch bei seinen Adepten. Vgl. u. a. Isabel Rivers, Reason, Grace, and Sentiment. A Study of the Language of Religion and Ethics in England, 1660 – 1780, Bd. 2: Shaftesbury to Hume, Cambridge 2000, 39 f. Seine Eignung als Mittel der Aufklärung wurde indes, wie schon Altmann vermerkt, in Deutschland in Zweifel gezogen. Vgl. Alexander Altmann, Aufklärung und Kultur bei Moses Mendelssohn, in: Norbert Hinske (Hg.), „Ich handle mit Vernunft…“: Moses Mendelssohn und die europäische Aufklärung, Hamburg 1981, 1 – 14, hier 7. Schörle weist zu Recht darauf hin, daß Shaftesburys Lachen ein aufklärerisches ist: Es steht im Zeichen von Vernunft und Selbstkontrolle. Vgl. Eckart Schörle, Die Verhöflichung des Lachens. Lachgeschichte im 18. Jahrhundert, Bielefeld 2007, 199. 28 SE I.3, 120 (Sensus Communis IV, 3). Vgl. auch Carsten Zelle, Die doppelte Ästhetik der Moderne. Revisionen des Schönen von Boileau bis Nietzsche, Stuttgart 1995. 29 Die Frage nach der Koinzidenz von Schönheit, Wahrheit und Tugend blieb insbesondere in der deutschen Spätaufklärung nicht ohne Folgen, wie u. a. die Debatte von Moses Mendelssohn und Thomas Abbt über die Bestimmung des Menschen und der Streit um Lavaters Physiognomik zeigen. 30 SE I.1, 110 (Soliloquy I, 3). 31 Vgl. Albert Meier, Klassik – Romantik, Stuttgart 2008, 117 f. 32 Vgl. Johann George Sulzer, Allgemeine Theorie der schönen Künste, in einzeln, nach alphabetischer Ordnung der Kunstwörter auf einander folgenden Artikeln abgehandelt, 1. Theil, Leipzig 1771, IV. 27

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III Den Auftakt des Bandes bilden drei Artikel, die im engeren Sinne die kommunikative Konzeption der ,moral senseÍ-Figur bei Shaftesbury in den Blick nehmen. Barbara Schmidt-Haberkamp führt in ihrem Artikel aus, wie Shaftesbury in seiner Schrift Soliloquy: or, Advice to an Author für das Selbstgespräch plädiert, das den ersten und unabdingbaren Schritt zur Schärfung des individuellen Urteilsvermögens und damit zur Selbstbestimmung des Menschen darstelle. Als Selbstkritik bildet es zugleich einen wesentlichen Bestandteil von Shaftesburys epistemopraktischem Modell. Hieran anschließend zeigt Alexandra Kleihues den Zusammenhang zwischen (Selbst-)Erkenntnis, deren Evidenz und dem Evidentmachen von Erkenntnis durch spezifische Ausdrucksformen. So kann sie darlegen, wie literarische Formen – Gattung, Erzählstruktur und Redefiguren – sich in Shaftesburys Dialog The Moralists der philosophischen Frage nicht als untergeordnet, sondern als Träger eines neuen Verständnisses von moralischer Gewißheit erweisen. Michael Prince führt einen experimentellen Dialog über den ,moral senseÍ, in dem er die Prävalenz skeptischer Einwände durch Form und Argument widerlegt. Ist Shaftesburys Figur des ,moral senseÍ – so fragt er – letztlich nur „weak philosophy“, weil sie den Erfordernissen rationaler Konsistenz und innerer Schlüssigkeit nicht entspricht? Gegen diesen Einwurf macht Prince deutlich, daß der ,moral senseÍ als natürliche und notwendige kognitive Aktivität verstanden werden kann und auf diese Weise funktional wird für eine lebenspraktische Philosophie. Eine zweite Gruppe von Beiträgen fokussiert zentrale Vorläufer und Kontexte von Shaftesburys Modellbildungen. Mark-Georg Dehrmanns Beitrag zum stoischen Sokratismus Shaftesburys zeigt, welch eine zentrale Stellung der Athener für Shaftesbury besaß – sowohl für sein Denken wie auch für seine Schreibstrategien gegenüber einem öffentlichen Publikum. Den historischen Sokrates, den Shaftesbury zu konturieren versucht, entwirft er jedoch schon auf dem Hintergrund hermeneutischer Vorentscheidungen, die zu den Stoikern Epiktet und Marc Aurel führen. Dehrmann verdeutlicht, wie eng auf dieser Basis Inhalt und Form relational verbunden sind. Insa Kringler beleuchtet Shaftesburys Philosophie vor dem Hintergrund der Rezeption des ,Cambridge PlatonismÍ. Der Fokus ihres Artikels liegt vor allem auf Fragen des Natur- und Moralverständnisses, so daß die Darstellung des ,moral senseÍ in die Analyse der Topoi von ,plastick natureÍ und ,innate ideasÍ eingebettet wird. Die Artikel von Björn Pecina und Simon Grote setzen sich intensiv mit Shaftesburys kritischem Verhältnis zu John Locke auseinander und zeigen dabei in unterschiedlicher Weise, daß Shaftesbury gerade auch aufgrund seiner Kritik an dem von ihm trotz allem wertgeschätzten Lehrer nicht losgelöst von dessen Denkvoraussetzungen verstanden werden kann. Björn Pecina beleuchtet dabei die Metaphysik des ,moral senseÍ, indem er zeigt, wie Shaftesburys Identitätskonzeption

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einerseits auf entsprechenden Vorgängerreflexionen bei Locke beruht, sich aber andererseits in der Verbindung von metaphysischen und metaphysikkritischen Elementen im ,moral senseÍ neu konstituiert. Das Gefühl des ,moral senseÍ erweist sich letztlich als so stark, daß es nach Shaftesbury keiner theoretischen Rückversicherung mehr bedarf. Simon Grote beschreibt Shaftesburys Moralphilosophie als „Egoistic Hedonism“. Er zeigt, daß Shaftesbury erstens voraussetzt, daß der richtige Beweggrund der tugendhaften Handlung der Wunsch nach dem eigenen, aus der Tugend folgenden Vergnügen ist, und zweitens, wie der ,VirtuosoÍ durch seinen Wunsch nach Vergnügen zum höchsten Grad der Tugend geführt werden soll. Durch dieses Konzept suchte Shaftesbury Lockes These von der Willkür der Tugend zu widerlegen. Die Beiträge von Martin Kirves und Patrick Müller fokussieren das für Shaftesbury so relevante Problem der Teil-Ganzes-Relation. Dies beschreibt Martin Kirves anhand einer eingängigen kunsthistorischen Analyse des von Paolo de Matteis nach Shaftesburys Anweisungen gefertigten Gemäldes Das Urteil des Herkules. Als Exemplifikation der unvollendet gebliebenen 2nd Characters or Language of forms sollte es zum Initialbild einer neuen Kunst werden, welche das von Shaftesbury der Bildlichkeit zugesprochene erkenntnistheoretische Potential ausschöpft. Das Herkules-Gemälde fungiert als bildlich formierte – also künstlerisch zur Anschauung gelangende – Schnittstelle zwischen Ethik, Ästhetik und Erkenntnistheorie. Patrick Müller stellt dar, wie sich Shaftesburys Theodizee auf die Güte einer universalen Gottheit stützt und wie Shaftesbury diese empirisch aus der Beobachtung der fundamentalen Harmonie und Ordnung eines Kosmos ableitet, in dem das Übel keine ontologische Größe, sondern nur ein den Grenzen menschlicher Erkenntnis zuzuschreibendes Mißverständnis sein kann: Die Theodizee erweist sich so als „epistemologisches Paradoxon“. Der Band schließt mit dem Beitrag von Melinda Palmer Kolb und Katja Battenfeld, die anhand von Mary Collyers englischer Übersetzung von Christian Fürchtegott Gellerts Das Leben der Schwedischen Gräfinn die Rezeption von Shaftesburys ,moral senseÍ-Konzept in der protestantischen Ethik untersuchen. Hierbei wird im Detail deutlich, daß die Verschiebungen innerhalb der protestantischen Moral genuin literarische Folgen zeitigen – eine Vielfalt, die auch in der Rezeption die Komplexität, aber auch Konfliktträchtigkeit von Shaftesburys Figur des ,moral senseÍ verdeutlicht. IV Grundlage für diesen Band sind die Vorträge und Diskussionen eines Workshops, der im Dezember 2007 vom Landesforschungsschwerpunkt Aufklärung – Religion – Wissen an der Martin-Luther-Universität zu Halle veranstaltet wurde. Aus diesen Diskussionen heraus entstand die Konzeption des vorliegenden The-

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menheftes, das paradigmatisch die disziplinären Grenzen überschreitet und vielfältige Zugriffe auf Shaftesbury ermöglicht. Die Herausgeber danken allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Workshops für die regen Diskussionen, allen Beiträgerinnen und Beiträgern für die konstruktive Zusammenarbeit, dem Landesforschungsschwerpunkt, insbesondere seinem ehemaligen Leiter Prof. Dr. Udo Sträter, Frau Prof. Dr. Monika Neugebauer-Wölk, dem Interdisziplinären Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung in Halle, besonders seinem Direktor Prof. Dr. Daniel Fulda, sowie Annegret Jummrich, Diana Lindner, Grit Neugebauer und Melinda Palmer Kolb. Rainer Godel, Insa Kringler PD Dr. Rainer Godel, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Landesforschungsschwerpunkt „Aufklärung-Religion-Wissen“, Franckeplatz 1, Haus 24, 06099 Halle (Saale), E-Mail: [email protected] Dr. des. Insa Kringler, Kirchstr. Str. 2, 26603 Aurich, E-Mail: [email protected]

ABHANDLUNGEN

Barbara Schmidt-Haberkamp ,Go to the poetsÍ: die Kunst des Selbstgesprächs bei Shaftesbury

I. Shaftesburys Kritikbegriff Daß Selbsterkenntnis der erste Weg zur Besserung sei, ist eine geläufige Spruchweisheit. Sie bedeutet, daß der Überprüfung der eigenen Urteile und Handlungsmotive bei der Korrektur menschlichen Verhaltens größerer Erfolg beschieden ist als der blinden Befolgung von Denk- und Handlungsvorschriften. In dieser Rückwendung des Individuums auf sich selbst ist zugleich die Aufforderung enthalten, andere nicht sogleich mit Kritik zu überziehen und ihnen Raum zur Selbstentfaltung und Selbstkorrektur zu gewähren. In der Schrift Soliloquy: or, Advice to an Author hält Shaftesbury ein Plädoyer für das Selbstgespräch als erstem und unabdingbarem Schritt zur Entwicklung und Schärfung des individuellen Urteilsvermögens und damit zur Selbstbestimmung des Individuums. Als Selbstkritik stellt es zugleich einen wesentlichen Bestandteil von Shaftesburys Kritikbegriff dar. Der Kritikbegriff ist Shaftesburys Schriften zentral; in ihm treffen Ethik und Ästhetik aufeinander.1 Kritik ist für Shaftesbury die Geisteshaltung der zivilisierten Gesellschaft überhaupt und Motor des Projekts der kulturellen Erneuerung Großbritanniens. Sein übergreifendes Thema lautet Methode und betrifft, in radikaler Ablehnung von normsetzenden, die Meinung uniformierenden Instanzen – Kirche, Politik, normative Ethik, öffentliche Meinung, Autoren –, die Form der Auseinandersetzung mit politischen, ethischen und ästhetischen Fragestellungen. Dabei sind ihm Kunst- und Literaturkritik als Aufgreifen künstlerischer Verfahrensweisen paradigmatisch für eine bewußt offengehaltene, unprinzipielle und selbstreflektierende Auseinandersetzung mit anderen Phänomenen der Lebenswelt. In sie weist Shaftesbury seine Leser ein mit der Absicht, daß ihre im Umgang mit Kunst geschärfte Urteilsfähigkeit auch in den Lebensbereichen wirksam werde, die, wie er formuliert, sein hauptsächliches Glück, nämlich seine Freiheit und Siehe hierzu im Detail meine eigene Studie: Die Kunst der Kritik. Zum Zusammenhang von Ethik und Ästhetik bei Shaftesbury, München 2000; sowie Angelica Baum, Selbstgefühl und reflektierte Neigung. Ethik und Ästhetik bei Shaftesbury, Stuttgart 2001. 1

Aufklrung 22 · Ò Felix Meiner Verlag 2010 · ISSN 0178-7128

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sein Menschsein betreffen (Miscellaneous Reflections, SE I.2, 300).2 In dieser die Characteristicks beschließenden fünften Miszelle faßt Shaftesbury die Intention seiner Schriften zusammen: „to raise the masterly Spirit of just Criticism in my Readers, and exalt them ever so little above the lazy, timorous, over-modest, or resignÌd State, in which the generality of them remain“ (ebd.). Erkenntnis beginnt bei Shaftesbury mit Selbsterkenntnis, die zugleich das einzig zuverlässige Wissen darstellt. Frucht der Einsicht in die eigenen Erkenntnisgrenzen ist Toleranz, das Pendant zur Idee der Freiheit, die das Individuum zu Respekt vor den Ansichten anderer verpflichtet. Da Selbstaufklärung auf die Dauer nicht gelingen kann und der Mensch als natürliches soziales Wesen in der Gemeinschaft lebt, wird Aufklärung in einem zweiten, parallelen Schritt als öffentlicher Gebrauch der Vernunft etabliert. Es ist die Berufung auf die Natur als Maßstab für das Denken und Handeln des Individuums, die den Wahrheitsbegriff ablöst und damit die Notwendigkeit von Kritik sowie die damit einhergehende Notwendigkeit einer beständigen Schärfung des Urteilsvermögens (,tasteÍ) begründet. Medium der Kritik ist der Dialog, der als Selbstgespräch (innerer Dialog) konstitutiv für die persönliche Urteilsfindung und als interpersonaler Dialog für den Austausch, die Überprüfung und Modifizierung von Positionen zuständig ist. Entwickelt werden diese Überlegungen zur Methodik des Denkens und zum Zusammenhang von Kunst und Kritik in Soliloquy: or, Advice to an Author sowie in der diese Schrift kommentierenden dritten und in Teilen der fünften Miszelle. Die Schlüsselstellung, die dem Soliloquy folglich zukommt, hat Shaftesbury selbst herausgestrichen: In den Miszellen beschreibt er die Schrift mit ihren „Betrachtungen über Schriftsteller im allgemeinen und den Aufstieg und Fortschritt der Künste“ als „Inlet or Introduction to his Philosophy“ (SE I.2, 166). Diese Charakterisierung muß die Herausgeber der Standard Edition dazu bewogen haben, von der ursprünglichen Textanordnung abzuweichen und das Soliloquy an den Anfang der Characteristicks zu setzen; Shaftesbury selbst hatte bereits die spät entstandene Schrift (1710) als dritten Text in den ersten Band der von ihm selbst Shaftesburys Texte werden unter Verwendung der Sigle SE mit Angabe von Band, Teilband und Seitenzahlen nach der Standard Edition zitiert: Anthony Ashley Cooper, Third Earl of Shaftesbury, Standard Edition, Complete Works, hg. von Wolfram Benda u. a., Stuttgart 1981 ff. Zur besseren Einordnung der Zitate werden die folgenden Kurztitel jeweils mitangegeben: Soliloquy (Soliloquy: or, Advice to an Author), Enthusiasm (A Letter Concerning Enthusiasm), Miscellaneous Reflections (Miscellaneous Reflections), Sensus Communis (Sensus Communis: An Essay on the Freedom of Wit and Humour), The Moralists (The Moralists), Inquiry (An Inquiry Concerning Virtue or Merit), Plasticks (Plasticks, or the Original, Progress & Power of Designatory Art), Design (A Letter Concerning Design). Aus Shaftesburys philosophischem Tagebuch The Philosophical Regimen, in: The Life, Unpublished Letters, and Philosophical Regimen of Anthony, Earl of Shaftesbury, hg. von Benjamin Rand, London, New York 1900, 1 – 272, wird unter Angabe des Kurztitels Philosophical Regimen und der Seitenzahlen zitiert. 2

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betreuten dreibändigen Gesamtausgabe der Characteristicks von 1711 aufgenommen. Die Begründung der Herausgeber der Standard Edition für die Umstellung der Texte, das Werk „in statu nascendi“ präsentieren zu wollen („EditorsÌ Introduction“, SE II.2, 17 – 18), ist damit nicht haltbar. In Soliloquy nimmt Shaftesbury das Verhältnis zwischen Autor, Kritiker und Publikum in den Blick; Ziel der Schrift sei die Apologie der Schriftsteller und die Verteidigung der Zunft der Gelehrten („an Apology for Authors, and a Defence of the literate Tribe“, SE I.1, 118). Da Literatur zu Shaftesburys Zeit noch die allgemeine Bedeutung von Schrifttum hat, beziehen die von ihm verwendeten Begriffe ,authorÍ und ,writerÍ neben dem Dichter den Philosophen, Theologen und Historiker mit ein und bezeichnen all jene, die sich mit ihrem Werk an die Öffentlichkeit wenden. Ihnen empfiehlt Shaftesbury, in nicht ungebrochener Aufnahme der römisch-stoischen Tradition, im ersten Teil des Soliloquy das Selbstgespräch zur Charakterbildung und persönlichen Urteilsfindung, bevor sie, womöglich als Lehrmeister der Nation, an die Öffentlichkeit treten. Das Selbstgespräch ist, wie Mark-Georg Dehrmann formuliert hat, „geradezu das praktische Zentrum“ von Shaftesburys „ethisch-ästhetische[r] Konzeption“ und seine Bedeutung als Gegenentwurf zu einer „systematisch und rational akzentuierten Ethik“ kaum zu überschätzen.3 Der Rat zum Selbstgespräch geht an die Schriftsteller, im folgenden noch enger gefaßt an die Dichter („Poets“), nicht nur aufgrund ihrer Autorität, die sie in besonderem Maße zur Selbstprüfung verpflichte, sondern weil sie aufgrund ihrer einzigartigen Unabhängigkeit geradezu als Modellfall für den von Shaftesbury avisierten freien Vernunftgebrauch anzusehen seien. „For in a free country, such as ours, there is not any Order or Rank of Men, more free than that of Writers“ (Soliloquy, SE I.1, 140), argumentiert Shaftesbury, denn die Dichter folgten allein dem Maßstab der Natur – Shaftesburys zentrale Verteidigungsvokabel –, und das heißt, sie beugen sich keiner anderen Autorität: Their Example is the best of Precepts; since they conceal nothing, are sincere, and speak their Passion out aloud. And Ìtis in this that the very worst of Poets may justly be preferÌd to the generality of modern Philosophers, or other formal Writers of a yet more specious name. […] They follow Nature. They move chiefly as she moves in Ìem; without Thought of disguising her free Motions, and genuine Operations, for the sake of any Scheme or Hypothesis, which they have formÌd at leisure, and in particular narrow Views (Miscellaneous Reflections, SE I.2, 362).

Die Auffassung, daß die Kunst infolge ihrer Dialogstruktur das formal vorbildliche Medium der Kritik sei und Kunstkritik als Aufgreifen und Fortsetzung dieser Mark-Georg Dehrmann, Das „Orakel der Deisten“. Shaftesbury und die deutsche Aufklärung, Göttingen 2008, 142. Zu Shaftesburys Selbstgespräch in der stoischen Tradition siehe auch MarkGeorg Dehrmann, Produktive Einsamkeit. Studien zu Gottfried Arnold, Shaftesbury, Johann Georg Zimmermann, Jacob Hermann Obereit und Christoph Martin Wieland, Hannover 2002, 35 – 55. 3

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künstlerischen Verfahrensweise das Zentrum der Kritik, sieht Shaftesbury geschichtlich belegt, denn, wie er in Soliloquy darlegt, die Philosophie sei in ihren Anfängen Dichtung gewesen und die älteste Form von Kritik die Dichtungskritik der Antike. Der stete Bezug auf die Antike ist dabei nicht nostalgisch, sondern „utopisch-appellativ“, indem ein Sozialideal, das Shaftesbury in der Antike erblickt, an die zeitgenössische Konversationskultur angepaßt wird mit dem Ziel, eine neue Lehr- und Lernkultur zu entwickeln.4

II. Selbsterkenntnis und ,tasteÍ Mit dem Selbstgespräch als Medium der Selbsterkenntnis knüpft Shaftesbury explizit an die sokratische Tradition des nosce te ipsum an, die ihren Ursprung bei Platon hat, in der römischen Tradition, insbesondere in den für Shaftesburys Philosophical Regimen beispielhaften Selbstbetrachtungen des Marc Aurel, fortgeführt wird5 und dann über Augustin und die Essayistik Montaignes großen Einfluß im 17. und 18. Jahrhundert gewinnt. In England ist es Sir John DaviesÌ Nosce Teipsum von 1599, das dem Prinzip der Selbsterkenntnis neue Geltung verschafft.6 Die wahrscheinlich bekanntesten Formulierungen dieses Prinzips, die fast schon den Charakter geflügelter Worte angenommen haben, stehen in Alexander Popes Essay on Man (1733/34) zu Beginn der zweiten Epistel, „Know then thyself, presume not God to scan; / The proper study of Mankind is Man“ (II, 1 – 2), und emphatisch im Schlußsatz des Essays: „And all our Knowledge is, ourselves to know“ (IV, 398).7 Wie auch an Shaftesburys Wissenschaftskritik abzulesen ist, Vgl. Alexandra Kleihues, Der Dialog als Form. Analysen zu Shaftesbury, Diderot, Madame dÌÃpinay und Voltaire, Würzburg 2002, 59, 96. Vgl. auch Lawrence E. Klein, Shaftesbury and the Culture of Politeness. Moral Discourse and Cultural Politics in Early Eighteenth-Century England, Cambridge 1994, 206: „ShaftesburyÌs admiration for the ancients did not constitute a rejection of modernity since the ancient had a clarifying, not a disparaging relation to the modern. Though he ascribed the greatest achievements in art and literature to the Greeks, Shaftesbury was progressive in his views of history. The point of looking back to the Greeks was not to mourn a loss, but to celebrate a possibility“. 5 Siehe hierzu den Beitrag von Mark-Georg Dehrmann in diesem Band. 6 Zum Einfluß des sokratischen Dialoges im England des 18. Jahrhunderts und seinen Auswirkungen auf Erziehungsvorstellungen siehe Kevin Joel Berland, Didactic, Catecheticall, or Obstetricious? Socrates and Eighteenth-Century Dialogue, in: Kevin L. Cope (Hg.), Compendious Conversations. The Method of Dialogue in the Early Enlightenment, Frankfurt am Main 1992, 93 – 104. Daß in diesem Band nicht ein Aufsatz zu Shaftesbury enthalten ist, darf als schweres Versäumnis betrachtet werden. Den „bildungsphilosophischen Konsequenzen von Shaftesburys Lehre“ geht Fritz-Peter Hager nach: Aufklärung, Platonismus und Bildung bei Shaftesbury, Bern, Stuttgart, Wien 1993, 9. 7 The Poems of Alexander Pope, hg. von John Butt, London, New York 1992 (11963), 516, 547. 4

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tritt Selbsterkenntnis in Konkurrenz zu Sachkenntnis und damit zu dem spätestens seit Bacon gültigen neuen Ideal naturwissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts.8 Selbsterkenntnis, wie gering man sie auch schätzen mag, bildet nach Shaftesbury die Voraussetzung jeder Form von Erkenntnis, insofern sie die Grundlage unserer Bewertung der sich uns aufdrängenden sinnlichen Erscheinungsbilder sowie der uns leitenden Neigungen offenbart: How little regard soever may be shewn to that moral Speculation or Inquiry, which we call the Study of our-selves; it must, in strictness, be yielded, That all Knowledg whatsoever depends upon this previous-one: And that we can in reality be assurÌd of nothing, till we are first assurÌd of What we are Our-Selves (Miscellaneous Reflections, SE I.2, 232).

Denn hierdurch allein könne man wissen, was Gewißheit und Sicherheit seien. Ohne vorgängige Orientierung durch das individuelle Urteilsvermögen („without the Pre-establishment or Supposition of a certain Taste“; Miscellaneous Reflections, SE I.2, 200) bleiben Erkenntnis und Erfahrung unmöglich. Das heißt, wer die Augen nicht selektierend und interpretierend auf einen Gegenstand richtet, der sieht ihn nicht, und wer sich keine Vorstellung von Gut und Böse gemacht hat, ist zur Bewertung der moralischen Qualität einer Handlung nicht in der Lage. Erst das Selbststudium jedoch macht das Wirken der individuellen Urteilskraft transparent und gibt Aufschluß über die Interpretation und Bewertung der Phänomene, aber auch der Affekte, die unser Handeln und unsere Einstellungen bestimmen. Daran, daß Selbsterkenntnis überhaupt möglich ist, zweifelt Shaftesbury nicht; allerdings hält er Versuche theoretischer Begründung von persönlicher Identität wie den von Descartes für müßig, denn die Resultate solcher Spekulationen seien für das Handeln der Menschen ohne Bedeutung. Die Gewißheit persönlicher Identität leitet er aus der Lebenspraxis ab: „I take my Being upon Trust. […] Nor do we scruple to act as resolutely upon the mere Supposition that we are, as if we had effectually provÌd it a thousand times“ (Miscellaneous Reflections, SE I.2, 234). An diese Diffamierung seiner „metaphysischen oder pyrrhonischen Gegner“ (SE I.2, 234) schließt Shaftesbury eine Bestandsaufnahme der ihm bewußten Gemütsbewegungen an. Man hat seinen Ansatz in der Forschung deshalb empiristisch genannt;9 Shaftesbury selbst bezeichnet das 8

392.

Siehe hierzu Hans Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, Frankfurt am Main 1966, 383 –

So Ernest Tuveson, der Shaftesbury deshalb den Neoplatonikern Cudworth und More gegenüberstellt und eine Linie von Bacon zu Shaftesbury zieht: Shaftesbury on the Not So Simple Plan of Human Nature, in: Studies in English Literature, 1500 – 1900, 5 (1965), 403 – 434. Dabney Townsend identifiziert eine Mischung aus empiristischen und metaphysischen Elementen: ShaftesburyÌs Aesthetic Theory, in: Journal of Aesthetics and Art Criticism 41 (1982), 205 – 213. Nancy Struever spricht von Shaftesburys „private empiricism“: The Conversable World: Eighteenth-Century Transformations of the Relation of Rhetoric and Truth, in: Brian Vickers, N. S., Rhetoric and the Pursuit of Truth. Language Change in the Seventeenth and Eighteenth Centuries, Los Angeles 1985, 77 – 119, hier 85. 9

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Selbstgespräch einmal als „Empirick talk“ (Soliloquy, SE I.1, 52). In jedem Fall gilt, daß man die Beantwortung der Fragen „Where am I? or What?“ nicht anderen übertragen sollte (Miscellaneous Reflections, SE I.2, 194).

Selbsterkenntnis dient darüber hinaus der Entwicklung und Schärfung des Urteilsvermögens, das nach Shaftesbury keine angeborene, das heißt, von Geburt an voll ausgebildete Fähigkeit darstellt und daher beständiger Kritik bedarf: „Now a Taste or Judgment, Ìtis supposÌd, can hardly come ready formÌd with us into the World. […] A legitimate and just Taste can neither be begotten, made, conceivÌd or producÌd, without the antecedent Labour and Pains of Criticism“ (Miscellaneous Reflections, SE I.2, 200 – 2). ,TasteÍ, Geschmack, bedeutet bei Shaftesbury nicht ,der gute GeschmackÍ, über den sich nicht streiten läßt und dessen Besitz vorzugsweise an Werken der Kunst demonstriert wird, sondern der Begriff ist hier so neutral wie der griechische Ursprung des Begriffs ,KritikÍ: Beide bedeuten zunächst nicht mehr als „entscheiden“, „urteilen“, „prüfen“. Zu einer kunsttheoretischen Kategorie wird ,tasteÍ erst im weiteren Verlaufe des 18. Jahrhunderts und bezeichnet dann in dieser eingeschränkten Bestimmung das dem dichterischen Genie entsprechende Vermögen auf der Rezeptionsseite.10 Bei Shaftesbury aber ist ,tasteÍ noch nicht das Geschmacksurteil, das einmal erworben und darauf als unveränderlicher Maßstab angelegt wird, sondern allgemein die Fähigkeit zum Urteil – ständig in Bewegung, permanent sich wandelndes Produkt permanenter Auseinandersetzung. ,GeschmackÍ ist damit auch nicht auf die Kunstbetrachtung beschränkt, sondern bezieht sich auf alle Lebensbereiche. In den Miszellen etwa findet sich die Überschrift „Application of the Taste to Affairs of Government and Politicks“ (SE I.2, 200). Wo der Begriff im Zusammenhang der Kunst gebraucht wird, bedeutet er das Resultat von Kunstbetrachtung, das sich mit jedem neuen Werk ändert. Gefallen, das dem Zufall oder einer spontanen Regung entspringt, ist nach Shaftesbury allerdings kein Beweis für Urteilskraft. Geschmack und Urteilsfähigkeit sind Produkte härtester Arbeit, da das Individuum lernen muß, seine Neigungen gegen den beständigen Widerstand solcher verführerischen Kräfte wie Gewohnheit und Mode zu entwickeln (Soliloquy, SE I.1, 228). Aus diesem Grund verteidigt Shaftesbury die Sache der Kritiker und führt einen Angriff gegen jene, die allein die Laune zur Richtschnur ihres Urteils machen und über dieses keine Rechenschaft ablegen wollen: For this reason we presume not only to defend the Cause of Criticks; but to declare open War against those indolent supine Authors, Performers, Readers, Auditors, Actors or Spectators; who making their Humour alone the Rule of what is beautiful and Vgl. die Textbeispiele bei Herbert Mainusch, Geschmack: Feind der Kunst. Überlegungen zu einer historischen Untersuchung des Geschmacks-Begriffs in der Kunsttheorie, in: Kurt R. Jankowsky, Ernst S. Dick (Hg.), Festschrift für Karl Schneider, Amsterdam, Philadelphia 1982, 479 – 497, hier 482. 10

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agreeable, and having no Account to give of such their Humour or odd Fancy, reject the criticizing or examining Art, by which alone they are able to discover the true Beauty and Worth of every Object (Miscellaneous Reflections, SE I.2, 202).

Shaftesburys Ausführungen zu ,tasteÍ beinhalten eine unbeirrbare Absage an die Anpassungsbereitschaft der Menschen; Konstrukte wie „universal Judgment & publick Taste“ (Plasticks, SE I.5, 249) werden der Absurdität überführt. Und wenn Shaftesbury fordert, die Bildung des Urteilsvermögens solle „nach dem wahren Maßstab der Natur“ („by the just Standard of Nature“) erfolgen, dann wird damit keine neue überindividuelle Verbindlichkeit ins Spiel gebracht, sondern das Individuum ist aufgefordert, Einsicht in sich selbst und Kenntnis seiner eigenen natürlichen Grundkräfte zu erwerben („to gain at least some tolerable Insight into himself, and Knowledg of his own natural Principles“; Soliloquy, SE I.1, 288). Wohl mag es ihm an Mut fehlen, seinen Meinungen auf den Grund zu gehen und seine Vorurteile in Zweifel zu ziehen, aber grundsätzlich ist es dazu in der Lage: „ÌTis We our-selves that make our Taste. If we resolve to have it just; Ìtis in our power“ (Miscellaneous Reflections, I.2, 224). Nicht Prinzipienlosigkeit und ein alle Gültigkeit nivellierender Relativismus sind die Folgen der bei Shaftesbury radikal im Individuum angesiedelten Welterkenntnis. Vielmehr hat das Postulat der Selbsterforschung gerade den Zweck der Aufhebung von Prinzipienlosigkeit und Relativismus, insofern der einzelne aufgefordert ist, sich seine Einstellungen und Handlungsmotive bewußt zu machen und Verantwortung für sie zu übernehmen. Die Bildung des Urteilsvermögens wird damit zur höchsten Aufgabe: „The great Business in this, (as in our Lives, or in the whole of Life) is ,to correct our TasteÍ“ (Plasticks, SE I.5, 196). Genauer, weil auf das Individuum bezogen, ist sie in den Miszellen formuliert: „To discover, how we may, to best Advantage, form within our-selves what in the polite World is callÌd a Relish, or Good Taste“ (SE I.2, 188). Selbsterforschung und Weltoffenheit empfiehlt Shaftesbury zur Entwicklung dieses Urteilsvermögens, wobei der zweite Schritt, die Bewährung des individuellen Urteilsvermögens im öffentlichen Austausch, nicht nur verhindert, daß Erkenntnis bei Selbstbespiegelung stehenbleibt, sondern auch Überheblichkeit und der Verachtung anderer vorbeugt. Den Gelehrten ohne Selbststudium nennt Shaftesbury einen Idioten (Miscellaneous Reflections, SE I.2, 192); umgekehrt moniert er bei seinen Landsleuten das Festhalten an der Idee der „splendid isolation“, die zu nationaler Überheblichkeit führe (Miscellaneous Reflections, SE I.2, 188). Vielmehr sei es unerläßlich, die moderne Konversation zu höchster Kultiviertheit zu bringen, freien und offenen Umgang mit der Welt zu pflegen und von überall her Ansichten zu sammeln und Aufklärung zu erhalten (SE I.2, 188). Im Fazit von Soliloquy werden denn auch noch einmal ausdrücklich beide Bestandteile der Urteilsbildung aufgeführt: „An honest Home-Philosophy must

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teach us the wholesom Practice within our-selves. Polite Reading, and Converse with Mankind of the better sort, will qualify us for what remains“ (SE I.1, 300).11 III. Die Praxis des Ratgebens Wenn das Ich Bezugsinstanz aller Welt- und Wirklichkeitserfahrung ist, dann stellt Selbstbeobachtung die größte Nähe zu dieser Wirklichkeit her. Im ersten Teil von Soliloquy: or, Advice to an Author, in dem das Selbstgespräch thematisiert ist, beginnt Shaftesbury so nahe am Zuhause wie möglich („as near as home as possible“), mit der eingeschränktesten aller Unterhaltungen („the narrowest of all Conversations“): „that of Soliloquy or Self-Discourse“ (Miscellaneous Reflections, SE I.2, 188). Der Titel der Schrift spielt auf das im 17. Jahrhundert proliferierende Genre der Ratgeberliteratur an, möglicherweise auch auf die bereits seit Anakreon vor allem in der Lyrik etablierte Weisung des Dichters an den Maler („advice to a painter“).12 Darüber hinaus enthält der Titel ein doppeltes Paradox, eines, das sofort ins Auge fällt, und eines, das sich erst im Verlaufe der Lektüre enthüllt: Die Schrift ist als Monolog identifiziert, als Ratschlag aber zugleich an einen Adressaten gerichtet; im weiteren stellt sich heraus, daß das Autoren empfohlene Selbstgespräch als Dialog konzipiert ist. Das erste Paradox erhellt eine grundlegende Problematik des Shaftesburyschen Gesamtwerks: Wie kann der Autor es vermeiden, als Lehrmeister aufzutreten und damit die Freiheit seines Lesers zur Selbstbildung einzuschränken, wenn er doch zugleich mit der Publikation seines Werkes an die Öffentlichkeit tritt und dieser ein bestimmtes Verhalten anempfiehlt? Die einleitenden Überlegungen in Soliloquy wie auch bereits die Wahl literarischer Kompositionsformen für die einzelnen Schriften der Characteristicks (mit Ausnahme von Shaftesburys „Sündenfall“ der systematischen Inquiriy) thematisieren genau diese Problematik. Unter dem Stichwort „politeness“ hat insbesondere Klein die Exklusivität dieser Geselligkeit herausgearbeitet, nämlich ihre Fokussierung vor allem auf den männlichen Landadel. Klein, Shaftesbury and the Culture of Politeness (wie Anm. 4); zum Ausschluß von Frauen siehe Rebecca Tierney-Hynes, ShaftesburyÌs Soliloquy: Authorship and the Psychology of Romance, in: Eighteenth-Century Studies 38 (2005), 605 – 621. Irreführend ist sicherlich die Formulierung von Hans Carl Finsen: „Weil aber der Autor den feinen und gebildeten Umgang der Gentlemen entbehren muß, rät ihm Shaftesbury, im Selbstgespräch einen künstlichen Ersatz zu errichten. Anstelle der lebendigen Geselligkeit soll ihn die dramatische Kunst der Alten leiten“; Funktionswandel des Selbstgesprächs: Rhetorische Strategien bei Shaftesbury und Johann Jakob Engel, in: Orbis Litterarium 59 (2004), 366 – 389, hier 373. 12 Vgl. hierzu Wolfgang Lottes, The Judgment of Hercules: Shaftesbury und die Ut Pictura Poesis-Tradition, in: Anglia 107 (1989), 330 – 343, hier 338. Zu „advice literature“ siehe Klein, Shaftesbury and the Culture of Politeness (wie Anm. 4), 102. 11

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Shaftesbury beginnt mit der Beobachtung, daß die Praxis des Ratgebens nicht nur die beabsichtigte Wirkung, nämlich die Besserung des Empfängers, verfehlt, sondern zugleich einen bedenklichen Eingriff in dessen Persönlichkeit darstellt, weil sie ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Ratsuchenden und dem Ratgebenden herstellt. In der Regel diene das Ratgeben dazu, sich vor anderen zu profilieren, sich über sie zu erheben und der eigenen Weisheit zu schmeicheln. Einziger Nutznießer sei letztlich der Ratgeber, während der Ratsuchende die Kosten trage. Umgekehrt seien die Menschen wohl bereit, den Sachverstand anderer anzuerkennen, nicht aber, sich in Fragen der allgemeinen Menschenvernunft belehren zu lassen. Die einzige Möglichkeit des Ratgebens bestehe also darin, den Rat zu einem „free Gift“, einem kostenlosen Geschenk zu machen (Soliloquy, SE I.1, 41), das weder den Ratgebenden bereichere noch in irgendeiner Weise von dem Ratsuchenden nehme. Mit der entschiedenen Distanzierung vom Anspruch des Besserwissens und dem Verzicht auf die Missionierung anderer schließen Shaftesburys Ausführungen an das Werk Platons an, insbesondere an die Apologie des Sokrates (33a-b) und an Platons Ansichten über das Erteilen von Ratschlägen im Siebten Brief (330c-331d), in denen jeweils die Freiwilligkeit der Beziehung zwischen Ratgebendem und Ratempfangendem hervorgehoben wird. Zugleich reihen sie sich in die Tradition der Moralistik ein; in diesem Zusammenhang erinnern sie an Schopenhauers Einteilung der Denker in Selbstdenker und Sophisten, in solche also, die zunächst für sich, und solche, die sogleich für andere denken. Jene sind die echten, sind die Selbstdenker, im zwiefachen Sinne des Worts: sie sind die eigentlichen Philosophen. Denn ihnen allein ist es Ernst mit der Sache. Auch besteht der Genuß und das Glück ihres Daseins eben im Denken. Die anderen sind die Sophisten: sie wollen scheinen und suchen ihr Glück in dem, was sie dadurch von anderen zu erlangen hoffen; hierin liegt ihr Ernst.

Welcher Klasse ein Denker angehöre, lasse sich leicht erkennen: Lichtenberg ist nach Schopenhauer ein Muster der ersten Art, Herder gehöre schon der zweiten an.13 Im Falle von Autoren, so fährt Shaftesbury fort, verschärfe sich das Problem: Für sie, die ihrem Zeitalter als erklärte Meister der Klugheit gelten, sei es das denkbar Schwierigste, sich so zu geben, als wollten sie ihr Publikum nicht beleh-

Arthur Schopenhauer, Sämtliche Werke, hg. von Wolfgang von Löhneysen, Bd. 5, 586 f.; zitiert nach Hans Peter Balmer, Philosophie der Menschlichen Dinge: die Europäische Moralistik, Bern und München 1981, 154. Bündig beschrieben ist die Position der Moralistik in Hugo Friedrich, Montaigne, Bern, München 1967 (11949), 11 f. An diese Studie anknüpfend hat Erwin Wolff die Nähe Shaftesburys zur Moralistik herausgearbeitet: Shaftesbury und seine Bedeutung für die englische Literatur des 18. Jahrhunderts. Der Moralist und die literarische Form, Tübingen 1960. 13

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ren.14 Aus diesem Grunde gebühre den Dichtern unter den Autoren der höchste Rang, denn während sie insgeheim Ratschläge und Unterricht erteilten, träten sie allein mit dem Anspruch auf, gefallen zu wollen. Ihre Forderungen nicht offen anmelden zu müssen, sei ihr besonderer Vorteil oder ihr besonderes Glück. Shaftesburys eigenwillige Auslegung der Horazischen Formel des „aut prodesse volunt aut delectare poetae / aut simul et iucunda et idonea dicere vitae“ kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß das im Paradox formulierte Problem bestehenbleibt und auch für die Characteristicks Gültigkeit behält. Jeder Anleitung zur Selbstbildung ist ein unauflösbarer Widerspruch immanent. Shaftesburys Versuch, durch die Wahl literarischer Kompositionsformen, durch beständige Methodenreflexion und durch die selbstkritische Revision seiner Schriften in den Miszellen seinen Leser nicht zu indoktrinieren, sondern das traditionelle Autoritätsgefälle zwischen Autor und Leser zu unterlaufen, ist zugleich ein Versuch, diesem Widerspruch zu entkommen. Die Frage, mit der sich Shaftesbury am Beispiel der Kunst auseinandersetzt, lautet: Wie ist der als gefährlich identifizierte Anteil an Belehrung möglichst gering zu halten? Wie hätte eine Kunst auszusehen, die der Selbstbildung des Menschen förderlich sein mag, diese aber nicht durch Belehrung behindert? Mit Blick auf seine eigene Stellung als Autor des Soliloquy will Shaftesbury das Paradox mit dem Hinweis entschärfen, daß es ihm weniger darum gehe, Ratschläge zu erteilen, als die Weise des Ratgebens zu erwägen; man möge ihn gleich einem Sprachlehrer oder Logiker betrachten (SE I.1, 42), womit der Fokus sogleich wieder vom Inhalt auf die Methode verschoben wird. Der Ratschlag, den er gleichwohl in dieser Schrift erteilt, ist die Empfehlung des Selbstgesprächs an Autoren. Dabei handelt es sich um die Verlagerung der öffentlichen Auseinandersetzung in eine Person; hier sei der „hierarchiefreie Diskurs“ gewährleistet, in dem ein Partner kühn auftreten und zugleich Rücksicht und Achtung vor dem Gegenüber bewahren könne. Shaftesbury schlägt vor, die Angelegenheit als einen Fall der Heilkunst zu betrachten, denn gerade der Arzt zeichne sich sowohl durch Gefühl und Mitleid gegenüber seinem Patienten als auch durch Kühnheit und Entschlossenheit im Handeln aus.

Vgl. Popes Essay on Criticism: „Men must be taught as if you taught them not; / And Things Unknown proposÌd as Things forgot“; The Poems (wie Anm. 6), 162. Anders als Pope rekurriert Shaftesbury jedoch nicht auf die Platonische Idee der Anamnesis, sondern sein Akzent liegt auf dem bewußten Einsatz von Urteilskraft zur Herstellung von Meinungen und Haltungen, mithin auf Kreativität. Deshalb wird das Selbstgespräch auch nicht der Mäeutik verglichen – obwohl Shaftesbury es besonders im Philosophical Regimen häufig in die Gestalt von Frage und Antwort kleidet –, sondern dem Drama; Shaftesbury spricht explizit vom „dramatischen Verfahren“ („Dramatick Method“; Soliloquy, SE I.1, 94) der Selbstbetrachtung. 14

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IV. Der innere Dialog als natürliche Form des Denkens Das Selbstgespräch wird als Form von Selbstheilung vorgeführt, bei der das Individuum zugleich Arzt und Patient sei: „We have each of us Our-Selves to practise on“ (SE I.1, 44), erklärt Shaftesbury, und er zitiert das Sprichwort „Physician cure thy-self“ (SE I.1, 52). Die Verwendung der Arztmetapher erhält ihren besonderen Sinn, wenn man berücksichtigt, daß Heilen nach der Vorstellung der Medizin zu jener Zeit als ein Zurückführen in den natürlichen Zustand gesehen wurde, und der Mensch nach Shaftesbury in seinem natürlichen Zustand einzig sein Gutes hervorbringt.15 Auf die Frage, wer aber sich denn selbst in zwei Personen teilen und sich selbst zum Gegenstand machen könne, antwortet Shaftesbury mit dem Beispiel des dramatischen Monologs: „Go to the Poets, and they will present you with many Instances. Nothing is more common with them, than this sort of Soliloquy“ (SE I.1, 46). Der dramatische Monolog wird als innerer Dialog inszeniert. Ein Schauspieler betritt die Bühne und läßt das Publikum an seiner Gewissenserforschung teilhaben: A Person of profound Parts, or perhaps of ordinary Capacity, happens, on some occasion, to commit a Fault. He is concernÌd for it. He comes alone upon the Stage; looks about him, to see if any body be near; then takes himself to task, without sparing himself in the least. You wouÌd wonder to hear how close he pushes matters, and how thorowly he carries on the Business of Self-Dissection. By virtue of this Soliloquy he becomes two distinct Persons. He is Pupil and Preceptor. He teaches, and he learns (SE I.1, 46).16

Kraft der Selbstzerlegung wird die Figur selbst zu ihrem unnachsichtigsten Kritiker; hier wird deutlich, daß die Selbstkritik im Selbstgespräch als Vorstufe öffentlicher Kritik die gleiche Kompromißlosigkeit besitzt wie letztere: Beide funktionieren nach dem Alles-oder-nichts-Gesetz.17 Erst Distanz zu den eigenen Überzeugungen gewährleistet ihre schonungslose Überprüfung, daher ist das Individuum im Selbstgespräch Lehrer und Schüler in Personalunion. Weiterhin wird am Beispiel des monologisierenden Schauspielers deutlich, daß das Selbstgespräch Abgeschiedenheit verlangt und die Reinigung der Gedanken unter Ausschluß der Öffentlichkeit erfolgen muß, denn Shaftesbury ist sich darüber im Klaren, daß Geselligkeit die Neigungen und die Einbildungskraft wie ein Treibhaus zum Sprießen bringt und den Menschen von sich selbst ablenkt. Das Selbstgespräch macht Zur Körperbildlichkeit siehe Günter Butzer, Soliloquium. Theorie und Geschichte des Selbstgesprächs in der europäischen Literatur, München 2008, 330. 16 Butzer hat darauf hingewiesen, daß der Schauspieler schon in der antiken Rhetorik als „Modellfall der sprachlichen Selbstaffektion“ galt; ebd., 25. 17 Siehe hierzu auch die Ausführungen zum Selbstgespräch in Shaftesburys Philosophical Regimen, deren Fazit lautet: „There is no middle way, no capitulation or compounding in the affairs of this kind. Either all is maintained or all surrendered. Every suspension is a total dismission; every receding a betraying of the whole“ (173). 15

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nicht nur alle Bereiche menschlichen Denkens der kritischen Überprüfung zugänglich, „the highest Subjects, and those of the commonest Capacity“ (SE I.1, 92), sondern garantiert auch Aufrichtigkeit, denn zum einen entfällt das blendende Pathos der Rede (SE I.1, 58) und zum anderen hält Shaftesbury Selbstbetrug im wahren inneren Dialog für unmöglich: „We may defend Villany, or cry up Folly, before the World: But to appear Fools, Mad-Men, or Varlets, to our-selves; and prove it to our own Faces, that we are really such, is insupportable“ (SE I.1, 66). Das schwerwiegendste Verbrechen bestehe demnach darin, „uns größere Distanz und Förmlichkeit uns selbst gegenüber einzugeben“ und damit „die prüfende Methode des Selbstgesprächs“ zu unterbinden (SE I.1, 66). Auf das Vorhergegangene folgt nun nicht unmittelbar die Empfehlung, möglichst fleißig das Theater zu besuchen, um die Praxis des Selbstgesprächs zu studieren und zu erlernen, sondern im zweiten Abschnitt des ersten Teils von Soliloquy weist Shaftesbury im Rückgriff auf die antike Tradition nach, daß der innere Dialog die natürliche Form des menschlichen Denkens ist. Zwar bezieht er sich nicht explizit auf den Gedanken Platons, daß Denken ein Gespräch der Seele mit sich selbst sei,18 wohl aber auf das sokratische Daimonion, die innere Stimme des griechischen Philosophen; und mit der Unterscheidung der verschiedenen Seelenteile knüpft er an Platons Anthropologie an. Mit der These des „Daemon-Companion“ (SE I.1, 60), der den Menschen von Geburt an begleite, untermauert Shaftesbury seine Lehre von den zwei Personen in einem Individuum („our Doctrine of Two Persons in one individual Self“, SE I.1, 80), die er ein Grundprinzip der Philosophie nennt. In seiner Auslegung verwendet er wieder das Bild vom Selbstgespräch als Therapie: „that we had each of us a Patient in our-self; that we were properly our own Subjects of Practice; and that we then became due Practitioners, when by virtue of an intimate Receß we couÌd discover a certain Duplicity of Soul, and divide our-selves in two Partys“ (SE I.1, 60). In der inneren Versenkung, so referiert Shaftesbury die antike Lehre, werde der Mensch der Zweiteilung seiner Seele in einen vernünftigen und einen unvernünftigen, begehrenden Seelenteil gewahr und könne seine wichtigste Aufgabe, unter der Herrschaft der Vernunft Ordnung in seinem Inneren herzustellen, erfüllen. Die Stabilität persönlicher Identität beruht damit auf einem Paradox: Um mit sich eins zu sein („make Us agree with our-selves, and be of a piece within“, SE I.1, 62), Sophistes, 263e, 264a. Die philosophische Hermeneutik Hans-Georg Gadamers, insbesondere seine Sprachhermeneutik, knüpft unmittelbar an die Platonische Idee der Diskursivität des menschlichen Denkens an; vgl. Gesammelte Werke, Bd. 1: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, 5. Aufl., Tübingen 1986, 426 – 431. Neuerdings hat Jean Grondin im Rückgriff auf die „augustinisch-gadamerischer Einsicht in die Universalität des inneren Logos“ (51) die Hermeneutik in diesem Sinne erneut als Gesprächshermeneutik zu begründen versucht und aus dem inneren Dialog ihre Universalität abgeleitet: Einführung in die philosophische Hermeneutik, Darmstadt 1991, z. B. 178. 18

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muß man sich teilen. Den delphischen Orakelspruch „Erkenne dich selbst“, interpretiert Shaftesbury, wie Epiktet,19 als Aufforderung, mit sich selbst ins Gespräch zu kommen: „This was, among the Antients, that celebrated Delphick Inscription, Recognize Your-self: which was as much as to say, Divide your-self, or Be Two“ (SE I.1, 62). Das Prinzip des Dialogs ist bereits in dieser Interpretation angelegt. Als Probleme der Selbsterkenntnis identifiziert Shaftesbury Obskurität der Gedanken und mangelhafte innere Versenkung. Zwar sollte man meinen, daß nichts leichter sei, als den eigenen Geist und die eigenen Handlungsziele zu kennen, doch die Gedanken bedienten sich im allgemeinen einer dunklen, unausdrücklichen Sprache. Um sie zu klarer Rede zu bewegen, sei es deshalb die richtige Methode, ihnen Stimme und Ausdruck zu verleihen: „For this reason, the right Method is to give Ìem Voice and Accent“ (SE I.1, 62). Die Leistung der Philosophen und Moralisten bestehe darin, daß sie dem Menschen eine Art Stimmspiegel vorhalten, der ihm hilft, sich zu personifizieren („help us to personate our-selves“), das heißt, seine Gedanken zu entäußern und zu objektivieren, um ihnen eine erkennbare und handhabbare Gestalt zu geben. Implizit ist hiermit natürlich zugleich die von Shaftesbury intendierte Funktion seiner Schriften angesprochen. Ein weiteres Hindernis im Prozeß der Selbsterkenntnis sei mangelnde Konzentration auf sich selbst. Shaftesbury sieht sie beim Liebenden, der niemals wahrhaft bei sich selbst sein könne, weil er stets die Geliebte im Blick habe, beim Autor, der um sein Zielpublikum buhlt, und beim „vorgeblichen Heiligen oder Mystiker“, der allein seinen Eifer vor Augen habe. Der wahre, ungestörte innere Dialog sei daher nur möglich dem „Man of Sense, the Sage, or Philosopher“ (SE I.1, 68 – 70). Am Beispiel des Liebenden macht Shaftesbury deutlich, daß der menschliche Wille nicht frei ist: Man kann nicht einfach nach Wunsch aufhören zu lieben (SE I.1, 73). Wer liebt, ist unfrei – der Gegensatz von „love“ und „liberty“ wird in The Moralists explizit gemacht (SE II.1, 72) –, er ist Sklave seiner Vorstellungen und durch die Fixierung seines Denkens auf das, was er liebt – einen anderen Menschen oder, wie Theocles, die Natur –, von sich selbst abgelenkt und letztlich fremdbestimmt. Dazu erzählt Shaftesbury die Geschichte von Araspes und Panthea, die er aus Xenophons Kyrupädie übernimmt: Araspes verliebt sich leidenschaftlich in die schöne Kriegsgefangene Panthea und droht ihr schließlich, als sie seinem Begehren nicht nachgibt, Gewalt an. Während er im Gespräch mit seinem Fürsten Cyrus zunächst noch auf der Freiheit seines Willens beharrt und von sich behauptet, „[I] am my-self still“ (SE I.1, 75), gelangt er am Ende nur mit dessen Auf die Parallele macht Horst Meyer aufmerksam: Limae Labor. Untersuchungen zur Textgenese und Druckgeschichte von Shaftesburys ,The MoralistsÍ, 2 Bde., Frankfurt am Main, Bern 1978, Bd. 1, 95. 19

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Hilfe zu der Erkenntnis, daß er zwei getrennte Seelen besitzt und der schlechte Seelenteil ihn beherrscht hat: „Well I am now satisfyÌd that I have in reality within me two distinct separate Souls. This Lesson of Philosophy I have learnt from that villanous Sophister Love“ (SE I.1, 80). Die Geschichte dient zur Illustration der von Platon übernommenen Anthropologie und leitet Shaftesburys Überlegungen zum Selbstgespräch als Medium der Persönlichkeitsbildung ein. Zugleich kompliziert sie die zuvor aufgestellten Thesen zum Selbstgespräch, denn hier konnte der „Patient“ (Araspes) eben nicht „kraft seiner eigenen natürlichen Stärke“, wie Shaftesbury behauptet, zur Erkenntnis gelangen, sondern bedurfte der, wenn auch minimalen, Führung durch einen „Therapeuten“ (Cyrus).20 Damit spiegelt die Geschichte das in der Überschrift Soliloquy: or, Advice angelegte Paradox und sie stellt zugleich eine Rechtfertigung für Shaftesburys eigenes Schreiben dar. Die Einsicht von Araspes, daß der menschliche Wille nicht frei sei, resümiert Shaftesbury in dem Satz: „For let Will be ever so free, Humour and Fancy, we see, govern it“ (SE I.1, 80). Der Mensch konstituiert sich aus ständig wechselnden Sinneseindrücken, die seine Launen, seine Vorstellungen und Meinungen bedingen und bewirken, daß diese beständiger Veränderung unterliegen (SE I.1, 80 – 82).21 Shaftesbury beschreibt das Selbstgespräch im folgenden als „Regimen or Discipline of the Fancys“, euphorisch auch als „the grand Arcanum“ (SE I.1, 82), mittels dessen das Individuum Kontrolle über seine Vorstellungen und Meinungen erlangt, sie zur Rechenschaft zieht, ihre Gewohnheiten und Entwicklungen minutiös kritisiert und sich einen Willen schafft, und das heißt, seine Persönlichkeit, auch in zeitlicher Konstanz, bildet und so zu freier Entscheidung fähig wird: ÌTis to gain him a Will, and insure him a certain Resolution; by which he shall know where to find himself; be sure of his own Meaning and Design; and as to all his Desires, Opinions, and Inclinations, be warranted one and the same Person to day as yesterday, and to morrow as to day (SE I.1, 84).

Vgl. hierzu bereits Thomas Fries, Dialog der Aufklärung. Shaftesbury, Rousseau, Solger, Tübingen, Basel 1993, 77 – 80; eine detaillierte Analyse von Xenophons Erzählung und Shaftesburys Umgang mit diesem „desaströsen anthropologischen Befund“ (323) legt Dehrmann vor: Das „Orakel der Deisten“ (wie Anm. 3), 261 f., 319 – 328. 21 Vgl. Shaftesburys Ausführungen in Philosophical Regimen: „All life is fancy, or a certain motion, course, and process of fancies“ (254). ,FancyÍ ist ein schwierig zu übersetzender Schlüsselbegriff in Shaftesburys Werk; in der Standard Edition wird er mit „Einbildung“ und „Neigung“, „Vorstellung“ oder auch „Einbildungskraft“ übersetzt. Er bezeichnet die durch Sinneseindrücke hervorgerufene Vorstellung von einer Sache, allgemein also die individuelle Interpretation der Erfahrung von Wirklichkeit, die bewußt, aber auch affektisch sein kann. Die Übersetzung von ,fanciesÍ mit „Phantasmen“ durch Thomas Fries fördert Mißverständnisse: Dialog der Aufklärung (wie Anm. 20), 70. Eine differenzierte Untersuchung des komplexen Bedeutungsumfangs von ,fancyÍ nimmt Friedrich A. Uehlein vor: Kosmos und Subjektivität. Lord Shaftesburys Philosophical Regimen, Freiburg, München 1976, 139 ff. 20

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Wie Platon sieht Shaftesbury den Willen als Spielball von Vernunft („reason“) und Begehren („appetite“), die ihn gleichermaßen beanspruchen und auf ihre Seite zu bringen versuchen. Im inneren Dialog, der in dem Augenblick einsetzt, wo die Vernunft das Begehren relativiert, artikulieren sich die verschiedenen Vorstellungen beider Parteien: And here it is that our Sovereign Remedy and Gymnastick Method of Soliloquy takes its Rise: when by a certain powerful Figure of inward Rhetorick, the Mind apostrophizes its own Fancys, raises Ìem in their proper Shapes and Personages, and addresses Ìem familiarly, without the least Ceremony or Respect. By this means it will soon happen that Two formÌd Partys will erect themselves within. For the Imaginations or Fancys being thus roundly treated, are forcÌd to declare themselves, and take Party (SE I.1, 84).

Shaftesbury dramatisiert das Selbstgespräch zum Streitgespräch zwischen Vernunft und den ,fanciesÍ auf der inneren Bühne, wobei dieses Streitgespräch, im Zuge dessen die menschlichen Stärken und Schwächen in schonungsloser Offenheit aufgedeckt werden, eher den Charakter einer kriegerischen Auseinandersetzung denn einer friedlichen Aushandlung von Positionen hat.22 Die Kunst und Methode dieses Dialogs liegt darin, die häufig obskuren oder – in Anerkennung der menschlichen Neigung zur Selbsttäuschung – sich verbergenden Vorstellungen und Neigungen zu klarer Rede zu bewegen, das heißt, sie zu versprachlichen und damit zu objektivieren, um eine Auseinandersetzung mit ihnen zu ermöglichen und sie beurteilen zu können. Ziel ist nicht die Unterjochung der eigenen Natur im Sinne von ,PhantasmenabfuhrÍ,23 sondern ihre Integration, SelbstvergeDamit werden die Einwände von Bernard Mandeville und Samuel Johnson, Shaftesburys Leidenschaften ruhten und seine Philosophie schmeichle der menschlichen Eitelkeit, gegenstandslos. Mandeville karikierte bekanntlich Shaftesburys „lovely system“ als Resultat des aristokratischen Milieus und des persönlichen Einflusses von Shaftesburys Erzieher Locke: „It is possible, that a Person Educated under a great Philosopher, who was a mild and good-natured as well as able Tutor, may in such happy Circumstances have a better Opinion of his inward State than it really deserves, and believe himself Virtuous, because his Passions lie dormant“; The Fable of the Bees: or, Private Vices, Public Benefits, hg. von F. B. Kaye, 2 Bde., Oxford 1957 (11924), Bd. 1, 332. Siehe dagegen das martialische Vokabular, mit dem Shaftesbury in Soliloquy die „inneren Kämpfe“ beschreibt (SE I.1, 288). Boswell zufolge hielt Johnson die Ausführungen Shaftesburys zum ,moral senseÍ für „romantick fictions“, die sich nur deshalb durchsetzen konnten, weil sie der menschlichen Eitelkeit Vorschub leisteten. Johnsons Gegenposition ist in seinem Life of Swift formuliert: „We are commonly taught our duty by fear or shame, and how can they act upon the man who hears nothing but his own praise?“; zitiert nach Paul Fussell, The Rhetorical World of Augustan Humanism. Ethics and Imagery from Swift to Burke, Oxford 1965, 75. In der Tat teilt Shaftesbury nicht das biblisch begründete und im 17. Jahrhundert durch den Kalvinismus verbreitete Bild des Menschen als zutiefst verderbte und deshalb zur Sünde neigende Kreatur. Das Selbstgespräch dient vielmehr auch der Erkenntnis und Annahme der eigenen Schwächen, weshalb es ja nach Shaftesbury auch gemieden wird und die Neigung zum Selbstbetrug so groß ist. 23 Fries, Dialog der Aufklärung (wie Anm. 20), 71. 22

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wisserung, Verständnis der eigenen Natur zum Zwecke ihrer Handhabung. Eine Philosophie der Entzweiung, die von der bewußt gewordenen Erfahrung des Menschen ausgeht, „zwischen Rationalität und Natur heillos gespalten zu sein“,24 findet bei Shaftesbury keinen Ansatz. „[Fancys] must have their Field“, schreibt Shaftesbury, aber nur der Wahnsinnige sei außerstande, seine Vorstellungen und Neigungen kritisch auf Distanz zu bringen (SE I.1, 252). Was den Menschen von anderen Kreaturen abhebt, heißt es schon in der Inquiry, ist die Fähigkeit zur Selbstreflexion; nichts anderes bedeutet das Konstrukt des „reflected sense“ (ISE I.2, 66). Der Mensch ist nicht hoffnungslos seinen Instinkten ausgeliefert, „to follow nature“ heißt eben nicht, seinen Impulsen zu folgen, sondern der Verstandesmensch sucht den inneren Dialog:25 „Every reasoning or reflecting Creature is, by his Nature, forcÌd to endure the Review of his own Mind, and Actions; and to have Representations of himself, and his inward Affairs, constantly passing before him, obvious to him, and revolving in his Mind“ (SE II.2, 210). Das Ich konstituiert sich somit aus dem Spannungsverhältnis zwischen den sinnlich vermittelten ,fanciesÍ und der sie reflektierenden Vernunft26 und bezieht hieraus seine ganz individuelle Form: „Fancy and I are not all one. The Disagreement makes me my own“ (SE I.1, 256). Das Wirken der Vernunft auf die ,fanciesÍ beschreibt Shaftesbury im Philosophical Regimen als Kunst.27 Wie ein Künstler modelliert das Individuum im Rolf Grimminger, Die Ordnung, das Chaos und die Kunst. Für eine neue Dialektik der Aufklärung, Frankfurt am Main 1986, 19. 25 Siehe dagegen Butzer, Soliloquium (wie Anm. 15), der von einer „Disziplinierung der Vorstellungen“ (331) spricht und auch die Form von Shaftesburys Schriften nicht als dialogische beschreibt: „Für die von ihm selbst veröffentlichten Schriften aber gilt, dass die Zwitterformen des dialogischen Monologs und des monologischen Dialogs Shaftesbury auf einer Grenze zeigen, die er nach keiner Seite hin zu überschreiten vermag“ (341). 26 „What is reason but a power of judging the fancies?“, hält Shaftesbury im Philosophical Regimen fest (174). Während in Soliloquy die Idee des Dialogs und damit zwangsläufig die Gleichwertigkeit der Partner im Vordergrund steht, weist das philosophische Tagebuch, das Shaftesburys eigenes Selbstgespräch enthält und nicht zur Veröffentlichung vorgesehen war, die auch schon in Platons Anthropologie gegebene Abwertung der menschlichen Sinnlichkeit auf. Hier wird zwischen Körper und Geist geschieden, das wahre Ich („the real I“) auf die Vernunft reduziert und der Körper als „carcase“ beschrieben (vgl. die Ausführungen unter dem Stichwort „The Body“, 147 – 150). Zweifellos spielen biographische Gründe in diesem Zusammenhang eine Rolle, die Krankheit Shaftesburys und der durch sie bedingte Rückzug aus dem politischen Leben. So klagt Shaftesbury: „But I am no longer useful to the world“ (170), und in den Miszellen findet sich der allgemeine Hinweis, daß viele Menschen nur aufgrund unglücklicher Lebensumstände gezwungen waren, sich aus der „großen Szene der öffentlichen Geschäfte“ in ein „den unbedeutenden und geringfügigen Angelegenheiten der Literatur und Schulwissenschaft“ gewidmetes Leben zurückzuziehen (SE I.1, 295), der schließlich in A Letter Concerning Design explizit als persönliches Schicksal formuliert wird (SE I.5, 42). 27 Hierauf hat Uehlein hingewiesen: Kosmos und Subjektivität (wie Anm. 21), 153 ff. 24

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Selbstgespräch seine Vorstellungen und Neigungen, indem es ihnen Gestalt und Stimme verleiht. Wie der Literat seinen „character“ kreiert, kreiert es seine Persönlichkeit: „Let the fancy come in whatsoever shape, it immediately receives a different form […], and like a master, to have modelled or well fabricated some one appearance or idea“ (Philosophical Regimen, 171 f.). Aufschlußreich ist der darauffolgende Vergleich mit den anderen Künsten: All other arts stand in need of something exterior, as materials, spectators, auditors: so in architecture, rhetoric, music, and the rest. This art alone carries its materials with it (for it is its own subject), and not only its materials, but spectators; for itself contemplates itself; nor does it seek other witnesses than such as are always present, viz. Deity, and that inward genius. All other sorts are incomplete, and aim at something beyond (for which of these arts is for its own sake?). This art is complete in itself; for this being attained nothing further is required, since this itself is happiness and prosperity. (ebd., 172 f.)

Alle anderen Künste sind von etwas außerhalb ihrer selbst abhängig: vom Material – Stein, Sprache oder Klang, die geformt werden müssen –, und vom Rezipienten, ohne dessen Wahrnehmung sie nicht existieren. Alle anderen Künste sind unvollständig, da sie auf einen außer ihnen selbst liegenden Zweck abzielen, etwa zu belehren oder zu erfreuen trachten. Allein das Selbstgespräch ist in sich selbst vollständig und autonom, weil es mit den ,fanciesÍ sein ihm eigenes Material bearbeitet, weil Autor und Publikum in ihm nicht geschieden sind und es damit vollständig selbstreflexiv ist, und weil es auf keinen Verwendungszweck außerhalb seiner eigenen Realisation abzielt. Kunst gipfelt in der Gestaltung des eigenen Lebens, müßte das Fazit dieser Überlegungen lauten. Es wird von Theocles in The Moralists formuliert: And thus, O Philocles! we may improve and become Artists in the kind; learning ,To know Our-selves, and what That is, which by improving, we may be sure to advance our Worth, and real Self-Interest.Í For neither is this Knowledg acquirÌd by Contemplation of Bodys, or the outward Forms, the View of Pageantrys, the Study of Estates and Honours: nor is He to be esteemÌd that self-improving Artist, who makes a Fortune out of these; but He (He only) is the Wise and Able Man, who with a slight regard to these Things, applies himself to cultivate another Soil, builds in a different Matter from that of Stone or Marble; and having righter Models in his Eye, becomes in truth The Architect of his own Life and Fortune: by laying within himself the lasting and sure Foundations of Order, Peace and Concord (SE 2.1, 362).

Die höchste Form der Kunst ist „art for artÌs sake“, um Shaftesburys eigene Worte zu wiederholen. Sie ist schöpferisch, aber nicht nachahmend; ihr Gegenstand ist sinnlich, und zugleich ist sie vernunftgeleitet; sie verlangt Distanznahme gegenüber der Welt, um diese in ihren konkretesten Ausprägungen kennenzulernen; sie ist engagiert, ergreift aber nicht Partei; sie ist zutiefst individuell, aber nicht auserlesen; und sie kommuniziert nichts, ist aber dialogisch strukturiert. Und: Sie ist,

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wie sich das für „art for artÌs sake“ gehört, asozial, insofern sich keine ethischen Sätze aus ihr ableiten lassen. Sie ist einzig auf die moralische und intellektuelle Konstitution des Individuums gerichtet, auf sein So-Sein, nicht auf ein Sein-Sollen. Die Parallele zu Michel Foucaults vielbesprochenem Entwurf einer „Ästhetik der Existenz“ ist offenbar und, wie Butzer ausgeführt hat, über die Bezugnahme beider Autoren auf „antike Formen der ,SelbsttechnikÍ, d. h. der meditativen Selbstformung“ vermittelt.28 Die Rede vom Leben als Kunstwerk beinhaltet bei Shaftesbury wie bei Foucault die Frage, wie der Mensch seinem Leben eine Form geben kann, die nicht aus einer vorgefundenen Bestimmung abgeleitet wäre. Dazu gehört wesentlich der Erwerb moralischer Kompetenz; hinter der Rede vom Lebenskunstwerk steht die Überzeugung, daß eine Gesellschaft um so besser ist, je mehr sie ihren Mitgliedern ermöglicht, das eigene Leben zu kontrollieren, und das heißt eben auch, den eigenen Lebensentwurf zu verantworten. Die Möglichkeit der Wahl und die Notwendigkeit der Auswahl sind bei beiden Autoren vorausgesetzt. Sie bewahren das Potential von Kritik und begründen die Notwendigkeit einer Schärfung des Urteilsvermögens in der Selbstkritik wie auch, im nächsten Schritt, in der unabdingbaren Auseinandersetzung mit anderen. Weil die Kunst des Selbstgesprächs so selbstbezüglich ist, hält es Shaftesbury auch für ungebührlich, sollte jemand „seine Meditationen, zufälligen Reflexionen, einsamen Gedanken oder ähnliche Exerzitien, die unter den Begriff der Übung im Selbstgespräch fallen, veröffentlichen“ (Soliloquy, SE I.1, 53 – 55). Solcherart ,KruditätenÍ verrieten einen völligen Mangel an Dezenz auf seiten des Autors, der seine Arznei in aller Öffentlichkeit einnehme, und seien für den dieser Art von Nabelschau Beiwohnenden nur mehr peinlich. Demjenigen, der das Selbstgespräch jedoch nach den Regeln der Kunst führe, bringe es beträchtlichen Gewinn: Konstanz der Empfindungen („inward economy“) und damit Seelenfrieden sowie geistige Freiheit und Unabhängigkeit des eigenen UrButzer, Soliloquium (wie Anm. 15), 335, Anm. 26; vgl. Schmidt-Haberkamp, Die Kunst der Kritik (wie Anm. 1), 252 f. Foucaults Konzept einer „Ästhetik der Existenz“ ist formuliert in: Sexualität und Wahrheit, Bd. 3: Die Sorge um sich, übers. von Ulrich Raulff und Walter Seitter, 5. Aufl. Frankfurt am Main 1997; Technologien des Selbst, in: Luther H. Martin, Huck Gutman, Patrick H. Hutton (Hg.), Technologien des Selbst, übers. von M. Bischoff, Frankfurt am Main 1993, 24 – 62; Une esth¤tique de soi, in: Michel Foucault, Dits et ¤crits 1954 – 1988, hg. von Daniel Defert, FranÅois Ewald, Bd. 4, Paris 1994, 730 – 735. Besprechungen und Darstellungen bei Wilhelm Schmid, Ästhetik der Existenz. Zur Neubegründung einer Ethik nach Foucault, und Josef Früchtl, Stilvollendete Aufklärung. Foucaults Idee der Moderne und ihre Grenzen, beide in: Frankfurter Rundschau 127 (2. 6. 1992), 16, sowie bei Kirsten Hebel, Dezentrierung des Subjekts in der Selbstsorge. Zum ästhetischen Aspekt einer nicht-normativen Ethik bei Foucault, in: Gerhard Gamm, Gerd Kimmerle (Hg.), Ethik und Ästhetik. Nachmetaphysische Perspektiven, Tübingen 1990, 226 – 241. 28

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teilsvermögens: „Thus at last a Mind, by knowing it-self, and its own proper Powers and Virtues, becomes free, and independent“. Die Wahrnehmung dieser Freiheit resultiere schließlich in Selbstgenuß („Self-Enjoyment“; Miscellaneous Reflections, SE I.2, 242 – 246), womit auch der eudämonistische Zug von Shaftesburys Philosophie zutage tritt.29 Nachdem es als Grundlage allen Wissens und natürliche Form des Denkens etabliert ist („ÌTis the hardest thing in the world to be a good Thinker, without being a strong Self-Examiner, and thorow-pacÌd Dialogist, in this solitary way“; Soliloquy, SE I.1, 58), taucht das Selbstgespräch in allen für Shaftesbury wesentlichen Zusammenhängen auf. Während es im Philosophical Regimen vor allem zur Abwehr von Fremdbestimmung angeführt wird, ist es im Enthusiasmusbrief das Gegenmittel gegen religiösen Enthusiasmus, Medium der Korrektur von Glaubensirrtümern und -gewißheiten. Selbstbeobachtung, argumentiert Shaftesbury hier wie Augustin, sei die Voraussetzung der Erkenntnis Gottes. Auch in der Inquiry und in The Moralists, wo Überlegungen zur Ethik einen Schwerpunkt bilden, heißt es, daß der Bestimmung des Guten die Prüfung der eigenen Geisteshaltung vorangehen muß. Shaftesbury ist sich jedoch der Gefahr der Pervertierung des Prinzips der Selbsterkenntnis bewußt. Die 1701/02 entstandene Schrift The Adept Ladys, die wie der Enthusiasmusbrief dem Thema des religiösen Enthusiasmus gewidmet ist, es allerdings in satirische, teils farcenhafte Form faßt, enthält eine Satire auf das Prinzip der Selbsterkenntnis und weist damit auf die Möglichkeit seiner Pervertierung hin.30 Der Erzähler berichtet von seiner Begegnung mit einer QuäDie Idee des Selbstgenusses geht Butzer zufolge „deutlich über Epiktet hinaus und verweist auf eine Verknüpfung von Beständigkeit und sinnlichem Genuß, die eher zeitgenössisch denn antik zu nennen ist“; Soliloquium (wie Anm. 15), 333. Vgl. zu ,self-enjoymentÍ auch Joseph Addison in Spectator No. 15 vom 17. 3. 1711: „True Happiness […] arises, in the first place, from the Enjoyment of ones self; and in the next, from the Friendship and Conversation of a few select Companions“; The Spectator, hg. von Donald F. Bond, 5 Bde., Oxford 1965, Bd. 1, 67 f. Wie selbstbezüglich Shaftesburys ,KunstÍ ist, wird deutlich, wenn man seine Idee des ,self-enjoymentÍ mit Mandevilles Idee des ,self-likingÍ kontrastiert. Bei Mandeville ist das Selbstwertgefühl des einzelnen abhängig von der Wertschätzung, die ihm andere entgegenbringen, also kommunikativ vermittelt; The Fable of the Bees (wie Anm. 22), Bd. 2, 134 ff. Abhängigkeit von der Wertschätzung anderer oder die Notwendigkeit der Imagepflege kommen bei Shaftesbury nicht vor. 30 Der volle Titel dieser Schrift lautet The Adept Ladys or The Angelick Sect. Being the Matters of Fact of certain Adventures Spiritual, Philosophical, Political, and Gallant. In a Letter to a Brother. Die Schrift wurde erstmals 1870 gedruckt und man nimmt an, daß sie zu Shaftesburys Lebzeiten unter seinen Freunden zirkulierte. Sie hebt sich durch ihren satirischen Ton, aber auch durch die uneinheitliche Formgebung deutlich von den anderen Schriften Shaftesburys ab. Informationen und Interpretationen zu The Adept Ladys sind zu finden bei Robert Voitle, The Third Earl of Shaftesbury, 1671 – 1713, Baton Rouge, London 1984, 198 ff.; Alfred Owen Aldridge, Shaftesbury and the Rosicrucian Ladies, in: Anglia 103 (1985), 297 – 319; und bei Richard B. Wolf, ShaftesburyÌs Just Measure of Irony, in: Studies in English Literature, 1500 – 1900, 33 (1993), 565 – 585. 29

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kerin, die ihn in ihr Geheimnis einweiht, ihre Exkremente in Gold verwandeln zu können. Jeder Mensch, so legt sie dar, sei eine kleine Welt in sich und habe in sich eine reiche Quelle, die, wenn er sie nur aufsuchen wolle, immer fließen und alles bewirken werde. Die Macht ihrer Körperausscheidungen sei ihr bewußt geworden, als sie zu der gedanklichen Verbindung zwischen dem Bibelspruch „Erkenne dich selbst“ und der Tatsache, daß Christus in einer Krippe gelegen hatte, inspiriert wurde: „It came into her Mind, that She ought to take up with what was under the Manger“ (SE I.1, 294). Wiederaufgegriffen wird die Satire auf das Prinzip der Selbsterkenntnis in dem skatologischen Gedicht „The Golden Dream“, das auf das Postskriptum zu The Adept Ladys folgt (SE I.1, 436).

V. Das Modell der sokratisch-platonischen Dialoge Der zweite Abschnitt des ersten Teils von Soliloquy endet damit, daß Shaftesbury die besondere Notwendigkeit des Selbstgesprächs für Autoren hervorhebt. Der dritte Abschnitt ist dem Modell der sokratisch-platonischen Dialoge und ihrem Vergleich mit den zeitgenössischen Erscheinungsformen von Literatur gewidmet. Mit Autoren sind all jene gemeint, die sich mit ihren Erkenntnissen und Interpretationen dessen, was das Menschliche sei, an die Öffentlichkeit wenden. Shaftesbury nennt den Historiker, den Politiker und den Dichter, in anderen Zusammenhängen auch den Philosophen, den Theologen und den Wissenschaftler. Das Selbstgespräch dient zum einen der selbstkritischen Überprüfung jener „Ratschläge und Ermahnungen“, die man in seiner Eigenschaft als Autor der Öffentlichkeit zwangsläufig erteilt: The only Method which can justly qualify us for this high Privilege of giving Advice is, in the first place, to receive it, our-selves, with due Submission; where the Publick has vouchsafÌd to give it us, by Authority. And if, in our private Capacity, we can have Resolution enough to criticize our-selves, and call in question our high Imaginations, florid Desires, and specious Sentiments, according to the manner of Soliloquy above prescribÌd; we shall, by the natural course of things, as we grow wiser, prove less conceited; and introduce into our Character that Modesty, Condescension, and just Humanity which is essential to the Success of all Friendly Counsel and Admonition (SE I.1, 298 – 300).

Zu dieser im Fazit des Soliloquy zusammengefaßten Funktion des Selbstgesprächs gesellt sich eine weitere: Erkenntnis des Menschlichen ist überhaupt nur über die Erforschung des Selbst, also seiner konkreten Erscheinungsformen zu gewinnen und läßt sich nicht aus abstrakten Sätzen über die Spezies ableiten. Ohne die Auseinanderfaltung des eigenen Bewußtseins und die Inventarisierung der Stärken und Schwächen des menschlichen Geistes bleibe das Urteil des Historikers unzureichend, die Ansicht des Politikers verengt und trügerisch und

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das Gehirn des Dichters armselig ausgestattet. Wer mit Charakteren zu tun habe, müsse notwendig seinen eigenen kennen, oder er werde gar nichts kennen: He who deals in Characters, must of necessity know his own; or he will know nothing. […] There is no way of estimating Manners, or apprizing the different Humours, Fancys, Passions and Apprehensions of others, without first taking an Inventory of the same kind of Goods within ourselves, and surveying our domestick Fund (SE I.1, 86).

Einsicht in das Allgemeine ist nur über die Beobachtung des konkreten Einzelnen möglich, ein Theorem, das im 18. Jahrhundert vorherrschend wird und in dem eine Absage an metaphysische Systeme und abstrakte Welterklärungsmodelle formuliert ist. Menschenkenntnis läßt sich nur auf dem Weg der Selbsterforschung erlangen, und auf Menschenkenntnis, so Shaftesbury, beruht vornehmlich die Kunst eines guten Schriftstellers: [Our offerÌd Advice and Method of Soliloquy] must, beyond any other Science, teach us the Turns of Humour and Passion, the Variety of Manners, the Justness of Characters, and the Truth of Things; which when we rightly understand, we may naturally describe. And on this depends chiefly the Skill and Art of a good Writer (SE I.1, 258)

Wie kann man das Selbstgespräch erlernen, einüben, sich zur Gewohnheit machen? Durch die Auseinandersetzung mit Philosophie, antwortet Shaftesbury, die in ihren Anfängen selbst Kunst, nämlich Dichtung, gewesen war und die Form von Mimen oder personifizierten Stücken („Mimes, or personated Pieces“) hatte, bevor sich die Philosophie als theoretische Disziplin herausbildete und das Drama sich zur eigenständigen Gattung entwickelte. Vorbild für das Selbstgespräch, damit zugleich beispielhaft für die höchste Form der Kunst, sind die sokratisch-platonischen Dialoge, die Shaftesbury als eine Art nach außen gekehrtes Selbstgespräch präsentiert:31 They were Pieces which, besides their force of Stile, and hidden Numbers, carryÌd a sort of Action and Imitation, the same as the Epick and Dramatick kinds. They were either real Dialogues, or Recitals of such personated Discourses; where the Persons themselves had their Characters preservÌd throughout; their Manners, Humours, and distinct Turns of Temper and Understanding maintainÌd, according to the most exact poetical Truth (SE I.1, 92).

Shaftesburys Beschreibung trifft nur auf die frühen sokratisch-platonischen Dialoge zu; in den Spätwerken Platons wird Sokrates als Sprachrohr Platons eingesetzt, mit der Konsequenz, daß der Dialog den Charakter eines Überzeugungsinstrumentes annimmt. Siehe hierzu Rolf Raming, Skepsis als kritische Methode. Shaftesburys Konzept einer dialogischen Skepsis, Frankfurt am Main 1996, 62 f. Robert Marsh hatte bereits darauf hingewiesen, daß hiermit die Platonische Hierarchie der dichterischen Formen, in denen die dramatischen und gemischten Formen einen niedrigen Rang einnahmen, verkehrt wird: ShaftesburyÌs Theory of Poetry. The Importance of the ,Inward ColloquyÍ, in: English Literary History 28 (1961), 54 – 69, hier 60; vgl. ders., Four Dialectical Theories of Poetry. An Aspect of English Neoclassical Criticism, Chicago 1965, 31 f. 31

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Nicht nur wird in diesen Dialogen, wie im Selbstgespräch, kein Thema tabuisiert. Ihr wesentliches Merkmal ist, daß in ihnen Ideen, auch und gerade solche philosophischer Natur, nicht abstrakt, sondern szenisch dargeboten werden, indem glaubhafte, das heißt, mit konkreten Zügen versehene und in sich geschlossene Charaktere einander gegenübergestellt sind. Philosophie wird damit geradezu auf den Einzelfall reduziert und entfaltet sich in ebenbürtiger Rede und Gegenrede: ÌTwas not enough that these Pieces treated fundamentally of Morals, and in consequence pointed out real Characters and Manners: They exhibited them alive, and set the Countenances and Complexions of Men plainly in view. And by this means they not only taught Us to know Others; but, what was principal and of highest virtue in Ìem, they taught us to know Our-Selves (SE I.1, 92).

Doktrin wird in Dialog aufgelöst, ihr Gegenstand perspektiviert und so auf verschiedene Charaktere übertragen, daß die sich bietenden Hinsichten klar erkennbar und abwägbar sind. Detailgenauigkeit in der Darstellung tritt an die Stelle der reinen Lehre, die Charaktere sprechen für sich selbst. Shaftesbury verdeutlicht dies am Beispiel der Epen Homers, bei denen er eine Auflösung von Handlung in Dialog verzeichnet: He describes no Qualitys or Virtues; censures no Manners; makes no Ecomiums, nor gives Characters himself; but brings his Actors still in view. ÌTis they that show themselves. ÌTis they that speak in such a manner as distinguishes Ìem from all others, and makes Ìem ever like themselves. Their different Compositions and Allays so justly made, and equally carryÌd on thro every particle of the Action, give more Instruction than all the Comments or Glosses in the world (SE I.1, 96).

Voraussetzung für das Funktionieren dieses Dialoges ist, daß der Autor als Autorität in den Hintergrund tritt und weder das Interesse eines Adressaten im Blick hat, noch sein Medium zur Meinungsvermittlung mißbraucht: „The Poet, instead of giving himself those dictating and masterly Airs of Wisdom, makes hardly any Figure at all, and is scarce discoverable in his Poem. This is being truly a Master“ (SE I.1, 96). Wahre Meisterschaft zeigt sich demnach in der Selbstenthaltung des Autors, der als privates ,IchÍ, das egoistische Interessen verfolgt, nicht in Erscheinung tritt. Im gleichen Maße aber, wie das dem Autor üblicherweise konzedierte Privileg der Belehrung verschwindet, ist die Urteils- und Kritikfähigkeit des Rezipienten gefordert, der seiner Rolle nur als kritischer Leser gerecht werden kann, indem er den Dialog aufgreift und sich vom Autor weder ,hätschelnÍ noch bevormunden läßt. Vorbildliche Literaturform ist der Dialog als szenische Darstellung deshalb, weil er wie ein Spiegel wirkt, in dem der Leser seinen eigenen ,CharakterÍ wiedererkennen kann: „We might here, therefore, as in a Looking-Glaß, discover ourselves, and see our minutest Features nicely delineated, and suted to our own Apprehension and Cognizance“ (SE I.1, 94). Das Besondere an diesen „magischen

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Spiegeln“ sei, daß ihre Benutzung dem Betrachter so zur Gewohnheit werde, daß sie sich verselbständige und vom ursprünglichen Medium ablöse. Man gewöhne sich schließlich an, beständig eine Art Taschenspiegel („Pocket-Mirror“) bei sich zu tragen, in dem man seine beiden Gesichter erblicke: Whatever we were employÌd in, whatever we set about; if once we had acquired the habit of this Mirrour; we shouÌd, by virtue of the double Reflection, distinguish our-selves in two different Partys. And in this Dramatick Method, the Work of Self-Inspection wouÌd proceed with admirable Success (SE I.1, 94).

Wer sich mit Kunst beschäftigt, heißt dies, lernt diese Art von Selbst-Reflexion. Nicht die Kunst spiegelt etwas, wandelt Shaftesbury die traditionelle Auffassung ab, sondern sie regt allenfalls dazu an, daß sich die Person in ihrem Spiegel selbst erkennt und sich an diesem Spiegelbild formen kann. Daß Kunst dies zu leisten vermag, ist allein auf ihre dialogische Struktur zurückzuführen. Shaftesburys eigene Einschätzung der Realisierbarkeit seines Ratschlages fällt eher ernüchternd aus. Das Selbstgespräch werde nicht beiläufig und mit Leichtigkeit erlernt: „The Art it-self is severe: the Rules rigid“ (Soliloquy, SE I.1, 272). Überdies könne man kaum erwarten, daß Menschen, die von Kindheit an indoktriniert, katechisiert und verbildet wurden, bereit seien, sich zusätzlich im Selbstgespräch zu bilden: „Can we endure a new Schooling, after having once learnt our Lesson from the World? Hardly, I presume“ (SE I.1, 232). Daher bezweifelt Shaftesbury, daß nach der gegenwärtigen Lage der Dinge die Methode des Selbstgesprächs zur „allgemeinen Volksgewohnheit“ werden könne (SE I.1, 48). „The Antients coulÌd see their own Faces; but we canÌt. And why this? Why, but because we have less Beauty. For so our Looking-Glass can inform us“ (SE I.1, 106) – wir können den Anblick unseres zeremoniellen Wesens, der Art unseres Umgangs und unserer Konversation nicht ertragen. Gerade aufgrund der schonungslosen Offenheit des inneren Dialogs wird ihm mit Ablehnung und Haß begegnet; damit spricht Shaftesbury seinen Zeitgenossen die Kompetenz zur Selbstkritik ab. Hierauf sei letztlich auch die geringe Popularität der Dialogform in der Literatur seiner Zeit zurückzuführen,32 denn die Qualität des Dialogs spiegle das Zeitalter: „[It] proves also of necessity a kind of Mirrour or Looking-Glass to the Age“ (SE I.1, 98). Das Selbstgespräch bleibt nach Shaftesbury Grundlage allen Wissens und Medium der Erlangung von Kritikfähigkeit: Nur im Gespräch mit anderen, die auch in uns selbst hausen können, können wir hoffen, die sehr engen Grenzen unseres Vgl. Soliloquy, SE I.1, 96 und 106, sowie Miscellaneous Reflections, SE I.2, 338. Daß es sich hierbei um eine Fehldiagnose Shaftesburys handelt, belegt bereits Eugene R. Purpus: The ,Plain, Easy, and Familar WayÍ. The Dialogue in English Literature, 1660 – 1725, in: English Literary History 17 (1950), 47 – 58. Er weist auf die überaus große Popularität der Dialogform zu dieser Zeit hin und berichtet von nahezu 2000 Dialogen, die er untersucht hat. 32

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Erkenntnisvermögens zu erweitern und ein Leben in Selbstbestimmung zu führen. Zugleich ermöglicht die Fähigkeit, zu sich selbst kritisch auf Distanz zu gehen, nicht nur die Einhaltung des Toleranzgebotes, es erzwingt sie. Die Verfremdung der eigenen Perspektive und die Erfahrung ihrer Standortgebundenheit ist die Voraussetzung zum Verständnis des Fremden, das in einer Zeit, die geprägt ist von einer zunehmenden Vielfalt an politischen und religiösen Überzeugungen und in der man auf Fernhandels- und Forschungsreisen andere Kulturen kennenlernt, immer notwendiger wird. Die individuelle Urteilsfähigkeit steht in der Öffentlichkeit auf dem Prüfstein; ihr Leistungsvermögen erweist sich in der Weise der Auseinandersetzung mit den Meinungen, Haltungen und Lebensweisen anderer. In seiner Schrift Soliloquy: or, Advice to an Author hält Shaftesbury ein Plädoyer für das Selbstgespräch als ersten und unabdingbaren Schritt zur Schärfung des individuellen Urteilsvermögens und damit zur Selbstbestimmung des Menschen. Als Selbstkritik stellt es zugleich einen wesentlichen Bestandteil von Shaftesburys Kritikbegriff dar. Der Aufsatz nimmt das Konzept der Selbsterkenntnis und den Begriff ,tasteÍ in den Blick, den methodischen Aspekt der Praxis des Ratgebens, Shaftesburys Vorstellung vom Selbstgespräch als „Regimen or Discipline of the Fancys“, seine Beschreibung des inneren Dialogs als natürliche Form des Denkens und schließlich das Modell der sokratisch-platonischen Dialoge. In Soliloquy: or, Advice to an Author Shaftesbury advertises self-discourse as a first and inevitable step towards developing independence of judgment and, thus, towards manÌs self-determination. As self-criticism, self-discourse forms a central part of ShaftesburyÌs concept of criticism. Relevant concepts considered in this article are self-knowledge and ÍtasteÌ, the methodology of giving advice, ShaftesburyÌs idea of self-discourse as „Regimen or Discipline of the Fancys“, his description of the inner dialogue as the natural form of human thought, and, finally, the model of the Socratic-Platonic dialogues. Prof. Dr. Barbara Schmidt-Haberkamp, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Institut für Anglistik, Amerikanistik und Keltologie, Regina-Pacis-Weg 5, 53113 Bonn, E-Mail: [email protected]

Alexandra Kleihues Figuren der Evidenz in Shaftesburys Moralists

Mit ihrer Publikation um 1710 stehen Shaftesburys Schriften im Zentrum einer Zeitspanne, die Rüdiger Campe als „die Epoche der Evidenz“ bezeichnet hat.1 Diese zeichnet sich aus durch eine besondere Aufmerksamkeit für Evidenzkategorien in der Philosophie und in den neuen Wissenschaften, aber auch für Figuren wie ,evidentiaÍ, ,descriptioÍ, ,hypotyposisÍ oder ,phantasiaÍ in der Rhetorik und Poetik.2 Eine solche „Überschneidung in Wort und Sache“3 scheint mir Shaftesburys Dialog The Moralists in besonderer Weise zu exponieren.4 Moralphilosophische Fragestellung (,moral senseÍ), Poetik der Form (Dialog) und Rhetorik der Affekte (Enthusiasmus) geraten hier in eine eigentümliche Konstellation, aus deren Analyse unter dem Gesichtspunkt der Evidenz neue Einsichten in

Rüdiger Campe, Epoche der Evidenz. Knoten in einem terminologischen Netzwerk zwischen Descartes und Kant, in: Sibylle Peters, Martin Schäfer (Hg.), Intellektuelle Anschauung, Bielefeld 2006, 25 – 43, hier 26. Vgl. weitere Studien Campes zum Thema, darunter: „Vor Augen Stellen“. Über den Rahmen rhetorischer Bildgebung, in: Gerhard Neumann (Hg.), Poststrukturalismus. Herausforderung an die Literaturwissenschaft, DFG-Symposion 1995, Stuttgart 1997, 208 – 225; Unwahrscheinliche Wahrscheinlichkeit. Evidenz im 18. Jahrhundert, in: Roland Borgards, Johann Friedrich Lehmann (Hg.), Diskrete Gebote. Geschichte der Macht um 1800, Würzburg 2002, 15 – 32; Evidenz als Verfahren. Skizze eines kulturwissenschaftlichen Konzepts, in: Vorträge aus dem Warburghaus 8 (2004), 105 – 134. 2 Zu den Synonymen, Übersetzungen und Verwendungsbereichen des Begriffs ,EvidenzÍ vgl. Ansgar Kemmann, Art. „Evidentia, Evidenz“, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, hg. von Gert Ueding, 10 Bde., Tübingen 1992 ff., Bd. 3, 33 – 47. 3 Campe, Epoche der Evidenz (wie Anm. 1), 26. 4 Der vollständige Titel in der Fassung von 1711 lautet: „THE MORALISTS,/ A/ Philosophical Rhapsody./ BEING/ A RECITAL of certain Conversations/ on Natural and Moral Subjects“ (SE II.1). Shaftesburys Schriften werden unter der Verwendung der Sigle SE nach der Standard Edition zitiert (alle Herv. im Orig.): Anthony Ashley Cooper, Third Earl of Shaftesbury, Standard Edition: Sämtliche Werke, ausgewählte Briefe und nachgelassene Schriften. In englischer Sprache mit deutscher Übersetzung, hg., übers. und komm. von Wolfram Benda u. a., Stuttgart-Bad Cannstatt 1981 ff. Eine detaillierte Aufstellung der bisher erschienenen Bände ist auf der Homepage des „Shaftesbury Project“ (Universität Erlangen) einzusehen: www.dozenten.anglistik.phil.uni-erlangen.de/shaftesbury/standard.html (21. 12. 09). 1

Aufklrung 22 · Ò Felix Meiner Verlag 2010 · ISSN 0178-7128

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die philosophisch-ästhetische Einheit des Werks gewonnen werden können.5 Dies soll im folgenden näher ausgeführt werden.6 Die „Epoche der Evidenz“ liegt zwischen DescartesÌ Meditationen und Kants kritischer Philosophie und entspricht damit nicht zufällig dem, was bei Foucault als ,’ge classiqueÍ firmiert. In der Evidenz fokussiert Campe die „andere Seite der Repräsentation“.7 Während Foucault die neue Aufmerksamkeit für die Funktionsweise sprachlicher Repräsentation nachzeichnet,8 konstatiert Campe eine „Verschiebung von der beobachtenden zur selbstbeobachtenden Evidenz“,9 die darin zum Ausdruck kommt, daß auch hier die Voraussetzungen für den Vollzug tradierter Unterscheidungen befragt werden.10 Ein wichtiger Impuls geht Campe zufolge auf Shaftesburys Lehrer John Locke zurück: Gewissheit ist für Locke inneres Erleben des wahrnehmenden Subjekts: Gewissheit ist eine Erfahrung, die bestimmte Wahrnehmungen oder Ideen begleitet, andere dagegen nicht. Evidenz liegt also nicht mehr, in erster Ordnung, im Blick auf die Welt; sondern, in zweiter Ordnung, im Blick auf Bewusstseinszustände beim Blick auf die Welt. Und in diesem Rückgang von der Evidenz erster zur Evidenz zweiter Ordnung besteht dann die Anziehungskraft für die Beschäftigung mit Evidenz.11

Shaftesburys Wechsel von der traktathaften (Inquiry concerning Virtue, or Merit) in eine dialogisch-literarische Schreibweise (The Moralists) scheint dieser neuen Betrachtungsordnung Rechnung zu tragen. Kann die Rückbesinnung auf die Dialogform als Reaktion auf die In-Frage-Stellung der Repräsentation gedeutet werden,12 so steht die Ausführung, d. h. die konkrete Adaption der platonischen Gattung, zugleich im Zeichen des Experiments mit Präsenzformen von Gewißheit. Wie gezeigt werden soll, spiegelt sich diese Experimentalanordnung bereits in der narrativen Tektonik der doppelt gerahmten Philosophical Rhapsody.

Die Einheit von Philosophie und Ästhetik in den Schriften Shaftesburys betont auch die Studie von Barbara Schmidt-Haberkamp, Die Kunst der Kritik. Zum Zusammenhang von Ethik und Ästhetik bei Shaftesbury, München 2000 (Forschungen zur englischen Literatur und Kultur des 18. Jahrhunderts). 6 Dieser Aufsatz stützt sich auf ein Kapitel aus meinem Buch: Der Dialog als Form. Studien zu Shaftesbury, Diderot, Madame dÌÃpinay und Voltaire, Würzburg 2002, 49 – 107. Ich danke den Herausgebern für die Einladung zur Vertiefung der darin berührten ,evidentiaÍ-Thematik. 7 Campe, Epoche der Evidenz (wie Anm. 1), 29. 8 Vgl. Michel Foucault, Les mots et les choses, Paris 1966. 9 Campe, Epoche der Evidenz (wie Anm. 1), 28. 10 Vgl. auch Campe, Evidenz als Verfahren (wie Anm. 1), 128 f.: „Evidenz führt den Gesichtspunkt ein, von dem aus man auf die (aristotelische) Unterscheidung zwischen notwendigen und kontingenten Aussagen zurück- oder vorausblicken kann“. 11 Campe, Epoche der Evidenz (wie Anm. 1), 28. 12 Vgl. Kleihues, Der Dialog als Form (wie Anm. 6), 28 – 46. 5

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Shaftesbury verbindet sein Plädoyer für eine Wiederbelebung des Dialogs mit einer Rückbesinnung auf die antike Tradition philosophischer Skepsis.13 In Sensus Communis: An Essay on the Freedom of Wit and Humour (1709) beruft er sich auf die skeptische Methode, wenn er den Spott als Prüfstein der Wahrheit propagiert (vgl. den topisch gewordenen ,test of ridiculeÍ). In einer skeptischen Unterhaltung („sceptical Conversation“) könne es durchaus vorkommen, daß alle Gewißheit zunichte wird und die Gesprächspartner in Verwirrung auseinandergehen (SE I.3, 40). Die Preisgabe der ,CertaintyÍ als Voraussetzung für einen produktiven Dialog bedingt eine erhöhte Aufmerksamkeit für die Kategorie der Evidenz, insbesondere für deren rhetorische Figuration, denn: „Alles, was diesseits der Evidenz übrig bleibt, ist Rhetorik“, so Blumenberg, „[d]ie Rhetorik gehört in ein Syndrom skeptischer Voraussetzungen“.14 Zwar diskutiert Shaftesbury Evidenz nicht als Begriff,15 doch scheint mir die fortgesetzte Arbeit an den Moralists sowohl in ihrem Produktionsprozeß als auch in der daraus resultierenden literarischen Form und rhetorischen Figuration das Problem der Evidenz deutlich herauszustellen.16 Der geforderten und begrüßten Verunsicherung über tradierte Gewißheiten stehen neue epistemisch-rhetorisch verflochtene Argumentationsweisen gegenüber, mit welchen neue Gewißheiten etabliert werden sollen. Diese Dialektik von Preisgabe und Restituierung prägt bereits das Formproblem, das sich dem Philosophen in der Adaption des Dialogs stellt. Die Analyse widmet sich daher den konzeptuellen Verunsicherungen und gegensteuernden evidentiellen Praktiken, die in The Moralists zum Zuge kommen.

Shaftesbury bezieht sich auf die akademische Tradition des dritten vorchristlichen Jahrhunderts, dazu Michael Albrecht, Art. „Skepsis; Skeptizismus“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. von Joachim Ritter u. a., Bd. 9, Basel 1995, 938 – 974, hier (zur Antike) 938 ff. Zur dialogischen Skepsis vgl. auch Alexandra Kleihues, Vom skeptischen Dialog zum polyphonen Roman: Shaftesbury, Wezel, in: Jutta Heinz, Cornelia Ilbrig (Hg.), Literatur und Skepsis in der Aufklärung. Wezel-Jahrbuch 10/11 (2007/08), Hannover 2008, 281 – 304. 14 Hans Blumenberg, Anthropologische Annäherung an die Aktualität der Rhetorik, in: H. B., Wirklichkeiten in denen wir leben, Stuttgart 1981, 104 – 136, hier 111. 15 Auch der Index, den Shaftesbury als Herausgeber seiner eigenen Werke erarbeitete, listet ,evidenceÍ nicht; aufgeführt werden dagegen ,factÍ und ,truthÍ. Vgl. SE I.4, 315 – 461. 16 Zu den verschiedenen Bearbeitungsstufen von The Sociable Enthusiast (1704) bis zu The Moralists in der Fassung von 1711 vgl. die Gegenüberstellung der Fassungen in SE II.1 sowie Horst Meyer, Limae Labor. Untersuchungen zur Textgenese und Druckgeschichte von Shaftesburys The Moralists, Frankfurt am Main, Bern 1978. 13

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I. Voraussetzungen für ein gutes Gemälde Die aporetische Grundkonstellation, vor die sich Shaftesbury in seinen poetologischen Überlegungen zum Dialog geführt sieht, basiert auf einer Diskrepanz zwischen der höfischen Gesellschaft der Gegenwart und dem antiken Gemeinwesen, aus dem heraus die sokratischen Dialoge entstanden. Gemäß der in Soliloquy, or Advice to an Author noch weitgehend unabhängig von der skeptischen Philosophie entfalteten Poetik des Genres zeichnet sich dieses aber durch eine „Mirrour-Faculty“ (SE I.1, 98) aus. Diese Spiegel-Qualität ist wirkungsästhetisch bestimmt: Nicht der Dialog ist gespiegelte Wirklichkeit, sondern die Wirklichkeit erkennt in dem nach dem Maßstab der Wahrscheinlichkeit gestalteten Dialog ihr Spiegelbild. Das Schlüsselwort für Shaftesburys Poetik des Dialogs, das zwischen den Anforderungen der antiken Gattung und den modernen Verhältnissen vermittelt, ist „poetical Truth“ (SE I.1, 92). Es führt aus der Aporie heraus, in die der moderne Dialogautor angesichts einer durch Zeremoniell und Etikette formalisierten und entstellten, der philosophischen Wahrheitssuche wenig zuträglichen Gesprächskultur gerät. Für den „Moral Artist“ sind die Spiegelqualitäten des Dialogs daher nicht wirklich ein Hindernis, sie stellen für ihn als „Poet“ und „second Maker“ (SE I.1, 110) vielmehr eine Herausforderung der künstlerischen Erfindungsgabe dar.17 Als Maler im Sinne der horazischen Formel ut pictura poesis ist er gerade befähigt, gute (Spiegel-)Bilder anzufertigen.18 Der notwendige Anteil an Phantasie und Erfindung bei der Abfassung eines Dialogs ist denn auch bereits im äußeren Erzählrahmen der Moralists, dem ersten Brief des Philocles an Palemon, Thema. Noch vor dem Eintritt in die Reflexion der gewählten Form beginnt Philocles mit einer rhetorischen Frage, die das eigene Unternehmen von vornherein jeden Zweifels enthebt: Who that had never heard your Character, Palemon, couÌd imagine that a Genius fitted for the greatest Affairs, and formÌd a-midst Courts and Camps, shouÌd have so violent a Turn towards Philosophy and the Schools? Who couÌd believe that one of your Rank and Credit in the fashionable World, shouÌd be so thorowly conversant in the learned one, and deeply interested in the Affairs of a People so disagreeable to the reigning Humour of the Age? I Believe truly, You are the only well-bred Man who wouÌd have taken the Fancy to talk Philosophy in such a Circle of good Company as we had round us yesterday, when we were in the coach together, in the Park (SE II.1, 20). Zum Verhältnis von Schöpfung und Nachahmung in der Poetik Shaftesburys vgl. Friedrich A. Uehlein, Chartæ Socraticæ: Lord Shaftesburys Plädoyer für eine dialogische Literatur, in: Jörg Schönert, Ulrike Zeuch (Hg.), Mimesis – Repräsentation – Imagination: Literaturtheoretische Positionen von Aristoteles bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, Berlin, New York 2004, 215 – 229. 18 Vgl. z. B.: „Now as a Painter who draws Battels or other Actions […]; so in the same manner that Writer […]“ (SE I.1, 102). 17

Figuren der Evidenz in Shaftesburys Moralists

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Schon im ersten Absatz wird die Glaubwürdigkeitsfrage explizit aufgeworfen und implizit als ,bloß rhetorischeÍ abgetan. Gewißheit über die Authentizität des Dargestellten erzeugt Shaftesbury somit durch eine doppelte Strategie: Der homodiegetische Erzähler löscht in der Antizipation möglicher Zweifel diese zugleich aus. Auch die im nächsten Schritt aufgenommene, inhaltlich an den Soliloquy anschließende Reflexion der Chancen für eine moderne Adaption der Dialogform dient nicht nur der Verankerung des Genres in der philosophischen Skepsis. Sie ist auch lesbar als Beglaubigungsstrategie, die den prekären Status des modernen Spiegelbilds sichern helfen soll. Dichtkunst und Malerei parallelisierend, wird hier wiederum zunächst eine aporetische Konstellation skizziert: To lay Colours, to draw, or describe, against the Appearance of Nature and Truth, is a Liberty neither permitted the Painter nor the Poet. Much less can the Philosopher have such a Privilege; especially in his own Case. If he represents his Philosophy as making any Figure in Conversation; if he triumphs in the Debate, and gives his own Wisdom the advantage over the WorldÌs; he may be liable to sound Raillery, and possibly be made a Fable of (SE II.1, 28).

Wenn der Philosoph sich und seinesgleichen im sokratischen Gespräch literarisch inszeniert, zieht er den Spott der Gesellschaft auf sich, die sich in seinem Spiegel nicht wiedererkennt. Sein unzeitgemäßes Unternehmen könnte überdies als Vorlage für eine Fabel dienen, die die Hybris und Lächerlichkeit des Projekts exponiert. Doch nimmt Shaftesbury die Übertragung in eine Beispielerzählung, von der hier so enigmatisch die Rede ist, gleich selbst vor.19 Die auf Äsop zurückgehende Fabel20 über ein Streitgespräch zwischen Mensch und Löwe lautet bei ihm wie folgt: ÌTis said of the Lion, that being in civil Conference with the Man, he wisely refusÌd to yield the Superiority of Strength to him, when instead of Fact, the Man producÌd only certain Figures and Representations of human Victorys over the Lion-kind. These Masterpieces of Art the Beast discoverÌd to be wholly of human Forgery: and from these he had good right to appeal. Indeed had he ever in his life been witness to any such Combats as the Man represented to him in the way of Art; possibly the Example might have movÌd him. But old Statues of a Hercules, a Theseus, or other Beast-Subduers, couÌd have little power over him, whilst he neither saw nor felt any such living Antagonist capable to dispute the Field with him (SE II.1, 28/30).

Die überlieferte Antwort des Raubtiers läßt Shaftesbury weg: „Wenn Löwen Skulpturen schaffen könnten, sähest Du hier Menschen, die von Löwen überwälDie der editio princeps von 1709 nachträglich hinzugefügte Marginalie „A Fable“ macht den Zusammenhang mit dem vorausgehenden Abschnitt explizit (SE II.1, 28). 20 Vgl. Aesopica. A series of texts relating to Aesop or ascribed to him or closely connected with the literary tradition that bears his name, collected and critically edited, in part translated from Oriental languages, with a commentary and historical essay [by] Ben Edwin Perry, new ed., Bd. 1: Greek and Latin texts, Urbana 2007, 432 (Nr. 284: Ì6mhqypor ja· k]ym sumode}omter). 19

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tigt werden“.21 In einigen Nacherzählungen aus dem 15. Jahrhundert stürzt sich das Tier überdies mordend auf seinen Gesprächspartner oder führt die Übermacht seinesgleichen im Amphitheater vor – und spielt damit die (vermeintliche) Wahrheit der Tatsachen gegen die persuasive Wirkung der Kunst aus.22 Shaftesbury dagegen kritisiert die Kunst: Der Mensch – fabel-hafter Statthalter des Philosophen – hat nicht die richtigen Mittel gewählt. Es ist bemerkenswert, daß die Diskussion um künstlerische Wahrheit und Wahrscheinlichkeit an dieser Stelle ganz in das Gebiet der Plastik verschoben wird. Diese Konzentration auf den Bereich visuell und taktil wahrnehmbarer Kunstwerke betont nicht nur die Inkommensurabilität zur ebenfalls visuell und taktil gesteuerten Wirklichkeitswahrnehmung, sondern formuliert zugleich einen kunsttheoretischen Anspruch, den die Schrift des Philosophen – in der Fabel: die Skultpur – zu leisten hat. Denn nicht Wahrheit steht jetzt auf dem Spiel, sondern Wirkung. Wäre der Löwe Zeuge („witness“) eines wirklichen Kampfes gewesen, so hätte dieses Schauspiel ihn gerührt („the Example might have movÌd him“). Die in Rede stehende Herkules-Statue aber vermag, obwohl sie zu sehen und zu fühlen ist, nichts über ihren Betrachter („he [the lion] neither saw nor felt any such living Antagonist“). Damit ist die Brücke zur poetologischen Reflexion des Soliloquy hergestellt. Shaftesbury lobt dort an den sokratischen Dialogen, daß sie Charaktere und Sitten lebendig vorführten: „They exhibited Ìem alive“ (SE I.1, 92). Wie dieser Aspekt von Verlebendigung zu erreichen sein könnte, darauf gibt seine Deutung der Fabel eine Antwort: Ein gutes Kunstwerk macht den Betrachter zu einem Zeugen, der die Wahrheit des Dargestellten sieht und fühlt. Es abstrahiert vom Einzelfall und sucht das Charakteristische in der inneren Form.23 Als zweifacher Zeuge, d. h. als Gesprächspartner sowohl von Palemon als auch von Theocles, löst der Erzähler Philocles intradiegetisch den poetischen WahrVgl. ebd. Die deutsche Übersetzung (A. K.) folgt der französischen Übertragung von Marc Fumaroli, in: Jean de La Fontaine, Fables, hg. von Marc Fumaroli, Paris 1985, 840. In der Fassung von La Fontaine ist die Skulptur durch ein Gemälde ersetzt, vgl. ebd., 174 (Livre III, Fable 10: Le Lion abattu par lÌHomme). 22 Bei Julien Macho (La XV. fable si est de lÌhomme et du lyon, in: Esope, eingel. und hg. nach der Edition von 1486 von Beate Hecker, Diss. Hamburg 1982, 139) und William Caxton (The xv fable is of the man and of the lyon, in: CaxtonÌs Aesop [1484], ed. with an Introduction and Notes by Robert Thomas Lenaghan, Cambridge/Mass. 1967, 132 f.) tötet der Löwe seinen Gesprächspartner, um ihn zu überzeugen, bei Heinrich Steinhöwel und Sebastian Brant (De homine et leone, in: Esopi appologi sive mythologi […], Basel 1501, 136) lädt das Tier zu einem Besuch des Amphitheaters; so auch in der Übertragung von Johannes Irmscher (Der Löwe und der Mensch, in: Antike Fabeln, Berlin, Weimar 1978, 400). 23 Zur Kunsttheorie Shaftesburys, in der es immer wieder darum geht, „die Eigentümlichkeit der Wahrheit der Kunst gegenüber anderen Wahrheiten herauszustreichen“, vgl. Schmidt-Haberkamp, Die Kunst der Kritik (wie Anm. 5), hier 144. Vgl. auch den Artikel von Martin Kirves im vorliegenden Band. 21

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heitsanspruch des Textes ein. Als Chronist der Unterhaltungen bezeugt er deren Authentizität. Überdies steht die erste Unterhaltung dem Leser und zugleich Teilhaber am erzählten Geschehen, Palemon, nicht nur als Phantasie-, sondern auch als Erinnerungsbild vor Augen. Dabei hebt die Behauptung der übereinstimmenden Rekapitulation und Vergegenwärtigung eines gemeinsamen Erlebnisses die Nachträglichkeit der Schrift phantasmatisch auf. Dementsprechend wird der Aspekt der Erfindung im Verweis auf die visuellen Künste wieder aufgenommen. Am Ende seiner Einleitung referiert Philocles nicht mehr auf den Bericht („Account“, SE II.1, 22), den Palemon fordert, sondern auf das Gemälde („Picture“, SE II.1, 30; 34), das er und sein Freund als philosophierende Hofleute abgeben. Damit wird dem Leser einleitend ein beweiskräftiges Bild vor Augen und in Aussicht gestellt, dessen artistischer Charakter nicht geleugnet, aber auch nicht rundheraus zugegeben wird: „[…] I begin this inauspicious Work […] in which I hardly dare ask Succour of the Muses, as Poetical as I am obligÌd to shew my-self in this Enterprize“ (SE II.1, 34). Die Verbindung von kunsttheoretischen, poetologischen und philosophischen Argumenten im Erzählauftakt kündigt die evidentielle Praxis eines bildlichen Vor-Augen-Stellens an, dessen nicht allein die Gesprächssituation, sondern im weiteren Verlauf auch der Gesprächsgegenstand bedarf. Im Dialog mit Theocles wird Philocles die Wahrheit des ,moral senseÍ nicht nur erkennen, sondern auch empfinden. Zunächst aber muß der Übergang vom Höfischen ins Philosophische, d. h. von der zeremoniellen Wirklichkeit in die antikisierende Fiktion, unter der Prämisse poetischer Wahrhaftigkeit geleistet werden.

II. Grenzen der (mündlichen) Mitteilung Der erste Teil der Moralists, in dem Philocles im Brief an Palemon ein Gespräch rekapituliert, das sich im Spannungsfeld zwischen höfischer Etikette, philosophischer Skepsis und moralischem Enthusiasmus entfaltet, erfüllt eine doppelte Funktion. Zunächst wird der Leser schrittweise aus der mondänen Welt in die idyllische Szenerie einer ernsthaften Unterhaltung nach sokratischem Vorbild geführt. Auf diese Weise wird der in Soliloquy konstatierte Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Wirklichkeit und philosophischem Ideal subtil aufgehoben. Im Park befinden sich Philocles und Palemon noch inmitten der galanten Welt, doch halten sie sich von Beginn an abseits, in einer Kutsche.24 Mit Einbruch der Nacht zieht sich der „Beau Monde“ ganz zurück, so daß sich die Freunde einer „proper Company“ für ihr philosophisches Gespräch weiter annähern (vgl. SE II.1, 40). Vgl. SE II.1, 20. Obgleich Shaftesburys Formulierung nicht eindeutig ist, kann davon ausgegangen werden, daß sich die beiden Männer allein in der Kutsche befinden. 24

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Unter dem Eindruck des gestirnten Nachthimmels schließlich geraten beide in nicht unproblematische enthusiastische Zustände.25 Diese fungieren als Verbindungsglied zum Hauptteil des Dialogs, in dem ein positiv gewendeter Enthusiasmus vorgeführt wird, der – im Kontrast zur nächtlichen Gartenanlage – von der erwachenden, freien Natur inspiriert ist. Palemons „with Ravishment“ (SE II.1, 40) vorgetragener Lobpreis des Universums antizipiert in Hinsicht auf die Verknüpfung von Imagination und Begeisterung den Hymnus des Theocles. Die Verachtung für den Menschen hingegen bezeugt die schädliche Prägung des von gesellschaftlichen Maskenträgern umgebenen jungen Mannes. Die Performanz der höfischen Gesellschaft, die zuvor als formaler Widerstand reflektiert wurde, zeigt diesen damit auch als inhaltlichen, denn sie hemmt die Erkenntnis und Anerkennung eines dem Menschen eigentümlichen moralischen Instinkts. Nachdem er gegen den misanthropischen Fanatismus seines Freundes den ,test of ridiculeÍ als Heilmittel zur Anwendung gebracht hat, wird Philocles nun seinerseits zum moralischen Enthusiasten – und verfehlt nicht seine Wirkung. Doch trägt der begeisterte Vortrag, den Philocles über das Gute als oberstes Ordnungsprinzip hält, Züge eines Schauspiels, denn Philocles imitiert Theocles, ohne selbst vollkommen überzeugt zu sein. Der solcherart mit einem „Enthusiasm of second hand“ (SE I.1, 360) infizierte Palemon drängt umso mehr auf eine Verschmelzung von Schauspieler und Rolle, um der verheißenen moralischen Gewißheit habhaft zu werden. Durch den Erzählrahmen und das darin nachvollzogene erste Gespräch erscheint der Hauptteil des Textes, die Präsentation des Theocles, somit als Antwort auf eine Forderung nach philosophischer wie rhetorischer Evidenz, denn mit der Präsenz des Enthusiasten soll sich auch moralische Gewißheit einstellen. An dieser Stelle nun werden mündliche Gegenwart und schriftlicher Bericht ein weiteres Mal gegeneinander ausgetauscht: Here was that Character and Description which so highly pleasÌd you, that you wouÌd hardly suffer me to put an end to it. ÌTwas impossible, I found, to give you satisfaction, without reciting the main of what passÌd in those two Days between my Friend and Me, in our Country-Retirement. Again and again I bid you beware […]. All I couÌd say made not the least impression on you. But rather than proceed further this night, I engagÌed, for your sake, to turn Writer, and draw up the Memoirs of those two Philosophical Days […] (SE II.1, 74).

Es sind zwei Gründe, die Philocles für seine Transformation in einen Schriftsteller angibt. Zum einen gelingt es ihm nicht, als mündlicher Erzähler das Bedürfnis seines Zuhörers nach Vergegenwärtigung vollständig zu befriedigen. Dies hat weniger mit seiner Überzeugungskraft als Schauspieler und Rezitator zu tun als mit Zu den „zwei Gesichter[n] des Enthusiasmus“ bei Shaftesbury vgl. Schmidt-Haberkamp, Die Kunst der Kritik (wie Anm. 5), 221 – 235. 25

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der Flüchtigkeit des gesprochenen Worts. Mit dem Versprechen, zum Schreiber zu werden, beendet Philocles somit eine Unterhaltung, die, angetrieben von einer unstillbaren Sehnsucht des Palemon, keinen Abschluß finden kann. An die Stelle der dramatischen Vergegenwärtigung tritt die detaillierte Narration als Hypotypose. Deren Ersatzfunktion für die visuelle Evidenz wird durch das Verb „draw up“ markiert, in dem sich die Bedeutung des Zeichnens mit der des Komponierens und Zusammenstellens verbindet.26 Das Medium der Schrift erscheint somit sogar geeigneter, um die Forderung nach Präsenz zu erfüllen. Andererseits aber führt Philocles die Schrift auch als Konsequenz seiner Warnungen vor dem Enthusiasmus, d. h. als Schutz vor Überwältigung ein. Damit ist klar, daß nicht alle Narration, die folgt, Hypotypose sein wird. Die diegetische Darstellungsform, die im Gegensatz zum mimetischen Dialog platonischer Prägung direkte Rede nicht unvermittelt präsentiert, sondern narrativ einbettet und kommentiert, kann als Umsetzung dieses Vorbehalts gelesen werden. III. Traum des Wachenden Mit der Niederschrift der Gespräche mit Theocles konfrontiert Philocles zu Beginn des zweiten Abschnitts jedoch ein neues Evidenz-Problem: Während er die erste Unterhaltung noch unter der Nachwirkung ihrer Gegenwart aufschreiben konnte,27 ist das nachfolgend rekonstruierte Ereignis zeitlich stärker entrückt. Gleichwohl erscheinen PhiloclesÌ Worte über Gegenwart/Präsenz und Vergangenheit/Absenz doppeldeutig: Your Conversation, Palemon, which had hitherto supported me, was at an end. I was now alone; confinÌd to my Closet; obligÌd to meditate by myself; and reducÌd to the hard Circumstances of an Author, and Historian, in the difficultest Subject (SE II.1, 76).

Diese Zeilen deuten eine mnemotechnische Funktion sowohl des mündlichen Gesprächs als auch des Schreibakts an, denn mit der unterstützenden ,AnwesenheitÍ Palemons kann sowohl die körperliche Gegenwart des Freundes als auch dessen literarische Präsenz im einleitenden Text gemeint sein. Palemons Unterstützung zu entbehren, heißt also auch, daß Philocles gleichsam von neuem zu schreiben beginnen muß. Aller inhaltlichen und personellen Verflechtung mit dem Hauptteil zum Trotz hinterläßt die Rahmenerzählung somit paradoxerweise doch eine ta-

Für das Kompositum „to draw up“ notiert das Oxford English Dictionary für das Jahr 1711 die Bedeutung: „To put together in proper form; to frame, compile, compose, write out in due form“ (Oxford English Dictionary Online, Oxford University Press 2009). 27 Mit der zweifachen Datierung auf den Tag zuvor („yesterday“, SE II.1, 20;76) ist die zeitliche Nähe zwischen auslösendem Erlebnis im Park und Schreibakt deutlich markiert. 26

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bula rasa, in die sich Erinnerung und Erfindung auf neue Weise einschreiben können und müssen. Mit dem Aspekt der Memorialtechnik führt Shaftesbury zu Beginn des zweiten Teils einen neuen Medienvergleich ein. Dem sich erinnernden Philocles steht die Begegnung mit Theocles nicht als Gemälde, sondern als Traum vor Augen. Beide Medien sind in der antiken Dichtungstheorie mit der poetischen Phantasie verknüpft.28 Mit der expliziten Verankerung des Schreibakts in der Traumbildwahrnehmung wird der Bericht über die Gespräche mit Theocles jedoch sehr viel deutlicher als Produkt der Phantasie ausgewiesen als derjenige über das Gespräch im Park: […] so powerful was the Impression of my Dream, and so perfect the Idea raisÌd in me, of the Person, Words, and Manner of my Friend, that I couÌd now fancy my-self philosophically inspirÌd, as that Roman Sage by his Ægeria, and invited, on this occasion, to try my Historical Muse. For justly might I hope for such Assistance in behalf of Theocles, who so lovÌd the Muses, and was, I thought, no less belovÌed by them (SE II.1, 78).

Die Bedeutung von „historian“ als „one who relates a narrative or tale“29 ist im Verlauf des 17. Jahrhunderts ungebräuchlich geworden, dürfte aber bei Shaftesbury noch (mit-)gemeint sein. Eine Differenz zum ersten Bericht zeigt sich auch in der selbstbewußt-affirmativen Anrufung der Musen. Die Behandlung der Glaubwürdigkeitsfragen im ersten Teil der Moralists erscheint so als notwendige Parenthese und Ermöglichungsgrund für eine antikisierende Gesprächsfiktion. IV. Präsenz des Göttlichen Durch den Schleier des Traumbilds wird der Leser der Moralists im zweiten Teil in eine idyllische Szenerie geführt, die durch ihre abgelegene Ländlichkeit einen deutlichen Kontrast zum Gespräch in der Kutsche setzt. Theocles erscheint als zuZum Vergleich des Phantasiebilds mit dem Tagtraum vgl. Marcus Fabius Quintilianus, Institutionis Oratoriae. Libri XII. Ausbildung des Redners. Zwölf Bücher, hg. und übers. von Helmut Rahn, Darmstadt 1972, Erster Teil, VI 2, 30. Im Laokoon, der von Shaftesburys kunsttheoretischer Schrift The Judgment of Hercules beeinflußt war (vgl. Mark-Georg Dehrmann, „Das Orakel der Deisten“. Shaftesbury und die deutsche Aufklärung, Göttingen 2008, 241), plädiert Lessing unter Bezugnahme auf Plutarchs Erotikos dafür, poetische Phantasien nicht als Gemälde, sondern als „Träume der Wachenden“ zu bezeichnen (Gotthold Ephraim Lessing, Werke in drei Bänden, hg. von Herbert G. Göpfert, München, Wien 1982, Bd. 3, 9 – 188, hier 100, Anm. b). Zu Lessings Diskussion des Verhältnisses von materiellem Gemälde und innerem Bild vgl. Rüdiger Campe, LoversÌ Daydreams. The Moment of the Image in LessingÌs Laokoon, in: Alexandra Kleihues, Barbara Naumann, Edgar Pankow (Hg.), Intermedien: Zur kulturellen und artistischen Übertragung, Zürich 2010. 29 Vgl. Oxford English Dictionary (wie Anm. 26). 28

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rückgezogener Privatgelehrter, der die Einsamkeit der Natur sucht, dem geselligen Austausch mit Besuchern jedoch keineswegs abgeneigt ist. Allerdings zählt nicht nur der Skeptiker Philocles zu den Gästen seines Landsitzes, sondern auch zwei dogmatische Herren finden sich ein, die das freundschaftliche Gespräch der Philosophen empfindlich stören. Abgesehen von ihrer Repräsentationsfunktion für die dem Theismus Shaftesburys weniger aufgeschlossen gegenüberstehende Leserschaft scheinen die beiden unbequemen Gäste auch eine dramaturgische Funktion der Spannungserzeugung zu haben. Indem sie die angekündigte Beweisführung des Enthusiasten unterbrechen und verzögern, überträgt sich die Ungeduld des Skeptikers auf den Leser. Erst 65 Seiten später werden die beiden Protagonisten auf die Vereinbarung zurückkommen, die sie zu Beginn ihrer Unterhaltung getroffen haben.30 In dieser formuliert Theocles die Bedingungen seiner Unterrichtsweise: Be you therefore (said I) my Instructor, sagacious Theocles! and inform me „What that Good is, or Where, which can afford Contentment and Satisfaction always alike, without variation or diminution. […]. HEAR then! said Theocles. For tho I pretend not to tell you at once the Nature of this which I call Good; yet I am content to shew you something of it, in your-self, which you will acknowledg to be naturally more fixÌd and constant, than any thing you have hitherto thought on (SE II.1; 98/100).

Sowohl von der christlich-dogmatischen als auch von einer logisch-systematischen Beweisführung setzt Theocles sich hier ab. Indem er den Beweisgrund in das Subjekt verlegt, kündigt er eine neue Praktik an, die, trotz aller Reminiszenz an Platons Anamnesis-Lehre, den historischen Index einer Evidenz zweiter Ordnung aufweist. Voraussetzung für das Gelingen der Beweisführung ist demnach ein Vertragsverhältnis, das beide Partner bindet: „[…] I accept the Terms: And if you promise to love, I will endeavour to show you that Beauty which I count the perfectest, and most deserving of Love […]“ (SE II.1, 108). Ort und Zeitpunkt der Einlösung sind ebenfalls festgelegt: To-morrow, when the Eastern Sun (as Poets describe) with his first Beams adorns the Front of yonder Hill; there, if you are content to wander with me in the Woods you see, we will pursue those Loves of ours, by favour of the Silvan Nymphs: and invoking first the Genius of the Place, weÌl [sic] try to obtain at least some faint and distant View of the Sovereign Genius and First Beauty (SE II.1, 108).

In dieser Beschreibung wird zum zweiten Mal das Bild jener idyllisch-einsamen Naturszene evoziert, das den Schreibakt zuvor allererst ermöglichte. Doch in der Rede des Theocles emanzipiert es sich vom Traum und verweist explizit auf seine Die theatrale Wendung: „Let us to our Company; and change this Conversation for some other more sutable to our Friends and Table“ (SE II.1, 108), exponiert den Inszenierungscharakter dieses ersten Abbruchs. 30

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poetische Qualität („as Poets describe“). Die Wortwahl des Enthusiasten antizipiert mithin bereits die Bedeutung des dichterischen Ausdrucks für die moralphilosophische Beweisführung. Das Versprechen einer Ansicht („View“) kann überdies als Anspielung auf die rhetorische Figuration dieses Ausdrucks gelesen werden, die zwischen dem äußeren Bild der Landschaft und dem zu zeigenden („show“) inneren Bild des Guten zu vermitteln haben wird. Tatsächlich weist der Naturhymnus verschiedene Techniken des Vor-Augen-Stellens auf, die in der klassischen Rhetorik unter den Oberbegriff ,evidentiaÍ31 subsumiert werden. Shaftesbury findet auch im philosophischen Denken eine Form von Bewunderung, einen natürlichen Enthusiasmus („a very natural honest Passion“, SE I.2, 64), der sich gut und förderlich auswirkt, solange er kontrolliert bleibt und nicht in Fanatismus übergeht. Der antike Enthusiasmusbegriff, auf den er sich bezieht, ist in der Dichtungstheorie verortet.32 Nicht auf die von Platon einzig geschätzte Form, den göttlichen Wahnsinn des Philosophen,33 bezieht sich Shaftesbury, sondern auf die archaische Vorstellung von der musischen Inspiration der Dichter (vgl. SE I.1, 308). In Nomoi wird berichtet, daß „der Dichter, wenn er auf dem Dreifuß der Muse sitzt, nicht bei Sinnen ist, sondern gleich einer Quelle das, was über ihn kommt, willig ausströmen läßt“.34 Als eine Adaption dieser Szenerie erscheinen die zu Beginn des dritten Teils von The Moralists geschilderten Vorgänge. Noch vor Sonnenaufgang begeben sich Philocles und Theocles auf den nahe gelegenen Hügel. Das antike Vertrauen in die göttliche Eingebung der Musen wird im deistischen Glauben an den göttlichen Geist der Natur aktualisiert. Auf diese Weise findet das Repräsentationsproblem seine Antwort in einer evidentiellen Praxis: Der Übergang vom Gedanken zur sprachlich linear organisierten Aussage soll sich in der Meditation gleichsam reflexionslos vollziehen. In diesem Sinne fordert Philocles den Freund auf, seinen Gedanken ,nur Stimme und TöneÍ zu geben, so als handele es sich dabei um einen ,natürlichenÍ, ungesteuerten Prozeß: „I know you are full of those Divine Thoughts which meet you ever in this Solitude. Give Ìem but Voice and Accents“ (SE II.1, 244). Zu Beginn seiner Anrufung der Natur und des universalen Geistes bestätigt Theocles den Eindruck einer magischen, inspirierten Artikulation von Wissen über einen unwißbaren, weil unbegrenzten, unermeßlichen Gegenstand. Im enthusiastischen Zustand ist der Philosoph von der ,Enge der WörterÍ befreit. An ihre Stelle tritt die lyrisch-poetische Ausdrucksform, der freie Rhythmus einer Hymne. Vgl. Kemmann, Evidenz (wie Anm. 2), 39 f. Vgl. Manfred Fuhrmann, Dichtungstheorie der Antike, 2., überarb. und veränderte Aufl., Darmstadt 1992, 77 – 81. 33 Vgl. Phaidros, 249 e-f. 34 Nomoi, 719 c, zit. nach Plato, Werke in acht Bänden: griech. und dt., hg. von Gunther Eigler, Bd. 8.1, dt. Übers. von Klaus Schöpsdau, Darmstadt 1977, 263. 31

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Der Begriff des Erhabenen bezeichnet bei Shaftesbury zunächst einmal eine rhetorische, (pseudo-)longinische Kategorie, „the Sublime“ ist in seinem Wortgebrauch Kennzeichen eines bestimmten Stils. Die enge Verbindung, die die Rede vom Erhabenen in den Moralists mit der Betrachtung einer überwältigenden Natur eingeht, hat jedoch die These aufgebracht, daß sich hier bereits die Ablösung der ästhetischen Kategorie eines Naturerhabenen von der rhetorischen eines erhabenen Stils abzeichne. Demgegenüber hat Uwe Spörl geltend gemacht, daß in der englischen und deutschen Frühaufklärung „[d]ie Rede vom Erhabenen in der Natur […] nicht außerhalb einer gültigen rhetorischen Grundlage aller poetologischen und ästhetischen Äußerungen möglich“ sei.35 Für die Moralists stellt Spörl unter Bezugnahme auf die dialogische Konstellation fest, daß „der eigentliche Quell des Erhabenen die dichterische Phantasie im Kontext eines rhetorischen Überzeugungszusammenhang[s] ist“.36 Die herausragende Rolle der „Fancy“ verweise überdies darauf, daß die „wüsten Landschaften der Rede […] in erster Linie vorgestellte Landschaften“ seien.37 Die vorherrschende rhetorische Figur, die diese Vorstellung bewirkt, kann als ,evidentiaÍ identifiziert werden. Quintilian beschreibt sie wie folgt: […] die 1m\qceia (Verdeutlichung), die Cicero ,illustratioÍ (Ins-Licht-Rücken) und ,evidentiaÍ (Anschaulichkeit) nennt, [scheint] nicht mehr in erster Linie zu reden, sondern vielmehr das Geschehen anschaulich vorzuführen […], und ihr folgen die Gefühlswirkungen so, als wären wir bei den Vorgängen selbst zugegen.38

Der Terminus ,enrgeiaÍ ist von der stoischen Philosophie geprägt worden und von dort in die Rhetorik eingewandert. Er bezeichnet ein „Verfahren der Detaillierung“ und ruht, anders als die Aristotelische ,en¤rgeiaÍ, auf einer repräsentationslogisch-statischen Sprachauffassung.39 In diesem Sinne ist der Hymnus Gestaltung eines „Gleichzeitigkeitserlebnisses“,40 und zwar als detaillierte Beschreibung, durch die eine Illusion realer Gegenwart des Weltraums und der Erdteile erzeugt wird. Diese prekäre „Doppelung“ der Evidenz als „Intuition und Rhetorik“41 wird deutlich in der Reaktion des Zuhörers auf die Unterbrechung des LobUwe Spörl, Berge, Meer und Sterne als Erhabenes in der Natur? Eine Untersuchung zur Poetik der Frühaufklärung und der ,poetischen MalereiÍ BrockesÌ, in: DVJs 73 (1999), 228 – 265, hier 236. 36 Ebd., 244. 37 Ebd. 38 Quintilianus, Institutionis Oratoriae (wie Anm. 28), VI 2, 32. 39 Kemmann, Evidentia (wie Anm. 2), 40. Zur Differenz der Sprachkonzepte, auf die die lautlich und graphematisch ähnlichen Termini ,en¤rgeiaÍ und ,enrgeiaÍ zurückgehen, vgl. Rüdiger Campe, Affekt und Ausdruck. Zur Umwandlung der literarischen Rede im 17. und 18. Jahrhundert, Tübingen 1990 (Studien zur deutschen Literatur, 109), 230, sowie dessen nachfolgende Studien zur Evidenz (wie Anm. 1). 40 Heinrich Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, München 1960, 400. 41 Campe, Epoche der Evidenz (wie Anm. 1), 29. 35

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gesangs. Die Vision einer göttlich-vollkommenen Natur, die sich Philocles unmittelbar vor Augen stellte, zerbricht in dem Augenblick, da mit dem Verstummen des Enthusiasten die performative Kraft seiner Worte nachläßt. Durch den Hymnus wird demnach „eine Augenscheinlichkeit […] fingiert, wo Augenschein real gerade fehlt“.42 […] I was beginning to see Wonders in that Nature you taught me, and was coming to know the Hand of your Divine Artificer. But if you stop here, I shall lose the Enjoyment of the pleasing Vision. And already I begin to find a thousand Difficultys in fancying such a Universal Genius as you describe (SE II.1, 248/250).

Daß Philocles zu diesem Zeitpunkt bereits eine Vision vor Augen hat, mag angesichts der rhetorischen Figuration des ersten Teils der Hymne allerdings erstaunen. Der imaginäre Ausflug in entfernte Erdteile hat hier nämlich noch nicht stattgefunden. Die ersten 58 Zeilen stellen deskriptiv noch nicht viel vor Augen, sondern apostrophieren das Göttliche in der Natur und kündigen deren näheres Studium erst an. Die ,invocatioÍ von Göttern oder Musen zu Beginn von Oden oder Epen besitzt Topos-Charakter.43 Diese Tradition scheint Shaftesbury in zweierlei Hinsicht zu überschreiten, denn zum einen bezieht sich Theocles zunächst auf die anwesende, tatsächlich sichtbare Natur („Ye Fields and Woods“, SE II.1, 246), zum anderen erregt er durch die Apostrophe primär sich selbst.44 Die ersten Zeilen leisten damit eine Selbstbewegung des Redners, auf deren Notwendigkeit Quintilian in seinen Vorüberlegungen zur ,evidentiaÍ zu sprechen kommt: Das Geheimnis der Kunst, Gefühlswirkungen zu erregen, liegt nämlich, wenigstens nach meinem Empfinden, darin, sich selbst der Erregung hinzugeben. […] Deshalb sollten wir bei dem, was der Wahrheit gleichen soll, auch selbst in unseren Leidenschaften denen gleichen, die wirkliche Leidenschaften durchmachen, und unsere Rede sollte aus einer Gemütsstimmung hervorgehen, wie wir sie auch […] zu erzeugen wünschen.45

Zu Beginn der Hymne verbinden sich demnach topischer Musenanruf qua ,invocatioÍ und Personifikation der Natur qua Apostrophe zu einer pathetischen Kraft, die bereits im Dienst der nachfolgend entfalteten Evidenz-Rhetorik steht. Kemmann, Evidentia (wie Anm. 2), 39. Vgl. Thomas Zinsmaier, Art. „Invocatio“, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik (wie Anm. 2), Bd. 4, 592 – 596. 44 Indem er sich von seinem Zuhörer ab- und der Natur zuwendet, setzt Theocles im Wortsinne die theatralische Geste der ,apostroph¤Í – lat. ,aversioÍ, engl. ,turning away from the audienceÍ – ein. Vgl. Albert W. Halsall, Art. „Apostrophe“, in: ebd., Bd. 1, 830 – 836, hier 830. 45 Quintilianus, Institutionis Oratoriae (wie Anm. 28), VI 2, 26 f. Auf diesen nicht-darstellerischen Aspekt in Quintilians ,enrgeiaÍ-Begriff verweist, im Zusammenhang mit Baumgartens Ästhetik, die Studie von Caroline Torra-Mattenklott, Metaphorologie der Rührung. Ästhetische Theorie und Mechanik im 18. Jahrhundert, München 2002 (Theorie und Geschichte der Literatur und der schönen Künste, 104), 174 f. 42

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(Pseudo-)Longin zufolge erreicht „die rhetorische Vergegenwärtigung […] ihr Wirkungsoptimum dort, wo sie in eine sachliche Argumentation verwoben wird. Der Redner hat dann etwas sachlich bewiesen und zugleich vergegenwärtigt und so die Grenze des bloßen Überzeugens überschritten“.46 Diese Strategie macht sich Theocles nicht zu eigen, im Gegenteil: Er bemüht sich um strenge Trennung von sachlicher Argumentation und poetischer Vergegenwärtigung. Die Beweisführung, für die Theocles das Gedicht unterbricht, ist allerdings in logischer Hinsicht mangelhaft, denn es handelt sich im wesentlichen um zwei Analogieschlüsse. Ihre Wirkung beschreibt Philocles ebenfalls als einen magischen, optischen Effekt: „viewing things thro a kind of Magical Glass, I am to see the worst of Ills transformÌd to Good“ (SE II.1, 268). Die von Theocles beschworene Differenz zwischen poetischer „Description“ und sachlicher „Demonstration“ verschwimmt demnach im Vollzug. Auch der die erste, lange Unterbrechung beendende Ausruf des Skeptikers Philocles vermittelt den Eindruck, daß die Zustimmung nicht sachlich motiviert ist, sondern dem dringenden Wunsch nach Wiederholung der Vision entspringt. Die syntaktische Parallelisierung der Worte „Malice“, „Chance“ und „Phantoms“ läßt in ihrer Vereinfachung die Einwände gegen TheoclesÌ Optimismus wieder aufleben: Enough, said I, Theocles. My Doubts are vanishÌd. Malice and Chance (vain Phantoms!) have yielded to that all-prevalent Wisdom which you have establishÌd. You are Conqueror in the cool way of Reason, and may with Honour now grow warm again, in your Poetick Vein (SE II.1, 276).

So wie die sachliche Argumentation bei ihrem Zuhörer eine mehr intuitive als vernünftige Erkenntnis bewirken kann, kann umgekehrt die Dichtung ihre persuasive Kraft verfehlen. So schwankt Philocles, als Theocles im zweiten Anlauf die Unfaßbarkeit von Materie, Bewegung, Zeit und Raum schildert, zwischen Ehrfurcht und Spott. Die anaphorische Beschwörung der Vergeblichkeit („in vain“, SE II.1, 278/280) bewirkt beim Zuhörer Distanzierung von einer „entangling abstruse Philosophy“ (SE II.1, 282). Erst im letzten Teil der Hymne ist die Einbildungskraft des Theocles so weit gezügelt, daß die Rhetorik des Vor-Augen-Stellens sich voll entfalten kann (SE II.1, 298 – 312). Zahlreiche ekphrastische Appelle (cernas-Formeln) lassen die „Map of Nature“ (SE II.1, 298) vor dem inneren Auge des Zuhörers und des Lesers entstehen. Diese topographische Aufsicht transformiert sich zum Schluß in eine historische. Die zwischen zwei Gedankenstriche gesetzte, in äußerster Raffung präsentierte Menschheitsgeschichte (SE II.1, 310, 7 – 25) beendet den imaginativen Ausflug und leitet über zur Ankunft in einer geographisch und temporal fixierten Gegenwart. Die zuletzt beschriebene Landschaft überblendet sich mit derjenigen, in 46

(Pseudo-)Longin, Vom Erhabenen, 15, 11 f., zit. nach Kemmann, Evidenz (wie Anm. 2), 44.

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der sich die beiden Protagonisten befinden. In der deiktischen Ortsbezeichnung „here“ (SE II.1, 310, 25) überlagern sich inneres und äußeres Bild. Alle Sinne sind nun angesprochen, um der Präsenz des Göttlichen teilhaftig zu werden: „Mysterious Voices are either heard or fancyÌd: and various Forms of Deity seem to present themselves, and appear more manifest in these sacred Sylvan Scenes […]“ (SE II.1, 312). Der Enthusiast beendet seine Rede, indem er das Traumbild wieder hinter einem Schleier zurückläßt („under a Veil of Cloud“, SE II.1, 312).47 So ausdauernd er auf die wiederholte Rückkehr zur sachlichen Argumentation bestand, so eindeutig spricht sich Theocles für die Legitimität der enthusiastischen, und das heißt hier eben auch: rhetorischen Überzeugungsarbeit aus. Schritt für Schritt führt Theocles im folgenden Abschnitt den nunmehr ästhetisch auf das übergeordnete Gute gestimmten Gesprächspartner hin zur Einsicht in den ,moral senseÍ. Den Stellenwert der Hymne rekapituliert er wie folgt: […] thus have I presumÌd to treat of Beauty before so great a Judg, and such a skilful Admirer as your-self. For taking rise from NatureÌs Beauty, which transported me, I gladly venturÌd further in the Chase; and have accompanyÌd you in search of Beauty, as it relates to us, and makes our highest Good, in its sincere and natural Enjoyment (SE II.1, 360).

Philocles schließt den Bericht, ohne seinen Adressaten Palemon nochmals anzusprechen. Der Verzicht auf ein erneutes In-Erinnerung-Rufen der Erzählsituation spricht dafür, daß deren authentifizierende Funktion obsolet geworden ist. Dennoch scheint der offengelassene Erzählrahmen eine Lücke zu hinterlassen. Die Frage, ob die enthusiastische Überzeugungsarbeit sich auf den Leser übertragen wird, d. h. ob die im mündlichen Gespräch erzeugte moralische Gewißheit auf dem Wege der Verschriftlichung weitergetragen werden kann, wird nicht gestellt. Dies legt die Vermutung nahe, daß das gesamte Unternehmen letztlich die Funktion eines Selbstgesprächs hat, das die Überzeugung des schreibenden Autors (und nicht die eines imaginären Adressaten) zum Ziel hat. In dieser Hinsicht verleiht eine Bestimmung des „Moral Artist“ aus dem Soliloquy den analysierten evidentiellen Praktiken der Moralists eine weitere Dimension. Unter dem Gesichtspunkt der Selbst-Evidenz, d. h. einer Rückwirkung der künstlerischen Praxis auf den Künstler, nimmt Shaftesbury nämlich eine Unterscheidung zwischen Wortund Bildkunst vor: […] Poetry and the WriterÌs Art, […] in many respects […] resemble[] the StatuaryÌs and the PainterÌs […]. There is this essential difference however between the Artists of each kind; that they who design merely after Bodys, and form the Graces of this sort, can never, with all their Accuracy, or Correctness of Design, be able to reform themselves, Daß Theocles seine Hymne wie im Traum spricht, wird anfangs erwähnt: „as out of a Dream“ (SE II.1, 248). 47

Figuren der Evidenz in Shaftesburys Moralists

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or grow a jot more shapely in their Persons. But for those Artists who copy from another Life, who study the Graces and perfections of Minds, and are real Masters of those Rules which constitute this latter Science, Ìtis impossible they shouÌd fail of being themselves improvÌd, and amended in their better Part (SE I.1, 108).

Durch die Nachahmung nicht nur von äußeren Formen, sondern auch von geistigen Vorgängen affiziert der ,wahreÍ Dichter sich selbst. Die im Soliloquium erworbene Selbstkenntnis, die bereits Bedingung der artistischen Meisterschaft ist, wird somit in der künstlerischen Praxis weitergetrieben und übertroffen. Nach dieser Auffassung schließt sich der Erzählrahmen der Moralists von selbst: Als „Author“ und „Writer“ wird sich Philocles selbst zum Beweis des ,moral senseÍ geworden sein. In Shaftesburys Dialog The Moralists sind literarische Elemente der philosophischen Untersuchung nicht untergeordnet, sondern erweisen sich als Träger eines neuen Verständnisses von moralischer Gewißheit. Der Nachweis eines übergeordneten Guten stützt sich nicht allein auf demonstrative Argumentation, sondern ebenso sehr auf rhetorische Praktiken der Evidenzerzeugung. Der Beitrag untersucht neben den Redefiguren auch die Gattung (Dialog) und die narrative Struktur (Rahmenerzählung) unter diesem Gesichtspunkt. In ShaftesburyÌs dialogue The Moralists, literary elements are not subordinated to philosophical inquiry but prove to bear a new meaning of moral certainty. The detection of what Shaftesbury calls „universal genius“ relies as much on philosophical demonstration as on rhetorical practices of ÍevidentiaÌ. From this perspective, the article investigates not only figures of speech but also the genre (dialogue) and the narrative structure (framework story) of the text. Dr. Alexandra Kleihues, Universität Zürich, Deutsches Seminar, Schönberggasse 9, CH-8001 Zürich, E-Mail: [email protected]

Michael B. Prince Mimetic Virtue On ShaftesburyÌs moral sense “…that Writer, whoever he be among us Moderns, who shall venture to bring his Fellow-Moderns into Dialogue, must introduce them in their proper Manners, Genius, Behavior and Humour.”1

The other day I received an e-mail from my colleague Fulvia, who happened to be teaching ShaftesburyÌs Characteristicks. The topic that day had been Íthe moral sense,Ì and Fulvia complained that she still didnÌt understand what Shaftesbury meant by the phrase. “YouÌre not alone,” I wrote back, and suggested we meet at a restaurant in Harvard Square called Casablanca. Fulvia is a distant cousin of that Fulvia you may already have met in MandevilleÌs Fable of the Bees, Part II. In the first dialogue, three characters, Horatio (a stand in for Shaftesbury), Cleomenes (mimicking Mandeville), and Fulvia, view paintings in a gallery. The first they discuss portrays ChristÌs Nativity. Horatio and Cleomenes mock the painter for including homely details such as hay and cattle. The conversation turns hostile when Cleomenes, speaking sarcastically of the Bambino, arouses FulviaÌs ire: The Bambino? That is the Child, I suppose? […] I have no Skill in Painting, but I can see whether things are drawn to the Life or not; sure nothing can be more like the Head of an Ox than that there. A Picture then pleases me best when the Art in such a Manner deceives my Eye, that without making any Allowances, I can imagine I see the Things in reality which the Painter has endeavourÌd to represent. I have always thought it an admirable Piece; sure nothing in the World can be more like Nature.2 Shaftesbury, Soliloquy, or Advice to an Author, part 1, sect. 3, vol. 1, 125. Page numbers are keyed to the 2001 Liberty Fund edition, which reprints the 6th (1737 – 38) edition in three volumes with the late essays on the fine arts and the illustrations Shaftesbury commissioned for the second edition. 2 Bernard de Mandeville, The Fable of the Bees, ed. by F. B. Kaye, vol. 2, Indianapolis 1988, 32 f. The Liberty Fund edition reprints the Oxford edition of 1924, ed. by Kaye. 1

Aufklrung 22 · Ò Felix Meiner Verlag 2010 · ISSN 0178-7128

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Cleomenes responds in the patronizing terms Mandeville associated with ShaftesburyÌs aesthetic: “Like Nature! so much the worse: Indeed, Cousin, it is easily seen that you have no Skill in Painting. It is not Nature, but agreeable Nature, la belle Nature, that is to be represented.”3 “At that rate,” Fulvia replies, “the Virgin MaryÌs Condition, and our SaviourÌs Birth, are never to be painted.” In her mind “never to be painted” means “never to be represented or taken seriously.” Her criticism is simultaneously aesthetic (realism is compatible with the grandeur of the subject), political (female experience deserves representation), and religious, as the next turn in conversation makes clear. After Horatio praises “vast Piles, stately Buildings, Roofs of uncommon Height, surprising Ornaments, and all of the Architecture of the grand Taste [as] the fittest to raise Devotion, and inspire Men with Veneration and a Religious Awe,” Fulvia replies, “I believe there is a Mechanical Way of raising Devotion in silly superstitious Creatures; but an attentive Contemplation on the Works of God, I am sure –.” Cleomenes interrupts her. “Pray, Cousin, say no more in Defense of your low Taste: the Painter has nothing to do with the Truth of History; his Business is to express the Dignity of the Subject.”4 The men then escort her out of the room, the dialogue, and MandevilleÌs book. She leaves with words they probably donÌt hear as ironic: “I am convinced of the Narrowness of my Understanding, and am going to visit some Persons, with whom I shall be more on the Level.”5 Her narrow understanding exposes a rift between two concepts of imitation, an idealizing mode based on the typing of values in easily recognizable signs and figures (allegory, the Grand Style), and a materializing mode based on an accurate representation of everyday experience (realism, the Dutch manner). The Jewish philologist Erich Auerbach used this division in the concept and practice of mimesis to explain the history of Western literature.6 Mandeville is not entirely unfair in this caricature of ShaftesburyÌs position. “Ladies hate the great manner,” Shaftesbury writes in Plasticks (1713). “[They] love baby-sizes, toys, miniature.” Shaftesbury, Second Characters, ed. by Benjamin Rand, Cambridge 1914, 131. 4 Mandeville, Fable of the Bees (as in note 2), Fable II, 34 f. 5 Ibid., Fable II, 41. 6 Auerbach avoids direct theoretical statements in Mimesis. In the “Epilogue” to that work, as well as in the “Epilegomena” to Mimesis, the essay called “Figura,” and the essay on “Vico and Aesthetic Historicism,” he clarifies the rationale and procedures for a mode of literary history that puts the divided concept of ÍmimesisÌ at its center. In one way or another, every chapter of Mimesis comes around to the same tension between realism and ÍallegoresisÌ, especially the sequence from chapters 1 – 8, beginning with Homer and ending with Dante. The notion of ÍfiguraÌ, whose complex history Auerbach unravels, plays out the division between material and abstract signification. In place of the word ÍfiguraÌ, readers of Shaftesbury might recall the word “Characteristicks” itself. This word means at least two contrary things in Shaftesbury, and means them both at once. It evokes a Grand Style appealing to idealized form and generalized nature; and it refers to a Dutch manner, attentive to peculiarities of men, manners, opinions, times, etc. To hold these incompatibles together 3

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So I enjoyed FulviaÌs company, real and imagined. She “inspired me with more than what I feel at ordinary hours.”7 I made sure we sat at a good table, near the wall-length mural depicting the final scene of Casablanca. Strange that when the waitress set our stouts down on the table, she whipped a straw from behind her right ear and placed it between our glasses. Fulvia was in no mood for small talk. “You know, Theo, I love Shaftesbury. But teaching the moral sense to grad students is a real pain. I explain the way accepted authorities define it. I say that for Shaftesbury, Íevery motive to action involves affection or passion,Ì and that Íthe moral sense is that which produces in us feelings of ÍlikeÌ and ÍdislikeÌ for our own first-order affection.Ì8 But they just stare at me. When they ask what morality has to do with beauty, I tell them, Ímoral goodness is a species of beauty; it is a harmony, proportion, or beauty of the mind.Ì9 Then they accuse him of smuggling innate ideas through the aesthetic back door. What am I supposed to say? Maybe IÌm just doing a terrible job explaining it, but…” “No, Fulvia. Critics past and present share your difficulty. HereÌs what one of ShaftesburyÌs earliest and best American scholars, Alfred Owen Aldridge, says on the subject: The addition of a moral sense to the faculties of man represents both ShaftesburyÌs most highly publicized contribution to thought and the weakest part of his system. Moral sense is usually interpreted as a type of intuitionism, and Shaftesbury certainly uses it to explain the existence of non-empirical knowledge and concepts. Hence it is basic to his principle of the moral nature of man and the universe. The weakness of the concept, however, is that it is nowhere clearly defined or explained. In some sections of Characteristics it is not to be distinguished from reason, and in others it is almost equivalent to innate ideas.10” is ShaftesburyÌs constant preoccupation. ItÌs what he means by reconciling first and second characters, the stated goal of his second, unfinished book. I elaborate on the split conception of Characteristicks in: Editing ShaftesburyÌs Characteristicks, in: Essays in Criticism 54 (January 2004), 48 – 50. For English readers, the Auerbach texts mentioned above will be found in: Mimesis. The Representation of Reality in Western Literature, 50th Anniversary Edition, Princeton, NJ 2003 (“Epilogue” and “Epilegomena”), and in: Scenes from the Drama of European Literature, Minneapolis 1984 (both “Figura” and “Vico and Aesthetic Historicism”). For the view of Mimesis as a product of Jewish philology, see David Porter, Erich Auerbach and the Judaizing of Philology, in: Critical Inquiry 35 (Autumn 2008), 115 – 147. 7 Shaftesbury, A Letter concerning Enthusiasm, sect. 1, vol. 6. 8 Both quotations appear in Michael B. Gill, Lord Shaftesbury; in: Stanford Encyclopedia of Philosophy, http://plato.stanford.edu/archives/win2006/entries/shaftesbury. 9 Stephen Darwall, The British Moralists and the Internal ÍOughtÌ: 1640 – 1740, Cambridge 1995, 185. 10 Alfred Owen Aldridge, Shaftesbury and the Deist Manifesto, in: Transactions of the American Philosophical Society 41 (1951), 302. The view of the moral sense as weak philosophy is widespread among early Shaftesbury scholars. William Alderman, Shaftesbury and the Doctrine of the Moral

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“ThatÌs what I thought!” Fulvia said. “Moral sense is weak philosophy. Morality needs a standard. Sense is variable. Moral sense is an oxymoron, a contradiction in terms. No wonder so many of ShaftesburyÌs recent critics ignore the philosophy or take it as a cover for political ideology.11 ThatÌs a natural response to muddled thinking.” “DonÌt you mean, itÌs a natural response to thinking that does not obey disciplinary bounds or standards of consistency?” “As you wish.” “ThereÌs a difference. In the first case the goal is reduction of a complex thinker to an ideological simple, usually for purpose of some thinly veiled accusation. In the second, itÌs… well, resistance to that very mode of interpretation. Shaftesbury does not want to construct an airtight system of morality. His views on the subject are necessarily fluid and dynamic. They are more performative than conceptual, no less literary than philosophical. The moral sense is one of several interlocking and not always consistent positions.” Sense in the Eighteenth Century, in: Publications of the Modern Language Association 46 (1931), 1078 – 1094, writes the following: “In reality the theory if applied in full would tend to make the ethical norm a variable rather than a constant standard; for individuals differ with each other, and, likewise, have within themselves, at various times, moods that are widely dissimilar” (1093). The phrase variable standard nicely captures the dilemma. The early monograph, The Moral Sense, devotes only a few pages to Shaftesbury, a justified omission since although “the phrase Íthe moral senseÌ was introduced by Shaftesbury […] in fact no concise or coherently thought out theory of a moral sense can be attributed to Shaftesbury” (D. Daiches Raphael, The Moral Sense, London 1947, 16). James Bonar agrees: “no coherent view can be extracted from Shaftesbury […] about moral theory in general” (Moral Sense, New York 1930, 1). 11 Writing in 1998, Brian Cowan noted that “most recent interest in the third earl has focused on the political, religious, and cultural inflections of the third earlÌs Whig ideology” (Reasonable Ecstasies: Shaftesbury and the Language of Libertinism, in: The Journal of British Studies 37/2 [1998], 114). Cowan focuses on a suppressed sexual politics: “For both Shaftesbury and his libertine counterpart [Theocles], erotic heat is a source of creative inspiration – a transgression sanctioned for the virtuosic few who can use it properly to achieve an end higher than merely slaking oneÌs lust” (132). Rebecca Tierney-Hynes also exposes ShaftesburyÌs suppression of romance and sexuality: “The purpose, in the end, of the Íself-discoursing practiceÌ seems to be a kind of therapeutic mental masturbation – a way of purging sexual self-indulgence in order to purvey a philosophical product that is free, in the end, of seductive possibilities” (ShaftesburyÌs ÍSoliloquyÌ: Authorship and the Psychology of Romance, in: Eighteenth-Century Studies 38/4 [2005], 612). Denise Gigante concentrates on ShaftesburyÌs rhetoric of evacuation, which suspiciously accompanies the philosophical discussion of taste: “Like other Cambridge school Platonists, Shaftesbury believed that human beings were naturally tasteful, rather than naturally pathological, or full of moral, epistemological, and phenomenological ÍdregsÌ. To get back to that original condition of purity, he argued, one need simply evacuate (ShaftesburyÌs image) the corruptions accrued through lived experience in society. Backing this philosophical idealism was a political idealism, the Whiggish faith, inherited from his grandfather the first earl, that all citizens are relatively equal, interdependent members of the body politic” (Denise Gigante, Taste, A Literary History, New Haven, London 2005, 49).

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“Excuses, excuses,” Fulvia replied. “The moral sense is a foundational concept. Shaftesbury needs it for his ethical system to work. He makes this clear in the Inquiry concerning Virtue, or Merit, where only by positing some idealized connection between physical sensation, the knowledge of right, and aesthetic taste – of all things! – can he supplant the bleak Hobbesian account.12 ItÌs wish-fulfillment from the word go. WhereÌs the evidence for a link between bodily sensation and even the weakest compulsion to right action? You know the relevant passages: they are the ones where ShaftesburyÌs physiological idealism is most exposed: Before the time, therefore, that a Creature can have any plain or positive Notion, one way or the other, concerning the Subject of a GOD, he may be supposÌd to have an Apprehension or Sense still of Right and Wrong.13 The Mind […] feels the Soft and Harsh, the Agreeable and Disagreeable, in the Affections; and finds a Foul and Fair, a Harmonious and a Dissonant, as really and truly here as in any musical Numbers, or in the outward Forms and Representations of sensible Things.14

Where is the philosophical case for the equation between sensation and virtue? To me this really does sound like the old recourse to innate ideas.”15 “Notice, however, that Shaftesbury qualifies the appeal to innate ideas. There is a distinction in Shaftesbury between God-given virtue and God-given capacities for virtue. Whatever nature has implanted, only education, art, and practice can make real. We are disposed to virtue by the moral sense. There is no guarantee of its capacity to influence the conduct of individuals or nations for the better.” Fulvia picked up the straw from between our glasses. “You Shaftesbureans,” she said, tapping my forehead, “like words such as disposition. One hears a lot about inclinations and dispositions to virtue, propensities revealed over time. You like to blur the distinction between natural and connatural, between innate and learned, sensed and apprehended. Anything to backread a chauvinistic Anglo-European cultural formation onto brute identity, the ultimate act of philosophical imperialism. As you soften the vocabulary of reason into a language of raw feels and quasi-rational intuitions, thought turns sentimental. Soon a whole cluster of sentimental associations does your work for you, erasing sharp distinctions, replacing a habit of thought with a habit of feeling, supposedly more natural, but, oh, how deceptive that! Face it, Theo: Shaftesbury the deist assigns morality For an excellent account of the way moral sense theory develops systematically in ShaftesburyÌs Inquiry, see Wolfgang H. Schrader, Ethik und Anthropologie in der Englischen Aufklärung, Hamburg 1984, 1 – 34. 13 Shaftesbury, An Inquiry concerning Virtue, or Merit, book 1, part 3, sect. 3, vol. 2, 31. 14 Shaftesbury, Inquiry, book 1, part 2, sect. 3, vol. 2, 17. 15 For the view that the moral sense is ShaftesburyÌs way around LockeÌs critique of innate ideas, see Daniel Carey, Locke, Shaftesbury, Hutcheson, Cambridge 2006, 116 – 119. The following turn in the dialogue towards prolepsis, also draws from CareyÌs fine study, 110 – 116. 12

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to culture. Shaftesbury the Christian cannot abide this outcome. The effort to reconcile the two is completely unsuccessful.” “Fulvia,” I replied, somewhat surprised by this concatenation of charges, “is it possible you have fallen into an error critics sometimes make, namely, the assumption that the thinkers whose systems they blithely explode werenÌt aware of the same problems? What if they were aware and their solutions carry them in directions we canÌt follow because of our own cultural and institutional blinders? We extract a concept like the moral sense and subject it to searching analysis. But then, is the moral sense an analytical concept at all? What if moral sense is more of a verb than a noun, just as conscience is more of an activity than a thing? Then you might expect a problem to develop in the strict philosophical exegesis of the moral argument.” “Go on.” “You said the moral sense is a foundational concept, which Shaftesbury needs for his ethical system to work. ThatÌs true, but you must consider his situation and take his philosophical predicament seriously. What is the purpose of the moral sense?” “To keep morality and everyday experience from flying further apart?” “You make it sound trivial. IsnÌt that a worthy goal?” “Sure. But he solves the problem in advance by making us all social, or sociable by nature. WhatÌs the Latin phrase, Ípetitio principiiÌ? He assumes the first principle. We are sociable instead of aggressive, and all the rest follows. The dog is chasing its tail.”16 “LetÌs say youÌre right. Does that make the problem unimportant?” “I have already answered that question.” “Well, could you imagine a thought experiment wherein, for one reason or another, this problem had not been solved satisfactorily under modern conditions – that is, independent of political or religious authority?17 The question of the derivation of a standard of moral conduct in the absence of political or theological prescription cuts across classes, races, genders, religions, cultures, and nations.” “So youÌre saying that the moral sense is feeble, but its feebleness has a certain historical necessity?”18 Daniel Carey (ibid., 110) observes that “the concept of nature as a norm, which Locke had done so much to dismantle, was intrinsically beyond challenge as Shaftesbury presented it. He merely offered a series of axioms or definitions which suffered from an inevitable circularity.” 17 “[The Inquiry concerning Virtue, or Merit] stands as the first modern proposal for a credible humanistic basis for a traditional moral idealism that is independent of political authority (as in Hobbes) or religious sanction (as in Locke)” (Joseph Duke Filonowicz, Fellow-Feeling and the Moral Life, Cambridge 2008, 49). 18 On the necessity of a doctrine like the moral sense emerging in moral philosophy after Locke, see Robert Voitle, ShaftesburyÌs Moral Sense, in: Studies in Philology 52/1 (1955), 25; also Ernst 16

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“I wouldnÌt put it that way.” “But you agree?” “Fulvia, you were right to begin with the Inquiry. The distinction Shaftesbury draws at the start between religion and virtue is a standard deistical move. The difference in ShaftesburyÌs case is that he really does want to disprove the consequent: he doesnÌt want the deistical gambit to deprive subjects of a uniform standard for ethics. He wants to deliver everything that Christianity promised as a system of ethics only now by philosophical and naturalistic means. Shaftesbury takes the existence of virtuous non-Christians as an anthropological given.” “How generous of him!” “You well know that allowance has sometimes not been made. Consider where it leads. Philosophically, what explains their living virtuously? Shaftesbury could cut the knot by reasserting innate ideas that build in an identifiable Christian humanist ethics. Or he could summon Matthew 7:12 – ÍTherefore all things whatsoever ye would that men should do to you, do ye even so to themÌ – and rationalize it into a categorical imperative. But Shaftesbury, like his character Theocles, was a ÍRealist in MORALITY.Ì And Íwhoever sincerely defends VIRTUE, and is a Realist in MORALITY, must of necessity, in a manner, by the same Scheme of Reasoning, prove as very a Realist in DIVINITY.Ì19” “A realist in divinity!” Fulvia mused, a smile on her face. “Shaftesbury tries to beat Locke and Hobbes at their own empirical game.” “And how does he do that?” “Answer me this, Fulvia, by your own skeptical principles, do you have any reason to prefer a pessimistic to an optimistic account of human nature?” “IÌll play along: No.” “And we know the pessimistic account assumes humankind acts from a mixture of fear and self interest, the prime directive being survival?” “Something along those lines.” “Then what similarly fundamental account and what similarly vivid representation of the human condition would you give for the other possibility, since you just acknowledged that for all you or anyone knows, Íthere is naturally in every Man such a degree of social Affection as inclines him to seek the Familiarity and Friendship of FellowsÌ20 ?” Fulvia thought for a moment. “Although I can anticipate your answer, I have no idea how I would answer for myself.”

Tuveson, The Origins of ÍThe Moral SenseÌ, in: The Huntington Library Quarterly 11/3 (1948), 241 – 259. 19 Shaftesbury, The Moralists, part 2, sect. 3, vol. 2, 151, ShaftesburyÌs emphases. 20 Shaftesbury, Inquiry, book 2, part 2, sect. 1, vol. 2, 79.

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So I rephrased the question. “Sociopaths donÌt disprove sociability. They could be statistical outliers, and it may be a form of philosophical laziness that we accord them such authority.21 Evil-doers hardly disprove the capacity for fellow-feeling. As Shaftesbury was fond of pointing out, even robbers have their societies. What philosophical account can you give for the individualÌs predilection to unite with others and demote self-interest in deference to community? Shaftesbury tries to answer this question on a cognitive level. Optimism is not his starting point. Cognition is. He makes a subtle but decisive correction in the Lockean model. He adjusts it to give equal weight to reflection, just as Locke had loaded the deck in favor of sensation. All of our ideas come from sense, sayeth Locke. Yes, respondeth Shaftesbury, as long as you include in whatÌs perceived the very act of reflection – the way we come to judgments about things. What a remarkable reply! The pleasure the mind takes in bringing disparate ideas under a single roof – into a category or classification or system – is connatural with perception itself, even though it arrives later in time in the Lockean model. Recall ShaftesburyÌs assertion in the Inquiry: ÍIn a Creature capable of forming general Notions of Things, not only the outward Beings which offer themselves to the Sense are the Objects of the Affection; but the very Actions themselves, and the affections of Pity, Kindness, Gratitude, and their Contrarys, being brought into the Mind by Reflection, become Objects.Ì22” “ThatÌs doing Locke one better,” said Fulvia. “Yes,” I agreed. “Please explain, however, how this view of things gets you anywhere in ethics. So what if sensation and reflection need each other? How does that teach me the difference between right and wrong?” “Empiricism produces a theoretical extreme that lends itself to atomism and atheistic materialism. What Shaftesbury does is show that even from an empirical perspective, coherence, and all that it implies in ethical terms, must also be primary. Take the perception of a square, as square. How does that come about? Here is the implication Shaftesbury draws: The Case is the same in the mental or moral Subjects as in the ordinary Bodys, or common Subjects of Sense. The Shapes, Motions, Colours, and Proportions of these latter being presented to our Eye; there necessarily results a Beauty or Deformity, according to the different Measure, Arrangement, and Disposition of their several Parts. So in Behavior and Actions, when presented to our Understanding, there must be found, of necessity, an apparent Difference, according to the Regularity or Irregularity of the Subjects.23”

21 22 23

See James Q. Wilson, The Moral Sense, New York 1997, 5 – 12. Shaftesbury, Inquiry, book 1, part 2, sect. 3, vol. 2, 16. Ibid., 16 f.

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“But itÌs so easy,” Fulvia replied, “to ascribe cultural chauvinism to this position. What else could he mean? The mind identifies a shape as shape the same way it identifies an action as virtuous? A square is a square, and truth is truth? Please! No wonder Hutcheson was betrayed into elaborating a calculus for moral virtue. This is so far-fetched that it requires some flying buttress for the claim – and that buttress is culture. The statement only makes sense in a cultural context; yet the argument was to have proven our susceptibility to culture, our sociable nature.” “Not so fast, Fulvia. What is Shaftesbury saying here? What does the statement, Íthere must be found, of necessity, an apparent differenceÌ mean? A difference between what and what?” “Obviously, between good and bad manners.” “Yes, and how is that difference known?” “By holding other people accountable to my idea of proper behavior,” Fulvia said, straightening herself in her seat. “Fulvia, be serious. The difference is between a norm and a variable. ÍThe case is the same in the mental or moral subjects as in the ordinary bodies or common subjects of senseÌ because in both cases we constantly infer an agreement or disagreement between new sensation and existing categories and classifications. We are all genre theorists at heart.24 Shaftesbury takes special interest in this overlooked aspect of the Lockean system – the transit point between idea and representation. Quite apart from which categories we choose to valorize, the act of classification itself appears to be universal. Shaftesbury looks for an analogue for this cognitive miracle, and he finds it most conspicuously in our apprehension of beauty and sublimity. Though these may appear privileged aesthetic categories in a nostalgic Christian humanism, they are only the epitome of a claim about ordinary cognition. Notice that all the word beauty means here is similarity, and all deformity means is difference. The beautiful stands for the matching that occurs when new parts appear conducive to an existing order, or form; the sublime stands for the mismatch that occurs when we realize that a new part has no precedent in an existing category. Either way, an intuition of sameness and difference is at work.” “So what? How does that have any bearing on the problem?” “DonÌt you see? In the absence of an overt appeal to Christian providential design, Shaftesbury recuperates an immanent order based on the coherence of form itself. ÍTis controverted,Ì he writes, Íwhich is the finest Pile, the loveliest Shape or Face: But without controversy, Ítis allowÌd there is a BEAUTYof each kind. This no one goes about to teach: nor is it learnt by any; but confessÌd by All.Ì25” On Shaftesbury as theorist of genre, see Michael Prince, Mauvais Genres, in: New Literary History 34/3 (2003), 453 – 479. 25 Theocles in: The Moralists, part 3, sect. 2, vol. 2, 232. 24

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Fulvia had a way of listening as if in complete agreement, and then questioning my fundamental assumptions the moment I stopped talking. She did not fail me this time. “Oh, Theo,” she said, “you have struggled mightily to make Shaftesbury sound more like a cognitive psychologist than a cultural ideologue peculiar to Queen AnneÌs reign. But it wonÌt wash. I still donÌt understand what you mean by the moral sense, and I still donÌt understand how such a weak philosophical postulate underwrites such a remarkable philosophical career.” “When reduced to a concept, the moral sense is easily dismissed. Kant made short work of it.26 But the moral sense is not a concept; it is an activity. In the same way, conscience is not really a thing; it is an action. Philosophers sometimes use words like faculty to capture this difference. The moral sense is proven – and strengthened – by its action; yet when one tries to explicate it in philosophical terms, it seems to unravel. Morality needs a fixed standard. Sense exposes the standard as relative. A moral sense would seem to be a contradiction in terms, a variable standard. In Kant, we find the same problem: Pure Reason turns up timeless absolutes; Practical Reason is ruled by desire and prudent self interest – and never the twain shall meet. Except that they need to meet, as both Shaftesbury and Kant acknowledge. There has to be a bridge between them.” “And what is that bridge, again?” Fulvia was trying to span our two glasses with the straw. Finding it too short, she pushed the glasses together so it worked. “Well, in Kant,” I said, “they meet in a philosophical Ías ifÌ: Hence the judgment must assume for its special use this principle a priori that what in the particular (empirical) laws of nature is from the human point of view contingent, yet contains a unity of law in the combination of its manifold into an experience possible in itself—a unity not indeed to be fathomed by us, but yet thinkable. This transcendental concept of a purposiveness of nature is neither a natural concept nor a concept of freedom […] but only represents the peculiar way we must proceed in reflection upon the object of nature in reference to a thoroughly connected experience, and is consequently a subjective principle of the judgment. Hence, as if it were a lucky chance favoring our design, we are rejoiced (properly speaking, relieved of a want) if we meet with such systematic unity under merely empirical laws, although we must necessarily assume that there is such a unity without our comprehending it or being able to prove it.27” KantÌs Metaphysics of Morals of course seeks a purely rational system of morality and therefore excludes such heteronymous composites of feeling and reasoning as the moral sense appears to be. See, however, Jens Kulenkampff, Moralisches Gefühl oder moral sense. Wie berechtigt ist Kants Kritik?, in: Jahrbuch für Recht und Ethik 12 (2004), 233 – 251. Kulenkampff writes in his abstract, “KantÌs moral legalism cannot come to grips with the aspect of moral consciousness, for which the British moral philosophers coined the concept of moral sense. […] Therefore, KantÌs criticism of moral sense theory is unjustified” (see http://www.str2.jura.uni-erlangen.de/hruschka/JRE/vol12/a12-kulenkampff.htm). 27 Immanuel Kant, Critique of Judgment, trans. by J. H. Bernard, New York 1951, Introduction, 20. 26

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“An interesting solution!” Fulvia declared. “A transcendental concept just where youÌd least expect to find it! A unity not to be fathomed but thinkable. No wonder he calls it Ía lucky chance.Ì And Shaftesbury? WhatÌs his magical bridge?” “Shaftesbury focuses on the behavioral consequences of ideas. Forget for the moment which. He begins with our natural predilection to form and maintain categories, to assign new evidence to existing categories and to differentiate this from that: In every different Creature and distinct Sex, there is a different and distinct Order, Set, or Suit of Passions; proportionable to the different Order of Life, the different Functions and Capacitys assignÌd to each. As the Operations and Effects are different, so are the Springs and Causes in each System. The inside Work is fitted to the outward Action and Performance. So that where Habits or Affections are dislodgÌd, misplacÌd, or changÌd; where those belonging to one Species are intermixÌd with those belonging to another, there must of necessity be Confusion and Disturbance within.28

Read this passage with the usual accusations in mind, and it sounds like an apology for existing structures of order. But the claim is anthropological. Notice the way habit and affection are interchangeable terms. What is he saying? Our affections are a function of our habits, and vice versa. Watch any infant. Note the pleasure the child takes in mimicry, repetition, and experiment. Note how the child gradually begins to resemble the things he or she imitates, for better and for worse. From the inevitability of imitation, Shaftesbury draws the obvious conclusion: for children, as well as for adults, it matters what representations we produce and reproduce, emulate and criticize. There is nothing inherently optimistic about this position. Shaftesbury acknowledges that: […] notwithstanding there may be implanted in the Heart a real Sense of Right and Wrong, a real good Affection towards the Species or Society, yet by the violence of Rage, Lust, or any other counterworking Passion, this good Affection may frequently be controulÌd and overcome. Where there is nothing in the Mind capable to render such ill Passions the Objects of its Aversion and cause them earnestly to be opposÌd, Ítis apparent how much in Time a good Temper must suffer and a Character by Degrees change for the worse.29

The good affection may frequently be controlled and overcome. How? By the same power that produces good affection: imitation made habitual. Shaftesbury expresses this paradox – that the same power that produces good affections also produces bad ones –when he writes that ÍEvery-one is a Virtuoso, of a higher or lower degree: Every-one pursues a Grace, and courts a Venus of one kind or an28 29

Shaftesbury, Inquiry, book 2, part 2, sect. 1, vol. 2, 78. Ibid., book 1, part 3, sect. 3, vol. 2, 34 f.

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other.Ì30 This is true of men as well as women, rich as well as poor: itÌs a statement about the inevitability of imitation in shaping moral character. ÍThis too is certain,Ì Shaftesbury writes in the Inquiry, ÍThat the Admiration and Love of Order, Harmony and Proportion, in whatever kind, is naturally improving to the Temper, advantageous to social Affection, and highly assistant to Virtue.Ì31” Fulvia seemed not at all satisfied. “If thatÌs what the moral sense is – a power of imitation – then I see nothing moral about it. You want to build an entire moral system on the necessity of choosing certain representations to enforce habits of thinking you call virtuous. So does every ideologue.” Fulvia then looked at me and blinked as if seeing me for the first time. “Why Theo, you turn out to be a Platonist after all! ArenÌt you just falling back on the old Platonic recourse to the noble lie? Leaders may fitly lie for the benefit of the public, just as philosophers and theologians may call in idealized representations of virtue to train a pliant populace to be, ahem, virtuous. You remember the passage from PlatoÌs Republic; tell me how it differs from what youÌre arguing now: Our guardians, released from crafts, are to be expert craftsmen of civic liberty, and pursue nothing else that does not conduce to this. But if [the guardians] imitate they should from childhood up imitate what is appropriate to them—men, that is, who are brave, sober, pious, free, and all things of that kind—but things unbecoming the free man they should neither do nor be clever at imitating, nor yet any other shameful thing, lest from the imitation they imbibe the reality. Or have you not observed that imitations, if continued from youth far into life, settle down into habits and second nature in the body, the speech, and the thought?32”

“Your reference to Plato is apt,” I replied. “But Shaftesbury does just the opposite of banishing the Poets. ÍGo to the poets,Ì he says.33 This advice stems from the same observation about the way imitation settles into habits of thought and second nature in the body. The application now is not to a small class of guardians but to an enlightened public sphere. Shaftesbury is more pragmatist than metaphysician.34 He adopts the Platonic emphasis on ÍmimesisÌ because it is the logical conclusion of his modern philosophical train of thought. Take the pragmatist case that all final vocabularies are equal. What follows? Are all beliefs then arbitrary and equal? If so then we are still left with a choice – call it a heuristical

Shaftesbury, Sensus Communis, part 4, sect. 2, vol. 1, 86 f. Shaftesbury, Inquiry, book 1, part 3, sect. 3, vol. 2, 43. 32 Plato, The Republic, Book III, 395 c-d, trans. by Paul Shorey, in: The Collected Dialogues of Plato, ed. by Edith Hamilton and Huntington Cairns, Princeton 1961, 640. 33 Shaftesbury, Advice to an Author, part 1, sect. 1, vol. 1, 99. 34 For a suggestive discussion of Shaftesbury and American pragmatism, see Edmund G. Howells, Hume, Shaftesbury, and the Peirce-James Controversy, in: Journal of the History of Philosophy 15/4 (1977), 449 – 462. 30

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choice – to adopt one or another form of behavior, to value some representations more than others, to embrace some cultural influences and resist others: Now if what we have advancÌd concerning an inward Constitution be real and just; if it be true that Nature works by a just Order and Regulation as well in the Passions and Affections, as in the Limbs and Organs which she forms; if it appears withal, that she has so constituted this inward Part, that nothing is so essential to it as Exercise; and no Exercise so essential as that of social or natural Affection: it follows, that where this is removÌd or weakenÌd, the inward Part must necessarily suffer and be impairÌd. Let Indolence, Indifference, or Insensibility, be studied as an Art, or cultivated with the utmost Care; the Passions thus restrainÌd will force their Prison, and in one way or another procure their Liberty, and find full Employment.35”

“ThatÌs a lot of ifs,” observed Fulvia. “You can call this a modern philosophical train of thought, if you want. But ShaftesburyÌs view that Ínothing is so essential to virtue as exercise, and no exercise so essential as that of social or natural affectionÌ sounds a lot like Aristotle to me. Wait!” She started rummaging through her bag. “I just happen to have brought my Nichomachean Ethics:36 Moral virtue is formed by habit, ethos, and its name, ethike, is therefore derived, by a slight variation, from ethos. This shows too that none of the moral virtues are implanted in us by nature, for nothing which exists by nature can be changed by habit.”

“There Shaftesbury disagrees,” I interrupted. “Not so fast,” Fulvia returned. “Listen to what he says next: For example, it is impossible for a stone, which has a natural downward movement, to become habituated to moving upward […] nor can the direction of any nature-given tendency be changed by habituation. Thus, the virtues are implanted in us neither by nature, nor contrary to nature: we are by nature equipped to receive them, and habit brings this ability to completion and fulfillment.37

Seems to me Shaftesbury wants to have his Plato and his Aristotle too,” Fulvia observed. “Yes,” I laughed. “He posits a capacity for good that simultaneously needs to emulate good models to have any effect. I would call this position mimetic virtue.

Shaftesbury, Inquiry, book 2, part 2, sect. 1, vol. 2, 77. The appeal to verisimilitude to mask an improbability is not meant to solve the problem but to highlight it – as Shaftesbury does throughout his discussions of philosophical dialogue. “The Antients couÌd see their own Faces; but we canÌt” (Soliloquy, sect. 3, vol. 1, 127), means that there exists an incongruity between form and content in serious philosophical conversation. So here, characters who cite long passages strain the credulity of the representational dimension of a dialogue supposedly taking place spur-of-the-moment in a restaurant. 37 Aristotle, Nichomachean Ethics, trans. by Martin Ostwald, Upper Saddle River, New Jersey 1999, book 2, sect. 1, 33. 35

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You will find instances of it throughout Characteristicks.38 Even if Shaftesbury sees that there is no axiomatic ground for preferring a sociable view of human nature to the solitary and aggressive, he still wants to construct a moral system based on the former. He therefore drives skepticism to the point where the choice between these is heuristical – not subject to a standard of final truth, but subject to a standard of positive moral action. ÍWe may have an excellent Ear in Musick, without being able to perform,Ì writes Shaftesbury. ÍWe may judg well of Poetry, without being Poets […]. But we can have no tolerable Notion of Goodness, without being tolerably good. So that if the Praise of a Divine Being be so great a part of his Worship, we shouÌd, methinks, learn Goodness, were it for nothing else than that we learn, in some tolerable manner, how to praise.Ì39 Apart from all the received reasons to worship a deity, mimetic virtue suggests we might pray just to learn how to praise – to learn to recognize and articulate goodness.” “Mimetic virtue!” Fulvia said. “I like the phrase. It replaces one oxymoron, moral sense, with another, fictive truth. It sounds like a defense of prayer for non-believers. Believe and faithfully repeat that which is good in the way of virtue, and oh by the way, let me tell you what those things are. Of course you need poets and painters to carry out this program: they need to reinforce ideology with image. In the Inquiry Shaftesbury ridicules Catholics who rely on stories of future rewards and punishments to compel virtuous behavior. Philocles tells Palemon in The Moralists, ÍI was readier to fansy Truth in those poetical Fictions which THEOCLES made use of, than in any of his [orthodox] Friends ghastly stories.Ì40 But once you travel down the pragmatist path, why prefer one personÌs poetic fictions to anotherÌs ghastly storys?” “I would not move to the theoretical extreme of making all representations equal. Shaftesbury doesnÌt either. He transfers the philosophical predicament onto the plane of criticism and proceeds to defend genres that create and reinforce the activity of conscience. His philosophical speculations on the arts usually come around to this problem: how can literary and plastic forms reproduce and invigorate a process of inner thought and deliberation. Whether Shaftesbury is offering advice to authors and painters, recommending inner soliloquy, writing and reflectPassages of this sort are abundant throughout ShaftesburyÌs writings. They mix anthropological observation with an awareness of the powerful effects of adaptation (imitation) throughout the species: “If any one of these Creatures [whose passions are expended in the search for food and shelter] be taken out of his natural laborious State and placÌd amidst […] Plenty […] it may be observÌd that as his Circumstances grow thus luxuriant, his Temper and Passions have the same growth” (Inquiry, book 2, part 2, sect. 1, vol. 2, 76). – “ÍTis in a manner impossible to have any great Opinion of the Happiness of Virtue, without conceiving high thoughts of the Satisfaction resulting from the generous Admiration and Love of it” (Inquiry, book 1, part 3, sect. 3, vol. 2, 40). 39 Shaftesbury, A Letter concerning Enthusiasm, sect. 5, vol. 1, 26. 40 Shaftesbury, The Moralists, part 2, sect. 5, vol. 2, 182. 38

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ing on dialogue, or doubling back on his own previous thought in ÍMiscellaneous Reflections,Ì he is engaging the reader in a mimetic reeneactment of virtue.” “Alas,” said Fulvia, “if only these pious and noble lessons werenÌt so thoroughly mixed up with retrograde political biases. Here is Shaftesbury, expressing exactly the position you ascribe to him, and sounding just like the ideologue heÌs always accused of being: Apology and protestation against entering into the decisions of the Egyptian and Chinese pretensions to antiquity (so far beyond MosesÌ) […] But this assert: that neither Jew, Egyptian, nor Chinese polite. This is a judgment of politeness. If polite: show me a picture, a statue, coin, proportion, nature. But arabesque! Japan! Indian! Savage. Monstrous. Even in their portraiture, pleasure-pieces, wanton pieces. Also gods monstrous, frightful according to Egyptian and Syrian models; or Turkish mosques, no architecture, or statuary, or figures: or as bad as none. Frightful, horrid, cruel ideas entertained, advanced by such divine forms; soft, gentle, humane ideas, by truly human forms, and divinity represented after the best, sweetest, and perfectest idea of humanity to the vulgar. But without application to divinities, and simply viewed and contemplated in cities, groves, high-ways, places, gardens, forums, etc., emollit mores.41

Does it soften character,” Fulvia continued, “to damn all cultures not oneÌs own? Monstrous? Who is he to say? I could dredge up any number of passages that express a rank misogyny as well.” “Yes, I know. He was also not above the occasional anti-Semitic slur. And yet, creative intellects keep extracting what they need from their predecessors. Now thereÌs a dialogue that doesnÌt work by codes of politeness! ItÌs not that they forgive and forget – they are strong enough to emulate and alter. Moses Mendelssohn, the founder of the Jewish ÍhaskalaÌ in Germany, is an obvious example.42 But take a less obvious case. Mary Wollstonecraft had every reason to blame Shaftesbury for the cult of sentimentalism sweeping Great Britain and Europe by the end of the eighteenth century. She spends much of A Vindication of the Rights of Woman trying to counteract its baneful influence on the education of women. Yet what are her weapons? She relies throughout on a similar principle of mimetic virtue, a similar blending of piety and deism, and a similar focus on the representations to which young people, especially girls, are exposed. When you

Shaftesbury, Plasticks (as in note 3), 104 f. Alexander Altmann reports the anecdote of the young Mendelssohn receiving ShaftesburyÌs The Moralists from Lessing. “When Moses returned the book and Lessing asked him how he liked it, he replied: Indeed, very much! This sort of thing I can, however, do myself. Lessing: Well do it!” The result was MendelssohnÌs first book, Philosophische Gespräche (Moses Mendelssohn: A Biographical Study, Philadelphia 1973, 37 f.). 41

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read the position in Shaftesbury, it sounds elitist and patronizing; when you read it in Wollstonecraft, it sounds revolutionary: The vulgar are swayed by present feelings, and the habits which they have accidentally acquired; but on partial feelings much dependence cannot be placed […] for when they are not invigorated by reflection, custom weakens them, till they are scarcely perceptible. The sympathies of our nature are strengthened by pondering cogitations, and deadened by thoughtless use. MacbethÌs heart smote him more for one murder, the first, than for a hundred subsequent ones, which were necessary to back it. But when I use the epithet vulgar, I did not mean to confine my remark to the poor, for partial humanity, founded on present sensation, or whim, is quite as conspicuous, if not more so, among the rich.43

All the Shaftesburean elements are in place. The reasoning extends to all classes and genders; feelings or affections and habits are mutually determining; reflection and custom compete to organize sensation; our natures are marked by sympathy, but sympathy alone is only a capacity, which may be strengthened through Ípondering cogitationÌ or deadened by Íthoughtless use.Ì Tragedy comes to mind because it depicts the action of conscience.” And here it seemed the right time to add, “Fulvia, I have a small confession.” “What is your confession?” “I chose this place to meet you for a reason. Turn around and look.” “Excuse me,” she said, “I donÌt like being stage-managed,” but even as she said it she was turning. She laughed as she took in the mural of the final scene of Casablanca. The waiting airplane; the lovely Ilsa; Victor Laszlo, hero of the Resistance; and the sad, determined Rick, with Louis at his side. “Oh, you crafty devil!” she said turning back to me, “The Judgment of Rick!” And right then and there she started imitating lines from ShaftesburyÌs Judgment of Hercules, with a difference: “We may observe, in the first place, with regard to Humphrey Bogart (the first or principal figure of our piece) that being placed in the middle, between desire and virtue, the muralist was skillful enough draw BogieÌs features so that, even setting aside the air and features of the face, it should appear by the very turn or position of the body alone, that our hero had not wholly quitted the balancing or pondering part.”44 Mary Wollstonecraft, A Vindication of the Rights of Woman, New York, London 1988, 172. Fulvia has in mind the crucial passage in ShaftesburyÌs The Judgment of Hercules where Shaftesbury, anticipating LessingÌs Laocoön by fifty years, describes the moment of highest dramatic tension possible within the plastic arts: “To apply therefore what has been said above to our immediate Design or Tablature in hand; we may observe, in the first place, with regard to HERCULES, “the first or principal Figure of our Piece that being placÌd in the middle, between the two Goddesses, he shouÌd by a skilful Master be so drawn, as even setting aside the Air and Features of the Face, it shouÌd appear by the very Turn, or Position of the Body alone, that this young Hero had 43

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“ThatÌs it!” I cried, delighted at her rendition. “The artist has condensed the film into a single image, capturing its highest moment of ethical tension. For most of the movie, Rick presents himself as a self-interested cynic. ÍI stick my neck out for nobody.Ì Yet the climactic scenes crystallize a moment of decision. ItÌs hokey – just right for a restaurant mural, but…” “No, itÌs quite good,” Fulvia interrupted. “My friend Jane, you know, does just that.” “Jane?” “Austen. She too uses art to portray realistic characters facing complex ethical decisions. Her representations are mixed and shaded, realistic and nuanced. Austen shows off virtue in contrast and in context. When it comes to character, her heroines are flawed: ElinorÌs rationality is both a strength and a weakness. EmmaÌs initiatives are both amiable and selfish. A painting captures one moment of choice. A novel develops many such moments, introducing the element of time so that we can view the outcomes as well as the conditions of moral judgment.”45 “Yes,” I agreed. “Though he often dismisses popular prose forms, Shaftesbury also asserts their potential philosophical importance: Of all the Beautys which Virtuosos pursue, Poets celebrate, Musicians sing, and Architects or Artists, of whatever kind, describe or form; the most delightful, the most engaging and pathetic, is that which is drawn from real Life, and from the Passions. Nothing affects the Heart like that which is purely from it-self, and of its own nature; such as the Beauty of Sentiments, the Grace of Actions, the Turn of Characters, and the Proportions and Features of the human Mind. This Lesson of Philosophy, even a Romance, a Poem, or a Play may teach us […]. Let Poets, or the Men of Harmony, deny, if they can, this Force of Nature, or withstand this moral Magic.46”

“Moral magic!” repeated Fulvia. “Now we have run the circuit – from moral sense to mimetic virtue to moral magic. What now?” “How about if I run home and type up our dialogue?” “Is your memory that good? Or have you been recording the conversation all along without telling me?” “Neither. I would just do my best to give fair representation to both sides.”47 not wholly quitted the balancing or pondering part” (Shaftesbury, The Judgment of Hercules, in: Characteristicks, vol. 3, chapt. 2, 219 f.). 45 Fulvia draws from AustenÌs defense of novels and novelists in chapter 5 of Northanger Abbey. There the narrator describes novels as “performances which have only genius, wit, and taste to recommend them […]. [Works] in which the greatest powers of the mind are displayed, in which the most thorough knowledge of human nature, the happiest delineation of its varieties, the liveliest effusions of wit and humour, are conveyed to the world in the best chosen language” (Jane Austen, Northanger Abbey, in: J. A., The Complete Novels, Oxford, New York 1994, 1086). 46 Shaftesbury, Sensus Communis, part 4, sect. 2, vol. 1, 85. 47 Thereby repeating the philosophical problem. On this doubling, see ShaftesburyÌs Soliloquy, or Advice to an Author, especially his statements about the right way to compose dialogue, a form that must be

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“Could you really do justice to how witty I am and how I countered you at every turn?” “I would try, Fulvia; I would try. If I did write down our dialogue and showed it to someone else and said, Íhere is an essay about the moral sense in Shaftesbury,Ì what do you think would be the response?” “No one would believe this conversation took place.” “What if I added small realistic touches like your tapping me on the forehead with a straw left accidentally on the table by a distracted waitress?” “The more of that you added, the less scholarly the piece would seem, and your reader would justifiably complain that you should have written a real essay instead of a fictional conversation.” “IÌm afraid youÌre right, Fulvia. If you werenÌt sitting right here in front of me for the past hour, I wouldnÌt believe it either.” And so we paid our bill and left Casablanca together. Fulvia held open the door for me. As we walked outside she said, “Theo, I think this could be the beginning of a beautiful friendship.” In diesem Dialog treffen Fulvia, eine Skeptikerin, wie sie in Mandevilles Fable of the Bees Part II gezeichnet ist, und Theo, ein Verteidiger von Shaftesburys ,moral senseÍ, in einem Restaurant namens Casablanca zusammen. Unter skeptischem Druck verteidigt Theo den ,moral senseÍ gegen vergangene und gegenwärtige Kritik. Er argumentiert, daß der ,moral senseÍ weniger ein philosophisches Konzept ist denn eine kognitive Aktivität, die sowohl dem Menschen natürlich als auch notwendig für ethische Reflexionen ist. Die Diskussion dringt zur Idee der,mimetic virtueÍ vor, an der Grenze zwischen Literatur und Philosophie. Wie bei Shaftesbury zielt auch dieser Dialog darauf ab, das philosophische Argument formal zu beinhalten. In this dialogue, Fulvia, a skeptic drawn from MandevilleÌs Fable of the Bees Part II, and Theo, a defenderof ShaftesburyÌs Ímoral senseÌ, converse in a restaurant called Casablanca. Under skeptical pressure, Theo defends the Ímoral senseÌ against past and current criticism. He believes the Ímoral senseÌ is less a philosophical concept and more a cognitive activity, both natural to human beings and necessary for ethical deliberation. The discussion arrives at the idea of Ímimetic virtue,Ì on the threshold between literature and philosophy. As in Shaftesbury, dialogue offers a formal embodiment of the philosophical argument. Prof. Michael B. Prince, Boston University, Department of English, 236 Bay State Road, Boston, MA 02215, USA, E-Mail: [email protected]

simultaneously realistic (“Every Face must be a certain ManÌs,” Soliloquy, part 1, sect. 3, 126) and improving, a “Looking-Glass to the Age” (124). For more on the significance of dialogue in ShaftesburyÌs moral philosophy, see Alexandra Kleihues, Der Dialog als Form, Würzburg 2002; Timothy Dykstal, The Luxury of Skepticism: Politics, Philosophy, and Dialogue in the English Public Sphere, 1660–1740, University of Virginia Press 2001; Vittorio Hösle, Der Philosophische Dialog. Eine Poetik und Hermeneutik, München 2006; and Michael Prince, Philosophical Dialogue in the British Enlightenment, Cambridge 1996.

Mark-Georg Dehrmann Shaftesburys stoischer Sokratismus

I. Wie soll man Shaftesbury lesen? Wie soll man Shaftesbury lesen? Auf der einen Seite stehen seine publizierten Schriften – „papers“1 – aus einem Zeitraum von 15 Jahren, von ihm selbst gesammelt und 1711 an die Öffentlichkeit gegeben: Die Characteristicks of Men, Manners, Opinions, Times2 begründen Shaftesburys Ruhm und Wirkung.3 Gerade deren kontroverse und vielgestaltige Art ist aufschlußreich für die Schwierigkeit, die sich immer noch mit der Lektüre Shaftesburys verbindet. Er erschien der Forschung als Gründer einer sentimentalistischen Moral, die gut und böse nicht mittels des Verstandes, sondern einer Empfindung unterscheiden wolle, genauso als ironischer und subversiver Skeptiker, der durch Spott nach der Wahrheit forsche, andererseits aber auch als enthusiastischer Platoniker und Mittler einer neuplatonischen Kosmologie, die Gott als Artisten fasse und ihm den menschlichen Künstler an die Seite stelle. ,Moral senseÍ, ,test of ridiculeÍ und Prometheus-Bild kristallisieren sich als Stichworte dieser Wirkung heraus. Shaftesbury an Thomas Micklethwayte, 11. Aug. 1711, in: The Life, Unpublished Letters, and Philosophical Regimen of Anthony, Earl of Shaftesbury, hg. von Benjamin Rand, London, New York 1900, 438. 2 [Shaftesbury,] Characteristicks of Men, Manners, Opinions, Times, 3 Bde., s.l. [London] 1711; Shaftesbury, Characteristicks of Men, Manners, Opinions, Times. The Second Edition Corrected, 3 Bde., s.l. [London] 1714. Im folgenden zitiere ich die Characteristicks („Char.“) mit Band und Seite der Originalpaginierung nach der Ausgabe: 3 Bde., hg. von Douglas Den Uyl, Indianapolis 2001; sie druckt den mit der ,Second EditionÍ übereinstimmenden Text der Ausgabe 1732. Zitate aus den Chartae Socraticae werden im Text direkt nachgewiesen, in den Anmerkungen mittels der Sigle „SE II.5“, mit Seite und Zeilenangabe: Standard Edition. Sämtliche Werke, ausgewählte Briefe und nachgelassene Schriften, Stuttgart-Bad Cannstadt 1981 ff., Bd. 2, 5: Chartae Socraticae. Design of a Socratick History, hg. von Wolfram Benda, Christine Jackson-Holzberg, Friedrich A. Uehlein, Stuttgart-Bad Cannstadt 2008. 3 Vgl. für Großbritannien: Isabel Rivers, Reason, Grace and Sentiment. A Study of the Language of Religion and Ethics in England, 1660 – 1780, Bd. 2: Shaftesbury to Hume, Cambridge 2000; für Deutschland: Mark-Georg Dehrmann, „Das Orakel der Deisten“. Shaftesbury und die deutsche Aufklärung, Göttingen 2008. 1

Aufklrung 22 · Ò Felix Meiner Verlag 2010 · ISSN 0178-7128

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Aber es gibt auch eine zweite Seite. Während die deutsche Forschung um 1900 den Platoniker stark machte,4 präsentierte Benjamin Rand ein konkurrierendes Deutungsmodell. Seine Edition der Ask¤mata5 zeigte, daß Shaftesbury in seinen privaten Aufzeichnungen als lupenreiner Stoiker nach dem Vorbild von Epiktet und Marc Aurel verfuhr.6 Hier tritt ein genuin praktisch interessierter Philosoph zutage, für den Philosophie vor allem innere Übung und Habitualisierung einer rechten Sicht auf die Dinge und richtigen Handelns bedeutete, dem aber beispielsweise Spekulation über den Kosmos fern lag. Publiziertes und unveröffentlichtes Werk scheinen in nicht geringem Maße auseinanderzufallen; entsprechend disparate Charakterisierungen Shaftesburys bieten sich an: Stoiker oder Platoniker, praktischer Philosoph oder spekulativer Geist – dies sind nur zwei der Gegensätze, die einander mit der ganzen Härte ihrer geistesgeschichtlichen Abstraktheit auszuschließen scheinen.7 Wie also soll man Shaftesbury lesen? II. Vielfalt und Einheit Trotz aller Krankheiten und politischen Fährnisse – der Dritte Earl of Shaftesbury hatte die Gelegenheit, ein Werk im starken Sinne zu verfassen. Seine Stellung in der Welt legte ihm keinen Brotberuf auf. Die vielfältige Ironie, mit der die Characteristicks Autorschaft und professionelles Schreiben behandeln, umspielt einerseits den Selbstwiderspruch, daß Shaftesbury nach und nach selbst zum öffentlichen ,authorÍ geworden ist. Aber es handelt sich dabei um keine Koketterie. Die Ironie eröffnet Shaftesbury einen Weg, die Freiwilligkeit seines Schreibens zu inBeispiele in: Mark-Georg Dehrmann, Shaftesbury statt Spinoza. Die germanistische ,ErfindungÍ Shaftesburys bei Wilhelm Dilthey, Christian Friedrich Weiser und Oskar Walzel, in: Geschichte der Germanistik 29/30 (2006), 43 – 51. 5 Rand, The Life (wie Anm. 1). Die Ausgabe Rands, hier zugrundegelegt, ist unzuverlässig. Die Edition in der Standard Edition wird, neben philologischer Verläßlichkeit und Vollständigkeit, erstmals eine genauere Datierung der Einträge zulassen. 6 Dies nahm beispielsweise auf: Esther A. Tiffany, Shaftesbury as Stoic, in: Publications of the Modern Language Association 38 (1923), 642 – 684. 7 Auch vermittelnde Beiträge gehen von einer solchen ,hartenÍ Entgegensetzung aus. Robert Voitle beschreibt in seiner vorzüglichen Biographie (The Third Earl of Shaftesbury, 1671 – 1713, Baton Rouge, London 1984, insbes. 111 – 163 und 313 – 366) eine Wandlung Shaftesburys vom Stoiker zum Platoniker. Zuletzt stellt Friedrich A. Uehlein (,Stoisch, wahrhaft sokratischÍ. Epiktet und Marc Aurel in der Philosophie Shaftesburys, in: Stoizismus in der europäischen Philosophie, Literatur, Kunst und Politik, hg. von Barbara Neymeyr u. a., Berlin, New York 2008, Bd. 2, 1047 – 1062, hier 1062) fest, daß die Characteristicks „trotz weitreichender Aneignung […] nicht stoisch gelesen werden“ könnten. Vielleicht gälte es, beim Gebrauch jener Begriffe zunächst Shaftesburys eigenes Verständnis von Philosophie und den philosophischen Traditionen zu rekonstruieren. Daß er dadurch, gemessen an der philosophiegeschichtlichen Unterscheidbarkeit jener Schulen, zum Eklektiker würde, wäre kein Verlust. 4

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szenieren, dessen Uninteressiertheit in bezug auf alles, was normalerweise mit einer öffentlichen Autorschaft verbunden ist: Ruhm und Akklamation. Die Nonchalance, mit der er seine Schriften im Preface als interesselose „Presents“8 bezeichnet, die souveräne Eleganz seines scheinbar digredierenden Stils sind Teil dieser Inszenierung. Aber unterschwellig zeigt sich auf der anderen Seite eine Angst: mißverstanden zu werden. Gleichfalls im Vorwort gibt Shaftesbury zu verstehen, daß die „Five Treatises formerly publishÌd apart“ als „united Tracts“,9 als Einheit, als ein Werk verstanden werden wollen. Wie sehr die Characteristicks ein Werk im starken Sinne sind – und es, unterschwellig, sein sollen –, wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, was hier vereinigt wird: nahezu alle Schriften aus Shaftesburys gesamter schriftstellerischer Produktion; Schriften, die er gleichfalls nicht schreiben mußte, sondern uninteressiert, als Autor und doch Nicht-Autor ,verschenktÍ hat. Die Characteristicks behaupten die Kontinuität dieses Schreibens und damit dieses Lebens. Die Einheit von Leben und Schreiben erscheint in der Einheit des Werkes. Auch so mag man es deuten, daß Shaftesbury sein Familienwappen über das Preface stellt. Vielfalt und Einheit stehen in einem spannungsreichen Bezug. Schon der Titel Characteristicks weist auf einen verborgenen Zusammenhang hin. So rätselhaft seine Bedeutung ist, so klar bezeichnet er jene Spannung. Der Plural von Subjekt (Characteristicks) und Objekt (Men, Manners, Opinions, Times) erscheint vage, und nicht leicht lassen sich Gegenstände denken, die darin keinen Platz finden könnten. Und doch setzt sich der Titel entschieden ab von einem immerhin denkbaren ,Collected WritingsÍ. Er benennt nicht die versammelten Texte, sondern eine in ihnen verhandelte Sache. Diese Sache, was auch immer sie sein mag, verleiht den Texten einen inneren Zusammenhang: Einheit des Denkens bei Vielfalt der Gegenstände und Gedanken. Die zweite Ausgabe der Characteristicks unterstreicht dieses Spiel. Shaftesbury erarbeitet Illustrationen, konzentrierte Allegorien seines Denkens, verknüpft die Schriften untereinander durch Verweise und erschließt sie mittels eines Indexes: hermeneutische Aufforderungen, Perspektiven zu suchen, aus denen das Verschiedene seine Einheit preisgibt; Andeutungen einer Ordnung, die sich nicht von selbst offenlegt, sondern aufgesucht werden will. Die Beobachtung dieses Spiels von Einheit und Vielheit bietet noch keine Lösung für die Frage, wie man Shaftesbury lesen soll. Aber hier kommt eine Struktur zum Vorschein, die das Werk zu prägen scheint. Von wo aus wird die Vielfalt zur Einheit? Dies ist nicht nur die hermeneutische Grundfrage, die der Interpretation jeder intentionalen Struktur zugrundeliegt. Denn die Characteristicks selbst for8 9

Char. I, xxi (Preface). Ebd.

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dern den Leser zu hermeneutischer Disziplin auf. Dies ist Teil des Werkes, seiner Strategie und seiner Bedeutung – gerade weil die Characteristicks sich weigern, wie Shaftesbury es nennt, ihre eigene Anatomie zu betreiben, systematisch eine Architektur der Begriffe zu entwickeln.10 So formulieren sie selbstbewußt das Problem des Verstehens und nehmen, genauso bewußt, ein Mißverstehen in Kauf. Die Fragen, welches Problem sich für Shaftesbury mit dem Verstehen verbindet, weshalb er sein Werk der Gefahr aussetzt, daß Leser am Einzelnen und Vielfältigen stehenbleiben, die Einheit verfehlen und damit scheitern – sie sind Teil der Deutung der Characteristicks selbst. Es gilt, aufmerksam zu sein, nicht nur für das ,WasÍ des jeweils an jeder Stelle Gesagten, sondern auch für dessen Ort in der Gedankenbewegung. Vor allem aber gilt es, die Pragmatik zu beachten, den kommunikativen Sinn jedes Details an seinem Platz und in bezug auf einen Leser, der in der Vielfalt eine Einheit entdecken soll. Geist und Buchstabe müssen sich in einer solchen Lektüre nicht immer decken: Gedanken, Formulierungen und Argumente können in der Gesamtstruktur eine strategische oder didaktische Funktion haben. Aus hermeneutischer Perspektive darf man den ,moral senseÍ, den ,test of ridiculeÍ, den Prometheus, den Platonismus und den Enthusiasmus nicht isolieren. Es gilt vielmehr, die Vielheit auf die darunter liegende Einheit hin zu befragen. Aus dieser Unterscheidung von Vielfalt und Einheit, wie sie die Characteristicks selbst anbieten, folgt die Annahme eines ,eigentlichenÍ Shaftesbury, der sich unter der Vielfalt verbirgt, einer Vielfalt, die – als bloße, lose Vielfalt! – ,uneigentlichÍ beibt. Die erwähnten Aufzeichnungen aus dem Nachlaß, die stoischen Ask¤mata, bestärken dies. Es gilt, diese genuin ethischen Notizen mit den publizierten Schriften zu vereinigen, eine Perspektive zu finden, in der die Characteristicks verständlich werden als Werk eines Autors, der sich privat einer rigorosen stoischen ,skesisÍ unterwirft. Liest man die Characteristicks und die Ask¤mata parallel, so zeigt sich, wie sehr die privaten Gedanken und die Koordinaten der Übung auch das publizierte Werk durchziehen. Nun bedeutet das nicht, daß in den Ask¤mata der ,eigentlicheÍ Shaftesbury zu finden wäre, in den Characteristicks aber nicht. Denn auch jene haben eine bestimmte Funktion in bezug auf den Schreibenden: Er habitualisiert philosophische Grundsätze.11 Gerade daß Vgl. seine Kritik am „Methodick […] Manner“: Es „dissects it-self in Parts, and makes its own Anatomy“; Char. I, 257 (Soliloquy). 11 Vgl. Lawrence Klein, Shaftesbury and the Culture of Politeness, Cambridge, MA 1994, 70 – 90; Voitle, The Third Earl (wie Anm. 7), 135 – 163, untersucht die Übungen, scheint aber das Primat der Praxis nicht konsequent genug erkannt zu haben. Auf der praktischen Ausrichtung zumindest der Ask¤mata insistiert auch Friedrich A. Uehlein, Kosmos und Subjektivität. Lord Shaftesburys Philosophical Regimen, Freiburg, München 1976. Außerdem: Mark-Georg Dehrmann, Humanismus und Stoa. Shaftesburys Characteristicks und die Ask¤mata, in: Genese und Profil des europäischen Humanismus im 18. Jahrhundert, hg. von Hubert Cancik, Martin Vöhler, Heidelberg 2009, 35 – 55. 10

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der stoische Asket beschlossen hat, Werke zu veröffentlichen, belegt deren Eigenständigkeit. Sie intendierten eine Wirkung auf den Leser, die sich von der ,SelbstWirkungÍ der privaten Schriften unterscheidet; denn offensichtlich läßt sich das Schreiben für sich selbst nicht einfach auf die Öffentlichkeit übertragen. Die Anlage der Characteristicks in Vielfalt und Einheit birgt bereits eine Reflexion dieses Tatbestands, über den Shaftesbury an verschiedenen Orten auch explizit nachgedacht hat.12 Das argumentative Vorgehen dieses Werks, die Gründe für die unterschiedlichen Schreibformen gehören, neben dem ,bloßenÍ Gehalt der Vielfalt, zentral zum Verständnis Shaftesburys. Jener ,eigentlicheÍ Anthony Ashley Cooper, Third Earl of Shaftesbury ergäbe sich von Standpunkten aus, die es erlauben, beide Schreibweisen, die öffentliche und die private, zusammenzudenken.

III. Stoizismus, Platonismus – und Sokrates Die fortschreitende Publikation von Shaftesburys Nachlaß erlaubt einen immer schärferen Blick auf die privaten Kontexte, Quellen und Intentionen seines Denkens und Schreibens.13 Unlängst hat die Erlanger Shaftesbury-Forschungsstelle ein noch kaum beachtetes Corpus zugänglich gemacht: Shaftesburys intensive Studien zu Sokrates, das unvollendete Projekt der Chartae Socraticae.14 Auch sie fordern, wie die Ask¤mata, geradezu eine Revision des Shaftesbury-Bildes. Denn wie mit Marc Aurel und Epiktet treiben die Characteristicks auch mit Sokrates ein Versteckspiel. Dies bedeutet gerade nicht, daß Gedanken und Strategien, die Shaftesbury mit Sokrates verband, in ihnen fehlten. Verborgen sind vielmehr, wie im Falle der römischen Stoiker, der Name und mögliche Stellennachweise, während das Denken wiederum in erstaunlichem Maße auf entsprechende Folien bezogen werden kann. Diese Beobachtung läßt sich aus Anlage und Wirkungsintention der Characteristicks erklären. Denn erstens wandte sich Shaftesbury an ein Publikum, das er für genauso elegant hielt wie ,philosophischÍ daherkommenden Gesprächen und gelehrten Diskussionen abgeneigt. Diesem Publikum galt es, malgr¤ soi PhilosoEin genuin praktisches Verständnis Epiktets und Marc Aurels, das sehr nah an demjenigen Shaftesburys liegt, entwickelt Pierre Hadot, Die innere Burg. Anleitung zu einer Lektüre Marc Aurels, Frankfurt am Main 1996 (frz. 1992). 12 In den Ask¤mata (Rand, The Life, wie Anm. 1) vgl. z. B. die Passage 192 – 206; in den Chartae etwa am Muster Xenophons, SE II.5, 149, 20 – 30; mit Bezug auf das eigene Schreiben ebd., 229, 9 – 22. Klein, Shaftesbury (wie Anm. 11), 111, nennt die Characteristicks „a field for the deployment of discursive strategies“. 13 Uehlein, Stoisch (wie Anm. 7) stellt die im Nachlaß greifbaren Spuren von Shaftesburys Auseinandersetzung mit Epiktet, Marc Aurel und anderen antiken Autoren zusammen. 14 Shaftesbury, Chartae (wie Anm. 2).

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phie zu verabreichen.15 Die Reduktion des gelehrten Apparates gehört zur Strategie, die Lawrence Klein in seiner grundlegenden Studie so treffend ,Polite PhilosophyÍ nennt.16 Zweitens war Shaftesbury zwar daran gelegen, daß seine Leser nach der Lektüre selbst die großen philosophischen Modelle aufsuchten; quellenkritische Rechenschaft wollte er aber nicht ablegen. Die Characteristicks legen Spuren zu Sokrates bzw. zu Xenophon und Platon, ebenso zu Marc Aurel und Epiktet. Aber diese führen zu ihnen als Modellen für das philosophische Leben, nicht als Quellencorpora für die Anatomie von Shaftesburys Denken. Drittens nutzt Shaftesbury freilich Autoritäten, um an ihnen sein Denken zu entwickeln – für die Wahrheit des Gedachten aber soll nicht die Autorität, sondern die Sache selbst entscheidend sein. Ist ein Sokratischer Gedanke wahr, so deshalb, weil er der Natur der Dinge und des Menschen entspricht. Er muß auch ohne den Verweis auf seine Quelle bestehen können. Alle drei Argumente sind keineswegs Selbstverständlichkeiten, sondern zielen in den spezifischen Kern von Shaftesburys Philosophie, und sie werden um so mehr verständlich, wenn man sie als Konsequenzen der stoischen und sokratischen Studien Shaftesburys versteht. Die Chartae Socraticae wurden weder als zusammenhängende Schrift noch als Publikation realisiert.17 Erhalten ist ein Konvolut von Notizen und Anmerkungen, entstanden von 1698 bis 1707.18 Allein schon weil die Chartae Shaftesburys erste größere, zweifelsfrei für ein öffentliches Publikum konzipierte philosophische Schrift gewesen wären, sind sie bedeutsam. Die Notizen legen die „Cautions“ (S. 226, 3) und Strategien offen, die er bei dem Schritt an die Öffentlichkeit beachten wollte. Gleichsam von innen heraus läßt sich nachvollziehen, wie dieses Werk eine doppelte Rede führen sollte: sei es, um bestimmte Auffassungen nur bestimmten Lesern zukommen zu lassen, sei es, um durch Vorsicht und Andeutungen den Leser selbst zur Erkenntnis der gedanklichen Einheit zu führen. Die Chartae zeigen die Werkstätten jenes Stils, mit dem die Characteristicks bzw. die publizierten Schriften polarisierten. Was der eine an ihnen als weltgewandte, unpedantische Eleganz pries, erschien dem anderen – meist aus theologischen Gründen – als schwer faßbare, dafür aber um so gefährlichere Ironie mit dem Zweck, das geoffenbarte Christentum zu unterlaufen.19 Die Chartae zeugen auf beeindruckende Weise von Shaftesburys Belesenheit in der antiken Literatur und von seinen kritisch-philologischen Fähigkeiten. Das „Who are they that can relish such severity?“ Rand, The Life (wie Anm. 1), 200. Vgl. neben den in Anm. 12 genannten Beispielen etwa Char. I, 333 f. (Soliloquy), Char. II, 180 – 185 (Moralists), Char. III, 173 – 179 (Misc. Refl.). 16 Klein, Shaftesbury (wie Anm. 11). 17 Vgl. insgesamt die vorzügliche Einleitung von Benda, Jackson-Holzberg und Uehlein in SE II.5, 9 – 38. 18 Ebd., 23 – 25. 19 Vgl. etwa Dehrmann, Das Orakel (wie Anm. 3), 108 – 112. 15

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Werk sollte die Überlieferung über Sokrates versammeln und sie sowohl im – kritisch verbesserten – griechischen Original abdrucken sowie in Shaftesburys eigenen Übersetzungen.20 Einleitungen und Kommentare sollten die Texte erschließen – den gelehrten Apparat galt es freilich gering zu halten, um jenes elegante Publikum anzusprechen. Die philologische Energie, die in der Edition wieder unsichtbar werden sollte, galt nicht primär den Texten als Texten, sondern als Zeugnissen einer Realität. Shaftesbury wollte mittels der Zeugnisse die historische Gestalt des Sokrates erscheinen lassen. Die Philosophie, um die es ihm ging, lag in dem Exempel des Sokrates, der in der Wirklichkeit exemplarisch tätig war; sie lag in der Einheit der Worte und Gedanken mit der Praxis. Diese Intention auf die historische Realität bestimmt Shaftesburys philologisches und hermeneutisches Verfahren. Im Vordergrund der Chartae sollten natürlich die Texte Xenophons und Platons stehen. Das Sokratesbild dieser beiden ist bekanntlich so divergent, daß die spätere Forschung nicht selten in die Aporie getrieben wurde.21 Xenophons Memorabilien zeigen einen gewandten, staatstreuen, den Freunden immer hilfreichen Didaktiker, während der Dialektiker Platons sich in der Folge der Dialoge vom aporetischen Skeptiker und Elenktiker zum Metaphysiker wandelt. Die moderne Rezeption vermißte bei Xenophon nicht selten den eigentlichen Philosophen. Aber offensichtlich bediente sich Platon in nicht leicht zu bestimmendem Maße seines Lehrers als Sprachrohr für die eigene Philosophie. Umgekehrt billigte man meist Xenophon die größere historische Verläßlichkeit zu.22 Wie auch immer der Weg zum historischen Sokrates gefunden werden sollte – immer galt es, einen kritisch kontrollierten Pfad zwischen Xenophon und Platon zu bahnen. Man sieht die Schwierigkeit: Kritik und Hermeneutik durchdringen sich, und der hermeneutische Zirkel tritt offen zutage. Um an die Gestalt zu gelangen, von der Xenophon und Platon so unterschiedlich zeugen, muß man zumindest gegen einen Teil dieser Texte selbst kritisch vorgehen. Leitbild wird das je eigene Sokratesbild, das sich aus den beiden Korpora erst herausgebildet haben kann, dann aber zum hermeneutischen Instrument ihrer Kritik und Hierarchisierung dieVgl. Benda, Jackson-Holzberg, Uehlein, Einleitung (wie Anm. 17), 19 – 22. Olaf Gigon (Sokrates. Sein Bild in Dichtung und Geschichte, Bern 1947) hält die Frage nach dem historischen Sokrates für unbeantwortbar. Konstruktive Versuche etwa bei William K. C. Guthrie, The Fifth-Century Enlightenment, Part 2: Socrates, Cambridge 1971 (A History of Greek Philosophy, Bd. 3); Gregory Vlastos, Socrates. Ironist and Moral Philosopher, Ithaka 1991. Die Probleme skizziert knapp Klaus Döring: [Art.] Sokrates, in: Der neue Pauly 11 (2001), 674 – 686, vor allem Abschnitte B und D. Vgl. zu den Kontroversen die Sammlung von Andreas Patzer (Hg.), Der historische Sokrates, Darmstadt 1987. 22 Dies ist freilich heute nicht mehr unbedingt der Fall. Vgl. als Extremposition Olaf Gigon, Kommentar zu Xenophons Memorabilien, Buch 1: Basel 1953, Buch 2: Basel 1956. 20

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nen muß. Daß der Sokrates, den man auf diese Weise konturiert, ein – aus kritischer Perspektive betrachtet – je eigener wird, steht zu erwarten.

IV. Shaftesburys Hermeneutik Auch Shaftesbury verschafft sich seine hermeneutisch-kritische Ratio durch eine klare Entscheidung. Schon die geplante Anordnung macht das deutlich.23 Die Chartae sollten in zwei Bücher geteilt werden. Das erste hätte, nach einem Vorwort, mit einer Kritik („censure“; S. 42, 2) der Sokrates-Vita des Diogenes Laertios begonnen, gefolgt von einer Biographie Xenophons (S. 43, 5 – 11) und dessen Memorabilia und Apologie, jeweils begleitet von einem „Discours“ (ebd.). Für das zweite Buch war ein eigenes Vorwort geplant. Als Textanordnung plante Shaftesbury:24 1) Xenophons Oikonomikos; 2) sein Symposion; 3) Ausschnitte aus AristophanesÌ Wolken; 4) Ausschnitte aus Platonischen Dialogen, namentlich Symposion,25 Erastai, Gorgias, Philebos, Laches, Menon, ein weiterer Abschnitt aus Laches, Minos, Gorgias, möglicherweise Klitophron;26 5) schließlich vollständig die Apologie; 6) Kriton in Auszügen; 7) Phaidon. Jeden dieser Abschnitte sollte ein „Discours“ begleiten und schließlich das ganze Werk durch eine Abhandlung abgeschlossen werden (vgl. S. 41 – 44).27 Die Aufteilung der Chartae in zwei Bücher ist programmatisch: Als Grundstein für die „History of Socrates“ baut Shaftesbury allein auf die Memorabilien und die Apologie „of Xen: his Historean“ (S. 43, 6 – 8). Das zweite Buch sollte klar davon scheiden, was nicht unmittelbar ein Licht auf den historischen Sokrates werfe: „that History. this Apochryph“ (S. 161, 5). An anderer Stelle heißt es: „Xenophon shews us Socrates as he truly was“ (S. 123, 25). Der Xenophontische Sokrates der Memorabilien und der Apologie ist für Shaftesbury der authentische. Diese Texte stellen auch das hermeneutische Maß bereit, das die Auswahl, Kommentierung und Bewertung der ,ApokryphenÍ, vor allem Platons, regelt. Shaftesbury formuliert seine editorische und hermeneutische MaVgl. die Inhaltsverzeichnisse SE II.5, 41 – 46 und 321 f. Das spätere scheint eine Zwischenform zu sein: Konzept des geplanten Werkes und Inhaltsverzeichnis zu Shaftesburys Notizenbuch. 24 Vgl. Benda, Jackson-Holzberg, Uehlein, Einleitung (wie Anm. 17), 20. 25 Den Plan, einen Ausschnitt aus dem Theages folgen zu lassen, ließ Shaftesbury fallen; vgl. SE II.5, 194, 6. 26 Beim Klitophron ist Shaftesbury, u. a. wegen der unsicheren Zuschreibung, unschlüssig: „Consider this again“; SE II.5, 196, 19. Erastai und Minos hält er, zeitüblich, für Platonisch. 27 Die Gliederung ist nicht abschließend ausgearbeitet. Ob Shaftesbury die drei letztgenannten Dialoge Platons gemeinsam oder separat behandeln wollte, geht aus ihr nicht eindeutig hervor. Er zählt: „12 Discourses. & 10 Tracts [= die Quellen]. if […] ye 3 Dialogues of Plato […] are to be seperate“; vgl. SE II.5, 46, 4 – 6. 23

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xime so: „Plato, for Fact, no farther to be relyed on than either provd in other Authors […] or otherwise when nothing either of ornamt : to his Dialogue Style, Philosophy or ye Character of Socrates as […] a Hero & Divinely inspired comes in his way so that the thing is indifferent“ (S. 185, 12 – 16). Was sich in der Platonischen Darstellung mit Xenophon deckt, das gilt Shaftesbury als historisch. Um festzustellen, was dort indifferent ist und damit ebenfalls als Sokratisch gelten mag, hat er sich, von Xenophon ausgehend, ein Ausscheidungsraster gebildet. Dieses umfaßt vor allem Platons Stil und Philosophie, also gerade die beiden konträren Charakteristika der Platonischen Schriften: die aporetische Skepsis der frühen und die Metaphysik der späteren Werke.28 Shaftesbury hält dem angesichts Xenophons entgegen: „Socrates avoids Metaphysics“;29 und auf der anderen Seite: „Xenophon […] maintains that he Philosophizd not doubtingly & perplexingly but certainly plainly & affirmatively teaching & defining as well as confuting“ (S. 124, 22 – 24). Shaftesbury sagt selbst, daß von Platon als Quelle, auf diese Weise gefiltert, wenig bleibe – „indeed very little“ (S. 185, 17). Als Berichterstatter über Sokrates wird er stark abgewertet. Shaftesbury begründet seine Bevorzugung Xenophons philologisch-kritisch. Im Anschluß an die oben zitierte methodische Maxime verweist er beispielsweise auf Widersprüche in Platons Sokratesbild. Die Empfehlung im Phaidon an die Freunde, in der Fremde einen Nachfolger für sich zu suchen,30 stimme nicht mit SokratesÌ Verwerfung des Reisens im Kriton und im Phaidros überein, zumal auch Xenophon bestimmt angebe, daß Sokrates nur aus Pflicht Athen verlassen und alles „forreign learning“ (vgl. S. 185, 18 – 24) zugunsten des „Moral […] Political & Practical“ (vgl. S. 59, 1 – 11) verworfen habe. Ein fundamentaler „Proof[]“ (S. 185, 18), der die Abwertung Platons wirklich tragen könnte, ist das nicht. Zwar korrigiert Shaftesbury im Laufe seiner Notizen noch oft das Platonische Sokratesbild. Und auch in Xenophon findet er Hinweise: Dieser gehe in seinen lange nach SokratesÌ Tod geschriebenen Dialogen nicht nur gegen die Ankläger des Prozesses vor, sondern unterschwellig ebenso gegen Platons falsches Bild (etwa S. 150, 19 f. und 158, 30 – 33). Aber auch dies liefert letztlich keinen ,BeweisÍ für das in die Memorabilien gelegte Vertrauen. Die Interpretation der ,FehlerÍ Platons, die Rechtmäßigkeit seiner Korrektur liegen Shaftesburys hermeneutischer Grundentscheidung für Xenophon nicht zugrunde, son-

Vgl. SE II.5, 185, 35 bis 186, 6: Einerseits würden Sokrates „Sublime & Mysticall things“ in den Mund gelegt, andererseits erscheine er als „absolute Sceptick“; einerseits „a Sophist & Caviller“, andererseits „a Poet & Vates in divine Fury“. 29 SE II.5, 130, 25. Ähnlich beispielsweise 147, 28 – 33. 30 Phaidon 78 a; Platon, Werke in acht Bänden, griechisch/deutsch, hg. von Gunther Eigler, Darmstadt 1970 – 1983, Bd. 3, 70 f. 28

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dern sie folgen vielmehr aus ihr. Die Erkenntnisbewegung hat längst Partei ergriffen. V. Der stoische Sokrates Etwas bestimmt Shaftesburys Hermeneutik, was fundamentaler ist als seine kritisch-philologischen Beobachtungen: sein Stoizismus. Bei Epiktet und Marc Aurel fand Shaftesbury das Modell des Sokrates, das seiner kritischen Suche nach dem historischen Charakter zugrundeliegt. Auch für Epiktet und Marc Aurel ist Sokrates die exemplarische Figur des wahren Philosophen. Das gilt für das Denken wie für das Handeln, die praktische Lebensführung.31 Das Encheir„dion zeugt davon. Arrian stellt ans Ende des Handbüchleins zwei Sokratische Aussprüche, die man immer parat haben solle: „Nun, mein Kriton, wenn es den Göttern recht ist, soll es so geschehen“, und: „Anytos und Meletos können mich zwar töten, aber schaden können sie mir nicht“.32 In beiden komprimiert sich für Epiktet die „Quintessenz des sokratischen Lebens“ und damit „eines jeden Lebens“:33 die freudige Annahme dessen, was geschieht, dessen, was die Götter, der lebendige, geordnete Kosmos in jedem Moment bereithalten; und, am Extremfall des Todes, die Überzeugung, daß nicht die Dinge und Geschehnisse gut oder schlecht seien, sondern sie dem Menschen aufgrund seiner Urteile so erschienen. Für den Menschen als vernunftbegabtes Wesen gilt es, immer seiner Natur zu folgen, indem er die freie Selbstbestimmung als höchstes Gut behandelt. Die Freiheit aktualisiert sich durch ihre Behauptung: wenn der Mensch sich nicht von den Dingen, die außerhalb seiner Gewalt stehen, abhängig macht. Sie aktualisiert sich, indem er das als gut und notwendig akzeptiert, was sich nicht verändern läßt, was dem Einzelnen vom Ganzen her jeweils zukommt. Vgl. für Epiktet: Klaus Döring, Exemplum Socratis, Studien zur Sokratesnachwirkung in der kynisch-stoischen Popularphilosophie der frühen Kaiserzeit und im frühen Christentum, Wiesbaden 1979, 43 – 79. Für Marc Aurel: Guido Cortassa, Il Filosofo, i libri, la memoria. Poeti e filosofi nei Pensieri di Marco Aurelio, Turin 1989, 129 – 139. 32 Epiktet, Ench. 53; Epiktet, Teles, Musonius, Ausgewählte Schriften, griechisch/deutsch, hg. und übers. von Rainer Nickel, München, Zürich 1994, 70 f.; der erste Spruch nach Kriton 43 d, der zweite nach Apologie 30 c-d. 33 Vgl. auch für das folgende: Döring, Exemplum (wie Anm. 31), 45 und 47. Shaftesbury übt sich in den Ask¤mata oft in der rechten Vorstellung vom Tod, vgl. beispielsweise das Selbstgespräch über „imprisonment, banishment, death“ (Rand, The Life, wie Anm. 1, 175), das Epiktet, Diatriben I, i, 24 – 27 und 30 aufnimmt; Epiktet, The Discourses as reported by Arrian, the Manual, and Fragments, hg. und übers. von W.A. Oldfather, 2 Bde., London, Cambridge, MA 1925, Bd. 1, 12 – 15. Der Kommentar zu den Chartae führt dies auf Sokrates zurück, Apologie 30 c-d und 32 c; Platon, Werke (wie Anm. 30), Bd. 2, 38 f. und 42 f. Auch in den Characteristicks taucht der Gedanke auf, etwa I, 121 f. (Sensus). 31

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Entscheidend ist hier gerade nicht nur die abstrakte ,LehreÍ. Denn das ,dýgmaÍ – bei aller Kosmologie und Anthropologie, die es beinhaltet – dient als Instrument für die Praxis:34 Man solle diese Sätze immer parat haben. Es reiche nicht hin, sie gedacht zu haben. Sondern es gilt in jedem Moment, sein Denken und Handeln daran zu prüfen und auszurichten. Das will Arrians Encheir„dion bieten: eine Handreichung mit den wesentlichen Dogmen für die Praxis. Und es besteht darauf, daß die Größe des Sokrates in seiner Praxis besteht. Denn die zitierten Aussprüche sollen belegen, daß er seine Freiheit und menschliche Natur mittels seines Denkens behauptet hat. Mit dem ersten wehrt er im Gefängnis Kritons Drängen zur Flucht ab. An dem zweiten wird deutlich, daß er seinen Tod freudig annimmt. Die beiden Aussprüche zeigen, daß Sokrates richtig lebte, indem er richtig starb.35 Sokrates ist bei Epiktet ein Exempel, und durch die Erinnerung der Sätze vergegenwärtigt man sich die Möglichkeit, in jeder Situation entsprechend zu denken und zu handeln. Marc Aurels T eis heautýn zeigen entsprechende Übungen in der Einsamkeit mit sich selbst, als schriftliche Selbstgespräche.36 Auch er zieht immer wieder Sokrates als Exempel heran, um sich an dessen Haltung zu erinnern: Ich aber darf folgendes mit Recht entgegnen: Du hast eine falsche Meinung, wenn du glaubst, es dürfe die Gefahr, zu leben oder tot zu sein, ein Mann in Rechnung stellen, der auch nur ein wenig brauchbar ist, statt daß er bloß jenes im Auge hat, wenn er handelt, ob er recht oder unrecht handelt und ob es einem Guten oder Schlechten gemäß ist.37

Dieses Zitat aus der Platonischen Apologie38 bezieht seine exemplarische Kraft ebenfalls aus der ,historischenÍ Situation. Sokrates beantwortet die hypothetische Frage, ob er sich nicht schäme, sich mit Dingen beschäftigt zu haben, die ihn nun in Todesgefahr gebracht hätten. Wie in den zitierten Dogmen des Epiktet bringt er den Tod auf Distanz. Dieser sei weder gut noch schlecht, und es sei nicht gut gesprochen, ihn für eine Gefahr zu halten und so das eigene Leben beeinflussen zu lassen. Implizit folgt daraus die Annahme des Todes als Teil dessen, was Sokrates vom Ganzen her zugedacht wurde.39 Das Gewicht liegt hier auf der Erkenntnisdimension, an der das Denken und Meinen seinen Leitfaden gewinnt. Gut wäre es

Hadot, Die innere Burg (wie Anm. 11), 62 – 66. Döring, Exemplum (wie Anm. 31), 62 f. Vgl. Shaftesbury in den Chartae, SE II.5, 61, 10, und den Kommentar 61, 19 – 23, der Shaftesburys Verweis auf die Ask¤mata (Rand, The Life, wie Anm. 1), 98 f., aufnimmt. 36 Hadot, Die innere Burg (wie Anm. 11), 80 – 84. 37 Marc Aurel VII, 44; ders., Wege zu sich selbst, hg. und übers. von Willy Theiler, Zürich 1951, 162 f. 38 Platon, Werke (wie Anm. 30), Bd. 2, 32 f.: Apologie 28 b. 39 Vgl. die folgende Aufzeichnung Marc Aurels, Wege (wie Anm. 37), S. 162 f.: VII, 45, aus der Apologie (28 d). 34

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im Umkehrschluß, nur darauf zu sehen (sjope?m), was recht (d_jaiom) und was unrecht getan sei, ob es einem guten oder einem schlechten Mann entspreche.40 Sokrates ist auch hier nicht exemplarisch, weil er eine bestimmte Philosophie erfunden hätte, sondern weil er der menschlichen Natur entsprechend lebt. Das Kriterium dafür, was recht und unrecht ist, wird nicht erst durch seine Reden gesetzt. Sie sind Hilfsmittel und er ein Exempel für die Möglichkeit eines solchen Lebens. Die Fähigkeit aber, sich zu befragen, was gut und schlecht ist, trägt der Mensch in sich selbst. Diese Fähigkeit gilt es, durch ständige Selbstprüfung und Selbstbefragung in sich leitend zu machen. Auch durch seine Fragetechnik ist Sokrates exemplarisch für diese Erkenntnis der eigenen Natur, die auf einer Praxis des Selbstgesprächs bzw. einem bestimmten Verständnis des maieutischen Dialogs beruht. Marc Aurel notiert einen Dialog des Sokrates: Sokrates sagt: Was wollt ihr, Seelen von vernünftigen oder unvernünftigen Wesen haben? – Von vernünftigen. – Von was für vernünftigen, gesunden oder kranken? – Von gesunden. – Warum sucht ihr sie nicht? – Weil wir sie haben. – Warum streitet ihr also und habt Differenzen?41

Auch Marc Aurel spaltet den Aporetiker wie auch den Metaphysiker Platons von seinem Sokrates ab. Die Suche des Menschen nach der vernünftigen Seele führt zu der Entdeckung, daß diese längst schon da ist, daß also der Streit und die Differenzen in einer falschen Auffassung von sich selbst gründen. In einem rechten Selbstverständnis hätte jeder Mensch immer schon das Leitvermögen, das er sucht. Was es ,wiederzuentdeckenÍ, wieder zu erinnern gälte, wären keine ,IdeenÍ im Sinne der Platonischen Metaphysik, sondern die vernünftige Seele. Mit ihr besitzt der Mensch das ihm zukommende Maß für die Dinge. Aber er hat es immer nur in der Prüfung und Selbstprüfung. Die Kosmologie bzw. Physik, so könnte man von hier aus argumentieren, begründet also nicht die Ethik, sondern sie sind gleichursprünglich.42 Beide aktualisieren sich in der Selbsterkenntnis, die identisch ist mit der Erkenntnis der eigenen Natur und des eigenen Ortes im Ganzen. Denn der Mensch stellt die Frage nach recht und unrecht schließlich aus seiner Natur heraus und in bezug auf sie. Von primärer Bedeutung ist die jeweilige Es ließen sich viele Parallelstellen bei Marc Aurel und Epiktet für diesen Zusammenhang angeben. Beispielsweise Epiktet: „~kg toO jakoO ja· "cahoO t¹ Udiom Bcelomijºm“ – „The subjectmatter with which the good and excellent man has to deal is his own governing principle“; Epiktet, The Discourses (wie Anm. 33), Bd. 2, 28 f.: Diatriben III, iii, 1. Von Shaftesbury wird diese Passage erinnert in den Ask¤mata (Rand, The Life, wie Anm. 1), 172. 41 Marc Aurel, Wege (wie Anm. 37), 274 f.: XI, 39. Die Herkunft dieses Dialogs ist nicht bekannt. Shaftesbury vermutet, daß er von dem „more deeply morall severe“ Antisthenes herstamme (in seinen Anmerkungen zu Epiktet; zitiert nach dem Kommentar der Chartae, SE II.5, 58, 35). 42 Vgl. Hadot, Die innere Burg (wie Anm. 11), 119 – 122, der von einer ,gelebten PhysikÍ spricht (122). 40

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Praxis, die den Annahmen folgt, wie sie der Mensch seinem Urteilen und Handeln zugrundelegt. Die Richtigkeit dieser Annahmen in bezug auf die eigene Natur weist sich in der Vernunft aus, sie erwirkt das Bewußtsein der Einheit mit dem Ganzen und damit Seelenruhe. Von der Bestätigung, die beispielsweise eine über das unmittelbar Erfaßbare hinausreichende kosmologische Spekulation ihr geben oder auch verweigern mag, hängt sie nicht ab. Entsprechend notiert Marc Aurel in Auseinandersetzung mit Demokrit: „Liebe das Menschengeschlecht. Folge Gott. Jener [Demokrit] zwar sagt: alles je nach Annahme, in Wirklichkeit bloß die Elemente. Es genügt aber, sich zu merken, daß sich alles je nach Annahme verhält: schon istÌs recht weniges (was zu merken ist)“.43 Für das konsequente Leben entsprechend dem Maß für recht und unrecht, für ein naturgemäßes, gutes Leben in Selbsterkenntnis und für die konsequente Umsetzung im Handeln – dafür steht auch hier Sokrates. Die Ask¤mata setzen Sokrates nach diesem Modell ein. Immer wieder erinnert sich Shaftesbury an ihn, meist nun freilich ergänzt durch die Exempel Epiktets und Marc Aurels.44 Alle drei bilden für ihn eine einheitliche Tradition. Möglich wird dies aufgrund des gleichen Gedankens, durch den sich schon Epiktet und Marc Aurel in die sokratische Linie stellen können: Es geht nicht um die Auswahl einer spezifischen philosophischen Denktradition; sondern die Exemplarität des Sokrates – des Epiktet und des Marc Aurel – folgt daraus, daß sein Denken und Handeln der menschlichen Natur entspricht. Man vergleiche die Horaz-Verse, die Shaftesbury den Chartae als Motto voranzustellen gedachte: „– sapere est principium & fons / Rem tibi Socratica [sic!] poterunt &c:“ (41, 5 f.). Die sokratischen Schriften lehren nicht so sehr ein bestimmtes Wissen, sondern sie zeigen, daß Wissen – Selbsterkenntnis – Grundlage und Quelle des richtigen Lebens ist.45 Ein Blick auf Shaftesburys Konzeption der Philosophiegeschichte kann diesen Gedanken verdeutlichen. Er bestimmt sie als Fortsetzung der einen, durch SokraMarc Aurel, Wege (wie Anm. 37), 160 f.: VII, 31. Als Exempel wird Sokrates in der Ausgabe von Rand, The Life (wie Anm. 1), genannt: 29, 64, 76, 80 f., 82, 84, 89, 98, 103, 118, 123 (implizit: Zitat aus SokratesÌ Gebet im Phaidros, wie Anm. 30, Bd. 5, 192 f.: 279 b), 168, 182, 192, 197, 226 f., 251 (wie 123); gemeinsam mit Marc Aurel und/oder Epiktet: 29, 64, 76, 84 (implizit: „Socrates and followers“), 98 (u. a. in einem Marc Aurel-Zitat, Wege, wie Anm. 37, 156 f.: VII, 19 b), 118, 192 (in einem Zitat aus Epiktet, The Discourses, wie Anm. 33, Bd. 2, 128 f.; Diatr. III, xxi, 19), 227 (implizit: „those that followed the Socratic way“). 45 Horaz, De arte poetica, 309 f. Es scheint aufgrund des „&c:“, daß das Zitat weitergeführt werden sollte („ostendere Chartae“). Aber indem Shaftesbury am Beginn das „scribendi recte“ wegläßt, verallgemeinert er den Gedanken: Nicht nur für das richtige Schreiben ist das Wissen Fundament und Quelle, sondern generell. Im Soliloquy (Char. I, 192) wird Shaftesbury mit diesem Zitat zwar das Schreiben und die Autoren im Blick haben, er läßt jedoch immer wieder durchblicken, daß der ,adviceÍ zur Selbsterkenntnis für „all Men in general“ gelte (Char. I, 188 f.). 43

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tes vertretenen Lehre von der menschlichen Natur.46 Im Soliloquy beispielsweise skizziert Shaftesbury den Gang der Philosophie als Ausfaltung des Sokratischen Grundmodells. Sokrates erscheint als „philosophical Patriarch“,47 als „perfect Character“.48 Seine Schule lege gleichsam diesen Charakter aus. Mit Platon, Diogenes und Xenophon manifestierten sich die in ihm enthaltenen „several GeniusÌs of Philosophy“.49 Sie unterschieden sich in „Style and Manner; in the Turn of Humour, and method of Instruction“, nicht jedoch in den zugrundeliegenden „Opinions or Maxims“.50 Platon, von hoher Geburt und dichterischem Temperament, ergreife den enthusiastischen, tragischen, sublimen Part, Diogenes und die Kyniker dagegen den satirischen.51 Xenophon hält gleichsam die goldene Mitte, sein „Simple Manner“ liegt Shaftesbury auch hier am nächsten, es ist ihm die authentische Fortschreibung der Sokratischen Philosophie.52 Der methodische Aristoteles bilde gegenüber diesen praktischen Philosophen eine Untertradition. Sie widme sich der Theorie und trage so zwar die Grundgedanken der Philosophie weiter – nicht aber, ohne sie im Medium des reinen, systematischen Denkens gleichzeitig zu gefährden.53 In seinem Horaz-Brief führt Shaftesbury diese Genealogie weiter. Neben der alten Akademie und den Peripatetikern ordnet er auch die Stoiker in sie ein.54 Im Kern aber bleibe dieses Denken – als der Natur des Menschen gemäßes – sich immer gleich: Es bestehe darauf, „that society, right, and wrong was founded in Nature, and that Nature had a meaning, and was herself, that is to say in her wits, well governed and administered by one simple and perfect intelligence“. Gleichzeitig begreife sich dieses Denken als Fundament für die Praxis, „recommend[s] action, concernment in civil affairs, religion“. Kurz und knapp gefaßt, es sei „civil, social, Theistic“.55 In den Chartae: SE II.5, 49, 31 bis 50, 27; 161, 13 – 32. Char. I, 254 (Soliloquy). 48 Char. I, 194 (Soliloquy). 49 Ebd. 50 Char. I, 253 (Soliloquy). Der Gedanke durchzieht das Soliloquy, wo Shaftesbury die Entwicklung von Philosophie, Dichtung, Kritik und Politik parallelführt. In Char. I, 252 f. beruft er sich für diese Sicht der Philosophie auf „one of the wisest, and most serious of antient Authors“ – Marc Aurel. Die beiden Belegstellen (XI, 6, und VI, 13: Marc Aurel, Wege, wie Anm. 37, 256 – 259 und 126 – 129) scheinen aber nicht herzugeben, was Shaftesbury ihnen hier zumutet. 51 Vgl. Char. I, 254 (Soliloquy). Zur damit zusammenhängenden Theorie der literarischen Gattungen vgl. Barbara Schmidt-Haberkamp, Die Kunst der Kritik. Zum Zusammenhang von Ethik und Ästhetik bei Shaftesbury, München 1998, insbes. Kap. II, 4. 52 Char. I, 257 (Soliloquy). 53 Vgl. Char. I, 256 f. (Soliloquy). 54 Brief an Pierre Coste, 1. Okt. 1706; Rand, The Life (wie Anm. 1), 359. 55 Ebd. Shaftesbury faßt hier den Atheismus als einzige Alternative zu dieser Philosophie und beschreibt auch dessen Genealogie. Als Grundfigur macht er Demokrit aus. Diese Einteilung wird, 46

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Shaftesburys stoisches Vorverständnis des Sokrates wird also durch die Logik seiner historischen Reflexion legitimiert. Das Denken der Stoiker wäre demnach im Kern identisch mit demjenigen des Sokrates, nicht, weil sie sich seiner Schule angeschlossen hätten, sondern weil es sich aus der recht verstandenen menschlichen Natur selbst ergibt. Auch philosophische Neuerungen oder Neuentdeckungen kann es mithin nicht geben,56 wohl aber eine Erneuerung jener ,philosophia perennisÍ. Dieser stoische Blick leitet Shaftesburys Suche nach dem historischen Sokrates. Der vorzügliche Kommentar zu den Chartae weist oft darauf hin. Ein Beispiel: In Memorabilia II, vi, 21, begründet Sokrates die Feindschaft zwischen Menschen, die entstehe, „t² te c±q d³ aqt± jak± ja· Bd]a mol_fomter“ (S. 69, 3 – 12).57 Shaftesbury zweifelt an der auch damals gängigen Interpretation: ,wenn sie [die Menschen] dieselben Dinge für schön und angenehm haltenÍ. Mit hermeneutisch-philologischen Argumenten, vor allem aber aufgrund seiner stoischen Erwartung kommt er zu einer Lesart, die die Herausgeber als „strictly Stoic“ (S. 69, 17) bezeichnen: ,wenn sie Dinge gleichzeitig für angenehm und schön haltenÍ – sich also über den wahren Charakter der Dinge täuschen und meinen, das, was ihnen angenehm erscheine, sei auch wahrhaft gut.

VI. Askesis und daimýnion Die Übung mit sich selbst und das ,daimýnionÍ sind zwei zentrale Schauplätze von Shaftesburys stoischer Sokrates-Interpretation. In Xenophons Verteidigungsstrategie erscheint ihm ein Punkt besonders wichtig. Er beobachtet, daß dieser Sokrates vor allem gegen den Vorwurf verteidige, Alkibiades und Kritias verdorben zu haben. Dieses Argument gelte der Widerleohne Namen, beispielsweise entwickelt in Char. II, 208 (Moralists). Die Systematisierung der Glaubensformen im Inquiry faltet sie weiter auf: Char. II, 11 – 13 (Inquiry). Die zweite Tradition behandelt Shaftesbury als Gegentradition, sie bestehe eigentlich in der Negation jener Sokratischen Philosophie. Immer wieder versucht er auch in den Characteristicks zu zeigen, daß Atheisten sich in einem performativen Selbstwiderspruch befinden, sie also, recht geprüft, eine unmögliche Position einnehmen: Der Gedanke durchzieht das Inquiry, außerdem Char. I, 48 – 52 (Letter), und Char. I, 117 f. (Sensus), an Epikur und/oder Lukrez; Char. I, 88 – 93 (Sensus) an Hobbes; dasselbe Argument an Skeptikern bildet die psychologische Voraussetzung für die Gespräche in den Moralists; en miniature ausgeführt etwa Char. I, 95 (Sensus). 56 So schon im frühen Brief an John Locke, 29. Sept. 1694: „I am so far from thinking that mankind need any new Discoverys, or that they lye in the dark and are unhappy for want of them“, in: The Correspondence of John Locke, hg. von Esmond S. DeBeer, 8 Bde., Oxford 1976 – 1989, Bd. 5, 151. Vgl. Epiktet, The Discourses (wie Anm. 33), Bd. 2, 44 – 47: Diatr. III, vi, 1 – 4. 57 Xenophon, Erinnerungen an Sokrates, griechisch/deutsch, hg. von Peter Jaerisch, München, Zürich 41987, 128 f.

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gung des zweiten Anklagepunktes im Prozeß (vgl. S. 77, 34 – 79, 9).58 Xenophon insistiert nach Shaftesbury darauf, daß die beiden, als sie Sokrates nah gewesen seien, ein tadelloses Leben geführt hätten. Erst als sie ihn verlassen hätten, seien sie davon abgekommen. Die Ankläger setzten irrtümlicherweise voraus, daß ein Mensch, einmal wirklich zur Tugend gelangt, sich nicht mehr zurückentwickeln könne. Dagegen führt Xenophon an – aus dem Geiste des Sokrates selbst, wie Shaftesbury interpretiert –, daß die Charakterbildung, wie diejenige des Körpers, stetige Bemühung erfordere. Mangelndes Training lasse den Menschen wieder zurückfallen.59 In einem ausführlichen Kommentar führt Shaftesbury aus, daß hier die Notwendigkeit einer ständigen geistigen Übung, einer „Discipline or Watch“ (S. 78, 24) über sich selbst, zum Ausdruck komme, ohne Zweifel entsprechend der stoischen Praxis, wie er selbst sie betreibt. Auch auf die Präsenz solcher Übungen bei Sokrates verweist er. So deutet er es etwa als „inward Meditation“ (S. 176, 24), wenn es in Platons Symposion heißt, Sokrates sei, „den Geist sich selber zuwendend“ („2aut` pyr pqos]womta t¹m moOm“),60 zurückgeblieben. Shaftesbury findet für eine derartige Interpretation Rückhalt bei Epiktet. Dieser führt in den Diatriben Sokrates als Schreibenden ein: „Did not Socrates write? – Yes, who wrote as much as he? But how? Since he could not have always have at hand someone to test his judgements, or to be tested by him in turn, he was in the habit of testing and examining himself, and was always in a practical way trying out some particular primary conception“.61 Shaftesbury notiert sich: „observe the Dialogues in wch he Exercizd himself as Epict: mentions“ (S. 57, 38). Einen grundsätzlichen Zweifel am schreibenden Sokrates meldet er nicht an. Er vertraut seinem stoisch grundierten Verständnis und der Autorität Epiktets. Die Stelle der Diatriben ist darüber hinaus interessant, weil ihr eine Interpretation des Sokrates zugrundeliegt, wie sie auch Shaftesbury vertritt. Denn erstens ist Sokrates selbst in seiner philosophischen Haltung nicht fraglos gesichert. Er dialogisiert nicht nur, um die Ansichten anderer zu prüfen, sondern auch seine eigenen.62 Das Gespräch wäre dann eine Form der ,skesisÍ in der Weise, wie wohl Epiktet selbst es verstanden hat. Wenn sich diese Übung bei Sokrates in Schriften für sich selbst fortsetzt, dann wäre der Dialog aber vor allem nichts anderes als ein Pendant zum Selbstgespräch oder zur schriftlichen Übung der Stoiker bzw. Shaftesburys. Mit seiner „inward Meditation“ (S. 176, 24) könnte Sokrates dann exemplarisch auch für die stoische ,skesisÍ stehen. Und der Dialog bzw. das SchreiSokrates verführe die Jugend zum Schlechten; vgl. ebd., 6 f.: Mem. I, i, 1. Vgl. ebd., 22 – 25: Mem. I, ii, 19. 60 Platon, Werke (wie Anm. 30), Bd. 3, 218 f.: Symposion 174 d. 61 Epiktet, The Discourses (wie Anm. 33), Bd. 1, 222 f.: Diatr. II, i, 32. Nach Döring, Exemplum (wie Anm. 31), 68 f. überträgt Epiktet eine zeitgenössische Übungspraxis auf Sokrates. 62 So Sokrates etwa im Alkibiades I, 124 c; Platon, Werke (wie Anm. 30), Bd. 1, 594 f. 58

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ben für andere – in den Chartae, in den Characteristicks – wären zwar in den Taktiken und in der Gestalt vom Soliloquium unterschieden, nicht aber in ihrem eigentlichen Zweck: der Einübung in die sichere Erkenntnis dessen, was recht und unrecht ist. Ein zweiter Angelpunkt von Shaftesburys Interpretation ist das berühmte ,daimýnionÍ des Sokrates. Nicht nur bezieht sich darauf der erste der Anklagepunkte im Prozeß.63 Sondern mit der Frage, welcher Natur dieser Dämon sei, steht und fällt auch seine Anschlußfähigkeit für eine auf die menschliche Natur gegründete Philosophie: Handelte es sich um ein Zwischenwesen, das nur innerhalb der zeitgenössischen Religion der Griechen seinen Platz hat, so wäre Sokrates wohl kaum als universales Exempel zu gebrauchen. Das ,daimýnionÍ ist für Shaftesbury so zentral, daß er einschlägige Stellen in einem eigenen Abschnitt seines Konzeptes sammelt und interpretiert. Über diesen Punkt will er mit „more assurance“ (S. 250, 20 f.) sprechen als über alles andere. Die Biographie des Sokrates soll den Leser auf die Frage, was das ,daimýnionÍ sei, vorbereiten, „to remove prejudice“ (S. 247, 3). Eine Antwort will Shaftesbury aber erst in den Discourses geben (vgl. S. 45, 4 f.). Es geht ihm darum, „order & […] proportion“ seines Werkes nicht zu stören. Aber es zeigt sich auch, wie er den Verstehensprozeß des Lesers leiten will. Die Vorurteile gilt es ihm eingangs zu nehmen, dann aber soll er den historischen Sokrates durch die Texte selbst kennen lernen – in Shaftesburys Arrangement und Interpretation. Auch beim ,daimýnionÍ stellt Shaftesbury ein Gefälle zwischen Xenophon und Platon fest. „FeignÌd at pleasure by Plato“ (S. 248, 34), schreibt er zum Phaidros. Und SokratesÌ Ausführungen am Ende des Theages sind ihm „Strang Storyes (or Fictions) of Plato“ (S. 247, 5). Die Gründe lassen sich erschließen. Denn erstens wird Sokrates hier mit einer Wahrsagekraft über Zukünftiges oder Verborgenes ausgestattet: so etwa, wenn der Dämon ihm verrät, daß Timarchos insgeheim beschlossen habe, den Nikias zu ermorden. Zweitens bezieht sich die Stimme nicht nur auf Sokrates, sondern auch auf andere. Drittens aber bestimmt Sokrates sie als verbietende: Zugeredet habe sie ihm nie.64 Eine andere Stelle bei Platon hält Shaftesbury für authentisch. In der Apologie beruft sich Sokrates auf das ,daimýnionÍ, um zu begründen, warum er seinen Tod nicht als Übel ansehe. Das ,daimýnionÍ habe sich ihm nicht widersetzt, als er zur Gerichtsverhandlung gegangen sei, und auch während seiner Rede sei es nicht eingeschritten: „Was für eine Ursache nun soll ich mir hiervon denken? Das will ich euch sagen. Es mag wohl, was mir begegnet ist, etwas Gutes sein, und unmöglich können wir Recht haben, die wir anVgl. Xenophon, Erinnerungen (wie Anm. 57), 6 f.: Mem. I, i, 2. Platon, Theages 128 d-129 a, in: Platon, Sämtliche Werke in zehn Bänden, griechisch/deutsch, hg. von Karlheinz Hülser, Bd. 10, Frankfurt am Main 1991, 130 – 133. 63

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nehmen, der Tod sei ein Übel. Davon ist mir dies ein großer Beweis“.65 Für Shaftesbury ist entscheidend, daß sich Sokrates hier von der dämonischen Weisung Rechenschaft ablegt: „he renders a reason“ (S. 208, 30). Das ,daimýnionÍ sei keine numinose Gewalt, sondern es beziehe sich, anders als im Theages, auf Sokrates selbst und sein eigenes, je gegenwärtiges Handeln. Das Nichteingreifen in sein Tun erscheine nicht als bloßes Fehlen eines Einspruchs. Vielmehr seien die Gründe für Sokrates unmittelbar einsichtig, durch sie bejahe er sein Tun. All dies, so Shaftesbury, sei „rationall & accountable […] even here wth Plato“ (S. 208, 32). Bekräftigend hebt er hervor, daß Sokrates das daimýnion hier nicht als eigenständiges Wesen bezeichne, sondern als Zeichen Gottes („t¹ toO heoO sgle?om“):66 „communication from God himself immediatly“ (S. 208, 28). Der Singular in Bezug auf Gott ist für Shaftesbury genauso entscheidend wie die Zeichenhaftigkeit und die Einsichtigkeit ihrer Bedeutung. Das ,daimýnionÍ sei hier bei Platon, als was es bei Xenophon durchgehend erscheine: die natürliche Vernunft des Menschen Sokrates selbst.67 Nun ist die Sache bei Xenophon nicht so eindeutig, wie sie Shaftesbury erscheint. Denn Xenophon hebt zwar gleich zu Anfang seiner Memorabilia hervor, daß „Sokrates zu sagen pflegte, das ,daimýnionÍ gebe ihm Zeichen“.68 Er stellt dies daraufhin aber in den Bereich der zeitüblichen Mantik, die in Vogelflug und Opferschau Zeichen von den Göttern bekomme.69 Die Entschiedenheit, mit der Shaftesbury die natürliche Lesart des ,daimýnionÍ ergreift, speist sich nicht ursprünglich aus Xenophon, sondern wiederum aus den Stoikern. Marc Aurel und Epiktet bezeichnen den ,lýgosÍ des Menschen als ,daimýnionÍ bzw. ,da„monÍ. Die Chartae enthalten Verweise auf Stellen der Diatriben, an denen Epiktet auch das Sokratische ,daimýnionÍ als ,lýgosÍ deutet70 und auf die Selbsterkenntnis als Erkenntnis des göttlichen Willens verweist, beispielsweise: „Chap.t 22 of Book 3.d cm_ti [sic] saut¹m !m²jqimom t¹ Dailºmiom, d_wa HEOU l^ &c:“ (S. 252, 4 f.).71

Platon, Werke (wie Anm. 30), Bd. 2, 64 f.: Apologie 40 b-c. Ebd., 62: Apologie 40 b. 67 „(in ye same manner as Xenophon …)“ (208, 31). Auch in bezug auf Alkibiades I, 124 c, hebt Shaftesbury heraus: „ye t¹ dailºmiom, directly Heºr, by Plato himself“ (247, 14); Platon, Werke (wie Anm. 30), Bd. 1, 594 f. 68 „dietehq}kgto c±q ¢r va_g SyÁq\tg¬ t¹ dailºmiom 2aut` sgla_meim“; Xenophon, Erinnerungen (wie Anm. 57), 6 f.: Mem. I, i, 2. 69 Ebd., 3 f. 70 Vgl. die Notizen SE II.5, 251, 24 – 34, und 252, 3 – 15. 71 „know yourself, ask the Deity, do not [attempt the task] without God“; Epiktet, The Discourses (wie Anm. 33), Bd. 2, 148 f.: Diatr. 3, xxii, 53. 65

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Auch Marc Aurel vertritt dies, unter dem Begriff des ,da„monÍ,72 mit Entschiedenheit; beispielsweise: „Es lebt mit den Göttern zusammen, wer ihnen fortgesetzt seine Seele zeigt, wie sie über das Zugeteilte zufrieden ist und tut, was der Dämon will, den Zeus jedem als Vorsteher und Führer gegeben hat, ein Teilchen von sich selbst. Das ist eines jeden Geist und Vernunft (moOr ja· k|cor)“.73 Die eigene Vernunft, die jeder besitze, die aber durch falsche Annahmen von den Dingen verstellt sei, zu vernehmen: Das sei das Ziel der Philosophie. Dem ,da„monÍ, „der sich von den sinnlichen Affektionen, wie Sokrates sagte, abgezogen und sich den Göttern untergeordnet hat“, gilt es zu folgen.74 Durch diesen ,lýgosÍ stehe der Einzelne in Verbindung mit dem Ganzen. Er erkenne, „was gut und schlecht ist“,75 durch ihn könne der Mensch seinen Platz im Kosmos finden und zustimmend einnehmen. Der ,da„monÍ ist dementsprechend auch der Schlüssel zur Eudämonie: „Glückseligkeit ist guter Dämon, gutes Leitvermögen“.76 Von diesem stoischen ,da„monÍ bzw. ,daimýnionÍ her erschließt Shaftesbury seinen Sokrates und seinen Xenophon. Die Einordnung des ,daimýnionÍ in die Mantik – und damit in den ,AberglaubenÍ – interpretiert Shaftesbury als taktischen Griff, um Sokrates in den Augen der Öffentlichkeit zu entlasten. Anläßlich einer analogen Ausführung Xenophons77 schreibt er, dieser „treats this of Devination &c: with a secret air of rallery“ (S. 136, 11 f.). Xenophon glaube also nicht an die Mantik, gebe dies aber nur denen zu erkennen, die zu hören und zu lesen verstünden. Denn er könne und wolle sich nicht gegen die „Establishd Religion“ stellen,78 die Ordnung seiner Gemeinschaft nicht stören. Daher befolge er ihre Gebräuche. Dies ist nicht nur eine Interpretation im Sinne des Sokrates, der immer wieder betont, daß es die Gesetze eines Landes zu befolgen gelte, sondern es deckt sich wiederum mit einem stoischen Grundsatz, für den sich Shaftesbury in seinen Ask¤mata das Beispiel der großen Vier vor Augen hält: If modern superstition disturb thee be thankful it is not Indian and barbarian […]. In the meantime imitate the chastity, decency, and sanctity of the ancients, remembering Xenophon, remembering Marcus, remembering Socrates and his last words, remem-

Dazu Hadot, Die innere Burg (wie Anm. 11), 178 – 180. Marc Aurel, Wege (wie Anm. 37), 116 f.: V, 27. Vgl. Shaftesburys Kommentar in den Chartae, SE II.5, 249, 29 ff. 74 Marc Aurel, Wege (wie Anm. 37), 62 f.: III, 6. 75 Ebd., 48 f.: II, 13. 76 Ebd., 156 f.: VII, 17. 77 Vgl. Xenophon, Erinnerungen (wie Anm. 57), 316 – 319: Mem. IV, vii, 10. 78 „Xenoph: […] cannot be supposd to give […] his Opinion but so as may be for ye reach only of the […] Wise“; SE II.5, 251, 7 f. 72

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bering Epictetus sp]mdeim d³ ja· h}eim, with what follows etam lamtij0, and what stands at present in room of this.79

Aber nicht im Unglauben besteht für Shaftesbury die Pointe dieses verstellten Schreibens, sondern in der Mitteilung jener ,eigentlichenÍ Interpretation des Sokratischen ,daimýnionÍ. Die „rallery“ (S. 136, 12) Xenophons verspotte ihre Sache nicht, sondern lasse vielmehr einen konstruktiven „double Sence“ (S. 136, 14) erscheinen: eben jene Auffassung des ,daimýnionÍ, die Shaftesbury für „Seriouse & True […] & Naturall“ (S. 136, 14 f.) erklärt. Hier wird die wahre Philosophie der Selbsterkenntnis durch die Sorge um den eigenen ,lýgosÍ weitergegeben. Xenophon also füge sich elegant den Konventionen seiner Gesellschaft, gebe jedoch einen geheimen Doppelsinn preis, angesichts dessen sich zwar die Gebräuche als falsche Meinungen entpuppten, der aber nichtsdestoweniger im philosophischen, religiösen und auch politischen Sinne konstruktiv sei. Durch diese Strategie trete in den Memorabilia der historische Sokrates zutage – fraglos der Sokrates einer stoisch grundierten Hermeneutik. VII. Sokratischer Dialog und öffentliches Schreiben Shaftesbury nimmt sich für die Chartae immer wieder vor, Xenophon auch in seinem vorsichtigen „Management“ (S. 157, 28) der religiösen und moralischen Konventionen nachzufolgen.80 Denn er sieht sich in einer analogen Situation. Eine vollständig auf die Natur gegründete Philosophie wäre, theologisch gesehen, unerhört provokant. Die Öffentlichkeit könnte sie nicht akzeptieren, und sie würde apologetische Kontroversen einer Art erregen, die Shaftesbury vermeiden will, schon allein, weil dies im oben skizzierten Sinne unphilosophisch wäre. Wie Xenophon mit secret raillery und Ironie solche Dinge lediglich durchblicken zu lassen – diese Strategie wird auch Shaftesbury dann in seinen publizierten Schriften verfolgen. Hier erscheint einer der Gründe für jenen Doppelsinn der Characteristicks, von dem eingangs die Rede war.81

Rand, The Life (wie Anm. 1), 29; er bezieht sich auf Epiktets Encheir„dion (wie Anm. 32), 45 und 47 – 49: Ench. 31, Abs. 5 und 32; außerdem auf Platon, Werke (wie Anm. 30), Bd. 3, 204 f.: Phaidon 118 a, der Hahn für Asklepios. 80 Vgl. etwa SE II.5, 229, 9 – 30; und die Einleitung: Benda, Jackson-Holzberg, Uehlein, Einleitung (wie Anm. 17), 30 – 33. 81 Vgl. die Reflexionen Char. I, 63 f. (Sensus). Zur doppelten Rede als subversiver Strategie bei den Free-Thinkers vgl. etwa Marvin T. Herrick, The Radical Rhetoric of the English Deists, Columbia, SC 1997; Rivers, Reason (wie Anm. 3), 31 – 50. Mit Blick auf die Chartae: Wolfram Benda, Der Philosoph als literarischer Künstler. Esoterische und satirische Elemente bei Lord Shaftesbury, Diss. Erlangen 1982. 79

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Shaftesbury hebt heraus, daß diese doppelte Rede keine Erfindung Xenophons sei. Sondern Sokrates selbst verwende sie, nicht zuletzt in der Wahl des doppelsinnigen ,daimýnionÍ. Während sich „ye Vulgar“ diesen als Zwischenwesen vorstellen könnten, so wüßten die Weisen, daß hier die Vernunft gemeint sei, „signifying of all things not of some only“ (S. 94, 1 – 6). Aber der „double Sence“ (S. 136, 14) reiche noch tiefer. Denn es sei nicht SokratesÌ Ziel, einen zweistimmigen Diskurs für zwei Arten des Publikums zu führen. Vielmehr bestehe der Kern seiner Gesprächstechnik gerade in der Leitung vom ,vulgarÍ zum eigentlichen Sinn. Sein Ziel sei es, durch Prüfung das gängige Verständnis eines Begriffes auf dessen eigentliche Bedeutung hin zu durchbrechen. Dieses gängige Verständnis beruhe, wie im Falle des ,daimýnionÍ, auf falschen Urteilen über die Dinge. Das eigentliche Verständnis übertrage diesen Begriff auf die Geistnatur des Menschen selbst, der mit seiner natürlichen Vernunft am göttlichen ,lýgosÍ teilhabe und daher ständig, durch Selbstbefragung, entscheiden könne, was recht und unrecht sei. Shaftesbury notiert immer wieder, wie Sokrates Begriffe in diesem doppelten Sinne verwendet, um seine Gesprächspartner im Dialog zu deren rechtem Verständnis zu leiten. Ein Beispiel ist die körperliche (homosexuelle) Liebe. Shaftesbury sieht sie Sokrates immer wieder aufgreifen, um durch die Prüfung dieses Begehrens zur eigentlichen, geistigen Liebe zu führen,82 die sich auf das beziehe, was die Vernunft als recht erkennen könne, wie auch auf die Liebe zu den anderen Menschen. Sie sind als Geistwesen gleichfalls unmittelbare Gegenstände dessen, was Shaftesbury auch in den Chartae „Naturall Affection“ (S. 107, 10) nennt. Die Pointe des Sokrates ist für Shaftesbury, daß er seine Gesprächspartner nicht zu jenem anderen Verständnis der Begriffe überredet. Sondern sie finden es im Dialog selbst, durch die Übung ihres eigenen Denkvermögens, durch Selbsterkenntnis. Beispielsweise am Dialog mit Theodote beobachtet Shaftesbury, wie flexibel Sokrates in dieser Leitung zur Selbsterkenntnis ist.83 Die Hetäre lebt davon, daß sie ihren Körper benutzt, um Männer anzuziehen. Sie beutet gleichsam das körperliche (Miß-)Verständnis der Liebe aus. So, wie sie lebt, kann sie kein Interesse Shaftesbury diskutiert die homosexuelle Liebe intensiv, nicht nur aufgrund der abweichenden zeitgenössischen Vorlieben, sondern als Modell für die Sokratische Begriffspolitik: etwa SE II.5, 166, zum Platonischen Symposion: „to disswade from this Love & substitute another in ye room“; SE II.5, 176, 31 und 178, 9, zum Begriff des Kupplers in Xenophons Symposion 8, 5 und 8, 42: Das Gastmahl, griechisch/deutsch, hg. und übers. von Ekkehard Stärk, Stuttgart 1986, 72 f. und 88 f. Shaftesbury betrachtet diese Liebe nicht als Platonisches, sondern als Sokratisches Element. Liebe zum Ganzen des Kosmos bei Marc Aurel: etwa Wege (wie Anm. 37), 240 f.: X, 21. Man beachte, wie in den Moralists zwischen beiden Formen der Liebe ,umgeschaltetÍ wird: Char. II, 210, und Char. II, 223. 83 Xenophon, Erinnerungen (wie Anm. 57), 220 – 229: Mem. III, xi. 82

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an Philosophie und Selbsterkenntnis haben. Aber Sokrates vermag so genau auf ihren Charakter einzugehen und mit „Gallantry Politeness & Breeding“ (S. 121, 11) zu sprechen, daß er ihr Interesse erregt. Seine doppelte Rede („that other Sence of Socrates“; S. 121, 27), die Shaftesbury auch als „finer sort of Irony“ (S. 122, 12) bezeichnet, erreicht zweierlei: Sokrates gewinnt Theodotes Aufmerksamkeit (draws her „to attention“; S. 120, 15 f.), so daß sie sich im Dialog öffnet. Gegenüber SokratesÌ anwesenden Freunden benennt sie bereitwillig und malgr¤ soi ihre Begehrenstaktiken und die fatalen Folgen der Leidenschaft („expose[s] both her & her Maintainers“; S. 122, 4). Gleichzeitig aber erkennt auch sie im Gespräch etwas von jenem geistigen, eigentlichen Sinn von Liebe und Freundschaft. SokratesÌ Dialog enthüllt für alle Beteiligten, wenn auch auf je unterschiedliche Weise, etwas von jener eigentlichen Natur von Zuneigung: „Thus Socrates would inspire good things & Friendship on all occasions if unable to teach a perfect & intire Vertuouse Friendship yet to insinuate of that […] sort in other degrees“ (S. 119, 7 f.). Darin besteht für Shaftesbury das Wesen der Sokratischen Dialektik und Didaktik. Er geht auf den Charakter seiner Gesprächspartner ein und gewinnt ihr Interesse. Im Dialog führt er sie von ihrem durch falsche Meinungen verzeichneten Verständnis der Dinge zu einem rechten Wissen, das in ihrer eigenen Natur liegt. Dieses Wissen ist Selbsterkenntnis, es wird nicht vermittelt, sondern maieutisch zur Erkenntnis gehoben. Seine Überzeugungskraft gründet erstens darin, daß es sich in der Prüfung als vernunft- und damit naturgemäß enthüllt, zweitens darin, daß diese Prüfung durch die Gesprächspartner selbst angestellt wird. Sie gewinnen die rechte Einsicht durch sich selbst und an sich selbst. Dies setzt voraus, daß auch jenes verzeichnete Verständnis schon einen Keim des rechten enthält. Das körperliche Begehren, von dem Theodote lebt, basiert auf der natürlichen Zuneigung der Menschen zueinander, die es aber in ihrem rechten Sinn zu erkennen gilt. Von diesem sokratisch-stoischen Grundmodell aus erschließen sich einige Gedankengänge der Characteristicks. Das kann hier nur in Beispielen gezeigt werden. So fällt es etwa schwer, in der „finer sort of Irony“ der Theodote-Interpretation, der „continued raillery“ (S. 121, 19 f.), die an keiner Stelle pedantisch und lehrhaft werde, nicht ein Modell für jenen ,Test of RidiculeÍ zu sehen. Dessen Grundgedanke, daß selbst der Spott der Wahrheit nichts anhaben könnte, ja, daß sich das Unwahre in der freimütigen Prüfung von sich selbst her als lächerlich erweise – dieser Grundgedanke ist gleichsam Shaftesburys Auslegung der Sokratischen Ironie.84 Er wird besser verständlich, wenn man die stoisch-sokratische Dies gälte es eingehend zu untersuchen. Neben AlkibiadesÌ Charakteristik der sokratischen Rede im Symposion („anfangs ganz lächerlich“, „inwendig […] aber ganz göttlich“; Platon, Werke, wie Anm. 30, Bd. 3, 386 f.: Symp. 221 e-222 a) müßte man die Dialogtechnik des Sokrates selbst einbeziehen: solche Stellen etwa, wo in der Gesprächslenkung etwas als „lächerlich“ erscheint (bspw. ebd., Bd. 6, 18 f.: Theaitet 147 b). 84

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Philosophie in Anschlag bringt, die freilich auch im Letter und Sensus Communis, wenn man sie neben die Ask¤mata und die Chartae legt, offen genug zutage tritt. Die freie Prüfung und Untersuchung, im Gespräch mit sich selbst oder im nichtoffensiven Dialog mit anderen, ist gleichzeitig Erkenntnis der eigenen Natur.85 Von dieser Natur her wird das Lächerliche falscher Annahmen über diese Natur sichtbar, im Theodote-Dialog beispielsweise, daß man seine Selbstbestimmung und damit auch sein Glück wahren könne, wenn man sich in die körperliche Leidenschaft wie die Fliege in die Netze einer Spinne begebe.86 Im Letter und Sensus Communis ist dieses Modell verbunden mit einer politischen Argumentation, die in der angenommenen ,libertyÍ Athens ein Modell für das zeitgenössische England entdeckt.87 Es ist verbunden mit dem Nachweis, daß die Atheisten, Skeptiker und Feinde der ,libertyÍ – Hobbes – sich nicht über sich selbst im klaren seien: Ihre publizistische Anstrengung, den Menschen die ,wahreÍ Natur der Welt zu enthüllen, zeuge von jener ,natural affectionÍ, die sie leugneten. Sie hätten als Menschen ein Wissen von ihrer eigenen Natur,88 das sie nur nicht richtig realisierten, weil sie sich nicht selbst zu erkennen verstünden.89 Unmittelbar hängt damit der ,moral senseÍ zusammen. Als Begriff erscheint er im Inquiry, wo er in der Lockeschen Terminologie einer Analytik der menschlichen Erkenntniskräfte entfaltet wird. Ihn als eine dezidierte Empfindungsweise zu verstehen, die abgetrennt von einer Vernunfterkenntnis, ja, ihr sogar überlegen wäre, hieße, der Lockeschen Begrifflichkeit auf den Leim zu gehen.90 Die speziChar. I, 41, 43 f. und 54 (Letter); oder das Selbstgespräch Char. I, 92 (Sensus). Männer, die dies glaubten, würden „ensnarÌd by artifices, & caught as those silly animals by Baits & […] Allurements of this kind“, they „pay […] so dearly for their impotence towards a certain passion“ (SE II.5, 122, 7 – 10). 87 Zum Zusammenhang mit der politischen Theorie und der Selbstprüfung vgl. Schmidt-Haberkamp, Die Kunst (wie Anm. 51), 55 – 74. 88 Vgl. die Begriffe anticipation und pre-conception: Char. II, 419 f., und II, 413 – 415 (Moralists). Vgl. Marc Aurel, Wege (wie Anm. 37), 204 f.: IX, 1: „Denn er [der Mensch] hatte von seiten der Natur Anlagen vorausbekommen [pqoeik^vei], und dadurch, daß er diese vernachlässigte, ist er jetzt nicht imstande, Falsches vom Wahren zu unterscheiden“. 89 Vgl. Anm. 55. 90 Dies belegt allein schon Shaftesburys Erläuterung des Begriffes „Sense“ als „Opinion and Judgment“; Char. I, 78 (Sensus). Analoges führt Uehlein, Kosmos (wie Anm. 11), 244 – 251, für die Ask¤mata aus. Die strategische Locke-Verwendung hebt auch Voitle, The Third Earl (wie Anm. 7), 124 – 126, heraus, wo aber die reflexive Fassung des ,moral senseÍ als spezifische Neuerung Shaftesburys auf der Grundlage der Lockeschen Vermögenslehre erscheint (ebd., 125 f.). Die Fähigkeit zur reflexiven Beziehung auf sich selbst macht aber auch für die Stoiker den ,lýgosÍ des Menschen aus und befähigt ihn zur Erkenntnis von recht und unrecht etc.; vgl. etwa Epiktets Formulierung eines ,moral senseÍ in diesem Sinne (The Discourses, wie Anm. 33), Bd. 1, 6 – 15: Diatr. I, i: „Among the arts and faculties [d}maleir] in general you will find none that is self-contemplative, and therefore none that is either self-approving or self-disapproving“, mit Ausnahme der „reasoning faculty [B d}malir B kocij^]; for this is the only one we have inherited which will take knowledge 85

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fische Ausformulierung im Inquiry folgt aus dem Kontext dieser Schrift, ist jedoch nicht zwingend. Der ,moral senseÍ ist nichts anderes als rechte Einsicht in sich selbst, die durch Selbstprüfung gewonnen wird, wie Shaftesbury es an Sokrates, Marc Aurel und Epiktet beobachtet.91 Seine Verwendung lockescher Sprache ist Begriffspolitik nach dem Modell des Sokrates: Er will seine Adressaten bei ihren Begriffen abholen, diese aber auf ihren eigentlichen Sinn zurückführen. Nicht der Begriff des ,moral senseÍ, wohl aber die ihm zugrundeliegende Reflexionsfigur ist in den Characteristicks ubiquitär. Als Begriff wird er beispielsweise unterschieden von denjenigen des Taste und Common Sense im weltläufigen Verständnis, von dem Shaftesbury in Miscellaneous Reflections und Sensus Communis ausgeht. Nicht aber unterscheidet sich sein eigentlicher Gehalt von demjenigen, auf den hin Shaftesbury Taste und Common Sense im Gang seiner Argumentation öffnet: der zugrundeliegenden Selbstreflexion, die das unmittelbare Wissen um recht und unrecht etc. birgt.92 Diese Begriffspolitik prägt Shaftesburys öffentliches Schreiben durchgehend. Die bei ihm häufig zu beobachtende Praxis, in der Gesellschaft gängige Termini aufzunehmen und nach und nach auf ihren eigentlichen, philosophischen Sinn hin zu öffnen,93 adaptiert die Sokratische Technik in der Deutung Shaftesburys. Der in der älteren Forschung so aufsehenerregende Virtuoso ist ein Beispiel dafür.94 Im Soliloquy und den Miscellaneous Reflections greift Shaftesbury die Sammeltätigkeit und Kunstkennerschaft der Wohlhabenden auf. Den Sinn für das Harmonische und Schöne will er von seinem auf die Künste beschränkten ,vulgar senseÍ auf seinen eigentlichen Ursprung hin öffnen: die natürliche Liebe des Menschen zum Guten, Rechten und Schönen. Gleiches gilt für die Kritik, die etwa im Literarischen Schönes vom Häßlichen unterscheiden könne. In ihr verberge sich die umfassende Fähigkeit, durch Prüfung das Gute vom Schlechten, das Rechte vom

both of itself […] and likewise of all the other faculties. For what else is it that tells us gold is beautiful? Clearly the gold itself does not tell us. Clearly it is the faculty which makes use of external impressions [d/kom fti B wq^stijµ d}malir ta?r vamtas_air]“ etc. 91 Vgl. etwa die weiter unten folgende Deutung der Moralists. 92 Im Sensus Communis identifiziert er Common Sense mit „Love of Mankind“ (Char. I, 123) und der Erkenntnis von „Honesty“, „Worth and Merit“, die unabhängig von „Fancy or Will“ bestünden (Char. I, 124). Es folgt ein kurzer, ironischer ,sokratischerÍ Dialog. Für den Taste vgl. Shaftesburys Index, der den Begriff ganz auf „Morals“ hinführt: Ein ,reinÍ ästhetischer Taste wird nicht genannt. 93 Vgl. als politische Strategie: Klein, Shaftesbury (wie Anm. 11), insbesondere 131 – 153; zum Virtuoso: Marie-Theres Federhofer, „Moi simple amateur“. Johann Heinrich Merck und der naturwissenschaftliche Dilettantismus im 18. Jahrhundert, Hannover 2001, 131 – 154; Dehrmann, Das Orakel (wie Anm. 3), 306 – 311; zum Prometheus: ebd., 345 – 359; zur Kritik: Schmidt-Haberkamp, Die Kunst (wie Anm. 51). 94 Vgl. hierzu neuerdings den Artikel von Martin Kirves in diesem Band.

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Unrechten zu scheiden, eine, wie der stoische terminus technicus lautet, Untersuchung (jq_sir) der Vorstellungen anzustellen. Dies trifft auch insgesamt für die Moralists zu, in denen die enthusiastisch-kritische Betrachtung der geordneten Natur lediglich einen Durchgang bildet: Der Dialog geht von der stoisch-,sokratischenÍ Grundfrage nach dem sicheren Gut des Menschen aus und endet bei der stoisch-,sokratischenÍ Selbstprüfung. Nicht die Natur, so die Schlußpointe des Dialogs, ist das Objekt der Bewunderung, sondern der Geist – und das bedeutet für den Menschen das menschliche Selbst: „it shouÌd appear from our strict Search, that there is nothing so divine as Beauty: which belonging not to Body, nor having any Principle or Existence except in Mind and Reason, is alone discoverÌd and acquirÌd by this diviner Part, when it inspects it-self, the only Object worthy of it-self“.95 Der Enthusiasmus der Moralists, der zu den platonischen Interpretationen Shaftesburys geführt hat, ist freilich auch für Shaftesbury ein Platonisches Moment.96 Aber da auch er aus der Sokratischen Philosophie hervorgeht – als Verzeichnung des historischen Sokrates, aber als legitime Folge aus dessen grundsätzlichem Denken –, kann sich für Shaftesbury hier keine ausschließende Entscheidung stellen: Platonismus oder Stoizismus. Beide stehen in derselben Tradition und zielen auf dasselbe. Entsprechend nutzt er den Enthusiasmus als Mittel. Mit seiner Hilfe führt Theocles durch die Natur hindurch zur Selbsterkenntnis. Der Flug der Phantasie ist ein Weg, um von einem materiellen zu einem geistigen Verständnis von Schönheit zu gelangen, das nichtsdestoweniger in der eigenen Vernunft begründet liegt. Er ist auch eine Taktik, mit der Shaftesbury die Naturphilosophie seiner Gegenwart einbindet – denn wie etwa die Begriffe des ,tasteÍ und ,common senseÍ enthält auch die Suche Gottes in der Natur einen Keim des rechten Wissens von sich selbst und der Welt, den es zu erschließen gilt. Der Enthusiasmus ist förderlich, wenn er unterbrochen wird durch die ruhige Prüfung seiner Berechtigung97 und wenn er auf diese Weise – als Prüfung – in das Selbst des Menschen führt. Nicht im Selbstverlust erkennt der Mensch die Welt, sondern im Gewinn seiner selbst. Nur indem Philocles am Ende von der Natur zu sich selbst geleitet wird, kann er dem entgehen, was er befürchtet: „that when the Charm of these Places, and his [TheoclesÌ] Company was ceasÌd, I shouÌd be apt to relapse, and weakly

Char. II, 426 (Moralists). Alexandra Kleihues spricht treffend vom deiktischen Gestus der Moralists; vgl. dies., Der Dialog als Form. Analysen zu Shaftesbury, Diderot, Madame dÌÃpinay und Voltaire, Würzburg 2002, 49. 96 Vor allem SE II.5, 184 – 188. 97 Etwa Char. II, 360 (Moralists). Auch im Letter: Es müsse immer geprüft werden, ob sich der Enthusiasmus auf ein „real Object“ (Char. I, 53) beziehe oder bloß auf eine falsche Annahme. 95

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yield to that too powerful Charm, the World“.98 Daher kommt Theocles am Ende wieder beim stoischen Sokratismus an: „[L]earning ÍTo know Our-selves […]Ì“,99 ist sein Schlußappell, und das meint: Untersuchung der Vorstellungen („examine every Fancy“).100 Denn wenn man, nach stoisch-,sokratischemÍ Modell, die Annahme abbaut, daß dasjenige, was nicht in der eigenen Gewalt liegt, schlecht und schädlich sei, dann erscheint auch die Welt in der vollkommenen Schönheit und Güte, die allein den Menschen befriedigen kann. Es ist der eigene Geist, in dem diese Schönheit gründet. Durch die Veränderung der Annahme über die Welt wird die Welt gut. So löst sich auch das Theodizeeproblem vom Beginn der Moralists auf.101 Die Kosmologie und der phantastische Flug waren auch hierfür nur ein Mittel. Pnta hypýlepsis, „Opinion is all in all“102 – am Ende sieht Philocles die stoische Maxime des Marc Aurel ein,103 die auch das Titelblatt der Characteristicks ziert. Der Dialog verdeutlich das in einem allegorischen Zug der Handlung: Denn nachdem Philocles und Theocles nach draußen, in die Natur gegangen sind, finden sie sich selbst am Ende unversehens zu Hause wieder:104 zurückgekehrt zur „honest Home-Philosophy“ der stoisch-,sokratischenÍ „wholesom Practice within our-selves“, deren Methode Shaftesbury im Soliloquy darlegt;105 zur „plain homespun Philosophy, of looking into our-selves“ des Letter, die auf sokratische Weise das Lächerliche an den falschen Annahmen zutage treten läßt;106 gleichsam zurückgekehrt nach Hause in ein inneres Athen, das Sokrates nicht verlassen wollte.107 „Nec TE quaesiveris extr”“ – Du wirst dich nicht draußen gesucht haben:108 Eigentlich haben die Menschen immer schon alles, was sie zum guten Leben brauchen, denn dies liegt doch in ihrer Natur selbst. Aber sie suchen nicht dort, sondern anderswo, draußen, in der Vielfalt der Dinge und der Welt. Wie also bringt man die Leser dazu, das, was sie unbewußt in sich tragen, zum Wissen zu erheben und dieChar. II, 427 (Moralists) – ein Beispiel dafür, wie sehr auch dieser Text von den Sokratischen Schriften durchtränkt ist: Alkibiades fiel aus seinem Wissen zurück, als er nicht mehr mit Sokrates zusammen war und sich keiner ständigen „Discipline or Watch“ unterzog (SE II.5, 78, 24), vgl. Anm. 59. 99 Char. II, 427 (Moralists). 100 Char. II, 435 (Moralists). 101 Vgl. dazu den Aufsatz von Patrick Müller in diesem Band. 102 Char. II, 437 (Moralists). 103 Marc Aurel, Wege (wie Anm. 37), 284 f. und 50 f.: XII, 22, und II, 15. 104 „By this time we found our-selves insensibly got home“; Char. II, 442 (Moralists). 105 Char. I, 364 (Soliloquy). 106 Char. I, 43 (Letter). 107 Ohne einer besonderen Pflicht gegenüber dem Gemeinwesen zu folgen, geht er jedoch im Phaidros hinaus vor die Stadt – der Dialog ist eine Folie der Moralists. 108 Persius, Satiren 1, 7. Vgl. das Motto zum Soliloquy. 98

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sem damit die Evidenz zu verschaffen, die es als Selbsterkenntnis eigentlich besitzen sollte? Da diese unmittelbare Einsicht gerade keine Frage des theoretischen Denkens ist, sondern der Selbsterkenntnis, ist der Weg dahin eine Angelegenheit der Didaktik und Maieutik. Shaftesburys publizierte Schriften wollen seine Zeitgenossen dort abholen, wo diese sich befinden: draußen in der Welt und ihrer Vielfalt, deren Masken sich Shaftesbury xenophontisch-elegant aufsetzt – bei der Kunst, der Musik, der Vermessung der Natur, der Metaphysik, den religiösen Kontroversen, dem Atheismus, der Skepsis, beim Geschmack für das Exotische. Daß seine Zeitgenossen etwas suchen, ist für Shaftesbury gleichsam der Beginn der Philosophie. Aber die Aufgabe wäre es, zu zeigen, daß das, was sie eigentlich suchen, immer dasselbe ist, und: daß sie es letztlich nur in sich selbst finden werden. Sokrates ist für Shaftesbury der Philosoph schlechthin. Was die Characteristicks nur andeuten, tritt in den unvollendeten Chartae Socraticae klar zutage. Diese sollten die antike Überlieferung – vor allem Xenophon und Platon – kritisch aufarbeiten, um dem historischen Sokrates auf die Spur zu kommen und dessen praktische Philosophie wieder zu beleben. Der Beitrag zeigt erstens, wie Shaftesburys Suche nach dem ,authentischenÍ Sokrates durch seinen Stoizismus, durch Epiktet und Marc Aurel, geprägt bleibt. Zweitens wird untersucht, welche Rolle Sokrates für Shaftesburys Denken besaß, insbesondere für sein privates Schreiben (Ask¤mata) und für die Wirkungsstrategien seiner publizierten Werke. Der stoische Sokratismus schließt zentrale Gedanken der Characteristicks auf, etwa den ,moral senseÍ, den ,test of ridiculeÍ oder den platonischen Enthusiasmus der Moralists. Socrates is central to ShaftesburyÌs notion of philosophy. While the Characteristicks only hint at him, the unfinished Chartae Socraticae leave no doubt that he played a crucial role for Shaftesbury. The Chartae wanted to reconstruct the authentic Socrates mainly from the writings of Xenophon and Plato. ShaftesburyÌs goal was to revive the original practical philosophy of Socrates. The article argues that ShaftesburyÌs understanding of the ÍauthenticÌ Socrates is influenced by the Stoicism of Epictet and Marc Aurel. Secondly, it focuses on the impact that Socratic studies had on ShaftesburyÌs thinking as well as on his private and public writing (Ask¤mata and Characteristicks). The Ístoic SocratismÌ he ascribes to the archetypical philosopher provides a key to central concepts of the Characteristicks: for example the Ímoral senseÌ, the Ítest of ridiculeÌ or the platonic enthusiasm of the Moralists. Mark-Georg Dehrmann, Deutsches Seminar, Leibniz Universität Hannover, Königsworther Platz 1, 30167 Hannover, E-Mail: [email protected]

Insa Kringler Shaftesburys Natur- und Moralverständnis hinsichtlich der Rezeption des ,Cambridge PlatonismÍ

„Es ist im wesentlichen Shaftesburys Verdienst, daß die Schule von Cambridge keine gelehrte Kuriosität geblieben, daß sie zur philosophischen Macht geworden ist, die in die folgenden Jahrhunderte hineinragt“,1 schreibt Ernst Cassirer in seiner Studie zum Cambridger Platonismus. Im folgenden soll der so angedeutete Stellenwert, der Shaftesbury im Zusammenhang mit der Rezeption der ,Cambridge PlatonistsÍ zukommt, dargestellt werden: Shaftesbury war neben Leibniz einer der beiden berühmt gewordenen Philosophen, die ihr Denken maßgeblich in Bezug auf den Cambridger Platonismus entwickelten. Allerdings werden die ,Cambridge PlatonistsÍ keineswegs als „gelehrte Kuriosität“ betrachtet, sondern gewürdigt mit ihren vielfältigen Denkanstößen, die die Debatten zur Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert prägten. Die ,Cambridge PlatonistsÍ waren Universitätsgelehrte im England des 17. Jahrhunderts, die als akademische Lehrer, theologische Schriftsteller und Prediger wirkten und durch gemeinsame intellektuelle Interessen sowie persönliche Freundschaft verbunden waren. Zu ihnen zählen Benjamin Whichcote (1609 – 1683), Ralph Cudworth (1617 – 1688), Henry More (1614 – 1687) und John Smith (1618 – 1652). Ihr nicht unproblematischer Bezug zu Descartes, ihre Opposition gegen Hobbes und ihre grundsätzliche Offenheit gegenüber naturwissenschaftlicher Forschung verbanden sich mit einem starken Interesse an antiken Texten in florentinischer Interpretation.2 Als gemeinsame Denkgrundlagen können außerdem ausgemacht Ernst Cassirer, Die Platonische Renaissance und die Schule von Cambridge, Leipzig, Berlin 1932, 112. In meiner Dissertation Die gerettete Welt. Zur frühen Rezeption der Cambridger Platonisten (Freie Universität Berlin 2009) zeige ich ferner, daß die Popularität der ,Cambridge PlatonistsÍ im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts maßgeblich der Übersetzung des True Intellectual Systems durch Jean Leclerc geschuldet war sowie dessen hitziger Debatte mit Pierre Bayle um die plastische Natur. 2 Vgl. für die zwiespältigen Reaktionen der Zeitgenossen auf diese offene Geistestätigkeit beispielsweise S. P. [möglicherweise Simon Patrick], A Brief Account of the New Sect of LatitudeMen, Together with some Reflexions upon the New Philosophy in answer to a Letter for his Friend at Oxford, London 1669 (Mikrofilm, ohne Ort 1977). Für das deshalb angehaftete pejorative Etikett 1

Aufklrung 22 · Ò Felix Meiner Verlag 2010 · ISSN 0178-7128

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werden: die Reduktion der Theologie auf die Moral, die prominente Stellung der Vernunft, gestützt durch eine platonische Interpretation des Christentums und die Verteidigung des Schöpfungsgedankens gegen naturwissenschaftliche, rein mechanistische Interpretationen durch Zugrundelegen eines physiko-theologischen Ansatzes. Prägend für die geistesgeschichtliche Entwicklung des frühen 18. Jahrhunderts war der Cambridger Platonismus insofern, als vor allem die Debatte um die ,plastische NaturÍ große Wellen in der r¤publique des lettres schlug. Bei der plastischen Natur handelte es sich um ein von den Cambridger Platonisten Ralph Cudworth und Henry More geprägtes Theorem, das durch Jean Leclercs Publikationen in seiner Zeitschrift Bibliothºque Choisie zu Beginn des 18. Jahrhunderts popularisiert wurde. Mit ,plastick natureÍ wurde ein geistiges, gestaltendes Naturprinzip bezeichnet, das, von Gott abhängig, die regelmäßigen Abläufe in der Natur bewirkt.3 Cudworth bestimmte die plastische Natur als sinnstiftende Interpretation des göttlichen ,Es werde!Í, die somit nicht zu einer mechanistischen Metapher des Anstoßes geriet: As also, though it be true that the Works of nature are dispensed by a Divine Law and Command, yet this is not to be understood in a Vulgar Sense, as if they were all effected by the mere Force of a Verbal Law or Outward Command, because Inanimate things are not Commendable or Governable by such a Law; and therefore besides the Divine Will and Pleasure, there must needs be some other Immediate Agent and Executiouer provided, for the producing of every Effect.4

Cudworth klassifizierte die plastische Natur so als göttlichen Ektyp, „which though it act exactly according to its Archetype, yet it doth not at all Comprehend nor Understand the Reason of what it self doth“.5 Damit ist das hierarchische Ab,LatitudemenÍ vgl. John Gascoigne, Cambridge in the age of the Enlightenment. Science, religion and politics from the Restoration to the French Revolution, Cambridge 1989, 4 f. 3 Vgl. Ralph Cudworth, The True Intellectual System of Universe (1678), in: Collected Works of Ralph Cudworth, hg. von Bernhard Fabian, 2 Bde., Faksimile Edition, Hildesheim, New York 1977, Bd. 1, Kapitel 3, § XXXVI. Vgl. auch Henry More, The Immortality of the Soul, in: H. M., A Collection of Several Philosophical Writings, London 1662, Nachdruck New York, London 1978, 2 Bde., hier Bd. 2, 193; Jean Leclerc, ARTICLE I „HISTOIRE DES SYSTEMES des anciens Ath¤es, tir¤e des Chapitres II. & III. du Systºme Intellectuel de Mr. CUDWORTH“, in: J. L., Bibliothºque Choisie, Tome I comprenant les volumes 1 – 5, 1703 – 1705, Genºve 1968, R¤impression de l̤dition dÌAmsterdam, 1703 – 1713, hier Vol. II, 118 – 134 und 11 – 77; J. L., ARTICLE II „Preuves & Examen du sentiment de ceux, qui croyent quÌune Nature quÌon peut nommer PLASTIQUE a ¤t¤ ¤tablie de Dieu, pur former les Corps Organizez. Ceci est tir¤ dÌune Digression du Ch. III. de Mr. Cudworth, ” laquelle on a ajout¤ quelques remarques“, in: J. L., Bibliothºque Choisie, Tome I, Vol. II, 135 – 148 und 78 – 130. 4 Cudworth, True Intellectual System (wie Anm. 3), 147. 5 Ebd., 155.

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hängigkeitsverhältnis der plastischen Natur von Gott im Sinne neuplatonischer Emanationsmuster beschrieben.6 Die plastische Natur gilt Cudworth als göttlicher Code der Welt, „a living Stamp or Signature of the Divine Wisdom“,7 als ihr lebendiger Bauplan. Die plastische Natur ist so göttliches Naturgesetz, das in seiner Lebendigkeit fernab von der damals populären Maschinenmetaphorik liegt. Als allgemeines Lebensprinzip organisiert und formiert die plastische Natur die Welt, sie belebt sie von innen her, anstatt der Materie von außen ein ihr fremdes Naturgesetz aufzudrücken. Es existiert somit keine tote Materie in diesem lebendigen Organismus des Universums. So bedeutet Cudworth zufolge nach antikem Sprachgebrauch die Welt als Tier zu beschreiben „the WorldÌs Animation“,8 was damit als Metapher für die Lebendigkeit der Welt zu verstehen war. More entwickelte mit dem ,spirit of natureÍ ein Prinzip, das analog zu Cudworths ,plastick natureÍ bestimmt wird. Zudem fand sich das Wort ,plastickÍ in dem hier verwendeten Sinn von ,gestaltendÍ, ,organisierendÍ und ,belebendÍ zuerst in Henry Mores Psychozoia von 1642, jedoch noch nicht in Verbindung mit Natur. Hier wird ,plastick mightÍ als Attribut des Äthers verwendet.9 In der Schrift zur Unsterblichkeit der Seele charakterisiert More dann den ,spirit of natureÍ mit dem Attribut des Plastischen: A Substance incorporeal, but without Sense and Animadversion, pervading the whole Matter of the Universe, and exercising a Plastical power therein according to the sundry predispositions and occasions in the parts it works upon, raising such Phaenomena in the World, by directing the parts of Matter and their Motion, as cannot be resolved into mere Mechanical powers.10

Der ,spirit of natureÍ verkörpert die kosmologische Dimension von Mores Konzept einer geistdurchfluteten Welt.11 Im Vorwort zur Sammlung seiner philosophischen Schriften beschreibt More den Geist der Natur: „it being the natural Transcript of that which is knowing or perceptive, and is the lowest Substantial Activity Vgl. Alain Petit, Ralph Cudworth, un platonisme paradoxal: La Nature dans la Digression concerning the Platistick Life of Nature, in : G. A. J. Rogers, The Cambridge Platonists in Philosophical Context. Politics, Metaphysics and Religion, Dordrecht 1997, 101 – 110. 7 Cudworth, True Intellectual System (wie Anm. 3), 155. 8 Ebd., 462. 9 Vgl. Henry More, Psychozoia OR The first part of the Song of the Soul, containing A Christiano-Platonicall display of LIFE, in: H. M., Philosophicall POEMS, Cambridge 1647, 5 (I, 15): „AEtherÌs the vehicle touch, smell, sight, / Of tast, and hearing too, and of the plastick might“. Zuerst ist More 1642 mit diesem Werk als Poet in Erscheinung getreten, das 1647 in der Sammlung Philosophical Poems erneut veröffentlicht wurde. Das Werk zeigt, wie More in Plato und Plotin den Schlüssel zu Trimegistus und der Chaldäischen Weisheit gefunden hat. 10 More, The Immortality of the Soul (wie Anm. 3), 193. 11 Vgl. John Hoyles, The Waning of the Renaissance 1640 – 1740. Studies in the thought and poetry of Henry More, John Norris and Isaac Watts, The Hague 1971, 21. 6

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from the all-wise God, containing in it certain generall Modes and Laws of Nature for the good of the Universe“.12 Hier zeigt sich die plastische Natur als Stellvertreterin Gottes, ein Gedanke, der, wie wir gesehen haben, sich auch bei Cudworth und dann bei Shaftesbury findet. Bei der Rezeption der Cambridger Philosophie spielte Shaftesburys Abgrenzung von Locke eine besondere Rolle, da sich diese im positiven Rückgriff auf das Denken der ,Cambridge PlatonistsÍ vollzog. So stellte sich das Verhältnis von Shaftesbury und den Vertretern des Cambridger Platonismus als kein gerades, ungebrochenes dar, sondern war gleichsam verzahnt mit der dezidierten Korrektur des trotz aller Kritik viel geschätzten Lehrers. Dies zeigte sich vor allem in bezug auf die Debatte um die ,innate ideasÍ, die angeborenen Ideen, und hinsichtlich der Frage, wie die menschliche Erkenntnisfähigkeit und Vernunft zu bewerten ist. Dieser Punkt wird auch für die Konzeption des Selbst und damit für die Ethik Shaftesburys relevant. Maßgeblicher Topos bei der Beschreibung der Rezeption des ,Cambridge PlatonismÍ durch Shaftesbury soll neben der plastischen Natur und den ,innate ideasÍ vor allem der ,moral senseÍ sein.13 Erwin Wolff bezeichnete Shaftesburys Umgang mit der Tradition philosophischer Spekulation als „imaginativ umgestaltendes Denken“. Sein Hauptanliegen sei es nicht gewesen, metaphysische Erkenntnisse zu mehren, vielmehr würden die philosophischen Theoreme bei Shaftesbury durch den Blick des Moralisten gebrochen.14 Damit sind die Hauptakzente der folgenden Untersuchung vorgegeben: So ist zunächst Shaftesburys Umgang mit der Figur des plastischen Naturprinzips zu entfalten, um von dort aus seinen eigenen Naturbegriff zu erhellen. Im Anschluß gilt es, Shaftesburys Ethikverständnis sowie die Relevanz des Naturbegriffs für das Shaftesburyanische Konzept von Ethik darzustellen. I. Shaftesbury zur Frage der plastischen Natur Im März 1706 schrieb Shaftesbury an den niederländischen Theologen und Publizisten Jean Leclerc (1657 – 1736), um sich für den achten Band der von Leclerc herausgegebenen Bibliothºque Choisie zu bedanken, den jener ihm zugesandt hatte. Der Band enthielt Teile aus Cudworths True Intellectual System of the Universe, die Leclerc ins Französische übersetzt hatte. Leclerc veröffentlichte als HerausgeHenry More, General Preface, in: H. M., A Collection of Several Philosophical Writings, London 1662, 2 Bde., Nachdruck New York, London 1978, Bd. 1, xvi. 13 Zur Topik als Lehre von den Fragenhinsichten, der Bedeutungsfülle und der Perspektivenvielfalt eines jeden Arguments vgl. Wilhelm Schmidt-Biggemann, Topica Universalis. Eine Modellgeschichte humanistischer und barocker Wissenschaft, Hamburg 1983. 14 Vgl. Erwin Wolff, Shaftesbury und seine Bedeutung für die Englische Literatur des 18. Jahrhunderts, Tübingen 1960, 11. 12

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ber der Bibliothºque mit dem ersten Band beginnend eigens von ihm ins Französische übersetzte, fortlaufende Exzerpte aus Cudworths Monumentalwerk. Shaftesbury verfolgte mit großem Interesse diese Publikationen sowie die sich daran entzündende Debatte zwischen Leclerc und Pierre Bayle (1647 – 1706) um die plastische Natur.15 Dies schlug sich auch im Werk Shaftesburys nieder. So enthielt The Moralists (1709) ausführliche Passagen zur Metaphysik, die die Version von 1704, die noch unter dem Titel The Sociable Enthusist publiziert wurde, nicht aufgewiesen hatte. Diese Zusätze signalisierten eine große „gedankliche und begriffliche Nähe“16 zum True Intellectual System, die es mehr als wahrscheinlich macht, daß Shaftesbury sich nach 1704 anläßlich der Debatte zwischen Bayle und Leclerc noch einmal eingehend mit dem True Intellectual System beschäftigt hat. Hierfür spricht auch, daß Shaftesbury erst in den Moralists die Nützlichkeit einer plastischen Natur zur Lösung des Theodizeeproblems diskutierte. Palemon, einer der Charaktere dieses Dialogs, möchte Prometheus als Schöpfer des Menschen verstehen, um die höheren Mächte von jeder Verantwortung an der schlechten Arbeit loszusprechen. Philokles, der in der Forschungsliteratur auch mit Bayle identifiziert wird,17 argumentiert wie dieser, wenn er entgegnet, daß die Götter entweder PrometheusÌ Schöpfung verhindern konnten – somit wären sie auch für deren Folgen verantwortlich – oder sie konnten es nicht. In diesem Fall wären sie keine Götter. Sodann heißt es: „Und ob nun Prometheus ein Name für Zufall, Schicksal, eine bildende Natur oder einen bösen Dämon sei: was immer damit bezeichnet sei, bleibt es doch stets derselbe Bruch der Allmacht“.18 Diese ArguVgl. Rex A. Barrel, Anthony Ashley Cooper, Earl of Shaftesbury (1671 – 1713) and ,Le Refuge FrancaisÍ – Correspondence, Studies in British History 15, Lewiston 1989. 16 Dirk Grossklaus, Natürliche Religion und aufgeklärte Gesellschaft. Shaftesburys Verhältnis zu den Cambridge Platonists, Heidelberg 2000, 135. 17 So z. B. Christian Friedrich Weiser, Shaftesbury und das deutsche Gelehrtenleben, Leipzig, Berlin 1916, 17. Die Figur des Philokles ist in Sociable Enthusiast nur schwach konturiert. Die Veränderung in der zweiten Fassung bedeutet jedoch nicht die Stärkung eines bestimmten inhaltlichen Standpunktes, weil der Skeptiker verschiedene Meinungen vertritt. In erster Linie folgt daraus eine Erweiterung der selbstreflexiven Passagen des Textes, so Schmidt-Haberkamp (vgl. Barbara Schmidt-Haberkamp, Die Kunst der Kritik. Zum Zusammenhang von Ethik und Ästhetik bei Shaftesbury, München 2000). Der durch Philokles vertretende Skeptizismus wird von Theokles nicht per se abgelehnt, sondern dient als entscheidende Basis für das gemeinsame Gespräch. Indem Shaftesbury das Gespräch aus Sicht des Skeptikers Philokles nacherzählen läßt, wird TheoklesÌ Dominanz innerhalb des Dialogs subtil gebrochen (vgl. Alexandra Kleihues, Der Dialog als Form. Analysen zu Shaftesbury, Diderot, Madam dÌEpihay und Voltaire, Würzburg 2002, 95). 18 Anthony Ashley Cooper, Third Earl of Shaftesbury, Die Moralisten. Eine philosophische Rhapsodie oder Wiedergabe gewisser Unterhaltungen über Gegenstände der Natur und Moral (1709), übersetzt von Wolfgang Lottes, in: Shaftesbury, Standard Edition. Sämtliche Werke, ausgewählte Schriften und nachgelassene Schriften. In englischer Sprache mit paralleler deutscher Übersetzung, hg., übersetzt und kommentiert von Wolfram Benda, Gerd Hemmerich und Ulrich Schödlbauer, Stuttgart 1998, Bd. II.3 (im Folgenden abgekürzt: SE), 179. 15

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mentation fand sich schon, wenn auch in verkürzter Form, im Sociable Enthusiast, allerdings ohne daß Shaftesbury hier den Begriff ,bildende NaturÍ – ,plastic natureÍ verwendete.19 Shaftesbury konnte also, die Baylesche Kritik ernst nehmend, das Theodizeeproblem nicht mehr wie die Cambridge Platonists im Begriff der plastischen Natur auflösen. Bayles Kritik an der plastischen Natur als einem blinden, weil selbst unwissenden, aber dennoch geistigen Naturprinzip bestand darin, gegen Leclerc zu zeigen, daß ein solches Naturprinzip entweder als ein von Gott abhängiges Instrument zu verstehen ist – dann wäre es überflüssig. Oder aber man verstünde die plastische Natur als von Gott unabhängig – mit einem solchen blinden Naturprinzip sei bestenfalls die Allmacht Gottes gefährdet, schlimmstenfalls dem Atheismus Vorschub geleistet.20 In dem von Palemon entwickelten Argumentationsgang gegen eine prometheische Instanz verarbeitete Shaftesbury also die Kritik Bayles in Hinblick auf das Theodizeeproblem. Trotzdem blieb der noch weiter auszuführende Naturbegriff, der aus der Auseinandersetzung mit dem ,Cambridge PlatonismÍ gewonnen worden war, für Shaftesbury zentral. So zieht Shaftesbury die Kategorie des Naturschönen wie Leibniz, William King und Cudworth trotz der Kritik Bayles an der plastischen Natur weiterhin zur Lösung der Theodizeefrage heran.21 Der Theodizeentwurf des dritten Earl von Shaftesbury in der Rhapsodie Die Moralisten von 1709 nimmt wie die Schriften Cudworths, Kings und LeibnizÌ eine dem Menschen übergeordnete Perspektive auf die Welt ein und macht wie sie die Teil-Ganzes-Relation zur Grundlage seiner Ausführungen.22 Die Welt erfährt also auch im Kontext der Theodizee eine Aufwertung. Der Mensch reiht sich ein, ordnet sich der Welt unter. Muß doch die Welt schön sein, um Gott als gut begreiflich zu machen. Im Inquiry formuliert Shaftesbury, daß in einem theistischen Weltbild davon ausgegangen wird, daß jeAnthony Ashley Cooper, Third Earl of Shaftesbury, The Sociable Enthusiast, in: SE II.1, 50 f. Vgl. Pierre Bayle, Continuation des Pens¤es Diverses […] a lÌoccasion de la comºte, in: P. B., Œuvres Diverses, Bd. 3, Reprographischer Nachdruck der Ausgabe Den Haag 1727, Hildesheim 1966, 217; Pierre Bayle, ARTICLE XII. Reflexions de Mr. Bayle sur lÌArticle VII. du 6. Tome de la Bibliotheque choisie d Mr. le Clerc, Decembre 1704, in: Henri Basnage de Beauval, Histoire des Ouvrages des Savans. Tome V comprenant les volumes 17 – 20, 1701 – 1704, Genºve 1969, Reimpression de lÌedition de Rotterdam, 1687 – 1709, 534 – 540; Pierre Bayle, ARTICLE VII. M¤moire communiqu¤ par Mr. Bayle pur servir de reponse ” ce qui le peut interesser dans un Ouvrage imprim¤ ” Paris sur la distinction du bien & du mal, & au 4. article du 5. tome de la Bibiotheeque choisie, Ao•t 1704, in: Henri Basnage de Beauval, Histoire des Ouvrages des Savans. 21 Vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz, Die Theodizee. Übersetzt von Arthur Buchenau. Einführender Essay von Morris Stockhammer, Hamburg 1968; William King, An Essay on the Origin of Evil. Translated from Latin, with large Notes, tending to explain and vindicate some of the AuthorÌs Principles Against the Objections of Bayle, Leibnitz, the Author of a Philosophical Enquiry concerning Human Liberty, and others, London 1731; Cudworth, True Intellectual System (wie Anm. 3), 872 ff. 22 Vgl. Shaftesbury, Moralisten, SE II.3 (wie Anm. 18), 166 – 337. 19

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des Ding von einem notwendig guten, ewigen, planenden Prinzip zum Besten regiert wird.23 So ist in der Gesamtheit aller Dinge, im Universum alles gut geordnet, und jedes Ding ist dem Allgemeininteresse möglichst angemessen. Dann kann es – so Shaftesbury – auch kein Übel im Universum geben, jedenfalls nicht im Hinblick auf das Ganze.24 Jedoch schränkt Shaftesbury ähnlich wie Leibniz das bestimmende Gute in der Welt dahingehend ein, daß es durchaus Übel gibt, welches nicht vermieden werden kann. Er schreibt: „Was immer also so beschaffen ist, daß es wirklich nicht besser sein oder angeordnet sein könnte, ist vollendet gut“.25 Somit prägt Shaftesbury wie Leibniz die Vorstellung der besten aller möglichen Welten. Auch hier regiert das Prinzip der Fülle, wenn Shaftesbury Theokles sagen läßt: „Denn alles, was im Ganzen möglich ist, wird die Natur oder der Geist des Ganzen zum Wohl des Ganzen ausführen; und wenn es möglich ist, das Schlechte auszuschließen, so wird er es ausschließen“.26 Anders als Leibniz rezipiert Shaftesbury von den Denkvorlagen der ,Cambridge PlatonistsÍ weniger die rationalistische Ausdeutung Gottes, sondern er macht vielmehr geltend, daß die Weltbetrachtung an je spezifische Standpunkte gebunden ist. Josef Kremer deutet schon 1909 auf diesen Punkt hin: „Er [Shaftesbury] erkennt, daß der Fehler der mechanistischen Weltauffassung schon in ihren Voraussetzungen liegt“.27 Wer den Menschen nämlich wie eine Uhr untersuche, betrachte niemals den ,ganzen MenschenÍ. Shaftesbury sieht den Geist des Menschen nicht ausschließlich durch rationale Erkenntniskräfte ausgezeichnet, sondern erkennt ihm darüber hinaus ein Gespür für Harmonie zu. Dieser angeborene Sinn für Harmonie und Proportion befähigt den Menschen, die Harmonie und Wohlgestimmtheit der Welt zu erkennen. Der Naturhymnus in den Moralists beginnt mit TheoklesÌ enthusiastischem Ausruf: „Oh herrliche Natur! Unvergleichlich schön und unübertrefflich gut! All-liebend und all-lieblich, all-göttlich!“28 In einer solchen Stimmungslage stellt sich die Frage nach dem Übel in der Welt nicht. Eine solche Stimmung ermöglicht vielmehr der Vernunft, sich einer ästhetischen Weltbetrachtung anzunähern, wird doch hier der ganze Mensch zum Resonanzboden für die Schönheit der Welt, die wiederum auf ihren Schöpfer verVgl. Anthony Ashley Cooper, Third Earl of Shaftesbury, Eine Untersuchung über Tugend und Verdienst, in: SE II.3, 49. 24 Vgl. ebd., 47. 25 Ebd. 26 Shaftesbury, Moralisten, SE II.3 (wie Anm. 18), 286. 27 Josef Kremer, Das Problem der Theodicee in der Philosophie und Literatur des 18. Jahrhunderts mit besonderer Rücksicht auf Kant und Schiller, Berlin 1909, 87. 28 Shaftesbury, Moralisten, SE II.3 (wie Anm. 18), 273. In diesem Ausruf zeigt sich, daß Shaftesburys konsequente Verlagerung des Schönen in das Subjekt einen weit emphatischeren Naturbegriff hervorbrachte als bei den Cambridger Platonisten angelegt. 23

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weist. Rationale Wissensansprüche müssen in diesem Gedankengang nicht auf Gott ausgedehnt werden, Gott ist sinnlich in den harmonisch geordneten Naturzusammenhängen zu erfahren. So macht Shaftesbury eine ganz anders gelagerte Interpretation der Cambridger Auseinandersetzung mit dem Theodizeeproblem als Leibniz stark: Die Welt kann nur als schön erkannt werden, wenn der Mensch in der Lage ist, sie als schön zu erkennen. Diesen Punkt hatte Cudworth in seinen Ausführungen zur Theodizee betont. Bei der Beurteilung der Frage nach der Attraktivität der Welt hebt Cudworth die Standortgebundenheit des Betrachters hervor. Die Atheisten würden voraussetzen, daß die Welt ausschließlich zum Wohl des Menschen geschaffen worden sei, „only for the Sake of Man“.29 Diese These identifiziert Cudworth mit dem Stoizismus, der seiner Ansicht nach den Menschen zu wichtig nehme und ihm eine ungebührend zentrale Stellung zukommen lasse. Als „puffy conceit of themselves“30 beschreibt Cudworth diese Weltsicht. Hinzu komme, daß Atheisten den Zustand der Welt nicht angemessen beurteilen könnten, da ihnen der Maßstab für Gut und Böse fehle. Cudworth schreibt: But Atheists, can be no Fit Judges, of Worlds being made Well or Ill, either in general, or respectively to Mankind, they having no standing Measure for Well and Ill, without a God and Morality, nor any True Knowledge of themselves, and what their own Good and Evil consisteth in.31

Cudworth charakterisiert die Atheisten als verdrießliche, unzufriedene Personen, die, sobald die Dinge sich nicht nach ihrem eigennützigen Geschmack entwickeln, die Natur, die Cudworth mit der Vorsehung gleichsetzt, als „Stiefmutter der Menschheit“ beschimpfen. Lukrez muß für diesen Typus Mensch die Patenschaft übernehmen. Der Atheist wird damit zum Prototypen eines falschen Bewußtseins, einer unangemessenen Sichtweise auf die Welt.32 Als Beispiel für diese das Negative betonende Weltbetrachtung wird auch die falsche Auffassung des Teil-GanzesVerhältnisses herangezogen. Betrachte man die einzelnen Teile der Welt losgelöst vom Ganzen, führe dies dazu, argumentiert Cudworth, daß man in der Beurteilung der Pflanzen auf ihre Unvollkommenheit hinweise, weil es ihnen an Sinneswahrnehmung fehle, daß man bei den Tieren zu bemängeln hätte, daß ihnen der Verstand fehle und daß man schließlich beim Menschen beklage, daß er kein unsterblicher Engel sei. Es heißt bei Cudworth: „[…] we ought not to consider, the Parts of the Cudworth, True Intellectual System (wie Anm. 3), 875. Ebd. 31 Ebd., 876. 32 Vgl. ebd., 876. Vgl. auch Lukrez, Von der Natur. Übersetzt von Hermann Diels. Mit einer Einführung und Erläuterungen von Ernst Günther Schmidt, München 1991, 243 (Buch V, Vers 194 – 234 unter der Überschrift Unvollkommenheit der Welt): „Mitnichten, so sagÌ ich, / Ist dies Wesen der Welt für uns von den Göttern erschaffen; / Allzu sehr ist sie doch mit gewaltigen Mängeln behaftet“. 29

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World alone by themselves; and then because we could Phancy much Finer things, thereup blame the Maker of the Whole“.33 Diese auf Mängel verweisende Argumentation könnte lediglich dahin führen, Gott vorzuwerfen, daß er überhaupt etwas geschaffen habe, was nicht Gott ist. So macht Cudworth an dieser Stelle deutlich, in welchem Maße vermeintliches Wissen durch Gefühls- und Interessenlagen und auch durch gekränkte Eitelkeiten bestimmt wird. Nach Cudworth ist ein großer Teil des Übels, das den Menschen belastet, nicht der Realität der Dinge geschuldet, sondern lediglich unseren Anschauungen und Phantasien. „[I]t being much in our own Power to be freed from these“,34 urteilt Cudworth. Er bemüht damit wiederum die Abhängigkeit des Urteils von der jeweiligen Blickrichtung. So sei der Tod für einen Atheisten das größte und tragischste Übel, für den Theisten, der die Unsterblichkeit der Seele erkenne, allerdings kein größeres Problem.35 Diese Eingestimmtheit des Menschen auf das Naturschöne hat also sowohl bei Shaftesbury als auch bei den ,Cambridge PlatonistsÍ eine deutlich moralische bzw. religiöse Komponente. Dies wird sich insbesondere an Konzeption und Kontextualisierung des moral-sense-Topos zeigen.

II. Shaftesburys emphatischer Naturbegriff Shaftesburys Begriff von Natur wird wie die Cambridger Figur der plastischen Natur durch die Topoi der Schönheit und Einheit geprägt. Für Shaftesbury wie für die ,Cambridge PlatonistsÍ war die Welt in platonischer Philosophietradition durch eine derartige Schönheit ausgezeichnet, die es vermochte, etwas über ihren geistigen Ursprung zu verraten. Plotin deutet die Natur als Entfaltung eines ihr innewohnenden Prinzips und versucht so, die Einheit der Welt einsichtig zu machen. Wenn das Viele aber als Emanation eines allem zugrunde liegenden Einen begriffen wird, so kann auch die Schönheit der erscheinenden Natur als ein Abbild ihres geistigen Grundes gedeutet werden. An diese Bestimmung knüpft der Begriff der lebendigen Formen an. Diese Vorstellung von Einheit und Schönheit einer Natur, der das Göttliche immanent ist, war ursprünglich gegen die Weltverachtung der Gnosis gemünzt und erlangte bei den ,Cambridge PlatonistsÍ in der Wendung gegen Puritanismus und mechanischen Determinismus neue Bedeutung.36 Cudworth, True Intellectual System (wie Anm. 3), 880. Ebd., 876. 35 Vgl. ebd. 36 Vgl. Angelica Baum, Selbstgefühl und reflektierte Neigung. Ethik und Ästhetik bei Shaftesbury, Stuttgart 2001, 99. Zu Plotin vgl. Werner Beierwaltes, Vorwort zu: Geist – Ideen – Freiheit. Plotins Enneaden V, 9 und VI, 8, hg. von Richard Harder, Hamburg 1990, XIX. 33

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Die Welt besticht More durch ihre Schönheit und ihre harmonischen Proportionen. Eine solche Welt allein ist ihm Beweis genug für die Existenz Gottes. Die Welt gilt dem Menschen als verständlich, und Gott zeigt sich ihm in ihr: Now therefore it being evident that there is such a thing as Beauty, Symmetry and Comelineß of Proportion (to say nothing of the delightful mixture of Colours) & that this is the proper Object of the Understanding and Reason […], I think I may safely infer, That whatever is the first and principal Cause of changing the fluid and undeterminated matter into shapes so comely and symmetrical, as we see in Flowers and Trees, is an Understanding Principal, and knows both the nature of man, and of those Objects, he offers to his sight in the outward and visible world.37

Diese sinnliche, beinahe empiristisch anmutende Dimension des Arguments läßt einen ikonographischen Aspekt hervortreten: Das Schöne unterliegt einem anderen Verweisungszusammenhang als das an das Wort und die präpositionale Logik gebundene Wahre, erlaubt aber gleichzeitig durch die neuplatonische Trias des Wahren, Guten und Schönen den Rückschluß von einer schönen, bildlichen Welt auf einen wahren, urbildlichen Gott. Schönheit wird zum Evidenzkriterium. Auch Cudworth verwendete das physiko-theologische Argument der Schönheit der Welt als Beweis für die Existenz Gottes. Cudworths Gottesbild stand durch den Schöpfungszusammenhang in einem nicht auflösbaren Verhältnis zu seiner Kosmologie, so daß er in umgekehrter Denkrichtung die Widerlegung des Atheismus unter anderem in dem Appell ausdrücken kann, die Schönheit des Kosmos, die sich in harmonischen Bezügen ausdrückt, wahrzunehmen und als Werk eines höchsten Geistes anzuerkennen.38 In diesem Sinn griff Shaftesbury den Topos einer idyllischen Szenerie, wie er in Platons Phaidros entwickelt wurde, in den Moralists auf. Die Landschaft ist Sinnbild einer Versöhnung von Natur und Kultur, sie ist scheinbar unberührt, aber doch von unsichtbarer Hand gestaltet.39 Shaftesbury läßt Philokles in seiner Rede, in der er sich anschickt, den Hauptargumenten des Atheismus die Stirn zu bieten, von der „Schönheit der Welt“ sprechen, „die solcherart auf Gegensätze gegründet ist, indem aus solch verschiedenartigen und widersprüchlichen Prinzipien eine umfassende Harmonie erwächst“.40 Das Schöne ist bestimmt als Form oder als freie Gesetzmäßigkeit in Wiederaufnahme des stoischen Kosmosgedankens und der neuplatonischen Auffassung der Immanenz des Göttlichen: Symmetrie, Proportion und Harmonie sind die Topoi, die indes nicht, wie es der rationalisti-

Henry More, An Antidote against Atheism, in: H. M., A Collection of Several Philosophical Writings, London 1662, in two volumes, vol. 2, Nachdruck New York, London 1978, 54. 38 Vgl. Cudworth, True Intellectual System (wie Anm. 3), 669. 39 Vgl. Baum, Selbstgefühl (wie Anm. 36), 270. 40 Shaftesbury, Moralisten, SE II.3 (wie Anm. 18), 186. 37

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sche Schönheitsbegriff verlangt, Regelmäßigkeit und Vollkommenheit meinen, sondern „einen inneren Sinnzusammenhang“.41 Im Naturhymnus überlagern sich mystisches, wissenschaftliches und genuin ästhetisches Naturverständnis, ähnlich wie im plastischen Prinzip der Cambridger Platonisten. Das ästhetische Moment zeigt sich zudem darin, daß trotz der überschwenglichen Begeisterung, die den Hymnus trägt, weder dem Enthusiasten Theokles noch seinem Zuhörer Philokles die Fähigkeit zur vernünftigen Reflexion vollends entzogen wird. Damit wird der Duktus dieses Textes zurückgebunden an das vernunftbetonte Selbstverständnis der ,Cambridge PlatonistsÍ, das in bezug auf die Rolle der Moral noch näher zu entfalten ist. Die unterbrochene Hymne kommt damit dem Ideal einer vollkommenen Durchdringung von Dichtung und Argumentation, Inspiration und Reflexion nahe.42 Enthusiastische Naturerfahrung vermittelt sich auf dem Weg enthusiastischer Kunstrezeption. Auf Theokles wirkt die Schönheit der Natur, während Philokles in erster Linie die Schönheit der poetischen Hymne erfährt. Die Dichtung der Hymne ist nicht zweckfrei, ihr Interesse liegt im philosophisch-moralischen Verstehen. Durch sie wird der Liebhaber profaner Genüsse zum Liebhaber einer höheren Schönheit erzogen. Analog zum Abbildungsverhältnis von Hymne und Natur steht die Schönheit der Natur in einem Abbildungsverhältnis zur göttlichen Schönheit. Theokles deklamiert: „[A]lles, was in der Natur schön und reizend ist, [ist] nur ein schwacher Schatten jener ersten Schönheit“.43 Die Gottheit ist „Quelle und […] Grund aller Schönheit und Vollkommenheit“.44 Gott ist im Sinn der Physikotheologie nur in seiner Schöpfung zu erkennen. Weiter heißt es: „Dein Wesen ist grenzenlos, unerforschlich, undurchdringlich. An Deiner Unermeßlichkeit scheitert alles Denken, versagt die Phantasie ihren Flug […]“.45 Jedoch sei der Mensch mit Verstand begabt, und es sei die besondere Würde seiner Natur Gott zu erkennen. So bittet Theokles: „[S]ei Du [Gott] mein Beistand und geleite mich bei diesem Unterfangen, da ich mich so in das Labyrinth der weiten Natur hineinwage und mich bemühe Dich in deinen Werken aufzuspüren“.46 Gegen diese geistige Durchdringung der Welt, die sich in einem Naturbegriff zeigt, der dem pantheistischen Begriff von Gott nahe kommt, steht ein Einwand, der durch die Figur des Philokles geäußert und im gesamten Dialog nicht entkräftet wird. Er entzündet sich an dem Axiom „Aus Nichts wird Nichts“, dem im True Ernst Cassirer, Die Philosophie der Aufklärung, Hamburg 1998, 420. Vgl. Kleihues, Dialog (wie Anm. 17), 84. Auch in bezug auf den ,moral senseÍ wird zu zeigen sein, daß trotz aller intuitiver Momente das Prinzip der Vernunft so stark ist wie in der Weltsicht der ,Cambridge PlatonistsÍ angelegt. 43 Shaftesbury, Moralisten, SE II.3 (wie Anm. 18), 306. 44 Ebd., 273. 45 Ebd. 46 Ebd., 274. 41

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Intellectual System ein bedeutender systematischer Stellenwert zukommt. Cudworth beruft sich wiederholt auf dieses Axiom, daß etwas nicht aus nichts entstehen könne. Hierin sieht er die unbestechliche Logik der Antike verkörpert. Die Vernunft werde, Cudworth zufolge, von diesem grundlegenden Axiom der antiken Philosophie sowohl bei der Auffindung der Atome als auch bei der Existenzsicherung des geistigen Prinzips geleitet: „That Nothing could be made out of Nothing, nor reduced to Nothing“.47 Philokles würde zustimmen, daß nichts Immaterielles aus der Materie entstehen könne. Allerdings nur, wenn auch ihm die Maxime „Aus Nichts wird Nichts“ bei der Schlußfolgerung zugestanden würde, daß daraus die Verlegenheit entstehe, den Anfang der Materie zu beschreiben, „wenn beide Substanzen fein säuberlich geschieden und gesondert als verschiedene Arten betrachtet werden“.48 Shaftesbury läßt Philokles fortfahren: „Der armselige Abfall kläglicher Materie kann ebenso wenig aus der einfachen reinen Substanz des immateriellen Denkens gewonnen werden, als der hohe Geist von Denken oder Vernunft der groben Substanz schwerfälliger Materie extrahiert werden kann“.49 Shaftesbury weiß also um die Schwierigkeiten seines Naturbegriffs, der in der rationalistischen Perspektive des Cartesianismus nicht bestehen kann. Gleichzeitig besitzt Shaftesbury die Gelassenheit, diese Schwierigkeit selbst aufzuwerfen, ohne ihr argumentativ anders begegnen zu können als darauf zu verweisen, daß sich in der erlebten Natur eine Einheit von Materie und Geist zeigt, die nicht übergangen werden kann, wenn man dem Lebendigen in der Natur gerecht werden will. Die Schönheit der Natur erwächst aus ihrer harmonischen Einheit, die sich wiederum daraus ergibt, daß nichts in der Welt vereinzelt ist, sondern in einen notwendigen organischen Zusammenhang eingebettet ist. Theokles führt aus, daß kein Lebewesen, und „wäre es auch ein noch so vollständiges System von Teilen in sich selbst“,50 für autark nach außen gelten kann. Es muß in Beziehung zum System seiner Gattung betrachtet werden, diese wiederum in bezug auf das System der Lebewesen, dieses auf die Welt als Ganze bezogen. Theokles zufolge sind „alle Dinge auf dieser Welt […] miteinander vereinigt“.51 Dieser positive Systembegriff als Einheit der Welt, als „Universal System“ nach Cudworth, wird von Cudworth, True Intellectual System (wie Anm. 3), 16 und 30. Shaftesbury, Moralisten, SE II.3 (wie Anm. 18), 241. 49 Ebd., 242. 50 Ebd., 234. 51 Ebd. Vgl. Shaftesbury, Untersuchung, SE II.3 (wie Anm. 23), 45 – 161, hier 54: „Und wenn zugestanden wird, dass es in gleicher Weise ein System aller Dinge und eine universale Natur gibt, dann kann es kein einzelnes Wesen oder System geben, das nicht entweder gut oder böse in jenem allgemeinen System des Universums wäre. Denn sollte es auch nur belanglos oder ohne Nutzen sein, wäre es ein Fehler oder eine Unvollkommenheit und infolgedessen ein Übel in dem allgemeinen System“. 47

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Shaftesbury als Metapher für das Zusammenhängen der Dinge, für ihren Sinnzusammenhang verwendet. Gleichzeitig greift Shaftesbury die Metapher der Maschine auf, um die Natur zu beschreiben. Philokles spricht von der Natur als „eine[r] von Gott regierte[n] Maschine“,52 womit er den geordneten, regelmäßigen Lauf der Dinge zu beschreiben versucht, „Zyklen, feste Gesetze und Abläufe, die wohlbemessen und ebenmäßig sind“.53 Shaftesbury bindet das einzelne Lebewesen in einen teleologischen Horizont ein, indem er von einer in der Natur jedes Lebewesens angelegten Zweckmäßigkeit und Perfektibilität ausgeht.54 Am Modell der organischen Natur zeigt Shaftesbury so die Vereinigung des einzelnen mit anderem. „Stamm, Zweig und Blatt implizieren Baum nicht als Summe einer fortschreitenden Addition, sondern als ihre lebendige Einheit“.55 So ist die Natur zum einen schöpferisches Prinzip, ,plastick natureÍ, zum anderen spielt der Naturbegriff auf eine empirische Ordnung der Dinge an und nimmt physiologische und klassifikatorische Ordnungsmuster auf. Das Verhältnis der gegenseitigen Eignung der einzelnen Teile für die entsprechenden weiteren Teile wie für das Ganze ist im Verständnis Shaftesburys Sympathie. Unter Sympathie ist Vereinigtsein zu verstehen, ein harmonisches Zusammenwirken.56 So ergibt sich die Identität oder Einheit eines jeden Lebendigen aus einer echten Beziehung zu sich selbst, einer Natur, „kraft derer sie in jenem nahen Beieinander der Teile besser zusammenstimmen“,57 einer „Sympathie der Teile“,58 „ein solch offenkundiges Zusammenwirken zu einem gemeinsamen Zweck und zur Erhaltung, Ernährung und Fortpflanzung einer so schönen Form“.59 Die Quellen dieses Sympathiebegriffs sind ursprünglich stoisch. Neben Ciceros De natura deorum scheinen vor allem Marc Aurels Selbstbetrachtungen durch, in denen sich ein so weit gefaßter Sympathiebegriff findet.60 Ein solcher Shaftesbury, Moralisten, SE II.3 (wie Anm. 18), 268. Ebd., 268. 54 Vgl. Shaftesbury, Untersuchung, SE II.3 (wie Anm. 23), 51. 55 Friedrich A. Uehlein, Kosmos und Subjektivität. Lord Shaftesburys Philosophical Regimen, München 1976, 54. 56 Vgl. Benjamin Rand (Hg.), The life, unpublished letters, and philosophical regimen of Anthony, Earl of Shaftesbury, London 1900, 17 f. 57 Shaftesbury, Moralisten, SE II.3 (wie Anm. 18), 275. 58 Ebd. 59 Ebd. Vgl. auch ebd.: „Hierdurch ist unser Baum ein wirklicher Baum, lebt er, gedeiht er und ist er immer ein und derselbe, auch wenn durch Wuchs und Veränderung des Stoffes nicht ein einziges Teilchen in ihm dasselbe bleibt“. 60 Vgl. Marc Aurel, Selbstbetrachtungen. Übersetzt und hg. von Roland Nitsche, Zürich 1948, 148: „Was Teil eines Gemeinsamen ist, will das Verwandte“ (IX, 9); 98: „Alle Dinge sind durch ein heiliges Band miteinander verbunden. Kaum eines ist dem anderen fremd, denn sie bilden ja zusammen ein Ganzes und dienen zusammen der gleichen Ordnung der Welt“ (VII, 9). 52

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findet sich auch bei More und Cudworth. Nach Cudworth knote eine „Vital Sympathy“61 Seele und Körper zusammen. So ist nicht auszumachen, ob Shaftesburys Sympathiebegriff eine direkte Rezeption stoischen Gedankenguts darstellt oder ob der Sympathiebegriff durch die ,Cambridge PlatonistsÍ vermittelt worden ist. Das Prinzip der Einheit ist wie die Schönheit der Natur nicht rational erfaßbar oder empirisch aufzuzeigen, beide sind einzig der Intuition bzw. dem antizipierenden Verstehen zugänglich. Dabei wird die Grenze von innen und außen aufgehoben, Wahrnehmung und Denken verbinden sich, und es entsteht „das Moment einer Einheitserfahrung von Subjekt und Objekt“,62 was für das Shaftesburysche Moralverständnis zentral werden wird. Damit vollzieht sich bei Shaftesbury eine ganz anders gelagerte Rezeption des Cambridger Platonismus als sie sich bei Leibniz findet, der den Begriff der plastischen Natur mechanistisch ausdeutete.63

Cudworth, True Intellectual System (wie Anm. 3), 160. Vgl. auch Leclerc, Article II, Vol. II, Tome I (wie Anm. 3), 143 – 110, der „vital sympathy“ mit „rapport vital“ übersetzt. 62 Baum, Selbstgefühl (wie Anm. 36), 163. 63 Vgl. beispielsweise den Briefwechsel zwischen Leibniz und Lady Masham 1703 – 1705, in: Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz, hg. von C. I. Gerhardt, Bd. 3, Berlin 1887, 330 – 375. Darin heißt es: „Je diray donc que les corps ont en eux des natures plastiques, mais que ces natures ne sont autre chose que leur machine mÞme, laquelle produit des ouvrages excellens sans avoir connoissance de ce quÌelle fait, parceque ces Machines ont est¤ invent¤es par un Maistre encor plus excellent“ (374). Leibniz zufolge gleicht die Welt einem Uhrwerk, in dem unzählige Maschinen perfekt ineinander greifen. Er schreibt: „Il est vray que je trouve plus philosophique dÌexpliquer la formation des animaux comme le reste par la machine de la nature, mais predispos¤e par la sagesse divine: comme il est dÌun plus habile ouvrier de faire une horloge qui va bien avec moins dÌaide dÌune direction particuliere“ (375). Durch diese mechanistische Interpretation der plastischen Natur hält Leibniz alle Schwierigkeiten, die diese Theorie verursacht hatte, für überwunden. Er schreibt: „Je crois donc que touts les dificult¤s quÌon sÌest fait sur les natures plastiques cessent de la maniere que je viens de les expliquer“ (375). Nun bleibt allerdings von der ursprünglichen Intention der plastischen Natur und ihrer inhaltlichen Bestimmung als Gegenbegriff zum Mechanismus wenig übrig, wenn man sie wie Leibniz als Maschine interpretiert. Leibniz selbst scheint dies auch so gesehen zu haben, schreibt er doch im selben Brief, daß die plastischen Naturen keinen Vorteil gegenüber Maschinen bieten würden: „ny recourir ” des natures plastiques incorporelles qui nÌauront aucun avantage sur la machine“ (374). 61

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III. Shaftesburys Moralkonzeption Natur- und Moralphilosophie greifen bei Shaftesbury ähnlich wie bei den ,Cambridge PlatonistsÍ ineinander. Wenn Shaftesbury an der Notwendigkeit der Vorstellung einer göttlichen Weltordnung für die Begründung der Moral festhält, so tut er das über sein Verständnis der Natur. In der Folge wird die Frage nach der Bedeutung von Religiosität bzw. Atheismus für die Moral virulent. Deshalb soll zuerst auf Shaftesburys Selbstinterpretation der Inquiry in den Moralists eingegangen werden, die sich mit der Frage der Religiosität auseinandersetzt. Daraufhin soll ausgeführt werden, inwiefern Shaftesburys Ethikkonzept in seine Vorstellung von Natur verwoben ist. Abschließend gilt es, die Perspektive dahingehend zu verschieben, daß mit den Topoi des Selbst und des ,moral senseÍ der Mensch als ethisch Handelnder in den Blick genommen wird.

1. Religion und Moral In den Moralisten sieht sich Shaftesbury veranlaßt, seine Untersuchung über die Tugend gegen den Vorwurf zu verteidigen, sie spiele dem Atheismus in die Hände.64 Während die anderen Werke Shaftesburys in den ersten beiden Bänden der Characteristicks nur indirekt aufeinander Bezug nehmen, indem sie Gedanken aus vorhergegangenen Schriften weiterverfolgen, unterhalten sich die Gesprächspartner in den Moralisten ausdrücklich über die Inquiry als Werk eines Freundes. Alexandra Kleihues kommentiert: „Shaftesbury formuliert damit eine Antwort auf die sokratische Schriftkritik, denn er gibt dem ,herrenlosenÍ Werk binnenfiktional einen Autor, oder wenigstens einen würdigen Stellvertreter zurück“.65 Die Verteidigung des eigenen Werks vollzieht sich mit Verweis auf Cudworths True Intellectual System, das in gleicher Weise durch die Kritik Bayles dem Vorwurf des Atheismus ausgesetzt war. Somit kann man Shaftesburys Verteidigung seiner eigenen Positionen auch als Parteinahme für Cudworth bzw. für Leclercs Einsatz zugunsten Cudworths verstehen. Shaftesbury läßt Philokles fragen: Wie erging es denn jenem frommen und gelehrten Mann, der ,Das intellektuelle System des UniversumsÍ schrieb? Ich gebe es zu, es war recht amüsant anzusehen, wie er, obwohl die ganze Welt von seiner Aufrichtigkeit in der Sache der Gottheit wusste, den-

1678 wurde die Atheism and Blasphemy Bill verabschiedet, die Atheismus mit dem Tod bestraft. Eine vorbehaltlose Debatte über Atheismus war nur im privaten Rahmen auf dem Lande möglich. 65 Kleihues, Dialog (wie Anm. 17), 74. 64

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noch beschuldigt wurde, den Atheisten Vorschub zu leisten, nur weil er ihre und ihrer Gegner Gründe unparteilich nebeneinander angeführt hatte.66

Ähnlich sei es „eine[r] gewisse[n] unparteiische[n] Untersuchung“,67 der Inquiry Shaftesburys, ergangen, ein Buch, das ebenfalls als ein Ärgernis aufgenommen wurde. Theokles übernimmt nun die Verteidigung Shaftesburys, „der zu Unrecht wegen dieser philosophischen Freiheit getadelt wurde“.68 Wie Leclerc Cudworth verteidigte, schickt sich hier also Shaftesbury hinter der Maske des Theokles an, sein Werk dadurch zu verteidigen, daß der Gang der Argumentation wie seine Intention einsichtig gemacht werden soll. In der Inquiry habe Shaftesbury, so läßt dieser durch TheoklesÌ Verteidigungsrede mitteilen, die Tugend auf solche Grundsätze aufgebaut, die ebenfalls diejenigen einsehen könnten, welche nicht an Gott oder ein künftiges Leben glaubten. Da also die Tugend nach Shaftesbury unabhängig von der Religion betrachtet werden könne, müssen Moral und Religion in der Untersuchung zunächst getrennt behandelt werden. In der Inquiry hatte Shaftesbury seine Abhandlung nämlich mit der Feststellung beginnen lassen, daß „Religion und Tugend […] in manchen Beziehungen so nahe verwandt zu sein [scheinen], daß man gemeinhin von ihnen annimmt, sie seien untrennbare Gefährten“.69 Dieser Schein trüge jedoch, obwohl ihre Verbindung für so selbstverständlich gehalten werde, daß es kaum erlaubt zu sein scheine, Tugend und Religion im Denken und Reden zu trennen. Jedoch halte diese allgemeine Annahme einer gründlichen Untersuchung nicht stand, die zeigen würde, daß es sowohl Menschen gibt, denen der Anschein großen Eifers in der Religion zu eigen ist, denen dabei aber die gewöhnlichen Gefühle der Menschlichkeit fehlten, als auch tugendhafte Atheisten, welche trotz fehlendem Glauben es nicht an Güte fehlen lassen.70 Nach Shaftesbury ist die Moral von entscheidenderer Bedeutung für das zwischenmenschliche Zusammenleben als die Religion. Dies veranlaßt ihn in der Inquiry zu fragen, was Tugend für sich betrachtet sei, inwieweit die Religion notwendigerweise die Tugend mit einschließe und ob ein Atheist jemals wirklich tugendhaft sein könne.71 Shaftesbury gesteht damit Moral und Religion „ihre eigene Provinz und ihren eigenen Rang“ zu.72 Shaftesbury, Moralisten, SE II.3 (wie Anm. 18), 219. Ebd., 220. Vgl. auch ebd., 222: „Unser Autor [Shaftesbury] hingegen, dessen Position nichts weiter ist als die eines Laien, bemüht sich Höflichkeit und Gefälligkeit zu zeigen, indem er an die Menschen dieser Art [gemeint sind die Atheisten, I.K.] so unparteiliche Maßstäbe anlegt, wie es ihm nur irgend möglich ist, ihnen alles zugesteht, was er kann, und sogar über das Thema Gottheit mit vollkommener Unvoreingenommenheit disputiert“. 68 Ebd., 220. 69 Shaftesbury, Untersuchung, SE II.3 (wie Anm. 23), 45. 70 Vgl. ebd. 71 Vgl. ebd., 46. 66

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Damit nimmt Shaftesbury eine Thematik auf, die vor ihm Bayle ausführlich in den Pens¤es Diverses … A lÌoccasion de la Comete diskutiert hatte. Bayle hatte strikt zwischen Religion und Moral unterschieden und die Figur des ,ath¤e vertueuxÍ, des tugendhaften Atheisten, entworfen. Bayles These von der Wirkungslosigkeit religiöser Grundsätze für das konkrete Verhalten des einzelnen gründet in der Überzeugung, daß der Mensch in der Regel nie seinen Grundsätzen gemäß handle. Nicht die Erkenntnis des Verstandes sei die Ursache unserer Handlungen, sondern die Leidenschaften des Herzens, die Begierden. Nicht also die Unordnung der Kometenbahnen, sondern die Unordnung des Herzens bildet den Grund für das Böse in der Welt.73 „Daß Shaftesbury diese Überlegungen bei der Abfassung der Inquiry bekannt waren, kann vermutet werden“,74 urteilt Wolfgang Schrader, da Shaftesbury Bayle spätestens 1698 in Holland kennengelernt hatte. Tugend sei, heißt es in den Moralists, nicht willkürlich oder künstlich (wenn ich so sagen darf), nicht von außen her festgesetzt oder abhängig von Gewohnheit, Laune oder Willen, ja nicht einmal vom höchsten Willen selbst, der sie in keiner Weise lenken kann, sondern vielmehr, da er notwendig gut ist, von ihr gelenkt wird und immer mit ihr in Einklang steht,75

Damit wird der Begriff des Guten als Attribut Gottes dem seiner Allmacht übergeordnet, der Tugend damit in gewissem Sinn ein weitergehender Anspruch als der Religion eingeräumt. Auch wenn Shaftesbury die Tugend von der Religion unabhängig gemacht habe, so stellt sich Theokles doch vor, daß er „am Ende möglicherweise als ebenso vorzüglicher Theologe wie Moralist erscheinen mag“.76 Durch diese Interpretation versucht Shaftesbury, seinem Untersuchungsansatz die Schärfe zu nehmen, vor allem da sich in seinen Schlußfolgerungen zeigt, daß der Atheismus der Moral nicht grundsätzlich schade, die Religion sie aber durchaus zu behindern wisse.77 Ebd., 47. Vgl. Pierre Bayle, Pensees Diverses Ecrits a un Docteur de Sorbonne, A lÌoccasion de la Comete qui parut a mois de Decembre M.DC.LXXX [1682], in: P. B., Oeuvres Diverses, Bd. 3, Avec une introduction par E. Labrousse, Reprint Hildesheim 1966, 89 und 92. Zum Verhältnis von Shaftesbury und Bayle vgl. Stanley Grean, ShaftesburyÌs Philosophy of Religion and Ethics. A Study in Enthusiasm, Ohio 1967. 74 Wolfgang Schrader, Ethik und Anthropologie in der englischen Aufklärung. Der Wandel der moral-sense-Theorie von Shaftesbury bis Hume, Hamburg 1984, 2. 75 Shaftesbury, Moralisten, SE II.3 (wie Anm. 18), 222 f. 76 Ebd., 223. 77 Vgl. Shaftesbury, Untersuchung, SE II.3 (wie Anm. 23), 77: „Die Religion […] kann viel Gutes tun oder großen Schaden anrichten, und der Atheismus in beide Richtungen nichts Eindeutiges“. An anderer Stelle heißt es jedoch auch über das Verhältnis von Tugend und Frömmigkeit, „erstere [die Tugend] ist nicht vollkommen, wenn sie nicht in der letzteren [der Frömmigkeit] ruht“. 72

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Vorsehung und künftiges Leben seien kein brauchbares Argument, um die Atheisten von der Bedeutung der Moral zu überzeugen. Diesem steht der von ihnen geltend gemachte Umstand entgegen, daß die Welt unmoralisch zu sein scheint. Vielmehr gelte es, ihnen die Ordnung der Welt einsichtig zu machen und zu zeigen, daß die Tugend eine Belohnung für sich selbst wie das Laster in großem Maß seine eigene Strafe ist.78 Shaftesbury faßt den Selbstwert der Tugend in Referenz zu More, der die Tugend entgegen der Prädestinationslehre zum Selbstzweck erhoben hatte. Die oberste Tugend ist nach More der amor Dei intellectualis, der als freies Wollen und als Teil des schöpferischen Prinzips der Natur definiert wird. Der amor Dei intellectualis ist das Zentrum der Seele und ihr einheitsstiftender Kern und bildet gleichzeitig das Band zum Göttlichen.79 An dieser Stelle bezieht sich Shaftesbury zudem auf die Lockesche Kategorie des innerweltlichen Glücks, wenn Theokles argumentiert: „Der Mensch kann tugendhaft sein, und ist er das, so ist er glücklich. Sein Verdienst ist seine Belohnung“.80 Glück meint körperliches wie geistiges Vergnügen, wobei die geistigen Vergnügungen den körperlichen überlegen sind. Die menschliche Verfassung ist nach Shaftesburys optimistischer Weltsicht auf ein glückhaftes Dasein hin ausgerichtet. In der Inquiry heißt es: „Wer die natürlichen Gemütsbewegungen besitzt, die in der Liebe, Zuneigung, Sympathie und dem Wohlwollen gegenüber der Art oder Gattung gründen, hat schon das entscheidende Mittel und Vermögen, sich an sich selbst zu freuen“.81 Der seelische Zustand des Atheisten hingegen sei durch Zerrüttung geprägt. Shaftesbury schreibt in der Inquiry über das Unglück des Atheisten: Ein solcher Glaube muß eher dazu tendieren, die Gemütsbewegungen von allem liebenswerten oder in sich selbst Edlen zu entfremden und gerade jene gewohnheitsmäßige und vertraute Bewunderung natürlicher Schönheit oder alles dessen zu unterdrücken, was in der Ordnung der Dinge nach einem Plan, nach dem Prinzip der Harmonie und Proportion, gestaltet ist.82

Dies spiegele sich auch im atheistischen Weltbild wider, wie in den Moralists argumentiert wird: „ein zerrütteter Zustand […] stellt ein wahres Chaos dar und führt uns auf die geliebten Atome, den Zufall und Wirrwarr der Atheisten zuWeiter: „Und so muß also die Vollendung und die höchste Tugend aus dem Glauben an Gott kommen“ (Shaftesbury, Untersuchung, SE II.3 [wie Anm. 23], 94). 78 Vgl. Shaftesbury, Moralisten, SE II.3 (wie Anm. 18), 228. 79 Vgl. Henry More, Philosophical Poems (wie Anm. 9), 43 ff. 80 Shaftesbury, Moralisten, SE II.3 (wie Anm. 18), 238. Somit liegt es im Interesse jedes einzelnen, tugendhaft zu sein. Vgl. Shaftesbury, Untersuchung, SE II.3 (wie Anm. 23), 52: „Und so kann man schließen, dass Tugend und Interesse im Ergebnis übereinstimmen“. 81 Ebd., 111. 82 Ebd., 89.

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rück“.83 Wäre jedoch erst die Ordnung der Welt eingesehen, so könne durch Vernunft und Betrachtung die Erkenntnis Gottes erlangt werden: Es „muß die Welt allein […] durch ihre weise und vollkommene Ordnung beweisen“,84 daß es die göttliche Vortrefflichkeit gibt, heißt es bei Theokles, wodurch die Bedingungen der Ethik gleichsam die Religion mitbedingen. Diese Ordnung ist im Naturbegriff gefaßt und spiegelt sich in der Ordnung der menschlichen Seele und ihren Erkenntniskräften wider.

2. Moral und Natur Im Mittelpunkt des ersten Teils der Moralists steht das Konzept des Naturschönen, das als Übertragung der Figur der ,plastick natureÍ verstanden werden kann und das dem Gefühl des Schönen und Erhabenen zugrundeliegt. Im Zustand des Gleichgewichts der menschlichen Leidenschaften stimmt die moralische Welt mit der natürlichen Ordnung der Dinge überein. In der Inquiry heißt es: Nichts ist deshalb im eigentlichen Sinne Gutsein oder Bosheit in einer Kreatur als das, was aus ihrer natürlichen Gemütsverfassung kommt; eine gute Kreatur ist eine solche, deren natürliche Gemütsverfassung sie primär und unmittelbar, nicht sekundär und zufällig, zum Guten und gegen das Böse führt.85

Alle Gemütsbewegungen und Leidenschaften sind im natürlichen Zustand auf das öffentliche Wohl hin geordnet. Es besteht nach Shaftesbury kein Gegensatz zwischen Gemeininteresse und persönlichem Wohl.86 Tugendhaft ist der Mensch demnach, wenn alle Neigungen und Gemütsbewegungen, die ganze Verfassung seines Geistes und seines Gemüts, in Übereinstimmung mit und passend zu dem Guten seiner Art oder Systems […], zu dem es gehört und dem es einen Teil bildet.87

Shaftesbury greift so den aristotelisch-scholastischen Telosbegriff des ,ultimus finis hominisÍ auf und wendet ihn auf die Ethik an. Auch das Gut-Sein des Ein-

Shaftesbury, Moralisten, SE II.3 (wie Anm. 18), 229. Ebd., 227. 85 Shaftesbury, Untersuchung, SE II.3 (wie Anm. 23), 59. Der Mensch wird also nicht nur im Hinblick auf seine Auswirkungen auf das System beurteilt, sondern vor allem auf Grund seiner Gemütsbewegungen (,affectionsÍ). 86 Vgl. ebd., 98: „[…] dass dem öffentlichen Interesse und zugleich dem eigenen gegenüber aufgeschlossen zu sein, nicht nur kein Widerspruch ist, sondern dass die beiden Interessen nicht voneinander getrennt werden können; […]“. 87 Ebd., 95. 83

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zelnen muß im Blick auf seine immanente Bestimmung sowie in Hinsicht auf das Ganze ausgemacht werden.88 Dabei ist das rechte Maß der jeweiligen Leidenschaften entscheidend.89 So ist übergroße Mutterliebe verwerfliche Zärtlichkeit, übergroßes Mitleid wird zu Weichheit und Schwäche, ganz so, wie zu wenig Sorge um sich selbst zu Tollkühnheit führt; Sorge um das Selbst in außergewöhnlichem Maße ist hingegen Selbstsucht.90 Theokles führt aus: „Die Ordnung der moralischen Welt würde derjenigen der natürlichen Welt gleichen“.91 In diesem Zustand würde die Schönheit der Tugend deutlich werden, die wiederum auf die „höchste und oberste Schönheit, der Ursprung all dessen, was gut oder liebenswert ist“,92 verweist. Ähnlich wie die ,Cambridge PlatonistsÍ ordnet Shaftesbury so den Menschen in das Ganze der Natur ein.93 Theokles muß jedoch auf PhiloklesÌ Einwand gegen die allumfassende Schönheit der Natur, der sich auf die Unzulänglichkeit des Menschen bezieht, eine Antwort finden. Er argumentiert in Anlehnung an Cudworth mit einem Verweis auf das Teil-Ganze-Verhältnis, das hier als ,ÖkonomieÍ angesprochen wird: „[…] wenn die Natur selbst nicht um des Menschen willen, sondern der Mensch um der Natur willen da ist, dann muß der Mensch, mit Verlaub, sich den Elementen der Natur und nicht die Elemente ihm unterwerfen“.94 Bei Cudworth heißt es im Zusammenhang mit seinem Theodizeeversuch: „But the Whole was not properly made for any Part, but the Parts for the Whole, and the Whole for the Maker therof“.95 Allerdings räumt Cudworth dem Menschen in dieser Welt eine besondere Stellung ein, sie sei durchaus für den Menschen gemacht, jedoch eben nicht ausschließlich. Denn es gebe ja auch noch die höher stehenden unsichtbaren Kreaturen wie auch die niedrigeren Tiere mit einem gewissen Grad an Bewußtsein, die sich ebenfalls an der Welt erfreuen sollen.96 Theokles spricht von einer wunderbaren Verteilung in der Natur: In ihr ist […] alles aufs beste eingerichtet, mit vollkommener Genügsamkeit und rechter Zurückhaltung, gegen niemanden verschwenderisch, aber gegen alle freigebig, niemals Vgl. Thomas Aquin, Summa Theologicae I-II, Q. 1, art. 5 und Schrader, Ethik (wie Anm. 74), XIV-XV. 89 Vgl. Shaftesbury, Untersuchung, SE II.3 (wie Anm. 23), 210. In den Moralisten verweist Philokles in diesem Zusammenhang auf Epikur, der entgegen den neuzeitlichen Epikuräern die höchsten Vergnügungen der Welt auf Mäßigkeit und maßvollen Gebrauch zurückführte. 90 Vgl. ebd., 59 f. 91 Shaftesbury, Moralisten, SE II.3 (wie Anm. 18), 240. 92 Ebd. 93 Vgl. Shaftesbury, Untersuchung, SE II.3 (wie Anm. 23), 52 f., wo anhand eines fiktiven Gegenbeispiels ausgeführt wird, daß es nichts Vereinzeltes und ohne Zusammenhang Existierendes im Universum geben kann. 94 Shaftesbury, Moralisten, SE II.3 (wie Anm. 18), 245. 95 Cudworth, True Intellectual System (wie Anm. 3), 875. 96 Vgl. ebd. 88

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für ein einzelnes Ding mehr aufwendend, als genug ist sondern mit präziser Ökonomie das überflüssige beschneidend und das verstärkend, was bei jedem Ding die Hauptsache ist.97

Kleihues beschreibt dies als „kosmischen Optimismus“,98 auf dessen Grundlage die Vorstellung eines dem Menschen angeborenen moralischen Sinns entwickelt wird.

3. Moral und Vernunft – Whichcotes Select Sermons Ist der Mensch auch Teil der Natur, Teil der harmonisch geordneten Welt, so fällt er doch aus ihr heraus. Was ihn auszeichnet, entfremdet ihn: die Vernunft. Dennoch ist ihr Gebrauch die einzige Möglichkeit für den Menschen, sich wieder in Einklang mit der Natur zu bringen, seine Leidenschaften entsprechend dem Wohl des Ganzen zu ordnen. Dieser Zusammenhang soll erstens mit Verweis auf Shaftesburys Herausgabe der Select Sermons dargestellt, zweitens anhand des Selbstbegriffs und drittens in bezug auf den ,moral senseÍ diskutiert werden. Zeitgleich mit dem Verfassen der Inquiry gab Shaftesbury 1698 die Predigten von Benjamin Whichcote als Select Sermons anonym heraus, die Edition wird ihm erst posthum zugeschrieben. Es handelt sich dabei um 12 ausgewählte Predigten, die zwischen 1678 und 1680 entstanden sind. Uehlein bemerkt jedoch, daß neueste textkritische Forschungen zeigen, daß Shaftesbury wichtige editorische Arbeit an Whichcotes Select Sermons geleistet hat, weshalb sie auch in der Standard Edition ihren Platz gefunden haben.99 Die Betonung der ethischen Seite des Christentums, wie sie sich in Whichcotes Predigten findet, wird von Shaftesbury aufgenommen. Cassirer zufolge habe Shaftesbury „durch die Denker des Cambridger Kreises von früh an entscheidende geistige Einwirkungen erfahren“ und sich ihnen sein ganzes Leben hindurch nahe verbunden gefühlt.100 Der erste Earl, Shaftesburys Großvater, und John Locke hatten Whichcote vermutlich schon Ende der 1660er Jahre, als dieser nach London kam, im Hause des Londoner Kaufmanns Shaftesbury, Moralisten, SE II.3 (wie Anm. 18), 248. Theokles sagt ferner, der Mensch solle „eine hohe Meinung haben von jener Natur, die ihm aufs vorteilhafteste seinen Anteil zugemessen hat, mit dieser glücklichen Zurückhaltung (wahrhaft glücklich für ihn, wenn er sie kennt und nutzt!)“ (Shaftesbury, Moralisten, SE II.3 [wie Anm. 18], 248). Scheinbare Mängel kommen dem Menschen in Wahrheit zugute, so binde die Hilflosigkeit des Kindes dieses stärker an die Gesellschaft. Auf diese Weise wird bei Shaftesbury der Mensch schon im Naturzustand als gesellig begriffen (vgl. Shaftesbury, Moralisten, SE II.3 [wie Anm. 18], 249 – 256). 98 Kleihues, Dialog (wie Anm. 17), 63. 99 Vgl. Einleitung zu Anthony Ashley Cooper. Third Earl of Shaftesbury: Select Sermons, in: SE II.4, 36. 100 Cassirer, Cambridge (wie Anm. 1), 112. 97

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Thomas Firmin kennengelernt. Locke hatte Whichcote mehrere Male in London gehört und schätzte seine Predigten vor allem wegen ihres ethischen Gehalts. „Die Kontakte zu Whichcote und Cudworth, die der erste Earl und sein Sekretär John Locke pflegten, dürften unter diesen Umständen für Shaftesbury bereits einer Empfehlung der ,Cambridge PlatonistsÍ gleichgekommen sein“,101 vermutet Grossklaus. Allerdings ist es Grossklaus zufolge unwahrscheinlich, daß der junge Anthony Ashley Cooper die Cambridger Theologen noch persönlich kennengelernt hat.102 Bei Whichcote wird die moralische Dimension der Vernunft deutlich. Vernunft befähigt erst zu moralischem Handeln, ohne Einsicht kann nicht moralisch gelebt werden. Whichcote predigt: „We are to be doing our duty to God, ourselves and others, as soon as we come to use our reason and understanding; for motion of religion doth begin with reason“.103 Er definiert Moral als etwas, das nicht zweckgerichtet ist, sondern das Gute als Selbstzweck meint: „that are good in themselves, good in their own nature, and quality; that are not only recommended by institutions“.104 Da moralisches Verhalten nicht von außen diktiert werden kann, muß der Mensch das Gesetz in sich selbst finden. Whichcote formuliert pointiert: „a man is a law to himself“.105 Daß hier kein Werterelativismus gepredigt wird, ist durch die Rückbindung der Vernunft an die göttliche Wahrheit gewährleistet, die sie als „natural light“ zu erkennen vermag und nach der sie durch gelebte Ethik strebt. Somit ist Religion „in substance, our imitation of God in his moral perfections, and excellency of goodness, righteousness and truth“.106 Für Whichcote ist Moral der Sinn des Lebens, er steht für einen gelebten, alltäglichen, praktischen Glauben ein, der sich an den Bedürfnissen des Nächsten und am Gemeinwohl orientiert, ein Glaube weit weg von abstraktem Buchwissen. Was es für Whichcote heißt, ein moralisches Leben zu führen, spiegelt sich in dem folgenden Zitat: „for we came not into the world to gratify sense, and to serve our lusts, but to serve God and the publick, not to promote our own ends and little designs, but the common good“.107 Als Gemeinsamkeiten von Shaftesburys Philosophie und Whichcotes Predigten lassen sich neben der engen Verzahnung von Vernunft- und Moralverständnis die Kritik an der protestantischen Lohnethik und der damit verbundene Appell, die Tugend um ihrer selbst willen zu lieben, genauso ausmachen wie die ÜberzeuGrossklaus, Natürliche Religion (wie Anm. 16), 76. Vgl. ebd., 73. 103 Benjamin Whichcote, The Works (1751), 4 Bde., Nachdruck New York, London 1977, hier Bd. 1, 37. 104 Ebd., Bd. 1, 122. 105 Ebd., Bd. 1, 40. 106 Ebd., Bd. 4, 191. 107 Ebd., Bd. 1, 37. 101

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gung, daß sich Sittlichkeit im Einklang mit der Vernunft befinde und nicht von Gottes Willen und der Offenbarung abhängig sei. Außerdem ist die Zeichnung eines positiven Menschenbilds entgegen dem HobbesÌ und dem des KalvinismusÌ beiden Denkern gemein.

4. Das Selbst Es stellt sich hinsichtlich dieser subjektiv getragenen Ethik die Frage nach den Bedingungen der Einheit des Selbst, die Frage nach dem moralischen Subjekt, das nicht in der von Locke völlig entleerten Person gefunden werden kann, die ohne eigenes Kraftzentrum, sich nur über das Außen bestimmt.108 Vom Selbst her erschließt sich die Welt. Dehrmann zufolge wird die innere Verfassung des Menschen für Shaftesbury zum archimedischen Punkt seiner Weltsicht, sie färbt die Wahrnehmung von Umwelt, Mitmensch und Gott.109 In den Moralists diskutieren Philokles und Theokles die Frage nach dem einheits- und somit persönlichkeitsstiftenden Kern eines jeden Menschen. Theokles macht in der Gestalt des Menschen wie in jedem Lebewesen ein sympathetisches Verhältnis der Teile aus und fragt, worin „jenes selbige Eine“, die „Selbigkeit oder Identität des Wesens“ besteht, wenn doch die Materie einem ständigen Wandel unterliegt.110 Philokles verschärft die Fragestellung hinsichtlich der seelischen Beschaffenheit des Menschen, in dem er konstatiert: „Es ist ein Glück, wenn ein Mensch auch nur für ein oder zwei Tage ein und derselbe ist“.111 Für Theokles läßt sich trotzdem „eine wundersame Einfachheit“ nicht bestreiten, er meint, „daß sie [die Menschen] ein und dasselbe sind, wenn auch nicht ein einziges Atom ihres Körpers, eine einzige Leidenschaft oder ein einziger Gedanke gleich bleiben“.112 Das Prinzip der Einheit läßt sich also kaum auf materieller Ebene finden, darüber scheint Einigkeit zwischen Philokles und Theokles zu bestehen. Theokles bemerkt außerdem ironisch, daß man sich schon sehr „in den Begriff Atom verlieben“ müsse, um ihn genauso einsichtig und unumstößlich zu finden, wie den Sachverhalt, „daß Sie Sie selbst sind“.113 Dieses „einfache Prinzip“, das die zusammengesetzte Materie zusammenhält, bezeichnet Theokles als ,Genius der NaturÍ, womit eine ähnliche Kategorie wie Vgl. John Locke, Essay concerning Human Understanding, in: The Works of John Locke in nine Volumes, London 1794, Bd. 1, 21. 109 Vgl. Mark-Georg Dehrmann, Produktive Einsamkeit: Gottfried Arnold – Shaftesbury – Johann Georg Zimmermann – Jacob Hermann Obereit – Christoph Martin Wieland, Hannover 2002, 38. 110 Vgl. Shaftesbury, Moralisten, SE II.3 (wie Anm. 18), 277. 111 Ebd. 112 Ebd. 113 Ebd. 108

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die plastische Natur der ,Cambridge PlatonistsÍ in Shaftesburys Weltverständnis eingeführt wird. Der Genius der Natur waltet auf der Ebene der einzelnen Körper in Form der aristotelischen Entelechie und als weltseelenartiger Überbau im Ganzen der Natur. Cudworth gab sich ebenfalls nicht mit einem generellen, diffusen plastischen Prinzip zufrieden, wie es die neuplatonische ,anima mundiÍ beschrieb. Er nahm vielmehr einzelne plastische Naturen für Pflanzen und Tiere an. Die plastische Natur dieser einzelnen Lebewesen war weniger als ihr Instinkt oder ihre Seele zu verstehen, sie bezeichnete ein organisches Ordnungs-, Lebens-, Wachstums- und Entwicklungsprinzip. Die plastische Natur der Tiere und Pflanzen wird in Form der aristotelischen Entelechie beschrieben. Sie ist die ,causa finalisÍ, die den zu verwirklichenden Zweck, das Ziel eines jeden Lebewesens, bestimmt und so seine Entwicklung in die Zukunft beschreibt.114 Theokles kennt ein einheitsstiftendes Prinzip, „wodurch sie [die Körper] wirklich Eines sind, leben, handeln und eine Natur oder einen Genius haben, der ihnen eigentümlich ist und für ihr eigenes Wohlergehen Vorsorge trifft“.115 Daraufhin kann er fragen: „[W]ie sollten wir dies denn gleichzeitig im Ganzen übersehen und den großen, allgemeinen Genius der Natur leugnen?“116 Bei den ,Cambridge PlatonistsÍ ist es der Begriff der Monade, der sowohl auf der Ebene der Körper wie auch vor allem auf geistiger Ebene das einheitstiftende Element beschreiben soll. Bei More heißt es: „A Monad or Unit being so fit a Symbole of the Immaterial nature“.117 In bezug auf den Menschen wird dieses einheitsstiftende Prinzip im Selbst gefunden. Das ,Peculiar SelfÍ, die besondere Natur des Menschen, meint bei Shaftesbury nicht die bloße organische Einheit, sondern umschließt das vernünftige Wesen. Philokles meint: „[S]o zufällig mein Leben oder jene blinde Laune, die es lenkt, auch sein mag, so kenne ich im Grunde doch nichts, was so wirklich oder substantiell wäre wie mein Selbst“.118 Theokles führt hinsichtlich dieses geistigen Kerns aus,

Vgl. Cudworth, True Intellectual System (wie Anm. 3), 167. Shaftesbury, Moralisten, SE II.3 (wie Anm. 18), 278. 116 Ebd. 117 Ebd., 17. Zu Henry Mores vielschichtigem Monadenbegriff in der Conjectura vgl. Insa Kringler, Henry Mores Monadenbegriff in der Conjectura Cabbalistica, in: Hanns-Peter Neumann (Hg.), Der Monadenbegriff zwischen Spätrenaissance und Aufklärung, Berlin 2009, 65 – 85. Zum Zusammenhang des Moreschen Monadenbegriffs mit dem Anne Conways vgl. Anne Conway, The Principles of the most Ancient and Modern Philosophy, edited and with an Introduction by Peter Loptson, The Hague, Boston, London 1982; The Conway Letters. The Correspondence of Anne, Viscountess Conway, Henry More, and their Friends 1642 – 1684, hg. von Marjorie Hope Nicolson, überarbeitete Edition von Sarah Hutton, Oxford 1992. 118 Shaftesbury, Moralisten, SE II.3 (wie Anm. 18), 279. 114

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daß er etwas ist, was aktiv auf einen Körper wirkt und etwas Passives, ihm Ergebenes unter sich hat, daß er nicht nur den Körper und bloße Materie als seinen Untergebenen hat, sondern in gewisser Hinsicht auch sich selbst und das, was aus ihm hervorgeht, daß er seine eigenen Vorstellungen, Einsichten, Phantasien überwacht und beaufsichtigt, indem er diese reguliert und bearbeitet und ausbildet, und diese Mischordnung aus Körper und Verstand, so gut er kann, verschönert und vervollkommnet.119

Dieser Einheitsbegriff scheint noch schwach bei Locke im Begriff der ,consciousnessÍ durch. Shaftesbury nimmt hinsichtlich der Identität Bezug auf Plotins Bildhauermetapher. Der Begriff des Selbst, in dem sich die Einheit des Naturganzen auf mikrokosmischer Ebene widerspiegelt, stellt aber vor allem eine Rezeption des Selbstverständnisses dar, wie es Cudworth entwickelte. Im True Intellectual System heißt es: The Conclusion is, that in Men and Animals, there is One thing Indivisibly the same, that Comprehendeth the Whole Outside of theme, Perceiveth both the Parts, and all transmitted through several Senses; Sympathizeth with all the Distant Parts of the Body; and Acteth entirely upon all. And this is properly called, I My Self, not the Extended Bulk of the Body, which is not One but Many Substances, but an Unextended and Indivisible Unity, wherein all Lines Meet, and Concentre, not as a Mathematical Point, or Least Extensum; But as one Self-Active, Living, Power, Substantial or Inside-Being that Containeth, Holdeth, and Connecteth all together [Herv. I.K.].120

Die Erörterung des Problems des Selbst bildete bei Cudworth ein zentrales Teilstück seines Versuchs, den Hobbesschen Materialismus zu widerlegen. Bereits ein so elementares Phänomen wie die Sinneswahrnehmung, die nur auf Grund der Einheit und Identität des Wahrnehmenden möglich sei, wird nach Cudworth unerklärbar, wenn an der Hobbesschen Bestimmung, der Mensch sei ,matter in motionÍ, festgehalten und der Gedanke eines einfachen, immateriellen Selbst geleugnet wird. Der Begriff ,personalityÍ wurde als Ausdruck der englischen Sprache erstmals von Cudworth gebraucht, um die Einheit und Identität des Menschen als moralisches Subjekt im Unterschied zu seiner Bestimmung als natürliches, organisches Wesen zu bezeichnen.121 Hier zeigt sich, daß das Interesse des Werkes, anders als der Titel True Intellectual System suggeriert, nicht Metaphysik oder Naturphilosophie ist, sondern vor allem Ethik. Mit dem ,I My SelfÍ hat Cudworth den Punkt gefunden, von dem aus sich Moral konstituieren läßt.

Ebd., 279 f. Cudworth, True Intellectual System (wie Anm. 3), 826. Vgl auch Leclerc, Article II, Vol. VIII, Tome II (wie Anm. 3), 245 – 91: „CÌest l” MOI, qui est en chaque home, & non la masse ¤tendue de son corps, qui est compos¤e de plusieur Substances distictes“. 121 Vgl. Cudworth, True Intellectual System (wie Anm. 3), 798 f. 119

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5. Der ,moral senseÍ Der Begriff ,moral senseÍ selbst ist zunächst eine Marginalie aus der Inquiry, die in den Moralisten nicht wieder aufgegriffen wird.122 Alexandra Kleihues macht zu Recht entgegen der Gepflogenheit der Standard Edition darauf aufmerksam, daß ,moralÍ bei Shaftesbury in den meisten Fällen mit geistig, nicht mit moralisch zu übersetzen ist.123 Ferner bezeichnet ,moral senseÍ nicht, wie es der Begriff ,senseÍ nahe legt, ein passives Vermögen, sondern eine Befähigung, aufgrund welcher wahre und falsche Vorstellungsbilder unterschieden und beurteilt werden können.124 Das sich hinter dem Begriff ,moral senseÍ verbergende Konzept ist also nicht auf diesen Begriff zu reduzieren, Shaftesburys Sprachgebrauch ist flüssig, seine Begriffe sind keine festen Größen. So wird der ,moral senseÍ unter anderem auch als ,natural Sense of Right and WrongÍ oder als ,reflected senseÍ bezeichnet.125 Der Begriff ,moral senseÍ wird hier dennoch als übergeordnete Kategorie verwendet, da er eines der zentralen Konzepte Shaftesburys bezeichnet, auf das sein gesamtes Philosophieren zusteuert. Wie schon der Begriff des Selbst gezeigt hat, bindet Shaftesbury seine Ethik an ein anthropologisches Konzept. Shaftesbury beschreibt den ,moral senseÍ weder als Organ noch als intelligibles Vermögen. Gegen Lockes genetische Betrachtung der ,innate ideasÍ übernimmt er das schon bei Cudworth angelegte Konzept der ,connatural ideasÍ und übersetzt es in ein dem Menschen wesentliches Reflexionsvermögen. „Behaupten Sie denn, sagte ich, daß diese Kinder des Geistes, die Begriffe und Prinzipien des Schönen, Rechten und Redlichen nebst den übrigen Ideen dieser Art angeboren sind?“,126 wird im Dialog The Moralists gefragt. Shaftesbury läßt Theokles antworten, daß es egal sei, ob diese Prinzipien schon vor oder erst nach der Geburt vorhanden seien; wichtiger sei die Frage, „ob die genannten Prinzipien von Kunst oder Natur herrühren“.127 Sind diese Prinzipien dem Menschen natürlich, dann spielt keine Rolle, zu welchem Zeitpunkt er sich ihrer bewußt wird, ihre Herausbildung ist in der Perfektibilität des menschlichen Gemüts angelegt.128 Nach Theokles könne man statt „angeboren“ auch Instinkt sagen, Vgl. Anthony Ashley Cooper, Third Earl of Shaftesbury, An Inquiry concerning Vertue, or Merit, in: SE II.2, 94. 123 Kleihues, Dialog (wie Anm. 17), 62. 124 Vgl. Schrader, Ethik (wie Anm. 74), 17. 125 Vgl. Shaftesbury, Inquiry, SE II.2 (wie Anm. 122), 88. 126 Shaftesbury, Moralisten, SE II.3 (wie Anm. 18), 316. 127 Ebd. 128 Vgl. auch Anthony Ashley Cooper, Third Earl of Shaftesbury, Die Ainsworth-Korrespondenz, Brief an Ainsworth vom 3. 6. 1709, in: SE II, 4, 403 – 404: „Innate is a Word he poorly plays upon. The right word, tho less usd, is connatural. For what hast Birth, or y Progress of y FOETUS out of y Womb, to do in this Case? The question is not about the Time the Ideas enterd, or the Moment that 122

Shaftesburys Natur- und Moralverständnis

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wenn man darunter das versteht, „was die Natur lehrt, unabhängig von Kunst, Kultur und Erziehung“.129 Es ist der Zusammenhang zwischen Mensch und Gott und Welt, der von Locke zerrissen wurde, mit der Konsequenz, daß der Unterschied von ,angeborenÍ und ,natürlichÍ virulent wurde. Shaftesbury kann in Rückgriff auf die ,Cambridge PlatonistsÍ viel gelassener über die Unsicherheit hinwegsehen, wann der Mensch welche Erkenntnisse bewußt erwirbt, da für ihn der Mensch in einem positiven Entsprechungsverhältnis zur Welt steht. Die Erkenntnis Gottes ist dem Menschen auf ebensolche Art und Weise natürlich. So übt der Mensch Gehorsam gegen Gott, „weil man es [die Gottheit] wegen seiner Erhabenheit und Würde für die Vollendung der eigenen Natur hält, es nachzuahmen und ihm zu gleichen“.130 Gott ist also der menschlichen Vernunft zugänglich. Philokles führt in den Moralists aus, daß sich Gott dem Menschen nicht durch Wunder zeige, sondern dadurch, „daß er sich ihrer Vernunft offenbare, an ihre Urteilskraft appelliere und seine Wege ihrer kritischen Prüfung und kühlen Überlegung unterwerfe“.131 Dabei ist es wie bei den ,Cambridge PlatonistsÍ vor allem die Verfassung der Welt, die Aufschluß über Gott ermöglicht. Shaftesbury läßt Philokles fortfahren: „[D]ie Betrachtung des Weltganzen, seiner Gesetze und Regierung sei […] das einzige Mittel, das den gesunden Glauben an eine Gottheit begründen könne“.132 Theokles faßt dieses Erkenntnisverhältnis von Gott und Mensch so eng, daß er sagen kann, „daß Du [Gott] gewissermaßen in unseren Seelen wohnst“.133 Tugendhaftigkeit ist dem Menschen einerseits natürlich und spontan, da sein Sinn für rechte Verhältnisse als angeboren gilt, sie ist aber andererseits an den Verstand des Menschen gebunden.134 Shaftesbury schreibt, Tugendhaftigkeit an Verständnisfähigkeit knüpfend: Und nur dann nennen wir ein Wesen edel und tugendhaft, wenn es einen Begriff von öffentlichem Wohl bilden und eine Anschauung oder ein sicheres Wissen von dem erreichen kann, was moralisch gut und böse, bewunderns- oder tadelnswert, recht oder unrecht ist.135 one Body came out of the other: but whether the Constitution of Man be such, that being adult and grow up, at such or such Time, sooner or later (no matter when) the Idea and Sense of Order, Administration, and a GOD will not infallibly, inevitable, necessarily spring up in him“. 129 Shaftesbury, Moralisten, SE II.3 (wie Anm. 18), 316. 130 Shaftesbury, Untersuchung, SE II.3 (wie Anm. 23), 79. 131 Shaftesbury, Moralisten, SE II.3 (wie Anm. 18), 265. 132 Ebd. 133 Ebd., 290. 134 Vgl. Shaftesbury, Untersuchung, SE II.3 (wie Anm. 23), 71 f.: „Da also ein Sinn für Recht und Unrecht in uns genauso natürlich ist wie das natürliche Empfinden selbst und ein oberstes Prinzip unserer Konstitution und unseres Wesens darstellt, kann keine theoretische Absicht, keine Überzeugung und kein Glaube ihn unmittelbar direkt aufheben oder zerstören“. 135 Ebd., 62.

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Der Mensch ist nach Shaftesbury ein Geschöpf, das imstande ist, sich allgemeine Begriffe zu bilden, und zwar nicht nur von äußeren Dingen, die in die Seele eindringen. Gemütsbewegungen und Handlungen werden durch Reflexion ebenfalls in das Bewußtsein transportiert und so zu dessen Gegenständen. Mittels dieses nach innen gewandten Sinns (,reflected senseÍ) entsteht eine andere Art von Gemütsbewegungen, die sich auf die eben noch empfundenen Gemütsbewegungen richten. Gemeint ist also „kein sechster Sinn, mittels dessen ein intuitives Urteil über die sittliche Qualität einer Handlung gefällt würde“.136 Es ist vielmehr die Fähigkeit zur ordnenden Interpretation, die der Vorstellung vom Naturganzen folgt, und ist damit zugleich kritisches wie kreatives Vermögen, sowohl ,SentimentÍ als auch ,JudgmentÍ.137 Es ergibt sich dabei allerdings notwendig der Eindruck von Schönheit oder Häßlichkeit dieser Gemütsbewegungen und Handlungen – „das Herz [kann] unmöglich gleichgültig bleiben“.138 Dieser Eindruck richtet sich nach Maßen, Anordnungen und Disposition der verschiedenen Teile.139 In bezug auf moralisches Verhalten empfinde der Geist „eine Harmonie und eine Dissonanz genauso real und treffsicher wie in den äußeren Formen und Erscheinungsweisen der sinnlich wahrnehmbaren Dinge“.140 In den Moralists drückt dies Theokles wie folgt aus: „Sicher ist nichts unserem Geist stärker eingeprägt oder mit unserer Seele enger verwoben als die Idee oder das Gefühl von Ordnung und Ebenmaß“.141 Er ruft aus: „Welch ein Unterschied besteht doch zwischen Harmonie und Disharmonie!“142 Dem methodischen Postulat der Wissenschaften, daß die Vernunft gleichsam von außen beobachtend an die Natur herantritt, steht damit ein spontan intuitives Verstehen von Sinnzusammenhängen gegenüber. Die Erfahrung des Schönen und Erhabenen in der Natur ist, so Shaftesbury gegen Locke, nicht auf sinnliche Empfindung reduzierbar, sondern setzt Selbstbeziehung zum Fühlenden voraus und enthält ein reflexives Moment.143 Den Begriff ,boniformis animae facultasÍ erläutert More mit Plotins Augengleichnis: „Kein Auge könnte je die Sonne sehen, wäre es nicht sonnenhaft; so

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Schmidt-Haberkamp, Kunst der Kritik (wie Anm. 17), 203. Vgl. Shaftesbury, Inquiry, SE II.2 (wie Anm. 122), 70. Vgl. Shaftesbury, Untersuchung, SE II.3 (wie Anm. 23), 61. Vgl. ebd., 60. Ebd., 61. Shaftesbury, Moralisten, SE II.3 (wie Anm. 18), 234. Ebd. Vgl. Baum, Selbstgefühl (wie Anm. 36), 38.

Shaftesburys Natur- und Moralverständnis

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sieht auch keine Seele das Schöne, welche nicht selbst schön ist“.144 More überträgt dieses Gleichnis auch auf das Gute und gelangt so zu einer ethischen Urteilsinstanz.145 Shaftesbury übernimmt diese Figur in seiner Methode der Introspektion. In den Moralists versucht Theokles, den moral sense mithilfe der Metapher des Sehens zu verdeutlichen. ,Moral senseÍ wird zu einer Art ,innerem AugeÍ, für das die Erkenntnis der natürlichen Schönheit guter Handlungen bestechend ist. Es heißt: Kaum öffnet sich das Auge den Figuren, das Ohr den Klängen, so ergibt sich geradewegs das Schöne, und Anmut und Harmonie werden zur Kenntnis genommen und anerkannt. Kaum werden Handlungen beobachtet, kaum menschliche Neigungen und Leidenschaften erfasst […], so unterscheidet geradewegs ein inneres Auge und sieht einerseits das Schöne und Wahlgeformte, das Liebenswürdige und Bewundernswerte und andererseits das Ungestalte, das Hässliche, das Abscheuliche oder das Verachtenswerte.146

So ist der vernünftigen Betrachtung ethischer Belange ein intuitives Verständnis dieser Zusammenhänge vorgeschaltet, das sich aus der Einbettung des Menschen in ein harmonisches Naturganzes ergibt. Dieser „Entwurf einer elementaren Ethik als Ästhetik der Natur“147 kann den Horizont der Metaphysik für die Ethik offen halten. IV. Fazit Es konnte gezeigt werden, daß Shaftesbury sich die Philosopheme der ,Cambridge PlatonistsÍ produktiv aneignet. Der Topos der plastischen Natur prägt Shaftesburys emphatischen Naturbegriff und ist damit zugleich entscheidend für sein Konzept von Ethik. Darüber hinaus entspricht die Figur des ,moral senseÍ in seiner Anlage als Spiegelverhältnis von Natur und menschlichem Erkenntnisvermögen dem Ethikverständnis der ,Cambridge PlatonistsÍ. So kann resümiert werden, daß Shaftesbury, anders als Leibniz, den Intentionen der ,Cambridge PlatonistsÍ in seiner Rezeption nahe kommt, vor allem weil hier das Naturverständnis nicht vom Paradigma des Mechanismus überlagert wird.

Plotin, Enneaden I, 6, 8 und 9, in: Das Schöne – Das Gute – Entstehung und Ordnung der Dinge, Enneaden I, 6, VI, 9 und V, 2, hg. von Richard Harder, Hamburg 1956. Neu hg. von Werner Beierwaltes, Hamburg 1986, 27. 145 Vgl. Henry More, Enchiridion Ethicum, in: H. M., Omnia Opera, Bd. 2.1, 24. 146 Shaftesbury, Moralisten, SE II.3 (wie Anm. 18), 318 f. 147 Baum, Selbstgefühl (wie Anm. 36), 39. 144

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Dieser Aufsatz untersucht die vielfältigen Beziehungen der Philosophie Shaftesburys zu den Werken des Cambridger Platonismus. Dieses Rezeptionsverhältnis kommt vor allem in Fragen des Natur- und Moralverständnisses zum Tragen und wird anhand der Topoi von ,plastick natureÍ, ,innate ideasÍ und ,moral senseÍ dargestellt. Es erweist sich dabei, daß die ,plastische NaturÍ der,Cambridge PlatonistsÍ Shaftesburys emphatischen Naturbegriff endscheidend mitprägte. Auch das Ethikverständnis Shaftesburys ist stark durch die analysierten Topoi beeinflußt. This article analyses the manifold relationship between ShaftesburyÌs philosophy and the thoughts of the Cambridge Platonists. ShaftesburyÌs reception of Cambridge Platonism is of special importance concerning questions of nature and morality and is therefore discussed with regard to the topoi of Íplastick natureÌ, Íinnate ideasÌ and Ímoral senseÌ: It is shown that Shaftesbury modeled his emphatic category of nature along the platonic figure of plastic nature; also ShaftesburyÌs moral sense cannot be understood without mentioning Íplastick natureÌ as well as Íinnate ideasÌ. Dr. des. Insa Kringler, Kirchstr. Str. 2, 26603 Aurich, E-Mail: [email protected]

Simon Grote ShaftesburyÌs Egoistic Hedonism

If you find the title of this essay provocative, you are not alone. It is hard to imagine two terms whose association with Shaftesbury contradicts the conventional wisdom about ShaftesburyÌs moral philosophy more blatantly than ÍegoisticÌ and ÍhedonismÌ. As Henry Sidgwick defines it, the pair of terms denotes a moral theory or “method of ethics” that takes the proper or ultimate end of human action to be the happiness of the individual actor. ÍHedonismÌ indicates that happiness, rather than excellence or perfection, is the ultimate end, and ÍegoisticÌ specifies that the happiness should accrue to the individual actor, rather than necessarily to a larger human community.1 To classify ShaftesburyÌs moral philosophy as a variety of egoistic hedonism – or Epicureanism, as Sidgwick occasionally calls it – is understandably upsetting because it flies in the face of a scholarly common sense that appears to take its authority primarily from two sources. The first of these is the tradition of identifying Shaftesbury, correctly, as a defender of the proposition that virtue is natural to human beings, and as the direct source of inspiration for at least two generations of Scottish moral philosophers, including as distinguished a champion of human benevolence as Francis Hutcheson.2 ÍHedonismÌ hardly seems the appropriate term to describe someone who, like Shaftesbury and Hutcheson, continually and famously denied that genuine virtue was motivated by a fear of punishment or desire for rewards, including the desire for bodily pleasure. The “absolute opposition of pleasure to virtue, and the secret anti-Epicurean view” that Shaftesbury identifies “running through the whole” of the story of Hercules in XenophonÌs Memorabilia, would seem equally discoverable, without much effort, in ShaftesburyÌs own works.3 ÍEgoismÌ can be dismissed just as easily: no one can deny ShaftesburyÌs obvious association of virtue with desire for the good of oneÌs counHenry Sidgwick, The Methods of Ethics, Indianapolis 1981, 6 – 11. Lawrence E. Klein, for example, describes ShaftesburyÌs 1699 Inquiry Concerning Virtue, or Merit as having advocated “natural human sociability, as against theories of egoism”. Klein, Introduction, in: Shaftesbury, Characteristics of Men, Manners, Opinions, Times, Cambridge 1999, X. 3 Shaftesbury, Second Characters, ed. by B. Rand, Cambridge 1914, 9. 1

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Aufklrung 22 · Ò Felix Meiner Verlag 2010 · ISSN 0178-7128

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try and of mankind as a whole. It is therefore understandable that Robert Voitle, author of the most thorough biography of Shaftesbury to date, takes pains to reject SidgwickÌs category and distinguish ShaftesburyÌs moral philosophy from “mere hedonism”. Although Shaftesbury clearly insisted “that benevolent emotions were pleasurable”, Voitle asserts, “he did so only in the hope that once virtuous behavior had been established for vicarious considerations, the individual might turn to the true motive”, by which Voitle means the desire of virtue “for virtueÌs sake”.4 Anyone who fails to see that the distinction between virtuous acts motivated by desire for reward and virtuous acts motivated by a love of others is “basic to the Stoic philosophy in which Shaftesbury had steeped himself”, and who describes Shaftesbury as a “hedonist or utilitarian” – so Voitle – “could hardly be further from the truth”.5 Even Sidgwick himself, who does classify Shaftesbury as an egoistic hedonist, hesitates in a way that suggests his awareness of the apparent paradox. On SidgwickÌs account, the ultimate end of human action for Shaftesbury is clearly the good of the human actor, interpreted “hedonistically, as equivalent to pleasure, satisfaction, delight, enjoyment”.6 But Sidgwick admits that this hedonistic interpretation of the human good is not always apparent in ShaftesburyÌs writings, and when it is, it seems as if Shaftesbury “slides – almost unconsciously” into it.7 A second source of authority for scholarly resistance to the classification of ShaftesburyÌs moral philosophy as egoistic hedonism is a tradition of writing about aesthetic theory that places Shaftesbury at the origins of the concept of Íaesthetic disinterestednessÌ. One influential champion of this interpretation of Shaftesbury was Jerome Stolnitz, who in 1961 argued in several essays that Shaftesbury formulates a concept of Íaesthetic experienceÌ whose essential quality is ÍdisinterestednessÌ, in the sense that it involves attention to and contemplation of an object “for its own sake alone” with no effort to relate the object to any other thing.8 According to Stolnitz, Shaftesbury considers the desire for this type of experience, that is, the desire to contemplate beauty with “no thought for any consequences whatever,” essential to the moral life. By asserting that in this respect “ShaftesburyÌs ethical theory […] turns out to be very nearly indistinguishable

Robert Voitle, ShaftesburyÌs Moral Sense, in: Studies in Philology 52 (1955), 17 – 38, here 23. Robert Voitle, The Third Earl of Shaftesbury, London 1984, 130. 6 Henry Sidgwick, Outlines of the History of Ethics, London 1886, reprint Bristol 1993, 185. 7 Ibid., 185. 8 Miles Rind, The Concept of Disinterestedness in Eighteenth-Century British Aesthetics, in: Journal of the History of Philosophy 40/1 (2002), 67 – 87, here 67 f.; and summarizing Stolnitz: George Dickie, StolnitzÌs Attitude: Taste and Perception, in: The Journal of Aesthetics and Art Criticism 43/2 (1984), 195 – 203, here 195 – 198. 4

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from an aesthetic theory”, Stolnitz implicitly denies that Shaftesbury considered the ultimate end of human life to be oneÌs own happiness.9 Both these sources of authority for resistance to the classification of ShaftesburyÌs moral theory as egoistic hedonism have been subjected to telling criticism in recent years. On the one hand, StolnitzÌ account of aesthetic disinterestedness in Shaftesbury has been convincingly refuted. Many of his interpretations of the passages by Shaftesbury on which he primarily relies demonstrably miss the mark, and doubt has been cast on the very coherence of the concept he purports to find in those passages.10 If the connection between Shaftesbury and Íaesthetic disinterestednessÌ has not been fully severed in the current scholarship, it can nonetheless no longer be asserted uncritically.11 On the other hand, the idea that ShaftesburyÌs defense of virtue as natural to man rules out Íegoistic hedonismÌ as a classification of his moral philosophy has likewise been rejected by me, albeit less decisively, in an essay on Francis HutchesonÌs “divergence” from Shaftesbury.12 The essayÌs principal evidence consists of two observations. The first is that in 1755, several Scottish colleagues of Francis HutchesonÌs approvingly identified Shaftesbury as an egoistic hedonist of the type described by Sidgwick. According to a review of HutchesonÌs System of Moral Philosophy, very likely by Hugh Blair, Shaftesbury and Hutcheson “agree in asserting a distinct order of kind affections in our nature, which have the happiness of others for their ultimate object, without reference to our own interest”.13 Unlike Hutcheson, however, Shaftesbury considers the motivation to exercise these disinterested affections to be a desire for the happiness their exercise affords oneself: [W]hen, all passions apart, we calmly consider what is the wisest regulation of human conduct; when the question is put, For what reason we ought to pursue virtue, and to Jerome Stolnitz, On the Origins of ÍAesthetic DisinterestednessÌ, in: The Journal of Aesthetics and Art Criticism 20/2 (1961), 133. 10 Cf. Rind, The Concept of Disinterestedness (as in note 8), 70 – 74 (most convincingly, 73); Dickie, StolnitzÌs Attitude (as in note 8), 201. 11 Evidence of this is provided by Philip Ayres, Introduction, in: Shaftesbury, Characteristics, Oxford 1999, XXVIII. Ayres notes scholarly agreement that Shaftesbury moved toward aesthetic disinterestedness, thereby implicitly acknowledging that StolnitzÌ discovery of aesthetic disinterestedness itself in ShaftesburyÌs Characteristicks has been rejected. 12 Simon Grote, ShaftesburyÌs Divergence from Hutcheson, in: Journal of Scottish Philosophy 4/ 2 (2006), 159 – 172. 13 [Hugh Blair?], Review of Francis Hutcheson, A System of Moral Philosophy, in: Edinburgh Review 1 (1755), 9 – 23, here 15. In the 1818 reprint of the Edinburgh Review, the originally anonymous review is attributed to Hugh Blair, but the attribution is not entirely certain. Cf. Leslie Stephen, Blair, Hugh, in: L. S. et al. (ed.), Dictionary of National Biography, Oxford 1921 f.; Richard Sher, Blair, Hugh, in: H. C. G. Matthew, Brian Harrison (ed.), Dictionary of National Biography, Oxford 2004; and The Edinburgh Review, 2nd ed., London 1818, 20. 9

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cultivate the friendly and benevolent affections, rather than the selfish? the answer returned by Lord Shaftesbury is, Because virtue is the chief happiness, and vice the ill or misery of every one; because we experience the purest and sublimest joy in the gratification of the generous emotions. Thus, according to that philosopher, the calm desire of our own happiness, is the leading, the supreme principle of human nature.14

The second observation is that ShaftesburyÌs own descriptions of virtuous affections bear out the reviewerÌs summary. Shaftesbury notoriously inveighs against serving the public good – that is, the good of the larger ÍsystemÌ to which one belongs – merely for the sake of ÍrewardsÌ, but it is a mistake to assume, with Voitle, that by rewards, Shaftesbury is simply referring to private happiness by another name. Human affections are virtuous, according to Shaftesbury, when the desire to serve the public good arises from an affection toward that very desire, as an object of mental reflection. The affection arises from the prospect of private happiness, to be sure, but this private happiness is of a species that Shaftesbury distinguishes from rewards; it is the so-called “natural advantages” of virtue, which Shaftesbury identifies with the “mental enjoyments” or “speculative pleasure” attendant upon contemplating oneÌs own desire for the good of the larger system.15 One of the clearest indications that Shaftesbury did not think the desire for this species of private happiness implied a selfishness incompatible with virtue can be found in his critique of La RochefoucauldÌs Maximes: You have the very same Thought spun out a hundred ways, and drawn into MottoÌs, and Devises, to set forth this Riddle; That Íact as disinterestedly or generously as you please, Self still is at the bottom, and nothing else.Ì Now if these Gentlemen, who delight so much in the Play of Words, but are cautious how they grapple closely with Definitions, wouÌd tell us only what Self-Interest was, and determine Happiness and Good, there wouÌd be an end of this Enigmatical Wit. For in this we shouÌd all agree, that Happiness was to be pursuÌd, and in fact was always sought after; but whether found in following Nature, and giving way to common Affection; or in suppressing it, and turning every Passion towards private Advantage, a narrow Self-End, or the Preservation of mere Life; this wouÌd be the matter in debate between us. The Question wouÌd not be, ÍWho lovÌd himself, or Who not,Ì but ÍWho lovÌd and servÌd himself the rightest, and after the truest manner.Ì16

The difference between vice and virtue, according to Shaftesbury, is the difference not simply between pursuing oneÌs own happiness and pursuing the good of oth[Blair?], Review of Hutcheson (as in note 13), 15 – 16. A similar though not identical account of this difference between Shaftesbury and Hutcheson can be found in Stephen Darwall, The British Moralists and the Internal ÍOughtÌ: 1640 – 1740, Cambridge 1995, 194, 208 f., 219 – 222. 15 Shaftesbury, Characteristics of Men, Manners, Opinions, Times, ed. by L. E. Klein, Cambridge 1999, 46, 192 f., 200 – 204; cf. Grote, HutchesonÌs Divergence from Shaftesbury (as in note 12), 161 f. 16 Shaftesbury, Characteristics (as in note 15), 56; cf. Grote, HutchesonÌs Divergence from Shaftesbury (as in note 12), 162. 14

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ers, but rather between two ways of pursuing oneÌs own happiness. Vice involves pursuing oneÌs own happiness by “giving way to” affections directed entirely toward “private advantage”, while virtue involves giving way to affections directed toward the common good, motivated by a desire for the speculative pleasures such affections afford. This claim represents a repudiation of La RochefoucauldÌs crass egoistic hedonism, not a repudiation of egoistic hedonism itself. These observations may be difficult to refute, but on their own they do not comprise fully conclusive evidence that Shaftesbury should be regarded as an egoistic hedonist. They and the thesis they support would be easier to accept (1) if the context of ShaftesburyÌs work could be described in a way that made this account of his moral psychology seem plausible, by showing it to be a comprehensible and appropriate contribution to an ongoing contemporary discussion; and (2) if the apparent implications of this account of ShaftesburyÌs moral psychology for the process of moral education – namely, that moral education must be a process of learning to take pleasure in the things that are truly the most pleasurable – could be defended with reference to ShaftesburyÌs own descriptions of moral education. What follows is an attempt to do both. That Shaftesbury considered his moral philosophical writings a sustained critique of positions he attributed to his former tutor, John Locke, is born out by a significant body of modern scholarly commentary.17 Much of it convincingly reveals that, although one of the crucial subjects of debate between Shaftesbury and Locke was whether virtue can be considered natural to man, the merits of egoistic hedonism per se did not come into question; rather, Shaftesbury answered LockeÌs variety of egoistic hedonism with a variety of his own. In ShaftesburyÌs view, Locke, like Hobbes, had argued that moral principles and the motivation to obey them are by their very nature the creation of an arbitrary act of will by a lawgiver with the power to reward obedience and punish disobedience.18 Morality Recent commentaries, in reverse chronological order, include Daniel Carey, Locke, Shaftesbury, and Hutcheson, Cambridge 2006, 129 – 142; Isabel Rivers, Reason, Grace, and Sentiment, vol. 2: Shaftesbury to Hume, Cambridge 2000, 89 – 91, 127 – 130; Voitle, The Third Earl of Shaftesbury (as in note 5), 65 f., 69, 118 – 122, 125, 154 f., 230, 339; John Dussinger, ÍThe Lovely System of Lord ShaftesburyÌ: An Answer to Locke in the Aftermath of 1688?, in: Journal of the History of Ideas 42/1 (1981), 151 – 158; Jason Aronson, Critical Note: Shaftesbury on Locke, in: American Political Science Review 53/4 (1959), 1102 – 1104; and Ernest Tuveson, The Importance of Shaftesbury, in: English Literary History 20/4 (1953), 279 f. 18 Cf. Carey, Locke, Shaftesbury, and Hutcheson (as in note 17), 129 – 133; Rivers, Reason, Grace, and Sentiment (as in note 17), 127; Voitle, Third Earl of Shaftesbury (as in note 5), 118 – 121; Tuveson, The Importance of Shaftesbury (as in note 17), 279. Note that although Carey describes Shaftesbury as having “resisted LockeÌs moral philosophy because it resolved everything into diversity” (135), much of his own account also explicitly supports the standard view (represented by Tuveson, Voitle, and Rivers) that Shaftesbury resisted LockeÌs moral philosophy because it resolved moral principles into arbitrary divine laws. 17

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must therefore, as Shaftesbury explained with explicit reference to Hobbes, be imposed by “our governors”,19 human or divine. The “law” of custom, which Locke asserted to be the source of human opinions about virtue and vice – though not the source of genuine moral principles – appeared to Shaftesbury no less arbitrary.20 Shaftesbury himself, by contrast, asserted that society was ÍnaturalÌ to human beings; in the absence of external coercion of any kind, human beings do not necessarily engage in war, and morality does not need to be imposed. Moral principles exist and can be discerned independently of a sovereignÌs will, and the motivation to obey them can and should have its source in human beingsÌ awareness of virtueÌs Ínatural advantagesÌ, rather than in their awareness of any rewards and punishments that a sovereign, like God, may have attached to virtue and vice. At issue, in other words, was not whether human beings possess and ought to cultivate an irreducible, instinctive desire to serve the public good without any regard to their own happiness, but rather whether human beingsÌ instinctive desire for their own happiness would naturally lead them, independent of any consideration of an external reward, to serve the public good. Evidence that this was the essential substance of ShaftesburyÌs disagreement with Locke, and that the refutation of Locke was a significant part of the impetus behind his development and public exposition of an alternative moral philosophy, abounds,21 and it can be epitomized with two choice quotations. It may be difficult to judge whether LockeÌs own texts ultimately sustain ShaftesburyÌs interpretation of them, but it is easy to imagine – and in at least one instance possible to specify with full confidence22 – passages in LockeÌs Essay Concerning Human Understanding that Shaftesbury found particularly objectionable. Clear indication of LockeÌs position, as Shaftesbury understood it, can be found in a passage from the EssayÌs second book: That God has given a Rule whereby Men should govern themselves, I think there is no body so brutish as to deny. He has a Right to do it, we are his Creatures: He has Goodness and Wisdom to direct our Actions to that which is best: and he has Power to enforce it by Rewards and Punishments, of infinite weight and duration, in another Life: for no body can take us out of his hands. This is the only true touchstone of moral Rectitude; and by comparing them to this Law, it is, that Men judge of the most considerable Moral

Shaftesbury, Characteristics (as in note 15), 42. Cf. Carey, Locke, Shaftesbury, and Hutcheson (as in note 17), 129 f., 133. 21 Carey and Rivers offer the two most recent collections of ShaftesburyÌs well-known published and unpublished references to Locke (and in CareyÌs case at least one hitherto unknown reference) and discuss them in the context of relevant passages from LockeÌs works. Cf. Rivers, Reason, Grace, Sentiment (as in note 17), 126 – 128; and Carey, Locke, Shaftesbury, and Hutcheson (as in note 17), 129 – 136. 22 Carey, Locke, Shaftesbury, and Hutcheson (as in note 17), 131 f. 19

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Good or Evil of their Actions; that is, whether as Duties, or Sins, they are like to procure them happiness, or misery, from the hand of the ALMIGHTY.23

ShaftesburyÌs opposition to the notion that divine will should be the “only true touchstone of moral rectitude” and fear of punishment and desire for rewards after death the only respectable motivation for moral rectitude is obvious from his repeated criticisms of Locke.24 One of the best known of these criticisms, cited by virtually every modern commentator, appears in ShaftesburyÌs letter to Michael Ainsworth on June 3, 1709, in which Shaftesbury remarks that Locke “threw all order and virtue out of the world, and made the very idea of these (which are the same as those of God) unnatural, and without foundation in our minds”.25 This quotation should serve as a warning against assuming that ShaftesburyÌs principal target was the hedonism or egoism of LockeÌs “hedonistic” and “self-interested” account of human motivation.26 Shaftesbury complains not that Locke made virtue “wholly a matter of self-interest”,27 but rather that he threw virtue “out of the world”.28 That is to say, Locke made morality a matter of divine law; he asserted that divine law was the source of moral distinctions, that knowledge of moral principles could only be derived reliably from knowledge of divine law (if not exclusively then at least primarily as recorded in Scripture),29 and that the only reliable source of motivation to be virtuous was an awareness that God had attached rewards and punishments to his laws.30 It therefore makes sense that Shaftesbury should have aimed to show that the idea of virtue was in fact natural and had a “foundation in our minds”,31 in the sense that it could be attained with reference in the first instance not to divine law, but to what could be observed in the world. To this end – and by no means in contradiction with it – Shaftesbury describes moral education not as a process of suppressing or transcending the desire for oneÌs own happiness, but rather as a process of discovering – without immediate reference to GodÌs will – that oneÌs greatest or truest happiness or pleasure is in fact to be found in the pursuit of virtue. ShaftesburyÌs frequent injunctions against John Locke, An Essay Concerning Human Understanding, ed. by P. H. Nidditch, Oxford 1975, II, xxviii, 8, also quoted in Rivers, Reason, Grace, and Sentiment (as in note 17), 127. 24 As cited, for example, in Carey, Locke, Shaftesbury, and Hutcheson (as in note 17), 132 – 136. 25 Shaftesbury to M. Ainsworth, 3 June 1709, in: B. Rand (ed.), The Life, Unpublished Letters, and Philosophical Regimen of Anthony, Earl of Shaftesbury, London 1900, 403. 26 Carey, Locke, Shaftesbury, and Hutcheson (as in note 17), 138. 27 Voitle, Third Earl of Shaftesbury (as in note 5), 120. 28 Shaftesbury to Ainsworth (as in note 25), 403. 29 Cf. Voitle, Third Earl of Shaftesbury (as in note 5), 121; Tuveson, The Importance of Shaftesbury (as in note 17), 279; Carey, Locke, Shaftesbury, and Hutcheson (as in note 17), 137. 30 Cf. Rivers, Reason, Grace, and Sentiment (as in note 17), 129; Carey, Locke, Shaftesbury, and Hutcheson (as in note 17), 137. 31 Shaftesbury to Ainsworth (as in note 25), 403. 23

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seeking happiness in Ímere pleasureÌ or in Íwhatever pleases meÌ refer not to the danger of seeking pleasure itself, but rather to the danger of allowing oneÌs unregenerated appetites, rather than ÍreasonÌ, to dictate where pleasure is to be sought. The “true” or “real” pleasure that virtue affords and that reason enjoys may be “too refined for our modern Epicures”, and Shaftesbury often refers to it in various contexts as joy, happiness, advantage, or real self-interest, but he does not deny that it is a form of pleasure.32 That moral education, according Shaftesbury, aims not to suppress oneÌs desire for pleasure but rather to change the source from which one seeks oneÌs own pleasure is clear from ShaftesburyÌs contrasting portrayals of the earlier and the later phases of that educational process in The Moralists. Aspects of an earlier phase are evident in the attitudes of Philocles, the character in whose voice Shaftesbury presents the text. Before agreeing to PalemonÌs request that he recounts his recent three days of edifying philosophical dialogue with Theocles, Philocles admits his own admiration for beauty and wisdom was lukewarm. If one engages in philosophy at all, he remembers telling Palemon, one should “engage so cautiously as to be sure of coming off with a whole heart and a fancy as strong as ever towards all the pretty entertainments and diversions of the world”.33 Philocles claims to have preferred “ease” above all else and to have found a sceptical approach to philosophy, laughing regardless of the direction of an argument rather than painfully striving to arrive at the truth, the most agreeable exercise of the mind.34 Nor was his scepticism consistently rigorous. In matters of religion, he was content to “know nothing and believe all”; he never asked for rational demonstrations and always submitted to the judgment of his “spiritual guides” without question, “as they are appointed us by our just superiors”.35 PhiloclesÌ unreflectively selfindulgent scepticism, his taste for the pleasure afforded by mere “ease”, and his fancy for “all the pretty entertainments and diversions of the world” rather than searching for truth stand in stark contrast to PalemonÌs and TheoclesÌ passionate philosophizing for the sake of, in TheoclesÌ words, the “sincere and natural enjoyment” afforded by the contemplation of beauty by reason.36 In other words, Palemon and Theocles, who exhibit signs of having reached a later phase in their moral educations, take pleasure from a different source. Shaftesbury displays the egoistic hedonism of his moral philosophy not only in his portrayal of virtuous human beings as seeking the greatest and most reliable On ShaftesburyÌs distinction between true and false pleasures, cf. Characteristics (as in note 15), e. g. 138 f., 250, 332; Shaftesbury, Second Characters (as in note 3), 32 , 114. 33 Shaftesbury, Characteristics (as in note 15), 232. 34 Ibid., 241. 35 Ibid., 242. 36 Ibid., 331. 32

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pleasure in virtue, but also in his portrayal of the cultivation of virtue as necessarily motivated by the desire for happiness. One way in which this desire motivates the cultivation of virtue is obvious: philosophizing is an indispensable means of discovering that oneÌs greatest happiness is to be found in virtue, and the desire for happiness is what motivates one to philosophize. Shaftesbury asserts this not only directly, in the voice of Theocles,37 but also by example: PhiloclesÌ own desire for happiness is what allows Theocles to engage him productively in a discussion whose first result is PhiloclesÌ assent to the maxim, “Nothing can be good but what is constant”,38 and whose final result is PhiloclesÌ enthusiasm for philosophy.39 Another way in which the desire for oneÌs own happiness motivates the cultivation of virtue is less obvious: it supplies the motivation for human reason to seek to contemplate the greatest possible beauty. Admittedly, Shaftesbury does not always make this motivation clear. He frequently describes the process by which we learn to discern beauty simply as a discovery of order in the objects of our contemplation. Order, Shaftesbury explains, refers to the ÍperfectionÌ (or ÍunityÌ) of a thing, which in turn refers to the ÍsympathizingÌ of a thingÌs parts, such that together the parts serve the purpose (or ÍgoodÌ) of the thing itself or ÍwholeÌ. The purpose of the whole, in turn, is to serve the purpose of the larger whole of which it is only a single part.40 In the case of any material object, the Íreal relationÌ of parts and the purpose they serve persist despite any changes in the matter of which the object consists, and Shaftesbury describes the Íuniting principleÌ responsible for this persistence as the objectÌs ÍformÌ or ÍnatureÌ: an immaterial and immortal substance that all wholes of a single type (whether all individual human beings, all types of animals, all types of inhabitant in the world, or all worlds in the universe) have in common.41 Human beings are able to perceive order and the nature or form responsible for it by means of perceptive faculties that they naturally possess. The discovery of a purposive whole by the examination of the coherence among its parts and the judgment of the degree to which those parts serve the purpose of the whole – that is, the judgment of how orderly or perfect a thing is – Shaftesbury attributes variously to “imagination”, “common sense”, and “internal sensation”.42 The judgment itself, according to Shaftesbury, consists of a perception of a thingÌs parts, followed by an “anIbid., 338: “[T]hus is philosophy established. For everyone, of necessity, must reason concerning his own happiness”. 38 Ibid., 249. 39 Ibid., 336. 40 Ibid., 273 f., 299 – 301. 41 Ibid., 299 – 303, 274 f. More on ShaftesburyÌs treatment of these concepts and on its debt to the Cambridge Platonists can be found in the essay by Insa Kringler in this volume. 42 Ibid., e. g. 63, 67, 274, 353. 37

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ticipation” or “pre-sensation” of the thingÌs form, and finally a measurement of the degree of perfection of the thing itself by comparison with the full perfection of its form.43 If ShaftesburyÌs equation of the beautiful with the good can be taken at face value, then beauty is another name for order, a name that Shaftesbury tends to employ in the context of referring to the instinctive human preference of order to disorder, and to the love that human beings instinctively feel when they contemplate order.44 From this bare description, it is hardly obvious that the act of perceiving orderliness requires any significant motivation at all, let alone that the prospect of deriving pleasure from the contemplation of order is what sets the perceptive faculties in motion. But judging the degree of order in any given thing can be difficult, and the difficulty increases with the scale and complexity of the whole under consideration. In the case of particular plants, for example, the real relations between the parts and the degree to which those parts function together coherently are easy to discern.45 In the case of the universe as a whole, many of whose parts are inaccessible to us, conclusive judgment is impossible.46 Judging the universe to be orderly would seem to depend on the inference that what is true of all the known parts is likely to be true of the whole: if the known parts of the universe are orderly by virtue of their forms or uniting principles, then the universe as a whole is almost certainly orderly by virtue of its uniting principle. In the words of Theocles, if matter is compounded and put together in a certain number of such parts as unite and conspire in these frames of ours and others like them, if it can present us with so many innumerable instances of particular forms, who share this simple principle, by which they are really one, live, act and have a nature or genius particular to themselves and provident for their own welfare, how at the same time shall we overlook this in the whole and deny the great and general One of the world?47

PhiloclesÌ relatively quick assent to TheoclesÌ arguments notwithstanding,48 the discovery of forms and of the orderliness they convey is not a matter of rational demonstration. Shaftesbury repeatedly indicates that the observation of orderliness in material objects does not lead immediately to the discovery of their forms and the perception of those formsÌ orderliness; and the discovery of Ibid., 178, 273, 282, 326, 329, 408, 429; cf. Carey, Locke, Shaftesbury, and Hutcheson (as in note 17), 110 – 119. 44 Shaftesbury, Characteristics (as in note 15), 254 f., 320 f., 326. Cf. Richard Glauser, Aesthetic Experience in Shaftesbury, pt. I, in: The Aristotelian Society, suppl. vol. 76 (2006), 26 f. 45 Shaftesbury, Characteristics (as in note 15), 273. 46 Ibid., 279, 298, 305 f., 315. 47 Ibid., 301, cf. 305. 48 Ibid., 279 f., 305 – 307. 43

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order in the universe is a much more challenging feat.49 As in the arts of architecture, painting, and music, Theocles points out, “it is not instantly we acquire the sense by which these beauties are discoverable. Labor and pains are required and time to cultivate a natural genius ever so apt or forward”.50 Theocles is referring to what Shaftesbury describes in the Miscellanies as “the labor and pains of criticism” which necessarily precede the development of a taste for what is truly beautiful.51 More obviously than the apparently simple act of perceiving order, this labor requires motivation. That the motivation to undertake the labor consists necessarily of the prospect of pleasure afforded by the contemplation of beauty appears especially vividly in ShaftesburyÌs description of the discovery of beauty as a gradual process that can fruitfully begin with the contemplation of works of art. Shaftesbury clearly considers the contemplation of art, not to mention the production of art, an aid to the discovery of forms. The best art aims not at the reproduction of the details of any particular object, but rather at “the reduction of a thing to its species” or form, which Shaftesbury calls the communication of “plastic truth”.52 The “virtuoso” or “gentleman of fashion” who admires “what is naturally graceful and becoming” and who seeks to perfect his judgment of the beauty of works of art implicitly accepts that there are such truths and that the correct representation of a given thingÌs form is not merely a matter of opinion.53 Consequently, according to Shaftesbury, John Locke would not have philosophized as he did – which is to say, he would not have thrown “all virtue and order out of the world” – if he had been a virtuoso.54 Shaftesbury moreover proposes that the love of art characteristic of the virtuoso, which derives from a delight in contemplating the forms represented by works of art, can provide the motivation necessary to cultivate oneÌs love of forms such that one progressively acquires a taste not ultimately for works of art, but rather for minds, then for communities of minds, and ultimately for the mind that directs the universe. This progressive acquisition of a taste for ever-higher degrees of order55 relies on the virtuosoÌs persistent desire for pleasure. In an appeal to

Ibid., e. g. 279, 298, 305 f. Ibid., 320. 51 Ibid., 408, cf. 409. 52 Ibid., 67; Shaftesbury, Second Characters (as in note 3), 98 – 102. A more elaborate discussion of ShaftesburyÌs conception of art and its aims can be found in the essay by Martin Kirves in this volume. 53 Shaftesbury, Characteristics (as in note 15), e. g. 62. 54 Rand (ed.), Life, Unpublished Letters, and Philosophical Regimen (as in note 25), 416 f., also quoted in Carey, Locke, Shaftesbury, and Hutcheson (as in note 17), 132. 55 Shaftesbury, Characteristics (as in note 15), 415 f., note 25. 49

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“the grown youth of our polite world”,56 Shaftesbury makes no effort to hide this fact: Whoever has any impression of what we call gentility or politeness is already so acquainted with the decorum and grace of things that he will readily confess a pleasure and enjoyment in the very survey and contemplation of this kind. Now if in the way of polite pleasure the study and love of beauty be essential, the study and love of symmetry and order, on which beauty depends, must also be essential in the same respect.57

The path of the argument can already be foreseen: lovers of beauty in material objects and external behavior can be convinced, by appeal to the fact that what gives them pleasure is the contemplation of symmetry and order, to seek to admire symmetry and order in minds. This appeal does not rely on a superficial analogy between spatial symmetry in material objects and well-ordered affections in minds.58 Rather, in both cases the symmetry refers to the perfection of the thing under consideration, which is to say, the suitability of the thingÌs parts to serve the purpose or “good” of the whole. In the case of the “imitative or designing arts”, Shaftesbury explains, the truth or beauty of every figure or statue is measured from the perfection of nature in her just adapting of every limb and proportion to the activity, strength, dexterity, life and vigour of the particular species or animal designed. Thus beauty and truth are plainly joined with the notion of utility or convenience, even in the apprehension of every ingenious artist, the architect, the statuary or the painter.59

The same point, continues Shaftesbury, can be made about the health of the human body: Natural health is the just proportion, truth and regular course of things in a constitution. It is the inward beauty of the body. And when the harmony and just measures of the rising pulses, the circulating humours and the moving airs or spirits are disturbed or lost, deformity enters and, with it, calamity and ruin.60

It only remains for Shaftesbury to assert that the human mind can be understood in the same way: Is there nothing which tends to disturbance and dissolution? Is there no natural tenor, tone or order of the passions or affections? No beauty or deformity in this moral kind? Or allowing that there really is, must it not, of consequence, in the same manner imply health or sickliness, prosperity or disaster? Will it not be found in this respect, above all, that what is beautiful is harmonious and proportionable, what is harmonious and pro-

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Ibid., 414. Ibid., 414. Cf. Glauser, Aesthetic Experience in Shaftesbury (as in note 44), 28. Shaftesbury, Characteristics (as in note 15), 415. Ibid.

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portionable is true, and what is at once both beautiful and true is, of consequence, agreeable and good?61

ShaftesburyÌs rehearsal of the steps by which a lover of beauty in material things can be convinced to love moral beauty is more complex than it may seem. Shaftesbury is not simply restating the argument, well known from the Inquiry Concerning Virtue or Merit, that virtue is in every human beingÌs self-interest. Here, he explicitly describes “utility or convenience” not as simply an attribute or effect of beauty, but rather as the measure of beauty; we measure a statueÌs beauty by determining the degree to which its parts – that is, “every limb and proportion” – are portrayed as adapted to promote the natural good of the creature represented in the statue. In other words, the beauty of a statue corresponds to the degree to which the sculptor has portrayed his subject in its perfect state or achieved the “reduction of a thing to its species”.62 Anyone who acknowledges this can be convinced that the same principle applies to living bodies and to minds. Just as the “inward beauty” of a body is inseparable from the bodyÌs “natural health”, so is the beauty of a mind dependent on the “natural tenor, tone or order of the passions or affections”.63 The search for beauty of mind, Shaftesbury continues, can only succeed with the help of philosophy. Through this series of realizations, the virtuoso blithely following the “way of polite pleasure”, as Shaftesbury calls it, can be led to engage in philosophy for the purpose of seeking still greater pleasure in contemplating internal order. This conclusion is the context in which Shaftesbury poses his well-known rhetorical question: “Who can admire the outward beauties and not recur instantly to the inward, which are the most real and essential, the most naturally affecting and of the highest pleasure as well as profit and advantage?”64 Nor does the pleasure of contemplating order cease for those who have progressed through ever-higher degrees of inward beauties in ever-larger associations of human beings, and arrived at where Shaftesbury suggests the virtuoso can ultimately be led,65 namely, the contemplation of “that which fashions even minds themselves” and “contains in itself all the beauties fashioned by those minds and is consequently the principle, source and fountain of all beauty”.66 The conclusive Ibid. See above, note 52. Cf. Shaftesbury, Characteristics (as in note 15), 417, note 25. 63 Shaftesbury, Characteristics (as in note 15), 415. 64 Ibid., 416. For a description of this process on a national scale, cf. Shaftesbury, Second Characters (as in note 3), 20: “And when our humour turns us to cultivate these designing arts, our genius, I am persuaded, will naturally carry us over the slightest amusements, and lead us to that higher, more serious, and noble part of imitation, which relates to history, human nature, and the chief degree or order of beauty; I mean that of the rational life […]”. 65 Shaftesbury, Characteristics (as in note 15), 416, note 25. 66 Ibid., 324, cf. 332. 61 62

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evidence comes from PhiloclesÌ visionary description of Palemon as an accomplished lover of beauty in the Moralists.67 PalemonÌs search for ever higher degrees of beauty, as Philocles describes it, proceeds from bodies to minds, from particular forms to more general forms, from the beauty of individual minds to the beauty of ever larger and more complex human societies, from all humanity to the universe itself, and ultimately to the intelligence governing the universe. It is motivated explicitly by a “love of order and perfection”: dissatisfaction with a lower degree of perfection leads Palemon to seek to contemplate a higher degree. The psychological basis of this “dissatisfaction”, to which Philocles continually refers, is in turn the desire for pleasure. Discerning this psychological basis does not require imagining – however plausibly – that Shaftesbury, in invoking ÍdissatisfactionÌ, has tacitly adopted LockeÌs conception of the human will as determined by an “uneasiness of the mind for want of some absent good”,68 and with it LockeÌs classification of all goods and evils as species of pleasure and pain.69 One need only look at PhiloclesÌ language: PalemonÌs “aspiring soul” is attracted by the “delightful prospects” and “the charm of beauty” in the “orders” responsible for the good of mankind. His soul “dwells” on them “with pleasure”.70 There seems to be no reason to doubt that the prospect of pleasure in contemplating beauty draws PalemonÌs soul to contemplate the higher beauties as well.71 This evidence that Shaftesbury saw the pleasure caused by the contemplation of beauty as the ultimate motive to be virtuous makes withholding the label Íegoistic hedonismÌ from ShaftesburyÌs moral philosophy seem groundless, just as the substance of ShaftesburyÌs critique of Locke makes the fear of assimilating Shaftesbury to Hobbes or Locke by applying that label seem groundless. For reassurance, we can turn again to some of ShaftesburyÌs eighteenth-century Scottish admirers. These admirers included more than the two professors, William Leechman and Hugh Blair, who described Shaftesbury as an egoistic hedonist in 1755. In the 1740s, among students in Edinburgh who had immersed themselves in ShaftesburyÌs works under the direction of John Stevenson, Professor of Logic and Rhetoric,72 it appears to have been a commonplace that the fundamental human motivation is the desire for oneÌs own happiness, in the sense of pleasure, and that this desire can and should motivate human beings to seek enjoyment in the conIbid., 243 f. Tuveson, The Importance of Shaftesbury (as in note 17), 281; Locke, Essay Concerning Human Understanding (as in note 23), II, xxi, 31. 69 Locke, Essay Concerning Human Understanding (as in note 23), II, xxi, 41 f. 70 Shaftesbury, Characteristics (as in note 15), 243 f. 71 Cf. Glauser, Aesthetic Experience in Shaftesbury (as in note 44), 51 – 53. 72 On Stevenson and the importance of Shaftesbury in the essays written by his students: Peter Jones, The Scottish professoriate and the polite academy, 1720 – 46, in: I. Hont, M. Ignatieff (ed.), Wealth and Virtue, Cambridge 1983, 89 – 117, here 99 – 102. 67

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templation of beauty and therefore to cultivate virtue in themselves.73 There is no sign that this proposition embarrassed them, and it is difficult to imagine that attributing to Shaftesbury the egoistic hedonism it implies would have provoked them. Nor should it provoke us. Shaftesburys Moralphilosophie mit dem Begriff ,egoistischer HedonismusÍ zu fassen, scheint traditionellen wissenschaftlichen Darstellungen von Shaftesbury zu widersprechen. Doch kann dies durch eine genaue Untersuchung der Vorstellung Shaftesburys von der moralischen Erziehung gerechtfertigt werden. Diese Vorstellung ist egoistisch und hedonistisch, da Shaftesbury (1) voraussetzt, daß der wahre Beweggrund der tugendhaften Handlung der Wunsch nach dem eigenen, aus der Tugend folgenden Vergnügen ist, und (2) darstellt, wie der ,VirtuosoÍ zum höchsten Grad der Tugend durch seinen Wunsch nach Vergnügen geführt werden soll. Durch dieses Konzept konnte Shaftesbury John Locke widerlegen – aber nicht den egoistischen Hedonismus von Lockes Moralphilosophie, sondern deren angebliche Voraussetzung, daß moralische Prinzipien sowie der Beweggrund tugendhaften Handelns notwendigerweise von einem Gesetzgeber, der belohnen und strafen kann, willkürlich bestimmt werden. Although classifying ShaftesburyÌs moral philosophy as a species of Íegoistic hedonismÌ appears to fly in the face of scholarly common sense, it can be justified conclusively by a careful examination of the program of moral education that Shaftesbury describes in his printed works. This program of moral education is egoistic and hedonistic in the sense that Shaftesbury (1) presumes virtue to be motivated rightly by a desire for the pleasures it affords its possessor, and (2) proposes to lead the virtuoso to the highest degree of virtue by appealing to his love of pleasure. It provided Shaftesbury with a rebuttal not to the egoism and hedonism of John LockeÌs moral philosophy, but rather to what he perceived to be LockeÌs supposition that moral principles and the motivation to obey them are the arbitrary creation of a lawgiver with the power to reward obedience and punish disobedience. Dr. Simon Grote, Princeton University, Society of Fellows, Joseph Henry House, Princeton, NJ 08544, USA, E-Mail: [email protected]

E.g. Robert Clerk, On the Nature and Origin of Poetry, in: Essays by Students of John Stevenson, Edinburgh University Library, MS Gen 4.54, fol. 144; Gilbert Elliot, De pulchro, in: ibid., fol. 62. 73

Bjçrn Pecina Gefühlte Ganzheit Shaftesburys Metaphysik des ,moral senseÍ

I. Vorbemerkung Unsere Überlegungen beabsichtigen, einen Grundgedanken Shaftesburys nachzuzeichnen. Abgestellt wird dabei auf jene Naturmetaphysik, wie sie sich am Beginn des dritten Teils seiner Moralisten findet. In welcher Weise diese Metaphysik verknüpft ist mit dem Moralgefühl, versuchen wir am Schluß unserer Darlegung zu zeigen. Eine solche Themenstellung kommt natürlich nicht aus ohne das Eingeständnis, damit den Blick auf Shaftesburys großen Dialog erheblich zu verengen. Als besonders schwerwiegend mag dabei empfunden werden, daß die dem Dialog eigene diegetische Struktur, seine Neuformulierung skeptischer Philosophie im Modus eines zwanglosen Gesprächs, das damit verbundene Zurücktreten des Autors hinter das durch ihn inszenierte dialogische Geschehen, die der binnendialogischen Perspektive eigenen topographischen Sinnzuschreibungsfiguren und die dialektische Verschränkung extra- und intrafiktionaler Erzählelemente ausgeblendet bleiben müssen. Kurz: Wir übergehen weitestgehend all jene Momente, die Shaftesburys Hauptwerk als ein offenes Sinngeschehen kennzeichnen, das sich über die dialogische Struktur in seinem Vollzug selbst konstruiert. Dies hindert uns nicht, Alexandra Kleihues völlig zuzustimmen, wenn sie ihre Untersuchung zum dialogischen Formprinzip der Moralisten wie folgt resümiert: Das Programm, unabhängig von christlich-religiösem Glauben eine Ethik zu entwickeln, wird in eine philosophische Erkenntnissuche transformiert. Nur im Gespräch kann die unhintergehbare Voraussetzung, der ,Moral SenseÍ erschlossen werden, ohne daß er definiert, festgeschrieben werden muß. Hier soll er selbstevident sein, sowohl für die Gesprächspartner als auch für den Leser, der zur aktiven Teilnahme aufgefordert ist […]. Der Dialog trifft keine Aussagen über das Ergebnis der Naturbetrachtung, sondern er führt das Erlebnis selbst vor. Er unterläuft die Regeln objektivierenden Diskurses zugunsten einer Anstiftung zum selbständigen Erleben und Denken.1 Alexandra Kleihues, Der Dialog als Form. Analysen zu Shaftesbury, Diderot, Madame dÌÃpinay und Voltaire, Würzburg 2002, 106. 1

Aufklrung 22 · Ò Felix Meiner Verlag 2010 · ISSN 0178-7128

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Hier wird pünktlich die Konsequenz aus der Wirklichkeit und Sinn freisetzenden Dialogik gezogen, daß nämlich fixe rationale Gehalte immer auch dann, wenn sie vermeintlich diskursiv dingfest zu machen sind, unter dem dialektischen Vorbehalt jenes Gespräches stehen, das als eine zwischen den Sprechenden raumgreifende Erlebniswelt Entdeckungszusammenhänge stiftet. Diese beziehen sich zwar auch im Modus einer Einsicht oder Erkenntnis auf die Wirklichkeit, heben diese Wirklichkeit aber zugleich immer wieder auf in einen neuen, dem Erlebnis geschuldeten Sinn. So verstanden bildet der Dialog das wohl wirksamste Antidot einer Objekterkenntnis, die sich ihrer subjektivitätstheoretischen Voraussetzungen nicht bewußt ist und darum durch Negativitätsanfälligkeit kraftlos ins Leere läuft. Wenn wir dennoch Shaftesburys Hymnus so lesen, als wäre er diskursiv intendiert, dann darum, weil wir davon ausgehen, daß natürlich auch eine streng dialogische Betrachtung nicht auskommt ohne binnendialogische Bedeutungskerne, die dann ihrerseits wiederum in das dialogische Geschehen einzugehen vermögen. Auch ein ,vorgeführtes ErlebnisÍ hat ja einen Erlebnisgehalt, der zumindest einer Diskursivität unterstellenden Analyse zugänglich ist – auch dann, wenn diese Unterstellung das dialogische Geschehen in seiner Ganzheit nicht einzufangen vermag. II. Hymnische Gottesferne Die Passage am Anfang des dritten Teils der Moralisten indiziert in einer topographischen Metaphysik das Grunderlebnis ewigkeitsbetroffener Schau und Empfindung. So jedenfalls spricht sie sich aus in Shaftesburys berühmtem Naturhymnus. Die Einleitung dieses Hymnus visualisiert szenisch das Zwischenreich, in dem zwar das Dunkel der Nacht noch gegen den Tag sich behauptet, zugleich aber schon der nicht mehr ferne Anbruch des Tages sich dem Schläfer aufdrängt, der durch die schon Geschäftigen geweckt wird. It was yet deep Night, as I imaginÌd, when I wakÌd with the noise of People up in the House. I callÌd to know the matter; and was told that Theocles had a little before parted with his Friends; after which he went out to take his Morning-Walk.2

Hineingenommen in den Tagesanbruch erfährt der zur Nüchternheit neigende Philokles, daß sein gottesfürchtiger Mentor aufgebrochen sei zu einem Morgenspaziergang. Wiederholt nun tritt das Stichwort ,StörungÍ auf. Theokles, der Morgenspaziergänger, hinterläßt die Anweisung, den noch schlafenden Philokles nicht in seiner Ruhe zu stören, wobei dem gerade erwachten Schläfer genau Anthony Ashley Cooper, 3. Earl of Shaftesbury, The Moralists. A Philosophical Rhapsody, in: ders., Characteristicks of Men, Manners, Opinions, Times, Bd. 2, Indianapolis 2001, 191. Alle im folgenden in den Haupttext gesetzten Seitenzahlen beziehen sich auf diese Ausgabe der Characteristicks. 2

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dies zu einer Störung wird. Damit zeigt sich, wie die Intentionalität auf der Erzählebene ins Schwimmen gerät, indem schon hier die Absicht des Theokles, nicht stören zu wollen, zu einer solchen Störung des nicht Gestörten wird, daß er aufbricht, um in einem Gespräch mit dem Enteilten diese Störung noch einmal seinerseits zu stören.3 Der Dialog beginnt. Das Ethymon seines Namens realisierend übernimmt Theokles dabei die Rolle des Künders der wahren Religion, der – dem Silenus aus der Lucius Alfenus Varus gewidmeten sechsten Ekloge des Vergil gleich – durch zwei Satyrn gebunden und damit, wie ein alter Volksglaube vermeint, zum Singen genötigt wird.4 Daß es der nicht selten trunkene Lehrmeister und getreue Begleiter des Bacchus ist, von dem dieser Gesang erzwungen wird, läßt den Überschwang des nun folgenden Liedes assoziativ erahnen. Diese Ahnung wird partiell gedämpft durch Theokles, der zwar meint, die Schilderung der sich im leeren Raum verbindenden Erd-, Luft- und Himmelssamen auf die Trunksucht des Bacchusgefährten zurückführen zu können, ohne aber dabei zu vergessen, daß Vergil die Bacchantische Gesangseinlage in den Morgen verlegt hatte, weil hier die Chance, den Gott nüchtern anzutreffen, am größten sei.5 Wie schon etwa – um hier nur einige Beispiele zu nennen – in Platons Phaidros oder Nomoi, Ciceros De oratore, des Methodios von Olympos Symposion, Eberhard von Yperns Dialogus Ratii et Everardi oder George Berkeleys Three Dialogues between Hylas and Philonous findet sich auch in den Moralisten ein ,locus Shaftesbury, The Moralists (wie Anm. 2), 191: „For so he had left word; and that no-body in the mean time shouÌd disturb my Rest. This was Disturbance sufficient, when I heard it“ (Herv. B.P.). 4 Zur Überlieferung dieses Volksglaubens in der antiken Literatur vgl. Anton Westermann, Art. „Silenus“, in: Real-Encyclopädie der classischen Alterthumswissenschaft in alphabetischer Ordnung, hg. von August Pauly, Bd. 6, Abth. 1, Stuttgart 1852, 1185 – 1190, hier 1186. Man wird nicht zuletzt wegen der dialogischen Struktur des Textes, ein Dialogismus, von dem auch die Binnenargumentation der einzelnen Sprecherpassagen betroffen sein dürfte, heute nicht mehr davon ausgehen wollen, daß wir in Theokles die Autorintention und in Philokles den Skeptiker Pierre Bayle, mit dem Shaftesbury in Rotterdam unter einem Dach logiert hat, vor uns haben, wie das von Christian F. Weiser (Shaftesbury und das deutsche Geistesleben, Leipzig u. a. 1916, ND Darmstadt 1969, 155) noch ganz selbstverständlich angenommen wurde. Der Lesegenuß dieser in ihrer Art großartigen Shaftesburydarstellung wird allerdings getrübt durch Weisers hochideologische Absicht – wie Mark-Georg Dehrmann (Shaftesbury statt Spinoza. Die germanistische Erfindung Shaftesburys bei Wilhelm Dilthey, Christian Friedrich Weiser und Oskar Walzel, in: Christoph König, Marcel Lepper (Hg.), Geschichte der Germanistik, Göttingen 2006, 43 – 51, hier 45) treffend sagt –, „Shaftesbury in germanischer Rüstung in die Schützengräben seiner Gegenwart zu kommandieren“. Vgl. ebd., 43 ff. zur wissenschaftsgeschichtlichen Einordnung Weisers. 5 Der Wille zum Hymnischen hat sich offenbar bei Vergil selbst formbildend niedergeschlagen, wenn er bei der Beschreibung des weltlichen Urstoffes nicht auf die Atome Epikurs in ihrer anschauungsarmen Abstraktheit, sondern auf die Vier-Elemente-Lehre zurückgreift. Vgl. hierzu Günther Jachmann, Vergils sechste Ekloge, in: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie 58 (1923), 288 – 304, insb. 291. 3

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amoenusÍ, in den das Dialoggeschehen hineinverlagert ist.6 Die immer wieder zitierte Passage lautet: „O glorious Nature! supremely Fair, and sovereignly Good! All-loving and All-lovely, All-divine!“ (193). Spiegelt aber die Naturschönheit die viel erhabenere Schönheit des Göttlichen, so scheint sich in ihr zugleich auch die gefühlte Vollendung menschlichen Glückseligkeitsstrebens zu materialisieren. Adressat dieser Akklamation ist die Natur, die in ihrer an ein Kunstwerk – wenngleich dieses weit übertreffend („a nobler Spectacle than all which ever Art presented“ [194, Herv. B.P.]) – gemahnenden Schönheit in maßvoller Harmonie die Prädikate des Göttlichen zu tragen vermag: „Wise Substitute of Providence! impowerÌd Creatress […] impowering Deity, supreme Creator“ (194). Hier wird Gott also keinesfalls nur in der Natur wiedergefunden, etwa so, als würde das Naturschöne zu einer vollkommenen Metapher des Göttlichen, sondern die Natur ist nachgerade als eine Identifizierung Gottes mit sich selbst gedacht. Das aber bedeutet auch, daß diese Identifizierung nicht außerhalb des Göttlichen statthaben kann, das Gott begegnende Denken also nicht notwendiges Aufbaumoment des Gottesbegriffes selbst ist. Darauf weist Theokles hin, wenn er das Naturgöttliche so beschreibt, daß an ihm das Denken insofern seine Grenze hat, als der Sachverhalt, daß das Absolute gedacht wird, in den hier in Rede stehenden Begriff des Absoluten nicht mit aufgenommen ist: „Thy Being is boundless, unsearchable, impenetrable. In thy Immensity all Thought is lost“ (194, Herv. B.P.). Die unermeßliche Herrlichkeit des Göttlichen wird vom Menschen als so überwältigend empfunden, daß das religiöse Subjekt die Gottsuche notorisch sich erkaufen muß durch eine abgewertete Selbstverinnerlichung: Der seelische Aufschwung eines Sichvertiefens in die Gottheit wirft den Menschen immer neu auf sich selbst Shaftesbury, The Moralists (wie Anm. 2), 193: „Ye Fields and Woods, my Refuge from the toilsome World of Business, receive me in your quiet Sanctuarys, and favour my Retreat and thoughtful Solitude. Ye verdant Plains, how gladly I salute ye! Hail all ye blissful Mansions! Known Seats! Delightful Prospects! Majestick Beautys of this Earth, and all ye Rural Powers and Graces! BlessÌd be ye chaste Abodes of happiest Mortals, who here in peaceful Innocence enjoy a Life unenvyÌd, tho Divine; whilst with its blessÌd Tranquillity it affords a happy Leisure and Retreat for Man; who, made for Contemplation, and to search his own and other Natures, may here best meditate the Cause of Things; and placÌd amidst the various Scenes of Nature, may nearer view her Works“. Zum ursprünglich wohl auf die Bukolik zurückgehenden Motiv des ,locus amoenusÍ vgl. etwa Dörthe Schilken, Die teleologische Reise. Von der christlichen Pilgerallegorie zu den Gegenwelten der Fantasyliteratur, Würzburg 2002, 60 f., und neuerdings Gerhard Lohse, Der ,locus amoenusÍ bei Homer, Platon, Cicero, Vergil, Goethe, Tieck, Stifter und Handke – Zur Transformation eines antiken Inszenierungsmusters, in: G. L., Martin Schierbaum (Hg.), Antike als Inszenierung, Berlin 2009, 151 – 208. Über die Bedeutungen der Raumperspektive in Dialogen vgl. Vittorio Hösle, Der philosophische Dialog. Eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, 210 – 234; zu Shaftesburys Moralisten ebd., 230 f. Zu den ästhetischen Implikationen des Raumes als einer Kategorie, die zur schrittweisen Ablösung des Seinsbegriffes durch den Ordnungsbegriff führt, finden sich grundlegende Ausführungen bei Ernst Cassirer (Mythischer, ästhetischer und theoretischer Raum, in: Alexander Ritter (Hg.), Landschaft und Raum in der Erzählkunst, Darmstadt 1975, 17 – 35). 6

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zurück, um ihn hier der perspektivisch engen Grenzen seines eigenen Selbstverhältnisses gewahr werden zu lassen.7 Dabei wird das reflektierende Subjekt seines Geschaffenseins durch Gott inne, indem es zu der Einsicht gelangt, daß auch sein Gott-Denken noch umgriffen ist von der zeugenden Kraft des Schöpfers, dessen erhabene Geistgewalt vergessen macht, daß sich das Geschöpf als durch Gott geschaffen denkt.8 Diese Vergessenheit ist aber offenbar jener Ekstatik geschuldet, die in dem Gottsucher den Wunsch ununterdrückbar macht, nur noch tiefer in die Geheimnisse des Göttlichen einzudringen, um ihnen nun – wenn schon nicht in der Unmittelbarkeit reiner Anschauung oder reinen Denkens – in den Schöpfungswerken nachzuspüren. Hier scheint eine Reflexionsstufe erreicht, die aus sich selbst nicht mehr übersteigbar ist, da das sich sehnende Subjekt den Gegenstand seines Trachtens darum zu bitten sich unterfängt, überhaupt nach ihm trachten zu dürfen. Und um mehr noch bittet Theokles: Der Allmächtige möge Beistand leisten bei dem Vorhaben seines Geschöpfes, ihm suchend näherzutreten.9 Solchermaßen hat sich das religiöse Subjekt in eine gesteigerte Entfernung zu Gott gebracht: Nicht nur, daß am Ort des Gott-Denkens die Konstitutionskraft des Denkens noch immer hineingenommen wird in eine Andacht dem Schöpfer gegenüber, sondern auch die Rückbesinnung auf das in dieser Anbetung ja offenbar in Anwendung begriffene Denken geht noch einmal auf Distanz zu sich selbst, um das gedachte Absolute wiederum neuerlich als Instanz des ,Denkens selbstÍ zu inthronisieren. Der von Gott Ergriffene mag gespürt haben, daß nach solchem Paroxismus vorerst ein letztes Wort gesagt ist, und so bricht die Akklamation hier ab,10 ein Abbruch gleichwohl, der etwas verfrüht zu erfolgen scheint, denn der skeptische Geist des Philokles begann gerade, sich in den Gestus des Hymnischen hineinnehmen zu lassen: I only wish, said I, that you had been a little stronger in your Transport, to have proceeded as you began, without ever minding me. For I was beginning to see Wonders in that Nature you taught me, and was coming to know the Hand of your divine Artificer. (195)

Shaftesbury, The Moralists (wie Anm. 2), 194: „Thus having oft essayÌd, thus sallyÌd forth into the wide Expanse, when I return again within my-self, struck with the Sense of this so narrow Being, and of the Fulness of that Immense-one; I dare no more behold the amazing Depths, nor sound the Abyss of Deithy“ (Herv. z. T. B.P.). 8 Ebd.: „Yet since by Thee (O Sovereign Mind!) I have been formÌd such as I am“. 9 Ebd.: „Bear with my ventrous and bold Approach. And since nor vain Curiosity, nor fond Conceit, nor Love of ought save Thee alone, inspires me with such Thoughts as these, be thou my Assistant, and guide me in this Pursuit; whilst I venture thus to tread the Labyrinth of wide Nature, and endeavour to trace thee in thy Works“. 10 Theokles wendet sich nach seinem Hymnus an Philokles mit der Frage: „How have I appearÌd to you in my Fit?“ (ebd.), wobei Karl Wollf (Shaftesbury, Die Moralisten. Eine philosophische Rhapsodie, übers., eingel. und mit Anmerkungen versehen von Karl Wollf, Jena 1910, 103) ,FitÍ zwar stark interpretierend, aber doch treffend als ,ParoxismusÍ überträgt. 7

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Doch dafür ist es zu spät. „I shall lose the Enjoyment of the pleasing Vision. And already I begin to find a thousand Difficultys in fansying such a Universal Genius as you describe“ (195). Andacht und einfühlende Phantasie sind schon wieder gebrochen durch jenen Skeptizismus, der dem in hymnischer Anbetung verharrenden Subjekt die drückende Erinnerung daran zurückgibt, stets nur im Selbstvollzug das Göttliche und seine Schöpfungskraft nachvollziehen zu können. Es ist aber zugleich genau dieser Skeptizismus, der die hymnische Sprache umtauft in ein Reflexionsgeschehen, das die Besinnung auf das in Anbetung Geschaute insofern notwendig macht, als die skeptizistische Brechung des in Anbetung Geschauten nun ihrerseits noch einmal gebrochen werden muß. Damit ist die Ebene erreicht, auf der der Dialog beginnt, eine Theorie des religiösen Bewußtseins zu entfalten, die im Begriff der Ganzheit und des Selbst ihre zentralen Beschreibungshorizonte hat. Der hymnische Vorspann jedoch ist darin nicht erinnerungslos untergegangen, sondern zeigt gerade erst in dem folgenden reflexiven Nachvollzug seine religionstheoretische Funktion: Jedem Reflexionsvollzug des Göttlichen geht eine Ergriffenheit voraus, die sich überwältigen läßt und in dieser Überwältigung zugleich dessen inne wird, dem ins Denken gebrachten Göttlichen nicht reflexiv gerecht werden zu können.11 Es ist vielleicht eine der – in welchem philosophischen System auch immer – notwendig mitzuführenden Voraussetzungen des Nachdenkens über das Göttliche, nicht nur darum zu wissen, Gott im Wissen nicht haben zu können, sondern in diesem Wissen um das Nicht-wissen-Können ihn gerade wissen zu wollen.

III. Der ganze Gott Mit der folgenden Zugangsüberlegung leitet Shaftesbury durch den Mund des Theokles seine Überlegungen zu einer rationalen Stabilisierung des Gottesbegriffs ein: [I]s there any difficulty in fansying the Universe to be One Intire Thing? Can one otherwise think of it, by what is visible, than that All hangs together, as of a Piece? (195)

Damit ist der Einstieg in eine diskursive Erörterung jener Momente gegeben, die im Hymnus schon angeklungen sind, wobei sich die Zugangsüberlegung zuerst Wenn Ludwig von Bar (Die Philosophie Shaftesburys im Gefüge der mundanen Vernunft der frühen Neuzeit, Würzburg 2007, 108) mit Blick auf den hier in Rede stehenden Hymnus schreibt, sofern „etwas nicht erscheint und somit unserem Bewußtsein nicht zugänglich ist, ist es für Shaftesbury ohne Interesse“, entdifferenziert er den Gedanken Shaftesburys. Die Pointe nämlich, daß das Wissen um ein Nicht-wissen-Können des Absoluten immer zugleich einen abstrakten Vorbegriff des Absoluten haben muß, um dann die Triftigkeit dieses Begriffs reflexiv ratifizieren zu können, vermag hier gar nicht in den Blick zu geraten. 11

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dem Universum als einem umgreifenden Ganzen zuwendet. Eine ,einheitliche GanzheitÍ aber wirft sofort die Frage nach ihrer rationalen Konsistenz auf, da die solchermaßen bezeichnete Einheit eben eine bezeichnete Einheit ist, wobei dann diese Bezeichnung eine Fremdzuschreibung darstellen würde. Das ließe die intendierte Einheit schon im Ansatz durch Negativität kollabieren. Wenn sich also hinter dem in Frage stehenden Begriffsausdruck ein Intendierbares verbergen soll, so muß es als eine aus sich selbst heraus tätige Selbstorganisation gedacht werden, die durch den Bezeichnungsvorgang keinesfalls fremdbestimmt zu werden vermag. Ein solches selbstorganisiertes Universum hat Shaftesbury im Auge, wenn er davon spricht, daß ,alles zusammenhängtÍ. Prima facie ließe sich diese Aussage wie folgt formalisieren: Für jeden Sachverhalt, auf den wir nach Maßgabe der uns sichtbaren Dinge schließen, gilt: Er hängt mit einem anderen Sachverhalt zusammen. Doch griffe eine solche Allquantifizierung zu kurz, da sie offenließe, ob es nicht etwas gegeben habe, was nun nicht mehr ist und folglich diesen Allzusammenhang mit Negativität auflüde, indem es aus ihm herausfällt. Damit wäre zugleich auch gesagt, daß das Prinzip der Ganzheit als eines Allzusammenhanges in ihr selbst liegen muß,12 denn in diesem Fall – und nur in diesem – vermag erfolgreich ausgeschlossen zu werden, daß das Ganze – larviert – von Gnaden eines ihm Anderen ist. Die Triftigkeit aber des Schlusses von einer angenommenen einheitlichen Ganzheit auf ein Prinzip, das dieser Ganzheit organisierend innewohnt, ist von höchster Wichtigkeit, weil anders der skeptische Einwand, daß der hymnologischen Seinsversenkung des Theokles nur so lange ein Wahrheitsmoment zuzuerkennen sei, als es dem Paroxisten gelingt, die Andachtsgestimmtheit aufrechtzuerhalten, nicht aus der Welt zu schaffen wäre.13 Shaftesbury sucht, das Einheitsproblem dadurch einer Klärung entgegenzuführen, daß er auf die Evidenz des Erfahrungs- und Anschauungswissens zurückgreift, um von hier aus einen weitgehenden Plausibilitätsgewinn für die Ableitungen zur Identität einer All-Einheit zu ziehen. Daß er sich dabei einer Überlegung bedient, die schon von John Locke herangezogen wurde, um dann nicht unbedeutend von seinem Lehrer abzuweichen, läßt es als sinnvoll erscheinen, unsere Interpretation des Shaftesburyschen Gedankenganges zu unterbrechen, um kurz auf die Identitätsfrage bei Locke einzugehen.

Shaftesbury, The Moralists (wie Anm. 2), 195: „And what follows? Only this; that if it may indeed be said of the World, That it is simply One, there shouÌd be something belonging to it which makes it One“ (Herv. z. T. B.P.). 13 Auch Wolfgang H. Schrader (Ethik und Anthropologie in der englischen Aufklärung. Der Wandel der moral-sense-Theorie von Shaftesbury bis Hume, Hamburg 1984, 20) weist auf die grundlegende Bedeutung dieses Schlusses hin, weil erst mit dem „Aufweis eines vereinigenden Prinzips […] TheoklesÌ herrliche Vision […] vom Universum als einem einzigen Ganzen ihre Bestätigung und Rechtfertigung erhält“. 12

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1. Begriffene Identität (John Locke) Locke behandelt die Frage der Identität im 27. Kapitel, das er der zweiten Auflage seines Essay concerning human understanding (21694) aufgrund eines Gedankenaustausches mit William Molyneux hinzugefügt hat.14 Mit der folgenden Zugangsdefinition nähert sich Locke dem Identitätsproblem: „[C]onsidering any thing as existing at any determined time and place, we compare it with itself existing at another time, and thereon form the ideas of identity and diversity“.15 Raum und Zeit bilden also das Kriterium dafür, einem Ding Identität zuschreiben zu können. Das, was nämlich an einer bestimmten Raum-Zeit-Stelle als ein Bestimmtes ansprechbar ist und zugleich den Wechsel an eine andere Raum-ZeitStelle veränderungslos zu überstehen vermag, kann in einem vorläufigen Sinne als identisch bezeichnet werden.16 Damit ist das Principium-individuationis-Problem angesprochen, das zu den herausragenden Denkbemühungen scholastischer Philosophie und Theologie gezählt werden muß.17 Platon und besonders Aristoteles hatten mit der Formbestimmtheit von Materialität den Denkraum abgesteckt, innerhalb dessen sich die scholastische Debatte abspielen sollte. Die Schwierigkeit, das Individuationsprinzip innerhalb der durch Aristoteles vorgegebenen Morphe-Hyle-Dichotomie zu klären, ohne dabei den von den Scholastikern mitgeführten und im Rahmen der Platonisch-Aristotelischen Philosophie kategorialisierten Dogmenbestand zu verunkenntlichen, veranschaulicht schon Thomas von Aquin, wenn er das Individualitätsprinzip – gleich Albert dem Großen – in der ,materia signataÍ zu finden meint,18 was den Bischof Stephan Tempier Am 23. August 1693 schreibt John Locke (Familiar letters between Mr. John Locke, and several of his friends. In which are explained, his notions in his Essay concerning human understanding, and in some of his other works, London 41742, 51) an Molyneux: „You will herewith receive a new Chapter of Identity and Diversity, which having writ only at your Instance, Ìtis fit you should see and judge of it before it goes to the Press“. Hierauf repliziert Molyneux am 16. September 1693 (ebd., 52): „I have yours from Oates of Aug. 23. with your Chapter of Identity and Diversity; and I acknowledge my self extremely obliged to you, for being at all that Thougt on my Account“. 15 John Locke, An essay concerning human understanding, London 301849, II/27, 1. 16 Ebd.: „[I]n this consists identity, when the ideas it is attributed to vary not at all from what they were that moment wherein we consider their former existence, and to which we compare the present“. 17 Zum mittelalterlichen Individuationsproblem äußert sich sehr kurz, aber mit hilfreicher Prägnanz: Ulrich Barth, Das Individualitätskonzept der ,MonologenÍ. Schleiermachers ethischer Beitrag zur Romantik, Tübingen 2004, 302 f. 18 Thomas von Aquin, Über Seiendes und Wesenheit = De ente et essentia. Lateinisch-deutsch, hg. mit Einl., übers. und kommentiert von Horst Seidl, Hamburg 1988, Cap. II, 18 f., 12 : „Sed quia individuationis principium materia est, ex hoc forte videtur sequi quod essentia, quae materiam in se complectitur simul et formam, sit tantum particularis et non universalis. Ex quo sequeretur quod universalia diffinitionem non haberent, si essentia est id quod per diffinitionem significatur. Et ideo 14

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zu der Einrede, daß der Aquinate damit den Glauben an eine personale Identität der Engel und der Seele darangegeben hätte, veranlaßte.19 Einen anderen Lösungsansatz sollte Duns Scotus wählen, indem er von dem ontologischen Letztheitskern als des individuierenden Prinzips abging, um nunmehr das Individuelle in dem Vorsprung zu suchen, den das Individuum als ein ursprünglich Unterschiedenes vor seiner natürlichen Bestimmtheit als Mensch hat.20 Das durch Duns geprägte Kunstwort der ,haecceitasÍ wurde später hierfür von seinen Schülern verwandt – er selbst machte nur sehr selten Gebrauch von diesem Begriff.21 Die Konzeption des Wilhelm von Ockham, das Individuationsprinzip seines prinzipiellen Charakters zu entkleiden und die Prinzipiensuche auf das Allgemeine umzulenken, indem er davon ausgeht, daß das ursprünglich Reale in numerischen Einzelexistenzen existierte, führt schon einen beachtlichen Schritt näher an die durch Locke entfaltete Position heran.22 Für Locke ergibt sich der endgültige Abschied von der scholastischen Debatte um das ,principium individuationisÍ, weil sich ihm das Problem eines Kriteriums, unter dessen Angabe etwas als Individuum anzusprechen ist, gar nicht mehr in der alten Weise stellt. Individuell ist eine Entität immer schon genau dann, wenn ihr das Vorhandensein zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort prädiziert werden kann.23 Da wir Locke mit Blick auf Shaftesbury betrachten, ist das in Rede sciendum est quod materia non quolibet modo accepta est individuationis principium, sed solum materia signata“ (Herv. z. T. B.P.). 19 Vgl. Carl Prantl, Geschichte der Logik im Abendlande, Bd. 3, Leipzig 1867, 184. 20 Johannes Duns Scotus, Doctoris subtilis et Mariani Ioannis Duns Scoti, ordinis Fratrum Minorum Opera Omnia, Studio et Cura commissionis scotistae ad fidem codicum edita, praeside P. C. Balic´, Rom 1950 ff., Ord. II d. 3 p. 1 q. 5 – 6 n. 170: „Item, omnis differentia differentium reducitur ultimate ad aliqua primo diversa (alioquin non esset status in differentibus); sed individua proprie differunt, quia sunt ,diversa aliquid-idem entiaÍ; ergo eorum differentia reducitur ad aliqua quae sunt primo diversa“. 21 Vgl. aber Ioannis Duns Scoti Doctoris Subtilis Ordinis Minorum Quaestiones subtilissimae, in Metaphysicam Aristotelis Lib. VII Q. XIII Schol. III 9, in: Johannes Duns Scotus, Opera omnia IV, Lyon 1639, ND Hildesheim 1968, 701: „Probatur maior, quia nihil est de se unum unitate maiori sua propria unitate: quia cum unitate minori sine contradictione potest stare multitudo opposita unitati maiori, quae multitudo non potest stare cum unitate maiori. Probatio minoris, quia si nulla unitas realis naturae est minor, haecceitate, nec unitas realis suppositi est minor. Patet, nulla erit unitas realis minor numerali; consequens est falsum, quia tunc omnis unitas realis est numeralis, quod improbatur postea. Respondetur ad probationem minoris, quia aliqua unitas realis est minor; sed nec propria naturae, nec suppositi“. 22 Vgl. die mit zahlreichen Quellenzitaten angereicherte Darstellung von Prantl, Geschichte der Logik (wie Anm. 19), 344 – 361. 23 Locke, Essay concerning human understanding (wie Anm. 15), II/27, 3: „From what has been said, it is easy to discover, what is so much inquired after, the principium individuationis; and that, it is plain, is existence itself; which determines a being of any sort to a particular time and place incommunicable to two beings of the same kind“.

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stehende 27. Kapitel auch deswegen interessant, weil Locke hier jenes Beispiel aus der Pflanzenwelt für eine gelungene Individuation gibt, dessen sich auch der nach dem deklamierten Hymnus reflexiv werdende Theokles bedienen wird, genau an jener Stelle, an der wir den Shaftesburyschen Gedankengang verlassen hatten. Nachdem Locke, wie wir gesehen haben, die Identität in einem ersten Zugriff als eine Lokalchronik des Daseins gefaßt hat, bleibt natürlich das Problem bestehen, daß diese Identität als Individuiertheit in einem durchaus unterschiedlichen Sinne angewandt wird auf organische und leblose Entitäten. Locke entwickelt nun, wie dieser Unterschied fruchtbar zu kommentieren ist. In einer ersten Annäherung wäre zu sagen, daß der Unterschied von lebloser Materie und Organischem in einer höheren und komplizierteren Strukturiertheit des organischen Lebens zu liegen scheint. Wenn sich Locke im weiteren der Beschreibung dessen zuwendet, was die Individuation der Pflanze ausmacht, so geht er offenkundig in zwei Schritten vor, indem er zuerst zeigt, welche Artmerkmale einer Eiche als einem Baum zukommen müssen, um dann diesen Baum – von allen anderen Individuen unterschieden – als Individuum ansprechen zu können. Zuerst wird dabei die Beschreibung der Eiche als eines lebendigen Organismus gesucht, um davon dann eine bloß aggregative Zusammenkunft von unbelebter Materie zu unterscheiden. Motiviert wird diese Unterscheidung dadurch, daß sowohl lebendige Organismen als auch leblose Materieaggregationen der Veränderung ausgesetzt sind, ein Umstand, der in die obige Zugangsdefinition nicht mit eingegangen ist, was aber zur Folge haben kann, daß somit die ja gleichwohl auch statthabende spezifische Differenz beider aus dem Blick geraten könnte.24 Offensichtlich nämlich sprechen wir von der Identität etwa eines Steines und einer Pflanze in einem durchaus verschiedenen Sinn. Wenn diese aber schon auf der Erfahrungsebene vorhandene Differenz auch individuationstheoretisch zur Geltung gebracht werden soll, so muß Locke eine triftige Definition dessen geben, was das genaue Unterscheidungskriterium eines lebenden Organismus ist, so denn zugleich gilt, daß auch dieser Organismus – trivialerweise – keineswegs veränderungsresistent ist. Darum fixiert Locke in seinem ersten Definitionsschritt einen Artbegriff, unter den dann das Individuum ,EicheÍ fällt. Hierbei bedient er sich jener Beschreibungsmerkmale des äußerlich Sichtbaren, dessen also, wessen man bei der Betrachtung und Beobachtung eines Baumes immer wieder gewahr wird.25 Sind somit die Erkennungsmerkmale eines Baumes festgelegt, so wird die Auf die Veränderung als treibendes Moment, artspezifische Differenzierungen vorzunehmen, weist Udo Thiel (Lockes Theorie der personalen Identität, Bonn 1983, 29) hin. 25 Locke, Essay concerning human understanding (wie Anm. 15), II/27, 4: „We must therefore consider wherein an oak differs from a mass of matter, and that seems to me to be in this, that the one is only the cohesion of particles of matter any how united; the other such a disposition of them as constitutes the parts of an oak, and such an organization of those parts as is fit to receive and 24

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Beschreibungsebene nun tiefer gelegt, indem Locke darauf abstellt, daß dies durch Beschreibung gewonnenen Merkmale zu einem Träger dieser Merkmale gehören müssen, einer Quasi-Substanz also, der man dann diese Eigenschaften zu- oder abzusprechen vermöchte. Ein solcher kohärenter Leib-Körper, wie man Locke vielleicht übertragen könnte, müßte dann seinerseits kontinuierlich an einem Leben teilnehmen, in dem sich ein Zusammenhang aller Teile über die Unterbrechungen durch Veränderung hinweg immer wieder neu herstellt.26 Indem aber stets wiederkehrende Merkmale einer bestimmten Trägersubstanz implantiert werden, die eine in sich selbst organisierte Struktur der Teilnahme an dem umgreifenden Aktivitätssachverhalt ,LebenÍ bilden, ist noch nicht zur Bestimmtheit gekommen, was denn genau das Kriterium für die numerische Identität der Eiche als eines Baumes sei, der sich von allen anderen Eichbäumen unterscheidet resp. in dieser Unterschiedenheit genau seine Bestimmtheit als einer numerischen Identität hat. Dieses Kriterium benennt Locke in einem zweiten Definitionsschritt mit den Worten: [I]t continues to be the same plant as long as it partakes of the same life, though that life be communicated to new particles of matter vitally united to the living plant, in a like continued organization conformable to that sort of plants.27

Erst dann also, wenn eine organische Entität an dem besagten Leben teilnimmt, wodurch nicht nur eine Instanz gesetzt ist, der die in Rede stehenden Eigenschaften zugeschrieben werden können, sondern die selbst auch die sie kennzeichnenden Merkmale auf sich bezieht, ist im eigentlichen Sinn von Identität zu reden. Anders nämlich wäre nicht sicher davon auszugehen, daß Identität bei sich selbst ist, wenn ihr diese Eigenschaften zugeschrieben werden. Das aber wird nur erreicht, wenn diese Identität jene ihr zukommenden Artmerkmale auf sich bezieht und sich solchermaßen numerisch identisch macht. Die hier von uns in Anwendung gebrachte Interpretationssprache führt natürlich die Mißverständlichkeit, daß die von Locke herausgebrachte Identität nach der Relationsfigur eines Selbstverhältnisses aufgebaut sei, mit sich.28 Nichts weniger aber als eine Selbstbezügdistribute nourishment, so as to continue and frame the wood, bark, and leaves, &c. of an oak, in which consists the vegetable life“. 26 Ebd.: „That being then one plant which has such an organization of parts in one coherent body, partaking of one common life“. 27 Ebd. (Herv. B.P.). 28 Eine sehr niederstufige Selbstverhältnisfigur – wenn überhaupt – ließe sich nach Locke dann erst in einem personalen Identitätsbewußtsein finden. Vgl. Locke, Essay concerning human understanding (wie Anm. 15), II/27, 9: „This being premised, to find wherein personal identity consists, we must consider what ,personÍ stands for; which, I think, is a thinking intelligent being, that has reason and reflection, and can consider itself as itself, the same thinking thing, in different times and places; which it does only by that consciousness which is inseparable from thinking, and it seems to me essential to it: it being impossible for any one to perceive, without perceiving that he does

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lichkeit hat Locke im Sinne. Vielmehr ist jenes Gesetzte, das auf sich selbst eine Eigenschaftsmenge bezieht, genau der Identitätskern, von dem triftig und ohne jeglichen Vagheitsrest numerische Identität auszusagen sei. Dabei bildet sich diese Identität gewissermaßen im Zugleich mit der ihr prädizierten Artdifferenz und wird ausschließlich von dem Sachverhalt, daß eine Artzuschreibung vorgenommen zu werden vermag, hervorgebracht.29

2. Identische Identität (Shaftesbury) Sehen wir nun dem Shaftesburyschen Theokles dabei zu, wie er – die Lockesche Identitätskonzeption bildet hier ganz offensichtlich den Hintergrund – jene Identität einer Ganzheit zu entwickeln trachtet, die den nachgeordneten Rationalisierungsgewinn seines Naturhymnus erbringen soll. Wie schon angedeutet, ist auch hier das arborale Exempel in Anwendung. Wir hatten den Shaftesburyschen Gedankengang verlassen bei der Frage nach einer plausiblen Begründung für des Theokles hymnische Rede von der Allheit. Die All-Einheit des Universums sei nichts anderes als das, was sich bei genauer Beobachtung der Natur erschließt. Dabei wird dem Skeptiker unterstellt, er würde nicht vorzudringen vermögen perceive. When we see, hear, smell, taste, feel, meditate, or will any thing, we know that we do so“ (Herv. B.P.). Reflexion wäre dann – so Falk Wunderlich (Kant und die Bewußtseinstheorien des 18. Jahrhunderts, Berlin 2005, 9) – eine Vorstellung zweiter Ordnung, die Handlungen des Geistes voraussetzt und sich auf diese richtet. Darum weist Bertram Kienzle (Die Bestimmung des Janus. Ereignisontologische und ereignislogische Grundlagen des analytischen Existenzialismus, Tübingen 2007, 177) darauf hin, daß die Lockesche Personalidentität nur immer in einem dreigliedrigen Satz zum Ausdruck kommen kann, so nämlich, daß ein Subjekt von einer wahrnehmenden Instanz als ,identisch mit einem anderen SubjektÍ, dessen Andersheit aber nur eine raum-zeitliche Dimension hat, erkannt wird. 29 Diese Hervorbringung ist auch der Ort, an dem die Locke-Literatur von den Artausdrücken oder sogenannten Sortalprädikaten als Zählwörtern, deren Identitätskriterium man genau in dem Moment mitversteht, da man die Bedeutung des Ausdrucks verstanden hat, zu handeln pflegt. Vgl. hierzu etwa Udo Thiel, Individuation und Identität, in: John Locke. Essay über den menschlichen Verstand, hg. von Udo Thiel, Berlin 1997, 149 – 168, hier 160 f. John Locke selbst (wie Anm. 15, III/ 3, 15) hat dabei durch die folgende Passage das Interpretationsstichwort gegeben: „But it being evident that things are ranked under names into sorts or species only as they agree to certain abstract ideas to which we have annexed those names, the essence of each genus or sort comes to be nothing but that abstract idea, which the general or ,sortalÍ (if I may have leave so to call it from ,sortÍ, as I do ,generalÍ from genus) name stands for. And this we shall find to be that which the word ,essenceÍ imports in its most familiar use“. Daß es sich also bei Lockes Identitätsbegriff um ein komplex aufgebautes relationales Zuschreibungskonzept handelt, hat die einfühlsame und dann allerdings religionstheoretisch konsequent über Locke hinausgehende Studie von Christopher Zarnow (Identität und Religion. Philosophische, soziologische, religionspsychologische und theologische Dimensionen des Identitätsbegriffs, Diss. Halle a. d. S. 2008, 58 – 126, bes. 125 f.) gezeigt.

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zu einer Wahrnehmung der Dinge, die über eine unterscheidungslogische Identitätsvermutung hinausgeht. „I know you look upon the Trees of this vast Wood to be different from one another“ (195, Herv. z. T. B.P.). Diese Perspektive aber kann nur zu einer Unterbestimmung des Baumes führen. „And this tall Oak […] as it is by it-self a different thing from all its Fellows of the Wood […] Ìtis still […] one and the self-same Tree“ (ebd.). Offensichtlich, so darf man die Adversation verstehen, ist mit der Dieselbigkeit eines Dings ein Sachverhalt gemeint, der zwar einer differenztheoretischen Lesart nicht widerspricht, aber auch nicht in dieser aufgeht. Man mag vielleicht wie folgt paraphrasieren: Auch wenn es nicht abzustreiten ist, daß ein Baum sich dadurch als eben dieser Baum herausstellt, als er sich von allen anderen Dingen, die er nicht ist, unterscheidet, so ist doch der Baum in seiner Dieselbigkeit – „it is by it-self a different thing from all“ – auch immer schon in dieser differenzlogischen Beschreibung vorausgesetzt. Wie Locke sucht auch Shaftesbury ein Unterscheidungskriterium dafür zu benennen, daß sich offensichtlich eine Pflanze unterscheidet von einem unbelebten Gegenstand, eine Unterscheidung, die Locke, wie wir gesehen haben, in der ,Teilhabe an einem gemeinsamen LebenÍ gefunden hatte. Dieses Kriterium übernimmt Shaftesbury nur teilweise, wenn er zwar auch von einer gemeinsamen Lebensnatur spricht, die allen Teilen der in Rede stehenden Eiche innewohnt, aber zugleich über dieses Kriterium hinausgeht, indem er den zusammenwirkenden Teilen der Pflanze eine immanente Teleologie zuschreibt. Damit ist gesagt, daß das Ganzheitsmoment nicht allein in einem lebendigen Zusammenstimmen und Zusammenwirken der jeweiligen Suborganisationen eines lebenden Organismus statthat, sondern dieses Zusammenwirken auch getragen ist von einer gemeinsamen Richtung auf ein Ziel hin. Das Zusammenwirken wäre dann kein aus sich selbst heraus nur funktionierender Mechanismus, sondern der gesamte Organismus hätte somit im sinnvollen Zusammenwirken seiner Teile zugleich einen gemeinsamen Zweck, der in dieser Wirkung insofern mitgesetzt ist, als der ganze Organismus auf den Zweck aus ist. Dieser Zweck stellt somit das dem Organismus, wie Locke ihn verstanden hat, Andere dar.30 Weil aber dieses dem Baum Andere, das als einen Zweck Shaftesbury, The Moralists (wie Anm. 2), 195 f.: „That wherever there was such a Sympathizing of Parts, as we saw here, in our real Tree; Wherever there was such a plain Concurrence in one common End, and to the Support, Nourishment, and Propagation of so fair a Form; we couÌd not be mistaken in saying there was a peculiar Nature belonging to this Form, and common to it with others of the same kind“. Der Gedanke eines inneren Zweckes von lebenden Organismen, der sich vom äußeren Zweck eines etwa durch Handwerkskunst hergestellten zusammenwirkenden Mechanismus – im Beispiel Lockes einer Uhr – unterscheidet insofern, als das Zweck-Moment hier in der Absicht dessen liegt, der diese Uhr herstellt, wird von Locke am Begriff der ,inneren BewegungÍ expliziert. Locke, Essay concerning human understanding (wie Anm. 15), II/27, 5: „For example: What is a watch? It is plain it is nothing but a fit organization or construction of parts to a certain end, which, when a sufficient force is added to it, it is capable to attain. If we would suppose this machine 30

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seiner selbst immer neu zu internalisieren, die persistente Selbst- und Existenzsetzung des Baumes darstellt, ist es angezeigt, den Baum als einen über alle Veränderungen hinweg identischen oder mit sich selbst gleichen anzusprechen.31 Damit wird hier schon deutlich, worin Shaftesbury, wenn er die Identität am Beispiel pflanzlichen Lebens beschreibt, sich von Locke unterscheidet. Während Locke nämlich in einer Prädikationspraxis sortaler Zuschreibungen das die Identität sicherstellende Moment sieht, greift Shaftesbury diese Überlegung zwar auf, wandelt sie aber in einen propädeutischen Durchschlagpunkt für die Sichtbarmachung des Selbst als eines identifizierenden Reflexivums, das sich im niederstufigsten lebenden Organismus schon zeigt und dann auf allen höheren Ebenen des Natürlichen durchhält. Hat Shaftesbury in einer unmittelbaren Evidenz aus dem pflanzlichen Leben den Absprung gefunden zum Selbst als einem Operator, mit dem er über Locke hinauszugehen trachtet, um es nun als Grundlage aller weiteren Deduktionen in Anwendung zu bringen, so wird natürlich zugleich deutlich, daß hinsichtlich der Frage, was eine Person sei, das Selbst des Eichbaumes keine Aufhellung mehr zu geben vermag. Leaving, therefore, these Trees, continuÌd he, to personate themselves the best they can, let us examine this thing of Personality between you and me; and consider how you, Philocles, are You, and IÌm My-self (196).

Damit ist nicht nur die subjektivitätstheoretische Ausgangslage geschaffen, von der aus sich das Problem einer Explikation des Selbst aufzuklären hätte, sondern Shaftesbury nimmt diese Aufklärung auch ausdrücklich mit hinein in das dialogische Geschehen, in dem Theokles an Philokles sich wendet, um zur Erhellung des Selbst als des die beiden Personen individuierenden Momentes aufzurufen. Dies ist bedeutsam. Denn nun wird innerhalb des dialogischen Geschehens angesprochen, was dieses Geschehen allererst zu einer möglichen Vergegenwärtigung von auf Gegenseitigkeit angelegten Sinnerwartungen macht: jenes Selbst, das im Dialog immer schon in Anspruch genommen und diesem somit auch dann vorausgesetzt ist, wenn sich das Dialogische als eine dialektische Selbst-Erzeugung im Anderen vermeint. one continued body, all whose organized parts were repaired, increased, or diminished, by a constant addition or separation of insensible parts, with one common life, we should have something very much like the body of an animal, with this difference, that in an animal the fitness of the organization, and the motion wherein life consists, begin together, the motion coming from within; but in machines, the force coming sensibly from without, is often away when the organ is in order, and well fitted to receive it“ (Herv. B.P.). 31 Shaftesbury, The Moralists (wie Anm. 2) 196: „By virtue of this, our Tree is a real Tree; lives, flourishes, and is still One and the same; even when by Vegetation and change of Substance, not one Particle in it remains the same“.

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Offenkundig gibt es im Bereich evidenter Selbsterfahrung eine feste Gewißheit darüber, daß unsere personale Identität Bestand hat, obwohl wir zugleich der ständigen Veränderung unserer biologischen Substanz eingedenk sind. Darum ist uns deutlich, daß wir dieses personale Identitätsgefühl jenseits der Teile unseres Körpers zu suchen haben.32 Über die Einsicht also, daß der Mensch eine Person ist, dessen Person-Sein sich darin zum Ausdruck bringt, daß er sich zu sich selbst verhalten kann, vermag innerhalb des Dialoges zwischen Gottsucher und Skeptiker durchaus Übereinstimmung erzielt zu werden.33 Und damit, so wird man hier schon sagen können, gibt es im Bereich der Selbsterfahrung als einer möglichen Selbstbeziehung einen Anhaltspunkt, der den Schluß auf ein Umgreifendes als zwingend erscheinen läßt. Das in der Selbstbeziehung als Fundament für einen solchen Schluß geortete Gewißheitsgefühl hält Theokles für dermaßen überzeugend, daß es nicht nur skeptizismusresistent, sondern ein durch den Skeptizismus sogar hervorgetriebenes Argument ist, weil auch der Skeptiker nur von Gnaden dieses Selbst skeptisch zu sein vermag. Im Binnenraum des Dialogs wird der Evidenzgewinn, den das Subjekt durch die Beobachtung erlangt, sich in stiller Intromission zu sich selbst verhalten zu können, nicht durch theoretische Ableitungen von Selbstvoraussetzungszwängen, sondern durch das merkliche Anschwellen vokaler Erregtheit indiziert: In fine, continuÌd Theocles (raising his Voice and Action) being thus, even by Scepticism it-self, convincÌd the more still of my own Being, and of this Self of mine, That Ìtis a real Self, drawn out, and copyÌd from another principal and original Self (the Greatone of the World) I endeavour to be really one with it, and conformable to it, as far as I am able (201).

Beginnt man mit einer Analyse der Passage, so liegt es nahe, die religionsphilosophische Pointe Shaftesburys in der folgenden – und ja dann auch von Späteren ausgesprochenen – Überlegung zu sehen: Innerhalb der materialen Zeitigung des Individuums hält sich eine Identität durch, die von der raum-zeitlichen und biophysischen Kontingenz der Person unbetroffen ist. Diese Identität beschreibt Ebd.: „Now where, I beseech you, will that same One be found at last, supposing it to lie in the Stuff it-self, or any part of it? For when that is wholly spent, and not one Particle of it left, we are Ourselves still as much as before“. 33 Die Evidenz dieser Einsicht erweist sich noch einmal dadurch, daß des Theokles Gesprächspartner Philokles sie einwandslos bestätigt, um unmittelbar darauf wieder auf seine skeptische Grundhaltung zu verweisen: „Truly, said I [sc. Philokles], as accidental as my Life may be, or as that random Humour is, which governs it; I know nothing, after all, so real or substantial as My-self. Therefore if there be that Thing you call a Substance, I take for granted I am one. But for any thing further relating to this Question, you know my Sceptick Principles“ (a.a.O. 198). Der Ausdruck ,PersonalitätÍ für die Bezeichnung des Menschen als eines einheitlich-identischen moralischen Wesens ist von Ralph Cudworth im englischen Sprachgebrauch heimisch gemacht worden. Vgl. hierzu Schrader, Ethik (wie Anm. 13), 23. 32

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Shaftesbury als ein Selbst, wobei das Reflexivum auf ein Verhältnis zu zielen scheint, das die personale Identität – im Rückgang auf sich – aufzubauen vermag, kurz: ein Selbstverhältnis. Und an den Sachverhalt dieses Selbstverhältnisses einer Person bindet Shaftesbury den Gottesgedanken zurück, weil ihm so eine besondere Evidenz zukommt. Mit dieser Lesart ist zwar die antimetaphysische Tendenz des Textes getroffen, doch gibt die metaphysikkritische Bindung der Religion an Selbst- und Weltauslegungsvollzüge des religiösen Subjekts Shaftesburys Intention nur verkürzt wieder, da er Selbstbezüglichkeit einer Theorie umgreifender Ganzheit einzeichnet. Dies zeigt der zweite Teil der Passage sehr deutlich, in dem wie selbstverständlich vom Selbstverhältnis der Person geschlossen wird auf den größeren Zusammenhang des All-Einen, so daß das persönliche Selbstverhältnis als ein abkünftiger Modus dieser Einheit sich darstellt. Es ist nun bemerkenswert, daß Shaftesbury das personale Selbst nicht nur einer Henologie einschreibt, sondern dieses höchste Sein dann auch noch einmal als ein Selbst kennzeichnet. Diesem Selbstverhältnis am Ort des höchsten Seins kommt aber nicht nur eine Ordnungsfunktion hinsichtlich alles Natürlichen zu, so etwa, als wäre es nur eine finale ontologische Ermöglichungsbedingung von natürlichem Sein, sondern als ein Selbst gibt dieser letzte Ursachenzusammenhang auch einen handlungsauslösenden Impuls an das Individuum weiter, das sein Leben danach ausrichtet, ihm nachzueifern, und darin offenkundig den tieferen Sinn seines innerweltlichen Daseins erblickt.34 Die Ähnlichkeit dieser Konzeption mit Plotins Henologie bleibt auffällig und bemerkenswert, wie auch immer man diese Nähe im einzelnen einschätzen mag. Darauf nachdrücklich hingewiesen zu haben, ohne dabei allerdings eine unmittelbare Beeinflussung Shaftesburys durch Plotin nachweisen zu können, bleibt das Verdienst der Studie von Hermann F. Müller (Hermann F. Müller, Shaftesbury und Plotinos, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift 7 (1915 – 1919), 503 – 531, bes. 512 ff. und 529 f.). Wenn immer wieder darauf hingewiesen wird, daß Shaftesbury Plotin nur aus der Vermittlung durch Ralph Cudworth und Henry More gekannt habe (vgl. etwa Fritz-Peter Hager, Aufklärung, Platonismus und Bildung bei Shaftesbury, Bern u. a. 1993, 118; Rebekka Horlacher, Bildungstheorie vor der Bildungstheorie. Die Shaftesbury-Rezeption in Deutschland und der Schweiz im 18. Jahrhundert, Würzburg 2004, 161 f.; Mark-Georg Dehrmann, Das ,Orakel der DeistenÍ. Shaftesbury und die deutsche Aufklärung, Göttingen 2008, 20, Anm. 45), so besagt dies sehr wenig bis gar nichts, da sich Shaftesbury angesichts der überwältigenden Fülle von Bezügen auf Plotin und Originalzitaten aus den Enneaden in The True Intellectual System of the Universe von 1678 (vgl. nur etwa Ralph Cudworth, The true intellectual system of the universe, Bd. 1 und 2, hg. von Thomas Birch, New York 1837 f., Bd. 1, 51, 53, 222, 230, 289, 303, 358, 497, 697, 723 f., 727, 732, 749, 754, 763, 766, 768 ff., 777, 780, 786 und Bd. 2, 204, 209, 214, 329, 341, 345, 407 pass.) durchaus einen sprechenden Eindruck von der Plotinischen Philosophie machen konnte. Ohne näher auf die Details der Übereinstimmungen zwischen Plotin und Shaftesbury einzugehen, kann man zumindest soviel sagen, daß Shaftesbury seiner Lehre vom All-Einen – wie unsere Rekonstruktion noch näher zeigen wird – eine reflexive Kennzeichnung (,selfÍ) gegeben hat. Bei Plotin ist nicht mit abschließender Sicherheit auszumachen, ob seine Letztbeschreibung des ,EinenÍ reflexionslogisch 34

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Dabei obwaltet im Hintergrund eine Ganzheitsmetaphysik, die alles dem Ganzen Andere als eine dieses Ganze nicht fremdbestimmende Teilmenge anspricht.35 Diesen Gedanken führt Shaftesbury aus, wenn er nun die Überlegung entfaltet, daß nur ein henologisch konstruierter Grund rationale Stabilität besitzen könne. For were there in Nature Two or more Principles, either they must agree, or not. If they agree not, all must be Confusion, till one be predominant. If they agree, there must be some natural Reason for their Agreement; and this natural Reason cannot be from Chance, but from some particular Design, Contrivance, or Thought: which brings us up again to One Principle, and makes the other two to be subordinate (204).36

In dieser Passage ist die metaphysische Dimension von Shaftesburys Henologie gut zusammengefaßt. Ginge man nämlich von einer Prinzipienduplizität aus, so ergäbe sich die folgende Alternative: Entweder die Prinzipien haben identische oder eben nicht identische Konsequenzen. Wenn die Konsequenzen unterschiedlich sind, ergibt sich eine Verunsicherung hinsichtlich ihres Gültigkeitsstatus, da der Gültigkeitswert des durch ein Prinzip Hervorgebrachten jeweils durch Anderes – ebenfalls Prinzipiiertes – in Frage gestellt werden kann, was Shaftesbury als eine All-Konfusion beschreibt. Diese All-Konfusion würde dann in einem gegenverfährt oder gerade dieser Reflexivität als einem bedingenden Moment im Absoluten den Abschied gibt. Plotins Aussagen schillern diesbezüglich. So heißt es in Enn. V 4, 2, 14 – 19: „Das Gedachte (t¹ mogt¹m), indem es bei sich verharrt (1vÌ 2autoO l]mom) und nicht bedürftig ist wie das Sehende und Denkende […], ist dennoch nicht gleichsam bewußtlos, sondern alle seine Inhalte sind in ihm und bei ihm ( !kkÌ 1st·m aqtoO p\mta 1m art\ ja· s»m art`), es vermag sich selber durchaus zu sondern und scheiden, es ist Leben in ihm und alle Dinge in ihm, es ist selbst sein Sichselbstgewahren, gewissermaßen vermöge eines Selbstbewußtseins, es bedeutet ein Denken in immerwährendem Stillestehen (ja· B jatam|gsir aqtoO aqt¹, oRome· sumaish^sei owsa 1m st\sei !id_\ ja· mo^sei)“. Oder in Enn. V 4, 1, 5 f.: „Das Erste nämlich muß ein Einfaches (de? l³m c\q ti pq¹), vor allen Dingen Liegendes sein, verschieden von allem, was nach ihm ist, für sich selbst seiend (1vÌ 2autoO em)“. In Enn. V 6, 3, 20 – 24 hingegen findet sich eine Passage, die eine Selbstverhältnisstruktur am Ort des Absoluten abzuweisen scheint: „Folglich, wenn es etwas Vieles gibt, muß es vor dem Vielen ein Eines geben (de? pq¹ t_m pokk_m 4m eWmai). Ist nun aber das, was etwas denkt, Vielheit, so darf in dem, was Nichtvielheit ist, das Denken nicht vorhanden sein (de? 1m t` lµ pk^hei t¹ moe?m lµ eWmai). Dieses aber war das Erste (Gm d³ toOto t¹ pq_tom). Das Denken und der Geist kann mithin erst bei dem vorhanden sein, welches später als das Erste ist“ (zit. nach Plotin, Seele – Geist – Eines. Enneade IV 8, V 4, V 1, V 6 und V 3. Griechisch-deutsch. Griech. Lesetext und Übersetzung von Richard Harder, in einer Neubearb. fortgeführt von Rudolf Beutler und Willy Theiler, eingel., mit Bemerkungen zu Text und Übersetzung und mit bibliogr. Hinweisen versehen von Klaus Kremer, Hamburg 1990). Vgl. auch Werner Beierwaltes, Das wahre Selbst. Studien zu Plotins Begriff des Geistes und des Einen, Frankfurt am Main 2001, 103 – 114, bes. 108 – 114. 35 Shaftesbury, The Moralists (wie Anm. 2), 161: „That whatever Things have Order, the same have Unity of Design, and concur in one, are Parts constituent of one Whole, or are, in themselves, intire Systems“. 36 Auch hier handelt es sich um eine Argumentationsfigur, die sich nahezu identisch bei Plotin (wie Anm. 34) in Enn. V 6, 3, 1 – 8 findet.

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seitigen Prinzipienkampf dazu führen, daß sich ein Prinzip als das hinsichtlich der aus beiden Prinzipien hervorgehenden Folgerungen gültige herausstellte. Wenn aber dieser Fall eingetreten ist, kann nicht mehr sinnvoll davon die Rede sein, daß es sich bei dem unterlegenen ,PrinzipÍ wirklich um ein solches handelt oder gehandelt hat. Sind aber, wie die alternative Variante besagt, die Prinzipienkonsequenzen identisch, dann wäre jeglicher Deduktionsgrund für eine Prinzipienzweiheit dahin. Damit sind wir angelangt bei einer weiteren Möglichkeit, daß nämlich beide Prinzipien miteinander in Übereinstimmung sich befinden. Eine solche Prinzipienfigur etwa wäre denkbar, wenn man die Zweiheit der Prinzipien als eine Funktionsdifferenz hinsichtlich des Prinzipiierten interpretierte oder – dies scheint die von Shaftesbury in der zitierten Passage angesprochene Prinzipiendualität zu meinen – schlicht davon ausginge, daß zwei Prinzipien existierten. Die erste Interpretation führt wieder auf ein Prinzip, da sonst die Prinzipienfunktionen das ,Prinzip selbstÍ rückbedingen und somit verdoppeln würden. Gegen die Alternative – daß also de facto ein Prinzipiendualismus obwaltet – argumentiert Shaftesbury wie folgt: Ginge man von zwei Prinzipien aus, hinsichtlich derer man die Kennzeichnung vornehmen wollte, daß sie – wie auch immer das zu denken wäre – identisch seien, so wirft das die Frage nach einem Grund auf, der dafür einzustehen vermag, daß die Kennzeichnung ,zwei PrinzipienÍ auch rational belastbar ist; und folglich erzwingt gerade die These, daß zwei Prinzipien sind, eine immer schon vorauszusetzende Einheit. Dieser Zusammenhang sei noch einmal expliziert an dem Gegensatzpaar von Teil und Ganzem. Wenn sich in den Teilen eine sinnvolle Ordnung aufweisen läßt, so kann auch gesagt werden, daß diese Teile zweckhaft bestimmt sind, da dieser Zweck die Abschattung des Ganzen in den Teilen ist. Weil aber eine unendlich große Zahl an Teilen existiert, können die Teile nicht in einem bloßen Für-Sich bestehen, sondern müssen zugleich immer auch auf die anderen Teile bezogen sein, wenn anders nicht der sinnvolle Zusammenhang unter diesen Teilen aufgehoben werden soll. Das Teil ist demnach immer nur Teil, insofern es Teil eines Systems ist. Damit aber droht nun das Teil in der Summe all seiner Wechselrelationen aufzugehen. Hier liegt der Grund dafür, daß Shaftesbury seine Religionsphilosophie nicht – wie das oben schon angedeutet wurde – selbstbewußtseinstheoretisch konzipiert. Selbstbewußtsein ist als Selbstbestimmung immer zugleich eine Setzung in die Unendlichkeit seiner Selbstvoraussetzungen. Das Selbst bestimmt sich, indem es sich zugleich voraussetzt. So verfährt es ins Unendliche. Damit aber anverwandelt sich das Bewußtsein sein Selbst immer nur in der Vermittlung durch alles ihm Andere. Deshalb transformiert Shaftesbury das Selbstverhältnis in die darüberliegende Relation von Teil und Ganzem. Das zweckhaft orientierte Teil besteht im Wechselwirkungsverhältnis zu den anderen Teilen, aber so, daß in dieses Wechselverhältnis zugleich der Sachverhalt eingeht, Wech-

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selverhältnis innerhalb eines Ganzen zu sein. So sedimentiert sich die Textur des Ganzen herrschaftsfrei in den sich gegenseitig belebenden Wechselverhältnissen des Natürlichen. Das Ganze ist also in diesem System gefordert als letztes Telos eines Teils bei gleichzeitiger Zusammenstimmung dieses Teils mit allem ihm Anderen, das dann ebenfalls sein Telos in dem Sachverhalt hat, Teil des Ganzen zu sein. Damit ergibt sich allerdings das Problem, daß das Ganze unter die Botmäßigkeit der Teile zu geraten droht, insofern diese es rückbedingen. Und in der Tat setzt Shaftesburys Überlegung ja nicht bei einem Ganzheitsbegriff ein, der an sich selbst das Universum der Teile als deduzibel zu erweisen vermag, sondern im Bereich der natürlichen Organisationsformen, von denen dann aufgestiegen wird zu einem höchsten Umgreifenden. Es handelt sich um das alte Problem des kosmologischen Gottesbeweisschlusses, Bedingtes Unbedingtem immer voraussetzen zu müssen. Und genau an dieser Stelle schlägt Shaftesburys Selbstverhältnistheorie durch. Das Ganze wird beschrieben als ein Selbst, um das Ganze nicht von Gnaden des durch es Bedingten bestimmt sein zu lassen. Die epistemische Dimension endlichen Selbstbewußtseins hat also innerhalb dieser Religionsphilosophie nur die propädeutische Funktion, auf die Voraussetzungslosigkeit des Ganzen zu verweisen, das in den Teilen, deren Bestimmtheit darin liegt, Teile dieses Ganzen zu sein, nicht aufgeht. Diese bloß propädeutische Funktion des endlichen Selbstverhältnisses macht Shaftesbury noch einmal dadurch deutlich, daß er zwischen dem Selbstverhältnis des Ganzen und dem Selbstverhältnis der Teile keinen kontinuierlichen Übergang setzt, sondern eine ontologische Differenz einzieht, die sich dann nicht noch einmal neu vermittlungslogisch überschreiten läßt. Darum beschreibt er in einem letzten Schritt die Darstellung der Selbstdarstellung des Ganzen als jene Schönheit, in der sich harmonisch das Urbild in wechselvollem Schicksal den Abbildern aufprägt. Hier sind die Platonische Metexisfigur und das Ideal der Verähnlichung mit Gott ineinandergewebt und transformiert in eine Kalokagathie aufgeklärter Geselligkeit.37 Wir geben einen ,locus classicusÍ der Platonischen Verähnlichungsvorstellung aus dem Theätet (176a f.) im Zusammenhang wieder (Platon, Sämtliche Dialoge IV, übers. und erläutert von Otto Apelt, Leipzig 41923, ND Hamburg 2004; Platonis Opera I, hg. von Ioannes Burnet, Oxford 1900): „Aber das Übel kann weder verschwinden […] denn es muß immer etwas dem Guten Entgegengesetztes geben (rpemamt_om c\q ti t` !cah` !e· eWmai !m\cjg), noch kann es etwa bei den Göttern seine Unterkunft finden, sondern mit Notwendigkeit umkreist es die sterbliche Natur und unsere irdische Stätte (tµm d³ hmgtµm v}sim ja· t|mde t¹m t|pom peqipoke? 1n !m\cjgr). Daher gilt es auch zu versuchen, von hier so schnell wie möglich dorthin zu entfliehen. Die Flucht aber besteht in der möglichsten Verähnlichung mit Gott; ihm ähnlich werden heißt aber gerecht und fromm werden auf dem Grunde richtiger Einsicht (vucµ d³ blo_ysir he` jat± t¹ dumat|m : blo_ysir d³ d_jaiom ja· fsiom let± vqom^seyr cem]shai)“. 37

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IV. Fühlbare Ordnung Mit dieser von platonisch-neuplatonischen Motivkomplexen durchsetzten Theorie der Selbstdarstellung des Ganzen im Schönen hätte Shaftesbury allein noch nicht so stark auf die Philosophie des 18. Jahrhunderts wirken können, wenn sich seine Naturphilosophie nicht verbunden hätte mit einer Psychologie, die plausibel machen konnte, daß das in der Teil-Ganzes-Relation als vermittlungslogisch nicht überspringbarer Differenz auslautende System am Ort des empfindenden Subjekts zu einem Gefühl gerinnt, das in sich selbst so stabil ist, daß es keinerlei vernunfttheoretischer Rückversicherungen mehr bedarf. Die Rede ist von dem Gefühl des ,moral senseÍ oder ,moral tasteÍ, das dann als ,internal senseÍ (Francis Hutcheson), moralisches Zustimmungsvermögen (Adam Ferguson), ,moral sentimentÍ (David Hume und Adam Smith), ,moral facultyÍ (John S. Mill), ,sens moralÍ (Jean B. Robinet und Johann B. Merian), ,instinctus moralisÍ (Christian Wolff) und eine angeborene Neigung zu moralischen Urteilen (Christian A. Crusius) Karriere gemacht hat. In der ,praxis pietatisÍ, den Bußkampftechniken und der Selbsteigerung von Glaubens- und Erweckungserfahrungen des Pietismus ist das Syndrom ebenso zu beobachten wie in der Literarisierung des Nützlichkeitssentiments und der empfindsamen Rührung im tränenseligen Lustspiel, das sich gattungsgeschichtlich zwischen Trauer- und Lustspiel schiebt. Eine abschließende Überlegung soll Shaftesburys Gedanken zu einer Metaphysik der Ganzheit bündeln und mit der affekttheoretischen Dimension des ,moral senseÍ zusammenführen. Dabei gehen wir von der Einheit – die oben nach ihrer prinzipientheoretischen Notwendigkeit erwiesen wurde – als einer den Zweck der Einzeldinge gleichschaltenden Ordnung aus.38 Zur Theorie des ,moral senseÍ wird insofern der Übergang hergestellt, als diese Ordnung nicht nur die abstrakte Beschreibung eines sinnvollen Weltzusammenhanges darstellt, sondern ganz unmittelbar am Ort des Gefühls erfahrbar wird. „Nothing surely is more strongly imprinted on our Minds, or more closely interwoven with our Souls, than the Idea or Sense of Order and Proportion“ (160). Damit ist der Skepsis eine letzte Wunde geschlagen: Skeptische Dechiffrierungsleistungen nämlich können über Vermittlungsoperationen an die Unmittelbarkeit dieses Gefühls nicht heranreichen. Und da folglich dieses Gefühl basal alle subjektiven Wahrnehmungs- und Empfindungsfunktionen bestimmt, kann es selbst nicht noch einmal problematisiert werden. Jede Skepsis einem solchen Gefühl gegenüber liefe in sich selbst tot, wenn sie nicht auf eine Beschreibung aus wäre, die dann der menschlichen Wirklichkeit in einem umfassenderen Sinn gerecht würde. Sonst ereignete sich selbstwidersprüchliche Skepsis an der Skepsis. Dient Skepsis aber dem Abbau vollkommenheitstheoretisch nicht gedeckten Schwärmertums, so muß sie mit teilhaben an je38

Vgl. Anm. 35.

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ner Begriffs- und Gefühlsarbeit, die das Dasein des Menschen nach seinen letzten Gründen aufzuklären versucht, womit dann aber auch in der radikalsten Skepsis eine auf Ordnung ausgehende Initiative vorausgesetzt ist. Shaftesbury konzipiert den ,moral senseÍ als subjektprägendes Ursprungsvermögen, das die ontologische Differenz gewißheitslogisch aus sich entläßt. In An Inquiry Concerning Virtue or Merit (1699 und 1711) beschreibt er dieses Gefühl als das Vermögen, in eine Handlung immer zugleich den Gesichtspunkt der Universalisierbarkeit mit aufzunehmen. Thus Offence and Injury are always known as punishable by every-one; and equal Behaviour, which is therefore callÌd Merit, as rewardable and well-deserving from everyone. Of this even the wickedest Creature living must have a Sense. So that if there be any further meaning in this Sense of Right and Wrong.39

Doch ist hier Universalisierbarkeit nicht, wie dann bei Kant, die normierende Formbestimmtheit maximengeleiteten Handelns, sondern die allüberall zu beobachtende Oberflächenstruktur einer emotionalen Tiefendimension, die sehr viel unmittelbarer – und damit natürlich auch fragiler und störanfälliger – selbstanfänglich ist. Daß dieses Gefühl nicht dem schwankenden Gang emotischer Beliebigkeiten ausgesetzt, sondern konkret sittlich ist, läßt sich nicht freiheitstheoretisch begründen. Nur das Gefühl selbst vermag für das Gefühl einzustehen. Hierin liegt die große Kraft dieses Entwurfs, die den dichotomisch-stoischen Stellungskrieg zwischen Affekt und Vernunft, Sinnlichkeit und Sittenstrenge, Laster und Tugendgesinnung im Handstreich beendet. Das aber erfordert, dem Gefühl selbst eine intime Teleologie beizugesellen. So that if there be any further meaning in this Sense of Right and Wrong; if in reality there be any Sense of this kind which an absolute wicked Creature has not; it must consist in a real Antipathy or Aversion to Injustice or Wrong, and in a real Affection or Love towards Equity and Right, for its own sake, and on the account of its own natural Beauty and Worth.40

Das Moralgefühl stellt sich also heraus als Aussein-auf-das-Gute unmittelbar im Bereich der Neigungsbetroffenheit. Dieses Aussein ist immer begleitet von dem konternden Affekt des Abscheus vor der Unsittlichkeit. Doch sind dies nicht dichotomische Momente, zwischen denen das Gefühl dann wählt, sondern das moralische Gefühl setzt das Gute und Schöne unmittelbar in den Vollzug seiner selbst. Das indiziert die umgreifende Strebestruktur der Affektion als einer Liebeshandlung auf das Gute und Schöne. Wenn nämlich das Schöne um seiner selbst willen geliebt werden soll, ohne daß dabei die Liebe als Gefühl sich ihrer selbst unsicher werden darf, so muß sie den Gegenstand ebenso setzen, als sie in ihrem 39 40

Shaftesbury, An Inquiry, in: ders., Characteristicks (wie Anm. 2), 24 (Herv. z. T. B.P.). Ebd.

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Aussein-auf-den-Gegenstand zugleich ein Gewißheitsgefühl davon hat, daß dieser Gegenstand durch Bonität gekennzeichnet ist. Darin besteht die Tiefenstruktur des moralischen Gefühls, das auch in den Moralisten, die allerdings keine ausgeführte Theorie des ,moral senseÍ enthalten, als letzte und unhintergehbare Tatsächlichkeit herausgestellt wird. Dort nämlich, wo nicht auszuschließen ist, daß die Begriffe ihr trügerisches Spiel treiben, insofern sie sich als unfähig erweisen, Totalität in ihrer Ganzheit zu fassen, bleibt das Gefühl selbst.41 Wäre also die Ganzheit nicht in den Vollzug dieses Gefühls gesetzt, würde doch wieder die begriffliche Setzung als Bestimmtheit des Guten und Schönen dem moralischen Gefühl zumindest in der Hinsicht vorausgehen, als dann genau diese Setzung gefühlt würde. Gefühl jedoch kann nur die moralische Fühlbarkeit seiner selbst fühlen. Shaftesburys Theorie des ,moral senseÍ stellt das Ziel dieser Überlegungen dar. Dabei rekonstruiert der Artikel den ,moral senseÍ vor dem Hintergrund der durch Shaftesbury entwickelten Ganzheits- und Identitätsvorstellung. Es wird gezeigt, wie Shaftesburys Identitätskonzeption aus entsprechenden Vorläuferreflexionen bei Locke hervorgeht. Erst in der Verbindung von metaphysischen und metaphysikkritischen Elementen konstruiert sich der ,moral senseÍ. The article deals with ShaftesburyÌs theory of Ímoral senseÌ. ÍMoral senseÌ is reconstructed against the background of ShaftesburyÌs concept of wholeness and identity. It is shown how Locke impacted ShaftesburyÌs conception of identity. I argue that Ímoral senseÌ can only be understood through a combination of metaphysics and its critique. Dr. Björn Pecina, Ludwig-Maximilians-Universität München, Evangelisch-Theologische Fakultät, Geschwister-Scholl-Platz 1, 80539 München, E-Mail: [email protected]

Shaftesbury, The Moralists (wie Anm. ), 206 f.: „In vain we labour to understand that Principle of Sense and Thought, which seeming in us to depend so much on Motion, yet differs so much from it, and from Matter it-self, as not to suffer us to conceive how Thought can more result from this, than this arise from Thought. But Thought we own pre-eminent, and confess the reallest of Beings; the only Existence of which we are made sure, by being conscious. All else may be only Dream and Shadow. All which even Sense suggests may be deceitful. The Sense it-self remains still; Reason subsists; and Thought maintains its Eldership of Being“ (Herv. z. T. B.P.). 41

Martin Kirves Das Urteil des Herkules – Shaftesburys gemalte Kunsttheorie

Im November 1711 übersiedelt Shaftesbury nach Neapel in der Hoffnung, durch einen Klimawechsel sein Lungenleiden kurieren zu können, und stirbt ebendort fünfzehn Monate später. Ungeachtet der fortschreitenden Krankheit entfaltet er eine rege Tätigkeit. Am 5. Juni 1712 schreibt er an Pierre Coste: „You will find me, if alive, entertaining my-self very busily with Drawings, Sketches, Prints, Medals and Antiques; which as well as Pictures and other Virtuoso-implyments, are brought often to my Chamber and Bed-side“.1 Shaftesbury begutachtet Kunstgegenstände, legt eine Sammlung an und vermittelt Werke nach England.2 Damit erschöpfen sich die ,Virtuoso-implymentsÍ jedoch nicht. Der ,VirtuosoÍ – Shaftesburys sich an Baldassare Castigliones Cortegiano anschließender Idealtypus – ist selbst schöpferisch wirksam. Wie sich kritischer Kunstgenuß und produktive Tätigkeit verbinden, verdeutlicht der Entwurf eines wahrscheinlich nicht mehr ausgeführten Selbstporträts, das Shaftesbury als sterbenden ,VirtuosoÍ zeigen sollte. Kurz vor seinem Tod skizziert er dem Maler Paolo de Matteis3 das auszuführende Bild: A man of distinction, nobleman of a certain kingdom, virtuoso, philosopher, and author well-known through his writings, having retired to a particular health resort to seek relief from his infirmities, still continues with his studies, ill, exhausted, and near to death as he is. This gentleman-philosopher, by his pose, his clothing, and personal insignia, as well as by his mien and looks, renders visible this true character or persona; through the view given of the interior of a study or library (decorated with some busts, antique pieces, and

Anthony Ashley Cooper of Shaftesbury, Sämtliche Werke, ausgewählte Briefe und nachgelassene Schriften, hg., übersetzt und kommentiert von Gerd Hemmerich u. a., Stuttgart 1981 ff., Bd. 1.5: Ästhetik, 2001, 376. 2 Zu den Aktivitäten Shaftesburys als Sammler und Kunstvermittler zwischen Neapel und London siehe: Sheila OÌConnell, Lord Shaftesbury in Naples. 1711 – 1713, in: The 54th Volume of the Walpole Society 1991, 149 – 219. 3 Paolo de Matteis (1662 – 1728) war Schüler Luca Giordanos. Er arbeitete in Neapel im Umkreis Francesco Solimenas und freskierte 1717 die Kuppel von Il Ges· Nuovo. 1

Aufklrung 22 · Ò Felix Meiner Verlag 2010 · ISSN 0178-7128

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pencil drawings) one is able to recognise the subject upon which he employs his present contemplation. He is consulting works of ancient authors for material to be used by that famous artist of the same resort, the one who created the beautiful tableau „The Judgement of Hercules“. A book with this very little title can be seen to one side, and the drawing, or first sketch of the piece itself is visible separately, with the artistÌs signature at the bottom.4

Stoisch durchforstet der ebenso in der antiken Literatur wie in Kunstdingen bewanderte ,VirtuosoÍ noch im Zustand der Todeserwartung die Schriften der ,AltenÍ nach Vorlagen für eine bildliche Umsetzung, wobei Shaftesbury, wie er im dritten, an Matteis gerichteten Brief ergänzt, ein kleines Buch halten soll, „as it would in the hand of a dead man“.5 Die darzustellende Tätigkeit ist keine antiquarische Zerstreuung des erkrankten ,Gentleman-PhilosopherÍ, der sich in seine Studierstube zurückgezogen hat; sie bildet das Kernstück eines umfassenden Reformprogramms, welches auf nichts weniger als auf die Herbeiführung einer gesellschaftlichen Realität zielt, der die unverfälschte, genuin sozial bestimmte menschliche Natur zugrunde liegen soll. Die programmatisch gegen Thomas HobbesÌ Auffassung des Menschen als ,homo lupusÍ gerichtete Utopie sollte durch die Selbsterkenntnis eines jeden Einzelnen realisiert werden, zu der die Kunst in ganz besonderem Maße anzuleiten vermag – vermittels der Kunst sollte der Mensch zu dem werden, was er anthropologisch ist. Damit die Kunst dieser Aufgabe gerecht zu werden vermag, extrahiert der ,VirtuosoÍ Szenen aus der antiken Literatur, in denen sich die moralische Essenz dieser Schriften konzentriert, um sie nach seinen Maßgaben bildlich reformulieren zu lassen. Innerhalb dieser Transferleistung kommt sein eigenes schöpferisches Potential zum Tragen: Unmittelbar aus den Quellen schöpfend wird er zu einem ,antiken KünstlerÍ, der die Überlieferungslücke der nicht tradierten antiken Bilder schließt, indem er den moralischen Gehalt der antiken Schriften bildlich für die Gegenwart aktualisiert. Diese widerstandsfreie Übertragung, der sich weder ein historisch noch medial unüberbrückbarer Hiatus entgegenstellt, wird durch die überzeitliche Geltung des medial univoken moralischen Gehalts verbürgt. Seine anthropologische Fundierung beinhaltet eine stets akute, Antike und Gegenwart umfassende Kontinuität, die jedoch in sich asymmetrisch austariert ist. In den Characteristicks diagnostiziert Shaftesbury den gegenwärtigen Zustand der menschlichen Natur als korrumpiert, weshalb das Heilmittel den Schriften der Alten zu entnehmen sei. Es ist das Soliloquy, das Selbstgespräch, dem Shaftesbury Shaftesbury, Sämtliche Werke (wie Anm. 1), Bd. 1.5, 421 f. Shaftesbury schreibt am 12., 13. und 17. 1. 1713 an Matteis. Möglicherweise nimmt der letzte Brief auf eine bereits vorgelegte Skizze Bezug. Er stirbt am 4. 2. 1713. 5 Ebd., 427. 4

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1711 eine eigene Abhandlung gewidmet hat. Um die menschliche Natur zu sich selbst zurückzuführen, sind keine vorgegebenen handlungsanleitenden Maximen zu befolgen, vielmehr gilt es, sich eine Methode der Selbstüberprüfung anzueignen, welche derartige Maximen als präreflexiv wirksame Intentionsausrichtungen generiert. Die bildliche Darstellung dieser Methode zeigt das fiktionale Selbstbildnis als bereits erbrachtes Arbeitsergebnis des ,VirtuosoÍ anhand des „first sketch“ des Herkulesurteils. Im Gestus der Selbstzurücknahme verweist das imaginierte Bild hier auf das realisierte schöpferische Potential des ,VirtuosoÍ Shaftesbury: Er hatte die dargestellte Szene aus Xenophons Memorabilia gezogen und eine eigene Schrift – A Notion of the Historical Draught or Tabulature of The Judgment of Hercules – verfaßt, welche die adäquate bildliche Übertragung des moralischen Gehalts der Szene verbürgen sollte und Realisierungsrichtlinien formuliert, die paradigmatisch für eine ,Kunst der AufklärungÍ einstehen.6 Das Herkules-Bild und die Herkules-Abhandlung sind Teil von Shaftesburys in Neapel begonnenem großen Projekt der Second Characters or Language of Forms, dem ergänzenden Gegenstück zu den seit 1711 vorliegenden Characteristicks of Men, Manners, Opinions, Times.7 Die nur teilweise ausgearbeiteten Second Characters waren als Kompilation von vier Abhandlungen geplant: Den Auftakt sollte der an den Whig-Politiker Lord Somers gerichtete Letter Concerning the Art, or Science of Design bilden, der die gesellschaftliche Relevanz einer Renovatio der Künste darlegt. Daran sollte sich der Herkules-Text als exemplarische Konkretion der Neubestimmung der Kunst anschließen. Beide Schriften liegen vollständig ausgearbeitet vor und wurden posthum publiziert,8 die beiden Xenophon, Erinnerungen an Sokrates, Stuttgart 1980, 91 ff. Xenophon gibt eine nicht als Quelle überlieferte Erzählung des Sophisten Prodikos wieder. Die Wahl des Herkulessujets betreffend, verweist Wolfgang Lottes darauf, daß Dryden in dem Essay A Parallel of Poetry and Painting, welchen er als Einleitung seiner DuFresnoy-Übersetzung voranstellt, den Malern empfiehlt, würdige Sujets zu wählen, und das Herkulesurteil Annibale Carraccis als vorbildlich anpreist (Wolfgang Lottes, Shaftesbury und die ,ut pictura poesisÍ-Tradition, in: ANGLIA. Zeitschrift für englische Philologie 107 (1989), 330 – 343, hier 334). Erwin Wolff macht darauf aufmerksam, daß Robert Lowths Herkules-Gedicht Shaftesbury inspiriert haben könnte, das sich unter den Shaftesbury Papers im Public Record Office London befindet (Erwin Wolff, Shaftesbury und seine Bedeutung für die englische Literatur des 18. Jahrhunderts. Der Moralist und die literarische Form, Tübingen 1960, 140). Shaftesbury selbst erteilt im Design-Brief die Auskunft, die Idee ginge auf einen italienischen Stich zurück, den er bei Lord Somers Jahre zuvor gesehen habe (Shaftesbury, Sämtliche Werke [wie Anm. 1], Bd. 1.5, 57). 7 Zum Herkules-Gemälde siehe auch den Aufsatz von Patrick Müller in diesem Band. 8 Nach Shaftesburys Tod wurde der Herkules-Text von seinem Cousin Thomas Micklethwaite als eigenständige Publikation veröffentlicht. 1714 brachte ihn der Drucker der Characteristicks, John Darby, unter dem Titel On Painting heraus. 1715 fügte Darby den Herkules-Text zusammen mit dem Letter Concerning Design als VII. Abhandlung in einige Exemplare des dritten Bandes der 2. Aufl. der Characteristicks ein. Seit der 3. Aufl. von 1727 gehören die Abhandlungen zum Textkorpus der Characteristicks. 6

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anderen Abhandlungen blieben Fragmente. Des weiteren war geplant, dem Herkules-Text eine Bearbeitung des antik-stoischen Werkes Die Cebes-Tafel folgen zu lassen, worin der Lebenslauf seinen verschiedenen Möglichkeiten nach allegorisch ausgelegt wird.9 Den Hauptteil und das theoretische Herzstück der Second Characters hätte die vierte Abhandlung Plasticks, or the Original, Progress, & Power of Designatory Art gebildet, zu der umfangreiche Vorarbeiten erhalten sind. Sie beinhaltet den Entwurf einer Zeichentheorie, welche die systematische, Characteristicks und Second Characters umgreifende Klammer bildet. Ein ,ZeichenÍ hat dieser Konzeption zufolge die Minimalbedingung zu erfüllen, ein seitens des Menschen geformter Bedeutungsträger zu sein. Die Zeichen lassen sich drei Klassen zuordnen, den ,1stÍ, ,2ndÍ, und ,3rd CharactersÍ.10 ,1st CharactersÍ sind arbiträre Zeichen: „Notes and Marks“, das sind Silben, Wörter, Sprache und deren Artikulation, sowie logisch-mathematische Zeichensysteme. ,2nd CharactersÍ bezeichnet Shaftesbury als „Signs, Signa oder Sigilla“. Bei ihnen handelt es sich um die plastische oder graphische „Imitation of real Forms & natural Beings“. ,3rd CharactersÍ schließlich bilden die ,mittlereÍ oder ,emblematische KlasseÍ. Sie überformen die ,2nd CharactersÍ, um mit einer den ,1st CharactersÍ eigenen Eindeutigkeit unzweifelhaft bestimmte „Sentiments, Senses, or Meanings“ auszudrücken. Dies geschieht, indem sich ein ,2nd CharacterÍ durch seine Darstellungsweise auf seine „Form, Nature, Passion, or History“ bezieht, um eine ganz bestimmte Eigenschaft des Darstellungsgegenstandes, wie etwa beim Löwen die Stärke, auszudrücken. Da sich diese dritte Klasse aus ,2nd CharactersÍ speist, gibt es streng genommen nur zwei Zeichenklassen: die Schriftzeichen und die auch als ,natürliche ZeichenÍ bezeichneten Nachahmungen der „real forms“. Das in Neapel anvisierte Korpus der 2nd Characters or Language of Forms ist mithin eine zeichentheoretisch fundierte Theorie der bildenden Künste. Um sich nicht ausschließlich vermittels der Schrift (,1st CharactersÍ) auf natürliche Zeichen (,2nd CharactersÍ) zu beziehen, ist der Philosoph Shaftesbury zum ,VirtuosoÍ geworden und hat mit Hilfe eines ausgebildeten Künstlers die darzulegenden Bestimmungen der natürlichen Zeichen im Modus der ,2nd CharactersÍ bildlich formuliert. Die dargestellte Skizze des Herkulesurteils hat sich tatsächlich als Entwurf unter den „Drawings“ und „Sketches“ befunden, welche Shaftesbury auf seinem Krankenlager begutachtete.11 Er hatte sie bei Paolo de Matteis in Diese spätantike Ekphrasis wurde mehrfach bildlich rückübersetzt. Die bekannteste, aus drei Grafikblättern bestehende Version stammt von Hendrick Goltzius (1592). Eine profunde Einleitung und kommentierte Übersetzung bietet: Rainer Hirsch-Luipold, Die Bildtafel des Kebes. Allegorie des Lebens, Darmstadt 2005. 10 Shaftesbury, Sämtliche Werke (wie Anm. 1), Bd. 1.5, 215 ff. 11 Darunter befanden sich auch die nach seinen Anweisungen gezeichneten und von Simon Gribelin gestochenen emblematischen Vignetten für die zweite Auflage der Characteristicks. Siehe 9

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Auftrag gegeben und als Malanleitung den Herkules-Text verfaßt. Der Briefwechsel belegt, daß Shaftesbury darüber hinaus die Bildfindung Schritt für Schritt begleitete.12 Im Anschluß an zwei Entwurfszeichnungen (Abb. 4, 5) ließ er ein Ölmodello anfertigen (Abb. 6), das, wiederum nach seinen Angaben modifiziert, als großformatiges Gemälde ausgeführt worden ist (Abb. 1).13 Das Herkules-Bild stellt einen genuinen Bestandteil der ,2nd CharactersÍ dar und ist als Frontispiz materiell Teil der posthum veröffentlichten Herkules-Abhandlung geworden. Um die programmatische Neuausrichtung der Kunst in England wirksam werden zu lassen, ließ Shaftesbury von Matteis noch eine kleine Version des Herkulesurteils anfertigen, die durch geringfügige Veränderungen als ,zweites OriginalÍ erscheinen sollte, und sandte sie als „little Prophet“ zusammen mit dem DesignBrief und dem Herkules-Text nach London.14 Im folgenden soll das für die anvisierte Gesellschaftsreform relevante Zusammenspiel des ,moral senseÍ, des Selbstgesprächs und einer zu initiierenden Kunst der Aufklärung untersucht werden. Dazu wird uns als Ausgangs- und Zielpunkt das Gemälde von Matteis dienen (Abb. 1).

I. Innere und äußere Form Herkules steht zwischen den Personifikationen des Lasters und der Tugend. Letztere hat das Wort ergriffen und hält in der einen Hand ihr Attribut, das Richtschwert (Parazonium), mit der anderen weist sie auf die Anhöhe in der Ferne, wohin ein schmaler Weg hinaufführt, auf welchen die Stellung ihres linken Fußes zielt. Ihr rechter Fuß stützt sich auf einen quaderförmigen Felsen, der ihrer rhetorischen Ansprache ein Postament verleiht und zugleich den Beginn des Aufstiegs symbolisiert. Herkules folgt ihren Ausführungen, ohne sie direkt anzublicken. Seine äußerliche Reaktion ist verhalten: Scheinbar ruhig stützt er sich auf das Instrument seiner Taten, die mächtige Keule, mit der er den nemÙischen Löwen, dessen Fell ihn bekleidet, besiegt hat. Nur seine Gesichtszüge wollen dazu: Felix Paknagel, ShaftesburyÌs Illustrations of Characteristics, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 37 (1974), 290 – 312. 12 Shaftesbury, Sämtliche Werke (wie Anm. 1), Bd. 1.5, 370 ff. 13 Die erste Entwurfsskizze befindet sich im D¤partement des Arts Graphiques des Louvre, die zweite in Privatbesitz (beide Abbildungen sind dem Aufsatz Livio Pistillis entnommen: Livio Pistilli, Lord Shaftesbury e Paolo de Matteis. Ercole al bivio tra teoria e practica, in: Storia dellÌ arte 68/1 [1990], 105). Das Ölmodello (49 x 62 cm) ist in der Alten Pinakothek München, das ausgeführte Gemälde (198,2 x 256,5 cm) im Ashmolean Museum Oxford und die kleine Version (61,1 x 76,8 cm) im Temple Newsam House Leeds. Die Abbildungen dieser Bilder entstammen: Shaftesbury, Sämtliche Werke (wie Anm. 1), Bd. 1.5, 68 f. 14 Ebd., 380.

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nicht zur äußerlichen Gelassenheit passen; sie verraten eine innere Anspannung. Die Mimik scheint eine Metamorphose zu durchleben: Mund und Wangen sind entspannt und leicht von der den Kopf stützenden Hand verschoben; eine beinahe laszive Haltung, die ihn mit dem Laster verbindet. Die Augenbrauen hingegen sind zusammengezogen, die Stirn ist angespannt – die Ansprache der Tugend beginnt ihn aufzuwühlen. Im Zustand dieser ,existentiellenÍ Betroffenheit vollzieht sich HerkulesÌ Selbsterkenntnis. Sie mündet in die sich als Entschluß äußernde Urteilsfindung, welche der aufmerksam-klare Blick, der das verschattete Antlitz der Tugend noch nicht gänzlich zu erkennen vermag, bereits ankündigt. Dieses dem Entschluß zur Tugend vorausgehende innere Drama soll – Shaftesburys Instruktion zufolge – HerkulesÌ Mimik abzulesen sein: „[Wenn Herkules] die Tugend ansieht, sollte dies ernsthaft und mit äußerster Aufmerksamkeit geschehen, wobei er doch einen Teil der Aktion des Körpers noch der Lust zugeneigt läßt und durch gewisse Züge von Betroffenheit und Bedauern, vermischt mit der vorherrschenden oder obsiegenden, zu erkennen gibt, daß die Entscheidung, die er zugunsten der Tugend zu treffen im Begriff ist, ihn nicht wenig kostet“.15 Dabei habe

15

Ebd., 91.

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Matteis, wie Shaftesbury brieflich hinzufügt, so viel „passion and agony“ als nur irgend möglich in den Ausdruck hineinzulegen.16 Nehmen wir – des inneren Dramas gewahr – HerkulesÌ Haltung im Gesamtzusammenhang des Bildes in den Blick, dominiert er keineswegs, gelassen auf seine Keule gestützt, die Bildmitte. Er ist in die Kraftfelder der Tugend und des Lasters eingespannt: Jede Bewegungsnuance seines Körpers bedeutet eine Annäherung oder Entfernung aus der jeweiligen Einflußsphäre. Die Torsion seines Körpers erscheint in dieser Perspektive als innere Zerrissenheit: HerkulesÌ Hinwendung zur Tugend wird relativiert, indem sein Kopf auf der Seite des Lasters situiert ist, die Schultern eine Drehbewegung hin zu ihr vollziehen und das Gewicht seines Körpers von der Keule gestützt wird, der eben jener Stein, den auch das Laster für sich beansprucht, als Postament dient und das Gegenstück zur erwähnten ,ersten StufeÍ auf der Tugendseite bildet. HerkulesÌ Aufruhen im Bereich des Lasters wird wiederum durch die Seitwärtsdrehung des Unterkörpers in Richtung Tugend zurückgenommen. Seine Hüfte ist hell erleuchtet, während auf der anderen Seite vermittels des Löwenfells ein tiefer Schattenraum ausgebildet ist, der Herkules vom Laster trennt. Darüber hinaus fungiert die Löwenfratze als ein gegen das Laster gerichtetes atropäisches Zeichen. Der Tugend hingegen entblößt er seine Seite, wie auch sein rechter Fuß mit jenem der Tugend korrespondiert, während der andere wie das Zünglein an der Waage die Mitte zwischen beiden Göttinnen hält. Deutet die nuancierte Mimik darauf hin, daß sich Herkules aus dem Zweifel herausarbeiten wird, soll seine Körperhaltung die Offenheit der zu treffenden Entscheidung anzeigen. Herkules kann „von einem geschickten Meister so gezeichnet werden […], daß, selbst wenn man die Miene und die Gesichtszüge beiseite lassen wollte, allein aus der bloßen Wendung oder Richtung des Körpers deutlich würde, daß dieser junge Held noch nicht ganz das Stadium des Abwägens oder Überlegens hinter sich gelassen habe“.17 HerkulesÌ subtile Ponderation ist folglich kein Ausdruck eines In-sich-selbstRuhens, wie es beim antiken Vorbild des Motivs, dem Herkules Farnese, der Fall ist (Abb. 2).18 Nach seiner Wiederentdeckung 1545/46 galt die antike Statue als

Ebd., 371. Ebd., 89. 18 Die 3,35 m hohe Marmorstatue wurde von dem Athener Bildhauer Glykon 212 – 216 n. Chr. nach dem Vorbild der heute verlorenen Skulptur Lysipps (um 320 v. Chr.) für die Caracallathermen angefertigt, deren Eingang sie mit einer anderen monumentalen Herkulesfigur flankierte. Eine von Alessandro Farnese als Papst Paul III. durchgeführte Grabungskampagne brachte 1545/46 die beiden Skulpturen Stück für Stück zutage. Alessandro Farnese stellte sie im Hof seines Palastes auf, den Michelangelo in diesem Zusammenhang mit einer eindrucksvollen Schaufassade versehen hat. Fortan besichtigten Künstler, Kunstkenner und Altertumsforscher aus aller Welt den Herkules Farnese; er gehörte zum unerläßlichen Bestandteil der ,Grand TourÍ und wurde durch Stiche und 16

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ideales Sinnbild des gereiften Mannesalters; die ausgeglichene Haltung des Körpers wurde als Harmonie der Kräfte wahrgenommen.19 Dem Sujet der Wahl des Lebensweges entsprechend, verjüngt Matteis Herkules und verleiht ihm eine hellwache Aufmerksamkeit, während der Herkules Farnese, von den hesperischen Gärten zurückkehrend, deren Äpfel er hinter dem Rücken hält, „erhizet und athemlos“ ausruht, wie Winckelmann ihn charakterisiert.20 Über diese Modifikationen hinaus invertieren Shaftesbury und Matteis das antike Vorbild geradewegs, indem die Ausgeglichenheit des Kontrapostes eine inhaltliche Umkehrung erfährt: Der Ausdruck innerer Ruhe soll durch die Veranschaulichung höchster Zerrissenheit ersetzt werden. Dazu wird die ,klassisch-idealeÍ Ruheform des Kontrapostes entleert und als Schale einer sich von innen her ereignenden Spannung angefüllt. Damit kommt der stärksten Form im Bild die höchste Fragilität zu. Die inhaltliche Umkehrung des herkulischen Kontrapostes basiert auf dem für Shaftesburys Denken zentralen Begriff der ,inneren FormÍ, die den Charakter – „the disposition, temper, and affections“21 – einer Person bezeichnet. Die Historia des Gemäldes – „the principal action“ – hat sich ganz auf die Seite der ,inneren FormÍ zurückgezogen. Ihr sucht Matteis unter Einsatz von Komposition, Farbgebung und Lichtführung sichtbaren Ausdruck zu verleihen. Auch wenn es Matteis letztlich nicht gänzlich gelungen ist, das Drama des Selbstzweifels gerade durch jene Körperhaltung darzustellen, welche beim antiken Vorbild die Standhaftigkeit exemplifiziert, ist das kunstreformierende Potential des Bildes dennoch virulent. Obwohl Herkules keine Heldentat ausübt, sich jeglicher ,äußerlichenÍ Handlung enthält, veranschaulicht seine Darstellung eine ,PassioÍ, die als „reflex affection“22 in ihrer Intensität nicht hinter den herkömmlichen Affektklassen zurückbleibt – Shaftesbury spricht gar von „Agony“ – und die dennoch quer zur tradierten Affektordnung steht. Daß Herkules einen affektiven Zustand veranschaulicht, der bisher nicht zum Vokabular der Bildsprache gehörte, zeigt sich in MatteisÌ von Shaftesbury angetriebenem Ringen um einen adäquaten Gesichtsausdruck. Während er für die Ausformung der sehnsuchtsvoll-hoffenden Mimik des Lasters auf die Tafeln von Charles Le Brun zurückgriff (Abb. 3) und sich für die Mimik der Tugend, Shaftesburys Empfehlung folgend, auf antike Münzen mit Darstellungen der Pallas Athene stützte,23

Zeichnungen in aller Welt verbreitet. Heute steht er im Museo Archeologico Nazionale in Neapel. Die Abbildung entstammt dem Archiv des Autors. 19 Joachim von Sandrart, Teutsche Academie der Edeln Bau-, Bild- und Mahlerey-Künste, Nürnberg 1675, 1. Teil, 2. Buch, 34. 20 Johann Joachim Winckelmann, Geschichte der Kunst des Alterthums, Wien 1776, 744 f. 21 Shaftesbury, Sämtliche Werke (wie Anm. 1), Bd. 1.2, 266. 22 Shaftesbury, Sämtliche Werke (wie Anm. 1), Bd. 2.2, 66. 23 Shaftesbury, Sämtliche Werke (wie Anm. 1), Bd. 1.5, 95 f.

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konnte er, um HerkulesÌ ,existenziellen ZweifelÍ mimischen Ausdruck zu verleihen, kein Muster in Anspruch nehmen.24 Daß die ,PassioÍ den Hauptgegenstand eines Bildes auszumachen habe, hatte bereits der Kunsttheoretiker Paolo Lomazzo, auf Leon Battista Albertis zentralen Begriff ,motusÍ zurückgreifend,25 Ende des 16. Jahrhunderts empfohlen, um dem Charles Le Brun hielt 1668 in der Pariser Acad¤mie Royale de Peinture et de Sculpture eine Conf¤rence sur lÌexpression g¤n¤rale et particuliºre. Diese Veranstaltung gehörte zu den regelmäßig von den Künstlern der Akademie abgehaltenen Konferenzen, in denen der Redner über ein selbstgewähltes Thema referierte. Drei Zuhörer publizierten den Vortrag Jahre später mit einer unterschiedlichen Anzahl von Illustrationen: Henry Testlin (1680/96), GaÙtan Picart (1698, 1701 in London), Jean Audran (1727). Der Quelltext ist mit den Zeichnungen publiziert, philologisch aufbereitet und interpretiert in: Jennifer Montagu, The expression of the passions. The origin and the influence of Charles Le BrunÌs Conf¤rence sur lÌexpression g¤n¤rale et particuliºre, New Haven u. a. 1994. Dieser Abhandlung ist auch die Abbildung entnommen (ebd., 86). 25 Leon Battista Alberti, Das Standbild. Die Malkunst. Grundlagen der Malerei, Darmstadt 2000, 272. Alberti trifft bereits eine Unterscheidung zwischen ,motiÍ als Affekten, welche die Seele bewegen, und ,motiÍ als körperlichen Bewegungen. Beide Bereiche koinzidieren mit der Aufgabe 24

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Historienbild einen neuen Impuls zu geben: Das Dargestellte müsse stets von einem zentralen Affekt, einer ,principal passioneÍ seinen Ausgang nehmen, auf den sich alles im Bild zu beziehen habe.26 Eine Forderung, welche der von Shaftesbury in den Plasticks erwähnte, mit Rubens bekannte Franciscus Junius wiederholte: „In der Tat ist […] Bewegung gleichsam die Seele und der Geist des Gemähldes, die aus einmal erregten, nicht nur heftigen, sondern auch sanften und gemilderten Affecten entspringt“.27 Ist der zentrale, die ,HistoriaÍ des Bildes generierende Affekt bisher jedoch als offensichtliches Handlungsgeschehen erkennbar gewesen, indem er die Bildpersonen mehr oder weniger stürmend ergriffen hat, führt Shaftesbury, zwischen innerer Handlung und ihrer äußerlichen Artikulation differenzierend, eine Opazitätsgrenze ein und sichert den ontologischen Status des visuell nicht Verfügbaren als ,innere FormÍ gegenüber ihrer sichtbaren patho-physiognomischen Erscheinung als ,äußerer FormÍ. Die Handlung wird gleichsam der ,äußeren FormÍ entzogen und als Abbild einer sie modellierenden ,inneren FormÍ bestimmt, die der Betrachter durch eine genaue Beobachtung der ,äußeren FormÍ diagnostisch zu erschließen hat. Damit vollzieht sich auf kunsttheoretischem Terrain eine entscheidende Umkehrung: Das Bild-Abbild-Verhältnis ist kein äußerliches mehr, das gemäß der Illusionstheorie des geöffneten Fensters, mit dem Alberti paradigmatisch die Malerei verglich,28 einen Gegenstand ,mimetisch wiederholtÍ; es ist aber auch nicht in einem gegenstandstranszendierenden Sinne immateriell-materiell bestimmt, indem das Werk etwa ein konkretisiertes Abbild seiner vorgängigen urbildlichen ,IdeaÍ wäre oder anhand der dargestellten Personen überindividuelle Wirkprinzipien verbildlicht würden; das Bild-Abbild-Verhältnis bleibt gegenstandsmimetisch bestimmt, wird jedoch in den Abbildungsgegenstand selbst verlegt. Der Künstler verdoppelt folglich nicht, wie Sokrates ihm vorwarf, das Abbild. Seine Aufgabe besteht darin, mimisch-gestisch das innere Urbild zur Erscheinung zu bringen.29 Mit der Individualisierung des Ur-Bildes als ,innerer FormÍ hebelt Shaftesbury vermittels einer platonischen Gedankenfigur die sokratische Abwerder Maler, „mit den Bewegungen von Gliedern den Zustand von Seelen zum Ausdruck zu bringen“. Im folgenden beschränkt sich Alberti aber ganz auf den körperlichen Aspekt der ,motiÍ. 26 Im VI. Kapitel des 2. Buches des Tratatto dellÌArte della Pittura, Scoltura et Architettura (1596) gibt Lomazzo vor, was der Künstler beim Bildaufbau vor allem zu beachten habe: „Nel che si ha dÌavvertire, sopratutto, di far proporzionati al moto della principal passione, che se finge nella figura glÌaltri che gli vengono in consequenza, secondo la forza con chÌella gli commove […]“. Abgedruckt in: Roberto Paolo Ciardi, Scritti sulle arti, Bd. 2: Gian Paolo Lomazzo, Florenz 1974, 106. 27 Franciscus Junius, Von der Mahlerey der Alten in drey Büchern, Breslau 1770, 486. Die Originalschrift De pictura veterum erschien 1637, wurde 1638 unter dem Titel The Painting of the Ancients ins Englische übersetzt und stark rezipiert. 28 Alberti, Die Malkunst (wie Anm. 23), 224. 29 Platon referiert SokratesÌ Bildkritik im 10. Buch der Politeia.

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tung der abbildenden Kunst aus, die hinsichtlich des bloßen Porträts bei Shaftesbury selbst virulent bleibt. Es zeige als „an Imitation of an Imitation“ einzig „mortifyd faces“.30 Die Kunst, so lautet ihre neue Aufgabe, hat die dargestellten Personen wahrhaftig zur Anschauung zu bringen, indem sie die sich prinzipiell zeitlich artikulierende ,innere FormÍ als räumliche Konfiguration einer ,äußeren FormÍ zur Anschauung bringt. Bevor den daraus resultierenden Konsequenzen für die Kunst nachzugehen ist, gilt es, die Dispositionsbedingungen der ,inneren FormÍ zu skizzieren. Die Benennung von HerkulesÌ emotionalem Zustand als ,reflex affectionÍ und die Lokalisierung seiner Ursache in der ,inneren FormÍ zeigen bereits, daß dieser Affekt Herkules nicht durch eine überindividuelle Schicksalsmacht, der er sich mit heroischem Pathos zu erwehren hat, raptisch ergreift, sondern autogeneriert ist, indem Herkules die an ihn gerichteten Argumente vermittels ihres rationalen Nachvollzugs auf seine eigene Person appliziert. Damit ist die ,reflex affectionÍ nicht ein Affekt unter anderen; sie bezieht sich im Fall des Herkulesurteils auf die Ursache aller affektiven Regungen, auf die Denken und Handeln ausrichtende Disposition, die den Individualcharakter ausmacht. Damit ist die Schnittstelle bezeichnet, an welcher der Affekt- in den Empfindungsbegriff umschlägt. Während der Furor des Affekts zu einem Außer-sich-Sein führt, der im Affekt Handelnde nicht mehr er selbst ist, ist der Empfindungszustand, mag er auch noch so ekstatisch aufgeladen sein, ein das Innerste nach außen kehrendes Bei-sich-selbst-Sein. Die damit inaugurierten, das 18. Jahrhundert prägenden Leitbegriffe ,WahrhaftigkeitÍ und unverstellte ,NatürlichkeitÍ etablierten zugleich ihren Gegenbegriff ,AffektationÍ, der den Hoheitsbereich des Affektbegriffs zusätzlich beschnitt. Als Unnatürlichkeit stand die Affektation zugleich für das Widervernünftige, während dem Empfindungsbegriff ein vernunftkonformer Kern eignet. Das Zusammenspiel der traditionellen Antagonisten ,VernunftÍ und ,AffektÍ innerhalb der ,EmpfindungÍ bildet das Kernstück der moral-sense-Theorie Shaftesburys, welche sie als interdependente Größen zusammenschließt.

30

Shaftesbury, Sämtliche Werke (wie Anm. 1), Bd. 1.5, 283.

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II. Moral sense Shaftesbury hat keinen Text verfaßt, der den ,moral senseÍ umfassend expliziert.31 Folgende Schlüsselpassage findet sich im Inquiry concerning Virtue or Merit: Bei einem Geschöpf, das imstande ist, sich allgemeine Begriffe von den Dingen zu bilden, sind nicht nur die äußeren Dinge, die sich den Sinnen darbieten, Gegenstände der Gemütsbewegung, sondern auch die Handlungen selbst und die Gemütsbewegungen des Mitleids, der Sorge für die eigene Art, der Dankbarkeit, sowie die jeweils entgegengesetzten Gefühle, indem sie durch Reflexion in das Bewußtsein eingebracht und dadurch zu Gegenständen werden. So daß mittels dieses nach innen gewandten Sinnes eine andere Art von Gemütsbewegung [another kind of affections] entsteht [Hervorh. M.K.] die sich auf eben jene Gemütsbewegungen richtet, die schon empfunden wurden und nun zum Gegenstand einer neuen Zuneigung oder Abneigung geworden sind.32

Shaftesbury unterscheidet zwischen Affekten oder Gemütsbewegungen erster und zweiter Ordnung. Um den Bruch zur überkommenen Affektenlehre anzuzeigen, verwenden wir im folgenden den Begriff ,EmpfindungÍ. Empfindungen erster Ordnung beinhalten sowohl Sinneseindrücke als auch die aufgezählten Gefühle ,Mitleid, Sorge für die Art und DankbarkeitÍ. Diese bestimmt Shaftesbury andernorts als gleichermaßen dem Tier wie dem Menschen eigentümliche ,natural affectionsÍ.33 Empfindungen erster Ordnung implizieren ein Bewußtsein, das noch nicht selbstreflexiv strukturiert ist. Es nimmt etwas wahr, auf das es mit handlungsauslösenden Empfindungen reagiert, die ihrerseits den Aufmerksamkeitsfokus ausrichten und die Wahrnehmung konfigurieren. Die reflexive Leistung des Selbstbewußtseins erhebt diese funktional bestimmten Empfindungen erster Ordnung zu eigenen Bewußtseinsgegenständen, wodurch Bereits Fritz Rebhorn beklagt: „[Shaftesbury] erörtert seine Ansicht vom moral sense nur gelegentlich, nirgends im Zusammenhang“ (Fritz Rebhorn, Moral Sense und Moralprinzip bei Shaftesbury, Bonn 1882, 21). 32 Shaftesbury, Sämtliche Werke (wie Anm. 1), Bd. 2.3, 60. Eine von Friedrich Uehlein zitierte Parallelstelle findet sich im Philosophical Regimen Shaftesburys. Gleich im eröffnenden Eintrag Natural Affection wird die „new and superior Affection“ zweiter Ordnung angeführt (The Life, unpublished Letters, and Philosophical Regimen of Anthony, Earl of Shaftesbury, hg. von Benjamin Rand, New York 1900, 4), welche Uehlein begrifflich als ,rationale AffektionÍ faßt (Friedrich Uehlein, Kosmos und Subjektivität. Lord Shaftesburys Philosophical Regimen, Freiburg, München 1976, 235). Bei den kursiv gesetzten Passagen in den deutschsprachigen Shaftesbury-Zitaten handelt es sich stets um Hervorhebungen des Verfassers. 33 Anthony Ashley Cooper of Shaftesbury, Der gesellige Enthusiast. Philosophische Essays, hg. von Karl-Heinz Schwabe, Leipzig, Weimar 1990, 13. Die Stelle, welche die in der Tierwelt vorgefundenen ,natural affectionsÍ als ,social affectionsÍ gegen Hobbes wendet, lautet wie folgt: „Denn zur Verkleinerung des Menschen sagen, ein Mensch sei des anderen Wolf, ist eine ziemlich handgreifliche Ungereimtheit, wenn man bedenkt, daß selbst Wölfe gegen Wölfe sehr gefällige liebreiche Geschöpfe sind“. 31

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auf sie bezogene, als ,ZuneigungÍ oder ,AbneigungÍ ausschlagende Empfindungen zweiter Ordnung ausgelöst werden. Zu den auf diese Weise beurteilten Reaktionen zählen nicht nur Handlungen im engeren Sinne, sondern auch Handlungsabsichten, Erinnerungen, emotionale Zustände, grundsätzlich alle „actions in the mind“, die sich als Empfindungen erster Ordnung klassifizieren lassen. In ihrer Summe stellen sie das intentionale Gefüge der charakterlichen Disposition dar. Die sich auf die im Denken und Handeln jeweils akuten Intentionen beziehenden Empfindungen zweiter Ordnung werden nicht erst durch einen bewußt gesteuerten Reflexionsakt initiiert, sie sind qua Selbstbewußtsein unablässig gegeben: „Every reasoning or reflecting Creature is, by his nature, forcÌd to endure the Review of his own Mind, and Actions; and to have Representations of himself, and his inward Affairs, constantly passing before him, obvious to him, and revolving in his Mind“.34 Innerhalb des beständigen Prozedierens liefert die Reflexion als ,vis representativaÍ der Empfindung zweiter Ordnung ihr Material. Diese logische Vorgängigkeit wird in einer faktischen Gleichursprünglichkeit nivelliert: Mit der Bewußtwerdung ist die Empfindung der Ablehnung oder Zustimmung gegeben. Die Reflexion bedingt den ,moral senseÍ, in den sie zugleich eingelagert ist. Weil die Empfindungen zweiter Ordnung reflexiv bedingt sind, unterscheidet sich der ,moral senseÍ als innerer von den äußeren Sinnen, denen er nicht als ein sechster Sinn zugeordnet werden kann.35 Daß er rezeptiv als empfundene Zustimmung oder Ablehnung ausschlägt, berechtigt wiederum seine Benennung als ,senseÍ. Stellen wir uns ein Wesen vor, das keine Vernunft besitzt und unfähig zur Reflexion ist, aber dennoch viele gute Eigenschaften und Gemütsbewegungen hat, wie Liebe zur eigenen Art, Mut, Dankbarkeit oder Mitleid. Verliehe man diesem Wesen das Vermögen der Reflexion [reflecting Faculty], dann würde es sicherlich im gleichen Augenblick [at the same instant] Dankbarkeit, Liebe zur eigenen Art und Mitleid gutheißen, wäre ganz eingenommen, wenn immer das soziale Gefühl [social passion] sich zeigte oder äußerte und würde nichts für liebenswerter halten als dieses Gefühl und nichts für hassenswerter als sein Gegenteil. Und dies heißt der Tugend fähig sein und einen Sinn für Recht und Unrecht besitzen.36

Gerade der Automatismus, mit dem sich die Empfindungen zweiter Ordnung einstellen, zeichnet den Menschen als moralisches Wesen aus. Die Beurteilung seines Denkens und Handelns vollzieht sich qua ,moral senseÍ als empfundene Gewißheit des Richtigen oder Falschen, die, einem Evidenzerlebnis gleich, keinen Raum für Zweifel läßt: Die Empfindungsqualität unterliegt, unabhängig von ihrer Intensität, keinem Interpretationsspielraum. Der ,moral senseÍ hat als Gewissen, Shaftesbury, Sämtliche Werke (wie Anm. 1), Bd. 2.2, 211. Herder warnt ausdrücklich davor, den ,moral senseÍ als ,sechsten SinnÍ mißzuverstehen (Johann Gottfried Herder, Shaftesburi. Principium der Tugend, in: Adrastea 1 [1801], 223 – 232, hier 229). 36 Shaftesbury, Sämtliche Werke (wie Anm. 1), Bd. 2.3, 78. 34

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welches ,kritisierende EmpfindungenÍ produziert, die von kaum merklichen Sensationen bis zum nagenden Selbstzweifel reichen, die Funktion eines auf der Selbstbewußtseinsebene wirkenden Korrektivs: Seinem Ausschlag kommt willensbildendes Potential zu. Damit ist der ,moral senseÍ wertend die letzte, handlungsanleitend die erste Instanz, die jedoch nicht durch einen Wirkautomatismus miteinander verbunden sind. Zwischen Wertung und Handlung tut sich ein Hiatus auf, in den die menschliche Denk- und Handlungsfreiheit eingelassen ist. Wie wir uns zur Stimme des Gewissens verhalten, ob wir ihr Folge leisten oder nicht, liegt nach Shaftesbury in einer dem ,moral senseÍ übergeordneten, ihm entzogenen Entscheidungshoheit. Diese Autonomie des Willens gegenüber den determinierten Prozessen ist so weitreichend, daß sie auf die Prozessualität des ,moral senseÍ einzuwirken und langfristig seine Funktionsweise zu korrumpieren vermag.37 Er kann jedoch nicht als solcher eliminiert werden, ansonsten wäre das Selbstbewußtsein aufgehoben: „even the wickedest creature living must have a Sense“.38 Das Fatale des korrumpierten ,moral senseÍ liegt darin, daß auch seinen empfindungsmäßig gefällten Fehlurteilen der Status evidenter Wahrheiten zukommt, aus denen unmoralische handlungspraktische Konsequenzen resultieren: „Die falsche Beurteilung dessen, was recht ist, sofern sie Anlaß einer unangemessenen Gemütsbewegung ist, muß notwendigerweise bei jedem intelligenten oder rationalen Wesen die Ursache einer lasterhaften Handlung sein“.39 Die unangemessenen Empfindungen sind die von Shaftesbury erwähnten, den ,natural affectionsÍ wie Mitleid, Sorge für die Art und Dankbarkeit entgegengesetzten Gefühle. Diese einzig im menschlichen Bereich auftretenden ,unnatural affectionsÍ entspringen einem falsch ausgerichteten ,moral senseÍ, dem die Beurteilungsgegenstände nicht so gegeben werden, wie sie tatsächlich beschaffen sind. In diesem Fall stellt die zum ,moral senseÍ gehörende ,vis representativaÍ als Material bloß die ,äußereÍ, nicht die ,innere FormÍ der Gegenstände zur Beurteilung bereit. Um das Repräsentationsdefizit beheben zu können, vermag sich die Ratio auf die Darstellungsart der gelieferten Repräsentationen zu beziehen. Indem sie derart ein selbstreflexives kritisches Potential entfaltet, greift sie auf die Determinanten des sich automatisch vollziehenden empfindungsmäßigen Urteils des ,moral senseÍ zu. Infolge einer berichtigten Darstellung der Beurteilungsgegenstände wird der ,moral senseÍ dann entsprechend anders ausschlagen. Die reflexive Neujustierung des ,moral senseÍ vollzieht sich im Selbstgespräch. Mit dem Entwurf eines mehrstufigen ,innerenÍ oder ,moralischen SinnsÍ, der reflexiv eine Empfindung verarbeitet, indem er selbst eine sich als Urteilsform artikulierende Empfindung generiert, hat Shaftesbury dem Empfindungsbegriff 37 38 39

Ebd., 71 f. Ebd., 90. Ebd., 64.

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eine selbstreflexive Dimension eingeschrieben und eine moralisch bestimmte Selbstbewußtseinstheorie skizziert. Dieser Entwurf, der, wie im folgenden gezeigt werden soll, ästhetisch fundiert ist, lieferte dem 18. Jahrhundert die initiale Neubegründung der Ethik.40 III. Selbstgespräch Herkules könne, so Shaftesbury, die Begegnung mit den beiden Göttinnen in der Einsamkeit nur geträumt haben. Er fügt jedoch hinzu, wenn dies ein Traum gewesen sei, dann ein „truely rational, and Divine-one“.41 Die Möglichkeit, daß Herkules die Szene vielleicht nur träumte, negiert eine ins Wunderbare ausschlagende Realpräsenz der beiden Göttinnen, die rationale Wahrhaftigkeit des Traums hingegen verneint ihr Erscheinen als Phantome der Einbildungskraft. Herkules hat vielmehr Tugend und Laster qua Reflexion aus sich herausgesetzt und führt durch sie einen dialogischen Monolog mit sich selbst. Aus diesem Grund sieht Herkules auf dem Gemälde zwar Richtung Tugend – und doch an ihr vorbei. Sein aufmerksam konzentrierter Blick ist nach innen gerichtet. Im Soliloquy empfiehlt Shaftesbury als geeigneten Ort des Selbstgesprächs die Waldeinsamkeit.42 Dort könne sich die Einbildungskraft verströmen,43 um, von einer neutral gestimmten Gemütsruhe ausgehend, dialogisch die Beschaffenheit der den Charakter konstituierenden ,inneren FormÍ einer Revision zu unterziehen. Shaftesbury bringt diesen Vorgang, die Inschrift des delphischen Tempels präzisierend, auf die Formel „REGOCNIZE YOUR-SELF: which was as much as to Wolfgang Schrader stellt die verschiedenen ,EinkleidungenÍ des Begriffs ,moral senseÍ zusammen: „reflected sense, heart, sense of right and wrong, sense of moral worth and goodness, sense of order and proportion, natural moral sense“. Er diagnostiziert die „scheinbar widerstreitenden Bestimmungen“ als „unbefriedigend“ und bietet mit den ,natural ideasÍ, den eingeborenen Ideen als präkognitiv wirkenden Allgemeinbegriffen einen Erklärungsschlüssel des ,moral senseÍ an (Wolfgang Schrader, Ethik und Anthropologie in der englischen Aufklärung. Der Wandel der moralsense-Theorie von Shaftesbury bis Hume, Hamburg 1984, 10 – 17). Die ,ideae innataeÍ hatte jedoch bereits Shaftesburys Lehrer John Locke einer grundlegenden Kritik unterzogen. Friedrich Uehlein hält daher fest: „Es geht […] nicht um Begriffe, die angeboren in uns vorlägen“ (Friedrich Uehlein, Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie des 18. Jahrhunderts, Bd. 1: Großbritannien und Nordamerika, Niederlande, hg. von Helmut Holzey, Basel 2004, 73 f.). Uehlein verweist wie Angelica Baum auf Shaftesburys Verwendung des Begriffs ,connaturalÍ, der „sich auf die Konstitution des Menschen, nicht aber auf das Wissen [ob etwas gut oder böse sei]“ beziehe (Angelica Baum, Selbstgefühl und reflektierte Neigung. Ästhetik und Ethik bei Shaftesbury, Stuttgart-Bad Cannstadt 2001, 197 f.). Der ,moral senseÍ, so ergänzen wir, appliziert keine präreflexiv gegebenen Begriffe, er ist ästhetisch fundiert und reagiert auf Struktureigenschaften des Teil-Ganzes-Verhältnisses, die dabei implizit begrifflich bestimmt werden. 41 Shaftesbury, Sämtliche Werke (wie Anm. 1), Bd. 1.5, 11. 42 Shaftesbury, Sämtliche Werke (wie Anm. 1), Bd. 1.1, 48. 43 Ebd., 51. 40

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say Divide your-self, or Be Two“44 und führt diese Zweiteilung folgendermaßen aus: Und genau hier entspringt unser vortreffliches Heilmittel und unsere gymnastische Methode des Selbstgesprächs; wenn der Geist mit Hilfe einer mächtigen Figur der inneren Rhetorik seine eigenen Vorstellungen anredet, sie zu ihrer eigentlichen Gestalt und Persönlichkeit erhebt und sich vertraulich an sie wendet und zwar ohne die geringste Feierlichkeit und Ehrerbietung. Hierdurch wird es bald vorkommen, daß sich im Inneren zwei Bewußtseinsgestalten bilden werden. Denn wenn die Vorstellungen und Einfälle so unverblümt behandelt werden, sind sie gezwungen, Farbe zu bekennen und Partei zu ergreifen.45

Auf dem Gemälde ist Herkules als Zuschauer gleichsam hinter sich selbst zurückgetreten, um die Bühne freizugeben, auf der sich das intentionale Geflecht seiner ,inneren FormÍ als zwei konträre Bewußtseinsgestalten – Tugend und Laster – formiert, wodurch Herkules die wahre Beschaffenheit seiner Überzeugungen erkennt und schließlich, am Ende der anschaulich-dialogischen Selbstzergliederung, wieder zum Protagonisten wird, der seinerseits gezwungen ist, durch einen Entschluß ,Farbe zu bekennenÍ. Das Selbstgespräch stellt den Zustand höchstmöglicher Selbsttransparenz dar, in welchem die unausgewiesenen Voraussetzungen, warum der ,moral senseÍ etwas bejaht oder verneint, reflexiv hinsichtlich ihrer moralischen Qualität offengelegt werden. Auf diese wahre Beschaffenheit der ,inneren FormÍ reagiert der ,moral senseÍ und verdichtet dabei die qua argumentierender Auseinanderlegung reflexiv eingeholten Gründe zu Empfindungen zweiter Ordnung. Der auf seine eigenen Voraussetzungen gerichtete ,moral senseÍ produziert Empfindungserkenntnisse, die sich in die Ökonomie der handlungsauslösenden Leidenschaften implantieren und, derart zu Empfindungen erster Ordnung sedimentiert, als Leidenschaften gegen Leidenschaften agieren, um bestimmte Neigungen durch die affektive Herbeiführung eines rigorosen Willensentschlusses möglichst dauerhaft zu bannen – was sich auf HerkulesÌ Antlitz als mimisches Drama abzeichnet. Durch diesen Prozeß wird die Struktur der ,inneren FormÍ auf die ursprünglich naturgegebenen ,natural affectionsÍ hin re-konfiguriert und damit zugleich der ,moral senseÍ neu justiert. Durch das gelungene Selbstgespräch wird eine auf die Selbstvervollkommnung des Charakters zielende Habitualisierung initiiert, die nicht das Ergebnis eines Trainings oder einer vorschriftsorientierten Maßregelung ist, sondern reflexiv gewonnen wurde. Aus dem Telos ,SelbstvervollkommnungÍ geht bereits hervor, daß das Herkulesurteil keine einmalige Entscheidung ist, sondern stets von neuem vollzogen werden muß, denn auch der Pfad der Tugend wird den Helden an immer neue Gabelungen führen. Von diesem labyrin44 45

Ebd., 62. Ebd., 85.

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thischen Weg zum „Wohnsitz der Glückseligen“46 berichtet die Cebes-Tafel, die in den 2nd Characters auf den Herkules-Text folgen sollte. Die Selbstprüfung ist keineswegs an die Waldeinsamkeit gebunden, sondern prinzipiell ortsunabhängig.47 Der ,Daimon-CompanionÍ des Sokrates war den Alten die enigmatische Erklärung, „that we had each of us a Patient in our-self; that we were properly our own Subject of Practice, and that we then became due Practitioners, when by virtue of an intimate Receß we couÌd discover a certain Duplicity of Soul, and divide our-selves into two Partys“.48 Denjenigen, welchen die inszenatorische Praxis des inneren Dialogs zur Gewohnheit geworden ist, „virtually carry about with Íem a sort of Pocket-Mirror, always ready, and in use“.49 Ein solches „magical glass“ offenbart dem Hineinschauenden in einer „double Reflexion two faces. One of them like the commanding Genius […]; the other like that rude undisciplinÌd and headstrong Creature, whom we ourselves in our natural Capacity most exactly resembled“.50 Bedeutet der habitualisierte Blick in den magischen Spiegel – das Ansichtigwerden der doppelten Reflexion – eine stets neue Selbstprüfung, sieht derjenige, dessen ,moral senseÍ durch ,unnatural affectionsÍ ausgerichtet ist, beim Blick in den Spiegel nur ein einziges Gesicht, die ,äußere FormÍ. Er befindet sich in einem ständigen Monolog, selbst dann, wenn er in ein tatsächliches Gespräch eintritt. In den Anmerkungen zum Soliloquy legt Shaftesbury die den ,ganzen MenschenÍ betreffende Tragweite der moralischen Selbstvervollkommnung dar: Geschmack (,tasteÍ) und Urteilsvermögen (,judgementÍ) seien nur als Anlage angeboren und müßten erst entwickelt werden, was allein durch „Labour and Pain of CRITICISM“ möglich sei.51 Die Auseinandersetzung der ,inneren FormÍ im Selbstgespräch befördert daher zugleich die Ausbildung der Urteilskraft und des Geschmacks, die sich gegenseitig stabilisieren und zusehends auf das Ideal des ,VirtuosoÍ hin verfeinern.52 Hirsch-Luitpold, Die Bildtafel des Kebes (wie Anm. 8), 87. Auch in der Cebes-Tafel, der geplanten dritten Abhandlung der 2nd Characters, begegnet uns der Daimon. Gleich eingangs, am Ort des „Lebens“, zeigt er den Eintretenden, „was für einen Weg sie gehen müssen, wenn sie im Leben wohlbehalten ans Ziel kommen wollen“, und ermahnt als erstes dazu, sich dessen bewußt zu bleiben, daß jeder, der das Leben betritt, eingangs den Trank der Täuschung trinkt (ebd., 73). Im zweiten Teil der Parabel wird der nun Daimonion genannte Daimon zu einer Art innerer Stimme, die zum „wahren Wissen“ (ebd., 99) drängt. 48 Ebd., 60. 49 Shaftesbury, Sämtliche Werke (wie Anm. 1), Bd. 1.1, 95. 50 Ebd., 95. 51 Shaftesbury, Sämtliche Werke (wie Anm. 1), Bd. 1.2, 202. 52 Eine dem hier entwickelten Verständnis des Selbstgesprächs Shaftesburys als gesellschaftsrelevante Selbst-Formung gegenteilige Auffassung vertritt Barbara Schmidt-Haberkamp. Die Autorin charakterisiert konform mit unserer Sicht das Selbstgespräch als Selbstaufklärung, die sie jedoch folgendermaßen einschränkt: „Selbstaufklärung besitzt keine gesellschaftliche Relevanz, 46

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Die modulierende Genese einer in sich kohärenten und konsistenten Teil-Ganzes-Struktur der ,inneren FormÍ ist die eigentliche ,HistoriaÍ des Herkulesbildes, zu deren Nachvollzug der Betrachter angeleitet werden soll, indem seinem ,moral senseÍ eine Teil-Ganzes-Struktur gegeben wird, die in ihrer rationalen Durchdringung als intentionales Geflecht entfaltet wird. Vermittels der rationalen Sättigung der ästhetischen Strukturen, auf welche der ,moral senseÍ reagiert, kann die Kunst eine den ,moral senseÍ ausbildende ,Schule der ErkenntnisÍ sein. Für diese pictorale ,AufklärungÍ des ,moral senseÍ soll das Herkules-Bild die verbindlichen Darstellungsrichtlinien liefern. IV. Tabulature Gleich eingangs des Entwurfs der Plasticks formuliert Shaftesbury den Anspruch, eine Kunstwissenschaft zu begründen: „You may remember, my Lord, I began this Research by calling PAINTING, a vulgar Science. Now, You see, it is come so far, & I have so deeply engagÌd that I am about to shew this to be far from a vulgar or low Science“.53 Um die mit dem Herkulesbild anvisierte ,NeubegründungÍ der Kunst zu markieren, versucht Shaftesbury für das reformierte Historienbild einen eigenen Begriff – ,TabulatureÍ – zu etablieren, den er folgendermaßen definiert: „[Tabulature] ist ein einzelnes, in einem einzigen Blickpunkt zusammengefaßtes und nach einer einzigen Vorstellung, Sinngebung oder Grundidee gestaltetes Stück, das durch wechselseitige und notwendige Beziehung seiner Teile ein wirkliches Ganzes ausmacht, gerade wie es bei den Gliedern in einem natürlichen Körper der Fall ist“.54 Die genannten Kriterien gelten für alle Sujets, weshalb selbst Blumenmaler ,TabulaturesÍ anfertigen können. Damit steht ,TabulatureÍ als Klassifikationsbegriff quer zur Gattungshierarchie, obwohl die Historienmalerei, „wo nicht nur Menschen, sondern Verhaltensweisen und menschliche Leidenschaften dargestellt werden“,55 die Königsdisziplin bildet. Mit dieser Bestimmung der Historienmalerei ist William Hogarths Gattung der ,Modern moral subjectsÍ noch nicht etabliert, aber bereits begründet.56 noch lassen sich ethische Sätze aus ihr ableiten. Sie ist einzig auf die moralische und intellektuelle Konstitution des Individuums gerichtet, auf sein So-Sein, nicht auf sein Sein-Sollen“ (Barbara Schmidt-Haberkamp, Die Kunst der Kritik. Zum Zusammenhang von Ethik und Ästhetik bei Shaftesbury, München 2000, 49). Unserer Ansicht nach ist eine Erkenntnis der ,moralischen KonstitutionÍ nur möglich, wenn ein So-Sein mit einem Sein-Sollen ins Verhältnis gesetzt wird. 53 Shaftesbury, Sämtliche Werke (wie Anm. 1), Bd. 1.5, 161. 54 Ebd., 77. 55 Ebd., 77. 56 Werner Busch zeigt die Gattungsgenese der Modern moral subjects als ,Mittleres GenreÍ im Werk von William Hogarth auf. Siehe dazu vor allem: Werner Busch, Das sentimentalische Bild. Die Krise der Kunst im 18. Jahrhundert und die Geburt der Moderne, München 1993, 242 ff.

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Betrachten wir die Bestimmungen des ,TabulatureÍ genauer.57 Seine basale Bedingung ist die Bildidee. Sie präformiert die Bildeinheit, welche dann gegeben ist, wenn die Bildidee in Analogie zum menschlichen Körper als „wechselseitige und notwendige Beziehung der Teile zu einem wirklichen Ganzen“ realisiert ist: eine Gleichsetzung, welche die anthropologische Fundierung der Kunst aufzeigt. In diesem Fall ist die Bildidee aus einem ,einzigen BlickpunktÍ zugänglich. Das Vorhandensein eines solchen Blickpunkts ist folglich ein Test, ob es sich beim betrachteten Bild um ein Tableau handelt. Er fällt dann positiv aus, „wenn das Auge […] gleichsam unbeweglich in der Mitte, im Zentrum des Tableaus ruht und auf einmal, in einer angenehmen und vollkommenen Übereinstimmung alles sehen kann, was dort sichtbar dargestellt ist“.58 Dabei hat das Bild die räumliche Distanz seines adäquaten Blickpunkts präzise vorzugeben: „The Touches & Pencil (as well as the Dimensions in Fresco-Work & un-even SuperficieÌs) must trim the Balance, & drive you back, or bring you forward, as your eye (you will find) requires“.59 Dazu dürfen im Bild keine Maßstabsprünge vorhanden sein, die einen Wechsel des Betrachterstandpunktes erforderten. Das Insistieren auf einen Universalblickpunkt hat einen erkenntnistheoretisch motivierten phänomenologischen Grund: Um eine ,AllansichtÍ des Bildinhalts zu erlangen, soll der Blick, dessen Eigenbewegungen noch keine Berücksichtigung fanden, nicht genötigt sein, die Bildwelt erst additiv-summarisch zusammen-sehen zu müssen. Dem ,moral senseÍ des Betrachters soll das Dargestellte als Ganzes, all seinen Einzelheiten nach, in unverstellter Gleichzeitigkeit zur Beurteilung gegeben sein. Damit ist jener Moment aufgerufen, der innerhalb des Selbstgesprächs im Zurücktreten hinter sich selbst die wahre Erkenntnis der ,inneren FormÍ initiiert. Die ,innere FormÍ des Dargestellten zu erkennen zu geben wird zur neuen, vom Tableau einzulösenden Aufgabe der Kunst. Ihr kommt ein dem Selbstgespräch analoges Selbst-Erkenntnispotential zu, indem die charakterliche Disposition als Ursache der dargestellten Geschehnisse offengelegt wird und auf diese Weise, vermittels der Spiegelfunktion der Kunst, modellierend auf die ,innere FormÍ des Betrachters eingewirkt werden soll. Um das dazu erforderliche Sich-wieder-Finden des Betrachters im Bild als in der Welt handelnde Person zu gewährleisten, sind die Darstellungsprinzipien mimetisch an die ,Real-WeltÍ zurückgebunden. Inhaltlich wie formal müssen diejenigen Wahrscheinlichkeitsstandards erfüllt werden, die das Dargestellte als real möglich erscheinen lassen, weshalb Shaftesbury die Herkulesszene als ,realen TraumÍ zu rechtfertigen sucht. Nur wenn der präsentierte ,Welt-EindruckÍ als konsistent wahrgenommen wird, Shaftesbury verwendet nicht konsequent seine eigene Begriffssetzung ,TabulatureÍ, er spricht auch weiterhin oftmals vom ,TableauÍ. 58 Shaftesbury, Sämtliche Werke (wie Anm. 1), Bd. 1.5, 125. 59 Ebd., 235. 57

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ist das Bild für den ,moral senseÍ unmittelbar eine Repräsentation von Welt, während andernfalls die Darstellung zunächst einen Vergleich mit der Welt auslöst, wodurch das Bild als ein geschaffenes Produkt auffällig wird, das den Anspruch erhebt, ,Welt zu repräsentierenÍ. Damit würde zugleich die Person des Künstlers aufgerufen, die sich zwischen das Werk und seine Betrachtung stellt. Die basale Bedingung, ein Bild formal als präsentierte Welt wahrnehmen zu können, ist zeichentheoretischer Art – es darf einzig aus ,2nd CharactersÍ bestehen, die mimetisch überzeugend ausgeformt sein müssen. V. Homogene Zeichenstruktur Der Entstehungsprozeß des Herkulesgemäldes ist eine schrittweise Purifikation der ,2ndÍ von ,3rd CharactersÍ bei gleichzeitiger Separierung der Bildpersonen. Der erste Entwurf (Abb. 4) zeigt Herkules sitzend und orientiert sich motivisch noch deutlich an Annibale Carraccis kanonisch gewordener Formulierung des Themas, seinem Herkulesurteil, das er 1595 für Kardinal Odorado Farnese geschaffen hat. Der Gehalt des Bildes soll sich vermittels der großen Kompositionszüge offenbaren: Herkules ist in eine von den Akteuren gebildete Dreiecksformation eingespannt, dessen liegende Spitze die Lust bildet, während die Tugend die Vertikale formt. Der Tugendtempel auf der Bergspitze liegt auf dem oberen Dreiecksschenkel, der durch eine vom Blick der Lust initiierte Aufstiegsbewegung gebildet und von HerkulesÌ Arm fortgesetzt wird. Um innerhalb dieser kompositionellen Einbettung den Prozeß der Urteilsfindung als kardinale Bildhandlung zu profilieren, legt Herkules den Finger an die Stirn. Im nächsten, auf die Figurengruppe beschränkten Entwurfsstadium ist die Bildidee bereits modifiziert (Abb. 5). Die charakteristische Dreieckskomposition wurde nicht gänzlich verworfen, aber entscheidend verändert: Herkules hat sich erhoben und bildet die Mittelachse der Komposition, wobei er jedoch nicht als Souverän erscheint, sondern, wie auf der ausgeführten Version, in einer unentschieden gedrehten Haltung zwischen den Göttinnen steht. Die Dreieckskomposition der ersten Skizze wird dabei so weit umgeformt, daß Herkules, dessen Kopf nun den höchsten Punkt der Gruppe bildet, in ein dualistisches Links-RechtsSchema hineingesetzt ist. Während die Figuren zunächst ein kompositorisches Dreieck bildeten, welches die Tugend als höchsten und zugleich fernsten Punkt ausweist, weicht diese Statik einer inneren Dynamik, indem die Urteilsfindung nicht anhand des Kompositionsschemas, sondern anthropologisch veranschaulicht wird. Gegenüber dem Erstentwurf steht Herkules der Tugendgöttin nicht gänzlich unverhüllt gegenüber. Obwohl das Selbstgespräch als solches ein Akt der Entblö-

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ßung ist, lenkte die Darstellung der körperlichen von der geistigen Nacktheit ab. Eine weitere, die Exposition der Körperlichkeit relativierende ,VerhüllungÍ bewirkt HerkulesÌ doppeltes Aufstützen auf die Keule. Sein Körper präsentiert sich nicht wie der des Herkules Farnese als imponierende Muskellandschaft. Um HerkulesÌ geistige, nicht seine körperliche Konstitution zu veranschaulichen, wird dem Betrachter ein visueller Genuß der ,äußeren FormÍ verwehrt. Auf dem Ölmodello (Abb. 6) wird der im zweiten Entwurf neu disponierten Personengruppe ein Hintergrund gegeben. In ihm ist der Tugendtempel des Erstentwurfs verschwunden. Shaftesbury kritisiert im Herkules-Text anhand des Tugendtempels exemplarisch die unzulässige Einmischung der ,3rd CharactersÍ in einen ,natürlichenÍ Zeichenzusammenhang. Solche implantierten Embleme erfüllen „den Geist mit fremdartigen Phantasien und geheimnisvollen Ansichten, die dem Geschmack und Geist dieses Stücks keinesfalls angemessen wären“.

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Es gibt „keinen Anlaß für ihr Vorkommen“, weshalb „sie sich als bloße Belästigungen für das Auge erweisen und notwendig den Blick stören würden, indem sie ihn von der Hauptsache, nämlich der Geschichte und den Fakten, ablenkten“.60 Gerade indem ein auf die Bergspitze versetzter Tempel gegen das Postulat der Wahrscheinlichkeit verstößt, verwandelt er sich von einem architektonischen Objekt, das innerweltlich gegeben sein kann, in ein geheimnisvolles Emblem.61 Neben den inhaltlichen Kritikpunkten stört er die formale Bildsymmetrie: „Auch gibt es gleichzeitig auf seiten der Lust nichts, was als Gegenstück diesem Palast der Tugend entsprechen könnte, der also, wollte man ihn darstellen, auch aus diesem Grund die rechte Einfachheit und Stimmigkeit unseres Werkes zerstören würde“.62 Anstelle des Tugendtempels findet sich auf dem Modello ein naturgegebenes Zeichen: Die im Rücken der Tugendgöttin den Horizont illuminierende Dämmerung wird von der Lichterscheinung auf der Bergspitze überstrahlt. Reminiszenzen an den Vesuv klingen an, dessen Feuerkegel zum verheißenden Symbol eines tugendhaften Lebenswandels umgedeutet wird, das zugleich realistisch das ,lumen naturaleÍ veranschaulichen soll. Dem natürlichen Leuchten auf der Tugendseite entspricht der Verweis des Lasters auf das Blütengewinde. In den beiden ausgeführten Versionen werden diese ,natürlichen EmblemeÍ reduziert oder gänzlich aufgegeben und den ,2nd CharactersÍ die Tendenz genommen, als Bedeutungsinseln die ,3rd CharactersÍ gleichwertig zu ersetzen. Die Konturen der von einem Hain bewachsenen Anhöhe werden rückwärtig von der Sonne erleuchtet, und dem Tugendberg wird auf diese Weise eine zarte Lichtaura verliehen. Der quasi-emblematische Gegenstand des Vulkans ist in atmosphärische Stimmung aufgelöst, sein Gehalt gänzlich in die ,NatürlichkeitÍ der ,2nd CharactersÍ eingebettet. Auch die Geste des Lasters verweist gegenüber dem Ölmodello auf keinen konkreten Gegenstand, dem sie dadurch einen emblematischen Wert verliehe; die geöffnete Hand wird selbst zum Zeichen ihrer bereitwilligen Hingabe. Minutiös überprüft Shaftesbury das Herkulessujet auf seine ,NatürlichkeitÍ. Dabei identifiziert er nicht allein unzulässige ,3rd CharactersÍ; selbst ,natürlicheÍ Bewegungen, die sich tendenziell als Bedeutungsträger aus dem Zusammenhang der ,2nd CharactersÍ herauszulösen drohen, sollen vermieden werden. So ordnet Shaftesbury an, den in der ersten Vorzeichnung an HerkulesÌ Stirn ruhenden ausgestreckten Zeigefinger in die geschlossene Hand zurückzunehmen, da er zeichenhaft auf den Akt der Reflexion verweist und mit deren natürlichem Ausdruck

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Ebd., 115. Ebd., 123. Ebd., 115.

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– dem sich auf HerkulesÌ Mimik abzeichnenden Prozeß – kollidiert.63 Auf der Skizze kommt dem ausgestreckten Finger eine noch weitergehende Bedeutung zu: Hier weist er, ohne von Herkules intendiert, auf den Tugendtempel, um dort mit dem Zeigegestus der Tugend zusammenzulaufen. Eine solche zeichenhafte Verfestigung schafft überindividuelle Strukturen, die dem Sujet – HerkulesÌ aus dem inneren Kampf hervorgehende Urteilsfindung – zuwiderlaufen. Die bewußt ausgerichtete Geste der Tugendgöttin ist hingegen zulässig. Am Detail des Fingers wird Shaftesburys Ringen mit den Zeichensystemen deutlich: Einerseits sind nur ,natürlicheÍ, die ,innere FormÍ der Agierenden zum Ausdruck bringende Gesten legitim, andererseits hält Shaftesbury am traditionellen gestischen Repertoire der Rhetorik fest. Beide Stränge versucht er, im Pathos der Tugend zusammenzuführen. Sie muß „mit aller Kraft der Aktion sprechen, die man eben bei einem vortrefflichen Redner bemerken würde, wenn er am Höhepunkt und an der bewegendsten Stelle seiner Rede angelangt wäre. Sie sollte daher stehend gezeichnet werden, da es aller Wahrscheinlichkeit, ja der Natur selbst zuwiderläuft, daß mitten in der größten Inbrunst und höchsten Begeisterung des Redens der Redner sitzend zu sehen sein sollte […]“.64 Die Tugendgöttin hat einen Zustand erreicht, in welchem die rhetorischen Gesten zum ,natürlichenÍ Ausdruck werden. Diese Koinzidenz hatte bereits Quintilian vom Redner eingefordert, um die eindringlichste Überzeugungskraft zu entfalten.65 Weil diese starke Bewegung die unmittelbar-natürliche Artikulation ihrer ,inneren FormÍ ist, darf die Tugend in ihrem Ausdruck nicht maßregelnden Konventionen unterworfen werden und „the usual Decorum and regular Movement of one of the fair Ladys“66 zeigen. Der „heroische Stil“ muß eingehalten bleiben, um das „wirklich Pathetische“67 der Handlung der Tugend zum Ausdruck zu bringen. Die Vernunft kann sich folglich als Tugend bis zum Affekt steigern, welcher die Leidenschaftlichkeit des Lasters in den Schatten zu stellen vermag. Nochmals wird deutlich, daß Shaftesbury an einem starken Affektbegriff festhält, dessen positive Umdeutung ihn nicht in seiner Intensität beschneiden soll. Die „größte Inbrunst“ und „höchste Begeisterung“ ist allerdings stark reduziert. Zum einen, um, trotz ihrer leidenschaftlichen Aktion, Standhaftigkeit und Mäßigung als vorrangige Charaktereigenschaften Anläßlich des Entwurfs für das Selbstporträt als sterbender ,VirtuosoÍ schreibt Shaftesbury am 17. 1. 1713 an Matteis: „The eyes turnes aside as they are, and the index finger raised in this section of the foreground would exaggerate the meditation and spoil the representation“ (ebd., 425). 64 Ebd., 95. 65 Vgl. Marcus Fabius Quintilianus, Ausbildung des Redners. Zwölf Bücher, 2 Bde., Darmstadt 1972 – 1975, 633: „[Es ist das Erste] sich richtig ergreifen zu lassen, die Bilder der Geschehnisse in sich aufzunehmen und sich rühren zu lassen, als wären sie wirklich“. 66 Shaftesbury, Sämtliche Werke (wie Anm. 1), Bd. 1.5, 100. 67 Ebd., 103. 63

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der Tugend zu offenbaren,68 zum anderen, um das Dekorum zu wahren und nicht mit der eigentlichen affektiven ,ActioÍ des Bildes, der Urteilsfindung, zu konkurrieren. Mit diesen Beobachtungen zur Tugendfigur ist bereits die Zeitstruktur des Tableaus thematisiert, welche der bildlich präsentierten ,Real-WeltÍ unterliegt.

VI. Fruchtbarer Moment Indem das Tableau die sich zeitlich realisierende ,innere FormÍ der dargestellten Personen veranschaulicht, inhäriert der räumlichen Konfiguration des Bildes eine spezifische Zeitlichkeit. Sie besteht jedoch nicht in der Ausdehnung der Verlaufszeit äußerlicher Vorgänge; die simultane Darstellung von Ereignissen, die sich zeitlich nacheinander zutragen, unterminiert die Glaubwürdigkeit der ,Bild-RealitätÍ und verstößt gegen die „Rule of the Unity of Time“69 und damit zugleich gegen die „Rule of Consistency“,70 welche die Eindeutigkeit des Darstellungsgegenstands gewährleistet: „Die Hauptsache muß sich unmittelbar zeigen, ohne den Geist in der geringsten Ungewißheit zu lassen“.71 Dies ist nur gegeben, wenn die Darstellung einen einzigen Augenblick (,great eventÍ) veranschaulicht, den Shaftesbury begrifflich auch als ,NotionÍ faßt und mit der Bildidee identifiziert.72 Dieser ,fruchtbare MomentÍ ist der Fokus, in den die Bildidee eingelassen ist und der als ausstrahlender Emergenzpunkt alle Bildelemente als konsistentes TeilGanzes-Verhältnis ausrichtet. Damit ist die Einheit der Bild-Zeit für die Konstitution der Wahrhaftigkeit der Bild-Realität sogar noch entscheidender als die Einheit des Bild-Raums. Der ,fruchtbare MomentÍ öffnet als ,äußerlicher ZeitpunktÍ der ,inneren ZeitlichkeitÍ einen Extensionsraum. Im Anschluß an die Beschreibung Xenophons unterteilt Shaftesbury den Vollzug des Herkulesurteils hinsichtlich seines inneren Zeitverlaufs in vier mögliche, Vgl. ebd., 129. Ebd., 86. 70 Ebd., 83. 71 Ebd., 87. 72 Ernst Gombrich spricht im Anschluß an die aristotelische Peripetie (Poetik, Kap. 18, 1) treffend vom ,fruchtbaren MomentÍ (Ernst Gombrich, Der fruchtbare Moment. Vom Zeitelement in der bildenden Kunst, in: E. G.: Bild und Auge. Neue Studien zur Psychologie der bildlichen Darstellung, Stuttgart 1984, 40 – 62). Isabella Woldt schlägt, um die Transitivität des Moments zu betonen, statt dessen den Begriff ,offener SchlüsselmomentÍ vor (Isabella Woldt, Architektonik der Formen in Shaftesburys „Second Characters“. Über soziale Neigung der Menschen, Kunstproduktion und Kunstwahrnehmung, München, Berlin 2004, 178). Der ,fruchtbare MomentÍ ist aber gerade deswegen fruchtbar, weil er als Bruch im linearen Handlungsgefüge sich zugleich auf das Vergangene und Zukünftige bezieht und damit per se transitiv verfaßt ist. Johannes Dobai benennt ihn als den „spannendsten Moment in einem imaginären Drama“ (Johannes Dobai, Die Kunstliteratur des Klassizismus und der Romantik in England, Bd. 1: 1700 – 1750, Bern 1974, 69). 68

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bildlich darstellbare Akte.73 Das Erscheinen der beiden Göttinnen, wie Shaftesbury die Personifikationen der Tugend und des Lasters bezeichnet, wäre der erste mögliche Bild-Moment: „Hercules must of necessity seem surprisÌd on the first appearance of such miraculous Forms. He contemplates; But is not yet engagÌd or interested“. Die nächste Situation wäre jene, in der die Göttinnen den Disput beginnen. Herkules zeigt sich nun „interested, divided, and in doubt“. Der dritte Augenblick, den Shaftesbury für das Gemälde ausgewählt hat, tritt ein, wenn der Disput weit fortgeschritten ist und die Tugend ihre Sache zu gewinnen scheint. Herkules wird in diesem retardierenden Moment „von entgegengesetzten Leidenschaften gepackt, aufgewühlt und hin- und hergerissen. Die lasterhafte [Göttin] macht ihre letzte Anstrengung, von ihm Besitz zu ergreifen. Er leidet Qualen [torn by contrary passions] und strebt mit der ganzen Kraft seiner Vernunft, sich selbst zu überwinden“. Zugleich kündigt sich das erlösende Ereignis, die Urteilsfindung, an, welche in den Entschluß mündet, „ein Leben voller Mühsal und Beschwernis unter Anleitung der Tugend, zur Befreiung der Menschheit von Tyrannei und Unterdrückung“ zu führen. Schließlich wäre noch ein vierter Moment mögliches Sujet, nämlich der Augenblick, da Herkules gänzlich von der Tugend überzeugt worden ist. Da dann die Anzeichen dieser festen Entschlossenheit in Haltung und Miene des jungen Helden ganz und gar vorherrschten, würde kein Raum bleiben, die Gemütsqualen seines inneren Konflikts darzustellen, der nach Shaftesbury gerade die Hauptaktion des Bildes, die „principal action“, ausmacht.74 Diese „principal action“ unterwirft Herkules nicht einem Fegefeuer der Affekte, in das ihn äußere Umstände hineingestoßen hätten, vielmehr durchlaufen die Konturen seiner ,inneren FormÍ einen Verfestigungsprozeß. Als ein solcher innerer Zustand ist der ,fruchtbare MomentÍ weitaus transitiver aufgeladen als die Darstellung einer äußeren Handlung: Der gewählte dritte Akt birgt, indem er affektiv die Gegensätze ,TugendÍ und ,LasterÍ in sich vereint, innerhalb des Prozesses der Urteilsfindung die größtmögliche Extension der ,inneren ZeitlichkeitÍ. Shaftesbury hält es gar für möglich, daß er die ganze ,HistoriaÍ in sich konzentrieren könne: Die entspannte Gemütsruhe, der Zweifel, das Ringen um eine Entscheidung und der Entschluß sollen in HerkulesÌ Mimik sichtbar werden. Die Verschmelzung mehrerer, auf ein zeitliches Nacheinander drängender Zustände droht jedoch die an ein realistisches Paradigma zurückgebundenen bildlichen Darstellungsmöglichkeiten zu überspannen – die Einheit von HerkulesÌ Mimik beginnt fraglich zu werden. Um die Grenzen der zeitlichen Überdehnung hinauszuschieben, stellt Shaftesbury eine Übertragungsverzögerung zwischen ,innererÍ und ,äußerer Shaftesbury, Sämtliche Werke (wie Anm. 1), Bd. 1.5, 78 f. Die folgenden Zitate beziehen sich auf diese Passage. 74 Vgl. ebd., 83. 73

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FormÍ fest. Er beobachtet, „daß dann, wenn der Geist plötzlich einen neuen Weg einschlägt, die näher gelegenen Teile des Körpers (wie etwa die Augen und die Muskeln um Mund und Stirn) gleich in Unruhe geraten und sich augenblicklich bewegen und es den schwerfälligeren und entfernteren Teilen überlassen mögen, sich erst einige Momente später anzupassen und ihre Haltung zu ändern“.75 Die zeitliche Verzögerung zwischen der Regung des Geistes und ihrer Realisierung als körperliches ,AbbildÍ ermöglicht es, die transitive Dimension des fruchtbaren Moments auf ein gleichzeitiges Vorhandensein zeitlich aufeinander folgender Zustände auszudehnen. Die Transitivität des fruchtbaren Moments läßt sogar die Veranschaulichung eines zeitlichen Wandels von Gemütsbewegungen zu, die sich, wie unvermischte Trauer und Freude, in realer Gleichzeitigkeit ausschließen würden: Der Künstler besitzt die Macht, in seinem Gegenstand noch die Spuren oder Fußstapfen ihrer Vorgängerin zu belassen, so daß er uns nicht nur eine aufkommende Leidenschaft zugleich mit einer schwindenden sehen läßt, sondern überdies eine starke entschlossene Leidenschaft zugleich mit einer ihr entgegengesetzten, die bereits verabschiedet und verbannt ist. Zum Beispiel, wenn die deutlichen Spuren jüngst gefallener Tränen nebst anderen frischen Anzeichen von Trauer und Niedergeschlagenheit noch immer einer Person anhaften, die neuerdings vor Freud außer sich ist beim Anblick eines Verwandten, oder Freundes, der noch einen Augenblick zuvor als verstorben oder verloren beweint worden war.76

Die Ausdehnung der Transitivität des ,fruchtbaren MomentsÍ anhand von Rückverweis und Vorwegnahme („Anticipation and Repeal“)77 bezieht, wie eingangs dargelegt, HerkulesÌ ganzen Körper mit ein. Als ,äußerliches EreignisÍ betrachtet, ist die Darstellung des Herkulesurteils ein bestimmter, zeitlich indizierter AugenAuf die mimische Transitivität hat Michael Franz hingewiesen (Michael Franz, Eusynopsis und Energie. Shaftesbury und James Harris, in: Inge Baxmann u. a. (Hg.): Das Laokoon-Paradigma. Zeichenregime im 18. Jahrhundert, Berlin 2000, 389 f.). 76 Shaftesbury, Sämtliche Werke (wie Anm. 1), Bd. 1.5, 85. 77 Ebd., 85. Diese Transitivität greift Lessing im Laokoon auf: „Ich will mich bloß einer Anmerkung bedienen, welche Herr Mengs über die Draperie des Raphael macht [Gedanken über die Schönheit und über den Geschmack in der Malerei, 69]“. „Alle Falten“, sagt er, „haben bei ihm ihre Ursachen, es sei durch ihre eigenen Gewichte oder durch die Ziehung der Glieder. Manchmal siehet man in ihnen, wie sie vorher gewesen; Raphael hat auch sogar in diesem Bedeutung gesucht. Man sieht an den Falten, ob ein Bein oder Arm vor dieser Regung vor oder hinten gestanden, ob das Glied von Krümme zur Ausstreckung gegangen oder gehet oder ob es ausgestreckt gewesen und sich krümmet. Es ist ohnstreitig, daß der Künstler in diesem Falle zwei verschiedene Augenblicke in einen einzigen zusammenbringt“ (Gotthold Ephraim Lessing, Werke und Briefe, Bd. 5.2, hg. von Winfried Barner, Frankfurt am Main 1990, 131). Wie Shaftesbury beklagt Lessing, daß dieser zeichentheoretische temporale Minimalrahmen oftmals überschritten wird: „Zwei notwendig entfernte Zeitpunkte in ein und eben dasselbe Gemälde bringen […] wie Tizian die ganze Geschichte des verlorenen Sohnes, sein lüderliches Leben und sein Elend und seine Reue, heißt ein Eingriff des Malers in das Gebiete des Dichters, den der gute Geschmack nie billigen wird“ (ebd., 130). 75

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blick; vom ,fruchtbaren MomentÍ, der inneren ,ActioÍ her gesehen, ist zwar ebenfalls ein ganz bestimmter Augenblick Bildgegenstand – der Moment der Willensfindung; in ihn ist aber seine eigene Genese eingelagert, die als transitorische Dimension auf das Bild ausstrahlt, was zu einer mehrfachen Perspektivierung des Herkuleskörpers führt und den ,fruchtbaren MomentÍ weit über die mögliche Veranschaulichung der Zeit hinaustreibt, auf die eine konsistente Darstellung nach Maßgabe der äußeren ,Real-ZeitÍ verpflichtet ist. Nicht zuletzt aus diesem Grund changiert Shaftesbury bei der Bezeichnung des ,fruchtbaren MomentsÍ zwischen ,periodÍ, ,dateÍ und ,point of timeÍ.78 Mit der ,inneren ZeitlichkeitÍ führt Shaftesbury eine neue Proportionslehre in die Kunst ein, die sich auf die Struktur der ,inneren FormÍ bezieht. Diese Verlagerung der Ausdrucksdimension in die Sphäre des nur symptomatisch Sichtbaren bildet zwischen den Bildfiguren einen Hiatus aus, der ihre personale Autonomie konstituiert, welche im Fall des Herkulesurteils zur inneren Zerreißprobe wird. Vermittels des ,fruchtbaren MomentsÍ legt die Kunst die ,innere FormÍ der Dargestellten – ihren Charakter – offen, den der ,moral senseÍ seinen wahrhaftigen Zügen nach erkennt. Das nach dem eingangs zitierten Bildentwurf, dem „Draft for a kind of modern portrait, capturing a character and history […]“79 zu realisierende, Shaftesbury als sterbenden ,VirtuosoÍ zeigende Porträt soll eben dieses Darstellungsziel einlösen: „This gentleman-philosopher, by his pose, his clothing, and personal insignia, as well as by his mien and looks, renders visible this true character or persona […]“.80 Der ,fruchtbare MomentÍ, welcher die anhand von Kleidung, Habitus und Mimik ablesbaren Charaktermerkmale zur ,PersonaÍ zusammenschließt, ist die selbst in der Todeserwartung stoische Ungebrochenheit seines hier skizzierten Denkens und Handelns, das zugleich den ,VirtuosoÍ als vorbildlichen Lebensentwurf exemplifiziert. Der ,fruchtbare MomentÍ muß folglich keine zur inneren Zerrissenheit gesteigerte Actio bedeuten; er kann sich, wie es die ,SeelenmahlereiÍ Daniel Chodowieckis, seine Natürlichen und affectirten Handlungen des Lebens (1778/79), im Ausgang des Jahrhunderts zeigen, zu charakteristischen Situationen entdramatisieren. Johann Caspar Lavater versuchte die pathognomischen Bewegungsanteile gar gänzlich einzufrieren, um die ,äußere FormÍ als durch keinerlei Regung getrübtes Abbild der ,inneren FormÍ zu entnehmen. Ein kardinaler Ausgangspunkt, welcher diese Entwicklun-

78 79 80

Shaftesbury, Sämtliche Werke (wie Anm. 1), Bd. 1.5, 78 f. Ebd., 421. Ebd.

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gen initiierte, war Shaftesburys auf dem ,moral senseÍ basierende anthropologische Neubegründung der Kunst.81 Shaftesbury ließ nach seinen Anweisungen von Paolo de Matteis das Gemälde Das Urteil des Herkules anfertigen. Als Exemplifikation der unvollendet gebliebenen 2nd Characters or Language of forms sollte es zum Initialbild einer neuen Kunst werden, welche das von Shaftesbury der Bildlichkeit zugesprochene erkenntnistheoretische Potential ausschöpft. Diese von Shaftesbury zeichentheoretisch fundierte spezifische Qualität der Bildlichkeit gründet in der visuellen Präsenz der ästhetischen Teil-Ganzes-Struktur der Darstellungsgegenstände. Sie vermag, inhaltlich auf den Betrachter als moralische Person fokussiert, einen Selbsterkenntnisprozeß anzuleiten. Damit stellt das Herkules-Gemälde die bildlich formierte Schnittstelle zwischen Ethik, Ästhetik und Erkenntnistheorie dar, die unmittelbar auf den ,moral senseÍ einwirkt. According to ShaftesburyÌs instructions, Paolo de Matteis painted the canvas The judgment of Hercules. The tableau is a visual exemplification of the unfinished 2nd Characters or Language of forms and was meant to be an initial picture for a new kind of art embodying ShaftesburyÌs notion of the epistemic potential of the iconic. The epistemic quality of the iconic is based on ShaftesburyÌs theory of signs and results in the visual presence of the aesthetic structure of the objects depicted. If this structure is focused on the person of the beholder, the picture can provoke a process of self-knowledge. Therefore the Hercules painting can be seen as the visual link between ethics, aesthetics and epistemology which directly affects the Ímoral senseÌ of its viewer. Martin Kirves, Rheinsprung 11, CH 4051 Basel, E-Mail: [email protected]

Der vorliegende Aufsatz basiert auf dem Shaftesbury-Teil meiner demnächst erscheinenden Dissertation Das gestochene Argument. Daniel Nikolaus Chodowieckis ,Natürliche und affectirte Handlungen des LebensÍ – eine Bildtheorie der Aufklärung. 81

Patrick Mðller “Dwell with honesty & beauty & order”: The Paradox of Theodicy in ShaftesburyÌs Thought Of good and evil much they argued then, Of happiness and final misery, Passion and apathy, and glory and shame, Vain wisdom all, and false philosophy. Milton

I. The Problem Despite the current wave of interest in Shaftesbury among both historians of philosophy and literature, his views on theodicy, one of the most pressing problems for eighteenth-century philosophers of religion, have attracted little attention.1 This is all the more astonishing since the EarlÌs writings were published during the period in which the first two systematic treatises to tackle this issue also saw the light of day: William KingÌs De origine mali (1702) and Gottfried Wilhelm LeibnizÌ Essais de theodic¤e (1710). In fact, the text which offers the most profound insight into ShaftesburyÌs approach, The Moralists,2 took shape in this crucial period in the history of theodicy and the Enlightenment. It was first printed, probably in 1704 and quite certainly for private circulation only, as The Sociable Enthusiast, then underwent substantial revision before being published properly in 1709 under its new and final title. Reused anew, it was included in the first edThe few articles which do approach the subject tend to reduce ShaftesburyÌs complex argument to a single aspect. Only Dirk Grossklaus (Natürliche Religion und aufgeklärte Gesellschaft. Shaftesburys Verhältnis zu den Cambridge Platonists, Heidelberg 2000, 141 – 145); Friedrich Billicsich (Das Problem des Übels in der Philosophie des Abendlandes, vol. 2: Von Eckehart bis Hegel, Wien, Köln 1962, 171 – 180); and Otto Lempp (Das Theodiceeproblem in der Philosophie und Literatur des 18. Jahrhunderts bis auf Schiller und Kant, Leipzig 1910, 78 – 102) offer more balanced treatments. 2 Alfred Owen Aldridge regards The Moralists as “substantially a presentation of the problem of evil” and goes so far as to call it an “eighteenth-century version of the Book of Job” (Shaftesbury and the Deist Manifesto, in: Transactions of the American Philosophical Society 41 [1951], 297 – 385, here 322 f.). 1

Aufklrung 22 · Ò Felix Meiner Verlag 2010 · ISSN 0178-7128

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ition of Characteristicks (1711). The Moralists was designed as an “Apology” (Moralists: 156 [279])3 for the Inquiry concerning Virtue, the first edition of which had been published in November 1698 (date shown: 1699). The two first treatises written by Shaftesbury not only comprised, then, attempts to come to terms with the problem of theodicy, but also formed, as it were, the heart or centrepiece of his Characteristicks – indication enough of the questionÌs place within his philosophy. With polymaths like Leibniz involved in the debate, it is important not to lose sight of the historical dimension of the Íunde malumÌ controversy, in terms of both the ancient debate and its early modern continuation. Many contemporary treatises were direct responses to recent publications. Like most of those who had felt obliged to participate in the accelerating Enlightenment-debate, Shaftesbury realized that the recent scientific and philosophical revolutions called for new explanations of evilÌs origin. Writing to his prot¤g¤ Michael Ainsworth on 8 February 1709, Shaftesbury prophesied: “Time will be when thy greatest disturbance will arise from that ancient difficulty pohem to jajom” (Ainsworth Correspondence: 391).4 For Shaftesbury, then, the problem of theodicy was evidently an existential one, a bridge every thinking person must cross. At the same time, he thought that most of the issues at hand could not be solved: Allways to remember the Gt Mysteryes wch must remain Misteryes & think not yt wee are […] writing to Philosophers […] & those Philosophers amongst ye rest who know Necessity the Nature of Evill Providence particular & Generall […] for to whome must not these things of necessity remain a Mistery? (Chartae Socraticae: 226)

This confession, which admits the necessary inadequacy of all theodicies, can be read as the last link in a long chain of logically irreconcilable arguments exchanged in a debate which had confused even the most piercing minds ever since antiquity. The earliest extant formulation of the manifold conundrums

All references to ShaftesburyÌs writings will be to the Standard Edition, with the exception of the AskÞmata (quotations are taken from the manuscript text which will be edited in the forthcoming volume II, 6). The references will give a short title of the treatise and the page numbers in the SE, with the corresponding pages in the 1714/15 edition of Characteristicks shown in square brackets. The treatises are: Soliloquy: or, Advice to an Author and Letter concerning Enthusiasm (SE I.1); Miscellaneous Reflections (SE I.2); Sensus Communis: An Essay on the Freedom of Wit and Humour and the Instructions to the printer for the second edition of Characteristicks (SE I.3); ShaftesburyÌs Index and Notes to Characteristicks (SE I.4); The Judgment of Hercules and Plasticks (SE I.5); The Moralists, a Philosophical Rhapsody (SE II.1); An Inquiry Concerning Virtue (SE II.2); WhichcoteÌs Select Sermons (edited by Shaftesbury in 1698); Ainsworth Correspondence (SE II.4); and Chartae Socraticae (SE II.5). 4 It should be noted that when this letter was written (8 February 1709), Shaftesbury had just finished the editio princeps of The Moralists. 3

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posed by this “ancient difficulty” is the ÍEpicureanÌ paradox as found in LactantiusÌ De ira dei (c. 311 – 314): God either wishes to take away evils and he cannot, or he can and does not wish to, or he neither wishes nor is able, or he both wishes to and is able. If he wishes to and is not able, he is feeble, which does not fall in with the notion of God. If he is able to and does not wish to, he is envious, which is equally foreign to God. If he neither wishes to nor is able, he is both envious and feeble and therefore not God. If he both wishes to and is able, which alone is fitting to God, whence, therefore, are there evils, and why does he not remove them?5

II. The Promethean Myth of Creation It is another Ílocus classicusÌ important for the history of theodicy which Shaftesbury regarded as containing the quintessence of the problems involved: the myth of Prometheus as a “second Maker” (Soliloquy: 110 [207]). In The Moralists, the Titan gone “Plastick Artist” (48 [201]) is introduced as a scapegoat for the evils of the human condition. As in many Platonic dialogues, the framework here, used as it is to introduce various theories on the “cause of ill”, provides the thematic basis for the argument which follows. From their limited perspective (an important aspect of ShaftesburyÌs theodicy), it is impossible for Palemon and Philocles to reconcile divine omnipotence, goodness, and foreknowledge in a manner which would acquit the deity of being responsible for evil. In the Index, the entry “Prometheus” reveals that the myth was designed as a “poetical Solution of the Phenomenon of Ill” (424). Indeed, the first time Palemon refers to Prometheus, he does so in an accusatory poetic outburst which Philocles terms “Rant” (see 34 ff. [192 f.])6 – a crude, brief disquisition that forms the antithesis to TheoclesÌ extensive and prophetic praises of creation. For Philocles, the myth serves to remind us of manÌs gullibility. The story of Prometheus as the cause of evil, he argues, was a sly contrivance and “slight Evasion of the Religious Poets among the Antients” (probably a reference to HesiodÌs Theogony), designed “to satisfy the Heathen Vulgar” that it was not the Gods who brought evil into the world (48 [201] and 50 [203]). But in the hands of philosophers, Palemon continues, the myth lends itself to a multiplicity of interpretations. Prometheus becomes a Protean figure, forever changing shape to fit in with the differing explanations of evil provided Lactantius, The Wrath of God, in: Mark Larrimore (ed.), The Problem of Evil: A Reader, Oxford, Malden 2001, 50. The fragment is usually attributed to Epicurus, but this attribution is doubtful. 6 Aldridge maintains that “Palemon, who propounds the problem of evil, is loosely the spokesman for Bayle or the Manicheans” (Aldridge, Deist Manifesto [as in note 2], 323). This, however, seems to me only one aspect of a more complex reckoning with contemporary thought. For Pierre Bayle and Manicheanism, see section VI below. 5

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by various philosophical schools. The consequent dilemma is formulated by Philocles as an echo of the above-cited Epicurean paradox: For the Gods […] either couÌd have hindered PrometheusÌs Creation, or they couÌd not. If they couÌd, they were answerable for the Consequences; if they couÌd not, they were no longer Gods, being thus limited and controulÌd. And whether Prometheus were a name for Chance, Destiny, a Plastick Nature, or an Evil Demon; whatever was designÌd by it, Ìtwas still the same Breach of Omnipotence (50 [203]).

It is possible to identify the different shapes which Prometheus assumes as the ÍcreatorÌ of evil with contemporary cosmologies. In fact, the passage spells out the challenges to which Shaftesbury rose; it offers a panorama view of early eighteenth-century theodicy. The belief that chance rules the universe was, of course, associated with Epicurean atomism or materialism (epitomized in HobbesÌs thought). The reference to “Destiny” is aimed at some of the “nominal Moralists” (Moralists: 126 [257])7 and their concepts of predestination and election, which turns man into the plaything of a capricious deity. In spite of the manifold debts to The True Intellectual System of the Universe (1678) in ShaftesburyÌs thought, The Moralists contains a critique of the concept employed by Ralph Cudworth in his refutation of atheism: the “Plastick Nature” as a medium between God and the natural world.8 And PalemonÌs “Evil Demon” points to Manichean dualism, not long since ÍrevivedÌ by Pierre Bayle in his Dictionnaire historique et critique (1697).9

The Nominalists being those who consider either divine will or custom to be the foundation of morality. See section 6 below. 8 See Grossklaus, Natürliche Religion und aufgeklärte Gesellschaft (as in note 1), 130. The concept is not mentioned in The Sociable Enthusiast. 9 Shaftesbury owned a copy of the second edition (1702), a present from Bayle. Shaftesbury met Bayle during his first retreat in Holland between 1698/99. In a letter sent to Jacques Basnages not long after BayleÌs death, the Earl speaks about the “the continuall differences in Opinions and the constant disputes that were between us”, which, however, “servÌd to improve our Friendship” (21 January 1707; TNA: PRO 30/24/22/4, fol. 294v [shelfmark in The National Archives, formerly Public Record Office, at Kew]). Joseph Warton was the first to see in The Moralists a refutation of BayleÌs views (see The Works of Alexander Pope, ed. by Joseph Warton, vol. 3, London 1806, 58). Aldridge investigates the arguments against Bayle in some depth (Aldridge, Deist Manifesto [as in note 2], 322 ff.). 7

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III. Bayle and Manicheanism In his appraisal of the 1711 edition of Characteristicks, Leibniz states that the core arguments of his own Essais are more elegantly expressed in The Moralists.10 And it was, in fact, the work of an early critic of the metaphysical convictions found in both that had a profound influence on the EarlÌs treatment of theodicy. At the end of the seventeenth century, Pierre Bayle had launched a provocative criticism of Theist thought. Bayle, whose critique of theodicy Leibniz addresses in the Essais, drew on EpicurusÌ sceptical disquisition to support the logical implications of Manichean thinking, according to which the world is governed by two opposing principles – one evil, the other good. Slyly asserting that, in the hands of heathen philosophers well skilled in the art of disputation, the views of Manicheanism could not easily be refuted by an orthodox Christian (“seroit assez difficile ” r¤futer, soutenu par des Philosophes Paiens aguerris ” la Dispute”),11 Bayle himself takes the part of one such disputant. Just as wary as many of his contemporaries (including Shaftesbury) when it came to more sensitive issues in religious controversy,12 Bayle stages a dialogue between the intellectual father of Manicheanism, Zoroaster, and the paradigmatic Theist Melissus of Samos. It is Zoroaster who reformulates the problem of theodicy: Si lÌhomme est lÌouvrage dÌun seul Principe souverainement bon, souverainement saint, souverainement puissant, peut-il Þtre expos¤ aux maladies, au froid, au chaud, ” la faim, ” la soif, ” la douleur, au chagrin? Peut-il avoir tant de mauvaises Inclinations? Peut il commettre tant de crimes? La souveraine puissance, jointe ” une bont¤ infinie, ne comblera-t-elle point tout ce qui le pourroit offenser, ou chagriner?13

The best answer that Melissus can give to these queries, the referee declares, is a weak one: God, if not responsible for moral evil, must be the source of physical (or natural) evil. Physical evil, being inflicted as a punishment for moral evil, cannot Gottfried Wilhelm Leibniz, Jugement sur les œuvres de M. le Comte de Shaftsbury, in: Recueil de diverses piºces, sur la philosophie, sur la religion naturelle, lÌhistoire, les math¤matiques, par Mrs. Leibniz, Clarke, Newton & autres auteurs c¤lºbres, vol. 2, Amsterdam 1720, 283 f.: “JÌy ai trouv¤ dÌabord presque toute ma Theodic¤e (mais plus agr¤ablement tourn¤e) avant quÌelle e•t vu le jour”. 11 Pierre Bayle, Manich¤ens, in: Dictionnaire historique et critique, 5ºme ed., vol. 3, Amsterdam 1740, 304 f. In the article “Pauliciens”, Bayle emphasizes this difficulty: “On a tant de peine ” r¤pondre ” ses Objections sur lÌorigine du mal” (ibid., 625). 12 Aldridge declares that Bayle, fearing “prosecution on charges of blasphemy”, chose various rhetorical strategies to veil his personal views. The arguments exchanged were represented “as purely historical attitudes, or what the Manichees would say if they were living in a later age” (Aldridge, Deist Manifesto [as in note 2], 322). 13 Bayle, Manich¤ens (as in note 11), 306. 10

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be seen apart from the divine attribute of justice.14 Bayle does not categorically state that the dualism of the Manichean logic is ÍtrueÌ – while Zoroaster concedes that MelissusÌ line of thought is a priori superior, he maintains that his own arguments are commensurate with experience and therefore irrefutable. The a posteriori reality of evil cannot be questioned, and therefore the unconditional goodness of God cannot be consistently maintained. The ubiquitous mixture of virtue and happiness with vice and misery makes the ManicheansÌ dualism plausible.15 Shaftesbury disagreed. His philosophical exercises, the AskÞmata, show a passage which identifies Manicheanism as an intellectual folly: “Principle of Ill; exteriour: where? interiour: how? […] How any thing a Principle of ill to itself ? How any thing beyond or besides Nature? How any thing against God, or God against any thing? Anti-God! God against himself! […] Folly! Weakness! Wretchedness all!”16 In the parlance of the Inquiry concerning Virtue, Manichean dualism mixes (Poly-)Theism with Dæmonism and is therefore a symptom of superstition (see Notes: 304 ff. [13]).17

IV. The Argument from Design and CudworthÌs “Plastick Nature” Shaftesbury focused in his theodicy on what he regarded as the fundamental divine attribute: on goodness. Deity is, before all else, inherently benevolent, and as such cannot be held responsible for the existence of evil – without this basic assumption any theodicy is bound to fail. Like the Cambridge Platonists and Latitudinarian preachers he had read, Shaftesbury rejects as chimeras representations The following quotation from ShaftesburyÌs contemporary Samuel Clarke gives a summary of the three kinds of evil traditionally identified by theodicists: “In short, thus: all that we call evil is either an evil of imperfection, as the want of certain faculties and excellencies which other creatures have, or natural evil, as pain, death, and the like, or moral evil, as all kinds of vice” (A Demonstration of the Being and Attributes of God, London 1704, 78 f.). 15 “CÌest le mÞlange du bonheur & de la vertu avec la misºre & avec le vice, qui demande cette Hypothºse” (Bayle, Manich¤ens [as in note 11], 305). Bayle in fact thought the problem of theodicy insoluble (see W. H. Barber, Pierre Bayle: Faith and Reason, in: Will Moore, Rhoda Sutherland, Enid Starkie (ed.), The French Mind. Studies in Honour of Gustave Rudler, Oxford 1952, 120). 16 Shaftesbury, Self Natural, in: ders., AskÞmata (as in note 3), 231. 17 Shaftesbury identifies four different creeds: Dæmonism, Polytheism, Atheism, and Theism, all of which “may be mixÌd”. In the 1711 edition, Shaftesbury removed the revised list to a footnote. The seventh possible “mixture” of “Theism or Polytheism with Dæmonism” is explained thus: “As when the same system of Deity or corresponding Deities subsists, together with a contrary Principle, or with several contrary Principles or governing Minds”. Shaftesbury made the following addition to the 1699 edition in his remarks: “Or when Two distinct and contrary Principles subsist; one, the Author of all Good, the other of all Ill” (Notes: 304 [13]). 14

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of the “designing Principle or Mind” (Inquiry: 36 [11])18 as wilful, revengeful, or even cruel. These are the Gods of the “nominal Moralists”, of the Calvinists, Cartesians, Jews, and of Locke – deities which act “according to mere Will or Fancy” (Inquiry: 36 [11]).19 For Shaftesbury, then, the divine attribute of omnipotence is always subordinate to that of goodness; the latter cannot be questioned by those who truly believe in it: “ ÍPower can never serve as Proof for Goodness; and Goodness is the only Pledg of Truth.Ì By Goodness alone, Trust is created. By Goodness superiour Powers may win Belief” (Moralists: 232 [334]). In his first philosophical treatise, the 1699 Inquiry, Shaftesbury follows Benjamin WhichcoteÌs and CudworthÌs teleological arguments, deriving the benevolent nature of deity from the harmony and unity of the created cosmos. The monistic perspective inherent in his version of the argument from design was of course incompatible with the dualism defended by Bayle.20 ShaftesburyÌs physico-theological monism reveals some of his (Neo-)Stoic and (Neo-)Platonic convictions, namely those which provided the cosmological basis for his moral philosophy. Like the Stoics, Shaftesbury believed in universal teleology (see Inquiry: 44 [15]).21 Like Plotinus and his seventeenth-century disciple Cudworth, he thought that we cannot understand the function of “a particular Part without a competent Knowledg of the Whole” (Inquiry: 44 [14 f.]).22 This knowledge of the whole is the result of empirical observation; an inductive method, analysing the interdependency of the parts (or “private systems”), reveals the hierarchical structure One of many different expressions Shaftesbury employs to signify ÍdeityÌ. Others are “governing Mind” (Inquiry: 36 [11]), “the Cause of all Things” (Inquiry: 38 [11]), “Superiour Power” (Inquiry: 42 [14]), “that great Unit, and simple Self-Principle” (Moralists: 274 [364]), and “Guardian-Deity and Inspirer” (Moralists: 276 [366]). ShaftesburyÌs concept has to be distinguished from the personal God of Christianity (see Erwin Wolff, Shaftesbury und seine Bedeutung für die englische Literatur des 18. Jahrhunderts. Der Moralist und die literarische Form, Tübingen 1960, 31). His abstract, universal deity is, however, an enigmatic concept. While deity is not equated with nature (as in pantheism), the terms are both employed to denote the “principle of the whole” (“Prinzip des Ganzen”, see Friedrich A. Uehlein, Kosmos und Subjektivität. Lord Shaftesburys Philosophical Regimen, Freiburg, München 1976, 81). See ibid., 81 ff. for an examination of ShaftesburyÌs concept of ÍdeityÌ. 19 See section V below. 20 On ShaftesburyÌs monism, see Grossklaus, Natürliche Religion und aufgeklärte Gesellschaft (as in note 1), 158 f. 21 See ibid., 143 f. 22 This quotation is taken from the revised version in the 1711 Characteristicks, but there are also corresponding passages in the 1699 text (see Inquiry: 49 [13 f.]). Cudworth provides a paraphrase of a relevant passage in Plotinus, Enneads 3,2 (The True Intellectual System of the Universe, London 1678, 880 f.). ShaftesburyÌs knowledge of Plotinus was possibly second-hand and based on CudworthÌs treatise (see Mark-Georg Dehrmann, “Das Orakel der Deisten”. Shaftesbury und die deutsche Aufklärung, Göttingen 2008, 20). 18

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of the cosmos (or “universal system”).23 Shaftesbury regarded the whole and its good as the proper general ÍtelosÌ of human action: the parts must contribute to the welfare of the entire system. In terms of the human microcosm, this maxim is applied in a twofold sense. First, with regard to the individualÌs moral character within the private system, which is properly dissected in an “inward Anatomy” (Inquiry: 152 [83]). ManÌs moral character is compared to a body (the whole) which can only be healthy if the affections and passions (the parts) are duly examined.24 Secondly, Shaftesbury employs the tradition of the body politic to emphasize HobbesÌs mistake in assuming that “the Part or Member couÌd be supposÌd in a good and prosperous State as to it-self, when under a contrary Disposition, and in an unnatural Growth or Habit as to its Whole” (Inquiry: 148 [80]).25 In other words, within the greater system of the human species, individual welfare depends on the common good. Private interest is subservient to and dependent on public interest. In this human microcosm, it is possible to define the function of the parts in such a way that they will contribute to the welfare of the whole. But there are systems which lie beyond the limited understanding of human intellect: those of nature in general, of the earth, of the cosmos or Íuniversal systemÌ.26 Within CudworthÌs universal system, it is the concept of “Plastick Nature” which is seen as carrying the load of evil. Responsible for the realm of second causes, this plastic nature functions as an intermediary between God and matter, and it supervises the operations of the physical universe. Cudworth devised the concept to be able to counter both Epicurean atomism and Cartesian Occasionalism;27 his conclusions were debated by several distinguished philosophers and divines. ShaftesburyÌs acquaintance Jean Le Clerc set out to promulgate CudworthÌs ideas and defend their implications in his Bibliothºque Choisie. It was, predictably, Bayle who replied and, in the course of a debate which was to last until the publication of his R¤ponse aux questions dÌun provincial (1705), atSee Lempp, Das Theodiceeproblem (as in note 1), 85. Lempp regards ShaftesburyÌs theodicy as a specimen of an Íempirical intellectualismÌ. 24 In the AskÞmata, Shaftesbury (following Epictetus) refers to his moral distempers repeatedly as “wounds” and “sores” which can only be cured through constant intellectual exercise. The proper method to carry out this Íinward AnatomyÌ is spelled out in both the AskÞmata and Soliloquy. 25 This passage is part of an extended refutation of Hobbesian (and partly Lockean) political and moral philosophy reminiscent of Richard CumberlandÌs De legibus naturae (1672), in ShaftesburyÌs library; see Richard Cumberland, A Treatise of the Laws of Nature, ed. by Jon Parkin, Indianapolis 2005, 391 – 394). 26 For a concise introduction to ShaftesburyÌs theory of intertwined systems, see Friedrich A. Uehlein, Angelica Baum, Vilem Mudroch, Anthony Ashley Cooper, Third Earl of Shaftesbury. Primärliteratur – Leben – Werke – Lehre – Wirkung, in: Helmut Holzhey, Vilem Mudroch (ed.), Grundriß der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie des 18. Jahrhunderts, vol. 1: Grossbritannien und Nordamerika – Niederlande, Basel 2004, 63. 27 See Cudworth, True Intellectual System (as in note 22), 147. 23

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tempted to refute CudworthÌs claim that the plastic nature acquits God of all responsibility for evil.28 For once, Shaftesbury agreed with Bayle, albeit for different reasons. Both Cudworth and he were defending the inherent goodness of deity. Shaftesbury, however, sensed the inadequacy of the Cambridge PlatonistÌs arguments, and this is why Philocles introduces the concept of plastic nature as unnecessarily associating God with evil.29

V. The Opinion of God, Anthropocentrism, and the Relativity of ÍIllÌ For Shaftesbury, Epictetus effectively taught how to keep the divine nature free from ill: With regard to piety towards the Gods you should know that the most important thing is to have right opinions about them, namely that they exist and administer the universe well and justly, and to have set yourself to obey them and to submit to everything that happens to you, and to follow it voluntarily, because it is brought to you by the highest intelligence.30

This is the objective of the Inquiry: to investigate the impact of different opinions about the deity on manÌs morals, “to regulate Fancy, and work upon Opinion, on which all depends” (Miscellaneous Reflections: 240 [198 f.]).31 For Shaftesbury, the individualÌs image of God will inevitably influence his morals. One of his examples is the God that is “subject to Wrath and Anger, furious, revengeful” – a thinly veiled reflection on the Jewish deity of the Old Testament (see Inquiry: 98 [47 f.]). The form and argument of The Moralists is designed to support the belief that there is a single, unified “designing active Principle” which has composed the harmonious symphony of the universe. It is in this context that ShaftesburyÌs moralization of the theodicy-problem comes to the fore. He derives the obligation to virtue from his cosmological assumptions. In order to uphold the proFor an overview of the arguments exchanged in this debate, see Grossklaus, Natürliche Religion und aufgeklärte Gesellschaft (as in note 1), 136 ff. It was possibly this controversy between Le Clerc and Bayle (which, however, tackled the question of theodicy only marginally) which led Shaftesbury to incorporate his ÍrefutationÌ of CudworthÌs concept in the 1709 edition of The Moralists. 29 See ibid., 142 and section II above. 30 From the Encheiridion, chapter 27, quoted in Larrimore (ed.), The Problem of Evil (as in note 5), 27. 31 Shaftesbury introduces this maxim during a defence of the Inquiry; compare Inquiry: 42 [14]: “Now since there are these several Opinions concerning a Superiour Power; and since there may be found perhaps some Persons, who have no formÌd Opinion at all upon this Subject […] the Consideration is, how any of these Opinions, or this want of any certain Opinion, may possibly consist with Virtue or Merit; or be compatible with an honest or moral Character”. 28

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vocative tenet with which the Inquiry closes – that “Virtue is the Good, and Vice the Ill of every one” (314 [176])32 – it is necessary to embrace the fundamental goodness of deity and its corollary, the harmony of its creation. Without a true acceptance of this harmony, Shaftesbury argues, it is impossible to regard virtue as manÌs proper end or to maintain that virtue ought to be practised for its own sake as it is its own reward. It is Theocles who produces the sceptical argument which explains why human beings cannot fully understand the cosmic design. In perhaps the key passage of ShaftesburyÌs treatment of theodicy, Theocles insists that “in an Infinity of Things thus relative, a mind which sees not infinitely, can see nothing fully: And since each Particular has relation to all in general, it can know no perfect or true Relation of any Thing, in a World not perfectly and fully known” (Moralists: 168 [288]).33 The general teleological order within the macrocosm of nature transcends the grasp of human beings. This means that ultimately all claims to have found solutions of theodicy are projections of human hubris since they aspire to nothing less than an explanation of the infinite divine mind. But it is also not desirable that this Íevil of imperfectionÌ should be removed. Theocles points out that the natural physical and mental equipment of each part of the creation suits its function within the whole (see Moralists: 194 [306]). The first thing he does is to explain how evil enters the world, and therefore the answer to his question “What is it then shouÌd so disturb our Views of Nature, as to destroy that Unity of Design and Order of a Mind, which otherwise wouÌd be so apparent” is pivotal for ShaftesburyÌs theodicy. And the answer is unequivocal. “Ill”, defined as a disturbance of universal order, arises “with relation to Man only”, is the result of “this one View; in which we refer all things to our-selves: submitting the Interest of the Whole to the Good and Interest of so small a Part” (Moralists: 172 [291]).34 Shaftesbury criticizes the human species for magnifying ÍillÌ. Human beings tend to exaggerate the effect of evil on the immediate and particular well-being of the individual. See Grossklaus, Natürliche Religion und aufgeklärte Gesellschaft (as in note 1), 143: “[Diese Weltsicht] wird um der Moralität des Menschen willen entworfen”. 33 See also Moralists: 272 [363]. Seventeenth-century clergymen employed this argument in defence of divine providence: “We are not able perhaps to reconcile the particular providences of God with his universal goodness, justice and wisdom, because we cannot see to the end of his ways and works at one view, and see every part with relation to the whole” (John Tillotson, The Wisdom of God in his Providence, in: The Works of the Most Reverend Dr. John Tillotson, vol. 2, London 1728, 557). Shaftesbury owned the fifth edition (1707) of TillotsonÌs Works. 34 See Friedrich DessauerÌs somewhat oversimplifying summary of ShaftesburyÌs theodicy: “Daß uns Menschen vieles so oft schlecht erscheint, kommt von der Begrenztheit unseres Wissens, unserer Erkenntnis. Denn alles ist gut und heiter, mit Ausnahme des Menschen und seiner Lebensart. Von ihm stammt das Elend, die Störung in der Welt, weil der Mensch alle Dinge auf sich selbst bezieht und seine eigenen, kleinen Interessen über den Sinn des Ganzen stellt” (Dessauer, Prometheus und die Weltübel, Frankfurt am Main 1959, 57). 32

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This is precisely the mistake which Bayle had committed and which Palemon perpetuates in the Moralists: they both concentrate on a mere part of creation, on man alone,35 and their focus is accordingly too narrow for such a complex issue as theodicy. ShaftesburyÌs version of PopeÌs “presume not God to scan” would then be “presume not God to judge”. Human beings have to accept that “if Nature her-self be not for Man, but Man for Nature; then must Man, by his good leave, submit to the Elements of Nature, and not the Elements to him” (Moralists: 186 [302]). True wisdom (for Shaftesbury always found in Epictetus) tells us that, ontologically speaking, evil is an artificial entity which is not inherent in the frame of the world: “Just as there is no target set up for misses, so there is no nature of evil in the universe either”.36 The source of ÍillÌ, in the sense of natural evil, is anthropocentrism, this being a mere opinion which elevates human beings above the natural status allotted to them by God: that of a part contributing to the good of the whole. Cudworth had already adopted EpictetusÌ argument that “a great part of those Evils, which men are afflicted with, is not from the Reality of Things, but only from their own Phancy and Opinions, according to that of the Moralist […]. It is not Things themselves that disturb men, but only their Own Opinions concerning things”.37 Because there was no such thing as real ill for Shaftesbury with relation to the system,38 the term should be put in inverted commas. ÍIllÌ is relative because of manÌs self-absorbed prejudice. Human beings cannot see that what appears to them to be an ÍillÌ is for some greater good. ÍEvilÌ is an illusion, a figment of the human imagination;39 it is the result of an erroneous conception of the world. For Shaftesbury, then, the relativity of evil is an epistemological question: it denotes the inability of finite minds to comprehend in how far an apparent breach in the providential order of things contributes to the design of the whole. At the same time, the appearance of ÍillÌ is inevitable because of this defect in manÌs intellect (see Moralists: 168 [288]). Combining the Baconian idols of the tribe and the See Bayle, Manich¤ens (as in note 11), 305: “LÌhomme seul, ce chef-dÌœuvre de son Cr¤ateur entre les choses visibles; lÌhomme seul, dis-je, fournit de trºs-grandes Objections contre lÌunit¤ de Dieu […]. LÌhomme est m¤chant & malheureux”. For PalemonÌs similar view, see Moralists: 46 [200]. 36 Epictetus, Encheiridion; quoted in Larrimore (ed.), The Problem of Evil [as in note 6], 27. 37 Cudworth, True Intellectual System (as in note 22), 876 (citing chapter 5 of EpictetusÌ Encheiridion). For this aspect, see also Lempp, Das Theodiceeproblem (as in note 1), 83. 38 The distinction between relative and absolute ill is already found in the 1699 text of the Inquiry (see 53 [16 f.]). 39 Jean-Paul Larthomas talks about an “antith¤tique de la th¤odic¤e”, defining it as follows: “LÌillusion de lÌentendement consiste ” poser le monde ph¤nom¤nal et sensible comme une chose de soi. LÌillusion de la sensibilit¤ (surtout lorsquÌelle souffre) consiste ” d¤r¤aliser le monde, ” le d¤centrer de son existence autonome pour le fondre dans les couleurs dÌune subjectivit¤ devenue envahissante, possessive et exclusive” (De Shaftesbury ” Kant, vol. 1, Lille 1985, 507). 35

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den,40 the Earl counters BayleÌs claim that divine goodness cannot be upheld Ía posterioriÌ – it is the human interpretation of experience, says Shaftesbury, which is fallible. In short, Bayle is hoist here by his own logical petard. ShaftesburyÌs dialogue (it is tempting to assume that it was intended as a reply to BayleÌs) arrives at the conclusion that only a perfect mind can comprehend that what human beings deem to be their ÍillÌ fits harmoniously into the greater design. Deity only is able “to see the worst of Ills transformÌd to Good” (Moralists: 268 [361]). Moreover, the appearance of natural ÍillÌ is an obstacle to moral progress: This, Palemon, is the Labour of your Soul: and This its Melancholy; when unsuccessfully pursuing the supreme Beauty, it meets with darkning Clouds which intercept its Sight. Monsters arise, not those from Libyan Desarts, but from the Heart of Man more fertile; and with their horrid Aspect cast an unseemly Reflection upon Nature. She, helpless (as she is thought) and working thus absurdly, is contemnÌd, the Government of the World arraignÌd, and Deity made void (Moralists: 64 [213]).

Creatures “inclosÌd in such frail Bodys, and dependent on such pervertible Organs” (Moralists: 68 [216]) are bound to misinterpret natural ÍillÌ. Such misinterpretation, leading to a wrong conception of deity, is the principal reason for moral failure. In attempting to free the human mind from prejudice, Shaftesbury moralizes the Baconian scientific programme – he insists that the sense data we receive from external phenomena are liable to misinterpretation.41 From the unreliability There are four idols of the mind in Sir Francis BaconÌs Novum Organum (1620), based on the Greek concept ÍeidolaÌ, “the intermediaries that flow out of objects as the first part of the process resulting in perception”. For Bacon, these ÍeidolaÌ are averse to truth because they evoke “erroneous images of things”. The idols of the tribe are “general tendencies to be deceived, inherent in our nature as human beings. They include uncritical reliance on sense perception, and tendencies to overgeneralize or jump to conclusions and ignore countervailing evidence against our views”. The Platonic idols of the den “are distortions arising from our particular perspectives […]. The corrective is to remember that whatever our mind Íseizes and dwells upon with peculiar satisfaction is to be held in suspicionÌ” (see the entries “eidola” and “idols of the mind” in Simon Blackburn, The Oxford Dictionary of Philosophy, Oxford 1996 [11994], 115 and 186). 41 The following passage from Sensus Communis brings together the metaphorical clusters of BaconÌs idols, mental monsters arising from false opinion, and light-darkness imagery employed to describe intellectual enlightenment and failure respectively: “The Question is, Whether this be fair or no? and, Whether it be not just and reasonable, to make as free with our own Opinions, as with those of other People? For to be sparing in this case, may be lookÌd upon as a piece of Selfishness. We may be chargÌd perhaps with wilful Ignorance and blind Idolatry, for having taken Opinions upon Trust, and consecrated in our-selves certain Idol-Notions, which we will never suffer to be unveilÌd, or seen in open light. They may perhaps be Monsters, and not Divinitys, or Sacred Truths, which are kept thus choicely, in some dark Corner of our Minds: The Specters may impose on us, whilst we refuse to turn Ìem every way, and view their Shapes and Complexions in every light. For that which can be shewn only in a certain Light, is questionable. Truth, Ìtis supposÌd, may bear all Lights” (16 ff. [60 f.]). 40

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of human judgement Shaftesbury derives the Stoic precept which teaches that we must accept the course of the world by learning to control the emotions, a painful process which requires constant application. However, this rigorous self-discipline is necessary if one is to find oneÌs place in the cosmic order. When Shaftesbury says that all ÍillÌ is relative, his position should not be mistaken for moral relativism. The argument is in fact an ingenious move designed to refute relativists. In a letter to Ainsworth, Shaftesbury explains why relativism is so repellent to him: Virtue, according to Mr Lock, has no other Measure Law or Rule, than Fashion & Custome. Morality Justice Equity, depend only on Law and Will. and God indeed is a perfect free Agent in his Sense; that is, free to any thing however ill. for if he wills it, it will be made Good; Virtue may be Vice, & Vice Vertue in its Turn, if he pleases. Thus neither Right or Wrong, Virtue nor Vice are any thing, in themselves (3 June 1709, Ainsworth Correspondence: 405).

The God of moral relativism is far from inherently good, but a capricious deity who can change the moral order at will. The arch-relativist Hobbes, ShaftesburyÌs perennial target, regarded God as the source of evil.42 Shaftesbury, however, is now in a position to argue that it is only ÍillÌ, rather than both good and evil, that is relative. Like the Cambridge Platonists and Latitudinarians, Shaftesbury rejected relativism as a manifestation of the Protagorean Íhomo mensuraÌ. This rejection is an upshot of ShaftesburyÌs belief in the immutability and eternity of moral principles43 which entails the conviction that only an unwavering faith in divine goodness can establish a solid foundation for moral progress. VI. Eternal Morality, Connaturalism, and the Problem of Universals Having already attacked the “nominal Moralists”, Theocles later concludes that these cannot combine virtue and religion without damage to the perception of deity as immaculate. He makes a clear distinction between his thought and moral or religious Nominalism, a step which entails that “he may possibly appear at last as high a Divine as he is a Moralist”. In order to maintain that virtue “is really something in it-self, and in the nature of Things”, one must be a “realist”, with regard both to virtue and to religion: “Whoever sincerely defends Virtue, See Samuel I. Mintz, The Hunting of Leviathan. Seventeenth-Century Reactions to the Materialism and Moral Philosophy of Thomas Hobbes, Cambridge 1962, 122 f. 43 He speaks of “eternal Measures” (Inquiry: 78 [35]). Cudworth offers a concise definition of eternal morality: “That this God, hath an Essentiall Goodness and Justice, and That the Differences of Good and Evil Morall, Honest and Dishonest, are not by meer Will and Law onely, but by Nature; and consequently, That the Deity cannot Act, Influence, and Necessitate men, to such things as are in their Own Nature, Evil” (Cudworth, True Intellectual System [as in note 22], A4r ). 42

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and is a Realist in Morality, must of necessity, in a manner, by the same Scheme of Reasoning, prove as very a Realist in Divinity” (Moralists: 140 [267 f.]). ShaftesburyÌs approach to the problem of universals44 attempts to elucidate the status of metaphysics in any ÍWeltanschauungÌ which attempts to tie morals to religion. To say, however, that morality is eternal and immutable involves a problem: one has to account for manÌs ability to discern the moral distinctions contained in the nature of things. The moral ÍrealismÌ the Earl speaks of is thus closely linked to some version or other of innatism. Although Shaftesbury is usually regarded as one of the principal exponents of innatism, his attitude towards innate ideas is complex. In the unfinished Plasticks, he speaks of innatist philosophy as “perhaps abusÌd mis-applyÌd, carryÌd too far, by some modern preceeding Writers or by Plato”.45 Shaftesbury preferred WhichcoteÌs term “connatural” to the loaded expression “innate”. During a reflection on LockeÌs critique of innatism, Shaftesbury explains his own version of “connaturalism”: Innate is a Word [Lock] poorly plays upon. The right word, tho less usd, is connatural […]. The question is […] whether the Constitution of Man be such, that being adult, & grown up, at such or such a time, sooner or later, (no matter when) the Idea & Sence of Order Administration & a God will not infallibly, inevitably, necessarily spring up in him (Ainsworth Correspondence: 403 ff.).46

Dispositional connaturalism is thus associated with the ability to recognize deity. Shaftesbury argues that the inextricable notions of cosmic harmony and a universal mind are accessible to all human beings through what he calls either ingenuity, preconceptions, or anticipation.47 The connatural ideas, however, are open to misinterpretation. Even where two different opinions about what constitutes moral decency clash, Theocles argues, both parties nevertheless implicitly allow for See Grossklaus, Natürliche Religion und aufgeklärte Gesellschaft (as in note 1), 142. Plasticks: 188. Daniel Carey argues that ShaftesburyÌs cautionary remark is directed against the Platonic notion of ÍrecollectionÌ (ÍanamnesisÌ; see: Daniel Carrey, Locke, Shaftesbury, and Innateness, in: Locke Studies 4 [2004], 13 – 45, here 30). 46 Whichcote differentiated between “Truth of first Inscription […] Connatural to Man”, that is, the principles of Natural Religion, and “Truth of after Revelation” (Select Sermons: 69 [6]). 47 Whichcote employed the concept of ÍingenuityÌ to explain the congeniality between universal reason and the human mind (see Grossklaus, Natürliche Religion und aufgeklärte Gesellschaft [as in note 1], 144 f.). The Cambridge Platonist speaks of the “ingenuous Operation that Divine Truth hath upon Mens Minds” (Select Sermons: 75 [18]). The “preconceptions” (see Moralists: 342 [412 f.]) correspond to the Stoic concept ÍprolepseisÌ (see Carey, Locke, Shaftesbury, and Innateness [as in note 45], 24 – 27). The term ÍanticipationÌ is used synonymously and is borrowed from Cudworth; see True Intellectual System (as in note 22), **v-**r : “The Generality of mankind, have constantly had a certain Prolepsis or Anticipation in their Minds, concerning the Actual Existence of a God, according to the True Idea of him” (compare Grossklaus, Natürliche Religion und aufgeklärte Gesellschaft [as in note 1], 145). 44

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“the Standard, Rule, and Measure: But in applying it to Things, Disorder arises, Ignorance prevails, Interest and Passion breed Disturbance” (Moralists: 346 [416]).48 In an extensive note on the use of “anticipation” in Miscellaneous Reflections (258 [214]), Shaftesbury cites Le ClercÌs Silvae Philologicae (1711) in order to underpin his theory.49 Nature has “furnishÌd” Man with a set of “Ideas long before any particular Practice or Experience of his own” (Notes: 202 [215]), and these Ía prioriÌ notions correspond to the moral order of the universe. To apply these notions constant “Use, Practice and Culture” are necessary (Miscellaneous Reflections: 202 [164]). The “inward Eye” (Moralists: 344 [415]) which discerns the fitness of things is the aesthetic and moral sense.50 The moral order of the universe is, then, accessible to man, but as both the connatural ideas and the moral sense are by definition mere potentialities,51 they involve the possibility of failure. The cultivation of these potentialities results in an appropriate apprehension of the true nature of God and of universal harmony. The function of the moral sense, then, is to perceive the beauty of objects and actions. In this way, ShaftesburyÌs solution to the problem of universals combines faith and reason. On the one hand, Theocles is victorious “in the cool way of Reason” (276 [366]), convincing Philocles by means of logical deductions. On the other, he eventually makes Philocles accept his “account of that great Unit, and simple Self-Principle” (274 [364]). This account is the central aspect of the cosmology presented in The Moralists, and it is submitted in the “Poetick Vein” (276 [366]) which characterizes TheoclesÌ inspired, enthusiastic meditations.52 These two strategies of persuasion pervade TheoclesÌ “Philosophical Sermon” which is meant to illustrate that “Divinity” is “of all Beautys the brightest” (Moralists: 178 [294 f.]). In this way, faith and reason are combined. It is a strong faith which is required, and such faith is necessary because of the limitations of human knowledge. ShaftesburyÌs sceptical attitude leads him to the conclusion that human reason can merely reconstruct the immensity of the divine design;53 the necessity of faith, therefore, is a central Carey (Locke, Shaftesbury, and Innateness [as in note 45], 25) points out that EpictetusÌ version of ÍprolepseisÌ in the Discourses involves this potential for intellectual error. 49 “Quamvis enim nullæ sint, si adcuratº loquamur, notiones ” natura Animis nostris infixæ; attamen nemo negarit ita esse facultates Animorum nostrorum natur’ adfectas, ut qu”m prim·m ratione uti incipimus, Verum ” Falso, Malum ” Bono aliquot modo distinguere incipiamus” (Notes: 200 [214 f.]). 50 See Larthomas, De Shaftesbury ” Kant (as in note 39), 512. 51 See Grossklaus, Natürliche Religion und aufgeklärte Gesellschaft (as in note 1), 145; Uehlein, Baum, Mudroch, Anthony Ashley Cooper, Third Earl of Shaftesbury (as in note 26), 84. 52 Grossklaus shows that these are homiletic, expository tracts designed to appeal to faith (Natürliche Religion und aufgeklärte Gesellschaft [as in note 1], 144). 53 See ibid., 143 f.; Larthomas, De Shaftesbury ” Kant (as in note 39), 509. For the manner of this reconstruction, see section VIII below. 48

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aspect of ShaftesburyÌs theodicy: “Faith in Deity: not Faith in Men […] for, all is Faith: and without Faith all must be Atheisme”.54 Tillotson had already argued the substantial unity of faith and reason, emphasizing “the great and necessary use of reason in matters of faith”.55 Unlike Tillotson, however, Shaftesbury detaches reason from revelation. ReasonÌs function is not to discern the content of revelation and thus to support it, but to ascertain the existence and nature of deity: We must be satisfyÌd before-hand, that he is good, and cannot deceive us. Without this, there can be no real religious Faith, or Confidence. Now, if there be really something previous to Revelation, some antecedent Demonstration of Reason, to assure us, that God is, and withal, that he is so good as not to deceive us; the same Reason, if we will trust to it, will demonstrate to us, that God is so good, as to exceed the very best of us in Goodness. And after this manner we can have no Dread or Suspicion to render us uneasy: for it is Malice only, and not Goodness, that can make us afraid (Letter concerning Enthusiasm: 354 [39]).56

For Shaftesbury, then, faith is to believe in the principles of natural religion, although not in the comprehensive rationalistic sense embraced by the Deist school, Shewing That There is Nothing in the Gospel Contrary to Reason, Nor above It and That No Christian Doctrine Can be Properly CallÌd a Mystery.57 ShaftesburyÌs notion of the universe is not one of an open book the pages of which are exhibited for general perusal because its moral order is far too complex. His concept of natural religion involves both reasoned acceptance of the profound goodness of God and a strong faith. And this faith excludes the fear associated with a malicious deity. VII. The Delphic Oracle, Liberty of Will, and Fear To accept the substantial unity and harmony of the created world brings a concomitant sense of duty – one has to become aware of the individualÌs function as a part of this whole. In order that the individual arrive at such knowledge, Shaftesbury proposes the Socratic maxim which formulates one central objective of his own philosophy: know thyself.58 Self-knowledge excludes prejudice and Deity, in: AskÞmata (as in note 3), 35 f. Tillotson, The Excellency of AbrahamÌs Faith and Obedience, in: Works (as in note 33), 15. 56 In The Moralists, Theocles tells Philocles that “Ìtis the Province of Philosophy alone to prove what Revelation does but suppose” (142 [269]). 57 The subtitle of John TolandÌs Christianity Not Mysterious (1696). Shaftesbury, however, would not consult Scripture to see the mysteries of religion explained. See section VIII below. 58 His Soliloquy can be read as a compendium of how to come to a proper knowledge of self. See Barbara Schmidt-Haberkamp, Die Kunst der Kritik. Zum Zusammenhang von Ethik und Ästhetik bei Shaftesbury, München 2000, 37. 54

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false opinion. The Earl thus imposes the Socratic paradigm of moral philosophy on the Baconian scientific programme of enlightening the human mind. The inscription on the Delphic oracle becomes Íconditio sine qua nonÌ for human liberty, and it is therefore requisite to the averting of moral evil. Shaftesbury regards free will as just another epistemological problem. Only such objects as are within the scope of finite beings ought to occupy the mind: “As I am less led or betrayÌd by Fancy to an Esteem of what depends on others; I am the more fixÌd in the Esteem of what depends on my-self alone”. As in Epictetus, human beings must direct their thoughts away from “Things of Chance and outward Dependency” towards those they can actually influence (Miscellaneous Reflections: 242 [201]). The human mind is free once it concentrates exclusively on that which contributes to the welfare of both the individual and society. It is the aim of ShaftesburyÌs entire philosophy to inculcate such mental liberty, to remove the shackles imposed upon the human intellect by wrong apprehensions of ÍillÌ. Perfect freedom is perfect self-determination: Thus at last a Mind, by knowing it-self, and its own proper Powers and Virtues, becomes free, and independent. It sees its Hindrances and Obstructions, and finds they are wholly from it-self, and from Opinions wrong-conceivÌd. The more it conquers in this respect (be it but in the least particular) the more it is its own Master, feels its own natural Liberty, and congratulates with it-self on its own Advancement and Prosperity (Miscellaneous Reflections: 242 [204]).59

This passage shows once again that the human mind is the source of evil. It is man alone who stands in the way of his own happiness, because he makes his “ungovernÌd Fancys and Opinions over a World of Riches, Honours, and other ebbing and flowing Goods” the yardstick of his happiness (Miscellaneous Reflections: 248 [206]). These are but chimeras for the true philosopher who, and here Shaftesbury once again follows Epictetus, will constantly labour to perfect his mental faculties. It is the passions which stand in the way of the “original Native Liberty” (Moralists: 118 [252]) Shaftesbury attempts to recapture: Our buisness within our selves is to sett our selves Free, according to that perfect Law of Liberty wch we are bid to look into: and I am delighted to read those Words from thee: vizt : that we are made to contemplate & love God i n t i r e l y, & with a F r e e and voluntary Love. But this thou well seest is a Mistery too deep for those Souls whome thou conversÌst with, & seeÌst around Thee They have scarce heard of what Robert Toole argues that ShaftesburyÌs conception of free will entails rational control of the passions and appetites (his own terminology is unclear) in conformity to the divine will (See Robert Toole, The Concepts of Freedom and Necessity in ShaftesburyÌs Philosophy, in: Studia Leibnitiana 9 [1977], 201 – 203). However, in his analysis of ShaftesburyÌs views, Toole confuses human with divine law. In addition, Shaftesbury sought to avoid the notion of the authoritarian (Christian) deity TooleÌs thesis evokes. 59

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it is to combate with their Appetites, & Senses (19 November 1707, Ainsworth Correspondence: 361).60

Shaftesbury imagines libertyÌs “Triumph over Tyranny, and lawless Rule of Lust and Passion”(Moralists: 118 [252 f.]) as visually represented in John ClostermanÌs “The Triumph of Liberty”, commissioned by the Earl himself. In the engraving prefixed to the second volume of Characteristicks (containing the Inquiry and The Moralists), Liberty appears as a female Goddess. This “Moral Dame”, the offspring of temperance (see Moralists: 118 ff. [252 f.]), has to combat the whole battery of unruly passions which ambush the human mind. Temperance engenders the humility necessary for the vital insights into life: the acceptance of the intellectual limitations of human beings, a recognition that man is but a part of a far greater whole, and the deeper apprehension of the true ÍtelosÌ of life. The object of ShaftesburyÌs philosophy is “the Study of Happiness” (Moralists: 378 [438]). Since everyone thinks about what constitutes his or her own happiness, “the Question is only, ÍWho reasons bestÌ” (Moralists: 382 [442])? These achievements enable the individual to “know both my true Self and Interest” (Miscellaneous Reflections: 244 [201]). The insistence on the proper use of ÍreasonÌ reveals that Shaftesbury thought that the cultivation of oneÌs moral character is the single proper province of philosophy, for it lies within reach of the human mind. The forethinker Prometheus is the symbol of the self-determined human being actively facing the problem of (moral) evil.61 All the different creeds Prometheus embodies in The Moralists are the result of futile metaphysical speculation; what such speculation produces is, ultimately, fear.62 ShaftesburyÌs objective is to remove the foundation of such fear by establishing a faith which postulates a fundamentally benevolent deity. Fear is a passion which leads to mental slavery, “the most anxious and tormenting State of Life” (Miscellaneous Reflections: 246 [203 f.]). It is an impediment to “the only true and liberal Service” (Moralists: 146 [272]). ShaftesburyÌs aversion In a note on Miscellaneous Reflections, Shaftesbury quotes passages from both EpictetusÌ Encheiridion and ArrianÌs Discourses of Epictetus, each meant to illustrate that the control over our passions lies within the province of free choice (see Notes: 196 [202]). 61 “Prometheus wird zum Symbol des Menschen, der sich selber hilft, des vorausschauenden Menschen […]. Der prometheische Mensch kämpft mit den Mitteln, die ihm gegeben sind, gegen das Übel […]. Der Akzent seines Ringens liegt auf den physischen Übeln, den Schmerzen, Krankheiten, Naturgefahren, der Enge, Beschränktheit. Dabei hegt Prometheus die Hoffnung, daß mit fortschreitendem Sieg auch das ethische Übel schrittweise beseitigt oder doch gemildert werde. Das Problem des Übels in der Welt und in der Seele ist das schwerste […] des Daseins” (Dessauer, Prometheus und die Weltübel [as in note 34], 11 and 25). 62 See Uehlein, Kosmos und Subjektivität (as in note 18), 95: “Furchtsam und unfrei geben sich die Menschen in die unabwendbare und unausdenkbare Verfügung eines göttlichen Tyrannen”. 60

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Figure 1: The Triumph of Liberty. – The engravings were designed by Shaftesbury and for the most part executed by the French engraver Simon Gribelin (1661 – 1733). The ÍTriumphÌ (middle plate), the first of the engravings to be finished, is based on a drawing by Closterman. Shaftesbury characterizes the ÍTriumphÌ as “innocent, and merely philosophical” (letter to Thomas Micklethwayte, 28 June 1712, TNA: PRO 30/24/23/9, fol. 124r). Theocles sketches a mental image of the ÍTriumphÌ (Moralists: 118 ff. [252 f.]). The woman in the chariot represents both types of liberty, seated “in her Amazon-Dreß, with a free manly Air becoming her”. Subdued Lust is lying at the feet of Moral Liberty, the figures on the floor behind the chariot represent Fortune (“the Queen of Flatteries”, the symbol of tyranny, the crown falling off her head) and Flattery herself, “holding the Mask and Dagger of Hypocrisy”. The third figure (cup in hand) is meant to represent the transgressions of intemperance. The “two borders illustrate the natural order of the world”, the oval frame shows an accordingly serene idyll with a herd of deer, a group of birds, and a port. The globe in the lower frame with the motto “One out of all” from Pseudo-Aristotle (De Mundo, 396b22; see Notes: 240 [264]) stands for the harmony of the cosmos the human mind is supposed to reflect (see F¤lix Paknadel, ShaftesburyÌs Illustrations of Characteristics, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 37 [1974], 290 – 312, here 300 ff.).

to the doctrine of futurity as a motivation to virtue is well known. Regarding actions motivated either by hope of future reward or by fear of punishment as “merely servile” (Inquiry: 108 [55]), he sought to refute the overtly pragmatic assumption shared by many of his contemporaries that futurity alone provides a sound

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Figure 2: Engraving for Inquiry

basis for morality in a fallen world full of human beings unable to adhere to the dictates of reason.63 For Shaftesbury, only the disinterested agent is truly virtuous; moreover, he could not accept the promises of justice in an afterlife as a possible solution of theodicy. In the 1699 Inquiry, Shaftesbury defines Theism as engendering “free dispositions to Goodness” (Inquiry: 111 [57]). These dispositions, however, are attained only by “civilizÌd or refinÌd Worshippers” (Inquiry: 114 [59]) who are able to admire goodness and serve God without any further end in mind. His ideal of “Love of God or Virtue for God or VirtueÌs sake” (Moralists: 146 [272])64 entails that he cannot call a ÍslavishÌ adherence to self-interest ÍvirtueÌ. If an agent is motivated by either hope or fear, his judgement is distorted; such irrational motives run contrary to ShaftesburyÌs faith in a cosmos ordered by a benevolently inclined deity. This antithesis is embodied in the engraving devised for the Inquiry. ShaftesburyÌs attitude towards the doctrine of futurity is, however, more complex. He tells Ainsworth that, in the case of “the poor illiterate and laborious Vulgar”, the doctrine can be useful: “Tis there alone yt we have need of recourse to Fire & Brimstone & wt other punishments ye Divine Goodness (for our Good) has condescended to threaten us with; where the force of these Arguments cannot prevail” (19 November 1707, Ainsworth Correspondence: 361). 64 Shaftesbury thus combines the Stoic maxim of Ívirtue for its own sakeÌ (to be found, for example, in Epictetus, Discourses 3, 7) with the Augustinian tenet that God should always be the end of action but never its means. This latter tenet is based on the distinction between ÍutiÌ (to love something for the sake of another thing) and ÍfruiÌ (to love something for its own sake). 63

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The engraving is symmetrical with a two-faced female figure in its centre, an allegory of the two kinds of worship open to individual choice. The left-hand part (from the beholderÌs point of view) represents the enlightened reign of reason, of “Morality, Justice, Piety, and natural Religion” (Inquiry: 202 [114]), the opposite side a kingdom of darkness, superstition, fear, and vice. The former emanates naturally from the notion of a benevolent godhead, the ÍGenius Publicus Populi RomaniÌ being the guarantor of a beauteous order which is further emphasized by other elements such as the “Country adornÌd and beautifully planted, representing the Elysian Fields” (Instructions: 220), the anthropomorphised sun or “the Circle of the Zodiack, with the Sign Libra” (Instructions: 218). Fear is the result of believing in a vindictive, cruel deity, the chimerical “Savage-God” (Instructions: 218) on the pedestal, carrying symbols of sacrifice (see also the slain youth in the foreground) and destruction. Every single allegorical representation on each side of the emblem (even in the frame) is meant to highlight another aspect of this fundamental opposition. VIII. Theodicy as Art

1. Theodicy and Literature Shaftesbury embedded his defence of deity in a programme meant to establish true Theism as a religion of nature; this ambitious design requires both reasoned acceptance of and faith in the just design of the cosmos. He hereby sought to refute the cosmologies of those contemporary theodicies which corroborated “the seemingly unequal Lot of Virtue in this World” (Moralists: 150 [275]). The cosmological groundwork underlying ShaftesburyÌs treatment of theodicy is thus ultimately the foundation of his ethics. Thinking about the problem of theodicy becomes a vital part of moral philosophy – it has to be clear that man contributes to the good of the whole of which he is a part only if he acts virtuously. The ultimate ÍtelosÌ, that is, general welfare, requires manÌs active participation in the form of moral action. The Earl is intent on showing that moral behaviour is meaningless once his view of the world is discarded. The problems involved in the enquiry into the origin of evil are manÌs opinion about the nature of God and the harmony of the cosmos. It becomes quite clear that the question of theodicy is one which affects the human condition in particular rather than the cosmic order in general. For Shaftesbury, then, the engagement with theodicy, in spite of its importance for his thought, was a mere necessary evil in his attempt to refute the arguments of those thinkers who either accused or failed to acquit God. Such an approach to the problem of cosmic harmony requires a proof that the order of nature arranged by a benevolent designing principle is really harmonious

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and for the best, that is, a fusion of theodicy with cosmodicy.65 TheoclesÌ last cautious attempt to illustrate the grand order is his poetic flight on the “Wings of Fancy” (Moralists: 298 [382]).66 During this bout of controlled inspiration, fancy delves into the realm of the incomprehensible: “Unable to declare the Use or Service of all things in this Universe, we are yet assurÌd of the Perfection of all, and the Justice of that Oeconomy […] in respect of which, Things seemingly deformÌd are amiable; Disorder becomes regular; Corruption wholesom” (Moralists: 308 [388 f.]).67 The poetic faculty of fancy approaches the secret organization of the cosmos, an organization which, the implicit argument runs, can only be imagined and contemplated; manÌs understanding of the order of the cosmos can only be poetically true.68 However, Shaftesbury regarded Ípoetical truthÌ as a

Grossklaus argues that Shaftesbury combined cosmodicy and theodicy in part as a reaction to CudworthÌs cosmodicy which, for Shaftesbury, failed to acquit the culprit God (Grossklaus, Natürliche Religion und aufgeklärte Gesellschaft [as in note 1], 132 and 142 f.). 66 This is an echo of an earlier conversation about why human beings are not endowed with wings (see 186 ff. [301 f.]) and, of course, of the Icarus myth (see 296 [381]). 67 See Wolff, Shaftesbury und seine Bedeutung für die englische Literatur des 18. Jahrhunderts (as in note 18), 115 ff. Yu Liu regards passages such as these as indicative of ShaftesburyÌs familiarity with ÍsharawadgiÌ, a concept which provided him with a ÍsolutionÌ of the problem of evil (see Yu Liu, The Possibility of a Different Theodicy. The Chinese ÍSharawadgiÌ and ShaftesburyÌs Aesthetics and Ethics, in: The Southern Journal of Philosophy 42 [2004], 213 – 236; The Metaphysics of Disinterestedness. The Chinese Gardening Style and ShaftesburyÌs New Aesthetics, in: The European Legacy 9 [2004], 195 – 212). It was introduced to English readers by William Temple in his essay “Upon the Gardens of Epicurus” (see Temple, Miscellania, vol. 2, London 1690, 131 – 133). In Temple, the term denotes “Beauty […] without order” in landscape gardening (132); he commends the concept (for him Chinese) as an aesthetic alternative to the typical regularity of English landscape gardens. Ciaran Murray elucidates both provenance (Japanese rather than Chinese) and meaning (generally: asymmetry) of the term, qualifying some of LiuÌs assumptions, although supporting others (Ciaran Murray, Sharawadgi. The Romantic Return to Nature, San Francisco, London, Bethesda 1999, 34 – 37). Liu argues – on the (correct) premise that ShaftesburyÌs aesthetics and ethics are intertwined – that ÍsharawadgiÌ provided the Earl with a justification for incorporating the irregular into his otherwise ordered cosmos. However, while Addison was certainly familiar with the concept (see Donald F. Bond [ed.], The Spectator, vol. 1, Oxford 1965, 268), it is far from clear that Shaftesbury was. Liu cites ShaftesburyÌs frequent invocations of asymmetric and disordered landscapes to prove the omnipresence of ÍsharawadgiÌ in The Moralists. These might just as well be seen, and even more convincingly so, to refer to the identification of sublimity with stupendous, awe-inspiring irregularity which had become a commonplace of English thought ever since Thomas BurnetÌs Sacred Theory of the Earth (1681). With Addison, Shaftesbury was among the first writers to overcome the opposition between the ÍsublimeÌ and ÍbeautifulÌ (see Paddy Bullard, The Meaning of the ÍSublime and BeautifulÌ. Shaftesburian Contexts and Rhetorical Issues in Edmund BurkeÌs Philosophical Enquiry, in: Review of English Studies 56 [2005], 169 – 191, here 171 ff.). 68 I do not agree with WolffÌs claim that fancy provides the ÍsolutionÌ to the problem of evil (see Shaftesbury und seine Bedeutung für die englische Literatur des 18. Jahrhunderts [as in note 18], 65

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concomitant of the highest form of truth, “Moral Truth, on which (as has been often expressÌd in these Volumes) Poetick Truth and Beauty must naturally depend” (Miscellaneous Reflections: 328 [282]). He interpreted literature in general and poetry in particular as vehicles of moral truths. It is the “Moral Artist” who “distinguishes the Beautiful from the DeformÌd, the Amiable from the Odious”, and in this way he “can […] imitate the Creator” (Soliloquy: 110 [207]). Art or philosophical prayer produces images of the divine harmony.69 Since art is the proper way for man to comprehend the design of nature, theodicy is ultimately turned into a creative process. The proper way for humans to apprehend the beauty of creation, the greatest work of art drafted by a perfect artist,70 is therefore by way of an aesthetic response. Since the aesthetic and moral sense co-operate, the aesthetic appreciation of natural designs convinces human beings also of the moral harmony of the creation. The way in which human beings approach works of art and natural phenomena is essentially the same: WHEN we reflect on any ordinary Frame or Constitution either of Art or Nature; and consider how hard it is to give the least account of a particular Part without a competent Knowledg of the Whole: we need not wonder to find our-selves at a loss in many things relating to the Constitution and Frame of Nature her-self (Inquiry: 44 [14 f.]).

For Shaftesbury, Ìtis impossible that such a Divine Order shouÌd be contemplated without Extasy and Rapture; since in the common Subjects of Science, and the liberal Arts, whatever is according to just Harmony and Proportion, is so transporting to those who have any Knowledg or Practice in the kind (Inquiry: 140 [75 f.]).

Nature as a work of art (albeit of outstanding perfection) is subject to human examination. They must allow their Works to be examinÌd, their Actions criticizÌd: And thus, thus only, they may be confided in; ÍWhen by repeated Marks their Benevolence is provÌd, and their Character of Sincerity and Truth establishÌd.Ì To whom therefore the Laws of this Universe and its Government appear just and uniform; to him they speak the Government of one Just-One; to him they reveal and witness a God: and laying in him the Foundation of this first Faith, they fit him for a subsequent One. He can then hearken to Historical Revelation (Moralists: 232 [334]). 116) – there is no proof (in any strict sense of the word) involved. For the concept of a ÍPhilosophical SermonÌ, see section VI above. 69 Among the Shaftesbury papers (TNA: PRO 30/24/26/7, fols. 9 – 14) is an interesting specimen of such a prayer – it is a hymn in praise of the “Eternall Parent of Men & all things. the Spiritt, Life & Power of the Univers: from Whome all Order Harmony & Beauty is derivd” (fol. 9; the text will be included in SE II.6). 70 The key terms in ShaftesburyÌs descriptions both of nature and of art throughout The Moralists are ÍdesignÌ, ÍharmonyÌ, and ÍproportionÌ.

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Shaftesbury, convinced of “the ReaderÌs Privilege above the Author” (Miscellaneous Reflections: 292 [244]), thought that the art of criticism was the most effective way of ascertaining deity and its inherently benevolent nature. Scanning the divine work of art, nature, would inevitably lead to a profound understanding of such a divinity by those well-versed in the proper tenets of inductive criticism. Revelation becomes an after-consideration supporting the findings of the critic.71 ShaftesburyÌs proof of deity, then, is based on an aesthetic response to the standard of all human art, nature. The best way to apprehend divine beauty is thus either artistic contemplation or critical appreciation; it requires the cultivation of taste: What difficulty to be in any degree knowing! How long eÌer a true Taste is gainÌd! How many things shocking, how many offensive at first, which afterwards are known and acknowledgÌd the highest Beautys! For Ìtis not instantly we acquire the Sense by which these Beautys are discoverable […]. Which way shouÌd we come to understand better? which way be knowing in these Beautys? Is Study, Science, or Learning necessary to understand all Beautys else? And for the Sovereign Beauty, is there no Skill or Science requirÌd? In Painting there are Shades and masterly Strokes, which the Vulgar understand not, but find fault with: in Architecture there is the Rustick; in Musick the Chromatick kind, and skilful Mixture of Dissonancys: And is there nothing which answers to this, in The Whole? (Moralists: 326 ff. [401 f.])

The Platonic implications of this procedure are obvious: the created cosmos constitutes an absolute reality barred to the human mind. In contemplating the beauty of nature, fancy transcends the limits of the human mind and ascends into the infinite, imagining the harmonious concatenation of causes. TheoclesÌ sublime meditations do not attempt to produce logically sound arguments; they are allegorical verbal paintings of the deityÌs creation.72 The order of the divine cosmos, its inherent goodness, does not lend itself to strict philosophical investigation so that its “Mysterious Beauty” (Moralists: 316 [393]) cannot be rationally understood by human beings. Fancy is not a reliable faculty generating knowledge as, in excess, it is misleading; even Theocles distrusts his own ultimate prophetic transport, ending it abruptly with a vivid image of human blindness in the face of divinity, “which to our weak Eyes appears at best under a Veil of Cloud” (Moralists: 312 [391]). But it is nevertheless clear that only art is capable of revealing the secret truths of divine creation, hidden to the human eye and mind. While the Prometheus myth is exposed as a “poetical Solution of the See letter to Ainsworth, 8 February 1709: “So that how can we forbear to give our assent to those doctrines, & that revelation, which is deliverÌd to us, & enforcÌd by Miracles & Wonders? But to us the very test & proof of the divineness & truth of that revelation is from the excellence of the things revealÌd” (Ainsworth Correspondence: 391). 72 The meditations were simultaneously the butt of ShaftesburyÌs critics (Pope rendering parts of it in blank verse in his Dunciad) and the object of admiring emulation (for example in James Thomson or Mark Akenside). 71

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Phenomenon of Ill” in which deity is acquitted of the blame for evil, the meditations are, as the antitheses to PalemonÌs “Rant” and the orthodox “ghastly Storys” (Moralists: 216 [323]) told by TheoclesÌ friends, poetical sketches of universal order. The subversive potential of this approach is obvious: it undermines religionÌs traditional prerogative of answering questions concerning the moral duties of man as well as the last things. Theological discourse is identified as a fictional narrative, “the pious Narrations” of the clergy are satirically attacked, being “indeed no better than Childrens Tales, or the Amusement of the mere Vulgar” (Miscellaneous Reflections: 218 [177 f.]). As a theodicist, Theocles is at the same time philosopher, artist, and divine. The reader should respond to his sketches with both his aesthetic sense and his critical faculty; as Basil Willey put it, Theism is “derived from the moral sense, not vice versa”.73 This would ultimately be a reaction based on reason, but ShaftesburyÌs theodicy is not a rational or aesthetic theodicy which attempts to prove that evil is necessary in the best of all possible worlds;74 LeibnizÌ identification of his position with ShaftesburyÌs was not correct.75 In the century of theodicy, with its rationalization of the problem of evil, Shaftesbury was an anachronism; while thinkers like Leibniz or Berkeley approached theodicy on purely aesthetic grounds, attempting to show that evil is necessary for the good of the whole,76 the Earl speaks of the necessary ÍappearanceÌ of evil. He does not even want to account for evil; he explains it away, questioning its facticity. In fact, the sceptic Philocles claims that an aesthetic theodicy requires a “very strong Philosophical Faith, which shouÌd persuade one that those dismal Parts you set to view were only the necessary Shades of a fine Piece, to be reckonÌd among the Beautys of the Creation” (Moralists: 52 [204 f.]). In approaching creation itself as an aesthetic object, a work of art, ShaftesburyÌs ÍtheodicyÌ involves the attempt to show that all rationalizations of the problem will inevitably lead into a logical impasse; what counts is the response to nature as an aesthetic object of divine origin. Philosophy or theology alone will never be able to solve theodicy. It requires the combined efforts of philosophy, a religious faith in a benevolent deity, Basil Willey, The English Moralists, London 1964, 225. For a definition of Íaesthetic theodiciesÌ, see Thomas P. Saine, Die ästhetische Theodizee. Karl Philipp Moritz und die Philosophie des 18. Jahrhunderts, München 1971, 32: “Das Theodizeeproblem wird dadurch gelöst, daß das höchste Schöne und die Vollkommenheit des Universums als Einheit verstanden werden – das häßliche Leiden in der Wirklichkeit wird auf ästhetischer Ebene aufgehoben, sublimiert und in ein Exemplarisches, in die Schönheit der Erscheinung verwandelt”. 75 See Lempp, Das Theodiceeproblem (as in note 1), 91: “Die Welt ist ja […] nicht die relativ beste, sondern die absolut gute”. For other differences between the two, see ibid., 79 and 85 ff. 76 See Carl-Friedrich Geyer, Leid und Böses in philosophischen Deutungen, Freiburg, München 1983, 96: “Die unterschiedlichen Bemühungen zu Beginn der Neuzeit, eine rationale Theodizee zu begründen, versuchen (im Gegensatz zu den Lösungen in den alteuropäischen Gesellschaften) nicht mehr, das Negative mit dem Nichtseienden zu identifizieren und zu leugnen. Sie wollen vielmehr Gründe anführen für seine Existenz”. 73

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and a taste responsive to the beauty of creation to see that evil is a figment of the human imagination.

2. Theodicy in The Judgment of Hercules Having moved to Naples, Shaftesbury concentrated, his poor health and the strains imposed by the stylistic revisions of Characteristicks notwithstanding, on the Second Characters, a project which was designed as the aesthetic counterpart or continuation of the moral Characteristicks. The finished treatises and drafts reveal once again the close bond between moral and aesthetic themes in ShaftesburyÌs thought. A Notion of the Historical Draught or Tablature, of The Judgment of Hercules addresses the question of how to illustrate the moment of moral choice in a painting. The definition of a “Tablature”, a historical painting “where not only Men, but Manners and human Passions are represented”, echoes the monistic, teleological terms employed in the Inquiry and Moralists to delineate nature or the divine creation. Shaftesbury emphasizes the necessary “Unity of Design” which means that a Tablature must be “a single Piece, comprehended in one View, and formÌd according to one single Intelligence, Meaning, or Design; which constitutes a real Whole, by a mutual and necessary Relation of its Parts, the same as of the Members in a natural Body” (Judgment: 74 ff. [348 f.]). The designs of artist and deity converge – the work of art is turned into an imitation of natural harmony. The moment the paintings eventually prepared by Paolo de Matteis77 are meant to capture is that immediately preceding HerculesÌ decision: he is still wavering between virtue and the lures of pleasure, but already inclined towards virtueÌs persuasive arguments and about to choose “the way which leads to Honour, and the just Glory of heroick Actions” (Judgment: 100 [367]). This concentration on the moment of moral choice is significant for the question of theodicy which is present in the subtext of the Judgment. Shaftesbury is not so much interested in the conflict between good and (moral) evil (although he calls Pleasure a “vitious” passion [Judgment: 78 [351]), but in the moment in which Hercules begins to understand what is morally good. This crucial insight is the nub of ShaftesburyÌs peculiar treatment of theodicy: a moral and aesthetic enlightenment reveals the harmony of the divine design in which evil has no place.

77

See Martin KirvesÌ article in this volume, esp. figs. 1 and 6.

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IX. Rationalism and Scepticism This brings us to the problems of ShaftesburyÌs treatment of theodicy. The antirational aspects of his ÍsolutionÌ betray that he knew his metaphysical assumptions to be far from self-evident.78 The AskÞmata in particular reveal his awareness of the problems involved: Happy He! whose Faith in Deity, Satisfaction, Assurance, Acquiescing Rejoycing in Providence & in the universal Administration & Order of Things depends not on any History or Tale or Tradition or Wonder amongst Men; nor on Man himself or any Sett of Men; nor on any particular Schemes, or Systems, or Solutions of the ill Phænomena of the World; no, nor even on that great Solution, by a Futurity: but leaving the present things to be as they are, & future ones as they are to be, committing all this to Providence to be or not be, as to that seems best, knows, feels & is satisfyed yt all things are for the Best: nothing ill-made: nothing ill-governÌd: nothing but wt contributes to ye Perfection of the Whole, & to ye Felicity of Him who is ye Whole in the Whole … But how shoud this be? how is this brought about? How believe yt all is Good & nothing Ill?79

The argument that evil is merely a product of the imagination, a mental chimera, certainly supports his theodicy, whereas the concession that this same imagination is the only human faculty capable of apprehending the divine design could not satisfy an age in which the powers of human reason were meeting with increasing admiration. Moreover, ShaftesburyÌs position enables him to explain moral evil as an aberration of the human mind poisoned by mistaken notions of the deity, but his view that the appearances of natural ÍillÌ are minutiae of cosmic unity and harmony is very much in danger of sounding cynical in the face of natural evils such as the London Plague.80 The problem with moral evil is that ShaftesburyÌs vocabulary everywhere implies its existence.81 It is here that the aim of his engagement with theodicy comes to the fore: the moral enlightenment of man, based on the Socratic maxim “know thyself”. Self-knowledge enables humans to curb their passions and direct their affections towards proper objects, which would not be

See Grossklaus, Natürliche Religion und aufgeklärte Gesellschaft (as in note 1), 143; and Lempp, Das Theodiceeproblem (as in note 1), 84 f. 79 Deity, in: AskÞmata (as in note 3), 34 f. 80 BillicsichÌs verdict, however, goes a bit too far: “Man muß es zugeben: Shaftesbury hat kein Herz für die Leiden dieser Welt. Sein schönheitstrunkenes Auge gleitet zu rasch über sie hinweg” (Billicsich, Problem des Übels [as in note 1], 179). 81 W. M. Spellman notes “the extent to which the moral struggle, so critical to the psychological foundations of original sin, was part and parcel of his overall philosophical position” (W. M. Spellman, John Locke and the Problem of Depravity, Oxford 1988, 185 f). It is, however, ShaftesburyÌs concept of Stoic self-discipline rather than a veiled belief in original sin which accounts for this aspect of his thought. 78

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Figure 3: Frontispiece Characteristicks. – The engraving was devised for the first edition of Characteristicks, but the textual reference was added in the second edition (see Paknadel, ShaftesburyÌs Illustrations [as in note 62], 297). The passage is found in Miscellaneous Reflections: 240 [198 f.]: “HERE therefore arises Work and Emplyoment for us Within, ÍTo regulate Fancy, and work upon Opinion, on which all dependsÌ”. In his note on this passage, Shaftesbury refers to Marcus AureliusÌ Meditations 12, 22; the other reference is to ArrianÌs Discourses of Epictetus 3, 3, 20 – 22.

necessary if there were no such thing as vice in the world.82 ShaftesburyÌs Enlightenment is thus a decidedly moral illumination – human beings are called upon to do what lies within their power: to cultivate their moral character, adjust it to the harmonious nature of divine creation, and thus fulfil their part in the whole. This is the context behind the frontispiece of Characteristicks: The metaphorical context of enlightening the soul or mind (the water in the dish) again highlights the unchanging character of the cosmos; it is manÌs human interpretation of second causes which leads to confusion and disorder: BillicsichÌs claim that Shaftesbury does not enquire into the origin of moral evil is again not quite true (see Billicsich, Problem des Übels [as in note 1], 180). The problem is rather that while the Inquiry attempts to show that vice is grounded in mistaken notions of deity, its relative character is emphasized everywhere in ShaftesburyÌs philosophy. And in his defence of the Inquiry in Miscellaneous Reflections, Shaftesbury admits that the affection towards improper objects constitutes real ill (see Miscellaneous Reflections: 240 [199] and 244 [203]). 82

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When the water is moved, the ray also seems to be moved, yet it is not moved. And when then a man is seized with giddiness, it is not the arts and the virtues which are confounded, but the spirit […] on which they are impressed; but if the spirit be restored to its settled state, those things are also restored.83

In short: divine truths have to be properly received. ShaftesburyÌs attempt to remove the mental obstacles which impede moral progress, above all the fears engendered by the faith in a wrathful God, was, to a certain extent, elitist. Even if his aim was to drag philosophy out of the universities and bring it back to the world (see Moralists: 24 [184]), his polite philosophy was knowingly addressed to a very limited audience. The profound resignation it requires is accessible only to the autonomous, spiritually enlightened philosopher,84 while the bulk of the ÍvulgarÌ, susceptible as they are to the allurements of the doctrine of futurity, must remain enslaved in collective intellectual darkness. “He […] is the Wise and Able Man”, says Theocles, “who […] becomes in truth the Architect of his own Life and Fortune: by laying within himself the lasting and sure Foundations of Order, Peace, and Concord” (Moralists: 362 [427]). These “Wise and Able” men are the thinkers who can distinguish the light of truth from the shadows of falsehood and who understand that moral rectitude is the ultimate ÍtelosÌ of human beings in the cosmic order. On the one hand, ShaftesburyÌs philosophical legacy is a paradigm of Enlightenment thought. His objective – to liberate the human mind from the slavery of the false doctrines instilled by religious and philosophical authorities – anticipates the rallying cry of the Enlightenment, Ísapere audeÌ. On the other, the EarlÌs theodicy shows that his trust in human reason was checked by a profoundly sceptical attitude which prevented him from countering dogma with dogma. All that reason can achieve is to teach man to avoid moral evil. For Shaftesbury, these different impulses meant that the more overt optimism which was to characterize LeibnizÌ rational theodicy (to which his temperament inclined) had to be checked by the methodical approach of Bayle (whose scepticism appealed to him).

X. Conclusions Theodicy brings together most of the key concepts of ShaftesburyÌs thought: the nature of deity and creation as the objects of a moderate enthusiasm; the moral, aesthetic sense and the cultivation of taste and the critical faculty; the place of Discourses of Epictetus, transl. George Long, New York 1900, 203. Larthomas highlights the unique character of ShaftesburyÌs theodicy and maintains that it aims at a “reign of souls” (“rºgne des esprits”; Larthomas, De Shaftesbury ” Kant [as in note 39], 511; the reference is to Moralists: 62 [211 f.]). 83

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religion in human life; the limits of knowledge; the moral perfection of the individual, and, ultimately, the nature of the relation between art and ÍrealityÌ. The complex interplay between these focal points shows that Shaftesbury regarded the relationship between man and divine creation as the most pressing cultural question of his time, as the quintessence of his moral, aesthetic, epistemological, and religious convictions. However, there is a paradox involved:85 although theodicy, the enquiry into the origin of evil, is of such indisputable importance in Characteristicks, Shaftesbury ultimately explains the core of the problem away: evil is relative, a misinterpretation of the human mind.86 Theodicy helped Shaftesbury to outline both the potential and limits of the mind, to address the central questions of human life and knowledge. Admitting that the fundamental assumption of his approach – the harmony, beauty, and benevolent arrangement of the creation – is ultimately inaccessible to human reason, Shaftesbury turns the ÍsolutionÌ for theodicy into a quasi-religious, enthusiastic experience which is based on the aesthetic appreciation of the harmony inherent in nature. He concentrates on beauty and the good, not on evil, because he knew that the problem of theodicy must remain, in the end, logically insoluble. Its metaphysical implications transcend the intellectual powers of humans. This is why Shaftesbury focused on action instead, the cultivation of the moral character and aesthetic sense of man, rather than on a passive acceptance of evil in the hope of future recompense. He summarizes this attitude in the letter to Ainsworth which introduces “that ancient difficulty”: When thou hast well inurÌd thy self to the Precepts & speculation, which give the view of itÌs noble contrary, (the t! wakou) thou wilt rest satisfyÌd. But be persuaded in the mean time, that wisdom is more from the heart, than from the head. Feel goodness & thou wilt see all things fair & good […]. Let thy eye be simple; & turn it from the to heom to the he?om. View God in goodness, & in his works, which have that character: dwell with honesty & beauty & order. Studdy & love what is of this kind; & in time thou wilt know & love the Author (Ainsworth Correspondence: 391 ff.).

ShaftesburyÌs gloria dei, then, teaches us to rise above evil, that chimera of reason, and to be responsive to the aesthetic and moral pleasures of life. I use the term ÍparadoxÌ in a sense defined by Rosalie L. Colie: it denotes an “epistemological paradox, in which the mind by its own operation, attempts to say something about its operation” (Rosalie L. Colie, Paradoxia Epidemica. The Renaissance Tradition of Paradox, Princeton 1966, 6). According to Colie, “paradoxes […] tend to constellate […] in a period […] of intense intellectual activity, with many different ideas and systems in competition with one another” (33). For the competing value systems in ShaftesburyÌs time, see sections I and II above; for those aspects which identify ShaftesburyÌs treatment of theodicy as an epistemological paradox, see section V above. 86 See Lempp, Das Theodiceeproblem (as in note 1), 95: “Die Theodicee Shaftesburys ist im Grunde nichts anderes, als der glänzende Nachweis, daß auf dem Boden seiner universalistischen Weltbetrachtung das Theodiceeproblem g a r k e i n e n P l a t z h a t ”. 85

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Shaftesburys Theodizee stützt sich auf die Güte einer universalen Gottheit; er leitet diese empirisch aus der Beobachtung der fundamentalen Harmonie und Ordnung eines Kosmos ab, in dem das Übel keine ontologische Größe, sondern nur ein den Grenzen menschlicher Erkenntnis zuzuschreibendes Mißverständnis sein kann: Die Theodizee entpuppt sich so als epistemologisches Paradoxon. Aufgabe des Menschen ist es, die Pflichten, die ihm als Teil dieses geordneten Ganzen zufallen, zu erfüllen – dazu bedarf es in erster Linie der Ausbildung der Tugend, um der Harmonie der Schöpfung im individuellen Handeln entsprechen zu können. Shaftesburys skeptischer Grundeinstellung gemäß ist der menschliche Verstand zwar in der Lage, die Ordnung der Welt vorzustellen, letztendlich erfassen kann er sie jedoch nicht. Daher bedarf es der Rückbindung an den Glauben, um sich dieser Grundordnung zu vergewissern. Dieser Glaube spiegelt sich in den enthusiastischen Meditationen TheoklesÌ in The Moralists wider, die gleichzeitig poetische Exkurse darstellen, welche der Annahme durch den ästhetischen Sinn des Menschen bedürfen: Philosophie, Religion und Kunst(kritik) nehmen demnach gleichgewichtige Rollen in Shaftesburys Theodizee ein. ShaftesburyÌs theodicy is grounded in his belief in a benevolent, universal deity whose attributes he deduces empirically from the observation of a fundamental cosmic harmony. In a cosmos such as this, evil cannot be an ontological entity, but is a mere misunderstanding that results from the limitations of the human mind: theodicy emerges as an epistemological paradox. Man must learn how to fulfil the duties incumbent on him as part of this harmonious creation, and it is virtue which translates the cosmic order into action. According to ShaftesburyÌs understanding as a sceptic, human reason is merely able to imagine this order, but not to fully understand it. This is why faith is a prerequisite to the acceptance of this fundamental harmony, a faith which is reflected in TheoclesÌ enthusiastic meditations throughout The Moralists. At the same time, these meditations are poetic digressions, for the reception of which manÌs aesthetic sense is required: philosophy, religion, and art (criticism) are therefore of equal importance in ShaftesburyÌs theodicy. Dr. Patrick Müller, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Bismarckstr. 8, 91054 Erlangen, E-Mail: [email protected]

Katja Battenfeld / Melinda Palmer Kolb Protestant ethics and the Ímoral senseÌ in the mid-eighteenth-century novel C. F. GellertÌs Leben der Schwedischen Gräfinn von G*** in Mary CollyerÌs English translation

ShaftesburyÌs moral sense is credited with shaping the moral-didactic impulses that lent the eighteenth-century novel a newfound intellectual stature.1 Although this assertion is plausible, this study assumes neither an inevitable dawning nor a straightforward adoption of a new moral-philosophical paradigm. Instead, we shall approach the concept of the moral sense in mid-century imaginative literature as a multifaceted interaction with a philosophical innovation marked by equally conscientious treatment of narrative and intellectual traditions. On the one hand, we must resist assuming that by some nebulous process specific philosophical concepts seeped into the plot and characterization of prose fiction from an intellectual context saturated with secularizing principles of Enlightenment.2 Shaftesbury is said to be the initiator of “moderne Selbsterkenntnis” in the eighteenth-century novel; see, for example, Silvio Vietta, Der europäische Roman der Moderne, München 2007, 12 – 14. Further, his conception of a skeptical dialogue found entrance into the evolution of prose fiction; see Alexandra Kleihues, Vom skeptischen Dialog zum polyphonen Roman: Shaftesbury, Wezel, in: Wezel-Jahrbuch 10/11 (2009), 281 – 304. A recent trend in German literary scholarship differentiates ShaftesburyÌs direct influence from other sources of moral sense theories, for example, from HutchesonÌs writings. See Jan Engbers, Der ÍMoral SenseÌ bei Gellert, Lessing und Wieland. Zur Rezeption von Shaftesbury und Hutcheson in Deutschland, Heidelberg 2001. For the latest reconsideration of the extent of ShaftesburyÌs influence on German thought in the eighteenth century see Mark-Georg Dehrmann, Das ÍOrakel der DeistenÌ. Shaftesbury und die deutsche Aufklärung, Göttingen 2008. 2 E. Derek Taylor has encountered an analogous assumption concerning LockeÌs influence on literature in critical studies which emphasize epistemological and/or political dimensions of eighteenth-century novels. Following Richard A. Barney, Taylor notes that there is a frequently employed critical strategy premised on a “process of cause and effect” in the “transition from philosophy to the novel”. Barney, and Taylor after him, point out that the convenient reduction of the eighteenth century to an “Age of Locke” often leads scholars to assume “a social ÍclimateÌ so thoroughly saturated by Lockean principles that it cannot help producing the precipitate of Lockean fictions”. See E. Derek Taylor, Reason and Religion in Clarissa: Samuel Richardson and “The Famous Mr. 1

Aufklrung 22 · Ò Felix Meiner Verlag 2010 · ISSN 0178-7128

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And on the other, we must expand the more helpful notion that the novel became an acceptable literary medium for conscious philosophical experimentation with concepts such as the moral sense.3 This notion need not be constricted by an exclusive association between new form and new content. Specifically in the study of English and German novel-writing, eighteenth-century literary innovations spanning the belletristic-philosophical divide are too often limited to the aesthetic transformation of tenets of naturalistic moral philosophy.4 We propose that it is equally reasonable to consider ShaftesburyÌs moral sense as a negative presence in the moral framework of certain early novels. By juxtaposing the German original and an English translation of Christian Fürchtegott GellertÌs Leben der Schwedischen Gräfinn von G*** with a contemporary systematic critique of ShaftesburyÌs moral philosophy, we hope to show that the reception of the moral faculty in the novel can be a creative weave of contrasts and correspondences within a distinctly religious understanding of virtue and of human nature. In his survey of prominent English-language authors of imaginative literature, Martin Battestin argues that in the mid-century intellectual environment characterized by toleration and rationalism “the ablest writers were ranged on the side of orthodoxy” against the perceived dangers posed by Hobbes on the one hand and deism on the other.5 The anthropological premises of these two philosophical currents differ markedly from one another. Yet both were considered a challenge, even a threat, to the religious ethical systems in which the doctrinal balancing act between human corruption and the divine image in man was a perennial point of theological contention. The moral sense as a constituent element of Norris, of Bemerton”, Farnham, Burlington 2008, 34 f.; Taylor cites Richard A. Barney, Plots of Enlightenment. Education and the Novel in Eighteenth-Century England, Stanford 1999, 4. 3 Isabel Rivers affirms that novels of the eighteenth century bear a close relation to religious and philosophical writing which grates against the current fixation on genre. See Isabel Rivers, Literature and the History of Ideas, in: Martin Coyle (ed.), Encyclopedia of Literature and Criticism, London 1991, 941 – 950, here 946. 4 For instance Erwin Wolff argues, “Mit dem Einbruch der Aufklärung schwand die Relevanz des religiösen Konfliktes und der theologischen Spekulation mehr und mehr im Bewußtsein der Zeitgenossen dahin. Für die Literatur entstand das Problem, neue Inhalte zu finden und die alte Dignität auf neue Weise wiederherzustellen. Dieses Problem suchte man in erster Linie durch eine Verschmelzung von Philosophie und Literatur in einem bis dahin unerhörten Ausmaß zu lösen, wobei beide Partner erhebliche Charakterveränderungen erfuhren”. See Erwin Wolff, Shaftesbury und seine Bedeutung für die englische Literatur des 18. Jahrhunderts. Der Moralist und die literarische Form, Tübingen 1960, 3. 5 Martin C. Battestin, The Critique of Freethinking from Swift to Sterne, in: Eighteenth-Century Fiction 13/3 – 4 (2003), 341 – 420, here 342. BattestinÌs thesis is in alignment with the widely accepted view put forward by historians of eighteenth-century Britain which asserts that, as Roy Porter writes, “Enlightenment goals – like criticism, sensibility or faith in progress – throve in England within piety” (PorterÌs emphasis). See Roy Porter, The Enlightenment in England, in: R. P., Mikulsˇ Teich (ed.), The Enlightenment in National Context, Cambridge 1981, 1 – 18, here 6.

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human nature, an innovation which numerous eighteenth-century thinkers traced directly back to the writings of the Third Earl of Shaftesbury, had a complex role in the long-lived controversy over the foundation of morality. Many deplored what they considered to be ShaftesburyÌs overt hostility to Christianity and numbered him among the deists. Yet even some of these were willing to incorporate the rather ambiguous notion of a moral sense – modified to suit their own purposes – in an effort to counter Hobbism and Mandeville in particular. They abhorred the derivation of virtue from selfishness and the corollary assertion of the conventional nature of morality, as opposed to the eternal and immutable.6 Nevertheless, claims for the adequacy of an innate moral faculty in the pursuit of ideal virtue in both knowledge and action were highly suspect. They saw that the self-sufficiency premised by an exclusively natural morality undermined the theology of Christian ethics. For, in any one of its several variants, moral theology posited the human creatureÌs dependence on the divine creatorÌs mercy and assisting grace in fulfilling the eternal law authored and revealed by the creator.7 Despite varying degrees of wariness, however, the philosophers and theologians constituting the far from monolithic “orthodoxy” to which Battestin refers carried on with ethical inquiry in terms originally set by Shaftesbury – at least as far as the moral sense is concerned. Likewise, the theoretical moral framework of novels which expressly aim to promote virtue is shaped as much by questions, in RiversÌ terms, of the “constitution of human nature” – i. e. what is the moral faculty, its competencies, its limitations – as by the moral-theological “questions about GodÌs purposes and promises for humanity”.8 Though not always friendly, the coexistence is fruitful; hardly a static defense of dogma, it is a dynamic and mutual enrichment of the discourse on the moral faculty – if you will, a passionate dance of two mistrustful partners.

Isabel Rivers, Reason, Grace, and Sentiment. A Study of the Language of Religion and Ethics in England 1660 – 1780, vol. 2, Cambridge 2005, 174. 7 Contrary to the highly influential theses of R. S. CraneÌs 1934 study of the origins of sentimental literature (Suggestions toward a Genealogy of the Man of Feeling, in: English Literary History 1 (1934), 205 – 230), this includes the moral theology of the ÍlatitudinariansÌ as more recent studies have shown. For a brief overview of more current research on this dimension of postRestoration Anglicanism, see William M. Spellman, The Latitudinarians and the Church of England. 1660 – 1700, Athens/GA, London 1993, 3 – 5. 8 Rivers, Reason, Grace, and Sentiment (as in note 6), 236. 6

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I. GellertÌs religious ethics Christian Fürchtegott GellertÌs Leben der Schwedischen Gräfinn von G*** is a prime example of novelistic participation in the broader theoretical controversy over the foundation of morality. The creative tension between its critical reception of a moral faculty as originally proposed by Shaftesbury and its insistence on ÍorthodoxÌ religious ethical tenets is shaped by the German discussion of the potency of manÌs reason and will.9 Often credited as the first modern novel written in the German language, the Schwedische Gräfinn was published in Leipzig in 1747 – 1748, where Gellert was professor of moral philosophy. Four years later in 1752 GellertÌs first and only novel appeared in English translation;10 between 1752 and 1778 it was translated into English by four different translators and published nine times in London and Dublin.11 As Garold Davis points out in his investigation of German literary influence in the early part of the eighteenth century, German devotional and morally instructive literature was well-known and established among the English readership by mid century.12 It prepared the ground for the sudden popularity of what were known as the ÍGerman storiesÌ translated into English between 1760 and 1770.13 Davis suggests that Protestant German texts had a compensating effect on the English book market with regard to English deism.14 For further information on GellertÌs position within the intellectual climate of his time see Katrin Löffler, Gellerts Roman “Leben der Schwedischen Gräfinn von G ***” im Kontext der zeitgenössischen philosophischen und theologischen Anthropologie, in: Sybille Schönborn, Vera Viehöver (ed.), Gellert und die empfindsame Aufklärung. Vermittlungs-, Austausch- und Rezeptionsprozesse in Wissenschaft, Kunst und Kultur, Berlin 2009, 99 – 114. 10 See Christian Fürchtegott Gellert, The History of the Swedish Countess of G. In two parts, London 1752. The unknown translator, who received the German manuscript from Heinrich Ehrenfried Luther (1700 – 1771) in Frankfurt (Main), was not a native English speaker. However, his translation appeared five times in the 1750 s in London and Dublin. The translator mentions Dr. LutherÌs consignment of the original novelÌs copy from Frankfurt in the preface to the edition of 1755. See Preface, The History of the Swedish Countess of G. In two parts. By C. F. Gellert, Ma. Professor at the University of Leipsick. Translated from the German Original, Dublin 1755, iv. 11 Translated into English, French, Polish, Italian, Hungarian, Dutch and Russian, the novel was a widely acknowledged international success. See Bernd Witte, Die andere Gesellschaft. Der Ursprung des bürgerlichen Romans in Gellerts Leben der Schwedischen Gräfinn von G…., in: B. W. (ed.), “Ein Lehrer der ganzen Nation”. Leben und Werk Christian Fürchtegott Gellerts, München 1990, 66 – 97, here 66. 12 See Garold N. Davis, German Thought and Culture in England 1700 – 1770. A Preliminary Survey including a Chronological Bibliography of German Literature in English Translation, Chapel Hill 1969, 58 – 61. 13 Ibid., 96. The ÍGerman storiesÌ include: GessnerÌs Death of Abel; RabenerÌs Employment of the Souls after Separation from the Body, a Dream; KlopstockÌs Messiah and Death of Adam; WielandÌs Trial of Abraham; and BodmerÌs Noah. 14 Ibid., 62 f. 9

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The mid-century translation of GellertÌs novel attributed to Mary Collyer, entitled The Life of the Countess of G., brings the German professorÌs foray into the popular discourse on morality and the constitution of human nature to England, adapting it to the contemporary polemical conditions in the birthplace of the moral sense. But before turning to the translation of the novel in the context of the controversy in Britain, we shall briefly survey the critical opinion on CollyerÌs source text – i. e. GellertÌs Schwedische Gräfinn – in terms of its moral theoretical underpinnings.15 As mentioned above, modern scholars have long held that Gellert transformed ShaftesburyÌs moral sense theory into literary exemplifications.16 It has been said that the novel propagates a “new bourgeois morality” grounded in Shaftesburian thinking;17 the female protagonist is thought to embody a new moral understanding, in other words, to lead literature out of the dark age of oppressive religious dogma into the moral clarity of ÍEnlightenedÌ modernity. Bernd Witte even goes so far as to assign the novel a bourgeois “antireligiöse” morality.18 While many critics tend to see Shaftesburian affection as providing moral guidance in much prose fiction, including GellertÌs,19 Witte contends that virtuous action in the Schwedische Gräfinn depends on reasonable decisions distinct from religious principles.20 However, it is not requisite to take sides in an artificially strict dichotSee Christian Fürchtegott Gellert, The Life of the Countess of G., translated from the German by a Lady, 2 vols., London 21795. The first edition appeared 1776. There is a discrepancy between the title printed on the title page (as above) and the title heading the main body of the book which reads “The Life of the Swedish Countess of G—” .All further references to The Life of the Countess of G. will be to this edition and quotations from it will be cited as LCG within the text in parentheses. For the German original see Christian Fürchtegott Gellert, Leben der Schwedischen Gräfinn von G***, Stuttgart 1968. All quotions from this edition will be cited as LSG within the text in parentheses. 16 See for example Wolfgang Bunzel, Gellerts Roman Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G***. Erzählstruktur und Wirkungsabsicht, in: Wirkendes Wort 45 (1995), 377 – 395, here 388. 17 See Witte, Die andere Gesellschaft (as in note 11), 68. Witte characterizes GellertÌs novel as an outstanding example of “empfindsame Moral”, a “sentimental” morality. 18 Ibid., 77. See also Thomas Pago, Der empfindsame Roman der Aufklärung, München 2003, 12. Pago writes “Von einer theologischen oder gar kirchlichen Begründung von Handlungsnormen ist in der Schwedischen Gräfin kaum noch etwas zu spüren”. 19 See Löffler, Gellerts Roman (as in note 9), 99 ff. Löffler gives an account of the approaches to GellertÌs novel which read the text as signifying moral behavior by means of emotional discipline. She mentions Erich Schön, Aufklärung der Affekte. Christian F. Gellerts Leben der Schwedischen Gräfin von G***, in: Der Deutschunterricht 6 (1991), 31 – 41; Helmut Schmiedt, Modelle der vernünftigen Liebe: Gellerts schwedische Gräfin. Liebe, Ehe, Ehebruch. Ein Spannungsfeld in deutscher Prosa von Christian Fürchtegott Gellert bis Elfriede Jelinek, Opladen 1993, 30 – 48; Eckhardt Meyer-Krentler, Der andere Roman. Gellerts Schwedische Gräfin: Von der aufklärerischen Propaganda gegen den ÍRomanÌ zur empfindsamen Erlebnisdichtung, Göppingen 1974. 20 Witte argues that the death scenes in GellertÌs novel represent the increase of secular behavior and secular objectives in society as depicted. See Bernd Witte, Christian Fürchtegott Gellert, die 15

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omy between affection and reason in the moral vision of the Schwedische Gräfinn. Concurrent with the opening of new perspectives on the religious ethical dimensions of the eighteenth-century novel in general, Gellert criticism has undergone a revision which has opened the field to new interpretations of his fiction. It is now acknowledged that one must take into account simultaneously GellertÌs debt to the philosophical innovations of his day and his adherence to the doctrines of Lutheran Christianity. Sybille Späth investigates the basis of GellertÌs eclectic theoretical approach to morality and concludes that Gellert, although he incorporates the concept of natural religion, never denies the sovereignty of revealed religion and its dogmatic principles.21 Similarly, in her recent article on the philosophical and theological context of the Schwedische Gräfinn, Katrin Löffler clearly outlines GellertÌs debt to the Lutheran teachings of corrupt human nature and his attempts to reconcile an optimistic moral philosophy with religious anthropological views.22 LöfflerÌs findings support this articleÌs contention that the terms Íempfindsame MoralÌ and Ísentimental novelÌ,23 which modern literary research often associates exclusively with an ÍEnlightenedÌ Shaftesburian philosophy, are misleading in the case of Gellert, despite the fact that in his later Moralische Vorlesungen he posits the existence of a “Moralgefühl”. GellertÌs novel does not follow the conventions of a completely secularized morality, nor does it illustrate the adequacy of moral guidance by a single human faculty – whether emotion or reason. Jan Engbers and Mark-Georg Dehrmann argue that GellertÌs reception of ShaftesburyÌs moral sense is critical and fundamentally religious. In the most recent, comprehensive study on the reception of ShaftesburyÌs philosophy in eighteenth-century Germany, Dehrmann explains how GellertÌs early writings are characterized by an underlying Protestant morality in contrast to the conceptions of a natural morality increasingly prominent in the academic discourse of the time. Nevertheless, the propagation of Shaftesburian thinking in the 1740 s, reinforced by Johann Joachim SpaldingÌs German translations of The Moralists and Inquiry Frau, die Schrift und der Tod, in: Romane des 17. und 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1996, 142: “Diese Umwertung des Todes […] markiert zugleich den entscheidenden Schritt der Säkularisierung, weil durch sie die zentrale Sinnfrage des Lebens, deren Auflösung alle Religion und alle Metaphysik zu geben verspricht, radikal aus dem jenseitigen Horizont gelöst und als gesellschaftliches Problem verstanden wird. An die Stelle eines religiösen Heilsversprechens setzt Gellerts Roman einen gesellschaftlichen und gleichzeitig individuellen Glückszustand als höchstes Sinnziel des Menschen”. 21 Sybille Späth, Vom beschwerlichen Weg zur Glückseligkeit des Menschengeschlechts. Gellerts Moralische Vorlesungen und die Widerstände der Realität gegen die empfindsame Gesellschaftsutopie, in: Witte (ed.), “Ein Lehrer der ganzen Nation” (as in note 11), 151 – 171, here 156. 22 Löffler, Gellerts Roman (as in note 9), 103. 23 See for example Anna Richards, Forgetting the Dead in GellertÌs Leben der Schwedischen Gräfin von G***, in: Oxford German Studies 35/2 (2006), 165 – 175. Richards calls the novel “sentimental”, but argues that Gellert diverges greatly from other sentimental novels.

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concerning Virtue from Characteristicks, led Gellert to adopt ShaftesburyÌs idea of moral progress (via religious principles) for revealed religion.24 Critical of the long-held views of ShaftesburyÌs influence on the German novelists, Gellert, Wieland, and Lessing, Jan Engbers finds that the Schwedische Gräfinn owes much to the religious moral theory of GellertÌs contemporary and colleague, Christian August Crusius (1715 – 1775), professor of philosophy and theology in Leipzig. According to Engbers both Gellert and Crusius hold that the created human being is not able to train his or her moral integrity independently of GodÌs grace, i. e. that God both reveals the principles of holy living and makes compliance to those principles possible. It is GellertÌs later, post-Gräfinn theoretical thinking in the 1750 s which reveals more concretely a discerning (yet still Christian) transformation of ShaftesburyÌs terminology and conceptions.25 His various examples of a moral education given in the novel itself are in pointed contrast to the ideas then circulating of a natural human ability for virtuous living. However, it is important to recognize that these ideas were developed in (and thus shaped by) a discursive encounter with ShaftesburyÌs ideals of sympathetic affections, the boundaries of a rational self-control, the problematic understanding of affections and a challenge to Christian anthropology.26 Our comparative approach follows the new perspectives on Gellert opened by Dehrmann and Engbers et al. The results of the close analysis of the analogies and contrasts point towards a critical and creative reception of the moral sense in the form of a Ínegative presenceÌ in the novelÌs argumentative and narrative structures. A comparison of the Schwedische Gräfinn to an English translation serves to illuminate aspects of the literary debate on the moral sense in both source and target culture, while it sheds light on the dynamic participation of literary productions in the discussion of moral faculties.

Mark-Georg Dehrmann, Moralische Empfindung, Vernunft, Offenbarung. Das Problem der Moralbegründung bei Gellert, Spalding, Chladenius und Mendelssohn, in: Schönborn, Viehöver (ed.), Gellert und die empfindsame Aufklärung (as in note 9), 53 – 65, here 65. 25 See Engbers, Der ÍMoral SenseÌ bei Gellert, Lessing und Wieland (as in note 1), 59: “In den Jahren nach der Veröffentlichung seines Romans stellt Gellert wirkungsästhetische Überlegungen an, die […] von dem Gedanken geprägt sind, daß die Tugendhaftigkeit eines Menschen seine psychische Formung voraussetzt und auf der Entwicklung eines moralischen Gefühls beruht. Nachdem er in Anlehnung an Crusius auf die Notwendigkeit einer sorgfältigen Erziehung des Individuums verwiesen hat, befasst er sich […] mit der Idee eines allgemeinen moralischen Fortschritts und modifiziert Ideen Shaftesburys. […] In Anlehnung an die Moral-Sense-Theorie Shaftesburys führt er ihre außergewöhnliche Geistes- und Seelengröße […] auf die Ausbildung eines ästhetischen und moralischen Geschmacks zurück. […] Crusius wird durch Shaftesbury abgelöst”. 26 Löffler, Gellerts Roman (as in note 9), 104 – 110. 24

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II. “As led through a flower-garden”. The Swedish countess in England In light of this more recent approach to GellertÌs fiction, a look at a translation of his Schwedische Gräfinn provides insight into similar treatment of ShaftesburyÌs moral sense in the eighteenth-century novel in England. The 1776 edition of The Life of the Countess of G., attributed to Mary Collyer, is of special interest as there is solid evidence of the translatorÌs earlier literary experimentation with the concept of the moral sense in her original prose fiction.27 In the novel entitled Felicia to Charlotte: being letters from a young lady in the country, to her friend in town (1744), Collyer thematizes the moral sense explicitly and repeatedly within a courtship plot.28 The first volume tells the story of the young heroine, Felicia, who becomes acquainted with a young man named Lucius. He instructs her in moral questions, including the moral sense, winning FeliciaÌs heart by his exemplarily virtuous behavior. In a way reminiscent of the modern philosophical dialogue made popular by Shaftesbury himself,29 other characters function as mouthpieces in an opposition of the idea of a moral sense to a rather extreme Calvinistic view of the doctrine of original sin.30 Lucius is able to maintain his position and marries the heroine. Nevertheless, despite the vehemence in which the notion of a moral sense is propounded by the two protagonists, it remains firmly entrenched within the boundaries of a Protestant ethic. Mary CollyerÌs translation of Gellert was published posthumously in 1776 by her husband Joseph Collyer, a London bookseller. According to his “Advertisement” prefacing The Countess of G., Joseph Collyer had taught his wife German, and she had translated the novel “by way of amusement, in the hours of relaxation Mary CollyerÌs prose fiction has only recently gained the attention of literary scholars whose work focuses primarily on womenÌs writing. See for example Katherine Sobba Green, The Courtship Novel. 1740 – 1820. A Feminized Genre, Lexington 1991, 32 ff.; Betty A. Schellenberg, The Conversational Circle. Re-Reading the English Novel, Lexington 1996, 9; Ruth Perry, Novel Relations. The Transformation of Kinship in English Literature and Culture, 1748 – 1818, Cambridge 2004, 144; Susan Staves, A Literary History of WomenÌs Writing in Britain, 1660 – 1789, Cambridge 2006, 236 ff. 28 Mary Collyer, Felicia to Charlotte: Being Letters from a Young Lady in the Country, to Her Friend in Town. Containing a Series of the Most Interesting Events, Interspersed with Moral Reflections; Chiefly Tending to Prove, That the Seeds of Virtue Are Implanted in the Mind of Every Reasonable Being, London 1744, 36. 29 Even ShaftesburyÌs detractors felt inclined to make use of the dialogue as a literary form for controversial writing, e. g. BerkeleyÌs Alciphron: or the Minute Philosopher (1732) and SkeltonÌs Ophiomaches: or Deism Revealed (1749, 1751); See Alexandra KleihuesÌ study of dialogical writing in the style of Shaftesbury: Der Dialog als Form. Analysen zu Shaftesbury, Diderot, Madame dÌEpinay und Voltaire, Würzburg 2002. 30 See also Staves, WomenÌs Writing (as in note 27), 238 f. 27

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from domestic employment”.31 Based on Joseph CollyerÌs attribution of the novel to his wife, CollyerÌs translation can be dated between the year 1755 and her death in 1761.32 The short introduction informs the reader that Mary Collyer died unexpectedly, leaving the completed manuscript copy to her husband. He praises this “piece of the celebrated Gellert, universally admired for its sentiments of morality and beauty of diction” as a novel in which “human nature is […] exactly drawn, the characters extremely well supported, and the diversity so agreeably blended, that the Reader is led through the whole field of morality, as through a flower-garden”.33 Later the CollyersÌ name became more widely known for their translations of Der Tod Abels and Der Messias, German religious poetry by Gessner and Klopstock, respectively, popular for the evocation of a religious sublime.34 Drawing on her nonconformist background, Collyer deepens the religious tone of GellertÌs German original. In The Countess of G., she embellishes the sometimes rather neutral and sober autobiographical narration of the eponymous heroine. Nevertheless, Collyer appears to have found congenial the German professorÌs views on the instillation of moral principles, his distinct suspicion of the adequacy of human affections to judge moral actions, and his advocacy of the motivation to moral action in the hope of future rewards. To this Collyer added a decided emphasis on assisting Providence. All of these aspects are supporting structures of the moral framework which shapes the actions and character of the protagonist in a way consistent with key topics in the moral-theoretical discussion in Britain in which the moral sense was disputed. CollyerÌs translation of GellertÌs Schwedische Gräfinn provides a glimpse of this long-running controversy from a perspective less favored by historians of phiJoseph Collyer, Advertisement, in: Mary Collyer, The Life of the Countess of G. by Gellert. Translated from the German, by a Lady, vol. 1, London 1795, i-iv. Reissue of the first edition 1776. 32 Joseph Collyer mentions in his advertisement the translation of GellertÌs novel which appeared in 1752 and again in 1755. Thus it is presumable that Mary Collyer did not begin her translation before 1755 and she must have completed it before her death in 1761. The inclusion of certain passages indicates that Collyer based her translation on the first edition (1747 – 1748) of GellertÌs Schwedische Gräfinn. 33 Joseph Collyer, Advertisement (as in note 31), i f. 34 Mary CollyerÌs husband attributes the 1761 translation, The Death of Abel, to his wife and explains that she began her Klopstock translation, The Messiah, but died before completing it. Joseph was encouraged by friends to finish the project, publishing it in 1763. See Friedrich Gottlieb Klopstock, The Messiah. Attempted from the German of Mr. Klopstock. To Which Is PrefixÌd His Introduction on Divine Poetry, Mary Collyer and Joseph Collyer (trans.), London 1763, ix-x. David B. Morris suggests that the popularity of the German authors Bodmer, Klopstock and Gessner was due to an increasing English taste for the religious sublime in their works. See David B. Morris, The Religious Sublime. Christian Poetry and Critical Tradition in Eighteenth-Century England, Kentucky 1972, 157. 31

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losophy and literary scholars of the last century. We must keep in mind that ShaftesburyÌs Characteristicks of Men, Manners, Opinions, Times was a text that engaged critics – both those who were disposed to admire it and those who condemned it – for decades after its first publication in 1711. Among the admirers was Francis Hutcheson, Professor of Moral Philosophy in Glasgow, who was and is well-known for rendering the theist ShaftesburyÌs moral sense palatable to some Christian thinkers. HutchesonÌs development of the moral sense, however, is not the exclusive eighteenth-century channel of reception. Critical thinkers continued to approach ShaftesburyÌs thought at its source. For example, as he was refining narrative techniques he had used in the ÍconversionÌ of the romance genre,35 Samuel Richardson printed the Dissenter John LelandÌs A View of the Principal Deistical Writers (1754 – 1756).36 In the introduction to a chapter devoted to Shaftesbury, which Isabel Rivers describes as “very acute”,37 Leland counters arguments which he assumes some readers would have against his numbering “His Lordship” among the deists. He warns his readers not to be misled by the “favourable sentiments of Christianity” – found, for example, in ShaftesburyÌs preface to the edition of Benjamin WhichcoteÌs sermons he published in 1698 – into “receiving, almost implicitly, whatever he hath advanced”.38 In Characteristicks, which Leland identifies as the most precise account of ShaftesburyÌs otherwise inconsistent thought, he singles out ideas fundamentally incompatible with the theology of Christian ethics: ShaftesburyÌs repudiation of both the doctrine of future rewards and punishments and the authority of scriptural revelation as well as his advocacy of the much-criticized test of ridicule.39 Leland concludes by advising his reader to turn to John BrownÌs Essays on the Characteristics (1751)40 for further elaboration on ShaftesburyÌs concept

In his Conjectures on Original Composition (1759), Edward Young congratulates “the author of Sir Charles Grandison” for making “a convert to virtue of a species of composition, once most its foe”. Edward Young, Conjectures on Original Composition., ed. by Edith J. Morley, London 1918, 34. Gellert, a great admirer of RichardsonÌs fiction, can be seen as a fellow proselytizer in this “conversion” of imaginative prose literature from frivolous, morally questionable stories to serious yet enjoyable theologically-grounded moral-didactic tools. 36 John Leland, AView of the Principal Deistical Writers That Have Appeared in England in the Last and Present Century; with Observations Upon Them, and Some Account of the Answers That Have Been Published against Them. In Several Letters to a Friend, London 1754, in: EighteenthCentury Collections Online, Gale, http://galenet.galegroup.com (accessed 5 November 2009). 37 Rivers, Reason, Grace, and Sentiment (as in note 6), 18. 38 Leland, Principal Deistical Writers (as in note 36), 71. 39 Ibid., 69. 40 John Brown, Essays on the Characteristics of the Earl of Shaftesbury, London 1751, in: Eighteenth-Century Collections Online, Gale, http://galenet.galegroup.com (accessed 9 November 2009). 35

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of the moral sense, referring to it in terms of common criticisms, i. e. “the obligations of men to virtue, and the religious principle”.41 Brown was a clergyman from the North of England and, at the time of the composition of the Essays, a prot¤g¤ of the influential and controversial William Warburton.42 Encouraged by Warburton, Brown composed his commentary on Shaftesbury which was published in 1751, just before GellertÌs novel appeared in English for the first time. In his dedication to Ralph Allen – a name generally remembered in literary studies as the model for Henry FieldingÌs philanthropist, Squire Allworthy, in Tom Jones (1749) – Brown describes his essayistic venture as a criticism of “the Works of a very celebrated writer, who took it into his Head, to oppose the solid Wisdom of the Gospel, by the Visions of false Philosophy”.43 His opening accolade signals the direction his entire work will take: by dedicating the Essays to Allen, Brown means to […] shew, by a known Example [i.e. Allen], to what an Elevation true Christianity can exalt human Nature. Till therefore philosophic Taste can produce a parallel effect, Religion must bear the Palm; and Christianity, like her Parent Wisdom, will be justified of her Children.44

His overarching concern for the practice of virtue drives his insistence on the inadequacy of ÍTasteÌ, i. e. ShaftesburyÌs particular notion of a faculty of moral judgment in the constitution of human nature which also makes moral action possible. Brown is determined to demonstrate that a moral sense such as Shaftesbury posits cannot produce practical results. In so doing, he develops his own theory in which, as Isabel Rivers has summarized it, the virtue (what Shaftesbury might refer to as ÍbeautyÌ) of an action lies in its consequence and not in the action itself; for Brown, “the tendency of actions to produce happiness is the only measure of their moral worth. The only motive to the practice of virtue is private happiness”.45 Key aspects of the moral vision of CollyerÌs Countess of G. resonate with BrownÌs theory of virtue founded on private happiness46 which is informed by Leland, Principal Deistical Writers (as in note 36), 96. James E. Crimmins, “Brown, John (1715 – 1766)”, Oxford 2008, in: Oxford Dictionary of National Biography (online edition), http://www.oxforddnb.com/view/article/3621 (accessed 19 January 2010). 43 Brown, Essays (as in note 40), ii. 44 Ibid., iii. The final phrase of BrownÌs dedication is a biblical bon mot taken from the Gospel of Matthew (11:19) in the Authorised Version; more recent translations of the New Testament are perhaps more intelligible to the modern reader: “Wisdom [and for Brown, Christianity,] will be justified by her deeds” (Revised Standard Version). 45 Rivers, Reason, Grace, and Sentiment (as in note 6), 204. 46 Ibid., 204 f. BrownÌs is only one of many accounts of the foundation of morality put forth in the mid-century debate. Rivers identifies six general positions in the controversy on the foundation of morality and notes that it was quite possible for any one thinker to hold more than one position: 1. 41

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his refutation of the “noble writerÌs” moral sense (i. e. ShaftesburyÌs “fantastic Scheme”47). The additional stress which CollyerÌs translation places on moraltheoretical terminology highlights certain affinities between GellertÌs Protestant anthropology and the concerns of Christian moral theory also apparent in BrownÌs critique. All three encounter similar theoretical challenges in their attempts to integrate a modified concept of the moral sense into their ÍPicturesÌ of human nature. III. “A tiger chained by cobwebs”. A narrative critique of ShaftesburyÌs moral sense in the process of literary translation The Life of the Countess of G. by Mary Collyer is an ambitious eighteenth-century literary translation into the English language.48 It was long ago observed that in comparison with other English translations of Christian Fürchtegott GellertÌs Leben der Schwedischen Gräfinn von G***, Collyer takes more liberties with the original, “[introducing] moral dictums of her own”.49 Analogous to Andrzej KurnatowskiÌs manipulation of the original in his Polish translation (1755) to suit a more aristocratic taste, Collyer adjusts GellertÌs text to her own specific literary intellectual context.50 For her British novel-reading audience she inserts additionself-love and private happiness, etc.; 2. moral sense, instinct, sentiment, etc.; 3. reason, the fitness or nature of things, self-evident principles, etc.; 4. the will of God, divine law, future rewards and punishments, etc.; 5. positive human law, civil law, present rewards and punishments, education, etc.; 6. the greatest happiness, public good, interest, utility. 47 Brown, Essays (as in note 40), 235 f. 48 In accordance with the dominant mid-to-late eighteenth-century theories of translation, Collyer translates for the most part literally from the German yet is assertive in her modification of educational and moral matters to fit her own perception. It is a communicative translation attuned to the English target culture. In this respect CollyerÌs modus operandi aligns with the following comment on literary translation in the GentlemanÌs Magazine: “It is worthy of a translator to make his poem read like an original. Now this can never be attained by a literal translation; but the question is, what latitude shall be allowed to him? This, I think, depends on the character of his author. […] But in the poets of less eminence he may use greater liberties. He must exercise his taste to discover their defects, and his art to conceal them. […] He must labour to heighten their beauties, and, when they are wanting, he may venture to supply them”. Anonymous (D. C.), Letter, in: GentlemanÌs Magazine 41 (1771), 349 – 352, here 350. 49 Violet A. Stockley, German Literature as Known in England 1750 – 1830, Port Washington, New York, London 1929, 18. The first anonymous translation appeared in London in 1752; a translation by a Rev. N**** appeared also in 1776; and a fourth translation under the pseudonym of “Amalia L.” was published as a serial in The Weekly Miscellany; or: Instructive Entertainer between January and June 1778. 50 While Mary CollyerÌs focus is on moral and religious issues, Marek Zybura argues that the Polish aristocrat Kurnatowski replaces the German charactersÌ rather bourgeois ethos by aristocratic

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al didactic formulae, specifies diction and invents further persuasive psychological motivation. We shall focus on CollyerÌs modifications which deepen the original textÌs resonance with Protestant criticisms of ShaftesburyÌs moral sense circulating in the mid-century intellectual environment in Britain. In many respects John BrownÌs critique of ShaftesburyÌs Characteristicks is representative of such polemical responses to naturalistic moral theories. Brown finds fault with ShaftesburyÌs notion of the moral ÍTasteÌ, ÍRelishÌ, or ÍSenseÌ as a universal and sufficient obligation to virtue, yet he does not utterly reject the moral sense. For him there exist (hypothetically) certain individuals with a natural disposition to perceive and experience the “Pleasures of Virtue”, but that such perception must be inculcated in the bulk of mankind who are disposed to find happiness elsewhere than in the “benevolent affections” – most notably in the “selfish” or “malevolent affections”.51 Moreover, his modified notion of the moral sense does not preclude future reward as motivation to virtue.52 As such, BrownÌs perspective on the necessity of diligent cultivation of an “internal Motive to virtuous Action” in the absence of an “efficacious” instinct or universal natural faculty corresponds with GellertÌs and CollyerÌs depictions of the indispensability of moral education for the practice of virtue.53 Both the source and the target texts suggest a triangle of rational sense, conscience and belief compassing the human beingÌs intellectual tools in the acquisition of moral knowledge. Collyer names these three factors more frequently than Gellert and concretizes the status of religion within this three-fold scheme; for her, belief is invariably on top. GellertÌs triangle of reason, conscience and belief is more flexible. The position of prominence is accorded to each of the three factors as the narrated situation or sentiment demands. manners. See Marek Zybura, C. F. Gellerts Leben der Schwedischen Gräfin von G*** in der polnischen Übersetzung Andrzej Kurnatowskis. Ein Beitrag zur Übersetzungspraxis in Polen im 18. Jahrhundert, in: Germanica Wratislaviensia 92 (1991), 111 – 119. 51 Brown, Essays (as in note 40), 184, 189. 52 Ibid., 222 f. 53 See ibid., 168 – 189, 204. BrownÌs particular approach to the inadequacy argument is premised on the infinite variety of human constitutions or “tempers”, each of which finds happiness differently. ShaftesburyÌs speculations on a universal moral sense provide inadequate obligation to the practice of virtue because it is premised on a partial picture of human nature modeled on the EarlÌs own “Heart” or “Imagination” (176). Brown insists that “Discipline and Culture” (207) are necessary in all but the finest, “sublime tempers”, which are hypothetical at best (186): “ÍTis not denied, nay, Ítis meant and insisted on, that among all these various Characters and Tempers, the Culture of the benevolent Affections ought to be assiduously regarded. For though we have seen that the Design of introducing an universal high Relish or Taste for Virtue be visionary and vain, yet still a lower, or a lower Degree may possibly be instilled. We have only attempted to prove, that the Capacity for this high Taste in Morals is not universally or essentially interwoven with the human Frame, but dispensed in various Degrees […]” (208 f., BrownÌs emphasis).

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1. Natural moral sense While ShaftesburyÌs moral sense depends on emotional competence, GellertÌs Schwedische Gräfinn calls into question the assistance of emotions in moral matters. A succinct illustration of CollyerÌs intensification of GellertÌs circumspection towards naturalistic morality is found in the episode depicting the revelation of the incestuous marriage between the son and daughter of the CountessÌ first husband. The episode concentrates those themes which Mary CollyerÌs translation manipulates to harmonize with the moral discourse of her own intellectual context. We shall focus our analysis on the two broad, intersecting topics mentioned above, the first of which is the novelistic representation of the inadequacy of natural affections as moral obligation, i. e. motivation to the practice of virtue. The second topic complements the first: the necessity of the instillation of religious principles that make virtuous conduct, and thus happiness, possible. The structure of the firmly encapsulated episode plays on the readerÌs familiarity with narrative plot practices from the romance tradition. Having been born out of wedlock to Caroline, the CountÌs former mistress – now repentant – whom the Countess has befriended, Carlson and Marian (n¤e Caroline) were not known to each other. The mother Caroline had given her infant daughter to her brother, Mr. Andreas, and his wife to raise as their own. After Caroline joins the R.Ìs in Holland, they meet up with the long-lost Andreas, who explains that he had changed his nieceÌs name to Marian and had left her at the age of six in a convent to be raised as a Roman Catholic while he went to the East Indies to recover his lost fortune. Carlson, meanwhile, has married a young woman of unknown family whom he had taken from a “nunnery”. The narrative emphasis on the unknown identity of MarianÌs family evokes romance conventions of princesses in disguise and maidens shut in convents, signaling an imminent and grand revelation. GellertÌs revelation, however, thwarts expectations of happy reestablishment of order in the world. He plunges his characters into moral calamity: they are not royally born, marriageable equals. They are sister and brother. The fact of incest itself is overshadowed by the detailed narration of the charactersÌ reactions to it – their perception and judgment of the morality of the situation as well as their motivation to and perseverance in the course of action taken. Despite her calls for sympathy for the unfortunate pair, the CountessÌ ascertainment of the virtuous course of action requires no subtle feat of casuistry. Carlson and Marian, on the other hand, are led by unaided “Nature” – that dense eighteenth-century term which Geoffrey Tillotson long ago glossed as “that quantum of the mind-and-heart which all men […] hold in common”54 – and cannot hold to the plain path of virtue. The passionately happy couple cannot nor do they wish to 54

Geoffrey Tillotson, Pope and Human Nature, Oxford 1958, 1.

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stop loving one another as husband and wife despite the knowledge of their kinship. The CountessÌ synopsis of the problem is explicit in its denial of a satisfactorily and independently functioning moral sense as an innate component of human nature: Religion hieß sie die Liebe der Ehe in Schwester- und Bruderliebe verwandeln, und ihr Herz verlangte das Gegenteil. […] Ihre Natur selbst tat den Ausspruch zu ihrem Besten. Wie konnten sie etwas in sich fühlen, das ihre Liebe verdammte, da sie den Zug der Blutsfreundschaft nie gefühlt hatten (LSG, 46).

Mary CollyerÌs countess reinforces the denial of emotional moral guidance as she accentuates the faulty reasoning urged by quasi-anthropomorphized “Nature”:55 Religion demanded the sacrifice of their conjugal love to fraternal duty, while their hearts rebelled against it; for they had loved each other with an uncommon passion. […] Nature itself pleaded in their behalf, and urged, that as it was morally impossible they could have found out from their own innate feelings that they were brother and sister; so they might for that very reason justly claim the liberty of continuing their conjugal union without controul [sic] (LCG, 89).

The instinctual pleas of nature are heeded by the sibling lovers. Nevertheless, they go through the motions of willingness to accept the judgment first of learned divines from the university (LCG, 92), then of the pope (from whom they hope to receive a dispensation) (LCG, 93), and finally of God himself (LCG, 97). Despite their claim to believe that CarlsonÌs survival or demise on the battlefield would be proof of GodÌs approbation or disapprobation, the Countess is convinced that “they were full of confidence that the Almighty would not be offended at their living together” (LCG, 95). Sie ließen die Sache auf den Himmel ankommen; und sie versprachen sich von diesem Richter nichts, als was sie wünschten (LSG, 49). They submitted the issue of their fate to heaven, from whose divine tribunal they promised themselves justice: by which however they meant nothing more than what was agreeable to their wishes (LCG, 95).

It is interesting to note that Andreas offers a similar argument which is represented as an unsound ÍphilosophyÌ in the wishful thinking in which he, the Countess, Mr. R. and Caroline engage when the awful truth dawns on them. GellertÌs Countess remarks sardonically that “Andreas, der der Philosophie wegen nicht nach Ostindien gereiset war, meinte, es läge schon in der Natur, daß ein paar so nahe Blutsfreunde einander nicht als Mann und Frau lieben könnten” (LSG, 44). CollyerÌs “nature” is once again a more active force: “Andreas too (who had not been to the Indies to improve his philosophy) gave it as his opinion, that nature could not have inspired them with so violent a passion for each other, had they been so nearly related”. At the price of stylistic inconsistency, Collyer goes out of her way to underline the sarcasm by inserting a second uncharacteristic parenthetical: “(Sound philosophy this to be sure!)” (LCG, 85). 55

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The tribunal metaphor, an eighteenth-century commonplace, is shorthand for the highest moral authority. Admittedly a flagrant generalization, the controversy over the moral sufficiency of human individuals premised on an innate moral sense can be considered a dispute over the occupant of the bench. Who judges whether an action is virtuous or vicious, and who sanctions or rewards those actions? Is the tribunal of conscience supreme, or is it subordinated to the tribunal of the Almighty? The recurrent legal language of Gellert and, more emphatically, of Collyer is a declaration for the authority of the divine tribunal. Yet the divergence of the married siblingsÌ outward assent to GodÌs judgment and their inward submission to their own heartsÌ desire is an acknowledgment, recurrent throughout the novel, of the moral struggle inherent a system which posits both the moral insufficiency of human nature and the eternal perfection of the law.56 All concerned – not just the lovers – experience extreme distress and agitation. The CountessÌ narration, however, is no enactment of sensibility; it is a minute, critical account of the young peopleÌs persistence in denying the obvious immorality of their marriage. They rate their mutual love as a happiness above the happiness of virtue – hence their inconsolable misery in their unwillingness to separate. Each in their own way, they plead for happiness as their heartÌs desire. Marian utters the “persuasive arguments of passion”: she cries out, I am your sister – yet no! my heart does not tell me so. – I am yourÌs; yourÌs by the sacred ties of marriage – God will not separate us – your wife desires no greater bliss than to be yourÌs (LCG, 90).57

Carlson on the other hand has “recourse to philosophy to strengthen his arguments” (LCG, 90). The Countess takes this opportunity to comment dryly on the notorious potential in reasoning to prove anything that happens to serve the reasonerÌs purposes: Er fing zu weilen mitten in seinen Klagen an zu philosophieren, und, wie man leicht glauben kann, sehr eigennützig. Er erwies, daß ihre Ehe vor Gott erlaubt wäre, wenn sie auch die Welt verdammte. Und er tat doch nichts, als daß er zehnmal nacheinander sagte, daß sie öffentlich verbunden wären und daß nichts als der Tod dies Bündnis trennen sollte (LSG, 47).

They are placed in a distressing situation in which the virtuous action (separation) is apparent to them, but they neither perceive any beauty in it nor are they motivated to it until, at least for Carlson, the fallible natural passions give way to reason See John Andrew Bernstein, ShaftesburyÌs Reformation of the Reformation: Reflections on the Relation between Deism and Pauline Christianity, in: Journal of Religious Ethics 6/2 (1978), 257 – 278, here especially 263 f. 57 There is no mention of “sacred ties” or the “bliss” of marriage in GellertÌs text which reads: “Ich bin Eure Schwester. Doch nein! Mein Herz sagt mir nichts davon. Ich bin Euer. Uns verbindet die Ehe. Gott wird uns nicht trennen” (LSG, 47). 56

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and the religious principles instilled years before by Herr R***, the CountessÌ second husband. It is only on his army-camp death bed, from which he writes a Íto-the-momentÌ letter ” la Samuel Richardson, that we see the change in CarlsonÌs judgment of his conduct. As a convention of didactic-devotional literature, the death bed scene provides opportunity to review the actions and motivations of a characterÌs past life in his settling of earthly affairs and final preparations for “futurity” (LCG, 100). As CarlsonÌs body fails, his intellects regain clear-sightedness; his weakened passions allow his reason to resume its proper role. Only then, he writes, can “[his] thoughts [be] wholly busied in the contemplation of eternity” and the preparation “for a happy futurity” (LCG, 100).58 This hope of eternal reward is one “branch” the “Religious Principle”, which Brown considers the only truly sufficient motivation to virtuous action and which he and other religious writers – Leland, for example – accuse Shaftesbury of denying and denigrating.59 In CollyerÌs translation, CarlsonÌs letter suggests the ultimate triumph of his conscience, reason and religious principles over his still lively passion and the arguments “nature” had at first pleaded (see above quote: LSG, 46; LCG, 89). My conscience reproaches me not for having loved you, but reproves me for not having ceased to love you as my wife, after the fatal discovery of your being my sister. Alas! how different are our thoughts on a death-bed from those we entertain when we enjoy health of body and vigour of mind. What does not reason conceive, or how much does it not conceive, when the passions are calm and enfeebled! (LCG, 100 f.)

In the English, CarlsonÌs “reproving” conscience would seem to indicate repentance, i. e. the sorrowful change of heart requisite in a moral system which posits the hope of eternal happiness, i. e. salvation, as a motivation to virtue. This is exemplary of CollyerÌs tendency to emphasize her particular religious understanding of morality at points most disputed by upholders of a naturalistic moral theory; repentance, a corollary of the fallen nature of man, is moot in a system premised on an idea of morally self-sufficient human nature.60 CollyerÌs alterations do not contradict the original, but GellertÌs terms are comparatively vague:

“[I]ch sehe die Stunden, da ich mir wieder bewußt bin, für nicht als Augenblicke an, die mir Gott gönnt, mich noch einmal in der Welt und in meiner eignen Seele umzusehen und an das Zukünftige zum letzten Male zu denken” (LSG, 51). 59 See Brown, Essays (as in note 40), 210 ff. and Leland, Principal Deistical Writers (as in note 36), 69. The omission of the other branch, the fear of punishment, in both GellertÌs original and CollyerÌs translation would be an interesting point of departure for a more detailed theological examination, especially in view of the divergence of Lutheranism and the complex Calvinist legacy (including the reactionary currents) of Anglicanism and Dissent on the point of the soteriological significance of human endeavor (i. e. “works”). 60 See Bernstein, ShaftesburyÌs Reformation (as in note 56), 263. 58

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Mein Gewissen macht mir keinen Vorwurf, daß ich Euch geliebt habe; allein es beunruhiget mich, daß ich Euch nach der traurigen Entdeckung als meine Frau zu lieben nicht habe aufhören wollen (LSG, 52).

Carlson attains tranquility, albeit in the last moments of his life. The letter brings the episode to an abrupt end with the Countess pausing for the space of one brief paragraph to mention MarianÌs wild distress over the death of her husband. The Countess presumes the reader would not be interested in a “melancholy description of her distress” (LCG, 102; see also LSG, 52) because, although the reported “Trostlosigkeit und etliche schlimme Folgen, die für sie und uns daraus entstunden”, were important for the character-participants, the Countess finds nothing about them that would be “merkwürdig” or “rühren[d]” enough to merit narration (ibid.). The explicit elision points away from a “sensibility”-reading towards the second focal point of the novelsÌ implicit critique of the moral sense: education. The episode leaves off with the juxtaposition of the sibling loversÌ divergent states of mind; what was portended in the characterization of each comes to pass. The final dissimilarity of CarlsonÌs and MarianÌs moral judgment and conduct derives from their dissimilar moral religious upbringing. Both Gellert and Collyer leave the untaught, natural passions to rage while they depict religious principles overcoming the powerful urgings of nature to find peace and hope of eternal happiness in an eleventh-hour return to the path of virtue.

2. Education The incestuous marriage episode opens with the CountessÌ characterization of Marian, highlighting how disadvantageous a convent education has been for the development of her “Verstand” or “judgment” and thus for the capacity to control the passions. Whether we ascribe the portrayal of MarianÌs deficiencies primarily to an oblique Protestant criticism of Roman Catholic didactic practices, moral theology, etc. or to a satire on the readers of romance (both eighteenth-century commonplaces), her characterization stresses the poor moral formation of an essentially good nature. Of the strength of her judgment I shall not say much, for she was educated in a nunnery; nevertheless the innocence and sincerity of her heart would have amply supplied her want of experience in life, if even she had had less discernment than she really had (LCG, 75 f.).61 Here Collyer stays very close to the source text: “Von ihrem Verstande will ich nicht viel sagen. Sie war in dem Kloster erzogen. Ihr unschuldiges und aufrichtiges Herz hätte auch den Mangel des Witzes tausendmal ersetzt, wenn sie gleich weniger Einsicht gehabt hätte, als sie in der Tat hatte” (LSG, 40). 61

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Her overly “susceptible heart” (LCG, 77) is the result of moral underdevelopment: […] one must draw a picture of […] a young girl, who from nature possessed every female tenderness, and who from being immured from her infancy in a cloister, where the austerity of life she led, and the rigid principles of chastity and self-denial daily enforced, instead of suppressing, served as a spur to the passion of love when her heart felt its soft emotions; from this, I say, we may in some measure conceive, how fervent the passion of love was in her susceptible heart (LCG, 76).62

This characterÌs inauspicious beginning determines her end, at least within the confines of the episode. Between the letters framing the episode (the first reporting the marriage and the second reporting the death) the intervening sequence of events steadily builds toward the final contrast between CarlsonÌs eventual recognition of virtue rendered effective by conviction and MarianÌs merely apparent recognition. The former dies in the peace of prospects of future happiness; the latter lives on in the misery of subjection to the passions. Education made all the difference. The contrast at the heart of the incestuous marriage episode reiterates the importance of religious education in supplying the deficiency of human nature in the judgment and performance of virtue. This is most clearly delineated in the expositional scenes opening the novel; here the groundwork is laid for the moral acuity and efficacy which the Countess-narrator possesses throughout the vagaries of the human relationships comprising the bulk of the narrative. Suspicion of the moral self-sufficiency of human nature, as briefly sketched above, is depicted negatively, as a lack of the ability to perceive and to perform; the complementary positive side of the argument is the insistence on education as the inculcation of religious principles. Shaftesbury, it should be noted, advocates the cultivation of the moral sense. Indeed, Brown notes rather derisively that “the noble writer” has so many passages concerning the “improvement in our Taste in Morals” “that it were Labour lost to transcribe them”.63 But those critical of the efficacy of an innate moral sense insist on a qualitative difference between the cultivation of an inborn ÍTasteÌ analogous to the cultivation of taste in the arts, as Shaftesbury has it, and the inculcation of precepts and principles of revealed religion, i. e. of Scripture and the Christian institutions.64 “Man stelle sich […] ein von Natur zärtliches Frauenzimmer vor, die von Jugend auf eine Nonne gewesen war und bei der die süßen Empfindungen nur desto mächtiger geworden waren, weil sie an der strengen Lebensart und an den Regeln einer hohen Keuschheit einen beständigen Widerstand gefunden hatten, so wird man die inbrünstige und schmachtende Liebe dieser jungen Frau einigermaßen denken können” (LSG, 40). 63 Brown, Essays (as in note 40), 188 f. In a footnote, Brown cites simply “Charact. passim”. 64 Brown does quote one such passage: “Í[…] the Improvement in our Taste in Morals is parallel to the Progress of the Mind in every other Art and Excellence, in Painting, Music, Architecture, 62

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Collyer deviates from the source textÌs somewhat equivocal description of CarlsonÌs education by reinforcing the distinction between cultivation and inculcation. Carlson has had the advantage of Sir R—Ìs instruction. CollyerÌs Sir R— “instructed” the younger man in languages, imparted “knowledge” of the “polite arts,” and, somewhat more emphatically, he “impressed on CarlsonÌs mind just sentiments of morality and religion” (LCG, 58 f.). In the source text, Herr R***Ìs instructions are described as “Unterricht” in “Sprachen und Künsten” as well as in the “edelsten Meinungen von der Religion und Tugend” (LSG, 32). GellertÌs rather liberal instruction on noble, various opinions is not only diffuse in its scientific plurality of theory, but its syntactical equivalence to the arts does not exclude the possibility of an analogy similar to ShaftesburyÌs between ÍmoralsÌ and the arts. By contrast, CollyerÌs lasting impression on the pupilÌs mind, characteristic for the translatorÌs procedure, has the confident air of faith in clear, universal principles. And her condensed distinction of educational methods fuses morality65 and religion while setting the instillation of the fused components apart. The German original mentions religious education and belief as one among other educational topics; Collyer demands its sovereignty. CollyerÌs translation echoes contemporary language of moral discourse in her choice of the ÍimprintÌ metaphor to describe the inculcation of “morality and religion” and simultaneously to differentiate it from other areas of learning. We find it in BrownÌs argument that “ ÍTis evident […] that in the very first Dawns of Reason, religious Principles ought to be impressed on the Minds of Children; and this early Culture continued through the succeeding Stages of Life” (230). Brown criticizes Shaftesbury for attempting to discredit precisely this early “impression” Poetry, Picture: In which, a true Taste, however natural to man, is not born with him, but formed and brought forth to Action by a proper Study and ApplicationÌ” (188 f.; Brown does not specifically cite this direct quotation). ShaftesburyÌs case for moral “Virtuoso-ship” is, according to Brown, defective. His particular argument is that, despite the plausibility of ShaftesburyÌs analogy of the cultivation of the natural “Taste” for virtue to the cultivation of “Taste” in the arts, it “destroys the whole System” which pretends to universality in its “Supposition, which runs through the whole Course of [the] Argument, that Íall Mankind are naturally capable of attaining a Taste or Relish for Virtue, sufficient for every Purpose of social LifeÌ” (187). For Brown it is empirically evident that taste in the arts neither follows nor generates a universal standard – and universality is for him (and he assumes for Shaftesbury as well) requisite for a valid, functional “System of Morals” (189). 65 The term “morality” here may denote either ÍmoralsÌ proper or the study of morality and ethics – morphologically analogous to the term ÍdivinityÌ – as in Samuel JohnsonÌs remark in the preface to Robert DodsleyÌs Preceptor (1748) (which Donald Greene describes as “a Íself-helpÌ collection of articles on various educational subjects”) that “Virtue may owe her panegyric to morality, but must derive her authority from religion. When therefore the obligations of morality are taught, let the sanctions of Christianity never be forgotten”. As quoted in Donald Greene, Latitudinarianism and Sensibility: The Genealogy of the ÍMan of FeelingÌ Reconsidered, in: Modern Philology 75 (1977), 159 – 183, here 175.

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or inculcation “by representing it as the Enemy to true Morals and practical Philosophy, as it fetters the Mind with early Prejudices” in a passage in Characteristicks on the ill effects of catechesis on later moral-philosophical endeavors (i. e. what Brown would dismiss as “speculations”).66 By taking care to define “Prejudice” not as the “Falsehood of the Opinion instilled” but neutrally as an opinion – false or true – “taken up and held without its proper Evidence”, Brown can conclude that conducting children to embrace religious principles […] ought to be the Care of those who have the Tuition of Youth: And they will soon find the happy Effects of their Instruction. For as the ChildÌs Understanding shall improve, what was at first instilled only as an Opinion, will by Degrees be embraced as Truth: Reason will then assume her just Empire; and the great, universal, religious Principle, a rational Obedience to the Will of God, will raise him to his utmost Capacity of moral Perfection (234 f.).

When Reason enters, according to Brown, religious principles progress from one epistemological category to another in the maturing human mind – from instilled “opinion” to accepted “truth”. The “religious principle”, here glossed as the obedience to the Will of God, is thus assertively held to be rational, as opposed to blind, slavish, and/or mercenary as Brown claims Shaftesbury had argued.67 The recurring metaphorical ÍimpressionÌ on the heart completed by the affirmation of reason first appears in the CountessÌ narration of her own moral education. The initial impression is then supported by conviction, i. e. reasoned belief: All these truths my uncle demonstrated to me in so clear a manner, that they made a lasting impression on my heart; and fully convinced me, that virtue was the only sure guide to direct us in our journey through life (LCG, 6).

As in CollyerÌs translation, GellertÌs original uses the ÍimprintÌ metaphor and differentiates plainly the faculties of the soul operating in the reception of demonstrated moral ÍtruthsÌ. Er hatte die Geschicklichkeit, mir alle diese Wahrheiten nicht sowohl in das Gedächtnis, als in den Verstand zu prägen. Und diesen Begriffen, die er mir beibrachte, habe ichÌs bei reifern Jahren zu verdanken gehabt, dass ich die Tugend nie als eine beschwerliche Bürde, sondern als die angenehmste Gefährtin betrachtet habe, die uns die Reise durch die Welt erleichtern hilft (LSG, 6).

The substance of GellertÌs CountessÌ argument is a case for virtue itself, that it is not a burden but a help in life. CollyerÌs suppression of the false alternative (the opinion that virtue is a burden) narrows the argumentative focus onto the effective transmission of the ÍtruthsÌ necessary because, as Brown phrases it, “this high 66 67

Brown, Essays (as in note 40), 230 f. Brown cites ShaftesburyÌs “Advice, &c. Part iii. § 2”. Ibid., 212. Brown vaguely cites “Wit and Humour—Enquiry—&c.”

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Taste in Morals is not universally or essentially interwoven with the human Frame”.68 The narrative occasion for this inculcation of virtue is the priming of the impoverished young lady, noble but not yet a Countess, to be a suitable helpmeet for a “vernünftiger Mann” or a man “who prefer[s] sense and virtue to riches” (LSG, 5; LCG, 3). The young womanÌs evident consciousness of her own physical beauty – which is to say her pride or inordinate self-regard, an allusion to the Augustinian “basic sin of man” and thus source of human natureÌs corruption69 – spurs the uncle to diligence in his instruction. Gellert gives a general description of the uncleÌs aims: Er sah, daß ich wußte, wie schön ich war; um desto mehr lehrte er mich den wahren Wert eines Menschen kennen und an solchen Eigenschaften einen Geschmack finden, die mehr durch einen geheimen Beifall der Vernunft und des Gewissens als durch eine allgemeine Bewunderung belohnet werden (LSG, 6).

In her translation, Collyer takes pains to avoid the key Shaftesburian term at the heart of GellertÌs description of the good uncleÌs program: “Geschmack,” i. e. “Taste”. Although the notion of a Ímoral TasteÌ had currency amongst her reading audience, Collyer chooses to substitute for “Taste” the conviction in “principles” which form the basis of the young womanÌs further independent “study” (LCG, 5).70 The Countess is, of course, also instructed in housewifery and other specifically female topics. Indeed, the novel does not generally challenge the eighteenth-century gender and class distribution of the various fields of knowledge – languages, fine arts, polite behaviour and the instruction of reason. Yet for both the source author and translator, the nature of this moral education is of a different order than male erudition and female accomplishments. For Gellert and Collyer religious principle, unlike worldly learning, is a subject applicable to both sexes of all ranks. It aligns GellertÌs aristocrat with the set of less privileged characters. Brown argues that Shaftesbury, on the contrary, tends to “[take] Refuge in an – apage Vulgus! –” when the empirical evidence testifies against the sufficiency of a natural moral “Taste” as a principle of action (199). He quotes Shaftesbury:

Ibid., 208. See Reinhold Niebuhr, Sin, in: Marvin Halverson, Arthur Cohen (ed.), A Handbook of Christian Theology, London, Glasgow, 350 – 353, here 350. 70 Compare: “My uncle plainly saw that I was no stranger to my being handsome. He therefore spared no pains to convince me, that every accomplishment of person was rendered valuable, only in proportion to the beauties of the mind of its possessor […]. From these principles I began to study myself, and to find out that the pleasure of self-approbation far exceeded any of those drawn from popular admiration” (LCG, 5). See note 73 below for a comment on the term ÍapprobationÌ. 68 69

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Íthe Relish or Taste for Virtue, is what naturally prevails in the higher Stages of Life: That the liberal and polished Part of Mankind are disposed to treat every other Principle of Action as groundless and imaginary: But among these, the Taste in Morals, if properly cultivated, must needs be sufficient for all the Purposes of VirtueÌ.71

Brown, on the other hand, acknowledges that some few individuals may have something of a moral sense inherent in their particular disposition, but that it has nothing to do with the highness or lowness of their “Stages of Life”. Weak or no Benevolence, a moral Sense proportionably dull, strong sensual Appetites, a clamorous Train of selfish Affections, these mixed and varied in endless Combinations, form the real Character of the Bulk of Mankind: Not only in Cottages, but in Cities, Churches, Camps, and Courts.72

The content of the uncleÌs lessons is one of the most extensive deviations of the target text from its source. Gellert names the general categories of “Religion” and “Tugend” as vague, perhaps self-evident, notions. Man glaube ja nicht, dass er eine hohe und tiefsinnige Philosophie mit mir durch ging. O nein, er brachte mir die Religion auf eine vernünftige Art bei und überführte mich von den großen Vorteilen der Tugend, welche sie uns in jedem Stande, im Glücke und Unglücke, im Tode und nach diesem Leben bringt (LSG, 6).

Collyer, by contrast, inserts a great deal of detail. Yet let it not be thought he led me through the deep researches of moral philosophy, or held discourses to me in florid harangues, in order to imprint on my mind the principles of religion. Far otherwise. By plain reason and simple truths he conveyed to my mind just notions of the Deity; and taught me, that a steady perseverance in well-doing, and a happy resignation to his divine will, comprized the whole of my duty towards him: the practice of which could not fail to procure me happiness, independent of fortune and the accidents of life. For when self-approbation applauds our conduct, conscience speaks peace to our souls, and renders us superior to the little ills and disappointments which no station of life is exempt from (LCG, 5).73 Brown, Essays (as in note 40), 199. Brown cites ShaftesburyÌs “Misc. 3rd. c.2 and many other detached Passages”. 72 Ibid., 208. 73 ÍApprobationÌ was a concept current in the mid-century British moral discourse after ShaftesburyÌs lifetime. In his Theory of Moral Sentiments (1759) Adam Smith defines ÍapprobationÌ generally as “the power or faculty of the mind which renders certain characters agreeable or disagreeable to us, makes us prefer […] denominate […] and consider the one as the object of approbation, honour and reward; the other as that of blame, censure and punishment” (490). Smith summarizes three differing accounts of the source of approbation: from self-love, from reason, and from sentiment. CollyerÌs conflation of duty and obedience to the divine will (which she inserted and did not simply take over from the source text) with Íself-approbationÌ should check a hasty attempt to attribute her moral-theoretical leanings solely to naturalistic theories of morality. See Adam Smith, The Theory of Moral Sentiments, London 1759, in: Eighteenth-Century Collections Online, Gale, http://galenet.galegroup.com (accessed 10 March 2010). 71

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She first assures her reader, as Gellert does, that the uncle did not tangle his nieceÌs mind in the impracticable speculations, or “cobwebs” as Brown calls them, of philosophy – though Collyer specifies “moral” philosophy. Her inserted antithesis of “florid harangues” implies that her uncle took a rational middle way between the insubstantiality of philosophy and the hellfire of religious enthusiasm. The latter extreme evokes the “perpetual terror” which Shaftesbury attributes – erroneously, as his critics claim – to all religion.74 The EarlÌs particular target is the fear of punishment, a branch of the “religious principle”, which for Brown, as we have seen, is universally effective as a motivation to virtuous action where properly inculcated. CollyerÌs small insertion is dense in its evocation of objections and counterobjections in the ongoing controversy surrounding the theoretical premise of a natural moral sense. Unlike Gellert, Collyer details the content of the fusion of religion and virtue. She breaks down GellertÌs nonspecific “Religion” into two parts: knowledge of God, and “duty”, a term favored by neo-classical moralists, but also used by Christian thinkers to denote obedience to the will of God in opposition to “sin”, i. e. disobedience. CollyerÌs “duty” is composed of the consistent performance of virtue and “happy resignation” to the divine will. The “perseverance in well-doing” is not a point of contention; in fact, the extended narrative representation of the performance of virtue aligns well enough with any eighteenth-century theory of ethics (to which the history of Gellert scholarship is witness). On the contrary, “happy resignation to his [the DeityÌs] divine will” is far from neutral. Although GellertÌs “Vorteile der Tugend” is not nearly so specific as CollyerÌs two-fold “duty towards him [the Deity]: the practice of which could not fail to procure me happiness”, the source text is not lacking in illustrations of the difficult necessity of the controversial half of CollyerÌs “duty”. For instance, near the beginning of the second part of the novel, the Count – the CountessÌ first husband who had been presumed dead but who had really been living in captivity in Russia simultaneously to the action of the first part of the novel – having survived severe cruelty, voices his meditations on resignation to destiny or Providence, i. e. “Vorsehungen”, though in a comparatively detached manner: Man sieht, wenn man den Betrachtungen über die Vorsehungen nachhängt, die Unmöglichkeit, sich selbst zu helfen, deutlicher, als wenn man sich seinen Empfindungen überläßt; man sieht die Notwendigkeit, sich ihren Führungen zu überlassen, und man will doch zugleich nicht von dem Plane seiner eignen Wünsche abgehen (LSG, 75).

74

Brown, Essays (as in note 40), 213.

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The English translation tempers the indeterminate fatalistic leanings of the original with the wisdom of a personal, almighty God. Furthermore, the “Notwendigkeit” of the guidance of this fate or Providence which one simply perceives (“man sieht”) is transformed into the “duty and necessity of humble submission to the divine will” that one must be “led to see”. By reflecting on the wisdom of the Almighty, and the unalterable decree of Fate, we perceive with greater clearness the impossibility of directing our own destiny, than when we give way to our own feelings; and thereby must be led to see the duty and necessity of humble submission to the divine will: nevertheless, though we know this great truth, we will not give up the plan of our idle wishes, but indulge the pleasing hope of seeing them gratified, though we cannot command the circumstances necessary thereto (LCG, 145).

In the passage recounting the CountÌs reflections, as in the anguish of Carlson and Marian in the incestuous marriage episode, this resignation does not come easy. The psychologically taxing moral struggle it entails is an essential element of Protestant ethical thought that, as Bernstein notes, Shaftesbury “skirted […] by presenting a vivid picture of the beauty of a moral life already followed”.75

3. Happiness “Resignation to the divine will” coupled with “well-doing” comprise the notion of duty that CollyerÌs Countess has imbibed not for the sake of obedience alone, but out of conviction that it shall surely procure her happiness. In contrast to the restraint in the German charactersÌ language, a catchy utilitarian phrase offers the reader a concise scheme for the pursuit of happiness: the translator repeatedly allows the characters to formulate the neat phrase that “to be good, is to be happy” (see quotes below), affirming what is only cautiously embedded in the source text. As the character of the CountessÌ uncle lays the ethical groundwork of the novel, which remains unquestioned throughout, he pledges to “paint to [his niece] the deformity of vice, lay open to her view the amiableness of virtue, and teach her, that to be good, is to be happy“ (LCG, 2 f.). We hear it again from the mouth of the virtuous Sir R—: “He wished that all men were good, and every good man, happy” (ibid, 42). And again when Sir R— passes the maxim on to his pupil: “He […] impressed on his mind just sentiments of morality and religion, and taught him by his exemplary life, that to be good is to be happy” (ibid, 58 f.). Researches into the attainment of earthly happiness are not solely the province of moralists such as Shaftesbury. In the eighteenth-century debates over morality including its direct bearing on happiness, there were those who argued that the 75

Bernstein, ShaftesburyÌs Reformation (as in note 56), 264.

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pursuit of happiness in this life is not exclusive of the pursuit of eternal happiness, i. e. salvation. This informs the narrative representations of the “religious principle” and present happiness in the Schwedische Gräfinn and especially in the Countess of G. Once again, Brown delivers exemplary Protestant theorizing on the compatibility of present and future happiness in his discourse on the human obligation to virtue; for him, the “sense or prospect of Happiness, is the only possible Motive to Action” (219). Brown maintains that Shaftesbury ultimately undermines his own claims for the moral adequacy of an innate “Taste” for virtue by demonstrating how earthly advantages or rewards serve the “Interest and Security of Virtue”.76 He argues that the religious principle, the hope of eternal reward, is of the same essence and differs only in degree from present advantage; it is thus no more “servile, mercenary, or hurtful” than the earthly advantages that Shaftesbury himself advocates.77 Similar to CollyerÌs CountessÌ abovementioned reference to “florid harangues”, Brown employs the same argument of degree to parry objections coming from ShaftesburyÌs opposite extreme, i. e. religionists “who are scandalized at our being determined to the Pursuit of Virtue through any Degree of Regard to its happy Consequences in this Life”.78 Thus, the conspicuous insistence on present happiness does not necessarily signal the negation of eternal happiness. In fact, CollyerÌs translation fends off just such an imputation by spelling out the notion of duty as obedience to the divine will and its necessity for the attainment of true happiness. GellertÌs indeterminate language, as we have discussed and quoted above, points to a less optimistic view that goodness will surely lead to happiness. He does not allow the charactersÌ the same certainty.

IV. Conclusion Katrin Löffler comments in her article on the German novelÌs premises that GellertÌs understanding of an enlightened reason, particularly concerning empowering education, is an enlightenment made possible via Christian belief.79 This tacit understanding is the basis upon which all other assumptions, actions and decisions rest. Protestants like Gellert and Collyer eschewed what they perceived as toolofty plans of moral instruction such as ShaftesburyÌs educational optimism. Promoting speculative ideas in moral education, according to John Brown, is no more effective than chaining a tiger with cobwebs as it leaves human nature prey to its 76 77 78 79

Brown, Essays (as in note 40), 217 ff. Brown cites “Inquiry, B. II, Part ii § 3”. Ibid., 219. Ibid., 220. See Löffler, Gellerts Roman (as in note 9), 116.

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own unruly passions.80 As outlined above in the overview of recent Gellert scholarship, the compensation for limited human ability through divine grace is one of the major themes in the Schwedische Gräfinn. Nevertheless, it is one of the surprising findings of this article that, compared to the more frankly devotional Collyer, GellertÌs characters and diction remain relatively subdued and guarded in their religious advice. Mary CollyerÌs translation appears to have had a considerable impact on the success of GellertÌs novel in the English book market. It appealed to some critics as one of the first German novels to be both entertaining and morally instructive. A critic in the Monthly Review admires not only the Schwedische Gräfinn as a “very elegant work, exhibiting fine pictures of human nature” but ascribes CollyerÌs translation a “genteel language” and a “good address”.81 Another review praises it as an “elegant and faithful version; doing honour to the abilities of the ingenious Translator”.82 Despite the trend towards literal translations in the second half of the eighteenth century in Britain,83 the deviations were considered a legitimate improvement in this translation of literary prose. Our critical comparison shows that a translatorÌs subtle manipulations of an explicitly moral-didactic novel illuminate the ethical preoccupations alive in her target culture. In the case of Mary CollyerÌs translation of Christian Fürchtegott GellertÌs Leben der Schwedischen Gräfinn von G***, those preoccupations concern the challenge to the theology of Christian ethics presented by theories of mankindÌs moral self-sufficiency. The criticisms of ShaftesburyÌs moral sense crystallized in John BrownÌs Essays on the Characteristics shed light on a dimension of the philosophical and religious context of eighteenth-century intellectual Brown, Essays (as in note 40), 186. BrownÌs image of cobwebs to express the purely speculative nature of ShaftesburyÌs concept of the moral sense, and thus its inadequacy as a motive to virtuous action, is a familiar device used by Jonathan Swift in The Battle of the Books (1704) and, much earlier, Francis Bacon in the Novum Organum (1620). The cobwebs are fragile “systems” spun out of the rather sedentary spiderÌs rationalist head in dark corners. They are compared to the beeÌs transformation of pollen gathered in the fields into sweet honey, i. e. the empiricist who gather facts from which to draw conclusions. Brown writes of ShaftesburyÌs philosophy, “Having sufficiently evinced the flimzy, though curious, Contexture of these Cobweb Speculations spun in the Closet, let us now venture abroad into the World; let us proceed to something applicable to Life and Manners; and consider what are the real Motives, by which Mankind may be swayÌd to the uniform Practice of Virtue” (206). 81 [Anonymous], The Life of the Countess of G. Translated by a Lady, London 1776, in: The Monthly Review 55 (1776), 66. 82 [Anononymous], The Life of the Countess of G. Translated by a Lady, London 1776, in: The London Review of English and Foreign Literature 3 (1776), 414. 83 See Louis Kelly, The Eighteenth Century to Tytler, in: Stuart Gillespie, David Hopkins (ed.), The Oxford History of Literary Translation in English, vol. 3: 1660 – 1790, Oxford 2005, 67 – 78, here 67. 80

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discourse relatively neglected in literary histories of the novel. With our analysis of the resonance between the concerns for which BrownÌs Essays are only representative and CollyerÌs modifications of GellertÌs German original, we hope to contribute to the understanding of the potential of imaginative prose fiction – with its endlessly permeable boundaries – in the eighteenth-century tussle between philosophy and divinity for the last word in morality. Ein Vergleich von Christian F. Gellerts Tugendroman Leben der Schwedischen Gräfinn von G*** mit einer Übersetzung Mary Collyers – kontextualisiert durch die Shaftesbury-Kritik John Browns – zeigt, daß das Konzept eines ,moral senseÍ auch in negativer Präsenz Einfluß auf die moraltheoretischen Grundlagen des Romans um 1750 hatte. Diese kritische Rezeption trug zu einer fruchtbaren Kontroverse in der literarischen Darstellung von Tugendbegriffen bei. Der Artikel veranschaulicht, wie Mary Collyer ihre Übersetzung den verbreiteten ethischen Prämissen des englischen intellektuellen Moraldiskurses anpaßte und sich noch dezidierter als Gellert für eine religiös gegründete Erziehung zur Tugend aussprach. Ihr protestantischer Gegenentwurf zum ,moral senseÍ stellt prozessuales Erlernen von religiösen Prinzipien auf der Suche nach Glück(seligkeit) über kognitive und emotionale Fähigkeiten. A comparison between Christian F. GellertÌs novel Leben der Schwedischen Gräfinn von G*** and Mary CollyerÌs translation – contextualized by John BrownÌs critique of ShaftesburyÌs Characteristicks – confirms that the notion of a Ímoral senseÌ had an impact as a negative presence on the moral basis of the mid-eighteenth-century novel. This critical reception contributed to a fruitful controversy over the literary representation of virtue. The article illustrates how Mary Collyer adapted her translation to the prevalent ethical premises of the English discourse on morality and asserted more decidedly than Gellert that a religiously grounded education was the basis for virtue. Her Protestant alternative to the conception of a Ímoral senseÌ ranks the processual learning of religious principles above cognitive and emotional faculties in the pursuit of happiness. Dr. des. Katja Battenfeld, Melinda Palmer Kolb, M.A., Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Exzellenznetzwerk „Aufklärung – Religion – Wissen“, Franckeplatz 1, Haus 24, 06099 Halle, E-Mail: [email protected], [email protected]

KURZBIOGRAPHIE

Albrecht von Haller (1708 – 1777)

Eine Kurzbiographie Albrecht von Hallers zu schreiben ist fast schon ein Widerspruch in sich, bietet das abwechslungsreiche Leben des vielseitigen und rastlos tätigen Schweizers doch eine immense Fülle an Material. Als Arzt und Botaniker, Physiologe und Anatom, Dichter, Rezensent und engagierter Berner Magistrat, der die Experimentalkultur der Naturwissenschaften auf solide Beine stellte, die Physiologie als eigenständige Disziplin begründete und die Anfangsjahre der Göttinger Universität entscheidend prägte, gilt Haller mit seinen weitgespannten Interessen und seinem gewaltigen wissenschaftlichen, kritischen und poetischen Werk als einer der letzten großen Universalgelehrten. Albrecht von Haller wurde als fünftes und damit jüngstes Kind des Berner Juristen Niklaus Emanuel Haller und der Anna Maria Engel in eine von Pfarrern und Magistraten geprägte Familie hineingeboren, die zwar formell ratsfähig war, de facto aber relativ wenig Einfluß besaß und nicht zu den einflußreichen Oligarchen-Clans zählte, die in der Berner Republik die Mehrzahl der Ratsstellen besetzten. Die Mutter starb noch im Jahr seiner Geburt. Als schwaches und kränkliches Kind erhielt er zunächst Privatunterricht und tat sich früh durch gute schulische Leistungen hervor, so daß er bereits 1718 als Zehnjähriger in die Berner Hohe Schule aufgenommen wurde. Ursprünglich sollte

er Theologie studieren, begeisterte sich dann jedoch für die Medizin, als er nach dem Tod seines Vaters (1721) eine Weile beim Halbbruder seiner Stiefmutter, dem Bieler Stadtarzt Johann Rudolf Neuhaus lebte. Sein Medizinstudium nahm er 1723 – 1725 zunächst in Tübingen auf und setzte es 1725 – 1727 in Leiden fort, wo ihn außer seinen Lehrern Herman Boerhaave und Bernard Siegfried Albinus auch die vorbildliche Organisation der gesamten medizinischen Fakultät beeindruckte und prägte. Nach seiner Promotion 1727 bereiste der junge Dr. med. London und Paris, um sich anatomisch und chirurgisch weiterzubilden, und verbrachte ein Jahr in Basel, wo er u. a. Mathematikvorlesungen bei Johann (I.) Bernoulli hörte. Von Basel aus unternahm er im Sommer 1728 gemeinsam mit seinem Freund, dem Scheuchzer-Schüler Johannes Gessner, eine einmonatige Alpenreise, die ihn dazu anregte, das umfangreiche Natur- und Lehrgedicht „Die Alpen“ zu schreiben, in dem er ausführlich Flora und Fauna der Schweizer Gebirgslandschaft schildert und die Bewohner vorstellt, die in dieser kargen Natur ein tugendhaftes Leben führen. Außerdem weckte diese Reise Hallers Begeisterung für Botanik, so daß er sein pflanzenkundliches Wissen auf etlichen weiteren Exkursionen in den folgenden Jahren systematisch vertiefte. 1729 kehrte er nach Bern zurück, wo

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Kurzbiographie

er als Arzt praktizierte; einen wichtigen Förderer fand er im Schultheissen Isaak Steiger, dessen Großnichte Marianne Wyss er 1731 geheiratet hatte. Bevor Haller als Naturwissenschaftler zu Ruhm kam, war er bereits als Dichter bekannt und blieb es auch sein Leben lang, obwohl seine poetischen Texte überwiegend in den späten 1720er und den 1730er Jahren entstanden. 1732 erschien – zunächst noch anonym – die erste Ausgabe seiner Gedichtsammlung Versuch schweizerischer Gedichten, die Haller im Laufe seines Lebens immer wieder überarbeitete und mit Kommentaren und Verzeichnissen älterer Textvarianten anreicherte, so daß insgesamt elf autorisierte Auflagen entstanden. Neben Gelegenheitsund Liebesgedichten („Doris“) enthält die Sammlung bissige Moralsatiren („Die verdorbenen Sitten“, „Die Falschheit menschlicher Tugenden“), die Mißstände im öffentlichen Leben anprangern, und vor allem das umfangreiche Alexandriner-Lehrgedicht „Die Alpen“, zu dem die einflußreichen philosophischen ,GedankengedichteÍ hinzutreten, die Grundfragen der menschlichen Existenz und eines christlich geprägten Weltbildes entfalten („Gedanken über Vernunft, Aberglauben und Unglauben“, „Ueber den Ursprung des Uebels“, „Unvollkommenes Gedicht ueber die Ewigkeit“). Besonders „Die Alpen“ begründen Hallers dichterischen Ruhm und geraten mitten hinein in eine der zentralen ästhetischen Diskussionen des 18. Jahrhunderts, weil Lessing das Gedicht im 17. Kapitel seines Laokoon als Negativbeispiel für eine rein ,malendeÍ, deskriptive Poesie anführt. Der kritische Ton seiner satirischen Gedichte mag dazu beigetragen haben, daß Haller sich in seiner Heimat vergeblich um eine Stelle als Stadtarzt und eine Professur für Eloquenz bemühte, allerdings 1735 lediglich eine Stelle als Oberbibliothekar ergattern konnte. Angesichts der schlechten Karriereaussichten in Bern

nahm Haller 1736 einen Ruf an die frisch gegründete Göttinger Universität an, um dort bis 1753 als Professor für Anatomie, Botanik und Chirurgie zu wirken. Privat jedoch stand zumindest der Beginn seiner Göttinger Zeit unter keinem guten Stern: Kurz nach der Ankunft starb seine Frau Marianne, 1738 auch sein Sohn Ludwig Albrecht; seine zweite Frau Elisabeth starb 1740, nur ein Jahr nach der Hochzeit, der gemeinsame Sohn Johann Rudolf folgte ihr nur wenige Monate später. Erst nach seiner dritten Heirat mit der Jenaer Professorentochter Sophie Amalia Teichmeyer stabilisierte sich Hallers Familienleben. Haller hatte entscheidenden Anteil am Aufbau der Göttinger medizinischen Schule mit ihrer Anatomie und dem Botanischen Garten, zwei Institutionen, die er in Leiden als unverzichtbare Bausteine der Forschung und des akademischen Unterrichts kennengelernt hatte. Einen Höhepunkt seiner botanischen Tätigkeit bildete die Publikation seiner monumentalen Enumeratio methodica stirpium Helvetiae indigenarum (1742), der ersten umfassenden Darstellung der Schweizer Flora; daneben veröffentlichte er u. a. das großangelegte Tafelwerk Icones anatomicae (1743 – 1756) und sein physiologisches Lehrbuch Primae lineae physiologiae (1747). Daß Haller hervorragend vernetzt war, trug zu seiner Produktivität entscheidend bei: Von ihm hat sich einer der wissenschaftsgeschichtlich bedeutendsten und umfangreichsten Briefwechsel des 18. Jahrhunderts erhalten. Dank seines riesigen Netzwerks von Korrespondenten und seines unermüdlichen Fleißes war Haller stets wohlinformiert über aktuelle Entwicklungen in den Naturwissenschaften und entwickelte aus diesen Einsichten ein prägendes Forschungs- und Unterrichtsprogramm für die Universität Göttingen, das Theorie und Praxis eng miteinander verzahnte. Er kritisierte spekulatives Denken und trat für eine empirisch gegründete Naturforschung ein, die auf systematisch betriebe-

Kurzbiographie

nen, hypothesengeleiteten Analysen und Experimenten beruhte. Institutionell optimale Voraussetzungen hierfür schaffte er durch die Gründung des Botanischen Gartens und des Anatomischen Instituts. Außerdem fungierte er als Präsident der Göttinger Societät der Wissenschaften und baute die Göttingischen Anzeigen von Gelehrten Sachen zu einem Rezensionsorgan von internationalem Ansehen auf, zu dem er selbst an die 9000 Rezensionen zu sämtlichen Wissensbereichen beisteuerte. Damit engagierte er sich einerseits für Institutionen, die die Suche nach neuen Erkenntnissen unterstützten, andererseits für Foren, in denen diese Erkenntnisse kritisch geprüft und diskutiert werden konnten, um im offenen Wettstreit möglichst hohe wissenschaftliche Standards zu sichern. Als erster führte Haller systematische Tierversuche in großem Umfang durch, um Atmung, Herzschlag, Blutkreislauf und die Eigenschaften lebenden Gewebes zu untersuchen. Seine induktiv-empirische Methode eröffnete der physiologischen Forschung dabei echtes Neuland, was seine Arbeiten zu Irritabilität und Sensibilität besonders deutlich zeigen. Haller hatte bei seinen Tierversuchen bemerkt, daß verschiedene Gewebestrukturen auf bestimmte Reize unterschiedlich reagieren: Nur Organe mit Nervenfasern können Schmerz empfinden, nur Muskelfasern ziehen sich zusammen, wenn sie gereizt werden. Auf der Basis dieser Erkenntnisse teilte er den menschlichen Körper nach den Funktionen seiner Bestandteile neu ein und verwarf die Lehre, daß alle Körperteile aus einheitlichen Elementarfasern aufgebaut seien. Indem er Bewegung und Empfindung konkreten organischen Strukturen zuordnete, wies er zudem nach, daß der Körper keine passive, von der Seele gesteuerte Maschine, sondern ein Organismus mit autonomen Kräften ist. Daß Julien Offray de La Mettrie ihm 1748 in sarkastischer Absicht seine Schrift LÌhomme machine widmete, betrachtete Haller jedoch als Affront, da

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er seine naturwissenschaftliche Arbeit stets in einen physikotheologischen Rahmen eingebettet sehen wollte und den konsequenten atheistischen Materialismus La Mettries energisch ablehnte. Obwohl Haller für sein Wirken in Göttingen höchste Anerkennungen erhielt, in zahlreiche wissenschaftliche Gesellschaften aufgenommen und 1749 in den Adelsstand erhoben wurde, verlor er nie den Kontakt zu seiner Heimat. Bereits 1745 war er dort auf Vorschlag Isaak Steigers in den Großen Rat gewählt worden, so daß ihm eine Ämterlaufbahn in der Berner Republik offenstand. Als er 1753 das Amt des Rathausammanns erloste, zog er mit seiner Familie zurück in die Schweiz. Damit gab er die wissenschaftliche Ausstattung und das stimulierende Göttinger Umfeld auf, nutzte jedoch die Chance, die Stellung seiner Familie in Bern zu stärken. Als Rathausammann, der für das Ratsgebäude und die Organisation des Ratsbetriebs zuständig war, konnte er sich genaue Kenntnisse der Staatsgeschäfte erwerben und schuf sich damit gute Voraussetzungen für den Zugang zu einträglicheren Ämtern. Außerdem fungierte er u. a. auch als Assessor des Oberen Schulrats, arbeitete in der Bibliothekskommission mit und engagierte sich für die Einrichtung eines Waisenhauses. Mehrfach bewarb er sich erfolglos um freiwerdende Landvogteien. Nach dem Ende seiner Amtszeit 1757 arbeitete er in verschiedenen Gremien mit und wurde 1758 zum Direktor der Bernischen Salzwerke in Bex, Aigle und Roche bestellt. In dieser Funktion setzte er sich u. a. mit den ökonomischen Aspekten der Salzgewinnung auseinander, schlug technische Verbesserungsmaßnahmen vor und beschäftigte sich mit landwirtschaftlichen Problemen an seinem Amtssitz in Roche. Auch unter diesen oft ungünstigen Bedingungen führte Haller seine umfangreiche wissenschaftliche Publikationstätigkeit und seine Forschungsarbeiten fort. Er erkundete die Schweizer Pflanzenwelt,

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Kurzbiographie

studierte an Fröschen und Kröten die Bewegung des Blutes in den Gefäßen und an bebrüteten Hühnereiern die Embryonalentwicklung. Zudem fungierte er weiterhin als Präsident der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen, schrieb Rezensionen, korrespondierte mit der Oekonomischen Gesellschaft in Bern und veröffentlichte seine epochemachende Gesamtdarstellung des physiologischen Wissens seiner Zeit, die Elementa physiologiae (1757 – 1766). 1764 kehrte Haller nach Bern zurück, wo er u. a. im Sanitätsrat, in der Waisenhausbehörde und im Schulrat mitarbeitete und vielfach vergebens für einen Sitz im Kleinen Rat kandidierte. Als Mitglied und Präsident der Oekonomischen Gesellschaft engagierte er sich für eine praxisorientierte Wissenschaft, etwa mit Abhandlungen über Futterpflanzen und Getreidearten, die auf eine verbesserte Nutzung der Pflanzenressourcen abzielten. Auch in seinem letzten Lebensjahrzehnt blieb Haller trotz zunehmender körperlicher Beschwerden unermüdlich tätig: In seinen Bibliothecae, kritisch annotierten Bibliographien zur Anatomie, Chirurgie, praktischen Medizin und Botanik, bündelte er in den 1770er Jahren die gesamte medizinische Literatur seiner Zeit. Zudem entstand während dieses Jahrzehnts politische und religiöse Schriften, die erkennen lassen, in welchen umfassenderen Rahmen Haller seine naturwissenschaftliche Tätigkeit einordnete: Die drei Staatsromane Usong (1771), Alfred (1773) und Fabius und Cato (1774) stellen an historischen Beispielen verschiedene Herrschaftsformen dar, während die Briefe über die wichtigsten Wahrheiten der Offenbarung (1772) sowie die Briefe über einige Einwürfe noch lebender Freygeister wider die Offenbarung (1775 – 1777) als apologetische Werke die Autorität der biblischen Offenbarung verteidigen und sich vor allem mit der Religionskritik Voltaires auseinandersetzen. Haller betrachtete die

kirchlich verfaßte Religion als öffentliche Angelegenheit, die wesentlich dazu beitrug, den inneren Frieden und Zusammenhalt einer Gesellschaft aufrechtzuerhalten, und trat deshalb entschieden gegen Atheismus, Deismus, Freigeisterei und Aberglauben ein. Tagebuchauszüge, die der Berner Publizist Johann Georg Heinzmann einige Jahre nach Hallers Tod veröffentlichte, dokumentieren seine langjährige private Auseinandersetzung mit der eigenen Religiosität in Gestalt einer beständigen strengen Selbstprüfung, der er sich in der Tradition reformierter Frömmigkeitspraxis unterwarf. Literatur: Hubert Steinke, Claudia Profos, Pia Burkhalter (Hg.), Bibliographia Halleriana. Verzeichnis der Schriften von und über Albrecht von Haller, Basel 2004 (Studia Halleriana, 8); Hubert Steinke, Urs Boschung, Wolfgang Proß (Hg.), Albrecht von Haller. Leben – Werk – Epoche, Göttingen 2008; Norbert Elsner, Nicolaas A. Rupke (Hg.), Albrecht von Haller im Göttingen der Aufklärung, Göttingen 2009; Albrecht von Haller in Göttingen 1736 – 1753. Briefe und Selbstzeugnisse, hg. von Urs Boschung, Bern 1994; Heinz Balmer, Albrecht von Haller, Bern 1977 (Berner Heimatbücher, 119); Erich Hintzsche, Einige kritische Bemerkungen zur Bio- und Ergographie Albrecht von Hallers, in: Gesnerus 16 (1959), 1 – 15; Ludwig Hirzel, Hallers Leben und Dichtungen, in: Albrecht von Hallers Gedichte, hg. von L. H., Frauenfeld 1882 (Bibliothek älterer Schriftwerke der deutschen Schweiz und ihres Grenzgebietes, 3), I-DXXXVI; Johann Georg Zimmermann, Das Leben des Herrn von Haller, Zürich 1755; Albrecht von Haller, Tagebuch seiner Beobachtungen über Schriftsteller und sich selbst. Zur Karakteristik und Religion dieses Mannes, 2 Bde., hg. von Johann Georg Heinzmann, Bern 1787. Cornelia R¤mi (München)

DISKUSSION

Cornelia R¤mi Albrecht von Haller im 21. Jahrhundert Ein Forschungsbericht

Im Jahre 2008 jährte sich der Geburtstag einer der prägenden Wissenschaftlerpersönlichkeiten des 18. Jahrhunderts, des Berner Universalgelehrten Albrecht von Haller, zum 300. Male. Etliche Sammelbände und Sonderhefte von Zeitschriften mit Beiträgen aus zahlreichen Disziplinen sind in Zusammenhang mit diesem Jubiläum erschienen,1 was Grund genug sein dürfte, nach einem Jahrzehnt der Haller-Forschung im 21. Jahrhundert Bilanz zu ziehen und nach ihren Erträgen in den vergangenen Jahren zu fragen. Unverzichtbar für jeden, der sich zukünftig mit Haller befassen möchte, sind dabei vor allem die Arbeiten, die aus dem 1990 – 2003 am Medizinhistorischen Institut der Universität Bern angesiedelten Projekt „Albrecht von Haller und die Gelehrtenrepublik der Aufklärung“ hervorgegangen sind. An erster Stelle ist hier die Bibliographia Halleriana zu nennen, die Hallers Werke ebenso wie die zugehörige Forschungsliteratur in einer systematischen Übersicht erschließt und zudem auf einem Online-Portal weiter ergänzt wird.2 In der Einleitung dieser umfassenden Bibliographie entwerfen die Herausgeber außerdem eine Liste wichtiger Forschungsdesiderate, die als Orientierungshilfe dienen kann, um den Stellenwert neuerer Publikationen zu Albrecht von Haller zu bestimmen. Hubert Steinke, Urs Boschung, Wolfgang Proß (Hg.), Albrecht von Haller. Leben – Werk – Epoche, Göttingen 2008; Norbert Elsner, Nicolaas A. Rupke (Hg.), Albrecht von Haller im Göttingen der Aufklärung, Göttingen 2009; Jean-Daniel Candaux u. a. (Hg.), Pro Saeculo XVIII8 Societas Helvetica, Themenheft 1: Albrecht von Haller zum 300. Geburtstag (2009); Jubiläumsband zum 300. Geburtstag von Albecht von Haller. Mitteilungen der Naturforschenden Gesellschaft in Bern NF 66 (2009); Andr¤ Holenstein u. a. (Hg.), Berns goldene Zeit. Das 18. Jahrhundert neu entdeckt, Bern 2008 (Berner Zeiten, 4); Reimer Eck, Claudia Kroke, Wolfgang Böker (Hg.), Albrecht von Haller in Göttingen. Ausstellung im historischen Saal der Paulinerkirche anlässlich des dreihundertsten Geburtstags Albrecht von Hallers, Göttingen 2008; Albrecht von Haller. UniPress. Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern 135 (2007). 2 Hubert Steinke, Claudia Profos, Pia Burkhalter (Hg.), Bibliographia Halleriana. Verzeichnis der Schriften von und über Albrecht von Haller, Basel 2004 (Studia Halleriana, 8). Ergänzungen auf der Website . 1

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Leicht abgewandelt liegt dieses Ordnungsraster auch dem folgenden Überblick zugrunde, der bei relativ gut erforschten Aspekten des Hallerschen Werkes ansetzt, um sich allmählich zu weniger erschlossenen Bereichen und Gebieten mit großem unerschlossenen Forschungspotential voranzutasten. Obwohl Hallers im engeren Sinne literarische und poetische Arbeiten nur einen sehr kleinen Anteil seines Œuvres ausmachen, begegnen vor allem seine bereits von den Zeitgenossen intensiv rezipierten Lehrgedichte öfter in literaturwissenschaftlichen, aber auch in philosophiegeschichtlichen Studien.3 Einige im Umfeld des Haller-Jahres erschienene Beiträge zu seinen Gedichten bündeln und ergänzen vorhandene Erkenntnisse, indem sie die Geschichte seiner Gedichtsammlung und deren zentrale Deutungsaspekte zusammenfassen4 und Hallers Schaffen ins zeitgenössische literarische Leben Berns einordnen.5 Barbara Mahlmann-Bauer lenkt den Blick jedoch auch auf weniger beachtete Texte, indem sie Hallers satirische Gedichte untersucht und dabei auch die poetische Entwicklung des dichtenden Wissenschaftlers beleuchtet, der sich intensiv mit älterer und zeitgenössischer Literatur und Witztheorie auseinandersetzt.6 Andere Beiträge zeigen die Vielfalt ergiebiger Fragestellungen, die sich auch an einen so häufig behandelten Text wie „Die Alpen“ richten lassen: Das große Lehrgedicht kann als Zugang zu Hallers Gesamtwerk dienen, da es die poetische, theologische und naturwissenschaftliche Wahrnehmung der Alpen und ihrer Bewohner miteinander verbindet7 und sich im Rahmen einer Geschichte der Landschaftswahrnehmung8 ebenso lesen läßt wie im Kontext der Gletscherforschung;9 die im Gedicht dargestellten Welten der Alpennatur und der menschlichen Zivilisation lassen sich als komplementäre Bereiche

Antonio Moretto, LÌinfluenza dellÌ „ode sullÌeternit”“ di Albrecht von Haller nella filosofia di Kant e di Hegel, in: Atti e Memorie dellÌAccademia Galileiana di Scienze, Lettere ed Arti in Padova 115/3 (2002/2003), 119 – 132. 4 Eric Achermann, Dichtung, in: Steinke, Boschung, Proß (Hg.), Albrecht von Haller (wie Anm. 1), 121 – 155; Wilfried Barner, Hallers Dichtung, in: Elsner, Rupke (Hg.), Albrecht von Haller im Göttingen der Aufklärung (wie Anm. 1), 381 – 418. 5 Barbara Mahlmann-Bauer, Literarisches Leben in Berns „goldener Zeit“, in: Holenstein u. a. (Hg.), Berns goldene Zeit (wie Anm. 1), 383 – 389; dies., Albrecht von Hallers Gedichte, in: ebd., 387. 6 Barbara Mahlmann-Bauer, Albrecht von Haller, Satiriker auf den Spuren Voltaires und Swifts, in: Candaux u. a. (Hg.), Albrecht von Haller zum 300. Geburtstag (wie Anm. 1), 7 – 43. 7 Barbara Mahlmann-Bauer, Die Alpen Albrecht von Hallers – Landschaftsgemälde, wissenschaftliche Hypothesenbildung und verborgene Theologie, in: Jubiläumsband zum 300. Geburtstag (wie Anm. 1), 9 – 27. 8 Raimund Rodewald, Landschaftswahrnehmung zu Hallers Zeiten und heute, in: ebd., 37 – 48. 9 Peter Lüps, Hallers Gletscher damals, in: ebd., 139 – 150; Heinz J. Zumbühl, „Der Berge wachsend Eis …“. Die Entdeckung der Alpen und ihrer Gletscher durch Albrecht von Haller und Caspar Wolf, in: ebd., 105 – 132. 3

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deuten, die eng aufeinander bezogen werden können.10 Da „Die Alpen“ im 18. Jahrhundert als Beispiel für ,malendeÍ Poesie u. a. in der Laokoon-Kontroverse diskutiert werden, läßt sich bei ihnen ansetzend auch Hallers Verhältnis zur bildenden Kunst genauer untersuchen, wie Tobias Pfeifer-Helke vorführt;11 er sieht eine Verwandtschaft zwischen der deskriptiven Poesie der „Alpen“, zeitgenössischer Landschaftsmalerei, dem Literaturkonzept Bodmers und Breitingers sowie Hallers sinnesphysiologischen Forschungen. Ästhetisch begründete Verknüpfungen zwischen Hallers physiologischen Arbeiten und seiner poetischen Produktion legen auch einige kulturwissenschaftlich orientierte Studien nahe, die sich dem Zusammenhang zwischen Hallers neurophysiologischer Reiztheorie und seiner Konzeption der Einbildungskraft12 oder zwischen seinem Irritabilitätstraktat und seiner poetischen Darstellung des Schmerzes13 widmen. Seltener als Hallers frühe Gedichte werden die gegen Ende seines Lebens entstandenen drei Staatsromane genauer untersucht. Dabei machen die exotischen Schauplätze gerade den Usong auch für die Auslandsgermanistik interessant, wie eine Kairoer Dissertation zeigt, die das orientalische Milieu des Romans als Verfremdung und damit als Zensurschutz für staatstheoretische Reformideen Hallers deutet.14 Ausführlicher ist dieser Gedanke bei Daniela Lüthi entfaltet, die zeigt, wie Haller in den Romanen sein Modell eines vernünftig sinnvollen Staates an historischen Beispielen legitimiert und damit zugleich Zeitkritik übt.15 HansChristof Kraus untersucht vor allem den Alfred im Kontext der Diskussionen um die englische Verfassung im 18. Jahrhundert.16 Er warnt davor, die Romane auf Volker Mergenthaler, Hallers Alpen oder die „Kunst“, Berge zu versetzen, in: Sylvia Heudecker, Dirk Niefanger, Jörg Wesche (Hg.), Kulturelle Orientierung um 1700. Traditionen, Programme, konzeptionelle Vielfalt, Tübingen 2004 (Frühe Neuzeit, 93), 282 – 302. 11 Tobias Pfeifer, Albrecht von Haller und das Sinnliche der Bilder, in: Candaux u. a. (Hg.), Albrecht von Haller zum 300. Geburtstag (wie Anm. 1), 108 – 122; Tobias Pfeifer-Helke, Albrecht von Hallers Einfluss auf die Landschaftsmalerei am Beispiel Johann Ludwig Aberlis, in: Jubiläumsband zum 300. Geburtstag (wie Anm. 1), 29 – 36. 12 Gabriele Dürbeck, ,ReizendeÍ und reizbare Einbildungskraft: Anthropologische Ansätze bei Johann Gottlob Krüger und Albrecht von Haller, in: Jörg Steigerwald, Daniela Watzke (Hg.), Reiz Imagination Aufmerksamkeit. Erregung und Steuerung von Einbildungskraft im klassischen Zeitalter (1680 – 1830), Würzburg 2003, 225 – 245. 13 Roland Borgards, Poetik des Schmerzes. Physiologie und Literatur von Brockes bis Büchner, München 2007. 14 Dalia Salama, Albrecht von Hallers „Usong“. Ein orientalisierender Staatsroman, Hamburg 2006 (Studien zur Germanistik, 19). 15 Daniela Lüthi, „Und die Menschen sind in eine Gesellschaft getreten, um glücklicher zu sein“. Staatstheorie und Naturrecht in Albrecht von Hallers Staatsromanen, Onlinepublikation Bern 2003 , Abruf am 25.05.2010. 16 Hans-Christof Kraus, Englische Verfassung und politisches Denken im Ancien R¤gime 1689 bis 1789, München 2006 (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London, 60), 565 – 577. 10

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Gattungsstereotype der Utopie, des politischen Traktats oder des gegenwartskritischen Schlüsselromans zu reduzieren: Sie vermischten vielmehr aktuell-politische, historische und fiktionale Elemente, um ,Naturformen des PolitischenÍ vorzustellen. Sandra Potts Analyse der drei Romane fällt zwar relativ kurz aus,17 erschließt aber wichtige Parallelen zu Hallers religiösen Schriften, den Offenbarungsbriefen und seinem Vorwort zur Prüfung der Secte die an allem zweifelt, das sie einer näheren Analyse unterzieht, um die hier vorgebrachten Argumente gegen den Skeptizismus genauer zu prüfen. Während Pott die Parallelen zwischen Hallers Usong und Christoph Martin Wielands Der goldne Spiegel lediglich andeutet, untersucht Florian Gelzer die Darstellung der Prinzenerziehung in einem Vergleich beider Romane, der sich vor allem auf ihre narrative Faktur konzentriert:18 Haller berufe sich auf eine ältere Form der didaktischen Unterweisung, die im Usong nicht nur beschrieben werde, sondern die zugleich als Strukturprinzip des ganzen Textes fungiere: Ohne Wechsel der Wertungsperspektive stelle er vorbildliche Beispiele vor, deren Lehren sich in schlüssigen Maximen verdichten ließen. Wieland dagegen lasse in seinem multiperspektivischen Roman die Chancen und Grenzen einer solchen Didaxe im Gespräch diskutieren. In einem weiteren Aufsatz ordnet Gelzer Hallers Romanverständnis in die Entwicklungsgeschichte des deutschsprachigen Romans im 18. Jahrhundert ein: Usong, Alfred und Fabius und Cato erprobten verschiedene Alternativen, um staatstheoretische Gedanken romanesk zu gestalten.19 Auf diesen literarischen Charakter weist Gelzer schließlich auch in seiner bündigen Übersichtsdarstellung hin, die nachdrücklich dafür plädiert, die drei Staatsromane nicht nur als politische Traktate zu behandeln.20 Ein differenziertes Herangehen empfiehlt sich auch, wenn man sich mit dem vielseitigen Naturwissenschaftler Haller beschäftigen möchte. Etliche wissenschaftshistorisch orientierte Beiträge führen ältere Ansätze produktiv weiter, indem sie Hallers Verhältnis zu anderen wissenschaftlichen Persönlichkeiten wie etwa seinem Lehrer Herman Boerhaave untersuchen21 oder seine Position in einSandra Pott, Reformierte Morallehren und deutsche Literatur von Jean Barbeyrac bis Christoph Martin Wieland, Tübingen 2002 (Frühe Neuzeit, 75), 167 – 195. 18 Florian Gelzer, Abstrakte Maximen oder kritischer Dialog? Haller und Wieland über die Prinzenerziehung, in: Candaux u. a. (Hg.), Albrecht von Haller zum 300. Geburtstag (wie Anm. 1), 44 – 62. 19 Florian Gelzer, „Persischer Telemach“ und „Ägyptische Banise“. Albrecht von Hallers Staatsromane im romangeschichtlichen Kontext, Onlinepublikation Bern 2003 , Abruf am 25.05.2010. 20 Florian Gelzer, B¤la Kapossy, Roman, Staat und Gesellschaft, in: Steinke, Boschung, Proß (Hg.), Albrecht von Haller (wie Anm. 1), 156 – 181. 21 Peter J. Koehler, Neuroscience in the Work of Boerhaave and Haller, in: Harry Whitaker, C.U.M. Smith, Stanley Finger (Hg.), Brain, Mind and Medicine. Neuroscience in the 18th Century, New York 2007, 213 – 231. 17

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zelnen wissenschaftlichen Debatten und Kontroversen analysieren,22 die über den Einzelfall hinaus Einblick in epistemische Umbrüche gewähren können. So deutet Rainer Godel Hallers Auseinandersetzung mit dem Anatomen Georg Daniel Coschwitz, der glaubte, einen neuen Speichelgang in der Zunge entdeckt zu haben, als „Auseinandersetzung zweier kontrastierender Modelle, wie wissenschaftliche Evidenzbehauptungen im Prozess der Erkenntnis und in deren Darstellung gestützt werden können“ (62 f.).23 Gerecht werden kann man Hallers wissenschaftlichem Werk nur dann, wenn man es in solchen umfassenderen Zusammenhängen betrachtet und es in den wissenschaftsgeschichtlichen und philosophischen Kontext der Aufklärungszeit einordnet. Entscheidende Beiträge hierzu leisten die eindrucksvollen großen Arbeiten von Hubert Steinke24 und Simone De Angelis,25 die aus der Analyse einzelner Werkkomplexe allgemeine Überlegungen zu den Bedingungen, Möglichkeiten und Prinzipien von Hallers Forschungen, ihrer Wahrnehmung und Relevanz ableiten. Steinke konzentriert sich dabei auf die Experimente zu Irritabilität und Sensibilität und deren kontroverse Rezeption in ganz Europa. Anhand einer Vielzahl gedruckter und handschriftlicher Quellen diskutiert er die innovative experimentelle Methode, mit der Haller sein neues Konzept entwickelt, und untersucht die vielfältigen Faktoren, die seine physiologischen Forschungsarbeiten ebenso bestimmen wie die daran anschließenden Kontroversen, an denen er exemplarisch veranschaulicht, wie öffentliche wissenschaftliche Debatten im 18. Jahrhundert ausgetragen wurden. De Angelis fragt nach der Genese von Hallers naturwissenschaftlicher Methode, indem er von den evidenztheoretischen Schriften seines Leidener Physikprofessors Willem Jacob ÌsGravesande ausgeht. Vermittelt über ÌsGravesande rezipiert Haller ein anticartesianisches Programm, das eine empirische Naturforschung im Kontext des Naturrechts begründet: Der Mensch erfaßt die organische Natur nicht mit mathematischen Instrumenten, sondern mit Hilfe der natürlichen Erkenntnismittel, die Gott ihm verliehen hat. Haller vertritt hieran anschließend Eugenio Frixione, Irritable Glue: The Haller-Whytt Controversy on the Mechanism of Muscle Contraction, in: ebd., 115 – 124; Karen Detlefsen, Explanation and Demonstration in the HallerWolff Debate, in: Justin E. Smith (Hg.), The Problem of Animal Generation in Early Modern Philosophy, Cambridge 2006, 235 – 261; Margarete Vöhringen, Hallers Köpfungen, in: Tanja van Hoorn, Yvonne Wübben (Hg.), „Allerhand nützliche Versuche“. Empirische Wissenskultur in Halle und Göttingen (1720 – 1750), Hannover 2009, 105 – 120. 23 Rainer Godel, Anatomische Evidenz. Die Debatte zwischen Albrecht Haller und Georg Daniel Coschwitz, in: ebd., 41 – 63. 24 Hubert Steinke, Irritating Experiments. HallerÌs Concept and the European Controversy on Irritability and Sensibility, 1750 – 90, Amsterdam, New York 2005 (Clio Medica, 76). 25 Simone De Angelis, Von Newton zu Haller. Studien zum Naturbegriff zwischen Empirismus und deduktiver Methode in der Schweizer Frühaufklärung, Tübingen 2003 (Frühe Neuzeit, 74). 22

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eine Psychophysiologie der Erkenntnis, die die Erkenntnis der belebten Natur letztlich vom Willen Gottes abhängig macht. Sein Naturverständnis hat dabei neben einer physischen auch eine sozialethische und politische Bedeutungsdimension, weil die Beziehung der Natur zu ihrem Schöpfer die Beziehung des Menschen zu Gott, Staat und Gesellschaft einschließt. Anhand von Hallers Positionswechseln in der Embryologie demonstriert De Angelis, wie Haller die Existenz eines Schöpfergottes letztlich nur noch durch einen Rationalisierungsschub gegen den Materialismus verteidigen konnte, dafür jedoch die physikotheologisch verstandene Allgegenwart Gottes in der Natur preiszugeben hatte. In eine ähnliche Richtung fragt Sandra Pott, deren Überlegungen allerdings um einiges kursorischer ausfallen, da sie Haller nur als eines unter vielen Beispielen für Säkularisierungstendenzen in Medizin und schöner Literatur untersucht.26 Zudem bespricht sie keine medizinischen Fachtexte im engeren Sinne, sondern analysiert an überwiegend religiös und theologisch ausgerichteten Publikationen Hallers, wie seine wissenschaftlichen Prinzipien sich zu seiner religiösen Position verhalten. In seinen experimentellen Forschungen vertrete er einen ,methodologischen AtheismusÍ, indem er Gott aus der Untersuchung der Natur und der anschließenden Hypothesenbildung ausklammere, was eine von ihm nicht beabsichtigte Säkularisierung nach sich ziehe. Dennoch verstehe er Naturforschung nach wie vor als Gottesdienst und lege vor allem in der Auseinandersetzung mit Voltaire großen Wert darauf zu zeigen, daß Naturforschung und Christentum sich harmonisieren lassen. Es könne bei Haller also keine Rede sein von einem Austreiben der Religion aus den Naturwissenschaften; vielmehr erscheine Säkularisierung hier als Bündel komplexer, langwieriger Transformationsprozesse. An Tiefenstudien wie jene von Steinke und De Angelis wäre anzuknüpfen, um in einer umfassenden Synthese zu untersuchen, wie sich Hallers anatomisch und physiologisch fundierte theoretische Medizin zur praktischen Medizin verhält.27 Einen wichtigen Baustein hierzu dürfte die Untersuchung von Hallers ärztlicher Praxis liefern, die durch kleinere Publikationen wie auch durch sein handschriftliches Patientenjournal dokumentiert ist. Die Auswertung dieser Aufzeichnungen, der sich ein laufendes Berner Forschungsprojekt widmet, verspricht weitere Erkenntnisse über die Relation von gelehrtem Wissen und Praxis in der Medizin Sandra Pott, Säkularisierung in den Wissenschaften seit der Frühen Neuzeit, Bd. 1: Medizin, Medizinethik und schöne Literatur. Studien zu Säkularisierungsvorgängen vom frühen 17. bis frühen 19. Jahrhundert, Berlin, New York 2002, 105 – 157. 27 Zusammenfassungen zu verschiedenen Bereichen seiner medizinischen Forschungstätigkeit liefern Hubert Steinke, Anatomie und Physiologie, in: Steinke, Boschung, Proß (Hg.), Albrecht von Haller (wie Anm. 1), 226 – 254; Maria Teresa Monti, Embryologie, in: ebd., 255 – 273; Renato G. Mazzolini, Die Entdeckung der Reizbarkeit. Haller als Anatom und Physiologe, in: Elsner, Rupke (Hg.), Albrecht von Haller im Göttingen der Aufklärung (wie Anm. 1), 283 – 305. 26

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der Aufklärungszeit.28 Zu fragen wäre dabei auch nach Hallers Rolle als Vermittler naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, etwa als Verfasser zahlreicher Artikel in verschiedenen enzyklopädischen Werken: Alain Cernuschi summiert in einem neueren Aufsatz den Textbestand dieses Corpus, Nathalie Vuillemin untersucht Hallers Verfahren, wissenschaftliche Zusammenhänge zu erläutern und zu ihnen Stellung zu beziehen.29 Auch die Rezeption von Hallers Medizin bei Zeitgenossen und Nachfahren bedarf über die jüngeren Arbeiten hinaus noch genauerer Erforschung,30 ebenso das Verhältnis seiner medizinischen zu seinen botanischen Arbeiten, für die eine umfassende Überblicksdarstellung bislang ebenfalls fehlt.31 Im Gegensatz zu Hallers physiologischen Studien sind seine Leistungen als Botaniker bislang überhaupt nur in kleinen Beiträgen gewürdigt worden,32 obwohl sich auch an Hallers Flora und seinem Herbar fruchtbare historische Fragestellungen entwickeln lassen. So hat etwa Luc Lienhard jüngst darauf hingewiesen, daß sich aus Hallers botaniHubert Steinke, Urs Boschung, Nützliche Medizin. Theorie und Praxis bei Albrecht von Haller, in: Cardanus. Jahrbuch für Wissenschaftsgeschichte 7 (2007), 133 – 147; Urs Boschung, Praktische Medizin, in: Steinke, Boschung, Proß (Hg.), Albrecht von Haller (wie Anm. 1), 275 – 291; ders., Epidemien: Pest – Ruhr – Pocken, in: Holenstein (Hg.), Berns goldene Zeit (wie Anm. 1), 69 – 71; ders., Susi Ulrich-Bochsler, Der Gesundheitszustand, in: ebd., 83 – 86. 29 Nathalie Vuillemin, L̤criture encyclop¤dique de Haller, in: Candaux u. a. (Hg.), Albrecht von Haller zum 300. Geburtstag (wie Anm. 1), 77 – 96; Alain Cernuschi, Le corpus des articles encyclop¤diques de Haller: ¤tablissement d¤finitif et histoire de la r¤daction, in: ebd., 97 – 107. 30 Steinke, Irritating Experiments (wie Anm. 24); Simone De Angelis, Unbewußte Perzeptivität und metaphysisches Bedürfnis. Ernst Platners Auseinandersetzungen mit Haller in den Quaestiones physiologicae (1794), in: Aufklärung. Interdisziplinäres Jahrbuch zur Erforschung des 18. Jahrhunderts und seiner Wirkungsgeschichte 19 (2007), 243 – 273; Marcel H. Bickel, Zur Rezeption von Hallers medizinischem und medizinhistorischem Werk im 19. und 20. Jahrhundert, in: NTM Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin N.S. 13 (2005), 1 – 16; Hubert Steinke, HallerÌs concept of irritability and sensibility and its reception in France, in: La Lettre de la Maison franÅaise dÌOxford 14 (2001), 37 – 69. 31 Vgl. zuletzt Jean-Marc Drouin, Luc Lienhard, Botanik, in: Steinke, Boschung, Proß (Hg.), Albrecht von Haller (wie Anm. 1), 292 – 314; Stefan Hächler, Avec une grosse boete de plante vertes – Pflanzentransfer in der Korrespondenz Albrecht von Hallers (1708 – 1777), in: Regina Dauser u. a. (Hg.), Wissen im Netz. Botanik und Pflanzentransfer in europäischen Korrespondenznetzen des 18. Jahrhunderts, Berlin 2008 (Colloquia Augustana, 24), 201 – 218; Richard Toellner, Haller als Botaniker, in: Menso Folkerts, Stefan Kirschner, Andreas Kühne (Hg.), Pratum floridum. Festschrift für Brigitte Hoppe, Augsburg 2002 (Algorismus, 38), 419 – 427. 32 Zuletzt Stephan Robbert Gradstein, Michael Schwerdtfeger, Blüten der Gelehrsamkeit. Hallers botanischer Garten in europäischer Perspektive, in: Elsner, Rupke (Hg.), Albrecht von Haller im Göttingen der Aufklärung (wie Anm. 1), 183 – 206; Gerhard Wagenitz, Im Dienste der Flora. Albrecht von Haller und sein Gegenspieler Carl von Linn¤, in: ebd., 207 – 244; ders., Albrecht von Haller als Botaniker in Göttingen, in: Göttinger Jahrbuch 51 (2003), 15 – 26; ders., Anfänge der Botanik an der Georgia Augusta im Spannungsfeld zwischen Haller und Linn¤, Göttingen 2001 (Nachrichten der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen II. Mathematisch-physikalische Klasse 2001/2), 25 – 43. 28

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schen Publikationen die Schweizer Vegetation im 18. Jahrhundert und damit ein Grundfaktor der damaligen Lebensbedingungen rekonstruieren läßt.33 Die Reiseberichte zu Hallers botanischen Exkursionen erhellen darüber hinaus seine wissenschaftliche Vielseitigkeit, indem sie zeigen, wie der immer gleiche geographische Raum ihn zu immer neuen Beobachtungen anregt.34 Da Haller sich als unermüdlicher Netzwerker und rastloser Rezensent nicht nur über die alpine Gebirgswelt, sondern auch über die europäische Forschungslandschaft einen hervorragenden Überblick verschafft hatte, übte er vor allem während seiner Göttinger Jahre auch als weitsichtiger Wissenschaftspolitiker erheblichen Einfluß auf die Organisation von Forschung und Lehre an seiner Universität aus.35 Diese Aktivitäten dürften die weitere Beschäftigung ebenso lohnen wie Hallers vielfältiges ökonomisches und administratives Engagement in Bern, an dem sich studieren ließe, wie Verwaltungspraxis und gelehrte Theorien in der Aufklärungszeit zusammenwirken können.36 Das gewaltige Potential, das Haller künftigen Forschern verschiedener Fachgebiete noch bietet, erschließt sich allerdings erst dann, wenn man sich ihm nicht nur von bestimmten Themenfeldern her, sondern auch über die erhaltenen Quellenbestände nähert: seine Rezensionen, Briefwechsel und auch der sonstige Bestand seines Nachlasses gewähren Einblick in ein höchst aktives Akademikerleben im Zentrum der europäischen Gelehrtenrepublik.

Luc Lienhard, Hallers Landschaften botanisch, in: Jubiläumsband zum 300. Geburtstag (wie Anm. 1), 49 – 59; ders., Wegränder, Wiesen, Sümpfe – Flora und Lebensräume, in: Holenstein (Hg.), Berns goldene Zeit (wie Anm. 1), 56 – 59. 34 Aur¤lie Luther, Les r¤cits de voyage dÌAlbrecht von Haller, in: Candaux u. a. (Hg.), Albrecht von Haller zum 300. Geburtstag (wie Anm. 1), 63 – 74. Vgl. auch die französischsprachige Edition der Reiseberichte: Albrecht von Haller, Premier voyage dans les Alpes et autres textes 1728 – 1732, hg. von Aur¤lie Luther u. a., Genºve 2008. 35 Otto Sonntag, Hubert Steinke, Der Forscher und Gelehrte, in: Steinke, Boschung, Proß (Hg.), Albrecht von Haller (wie Anm. 1), 317 – 346; FranÅois Duchesneau, Haller et son programme de recherche, in: ebd., 461 – 467; Peter Hanns Reill, „Pflanzgarten der Aufklärung“. Haller und die Gründung der Göttinger Universität, in: Elsner, Rupke (Hg.), Albrecht von Haller im Göttingen der Aufklärung (wie Anm. 1), 47 – 69; Rudolf Smend, „Ein Academiste muß erfinden.“ Haller und die Königliche Societät der Wissenschaften, in: ebd., 143 – 165; Reimer Eck, Das magische Dreieck. Gelehrte Zeitung, Bibliothek und Societät, in: ebd., 167 – 182. 36 Martin Stuber, Regula Wyss, Der Magistrat und ökonomische Patriot, in: Steinke, Boschung, Proß (Hg.), Albrecht von Haller (wie Anm. 1), 347 – 380; dies., Die Bekämpfung der Viehseuche 1772/73, in: Holenstein (Hg.), Berns goldene Zeit (wie Anm. 1), 71 – 73; dies., Albrecht von Haller als Salzdirektor in Roche 1758 – 1764, in: ebd., 119; Urs Boschung, Erste Hilfe für Ertrunkene: Das Tabakrauchklistier, in: ebd., 76; Martin Stuber, „Die Abgaben der Natur zu vervielfältigen“, in: ebd., 135 – 139; Gerrendina Gerber-Visser, Martin Stuber, Brachliegende Ressourcen in Arkadien. Das Berner Oberland aus der Sicht Albrecht von Hallers und der Oekonomischen Gesellschaft Bern, in: Jubiläumsband zum 300. Geburtstag (wie Anm. 1), 61 – 83. 33

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Hallers Buchbesprechungen bedürfen über die Pionierarbeiten Karl S. Guthkes hinaus weiterer Erforschung, denn selbst die Bibliographia Halleriana verzeichnet lediglich die gedruckten Rezensionen, die nicht in den zeitweise von Haller betreuten Göttingischen Anzeigen von Gelehrten Sachen erschienen sind. Seine etwa 9000 in diesem Organ gedruckten Rezensionen zu den verschiedensten Wissensgebieten sowie die etwa 5000 handschriftlichen Rezensionen, die sich im Nachlaß erhalten haben, bilden einen reichhaltigen Quellenfundus, der bislang noch kaum erschlossen ist. In ihrer Dissertation über Hallers etwa 1000 belletristische Rezensionen in den Göttingischen Gelehrten Anzeigen lotet Claudia Profos Frick das Potential dieses Materials exemplarisch aus und führt damit zugleich vor, wie sich statistisch-empirische Vefahren der Computerphilologie sinnvoll einsetzen lassen, um ein großes Textcorpus zu erschließen.37 Ihre thematisch weit ausgreifende Studie würdigt Haller als einen der einflußreichsten Kunstrichter seiner Zeit und untersucht sein kritisches Verfahren im Kontext des zeitgenössischen Rezensionswesens. Im Vergleich seiner literarischen Rezensionen mit denen anderer Fachbereiche schlägt sie außerdem den Bogen von seinem Literaturzu seinem allgemeinen Wissenschaftsverständnis und verweist auf Parallelen zwischen Hallers wissenschaftlicher Verfahrensweise und seinem Bemühen um eine „gegründete Critik“, die zurückhaltend, fair und streng sachlich argumentiert. Ein weiteres großes Forschungsareal bildet Hallers Korrespondenz, die zu den größten und bedeutendsten seiner Zeit zählt und als wesentliches Instrument seiner wissenschaftlichen Arbeit zu bewerten ist. Ein zweibändiges Repertorium, wie Profos Fricks Arbeit aus dem Berner Forschungsprojekt zu Haller hervorgegangen, erschließt diesen riesigen Quellenbestand über mehrere Register, Kurzcharakteristiken der einzelnen Briefwechsel, Verweise auf Editionen und einschlägige Forschungsliteratur sowie eine auf CD-ROM beigegebene Datenbank.38 Was sich erreichen läßt, wenn man sich solchermaßen ausgestattet den Briefen systematisch nähert, zeigt ein umfangreicher Sammelband zu Hallers Korrespondenzen,39 dessen Beiträge Hallers Briefwechsel als europäisches Claudia Profos Frick, Gelehrte Kritik. Albrecht von Hallers literarisch-wissenschaftliche Rezensionen in den Göttingischen Gelehrten Anzeigen, Basel 2009 (Studia Halleriana, 10); Claudia Profos, Literaturkritik, in: Steinke, Boschung, Proß (Hg.), Albrecht von Haller (wie Anm. 1), 182 – 198. 38 Urs Boschung u. a. (Hg.), Repertorium zu Albrecht von Hallers Korrespondenz 1724 – 1777, 2 Bde., Basel 2002 (Studia Halleriana, 7). 39 Martin Stuber, Stefan Hächler, Luc Lienhard (Hg.), Hallers Netz. Ein europäischer Gelehrtenbriefwechsel zur Zeit der Aufklärung, Basel 2005 (Studia Halleriana, 9). Darüber hinaus etliche weitere Publikationen, die den Quellenwert der Briefe exemplarisch belegen, z. B. Martin Stuber u. a., Exploration von Netzwerken durch Visualisierung. Die Korrespondenznetze von Banks, Haller, Heister, Linn¤, Rousseau, Trew und der Oekonomischen Gesellschaft Bern, in: Dauser u. a. 37

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Netz analysieren. Während einige systematische Aufsätze einzelne Parameter der Korrespondenz vorstellen, wie etwa das Selbstverständnis der Akteure, die Topographie des Briefwechsels und seine materiellen Anteile, demonstriert eine Reihe von Fallstudien die umfangreiche Palette konkreter Fragestellungen, die sich anhand der Briefe ergiebig bearbeiten lassen, von den Verhandlungen um die Hochzeit von Hallers ältester Tochter bis hin zur Entstehung seiner Schweizer Flora. Damit belegt der Band anschaulich, daß die Briefkultur nicht nur wissenschaftliche Funktion im engeren Sinne hat, sondern darüber hinaus auch die persönlichen Beziehungen innerhalb der Respublica litteraria stabilisiert und erhält.40 Über Hallers zumindest ansatzweise erschlossene Rezensionen und Briefwechsel hinaus bietet sein Nachlaß außerdem ein noch kaum erkundetes Reservoir von Material, anhand dessen sich die einzelnen Schritte und Elemente seines Arbeitsprozesses detailliert dokumentieren und analysieren ließen, vom Exzerpieren fremder Texte über das aktive Forschen und den Austausch mit anderen Wissenschaftlern bis zum Schreiben seiner eigenen Werke.41 Weitere Studien in diesem Bereich wären daher unverzichtbar auch als Fundament der vielleicht anspruchsvollsten Aufgabe, die die Haller-Forschung noch in Angriff zu nehmen hat, nämlich des Zusammenführens der erreichten Erkenntnisse zu allen Bereichen von Hallers Leben und Wirken zu einer neuen, umfassenden kritischen Biographie, die Ludwig Hirzels 1882 in seiner Ausgabe der Hallerschen Gedichte publizierten Lebensüberblick endlich ablösen könnte. Vorstudien zu einer solchen Synthese hat in den letzten Jahren vor allem Urs Boschung vorgelegt.42 Daneben haben einzelne Beiträge zum Haller-Jahr seine Lebensumstände vor dem Hintergrund der politischen Verhältnisse in Bern43 und des wissenschaftlichen Umfelds in Göttingen dargestellt,44 zu denen sich aus einer bislang wenig beachteten Quel(Hg.), Wissen im Netz (wie Anm. 31), 347 – 374; Martin Stuber, Gottesstrafe oder Forschungsobjekt? Zur Resonanz von Erdbeben, Überschwemmungen, Seuchen und Hungerkrisen im Korrespondentennetz Albrecht von Hallers, in: Christian Pfister (Hg.), Am Tag danach. Zur Bewältigung von Naturkatastrophen in der Schweiz 1500 – 2000, Bern, Stuttgart, Wien 2002, 39 – 54; Monika Gisler, Die Erdbeben und ihre Wahrnehmung und Deutung, in: Holenstein (Hg.), Berns goldene Zeit (wie Anm. 1), 66 – 68. 40 Hubert Steinke, Martin Stuber, Haller und die Gelehrtenrepublik, in: Steinke, Boschung, Proß (Hg.), Albrecht von Haller (wie Anm. 1), 381 – 414. 41 Barbara Braun-Bucher, Hallers Bibliothek und Nachlass, in: Steinke, Boschung, Proß (Hg.), Albrecht von Haller (wie Anm. 1), 515 – 526. 42 Urs Boschung, Lebenslauf, in: Steinke, Boschung, Proß (Hg.), Albrecht von Haller (wie Anm. 1), 15 – 82; ders., Ein Berner Patriot. Hallers Lebensstationen, in: Elsner, Rupke (Hg.), Albrecht von Haller im Göttingen der Aufklärung (wie Anm. 1), 21 – 46. 43 FranÅois de Capitani, Hallers Bern, in: Steinke, Boschung, Proß (Hg.), Albrecht von Haller (wie Anm. 1), 83 – 98. 44 Ulrich Joost, „Trübselige kleine Stadt in einem trübseligen Land“? Hallers Göttingen, in: Elsner, Rupke (Hg.), Albrecht von Haller im Göttingen der Aufklärung (wie Anm. 1), 71 – 105;

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le interessante Details ergänzen ließen.45 Eine besondere Bedeutung käme im Kontext einer biographischen Synthese wohl auch jenen Arbeiten zu, die Hallers religiöse Biographie nachzeichnen,46 ist mit den Glaubensdingen doch ein zentrales, durchgehend prägendes Thema von Hallers Leben angesprochen, das seine Dichtung ebenso beeinflußt wie seine Verwaltungstätigkeit und die Grundlagen seiner Wissenschaft. Wolfgang Wiegrebes theologische Dissertation zu Hallers Werk liefert nur einen Baustein für weitere Studien, da sie vorwiegend textimmanent verfährt;47 Wiegrebe stellt Haller als Physikotheologen vor, indem er seine wichtigsten apologetischen Texte – die sogenannten Offenbarungsbriefe, die gegen Voltaire gerichteten Freigeisterbriefe sowie seine Vorrede zur anti-skeptizistischen Schrift Prüfung der Secte die an allem zweifelt – ausgiebig zusammenfasst und Haller als Theisten charakterisiert, dessen Werk von Spannungen zwischen theologischen und naturwissenschaftlichen Interessen geprägt sei. Eine ausgiebige philologische Analyse von Hallers Apologien im Kontext der zeitgenössischen Bibelwissenschaft und ihrer Kontroversen – man denke nur an den Fragmentenstreit – liefert die Arbeit noch nicht, verweist allerdings deutlich darauf, daß sich an diesem von der Forschung noch relativ wenig beachteten Textcorpus noch spannende Beobachtungen machen lassen dürften. Mit einer so vielschichtigen und vielseitigen Persönlichkeit wie Albrecht von Haller kann man sich auf vielerlei Weisen auseinandersetzen; dem tragen schließlich auch einige zum Jubiläumsjahr entstandene Studien Rechnung, die zu seiner Rezeptions- und Wirkungsgeschichte nicht nur selbst beitragen, sondern die entsprechende Erinnerungskultur selbst zum Gegenstand ihrer Untersuchung machen, indem sie die Haller-Ikonographie,48 Vertonungen seiner Gedichte49 oder Haller als literarische Figur50 analysieren.

Ulrich Tröhler, Wer studierte welche Medizin im Göttingen des 18. Jahrhunderts?, in: ebd., 245 – 282; Ulrich Hunger, Die Universitätsstadt Göttingen, in: Steinke, Boschung, Proß (Hg.), Albrecht von Haller (wie Anm. 1), 99 – 118. 45 Ulrich Joost, „Dieser unermüdete Geist …“. Samuel Christian Hollmanns Erinnerungen an Haller. Aus seiner „Chronik der Georg-Augustus-Universität“, in: Elsner, Rupke (Hg.), Albrecht von Haller im Göttingen der Aufklärung (wie Anm. 1), 107 – 142. 46 Thomas Kaufmann, Über Hallers Religion. Ein Versuch, in: Elsner, Rupke (Hg.), Albrecht von Haller im Göttingen der Aufklärung (wie Anm. 1), 307 – 379; Richard Toellner, Haller als Christ. Zur Deutung der ,Fragmente Religioser EmpfindungenÍ, in: Steinke, Boschung, Proß (Hg.), Albrecht von Haller (wie Anm. 1), 485 – 494; Cornelia R¤mi, Religion und Theologie, in: ebd., 199 – 225. 47 Wolfgang Wiegrebe, Albrecht von Haller als apologetischer Physikotheologe. Physikotheologie: Erkenntnis Gottes aus der Natur?, Frankfurt am Main u. a. 2009 (Untersuchungen zum christlichen Glauben in einer säkularen Welt, 5). 48 Marie Therese Bätschmann, Haller im Porträt, in: Steinke, Boschung, Proß (Hg.), Albrecht von Haller (wie Anm. 1), 497 – 514; Thomas Freivogel, „auf einem hohen Felsen […] und den Alpen

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Vor allem dank der Arbeiten des Berner Haller-Projektes ist das Werk Albrecht von Hallers in den vergangenen Jahren neu kartiert worden. Die grundlegenden Arbeiten dieses Projektes wie das Briefrepertorium und die Bibliographia Halleriana bilden ein solides Fundament und liefern zahlreiche Impulse für weitere Haller-Studien, die wichtige Erkenntnisse zur interdisziplinären Erforschung der Aufklärungszeit beisteuern können.51 Dazu trägt auch die Zwischenbilanz des Forschungsstandes bei, die viele Beiträge zum Gedenkjahr 2008 ziehen; wichtig scheint mir hierbei vor allem, daß die Ergebnisse einzelner Fachrichtungen dank der übergreifenden Konzeption der großen Jubiläumsbücher auch über Disziplingrenzen hinweg wahrnehmbar gemacht worden sind, so daß diese Sammelbände Zusammenhänge eröffnen, die auch versierteren Experten sonst verschlossen bleiben dürften. Das wichtigste Ergebnis des Haller-Jubiläumsjahres ist daher nicht die revolutionäre Innovation, sondern das bilanzierende Resümee, das aus dem systematischen Überblick über das bereits Geleistete Perspektiven für zukünftige Aufgaben gewinnt. Dr. Cornelia R¤mi, LMU München, Institut für Deutsche Philologie, Schellingstr. 3, 80799 München, E-Mail: [email protected]

in der Ferne“. Hirschfelds Haller-Denkmal, in: Candaux u. a. (Hg.), Albrecht von Haller zum 300. Geburtstag (wie Anm. 1), 123 – 129. 49 Nicola Schneider, Albrecht von Haller und die Vertonungen seiner Dichtungen im 18. Jahrhundert, in: Candaux u. a. (Hg.), Albrecht von Haller zum 300. Geburtstag (wie Anm. 1), 130 – 142; Martin Staehelin, Albrecht von Hallers Gedichte im Lied, in: Elsner, Rupke (Hg.), Albrecht von Haller im Göttingen der Aufklärung (wie Anm. 1), 419 – 432. 50 Stefan Hächler, Albrecht von Haller und Bern im Spiegel der Literatur des 20. Jahrhunderts, in: Holenstein (Hg.), Berns goldene Zeit (wie Anm. 1), 29. 51 Wolfgang Pross, Haller und die Aufklärung, in: Steinke, Boschung, Proß (Hg.), Albrecht von Haller (wie Anm. 1), 415 – 458.