224 80 41MB
German Pages 54 [108] Year 1933
f>öndtt>6rterbuo-^'00'totooo>ooointo s 0> — •>tmcoo>*iiotoa>mcMcomcMO>oa>oocoi,oo x; co co co co — •*ro»ncMt*-o**c m ooiC'^Tj'Tj'inmTf'^j'Tj'TfTj'ri'coco^rcococMcocM
»pwsa
-[»•tmiooooiooo'inMoooooooinoino ra"S1 t- t O CM — «O-^OHONO - CO — IO 00 CM CO IO+-» f-oiinto oC-O»CoMiCtM -C oOpC-O^C —ooooot» E
m
©cocOißTHot^coootO'-a'oor^-eot^cot*-''* — co ^f OEKDNnCDiONOtOOl-HW^'OlCOin — OiCOOCO oirfoonirxo-tCNoointoinioiofraooiotio — CM — cmcmc^cmcmcmcmcmcmc^cmcm —— — — —.— (Od 00 CO — ^f CO CM O 00 — '«i'CMlOCMtOOt'-O-^'** cocoto — co^moimt-rftotot^-Mt-tototo l'J UJ UJIN U UÍUI IN IN CN i- © TT CO— CN— O""
tu
mal bestraft
lach dem Alte
UH
125
oinoißionNf orno — oo c4cooo>ooo>t-ococM — t-oooo!0 OOtOCOCMt-OOCMt~-TlOCMCO M Ol IO t, , ,— , — OC , O CO C CO'"3 CO''J"'1"*'J'cococo'3 'J'*Í'J I COCO*I CMCMCM x:
Cit-CMtOOClCMOOCOlOt-CM — OOCOCM — CMCOI" tonninoroooiio^o-NoioofO^nrot inioffl-o^onoi-oicjoot-CTOoo^oo QJ ^ • í n n o w i n ^ ' r c o ' r ^ i n i n f í ' f •^•^ncoco 3 jj O-M « o r n o - p)cw>ßtot-ooo>o — cm in co t- oo o> CfiOiOOOOOOOOO© — — — CMCMCMCMOJCM £? ooooo>OiO>a50>aiO)0)0)0>cio>0)a>0)0>0)0>a> «
^
Landstreicher, Bettler, Vagabunden
126
Zahlenangaben über die Maßnahmen zur Bek ä m p f u n g des Bettels und der Landstreicherei. Die zahlenmäßige Bewegung der Bettelei und Landstreicherei in Baden vor und nach dem Kriege ist in der Tabelle 3 dargestellt. Die jährlichen Unterschiede sind nicht unerheblich, doch ergibt sich im ganzen genommen seit dem J a h r e 1924 eine abnehmende Richtung. Die Kriminalitätsziffer z a g t e im Durcl^schritt der letzten 6 Berichtsjahre immerhin eine beträchtliche Höhe mit 140 Bestraften auf 100000 der Bevölkerung. Äußerst gering ist an den Bestraften das w e i b l i c h e Geschlecht beteiligt. Unter den während der J a h r e 1924—1929 insgesamt bestraften Personen waren durchschnittlich nur rund 100 oder 3,1 % weiblichen Geschlechts. Dieser Prozentsatz liegt sogar noch etwas unter dem entsprechenden im J a h r z e h n t 1902—1911 mit 3 , 6 % . Die Altersstatistik zeigt, daß mehr als die Hälfte der Bestraften im Alter bis zu 30 J a h r e n s t a n d e n ; 13,4% derselben waren bereits vorbestraft. Sehr s t a r k ist der Anteil der Angehörigen
anderer Staaten an der Gesamtzahl der wegen Bettel und Landstreicherei in Baden Bes t r a f t e n , wozu allerdings die langgestreckte Gestalt des Landes disponiert. Von den im Durchschnitt der J a h r e 1924—1929 Bestraften waren ihrer Gebürtigkeit nach nur 974 oder 24,9% Badener, gegen fast den gleichen Prozentsatz mit 24,8% im Durchschnitt 1902—1911. Es folgen die Bayern (18,4%), W ü r t t e m b e r g e r (11,5%), und die Hessen (2,9%). Die sonstigen Deutschen waren mit 3 0 , 5 % beteiligt. Aus Frankreich s t a m m t e n 2 , 1 % der Bettler und Landstreicher, aus der Schweiz 2 , 8 % und aus dem sonstigen Ausland 6 , 9 % . Die badische Statistik enthält weiterhin Daten über den j a h r e s z e i t l i c h e n V e r l a u f der Bettelei und Landstreicherei, der unter I Beifügung entsprechender Ergebnisse älte| ren und neueren D a t u m s aus anderen Staaten ! in der Tabelle 4 dargestellt ist. Sie soll gleichzeitig als Ergänzung meiner diesbezüglichen Berechnungen in dem Art. „ J a h r e s zeiten" (oben I, 698ff.) dienen.
Tabelle 4. D i e j a h r e s z e i t l i c h e G e s t a l t u n g d e r B e t t e l e i u n d im In- u n d A u s l a n d . Jahre (Durchschnitt)
Jan.
Febr.
März
April
Mai
Juni
Juli
Landstreicherei
Aug. Sept. Okt.
Nov.
Dez.
Wenn durchschnittlich im J a h r e auf 1 Tag 100 Bestrafungen entfallen, so ergeben sich f ü r den Tagesdurchschnitt des Monats nachstehende Z a h l e n : Baden 1924/29 | 137 | 147 | 125 | 105 | 89 | 75 | 76 | 74 | 78 | 83 | 103 | 108 1880/87 | 167 | 162 | 132 |
Sachsen 98 | 81 | 75
1900/08 | 168 | 170
Hessen 73 | 74 | 63 | 67 | 69
| 119 |
| 62
| 64
| 62 | 74
| 59 | 73 | 114 | 151
Polen 1925/29 | 105 | 112 | 107 | 106 | 103 | 101 | 106 | 100 | 91 | Der jahreszeitliche Verlauf der Bestrafungen wegen Bettels u n d Landstreicherei zeigt hiernach überall einen sehr hohen Wintergipfel und ein gleich stark ausgeprägtes F r ü h j a h r s - und Sommer- teilweise auch Herbsttal in überaus regelmäßigem Auf- und Abstieg. Man darf mit B ö h m e r t (a. a. O. I, 17) diese Erscheinung z. T. damit erklären, daß in der wärmeren Jahreszeit die Erwerbsverhältnisse wesentlich besser und die Arbeitsgelegenheiten bedeutend häufiger als in der kalten Jahreszeit sind, andererseits aber auch darin, daß die Vagabunden im Sommer öfter in geschlossener Menge auftreten und massenweise in Wäldern und Kornschobern kampieren und auf diese Weise für die ein-
| 103 | 120
95 I
85
zelnen Polizeiorgane nahezu ungreifbar sind, während das Auseinandergehen der Vagabunden im Winter ihre Festnahme u n d dadurch eine größere Anzahl von Bestrafungsfällen erleichtert. Die obigen Zahlenreihen sind außerdem ein weiterer Beweis f ü r die enge Verwandtschaft insbesondere zwischen dem Bettel u n d der Vermögenskriminalität, deren jahreszeitlicher Verlauf oben Bd. I, 697 graphisch dargestellt ist. Wie f ü r diese die Wintermonate am ergiebigsten sind, so sind sie es in ausgeprägterem Maße f ü r jenen. 3. Im Gegensatz zur partikularen Statistik, die — wenn auch in begrenztem Umfange — über den U m f a n g der Bettelei
127
Landstreicher, Bettler, Vagabunden und Landstreicherei in einigen Teilgebieten des Deutschen Reichs Aufschluß gibt, enthält die R e i c h s - K r i m i n a l s t a t i s t i k überhaupt kein Zahlenmaterial hierüber, da die Übertretungen sowohl gegen Reichsgesetze wie auch gegen Landesgesetze nicht erfaßt werden (s. d. Art. Kriminalstatistik oben Bd. II, besonders S. 40), weil nach amtlicher Auffassung „bei der großen Zahl solcher Delikte das an den weitaus größten Teil dieser geringfügigsten Straftaten sich knüpfende kriminalstatistische Interesse mit der durch ihre statistische Bearbeitung verursachten Mühewaltung in keinem Verhältnis stehen würde (vgl. Kriminalstatistik für das J a h r 1882, Statistik des Deutschen Reichs, N. F., Bd. 8, Erläuterungen zu Übersicht I, [7]). Dieser Ausschluß jeglicher Übertretungen ist allerdings von der Wissenschaft stets als ein großer Mangel bezeichnet worden. „Bei der großen kriminal-soziologischen Bedeutung, insbesondere der in § 361 StGB, bedrohten Übertretungen" sagt z. B. v o n L i s z t bei der Besprechung des ersten Bandes der Kriminalstatistik, „ist die Nichtberücksichtigung derselben entschieden zu bedauern. Die Feststellung des gewerbs- und gewohnheitsfähigen Verbrechertums ist damit unmöglich gemacht" (vgl. Zeitschr. f. d. ges. Strafrechtswiss. 4, 320, Berlin 1884). In gleichem Sinne hat sich seinerzeit der bekannte Bonner Strafrechtslehrer S e u f f e r t geäußert: „Als ein Mangel der Reichskriminalstatistik erscheint mir dagegen die Auslassung der nach § 361 Nr. 3 bis 8 StGB. Verurteilten. Es sind die Landstreicher, Bettler, Trunkenbolde, die liederlichen Dirn.en und Arbeitsscheuen, die sogenannte petite criminalité, wie die Franzosen sagen . . . Und diese petite criminalité ist insofern kriminalstatistisch von Bedeutung, als sie vielfach die Pflanzschule des schwereren Verbrechertums ist. Die Zahl der Rückfälligkeiten bei der petite criminalité ist zuweilen überraschend. Aus Hessen wird von einer im Tabelle 5.
Jahre 1877. 1878. 1879. 1880. 1881. 1882. 1883. 1884.
. . . . . .
Alter von 40 bis 50 Jahren stehenden Frau berichtet, daß sie das Fest ihrer — hundertsten Verurteilung feierte" (vgl. Die Bewegung im Strafrechte während der letzten dreißig Jahre, Dresden 1901, S. 7/8). Es dürfte kaum in juristischen wie auch in statistischen Kreisen die Tatsache bekannt sein, daß eine — nunmehr allerdings schon der Geschichte angehörende — Statistik der Verurteilungen wegen Bettels und Landstreicherei sowie der Überweisungen an die Landespolizeibehörden für den ganzen Umfang des Reichsgebietes für die Jahre 1877 bis 1884 — und zwar für die Jahre 1882—1884 neben der Reichskriminalstatistik, und ohne daß in ihren Veröffentlichungen Material darüber zu finden ist — durchgeführt worden ist. Diese Erhebung ist durch eine Note des Reichskanzlers v o n B i s m a r c k vom 10. XI. 1882 veranlaßt worden, die in ihrer Einleitungfolgende Sätze enthielt (vgl. B e n n e c k e , a. a. O. S. 52): „Das Bettler- und Landstreicherunwesen hat, begünstigt durch die in Folge der w i r t schaftlichen Krise eingetretene Arbeitslosigkeit, seit 1877 in erheblichem Umfange zugenommen. Die Erwartung, daß hierin mit dem Wiederaufschwung der Geschäfte und mit der zunehmenden Nachfrage nach Arbeitskräften eine durchgreifende Besserung eintreten werde, scheint nicht in Erfüllung zu gehen. Vielmehr werden die sittlichen und wirthschaftlichen Kräfte der Nation durch die landstreichend und bettelnd umherziehenden Bevölkerungsmassen fortdauernd mit ernsten Gefahren bedroht." „Zur Bekämpfung dieses Unwesens wird von vielen Seiten die Verschärfung der zulässigen Straf- und Zuchtmittel durch die Reichsgesetzgebung eindringlich gefordert." „Bevor den dieserhalb gemachten Vorschlägen näher getreten werden kann, erscheint mir eine Feststellung darüber geboten, welche Ausdehnung das Übel seit 1877 genommen hat und wie und in welchem Umhange die Straf- und Zuchtbestimmungen des
Die Zahl d e r V e r u r t e i l u n g e n wegen B e t t e l e i u n d L a n d s t r e i c h e r e i im D e u t s c h e n Reich u n d d e n g r ö ß e r e n B u n d e s s t a a t e n . Deutsches Reich insgesamt 219 280 316 320 319 278 242 203
514 516 846 548 259 040 473 578
davon in Preußen
Bayern
77 92 115 119 132 118 101 76
57 81 78 83 84 72 62 60
712 685 841 269 123 245 128 426
482 582 254 807 299 960 897 264
Württemb. 19 23 30 31 15 15 20 18
597 534 968 180 366 562 692 096
Baden
Hessen
11 15 18 20 17 12 9 6
4 5 8 9 10 9 6 4
584 920 437 866 794 105 890 952
089 629 217 828 973 800 247 007
128
Landstreicher, Bettler, Vagabunden
§ 361 Nr. 3 und 4 und des § 362 S t G B , in oder Verurteilungen wegen dieser strafbaren den einzelnen Bundesstaaten zur Anwendung Handlungen angestellt. gebracht worden i s t . " F r a n k r e i c h veröffentlicht schon seit Daraufhin wurden nach Formularen, die mehr als einem Jahrhundert in dem jährlich für das ganze Reich einheitlich aufgestellt erscheinenden „ C o m p t e général de l'adminiwaren, die statistischen Feststellungen ein- stration de la justice criminelle" Angaben geleitet. Eine amtliche Drucklegung dieser über die Zahl der wegen Bettelei (mendicité) kriminalpolitisch wie auch moralstatistisch und Landstreicherei (vagabondage) angeso bedeutsamen Erhebung ist allerdings nie- klagten Personen (prévenus) unter Aufmals erfolgt. Die wichtigsten Ergebnisse gliederung nach dem Geschlecht und einigen wurden vielmehr den Regierungen der ein- Altersgruppen. E s waren angeklagt wegen zelnen Bundesstaaten abschriftlich übermittelt; sie sind in der hier schon mehrfach Bettelei Landstreicherei erwähnten Arbeit von B e n n e c k e in Gestalt im Personen der Tabelle 5 der Öffentlichkeit zugänglich J a h r e dav. dav. insges. insges. gemacht worden. Diese Zahlenreihen geben weibl. weibl. neben anderem vor allem ein Bild von dem damaligen gewaltigen Ausmaß der Bettelei 1925 3156 567 11 315 1183 und Landstreicherei im gesamten Reichs- 1926 11 824 2813 874 779 1434 gebiet, das noch deutlicher durch die Berech- 1927 3065 12 671 450 1524 3488 516 10 470 nung der Kriminalitätsziffer (Zahl der Ver- 1928 8 884 1241 479 3373 urteilten auf 100000 Einwohner) zum Aus- 1929 druck kommt. Diese betrug im J a h r e 1880, Demnach sind in Frankreich die Anklagen in dem die absoluten Verurteiltenzahlen im allgemeinen den Höchststand erreichten, im wegen Landstreicherei weit häufiger als wegen Deutschen Reich 711, in Preußen 439, in Bettelei. Das weibliche Geschlecht ist in Bayern 1590, in Württemberg 1584, in Baden diesen fünf J a h r e n an der Bettelei durch1333, in Hessen 1053 und in Sachsen 756. Die schnittlich mit 18,1 % , an der Landstreicherei Ergebnisse dieser Erhebung sind noch nach dagegen mit nur 9,1 % beteiligt. Die Altersanderen Gesichtspunkten außer von B e n - gliederung der im Durchschnitt dieser fünf n e c k e vor allem durch v. H i p p e l unter J a h r e Angeklagten ergibt folgendes B i l d : besonderer Berücksichtigung der Überweisungen an die Landespolizeibehörden für die meisten deutschen Bundesstaaten ausgewertet worden (a. a. O. S. 39):
„ D i e Reichsstatistik des Bettels und der Landstreicherei für 1877 bis 1884", bemerkt v o n M a y r (a. a. O. III, 654), „verdiente noch heute in ihrer vollen und territorialen und sachlichen Ausgliederung in gründlicher wissenschaftlicher Durcharbeitung veröffentlicht zu werden. Noch aktueller ist aber meines Erachtens das Bedürfnis, d i e s e E r m i t t e l u n g e n f ü r d a s R e i c h und zwar als B e s t a n d t e i l der J a h r e s a u s w e i s e der K r i m i n a l s t a t i s t i k wieder aufzunehmen, und zwar — wenn irgend möglich als Bestandteil einer allgemeinen Statistik der Übertretungen aller Art gegen Reichsgesetze — falls solches nicht erreichbar, als S t a t i s t i k d e r V e r u r t e i l u n g e n (bzw. Überweisungen an die L a n d e s p o l i z e i b e h ö r d e w e g e n V e r f e h l u n g g e g e n § 361 Ziff. 3 und 4 des Reichsstrafgesetzbuchs)." 4. Während also in den deutschen Ländern, vornehmlich im Deutschen Reich, gegenwärtig die Theorie einer Statistik der Bettler und Landstreicher noch sehr weit von ihrer Praxis entfernt ist, werden im A u s l a n d von einer Reihe von S t a a t e n teilweise schon seit langer Zeit statistische Beobachtungen vorwiegend über die Aburteilungen
Altersklassen unter 18 J a h r e alt . . . . 18—21 J a h r e alt . . . . über 21 J a h r e alt . . . . zusammen . .
Bettelei insges.
%
Landstreicherei o/ insges. /o
67
2,1
1 481
13,4
70
2,2
979
8,9
3042 95,7 8 574 3179 | 100,0 11 034
77,7 100,0
Während von den Bettlern nur 4 , 3 % unter 21 J a h r e alt waren, betrug der entsprechende Anteil bei den Landstreichern 22,3%. Wenn in den letzten J a h r e n von 100000 Einwohnern nur rd. 8 Personen wegen Bettelei und rd. 27 wegen Landstreicherei vor Gericht standen, so dürften diese niedrigen Zahlen aus der verhältnismäßig günstigen Wirtschaftslage Frankreichs zu erklären sein. Ferner enthält der obige Bericht noch eine Tabelle mit Angaben über die Zahl der jährlichen Festnahmen im Seine-Departement (Oberfläche 480 qkm mit einer Einwohnerzahl von 4,629 Mill. nach der Volkszählung von 1926). Dort wurden beispielsweise im J a h r e 1929 wegen strafbarer Handlungen insgesamt 24141 (1928: 24878) Personen festgenommen, davon 1128 (1928: 1443) oder
Landstreicher, Bettler, Vagabunden 4 , 7 % (5,8%) wegen Bettelei und 3187 (1928: 4615) oder 13,2% (18,6%) wegen Landstreicherei. In E n g l a n d u n d W a l e s ist in der Kriminalstatistik (Criminal statistics) seit 1857 ein besonderer Abschnitt über Polizeistatistik enthalten, in welchem u. a. bei den leichten strafbaren Handlungen (non-indictable offences) die Zahl der Personen angeführt ist, gegen welche ein Verfahren Platz gegriffen hat. Der zuletzt erschienene J a h r gang 1931 dieser Statistik enthält hierüber nachstehende Angaben: Jahre
1900/09 1910/19 1920/24 1925/29 1930 . 1931 . 1900/09 1910/19 1920/29 1925/29 1930 . 1931 .
Zahl
auf 100000 Einwohner
Bettelei (begging) 21 818 64,9 40.4 14 265 12.5 4 754 12,2 4 803 11,8 4 675 10,0 4016 Landstreicherei (sleeping out) 10 967 32,6 5 105 14,5 2 607 6,8 2 163 5,5 1 995 5,0 1 612 4,0
129
Sehr ausführliches und vor allem reichgegliedertes Datenmaterial wird in der „Kriminalstatistik f ü r die Tschechos l o v a k i s c h e R e p u b l i k " geboten. Es betrug die Zahl der Verurteilten wegen Jahre 1923 1924 1925 1926 1927
Bett elei dav. insges. weibl.
insges.
9934 9094 8109 7553 6895
17 17 17 16 16
1258 1528 1717 1569 1536
Landstr eicherei dav. weibl. 540 079 272 806 730
2767 3527 3881 3288 3132
Die auf 100000 berechnete Kriminalitätsziffer stellt sich bei der Bettelei auf 59, bei der Landstreicherei auf 120. Die weiblichen Personen waren in den fünf Berichtsjahren an der ersteren durchschnittlich mit 18,3% an der letzteren mit 19,4% beteiligt. Die Einzelergebnisse sind als Beispiel einer brauchbaren Statistik der wichtigsten individuellen und allgemeinen aetiologischen Faktoren der Bettelei und Landstreicherei in der Tabelle 6 zusammengestellt. Die Gliederung derselben in das Gebiet von Böhmen und Mähren-Schlesien einerseits und in das der Slowakei und Karpatho-Rußland andererseits ist deshalb notwendig, weil in jenem das formelle und materielle Strafrecht gilt, wie es durch die Gesetze des ehemaligen Österreich geregelt worden war, während in diesem noch die ehemaligen ungarischen Strafgesetze in Kraft sind. Von einer Erläuterung der verschiedenen Angaben muß aus Raumgründen abgesehen werden. Sie sind andererseits aber so sprechend, daß ihre Deutung dem Leser keine Schwierigkeiten bereiten dürfte. Erwähnenswert ist noch die reichgegliederte Tabelle über die R ü c k f ä l l i g k e i t der in Böhmen, Mähren und Schlesien in den Jahren 1923—1927 Verurteilten. Es geht daraus hervor, daß von der Gesamtzahl der Vorbestraften bei
Schon die absoluten Zahlen, noch mehr aber die Kriminalitätsziffern lassen seit der Jahrhundertwende eine namentlich in den Nachkriegsjahren ganz bedeutende Abnahme bei diesen Delikten erkennen. Dem Geschlecht nach waren von den Personen, gegen die in den Jahren 1927 bis 1931 wegen Bettelei verfahren wurde, 7,1 % weiblich, bei der Landstreicherei dagegen 15,9%. Die Kriminalstatistik von Ö s t e r r e i c h weist in ihrem Tafelwerk die Gesamtzahl der gemäß § 1 u. 2 des Landstreichergesetzes vom 24. V. 1885 wegen Landstreicherei sowie wegen Bettelei verurteilten Personen aus unter besonderer Ausgliederung der weiblichen Personen und der Ausländer. In dem Landbisher durch Bettelei Zeitraum 1926—1930 wurden jährlich 2734 streicherei Personen wegen Landstreicherei und 4793 wegen Bettelei rechtskräftig verurteilt. Hier1 7,0% 7,2% an waren die weiblichen Personen mit 15,4% 2 5,6% 5,9% bzw. 12,3% und die Ausländer mit 15,9% 3 4,7% 4,8% bzw. 29,4 % beteiligt. Von den ausländischen 4—5 8,0% 7,8% Bettlern wiederum waren 11,3%, von den 6 — 10 14,8% 14,6% ausländischen Landstreichern 9 , 0 % weib11—20 18,2% 17,3% lichen Geschlechts. 21—30 10,6% 10,1% 31—50 13,2% 12,6% Bezogen auf 100000 Personen trafen in 51—100 12,8% 12,8% Österreich in den Jahren 1926/30 71,7 wegen mehr als 100 5,1% 6,9% Bettels und 41,0 wegen Landstreicherei Verurteilte. Urteile verurteilt worden waren 1 Gibt es 9 Handwörterbuch der Kriminologie, fid. n .
Landstreicher, Bettler, Vagabunden
130
Tabelle 6. B e t t e l e i u n d L a n d s t r e i c h e r e i in d e r T s c h e c h o s l o w a k e i . Bettelei Bezeichnung
Landstreicherei
Böhmen, Mähren und Schlesien
Slowakei u. Böhmen, Karpatho- Mähren und Rußland Schlesien
Slowakei u. KarpathoRuBland
1926 | 1927
1926 | 1927
1927
1926
1927
1926
Verurteilte insgesamt . Geschlecht: männlich . weiblich Geburtsort: Böhmen darunter Hauptstadt Prag . Mähren und Schlesien . . . darunter Stadt Brünn . Slowakei darunter Stadt Bratislawa . KarpathoruBland . . . . im Auslande . Lebensalter: 12—14 J a h r e . . . über 14—18 J a h r e . von 18—20 J a h r e n „ 20—25 „ „ 25—30 „ „ 30-40 „ „ 40—50 „ „ 50—60 „ „ 60—70 „ . . . . „ 70 Jahren und darüber . Letzter Wohnsitz: der gleiche oder im gleichen Qerichtsbezirk gelegen wie der Geburtsort anderwärts gelegen als der Geburtsort Größe des letzten Wohnsitzes: Gemeinde mit bis zu 5000 Einwohnern Gemeinde mit über 5000 bis 10000 Einwohnern. . . . Gemeinde mit über 10000 bis 50000 Einwohnern. . . . Gemeinde mit über 50000 Einwohnern Hauptstadt Prag (676657 Einwohner) Brünn (221758 Einwohner) . Mährisch-Ostrau (113709 Einwohner) Bratislawa (93189 Einw.). . u n b e k a n n t ; letzter Wohnsitz: wechselnd im Auslande gelegen . unbekannt . . . . Tatort der Haupttat: der gleiche oder im gleichen Gerichtsbezirk gelegen wie der letzte Wohnsitz . . . anderwärts gelegene als der letzte Wohnsitz
6982
6319
571
576
15484 15418
1322
1312
5655 1327
5128 1191
329 242
231 345
12817 12 903 2 667 2 5 1 5
701 621
695 617
4743 272 1596 119 60 1 5 542
4351 174 1432 77 55 1 3 458
6 29 3 466 5 53 17
7 2 28 1 465 2 61 15
9 493 9 477 442 407 4013 4009 243 210 243 265 3 3 25 29 1 585 1 565
42 3 128 14 721 23 288 142
56 4 98 10 698 12 352 107
233 180 463 519 1101 1632 1716 903 233
227 130 373 402 1040 1536 1560 863 188
1 15 27 45 50 94 128 114 71 18
18 27 63 56 119 121 88 71 11
784 728 907 843 1 833 1 656 1 521 1 456 2 548 2 466 3 1 5 4 3 292 3 1 8 5 3 373 1406 1 434 143 166
3 102 180 389 218 221 122 57 26 1
4 131 191 320 209 229 128 58 34 7
1369
1228
299
337
661
618
299
318
1305
1171
121
145
602
577
364
297
1769
1693
347
420
793
777
279
282
222
214
26
24
106
122
50
56
243
181
36
33
163
148
261
250
27
39
4
4
20
28
32
10
233 150
128 105
63 74
38 52
3 2
2
40 4
27 3
2 34
1 14
14133 14163 57 85 3 3
645 14
685 12
—
—
34 —
4281 23
39 —
3909 11
—
—
1 6
1
147 4
93 1
—
1736
1465
252
357
477
468
359
334
963
939
172
126
870
783
318
293
131
Landstreicher, Bettler, Vagabunden Nach Tabelle 6 .
Bettelei und; Landstreicherei in der Tschechoslowakei. Landstreicherei
Bettelei
Bezeichnung
Böhmen, Mähren und Schlesien 1926
1927
Slowakei u. KarpathoRußland 1926
1927
Böhmen, Mähren und Schlesien 1926
Slowakei u. KarpathoRußland
1927
1926
1927
Verurteilte Größe des Tatortes der H a u p t t a t : Gemeinde mit bis zu 5 0 0 0 E i n wohnern Gemeinde mit über 5 0 0 0 bis 10000 Einwohnern. . . . Gemeinde mit über 1 0 0 0 0 bis 50000 Einwohnern. . . . Gemeinde mit über 5 0 0 0 0 E i n wohnern . . . Hauptstadt Prag Brünn Mährisch-Ostrau . Bratislawa T a t o r t u n b e k a n n t oder im Ausland gelegen Nationalität: tschechoslowakisch russisch (großrussisch, ukrainisch, karpathorussisch) . deutsch... magyarisch polnisch jüdisch Glaubensbekenntnis: römisch-katholisch griechisch- und armenisch-katholisch. evangelisch tschechoslowakische K i r c h e . griechisch-orthodox. . israelitisch . konfessionslos . CnhulkllilfiMn • scnuiDiiaung.
weder lese- noch schreibkundig bloß lesekundig lese- und schreibkundig . . zurückgelegte Mittelschule od. ihr gleichgestellte Fachschule . . Hochschule unbekannt . Familienstand:. ledig . . . verheiratet verwitwet gerichtlich geschieden oder getrennt Beruf (ehemaliger): L a n d - u. F o r s t w i r t s c h a f t und F i s c h e r e i : Selbständige und P ä c h t e r Beamte und Angestellte höherer Art sonstige Angestellte . . .
3882
3737
308
379
9 476
9 650
202
240
1227
1112
92
47
2 391
2572
104
131
934
824
125
133
2 365
2175
656
725
52 621 217 45
67 394 140 38
1
177 382 374 315
179 219 313 292
— —
—
—
—
—
—
46
16
7
4038
3663
378
388
13 2856 3 38 4
6 2573 2 56 1
25 14 47 39
30 8 57 1 29
6441
5805
452
475
4 156 101 6 25 241
2 143 82 8 27 239
37 20
39 21
1083 27 5871
877 21 5418
—
1 —
1 1 1
—
—
—
—
1 52 1
3 36 2
377 8 161
413 8 155
—
—
—
—
25
3768 1904 1024
3288 1798 896
248 230 90
286
334
3
36
44
1
646
513
7
—
—
18
4
4
—
—
—
—
—
—
—
347
213 2
—
10140 10087
627
611
70 4 903 16 254 17
212 78 256 23 63
267 45 272 12 48
1 3 9 6 4 13 9 9 9
870
831
20 457 209 37 104 558
228 78 2 15 107 8
290 76 1 15 88 10
2717 2417 49 73 12 6 8 2 12 9 3 4
575 8 711
510 8 792
77 4899 20 236 6
24 485 219 62 95 597
11
16 2
—
1
—
1
13 —
2
1 —
—
27
— —
11 106 11 031 2 2 4 0 2 237 1 599 1 552
1105 153 51
1071 177 57
536
592
13
7
2
6
4
1
13
2 1 500
1 1438
250 236 90 —
—
—
15
9*
—
2 22
Landstreicher, Bettler, Vagabunden
132 Nach Tabelle 6.
Bettelei und Landstreicherei in der Tschechoslowakei. Bettelei
Bezeichnung
Landstreicherei
Böhmen, Mähren und Schlesien
Slowakei u. KarpathoRußland
1926
1926
1927
1927
Böhmen, Mähren und Schlesien
Slowakei u. KarpathoRußland
1926
1927
1926
1927
15
2
1
9 6 4 855 4461
1 188
186
Verurteilte Industrie und Gewerbe: Selbständige und Pächter Beamte und Angestellte höherer Art . . . sonstige Angestellte . . . Handel, Geldwesen und Verkehr: Selbständige und P ä c h t e r . Beamte und Angestellte höherer Art sonstige Angestellte . . . S t a a t s - u. s o n s t , ö f f e n t l . Verwaltung, Schulwesen und Erziehung: Beamte, Lehrer u. dgl.. . Angestellte . . . . Wachdienst . freie Berufe Hausdienerschaft u. selbständig ausgeübte häusliche Dienste Pensionisten, Ausgedinger, Invaliden Arbeiter ohne nähere Angabe Tagelöhner sonstiger Beruf und ohne Berufsangabe . . Berufslose...
40
25
6 2316
2 1830
52
43
16 150
18 90
1 7
1 —
40
—
—
59
47
3 —
2
49
36
9
3
3
38 342
32 247
4 27
3 40
3
—
4
1
10
13
6
5
29
2 1 31
273
194
3
8
826
657
203
116
112
3
1
39
31
1
2
1044 1104
926 805
62 108
77 135
1 604 2079
1 527 1979
112 153
121 140
1152 13
1693 8
312 2
283
4058 5
4 941 9
598 1
544
—
3 —
wohl einen deutlicheren Beweis f ü r die große kriminologische Bedeutung der Bettelei und Landstreicherei als dieses Zahlenbeispiel ? Nach der Kriminalstatistik der N i e d e r l a n d e (Crimineele Statistiek) wurden in den Jahren 1927—1931 rund 800—960 Verurteilungen wegen Bettelei und Landstreicherei (eenvoudige bedelarij en landlooperij) oder 9,1—12,7 auf je 100000 Einwohner ausgesprochen gegen 612 oder 9,9 auf die gleiche Anzahl Einwohner im letzten Vorkriegsjahr. Von den im Durchschnitt der J a h r e 1927/30 wegen Bettelei und Landstreicherei verurteilten Individuen waren 8 6 , 9 % vorbestraft. Besonders hoch waren In den beiden letzten Berichtsjahren die Verurteiltenzahlen wegen Bettelei und Landstreicherei in den Provinzen Gelderland und Süd-Holland. Charakteristisch für diese Erscheinung in der letztgenannten Provinz ist aus dem Geschäftsbericht der Verwahrungsanstalt in Dordrecht folgende Erklärung:
—
—
—
—
—
—
—
—
—
—
7
4 243
—
„Opmerkelijk was het groote aantal landloopers, dat in Dordrecht veroordeeld werd en van hieruit naar de Rijkswerkinrichtingen te Veenhuizen werd overgebracht. Gevraagd aan enkelen, waarom ze naar Dordrecht kwamen om opgezonden te worden, was meestal het antwoord, dat de preventieve hechtenis hier slechts ein ä twee dagen duurde en d a t ze betrekkelijk de opzending kregen, die ze gaarne hadden" (a. a. O., Jahrg. 1931, S. 10). Uber die Verbreitung und die Zusammensetzung der Bettelei und Landstreicherei in den Niederlanden in der Vorkriegszeit hat sich de R o o s in seiner in diesem Werk schon wiederholt zitierten Abhandlung „Inleiding tot de beoefening der crimineele aetiologie" (Haarlem 1908) ausführlich geäußert. Die d ä n i s c h e Kriminalstatistik (Danmarks Retspleje) enthält eine besondere Übersicht über die Verurteilungen wegen Bettelei und Landstreicherei (Betleri og lignende Forseelser [Lpsgaengeri og nogle
Landstreicher, Bettler, Vagabunden dermed beslsegtede Overtraedelser af Lov 15/5 1875 og Lov 1/4 1911 § 8]). Es wird hierbei ausgewiesen der Ort der Verurteilung (gegliedert nach Landesteilen, Provinzstädten und Landgemeinden) das Alter und die Vorbestrafung kombiniert mit dem Geschlecht der Verurteilten. Es wurden im Durchschnitt der Jahre 1921/25 insgesamt 1307 Personen wegen Bettelei und Landstreicherei straffällig gegenüber beispielsweise 3165 in den Tabelle 7.
Altersklassen
14—18 J a h r e 18—20 „ 20—25 „ 25—30 „ 30—40 „ 40—50 „ 50—60 „ 60 Jahre und darüber . insgesamt .
Jahren 1901/05. Davon waren 236 = 18,1 % bzw. 107 = 3 , 4 % weiblich. Die auf 100000 Einwohner berechnete Kriminalitätsziffer beträgt f ü r das letzte Berichtsjahrfünft insgesamt 40, in Kopenhagen und Frederiksberg 75, in den Provinzstädten 64 und in den Landgemeinden 19. Die dänische Statistik zeichnet sich durch eine ziemlich eingehende A l t e r s g l i e d e r u n g der Verurteilten aus, über welche die Tabelle 7 Aufschluß gibt.
D a s A l t e r d e r B e t t l e r u n d L a n d s t r e i c h e r in insgesamt
133
Dänemark.
Verurteilte 1921/25 Auf 100000 der über 14 Jahre alten Bevölkerung Kopenhagen ProvinzLandund Fredeinsgesamt städte gemeinden riksberg
männlich
weiblich
8 55 220 154 277 236 89
1 22 111 63 29 8 1
1 98 181 179 171 151 106
14 190 300 200 219 250 105
5 51 90 68 70 75 40
6 86 154 123 128 130 67
32 1071
1 236
29 128
35 170
13 52
20 93
Von den 1921/25 wegen Bettelei und Landstreicherei verurteilten männlichen Personen waren 7 0 , 4 % bereits wegen Bettelei und 11,6 % wegen anderer Delikte vorbestraft; bei den weiblichen Verurteilten stellen sich die entsprechenden Sätze auf 70,0% bzw. 10,7%. Das Statistische Jahrbuch von P o l e n (Rocznik Statystyki Rzeczypospolitej Polskiej) bringt eine Übersicht über die verschiedenen angezeigten Verbrechen und Vergehen, nach welcher in den Jahren 1925 bis 1929 durchschnittlich 29629 Fälle von Bettelei und Landstreicherei oder 53,5 auf 100000 der Bevölkerung zur Anzeige gelangten. Die Übersicht ist weiter aufgeteilt nach dem Ort und der Zeit der Tat. Letztere ist in der Tabelle 4 auf S. 126 dargestellt. In E s t l a n d wurden in den Jahren 1924 bis 1930 87—310 Fälle oder 0,8—2,8 auf 100000 Einwohner der Polizei angezeigt. Sehr reichhaltiges Material bietet auch die g r i e c h i s c h e Kriminalstatistik (''EyxXi)paiohjyinTj Statiaxixr
rr
Ort und A r t der Ausführung
In gem. W o h n u n g erschlagen I m Treppenhaus erschossen In deren Zigarrengeschäft erschossen Auf Landstraße erschossen I m Büro erstochen
Motiv: 1 2 3
4 5 6 7
Urteil
Eifersucht
1 J. Gef.
8 H J- z. 12 J. 6 Mon. 1 . 10 J. 6 Mon. Z .
7 J. Gef.
Streit.
In
Laubenkolonie erstochen A u s Händelsucht in Lokal erschossen Im Büro erstochen
Streit
2 J. 6 Mon. Gef. 12 J. Z. 4 J. Gef.
In W o h n u n g mit Beil erschlagen Auf gemeins. Arbeitsstelle mit H a m m e r erschlagen In Laube erschlagen
2 J. Gef.
In W o h n u n g erstochen
7 J. Z.
Verurteilungen
wegen schweren
3 männl. 20, 21, 20 J.
Milchhändlerin
In ihrem Laden erwürgt
männl. 21 J. 2 männl. 26, 27 J. 1 männl. 34 J. 4 männl. 19, 19, 20, 20 J.
Obsthändlerin Klavierlehrerin Passantin
In W o h n u n g mit Stein erschlagen In ihrer W o h n u n g erwürgt Auf Straße v o n hinten angeschossen In elterlicher W o h n u n g erwürgt
Portiersohn
Motiv
Psychologische Auswertung obiger Einzelfälle. Unter den 60 Verurteilungen befinden sich 8 wegen Mordes, 47 wegen Totschlags und 5 wegen schweren Raubes. In den Fällen des Mordes wurde siebenmal auf Todesstrafe, einmal auf 10 Jahre Gefängnis erkannt. N i c h t weniger als 3 der wegen Mordes verurteilten Personen haben jeder mindestens 2 Menschen g e t ö t e t , und zwar zwei v o n ihnen gelegentlich z w e i e r v e r s c h i e d e n e r T a t e n , der dritte gelegentlich e i n e r T a t . Die männlichen T ä t e r befinden sich im A l t e r v o n 17—33 Jahren; überwiegend ist das A l t e r bis M i t t e 20. Gerade eine der grausamsten T a t e n — die Ermordung eines Ehepaars — ist durch einen Jugendlichen im A l t e r v o n 17 Jahren erfolgt. Die ebenfalls zum T o d e verurteilte Frau hatte
8 J. Z.
9 J. Z .
Raubes. Habsucht
6 J. Z „ 2 J. 6 Mon. Z., 2 J. 3 Mon. Z. 12 J. 3 Mon. Z. Je 12 J. Z. 8 J. 3 Mon. Z. Je 12 J. Z.
bereits 1919 in einem Flüchtlingslager in Hammerstein das K i n d ihrer Schwester — angeblich aus Mitleid, weil es krank gewesen und v o n den Eltern häufig mißhandelt worden sei — v e r g i f t e t . In den übrigen Fällen des Mordes k o m m t Habsucht als M o t i v in Frage. In den 47 Fällen, in denen Verurteilungen wegen Totschlags erfolgt sind, handelt es sich um folgende M o t i v e : Habsucht in 8 Fällen, sexuelle M o t i v e in 4 ( 5 ) Fällen (einer der Verurteilten ist R a u b - u n d Sexualmörder und müßte daher beiden K a t e g o r i e e n zugezählt werden), Ehe und Familienzwist in 14 Fällen, Eifersucht in 14 Fällen, Streit in 7 Fällen. Bei Totschlag ( M o t i v Habsucht) stehen die T ä t e r (sämtlich männlich) im A l t e r v o n 20 bis 25 Jahren, der älteste ist 33 Jahre. Für die Totschläge auf sexueller Basis kommen
Mord nur Männer im Alter von 25, 26, 38 und 53 Jahren in Frage. Bei Totschlag (Ehe- und Familienzwist) finden sich 2 weibliche Täter: 56 und 54 Jahre. Die letztere hat 2 junge Männer zur Tötung ihres Ehemannes angestiftet. Interessant hier die Liste der Opfer: 7mal die Ehefrau — 3 mal der Ehemann — 1 mal der Schwiegervater — 2 mal der Stiefvater — 1 mal ein 3jähriger Sohn. Unter den 14 Tätern, die aus Eifersucht Totschlag verübten, befinden sich eine Frau (19 Jahre), im übrigen Männer der verschiedensten Altersklassen. Die Opfer: 4mal die Ehefrau, 6 mal die Geliebte bzw. Braut des Täters (auch frühere), je 1 mal: der Ehemann der Geliebten des Täters, der Liebhaber der Ehefrau des Täters — der Freund der Braut des Täters —. Von den wegen schweren Raubes verurteilten 11 Personen stehen nicht weniger wie 8 im Alter von 19—21 Jahren — die übrigen sind 26, 27 und 34 Jahre alt. Auch hier also wieder die Erscheinung, daß die schwersten Kapitalverbrechen von Personen in diesem Alter verübt werden. Der M e h r f a c h - , G e w o h n h e i t s - u n d M a s s e n m ö r d e r . Der Sexual- und Raubmörder B ö t t c h e r sowie der Raubmörder K r a u s e sind Übergangserscheinungen zum Typ des Gewohnheits- bzw. Massenmörders. Die bereits erwähnte merkwürdige Mischung der Motive bei B ö t t c h e r — Sexualität und Raub — zeigt sich auch bei dem Massenmörder H a a r m a n n : Er tötete seine Opfer — junge Männer — aus sexuellen Gründen, trieb aber außerdem noch Handel mit ihren Kleidungsstücken. Rein sexuelle Gründe waren es, die den Gewohnheitsmörder Schumann veranlaßten, in gewissen Waldbezirken in der Umgebung Groß-Berlins Liebespärchen zu erschießen, und zwar gerade dann, wenn sie Zärtlichkeiten austauschten. Ebenfalls eine sexuelle Basis hatten die Taten des Massenmörders G r o ß m a n n (Berlin): Wie H a a r m a n n hatte auch er sozusagen eine bestimmte Methode. Seine Opfer suchte er auf dem in der Nähe seiner Wohnung belegenen Schlesischen Bahnhof. Die Mädchen — meistens Durchreisende ohne Arbeit, Wohnung und Anhang — nahmen sein Angebot, bei ihm als Wirtschafterin tätig zu sein, gern an. In seiner Wohnung angelangt, gab er der neuen Angestellten einen kleinen Geldbetrag mit dem Auftrag, für ihn einzuholen. Kam sie dann zurück, entwickelte sich auch das Weitere nahezu schematisch: G. behauptete, seine neue Stütze habe ihn betrogen — er provozierte einen Streit, in dessen Verlauf er das Mädchen mit einer Reibekeule erschlug. Dann zerstückelte er die Leiche. Nicht ganz klar sind die Motive des Massenmörders D e n k e , der seinerzeit in Münsterberg im Laufe einer Reihe von Jahren über 20 Handwerksburschen ermordete. Das Fleisch seiner Opfer pökelte er nicht selten ein, hat auch
197
selbst davon gegessen. In einigen Fällen benutzte er die Haut zur Anfertigung von Hosenträgern. Besonderes Interesse hatte er für das Gewicht seiner Opfer. Er f ü h r t e Listen, in denen er das Gewicht des „nackten" und des „ausgeschlachteten" Körpers notierte. Die Taten des K ü r t e n sind noch in frischer Erinnerung. In allen diesen Fällen hat es oft viele Jahre gedauert, ehe die Ermittlung des Täters gelang, obwohl sie ihre Verbrechen zum Teil in eng bewohnten Häusern ausgeführt hatten. Die geschilderten Fälle veranschaulichen besonders eindringlich die Notwendigkeit, dem Verschwinden von Personen bestimmten Alters und Geschlechtes — namentlich wenn hier Häufungen eintreten — besondere Beachtung zu schenken. Verallgemeinert man die obigen Ergebnisse bezüglich der M o t i v e d e s M o r d e s , so ist in den weitaus meisten Fällen d a s S t r e b e n n a c h p e r s ö n l i c h e m V o r t e i l die Triebfeder des Täters. Dieser Vorteil kann finanzieller bzw. wirtschaftlicher Art sein — er kann aber auch bestehen in der Beseitigung von Personen, die dem Täter aus anderen Gründen im Wege sind. Die primitivste Form der hier zu erwähnenden Tatbestände ist der sogenannte R a u b m o r d . Das Opfer wird getötet, um ihm irgendwelche Wertsachen abzunehmen. In vielen Fällen steht die vom Täter angestrebte oder tatsächlich erzielte Beute in einem absoluten Mißverhältnis zu der Brutalität seines Vorgehens. Namentlich jüngere Täter sind es, denen der Gedanke, daß sie auch ohne das Risiko der Begehung eines Mordes — vielleicht auf dem Wege des Diebstahls oder sonstiger leichterer Straftaten — entsprechende Werte an sich bringen könnten, scheinbar überhaupt nicht in den Sinn kommt. Ein Beispiel: Nicht selten tötet ein Handwerksbursche seinen Reisegenossen, um sich dessen wenige Habseligkeiten anzueignen. Hierher gehören auch die Morde, die durch polnische Verbrecher begangen werden. Bei ihren Verbrechen machen sie fast immer in sehr weitgehender Weise von der Schußwaffe Gebrauch — fast immer in sehr viel größerem Umfange, als der von ihnen angestrebte Zweck erforderlich macht. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß es Freude an der Benutzung der Waffe, am wilden Drauflosschießen ist, die dieses — zum Teil sinnlose, ja bisweilen geradezu zweckwidrige — Gebahren verständlich macht. Ähnliche Empfindungen leiteten offenbar das Handeln zweier jugendlicher Mörder, die ihr Opfer — einen Brauereibesitzer in Brandenburg a. H. — in bestialischer Weise erstochen hatten. Der Befund konnte zunächst sehr wohl auf sadistische Motive hindeuten. Diese lagen aber keineswegs vor —
198
Mord
die Täter hatten vielmehr das Mordwerkzeug, einen Dolch, unter Aufwendung ihres letzten Geldes gekauft; ganz augenscheinlich sahen sie in einer möglichst intensiven Benutzung dieser Waffe einen notwendigen Ausgleich für die aufgewendeten Kosten. Übrigens haben insbesondere jugendliche Mörder häufig eigenartige Vorstellungen von der Langlebigkeit ihrer Opfer: Alten Leuten, schon durch Erwürgen getötet, wird ein Knebel in den Mund gezwängt und dieser nicht selten sogar festgebunden. Hinzu tritt dann bisweilen noch Fesselung an Händen und Füßen. Außerordentlich interessant ist das Studium der Frage, in welcher Weise die hier zu erwähnenden Täter ihre Beute verwenden oder verwenden wollen. Begreiflicherweise sind es auch hier gerade jugendliche Täter, die möglichst bald die Vorteile ihres Geldbesitzes genießen wollen. Sie machen alle möglichen, zum Teil f ü r sie völlig nutzlosen Anschaffungen, veranstalten Zechgelage u. dgl. Welch ein Unterschied zwischen dieser Gruppe und dem Raubmörder Bluhtne, der in Berlin eine Zimmervermieterin und zwei Geldbriefträger ermordete. Sicherlich einer der raffiniertesten Verbrecher überhaupt ! — Mit der von ihm erhofften — aber weit hinter seinen Erwartungen zurückgebliebenen Beute wollte er die Aufführung zweier von ihm verfaßten Theaterstücke finanzieren: „Simili" — das andere „Der Fluch der Vergeltung". Wenn man bei der Kriminalpolizei mit der Wahrscheinlichkeit rechnet, daß gerade unmittelbar vor irgendwelchen Feiertagen Kapitalverbrechen vorkommen und demgemäß von „Weihnachts"-, „Ostermorden" usw. spricht, so ergibt sich auch hier ein aufschlußreicher Einblick in das Motiv der Täter: Unter den oben erwähnten Fällen der Verurteilung wegen Mordes befindet sich auch ein derartiger Weihnachtsmord: Der Täter wollte seiner Freundin auf alle Fälle ein entsprechendes Weihnachtsgeschenk machen. Da er hierzu auf reellem Wege nicht die Möglichkeit hatte, mußte das junge Mädchen, mit dem er im Abteil II. Klasse in einem Vorortzuge fuhr, ihr Leben lassen I — Auch dem Rauchwarenhändler W. in Britz wurde das Weihnachtsfest in ähnlicher Weise Schicksal! Er wurde von seinem Reisenden aus gleichem Anlaß erschlagen und beraubt. Auch sonst kommt das Bestreben, sich die Zuneigung einer Frau zu erwerben oder zu erhalten, nicht selten als Motiv f ü r Bluttaten der schwersten Art in Frage. In einem derartigen Fall, in dem das weibliche Idol jenes jungen Mannes ihm ziemlich unverblümt angedeutet hatte, sie würde seinen Rivalen bevorzugen, wenn er ihr nicht mehr bieten könne, hat sie ihn nachher nicht nur verraten,
sich vielmehr auch noch in sehr energischer Weise um Zubilligung der Belohnung erworben. In den hier geschilderten Fällen war es Liebe zu einer Frau, die das Handeln des Täters bestimmte. „Aus Furcht vor seiner Schwiegermutter" hat ein bis dahin unbescholtener Arbeiter einen Raubmord begangen. Ohne sein Verschulden hatte er die Arbeit verloren, wagte es aber nicht, dies seiner Frau und Schwiegermutter mitzuteilen. Morgens ging er wie gewöhnlich fort, angeblich zur Arbeit — zur gewohnten Zeit kehrte er auch wieder heim. Der Tag der Lohnzahlung k a m : Er mußte unbedingt Geld schaffen. Eine auf der Landstraße ihm begegnende Frau wurde sein Opfer. Die Beute deckte sich ungefähr mit dem Lohnbetrag. Der Gedanke, daß er sich seiner Frau und Schwiegermutter hätte offenbaren oder daß er sich das Geld vielleicht auf harmlosere Weise hätte beschaffen können, ist auch diesem Mörder nicht gekommen. Die Vorteile, die der Täter erstrebt, brauchen durchaus n i c h t i m m e r s o f o r t greifbar zu sein: Hier zu erwähnen sind die Fälle, in denen Personen beseitigt werden, um die Voraussetzungen f ü r Fälligkeit einer Erbschafts-, Versicherungssumme oder sonstiger Werte und Leistungen zu schaffen. Erst wenige Wochen vor Niederschrift dieser Ausführungen wurde in Berlin eine Postbeamtenfrau zu einer Zuchthausstrafe von 15 Jahren verurteilt, weil sie, um eine dann fällig werdende Versicherungssumme von 3000 M. zu erlangen, zweimal den Versuch gemacht hatte, ihr öjähriges Töchterchen ums Leben zu bringen. Zunächst hatte sie dem Kinde zusammengebundene Stecknadeln gegeben, demnächst das Mädchen eines Abends von einer Eisenbahnbrücke auf den darunter befindlichen Bahnkörper geworfen. Das Kind lag stundenlang zwischen den dahinrasenden Zügen, blieb aber wie durch ein Wunder verschont und kam mit verhältnismäßig geringfügigen Verletzungen davon. Hier war die Versicherung auf den Namen des Opfers abgeschlossen. Wenigstens in der Ausführung der Tat gleichartig sind diejenigen Fälle, in denen der Täter die Versicherung auf seinen Namen abgeschlossen hat, in denen er also, um die Fälligkeit der Summe herbeizuführen, seinen eigenen Tod vortäuschen muß. Auch solche Fälle haben sich gerade in den letzten Jahren mehrfach ereignet: Zu den bekanntesten dürfte derjenige des Möbelhändlers S. gehören, der in Ostpreußen sein Geschäft in Brand steckte, nachdem er vorher — im Zusammenwirken mit Angestellten — einen Wanderburschen erschlagen und die Leiche in den Laden gebracht hatte. Verschiedene,
Mord dem Toten zugesteckte Wertsachen des S. sollten dann den Anschein erwecken, dieser sei dem Brande zum Opfer gefallen. Wollte der Täter hier — positiv — bestimmte Werte erlangen, so erstrebt er in anderen Fällen sozusagen etwas Negatives: Den Fortfall bestehender oder die Vermeidung drohender Verpflichtungen: Die Ermordung von unehelichen Kindern, von sogenannten Ausgedingern bzw. sonstigen Personen, denen gegenüber der Täter finanzielle Verpflichtungen hat, gehören hierher — ebenso die Beseitigung der schwangeren Geliebten. Ebenfalls einen persönlichen Vorteil erstreben diejenigen Täter, die jemand beseitigen, weil er ihnen lästig oder gefährlich ist oder erscheint. Im Art. „ F i l m " ist bereits ein Fall dieser Art dargestellt: Ein Verbrecher wird von seinem Tatgenossen ermordet, damit er nicht zum Verräter werden kann. Die dem Täter unbequemen Geheimnisse, deren Mitwisser das Opfer ist, brauchen indessen durchaus nicht immer krimineller Art zu sein: es kann sich auch um geschäftliche Dinge oder um Geschehnisse aus dem privaten oder Berufsleben des Täters handeln. Auch die Beseitigung der lästig gewordenen Geliebten, des Ehemannes, der Ehefrau, bleibt hier zu erwähnen. Welche sonderbaren Gedankengänge sich unter Umständen in dem Verbrechen des Mordes auswirken können, zeigt der bekannte Fall des österreichischen Oberleutnants H o f r i c h t e r , der eine Reihe seiner Vorderleute vergiften wollte, um seinerseits schneller zu avancieren. Ein finanzieller oder wirtschaftlicher Vorteil liegt in den Fällen der zuletzt geschilderten Art vielfach nicht vor — eine klare Grenzlinie läßt sich indessen nicht ziehen. Einen nicht unerheblichen Prozentsatz der Kriminalität auf dem Gebiete des Mordes stellen diejenigen Fälle dar, die eine s e x u e l l e B a s i s haben. In erster Linie ist hier der L u s t m o r d im e i g e n t l i c h e n S i n n e zu erwähnen : Lustmord ist aufs höchste gesteigerter Sadismus. Der Täter erstrebt oder empfindet geschlechtliche Befriedigung w ä h r e n d oder richtiger: d u r c h die Ausführung des eigentlichen Tötungsaktes. Dieser tritt unter Umständen an Stelle des Beischlafs, und zwar derart, daß der Täter sein Opfer häufig in keiner Weise geschlechtlich berührt. Es handelt sich hier sozusagen um Überbleibsel gewisser Urtriebe, die bestimmten Menschen innewohnen und unter gewissen Voraussetzungen plötzlich eine Hochspannung erreichen, die in entsprechend ausgeführten Mordtaten zur Entladung kommt. Vielfach hat der Lustmörder das Bestreben, seine Tat noch einmal in der Erinnerung zu durchleben. Dieses Bestreben beherrscht ihn, wenn er die
199
Leichen seiner Opfer dorthin legt, wo sie bald vom Publikum gefunden werden. In der Nähe verborgen, ergötzt er sich an dem Schreck der Finder. Wenn der — leider bis heute noch nicht ermittelte — Breslauer Kindermörder den Großeltern seiner unglücklichen Opfer in einem Postpaket die Geschlechtsteile der Kinder übersandte, so mag er dabei an das Entsetzen gedacht haben, daß diese Sendung bei ihren Empfängern hervorrief. Diese Urtriebe beschränken sich übrigens keineswegs auf das männliche Geschlecht: bekanntlich hat im Jahre 1926 in Duisbnrg ein 19 Jahre altes Mädchen zwei Kindern, die in der Nähe der elterlichen Wohnung spielten, aus sadistischen Gründen die Puls- und Halsschlagader durchschnitten. Die merkwürdige Mischung zwischen Lustmord und Raub, wie sie mehrfach vorkommt, ist bereits oben erörtert — ebenso ist die Betätigungsart einer Reihe von Lustmördern schon in dem Abschnitt „Massenmörder" näher geschildert. Im allgemeinen macht der Lustmörder den Eindruck eines durchaus harmlosen, gutmütigen Menschen, dem niemand solche Taten zutrauen würde. So erklärt es sich auch, daß derartige Verbrecher ihr Treiben vielfach Jahre lang fortsetzen können. Wenn jemand ein Kind mißbraucht und es dann erwürgt, um es am Schreien zu verhindern und damit die Entdeckung seiner Tat zu verhüten, so ist dies natürlich kein Lustmord im eigentlichen Sinne. Motive anderer Art sind: G e l t u n g s bedürfnis; Haß (Rachsucht) — Eifers u c h t — F a m i l i e n - und E h e z w i s t — Streit. Auch A b e r g l a u b e n konnte in einigen Fällen als Motiv festgestellt werden. Ein nicht selten vorkommender Beweggrund zum Morde ist auch L i e b e und M i t leid. Jene Frau, die, wie schon oben erörtert, in einem Flüchtlingslager das Kind ihrer Schwester tötete, hat wohl aus diesen Motiven gehandelt. Ähnlich vielfach diejenigen Eltern, die ihre Kinder mit in den Tod nehmen. Im Rahmen einer Zusammenstellung der Motive des Mordes usw. darf schließlich nicht fehlen ein Hinweis darauf, daß nicht selten ein M o t i v n i c h t e r k e n n b a r — vielleicht auch tatsächlich n i c h t v o r h a n d e n ist. Schon an anderer Stelle dieses Werkes ist ja bereits hervorgehoben, daß nicht jeder Täter nach den Gesetzen der Logik handelt; es gibt Taten, die man als unsinnig bezeichnen könnte, ohne daß der Täter etwa geisteskrank zu sein braucht. Das Schrifttum über die Psychologie des Mordes und Mörders ist außerordentlich umfangreich. Nicht immer aber gründen sich
200
Mord
die psychologischen Rückschlüsse auf eine absolut zuverlässige Basis. Wenn z. B. eine derartige Diagnostik vorgenommen wird auf Grund von Studien, die an a b g e u r t e i l t e n Mördern durchgeführt sind, so liegt hierin meines Erachtens eine erhebliche Fehlerquelle — wenigstens dann, wenn den eigenen Angaben des Gefangenen eine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen wird. Gerade auch der abgeurteilte Mörder befindet sich in der Mehrzahl aller Fälle im Stadium einer gewissen Resignation. Jeder Besuch, jede mit ihm geführte Unterhaltung wird bei ihm Zweckmäßigkeitserwägungen auslösen. Dies schon aus dem Grunde, weil er sich über den Grund des Besuches und der an ihn gerichteten Fragen nicht im klaren ist. Hieraus resultiert eine ganz bestimmte Einstellung dem Experten gegenüber, die der Erforschung der objektiven Wahrheit vielfach außerordentlich abträglich sein wird. D. Mord (Kapitalverbrechen — Todesermittlungssachen) vom kriminalistischen Standpunkt aus. Ausführungen über das kriminalistische Spezialgebiet der Kapitalverbrechen (Todesermittlungssachen) können nur dann ein richtiges Gesamtbild ergeben, wenn man dieses Spezialgebiet vom S t a n d p u n k t der allgemeinen Kriminalistik aus betrachtet. Wie ein Spezialarzt in erster Linie ein tüchtiger Allgemeinarzt sein muß, um auf dem Spezialgebiet etwas leisten zu können, m u ß auch der kriminalistische Bearbeiter von Todesermittlungssachen das Gesamtgebiet der Kriminalistik grundlegend beherrschen. Mord ist die schwerste S t r a f t a t , die das Strafgesetzbuch kennt. Demgemäß sieht der Gesetzgeber auch nur die Todesstrafe als angemessene Sühne an. Schon allein diese T a t sache legt insbesondere auch dem kriminalistischen Bearbeiter derartiger Fälle eine außerordentliche Verantwortung a u f : Zwei gefährliche Klippen drohen ja dem Kriminalisten i m m e r : Die Nichtaufklärung einer T a t — andererseits: falsche Ermittlungsergebnisse zum Nachteil eines Unschuldigen. Schon oben ist darauf hingewiesen, daß ein Kapitalverbrechen fast immer in der gesamten Öffentlichkeit das Gefühl der Beunruhigung hervorruft. Eine möglichst baldige Aufklärung der T a t wird daher mit Recht nicht nur erhofft, sondern auch erwartet. Die Ermittlung des Täters wirkt sich ohne weiteres zugleich als P r ä v e n t i v m a ß n a h m e auf diesem Gebiete aus — ein negativer Verlauf der Feststellungen könnte dagegen sehr leicht die entgegengesetzte W i r k u n g haben. Die Nichtaufklärung gerade eines Mordes (wie natürlich auch sonstiger S t r a f t a t e n ) zeitigt aber auch
noch andere Folgen, an die meistens nicht gedacht wird. Wohl ausnahmslos geraten in jedem derartigen Fall zahlreiche Personen zu Unrecht in den Verdacht der Täterschaft. Der einwandfreie Nachweis ihrer Schuldlosigkeit ist vielfach nur durch E r m i t t l u n g des Täters zu führen. Gelingt sie nicht, so besteht der Verdacht weiter. Vielleicht nicht einmal bei der Behörde — aber in der Umwelt des „Verdächtigen". Einem schleichenden Gift vergleichbar ist ein solcher „ V e r d a c h t " schon so manchem zum Schicksal geworden! . . . Die Tagespresse berichtet n a t u r g e m ä ß über Kapitalverbrechen in möglichst fesselnder Weise. Aufmerksam verfolgt sie den Verlauf der Untersuchung und hält, falls nicht bald ein Erfolg erkennbar ist, mit kritischen Urteilen nicht zurück. Diese Kritik ü b t sie stets an der Kriminalpolizei — niemals der Justizbehörde. Überhaupt bilden Erfolge und Mißerfolge gerade auf dem Gebiet der Bearbeitung von Kapitalverbrechen erfahrungsgemäß f ü r die Presse einen Maßstab zur Beurteilung der Qualität kriminalpolizeilicher Arbeit. Weitaus richtiger wäre es, wenn diese Beurteilung sich gründete auf die Gesamtsumme der geleisteten Arbeit — insbesondere der Kleinarbeit. Die sogenannten kleinen Fälle haben aber nun einmal kein publizistisches Interesse — m a n m u ß sich damit abfinden, daß sogenannte „ g r o ß e " — vielleicht richtiger: groß a u f g e z o g e n e — „ S a c h e n " einen solchen Maßstab bilden. Wer den Beruf des Kriminalisten voll u n d ganz ausfüllen will, m u ß N e i g u n g u n d E i g n u n g besitzen. Nur dann wird er sich zu seinem Beruf im allgemeinen und zu seiner jeweiligen Aufgabe richtig einstellen. In der Hauptsache ist er es j a selbst, der Umfang, Art u n d Tempo seiner Tätigkeit bestimmt. H a t er den zähen Willen zum Erfolge — zur Aufklärung des betreffenden Falles — dann wird sich die Bearbeitung ganz anders gestalten, als wenn sie nur aus dem Gesichtsp u n k t einer rein formalen Erledigung erfolgt. Daß man bei Anwendung der letzterwähnten Methode nicht in die Tiefe dringt und dringen kann, liegt auf der H a n d . Allerdings kann auch nicht jeder Kriminalfall sozusagen spezialärztlich behandelt werden. Es gibt eine Fülle unwichtiger Sachen, die in dieser Weise bearbeitet werden müssen. Niemals aber darf übersehen werden, daß d i e s e Methode (wenn m a n ein derartiges Verfahren ü b e r h a u p t als Methode bezeichnen will) immer nur ein Notbehelf ist u n d sein kann. Zusammenfassend kann gesagt w e r d e n : Gerade auch auf dem Gebiet der Bearbeitung von Kapitalverbrechen ist von ausschlaggebender Bedeutung die Persönlichkeit des kriminalistischen Bearbeiters.
Mord Er muß jene Freude am Beruf haben, jenen gesunden — sozusagen sportlichen — Ehrgeiz besitzen, der ihn zu Höchstleistungen anspornt und befähigt. Hierzu muß sich aber noch das scharf ausgeprägte Gefühl der Verantwortung gesellen. Stets muß sich der Kriminalist bewußt sein, daß in der Mehrzahl aller Fälle seine Tätigkeit die Grundlage für das richterliche Urteil schafft. Mit kritischem Blick muß er daher fortgesetzt auch seine eigene Arbeit — gewissermaßen vom Standpunkt des Verteidigers oder Richters aus — überwachen. E. Wer bearbeitet Mordsachen (Kapitalverbrechen — Todesermittlungssachen)? Zuständigkeitsfragen. Der großen Verantwortung, die die Kriminalpolizei der Öffentlichkeit gegenüber auf dem Gebiet der Bearbeitung von Kapitalverbrechen hat, muß auch das Maß ihrer Selbständigkeit entsprechen. Die Zuständigkeitsverhältnisse zwischen Kriminalpolizei und Justizbehörde sind lediglich durch die Strafprozeßordnung allgemein dahin geregelt, daß die Kriminalpolizei Hilfsorgan der Justizbehörde und diese Herr des Verfahrens ist. Eine nähere Abgrenzung ist nicht erfolgt: Es dürfte auch unmöglich sein, eine allseitig befriedigende Regelung durch allgemeine Bestimmungen zu erreichen. Dagegen haben sich in der Praxis ganz bestimmte Richtlinien herausgebildet: Fälle, in denen der Schwerpunkt auf dem Gebiet tatsächlicher Feststellungen liegt, sind im allgemeinen der Kriminalpolizei vorbehalten. Wenn dagegen von vorn herein Rechtsfragen eine überwiegende oder entscheidende Rolle spielen, dürfte sich die Justizbehörde schon im Anfangsstadium einschalten. Zu denjenigen Gebieten, in denen zunächst tatsächliche Feststellungen erforderlich sind, gehört auch die Materie der Kapitalverbrechen (Todesermittlungssachen). Wenn die Staatsanwaltschaft der Kriminalpolizei dieses Spezialgebiet zur selbständigen Bearbeitung beläßt, so handelt sie damit im Sinne der oben erwähnten, aus der Praxis heraus entstandenen Richtlinien. Die Bearbeitung durch die Kriminalpolizei dürfte übrigens auch durchaus im Interesse des Falles liegen. Eingegliedert in den Rahmen großer Polizeizentralen, verfügt die moderneKriminalpolizei über alle personellen und technischen Hilfsmittel. Eine Reihe formaler Vorschriften, wie sie der Richter — insbesondere auch der Untersuchungsrichter — zu beachten hat, haben für die Kriminalpolizei keine Geltung. Sie ist dementsprechend sehr viel beweglicher und in weit höherem Grade in der Lage, den praktischen Erfordernissen des jeweiligen Einzelfalles unverzüglich und restlos zu entsprechen. Hierfür nur ein Beispiel: Die kriminalpolizeilichen Zentralstellen haben — im Gegensatz zur Justizbehörde — das Recht
201
des direkten Verkehrs mit ausländischen Polizeibehörden — ein außerordentlicher Fortschritt, insbesondere auf dem Gebiet der Bekämpfung des internationalen Verbrechertums. Die Verschiedenartigkeit der Arbeitsmethoden der Justizbehörde und Kriminalpolizei und der Unterschied der Endergebnisse wird am besten an einem praktischen Fall veranschaulicht : Zu einem mehrere Jahre zurückliegenden auswärtigen Mord werden vertrauliche Angaben gemacht, die einen gewissen Verdacht gegen ein bestimmtes Ehepaar ergeben. Ein Verdacht jedoch, der keineswegs zwingend ist und leicht auch wieder zerstreut werden kann. Die zuständige Staatsanwaltschaft, die von der neuen Verdachtsrichtung in Kenntnis gesetzt war, beantragt daraufhin Eröffnung und Führung der Voruntersuchung sowie Erlaß eines Haftbefehls. Der Untersuchungsrichter entspricht diesem Antrag und verlangt Festnahme und Vorführung der Angeschuldigten. Wie fast stets war auch dies ein Fall, in dem der erste Angriff, insbesondere die erste Vernehmung der Verdächtigen über den Verlauf des ganzen Verfahrens entschied: Der Untersuchungsrichter mußte die Eheleute formell als „Angeschuldigte" vernehmen und ihnen demgemäß die Anschuldigungen vorhalten. Es ist ohne weiteres einleuchtend, daß die Angeschuldigten ihre gesamte Energie auf Abwehr dieser Anschuldigung eingestellt hätten. Die gegebenen Verdachtsmomente reichten, wie bereits erwähnt, in keiner Weise zu ihrer Überführung aus. Andererseits hätte auch die Vertrauensperson — sehr zum Schaden der Sache — preisgegeben werden müssen. Übrigens hatte sie auch keinesfalls selbst als Zeugin auftreten wollen oder können: Sie wollte lediglich der Behörde eine neue Verdachtsrichtung weisen, deren sachgemäße Weiterverfolgung schließlich ergeben sollte, ob der Verdacht begründet war. Unterstellt man, daß die Eheleute nicht als Täter in Frage kamen (tatsächlich war es dcch der Fall!), aber in der Lage waren, über die Täter wichtige - Angaben machen zu können, so würden sie sich unter dem Eindruck der an den Anfang der Vernehmung gestellten Anschuldigung sicherlich wohl gehütet haben, auch nur das Mindeste von ihrer Wissenschaft preiszugeben. Der Untersuchungsrichter hat sich seinerzeit den von der Kriminalpolizei vorgetragenen Bedenken nicht verschlossen. Nach sehr umfangreichen kriminalpolizeilichen Ermittelungen gelang auch die Aufklärung des Falles und die Erzielung wahrheitsgemäßer Geständnisse in wenigen Tagen. Hauptergebnis der Feststellungen war der Verdacht, daß der Ehemann auch noch Straftaten anderer Art begangen hatte. Die kriminalistische Aktion erstreckte sich zunächst auf diese Fälle, ohne die Mordsache auch nur zu berühren. Im Rahmen der Abwehr des auf andere Straftaten bezüglichen Verdachtes (z. B. des Diebstahls) machten dann
202
Mord
beide Eheleute Angaben, die für die Aufklärung des Mordes von größter Bedeutung waren, von ihnen aber niemals gemacht wären, wenn sie das eigentliche Beweisthema gekannt h ä t t e n . Dieses kriminalpolizeiliche Verfahren bewegte sich übrigens völlig im R a h m e n der gesetzlichen Bestimmungen — ist auch von keiner Seite kritisiert worden. In der H a u p t v e r h a n d l u n g wurde das Geständnis im vollen Umfang wiederholt. N a c h A b s c h l u ß der kriminalpolizeilichen Ermittlungen konnte der Untersuchungsrichter — ohne der Sache zu schaden — mit s e i n e r Methode einsetzen: Der umgekehrte Weg war nicht gangbar. Meines Erachtens ist es außerordentlich unzweckmäßig — zum Teil sogar zweckwidrig —, schon im Anfang der Ermittlungen bzw. in einem Zeitpunkt, in dem eine Klärung noch in keiner Weise erfolgt ist, eine Scheidung vorzunehmen zwischen „Zeugen" und „Beschuldigten" (Angeschuldigten). Man kommt sehr viel weiter, wenn m a n die in Frage kommenden Personen gleichmäßig als „Ausk u n f t s p e r s o n e n " behandelt. Die Anschuldigung mag an den Schluß der Ermittlungen gestellt werden — sie mag dann erfolgen, wenn sie tatsächlich begründet erscheint! Diese Ausführungen leiten über auf das große und überaus wichtige Gebiet der kriminalistischen T a k t i k . An anderer Stelle wird hiervon noch mehrfach die Rede sein. F. Organisation der Bearbeitung von Kapitalverbrechen bei der Kriminalpolizei Berlin. Die s o g e n a n n t e „ M o r d i n s p e k t i o n " . Bei der Kriminalpolizei Berlin bestehen bekanntlich sogenannte Spezialinspektionen zur B e k ä m p f u n g des gewohnheitsmäßigen Verbrechertums auf dem Gebiete des Diebstahls, Betruges, der Sittlichkeitsverbrechen und sonstiger gewerbs- und gewohnheitsmäßig begangener S t r a f t a t e n . Wenn auch die Bearbeitung der Kapitalverbrechen (Todesermittlungssachen) einer Spezialinspektion (I) — (vulgär: „Mordinspektion") — übertragen wurde, so war hierfür in erster Linie m a ß gebend nicht die Erwägung, daß es, wie oben dargetan, auch eine Reihe gewohnheitsmäßiger Mörder g i b t : Angestrebt wurde vielmehr eine möglichst hochqualitative Bearbeitung gerade dieser Materie, deren Bedeut u n g im Rahmen der allgemeinen kriminalistischen Aufgaben schon an anderer Stelle eingehend gewürdigt ist. Um ihr Ziel zu erreichen, m u ß die Kriminalinspektion I 1. auf eine möglichste Steigerung der Erfolge im konkreten Einzelfall hinwirken; 2. die Erfahrungen des praktischen Einzelfalles der Verbesserung der Methoden — insbesondere auch Lehr- u n d Lernzwecken — n u t z b a r machen. In die Mordinspektion eingegliedert i s t :
I. Die kriminalpolizeiliche Dienststelle Leichenschauhaus.
im
An und f ü r sich untersteht das Schauhaus dem Universitätsinstitut f ü r gerichtliche und soziale Medizin. Übrigens t r i f f t die noch immer gebräuchliche Bezeichnung „ S c h a u h a u s " insofern nicht mehr zu, als die f r ü h e r üblich gewesene öffentliche Ausstellung unbekannter Leichen zum Zwecke der Feststellung der Persönlichkeit nicht mehr s t a t t findet. Dieses Verfahren brachte allerlei Mißstände mit sich, ohne den angestrebten Zweck irgendwie zu fördern. Die Methoden zur Identifizierung u n b e k a n n t e r Leichen haben in den letzten J a h r e n eine so weitgehende Verbesserung erfahren, daß sie in den allermeisten Fällen gelingt. Vom kriminalpolizeilichen bzw. polizeilichen S t a n d p u n k t aus ist das Schauhaus richtiger als „amtliche Aufbewahrungsstelle f ü r sichergestellte Leichen" zu bezeichnen. In das Schauhaus ü b e r f ü h r t werden Leichen 1. aus strafprozessualen Gründen, weil sie als Beweismittel in Frage kommen, z. B. im Falle von Tötungsdelikten; 2. aus ordnungspolizeilichen Gründen: wenn z. B. j e m a n d auf der Straße v o m Tode ereilt w i r d ; 3. aus sanitätspolizeilichen Gründen. Die Zahl der in das Schauhaus eingelieferten Leichen beträgt zur Zeit im Monatsdurchschnitt 150. Übrigens bestehen in Groß-Berlin noch eine ganze Anzahl sonstiger derartiger Aufbewahrungsstellen. Die Neugestaltung des Berliner Gerichtswesens wird sich voraussichtlich auch nach dieser Richtung insofern auswirken, als nach Möglichkeit nur noch das Berliner Schauhaus b e n u t z t wird. Eine sehr wichtige Dienststelle der Mordinspektion ist ferner II. Die Zentralstelle f ü r vermißte Personen u n d u n b e k a n n t e Tote. Sie ist einmal zuständig f ü r Groß-Berlin, andererseits als Landeskriminalpolizeistelle f ü r die Provinz Brandenburg und schließlich Zentralstelle f ü r Preußen. Im Zeitraum eines J a h r e s (1932) wurden hier 10415 neue Anzeigen über vermißte Personen (davon 4442 aus Groß-Berlin) und 606 Vorgänge über unbekannte Tote bearbeitet. In der überwiegenden Mehrzahl aller Fälle klärt sich das Verschwinden harmlos auf — immerhin gelangen einige Fälle nicht zur Erledigung. Hier muß, wie bereits oben ausgeführt, mit der Möglichkeit eines „verschleierten Verbrechens" gerechnet werden.
Mord III. Zentralkartei f ü r Mordsachen — Lehrmaterialsammlung. Bei der Berliner Mordinspektion wird — über das Maß des auf diesem Gebiet Vorgeschriebenen weit hinausgehend — eine Kartei geführt, die, zwar immer noch im Aufbau begriffen, doch schon jetzt Anspruch auf die Bezeichnung „Zentralkartei f ü r Mordsachen" erheben kann. Entsprechend dem oben erörterten Zweck der Mordinspektion liegen auch die Aufgaben dieser Kartei auf praktischem und theoretischem Gebiete. Die Sammlung umfaßt Material aus: 1. Groß-Berlin, 2. Deutschland, 3. dem Ausland. Wenn aus Anlaß eines Kapitalverbrechens interlokal oder international gefahndet wird — sei es nach dem bekannten, aber flüchtigen Täter, sei es, daß der Täter noch unbekannt ist—, so arbeitet die Zentralkartei unaufgefordert mit. Diese praktische Mitwirkung vollzieht sich in der Weise, daß zunächst festgestellt wird, ob das Opfer oder der Täter bei den einschlägigen Stellen der Behörde bereits irgendwie bekannt ist. Zwecks Ergreifung des bekannten flüchtigen Täters werden sofort sogenannte Notkarten in das Steckbriefregister eingeschaltet, so daß die Fahndung noch vor Eintreffen der gedruckten Suchkarte wirksam wird. In vielen Fällen konnte den bearbeitenden auswärtigen Behörden wichtiges Material, z. B. erkennungsdienstlicher Art sowie über das Vorleben von Opfer und Täter unaufgefordert übersandt werden. Weiter prüft die Zentralkartei — dies ist ja der Hauptzweck aller derartiger Einrichtungen —, ob Straftaten gleicher oder ähnlicher Art registriert sind, die auf denselben Täter hindeuten. Ihr Material entnimmt die Zentralkartei in erster Linie den amtlichen Fahndungsblättern. Im übrigen kommen Funksprüche, Plakate, Ausschreiben, Akten — unter Umständen auch Zeitungsausschnitte — als Quelle in Frage. Durch ständige Korrespondenz mit den auswärtigen Behörden findet das hier vorhandene Material — insbesondere erkennungsdienstlicher Art — weitgehende Ergänzung. Auf diese Weise entstehen Vorgänge über jeden derartigen Fall: Wenn jemand hier Angaben über einen auswärtigen Mord macht, sind in der Zentralkartei fast immer aktenmäßige Unterlagen vorhanden, so daß sich eine Anfrage bei der auswärtigen Behörde erübrigt. Kommen alle diese Maßnahmen der p r a k t i s c h e n Arbeit zu gute, so ist nicht minder wichtig die A u s w e r t u n g j e d e s p r a k t i s c h e n E i n z e l f a l l e s in t h e o r e t i scher Beziehung.
203
Welche Maßnahmen haben zum Erfolge g e f ü h r t ? Ursachen eines Mißerfolges? Material über Fehlerquellen der verschiedensten Art (Zeugenaussagen usw.) wird hier nach bestimmten Gesichtspunkten gesammelt. Im Laufe der Zeit wird dieses Verfahren die Kenntnis der Arbeitsmethoden, ihrer Vorzüge und Nachteile, immer mehr vertiefen und dadurch zugleich auch die Einführung entsprechender Verbesserungen ermöglichen. Das gesamte Material eignet sich auch vorzüglich f ü r Lehr- und Lernzwecke. Für die Mordinspektion ist weiter unerläßlich IV. eine Gesamtübersicht über das Gebiet des „unnatürlichen Todes" (Groß-Berlin) (Selbstmord — tödlicher Unfall — Tötungsdelikt). Selbstmord (s. d.) ist in Deutschland nicht unter Strafe gestellt. Der Freitod würde daher die deutschen Strafbehörden nicht interessieren, wenn nicht, wie oben erörtert, die Gefahr bestünde, daß er nur vorgetäuscht ist, um ein Verbrechen zu verschleiern. Übrigens wollte einer der Entwürfe eines neuen Strafrechts „die Verleitung zum Selbstmord" unter Strafe stellen. a) S e l b s t m o r d e . Als Grundlage f ü r die einheitliche Erfassung dienen die f ü r das Statistische Landesamt bestimmten Selbstmordzählkarten. Berücksichtigt werden: die Altersklassen; Art der Ausführung; die Motive; das Religionsbekenntnis der Selbstmörder. Des näheren s. d. Art. Selbstmord. b) T ö d l i c h e U n f ä l l e . Über alle tödlichen Unfälle (ohne fremdes Verschulden) reichen die Berliner Dienststellen eine entsprechende Meldung an die Mordinspektion ein, und zwar auch dann, wenn der Tod erst später eingetreten ist. Wenn fremdes Verschulden erwiesen erscheint, wird der Fall als Tötungsdelikt gemeldet. Die Unfälle werden unterschieden in: Verkehrsunfälle; Unfälle in Häusern und Wohnungen; Unfälle bei Ausübung von Spiel und Sport; sonstige Unfälle. Geschlecht und Altersklassen werden auch in dieser Statistik berücksichtigt — ebenso die Frage, ob der jeweilige Unfall im Sinne der unfallrechtlichen Bestimmungen zugleich als Betriebsunfall anzusehen ist. c) T ö t u n g s d e l i k t e . Für die Mordinspektion besonders wichtig ist vor allem auch die einheitliche Erfassung aller derjenigen Fälle, in denen jemand durch fremdes Verschulden ums Leben gekommen ist: Mord (Versuch) — Totschlag (Versuch) — Tötung auf Verlangen — Körperverletzung mit tödlichem Ausgang — Tötung in angeblicher Notwehr — im Zweikampf — ferner bei:
204
Mord
Raub, Brandstiftung, Freiheitsberaubung, Sittlichkeitsverbrechen, Abtreibung usw., soweit diese Straftaten zum Tode des Opfers geführt haben. Auch fahrlässige Tötung gehört hierher. Diejenige Einrichtung der Mordinspektion, die in der Öffentlichkeit besonders hervortritt, ist
art, daß der Wagen auch zur Beförderung einer größeren Personenzahl benutzt werden kann. Zwei im Innern des Wagens an dessen Vorderseite angebrachte versenkbare Tische ermöglichen seine Benutzung als behelfsmäßiges Büro. Selbstverständlich werden auch die erforderlichen Schreibmaterialien — eine Schreibmaschine usw. — mitgeführt. Bei günstigen Witterungsverhältnissen tut ein zusammenklappbarer Tisch und Stuhl gute Dienste. Da nicht selten Tatorte in der weiteren Umgebung Berlins besichtigt werden müssen, finden sich in der Gruppe „Kartenmaterial und Orientierungsbücher" u. a. eine Karte von Berlin und Umgegend, Autokarten, ein Wegemesser und ein Kompaß. Vielfach wird die Mordkommission auch nachts alarmiert: für ausreichende Beleuchtung muß daher Vorsorge getroffen werden: ein Scheinwerfer sowie eine Anzahl Handlampen verbreiten genügende Helligkeit. DerSpurensicherung dienenMaterialien verschiedener Art. Handelt es sich hierbei doch um Fuß-, Finger-, Werkzeug-, Wagen-, Schleifspuren usw. Die einzelnen Punkte, an denen sich diese Spuren befinden, werden durch sogenannte Markierungspfähle aus Stahl, die oben auf einem dreieckigen Feld fortlaufende Nummern aufweisen, gekennzeichnet. Soweit es sich um Spuren an Wänden, Bäumen oder dergleichen handelt, erfolgt die Markierung in ähnlicher Weise durch Markierungstafeln in Form eines Dreiecks, dessen Spitze auf den zu markierenden Punkt hindeutet. Einen sehr wichtigen Bestandteil der technischen Apparatur bildet natürlich auch das Photomaterial. Die Feststellung gewisser Entfernungen bedingt das Vorhandensein eines Schrittmessers, eines Bandmaßes, mehrerer Zollstöcke, einer Schublehre und einer Mikrometerschraube. Ein besonderer Koffer enthält die vom Arzt benutzten Hilfsmittel: Gummischürzen, Gummihandschuhe, verschiedene Pinzetten und Sonden, sogenannte Pipetten (zur Sicherung ausgegossener Flüssigkeiten), verschiedenartige Scheren, einen Mundsperrer u. a. m. Der Aufbewahrung von Beweisstücken dienen runde Deckelgläser, verschiedene Pappkartons, eine Anzahl Flaschen, Glashülsen und -röhrchen. Natürlich sind auch Lupen sowie ein Mikroskop vorhanden. An sonstigem Handwerkszeug verschiedener Art werden mitgeführt: mehrere große Spaten, große und kleine Äxte, eine Kreuzhacke, Drahtschere, ein Brecheisen, Diamantschneider, Taschenmesser u. dgl.
V. D i e M o r d k o m m i s s i o n . Schon vor über 30 Jahren wurde bei der Berliner Kriminalpolizei ein sogenannter Mordbereitschaftsdienst — eine „Mordkommission" — eingerichtet, um die Möglichkeit zu haben, jederzeit (bei Tag und Nacht) bestimmte Spezialbeamte einsetzen zu können. Veranlassung hierzu bot eine sogenannte „Pechsträhne" der Behörde. Eine ganze Reihe von Mordfällen war ungeklärt geblieben. — In zum Teil recht sarkastischer Weise führte die Presse dies auf die Unzulänglichkeit der damaligen kriminalpolizeilichen Einrichtung zurück. Offenbar auch mit Recht! Tatsächlich herrschten damals noch so patriarchalische Zustände, daß man, wenn ein Kapitalverbrechen verübt war, statt mit der Bearbeitung und der Fahndung nach dem Täter mit der Suche nach einem Bearbeiter begann. Bisweilen gelang die Lösung dieser — doch immerhin nicht unwichtigen — Frage erst nach vielen Stunden. Leitgedanke der Tätigkeit der modernen Mordkommission ist der Satz: „Am Tatort soll man nicht anfangen anzuordnen, vorher Angeordnetes soll durchgeführt werden!" Jeder einzelne Beamte weiß schon vorher, welcher Art seine Aufgabe ist. Eine einheitliche kriminalistische Leitung verhütet von vorn herein jenes gefährliche Durch- und Nebeneinander. Wenn am Tatort erst Zuständigkeitsfragen oder verschiedenartige Auffassungen zum Austrag gebracht werden, ist der Erfolg der ganzen Aktion von vorn herein in Frage gestellt. Die Berliner Mordkommission ist zum Vorbild vieler gleichartiger Einrichtungen im Inund Ausland geworden. In Berlin werden jeweils drei Mordkommissionen gebildet: eine sogenannte „aktive" und zwei „Reservekommissionen". Die aktive Kommission besteht aus einem älteren und einem jüngeren Kommissar sowie (je nach Bedarf) 4—10 Beamten. Für Zwecke der Tatbestandsaufnahme treten noch Beamte des Erkennungsdienstes — gegebenenfalls auch ein Hundeführer usw. — hinzu. Den Reservekommissionen gehört zunächst nur 1 Kommissar mit 2—3 Beamten G. Wie werden Mordsachen aufgeklärt? an; die Erfahrung hat gelehrt, daß möglichste personelle Beschränkung für die Tätigkeit der (Mittel, Wege und Möglichkeiten.) Mordkommission, bei der es ja in erster Linie I . T a t b e s t a n d s a u f n ä h m e (Mordalarm). auf Qualitätsarbeit ankommt, nur von VorEin praktischer Fall: teil ist. Jeder Kommission steht eine Stenotypistin zur Verfügung. Spaziergänger finden im Grunewald eine Die am Tatort benötigte technische Appa- männliche Leiche mit Schußverletzung. Eine Pistole liegt in der Nähe. Sie benachrichtigen ratur ist in einem S p e z i a l w a g e n — vulgär „Mordauto" — untergebracht, und zwar der- den nächst erreichbaren uniformierten Be-
Mord amten, dessen Aufgabe in der Absperrung des Tatortes besteht. Durch Privatpersonen verständigt er die Kriminalpolizei des zuständigen Reviers, da diese auch in allen Todesermittlungssachen grundsätzlich den ersten Angriff durchzuführen hat. Von der kriminalistischen Diagnose des Revierbeamten hängt zunächst der gesamte weitere Verlauf des Falles ab. Stellt er einwandfrei Selbstmord oder tödlichen Unglücksfall als vorliegend fest, so wird die Angelegenheit bei der örtlichen Kriminalinspektion endgültig weiterbearbeitet: die Zentrale („Mordinspektion") erhält nur die bereits oben erwähnten Meldungen. Ist das Vorliegen eines Verbrechens unzweifelhaft oder handelt es sich um einen sogenannten Grenzfall, so erstattet der Revierbeamte durch Vermittlung des sogenannten Dauerdienstes dem Leiter der Kriminalpolizei Meldung. Dieser bestimmt dann das Weitere. ZweckundZiel derTatbestandsaufn a h m e — A r t i h r e r D u r c h f ü h r u n g . Die Tatbestandsaufnahme in Todesermittlungssachen soll eine einwandfreie Beantwortung der Frage ermöglichen: Unter welchen Umständen ist der Tod dieser Person eingetreten? Liegt Unfall, Selbstmord oder Tötung von fremder Hand v o r ? Erst im Falle der Bejahung der letzterwähnten Frage würden sich die weiteren Fragen ergeben: Wer ist der T ä t e r ? Welche Anhaltspunkte sind zu seiner Ermittlung vorhanden? Zur Erreichung des angestrebten Zweckes kommt es darauf an, alle vorhandenen Anhaltspunkte als solche zu erkennen, zu sichern und richtig auszuwerten. Eine Hauptschwierigkeit liegt in der Tatsache, daß man vielfach oder meistens am Tatort überhaupt noch nicht beurteilen kann, welche Einzelheiten wichtig sind. Bisweilen erlangt erst nach geraumer Zeit — insbesondere in der Hauptverhandlung — irgend ein, zunächst f ü r völlig bedeutungslos erachtetes, Moment — große Wichtigkeit: z. B. die Lage einer Patronenhülse, eines Geschosses und dergleichen. Die Tatbestandsaufnahme muß demgemäß mit solcher Genauigkeit erfolgen, daß die Mordkommission auch auf derartige Zwischenfälle vorbereitet ist. Unter Umständen muß auch das Nichtvorhandensein bestimmter Gegenstände — der sogenannte negative Befund — festgestellt werden. Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, daß die Tätigkeit des einen Beamten leicht die des anderen stören oder zu nichte machen kann. Die Mitglieder der Mordkommission — ich kehre zu dem Beispiel zurück — ver-
205
sammeln sich selbstverständlich nicht am eigentlichen Tatort, sondern in dessen Nähe. Mit dem Eintreffen der Mordkommission geht die Verantwortung f ü r den Tatort auf deren Leiter über. Wie schon oben ausgeführt, sind die Leitgedanken der Tatbestandsaufnahme jedem Mitglied der Mordkommission schon von vorn herein geläufig: Eine Gruppe der Beamten beschäftigt sich mit dem objektiven Befund — den sogenannten „stummen Zeugen der T a t " —, die andere mit dem subjektiven Befund, d. h. den Wahrnehmungen etwaiger Auskunftspersonen. Die Aufgabe der ersten Gruppe ist mehr technischer Art, die der zweiten besteht in ermittelnder Tätigkeit. Demgemäß beginnen die Beamten der zweiten Gruppe, ohne sich um den Tatort zu kümmern, mit der Ermittlung und Befragung entsprechender Auskunftpersonen. Meistens finden sich solche schon unter dem Publikum, das sich in der Nähe des Tatortes angesammelt hat. Vor allem werden die Personen gehört, die die Leiche gefunden haben. . . . Die Aufnahme des objektiven Befundes erfolgt aus den bereits oben erörterten Gründen zweckmäßigerweise in einzelnen auf einander folgenden Stadien. E r s t e s S t a d i u m : Betreten des eigentlichen Tatortes durch den leitenden Kommissar, um sich einen allgemeinen ersten Überblick zu verschaffen. Z w e i t e s S t a d i u m : (Hund). Ein Tatort im Freien — insbesondere im Wald — ergibt gewisse Möglichkeiten f ü r das Ansetzen eines Polizeihundes. Dies hätte daher im Falle unseres Beispiels zu erfolgen, und zwar möglichst als erste Maßnahme. Nach der jetzt herrschenden Lehre hat der Hundeführer dem Hund die von diesem zu verfolgende Fährte zu weisen. Das Ergebnis der Tätigkeit des Hundes kann für die Beweisführung naturgemäß nur insoweit verwertet werden, als es durch objektive Beweismittel unterstützt wird. D r i t t e s S t a d i u m : (Absuchen des Tatortes — Markieren von Anhaltspunkten). Ein geeigneter Beamter sucht — möglichst ohne neue Spuren zu verursachen — den Tatort (Fundort der Leiche) und dessen engere und weitere Umgebung a b : jeder für die Aufklärung wichtige Punkt wird in der oben angeführten Art mit einer fortlaufen len Nummer (Buchstaben) bezeichnet: z. it. 1. Lage der Waffe; 2. Geschoß; 3. PatronenhülseI; 4. Patronenhülse 11; 5. Blutspritzer; 6. Schleifspur. Auch die Entfernung der einzelnen Punkte von einander muß unter Umständen festgelegt werden. V i e r t e s S t a d i u m (Aufnahme von Lichtbildern): Jede kriminalistische Maßnahme soll nicht Selbstzweck, vielmehr nur Mittel
206
Mord
zum Zweck sein: Es wird nicht vernommen, um zu vernehmen — weil die betreffende Person in den Akten benannt ist. Die Vernehmung soll dem Zwecke der Aufklärung dienen. Dasselbe gilt für das Photographieren. Jedes aufzunehmende Bild soll für die Untersuchung wichtige Punkte veranschaulichen. Als erstes Bild würde zweckmäßiger Weise aufzunehmen sein: die Leiche im Rahmen ihrer weiteren Umgebung unter besonderer Berücksichtigung der markierten Punkte. Weitere Aufnahmen — Nahaufnahmen — wären von der Leiche selbst anzufertigen, und zwar möglichst von verschiedenen Standpunkten aus. Gegebenenfalls müßten demnächst im Schauhaus noch Nahaufnahmen der Verletzung nach Entkleidung der Leiche erfolgen. F ü n f t e s S t a d i u m (Spurensicherung: Etwaige Fußspuren werden in geeigneter Weise gesichert (z. B. mit Gips ausgegossen), desgleichen Fahrzeugspuren — die Waffe wird genau auf das Vorhandensein von Fingerabdrücken, wie überhaupt auf den Gesamtbefund hin, untersucht, soweit dies am Tatort möglich ist. Besonders notwendig ist übrigens demnächst auch die sachgemäße Aufbewahrung und Bezeichnung aller Beweisstücke, damit sie erforderlichenfalls durch geeignete Sachverständige untersucht werden können: z. B. bestimmter Geschosse und Hülsen — ob sie gerade aus dieser Waffe verfeuert sind —, weiter: ob der Lauf der Waffe etwa irgendwelche Gewebsteile enthält, wie sie bei Schuß aus aufgesetzter Waffe nicht selten in den Lauf mitgerissen w e r d e n . . . S e c h s t e s S t a d i u m (Ärztliche Untersuchung): Hand in Hand mit der Mordkommission arbeitet der sogenannte „kriminalärztliche Dienst". Das Polizeipräsidium hat mit dem Leiter des Universitätsinstitutes f ü r gerichtliche und soziale Medizin sowie mit mehreren Gerichtsärzten einen Vertrag abgeschlossen, in dem sich die Herren zum Zwecke der Mitarbeit der Behörde zur Verfügung stellen. Es besteht also auch eine „kriminalärztliche Dienstbereitschaft": Der betreffende Herr wird gegebenenfalls gleichzeitig mit der Mordkommission alarmiert. Auch er begibt sich an den Tatort, tritt allerdings erst in Tätigkeit, nachdem die oben geschilderten einzelnen Stadien zum Abschluß gelangt sind. Die frühere Vornahme einer Untersuchung durch den Arzt würde die Tatbestandsaufnahme unter Umständen erheblich stören, weil sie fast immer eine Veränderung der Lage der Leiche bedingt. Über das Ergebnis seiner Feststellungen diktiert der Arzt noch an Ort und Stelle ein kurzes vorläufiges Gutachten.
Das Ergebnis der am Tatort (Fundort der Leiche) getroffenen Feststellungen wird grundsätzlich noch an Ort und Stelle in einem eingehenden Bericht, dem sogenannten Tatbestandsbericht, zusammengefaßt. Die Leiche wird erst fortgeschafft, wenn die Niederschrift des Berichtes — wenigstens im Stenogramm — vollendet ist. Bisweilen hört man — auch aus Fachkreisen — die Überzeugung äußern, die vorzüglichen Lichtbilder und die Berichte der technischen Spezialbeamten [übrigens kommt noch eine, ebenfalls durch einen Spezialisten angefertigte, genaue Skizze hinzu] ergäben ein so klares Gesamtbild, daß ein besonders eingehender Tatbestandsbericht sich erübrige. Diese Auffassung ist durchaus abwegig und kann nicht scharf genug bekämpft werden. Zunächst einmal können auch die besten Lichtbilder nicht alle in Frage kommenden Gesichtspunkte berücksichtigen. Andererseits wird der verantwortliche kriminalistische Leiter erst beim Diktat des Gesamtergebnisses merken, wieviel Einzelheiten ihm noch entgangen sind und wie oft er daraufhin diese Einzelheiten nochmals überprüfen muß. Die Lücken seiner Feststellungen werden ihm aber besonders dann zum Bewußtsein kommen, wenn er schließlich die oben geschilderten Fragen beantworten und damit die grundlegende kriminalistische Diagnose stellen soll. II. M i t w i r k u n g d e s P u b l i k u m s . Die Tatbestandsaufnahme, die wichtigste Grundlage der gesamten Aufklärungsarbeit, wird zwar immer wesentliches Material ergeben — namentlich für die Entscheidung der grundlegenden Vorfrage. Aber nur in einem Bruchteil aller Fälle wird die Fahndung nach dem unbekannten Täter — sofern eben eine „ T a t " vorhanden ist — direkt vom Tatort, von der Tat zum Täter führen. Sherlock Holmes, der Held der bekannten Detektivfilme und Kriminalromane, hat es leichter als sein staatlicher Berufskollege. Selten ist ein Tatbestand durchaus eindeutig — fast immer läßt er die verschiedensten Rückschlüsse zu. Der Berufskriminalist muß sich pflichtgemäß mit allen diesen Möglichkeiten befassen, sofern nicht einzelne oder gar nur eine sich von vorn herein als besonders wichtig heraushebt. Sherlock Holmes findet demgegenüber verhältnismäßig sehr bald den berühmten roten Faden, der in so und so viel Auftritten und Kapiteln äußerst spannend zum Ziel, der Aufklärung des Falles, führt. Würde die kriminalistische Ermittlungsarbeit so nüchtern dargestellt, wie sie vielfach — auch gerade auf dem Gebiet der
Mord Kapitalverbrechen — ist, so würde der Film, der Roman, sehr bald langweilig werden. Sherlock Holmes will und soll nur spannend unterhalten — der Berufskriminalist hat demgegenüber das Fundament zu schaffen, das das richterliche Urteil tragen soll. Auch er soll und wird kombinieren. Stets aber wird er seine Kombinationen laufend kritisch überprüfen. Sind sie die einzig möglichen oder läßt der Befund auch noch andere Ausdeutungen z u ? Wenn der Kriminalist den „roten Faden" nicht findet oder wenn dieser — kaum entdeckt — schon wieder abreißt, dann sucht er anderweit Hilfe. Aber nicht, wie in jenen Filmen und Romanen, bei seinem Freunde, dem Amateurdetektiv Sherlock Holmes; er sucht sie dort, wo sie zu finden ist: in der Umwelt des unbekannten Täters. Wenn jemand einen Mord oder überhaupt ein Kapitalverbrechen begangen hat, kann seine Umwelt in vielen Fällen wichtige Angaben machen. Zur Zeit der Tat muß der Täter vom Haus abwesend gewesen sein. Er muß die bei der Tat benutzte Waffe — mindestens zur Zeit der Tat — im Besitz gehabt haben. Sein Verhalten vor, sein Oebahren nach der Tat — alles außerordentlich wichtig. Z. B. plötzlich hervortretender Besitz von Geld oder sonstigen Werten 1 Die kleinsten Einzelheiten dieser Art können, zur Kenntnis der Kriminalpolizei gebracht, die Aufklärung des Falles ermöglichen oder doch wesentlich fördern. Wie findet man aber in der Millionenstadt diejenigen (vielleicht ist es auch nur eine) Personen, die etwas wissen? Wie erreicht man es, daß sie sich melden? Sie müssen erfahren, worauf es ankommt, müssen wissen, daß f ü r entsprechende, zur Aufklärung führende Angaben unter Umständen eine hohe Belohnung gezahlt wird. Um die Kenntnis dieser Tatsachen zu verbreiten und jene wichtigen Auskunftpersonen zu ermitteln, bedient sich auch die Kriminalpolizei der m o d e r n e n Werbepropaganda. Die Tagespresse, Plakate, Handzettel, Rundfunkbekanntmachungen, sogenannte Kinosteckbriefe — alles dies sind Mittel zur Erreichung jenes Zweckes. Aber auch diese Werbepropaganda wird nur Erfolg haben, wenn sie möglichst wirkungsvoll gestaltet wird. In kürzester Form müssen alle in Frage kommenden Einzelheiten derart zusammengefaßt werden, daß Personen, die tatsächlich etwas wissen, den Aufruf als gerade an sie gerichtet erkennen. Es kommt also nicht nur auf den Text der Veröffentlichungen, sondern auch auf die Art ihrer Aufmachung, z. B. bei
207
Plakaten und Handzetteln auf die Art des Druckes, an. Naturgemäß dürfen nicht alle Einzelheiten der Tat bekannt gegeben werden; sonst würde es später nicht mehr möglich sein, zu unterscheiden, ob jemand diese Einzelheiten aus eigener Wissenschaft kennt, weil er der Täter (Mitwisser) ist, oder ob etwa Zeitungsnotizen als Quelle in Frage kommen können. Bei der Nachprüfung der Richtigkeit von Geständnissen — insbesondere der so häufigen Selbstbezichtigungen — spielen gerade diese Einzelheiten eine vielfach ausschlaggebende Rolle. Die Mitwirkung des Publikums ist — dies sei hier mit allem Nachdruck hervorgehoben— nur ein Notbehelf. Wird sonst Propaganda getrieben, um auf die M a s s e zu wirken, so richtet sie sich hier nur an e i n i g e w e n i g e Personen. Daß eine solche Propaganda auch unangenehme Begleiterscheinungen und Folgen zeitigt, liegt auf der H a n d : Nicht selten kann man sagen: Die, die man rief, kamen n i c h t . . . aber, die man nicht rief, strömten herbeil In großen Fällen zu Tausenden! Eine ungeheure Arbeitslast f ü r die Kriminalpolizei, die sie aber leisten muß, weil der Weg von der Tat nicht zum Täter führte, weil sie auch den umgekehrten Weg gehen mußte: Vom Täter zur T a t ! . . . III. D i e s o g e n a n n t e „ n e g a t i v e A r b e i t " . Der Appell der Kriminalpolizei an die Öffentlichkeit und die dadurch erzielte Mitwirkung des Publikums führt in einer großen Zahl von Fällen zum Erfolg. Auf die unangenehmen Begleiterscheinungen einer Beteiligung der großen Masse ist bereits hingewiesen. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der gegebenen Hinweise ist bewußt oder unbewußt irreführend und falsch. Viele betrachten den Fall als eine Art Lotterie — sie beteiligen sich mit möglichst allgemein gehaltenen Angaben, um im Falle der Aufklärung behaupten zu können, s:? hatten ihrerseits diese Aufklärung ermöglicht. In der Mordsache K ü r t e n gingen insgesamt etwa 10000 Hinweise ein, von denen nur ganz wenige — übrigens auch nur bedingt — brauchbar waren. Von den Tausenden von Spuren, die aus dem Verbrechen des Mörders B l u h m e resultierten, war keine einzige richtig. Ähnlich war es bei den Taten des Raub- und Sexualmörders B ö t t c h e r . Auch in denjenigen Fällen, die nicht ein so weitgehendes Aufsehen erregen wie diese Sensationssachen, beläuft sich die Zahl der aus dem Publikum gelieferten oder aus dem Tatbestand sich ergebenden Spuren fast immer auf 100 und mehr. Die ungeheure Arbeit, die der Kriminalist auf die Verfolgung dieser Spuren verwendet und verwenden muß, tritt nach außen nicht in die Erscheinung. Die Öffentlichkeit hört
208
Mord
nur vom Erfolge — nur diesen wertet sie. widrig Damenbedienung) wurden gute Und doch ist auch diese in der Stille geleistete Fingerabdrücke festgestellt. In den deutArbeit — Sherlock Holmes hat solche Um- schen daktyloskopischen Zentralstellen kamen wege nicht nötig — außerordentlich wesent- gleichartige Fingerabdrücke nicht vor — der lich. Zunächst wird die Unschuld einer großen Zahl von Personen festgestellt, die zu Unrecht Verkehr mit dem Ausland war unterbrochen. in den Verdacht der Täterschaft geraten sind. 1925 wurden die gesicherten Tatortspuren Ein an sich negatives Ergebnis, das den Er- noch einmal an die erkennungsdienstlichen mittlungen aber trotzdem zu gute kommt: Zentralstellen des europäischen Auslandes Der Kreis der Verdächtigen verkleinert sich versandt. Schon nach wenigen Tagen teledementsprechend. Der Wert dieser, sozusagen graphierte Kopenhagen, die übersandten negativen, Feststellungen wird aber erst dann Fingerabdrücke seien diejenigen des in Berlin klar erkennbar, wenn man die Sachlage aus wohnhaften Kellners D. dem Gesichtspunkt jener zu Unrecht VerFingerabdrücke am Tatort beweisen zudächtigten betrachtet. Positive Ergebnisse — wenn auch nicht nächst nur, daß die betreffende Person am mit Bezug auf den Hauptfall — zeitigt dieses Tatort gewesen ist. Zur Aufklärung der Tat „Durchsieben" ganzer Personenkreise auch ist aber der weitere Nachweis nötig, daß die insofern, als die verschiedensten anderen Abdrücke gelegentlich der Tat bzw. im ZuStraftaten aufgeklärt und zahlreiche gesuchte sammenhang mit ihr entstanden sind. Ein Personen ermittelt werden. Darüber hinaus geschickter Verbrecher wird, wenn ihm der erhält die Behörde Kenntnis von Einzelheiten daktyloskopische Befund sofort vorgehalten der Lebensführung zahlreicher Personen, mit denen sie sonst gar nicht in Berührung wird, mehr oder minder plausible Erklärungen für das Vorhandensein seiner Fingerabdrücke kommen würde. Es ist einleuchtend, daß die Durch- vorbringen. Da als Tatort ein Schanklokal arbeitung eines so ungeheuren Materials an in Frage kam, war mindestens die Möglichden leitenden Kriminalisten schon allein in keit entsprechender Ausreden durchaus gerein physischer Beziehung außerordentliche geben. Wie in dem oben geschilderten Fall Anforderungen stellt. Zwischen Hoffnung entschied auch hier der erste Angriff — insund Enttäuschung schwankt er ständig hin besondere die erste Vernehmung des Verund her. Und dennoch! Wenn sich auch die dächtigen — über den weiteren Verlauf. tausendste Spur, auf die er große Hoffnung Wäre D. gleich als „Angeschuldigter" vergesetzt hat, als falsch erweist — er muß immer wieder die körperliche und psychische Elasti- nommen, ihm sofort das Belastungsmaterial zität aufbringen, um mit frischem Mut an die vorgehalten worden, so hätte er von vorn herein eine besonders günstige Position geVerfolgung der Spur 1001 zu gehen . . . IV. D r e i A r t e n v o n A u f k l ä r u n g s - habt. Wie unzweckmäßig das Verfahren ist, m ö g l i c h k e i t e n . Die bisherigen Ausfüh- an die Spitze der Verhandlung die konkrete rungen behandelten die Aufklärung der Tat Anschuldigung zu stellen, und zwar in einem Stadium, in dem noch immer Zweifel an der 1. auf rein kriminalistischem Wege; 2. durch kriminalistische Ermittlungen Schuld bestehen können, ist ja bereits oben dargetan. Auch D. war Gewohnheitsverunter Mitwirkung des Publikums. brecher. Es fiel ihm nicht auf, wenn sich die Die Mitwirkung des Publikums ist zweckKriminalpolizei einmal f ü r seine gesamte los, wenn nur der Täter von seiner Tat weiß, Lebensführung interessierte. Auf entwenn niemand irgendwelche auf seine Tätersprechendes Ersuchen schilderte er bereit-schaft bezüglichen Beobachtungen gemacht willigst seinen Lebenslauf. Um nicht erhat. In solchen Fällen kann also eine Aufkennbar werden zu lassen, auf welchen Zeitklärung nur vom Täter selbst kommen! — punkt es besonders ankam, wurde er gebeten, Und sie erfolgt tatsächlich und häufiger als mit seinen Schuljahren zu beginnen. Auch man glaubt. Den beiden oben genannten diesem Wunsch entsprach er gern — aus den Möglichkeiten reiht sich also an Schuljahren wurden K r i e g s j a h r e . . . 1917 3. die Aufklärung der Tat durch den (Zeit der Tat) sei er vom Kriegslazarett in M. Täter selbst. (Belgien) nach seiner Garnison G. überwiesen Am besten veranschaulicht wird der Verlauf worden. Die Vernehmung erstreckte sich der einzelnen Fälle durch praktische Bei- natürlich weiter bis zur Gegenwart. spiele, die zugleich die kriminaltaktischen Gesichtspunkte berücksichtigen. Wenige Stunden später wurde aus den l . R e i n k r i m i n a l i s t i s c h e A u f k l ä r u n g . beim Reichsarchiv in Spandau befindlichen Im Jahre 1917 wurde in Berlin eine Schank- Akten jenes Kriegslazarettes festgestellt: Im wirtin ermordet. Aus einem im Schank- Gegensatz zu seinen Angaben ist D. seinerraum stehenden Glasspind waren wertvolle zeit von M. nicht unmittelbar nach G. — Schmucksachen entwendet. An den Glas- vielmehr nach dem Lazarett in L. — überscherben der Spindtür und an einer Wein- wiesen worden, wo er 3 Monate verblieb. flasche (die Schankwirtin hatte verbots- Diese Auskunft schaffte blitzartig Klarheit.
Mord Die später ermordete Schankwirtin stammte selbst aus L.; dort engagierte sie auch — angeblich als Hausangestellte — jene jungen Mädchen, die dann bei ihr als Kellnerinnen tätig waren. Zur Zeit der Tat waren ebenfalls 2 Mädchen aus L. bei ihr in Stellung. In kürzester Zeit konnte weiter ermittelt werden, daß D. gelegentlich seines Lazarettaufenthaltes in L. jene Mädchen persönlich kennen gelernt hatte. Durchaus begreiflich, zugleich aber auch besonders aufschlußreich war es, wenn D. in seinem Lebenslauf gerade jenen Aufenthalt in L. verschwieg. Der Fall wurde durch Geständnis restlos geklärt. Eine rein kriminalistische — sozusagen aus Karteien erfolgte — Aufklärung. 2. A u f k l ä r u n g d u r c h k r i m i n a l i s t i sche A r b e i t u n t e r M i t w i r k u n g des P u b l i k u m s . Diese Fälle bilden die überwiegende Mehrzahl. Als Beispiel sei der im Abschnitt E. besprochene Fall erwähnt, der zu grundlegenden Erörterungen über die Art des Vorgehens — Bearbeitung durch die Kriminalpolizei oder gerichtliche Voruntersuchung — geführt hat. Haupttäter war auch in diesem Falle ein Gewohnheitsverbrecher, der auch anderer Straftaten verdächtig war. — Der von ihm begangene Mord lag 4 Jahre, die oben erörterte Ermordung der Schankwirtin über 8 Jahre zurück. Früher hieß es: Wenn die Aufklärung eines Mordes nicht innerhalb von 3 Tagen gelingt, ist der Fall aussichtslos! — Ein Grundsatz reinster Bequemlichkeit. Wer ihn geprägt hat, hatte sicherlich nicht das mindeste Verständnis von kriminalistischer Tätigkeit. In Umkehrung jenes Satzes könnte man sich sogar darüber wundern, wenn ein Verbrechen innerhalb weniger Tage aufgeklärt würde, das womöglich Monate und Jahre geplant und vorbereitet war~ Die geschilderten beiden Fälle zeigen klar die kriminaltaktischen Methoden, deren Anwendung zum Ziele führte. Das Überführungsmaterial — die Indizien — sind der Munition im Kriege vergleichbar. Knappheit bedingt äußerste Sparsamkeit in ihrer Anwendung. Nur dann wird man sie opfern, wenn man des angestrebten Erfolges sicher ist. 3. D e r T ä t e r s e l b s t a l s Auf kl ä r u n g s f a k t o r . Wenn, um auch hier mit einem praktischen Fall zu beginnen, der Raub- und Sexualmörder B ö t t c h e r schließlich der von ihm begangenen beiden Mordtaten überführt werden konnte, so war dies nur dadurch möglich, daß er auch in der Folgezeit seiner Neigung treu blieb, sich immer wieder auf dem Gebiete des Straßenraubes zu betätigen. Der mehrfach erwähnte Geldbriefträgermörder B l u h m e hatte mehrere Jahre nach seinem Berliner Verbrechen in Dresden erHandwörterbuch der Kriminologie. Bd. n .
209
neut einen Überfall auf einen Geldbriefträger vorbereitet. Er wurde festgenommen. „ E s war seine letzte Karte — er gab sein Spiel verloren!" . . . In einem umfangreichen Geständnis zog er das Fazit seines verbrecherischen Lebens. Hier sind es ihre Taten, an denen man den Verbrecher erkennt. Man muß nur die Sprache seiner Taten verstehen! Ein Raubmord in der Lausitz . . . Wie fast immer: Hunderte von Spuren — zunächst aber kein Erfolg. In der Strafanstalt X befindet sich ein Gefangener, der von ständiger Unruhe beherrscht wird. Ärztliche Behandlung lehnt er ab — seine Beschwerden seien seelischer Art. Monate lang beschäftigt man sich mit ihm: Endlich bricht sich das Geständnis Bahn . . . Er ist der langgesuchte Raubmörder. Wohl einer der wenigen Fälle e c h t e r Gewissensbissel In Berlin soll ein junger Mann wegen Diebstahls festgenommen werden. Er schießt auf seine Verfolger und verletzt eine Zivilperson schwer. Unmittelbar darauf tötet er sich durch Kopfschuß. Unter seinen Papieren findet sich eine Niederschrift, in der er zahlreiche Diebstähle — insbesondere aber auch die Ermordung eines Schofförs — T a t o r t : Grünberg in Schlesien — eingesteht. Mittäterin auch bei letztgenanntem Verbrechen sei seine Freundin Frl. T. Daß er die Diebstähle begangen — auch den Schofför ermordet hatte, traf zu. Das Mädchen hatte zwar die verhängnisvolle Autofahrt mitgemacht, kam als Mittäterin aber in keiner Weise in Frage. P. bezichtigte sie fälschlich, aus Rachsucht. Noch über seinen eigenen Tod hinaus wollte er für vermeintliche Untreue an ihr in dieser Weise Rache nehmen. In dem Verbrecher — gerade im Mörder — sind und werden Kräfte lebendig, die sich in einem Mitteilungsbedürfnis auswirken. In den eben erörterten beiden Fällen waren echte Gewissensbisse und Rachsucht die Triebfeder zur Ablegung eines Geständnisses. Auch Großmannssucht und Geltungsbedürfnis sind hier zu nennen. Mehrfach haben sich Mörder mit Tageszeitungen in Verbindung gesetzt zwecks Veröffentlichung von Einzelheiten ihrer Verbrechen. K ü r t e n übersandte bekanntlich der Mordkommission zwei Skizzen der Stelle, an der er eins seiner Opfer vergraben hatte . . . Die sogenannten „schreibenden" Täter! K ü r t e n war es auch, der am Ende der gegen ihn geführten Hauptverhandlung in seinem Schlußwort etwa Folgendes ausführte: . . . „Wenn Sie die mit dem heutigen Tage zu Ende gehende Verhandlung mit Erfolg gegen mich haben durchführen können, so ver14
210
Mord
danken Sie das einem Umstände: Jeder, auch der schwerste Verbrecher, hat einmal das Bedürfnis, sich einem anderen Menschen anzuvertrauen. Das habe ich meiner Frau gegenüber getan — wissend, daß sie mich verrät . . .!" V. B e s o n d e r e E r f o r d e r n i s s e l ä n d l i c h e r M o r d s a c h e n . „ J e kleiner ein Ort — um so leichter die Aufklärung dort begangener S t r a f t a t e n " — eine weit verbreitete Auffassung! Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: J e kleiner der Ort, um so größer sind die Schwierigkeiten, die die kriminalistische Aufklärungsarbeit hemmen. Der Grund ist klar: in kleinen Orten sind die Einwohner unmittelbar oder mittelbar mit einander verbunden und auf einander angewiesen — sei es durch Verwandtschaft, Bekanntschaft, durch geschäftliche oder auch kriminelle Beziehungen. Dem konkreten Einzelfall stehen die Einwohner nicht, wie in der Großstadt, mehr oder minder objektiv gegenüber — ihre Haltung wird vielmehr sehr weitgehend durch Zweckmäßigkeitserwägungen bestimmt. Selbst wenn Beziehungen der oben erwähnten Art nicht bestehen, bedingt die Enge und Eigenart der Verhältnisse eine andere gegenseitige Einstellung als in der Großstadt. Die Befürchtung, daß der Täter oder sein Anhang an Belastungszeugen Rache nehmen wird, ist vielfach durchaus verständlich. Zu den für ländliche Verhältnisse typischen Verbrechen gehört die Beseitigung lästig gewordener Familienmitglieder (z. B. des Ehemanns), sogenannter „Ausgedinger" u. a. m. Gelegentlich der Besprechung der „verschleierten Verbrechen" ist ja bereits oben darauf hingewiesen, daß die Ermordeten fast immer ordnungsmäßig als vermißt gemeldet werden. Bald nach Erstattung dieser Anzeige erscheint dann — auch dies ist typisch — im Lokalblättchen eine „ W a r n u n g " : man möge sich vor Verbreitung von Gerüchten hüten, daß die vermißte Person einem Verbrechen zum Opfer gefallen sei. Die am Schluß enthaltene Androhung gerichtlicher Schritte hat sich in entsprechenden Fällen immer als ein wirkungsvolles Mittel zur Verschleierung des wirklichen Tatbestandes erwiesen. Grundlegend Wandel geschaffen ist auch auf dem Gebiet der Bearbeitung ländlicher Mordsachen durch die Einrichtung der Landeskriminalpolizei: jede Landeskriminalpolizeistelle betreut bekanntlich auch einen bestimmten ländlichen Bezirk und macht insoweit die Erfahrungen und technischen Möglichkeiten der modernen Kriminalistik auch dem Lande nutzbar. Die Beamten der Landeskriminalpolizei sind außerdem frei von gewissen Bindungen und Abhängigkeitsverhältnissen, wie sie vielfach für die örtlichen Beamten bestehen. Der kriminalistische Bearbeiter ländlicher Mordsachen muß in hohem Maße Einfühlungsvermögen, d. h. die Fähigkeit besitzen, mit den verschiedensten Instanzen harmonisch zu-
sammenzuarbeiten. Ein einheitliches kriminalistisches Arbeitsprogramm und seine Durchführung durch alle Beteiligten ist ja letzten Endes auch hier grundlegende Voraussetzung zur Erreichung des angestrebten Zieles. Gerade ländliche Kapitalverbrechen bedingen häufig eine besonders genaue Prüfung nach der Richtung, ob das jeweilige Verbrechen aus und durch sich selbst auf klär bar oder ob eine Vorgeschichte vorhanden ist, die zunächst erforscht werden muß. Unter Umständen muß erst eine ganze Reihe anderer Straftaten aufgeklärt werden, ehe die Klärung des Hauptfalles möglich ist. VI. G e s t ä n d n i s s e in M o r d s a c h e n (vgl. d. Art. Geständnis). In den letzten Jahren ist der Indizienbeweis immer mehr in Mißkredit geraten. Namentlich Laienrichter bringen ihm weitgehendes Mißtrauen entgegen. Wurde sein Wert früher überschätzt, so ist man jetzt in das andere Extrem verfallen. Allerdings ist es richtig: es gibt Fälle, in denen ein scheinbar erdrückendes Material vorliegt, der Verdächtige aber dennoch unschuldig ist. Am günstigsten ist es, wenn das Beweismaterial seine Krönung in einem glaubhaften Geständnis des Täters findet. Ein Geständnis schlechthin ist ja, wie schon an anderer Stelle ausgeführt, keineswegs immer „als Königin der Beweismittel" anzusehen. Man braucht hier nur an die genugsam bekannten Fälle falscher Selbstbezichtigung zu denken. Sogar mit dem sogenannten „Geständnis auf dem Sterbebett" habe ich schlechte Erfahrungen gemacht. Weit verbreitet ist die Auffassung, die Ablegung eines Geständnisses sei gewissermaßen gegen die menschliche Natur — es sei unbegreiflich, wie jemand etwas eingestehen und sich dadurch selbst der letzten Chancen berauben könne . . . noch dazu in Fällen, in denen es ums Leben geht. Seriöse Journalisten waren es zum Teil, die sich mit verständnisvollem Augenzwinkern erkundigten, „wie Geständnisse zu stände kämen". Diese Frage ist — wenigstens zum Teil — bereits im vorigen Abschnitt beantwortet. Die psychischen Voraussetzungen für die Ablegung eines Geständnisses waren in den erwähnten Fällen bereits vorhanden. Allerdings muß es der kriminalistische Bearbeiter verstehen, sich in die Gemütsverfassung und die Gedankengänge seines kriminellen Gegners einzufühlen. Die Aufklärung von Kapitalverbrechen wäre leicht, wenn sich in allen Tätern dieser innere Zermürbungsprozeß — sozusagen automatisch — vollziehen würde. Naturgemäß ist dies nur bei einem Bruchteil aller Mörder der Fall. Sehr viel zahlreicher sind die Taten, in denen der Verbrecher seine
211 ganze Energie auf Abwehr des Verdachtes verwendet. Aber auch hier wird es vielfach möglich sein, die Hemmungen zu beseitigen, die einer Preisgabe des so lange gehüteten Geheimnisses im Wege stehen. Beseitigen lassen sich diese Hemmungen aber erst dann, wenn man sie erkennt. Seit über 10 Jahren steht der Steinsetzer X. im Verdacht, gelegentlich eines seinerzeit verübten Einbruchs, gemeinsam mit einem Mittäter, einen Reichswehrsoldaten erstochen zu haben. In längeren oder kürzeren Zeitabständen wird er immer wieder in Untersuchungshaft genommen — immer wieder entlassen. Forschte man nach der Entstehungsursache des jedesmal neu aufgekommenen Verdachtes, so schien er auf gewisse Äußerungen seiner Ehefrau zurückzugehen. Zur Zeit der Tat war er noch ledig — er wohnte bei seiner späteren Frau als Untermieter. Bald nach der Tat heiratete er seine Wirtin. Er war sehr lebenslustig — sie sehr eifersüchtig. Eine nähere Prüfung zeigte es immer deutlicher: glaubte sie ihn auf dem Wege ehelicher Untreue ertappt zu haben, dann tauchte wieder jener Verdacht auf. — Der Vorhalt, daß so ein Leben eine Hölle sei, daß seine Frau die Kenntnis seiner Tat gewissermaßen als Würgeband für ihn auswerte — die richtige Wiedergabe aller seiner eigenen Gedankengänge —, brachte ihn verhältnismäßig bald (nachdem er 10 Jahre hindurch geleugnet hatte) zur Ablegung eines Geständnisses. Hierbei wirkte übrigens wohl auch noch eine andere Überlegung mit: der leugnende Täter ist nicht in der Lage, Erklärungsund Entschuldigungsgründe, selbst wenn diese tatsächlich vorhanden sind, anzugeben. Nicht selten erscheint die Tat, wenn sie durch glaubhaftes Geständnis geklärt ist, in milderem Lichte als vorher. So war es auch in dem geschilderten Falle: den tödlichen Stich hatte nicht X, sondern sein Mittäter geführt; mit der Tötung des Reichswehrsoldaten hatte X überhaupt nichts zu tun. Dem Eingeständnis schwerer Verbrechen geht fast immer ein gewisser seelischer Kampf voraus — das Geständnis ist, wenigstens in vielen Fällen, ein seelisches Erlebnis des Täters. Unter den Hemmungen, die bei ihm bestehen, findet sich begreiflicherweise in erster Linie die Furcht vor Strafe, die Angst um sein zukünftiges Schicksal — auch Rücksichtnahme auf andere Personen. Insbesondere überlegt er sich auch das Für und Wider eines Geständnisses. Die Tätigkeit des Kriminalisten, der die Beseitigung dieser Hemmungen anstrebt, würde außerordentlich erleichtert werden, wenn der alte deutsche Rechtsgrundsatz: „Sage die Wahrheit, und du wirst die Milde des Gerichts verspüren 1" in entsprechender Fassung auch in das künftige Strafgesetzbuch aufgenommen würde. Natürlich dürfte das
Geständnis nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen privilegiert werden. Sehr schwerwiegende Gründe — insbesondere strafrechtlicher Art — sprechen, dessen bin ich mir wohl bewußt, gegen diese Anregung. Angesichts der ungeheuren Bedeutung aber, die ein wahrheitsgemäßes Geständnis f ü r die Aufklärung krimineller Tatbestände hat, scheinen mir Ausführungen über dieses Problem gerade auch im Rahmen des Handwörterbuches zweckmäßig und notwendig. F e s t l e g u n g u n d S i c h e r u n g d e s Geständnisses. Das Geständnis muß festgelegt und gesichert werden. Nicht das wohl stilisierte Protokoll, das mit den Worten des Vernehmenden den Hergang der Tat unter möglichst genauer Anpassung an die einschlägigen Paragraphen schildert, ist am beweiskräftigsten. Am wirkungsvollsten sind die eigenen Worte — man könnte sie als „Naturlaute" bezeichnen —, mit denen ein Geständnis sich vielfach Bahn bricht. Als sehr zweckmäßig hat sich das Verfahren erwiesen, das Geständnis von den betreffenden Personen selbst niederschreiben zu lassen, und zwar möglichst im Rahmen eines Lebenslaufes. Vielfach erklärten die Betreffenden, daß sie diese Möglichkeit besonders begrüßten, weil sie bei mündlicher Befragung — namentlich in der Hauptverhandlung — etwas befangen seien. Der bereits mehrfach erwähnte Raub- und Sexualmörder B ö t t c h e r schreibt in seinem Lebenslauf: „Ach, daß ich doch alles so sagen könnte!" Daß im übrigen der Verlauf der Vernehmung klar erkennbar sein muß — die Fragen und Vorhaltungen des Vernehmenden und die Reaktion des Vernommenen —, das alles sind Selbstverständlichkeiten, deren Erwähnung ich aber hier nicht unterlassen möchte. Auch die Angabe des Zeitpunktes, an dem die Vernehmung begann und an dem sie abgeschlossen wurde, ist notwendig, um auch nach dieser Richtung jederzeit eine Nachprüfung der Glaubwürdigkeit des Geständnisses zu ermöglichen. Diese Nachprüfung wird sich vor allem auch auf die Frage zu erstrecken haben, welche Vorgeschichte das Geständnis hatte, unter welchen Umständen und vor wem es zu Stande gekommen ist. Die Vorgeschichte der Ablegung eines Geständnisses muß unbedingt ebenfalls festgelegt werden. Zweckmäßig und notwendig erscheint es — namentlich in besonders wichtigen Fällen —, das Geständnis noch weiter zu sichern. In sehr einfacher Form ist dies möglich, wenn Angehörige des Täters diesen besuchen. Es ergibt sich vielfach ganz von selbst, daß der Täter seinen Besuchern von seinem Geständnis Mitteilung macht. Wenn diese Erklärung z. B. der Braut, der Ehefrau oder sonstigen Verwandten und Bekannten gegenüber erfolgt, deren Schicksal mit dem des Täters irgendwie verbunden ist, so wird damit eine wichtige neue Grundlage für die Richtigkeit des Geständnisses geschaffen. 14•
212
Mord
Dem Geständnis — möge es auch noch so einwandfrei zustande gekommen sein und durchaus der Wahrheit entsprechen — drohen gewisse Gefahren. In erster Linie ist es die Umwelt des Täters im Gefängnis — seine Mitgefangenen, die immer bestrebt sein werden, ihn zum Widerruf zu veranlassen. Auch die strengste Isolierung wird Verständigungsmöglichkeiten nicht ausschließen. Zwecks Beseitigung dieser Gefahr werden zweckmäßigerweise geeignete Gefängnisbeamte gelegentlich ihrer Zellenbesuche den betreffenden Gefangenen unauffällig auch nach dem Grunde seiner Inhaftierung befragen. Im allgemeinen wird er ohne weiteres Mitteilung über seine Ginstellung zu der ihm zur Last gelegten Straftat machen. Die Beamten notieren sich kurz seine Angaben — namentlich soweit sie ein Geständnis enthalten. Nach einiger Zeit wiederholt sich die Unterredung in ähnlicher Weise. Im Falle eines Widerrufs läßt sich dann verhältnismäßig genau feststellen, wie lange der Betreffende bei seinem Geständnis geblieben ist. Die Prüfung der Frage, welche Einflüsse zu dem Widerruf geführt haben, kann in einem derartigen Fall mit ziemlicher Zuverlässigkeit durchgeführt werden. Immerhin sind Widerrufe von Geständnissen, deren Zustandekommen für den Täter ein inneres Erlebnis bedeutete, kaum zu erwarten. Praktische Bedeutung würde jedenfalls ein solcher Widerruf nicht haben.
Kapitalverbrechen auf Grund jener Bestimmung besonders groß. Der Gesetzgeber geht übrigens noch weiter: er hebt gewisse Tatbestände aus der Gruppe sonst straflos bleibender Vorbereitungshandlungen heraus und behandelt sie als selbständige Straftaten: die Aufforderung zur Begehung eines Verbrechens und die Annahme einer solchen Aufforderung. § 49 a StGB.: „Wer einen Anderen zur Begehung eines Verbrechens oder zur Teilnahme an einem Verbrechen auffordert oder wer eine solche Aufforderung annimmt, wird, soweit nicht das Gesetz eine andere Strafe androht, wenn das Verbrechen mit dem Tode oder mit lebenslänglicher Zuchthausstrafe bedroht ist, mit Gefängnis nicht unter 3 Monaten, wenn das Verbrechen mit einer geringeren Strafe bedroht ist, mit Gefängnis bis zu 2 Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Die gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher sich zur Begehung eines Verbrechens oder zur Teilnahme an einem Verbrechen erbietet, sowie denjenigen, welcher ein solches Erbieten annimmt. Es wird jedoch das lediglich mündlich ausgedrückte Auffordern oder Erbieten sowie die Annahme eines solchen nur dann bestraft, wenn die Aufforderung oder das Erbieten an die Gewährung von Vorteilen irgendwelcher Art geknüpft worden ist."
H. Verhütung von Kapitalverbrechen. Kapitalverbrechen verhüten ist besser, als bereits begangene aufzuklären. Auch das Strafrecht trägt dieser Erkenntnis Rechnung. Mord gehört zu denjenigen Verbrechen, deren bevorstehende Ausführung anzuzeigen ist, sofern jemand rechtzeitig glaubhafte Kenntnis erlangt. § 139 des StGB, lautet: „Wer von dem Vorhaben eines Hochverrats, Landesverrats, Münzverbrechens, Mordes, Raubes, Menschenraubes oder eines gemeingefährlichen Verbrechens zu einer Zeit, in welcher die Verhütung des Verbrechens möglich ist, glaubhafte Kenntnis erhält und es unterläßt, hiervon der Behörde oder der mit dem Verbrechen bedrohten Person zur rechten Zeit Anzeige zu machen, ist, wenn das Verbrechen oder ein strafbarer Versuch desselben begangen worden ist, mit Gefängnis zu bestrafen." Diese Bestimmung hat sich durchaus bewährt. Wenn eine ganze Anzahl geplant gewesener Kapitalverbrechen verhütet werden konnte und kann, so ist dies zurückzuführen auf entsprechende Mitteilungen aus der Umwelt des angehenden Täters. Stellt eine Mehrheit von Tätern auch schon in anderen Fällen ein erhebliches Gefahrenmoment d a r — vom Standpunkt des Verbrechers aus betrachtet —, so ist das Risiko gerade bei
In der überwiegenden Mehrzahl der hierher gehörigen Fälle ist Habsucht das Motiv der geplanten Tat. Aber auch andere Beweggründe kommen in Frage: Ein Ehemann ist seiner Frau überdrüssig; er will eine andere heiraten. Kurz entschlossen vertraut er sich einem, ihm geeignet erscheinenden jungen Mann an, zahlt ihm auch gleich einen entsprechenden Vorschuß. Der Rest sollte „nachher" beglichen werden. Der nüchterne, rein geschäftliche Zug, der diesen angehenden Mörder charakterisiert — das ganze Ausmaß seiner Gewissenlosigkeit — zeigt sich auch in seiner weiteren „Kalkulation"; die Tat sollte derart ausgeführt werden, daß sich — geradezu zwangsläufig — der Verdacht der Täterschaft auf einen — völlig unbeteiligten — Hausbewohner lenken sollte . . . In den bisher geschilderten Fällen ist die Gefahr, daß der Plan zur Ausführung kommen könnte, im Augenblick seines Bekanntwerdens beseitigt. Grundlegend anders die Fälle, in denen Jemand dem Anderen nach dem Leben trachtet, ohne diese Absicht etwa besonders geheim zu halten. — Im Gegenteil: für die betroffene Person wird die Sachlage gerade dadurch besonders peinlich, daß ihr der Plan — nicht selten durch den Täter selbst — bekannt ist. Hier ist die Mordabsicht viel-
Mord — Moulageverfahren
213
defi Jahren 1874—1927, Monatsschr. f. fach aus Familien-, Ehe- und LiebesangelegenKriminalpsychologie u. Strafrechtsreform, heiten hervorgegangen. Auch Haß und RachHeidelberg 1929, 20. Jahrg., S. 449ff. — sucht gegen Vorgesetzte, Arbeitgeber u. a. m. P. G a s t , Die Mörder, Krim. Abh., Heft XI, kommt häufig als Beweggrund in Betracht. Leipzig 1930. — G u m m e r s b a c h , BeDie Inanspruchnahme der Kriminalpolizei gnadigte Mörder. Drei Beiträge zur Psychoauf diesem Gebiet ist verhältnismäßig recht logie des Mordes, Monatsschr. f. Kriminalumfangreich. Jeder Einzelfall bedarf einer psychologie u. Strafrechtsreform, Heidelbesonders individuellen Behandlung. berg 1930, 21. Jahrg., S. 25ff., 727ff.; 1931, 22. Jahrg., S. 35ff. — L a n g , Mord und Das Polizeiverwaltungsgesetz bietet zwar Todesstrafe in Hamburg, Monatsschr. f. die rechtliche Möglichkeit, Personen zwecks Kriminalpsychologie u. Strafrechtsreform, Verhütung strafbarer Handlungen in Haft Heidelberg 1930, 21. Jahrg., S. 129. — zu nehmen — diese Haft darf sich aber in H. S c h i c k e r t , Statistik der Todesstrafe in Baden 1851—1929, Monatsschr. f. Krijedem Fall nur auf 24 Stunden erstrecken. minalpsychologie u. Strafrechtsreform, Wer es sich in den Kopf gesetzt hat, eine beHeidelberg 1930, 21. Jahrg., S. 161 ff. — stimmte Person umzubringen, wird sich auch C. E l v e n s p o e k , Mord und Totschlag. durch diese vorübergehende — wenn auch Polizei greift ein, Stuttgart 1931, 4. Aufl. — beliebig oft zu wiederholende — FreiheitsL e w y , S e e l i g , K a l m a n n , M ü l l e r und entziehung nicht von seinem Plan abbringen P o k o r n , Mörder, Graz 1931. — H. C. lassen. Der angestrebte Erfolg — die VerB r e a r l e y , Homicide in the United States, hütung der geplanten Tat — wird dementThe University of North Carolina Press, sprechend wohl fast immer auf andere Weise 1932. — K. K r ä m e r , Mord und Todeserzielt werden müssen. strafe in Hessen 1817—1929, Monatsschr. f. Kriminalpsychologie u. StrafrechtsKriminalistik ist zu einem großen Teil reform, Heidelberg 1932, 23. Jahrg., Kunst der Menschenbehandlung. Wenn S. 129ff. — E. R o e s n e r , Die Ursachen der Jemand einen solchen Plan gefaßt hat, so Kriminalität und ihre statistische Erforvielfach nur aus dem Grunde, weil ihm irgend schung, Allgem. Statistisches Arch., Jena ein anderer Weg, irgend eine andere Möglich1933, 23. Bd., S. 19ff. — W. S a u e r , keit nicht gegeben erschien. Sein GedankenKriminalsoziologie, Berlin-Grunewald 1933, gang bewegt sich gewissermaßen im Kreise. Bd. II, § 16. Totschlag und Mord, S. 212ff. Bei der Besprechung der psychologischen Ernst Oennat. Seite des Mordes und Mörders wurde bereits das Gleiche erörtert. Schon eine rein menschliche Aussprache mit dem „angehenden Mörder" — nicht Morphinismus s. Rauschgifte. selten tragen sich übrigens gerade Frauen mit derartigen Absichten — wirkt vielfach Wunder: nur auf sich selbst eingestellt, hatten jene Personen bis dahin keine Möglichkeit, sich Jemand anzuvertrauen. VielMoulageverfahren. leicht waren sie entsprechenden GelegenUnter „ M o u l a g e " im k r i m i n a l t e c h heiten auch absichtlich aus dem Wege gegangen. Noch immer aber ist es gelungen, n i s c h e n S i n n versteht man eine nach einem besonderen Verfahren, dem sogenannten den Plan endgültig zu Fall zu bringen. Pollerschen Verfahren, hergestellte N a c h Aus dem Schrifttum: b i l d u n g eines polizeilich wichtigen BeweisW e t z e l , Massenmörder. — F. v. H o l t z e n - mittels. d o r f f , Das Verbrechen des Mordes und Das Abformen und Nachbilden polizeilich die Todesstrafe, Berlin 1875. — F. T e n n y - wichtiger Spuren ist ebenso wie die Polizeis o n J e s s e , Murder and its motives, Lon- photographie (s. d. Art. Photographie) ein don 1924. — B j e r r e , Psychologie des unentbehrliches Hilfsmittel des polizeilichen Mordes, Dorpat 1925. — E. F e r r i , L'omicida, L'omicidio-suicidio, Torino 1925, 2. Erkennungsdienstes. Wann und in welchem bzw. 5. Aufl. — E. W u l f f e n , Kriminal- Umfange Spuren durch Abformen zu sichern psychologie. Psychologie des Täters, Berlin sind (z. B. Werkzeug- und Brechspuren, Fuß1926. — R. H e i n dl, Der Berufsverbrecher, spuren, Radspuren) und welche technischen Berlin 1927, 5. Aufl. — O. B u s d o r f , Wild- Mittel hierbei zweckmäßig verwendet werden dieberei und Förstermorde, Berlin, Bd. I, (Gips, Lehm, Wachs usw.), gehört zur Er2. Aufl. 1928, Bd. II 1929. — F. E x n e r , fahrungswissenschaft des Erkennungsdienstes Mord und Todesstrafe in Sachsen 1855 bis (s. d.), insbesondere der Spurensicherungs1927. Monatsschr. f. Kriminalpsychologie kunde (s. d.), und ist hier nicht näher zu eru. Strafrechtsreform, Heidelberg 1929, örtern; dasselbe gilt für die Polizeiphoto20. Jahrg., S. 1. — E. H ö p l e r , Mordkriminalität und Todesstrafe in Oesterreich in graphie, die ebenfalls in weitem Umfange be-
214
Moulageverfahren
nutzt wird, um Spuren (am Verletzten sowohl wie am Tatort) festzuhalten. Alle diese Verfahren dienen wie das Moulageverfahren nach Dr. Poller (Pollersches Verfahren, Pollern), soweit sie hier in Betracht kommen, der Beweissicherung. Die t e c h n i s c h e E i g e n a r t des Moulageverfahrens nach Dr. Poller besteht nun darin, daß zum Formen des Negativs eine besondere kolloide Masse (das N e g o c o l l ) benutzt wird, deren Vorzug ihre besondere Elastizität ist, so daß Rundplastiken und Unterschneidungen in gewissem Umfange ohne Stückformen gefertigt werden können. Das Negocoll wird aufgekocht und, ohne daß im allgemeinen besondere Vorbereitungen notwendig sind, körperwarm wie eine Salbe auf den abzuformenden Gegenstand aufgetragen. Nach dem rasch eintretenden Erstarren der Negativmasse läßt sich die aufgetragene Schicht leicht abheben oder abziehen, das Negocoll gibt dabei jedem Zuge leicht nach und federt sogleich wieder in die ursprüngliche Lage zurück. Ebenso ist das Positivverfahren besonders vereinfacht, indem die Positivmasse (das H o m i n i t , C e l e r i t usw. in verschiedener Farbe) nicht einen Guß erfordert, sondern ebenfalls elastisch gemacht und ohne besondere Vorbereitungen in die Negativform z. B. eingepinselt werden kann. Auf diese Weise war es Dr. Poller möglich, von 4 in einander geschlungenen Händen eine nahtlose Abformung ohne Stückformen herzustellen. Dabei kann durch Bemalung (Temperafarben) des Positivs eine weitgehende naturgetreue Wiedergabe erzielt werden, die die Beweiswirkung stark erhöht. Das Abformverfahren ist derart genau, daß nicht nur die Papillarlinien, sondern auch die dazwischen liegenden Schweißdrüsen der Haut naturgetreu wiedergegeben werden. Die für das Verfahren notwendigen (in ihrer Zusammensetzung geheim gehaltenen) Abformmassen sind für einen verhältnismäßig billigen Preis im Handel zu haben (Apotela A.G. Zürich). Der Erfinder des Verfahrens, der Wiener Privatdozent Dr. med. A. P o l i e r (f 3. IX. 1930) hatte sein Verfahren schon während des Weltkrieges im ärztlichen Dienst angewendet, er hat es dann zur Verwendung nicht nur für den Mediziner (Arzt, Zahnarzt), sondern auch für Zoologen, Bildhauer, Präparatoren usw. empfohlen. Seit 1924 war Dr. Poller Leiter der Abformabteilung des Erkennungsamts der Wiener Polizeidirektion, und von hier aus beginnt der polizeiliche Erkennungsdienst des In- und Auslandes das Verfahren zu übernehmen. Allerdings ist hierbei zu beachten, daß die Anwendung des Verfahrens, so sehr es im einzelnen dem Arbeiten z. B. mit Gips überlegen i s t , doch eine gewisse
Schulung der Beamten und gewisse Einrichtungen technischer Art voraussetzt, so daß seine Anwendung bisher auf die größeren polizeilichen Erkennungsdienste beschränkt blieb. H a u p t a n w e n d u n g s g e b i e t des kriminaltechnischen Moulageverfahrens ist zweifellos die s c h w i n d e n d e S p u r a m t o t e n u n d l e b e n d e n m e n s c h l i c h e n K ö r p e r (Hieb-, Stich- und Schußwunden, Würge- und Kratzspuren, Aufschürfungen, Strangulathnsmarken usw.). Häufig und mit Vortei. ist auch die Abformung von Gesichtsmasken unbekannter Toter (auch Wasserleichen) erfolgt, um ein zeitlich später liegendes Wiedererkennen zu ermöglichen. Aber auch Spuren von Verbrechen an leblosen Gegenständen (z. B. Werkzeugspuren, Brechspuren usw.) sind im Pollerverfahren mit Vorteil gesichert worden, zumal wenn die Gegenstände vom Tatort nicht entfernt oder im beschädigten Zustand nicht erhalten werden können. Ein wichtiges Anwendungsgebiet der Moulage wird m. E. auch die Beweissicherung gewisser Gewerbeverletzungen bilden können. Bemerkt sei, daß das Negocoll nach dem Aufkochen steril und vollkommen reizlos ist. Trotzdem empfiehlt sich — und wird auch in der mustergültigen Amtsinstruktion für die Abformabteilung des Wiener Erkennungsamtes ausdrücklich vorgesehen —, beim lebenden Menschen sich nicht nur der Zustimmung zur Abformung zu vergewissern, sondern diese auch nur unter amtsärztlicher Kontrolle durchführen zu lassen. Schrifttum: Eine ausführliche Beschreibung und technische Anleitung für das Pollersche Verfahren gibt das nach dem Tode des Verfassers von E. B. Poller und E. Fetscher herausgegebene und von Prof. Dr. von Economo-Wien eingeleitete Werk: Dr. med. A l f o n s P o l l e r , Das Pollersche Verfahren zum Abformen am Lebenden und Toten sowie an Gegenständen, Verlag Urban und Schwarzenberg, Berlin und Wien 1931; vgl. ferner die Abhandlung von Dr. P o 11 e r, Das Pollersche Abformverfahren im Dienste der gerichtlichen Medizin und Kriminalistik, Dtsch. Zeitschr. f. d. ges. gerichtl. Medizin 1929, S. 391 ff.; einzelne Aufsätze in der Polizeifachliteratur, insbesondere vonKrim.Komm. Schulz-Berlin in den Krim. Monatsheften 1929, S. 180; Jahrbücher der Bundespolizeidirektion Wien 1924—1930. Lothar
Barels.
Mumifikation
Mumifikation. 1. Unter M u m i f i k a t i o n versteht man eine außergewöhnliche und seltene Veränderung der Leiche, die im Gegensatz zu der Fäulnis und Verwesung zu einem Erhaltenbleiben der Weichteile führt. Darin liegt auch ihre kriminalistische Bedeutung, denn an Mumien kann man unter Umständen noch nach J a h r h u n d e r t e n Gewaltspuren bestimmter A r t erkennen. Die Mumifikation k o m m t unter verschiedenen, uns nur zum Teil bekannten Bedingungen infolge Wasserverdunstungen und Eintrocknung zustande. Künstlich kann ein solcher Zustand, wie er den ältesten Kulturvölkern bereits bekannt war, durch Einbalsamierung, d. h. Behandlung des Leichnams mit gerbenden, wasserentziehenden Stoffen, erzeugt werden.
215
2. Zu einer Mumifizierung können alle Umstände» führen, die eine Austrocknung und Wasserentziehung begünstigen, sei es, daß die Verdunstung durch trockene, bewegte Luft, z. B . in Grüften, zu stände k o m m t , sei es, daß die Austrocknung durch Lagerung der Leiche in einem besonders trockenen Erdgrab erfolgt. Lockeres, poröses Erdreich, z. B . Sandboden, kann stark wasseraufsaugend wirken.
Im allgemeinen kommt es am leichtesten zu einer Bildung von Mumien, wenn die Leichen kräftigen, s t a r k austrocknenden Winden, z. B . in der Wüste oder auf hohen Bergen, längere Zeit ausgesetzt sind. Aus den Gebirgsgegenden Perus und Mexikos, aus J a p a n und aus der Wüste S a h a r a , wird häufig von mumifizierten Leichen berichtet. Im Erdgrab ist eine natürliche Mumi- Hier sind nicht nur die Winde, sondern auch fikation sehr selten. In Grüften und T o t e n - die klimatischen Verhältnisse, die lang ankammern k o m m t sie etwas häufiger zur B e - dauernde Trockenheit und Hitze, wirksam. obachtung. Genauere Zahlenangaben, in In den Ländern der gemäßigten Zonen welchem Prozentsatz Mumifizierungen in be- kommt es bei Lagerung der Leichen im s t i m m t e n Gegenden auftreten, sind nicht Freien nur unter ganz besonderen Umständen vorhanden. Meistens handelt es sich um be- zur Mumifikation. Diese wird z. B . noch merkenswerte Einzelfälle, die im Schrifttum, relativ häufig bei den Leichen Neugeborener sei es aus historischen Gründen, sei es infolge beobachtet, deren dünne, zarte Haut eine kriminalistischer Besonderheiten, Erwähnung Wasserverdunstung leichter ermöglicht. Kingefunden haben. desleichen, die auf Dachböden, im Gebälk, in Die letzten Ursachen, warum die gewöhn- freien offenen Scheunen, aber auch in Kellern liche, bald nach dem Tode eintretende und Schächten aufgefunden werden, bieten Leichenfäulnis und-zersetzung nicht zu stände nicht selten Zeichen einer Mumifizierung. kommt, und vor allem nicht zu einer völligen Auch hier spielt die trockene W ä r m e im VerAuflösung weiterschreitet, lassen sich oft nicht ein mit s t a r k e m Luftwechsel und Durchzug aufdecken. Man kennt nur verschiedene die ausschlaggebende Rolle. äußere Bedingungen, die das E i n t r e t e n der Die Eintrocknung beginnt an der Leiche Mumifikation fördern. Vor allem spielt hier gewöhnlich an den besonders exponierten die Wasserentziehung der Leiche, die durch Stellen, den Nasenspitzen, Ohrmuscheln, mancherlei Umstände eintreten kann, eine Fingern, und wenn sie von Kleidung entgroße Rolle. Durch die Eintrocknung wird blößt sind, Zehen und Fersen. Die Zartheit nämlich die Fäulnis, die nur im wasserreichen der Haut, der Gefäßreichtum der betreffenden Gewebe möglich ist und in kürzester Zeit die Bezirke und der Grad der wässerigen Gewebstiefgreifendsten Veränderungen hervorruft, durchtränkung dürften hier ausschlaggebend weitgehend gehemmt. Die Verwesung, ein sein. von der Fäulnis verschiedener Vorgang (s. E h e auf die kriminalistische Bedeutung d. Art. Exhumierung), tritt j a in der Regel der Mumifizierung eingegangen wird, sind ebenfalls erst dann ein, wenn der Wasser- noch diejenigen Fälle von Leichentrocknung reichtum der Gewebe geschwunden und die zu erwähnen, bei denen die bislang geFäulnisvorgänge langsam im Abklingen be- schilderten äußeren Umstände nicht erfüllt griffen sind. Zu einer Mumifizierung scheint zu sein scheinen. es dann zu kommen, wenn die Austrocknung Die berühmten Mumien in der B r e m e r und Wasserentziehung so intensiv und frühBleikammer, die zahlreichen Mumifizierungen zeitig einsetzen, daß Fäulniserscheinungen einzelner Leichen oder auch von Leichennicht zur Entwicklung kommen können. Geteilen an verschiedenen Orten Deutschlands, ringe Verwesungsvorgänge sind fast regeldie teilweise zu S c h a u o b j e k t e n und Museumsmäßig neben der Mumifizierung vorhanden. stücken geworden sind, haben die Forscher Auch k o m m t es nicht selten vor, daß nur immer wieder angeregt, auch in diesen Fällen einzelne Teile der Leiche mumifizieren und nach den Gründen für den abnormen Zuso erhalten bleiben, während andere A b stand der Leiche zu suchen. Die Frage, schnitte infolge Fäulnis und Auflösung schon warum gerade diese Leichen, die nicht selten keinerlei Einzelheiten mehr erkennen lassen. Gräbern oder Grüften entstammen, die sonst
216
Mumifikation
eine normale Fäulnis und Verwesung aufweisen, nicht der Zersetzung anheimgefallen sind, kann auch heute nicht beantwortet werden. Besondere Schwierigkeiten macht die Erklärung der Mumifizierung in den Erbgräbern und in denjenigen Grüften, die keine oder nur geringe Verbindung mit der Außenluft haben. Man hat versucht, Mumifizierungen in Erbgräbern auf innere Ursachen, die in der Beschaffenheit der betreffenden Leiche begründet sein sollen, zurückzuführen. Es besteht auch heute noch vielfach die durch nichts bewiesene Ansicht, daß die Leichen arsenvergifteter Menschen leichter mumifizieren oder daß zu Lebzeiten eingeführte Medikamente sonstiger Art die Vertrocknung begünstigen. Sichere Beweise f ü r derartige Annahmen haben wir jedoch bislang nicht. Gewiß kann die Beschaffenheit der Leiche selbst einer Mumifizierung an sich günstig oder ungünstig sein. Stark abgemagerte Menschen, hagere Personen, Kranke, die vor ihrem Tode starke Wasserverluste erlitten haben (z. B. bei Ruhr und ähnlichen Erkrankungen), Personen, die konstitutionell hager und mager sind, ausgetrocknete Greise werden einer Mumifizierung leichter anheimfallen als fettleibige oder muskelstarke Leichen. Die Frage, ob Beimengungen zum Erdreich Einfluß haben, ist ungeklärt, doch soll stark salpeterhaltiger Boden ebenfalls günstig für eine Austrocknung sein. Am schwierigsten bleibt es, eine Erklärung für die Tatsache zu finden, daß auf großen Friedhöfen mit gleichmäßiger Erdbeschaffenheit immer nur wenige Leichen mumifizieren, oder daß in Leichenkammern und Grüften nur einzelne Leichen der Eintrocknung anheimfallen. Auch die in neuerer Zeit aufgetauchte Vermutung, die allerdings einer Nachprüfung an größerem Material bedarf, daß die besondere Beschaffenheit der Luft in den Kammern und Grüften, und zwar ihr abnorm hoher Gehalt an Radioaktivität, die Mumifizierung fördert, erklärt nicht, warum die e i n e Leiche mumifiziert und die andere nicht. Genaue chemische Untersuchungen über das Wesen der Mumifizierung liegen, soweit uns bekannt ist, in größerem Umfange nicht vor. Welche Umwandlungen mit der Haut und den Geweben vor sich gehen, wieso es zu der eigenartigen Hautbeschaffenheit kommt, wissen wir nicht. Es ist uns eigentlich nur bekannt, daß eine frühzeitig einsetzende Austrocknung der Leiche unter besonders günstigen, auch künstlich herzustellenden Bedingungen, zur Mumienbildung führt.
Die Tatsache, daß mumifizierte Leichen außerordentlich leicht sind, und zwar an Gewicht geringer, als dem Wasserverlust des Leichnams entsprechen kann dürfte darauf zurückzuführen sein, daß bei der Wasserverdunstung und dem Flüssigkeitsentzug auch gleichzeitig Salze aus dem Gewebe ausgeschwemmt werden. 3. In der Literatur sind manche Beispiele einer Mumifikation erwähnt, wo dieser Umstand weitgehende und wichtige kriminalistische Feststellungen erlaubt. Auch im Berliner gerichtsärztlichen Institut (Prof. Müller-Heß) hatten wir nicht so selten Gelegenheit, an mumifizierten Leichenteilen und vollständigen Mumien noch bedeutsame und verwertbare Befunde zu erheben. Neben der Konservierung von Gewaltspuren hat die Mumifikation auch insofern kriminalistische Bedeutung, als sie einen Schluß auf die seit dem Tode verstrichene Zeit erlaubt. Die Mumifikation beansprucht nämlich im allgemeinen ziemlich große Zeiträume, wenngleich sich auch hier keine für alle Fälle gültigen Regeln aufstellen lassen. Die Beschaffenheit der Leiche, der Ort, wo sie gelegen hat und die übrigen oben vielfach erwähnten Umstände sind hier maßgebend. Eine Kindesleiche kann unter besonderen Verhältnissen bereits nach einigen Wochen völlig mumifiziert sein, während der Leichnam eines Erwachsenen selbst bei günstiger Lagerung unter dem Einfluß von Trockenheit und Hitze stets mehrere Wochen, meistens Monate zur völligen Austrocknung benötigt. Ist die Mumifizierung noch nicht vollendet oder findet man an bestimmten Abschnitten der Leiche noch nicht abgeschlossene Fäulnisvorgänge, so sind Rückschlüsse auf die Todeszeit leichter möglich. Man kann auch versuchen, durch eine Untersuchung von kleinen mumifizierten Hautstückchen sich über den Grad der Austrocknung und über die Länge der dazu benötigten Zeit Klarheit zu verschaffen. Es dürfte sich jedoch dabei immer nur um rohe Schätzungen handeln. Ist die Mumifizierung vollendet, sind auch die Fäulnisvorgänge völlig zum Abschluß gekommen, so sind Angaben über die Todeszeit besonders schwierig. Auf eine völlig ausgetrocknete Mumie haben äußere Einflüsse nur eine geringe Wirkung. Gerade in diesem Umstand liegt die kriminalistische Bedeutung. Die durch die Mumifizierung fixierte und nun unveränderlich gewordene äußere Form des Leichnams ermöglicht es, in vielen Fällen noch nach langer Zeit eine gewaltsame Todesursache zu beweisen. Strangmarken, gröbere
ßeipjiger Commentar jur Strafprojejjorimutuj (früfjcr 19.,
oon
ijetfroeg,
Some
unb
^Rofenberg)
oöilig umgearbeitete 2Iuf(age oon J p a n e © ü n b e l ,
gerieft, J j e t n r i c f ) C t n g e m a n n , ©berfiaateantoait, 3tei$$geric()t«rat, S r n f ì S f t t e t f j a m m e r , 1 . Lieferung :
ginleitung, 1933.
Wartung,
ateicfjsgericfyterat.
Stnfüf)rung8gefe(3
s m
Senaiepräfibent a m Stetere«
D r . j u r . h. c. g r t g
unb § § 1 — 1 5 0
18—
ber © t ^ ß .
4 9 6 Seiten.
^
3 . Lieferung ;
§§ 151—332.
408 Seiten.
1933.
SRft.
15.—
3. Lieferung :
§ § 3 3 3 — 4 7 4 u n b ©eriebtöoerfaffungegefeg, gelangt i n Ä ü r j e j u r Sluegabe. „. . . )um unentbefjrltc&en ölüftjeug jebeä Straftecfttipiafritetä gehört. . . . ®afi bat ÜBetf bem neuejlen ©tanb bei 8le