Handwörterbuch der Kriminologie: Band 2, Lieferung 1 K – Landjägerei [Reprint 2022 ed.] 9783112675601, 9783112675595


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K
Kriminalroman
Kriminalsoziologie
Kriminalstatistik
Krlminaltaktlk
Kriminaltechnik
Kriminogene Disposition und Struktur
Kriminologie
Kriminosität
Krüppeltum
Kuppelei
Kurpfuscherei
L
Landjägerei
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Handwörterbuch der Kriminologie: Band 2, Lieferung 1 K – Landjägerei [Reprint 2022 ed.]
 9783112675601, 9783112675595

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Handwörterbuch der Kriminologie Band 2 Lieferung 1

K . (Fortsetzung.) verschaffen konnte. Ich glaube, die Lösung Kriminalroman. 1. Der Kriminalist kann wegen der Zwi-. f ü r diese auffallende Gesetzmäßigkeit liegt auf schen dem Kriminalroman und der Krimino-. psychoanalytischem Gebiete. Der nur in logie bestehenden Wechselbeziehungen ant seiner Phantasie aktiv verbrecherisch sich beihm nicht vorbeigehen. Es ist noch zu wenig tätigende Kriminalautor identifiziert sich untersucht worden, ob und inwieweit der• auch in der Wirklichkeit mit seinem VerVerbrecher aus dem Kriminalroman gelernt: brecher, in dessen Ideenwelt er sich so hineinhat, und noch weniger hat man sich die Frage: versetzt, daß die inneren Hemmnisse begreifvorgelegt, ob nicht die schriftstellerische. licherweise einer Aufdeckung der Tat im Tätigkeit des Autors von Kriminalromanen Wege stehen. bedingt ist durch eigne verbrecherische VerAber es gibt doch eine ganze Anzahl von anlagung, die er auf dem Papier (zum Segen Kriminalromanschriftstellern, die Kopisten der Allgemeinheit!) durch das Ersinnen'und des realen Lebens sind oder von ihm Anregung Fortspinnen krimineller Begebenheiten ab- erfahren haben. reagiert, denn wenn zum Schlüsse auch fast Für W a l t e r H a r i c h s Roman „Der immer das Gute triumphiert, so kann darin Kunstfälscher" greift der Verfasser auf das lediglich eine Konzession an die herrschende Problem des berühmten italienischen KunstMoral erblickt werden. C o n a n D o y l e läßt fälschers Dosena zurück, der mit unerhörter durch den Mund seines Sherlock Holmes be- Meisterschaft Werke vergangener Epochen stätigen, daß er ein großer Verbrecher gewor- schuf, so daß selbst hervorragende Kunstden wäre, wenn er nicht zufälligerweise den gelehrte die Echtheit nicht zu bezweifeln Detektivberuf ergriffen hätte. A u s t i n F r e e - wagten (s. d. Art. Fälschung von Kunstm a n n und Fl e t e h e r bekennen, daß sie nie werken). Harich empfing durch dessen Fäleiner Gerichtsverhandlung beigewohnt haben, schungen den Anreiz zu seinem naturgemäß sondern die von ihnen geschilderten krimi- selbständig weiter entwickelten Kriminalnellen Begebenheiten lediglich „aus der Tiefe roman. Dem Regisseur F r i t z L a n g schwebte ihres Gemüts" geschöpft hätten. Auch E d - bei seinem Kriminalfilm „ M " der Fall des g a r W a l l a c e erklärte mehrfach in Inter- Düsseldorfer Massenmörders Heinrich Kürten views, daß die landläufigen Verbrecher ihm zu vor Augen. Auch hier erzittert eine ganze ideenarm und in der Ausführung ihrer Misse- Stadt vor einem brutalen Kindesmörder, den taten zu geistlos seien, als daß er sie f ü r seine die Polizei trotz ununterbrochener Razzien Kriminalromane als Vorbild verwenden nicht zu erwischen vermag. Der tragische könne. Die Phantasie dieser Autoren war Tod der Tänzerin I s a d o r a D u n c a n muß fruchtbarer als die Wirklichkeit. Carolyn W e l l s bei seinem Roman „Fehlende Nun versagen jedoch seltsamerweise ge- Spuren" zum Vorbild gedient haben. Eine rade die erfindungsreichsten Kriminalschrift- Person wird anscheinend durch Zufall dasteller in der Praxis, oder sie würden Miß- durch getötet, daß ihr Halstuch sich in den erfolge haben, wenn sie praktisch die Me- Speichen des anfahrenden Wagens verfangen thoden ihrer Detektive erproben würden. hat, so daß sie dadurch erwürgt und aus dem B a l z a c ließ sich 1839 von dem Mörder Peytel Auto auf die Straße geschleudert wird, wo sie düpieren, W a l l a c e versagte kläglich bei der mit gebrochener Wirbelsäule tot liegen bleibt. Aufdeckung der Mordtaten Kürtens und nur Natürlich hatte im Roman der Täter absichteine die Regel bestätigende Ausnahme kennt lich die Fransen an den Speichen befestigt. man von C o n a n D o y l e , der dem unschuldig In „Fünf Gramm Liebeszauber" von O t t o verurteilten Perser Edalji die Freiheit wieder S o y k a ist Ehrgeiz das Motiv der T a t (Mord). Handwörterbuch der Kriminologie. Bd. II.

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Kriminalroman

Ein Journalist, der sich hervortun will, begeht den Mord und läßt sich von seiner Zeitung mit der Aufklärung des Verbrechens betrauen. Logischerweise muß seine Rekonstruktion der Tat überzeugen, aber gleichzeitig verblüffen, was beabsichtigt war. Man muß hier unwillkürlich an Matuschka denken, der seine Eisenbahnattentate ebenfalls, wie er zugestand, zu dem Zwecke unternahm, um von sich reden zu machen. 2. In den Detektivgeschichten handelt es sich im Gegensatz zum eigentlichen Kriminalroman, bei dem immer die psychologische Erklärung eines Verbrechens im Mittelpunkt steht, fast durchweg um die Entdeckung des Täters und Unterstützung der irdischen Gerechtigkeit durch den Detektiv. Das aber geschieht nicht in ruhig und logisch fortschreitender Entwicklung, wobei ein Untersuchungsergebnis zum anderen gefügt wird, um eine in sich geschlossene Beweiskette zu erhalten, sondern in klug berechneter Steigerung mit retardierenden Momenten, um die Spannung des Lesers wachzuhalten und seine Neugier stets von neuem zu reizen. Mit der Aufspürung des Täters und seiner Ergreifung, um ihn dem rächenden Arm der Gerechtigkeit zu überliefern, und dem Bericht des Detektivs über seine Arbeit schließt im Regelfall die Detektivgeschichte oder der Kriminalroman. Bestrafung ist notwendig, denn mit Recht verlangt die Gesellschaft die Bestrafung des asozialen Schädlings, und der Kriminalschriftsteller muß diesem Verlangen Rechnung tragen. Tut er das nicht, so besteht f ü r ihn sogar die Gefahr, daß das Werk wegen Verherrlichung des Verbrechers auf die Schund- und Schmutzliste gesetzt wird (z. B. „ K l e t t e r m a x e " von E r i c h P o s s e n d o r f ) . Nun kann sich jedoch mancher Staatsbürger zweifellos gegen die Gesetze des Gemeinwesens vergehen, ohne daß seine Tat auch als moralisch verwerflich angesehen wird (z. B. „Michael Kohlhaas" von H e i n r i c h v. K l e i s t ; „Der Verbrecher aus verlorener Ehre" von S c h i l l e r ; „Ein Kampf ums Recht", von K a r l E m i l F r a n z o s ) . Schiller hatte beispielsweise in Anlehnung an den alten Pitaval die Geschichte vom Sonnenwirt geschrieben, „der unter dem Drucke einer in Formen erstarrten Rechtspflege und einer sozial gefühllosen Gesellschaft auf der Leiter des Verbrechens bis zur tiefsten Stufe hinabgleiten m u ß t e . " B u l w e r stellte sich in „Eugen A r a m " die Aufgabe, zu beweisen, daß man aus Liebe zur Wissenschaft zum Verbrecher werden kann. A n t o n v. P e r f a l l streifte in „Die Finsternis und ihr Eigentum" in nicht uninteressanter Weise das Problem der Vererbung. In „Wie man Verbrecher f ä n g t " von G r e y und „Feine Fäden" von B a l m a r und

H a r g werden die besonders von Münsterberg ausgebildeten Methoden der Experimentalpsychologie sowohl zur Feststellung der Unschuldigen wie der Überführung der Schuldigen herangezogen. Das Gesetz freilich „sieht, was vor Augen ist". Aber sind die rein verstandesgemäß zu stände gekommenen Paragraphen des Strafgesetzbuches immer gerecht, entsprechen sie stets dem Gerechtigkeitsgefühl aller billig Denkenden? „Gerechtigkeit ist ein Ding, von Menschenhand geschaffen. Sie ist dem Wechsel unterworfen und muß es sein, weil immer neue Ereignisse zutage t r e t e n " ( G e o r g e G o o d e h e l d , Das Lied des Hindus). Hält der Autor also viel von der irdischen Gerechtigkeit? Otto S o y k a schildert in „Das Experiment" einen Richter der alten Schule, der, ohne Verständnis f ü r die Psyche des Täters, seine Aufgabe darin erblickt, mit der Lust des mitleidlosen Jägers, des leidenschaftlichen Sportmannes, durch Überrumpeln und Irreführen, was ihm im Rahmen des Gesetzes eben noch gestattet ist, den Angeschuldigten zu überführen oder ihn in den Fallstricken seiner eigenen Unachtsamkeit zu fangen. Mit unparteiischer Gerechtigkeit hat solche Handlungsweise wenig zu tun. In „Der falsche Brief" von W a l t e r S. M a s t e r m a n n läßt dieser die Tochter des Ermordeten sagen: „Ich hoffe, daß Sie den Verbrecher finden werden, und dennoch — andererseits wäre es mir fast lieb, Sie fänden ihn nicht . . . die schrecklichen Gerichtsverhandlungen, die kalte Zelle, und dann die letzte grauenhafte Szene . . . Englische Gerechtigkeit ist eine so kalte, erbarmungslose Sache! Wenn ich von Leuten höre, die auftreten, um die gerichtlichen Zwecke zu fördern, wie es genannt wird, dann denke ich immer, sie tun es nur, um von sich sprechen zu machen oder wegen der B e l o h n u n g . . . Ich halte es f ü r eine schlimmere Strafe, den Verbrecher seinem Gewissen zu überlassen, als ihn zu bestrafen." Der Detektiv (und Verbrecher) Collins, der selber lange Jahre Jurist war, erwidert zwar: „So denken Sie, weil Sie nie mit einem wirklichen Verbrecher in Berührung gekommen sind. Der hat kein Gewissen", aber wenig später äußert der gleiche: „Wenn ein Mensch in die Klauen des Gerichts gerät, macht es nichts aus, ob er schuldig ist oder nicht. Dann ist er ebenso unrettbar verloren wie eine Fliege im Spinnennetz." „Wie entsetzlich! Aber Sie sind doch selbst J u r i s t ? " „Darum eben sage ich es!" Auch Inspektor Sinclair, ein gewissenhafter Inspektor, muß zugestehen: „ . . . außerdem kommt es öfter als Sie ahnen vor, daß ein Unschuldiger den Sündenbock abgeben muß. Die Polizei sagt sich, daß sie einen Mann mit einer schlimmen

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Kriminalroman Vergangenheit gefaßt hat und daß ihm ganz recht geschieht, wenn man ihn einsperrt, selbst wenn er die Tat nicht begangen haben sollte. Solche Kerle werden, wenn ein Mord vorliegt, fast immer zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt." Weil nun der Autor so wenig Vertrauen zur englischen Gerechtigkeit hat, läßt er seinen Verbrecher Collins durch einen Autounfall ums Leben kommen. Ähnliche Abneigung gegen die (amerikanische) Polizei zeigt auch der blinde Detektiv Colton in „Der vergoldete Handschuh" von S l i n t o n H. S t a g g : „Mag die Polizei die Sache nun nach Belieben verpatzen. Ich bin fertig". „Wohl schon hundertmal hatte seine Begabung ihren Bemühungen den Stempel der Lächerlichkeit aufgedrückt". Ebenso macht sich Sherlock Holmes über die Polizei und ihre Diener lustig, da sie anscheinend die Unfähigkeit in Erbpacht genommen haben. Diese Herabsetzung erscheint dem Verfasser notwendig, um das Qeisteslicht des Amateurdetektivs in hellstem Glänze strahlen zu lassen. Auch in die Untersuchungsmethoden fremder Staaten gewinnt der Leser interessante Einblicke. Nach Hans Regina v. N a c k („Das Gift der Schararaka") gehört zu den in Amerika angewandten Methoden des dritten Grades, um dem Verbrecher ein Geständnis zu entreißen, eine Skopolamininjektion. „Einer Skopolamininjektion folgt Dämmerschlafnarkose. Das Oberbewußtsein ist ausgeschaltet. Doch der Narkotisierte vermag zu sprechen, zu antworten, es fehlt ihm aber die Fähigkeit, dies alles bewußt zu tun. Er ist also nicht im stände, Lügen zu erdenken."

täters als auf der der offiziellen Justiz. Er hat ja das Recht, jeden von ihm konstruierten Fall ohne die rein juristischen Bedenken von einem menschlichen Standpunkt aus zu beurteilen. C o n a n D o y l e durfte es in seinen Sherlock Holmes-Geschichten wagen, seinen „Überzeugungsverbrechern" Pardon zu gewähren, und es ist nicht zweifelhaft, daß er die Millionen seiner Leser wunschgemäß für seine Ansicht gewonnen hat. Eine direkte Beeinflussung lag selbstverständlich nicht vor, aber sie wirkte sich als solche aus. O t t o S o y k a jedoch geht einen Schritt weiter. In seinem Roman „Das Experiment" läßt er durch die Freundesschar eines unschuldig Verurteilten den Versuch unternehmen, die Stimmung des Publikums und den Gang der Justiz durch geeignete Maßnahmen zu Gunsten, des Angeklagten zu bestimmen. „ H a b t ihr die Sensationsprozesse der Zeit richtig verstanden?" läßt sich einer der Freunde vernehmen. „Aus der Million Menschen, die sich ein Urteil anmaßen, werden zwölf durch das Los bestimmt, die es wirklich über den Angeklagten sprechen dürfen. Diese zwölf zu bestechen, wäre schwer und gefährlich. Aber vorher die Million (aus dem Publikum) zu bestechen, das ist ein Kinderspiel." Es erscheint ihm dazu unumgänglich notwendig, sich bei seinem Experiment der Hilfe der Presse zu bedienen, um auf diese Weise die Volks- und auch die Berufsrichter zu beeinflussen. Obgleich nun auch die Gegenseite die ihr zur Verfügung stehende willfährige Presse in ihrem Sinne nutzbar macht, neigt sich doch auf Grund des „rollenden Rubels" die Stimmung zu Gunsten des Angeklagten.

Auch die vielen Kriminalromane des Franzosen E m i l e G a b o r i a u enthalten manches f ü r unsere Zwecke brauchbare Material. Nach seiner Schilderung müssen die französischen Gefängnisverhältnisse seiner Zeit nicht gerade vorbildlich gewesen sein (s. d. Art. Geschichte des Gefängniswesens). Bestechungen der Wärter, unerlaubte Besuche in den Zellen der Gefangenen, Versuche der Gefangenen, mit Hilfe der Wärter zu entweichen, scheinen an der Tagesordnung gewesen zu sein. Gaboriaus Detektive verrichten ihren Dienst lediglich der Beförderung halber. Da der Kriminalschriftsteller die Schwächen der Rechtspflege mit kritischen Augen betrachtet, steht er zuweilen auch im Dienste der Tendenz. A r t u r L a n d s b e r g e r (Justizmord?) und O t t o S o y k a (Das Experiment) kämpfen mit gefühlsmäßigen Gründen gegen die Todesstrafe, M a x A l s b e r g (Vorunters u c h u n g ) gegen Untersuchungshaft und diffamierende Vorstrafen. Der Kriminalschriftsteller steht, wie man sieht, vielfach mehr auf der Seite des Übel-

Solche wenn auch konstruierten Fälle erwecken dennoch die Illusion des tatsächlichen Geschehens. Aus ihnen kann der Kriminalist lernen, vorausgesetzt natürlich, daß auch der Schriftsteller in seinen Romanen den Boden der formaljuristisch nun einmal gegebenen Tatsachen nicht verläßt. Vorbildlich erscheinen in dieser Beziehung die englischen und amerikanischen Autoren, die vielfach an einem Spezialfall das heimische Gerichtswesen sehr anschaulich schildern. Lächerlich wirken jedoch Produkte, die verraten, daß ihre Autoren von der Kriminalisten oder J u risten Geiste „keinen Hauch verspürt" haben. Als Schulbeispiel kann „Der Fall Deruga" von Ricarda H u c h gelten, in dem der juristische Unsinn auf die Spitze getrieben wird. Es ist der Verfasserin anscheinend unbekannt, daß Zivil- und Strafprozeß zwei streng von einander getrennte Gebiete sind, daß zu der Zeit, in welcher der Roman spielt, auch Tötung auf Verlangen vor die Schwurgerichte gehörte, daß im Strafverfahren kein Schadensersatzprozeß angestrengt werden 1»

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Kriminalroman

darf, daß die Anklage der Staatsanwalt, nicht der Vorsitzende erhebt, daß der Staatsanwalt bei der Beratung der Geschworenen nicht zugegen sein darf, daß er bei Tötung auf Verlangen nicht f ü r Freispruch plädieren darf usw. Ähnliche juristische Unmöglichkeiten finden sich in dem Roman „ J u s t i z m o r d " von A r t u r L a n d s b e r g e r . Obgleich dieser in Frankreich spielt, wird auf § 51 RStGB. Bezug genommen. Eine Detektivin übernimmt plötzlich vor Gericht die Verteidigung des Angeklagten, ohne als Anwalt zugelassen zu sein. Der des Mordes Angeklagte erhält vor den Augen des Gerichts von seiner vermeintlichen Mutter einen Gegenstand zugesteckt, ohne daß der Vorsitzende etwas dabei findet, das Gericht läßt erhebliche Beweisanträge unter den Tisch fallen usw. Derartige Widersinnigkeiten können den Juristen und Kriminalisten nur ein mitleidiges Lächeln abnötigen. Solche Märchenprodukte scheiden f ü r die Betrachtung aus. Im übrigen konzentriert sich das Hauptinteresse der Kriminalisten auf die beiden Hauptfragen: erstens: Wie wird ein Verbrechen technisch durchgeführt? zweitens: Wie versucht der Verbrecher, sich seiner Strafe zu entziehen? 3. Auffallend ist bei dem Kriminalroman, daß in 90 von 100 Fällen ein M o r d im Mittelpunkt der Handlung steht. Für Diebstahl, Unterschlagung, Meineid und sonstige Verbrechen zeigen die Autoren viel weniger Interesse. Der Mord allein gilt als „schönes Verbrechen", vielleicht weil seine Schilderung etwa schlummernden sadistischen Tendenzen des Publikums entspricht, und technisch deswegen, weil der meistens einzige Zeuge der Tat seine anklagende Stimme nicht mehr erheben kann, so daß der Autor nach Belieben seine Gestalten wie Schachfiguren hin und her schieben darf, ohne von dem Opfer lästige Störungen befürchten zu müssen. Abgesehen von der gern und reichlich verwendeten Schußwaffe erscheint den Kriminalschriftstellern das G i f t als die wirksamste und unverdächtigste Todeswaffe. Der Verbrecher kann es seinem Opfer auf die gewöhnliche Manier beibringen, allein das würde zu schnell die Gefahr der Entdeckung nach sich ziehen. Es muß deshalb auf so unverfängliche Weise in den Körper des Opfers eingeimpft oder sonstwie gesandt werden, daß es entweder nicht aufzufinden ist oder daß der Täter nicht in die unmittelbare Nähe des zu Vergiftenden zu kommen braucht, um auf diese Weise stets ein Alibi erbringen zu können. Ob es solche im Körper des Ermordeten nicht nachweisbaren Gifte gibt, dar-

über macht sich der Autor im allgemeinen wenig Skrupel. Mit der Bezeichnung „ein starkes", „ein gefährliches", „ein nur den Indern in seiner Zusammensetzung bekanntes G i f t " wird auf die Gutgläubigkeit des Lesers spekuliert. C o n a n D o y l e läßt in „Das Abenteuer mit dem Teufelsfuß" einen Erbschleicher seine Anverwandten mit dem Gift des Teufelsfußes (Radex pedis diaboli) unschädlich machen. Sicherheitshalber aber setzt der Autor hinzu, daß außer einer kleinen Probe das afrikanische Gift noch nicht seinen Weg nach Europa gefunden habe. Es erzeugt Wahnsinn, wenn durch Verbrennung die Dämpfe eingeatmet werden. Das Gift selbst ist auf der über dem Zylinder angebrachten Rauchfangscheibe enthalten. Noch raffinierter wird der Mord in „Der vergoldete Handschuh" von H. S t a g g ausgeführt. Da hier das Opfer die Nachstellungen nach seinem Leben kennt, schützt es sich vor Gift, daß es jedes Trinkgefäß im Hotelzimmer vorher am Heiß-Wasserhahn ausspült. Damit rechnete der Täter. Er schmiert das stark wirkende Gift in das Ende des Kaltwasserhahns. So bald der Hahn gedreht wurde, verwandelte sich das herausfließende Wasser zu Gift. In dem gleichen Band wirkt ein mit einem unbekannten orientalischen Gift getränkter winziger Pfeil als Todesursache. Ihn hält der Mörder in einer kurzen hauchdünnen Glasröhre in seinem Taschentuch versteckt. Das Entsenden des Pfeils geschieht durch einen Hauch des Mundes. Der winzige Pfeil bohrt sich dann so tief in den Körper des Ermordeten, daß er nicht entdeckt werden kann. Solcher vergifteter Pfeile bedient sich auch der Verbrecher in „Der Mann, der nicht zu fassen w a r " von J . S m a l l . Drei hauchdünne mit einem sehr starken Gift imprägnierte Nadeln werden in eine Luftpistole geladen, sodaß das Abfeuern geräuschlos wirkt. Die Nadeln hinterlassen beinahe keine Spur eines Einstichs, und alle Symptome weisen auf Gehirnschlag hin. In „Der sterbende Sherlock Holmes" von C o n a n D o y l e soll der Detektiv durch eine Dose getötet werden, die im Innern einen Stachel angebracht enthält, der mit einem starken Gift getränkt ist. Beim Öffnen der Dose springt die Spitze heraus und sticht unweigerlich den Öffnenden in die Finger. Sherlock Holmes hat diesen Anschlag natürlich vorausgesehen. Dieser Trick mit den vergifteten Nadeln, die beim ö f f n e n eines Behältnisses herausspringen und den Unvorsichtigen in die Finger stechen, verwendet ferner auch der obengenannte A u s t i n J . S m a l l . Hier ist eine Streichholzschachtel das harmlose Behältnis. In F r a n k H e l l e r s „Dr. Zimmertürs Ferienabenteuer" wird in der Geschichte „Der Mord auf der Prome-

Kriminalroman nade du Midi" ein Automobilist durch einen mit Curare vergifteten Pfeil, der aus einem Luftgewehr abgeschossen ist, ermordet. In einem Roman von F l e t c h e r wird ein Wachsmodelleur durch eine hinterrücks applizierte Injektion mit dem Gift Fingerhut getötet. In „Madame Storey" von H u l b e r t F o o t n e r will eine Lady eine ihr unbequeme junge Dame aus dem Wege räumen. Da sie deren Vorliebe f ü r Parfüms kennt, sendet sie ihr anonym ein mit Gift getränktes kostbares Taschentuch. Das Gift ist trocken oder auch mit Wasser vermengt wirkungslos. Erst wenn ein Tropfen Alkohol (dem wesentlichen Bestandteil der Parfüms) auf das Tuch geschüttet wird, entfaltet sich die giftige Wirkung. In „Die schwarze Maske" von E. W. H o r n u n g kommen die Peiniger von Raffles durch das tödlichste Gift, das die Wissenschaft kennt, eine Cyanverbindung mit Kakodyl, das in fünf Minuten tödlich wirkt, ums Leben. In „Fehlende Spuren" von C a r o l y n W e l l s kommt Quecksilber-Bichlorid zur Anwendung. In „Das Schloß des Schreckens" von E d e n P h i l l p o t t s spielt das geheimnisvolle Gift der Borgia eine ausschlaggebende Rolle. In dem einen Zimmer steht das Bett der Borgia, dessen Matratze mit einem blitzartig wirkenden Gift getränkt ist, das sofort wirkt, sobald die Körperwärme mit der Matratze in Berührung kommt. Vielfach bedient sich der Verbrecher einer giftigen Schlange, die den Mord besorgen muß. Bei D o y l e „Das getupfte B a n d " ist es eine indische Sumpfotter, bei S t e v e n s o n (Das Perlenhalsband) eine Fer-de-lance-Schlange, bei M e l v i n L. S e v e r y (John Darrows Tod) die Russeis Viper (Daboia Russeiii), bei H a n s R e g i n a v. N a c k (Das Gift der Schararaka) eine Lochotter (Trimeresurus jararaca). In dem gleichen Roman entzieht sich der Meisterverbrecher der irdischen Gerechtigkeit dadurch, daß er seine Hand in den Schlangenkäfig steckt und von den Reptilien gebissen wird. Durch mit Opium getränkten Tabak wird ein Verfolger in tiefen Schlaf versetzt ( K a r l E t t l i n g e r , Die verhexte Stadt). Auch sonst spielt die vergiftete Zigarette in Kriminalromanen eine große Rolle, um unbequeme Verfolger zu beseitigen oder das Opfer zu betäuben. Auch zugeschickter vergifteter Kuchen und Konfitüren (Green, Um Millionen — Donnel Bodkin, Der Hund und der Doktor), freigebig kredenzter Kaffee (B. Williams, Ramosi) dienen den verbrecherischen Zwecken. Doch verschmäht der heute wirkende Kriminalschriftsteller solche einfachen und abgenutzten Mittel. Der Leser verlangt aufregendere Todesarten. Gift muß auch herhalten, um in „Indizien" von P a u l W e i d e n h a u s die Mörder der irdischen Ge-

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rechtigkeit zu entziehen. Der eine bewahrt es in einem hohlen Ring, der andere in einem hohlen Knopf auf, der nur zerbissen zu werden braucht, und wo man es nicht vermutet. Mit „Nervengiften", denen er Phantasienamen beilegt, arbeitet ferner der in allen Sätteln gerechte O t t o S o y k a . Sie sind regelmäßig dazu bestimmt, durchwegs hübsche Mädchen in sexuelle Hörigkeit zu bringen. „Müdigkeitsgifte" stellt F r a n k H e l l e r (Lavertisse macht den Haupttreffer) in den Dienst seines amüsanten Gauners und hält sich dabei an die Ergebnisse der modernen Forschung. Da feststeht (vgl. Magnus Hirschfeld, Geschlechtskunde, Stuttgart 1926, I, 320), daß durch starke Ermüdung im Blute sich ein gewisser noch nicht näher ergründeter Giftstoff bildet, läßt Frank Collin einige geworbene Gehilfen sich eine Nacht todmüde arbeiten, bereitet aus dem ihnen hernach entnommenen Blut ein Serum, das er dem Bürgermeister und den Polizisten eines kleinen Ortes in der Maske eines Impfarztes einspritzt, um seinen Komplizen aus der Gefangenschaft zu befreien. Dieses Müdigkeitsgift wirkt nicht tötend, sondern nur einschläfernd. In der Figur des Verbrecherkönigs Vorst zeichnet A u s t i n J . S m a l l einen „Meister der Gifte". Er kennt nicht nur, wie der Verbrecher Grey in desselben Verfassers Roman „Die schweigenden Sechs", der Wissenschaft unbekannte Gifte, die bereits bei der bloßen Berührung der Haut entweder sofort tödlich wirken oder doch zum mindesten Lepra hervorrufen, sondern er züchtet Bakterien, die einander diametral entgegengesetzt sind. Werden sie beide gleichzeitig dem Körper einer Person eingeimpft, dann gibt es keine Heilung, denn die Behandlungsart, die gegen das eine Gift wirksam sein sollte, erhöht nur die Giftwirkung der anderen Bakterien. Bei der Obduktion stellt der Arzt gewöhnlich Herzschlag fest. Ein Glück nur, daß diese verbrecherischen Methoden in der Praxis sich noch nicht verwirklichen lassen! Außer Gift wird zuweilen auch G a s als todbringendes Mittel verwendet. Entweder wird es in einen abgeschlossenen Raum durch eine nicht verschließbare Öffnung von außen geblasen, wodurch der darin Befindliche rettungslos ersticken muß (z. B. in „ K e e b a n " von E d w i n B a l w e r ) , oder durch das Abfeuern eines Revolvers muß eine Explosion hervorgerufen werden (Das Experiment, von O t t o Soyka). Großer Beliebtheit erfreut sich die S c h u ß w a f f e , da sie verhältnismäßig sicher wirkt und der Täter mit dem Ermordeten nicht in körperliche Berührung zu kommen braucht. Sehr oft ist dann (z. B. bei C o n a n D o y l e s Sherlock Holmes-Geschichten und in „Der

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Kriminalroman

T i g e r " v o n J . R e g i s , „ P a u l Becks Unters u c h u n g e n " v o n M c D o n n e l l B o d k i n ) ein L u f t g e w e h r das Mordinstrument, weil es so gut wie gar kein Geräusch verursacht und die Eignung besitzt, den V e r d a c h t auf Andere zu lenken. W i r lassen hier die alltäglichen Fälle, in denen der Mord durch Erschießen auf die übliche Manier ausgeführt wird, und wo es sich nur darum handelt, den T ä t e r zu ermitteln, beiseite und streifen in Folgendem nur kurz einige Fälle, in denen die Technik der A u s f ü h r u n g über den Durchschnitt sich erhebt. D a selten ein Mörder sich auch z u seiner T a t bekennt, geht sein größtes Bestreben dahin, nicht nur die Spuren seiner T a t zu verwischen, sondern sie nicht als ein Verbrechen, sondern als ein natürliches Ereignis hinzustellen. Die S c h u ß w a f f e wird deshalb gern durch ein mechanisches Ereignis in A k t i o n gebracht, z. B . bei H e i n r i c h L e e (Ein Pistolenschuß) und W . B o d k i n (Nicht mit eigner Hand), wo eine Wasserflasche unter der bew u ß t e n Einstellung zur Sonne als Brennglas w i r k t und die E n t l a d u n g erzielt. Einen optischen Mord schildert O t t o S o y k a , der überhaupt im Ausdenken knifflich ausgeführter Verbrechen ganz Hervorragendes leistet, in „ F ü n f G r a m m Liebeszauber". Das Opfer soll an bestimmter Stelle in einer Gartenlaube aus weiter E n t f e r n u n g erschossen werden, ohne daß der Mörder mit einer Schußw a f f e direkt in Berührung zu treten braucht. Wie kann das g e s c h e h e n ? Nach dem A u t o r nichts einfacher als d a s ! A u f einem e t w a einen K i l o m e t e r entfernt liegenden B a u m e wird ein weittragendes Gewehr mit großer Durchschlagskraft fest angebracht und anvisiert. A l s Zielpunkt dient dem T ä t e r eine kleine elektrische Birne, die genau da angebracht ist, wo das Opfer in der L a u b e zu sitzen pflegt. D a m i t der z u m T o d e Verurteilte auf der B a n k keinen anderen P l a t z einnehmen kann, wird das z u m Sitzen benutzte Kissen mit Leim angeklebt, so daß es sich nicht verschieben kann. Die L a m p e wird wieder entfernt, der Hahn eingespannt, und nun braucht ihn der T ä t e r nur beim Vorübergehen mit einem Stock zu berühren, um den tödlichen S c h u ß abzufeuern, sobald der zu Ermordende seinen P l a t z eingenommen hat. Bei sich bietender Gelegenheit entfernt er wieder das Gewehr, und kein Verdacht kann bei einiger Geschicklichkeit auf ihn fallen. Einen sehr geschickten Plan, sich ein Alibi zu schaffen und einen Unschuldigen zu belasten, entwickelt A r t h u r J . R e e s in „ D i e H a n d in der Finsternis" (Georg Müller). Der Mörder hat unbemerkt seine T a t vollführt, weiß jedoch, daß der v o n ihm Gehaßte in wenigen Augenblicken a m T a t o r t eintreffen

muß. Ehe er flüchten oder L ä r m schlagen kann, soll er v o n den im Hause Anwesenden gleichsam in flagranti ertappt w e r d e n . ^ W i e geschieht d a s ? D u r c h einen A l a r m s c h u ß . „ E s k o m m t nur darauf an, einen Mechanismus herzustellen, der im geeigneten A u g e n blick die Pistole zur E n t l a d u n g bringt. A u c h das ist nur eine Kleinigkeit. Zuerst wird der Docht eines gewöhnlichen Feuerzeuges längs des Pistolenkolbens bis hinter den H a m m e r gelegt. Dann werden H a m m e r und D r ü c k e r mit einer der Schnüre nach r ü c k w ä r t s gezogen und mit der zweimal um den D o c h t gebundenen Schnur zurückgebunden. Dann entzündet der Mörder das Ende des Dochtes, das nun langsam entlang brennt, bis H a m mer und Drücker auseinanderbirst, w o d u r c h der befreite H a m m e r mit aller Gewalt auf das Z ü n d h ü t c h e n oder die Pistolenkugel schlägt und dadurch z u m A b f e u e r n bringt. J e t z t muß aber die Pistole verschwinden, sonst würde mit Leichtigkeit auf den Hergang der T a t auf Grund der verbrannten Überreste geschlossen werden können. Nun ist in dem Zimmer der T a t eine Heizanlage angebracht, „ d e r e n rückwärtiger Teil nicht ausgefüllt war. A l s der Mörder die Pistole im vorderen Teil des Rostes verbarg, m u ß t e er nur sorgfältig darauf achten, daß sie fest stand und mit der Mündung nach dem Zimmer gerichtet war, um sicher zu sein, daß der Rückprall des Schusses die W a f f e in den tiefen Zwischenraum zwischen dem Rost und dem K a m i n rohr schleudern m u ß t e " . In einer Novelle v o n C o n a n D o y l e verü b t eine eifersüchtige G a t t i n auf einer B r ü c k e Selbstmord durch Erschießen, legt aber alles darauf an, die vermeintliche Nebenbuhlerin in den V e r d a c h t des an ihr begangenen „ M o r d e s " zu bringen. Von einem P a a r Zwillingspistolen versteckt sie die eine in dem Schrank der Verhaßten, während sie mit der anderen nach einer Auseinandersetzung mit der Beargwöhnten den Selbstmord begeht. Nun ist freilich erforderlich, daß sie dafür sorgt, daß man keine W a f f e bei ihr findet. Sie bindet deshalb um die Pistole einen mit einem Stein beschwerten Strick, der nach der T a t , den Gesetzen der S c h w e r k r a f t folgend, über das Brückengeländer hinweg in das Wasser fällt. Muß ein R e v o l v e r aber auch immer die S c h u ß r i c h t u n g nach vorn n e h m e n ? Besteht nicht auch die Möglichkeit, den S c h u ß auf den Schützen z u r ü c k z u l e n k e n ? Austin J . S m a l l demonstriert uns einen solchen Fall in „ D e r Mann, der nicht zu fassen w a r " . Dain, der London v o n den Verbrecherbanden befreien will, hat einen derartigen R e v o l v e r konstruiert, w o m i t sich der Verbrecherkönig, der einen Anschlag auf ihn ausüben will, selbst richtet.

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Weniger beliebt sind Morde durch E r - seine Befehle durch Lautsprecher (z. B. „ D a s d r o s s e l n , weil in einem solchen Falle die Gift der Schararaka" von H a n s R e g i n a Gefahr besteht, daß die Fingerabdrücke zum v. N a c k , „Das schwarze Dreieck" von Verräterwerden können, durch E r t r ä n k e n , A u s t i n J . S m a l l , „Der schwarze Kreis" von obwohl auch diese Todesart gewählt wird. M a n s f i e l d S c o t t ) . Ein einfaches Hinabstoßen in die Fluten dürfte Vielfach wird das D o p p e l g ä n g e r m o t i v nicht immer die Gewähr dafür bieten, daß der behandelt. Entweder wird ein besonders daAttackierte nicht doch noch sich rettet oder f ü r geeignetes Opfer vom Verbrecher gefangen von fremder Hand gerettet wird. Der Ver- gehalten, und dieser f ü h r t in dessen Maske brecher muß Vorsorge treffen, daß der dem seine Geschäfte zu eigenem Nutz und FromWasser Überlieferte nicht mehr ans Tages- men (z. B. in „Rätsel um Scala" von F r e d licht kommt. In „Die Drosselkönige" von N e l i u s , und „Der vierte Mann" von S v e n H. A. R e v e l nimmt ein Bootsführer ein leckes E l v e s t a d , „Bennie merkt was" von Gösta Boot zur Überfahrt und bringt es zum Ken- R y b r a n t ) , oder der Verbrecher f ü h r t ein tern. Die Insassin gerät in Schlingpflanzen, Doppelleben, z. B. im bürgerlichen Beruf erdie ihr Opfer in die Tiefe ziehen. folgreicher Autor, daneben jedoch gewiegter Neben diesen durchaus praktisch zu ver- Meisterverbrecher („Der Mord in der Vesterwirklichenden Todesarten wählen einige Auto- brostraße" von J e n s A n k e r ) , oder er nimmt ren, in dem Bestreben, möglichst originell die Maske eines im bürgerlichen Leben durchzu wirken, manche schwer auszuführende aus anständigen und ehrlichen GeschäftsTodesarten. Ein Arzt infiziert das Hündchen mannes von Rang an, um, durch dessen Naseines Onkels mit Tollwutbazillen. Die men gedeckt, verschiedene Gaunerstreiche Krankheit kommt zum Ausbruch. Das Tier auszuführen ( „ K e e b a n " von E d w i n B a l beißt seinen Herrn, der Onkel stirbt, und der wer), oder schließlich spielt er seine DoppelTäter beerbt ihn. In „Der Daumen des gängerrolle unbewußt: im wirklichen Leben Ingenieurs" von C o n a n D o y l e wird der angesehener und unbestechlicher Richter im Detektiv unter eine hydraulische Presse ge- Kampf gegen das Verbrechertum, bei gelegt, um darunter zerquetscht zu werden. trübtem Bewußtsein jedoch (gespaltene PerIn der Erzählung „Das Hotelgespenst" von sönlichkeit) abstoßender Schwerverbrecher P i t t S t r o n g wird der überrumpelte Detek- („Der Andere" von P a u l L i n d a u , „ D a s tiv mit seinen beiden Gehilfen an eine Stahl- Lied des Hindus" von G e o r g e G o o d e h e l d ) . schiene gebunden, die mit einer Starkstrom- In „ F r a u Theresa und Dr. Wrangel" von leitung in Verbindung steht. Ein Uhrwerk S v e n E l v e s t a d muß der Detektiv die Entlöst den Strom zu einer bestimmten Minute deckung machen, daß bei ihm, als er durch aus. In „Der Mann vom Meer" von J u l i u s einen Absturz mit dem Flugzeug vorüberR e g i s sucht der Mörder seinen Freund, der gehend sein Gedächtnis verloren hat, alle mit einem Segelboot eine Fahrt in die See bösen in ihm schlummernden Instinkte frei macht, durch eine entgegentreibende Mine zu geworden waren und er in dieser Periode selbst den Raubmord begangen hat, mit deszerschmettern. sen Aufklärung er betraut ist. 4. Amerikanische Methoden, bei denen die leitenden Persönlichkeiten großzügige Auf Grund der berechtigten und verständVerbrechen in Szene setzen, finanzieren, die lichen Selbsterhaltungstriebe sucht auch im Beute versilbern, neue Mitglieder der Bande Kriminalroman der Verbrecher seine Spuren anwerben, sich jedoch dabei im Verborgenen möglichst zu verwischen, obwohl er, seltsam halten und selbst den Mitgliedern der Bande genug, an dem Tatort meistens einen oft nur nicht von Angesicht zu Angesicht bekannt recht winzigen Gegenstand zurückläßt (Nadel, sind, kennt natürlich auch der Kriminal- Knopf, Haar, Zigarettenreste, Stofflappen roman. Nur ist hier alles ins Großartige und o. ä.), der an ihm zum Verräter wird. Derzuweilen Phantastische gesteigert, ohne daß artige Kleinigkeiten dürften in der Praxis man behaupten könnte, daß solche Methoden jedoch nur in den seltensten Fällen zur Aufin die Praxis sich nicht umsetzen ließen. Nun klärung dienen. muß der spiritus rector jedoch auf irgend eine Weniger Bedeutung mißt der GesetzesWeise mit seinen Untergebenen in Fühlung verächter in dem Kriminalroman den praktreten, um ihnen seine Befehle zu übermitteln. tisch höchst bedeutungsvollen Fingerspuren Mitunter geschieht dies durch einen Ver- bei. Jeder Verbrecher weiß natürlich, daß trauten, den der Häuptling so in der Hand seine Fingerabdrücke ihn verraten könnten. hält, daß kein Verrat zu befürchten steht, Wer nun aber glauben wollte, daß der Täter oder er verkehrt nur telephonisch mit ihnen, bei der Begehung seines Verbrechens sich oder er trägt bei Zusammenkünften eine Handschuhe anziehen wollte, um die Spuren Maske, oder er beruft seine Genossen in ein zu vermeiden, würde im Irrtum sein. „ H a n d leer stehendes Haus und verkündet ihnen schuhe berauben des Tastgefühls und die

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Kriminalroman

empfindlichen Fingerkuppen sind das wert- scheinender Raubmord beinahe mathemavollste Instrument des Kassenschränkers. tisch perfekt ist, so kann daraus geschlossen Louis bevorzugte das Großreinemachen nach werden, daß er umsichtig überlegt und vorvollbrachtem Werke. Mit einem Lappen bereitet und daß er deshalb höchstwahrverwischte er alle Abdrücke auf den Platten." scheinlich fingiert war, um einen anderen da( H a n s R e g i n a v. N a c k , „Die Toten ohne hinter liegenden viel wichtigeren Zweck zu Kopf", ferner „Der Mann vom Meer" von verbergen und die Verfolger irrezuführen. J u l i u s R e g i s ) . Ebenso bilden FingerabUm sich ein angeblich sicheres Alibi zu drücke noch kein vollgültiges Beweismittel. besorgen, verfällt der Täter zuweilen auf den „Sie besagen nur, daß irgend wer, irgend wo, Trick, die Uhr des Ermordeten gewaltsam irgend wann einmal herumgefingert h a t . " zum Stehen zu bringen, nachdem er sie vor(Van D i n e , „Der Fall der Margaret Odell"). oder zurückgestellt hat, wie es f ü r seine Da es nach der Überzeugung der Krimi- Zwecke eben am passendsten ist (z. B. in nalschriftsteller f ü r einen geschickten Ein- Mc D o n n e l l B o d k i n , „Paul Becks Unterbrecher ohne weiteres möglich ist, alle Spuren suchungen"). In „Indizien" von P a u l W e i zu beseitigen, so vermag bereits diese nega- d e n h a u s hat der Mörder sich anscheinend tive Tatsache einen Schluß auf die Person ein unangreifbares Alibi verschafft. An einem des Täters zuzulassen. Wenn keine Spuren etwas weiter entfernten Ort betätigt er sich vorhanden sind und der Verdacht an einem bei einer Feuersbrunst als Lebensretter und Verbrechen sich gegen alle Beteiligten rich- erleidet einige Brandwunden. Die ihn auftet, mit Ausnahme einer Person, so ist zu nehmende Klinik hat seinen Namen protoNach menschlichem Ermessen vermuten, daß gerade diese alle Eventuali- kolliert. täten so genau überlegt hat, daß kein Ver- kommt er als Täter nicht in Frage, und doch dacht auf sie fallen kann. Also ist sie der ist er es, denn eine Kleinigkeit übersah er. Täter ( C a r o l y n W e l l s , „Fehlende Spuren"). In seiner Wohnung hängt eine Wanduhr, die Andererseits ist gegenüber vorhandenen In- nur 24 Stunden geht. Bei der Hausdurchdizien Vorsicht am Platze. Wenn allzu viele suchung kurz nach der Tat, während welcher vorhanden sind, besteht Gefahr, daß der er angeblich in der entfernten Klinik lag, ist Täter sie absichtlich so geordnet hat, um die die Uhr noch in Gang. Sie kann also nur von Nachforschungen nach einer bestimmten einem aufgezogen sein, der zur Wohnung Richtung hin zu lenken ( A l e x a n d e r K e l l e r , Zutritt hatte, und das ist in erster Linie der „Der Mann am Nebentisch"). Die Kunst der Wohnungsinhaber. So verhielt es sich auch, Täuschung beherrscht in erster Linie der Ver- und der in der Klinik Liegende war ein in die brecher und weniger der, der ihm nachforscht Tat eingeweihter Komplize. ( E d e n P h i l p o t t s , „ D a s Schloß des Auch von innen verschlossene Türen Schreckens"). bilden keinen Beweis dafür, daß der Täter Die sämtlichen Umstände eines schweren das Zimmer nicht betreten hat. Den einen Kriminalfalles, z. B. eines Raubmordes, geben Trick verrät uns H a n s R e g i n a v. N a c k in zuweilen sichere Anhaltspunkte f ü r die Auf- „Das Gift der Schararaka": „Nachdem der nahmen einer Spur, denn „was sind die all- tote Sanchez in den Saal geschafft worden gemein bekannten Anzeichen eines gemeinen war, hatte man einen dünnen Stab, dessen Raubmordes? Brutalität, Unordnung, Hast, Ende eine Öse zeigte, durch den innen steckengeplünderte Schubladen, durchstöberte den Schlüssel gelegt und die Tür zugedrückt. Schreibtische, aufgebrochene Stahlkassetten, Der Bindfaden ragte durch die Ritze über der Ringe, die von den Fingern des Opfers ge- Schwelle. Ein kräftiger Zug — die Hebelrissen wurden, umgeworfene Stühle, ge- wirkung ließ den Schlüssel umschnappen, das kippte Lampen, zerbrochene Vasen, Fuß- Stäbchen fiel zur Erde und wurde unter der böden, die mit allem Möglichen bestreut sind, nun von innen versperrten Tür vorgezogen." usw. Nun überlege, einen Augenblick. AbEinen ähnlichen Trick lernen wir in „Magesehen von Kriminalromanen und -dramen, d a m e S t o r e y " v o n H u l b e r t F o o t n e r kennen. in wieviel Verbrechen erscheinen alle diese Hier handelt es sich darum, nachzuweisen, Anzeichen in richtiger Reihenfolge und ohne daß Niemand das Zimmer des Ermordeten ein einziges Element, das dem Zwecke wider- betreten hat, da sonst die Alarmanlage ausspricht? Wieviel Raubmorde also sind ihrer gelöst worden wäre. Die Anlage muß deshalb Aufmachung nach technisch p e r f e k t ? Kein wieder in Gang gesetzt werden, was durch einziger! Und w a r u m ? Einfach deshalb, weil einen leichten Hebeldruck geschehen kann. nichts Spontanes im Leben je der Idealform Die Täterin befestigt deshalb mit einer leichin jedem Detail entspricht. Die Gesetze des ten Schlinge eine Schnur an dem Hebel, die Zufalls und der Fehlbarkeit wirken sich un- sie durch das Schlüsselloch nach außen unter abänderlich aus." ( V a n D i n e , „Der Fall einer kleinen in den Fußboden getriebenen der Margaret Odell"). Wenn deshalb ein an- Klammer leitet. Ein leichter Zug an dem

Kriminalroman

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Faden von außen bewegt den Hebel des Der besuchende Gast stürzt nun in das ZimAlarms mühelos, ein zweiter und stärkerer mer des vermutlichen Selbstmörders und zieht die Schlinge herunter, so daß der Faden findet diesen auch mit dem Revolver in der durch das Schlüsselloch nach außen gezogen Hand sitzend vor. Er kann also bezeugen, daß der Fahrstuhlführer erst nach Abfeuern werden kann. In „Der Fall der Margaret Odell" von des Schusses das Zimmer des. Getöteten beV a n D i n e verschafft sich der Mörder ein treten hat, so daß dieser außer jedem Vernicht zu erschütterndes Alibi. Es gilt, den dacht steht. Theorie und Praxis lassen sich jedoch Nachweis zu führen, daß die Ermordete nach dem durch Zeugen beglaubigten Fortgang kaum auf einen gemeinsamen Generalnenner des Täters auf Anrufe noch geantwortet, also bringen. Im Kriminalroman existiert der noch gelebt hat. Auf höchst originelle Weise Verbrecher, der das Verbrechen gewisserf ü h r t der Täter diesen Beweis. Er verschließt maßen als Sport betreibt, der seine Ehre dardie Tür seiner Geliebten, einer Tänzerin, geht ein setzt, in seiner Verübung die größte Volldie Treppen hinab und unterhält sich im kommenheit zu erreichen. Für ihn bedeuten Vestibül noch mit dem Portier. Plötzlich er- die gegen ihn gerichteten Nachforschungen tönt aus dem Zimmer der Tänzerin ein lauter nicht Angst und Schrecken, sondern nervenSchrei. Der Geliebte und der Portier stürmen aufpeitschenden beseligenden Kampf, in dem die Treppen hinauf, finden die Tür ver- er seine Kräfte zu erproben vermag. Er geht schlossen, und der Mörder fragt durch die ihm also nicht aus dem Wege, sondern fordert Tür, was los sei, und nun hören die Lauschen- die Hüter der Gerechtigkeit geradezu heraus, den durch die Tür die vermeintliche Stimme da er es als Ehrenpflicht betrachtet, im Wettder Tänzerin, täuschend ähnlich: „Nein, es kampf mit ihnen als Sieger hervorzugehen. ist nichts los. Alles ist in Ordnung. Bitte, Zum Glück f ü r die Gesellschaft sind diese gegeh nach Hause und reg' dich nicht weiter, nialen und idealen Meisterverbrecher noch auf!" Der Täter verläßt daraufhin das Haus, nicht geboren. Denn die Wirklichkeit zeigt und kein Verdacht fällt auf ihn. Wie kam ein ganz anderes Gesicht. Der Berufsvernun die Stimme zustande? Sehr einfach! brecher ist ein Sklave des Geldes, um desDer Täter hatte selbst eine Grammophon- willen er stiehlt, raubt oder mordet, er ist platte mit dem besagten Inhalt im Falsett be- ein Sklave seiner Leidenschaften, aber kein sprochen und sie nach vollbrachter Tat ab- Gehirnathlet, der das Verbrechen um des rollen lassen. Da die Platte etwa 36 cm im Verbrechens willen begeht. Durchmesser maß und die Nadel ungefähr Weniger als von Kriminalromanen kann fünf Minuten brauchte, um abzulaufen, der Kriminalist von den auf dem Theater aufkonnte er, zumal er die Worte ans Ende der geführten Kriminalstücken und den KriminalPlatte verlegt hatte, bequem neben dem filmen f ü r seine berufliche Tätigkeit Nutzen Portier abwarten, bis der Schrei ertönte. Dar- ziehen, was keineswegs befremdlich wirkt. auf lief der Apparat leer, und erst, als die Läßt schon der durchschnittliche Kriminalbeiden an der Tür lauschten, konnte der roman eine psychologische Begründung der Mörder genau auf die Sekunde auskalkuliert Tat vermissen und nimmt sein ganzer Aufbau die Frage stellen, worauf ihm die gewünschte mehr den Charakter eines logisch konzenAntwort wurde, die ihm seine Unschuld be- trierten mathematischen Exempels an, bei stätigte. Nur ein Zufall führte dann die Ent- dem die ganze Handlung zwecks überraschendeckung herbei. der Lösung der Aufgabe konstruiert wird, bei Es ist ja durchaus logisch, daß der Täter dem aber der Dialog und detaillierte oft nicht sich gesichert glaubt, wenn er im vermeint- sehr interessante Einzeluntersuchungen den lichen Augenblick der T a t nicht am Tatort Gang beeinflussen müssen, so liegt es im sich aufhält. Und doch wurde es im vor- Wesen der bildhaften Darstellung, alles Unliegenden Fall erschüttert wie in dem nach- wesentliche beiseite zu lassen und mit Knallstehenden, den E d g a r E i s („Schuß im leeren effekten zu arbeiten, oft auf Kosten des Haus") konstruiert. Der Fahrstuhlführer h a t guten Geschmacks und der Logik. Man erin dem sonst unbewohnten Hause den im sieht dies am besten, wenn man die dramaobersten Stockwerk wohnenden Mieter er- tischen Bearbeitungen eines bereits vorhanschossen, weiß aber, daß dieser alsbald Besuch denen Kriminalromans dem Urbild gegenübererwartet. Um sich seine Unschuld attestieren stellt. E d g a r W a l l a c e hat mehrere seiner zu lassen, bringt er an die Laufschiene im erfolgreichen Romane („Der Hexer", „Der oberen Stockwerk eine Platzpatrone an, die Zinker") f ü r das Theater sowohl wie f ü r den im Augenblick, in dem der von ihm gelenkte Film überarbeitet. Die Technik ist wohl die Fahrstuhl mit dem Besucher dort angelangt gleiche. Mit allen Mitteln kriminalistischer ist, zur Explosion gelangt. Die Detonation Logik wird der Blick vom Wesentlichen abist einem Revolverschuß nicht unähnlich. gelenkt und das Publikum dazu gebracht, auf

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Kriminalroman — Kriminalsoziologie

den Falschen zu tippen. Nicht die kriminelle Handlung steht im Vordergrund, sondern die sportliche J a g d nach dem Verbrecher. Immer aber handelt es sich bei diesen um ersonnene A u s n a h m e n a t u r e n , nicht um Menschen von Fleisch und Blut (z. B. „Teilnehmer a n t w o r t e t n i c h t " von Egon und Otto Eis und Rudolf Katscher). Werden aber Probleme zur Diskussion gestellt (wie im Film „ M " von Fritz Lang, in dem ein Verbrecher von seinen Z u n f t genossen abgeurteilt wird, weil die irdische Gerechtigkeit ihnen nicht gerecht genug erscheint, oder in den Theaterstücken „ C y a n kali" von W o l f oder „ § 218" von C r e d 6 , in denen f ü r die straflose Abtreibung eingetreten wird), so wagt die Tendenz unangenehm aufdringlich zu Ungunsten der H a n d lung sich hervor. Den Gesetzen der Bühne u n d der flimmernden Leinwand werden deshalb solche Stücke eher gerecht, die das humoristische Element bevorzugen (z. B. Peter Voß, der Millionendieb, von E. G. Seeliger, und „ J u w e l e n r a u b am K u r f ü r s t e n d a m m " von Fodor), in denen viel Ober- und Unterschicht gezeigt, viel buntes Milieu entrollt, Kenntnis von Land und Leuten auf gefällige Art vermittelt wird oder satirische Parallelen zwischen dem in A m t und W ü r d e n sich sonnenden Gesetzesverächter und dem n u r auf der Bühne sympathischeren Apachen gezogen werden. Das sind freilich Zerrbilder ohne Fleisch und Blut und f ü r die Kriminalistik nicht verwendbar.

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Kriminalsoziologie

R h y t h m e n der K r i m i n a l i t ä t verstehe ich eine regelmäßig wiederkehrende wellenförmige Ä n d e r u n g der K r i m i n a l i t ä t ; sie ist eine Begleiterscheinung eines regelmäßigen Wechsels der natürlichen u n d sozialen Verbrechensbedingungen. Hierher gehören v o r allem die J a h r e s z e i t r h y t h m e n : es h a n d e l t sich u m die a l t b e k a n n t e Erscheinung, d a ß die Gewalt- u n d Sittlichkeitsdelikte in erh ö h t e m Maße w ä h r e n d der w a r m e n Monate, Vermögensdelikte w ä h r e n d der kalten begangen werden. Und die Wochentagsr h y t h m e n : die dichte Z u s a m m e n d r ä n g u n g der Oewalttätigkeitsdelikte auf Sonn- u n d Feiertage, sowie auf den S o n n a b e n d (vgl. dazu neuerdings Roesner, a. a. O. u n d die T a b e l l e n z u s a m m e n s t e l l u n g ü b e r die Roheitsdelikte an W o c h e n t a g e n in der Reichsk r i m i n a l s t a t i s t i k f ü r 1928, S. 41 ff.). Diese R h y t h m e n gehören zum typischen Bild des alljährlichen K r i m i n a l i t ä t s s t a n d e s , m a g dieser im ganzen ein hoher oder niederer sein. Sie sind wohl zu unterscheiden von den S c h w a n k u n g e n der K r i m i n a l i t ä t . U n t e r einer K r i m i n a l i t ä t s s c h w a n k u n g verstehe ich eine v o r ü b e r g e h e n d e wesentliche Ä n d e r u n g des J a h r e s s t a n d e s der K r i m i n a l i t ä t , eine Ä n d e r u n g also, die sich innerhalb der G e s a m t e n t w i c k l u n g geltend m a c h t , wie dies oben z. B. f ü r die u n m i t t e l b a r e Nachkriegszeit gezeigt worden ist. c) Die p e r s ö n l i c h e V e r t e i l u n g der K r i m i n a l i t ä t . Hierher gehört die Verteilung der K r i m i n a l i t ä t auf die Bevölkerung je nach Altersstufe, Geschlecht, Beruf, Religion, S t a a t s a n g e h ö r i g k e i t usw. Bei Alter u n d Geschlecht h a n d e l t es sich vornehmlich u m ein individualpsychologisches P r o b l e m , das hier ausgeschieden werden k a n n ; (s. d. b e t r . Artikel dieses Werkes); über Beruf vgl. auch u n t e n V I I . Ob die R e l i g i o n s z u g e h ö r i g k e i t (s. d.) eine u n m i t t e l b a r e kriminologische B e d e u t u n g hat, ist sehr strittig. T a t s a c h e ist n u r , d a ß Christen u n d J u d e n einerseits, e v a n gelische und katholische Christen a n d e r e r seits statistisch eine nach A r t u n d H ö h e v e r schiedene K r i m i n a l i t ä t zeigen. F ü r die J u d e n sind geringere Zahlen a n G e s a m t k r i m i n a l i t ä t ausgewiesen, wesentlich e r h ö h t e Zahlen jedoch f ü r Meineid, Betrug, B a n k r o t t , W u c h e r , u n d Gewerbevergehen. Die Frage ist, ob u n d inwieweit dies als Rasseneigentümlichkeit (s. d. A r t . Rasse) aufzufassen oder auf die Verschiedenheit der B e r u f s t ä t i g k e i t u n d W i r t schaftslage der J u d e n z u r ü c k z u f ü h r e n ist. Man wird a n n e h m e n d ü r f e n , d a ß die U n t e r schiede sich vornehmlich, aber keineswegs ausschließlich d u r c h derlei Umweltverschiedenheiten erklären lassen. — D a ß die Katholiken eine größere K r i m i n a l i t ä t als die P r o t e s t a n t e n zeigen, k a n n jedenfalls n u r als Umwelts-

w i r k u n g g e d e u t e t werden, doch die Frage l a u t e t , ob u n t e r diesen maßgeblichen U m w e l t s f a k t o r e n auch gewisse E i n r i c h t u n g e n der katholischen Kirche eine Rolle spielen, wie dies von der Ohrenbeichte b e h a u p t e t worden ist, oder ob die Verschiedenheit der Krimin a l i t ä t lediglich eine Verschiedenheit in der W i r t s c h a f t s l a g e der katholischen Bevölker u n g widerspiegelt. Die Wahrscheinlichkeit spricht f ü r letztere A n s c h a u u n g , weil die S t a t i s t i k , die n u r äußere Konfessionszugehörigkeit ohne Rücksicht auf Gläubigkeit oder Ungläubigkeit des Einzelnen ausweist, diese äußere Zugehörigkeit zu einer b e s t i m m t e n Kirche den H a n d e l n d e n a b e r gewiß nicht in e r w ä h n t e m Sinne beeinflussen k a n n . Interessanter ist die Verteilung der Krimin a l i t ä t auf die sog. „ K l a s s e n " der Bevölkerung. Statistische Feststellungen lassen sich freilich hier nicht machen u n d sind auch a u s der K r i m i n a l i t ä t der B e r u f e nicht e n t n e h m b a r . Doch l ä ß t sich als E r f a h r u n g s t a t s a c h e Folgendes b e h a u p t e n : w ä h r e n d die K r i m i n a l i t ä t f r ü h e r f a s t ausschließlich im P r o l e t a r i a t , u n d zwar in dessen u n t e r e r Schicht, der ungelernten A r b e i t e r s c h a f t , heimisch war, ist seit dem Kriege K r i m i n a l i t ä t u n d J u g e n d v e r wahrlosung m e h r u n d m e h r in die Kreise des Mittelstandes eingedrungen. Die Proletarisierung des B ü r g e r s t a n d e s h a t eine Verbürgerlichung der K r i m i n a l i t ä t mit sich g e b r a c h t . Vor allem seit der W e l t w i r t s c h a f t s k r i s e ist der wegen B a n k r o t t s , Betrugs, wegen U n t r e u e u n d S t e u e r h i n t e r z i e h u n g angeklagte K a u f m a n n u n d I n d u s t r i e h e r r i m m e r häufiger, der „ A n g e k l a g t e im schwarzen R o c k " eine typische Erscheinung des Gerichtssaales geworden. VII. Die s o z i a l e B e d i n g t h e i t der K r i m i n a l i t ä t . Neben der Beschreibung der K r i m i n a l i t ä t ist die zweite H a u p t a u f g a b e der KS., die beschriebenen Erscheinungen in ihrer gesellschaftlichen Bedingtheit verständlich zu m a c h e n . Einige A n d e u t u n g e n hierzu w u r d e n oben bereits g e m a c h t . Das Folgende m u ß sich auf den Versuch einer S y s t e m a t i k u n d Aufzeigung einiger beispielsweisen Einzelheiten beschränken. Die „ K r i m i n a l i t ä t " b e s t e h t aus zahlreichen einzelnen Verbrechen. U m die soziale Bedingtheit der K r i m i n a l i t ä t zu verstehen, m u ß m a n sich auf die soziale Bedingtheit der einzelnen T a t besinnen; freilich nicht einer bes t i m m t e n k o n k r e t e n T a t , sondern des verbrecherischen T u n s als eines T y p u s . Denn obzwar s t r e n g g e n o m m e n z. B. die Größe der J a h r e s k r i m i n a l i t ä t eines Landes v o n dem Sein oder Nichtsein einer b e s t i m m t e n einzelnen T a t a b h ä n g t , so ist sie doch ebenso von der Begehung jeder a n d e r e n E i n z e l t a t a b hängig. F ü r uns m u ß es sich also u m U m s t ä n d e handeln, welche als typische Be-

Kriminalsoziologie dingungen verbrecherischen Verhaltens a n z u sehen sind. Die soziale A t m o s p h ä r e , in der die Menschen leben, ist nicht ein relativ homogenes Medium, wie die n a t ü r l i c h e A t m o s p h ä r e , die sie a t m e n . Der Einzelne ist in vielfältige gesellschaftliche Beziehungen verstrickt, sein H a n d e l n u n d Wollen von m a n n i g f a c h e n sozialen Zug- u n d Druckverhältnissen abhängig. S u c h t m a n gedanklich eine gewisse O r d n u n g in dieses D u r c h e i n a n d e r zu bringen, so denke m a n sich das I n d i v i d u u m als M i t t e l p u n k t zahlreicher konzentrischer Kreise, die jeder f ü r sich einen eigenartigen U m w e l t k o m p l e x des Menschen darstellt u n d sein Verhalten beeinflußt. In diesem Sinne m ö c h t e ich vier Umweltkreise h e r v o r h e b e n : d i e h ä u s l i c h e U m w e l t , die b e r u f l i c h e U m w e l t , die l o k a l e U m w e l t u n d die s t a a t l i c h e U m welt. D a s I n d i v i d u u m s t e h t gleichzeitig u n t e r dem E i n f l u ß aller dieser „ U m w e l t e n " . Dabei d e u t e t das Symbol der konzentrischen Kreise z u t r e f f e n d an, d a ß das jeweils engere W i r k u n g s f e l d im weiteren e i n g e b e t t e t i s t : die Verhältnisse der n ä h e r e n Umwelt, die f ü r das I n d i v i d u u m bedeutungsvoll werden, sind ihrerseits wieder b e d i n g t d u r c h die Verhältnisse der weiteren Umwelt, d u r c h das, w a s sich im größeren Kreis abspielt, in den der kleinere eingeschrieben ist. So sind e t w a die f ü r die häusliche U m w e l t höchst b e d e u t s a m e n W o h n u n g s v e r h ä l t n i s s e von der lokalen U m welt abhängig, die Berufsverhältnisse von der W i r t s c h a f t s l a g e in der staatlichen Umwelt usw. J a , wenn m a n d a r a n d e n k t , d a ß die W e l t w i r t s c h a f t s k r i s e heute tief in die Schicksale der Einzelnen eingreift, k ö n n t e m a n noch von einer m o n d i a l e n U m w e l t sprechen, die als weitester Kreis die s t a a t l i c h e n Umwelten umschlösse. 1. D i e h ä u s l i c h e U m w e l t . Wer in F ü r sorge oder J u g e n d g e r i c h t s p f l e g e t ä t i g ist, weiß, wie oft ungünstige familiäre Verhältnisse m i t der Anlaß sind f ü r Verwahrlosung u n d K r i m i n a l i t ä t der h e r a n w a c h s e n d e n J u gend, u n d bei den engen Beziehungen zwischen dem ersten Straucheln des J u n g e n u n d der s p ä t e r e n K r i m i n a l i t ä t des Erwachsenen ist die generelle B e d e u t u n g dieses häuslichen Milieus offensichtlich. W e r gar der G r u n d these der psychoanalytischen F o r s c h u n g folgt, m u ß den Kindheitserlebnissen geradezu e n t scheidendes Gewicht beilegen. Jedenfalls unterscheiden sich diese Umwelteinflüsse von allen anderen d a d u r c h , d a ß das I n d i v i d u u m sich ihnen nicht entziehen k a n n , daß es in diese Umwelt h i n e i n g e b o r e n ist. Verwaisung, erziehungsunfähige E l t e r n , eheliche Zerwürfnisse, ungünstige Beziehungen des J u n g e n zu S t i e f v a t e r oder S t i e f m u t t e r , T r u n k s u c h t oder K r i m i n a l i t ä t des Vaters usw.

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— diese Dinge kehren in den Lebensläufen Krimineller i m m e r wieder. Ihre B e d e u t u n g ist nie so klar e r k e n n b a r gewesen als im Krieg, d a a b n o r m a l e Familienverhältnisse nicht n u r häufig, sondern das Gewöhnliche geworden w a r e n . Besonders u n g ü n s t i g ist die häusliche U m w e l t des u n e h e l i c h Geborenen. U n d wenn auch die e r h ö h t e Krimin a l i t ä t der Unehelichen statistisch schwer nachweisbar ist (da nicht f e s t s t e h t , wieviel S t r a f m ü n d i g e von unehelicher G e b u r t sind), so ist an ihrer s t ä r k e r e n kriminellen B e l a s t u n g k a u m zu zweifeln. Z u r häuslichen Umwelt gehören a u c h die W o h n u n g s b e d i n g u n g e n : das Z u s a m m e n g e p f e r c h t s e i n großer Familien in engem R a u m , das Z u s a m m e n s c h l a f e n der Eltern mit den h e r a n w a c h s e n d e n Kindern, das B e t t g e h e r u n w e s e n , das alles sind Gefahrquellen; u n d gewiß mit R e c h t h a t m a n z. B. die Z u n a h m e der B l u t s c h a n d e auf diese Z u stände zurückgeführt. Die S c h u l e v e r m i t t e l t dem J u g e n d l i c h e n neuen Verkehr u n d neue E i n d r ü c k e . Je mehr im Laufe des letzten J a h r h u n d e r t s die E r z i e h u n g s a u f g a b e n von den E l t e r n auf die Schule übergegangen sind, desto b e d e u t u n g s voller ist die eigenartige Umwelt, mit der sie den H e r a n w a c h s e n d e n u m g i b t . Auch dies lehrte a m klarsten die Kriegszeit, in der die Schule ihre A u f g a b e n u r m a n g e l h a f t erfüllen k o n n t e . Lombroso h a t freilich b e h a u p t e t , die Schulbildung erweitere die Verbrechensmöglichkeiten u n d sei d a h e r kriminologisch eher u n g ü n s t i g zu werten. Das ist sicher falsch. Allein auch ich m ö c h t e die uns hier interessierende B e d e u t u n g der Schule weniger in der W i s s e n s v e r m i t t l u n g als in ihrer disziplinierenden F u n k t i o n erblicken. Neuerdings ist gezeigt worden, d a ß u n t e r den kriminell gewordenen Minderjährigen sich auffallend viele befinden, die in ihrer Schulzeit wegen häufigen Schwänzens, aber auch wegen schlechter Leistungen Anlaß zur Klage gegeben h a t t e n . Fraglich bleibt dabei, wieweit die s p ä t e r e K r i m i n a l i t ä t auf die Verwahrlosung w ä h r e n d der Schulzeit oder beides auf individuelle F a k t o r e n z u r ü c k z u f ü h r e n ist (vgl. H o f f n e r , a. a. O.). In späteren J a h r e n wird die E h e (s. d.) zu einem die häuslichen Verhältnisse bes t i m m e n d e n F a k t o r , v. O e t t i n g e n sprach von der „ s i t t i g e n d e n Macht des Familienlebens". F ü r den verehelichten M a n n t r i f f t dies im allgemeinen zu. Die verehelichten Männer sind weniger kriminell als die ledigen Männer. Eine A u s n a h m e hiervon m a c h t die Altersstufe bis z u m 25. L e b e n s j a h r . Hier zeigt sich e r h ö h t e K r i m i n a l i t ä t gerade der V e r h e i r a t e t e n . D a ß der allzufrüh Verheir a t e t e den Familiensorgen nicht gewachsen ist, m a g verständlich sein; vielleicht a b e r sind

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Kriminalsoziologie

die Dinge a n d e r s zu d e u t e n ; möglicherweise ist die allzufrühe V e r h e i r a t u n g schon an sich als ein S y m p t o m des Leichtsinns zu beurteilen, der auf der a n d e r e n Seite zur Ursache des gesellschaftswidrigen Verhaltens wird. — Die Zahlen f ü r das w e i b l i c h e Geschlecht zeigen ein anderes Bild: auf allen A l t e r s s t u f e n größere K r i m i n a l i t ä t der verehelichten F r a u gegenüber der ledigen. Sollte hier die stete B e r ü h r u n g mit dem Manne, der s t ä r k e r e kriminelle Neigungen h a t , die Schuld t r a g e n ? Z u r richtigen D e u t u n g dieser T a t sache wird m a n die Verbrechen nicht n u r zählen, sondern auch wägen müssen. Dabei zeigt sich, d a ß die e r h ö h t e K r i m i n a l i t ä t der v e r h e i r a t e t e n F r a u vornehmlich die geringfügigeren Delikte b e t r i f f t , besonders Delikte, die mit der gesteigerten sozialen Reibung zus a m m e n h ä n g e n , denen die G a t t i n u n d M u t t e r ausgesetzt ist, w ä h r e n d gerade bei den schwersten Verbrechen die v e r h e i r a t e t e F r a u ebenso oder weniger belastet ist als die u n v e r h e i r a t e t e (vgl. dazu Krille, a. a. O.). Ganz eigentümlich u n d noch nicht genügend geklärt ist die e x o r b i t a n t hohe K r i m i n a l i t ä t der V e r w i t w e t e n u n d G e s c h i e d e n e n beider Geschlechter. 2. Die b e r u f l i c h e U m w e l t (s. d. A r t . Beruf). Die B e r u f s t ä t i g k e i t f ü h r t den der Familie u n d Schule E n t w a c h s e n e n in einen Kreis neuer Menschen u n d neuer Pflichten, v e r m i t t e l t ihm neue Kenntnisse u n d Fähigkeiten u n d eröffnet dabei einerseits kriminogene Gefahren besonderer A r t , andererseits a b e r auch Wege, u m gegenüber den Vers u c h u n g e n des Lebens die nötige S t a n d f e s t i g keit zu gewinnen. Das Eine wie das A n d e r e gilt f ü r die einzelnen Berufe in verschiedenem Maße, u n d in der T a t weisen die einzelnen B e r u f s g r u p p e n verschiedene kriminelle Bel a s t u n g auf. Die Beziehungen zwischen Beruf u n d K r i m i n a l i t ä t sind m e h r f a c h e . Z u n ä c h s t ist der Beruf meist entscheidend nicht n u r f ü r den täglichen Verkehr des Menschen, sondern v o r allem f ü r seine wirtschaftliche Lage. F e r n e r bietet m a n c h e r Beruf besondere Gelegenheit u n d Versuchung, Verbrechen bes t i m m t e r A r t zu b e g e h e n : n i e m a n d wird sich w u n d e r n , d a ß zehnmal soviel U n t e r s c h l a g u n gen von Handlungsgehilfen als von Bauern begangen werden u n d d a ß der B a u e r n s t a n d seinerseits wieder in bezug auf B r a n d s t i f t u n g besonders belastet ist. Der Beruf k a n n f e r n e r Geschicklichkeiten v e r m i t t e l n , die zur Beg e h u n g b e s t i m m t e r Verbrechen besonders bef ä h i g e n : m a n denke an die H e b a m m e als Abtreiberin, den Schlosser als Einbrecher, den G r a v e u r als B a n k n o t e n f ä l s c h e r . Die Berufspflichten zwingen weiter den Einen in der S t a d t , den A n d e r e n auf dem L a n d zu leben,

was, wie sofort zu zeigen ist, kriminologische B e d e u t u n g h a t . Endlich wäre es möglich, d a ß m a n c h e Berufe von ungünstigem E i n f l u ß auf die sittlichen A n s c h a u u n g e n der B e r u f s t r ä g e r sind. Abschließendes l ä ß t sich ü b e r all dies nicht sagen, besonders f ü r eine Zeit riesenh a f t e r Arbeitslosigkeit, in der die Berufst ä t i g k e i t f ü r weite Kreise der Bevölkerung völlig in den H i n t e r g r u n d g e t r e t e n ist. Die K r i m i n a l s t a t i s t i k der Berufe l ä ß t viel zu wünschen ü b r i g ; die von ihr a n g e f ü h r t e n B e r u f s g r u p p e n umfassen teilweise völlig heterogene Elemente, ganz abgesehen d a v o n , d a ß die B e r u f s a n g a b e n der Beschuldigten sehr wenig verläßlich sind. Wir sehen d a h e r hier von Z a h l e n a n g a b e n ab, besonders d a die deutsche K r i m i n a l s t a t i s t i k seit dem Krieg erst wieder im J a h r e 1928 ausführliche Mitteilungen ü b e r die Berufe der Verurteilten geb r a c h t h a t u n d dabei mit R e c h t d a v o r w a r n t , aus den Zahlen eines J a h r e s „ b e s t i m m t e Rückschlüsse auf die Neigung gewisser Ber u f e zu b e s t i m m t e n S t r a f t a t e n zu ziehen". 3. Die ö r t l i c h e U m w e l t (s. A r t . S t a d t u n d Land). Hier ist vor allem auf die Verschiedenheit der K r i m i n a l i t ä t in der S t a d t u n d auf dem L a n d hinzuweisen. Diese Verschiedenheit ist schon vor langer Zeit an der H a n d der S t a t i s t i k mehrerer S t a a t e n festgestellt worden. Die Dinge gewinnen an Interesse, wenn m a n nicht n u r L a n d u n d S t a d t unterscheidet, sondern auch K i e i n s t a d t und G r o ß s t a d t . Leider ist es h e u t e nicht möglich, als d r i t t e Kategorie noch die W e l t s t a d t a n z u f ü g e n , obzwar zweifellos S t ä d t e wie New York, Chicago, London, Berlin, ganz charakteristische kriminalsoziologische Züge aufweisen. Ich f ü h r e hier die Zahlen von Mayr auf, die zwar v e r a l t e t , a b e r doch besonders kennzeichnend sind (Tab. 3). In den J a h r e n 1883—1897 w u r d e n (auf j e 100000 S t r a f m ü n d i g e ) v e r u r t e i l t : (Tabelle s. S. 23.) A u s dieser Tabelle l ä ß t sich ablesen: Größere K r i m i n a l i t ä t der S t ä d t e gegenüber dem Lande, denn in allen drei S t ä d t e g r u p p e n sind die Zahlen f ü r Verbrechen u n d Vergehen höher als der Reichsdurchschnitt. Ferner: je größer die S t a d t , desto größer die Krimin a l i t ä t . Dies gilt f ü r die G e s a m t s u m m e der K r i m i n a l i t ä t u n d auch f ü r die Diebstahlszahlen. F ü r die Körperverletzungen gilt das U m g e k e h r t e : je größer die S t a d t , desto kleiner die K r i m i n a l i t ä t s z a h l u n d in allen den drei S t ä d t e g r u p p e n i m m e r noch geringere Krimin a l i t ä t als im Reichsdurchschnitt. D a ß auf dem L a n d Wirtshausraufereien häufiger sind, die S t a d t dagegen den besseren Boden f ü r Diebstahl u n d B e t r u g a b g i b t , ist wohl klar. T r o t z d e m wird m a n die Zahlen m i t Vorsicht

Kriminalsoziologie

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T a b e l l e 3.

wegen:

Verbrechen und Vergehen überhaupt Gewalt und Drohung gegen Beamte Gefährliche Körperverletzung . . . Diebstahl Betrug werten müssen. Sie beziehen sich auf den Ort der Tat, nicht auf die Herkunft des Täters, und man muß bedenken, daß die Stadt f ü r verbrecherisches und arbeitsscheues Gesindel, mag es woher immer stammen, durch ihre Vergnügungsorte und Schlupfwinkel lockende Anziehung bietet: Mancher ist Städter geworden, weil er Verbrecher ist, nicht umgekehrt. Freilich kann diese Ansammlung des Verbrechertums wieder manchen unverdorbenen Städter in üble Gesellschaft und Gefahr bringen. Mit der Unterscheidung von Stadt und Land ist aber die Bedeutung der örtlichen Umwelt keineswegs erschöpft. Die S i t t e n des Ortes, seine k u l t u r e l l e n u n d k u l t u r w i d r i g e n E i n r i c h t u n g e n aller Art sind von kriminalsoziologischer Bedeutung. Von der Schule war bereits die Rede. Man denke aber auch an P r e s s e und K i n o , an M ä r k t e und F e s t l i c h k e i t e n , an das Leben einer H a f e n s t a d t , an P r o s t i t u t i o n und A l k o hol. Der Alkoholmißbrauch beruht in erster Linie auf individueller psychologischer Grundlage, ist also hier nicht zu behandeln. Allein die Tatsache, daß die meisten Körperverletzungen in den drei Haupt-Alkoholzentren des Deutschen Reiches begangen werden, zeigt deutlich, daß soziologische Momente hier mitwirken. Es sei denn, daß man diese erhöhte Kriminalität ausschließlich auf Stammesverschiedenheiten der drei Bevölkerungsgruppen zurückführen wollte, was gewiß nicht angeht. Der niedrige Preis der Getränke in diesen Produktionsgebieten, die örtliche Sitte des ausgiebigen Wirtshausbesuches und übermäßigen Trinkens und damit die stärkere Versuchung — das alles sind soziologische Elemente, die hier in den Einzelfällen zur individuellen Neigung hinzutreten. 4. Die s t a a t l i c h e U m w e l t . Die persönliche Lage des Individuums, seine häusliche, berufliche und lokale Umwelt stehen in engster Abhängigkeit von dem Gesamtzustand des staatlichen Gemeinwesens. Nie ist dieser Zusammenhang gerade dem Deutschen deutlicher geworden als in der ganzen Epoche

Im Deutschen Reich überhaupt 1075 40 188 269 51

In den Städten mit 100000 über bis 150000 150000 Einw. Einw.

50000 bis 100000 Einw. 1206 60 171 318 74

1285 76 161 329 75

1417 76 125 357 86

seit 1914. Die kriminalistische Bedeutung dieses Abhängigkeitsverhältnisses wird man vielleicht einmal durch eine vergleichende Kriminalitätsgeschichte der Staaten erhärten können. Heute muß sich die Untersuchung auf die Bewegung der innerstaatlichen Kriminalität beschränken. Doch ein Vergleich dieser Kriminalitätsbewegung mit der Entwicklung der sonstigen innerstaatlichen Verhältnisse spricht eine deutliche Sprache. Im Vordergrund stehen: die k u l t u r e l l e n , die p o l i t i s c h e n , die w i r t s c h a f t l i c h e n und die r e c h t l i c h e n Zustände des Staates. Das Folgende kann nur einen Hinweis in jede dieser vier Richtungen geben. a) Für die kriminalsoziologische Bedeutung der k u l t u r e l l e n u n d p o l i t i s c h e n Verhältnisse des Gemeinwesens sei hier lediglich ein Beispiel gebracht. Wenn das Verbrechen des Mordes seit den 80 er Jahren bis zum Weltkrieg soviel seltener geworden ist, möchte ich dies auf eine fortschreitende Kultivierung und Zivilisierung der Bevölkerung zurückführen. Freilich hat man den erfreulichen Rückgang jener Verbrechen mit der Androhung der Todesstrafe in Zusammenhang bringen wollen, allein das ist wenig einleuchtend, dennz. B. Italien, das in dieser Zeit eine Todesstrafe nicht kannte, zeigt dieselbe rückläufige Bewegung der Kapitalverbrechen. Auch bei uns dürfte das Verdienst an dieser günstigen Entwicklung mehr dem Volksschullehrer als dem Scharfrichter zuzusprechen sein. Wenn sich nach dem Kriege die Dinge ins Gegenteil verkehrt haben und vorsätzliche Tötungen unerhört zunahmen, so war das wohl eine psychologische Wirkung einerseits des Krieges, andererseits der politischen Wirrnisse, die dem Friedensschluß folgten — also auch wieder Wirkung der staatlichen Umwelt. Das gleichzeitige Anwachsen der politischen Delikte und öffentlichen Gewalttätigkeiten hängt zu klar mit den politischen Ereignissen zusammen, als daß man darauf besonders hindeuten müßte. b) Außer den kulturellen und politischen Zuständen haben die w i r t s c h a f t l i c h e n

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Kriminalsoziologie

B e d i n g u n g e n f ü r die Kriminalität Be- j unverändertem Maße von den Getreidepreisen deutung. Wirtschaftszustand und Krimi- I abhängig geblieben ist, da steigende Getreidenalität — das ist eines der aktuellsten und zu- preise, erhöhte Industriepreise, wachsende gleich wichtigsten Probleme der KS. — Bei | Arbeitslosigkeit usw. zur Folge haben. Allein seiner Erörterung wird meist übersehen, daß jedes statistische „Gesetz" gilt nur ceteris der Wirtschaftszustand eines modernen paribus, daher genügt es m. E. nicht, eine Staatswesens viel zu komplex ist, um als einzelne wirtschaftliche Zahlenreihe den Versolcher der Kriminalität gegenübergestellt zu | brechenszahlen gegenüberzustellen, um dann, werden. Welcher Indexzahl sollte man sich ! je nach dem Ergebnis des Vergleiches, die Abdazu bedienen? In einem primitiven Bauern- | hängigkeit der Kriminalitätsbewegung von staate liegen die Dinge einfacher: reiche j der Wirtschaftsentwicklung zu bejahen oder Ernte — günstige Lebensbedingungen. In I zu verneinen. Vielmehr handelt es sich auf der einem dem Weltverkehr angehörenden Staats- Seite der Wirtschaft um verschiedenartige wesen aber entwickelt sich das allgemeine mehr oder weniger selbständige Faktoren, Niveau der Lebenshaltung unabhängig vom deren jeder die Kriminalitätszahlen berühren Ernteergebnis, daher hat man vielfach statt kann, vorausgesetzt, daß überhaupt eine Abder Ernteergebnisse die G e t r e i d e p r e i s e hängigkeit der Kriminalität von der Wirtden Kriminalitätszahlen vergleichsweise an schaft besteht. die Seite gestellt. Vor allem v. M a y r hat in Diese Abhängigkeit ist zweifellos zu beeiner berühmt gewordenen Untersuchung jahen. Man kann über den Grad, nicht aber eine geradezu verblüffende Parallelität der über die Tatsache dieser Abhängigkeit streiDiebstahlskurve mit der Roggenpreiskurve in ten. H ö p l e r freilich will aus dem Umstand, Bayern f ü r die Zeit um die Mitte des 19. J a h r - daß viele Verbrechen von Leuten begangen hunderts festgestellt. Ob diese Parallelität im werden, die sich keineswegs in unmittelbarer gleichen Maße auch f ü r die neuere Zeit zu Not befinden, den Schluß ziehen, es komme gelten hat, ist strittig. Die Wahrscheinlich- gar nicht so sehr auf die Wirtschaftslage als keit spricht dafür, daß ein aufblühendes auf den Erziehungs- und Bildungszustand an. Industrieland, wie es Deutschland bis 1914 Allein man hüte sich vor einem Mißverständwar, in dem Wohlergehen seiner Bevölkerung nis. Der behauptete Zusammenhang von lind daher auch in seiner Kriminalität nicht Kriminalität und Wirtschaft erschöpft sich mehr sklavisch abhängig bleibt von jedem nicht darin, daß zu gewissen Zeiten die NotGroschen, den der Getreidepreis anzieht oder delikte zunehmen. Nicht nur die Not des nachläßt. Diese ganze Preisbetrachtung, ob Täters, sondern auch die Not der „Anderen" sie sich nun auf die Agrarpreise beschränkt ist eine reichlich fließende Verbrechensquelle, oder auch die Industriepreise mit einschließt, wie der ganze Schwall des Sozialwuchers allzu beleuchtet nämlich nur immer die eine Seite deutlich erwiesen hat. In Zeiten, in denen die des ganzen Problems. Trotz hoher Preise gesamte Volkswirtschaft Not leidet, zeigt sich kann, wofern die E i n k o m m e n , vor allem so recht die kriminologische Bedeutung der Löhne und Gehälter, sich entsprechend ent- staatlichen Umwelt: Wenn die Konjunktur wickeln, ein völlig befriedigender Lebens- schlecht ist und zugleich der Staat die Steuern standard herrschen. Die Dinge komplizieren riesenhaft hinaufschrauben muß, die Wirtsich weiter dadurch, daß die Löhne selbst schaft durch Preisbestimmungen und Devisenwieder mehr oder weniger abhängig sind von regulierungen in Fesseln schlägt usw., so erdem Preise des Arbeitsproduktes. Niedrigere öffnet er mit jedem dieser Schritte der KrimiGetreidepreise bedeuten f ü r den Industrie- nalität ein neues Tor, und Mancher wird zum arbeiter Erhöhung seiner Kaufkraft, f ü r den Bankrotteur oder Betrüger, der bei guter Landarbeiter aber Lohnverringerung; wirken Konjunktur wegen erfolgreicher Spekulasich also dort günstig, hier ungünstig aus. tionen beneidet worden wäre. Und endlich etwas Selbstverständliches, wieDas alles ist am schlagendsten bewiesen wohl meist nicht genügend Beachtetes: das Verhältnis von Lohn und Preis berührt die worden durch die riesenhafte Erscheinung der wirtschaftliche Lage des einzelnen Arbeiters K r i e g s k r i m i n a l i t ä t . Sie war Folge der nur soweit, als er tatsächlich im Genuß dieses volkswirtschaftlichen Not, darum hat sie sich Lohnes steht. S t r e i k s , A u s s p e r r u n g e n auch in den verschiedenen Staaten je nach und neuerdings vor allem die E r w e r b s - deren Wirtschaftslage verschieden ausgewirkt: l o s i g k e i t erlangen somit, wo sie massenhaft alle Staaten, deren Wirtschaft damals Mangel auftreten, eine möglicherweise alles Andere zu leiden hatte, haben diese Kriegskriminaliüberkreuzende Bedeutung. Freilich hat W o y - t ä t in ihren charakteristischen Zügen erlebt, t i n s k y (a. a. O.) mit verfeinerten statisti- mögen sie auch als Neutrale dem Kriege fern schen Methoden zu zeigen gesucht, daß trotz geblieben sein, während diejenigen Staaten, alledem der Diebstahl mindestens bis 1914 in die wirtschaftlich keine Nöte hatten, jene Abnormitäten nicht zeigten, wenn sie auch mili-

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ist die Münztärisch an dem Kriege teilgenommen haben. Aus gleichem Grunde Es ist dies der beste Beweis dafür, daß es sich fälschung damals zu einer Seltenheit geUnd besonders interessant: trotz hier in Wahrheit nicht um K r i e g s kriminali- worden. t ä t , sondern um N o t kriminalität gehandelt Höchststandes der übrigen Vermögenskrimihat (vgl. Exner, Liepmann,Trommer, a.a.O.). nalität zeigten Betrug und Erpressung, die Trotzdem wäre es durchaus verfehlt, zu praktisch meist auf Bargeld abzielen, im meinen, die Kriminalität werde in allen ihren Jahre 1923 geringere Zahlen als vorher Zweigen von schlechten Wirtschaftsverhält- und nachher. Ebenso hat die Entwertung nissen notwendig ungünstig, von guten not- der Versicherungssummen die Brandstiftung wendig günstig beeinflußt. Als die jugend- derart zurückgedrängt, daß v. H e n t i g sagen lichen Arbeiter in der Munitionsindustrie konnte, die Inflation wirke sich als „BrandLöhne erhielten, die weit über ihre gewohnten schutz" aus. Auf der anderen Seite aber sind Verhältnisse hinausgingen, wurde dies f ü r in jener Zeit, als jedes Stückchen Kupferdraht ihren sittlichen Halt nicht weniger verhäng- zum Wertobjekt geworden war, Dinge genisvoll als in anderen Zeiten die Erwerbs- stohlen worden, die zu entwenden früher und losigkeit. Und eine Tatsache von allgemeiner später Niemandem in den Sinn gekommen Bedeutung: in fetten Zeiten hebt sich, in wäre. Da endlich die Inflation eine Flut ausmageren Zeiten sinkt der Alkoholkonsum und ländischen Spekulantentums angelockt hatte, zugleich auch der durchschnittliche Er- hat die Ausländerkriminalität in einer bis nährungszustand des Volkes. Die Gewalt- dahin ungeahnten Weise zugenommen. Man kriminalität zeigt eine Entwicklung, die dem sieht aus alledem, wie ein äußeres Ereignis, meist völlig analog ist. In den Zeiten mäch- ein Milieufaktor, die kriminalistische Physiotigen wirtschaftlichen Aufschwungs, von den gnomie der Zeit völlig verändert. 80 er Jahren bis zur Wende des Jahrhunderts c) Unter den kriminologisch wichtigen hat die Gewaltkriminalität durchweg zu- staatlichenUmweltsfaktoren seien endlich noch genommen, während sie in den unmittelbaren die J u s t i z v e r h ä l t n i s s e erwähnt. Darunter Nachkriegsjahren trotz der politischen Auf- sei hier der gesamte Apparat von Gesetzgeregtheit jener Zeit einen bis dahin unbe- gebung, Gerichts-, Gefängnis- und Polizeikannten Tiefstand erreichte. Allein, viel wesen verstanden, den der Staat im Kampf interessanter f ü r den Kriminalsoziologen ist gegen das Verbrechen einsetzt. Seine Bees, daß auch gewisse Vermögensdelikte sich in deutung f ü r die Kriminalität wird oft über-, Zeiten ökonomischen Aufstiegs mehren, jene oft unterschätzt. Eine Überschätzung ist es, nämlich, die vornehmlich in der Verkehrswirt- wenn man meint, daß gewisse unerfreuliche schaft wurzeln. Sie haben gerade bei auf- Erscheinungen in der Entwicklung der Krimiblühendem und sich ausbreitendem Wirt- nalität, etwa die Rückfallshäufigkeit, ausschaftsverkehr eine steigende Tendenz. Das schließlich oder größtenteils auf die Unzugilt von Betrug und Urkundenfälschung, in länglichkeit unserer Gesetzgebung und unseres vermindertem Maße auch von der Unter- Strafvollzuges zurückzuführen seien. Eine schlagung. Wenn man die Entwicklung dieser Unterschätzung jedoch, wenn man in krimiDelikte seit 1882 in ihren allgemeinen großen j nalsoziologischen Untersuchungen diesen Zügen verfolgt, so zeigen sie durchwegs erheb- P u n k t überhaupt unerwähnt läßt, obwohl liche Zunahme. Betrug und Urkunden- , doch aller Kampf um die Reform unseres fälschung haben sich bis 1914 verdoppelt und Strafrechts nur Sinn hat, wenn man in ihr ein sind auch nach dem Kriege mit gewissen Mittel zur Beeinflussung der Kriminalität erRückschlägen noch weiter erheblich ange- blicken kann. wachsen; eine wichtige Illustration zum Demgegenüber muß festgestellt werden: Thema Wirtschaft und Kriminalität, aber hier in dem Sinne, daß wirtschaftlicher Fort- der Grad der s t r a f r e c h t l i c h e n R e c h t s s i c h e r h e i t ist zweifellos von wesentlicher schritt die Kriminalität fördert. Bedeutung f ü r Art und Häufigkeit der VerUnter strafrechtlicher Noch ein besonders sinnfälliges Beispiel brechensbegehung. f ü r die Abhängigkeit der Kriminalität von Rechtssicherheit verstehe ich hier den Grad der Wirtschaftslage sei hier angefügt: die der Wahrscheinlichkeit, daß einer verbrecheI n f l a t i o n s k r i m i n a l i t ä t . Im Jahre 1923, rischen Tat alsbald die Strafe folge. Dabei dem Hauptinflationsjahre, erreichten Dieb- dürfte die Tatsache, daß überhaupt Bestrastahl und Hehlerei in Deutschland ihren fung eintritt und daß sie rasch eintritt, mehr Kulminationspunkt. Doch das gilt nur inso- Gewicht haben als die größere oder geringere fern, als es sich bei diesen Delikten um „Sach- Schwere dieser Strafe. In dieser Hinsicht ist werte" handelte, während z. B. Kassenein- also das Polizei- und Prozeßwesen wichtiger brüche damals fast gänzlich aufgehört hatten, als das materielle Strafrecht. Daß dies zuda entwertete Geldnoten und Aktien dem trifft, hat man bei uns und in Österreich in Knacker nichts Erstrebenswertes boten. den Jahren des Zusammenbruchs verspüren

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Kriminalsoziologie

Schriften zu Einzelfragen, die oben b e r ü h r t k ö n n e n : Als im allgemeinen politischen worden s i n d : D r u n t e r u n d D r ü b e r Polizei und Gericht m i t wichtigsten Dingen zu s t a r k ü b e r l a s t e t waren, Allgemeines: u m sich dem Durchschnittsfall in g e w o h n t e r A s c h a f f e n b u r g , Das Verbrechen u n d seine Energie w i d m e n zu können, als Amnestieen B e k ä m p f u n g , 3. Aufl., Heidelberg 1923. — i m m e r wieder der Gerichtsbarkeit in den A r m v o n M a y r , Moralstatistik mit Einschluß der Kriminalstatistik, Tübingen 1917. — fielen, S t r a f a u f s c h u b u n d B e w ä h r u n g s f r i s t e n v o n L i s z t , Die gesellschaftlichen F a k in einem A u s m a ß e g e w ä h r t w u r d e n , das den toren der Kriminalität, Zeitschr. f. d. ges. E r n s t der J u s t i z in Frage stellte, d a w a r Strafrechtswissenschaft, 23. Bd., 208, 1903. die Folge davon auf der einen Seite wohl be— F e r r i , Sociologia criminale, Terza Edig r ü n d e t e H o f f n u n g auf Straflosigkeit f ü r den zione, Torino 1892.— G l e i s p a c h , Die ErVerbrecher, auf der a n d e r e n Seite die noch forschung der Verbrechensursachen, Zeitviel bedenklichere E r s c h e i n u n g einer allgeschr. f. d. ges. Strafrechtswissenschaft, 48, meinen E r s c h ü t t e r u n g des R e c h t s b e w u ß t 9 9 f f . — L e n z , G r u n d r i ß der Kriminalseins, die der tägliche Anblick u n g e s ü h n t biologie, 1 9 2 7 . — M a x W e b e r , W i r t s c h a f t bleibender S t r a f t a t e n bewirkt h a t t e . Beides u n d Gesellschaft, H. 2, Tübingen 1925. ist gewiß mit schuld an dem damaligen H o c h (Letzteres Werk ist f ü r die Kriminalsoziologie in methodischer Hinsicht b e d e u t s a m , s t a n d der K r i m i n a l i t ä t . Doch auch in norobzwar es sich nur mit Wirtschaftssoziologie malen Zeiten m u ß es das V e r b r e c h e r t u m befaßt.) — P o p p , Das pädagogische f ö r d e r n , wenn die Polizei ihm an R a f f i n e m e n t Milieu, Langensalza 1928. — Neuestens u n d A u s b i l d u n g unterlegen oder, wie dies in Sauer, Kriminalsoziologie (hier nicht den Vereinigten S t a a t e n von A m e r i k a zeitm e h r berücksichtigt). weise der Fall zu sein scheint, an Macht n i c h t Zu E i n z e l f r a g e n : gewachsen ist. Seuffert-Friedebert, Untersuchungen So sehr dies alles b e t o n t werden m u ß , darf über die örtliche Verteilung der Verbrechen d a d u r c h selbstverständlich die B e d e u t u n g des im Deutschen Reich, Strafrechtliche Abh., materiellen S t r a f r e c h t s sowie des StrafvollH . 75, Breslau 1906. — B o n g e r , Criminalité et conditions économiques, A m s t e r zugs nicht verkleinert werden. Die Wichtigd a m 1905.— R o z e n g a r t , Le crime c o m m e keit eines v e r n ü n f t i g e n Strafvollzugs ist h e u t e p r o t u i t social et économique, Paris 1929. — allgemein a n e r k a n n t . Doch auch die E r f a h H ö p l e r , Wirtschaftslage — Bildung — r u n g e n , die m a n m i t unzulänglicher S t r a f K r i m i n a l i t ä t , Arch. f. Kriminologie, Bd. 76, gesetzgebung m a c h t u n d g e m a c h t h a t , sind 1924. — D e r s e l b e , Wirtschaftskrisen u n d eine Lehre. Sie zeigt vor allem, d a ß ein Zuviel Kriminalität, Arch. f. Kriminologie, Bd. 87, der Gesetzgebung ebenso schädlich sein k a n n H. 1—4, 1 9 3 0 . — W o y t i n s k y , Kriminaliwie ein Zuwenig. Als m a n in Zeiten der Kriegst ä t u n d Lebensmittelpreise, Zeitschr. f. d. ges. Strafrechtswissenschaft, 49, 647—675, u n d Ü b e r g a n g s w i r t s c h a f t eine F l u t von NorBerlin 1928.— R o e s n e r , Der Einfluß von men losließ u n d h i n t e r jede derselben eine Wirtschaftslage, Alkohol und Jahreszeit auf S t r a f s a n k t i o n setzte, h a t diese papierne die Kriminalität, Berlin 1930. — E x n e r , O r d n u n g verhängnisvoll dazu beigetragen, Krieg und K r i m i n a l i t ä t in Oesterreich, den Glauben an die Unverbrüchlichkeit des W i r t s c h a f t s - u n d Sozialgeschichte des R e c h t s zu u n t e r g r a b e n . U n d wenn h e u t e das Weltkrieges, herausg. von der CarnegieB e r u f s v e r b r e c h e r t u m sich in u n e r h ö r t e m Stiftung, Wien 1927. — M. L i e p m a n n , Maße breit m a c h t , so m u ß wiederum auf ein Krieg und Kriminalität in Deutschland, Carnegiestiftung f ü r internationalen FrieManko der Gesetzgebung hingewiesen werden, den, Wirtschafts- u n d Sozialgeschichte des die dies t a t e n l o s geschehen l ä ß t , s t a t t mit Weltkrieges, Deutsche Serie, S t u t t g a r t , Mitteln der U n s c h ä d l i c h m a c h u n g wirksam Berlin, Leipzig 1930. — S o l n a r , La durchzugreifen. guerre mondiale et la criminalité en So ist die kriminalsoziologische Forschung, Tschechoslovaquie, Revue de droit Pénal beschreibend u n d d e u t e n d , eine u n e n t b e h r l i c h e et de Criminologie, Louvain 1929. — v. H e n t i g , Zahlreiche Aufsätze u n d MitBeraterin jeder rationellen Kriminalpolitik. teilungen in der Monatsschr. f. KriminalSchrifttum : psychologie u. S t r a f r e c h t s r e f o r m . — KrimiAls Begründer der K S . können der belgische nalistische A b h a n d l u n g e n , herausg. von N a t u r f o r s c h e r Q u e t e l e t (Sur l'homme et E x n e r : Nr. 1: Krieg und K r i m i n a l i t ä t le développement de ses facultés, 1835, ( E x n e r ) ; Nr. 2 : K r i m i n a l i t ä t der F r a u im s p ä t e r : „ P h y s i q u e sociale") u n d der balKrieg ( K o p p e n f e l s ) ; Nr. 6 : U r k u n d e n tische Theologe v o n O e t t i n g e n (Die fälschung u n d Betrug im Krieg ( T r o m Moralstatistik in ihrer B e d e u t u n g f ü r eine m e r ) ; Nr. 14: Uneheliche u n d verwaiste Sozialethik, 3. Aufl., Erlangen 1882) beVerbrecher ( T ö n n i e s ) ; Nr 15: Weibliche t r a c h t e t werden. Das S c h r i f t t u m ist seitK r i m i n a l i t ä t u n d Ehe ( K r i l l e ) . her ins U n ü b e r s e h b a r e angewachsen. Im Folgenden seien n u r einige allgemeine Frans Exner. Werke genannt sowie einige neuere

Kriminalstatistik

Kriminalstatistik. 1. B e g r i f f u n d G l i e d e r u n g d e r K r i m i n a l s t a t i s t i k im a l l g e m e i n e n . Ein ebenso bedeutendes kriminologisches Forschungsgebiet wie z. B. die K r i m i n a l a n t h r o pologie, Kriminalpsychologie oder Kriminalsoziologie ist auch die Kriminalstatistik, denn sie h a t die Aufgabe, alles zu erforschen, „ w a s an Bestands-, insbesondere aber an Bewegungsmassen auf dem Gebiet des .crimen' d u r c h die statistische Beobachtung, insbesondere der Tätigkeit u n d der Tätigkeitserfolge öffentlicher Behörden irgend welcher Art zur Feststellung k o m m t " (v. M a y r , a. a. O., V I I I , 5. 405). F ü r die Kennzeichnung des „ c r i m e n " im weitesten Sinne h a t v. M a y r den Ausd r u c k „ V e r f e h l i c h k e i t " und d e m e n t s p r e c h e n d „ V e r f e h l e r " u n d „ V e r f e h l u n g e n " geprägt, w ä h r e n d wir in den zahlreichen kriminalstatistischen Publikationen von H o e g e l hierf ü r die Bezeichnung „ S t r a f f ä l l i g k e i t " finden. Am häufigsten wird daneben im S c h r i f t t u m die Bezeichnung „ K r i m i n a l i t ä t " u n d f ü r die s t r a f b a r e n H a n d l u n g e n der Sammelbegriff „Delikte" gebraucht. Bei der obigen Definition der Kriminalstatistik handelt es sich um die Kriminals t a t i s t i k im weiteren Sinne. Systematisch gehört sie, soweit es sich u m statistische Beo b a c h t u n g e n von Massenerscheinungen auf dem Gebiet der Strafrechtsorganisation u n d deren Geschäftstätigkeit handelt, zur Verwaltungsstatistik, insofern sie sich mit der zahlenmäßigen Feststellung von unmoralischen H a n d l u n g e n beschäftigt, zur Morals t a t i s t i k (s. d. Art.). Diese zwei statistischen Materien sind wiederum Zweige der K u l t u r statistik, die n a c h der Systematisierung von Z a h n (a. a. O., S. 265) mit den beiden anderen großen statistischen Disziplinen, der Bevölkerungs- und der W i r t s c h a f t s statistik, das gesamte Gebiet der praktischen S t a t i s t i k bilden. Das System der Kriminalstatistik im weiteren Sinne gliedert sich im allgemeinen in folgende G r u p p e n : 1. Polizeistatistik. — 2. Statistik der Gerichtsorganisation. — 3. Geschäftsstatistik in S t r a f s a c h e n : a) Geschäftsstatistik der S t a a t s a n w a l t s c h a f t , b) Geschäftsstatistik der Gerichtsbehörden. — 4. Auslieferungsstatistik. — 5. K r i m i n a l s t a t i s t i k im engeren Sinne. — 6. Strafvollzugsstatistik. — 7. Strafregisters t a t i s t i k . — 8. Begnadigungsstatistik. Von einer Darstellung der Aufgaben u n d Ziele der in dieser Gliederung u n t e r den Nr. 1 und 6 aufgeführten P o l i z e i s t a t i s t i k und S t r a f v o l l z u g s s t a t i s t i k k a n n hier abgesehen werden, d a sie in besonderen Beiträgen in diesem B a n d e b e h a n d e l t sind (s. d. Art.).

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Die S t a t i s t i k d e r G e r i c h t s o r g a n i s a t i o n u n t e r r i c h t e t ü b e r die Anzahl der w ä h rend eines J a h r e s oder an einem b e s t i m m t e n S t i c h t a g v o r h a n d e n e n Strafgerichte der verschiedenen Instanzen und deren personelle Besetzung, f e r n e r ü b e r den B e s t a n d a n S t a a t s a n w ä l t e n , R e c h t s a n w ä l t e n usw., w ä h rend die G e s c h ä f t s s t a t i s t i k i n S t r a f s a c h e n (wiederholt auch als Kriminalprozeßstatistik oder formelle K r i m i n a l s t a tistik bezeichnet) Aufschluß gibt ü b e r das Maß der I n a n s p r u c h n a h m e der m a n n i g f a c h e n Organe der Strafrechtspflege. Sie e r m i t t e l t weiter vor allen Dingen die Zahl der im Laufe eines J a h r e s oder eines a n d e r e n begrenzten Zeitabschnitts anhängig gewordenen S t r a f sachen. Sie berichtet endlich über die verschiedenen Erledigungsarten der Prozesse, vor allem über die ergangenen Urteile u n t e r Berücksichtigung der eingelegten Rechtsmittel. Die Geschäftsstatistik der S t r a f justiz ist mit der v o r s t e h e n d u n t e r Nr. 2 gen a n n t e n Statistik über den A u f b a u u n d die Zusammensetzung des Gerichtsapparates wiederum ein Teil der auch die Tätigkeit der Gerichtsbehörden in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten bzw. der freiwilligen Gerichtsbarkeit u m f a s s e n d e n allgemeinen „ J u s t i z s t a t i s t i k " , deren Ergebnisse hauptsächlich den J u s t i z a u f s i c h t s b e h ö r d e n f ü r personalpolitische und a d m i n i s t r a t i v e M a ß n a h m e n zweckdienlich sind (vgl. a. E. R o e s n e r , Rechtspflegestatistik, H a n d w ö r t e r b u c h der Rechtswissenschaft V I I , 438 f f . , Berlin 1931). Die A u s l i e f e r u n g s s t a t i s t i k verfolgt z u n ä c h s t den Zweck, ein zahlenmäßiges Bild über den gesamten U m f a n g der Auslieferungen, Durchlieferungen oder Einlieferungen von Personen zu geben, die Verbrechen (im weiteren Sinne) begangen haben u n d sich — u m der B e s t r a f u n g zu e n t g e h e n — in ein anderes L a n d geflüchtet haben. Sie gewinnt weiter an W e r t durch E r m i t t e l u n g e n über die Erledigungsart der Ersuchen u m Ausliefer u n g oder Einlieferung, d. h. ob diese bewilligt, abgelehnt, anderweitig (z. B. d u r c h Selbstmord des T ä t e r s ) erledigt oder — im Berichtszeitraum — noch nicht abgeschlossen sind, sowie durch Aufgliederung nach S t a a t e n und s t r a f b a r e n H a n d l u n g e n . Die K r i m i n a l s t a t i s t i k i m e n g e r e n S i n n e — auch S t a t i s t i k der K r i m i n a l i t ä t oder materielle K r i m i n a l s t a t i s t i k g e n a n n t — , deren Darstellung hauptsächlich Gegenstand des vorliegenden Beitrages ist, e r m i t t e l t erstens den U m f a n g und die Art der — durch die jeweilige Gesetzgebung u m g r e n z t e n — begangenen s t r a f b a r e n H a n d l u n g e n und die Zahl ihrer T ä t e r nach Maßgabe ihrer A b u r teilungen. Sie gibt zweitens Aufschluß über

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die persönlichen Verhältnisse der Delinquenten und beschäftigt sich schließlich mit der Art und der Zahl der erkannten Strafen. Die S t r a f r e g i s t e r s t a t i s t i k , ein bisher noch wenig gepflegter Zweig der Kriminalstatistik, ermittelt die Bestandsmasse der in einem gerichtlichen oder polizeilichen Strafregister vermerkten strafbaren Handlungen oder die Zahl der wegen Delikte gewisser Art verurteilten Personen und ermöglicht bei einem Vergleich der Jahreszugänge an Erstund Wiederbestraften mit den Bestandsausweisen der Bestraften ein erschöpfendes Bild der Rückfälligkeit (s. d. Art. Rückfallstatistik). Als letztes Glied in den Rahmen der Kriminalstatistik im weiteren Sinne gehört die B e g n a d i g u n g s s t a t i s t i k . Diese hat über sämtliche innerhalb eines Jahres wirksam gewordenen Gnadenakte zu berichten, wobei eine Ausgliederung der Begnadigungsausweise nach einzelnen strafbaren Handlungen und nach kriminalistischen bzw. demographischen Merkmalen der Täter, möglichst in Kombination mit den Einzeldelikten, von besonderer Wichtigkeit ist. (Weitere Ausführungen s. im Art. Strafvollzugsstatistik.) 2. D i e B e g r ü n d u n g d e r w i s s e n s c h a f t l i c h e n K r i m i n a l s t a t i s t i k . Die Anfänge einer Statistik der Rechtspflege reichen bis an den Ausgang des 17. Jahrhunderts zurück, wo zuerst in Frankreich unter der Regierung König Ludwig des XIV. schon Versuche justizstatistischer Ermittelungen angestellt wurden. Berichte über die Zahl von Verbrechen (also Sammlungen kriminalstatistischen Materials) sind uns bereits gleichfalls in Frankreich aus der vorrevolutionären Zeit (um 1770) bekannt. Auch aus deutschsprachigen Gebietsteilen dürften mit Ausgang des 18. Jahrhunderts schon verschiedentlich Ansätze zu kriminalstatistischen Beobachtungen vorliegen, wenn auch noch recht unsystematischer Natur und vielfach lückenhaften Inhalts. Mit Sicherheit lassen sich dagegen in der ersten Zeit des 19. J a h r hunderts in einigen deutschen, insbesondere süddeutschen Ländern Anfänge oder sogar Durchführungen von Justizstatistiken nachweisen, die von den obersten Justizbehörden vorgenommen wurden. Über ihre weitere Entwicklung wird im nächsten Abschnitt Ausführliches gesagt. Bei allen diesen Unternehmen handelte es sich jedoch um nichts anderes als um die Sammlung von justiz- und kriminalstatistischem Zahlenmaterial und dessen Zusammenstellung zu mehr oder weniger vollständigen Tabellen. Die Geschichte der K r i m i n a l -

s t a t i s t i k a l s W i s s e n s c h a f t beginnt nach den Ausführungen von W a s s e r m a n n (a. a. 0 . , S. 5) erst in dem Augenblick, als man sich klar wurde, daß in der verbrecherischen Betätigung kein reiner Zufall walte, und als man versuchte, durch exakte Massenbeobachtungen festzustellen, ob sich nicht gewisse Gesetzmäßigkeiten und Regelmäßigkeiten in diesen sittlich so bedeutsamen Vorgängen nachweisen ließen. Das Geburtsjahr der wissenschaftlichen Kriminalstatistik fällt in das Jahr 1835, in welchem ihr Begründer, der belgische Astronom, Mathematiker und Statistiker A d o l p h e Q u e t e l e t (1796—1874) sein Werk „Sur l'homme et le développement de ses facultés ou Essai de physique sociale" veröffentlichte. Er untersuchte hierin an Hand von umfangreichem statistischen Material allgemein die Frage, ob die Handlungen des Menschen als sittlichen und denkenden Wesens einer Gesetzmäßigkeit unterworfen seien. Der Grundgedanke dieses Werkes ist der, daß der menschliche Wille nur die Rolle einer „cause accidentelle" spielt, der die Wirkung der konstanten Ursachen, von denen die menschliche Geisteswelt ebenso wie die gesamte Natur beherrscht sei, nicht wesentlich zu berühren vermag. Mit dieser Anschauung verkörpert Quetelet nach der Gruppierung der einzelnen Hauptrichtungen, d i e M i s c h l e r (a. a. O., I, S. 69) bezügl. Verarbeitung der Kriminalstatistik vorgenommen hat, die sozialphysische Richtung als Unterteil der metaphysischen Hauptgruppe. Im Besonderen stellte Quetelet bei diesen Forschungen dann erstmals das Verbrechen als eine sozialpathologische Erscheinung fest. Weiter hat er als erster auf wissenschaftlich-statistischer Basis nachgewiesen, daß nicht nur die strafbaren Handlungen, u. a. die Tötungen, mit großer Regelmäßigkeit von J a h r zu J a h r ihrer Zahl nach wiederkehren, sondern auch die Werkzeuge, mit denen sie begangen werden, immer in demselben Verhältnis angewandt werden. „An Stelle des antiken „ F a t u m " , dem „ G o t t will es" des Mittelalters," bemerkt hierzu L a f a r g u e , „setzte Quetelet sein: „Die Gesellschaft befiehlt es" (Die Kriminalit ä t in Frankreich von 1840—1886, Die Neue Zeit, Stuttgart 1890, S. 12). Obige Behauptung hatte Quetelet auf die Daten der französischen Kriminalstatistik f ü r die Jahre 1826—1831 gestützt, die für die weitere Entwicklung der kriminalstatistischen Wissenschaft von derart grundlegender wie auch historischer Bedeutung sind, daß wir sie im Folgenden in der Originaltabelle nebst dem Wortlaut jener berühmten Sätze Quetelets über die Gesetzmäßigkeit und Budgetmäßigkeit des Verbrechens wiedergeben:

Kriminalstatistik

Meurtres en général Fusil et pistolet Sabre, épée, stylet, poignard etc Couteau B â t o n , canne etc Pierres I n s t r u m e n s t r a n c h a n s , p i q u a n s et c o n t o n d a n s Strangulations E n p r é c i p i t a n t et n o y a n t Coups de pied et de poing Le feu Inconnus „ D a n s t o u t ce qui se r a p p o r t e a u x crimes, les mêmes nombres se reproduisent avec une constance telle, qu'il serait impossible de la méconnaître, même pour ceux des crimes qui sembleraient devoir échapper le plus à t o u t e prévision humaine, tels que les meurtres, puisqu'ils se c o m m e t t e n t , en général, à la suite de rixes qui naissent sans motifs, et d a n s les circonstances, en apparence, les plus fortuites. Cependant l'expérience prouve que non-seulement les meurtres sont annuellem e n t à peu près en même nombre, mais encore que les i n s t r u m e n s qui servent à les comm e t t r e sont employés dans les mêmes proportions. Que dire alors des crimes que prépare la réflexion? Cette constance avec laquelle les mêmes crimes se reproduisent annuellement dans le même ordre et a t t i r e n t les mêmes peines dans les mêmes proportions, est un des faits les plus curieux que nous a p p r e n n e n t les statistiques des t r i b u n a u x ; je me suis particulièrement a t t a c h é à la m e t t r e en évidence dans mes différens écrits ; je n'ai cessé de répéter chaque a n n é e : Il est un budget qu'on paie avec une régularité e f f r a y a n t e , c'est celui des prisons, des bagnes et des é c h a f a u d s ; c'est celui-là s u r t o u t qu'il f a u d r a i t s ' a t t a c h e r à reduire; et chaque année, les nombres sont venus confirmer mes prévisions, à tel point, que j'aurais pu dire, peut-être avec plus d ' e x a c t i t u d e : II est un t r i b u t que l ' h o m m e a c q u i t t e avec plus de régularité que celui qu'il doit à la n a t u r e ou au trésor de l ' É t a t , c'est celui qu'il paie au crimeI Triste condition de l'espèce h u m a i n e ! Nous p o u v o n s énumérer d ' a v a n c e combien d'individus souilleront leurs mains du sang de leurs semblables, combien seront faussaires, combien empoisonneurs, à peu près comme on peut énumérer d'avance les naissances et les décès qui doivent avoir lieu. La société renferme en elle les germes de t o u s les crimes qui v o n t se commettre, en même t e m p s que les facilités nécessaires à leur développement. C'est elle, en quelque sorte, qui prépare ces crimes, et le coupable n'est que l ' i n s t r u m e n t qui les éxécute. T o u t é t a t social suppose donc un certain nombre et un certain ordre de délits qui résultent

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1826

1827

1828

1829

1830

1831

241 56 15 39 23 20 35 2 6 28

234 64 7 40 28 20 40 5 16 12 1 1

227 60 8 34 31 21 42 2 6 21

231 61 7 46 24 21 45 2 1 23 1

205 57 12 44 12 11 46 2 4 17

266 88 30 34 21 9 49 4 3 26



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2







2

2

comme conséquence nécessaire de son organis a t i o n " (a. a. 0 . , S. 7ff.). Im zweiten B a n d e seines Werkes b e h a n d e l t e Quetelet verschiedene Einflüsse (Lebensalter, Geschlecht, J a h r e s z e i t e n , Bildung, Beruf, Klima u n d Rasse, A r m u t u n d Alkohol) auf den s o g e n a n n t e n „ p e n c h a n t au c r i m e " ; so n e n n t er — von der Voraussetzung ausgehend, d a ß die Verhältnisse, in denen die Menschen leben, die gleichen seien — die größere oder geringere Wahrscheinlichkeit, ein Verbrechen zu begehen. Obwohl diesen U n t e r s u c h u n g e n ein kriminalstatistisches Material f ü r n u r sechs J a h r e zu G r u n d e lag, haben sie zu Result a t e n g e f ü h r t , die vielfach durch die heutigen kriminalstatistischen Beobachtungen bestätigt werden, woraus erhellt, d a ß Quetelet die wichtigsten Ergebnisse unserer m o d e r n e n K r i m i n a l s t a t i s t i k im Prinzip bereits vor einem J a h r h u n d e r t e r k a n n t h a t t e . Über die weitere E n t w i c k l u n g der wissenschaftlichen Kriminalstatistik seit Quetelet gibt eine kürzlich in der Reihe der Exnerschen „ K r i minalistischen A b h a n d l u n g e n " ( H e f t V, Leipzig 1927) erschienene Arbeit von W a s s e r m a n n : „ D i e Entwicklungsphasen der kriminalstatistischen F o r s c h u n g " erschöpfenden Aufschluß. Von besonderem Interesse sind darin die eingehenden A u s f ü h r u n g e n über die an die Lehre Quetelets a n k n ü p f e n d e n Theorieen, A n s c h a u u n g e n u n d Kritiken der „ Quetelisten" (Vertreter sind u. a. in D e u t s c h l a n d : E n g e l , A d o l p h W a g n e r , in E n g l a n d : B u c k l e , in F r a n k r e i c h : C o m t e u n d D u f a u , in Italien: M e s s e d a g l i a , B o d i o u n d M o r p u r g o ) , der „ A n t i q u e t e l i s t e n " (Knapp, D r o b i s c h , R e h n i s c h und W i n d e l b a n d ) , der „ H a l b q u e t e l i s t e n " (v. O e t t i n g e n , v. L i s z t , v. M a y r ) sowie der „ K r i t i z i s t e n " . 3. D a s F o r s c h u n g s z i e l d e r K r i m i n a l s t a t i s t i k i m e n g e r e n S i n n e . Über die Aufgabe, das Ziel und die praktische Bedeut u n g der „ K r i m i n a l s t a t i s t i k im engeren S i n n e " finden sich in der F a c h l i t e r a t u r zahlreiche Begriffsbestimmungen, die inhaltlich —

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j e nach der Richtung der wissenschaftlichen Disziplin, welche sich mit den Forderungen und Grenzen des kriminalstatistischen Problems für ihren speziellen Forschungszweck beschäftigt — z. T . bemerkenswerte Unterschiede aufweisen. Lassen wir daher einige führende Vertreter der an der Kriminalstatistik interessierten Wissenschaften sprechen. Die Daten der Kriminalstatistik sind erstens für die praktischen Maßnahmen der G e s e t z g e b u n g von großer Wichtigkeit. Auf ihren gesetzgeberischen Wert hat bereits vor mehr als 70 J a h r e n , als sich die kriminalstatistischen Erhebungen in den meisten Ländern noch in den Anfangsgründen befanden, teilweise überhaupt noch nicht in Angriff genommen waren, L o r d B r o u g h a m a n d V a u x auf dem Internationalen Statistischen Kongreß in London im J a h r e 1860 bei den Verhandlungen über die Statistik der Zivilund Strafrechtspflege mit folgenden Worten hingewiesen: „ F ü l l and minute Statistical details" — gemeint ist hiermit die Kriminalstatistik — „ a r e to the Iawgiver, as the Chart, the compass, and the lead, to the n a v i g a t o r " (vgl. Report of the Proceedings of the Fourth Session of the International Statistical Congress, London 1861, S. 217). Die Bedeutung der Kriminalstatistik liegt weiterhin auf dem Gebiet der S t r a f r e c h t s p f l e g e ; hierzu bemerkt M i s c h l e r : „ E i n richtiges Vorgehen seitens aller bei der Durchführung der Strafrechtspflege Betheiligten, sowohl des Staatsanwaltes, des Richters, der Geschworenen als des Vertheidigers ist nur möglich, wenn es diesen gelingt, den individuellen Fall im Zusammenhange mit seinem T y p u s zu erfassen. Das gilt ebenso bezüglich der Würdigung der zu Grunde liegenden Motive als z. B. bei der Bemessung der Strafe oder der Anwendung eines außerordentlichen Milderungsrechtes. In dieser Beziehung ist die Ausbreitung und Pflege der Criminalstatistik nicht nur unter den berufsmäßigen richterlichen und Gefängnissbeamten, sondern auch umsomehr ganz im Allgemeinen zu wünschen, je mehr an der Durchführung der Strafverwaltung das Volk unmittelbar participiert" (a. a. O., I, S. 61).

Unsere Reichskriminalstatistik hat dieses Ziel stets vor Augen g e h a b t ; und sie ist ihm näher gekommen als irgend eine amtliche Statistik eines andern S t a a t e s . Daß auch sie es nicht völlig zu erreichen vermochte, liegt in der Natur der Dinge. Als e r k l ä r e n d e Wissenschaft aber soll die Kriminalstatistik die von ihr beobachteten und dargestellten Erscheinungen auf ihre zureichende Ursache zurückführen; sie soll das Problem der Kriminalität kausal stellen und lösen, die Ätiologie des Verbrechens liefern" (a. a. O., S. 61). Ein ebenso unentbehrliches Handwerkszeug wie für die kriminalaetiologische Forschung ist die Kriminalstatistik auch für die K r i m i n a l s o z i o l o g i e . Ihr soziologischer Erkenntniswert wird von dem italienischen Kriminologen E n r i c o F e r r i durch ein der medizinischen und Naturwissenschaft entlehntes Beispiel in treffender Weise gekennzeichnet: „ T a l c h é la statistica criminale è alla sociologia criminale ciò che l'istologia è alla biologia; indicando essa nelle condizioni degli elementi individuali onde si plasma l'organismo colletivo, le ragioni fondamentali del delitto, come fenomeno sociale" (vgl. Sociologia criminale, Terza Editione, Torino 1892, S. 204). Einer besonderen Erwähnung bedarf auch die Definition über die kriminalsoziologischen Aufgaben der Kriminalstatistik, die S a u e r in seiner gegenwärtig im Erscheinen begriffenen „Kriminalsoziologie" geprägt h a t : „Wir sehen ihre kriminalsoziologische Aufgabe darin, aus dem vorgelegten Tatsachenmaterial zunächst Sachtypen herauszuheben, die ungefähr den gesetzlichen Tatbeständen entsprechen (die ihrerseits schon deshalb einer Kriminalsoziologie zugrunde gelegt werden müssen, weil von ihnen die Statistik ausgeht und ausgehen muß). Wir erkennen also aus der Statistik die typische Wiederkehr einer gewissen Kriminalität, wie sie etwa den gesetzlichen Tatbeständen entsprechen. Aus dieser (individualisierend monadologischen)Differentialdiagnose dürfen wir alsdann eine für die juristische Behandlung erhebliche (ganzheitlich zu gewinnende) Sozial-Prognose ablesen. Die statistische Forschung soll also zu Sachtypen vordringen, die für Wesen und Behandlung der Verbrechensarten charakteristisch sind und die unsere systematische Erkenntnis der Kriminalität und ihre Behandlung fördern und erleichtern . . . Forschungsgegenstand der Kriminalstatistik ist also e i n h ä u f i g v o r k o m m e n d e r Z u s a m m e n h a n g nicht von Zahlen mit einander, sondern v o n k r i m i n e l l erheblichen Kraft- und Wertstrebungen mit gleichartiger sozialschädlicher W i r k u n g u n d T e n d e n z , sei es auch von verschiedener Beschaffenheit, Stärke und Werthaftigkeit" (a. a. O., Bd. I, S. 41/42).

Als Erkenntnisquelle für die K r i m i n a l a e t i o l o g i e stellt F r a n z v o n L i s z t an die Kriminalstatistik folgende Anforderungen: „ D i e Kriminalstatistik hat eine zweifache A u f g a b e : sie soll die Kriminalität nicht nur beschreiben, sondern auch sie erklären. Als b e s c h r e i b e n d e Wissenschaft hat sie die Kriminalität unserer Tage zahlenmäßig darzustellen. Vollständigkeit und Zuverlässigkeit des in den statistischen Tabellen niedergelegten Beobachtungsstoffes, reiche GliedeDie Kriminalstatistik bietet ferner wichrung und anschauliche Darstellung des Urmaterials: das ist das anzustrebende Ziel. tige Grundlagen f ü r die Aufgaben der

Kriminalstatistik K r i m i n a l p s y c h o l o g i e . G r u h l e äußert sich hierüber f o l g e n d e r m a ß e n : „ I n der Kriminalpsychologie als Wissens c h a f t stecken zwei ganz verschiedene Fors c h u n g s m e t h o d e n . Die eine stellt die großen Zahlen der Statistik z u s a m m e n u n d erwägt, i n d e m sie ihren zeitlichen Ablauf übersieht, die biologischen oder sozialen Ursachen oder die W i r k u n g technischer E i n r i c h t u n g e n u n d Verordnungen des Staates, die die Berge u n d Täler dieser K u r v e n bedingen. Dabei bleiben die Individuen außer B e t r a c h t u n g . Die andere Methode richtet ihr A u g e n m e r k gerade auf die Individuen, u n t e r s u c h t die persönlichen Motive des Verbrechens u n d die individuelle S t r u k t u r des Verbrechers. Sie k a n n d a n n natürlich diese Individuen summieren, sei es von einem psychologischen, sei es von einem kriminologischen Gesichtsp u n k t e a u s , um zu charakterologischen oder kriminalistischen T y p e n v o r z u d r i n g e n " (a. a. O. S. 470/71). Bezüglich der B e d e u t u n g der Kriminals t a t i s t i k f ü r die S o z i a l e t h i k ä u ß e r t sich der baltische Theologe und Moralstatistiker A l e x a n d e r v. O e t t i n g e n bei der Erö r t e r u n g der allgemeinen Frage über die methodische E r h e b u n g und Beurteilung kriminalstatistischer D a t e n zwecks Herstellung einer b r a u c h b a r e n u n d soliden K r i m i n a l s t a t i s t i k in n a c h s t e h e n d e m Sinne: „ F ü r eine socialethische Verwerthung des reichen, aber auch wüsten criminalstatistischen Materials k o m m t es viel weniger darauf an, E x t e n s i t ä t u n d I n t e n s i t ä t der factisch v o r k o m m e n d e n Verbrechen und Vergehen zu b e s t i m m e n , als die verschiedenen A r t e n von Verbrechen (gegen Personen u n d gegen Eigent h u m , aus Leidenschaft oder E i g e n n u t z etc. etc.), sowie namentlich die Zähigkeit (Tenac i t ä t ) u n d Stetigkeit (Continuität) derselben festzustellen, wie dieselbe in der periodischen Betheiligung der einzelnen Bevölkerungselemente (Kinder, Weiber, Männer, B e r u f s - u n d Bildungsclassen, Ledige, Verheirathete) u n d innerhalb einzelner local u m g r ä n z t e r Gemeinwesen mit v e r w a n d t e m T y p u s sich darstellt u n d in den Rückfälligen sich besonders charakteristisch a u s p r ä g t " (a. a. O. II, S. 449). Schließlich besitzt die Kriminalstatistik noch einen erheblichen W e r t f ü r Schlüsse auf dem Gebiet der M o r a l p h i l o s o p h i e , der K u l t U r g e s c h i c h t e u n d der S o z i a l p o l i t i k . Wie verschieden der Gesichtswinkel ist, u n t e r welchem diesen drei Zweigen der Wissenschaft die D a t e n erscheinen und von ihnen zu bet r a c h t e n sind, h a t A s c h r o t t eingehend dargelegt: „ W ä h r e n d das Interesse des Moralphilosophen vorzugsweise dem Erforschen der in der Bevölkerung hervortretenden verbrecherischen Willensrichtung z u g e w a n d t u n d f ü r ihn daher das Nachforschen nach den Motiven der verbrecherischen H a n d l u n g von größter

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B e d e u t u n g ist, richtet sich das Augenmerk des Kulturhistorikers weit weniger auf diese subjektive Seite des Verbrechens, als auf die H a n d l u n g selbst in ihrer objektiven Ges t a l t u n g , f ü r ihn gilt es vorzugsweise festzustellen, welche Rechtsgüter, welche Seiten des Gemeinwesens rechtswidrigen Angriffen ausgesetzt sind, u n d daneben auch n o c h : welche Opfer die A u f r e c h t e r h a l t u n g des Gemeinwesens der Menschheit in der Form der z u e r k a n n t e n Strafen kostet. Der Sozialpolitiker endlich forscht dem Anlasse f ü r die verbrecherischen H a n d l u n g e n nach u n d sucht dabei vor Allem zu ermitteln, inwieweit die H a n d l u n g e n auf soziale Verhältnisse u n d Z u s t ä n d e z u r ü c k z u f ü h r e n sind, deren verf ü h r e n d e m Einflüsse der Verbrecher erlegen i s t " (a. a. O. I, S. 340). Diese a u t o r i t a t i v e n Ä u ß e r u n g e n h a b e n einmal ein Bild von der Größe u n d der Vielseitigkeit der A u f g a b e n s p h ä r e der Kriminals t a t i s t i k im allgemeinen gegeben. Sie lassen weiterhin im einzelnen erkennen, d a ß von jeder dieser Wissenschaften besondere Anf o r d e r u n g e n an die E r h e b u n g und V e r w e r t u n g der statistischen D a t e n gestellt w e r d e n u n d d a ß diese sich — g e m ä ß der hier e r ö r t e r t e n einzelnen G e s i c h t s p u n k t e — nach den v e r schiedensten Richtungen zu erstrecken h a b e n . 4. D a s F o r s c h u n g s g e b i e t d e r K r i m i n a l s t a t i s t i k i m e n g e r e n S i n n e , a) Diesen verschiedenen, im vorigen A b s c h n i t t d a r g e legten Aufgaben v e r m a g die K r i m i n a l s t a tistik jedoch aus zahlreichen G r ü n d e n gesetzgeberischer sowie statistisch-technischer N a t u r nur in v e r h ä l t n i s m ä ß i g engen Grenzen gerecht zu werden. Die Verletzungen der staatlichen G e s e t z g e b u n g werden nicht deshalb b e s t r a f t , weil sie mit der Moral nicht in E i n k l a n g stehen, sondern weil sie die F u n d a m e n t e schädigen, auf denen sich das Wohl des Staatswesens wie der Gesellschaft a u f b a u t . Die Kriminals t a t i s t i k k a n n daher nur diejenige Immoralit ä t erfassen, die mit der bestehenden Rechtso r d n u n g in Konflikt gerät, w ä h r e n d zahlreiche H a n d l u n g e n , die sittlich sehr verwerflich sind u n d die d u r c h a u s auf der S t u f e von s t r a f b a r e n H a n d l u n g e n stehen, der statistischen Kontrolle entgehen, weil sie d u r c h das positive R e c h t nicht mit S t r a f e b e d r o h t sind. Nach geltendem d e u t schen S t r a f r e c h t gehören hierzu beispielsweise widernatürliche Unzucht zwischen weiblichen Personen, von Eltern an ihren ü b e r 14 J a h r e alten Kindern oder zwischen Geschwistern im Alter von ü b e r 14 J a h r e n begangene unzüchtige H a n d l u n g e n oder Ausü b u n g des Beischlafs an u n b e s t a t t e t e n Leichen. Andererseits werden in die Statistik H a n d l u n g e n einbezogen, bei denen an sich von U n m o r a l i t ä t nicht die Rede sein k a n n .

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E s handelt sich hierbei hauptsächlich u m zahlreiche Ü b e r t r e t u n g e n , die insoweit auszuscheiden wären, als sie ihren Motiven nach in der Regel nicht ausgesprochen bösartige, eher leichtsinnige sind (z. B. Übermäßig schnelles F a h r e n oder Reiten in S t ä d t e n oder Dörfern [§ 366 Ziff. 2 S t O B . ] oder F a h r e n mit Schlitten ohne feste Deichsel oder ohne Geläute oder Schelle in S t ä d t e n [§ 366 Ziff. 4 StGB.]). Aber auch in s t a t i s t i s c h - t e c h n i s c h e r Hinsicht liegt eine erschöpfende E r f a s s u n g der d u r c h den R a h m e n der Gesetzgebung festgelegten f a k t i s c h e n K r i m i n a l i t ä t im Hinblick auf den u n t e n noch näher zu erläuternden s e k u n d ä r e n C h a r a k t e r der Kriminals t a t i s t i k a u ß e r dem Bereich jeder Möglichkeit. Die Schwierigkeiten bestehen in der H a u p t s a c h e darin, „ d a ß die dem engeren Gebiet der lediglich der Kriminalstatistik angehörigen unsittlichen Lebensäußerungen in ihrer Existenz n i c h t , oder wenigstens häufig nicht u n m i t t e l b a r zu Tage t r e t e n , sondern erst durch die T h ä t i g k e i t bzw. die Überzeugungen a n d e r e r Menschen in der Feststellung des objektiven T h a t b e s t a n d e s , in der E r m i t t e l u n g eines p r ä s u m p t i v e n T h ä t e r s u n d in der F i n d u n g des Urtheilspruches mit a n n ä h e r n der Sicherheit e r k e n n b a r w e r d e n " ( S t a r k e , a. a. O., S. 70). Die G r ü n d e hierfür bedürfen einer n ä h e r e n E r k l ä r u n g : Die italienischen Kriminologen (z. B. E . F e r r i , Studi sulla criminalità in F r a n c i a dal 1826 al 1878. Anali di Statistica, Serie 2 a, Voi. 21, 1881, S. 163ff.), ebenso auch die F r a n zosen (z. B. V i d a l - M a g n o l , Cours de droit criminel et de science pénitentiaire, Paris 1927 S. 4 Note 3) gliedern die Kriminalität, soweit sie natürlich n u r mit der bestehenden Rechtso r d n u n g in Konflikt gerät, in drei G r u p p e n , u n d zwar in 1. die wirklich begangenen strafbaren H a n d l u n g e n (criminalità reale; criminalité réelle), 2. die entdeckten, angezeigten oder auf sonstige Weise staatlich b e k a n n t gewordenen s t r a f b a r e n H a n d l u n g e n (criminalità a p p a r e n t e ; criminalité a p p a r e n t e ) , 3 . d i e strafbaren H a n d l u n g e n , die zu einer gesetzlichen Aburteilung, insbesondere zu einer Verurteilung g e f ü h r t haben (criminalità legale; criminalité legale). Bezeichnet m a n in Anl e h n u n g an die anschaulichen A u s f ü h r u n g e n von W a d l e r (a. a. O., S. 15) die erste G r u p p e (wirkliche K r i m i n a l i t ä t ) mit K, die zweite ( E n t d e c k u n g usw.) mit E, die d r i t t e (Aburteilung) mit A, die vierte (Verurteilung) mit V, so ergibt sich aus der N a t u r der Sache, d a ß diese 4 Größen in den seltensten Fällen identisch sein werden. Die Gleichung wird also normalerweise nicht l a u t e n : K = E = A = V, sondern vielmehr K > E > A > V. Im s t a tistischen Sinne a n g e w a n d t heißt d a s : Die erste Kategorie ist der Kontrolle durch die

K r i m i n a l s t a t i s t i k völlig verschlossen. Die zweite ist n u r in bedingtem U m f a n g e erfaßbar. Lediglich die d r i t t e u n d vierte Kategorie läßt sich mit einer gewissen Sicherheit zahlenmäßig feststellen. T r o t z dieser wesentlichen E i n s c h r ä n k u n g v e r m a g die K r i m i n a l s t a t i s t i k uns doch ein Bild von der S t r u k t u r u n d der Bewegung der Verbrechen zu gewähren. Normalerweise wird das Verhältnis der 4 F a k t o r e n (K, E, A u n d V) zueinander ziemlich gleichbleiben. Auf jeden Fall werden d a n n die Größen E, A u n d V nach den Darlegungen von W a d l e r s y m p t o m a t i s c h e Begleiter von K bilden und so ziemlich alle Veränderungen, denen dieser F a k t o r u n t e r worfen ist, proportional m i t m a c h e n . „ M a n k ö n n t e d i e s e R e g e l m ä ß i g k e i t in d e n Beziehungen", b e m e r k t dieser A u t o r , „füglich ,das Gesetz der k o n s t a n t e n V e r h ä l t n i s s e ' n e n n e n " , das die Basis der K r i m i n a l s t a t i s t i k bildet. Die gleiche Auff a s s u n g wird von A s c h r o t t v e r t r e t e n : „ D i e ganze K r i m i n a l i t ä t s s t a t i s t i k geht von der A n n a h m e aus, d a ß in einem gegebenen Zeiträume, in dem keine wesentlichen Ä n d e r u n g e n in der polizeilichen Organisation, in der Zuständigkeit der Strafgerichte, in dem strafprozessualen Verfahren usw. s t a t t g e f u n d e n h a b e n , das Verhältnis der Fälle, wo der T ä t e r einer s t r a f b a r e n H a n d l u n g nicht zur Anzeige gelangt, u n e n t d e c k t geblieben oder nicht ü b e r f ü h r t ist, zu den s t a t t g e h a b t e n Verurteilungen ein ziemlich k o n s t a n t e s ist, u n d daß deshalb den Zahlen der Kriminals t a t i s t i k eine s y m p t o m a t i s c h e B e d e u t u n g f ü r die K r i m i n a l i t ä t der Bevölkerung z u k o m m t " (a. a. O. II, S. 523 A n m . 11). Wir k o m m e n d a m i t zu der Frage eines „Kriminalitätsindex" bzw. der sogen a n n t e n „ D u n k e l z i f f e r " , mit deren Bild u n g oder S c h ä t z u n g sich namentlich die neuzeitliche Forschung wiederholt beschäftigt h a t . Unter einem „ K r i m i n a l i t ä t s i n d e x " ist der Index der f a k t i s c h e n K r i m i n a l i t ä t zu verstehen. Seine Grundlagen sind unlängst von dem finnischen Statistiker V e r k k o (Kriminalstatistiken och den verkliga brottsligheten. Nordisk Tidsskrift for S t r a f f e r e t , Vol. 8. IV. 1930, S. 95ff.) u n d von dem b e k a n n t e n amerikanischen Soziologen T h o r s t e n Sellin (Die Grundlagen eines K r i m i n a l i t ä t s i n d e x . Monatsschrift f ü r Kriminalpsychologie u n d S t r a f r e c h t s r e f o r m , 22. J g . 1931, H e f t 10, S. 577ff.) ausführlich behandelt worden. Der Letztere k o m m t hierbei zu dem E r gebnis, d a ß n u r wenige Deliktstypen einen Rückschluß auf die E n t w i c k l u n g der wirklichen K r i m i n a l i t ä t zulassen u n d d a ß ein K r i m i n a l i t ä t s i n d e x n u r auf den e r f a ß t e n R a t e n weniger ausgewählter Verbrechen basieren k a n n , die erstens als besonders gefährlich f ü r das öffentliche Wohl angesehen werden, zweitens öffentlicher N a t u r sind u n d bei

Kriminalstatistik denen drittens die größtmögliche Zusammenarbeit zwischen dem Geschädigten bzw. den an ihm Interessierten und den Strafverfolgungsbehörden zu erwarten ist. Über die Grenzen der „Dunkelziffer" sind die Meinungen geteilt. Nach einer Arbeit des japanischen Staatsanwalts Dr. S h i g a m a O b a (Unverbesserliche Verbrecher und ihre Behandlung, Berlin 1908, S. 28) bezeichnet der Statistiker eine Ziffer von Vorkommnissen, welche nicht ans Licht kommen, sondern im Dunkeln bleiben als „Dunkelziffer" (dark-number), im Gegensatz zur „Lichtziffer" (light-number). In diesem Falle wäre also unter der Dunkelziffer die Zahl der unbekannten Verbrechen bzw. der unentdeckten Täter zu verstehen. Weiterhin hat sich der Hamburger Strafrechtler M. L i e p m a n n in seiner tiefgründigen Untersuchung „Krieg und Kriminalität in Deutschland" (Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Weltkrieges, Berlin 1930, S. 8 u. 9) ebenfalls mit der Dunkelziffer befaßt, die in der Kriegskriminalität erklärlicherweise eine besonders bedeutende Rolle gespielt hat. Liepmann zieht die Grenzen erheblich weiter als Oba und bezeichnet als Dunkelziffer die Spannung zwischen der Zahl der wirklich begangenen und der Zahl der abgeurteilten und damit (nach seiner Auffassung) allein statistisch erfaßbaren strafbaren Handlungen, d. h. also nach der obigen Formulierung die Diskrepanz zwischen K und A. Es steht somit wohl außer Zweifel, daß eine möglichst exakt geschätzte Dunkelziffer als Repräsentantin der sogenannten heimlichen (latenten) Kriminalität für die praktischen Maßnahmen der Kriminalpolitik von besonders hohem Wert ist, da diese Kriminalit ä t im Rahmen der faktischen Kriminalität mit wenigen Ausnahmen den überwiegenden Teil einzunehmen pflegt. „Ein bekannter Kriminalstatistiker", bemerkt H e i n d l , „den ich zu meinen Freunden zu zählen die Ehre habe, sagte mir kürzlich — nicht gesprächsweise, sondern nach langer reichdokumentierter Debatte — er schätze das Verhältnis der zur Aburteilung gelangenden Verbrechen und Vergehen zu den tatsächlich ausgeführten oder versuchten Delikten auf 1:300!" Heindl selbst ist auf Grund eigener polizeilicher Erfahrung der Ansicht, daß von den schweren, gefährlichen Verbrechen der Gewerbsmäßigen weniger als 1% zur Aburteilung gelangen (vgl. Der Berufsverbrecher, Berlin 1927, 5. Aufl., S. 220/21). In ähnlichem Sinne hat sich vor rund 4 Jahrzehnten schon M i t t e l s t a d t geäußert: „Was von dem massenhaften Verbrecherstoff zur gerichtlichen , Untersuchung' gebracht wird, ist außerordentlich gering" (a. a. O., S. 404). Handwörterbuch der Kriminologie. Bd. II.

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Nach den allgemeinen Erfahrungen dürfte die Dunkelziffer bei den einzelnen strafrechtlichen Tatbeständen bemerkenswerte Unterschiede aufweisen. Sie ist beispielsweise ziemlich gering beim Widerstand gegen die Staatsgewalt, da sich diese Straftat direkt unter den Augen der Staatsgewalt vollzieht und sich gegen sie richtet. „Sie ist also nicht bloß der Entdeckung und Verfolgung sicher", sagt L a n g e r , es sind auch fast immer zuverlässige Beweismittel für diese Delikte vorhanden" (a. a. 0., S. 58). Andere Delikte dagegen — in erster Linie schwererer Art — wie Meineid, Abtreibung, Päderastie, Blutschande, Exhibitionismus, Kuppelei und sonstige Handlungen, welche der Sexualsphäre angehören, vor allen Dingen aber Brandstiftung, f ü r welche meist keine oder nur höchst unsichere Beweismittel vorliegen, weisen eine besonders hohe Dunkelziffer auf. b) Zur statistischen Anschreibung können nach diesen Ausführungen also nur die Anzeigen, Anklagen oder Aburteilungen der durch die jeweilige Strafgesetzgebung festgestellten kriminellen Handlungen und ihrer Urheber gelangen, die in Aktenmaterial verschiedenster Art (Polizei- und Gerichtsakten sowie Strafregister) verzeichnet sind und aus denen die Kriminalstatistik erst ihren Stoff schöpft. Da nun die Aktenaufzeichnungen in allererster Linie im Interesse der Rechtspflege und der Rechtspolitik, nicht aber der Statistik halber erfolgen, die kriminalstatistischen Feststellungen sich also nur auf vorangegangene, aktenmäßige Vorgänge aufbauen, so ist die Kriminalstatistik eine „ s e k u n d ä r e " Statistik. (Eine Statistik wird dagegen als „ p r i m ä r e " bezeichnet, wenn Feststellungen sozialer Massentatsachen aus statistischem Interesse, und zwar als in erster Linie durch diese veranlaßt wer den [Volkszählung, Berufszählung, landwirtschaftliche und gewerbliche Betriebszählung]). In welchem juristischen Stadium geschieht nun am zweckmäßigsten die statistische Erfassung der kriminellen Personen bzw. ihrer Handlungen? Der Schwerpunkt wird bei Beantwortung dieser Frage weniger auf die Anzeigen und Anklagen zu legen sein, weil bei diesen beiden Phasen der polizeilichen und strafgerichtlichen Verfolgung noch große Unsicherheiten über das Vorhandensein oder den Rechtscharakter der strafbaren Handlungen bestehen, als vielmehr auf die Zählung der Aburteilungen, insbesondere der rechtskräftigen V e r u r t e i l u n g e n (wie es bei den Kriminalstatistiken der meisten Länder geschieht), da in diesem Fall „durch feierliche bis zum Schluß durchgeführte Aktion der Strafrechts3

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pflege in objektiver und subjektiver Beziehung die Tatsache eines strafbaren Einbruchs in die Strafrechtsordnung festgestellt ist" ( v o n M a y r , a. a. O., II, S. 264). Aber selbst die Zahl der Verurteilten gibt kein genaues Bild von der Kriminalität, weil in derselben die Fälle fehlen, in welchem wohl der objektive Tatbestand des Verbrechens entdeckt wurde, aber nicht auch — wie F o l d e s (a. a. O., S. 518) hervorhebt — der subjektive. Hierher gehören u. a. jene Fälle, in denen der Täter durch Flucht, Selbstmord (meist bei Liebestragödien und Familienmorden) oder durch natürlichen Tod dem strafenden Arm der Gerechtigkeit entgangen ist. Weiterhin fehlen in der Zahl der Verurteilungen die verjährten sowie die aus Mangel an Beweisen unbestraft gebliebenen Delikte. Bei der Bestimmung der Kriminalitätsfrequenz werden andererseits auch in gewissem Grade die F r e i s p r e c h u n g e n Berücksichtigung finden müssen, weil sie durchaus nicht immer als Schuldloserklärung anzusprechen sind (vgl. v o n H e n t i g , Strafrecht und Auslese, Berlin 1914, S. 146, 198). Sofern außerdem noch eine hinreichend ausgebaute Anzeigen- und Anklagenstatistik vorhanden ist, wird diese ebenfalls f ü r die Feststellung des Kriminalitätsumfanges heranzuziehen sein und gegebenenfalls eine wertvolle Ergänzung zur Statistik der rechtskräftig abgeurteilten Strafsachen darstellen. Die Zahl der kriminalstatistisch erfaßten Aburteilungen wiederum wird durch Vorgänge mannigfacher Art beeinflußt, die mit der Kriminalität der Bevölkerung in gar keinem Zusammenhang stehen. Die Jahreszahl der Aburteilungen ist einerseits von dem Grad der Neigung zu Anzeigen, Strafanträgen und Privatklagen (Kostenfrage!) der Bevölkerung, d. h. von der „kriminellen Reizbarkeit, kriminellen Nervosität" (so bezeichnet von S e u f f e r t , a. a. O., S. 1), andererseits von der größeren oder geringeren Verfolgungsintensität der Strafjustizbehörden abhängig. Auf einen anderen Umstand ähnlicher Art weist besonders A s c h r o t t (a. a. O., II, S. 511) sehr mit Recht hin: Wenn bei einem Gericht eine neue Strafkammer gebildet wird, so kommt dadurch naturgemäß vor dem betreffenden Gericht im Laufe des Geschäftsjahres eine größere Anzahl von Strafsachen zur Erledigung; damit steigt selbstverständlich auch die Zahl der Verurteilten. Die Erhöhung dieser Zahl ist dann nicht auf eine Steigerung der Kriminalität in dem betreffenden Jahre zurückzuführen; vielmehr liege regelmäßig die Steigerung der Kriminalität eine ganze Reihe von Jahren zurück, die allerdings eine Vermehrung der

Geschäftslast eines Gerichts bewirkt habe, zu deren Bewältigung dann die Errichtung einer neuen Strafkammer erfolge. Die Bildung der neuen Kammer führe somit bei durchaus gleichbleibender Kriminalität zu einer beschleunigten Erledigung der anhängigen Sachen und infolgedessen zu einem Rückgang der Zahl der am Ende des Jahres unerledigt gebliebenen Sachen. Das könne aber dann im folgenden Jahre, in welchem weniger Restsachen aufzuarbeiten seien, wieder eine Verminderung in der Zahl der abgeurteilten Strafsachen und damit auch in der Zahl der Verurteilten zur Folge haben, ohne daß deshalb ein Nachlassen der Kriminalität vorzuliegen brauche. Die Zahl dieser äußeren Umstände, die den Inhalt der Kriminalstatistik wesentlich beeinflussen, ließe sich ohne Mühe noch erweitern. Erinnert sei nur an eine Neuorganisation der Strafgerichte oder an eine Reform des Strafprozeßverfahrens (vgl. a. S. 40/41 dieses Bandes). M i t t e l s t a d t will sogar nicht einmal die Verurteilten als Repräsentanten der Kriminalität gelten lassen. Nach seiner Auffassung enthält vielmehr der Status der Gefängnisbevölkerung „die greifbarste, körperlichste Gestalt des nicht lediglich deduktiv vorausgesetzten, sondern thatsächlich vorhandenen Verbrechertums" (a. a. O., S. 402). c) Als generelle strafrechtsstatistische Z ä h l u n g s e i n h e i t e n kommen 1. der Fall, 2. die strafbare Handlung und 3. der Täter in Frage. Von der Ermittelung der Straffälle wird man bei der Kriminalstatistik im engeren Sinne wegen ihrer vorwiegend strafprozeßstatistischen Natur absehen können. Es fragt sich nun, ob den Handlungen oder den Personen ein größeres Gewicht beizulegen ist? (vgl. a. Ch. L a n n o y , L'influence du choix de l'unité sur les résultats de la statistique criminelle. Bull, de l'Inst. Int. de Stat. Tome X I I I , 1. La Haye 1913, S. 325). Maßgebend als subjektive Elemente der Kriminalität sind die P e r s o n e n , deren Ermittelung namentlich durch Analysierung in die verschiedenen, die Kriminalität beeinflussenden individuellen Faktoren wie Geschlecht, Alter, Familienstand, Bildungsgrad, Beruf usw. Aufschluß über das Verbrechertum als soziale Komponente der Bevölkerung gibt. Da aber ihre asoziale Betätigung, d. h. die strafbaren H a n d l u n g e n , den Grad der Gesellschaftsgefährdung und der tatsächlichen Schädigung von Personen oder Vermögen anzeigt, so werden in zweiter Linie auch diese in die Zählung einbezogen werden müssen, obwohl sich ihrer Feststellung durch Umstände wie „Ideal- oder Realkonkurrenz", „fortgesetzte Handlungen" nicht derart exakt

Kriminalstatistik durchführen läßt wie die Ermittelung der Tätermassen. Aus der Kombination der Handlungen und der Personen ermöglichen sich wiederum gewisse Schlüsse auf die Häufigkeit gemeinsamer Begehung von Straftaten sowie auf die Fälle der Realkonkurrenz mehrerer Straftaten. Im Rahmen der Gesamtheit der wegen strafbarer Handlungen Abgeurteilten stellen erfahrungsgemäß die Verurteilten das größte Kontingent und deshalb auch das wichtigste und lohnendste Forschungsfeld dar. Ihre physischen, sozialen, vornehmlich aber kriminellen Merkmale bieten eine reiche und vielseitige Gliederungs- und Kombinationsmöglichkeit. In erster Linie kommt f ü r die Morphologie der Tätermasse die Feststellung der wichtigsten demographischen Daten der Verurteilten zur Zeit der Tat in Frage wie Geschlecht, Alter, Familienstand, Religionszugehörigkeit, Stand, Beruf (Erwerbs- und Nahrungszweig, möglichst mit Unterscheidung des Arbeits- und Dienstverhältnisses im Beruf), Geburtsort, Wohnort, Staatsangehörigkeit, sowie Angaben über den Versuch und die Beteiligungsart (ob Täter, Anstifter, Begünstiger), insbesondere aber über die Vorbestrafungen (Rückfälligkeit). Die statistische Ermittelung der letzteren ist ein äußerst wichtiger Zweig der Kriminalstatistik; sie ist deshalb in einem besonderen Beitrag dargestellt (s. d. Art. Rückfallstatistik). Wünschenswert erscheint weiterhin die Erfragung folgender spezieller Individualangaben: Eheliche oder uneheliche Gebürtigkeit, körperliche und geistige Gebrechen, Bildungsgrad (unter besonderer Berücksichtigung des Analphabetismus), wirtschaftliche Verhältnisse (Wohlstand oder Notlage), Arbeitslosigkeit, ob den asozialen Klassen angehörig (Prostituierte, Zuhälter, Gewohnheitsverbrecher). Schließlich wäre noch die Ermittelung weiterer aetiologischer Faktoren sowie der Motive, die zur Begehung der strafbaren Handlung geführt haben, von Bedeutung wie Alkohol u. a. Rauschmittel, individuelle Motive wie Habsucht, Eifersucht und Rachsucht, politische und religiöse Leidenschaften, allgemeine — gegenwärtig besonders interessierende — Einwirkungen durch Krieg, Revolution, Inflation, Teuerungswellen, wirtschaftliche und politische Arbeitskämpfe und die hierdurch hervorgerufenen Wirtschaftskrisen. Neben dem umfangreichen Komplex der Individualverhältnisse sind als weitere Forschungszweige der Kriminalstatistik noch die Feststellung des Ortes wie der Zeit 3er Tat hervorzuheben.

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Die räumliche Aufgliederung der Kriminalität nach dem O r t d e r T a t erscheint aus mehrfachen Gründen äußerst wünschenswert. Erstens, weil diese den Grad der kriminellen Gefährdung in den einzelnen Gebietsteilen anzeigt, zweitens, was kriminalpolitisch noch bedeutsamer ist, die kriminelle Belastung der Einwohnerschaft der statistisch untersuchten Bezirke beleuchtet, die erklärlicherweise je nach ihrer Wohndichte, ihren Lebensbedingungen, dem Niveau ihres Kultur- und Geisteslebens, ihrer konfessionellen Zugehörigkeit, ihr durch Rasse oder Nationalität bedingtes Temperament, ihre sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse und nicht zuletzt auch durch die klimatischen Bedingungen erhebliche Unterschiede aufweist, drittens aber die kriminalgeographische Forschung, wenigstens was deutsche Verhältnisse anbetrifft, bisher noch sehr vernachlässigt ist. „Sehr wichtig und noch längst nicht genügend gepflegt", bemerkt zu diesem Prolem S a u e r , „ist die einzelgeographische Forschung, die Untersuchung der Kriminalit ä t (sei es auch nur einzelner Delikte) in gewissen Bezirken" (a. a. O., Bd. I, S. 35, wo auch die bisher erschienenen deutschen monographischen Darstellungen über die Kriminalität einzelner Provinzen bzw. kleiner Verwaltungsbezirke ausgeführt sind). Die systematische Massenbeobachtung, sagt v. L i s z t , müsse durch die Einzelbeobachtung, die allein die kausalen Zusammenhänge nachzuweisen vermöchte, ergänzt werden. „Wir müssen für m ö g l i c h s t k l e i n e , ö r t l i c h a b g e g r e n z t e G e b i e t e die s ä m t l i c h e n F a k t o r e n untersuchen, die auf die Gestaltung der Kriminalität bestimmenden Einfluß ausüben" (a.a.O., S.70). Ähnliche, sehr wertvolle Gedanken über die Bedeutung kriminalgeographischer Untersuchungen f ü r die Kriminalpsychologie finden wir bei G r u h l e : „ I n der Verwertung der großen Zahlen der Statistik war man meistens zu naiv und stürmisch. Die Wellenbewegungen der Verbrechenskurven ohne weiteres auf e i n z e l n e wirtschaftliche Momente, wie z. B. die Getreidepreise, zu beziehen, geht nicht an. Eine viel größere Umsicht, eine weit sorgsamere Berücksichtigung v e r s c h i e d e n e r sozialer und anderer kultureller Gesichtspunkte ist nötig, um die Schwankungen der großen Verbrechenskurven zu erklären . . . Wo findet sich aber der Forscher, der die wirtschaftlichen und sonstigen gesellschaftlichen Bedingungen einer Zeit, die Gesetzesänderungen, Verordnungen und ministeriellen Anweisungen der gleichen Zeit, aber auch die irgendwie wirksamen allgemeinen Ideen dieser Zeit so überblickt, daß er aus ihrem Wirkungszusammenhang die Wellenberge und Täler der Verbrechenskurve einleuchtend zu erklären sich getrauen würde. Deshalb sollte es eine 3*

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Forderung an künftige Forscher sein, vorwiegend K r i m i n a l i t ä t s g e o g r a p h i e zu treiben. Im kleineren Umkreis eines — der forschenden Persönlichkeit selbst wohlbekannten — Landes lassen sich alle wirksamen Faktoren viel leichter aufzeigen und gegeneinander abwägen" (Aufgaben der Kriminalpsychologie, Zeitschr. f. d. ges. Strafrechtsw., Berlin 1931, 51, 471). Derartige Untersuchungen, f ü r die u. a. D o c h o w ( s . Schrifttum) ein festes Programm aufgestellt hat, wären zunächst für kleine, örtlich möglichst abgegrenzte Bezirke, daneben — vielleicht in gewissen Zeitabständen — auch in der Gliederung nach Stadt und Land (s. d. Art.), einzelnen Gemeindegrößenklassen oder Großstädten vorzunehmen. (An Arbeiten der ersteren Art wäre aus neuester Zeit die Schriftenreihe „Untersuchungen zur Kriminalität in Thüringen" [Jenaer Dissertationen 1932] zu nennen. Heft 1 ist betitelt: „Das Delikt der Urkundenfälschung im Bezirk des Landgerichts Gera", Heft 2: „Das Delikt des Diebstahls im Bezirk des Amtsgerichts Ronneburg"). Außerdem erscheint für das intensive Studium und die volle Erkenntnis der regionalen Verteilung der Kriminalität zur Illustration der Zahlenergebnisse eine Beigabe von kartographischen Darstellungen als unerläßlich. Die Erfragung nach der Z e i t d e r T a t ist deshalb einmal unbedingt erforderlich, um die Spanne zwischen dem Zeitpunkt der begangenen Straftat und ihrer Aburteilung (das Tempo der Justiz!) feststellen zu können, denn die im Laufe eines Jahres oder bestimmten Zeitraums zur Verurteilung gelangten Straftaten liegen ja nur zum Teil in demselben Zeitkontingent, zum Teil im voraufgegangenen Jahre, vielfach in noch früheren Jahren. Dieses Moment ist stets bei Vergleichen des Verlaufs der Kriminalitätskurve mit den Kurven gewisser die Gestaltung der Kriminalität beeinflussender Wirtschaftsvorgänge (s. d. Art. Wirtschaftslage) zu beachten. Aber auch f ü r die Untersuchungen, inwieweit die Kriminalität durch meteorologische bzw. jahreszeitliche Einflüsse „saisonmäßig" bedingt wird, ist eine Ermittlung der strafbaren Handlungen in zeitlicher Beziehung unerläßlich (s. d. Art. Jahreszeiten). d) Der äußerst mögliche Umfang der Kriminalstatistik, d. i. der Komplex der durch das positive Strafrecht festgelegten strafbaren Handlungen, auf den sie sich erstrecken kann, ist nach von S c h e e l (a. a. 0., S. 193) dadurch gegeben, daß sämtliche bei irgendwelchen mit Strafbefugnis ausgestatteten Behörden rechtskräftig erledigten (nicht etwa

noch im Instanzenzuge befindlichen) Straffälle von der Kriminalstatistik berücksichtigt werden. Da nun aber, wie oben bereits dargelegt, ein großer Teil der durch die Rechtsordnung f ü r strafbar erklärten Handlungen absolut jeglichen kriminellen Charakters entbehrt (es seien als Beispiel nur die Zuwiderhandlungen gegen zahlreiche Polizeiverordnungen und auch gewisse Übertretungen angeführt), so wird sich die Kriminalstatistik in ihrer Aufgabe, möglichst nur die Handlungen einer asozialen, verbrecherischen Gesinnung zu erforschen, auf einen nach kritischer Sichtung bestimmten Kreis von Reaten beschränken müssen. So erfaßt die deutsche Kriminalstatistik, wie im Abschnitt 6 noch näher auszuführen ist, lediglich die Verbrechen und Vergehen gegen Reichsgesetze; ebenso ermittelt die Kriminalstatistik von Bulgarien nur die Verbrechen und Vergehen. Die österreichische Kriminalstatistik berücksichtigt neben diesen beiden Deliktsarten noch die Übertretungen, die aber nach deutschem Strafrecht meist Vergehen sind und sich von diesen nicht begrifflich, sondern nur nach dem Gerichtsstand unterscheiden. Die französische Kriminalstatistik baut sich gleichfalls nach der von den späteren Strafgesetzgebungen und ebenso von den Kriminalstatistiken übernommenen „Dreiteilung" des code pénal auf, während sich z. B. die englische Kriminalstatistik in die von den Schwurgerichten abzuurteilenden" indictable offences" und die im summarischen Verfahren zu erledigenden „non indictable offences" gliedert. Analog zu der allgemein üblichen Einteilung der Strafgesetzgebung werden die von der Kriminalstatistik ermittelten einzelnen Straftaten meist in folgende 4 Hauptsdeliktsgruppen zusammengefaßt: Strafbare Handlungen 1. gegen den Staat, öffentliche Ordnung und Religion, 2. gegen die Person, 3. gegen das Vermögen und 4. im Amte. In der kriminalstatistischen Praxis ist es nun Übung, die einzelnen strafbaren Handlungen, die zu einer Verurteilung geführt haben, oder die wegen derselben verurteilten Personen ohne Rücksicht auf den Rechtscharakter der Tat (ob schwererer oder leichterer Art) zu einer Gesamtsumme zusammenzuziehen. Diese unterrichtet zwar beispielsweise über den Umfang des Strafverfahrens, über die Anwendung der Strafgesetzgebung; sie vermittelt aber in keiner Weise ein Gesamtbild von der Straffälligkeit. Es besteht immer wieder die große Gefahr, aus den Unterschieden in der Gesamtheit der Verurteiltenzahlen bei Beobachtungen in dynamischer wie in statischer Beziehung Schlüsse auf die Steigerung oder Verminde-

Kriminalstatistik rung der Kriminalität zu ziehen, ein Fehler, vor dem nicht genug gewarnt werden kann! Die Fehlerquelle liegt allein auf der mathematischen Seite, und zwar beruht diese, wie H o e g e 1 (a. a. O., 11, S. 3) hinweist, darauf, daß nach Schwere und Art der strafbaren Handlungen, nach Art der als Täter in Frage kommenden Personen und schließlich zufolge Verschiedenheit des Verhältnisses der Verurteilungen zu den faktisch begangenen Straftaten völlig verschiedene Größen zu einer Gesamtheit zusammengezogen werden. H o e g e 1 gibt hierzu folgendes, hier noch erweitertes Beispiel: Setzt man f ü r ein Verbrechen, das mit dem Tode bestraft wird (Mord) die Größe = a, f ü r ein Vergehen, für das Gefängnisstrafe angedroht ist (einfacher Diebstahl) = b und f ü r eine mit Geldstrafe oder Haft zu ahndende Übertretung (Landstreicherei) = c, so darf man aus den einzelnen ungleichartigen und ungleichwertigen Komponenten nicht die Summe 7a + 5 b + 10c = 22s bilden und darf weiterhin nicht, wenn sich in einem späteren Zeitabschnitt auf gleicher Berechnungsbasis unter Voraussetzung gleich bleibender Strafgesetzgebung und deren Anwendung die Summe 5a + 5 b + 20c = 30s ergeben würde, daraus auf eine Steigerung der Kriminalität schließen, denn es könnte die Größe c kriminalpolitisch gewertet = a : 1 0 oder b : 2 0 sein. Man darf es auch deshalb nicht, weil sich möglicherweise die Verurteilungszahl a zur tatsächlichen Kriminalität A verhält, wie 1:10, b : B wie 1:3, c: C wie 1:2, so daß die Gesamtzahl der faktisch Kriminellen in beiden Fällen 105 betragen würde. Wie das vorstehende Beispiel verdeutlicht, kann man aus der Gestaltung der Gesamtsumme der Verurteiltenzahlen unmöglich den tatsächlichen Grad der Kriminalität beurteilen, denn es können trotz eines Rückganges kriminalpolitisch bedeutsamer Verfehlungen die Delikte leichterer Rechtsnatur so stark zugenommen haben, daß sie dem Gesamtumfang der Verurteilungen das Gepräge geben. Es ist daher unerläßlich, die Gesamtheit der Verurteilungen zu analysieren und sich aus Einzelbeobachtungen ein treffendes Urteil über die Tendenz der Kriminalität zu verschaffen. e) Aber selbst unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte geben die von der Kriminalstatistik ermittelten absoluten Zahlen der von einer Verurteilung getroffenen Handlung oder Person noch kein ausreichendes Bild von dem Stand der tatsächlichen Kriminalität oder ihrer zeitlichen Entwicklung, da die f ü r ein J a h r oder einen längeren Zeitabschnitt festgestellten, absoluten kriminalstatistischen Daten Veränderungen unterworfen sein können, die — nach den näheren

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Ausführungen im Unterteil a) dieses Abschnitts — nichts mit der eigentlichen Kriminalität zu tun haben. Die Intensität der Straffälligkeit tritt vielmehr erst dann deutlich zu Tage, wenn man die absoluten Ergebnisse der kriminellen Handlungen wie der kriminellen Personen zum zahlenmäßigen Umfang der sozialen Masse in Beziehung setzt. Man kann beispielsweise bei einer Zunahme in der Zahl der straffällig gewordenen Personen nur dann von einer Kriminalitätssteigerung sprechen, wenn die deliktsfähige Bevölkerung nicht im gleichen Verhältnis zugenommen hat. Im umgekehrten Falle kann bei einem Rückgang der Verurteiltenzahlen schlechthin nicht von einer Senkung der Kriminalität gesprochen werden, wenn die strafmündige Bevölkerungszahl im gleichen Maße gesunken ist. Um nun einen zuverlässigen Gradmesser f ü r das Auf und Nieder der kriminalstatistischen Zahlen zu erhalten, bedient man sich der sogenannten „ K r i m i n a l i t ä t s z i f f e r n " , indem man sowohl die Zahl der verurteilten Personen als auch die von einer Verurteilung getroffenen Handlungen auf eine bestimmte Anzahl von Personen (üblicherweise 100000) projiziert. Die gebräuchlichste Kriminalitätsziffer ist die Relation der Kriminellen zu den kriminalfähigen Personen. Sofern Angaben über den Umfang des strafmündigen Bevölkerungskomplexes nicht vorliegen, ist ein relativer Vergleich mit der Gesamtbevölkerung zwar kein vollwertiger, aber immerhin beachtenswerter Ersatz. Zur Gesamtbevölkerung in Beziehung gesetzt werden übrigens im allgemeinen die Zahlen der strafbaren Handlungen, wegen deren eine Verurteilung erfolgt ist, da durch die Handlungen die Gesamtheit der Bevölkerung ohne Ausschluß irgendwelche Gruppen belastet bzw. gefährdet wird (v. M a y r : Verfehlungsbelastungsziffer). Bei den Kriminalitätsziffern unterscheidet man die allgemeinen und die speziellen Kriminalitätsziffern. Unter allgemeiner Kriminalitätsziffer versteht man die Beziehung der Gesamtheit der Verurteilten zur Gesamtheit der strafmündigen Bevölkerung, unter besonderer Kriminalitätsziffer das Verhältnis der Verurteilten nach Hauptdeliktsgruppen bzw. nach Einzeldelikten zur strafmündigen Bevölkerung bzw. zu einzelnen Bevölkerungsgruppen. Den dritten und letzten Zweig der Kriminalstatistik bietet die S t a t i s t i k der erkannten S t r a f e n . Sie ist wegen ihres engen Zusammenhanges mit dem Strafvollzug in dem Art. Strafvollzugsstatistik behandelt. f) Das von den meisten Ländern in neuester Zeit geübte Erhebungsverfahren ist das I n d i v i d u a l - Z ä h l k a r t e n s y s t e m , das einerseits die Erfassung des gesamten gerichtlichen

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Verfahrens, andererseits nur von Abschnitten desselben (rechtskräftige Aburteilung) ermöglicht, wobei man wiederum entweder von der Einheit der Strafsache oder von der Einheit der Person ausgehen kann. Während die kriminalstatistischen Zählkarten einiger Staaten bereits die Vorstadien des Strafprozeßverfahrens erfragen, selbst f ü r den Fall, daß es gar nicht bis zur Aburteilung kommt (so ist beispielsweise die italienische und die nach ihrem Muster aufgezogene französische Zählkarte angelegt), berücksichtigt die deutsche Zählkarte (s. S. 42) die rechtskräftigen Aburteilungen, die belgische sogar nur die verurteilten Personen. Die Verarbeitung und Aufbereitung des aus den Zählkarten gewonnenen Materials geschieht am zweckmäßigsten durch die statistischen Zentralbehörden (soweit es sich um die Ergebnisse des gesamten Landes handelt) im Einvernehmen mit den obersten Organen der Justizverwaltung, das dann tunlichst alljährlich als besondere Veröffentlichung in einem ausführlichen Tabellenwerk bekanntgegeben wird. Diesen Tabellen sind unbedingt eingehende textliche Erläuterungen beizugeben, die über besondere, während der Berichtsperiode vorgekommene Ereignisse im politischen und wirtschaftlichen Leben, über etwaige Änderungen in der materiellen und prozessualen Strafgesetzgebung sowie in der Polizeiorganisation usw. Aufschluß geben. Eine derartige Beifügung von erläuternden Bemerkungen erweist sich im Sinne von d e R o o s um so notwendiger, da die nackten Zahlen— nach einem bildlichen Vergleich von T a r d e mit der Eigenart der hebräischen Schriftsprache — nur die Konsonanten der kriminalstatistischen Arbeit darstellen und diese erst durch interpretierende Begründungen zu sinngemäßen und verständlichen Wortgebilden aufgefüllt werden müßten (vgl. Consonnes et voyelles, Statistique criminelle. Bull, de l'Inst. Int. de Stat. Tome X X I I I , 2. Cairo 1928, S. 762ff.). „Es ist nicht jedermann gegeben" heißt es bei A s c h r o t t , „die Zahlensprache zu verstehen, und man würde durch bloße Veröffentlichung der Tabellen den Nutzen der Erhebung auf den kleinen Kreis derjenigen beschränken, welche imstande sind, die unendlichen Zahlenreihen in eine Summe konkreter Thatsachen zu übersetzen" (a. a. O., I, S. 352). Schließlich erscheint es wünschenswert, den Erläuterungen Übersichten sowohl über den zahlenmäßigen Umfang der Gesamtbevölkerung wie über den strafmündigen Teil derselben, womöglich in geographischer Aufgliederung nach Verwaltungsbezirken unter Angabe ihrer Bevölkerungsdichte sowie eine

Altersstaffelung zur Berechnung der „Kriminalitätsziffern" (s. o.) beizugeben. 5. D i e g e s c h i c h t l i c h e E n t w i c k l u n g der K r i m i n a l s t a t i s t i k im D e u t s c h e n R e i c h . Die frühesten statistischen Ermittlungen über die Kriminalität deutscher Stammesangehöriger liegen aus B a y e r n vor, wo bereits im Jahre 1803 im „Churbayerischen Regierungsblatt" vom 13. April dieses Jahres eine „Anzeige der Kriminalprozesse bei den churfürstlichen Gerichtshöfen in Bayern f ü r das J a h r 1802" veröffentlicht wurde. Bereits wenige Jahre später (1809) begann in B a d e n das Justizministerium mit der Veröffentlichung von „Kriminaltabellen". In P r e u ß e n , dessen statistisches Büro f ü r seine Arbeiten auf dem Gebiet der Strafrechtspflege bis zum Jahre 1820 die von den Polizeibehörden aufgestellten Übersichten der schweren Verbrecher, seitdem die von den Gerichten f ü r das Preußische Justizministerium bearbeiteten Geschäftsübersichten benutzte, wurden vom Jahre 1830 ab zunächst bei den jugendlichen Verbrechern neben der Art der strafbaren Handlung Erhebungen von bereits typisch kriminal- bzw. moralstatistischem Charakter über das Alter, die Schulbildung, das Religionsbekenntnis und die Muttersprache vorgenommen. Diese Erhebungen wurden jährlich bis 1846 fortgesetzt (vgl. Zeitschr. des Kgl. Preußischen Statistischen Landesamts, Berlin 1905, Jg. 45, S. 62). Mit der im Jahre 1854 erfolgten Einführung der ebenfalls vom Kgl- Preuß. Justizministerium bearbeiteten und alljährlich in dem „Justizministerialblatt für die preußische Gesetzgebung und Rechtspflege" bekannt gegebenen „Statistik der preußischen Schwurgerichte und der von denselben erkannten Strafen und Freisprechungen" fand ein weiterer Ausbau eines besonderen Teils der Kriminalstatistik statt. Die Ergebnisse dieser Erhebungen sind unter eingehender Verwendung kriminalstatistischen Materials aus den „Statistischen Mitteilungen über die Geschäftsverwaltung der Justizbehörden" sowie aus der „Statistik der zum Ressort des Königlich Preußischen Ministeriums des Innern gehörenden Straf- und Gefangenenanstalten" von S t a r k e zu einer kulturhistorischen Studie „Verbrechen und Verbrecher in Preußen 1854—1878" (Berlin 1884) verarbeitet worden. Kriminalstatistische Erhebungen in S a c h s e n setzten zu Beginn der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts ein, wo erstmalig eine „Übersicht der in den öffentlichen Strafund Versorgungsanstalten befindlichen Personen" unter Aufgliederung nach der Art der strafbaren Handlung, dem Alter und Geschlecht der Inhaftierten veröffentlicht

Kriminalstatistik wurde (vgl. Mitteilungen des statistischen Vereins f ü r Sachsen, 1831,1. Lieferung, S. 40). Seit 1860 wurden dann regelmäßig Nachweisungen unter dem Titel „Übersicht der Ergebnisse der Zivil- und Strafrechtspflege im Königreiche Sachsen" herausgegeben, die von dem damaligen Generalstaatsanwalt Dr. F. 0 . v o n S c h w a r z e bearbeitet waren. In W ü r t t e m b e r g erschienen erstmals 1832 Beiträge zur Statistik der Rechtspflege in den „Württembergischen Jahrbüchern f ü r vaterländische Geschichte, Geographie, Statistik und Topographie". B r a u n s c h w e i g veröffentlichte seit Beginn der 50er Jahre des verflossenen J a h r hunderts bis 1870 regelmäßig im „Braunschweigischen Magazin" eine „Statistik hinsichtlich der bei den sämtlichen Zivilgerichten des Herzogtums Braunschweig anhängig gewesenen Strafprozeßsachen sowie der angezeigten Selbstmorde und außergewöhnlichen Todesarten". In H e s s e n setzte die Sammlung kriminalstatistischer Daten mit dem Ausgang der 40er Jahre ein (vgl. „Mitteilungen des Vereins f ü r Erdkunde", Darmstadt). Seit dem Jahre 1866 werden in den Beiträgen zur Statistik des Großherzogtums Hessen ununterbrochen „Übersichten über die Rechtspflege und die von sämmtlichen Strafgerichten des Großherzogthums Hessen mit Ausnahme der Militärstrafgerichte abgeurtheilten Verbrechen und Vergehen" veröffentlicht. Für O l d e n b u r g liegt eine 1864 erstmalig herausgegebene und vom dortigen statistischen Bureau bearbeitete Publikation „Zur Statistik der Rechtspflege im Großherzogthum Oldenburg mit Ausnahme der Militärstrafrechtspflege f ü r das J a h r 1863" vor. Die verschiedenen T h ü r i n g i s c h e n S t a a t e n gaben auf Grund gemeinsamer Vereinbarungen seit 1863 eine „Statistik der gesamten Rechtspflege f ü r das Großherzogthum Sachsen-Weimar und die Fürstenthümer Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen und Reuß j. L." bekannt. Das von dem statistischen Bureau der Steuerdeputation 1874 herausgegebene statistische Handbuch für den H a m b u r g i s c h e n S t a a t enthält Nachweise über die Straf rechtspf lege, die 1869 begannen. Uber die Strafrechtspflege in B r e m e n finden sich Zahlenübersichten in dem seit dem Jahre 1867 von dem Bureau f ü r Bremische Statistik herausgegebenen „ J a h r b u c h f ü r Bremische Statistik". Bei allen diesen Erhebungen handelte es sich zunächst fast ausschließlich um solche strafprozeßstatistischer Art, die allerdings im Laufe der Zeit immer mehr zu Kriminalstatistiken im eigentlichen Sinne ausgebaut

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worden sind. Auf Einzelheiten der kriminalstatistischen Entwicklung in den verschiedenen deutschen Staaten sowie auf die praktischen Ergebnisse der historischen Kriminalstatistik kann hier nicht näher eingegangen werden. Einzelheiten sind aus den Veröffentlichungen von O. H ü b n e r , „Criminalstatistik deutscher Länder" (Jahrbuch f ü r Volkswirthschaft und Statistik, Leipzig 1861, Jg. VI, 2. Hälfte, S. 1—89), von K. R e i c h e l , „Die Statistik der Strafrechtspflege in den Staaten Europa's und in den Staaten des Deutschen Reichs insbesondere" (Jahrbuch f ü r Gesetzgebung,Verwaltung undVolkswirthschaft im Deutschen Reich, Leipzig 1880, Jahrg. 4, S. 379—414) sowie von A. W a d l e r , „Moralstatistik" (s. Die Statistik in Deutschland, München 1911) insbesondere aus dem Kapitel „Die Entwicklung der Kriminalstatistik bis 1881" zu ersehen. Als durch die große Strafgesetzgebung in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts die Einheit des materiellen Rechts (1871) wie die des Strafverfahrens (1879) geschaffen worden war, erschien auch die einheitliche statistische Beobachtung der Strafrechtspflege im Deutschen Reich äußerst wünschenswert. Zur Erreichung dieses Zieles hatten sich im Jahre 1880 zunächst die Regierungen der Bundesstaaten über einen gleichmäßig von ihnen zu befolgenden Plan verständigt, bei dem aber die Sammlung und Bearbeitung des Materials den einzelnen Staaten überlassen blieb. Dabei waren in Preußen und Sachsen schon Zählkarten, die f ü r jeden Abgeurteilten ausgefüllt und der statistischen Zentralstellen übersandt wurden, zur Anwendung gekommen. Sehr bald stellte sich der Wunsch nach einer völlig einheitlichen Verarbeitung des Zahlenmaterials heraus, so daß nach Verständigung der Landesregierungen im Bundesrat durch § 563 des Protokolls des Bundesrats vom 5. X I I . 1881 die „Herstellung einer Statistik der rechtskräftig erledigten Strafsachen wegen Verbrechen und Vergehen gegen Reichsgesetze" beschlossen wurde, deren Bestimmungen am 1. J a n u a r 1882 in Kraft traten. (Der Wortlaut dieser Bundesratsbestimmungen ist zuletzt im Jahrgang 1914 der Kriminalstatistik [Bd. 284 der Statistik des Deutschen Reichs] abgedruckt.) Durch diese Maßnahme wurde die Loslösung der Kriminalstatistik von der bisherigen allgemeinen Verwaltungsstatistik der Justizbehörden (der „Justizgeschäftsstatistik") vollzogen. Die Reichsstatistik war mit diesem Schritt dem Muster der preußischen Statistik gefolgt, deren damaligem Leiter E r n s t E n g e l das große Verdienst zukommt, daß er mit der Bearbeitung der „losgelösten" Statistik f ü r das J a h r 1881

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3. Die Verbrechen und Vergehen gegen Landesgesetze (vgl. § 2 EGStGB.), hierunter insbesondere die Landesvorschriften über die strafbaren Handlungen gegen die Preßpolizei, Fischerei-, Jagd- und Feldpolizeigesetze, über Mißbrauch des Vereins- und Versammlungsrechts und über Holz-(Forst-) diebstahl. 4. Bis zum Jahre 1919 die militärgerichtlichen Aburteilungen (s. o.). Von der p r o z e ß r e c h t l i c h e n Seite betrachtet bleiben in der Kriminalstatistik außer Betracht: 1. Diejenigen Strafsachen, bei denen zwar ein Vorverfahren oder eine Voruntersuchung stattgefunden hat, es zu einem Hauptverfahren aber nicht gekommen ist. 2. Diejenigen Fälle, bei denen die Strafe endgültig von der Polizeibehörde festgesetzt ist (§§ 453ff. StPO.). 3. Die infolge einer Wiederaufnahme des Verfahrens ergangenen Entscheidungen. Während die materiell-rechtlichen Grundlagen der Kriminalstatistik, das Strafgesetzbuch und die sonstigen Reichsgesetze, zu denen in der Kriegs- und Nachkriegszeit noch die große Zahl der soeben erwähnten kriegsund übergangswirtschaftlichen Strafvorschriften und das Militärstrafgesetzbuch hinzugekommen sind, gegenüber der Vorkriegszeit lediglich ihrer Zahl nach (im Jahre 1931 wurden von der Kriminalstatistik weit über 800 Strafbestimmungen [Verbrechen und Vergehen gegen Reichsgesetze] erfaßt, 1913 z. B. dagegen 550), nicht aber inhaltlich bemerkenswerte Änderungen erfahren haben, ist die f ü r die Kriminalstatistik einschlägige strafprozessuale Gesetzgebung—Gerichtsverfassungsgesetz (GVG.) sowie die Strafprozeßordnung (StPO.) — nach dem Kriege einschneidend geändert worden. Für die Bewertung oder die Beurteilung Die deutsche Kriminalstatistik erstreckt der kriminalstatistischen Ergebnisse, insbesich demnach in materiell- wie prozeßrecht- sondere vom Jahre 1923 ab, ist nach den Auslicher Beziehung zwar nicht auf sämtliche, führungen im Jahrgang 1927 der Kriminalaber immerhin doch auf alle wichtigeren vor statistik (Bd. 370 der Statistik des Deutschen deutschen Gerichtsbehörden verhandelten Reichs) Folgendes von besonderer Bedeutung: Durch VO. über Gerichtsverfassung und Straffälle. In m a t e r i e l l - r e c h t l i c h e r Hinsicht Strafrechtspflege vom 4. I. 1924 (RGBl. 15) das Ruhen der Privatklage bis 31. III. 1924 werden von der Kriminalstatistik n i c h t b e - ist angeordnet worden, was bei Beurteilung des rücksichtigt: kriminalstatistischen Zahlenmaterials für das 1. Alle Übertretungen (d. s. mit Haft oder J a h r 1924 besonders zu beachten ist. Durch mit Geldstrafe bis zu 150 M. bedrohte straf- die gleiche VO. sind wesentliche Verschiebungen in der Zuständigkeit der Strafgerichte bare Handlungen). 2. Die Zuwiderhandlungen gegen die Vor- eingetreten. So ist die Möglichkeit, die bereits schriften über die Erhebung öffentlicher Ab- durch VO. des Reichspräsidenten vom 12. X11. gaben und Gefälle, über die vor dem Kriege 1923 (RGBl. 1197) vorübergehend gegeben eine besondere Statistik („Die Zoll- und war, Verbrechen des Landesverrats und des Steuerstraffälle") geführt wurde, deren Er- Kriegsverrats gegen das Reich sowie Vergebnisse alljährlich in den vom Statistischen brechen des Verrats militärischer Geheimnisse, Reichsamt herausgegebenen „Vierteljahrs- für die vorher nur das Reichsgericht zuständig heften zur Statistik des Deutschen Reichs" war, von den Oberlandesgerichten aburteilen zu lassen, f ü r dauernd geschaffen worden. (zuletzt 1908) veröffentlicht wurden.

den Anfang zur Verselbständigung der Kriminalstatistik gemacht hat. 6. M e t h o d e u n d S y s t e m d e r K r i m i n a l s t a t i s t i k des D e u t s c h e n Reichs. Gegenstand der Reichskriminalstatistik sind gemäß §§ 1 und 2 der vorgenannten Bestimmungen die vor den deutschen ordentlichen Gerichten unter Einschluß der Konsulargerichte (auf die ehemaligen deutschen Schutzgebiete ist die Kriminalstatistik nicht ausgedehnt gewesen) die durch rechtskräftige richterliche Entscheidung (Urteil oder Strafbefehl) erledigten Strafsachen, insoweit sie sich auf Verbrechen und Vergehen gegen Reichsgesetze beziehen. Da infolge Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit durch G. vom 17. VIII. 1920 (RGBl. S. 1579) die Aburteilungen von Militärpersonen, die vordem eine besondere Statistik ermittelte (vgl. „Kriminalstatistik für das Deutsche Heer und die Kaiserliche Marine". Veröffentlicht seit 1901 in den „Vierteljahrsheften zur Statistik des Deutschen Reichs. Zuletzt Jahrg. 1920, H. IV, sowie H. D i e t z , Die Militärstrafrechtspflege im Lichte der Kriminalstatistik f ü r das Deutsche Heer und die Kaiserlichen Marine, Oldenburg 1908), mit geringen Ausnahmen (die Bordgerichte) durch die ordentlichen Gerichte erfolgen, werden diese vom Jahre 1921 ab gleichfalls in der allgemeinen Kriminalstatistik mitgezählt. (Auf Grund des Gesetzes über Wiedereinführung der Militärgerichtsbarkeit vom 12. V. 1933 [RGBl. I, S. 264] ist damit zu rechnen, daß nunmehr wie früher eine besondere Kriminalstatistik f ü r Angehörige der Wehrmacht [Reichswehr und Reichsmarine] bearbeitet wird, f ü r welche vorausichtlich die Militär justizverwaltungen die notwendigen Unterlagen liefern werden).

Kriminalstatistik Ferner ist der früher ausschließlich vorgeschriebene Verfolgungs- und Anklagezwang (Legalitätsprinzip) außer f ü r Übertretungen auch f ü r leichtere Fälle von Vergehen durch das sogenannte Opportunitätsprinzip ersetzt worden (§ 153 der StPO. in der Fassung der Bek. vom 22. III. 1924 [RGBl. 229]). § 374 der StPO. erhöht die Zahl der Delikte, die im Wege der Privatklage verfolgt werden können, erheblich. Besonders bedeutsame Einwirkung auf die Ergebnisse der Kriminalstatistik hatte weiterhin das JugendgerichtsO. vom 16. II. 1923, das am 1. VII. 1923 in Kraft trat, und das als Hauptbestimmung die Heraufsetzung der Strafmündigkeit vom vollendeten 12. auf das vollendete 14. Lebensjahr enthält (weitere Einzelheiten s. im Art. Jugendgerichtsgesetz). Das O. über beschränkte Auskunft aus dem Strafregister und die Tilgung von Strafvermerken vom 9. IV. 1920 (RGBl. 507) beeinträchtigt stark die Erfassung der Vorbestrafungen (s. d. Art. Rückfallstatistik). Wichtige Folgen f ü r das Anwendungsgebiet der Geldstrafe hatten die Geldstrafengesetze, die in der VO. über Vermögenstrafen und Bußen vom 6. II. 1924 (RGBl. 144) zusammengefaßt sind. Die G e w i n n u n g d e s U r m a t e r i a l s zur deutschen Kriminalstatistik vollzieht sich auf Grund der oben zitierten Bundesratsbestimmungen durch Verwendung von Zählkarten, die den Landesjustizverwaltungen durch die oberste Justizbehörde (bis zum Kriegsende das Reichsjustizamt, seitdem das Reichsjustizministerium) nach Maßgabe des Bedarfs unentgeltlich geliefert werden. (Vgl. a. F. Cammert, Die kriminalistischen Zählkarten und Strafnachrichten. Anweisung zur richtigen und vollständigen Anfertigung, Nordhausen 1892, 2. Aufl.) Der Inhalt der gegenwärtig gebräuchlichen Zählkarte (Format Din A 5) f ü r männliche Angeklagte, die eine weiße Farbe hat, ist folgender: (Zählkarte s. S. 42.) Gemäß § 2 der Bundesratsbestimmungen ist von den Gerichten 1. Instanz für jeden einzelnen Angeklagten nach Eintritt der Rechtskraft jedes Urteils oder Strafbefehls eine Zählkarte auszufüllen. Die in einem Kalendervierteljahr ausgefüllten Zählkarten über die bei den Amtsgerichten und Landgerichten anhängig gewesenen Strafsachen werden gemäß § 4 der Bestimmungen nunmehr bei der Staatsanwaltschaft des Landgerichts gesammelt und von dieser vierteljährlich an das Statistische Reichsamt in Berlin eingesandt. Die Einsendung der Zählkarten in denjenigen Sachen, in denen das Reichsgericht in erster und letzter Instanz zuständig ist, erfolgt durch den Oberreichsanwalt.

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Nach der Art dieser Erhebungsmethode besitzt die Kriminalstatistik sekundären Charakter und ist zudem eine unmittelbare oder zentralisierte Statistik. Die technische Aufbereitung des Zählkartenmaterials erfolgt in den einzelnen Arbeitsgängen bis zur Konzentration der Ergebnisse zur Endsumme ausschließlich im sogenannten „manuellen" Verfahren, d. h. die Zählkarten werden in bezug auf die einzelnen Gegenstände der Beobachtung handschriftlich (mit farbigen Stiften) ausgezeichnet, im „Legeverfahren" sortiert und ausgezählt. Z ä h l e i n h e i t e n sind gegenwärtig aus Ersparnisgründen nur die wegen Verbrechen und Vergehen gegen Reichsgesetze a b g e u r t e i l t e n P e r s o n e n (d. s. die Angeklagten, bei denen 1. Verurteilung, 2. Freisprechung oder 3. Einstellung des Verfahrens durch das Gericht erfolgte). Bis zum Jahre 1917 wurde dagegen nach Personen u n d Handlungen ausgezählt. Die deutsche Kriminalstatistik stellt demnach in ihrem gegenwärtigen Inhalt eine Statistik der Abgeurteilten dar. Bei der Auszählung nach Personen wird j e d e Person, bezüglich welcher eine rechtskräftige Entscheidung ergangen ist, nur einmal gezählt, selbst wenn ihre Aburteilung wegen mehrerer Straftaten erfolgt ist. Hierbei werden Versuch, Anstiftung und Beihilfe unter derjenigen strafbaren Handlung gezählt, auf die sie sich beziehen. Handelt es sich dabei um verschiedenartige Straftaten (Ideal- oder Realkonkurrenz), so wird die Person nur bei der mit der schwersten Strafe bedrohten Handlung gezählt, im Falle einer teilweise erfolgten Verurteilung und teilweise erfolgten Freisprechung bei derjenigen mit der schwersten Strafe bedrohten Handlung, die zur Verurteilung geführt hat. Dies gilt jedoch nur dann, wenn die Aburteilung bezüglich aller von derselben Person begangenen Verfehlungen in ein und demselben Strafverfahren erfolgt ist. Das auf vorstehende Weise gewonnene Material gelangte ursprünglich bis zum Jahre 1894 in 4 Tabellen, seitdem bis zum Weltkrieg in 3 Tabellen zur Darstellung. Tabelle I behandelte die rechtskräftig erledigten Strafsachen nach dem Sitz des erkennenden Gerichts (nach Oberlandesgerichtsbezirken zusammengefaßt), Tabelle II berücksichtigte die Verbrechen und Vergehen nach dem O r t d e r T a t (nachgewiesen f ü r die Bundesstaaten und die größeren Verwaltungsbezirke). Die ursprüngliche Tabelle III befaßte sich mit den Verbrechen und Vergehen n a c h d e r z e i t d e r T a t f ü r das Reichsgebiet nach Monaten (ab 1895 kam diese Tabelle in Fortfall). Die bis zu diesem Jahre IV. Tabelle, nunmehrige Tabelle III, stellte

Kriminalstatistik

42 Vorderseite der Zählkarte: Bezirk des Oberlandesgerichts gericht in Aktenzeichen:

. . .Vierteljahr 1 9 . . . Lfde. Nr. der Zählkarte im Kalenderjahre.

M. S. — M. S. Marine (Bei Reichswehrangehörigen ist „M. S. w , bei Reichsmarineangehörigen „M. S. Marine" zu unterstreichen.)

Zählkarte für männliche1) Angeklagte 1. Vor- und Familienname: 2.

G e b o r e n a m (wenn nicht genau festzustellen, Alter in vollen Jahren)

3. Berufs-, Erwerbs- oder Nahrungszweig sowie Arbeits- oder Dienstverhältnis im Berufe (die Art des Hauptberufs, der Haupterwerbstätigkeit oder -boschäftigucg oder der Haupteinkommens- oder -nahrungsquelle ist genau zu bezeichnen, nötigenfalls unter Angabe des Arbeits- oder Dienstverhältnisses, z. B. Inhaber, Handwerksmeister, Geselle, Fabrikarbeiter): F ü r Minderjährige ohne eigenen Beruf: Beruf der Eltern: 4 . Z e i t d e r T a t (wenn nicht genau bekannt, ungefähre Zeit):

5. Art der (nach Reichsrecht) strafbaren Handlung: § (nötigenfalls ist auch Abs. und Mr. anzugeben): (Yersnch und gemeinschaftliches Handeln sind anzugeben, die angewendeten Bestimmungen des StGB. — i 43, 47, 48, 49 — anzuführen. Bei Idealkonkurrenz — § 7 3 StGB. — ist nur das angewendete Strafgesetz, bei Bealkonknrrenz — §§ 74ff. StGB. — nur die mit der schwersten Strafe bedrohte Handlung anzugeben.)

6. Inhalt der Entscheidung: V e r u r t e i l t ? . . . Verfahren eingestellt?... Freigesprochen?... 7. Erkannte Strafe (Gesamtstrafe) und Nebenfolgen: d) Nebenstrafen und Nebena) Todesstrafe Zeitdauer der Strafe folgen : Jahre*) Monate "Wochen Tage und Verlust der bürgerlichen b) Freiheitsstrafen, Ehrenrechte (Jahre): . zwar: Zulässigkeit von PolizeiZuchthaus aufsicht: Gefängnis Militärische Ehrenstrafen (Entfernung aus Heer Festungshaft oder Marine, Dienstentlassung, DegradaHaft tion) Arrest (welcher?. c) Geldstrafe: Wie hoch?

(Zutreffendes unterstreichen.)

*) Bei lebenslanger Freiheitsstrafe sind die Buchstaben U einzuschreiben.

Rückseite der Zählkarte: 8. Ist der Verurteilte vor Begehung der unter Ziffer 5 angegebenen strafbaren Handlung (von mehreren vor der letzten) wegen Verbrechen oder Vergehen gegen Reichsgesetze bestraft, und wie oft? 9. Bei Personen, die zur Zelt der Tat noch nicht 18 Jahre alt waren: a) Ist auf Grund des § 3 des Jugendgerichtsgesetzes freigesprochen? b) Ist nach § 6 oder nach § 9 Abs. 4 des Jugendgerichtsgesetzes (Zutreffendes unterstreichen) von Strafe abgesehen? c) Hat das Gericht Erziehungsmaßregeln angeordnet? welche? oder für erforderlich erklärt, aber die Auswahl dem Vormundschaftsgericht überlassen? d) Ist die Vollstreckung der Strafe auf Grund des Jugendgerichtsgesetzes ausgesetzt worden? Dauer der Probezeit: Bedingungen der Aussetzung: 10. Bei Ausländern Heimatstaat: 11. Bemerkungen: Datum: 19 Name des ausfüllenden Beamten: 1 ) Der Inhalt der in blauer Farbe gehaltenen Zählkarte für weibliche Angeklagte ist der gleiche wie bei der Zählkarte f ü r männliche Angeklagte (weiße Farbe), nur ist unter Frage 3 (Beruf) noch für Ehefrauen ohne eigenen Beruf der Beruf des Mannes erfragt worden. Ferner fehlen die Fragen über die Angaben f ü r Militärpersonen.

Kriminalstatistik die p e r s ö n l i c h e n V e r h ä l t n i s s e d e r V e r u r t e i l t e n dar und gab Aufschluß über Geschlecht, Heimatstaat (Ausländer), Alter nach 3-, 5- und 10jährigen Altersgruppen, Wohnort (die Erhebung hierüber wurde ab 1892 eingestellt), Familienstand, Beruf und Religionsbekenntnis derselben unter Hervorhebung der erstmals Verurteilten. Während die Zahlenergebnisse der Tabelle I vorwiegend den Zwecken der Justizverwaltung, insbesondere kriminalpolitischen Beobachtungen diente, verfolgten die Tabellen II und III den Zweck, das gesammelte Material aus dem Gesichtspunkt der Moralstatistik nutzbar zu machen. Die Tabelle I wurde seit Einrichtung der Kriminalstatistik nach dem sogenannten „Ausführlichen Verzeichnis der Verbrechen und Vergehen" aufgestellt, in welchem die §§ 80—359, 49 a des Reichsstrafgesetzbuches und die zahlreichen sonstigen Reichsgesetze strafrechtlichen Inhalts (in der Reihenfolge ihrer Verkündung oder ihres Inkrafttretens), soweit die bedrohten strafbaren Handlungen Verbrechen und Vergehen darstellen, nach dem Stande am Schluß des jeweiligen Berichtsjahres aufgezählt sind. Das Verzeichnis hat seit dem Jahre 1902 außer den alljährlich infolge neuer Strafvorschriften neu hinzugekommenen Nummern auch insofern eine Erweiterung erfahren, als die einzelnen Arten der strafbaren Handlungen vielfach in ihre Unterarten gegliedert worden sind. Der Umfang des auch gegenwärtig geltenden und bis auf den neusten Stand fortgeführten ausführlichen Verzeichnisses der Verbrechen und Vergehen ist auf diese Weise von 142 Nummern im Anfangsjahr der Kriminalstatistik (1882) auf 550 im letzten Vorkriegsjahr und infolge der umfangreichen Strafgesetzgebung der Kriegs- und Nachkriegszeit auf weit über 800 im Jahre 1931 angewachsen. Die Verzeichnisse sind in jedem kriminalstatistischen Bande abgedruckt. Im Gegensatz zu der ausführlichen Nomenklatur der Tabelle I wurden die Tabellen II und III nach dem sogenannten „Abgekürzten Verzeichnis" aufgestellt, das gleichfalls jedem Jahrgang beigefügt ist. In diesem Verzeichnis werden die verwandten Paragraphen des Strafgesetzbuchs und die Verbrechen und Vergehen gegen die Reichsstrafnebengesetze zusammengezogen. Die so gewonnenen Abschnitte sind in 4 Gruppen von Verbrechen und Vergehen eingeteilt, und zwar 1. gegen den Staat, öffentliche Ordnung und Religion, 2. gegen die Person, 3. gegen das Vermögen und 4. im Amte. Während des Krieges machten der Mangel an Arbeitskräften und in der Nachkriegszeit die durch die wirtschaftliche Lage bedingten

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Sparmaßnahmen eine immer stärkere Einschränkung der Kriminalstatistik notwendig, so daß von dem ehemals umfangreichen und erschöpfenden Tabellenwerk (der Jahrgang 1912 beispielsweise umfaßte 478 Seiten) vom Jahre 1918 ab nur noch eine, die wichtigsten summarischen Angaben enthaltende Tabelle übrig blieb. Im Jahre 1928 konnte dann durch Wiederaufnahme der Fragen nach dem Geburtsdatum des Täters und der Zeit der Tat, wonach sich sein Alter zur Zeit der Tat berechnen läßt, sowie nach dem Beruf des Täters eine Erweiterung vorgenommen werden. Das Tabellenwerk des Jahrgangs 1930, der von dem bisherigen Großfolio zwecks leichterer Handhabung auf Din-Format umgestellt wurde, gliedert sich in 4 Tabellen. Es sind folgende: Tabelle I: Die rechtskräftig abgeurteilten Personen. „ I I : Die erkannten Strafen. „ I I I : Das Alter der Verurteilten zur Zeit der Tat. IV: Der Beruf (Hauptberuf) der Verurteilten. In T a b e l l e I wird mitgeteilt: 1. die Zahl der Angeklagten, bezüglich deren eine gerichtliche Entscheidung rechtskräftig geworden ist mit Unterscheidung nach Verurteilung, Freisprechung und Einstellung des Verfahrens sowie besondere Ausweise der Verurteilten im Alter von 18 bis unter 21 Jahren und derjenigen Fälle, in denen nach dem Jugendgerichtsgesetz von Strafe abgesehen worden ist; 2. die Zahl der verurteilten weiblichen Personen, der Ausländer und der vor der Tat wegen Verbrechen oder Vergehen gegen Reichsgesetze Verurteilten, d. h. der Vorbestraften unter Hervorhebung der mehr als viermal Verurteilten; 3. die Zahl der angeklagten, verurteilten und freigesprochenen Jugendlichen, d. h. der Personen, die zur Zeit ihrer Tat das 14., aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hatten, unter besonderer Darstellung der Verurteilten im Alter von 14 bis unter 16 Jahren und der Fälle, bei denen nach § 6 oder § 9 Abs. 4 des J G G . von Strafe abgesehen oder nach § 3 dieses Gesetzes auf Freisprechung erkannt worden ist. Bei der Anordnung von Erziehungsmaßregeln werden Schutzaufsicht und Fürsorgeerziehung besonders ausgewiesen. Weiterhin wird die Zahl der bedingten Strafaussetzungen bei Jugendlichen mitgeteilt. Schließlich werden noch die verurteilten weiblichen Jugendlichen und die vor der Tat wegen Verbrechen oder Vergehen gegen Reichsgesetze verurteilten Jugendlichen dargestellt. In der T a b e l l e I I werden die erkannten Strafen aufgeführt. Unter Wiederholung der Gesamtzahl der Verurteilten und der verurteilten Jugendlichen enthält die Tabelle folgende Angaben:

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D i e K r i m i n a l i t ä t im D e u t s c h e n R e i c h (jeweiliges Mord

Totschlag

§ 211

§§ 212 bis 215

Verurteilte 151 153 139 126 144 131 95 107 133 88 144 114 110 113 108 101 106 79 89 84 103 86 94 91 93 82 80 96 93 93 94 110 82 68 74 71 87 164 209 243 200 139 193 185 170 124 90 69 90

KriminaliVert ä t s - urteilte ziffer 0,48 0,48 0,43 0,39 0,44 0,40

0,28

0,31 0,39 0,25 0,41 0,32 0,31 0,31 0,29 0,27 0,28 0,20 0,23 0,21

0,26 0,21

0,23

0,22

0,22 0,19 0,18 0,21 0,20 0,20 0,20

0,23

0,44 0,50 0,42 0,29 0,41 0,39 0,35 0,25

169 164 131 164 154 142 117 148 125 160 172 167 165 170 162 174 163 171 162 158 179 189 179 180 168 190 210 193 210 229 229 257 230 102 91 71 91 267 393 383 330 280 409 385 404 385 317 348 345

Körperverletzung leichte § 223

KrimiVernalit ä t s - urteilte ziffer 0,53 0,51 0,41 0,51 0,47 0,43 0,35 0,44 0,36 0,46 0,49 0,47 0,46 0,47 0,44 0,47 0,43 0,44 0,41 0,40 0,45 0,46 0,43 0,43 0,39 0,44 0,48 0,43 0,46 0,50 0,49 0,54

0,83 0,80 0,69 0,58 0,88 0,81 0,84 0,79 0,64 0,70 0,69

16527 17 116 18718 18 620 19 334 19 202 18 374 19 730 21 546 21 987 22821 24315 25 656 26 927 27 229 26 600 26 687 26 615 26182 27193 27314 26 094 26 775 27 619 28 446 27418 26 803 25 677 24 668 23 745 23 848 22324 16 380 8 707 7 255 5 541 6131 7 604 12126 11 948 10 281 11 211 10 288 12 265 12 785 13 607 13091 13 663 14052

gefährliche § 223 a 1 )

KriminaliVert ä t s - urteilte ziffer 52 54 58 58 59 58 55 58 62 63 65 68 72 74 74 71 70 69 67 69 68 64 65 66 67 64 61 57 54 51 51 47

26 25 21 23 22 26 27 28 27 27 28

38 291 40 933 48118 51 449 53 759 55 821 55 223 57191 60 948 61 896 65 666 72 919 77401 80096 85 032 86 624 90 826 94 657 93 079 98110 97376 96177 98 985 97 673 97 943 94471 97 235 93 175 92193 90881 96 848 90 990 70 604 33 081 27 965 20475 23121 23 092 37406 33159 25491 24 971 25189 28371 32146 33 064 32 677 34 950 35429

R a u b u. räuberische Erpressg. a. i. w. R. §§ 249—252, 255

KriminaliVert ä t s - urteilte ziffer 121 128 150 159 165 169 165 168 177 178 187 205 216 220 231 233 240 245 237 248 243 236 239 232 230 219 222 209 203 197 207 192

413 419 445 365 417 386 393 404 437 459 486 205 458 415 442 368 485 505 446 521 597 516 566 556 564 602 708 675 695 662 695 754 687 511 614 435 316 972 1327 1789 1517 999 1155 864 811 707 683 811 1028

79 69 53 51 54 60 67 68 0,18 66 0,14 70 0,18 71 A n m e r k u n g . Die Kriminalitätsziffern sind f ü r die J a h r e 1882—1913 auf 100 000 der jeweiligen strafmündigen Zivilbevölkerung, ab 1920 auf 100 000 der jeweiligen strafmündigen Bevölkerung berechnet. — >) Von 1912 ab auch einschl. § 223a Abs. 2.

Kriminalstatistik

45

Reichsgebiet) in d e n J a h r e n 1 8 8 2 — 1 9 3 0 . Einfacher Diebstahl a. i. w. R. §§ 242, 242/44, 248 a Verurteilte 91 132 89120 86158 80 516 79785 76 198 75 245 82 966 81 928 86 739 95 526 83 719 82 941 81 558 79407 82 035 84 758 81 104 82 979 88 324 89484 87189 85 728 86515 89 389 90848 97 977 96181 95 097 92 665 98465 93 985 79 638 74 606 85 695 105 227 123 760 114502 202 885 194 274 209 990 308 005 180076 91 588 78175 74 907 71 651 74 946 78183

Kriminalitätsziffer 287 279 269 249 244 231 225 244 237 249 272 236 231 224 216 220 224 210 212 223 223 214 207 205 210 211 223 215 209 201 210 198



428 404 437 633 386 194 163 154 145 150 156

Schwerer Diebstahl a. i. w. R. §§ 243 und 243/44 Verurteilte 11 918 10513 10 562 9 882 9031 9 209 9132 10390 10 797 11 194 13669 12 036 12518 11 486 11 740 11 394 12443 11 854 11 822 13 234 14391 13 670 13154 13 668 14866 15 151 17 997 19 237 19110 18 083 19 597 20 722 18 539 17306 23 637 32 377 37 299 45 253 62446 57 638 41 539 59430 44454 21 008 17172 15 995 14 696 16 163 19413

Kriminalitätsziffer 38 33 33 31 28 28 27 31 31 32 39 34 35 32 32 31 33 31 30 33 36 34 32 32 35 35 41 43 42 39 42 44 — —



132 120 86 122 95 44 36 33 30 32 39

Unterschlagung

Betrug a. i. w. R.

§§ 246, 248a

§§ 263—265

Verurteilte 14577 14568 14 630 14432 14731 14 504 14 781 15 888 16340 17184 18372 18055 18715 19282 18398 19 162 19 775 20 201 20030 20866 22185 21 844 22 504 23454 24 807 25 740 27812 29 013 29 742 30117 31450 30487 25 970 17184 16 254 16010 18 578 16461 30264 32 259 31 701 37 211 29 988 31 302 34061 34 660 35 843 38 705 40092

Kriminalitätsziffer 46 46 46 45 45 44 44 47 47 49 52 51 52 53 50 52 52 52 51 53 55 54 54 56 58 60 63 65 65 65 67 64 — —

— — —

64 67 66 76 64 66 71 71 73 78 80

Verurteilte 11 969 12387 12 690 12618 13 609 14560 14 978 16848 17 364 18 949 20 711 20583 21 923 22 392 21 775 23075 24198 24169 23374 25 255 26 634 26 234 25 803 25827 26 242 26 234 26 584 27881 28 507 28 922 30 086 29 257 25 710 14 390 14 202 13 038 14 063 12 725 24 542 34 078 33 877 32 483 37120 44 677 53 718 54473 50401 52 626 55 538

Kriminalitätsziffer 38 39 40 39 42 44 45 50 50 54 59 58 61 62 59 62 64 63 60 64 66 64 62 61 62 61 61 62 63 63 64 62 — — — — — —

52 71 71 67 80 94 112 112 102 106 111

Hehlerei a. i. w. R. §§ 258—261, § 19 des Ges. v. 11. IV. 1923 KrimiVernaliurteilte tätsziffer 8 522 7 974 7 695 7416 6 952 6 974 6 945 7491 7549 7 766 9143 8115 8002 7 653 7400 7 089 7711 7384 7333 7 688 8196 7848 7441 7506 7 982 8077 8833 9193 9060 8915 9 768 10072 8 626 8 724 12 266 17512 24 674 21 810 36107 42104 40 796 66 297 43 564 18183 12 609 10846 8 836 8 776 9084

27 25 24 23 21 21 21 22 22 22 26 23 22 21 20 19 20 19 19 19 20 19 18 18 19 19 20 21 20 19 21 21 — — — — — —

76 87 85 136 93 38 26 22 18 18 18

46

Kriminalstatistik

Die Zahl der Verurteilten, gegen die auf Todesstrafe, lebenslange Zuchthausstrafe, zeitige Zuchthausstrafe (vom Jahrgang 1931 ab aufgeteilt nach einer Dauer von weniger als 3 Jahren und von 3 Jahren und mehr), Gefängnisstrafe insgesamt unter Aufgliederung dieser Position in Gefängnisstrafe von 1 J a h r und mehr, von 3 Monaten bis 1 J a h r und von weniger als 3 Monaten, Festungshaft, Haft, Arrest, Geldstrafe und Nebenstrafen: Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, ZuIässigkeit von Polizeiaufsicht und besondere Ehrenstrafen des Militärrechts erkannt ist. Diese Angaben werden, soweit es in Betracht kommt, auch f ü r die Jugendlichen ausgewiesen. In der T a b e l l e I I I werden die Verurteilten nach dem Alter zur Zeit der T a t nach folgenden 11 Altersklassen aufgegliedert: unter 16 Jahre alt, 16 bis unter 18, 18 bis unter 21, 21 bis unter 25, 25 bis unter 30, 30 bis unter 40, 40 bis unter 50, 50 bis unter 60, 60 bis unter 70 Jahre alt, 70 Jahre und darüber alt, Alter unbekannt. T a b e l l e IV unterrichtet über die Zugehörigkeit der Verurteilten zu den verschiedenen Berufsarten (Hauptberuf). Diese sind in Anlehnung an das System der Berufszählung zu 7 großen Wirtschaftsabteilungen zusammengefaßt: A. Land- und Forstwirtschaft, Jagd und Fischerei. — B. Industrie und Handwerk. — C. Handel und Verkehr. — D. Öffentliche Verwaltung (einschließlich Wehrmacht), freie Berufe, Gesundheitswesen. — E. Häusliche Dienste. — F. Lohnarbeit wechselnder Art. — G. Ohne Beruf und ohne Berufsangabe. Innerhalb der Wirtschaftsabteilungen A bis F werden die Verurteilten nach Erwerbstätigen und Angehörigen, in der Wirtschaftsabteilung G (ohne Beruf usw.) nach Selbständigen und Angehörigen und darüber hinaus die Erwerbstätigen in den Wirtschaftsabteilungen A bis C noch nach Selbständigen und Personen in abhängiger Stellung unterschieden. Die Tabellen I und 11 sind nach dem „Ausführlichen Verzeichnis" aufgestellt. Die Aburteilungen bzw. Verurteilungen wegen der in diesem Verzeichnis aufgeführten strafbaren Handlungen sind dabei nach den verschiedenen, in erster Instanz erkennenden Strafgerichten geordnet und folgendermaßen dargestellt: Abschnitt A = Reichsgericht, „ B = Gerichte der Länder (Amts-, Land- und Oberlandesgerichte, C = Konsulargerichte (Konsulargerichtsbarkeit besteht zur Zeit in Abessinien und Ägypten), „ D = Militärgerichte (Bordgerichte). Im Abschnitt „ S u m m e A bis D " sind sämtliche von den deutschen Gerichten wegen Verbrechen und Vergehen gegen Reichsgesetze abgeurteilten Fälle zusammengefaßt. Diese Abschnitte sind in 4 Abschnitte gegliedert:

I. Verbrechen und Vergehen gegen das Strafgesetzbuch, II. Verbrechen und Vergehen gegen das Militärstrafgesetzbuch, III. Verbrechen und Vergehen gegen andere Reichsgesetze als das Strafgesetzbuch und das Militärstrafgesetzbuch, IV. Verbrechen und Vergehen gegen die aus Anlaß des Krieges oder der Ubergangszeit erlassenen Strafvorschriften. Bemerkt sei, daß das Tabellenwerk des Jahrgangs 1931, der beim Abschluß dieses Artikels noch in Bearbeitung ist und voraussichtlich Ende des Jahres 1933 der Öffentlichkeit übergeben werden wird, möglicherweise noch um drei Tabellen erweitert werden soll, deren Inhalt die rechtskräftig abgeurteilten bzw. verurteilten Personen in den Ländern und den einzelnen Oberlandesgerichtsbezirken unter Aufgliederung nach den wichtigsten strafbaren Handlungen (Tabelle V), nach dem Alter (Tabelle VI) und nach dem Beruf (Tabelle VII) zum Gegenstande hat. Seit Beginn der Kriminalstatistik werden bis zur Gegenwart (mit Ausnahme der J a h r gänge 1913—1924) dem Tabellenwerk regelmäßig z. T. sehr umfangreiche und instruktive textliche Erläuterungen der Zahlen sowie häufig auch Spezialuntersuchungen voran gestellt, die namentlich in den letztjährigen Bänden durch Beigabe von graphischen Darstellungen besonders illustriert werden. Die Veröffentlichung des gesamten kriminalstatistischen Zahlenmaterials geschieht jährlich in dem amtlichen Quellenwerk „Statistik des Deutschen Reichs". Auszüge erscheinen auch im „Statistischen Jahrbuch f ü r das Deutsche Reich" sowie periodisch in der Halbmonatsschrift des Statistischen Reichsamts „Wirtschaft und Statistik". Die wichtigsten Ergebnisse der Kriminalstatistik seit dem Jahre 1882 sind — soweit sie sich auf einzelne kriminalpolitische wie zahlenmäßig bedeutsame strafbare Handlungen beziehen — in der Übersicht auf S. 44/45 zusammengestellt. Bezüglich summarischer Daten wird — um Wiederholungen zu vermeiden — auf die Tabellen in den Art. „Ausländer" (Bd. I, S. 87), „Geschlecht und Straffälligkeit" (Bd. I, S. 580), „Kriminalität im Jugendalter" (Bd. I, S. 844/45) und „ R ü c k fallstatistik" (in Bd. II) verwiesen. Eine Besprechung der hier angeführten Daten würde zu weit führen. Sie sind in den einzelnen Jahrgängen der Kriminalstatistik sowie in den Bänden 370 u. 384 der Statistik des Deutschen Reichs publizierten Sonderuntersuchungen „Die Entwicklung der Kriminalität im Deutschen Reich seit 1882" sowie „Die Entwicklung der Strafen im Deutschen Reich seit 1882" eingehend erläutert (vgl.

Kriminalstatistik auch die Ausführungen im Art. Kriminalsoziologie). 7. D i e K r i m i n a l s t a t i s t i k i m A u s I a n d . Von den ausländischen Staaten hat F r a n k r e i c h als erstes Land mit regelmäßigen statistischen Beobachtungen auf dem Gebiet der Strafrechtspflege begonnen. Dort wurden schon im Jahre 1803 die vor die „cours d'assises" gebrachten Anklagen zahlenmäßig festgestellt (vgl. auch M. B l o c k , Statistique de la France, Paris 1875, I, 146 ff.). Eingehende Veröffentlichungen über die Kriminalstatistik im engeren Sinne beginnen dann im Jahre 1825, über das das französische Justizministerium den ersten umfassenden „Compte général de l'administration de la justice criminelle en France" herausgegeben hat. Dieser Bericht ist seitdem alljährlich in nahezu unveränderter Form bis zur Gegenwart fortgeführt, wobei die älteren Jahrgänge, insbesondere was die Angaben über die persönlichen Verhältnisse der kriminellen Personen anbetrifft, weit ausführlicheres Material bieten als die neusten. Diesem Beispiele Frankreichs folgten bald andere europäische Staaten mit zunächst mehr oder weniger ausführlichen Publikationen. E n g l a n d u n d W a l e s haben 1805 mit strafrechtsstatistischen Ermittlungen begonnen. Sie bezogen sich auf die Aburteilungen der „Assizes" (Schwurgerichte) und der „ QuarterSessions" (Vierteljahrssitzungen) und wurden bis zum Jahre 1856, in dem die Bearbeitung einer fortlaufenden Kriminalstatistik im eigentlichen Sinne in Angriff genommen wurde, in den Parlamentsakten abgedruckt. In I r l a n d setzen die Berichte über Kriminalstatistik im Jahre 1863, in S c h o t t l a n d einige Zeit später ein (1868). Sehr weit reicht auch die Kriminalstatistik Ö s t e r r e i c h s zurück; seit 1818 bestehen in den 1828 beginnenden „Tafeln zur Statistik der österreichischen Monarchie" Nachrichten, welche aber erst mit den 1850 erschienenen Jahrgängen 1845/48 auf breitere Grundlage gestellt wurden. Seitdem wurde sie im großen und ganzen nach der gleichen Methode bearbeitet, wenn auch im Laufe der Zeit, was die Zahl der verschiedenen Erhebungsgegenstände anbetrifft, mehrfach Änderungen eingetreten sind. Die bis zum Jahre 1867 in der allgemeinen österreichischen Kriminalstatistik enthaltene u n g a r i s c h e Kriminalstatistik begann im Jahre 1874 in Anknüpfung an jenes J a h r als selbständige Statistik. Die ersten Nachweise über eine Statistik der Strafrechtspflege in B e l g i e n liegen aus dem Jahre 1826 vor; sie enthielten auch die entsprechenden Angaben aus dem Großherzogtum L u x e m b u r g .

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Von den skandinavischen Staaten veröffentlichte N o r w e g e n die ersten kriminalstatistischen Ergebnisse über das J a h r 1828, drei Jahre später (1831) erschien in S c h w e d e n der erste Bericht über Kriminalstatistik im Jahre 1830, der allerdings noch recht unvollständig war. Die folgenden Jahrgänge zeigten ebenfalls inhaltlich noch bemerkenswerte Unterschiede. Erst vom Jahre 1879 ab wird die schwedische Kriminalstatistik nach Methode und System einheitlich behandelt. 1832 beginnt auch D ä n e m a r k mit der Veröffentlichung kriminalstatistischer Daten. Die Kriminalstatistik der N i e d e r l a n d e geht bis zum Jahre 1847 zurück. Sie wurde 1886 mit Einführung des gegenwärtig noch geltenden Strafgesetzbuchs neu organisiert. Aus I t a l i e n liegt kriminalstatistisches Material seit 1873 vor. Durch das Inkrafttreten eines gemeinsamen, für das gesamte Königreich geltenden Strafgesetzbuchs im Jahre 1890 wurden auch neue Grundlagen f ü r die dortige Kriminalstatistik geschaffen. Bemerkenswert ist hierbei, daß das seitdem in Italien angewendete kriminalstatistische Verfahren im wesentlichen dem im Deutschen Reich seit 1882 angenommenen nachgebildet ist (vgl. H. v. S c h e e l , Zur Technik der Kriminalstatistik in Deutschland und Italien. Allgemeines Statistisches Archiv, Tübingen 1890 und 1891, Jahrg. 1, S. 468ff.). Für P o r t u g a l finden sich kriminalstatistische Nachweisungen bereits aus dem Jahre 1853 vor, S p a n i e n veröffentlichte — abgesehen von vereinzelten kriminalstatistischen Publikationen aus der Zeit von 1859 bis 1862 — seit 1883 regelmäßig Ergebnisse aus der Strafrechtspflege. Verhältnismäßig frühzeitig wurden kriminalstatistische Beobachtungen weiterhin aufgenommen in G r i e c h e n l a n d (1857), S e r b i e n (1868), dessen Kriminalstatistik unter den Balkanländern die weitaus beste war, R u m ä n i e n (1864) und R u ß l a n d (1872). Infolge der staatsrechtlichen Sonderstellung, welche F i n n l a n d innerhalb des früheren russischen Reichs einnahm, wurde auch eine besondere finnische Kriminalstatistik bearbeitet und publiziert, deren Ursprung bis zum Jahre 1841 zurückreichte. In der S c h w e i z hat im Jahre 1827 S t . F r a n c i s c i n i (Statistica della Svizzera, Lugano 1827, S. 311) zunächst für 6 Kantone (Zürich, St. Gallen und Aargau f ü r die Jahre 1824—1826, Basel ab 1815—1824, Waadt f ü r 1821—1826 und Genf f ü r 1826) strafrechtsstatistisches Material herausgegeben. Die erste einheitliche Darstellung über die Strafrechtspflege für die g e s a m t e Schweiz hat v. O r e l l i , „Zur Statistik des schweizerischen

Die E r h e b u n g s g e g e n s t ä n d e * ) der

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