Handwörterbuch der Kriminologie: Band 2, Lieferung 17 Unlauterer Wettbewerb - Vernehmungstechnik [Reprint 2021 ed.] 9783112516027, 9783112516010

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Handwörterbuch der Kriminologie: Band 2, Lieferung 17 Unlauterer Wettbewerb - Vernehmungstechnik [Reprint 2021 ed.]
 9783112516027, 9783112516010

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f>anätt>örterbu a g e m a n n , Serlfn / Rci^egcti^tetoi Dr. W a r t u n g , iefp3ig / ProfeflTor Dt. fioblcaufd), Berlin / Profeflor Dr. a i ü l U r » $ e 8 , Berlin herausgegeben von Alexander d j l c r Dr. Jur. in Berlin

17» Unlauterer

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Berlin und i e i p j i g 1935 Perlag oon Walter de $ruyter $ Co.

Inhalt der 17. Lieferung Unlauterer Wettbewerb. Von Dr. A l e x a n d e r E l s t e r , Berlin (Schluß) 840 Unnatürlicher Tod s. Mord. Unterschlagung s. Untreue und Unterschlagung. Unterschrift. Von Dr. H a n s S c h n e i c k e r t , Berlin 848 Untersuchung s. Voruntersuchung. Untersuchungshaft. Von Staatsanwaltschaftsrat Dr. K a r l P e t e r s , Dozent an der Universität Köln 850 Untreue und Unterschlagung. A. Kriminologie. Von Dr. A l e x a n d e r E l s t e r , Berlin' 864 B. Statistik. Von Regierungsrat Dr. E r n s t R o e s n e r , Berlin, Statistisches Reichsamt 869 Unzüchtige Schriften und Abbildungen s. Schmutz- und Schundschriften. Urkundenfälschung. A. Kriminelles. Von Dr. H a n s S c h n e i c k e r t , Berlin 874 B. Technisches. Von Dr. G e o r g P o p p , Professor an der Universität Frankfurt a. M 876

V. Vagabunden s. Landstreicher und Bettler. Verabredung des Verbrechens s. Komplott. Verbrechen, statistisch s. Kriminalstatistik. Verbrechensgenese. Von Dr. E r n s t H e i n r i c h R o s e n f e l d , Professor an der Universität Münster i. W Verbrechensursachen. Von Dr. H a n s W. G r u h l e , Professor an der Universität Bonn Verbrechensverhütung. Von Oberverwaltungsgerichtsrat Dr. M a x H a g e m a n n , Berlin Verbrecheralbum s. Erkennungsdienst. Verbrecherhandschrift. Von Dr. R o d a W i e s e r , Wien Verbrechertaktik. Von Dr. H a n s v. H e n t i g , Professor an der Universität Bonn . Verbrechertum, organisiertes. Von Oberverwaltungsgerichtsrat Dr. M a x H a g e m a n n , Berlin Verbrecherviertel. Von Oberverwaltungsgerichtsrat Dr. M a x H a g e m a n n , Berlin . Verdunkelungsgefahr s. Kollusionsgefahr. Vererbung. Von Dr. H a n s W. G r u h l e , Professor an der Universität Bonn . . . Vergehen s. Kriminalstatistik. Vergiftungen. Von Dr. H e r m a n n F ü h n e r , Professor an der Universität Bonn . Verhaftung s. Untersuchungshaft, Festnahme, Verwahrung (polizeiliche). Verkehrspolizei. Von Polizeimajor G u s t a v L a n g e n s c h e i d t , Berlin Verleumdung s. Lüge und Pathologisches Lügen. Vermißte und unbekannte Tote. Von Kriminalkommissar H a n s B e n d e r , Berlin, Polizeipräsidium Vermittlungsschwindel. Von Oberstaatsanwalt Dr. K r u g , Berlin, Reichsjustizministerium Vernehmungstechnik. Von Hofrat Dr. A d o l f L e n z , Professor an der Universität Graz

879 882 886 893 894 900 904 904 909 921

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Unlauterer W e t t b e w e r b schon die Grundlage einer Wettbewerbsordnung ist. Daß sogenannter unlauterer, ungehöriger W e t t b e w e r b vorliegen kann, auch wenn kein bestimmter einzelner Mitbewerber verletzt wird, wird insbesondere dadurch bewiesen, daß die Strafbestimmungen sowie der § 13 UWG. deutlicher Beweis f ü r die generelle Rechtswidrigkeit, d. h. f ü r den Verstoß gegen die Wettbewerbsordnung sind. Der Staatsanwalt und gewerbliche Verbände werden da zur Hilfe gegen solche W e t t bewerbshandlungen herangezogen, und es darf in diesem Z u s a m m e n h a n g insbesondere auf die AV. des P r e u ß . Justizministers vom 16. V I I I . 1927 (JMB1. 288) hingewiesen werden, die bestimmt, daß bei allen Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsgesetz dann, wenn (gemäß § 13 UWG.) ein Verband zur Förderung gewerblicher Interessen den S t r a f a n t r a g stellt, in der Regel e i n ö f f e n t l i c h e s I n t e r e s s e an der Strafverfolgung anzunehmen ist. Das Gesetz gegen den unlauteren W e t t bewerb h a t so f ü r die Lösung des Problems den gangbaren Weg bezeichnet. Einmal dadurch, daß es in seinem § 1 schlechthin die sittenwidrige W e t t b e w e r b s h a n d l u n g untersagt und daß es in den Paragraphen bis 12 nicht die Schädigung eines bestimmten W e t t bewerbers im Auge h a t , und weiter dadurch, daß im § 13 der Anspruch auf Unterlassung der ungehörigen W e t t b e w e r b s h a n d l u n g auch von jedem Angehörigen des betreffenden Geschäftszweiges und sogar von jedem Verband zur Förderung gewerblicher Interessen gelt e n d gemacht werden kann. Dazu k o m m t , daß die Verletzungen der §§ 4, 6—10, 11, 12, 15, 17—20a Strafverfolgung nach sich ziehen und zwar bei 4, 6, 10 und 11 als Offizialdelikt, bei den übrigen als Antragsdelikt behandelt werden. B e s t r a f t werden folgende T a t b e s t ä n d e : § 4. Wissentlich unwahre Anpreisung des eigenen Geschäfts, eigener Waren und Leistungen. §§ 6—10. Gewisse Verstöße im Ausverkaufs- und Räumungsverkaufswesen ( W a r e n aus Konkursmasse, Vorschieben und Nachschieben, unerlaubte Geschäftseröffnung, Zuwiderhandlung gegen obrigkeitliche Vorschriften). § 11. Warenmengenverschleierung. § 12. Angestelltenbestechung. § 15. Wissentlich u n w a h r e Äußerungen zur Betriebsschädigung eines anderen Erwerbsgeschäfts, seines Inhabers oder seiner Waren und Leistungen. §§ 17—20a. Verletzung und Verrat v o n Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Handwörterbuch der Kriminologie.

Bd. II.

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B u ß e (§ 26) kann nur neben einer Strafe verhängt werden. Im übrigen wird ihre Funktion durch den Schadenersatzanspruch ersetzt. Die Regelung des Schadenersatzanspruchs geschieht nach den allgemeinrechtlichen Sätzen (§§ 249 BGB.); er beruht auf tatsächlich in ursächlichem Z u s a m m e n h a n g mit dem unlauteren Verhalten e n t s t a n d e n e m Schaden und auf Verschulden (Vorsatz oder Fahrlässigkeit, auch culpa in eligendo, Eintreten in weitem Maße f ü r die Handlungen) der Angestellten. Die Schadenersatzforderung bezieht sich auch auf entgangenen Gewinn. Da der Schadenersatzanspruch sich meist nicht substantiieren läßt und nach Lage der Sache ü b e r h a u p t mehr allgemeine Geschäftsgrundlagen und Aussichten betrifft, so wird seine Höhe im wesentlichen durch Schätzung zu ermitteln sein; dabei kann es vielfach auf geldliche Abschätzung von Imponderabilien ankommen, da es sich beim unlauteren W e t t b e w e r b zumeist um die Schädigung des guten Namens, also um werbemäßig in Betracht kommende Immaterialgüter handelt. Auch die mit Strafe bedrohten Wettbewerbshandlungen können mit der Unterlassungsklage verfolgt werden; diese wird nicht (ebenso wenig wie der Schadenersatzanspruch) durch die Strafverfolgung konsumiert, und ebenso kann natürlich eine offizial zu verfolgende H a n d lung durch strafrechtliche Privatklage verfolgt werden. 2. E i n i g e f ü r e i n g e g e b e n e n f a l l s polizeiliches Einschreiten wichtigere F ä l l e . W ä h r e n d die besonders häufig zur Anwendung k o m m e n d e n §§ 1 und 16, die Generalklausel also und die Bestimmung über den Namens- und Bezeichnungsmißbrauch, von grundsätzlich großer Bedeutung im K a m p f e gegen den unlauteren W e t t b e w e r b sind, liegt ihre Praxis doch wesentlich auf zivilrechtlichem Gebiet. Über sie soll also an dieser Stelle nicht näher gesprochen werden. Ebenso auch nicht über das vorwiegend kriminelle Gebiet der Industriespionage und des Geheimnisverrats, weil darüber bereits im Art. „ Industriespionage" (oben Bd. I, S. 716ff.) das Erforderliche gesagt worden ist. Die Frage, wie weit ü b e r h a u p t der P o l i z e i b e h ö r d e e i n e Z u s t ä n d i g k e i t bei der B e k ä m p f u n g von Wettbewerbsverstößen zuk o m m t , ist durchaus nicht geklärt. Diese Unklarheit h ä n g t einmal mit dem Fehlen eines Reichspolizeigesetzes, weiter mit der methodischen Verschiedenartigkeit der einzelnen Teile des Gesetzes gegen den unlauteren W e t t b e w e r b zusammen und ferner insbesondere mit dem U m s t a n d , daß wir jetzt deutlich in einer Entwicklung der Erkenntnis begriffen sind, die von dem mehr 53 a

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Unlauterer

privaten Charakter des Rechtsgutes eines Wettbewerbsschutzes zu der Anerkennung einer W e t t b e w e r b s o r d n u n g a l s R e c h t s g u t geht (s. oben zu 1). Daher ist es auch begreiflich, daß diese Frage der Befugnis der Polizeibehörde f ü r die B e k ä m p f u n g des unlauteren Wettbewerbs bisher sowohl in der Praxis wie in den K o m m e n t a r e n keine nennenswerte Rolle gespielt hat, aber seit der Errichtung und Betätigung des „ W e r b e r a t s der deutschen W i r t s c h a f t " in lebhafte Erörterung gekommen ist (s. unten zu 4). Jedenfalls aber muß der Polizeibehörde f ü r alle s t r a f b a r e n T a t b e s t ä n d e des unlauteren Wettbewerbs und f ü r einige andere, die ganz offensichtlich die öffentliche Ordnung mehr als das bloße private Interesse berühren, eine vorbeugende und helfende Bet ä t i g u n g eingeräumt werden, soweit (wenn wir den W o r t l a u t des § 14 des Preuß. PolVerwG. vom 1. VI. 1931 heranziehen) ,,im R a h m e n der geltenden Gesetze die nach pflichtmäßigem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen sind, u m von der Allgemeinheit oder dem Einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht w i r d " , wobei unter „öffentlicher Sicherheit" im wesentlichen ein Schutz vor solchen Schäden verstanden wird, „die entweder den Bestand des Staates oder seiner Einrichtungen oder das Leben, die Gesundheit, Freiheit, Ehre oder das Vermögen des Einzelnen b e d r o h e n " , sei es daß die Gef ä h r d u n g von Naturereignissen ausgeht oder „von Handlungen oder Unterlassungen von Menschen, insbesondere von dem Bruch einer Norm der öffentlichen oder privaten Rechtso r d n u n g " (in letzterer Hinsicht aber n u r subsidiär, also wenn nicht die Justizbehörden zuständig sind bzw. ein Notstand schnell zu beseitigen ist). Daß krasse Fälle unlauterer Wettbewerbsbetätigung, bei denen die gerichtliche Auseinandersetzung zu spät kommen würde, um sichtbare und beunruhigende Vorgänge zu beseitigen, oder bei denen die Strafverfolgung durch polizeiliche Hilfe vorbereitet oder gesichert zu werden Anlaß gegeben ist, ein Einschreiten der Polizei rechtfertigen, muß angenommen werden. Die s t r a f b a r e n Verstöße wurden bereits oben zu 1 a u f g e f ü h r t . Es sei demgemäß n u r noch auf Folgendes ein wenig näher eingegangen, ohne daß aber auch diese Gebiete hier einigermaßen erschöpfend behandelt werden oder den ganzen Umkreis der so zu umschreibenden Fälle bedeuten könnten. a) A u s v e r k a u f , R ä u m u n g s v e r k a u f , Sonderveranstaltungen. Die Bestimmungen der §§ 6ff. UWG. haben durch die VO. vom 9. III. 1932 (RGBl. I, 121) und das

Wettbewerb G. vom 26. II. 1935 ( R G B l . I, 311) eine gründliche Neugestaltung erfahren. Dabei ist die Freiheit solcher Veranstaltungen wesentlich eingeschränkt worden. Geblieben ist die Bestimmung, daß Waren, die aus einer K o n k u r s m a s s e s t a m m e n , a b e r nicht mehr zum Bestände der Konkursmasse gehören, nicht als Konkursmassewaren irgendwie bezeichnet werden dürfen. Weiter aber ist durch die VO. vom 9. III. 1932 d e r B e g r i f f „ A u s v e r k a u f " gesetzlich eingeschränkt worden, so daß als „ A u s v e r k ä u f e " ü b e r h a u p t nur noch solche Veranstaltungen angekündigt werden dürfen, die ihren Grund haben a) in der Aufgabe des gesamten Geschäftsbetriebs oder b) in der Aufgabe des Geschäftsbetriebs einer Zweigniederlassung oder c) in der Aufgabe einer einzelnen W a r e n g a t t u n g . Der Grund (daß a, b oder c vorliegt) muß bei der Ankündigung angegeben werden, d a m i t er sofort n a c h p r ü f b a r ist. Ob sich die Vera n s t a l t u n g dann „ A u s v e r k a u f " nennt oder nicht, ist hier gleichgültig (im Gegensatz zu allen andersartigen Veranstaltungen, die sich niemals mehr „ A u s v e r k a u f " nennen dürfen). Inventur- und Saisonschlußverkäufe und R ä u m u n g s v e r k ä u f e sonstiger Art sind also keine Ausverkäufe mehr und dürfen sich nicht so nennen. Der Sinn ist der, daß das „ A u s " im Worte „ A u s v e r k a u f " künftig bedeuten soll, der Verkauf mit solchen Waren oder in solchem Geschäftsbetriebe werde e n d g ü l t i g aufgegeben. Es muß, wenn der Teilausverkauf der W a r e n g a t t u n g erlaubt sein soll, sich um einen Komplex b e s t i m m t e r W a r e n a r t e n handeln, die dann endgültig aufgegeben und nicht etwa in ganz ähnlicher wenn auch qualitativ veränderter Art weiter geführt werden sollen. Ähnlich ist auch der Sinn der verordneten S p e r r f r i s t — das Verbot der Weiterf ü h r u n g nach dem jetzigen § 7 c, der an die Stelle des § 7 Abs. 4 getreten ist: „ N a c h Beendigung eines Ausverkaufs ist es dem Geschäftsinhaber, seinem E h e g a t t e n und den nahen Angehörigen beider verboten, den Geschäftsbetrieb oder einen Teil davon, dessen Aufgabe angekündigt war, fortzusetzen oder vor Ablauf eines J a h r e s an dem Ort, an dem der Ausverkauf s t a t t g e f u n d e n hat, einen Handel mit den davon betroffenen Wareng a t t u n g e n zu eröffnen. Der Fortsetzung des Geschäftsbetriebs oder der E r ö f f n u n g eines eigenen Handels steht es gleich, wenn der Geschäftsinhaber, sein E h e g a t t e oder ein naher Angehöriger beider sich zum Zwecke der Umgehung der Vorschrift des Satzes 1 an dem Geschäft eines Anderen m i t t e l b a r oder u n m i t t e l b a r beteiligt oder in diesem tätig w i r d . " Die Sperrfrist t r i f f t jeden Geschäftsinhaber, bei der offenen Handelsgesellschaft

Unlauterer W e t t b e w e r b jeden einzelnen von mehreren Gesellschaftern, bei einer Handelsgesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit jeden, der wirtschaftlich maßgebend an ihr beteiligt ist oder auf ihre G e s c h ä f t s f ü h r u n g maßgebenden Einfluß hat. Der R ä u m u n g s v e r k a u f ist durch § 7 a als T a t b e s t a n d umschrieben. Bei einem Verkauf zum Zwecke der R ä u m u n g eines bes t i m m t e n W a r e n v o r r a t s ist in der Ankündigung der Grund anzugeben, der zu dem Verkauf Anlaß gegeben hat. Was f r ü h e r als Ausverkaufsgrund bezeichnet wurde, ist jetzt R ä u m u n g s v e r k a u f s g r u n d , während der wirkliche „ A u s v e r k a u f " nur die oben genannten im Gesetz festgelegten Gründe haben darf. Der Räumungsverkauf kann zwar verschiedene, aber doch nicht ganz beliebige Gründe haben, d. h . : es müssen Gründe und nicht Zwecke sein. Z u r e i c h e n d e r Grund pflegt z. B. zu sein: Auseinandersetzung, Brandschaden, Aufgabe einer Verkaufsstelle, Umzug, Geschäftsverlegung, Geschäftsübergang; u n z u l ä s s i g als Grund (weil zumeist „ Z w e c k " ) : Kehraustage, Um zu räumen, Um Platz zu schaffen, Weil nicht mehr in allen Größen und Farben vorrätig, Geplanter U m b a u (zu dem der Räumungsverkauf erst die Mittel schaffen sollte) u. dgl. Auch Restpostenverkäufe müssen einen plausiblen Grund haben (Angestaubt, Mit Fehlern, Unmodern).

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durch Mißbräuche, die immer noch gerade mit diesen Sonderveranstaltungen getrieben worden sind. Die Sonderveranstaltungen wie „Weiße Wochen", „Billige H a n d s c h u h t a g e " , „Werbewochen", „Reklametage", „Ausn a h m e t a g e " , „ O s t e r v e r k a u f " usw. sind entweder nur unmaßgebliche Bezeichnungen oder es ist eine juristische Einreihung unter die schon genannten Formen der Räumungs- oder Saisonverkäufe möglich oder es handelt sich um Ankündigungen, die daraufhin zu untersuchen sind, ob ein Verstoß gegen § 1 UWG. (Verstoß gegen die guten Sitten) oder §§ 3 u. 4 UWG. (irreführende, unwahre Anpreisung) vorliegt. Durch Anordnung des RWirtschMin. vom 14. III. 1935 (RAnz. Nr. 65 vom 18. I I I . 1935) sind Veranstaltungen in der Art der „Weißen Wochen" f ü r 1935 verboten worden. Bezüglich der anderen bezeichneten Arten besteht eine ziemliche Unklarheit über die Rechtslage. Die Grenze zwischen „ b l o ß e r " marktschreierischer Anpreisung einerseits und „ V e r a n s t a l t u n g " andererseits ist k a u m scharf zu ziehen. Während man lange Zeit hindurch eine „bloße Marktschreierei" glaubte entschuldigen zu sollen, ist mit Recht die Anschauung auch des Reichsgerichts jetzt strenger geworden (vgl. RG. in H R R . 1929, 1985 u. R G S t . 63, 120).

F o r m e l l e V o r s c h r i f t e n f ü r Räumungsverkäufe (Anmeldung, Einreichung eines Warenverzeichnisses bei der Verwaltungsbehörde usw.) gibt § 7 b UWG., und der Preuß. Minister f ü r Handel und Gewerbe h a t durch Erlaß vom 22. III. 1932 ein M u s t e r e i n e r A u s v e r k a u f s o r d n u n g empfohlen, in welchem die gesetzlichen Bestimmungen etwas näher praktisch umschrieben sind und in welchem z. B. die Dauer der Ausverkäufe zwei Monate nicht überschreiten darf, abgesehen von besonders begründeten Ausnahmefällen, in denen die zuständige Polizeibehörde eine Fristverlängerung bewilligen kann. b) P r e i s u n t e r b i e t u n g , Z u g a b e n , R a b a t t e . Es hängt von der jeweiligen Wirtschaftslage ab, ob gegen Preiserhöhungen (Teuerung, Preiswucher) oder gegen Preisschleuderei einzuschreiten ist. Zu hohe Preise in Zeiten, in denen W a r e n v e r k n a p p u n g eintritt, können nur mit unmittelbaren Bestimmungen und Eingriffen b e k ä m p f t werden. Zum Gebiet des „unlauteren W e t t b e w e r b s " jedoch gehören die Fragen der Preisschleuderei und Preisunterbietung. Tritt dergleichen bei preisgebundenen Waren (Markenartikeln, Konzern- und Kartellpreisregelungen) ein, so liegt zumeist Vertragsbruch oder Verstoß gegen bestimmte verbindlich eingegangene Die Neugestaltung des § 9 ist veranlaßt Zusagen v o r ; auch bei Außenseitern ist es 53a*

Die in der VO. vom 9. I I I . 1932 besonders a u f g e f ü h r t e n S a i s o n s c h l u ß - u n d I n v e n t u r v e r k ä u f e sind durch das G. vom 26. II. 1935 aus dem Gesetzeswortlaut fortgefallen, während S o n d e r v e r a n s t a l t u n g auch bisher schon eine nicht im Gesetzestext vorkommende, aber seinem Sinne entsprechende Bezeichnung war. An die Stelle dieser beiden Bezeichnungen t r i t t jetzt durch die Neufassung eine n u r a u f obrigkeitlicher Zulassung beruhende, nicht näher definierte Veranstaltung. Es k a n n danach also keine Berufung des Einzelnen auf den gesetzlichen Begriff eines „Saisonschluß-" oder „ I n v e n t u r v e r k a u f s " oder einen Streit u m Üblichkeit oder Notwendigkeit solcher V e r a n s t a l t u n g mehr geben, vielmehr ist es in die diskretionäre Gewalt der Behörde (Reichswirtschaftsminister oder eine von ihm b e s t i m m t e Stelle bzw. subsidiär die höhere Verwaltungsbehörde nach Anhörung der zuständigen Handels-, Handwerks- und I n d u s t r i e v e r t r e t u n g e n ) gelegt, ob u n d wie weit eine „allgemeine Zulassung von Verkäufen, die um die Wende eines Verbrauchsa b s c h n i t t s s t a t t f i n d e n " , ausgesprochen wird. Dies wird noch durch A u s f ü h r u n g s - und Durchführungsbestimmungen fester umschrieben.

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Unlauterer W e t t b e w e r b

häufig Vertragsbruch, der sie zu der Preisu n t e r b i e t u n g in den Stand setzt, oder es handelt sich um Kampf gegen die Organisation. Wichtiger ist die Preisunterbietung bei Waren und Leistungen mit freier Preisgestaltung. „ E i n b r ü c h e in das Preissystem" hält das Kammergericht ( G R U R . 1930, 1053ff.) f ü r u n l a u t e r ; das ist insbesondere dann richtig, wenn die Gründe solcher Preisgestaltungunzulänglich und unsauber sind und somit das Ergebnis irreführend ist. Wenn das P u b l i k u m sich wundert, wieso es dem betreffenden K a u f m a n n möglich ist, so sehr unter dem regulären Preise zu bleiben, dann ist schon der Anfang einer unlauteren Irrtumserregung gemacht, und nur wirklicher Leistungswettbewerb, der jenen niedrigen Preis erklärt und rechtfertigt, könnte den „Schleuderer" exkulpieren. Ist eine Ware im Keller oder im Etagengeschäft billiger als im eleganten Laden der besten Gegend, dann fällt solche Unterbietung noch in den wirtschaftlich und rechtlich verständlichen W e t t bewerbskreis, den der Käufer wie der W e t t bewerber anerkennen m u ß ; fehlen jedoch die plausiblen Gründe, so nähert sich der Vorgang dem wettbewerblich Sittenwidrigen. Außerhalb vernünftiger und verständlicher Kalkulation, losgelöst von wahren wirtschaftlichen Gründen, aufgebaut auf den H a u p t - oder Nebengedanken der Irrtumserregung ist auch auf dem Markt der freien Preisgestaltung eine zu unlauterer Schleuderei werdende Preisunterbietung möglicher T a t b e s t a n d ; sein Vorhandensein m u ß jedoch mit besonderer Sorgfalt und kann nur im Sinn der sich durch das UWG. ziehenden Grundgedanken festgestellt werden. In ähnlicher Weise darf auch § 11 U W G . herangezogen werden, der die M e n g e n v e r s c h l e i e r u n g bei gewissem Waren verbietet, da es leicht zu einer irreführenden Preisunterbietung wird, wenn der Preis billiger, aber die P a c k u n g kleiner, kürzer, leichter ist. Auch darin liegt das Moment der verbotenen Irrtumserregung. Insbesondere aber ist das noch der Fall bei dem von der reichsgerichtlichen J u d i k a t u r herausgearbeiteten Verbot, Preise bei der Ankündigung und Auszeichnung ausdrücklich mit Preisen der Konkurrenz z u v e r g l e i c h e n , namentlich wenn jene Konkurrenz mit Namen genannt wird ( R G . in J W . 1927,1574). Solche Preisvergleichung wurde namentlich deshalb als unlauter bezeichnet, weil es unmöglich sei, die Qualitätsunterschiede sogleich zu ermessen, somit ein Unwahrhaftigkeitsmoment in der bloßen Hervorhebung des Preisunterschiedes liegt. Also auch hier: nicht die Preisunterbietung an sich ist unlauter, wohl

I aber jedes Moment der Irrtumserregung, das dabei mitspricht. Hinzuweisen ist schließlich noch auf die VO. über W e t t b e w e r b vom 21. X I I . 1934 (RGBl. I, 1280), die sich gegen Preisunterbietung und Angebote unter Selbstkosten wendet und dergleichen mit Strafe bedroht, wenn der Betreffende zahlungsunfähig wird. In diese Gruppe unlauterer Wettbewerbsbetätigung gehört auch die unzulässige Z u g a b e n - und R a b a t t g e w ä h r u n g . In der VO. vom 9. III. 1932 (RGBl. I, 121) war ein b e d i n g t e s Z u g a b e v e r b o t ausgesprochen worden — bedingt insofern, als man noch sieben, zum Teil ganz einschneidende, A u s n a h m e n zugelassen hat. Eine davon, die einschneidendste (Zulässigkeit der Zugabe, wenn Barvergütung an deren Stelle gewährt wird), ist durch G. vom 12. V. 1933 (RGBl. I, 264) wieder beseitigt worden. Spricht also § 1 der Verordnung zunächst ein Verbot aus, Zugaben neben einer Ware oder einer Leistung anzubieten, anzukündigen oder zu gewähren, wozu auch die gegen ein nur scheinbares, geringfügiges Entgelt gegebene oder zur Verschleierung der Zugabe vorgenommene „ G e s a m t p r e i s " b e r e c h n u n g f ü r mehrere Waren gehört, so ist alsdann in Abs. 2 sowohl jeglicher R a b a t t (Bar- und Mengenrabatt), ferner die Hingabe von geringwertigen Reklamegegenständen (Gegenständen mit deutlich sichtbarem Firmenaufdruck) und von handelsüblichem Zubehör und handelsüblichen Nebenleistungen erlaubt worden. Was „Kleinigkeiten von geringem W e r t " sind, wird nicht immer eindeutig zu beantworten sein, und es ist bereits die Frage aufgetaucht, ob der Wert der Zugabe größer sein darf, wenn auch der Wert des H a u p t einkaufs größer ist, also eine gewisse Relativit ä t der Preise zu einander maßgebend sein kann. Das ist zu verneinen; nur nach u n t e n gibt es eine Begrenzung: zu ganz kleinen Einkäufen darf keine im Verhältnis dazu nicht passende, wenn auch an sich noch geringwertige Zugabe gewährt werden. Das Merkmal „geringer W e r t " ist von U m s t ä n d e n des Falles, von der Lage des Gebers oder Empfängers abhängig. Ein R e k l a m e g e g e n s t a n d ist z. B. ein Luftballon mit auffälligem Firmenaufdruck, der „ d a u e r h a f t und deutlich s i c h t b a r " angebracht ist. Ein Mißbrauch und eine Gesetzesumgehung aber ist es, wenn Gegenstände, die einen selbständigen Handelswert besitzen und g e k a u f t zu werden pflegen, als Zugabe verwendet werden, indem m a n ihnen einen kleinen R e k l a m e a u f d r u c k gibt. Die Geringwertigkeit kann freilich durch den Firmenaufdruck teilweise erzielt werden, wenn nämlich ein solcher den Gegenstand aus

Unlauterer W e t t b e w e r b den im Handel ordnungsmäßig gekauften Waren herausnimmt. Als handelsübliches Zubehör ist nicht nur die gewöhnliche Verp a c k u n g oder die nach Sachlage begründete Zusendung anzusehen; es gibt auch andere Fälle, aber sie sind verhältnismäßig eng begrenzt. — Ganz ähnliche Bestimmungen hat ein ö s t e r r e i c h i s c h e s G. vom 20. VI. 1929. Viele Fragen aber knüpfen sich an die Zulässigkeit der B a r - und M e n g e n r a b a t t e . Hier ist ein deutlicher Unterschied zu machen zwischen der Regelung f ü r j e d e n geschäftlichen Verkehr — in der Zugabengesetzgebung — und der Regelung f ü r den Handel mit dem l e t z t e n V e r b r a u c h e r — in dem PreisnachlaßG. vom 25. XI. 1933 (RGBl. I, 1011 ff.)- G l e i c h ist f ü r beide Gruppen, daß Mengenrabatt nur in g l e i c h e r Ware gegeben werden darf — ein Begriff, der überwiegend sehr eng als „in absolut gleicher W a r e n a r t " (Dessin, Qualität) aufgefaßt wird. V e r s c h i e d e n aber ist, daß die prozentuale Begrenzung des Barzahlungsrabatts nur f ü r den Verkehr mit dem letzten Verbraucher festgelegt ist, und daß ebenfalls nur f ü r letztere beim Mengenrabatt die Hingabe der Ware „in e i n e r Lieferung" erforderlich ist. Aber der „ M e n g e n r a b a t t " kann auch durch Preisnachlaß gewährt werden. Näher auf diese Fragen ebenso wie auf die noch daneben erlaubten Sondernachlässe in bestimmten Fällen und Treuevergütungen bei Markenartikeln kann hier nicht eingegangen werden (vgl. d a f ü r die K o m m e n t a r e zu diesen Gesetzen). Zugaben auf dem Wege der A u s s p i e l u n g , Werbelotterie, Preisrätsel u. dgl. zu gewähren, m u ß aber nach der Verordnung als ausgeschlossen erscheinen. W a r bisher das Recht der wettbewerblichen Ausspielung schwierig und die Rechtsprechung des Reichsgerichts durch ihre Theorie vom „versteckten Eins a t z " (der z. B. auch bei Nichterhöhung der Preise angenommen wurde 1) auf nicht richtigem Wege, so sind diese Zweifelsfragen bei der Verbindung mit Zugabengewährung insofern beseitigt, als eben auch erlaubte Zugaben gemäß § 1 Abs. 3 letzter Satz nicht „ v o n dem Ergebnis einer Verlosung oder einem anderen Zufall" abhängig gemacht werden dürfen. c) U n w a h r e A n g a b e n u n d ü b l e N a c h r e d e . Die Sorge f ü r Innehaltung der geschäftlichen Wahrheit im öffentlichen Leben löst sich immer mehr aus der Sphäre rein privatrechtlicher Behandlung und Verfolgung und wird zum Gegenstand öffentlicher Bea c h t u n g , da solche wettbewerbliche Unwahrhaftigkeit in Fällen bewußter Vorsätzlichkeit s t r a f b a r ist und da überdies die Verfolgung

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von A m t s wegen immer dann angebracht ist, wenn beispielsweise ein nach § 13 UnlWG. a k t i v legitimierter Interessentenverband den Fall aufgestochen h a t und klagbar geworden ist (s. oben zu 1). Die §§ 3 und 4, die die unwahre Anpreisung, die §§ 14 und 15, die die Schädigung f r e m d e n Betriebes und Kredites durch unwahre Äußerungen (üble Nachrede) verbieten, und § 16, der den Firmen- und N a m e n m i ß b r a u c h verpönt, ruhen auf dem Gedanken der Wahrhaftigkeit. Der Inhalt der Anpreisung kann sich beziehen: a) auf geschäftliche Verhältnisse (Alter und Größe des Geschäfts, Stellung und Persönlichkeit des Inhabers, Benennung als „ F a b r i k " oder „ W e r k e " u. dgl.), b) Beschaffenheit, Ursprung, namentlich geographische H e r k u n f t angabe, Herstellungsart und Benennung der Waren (hier ergänzend § 16 und das WZG.). c) Art der Leistung — also das f ü r die Qualität der Leistung Wesentliche, ähnlich wie bei der Anpreisung der Waren, d) Bezugsart, Bezugsquelle, Preisbemessung (z. B. zum Selbstkostenpreis, gratis bei A b n a h m e von etwas anderem oder dgl.), e) Besitz von Auszeichnungen, f) Anlaß des Verkaufs und Menge der Vorräte (Gelegenheitskauf, „ n u r solange V o r r a t " , „ n u r auf kurze Zeit"). Richtigkeit und Unrichtigkeit bedeutet einen Maßstab wirklicher materieller W a h r heit im Gegensatz zu n u r formaler Richtigkeit; es k o m m t also auf die dynamische Wirkung einer Äußerung, auf den Gesamteindruck an (vgl. R G S t . 44, 143); auch Verschweigen von Tatsachen ist, wenn deren Angabe f ü r die W e t t b e w e r b s h a n d l u n g wesentlich wäre, eine unwahre Äußerung ( R G Z . 96, 243, R G S t . 45, 376). Der Begriff „ A n g a b e " in §§ 3 und 4 bedeutet insoweit Angaben tatsächlicher Art, daß die Angaben n a c h p r ü f b a r sein müssen, bei bloßen Werturteilen oder leeren Redensarten ist m a n nachsichtiger, obwohl auch dies eine Bek ä m p f u n g rechtfertigte. Die Angaben müssen, um eine unlautere W e t t b e w e r b s h a n d l u n g zu sein, einen günstigeren Anschein, als es den Tatsachen entspricht, zu erwecken geeignet sein, d. h. insofern eine Wirkungsmöglichkeit besitzen, und zwar f ü r den in Betracht k o m m e n d e n Abnehmerkreis. Die ü b l e N a c h r e d e ( K r e d i t s c h ä d i g u n g ) gegen den K o n k u r r e n t e n sucht auf a n d e r e m Wege zu wirken; sie will die Ware oder Leistung des Anderen herabsetzen. Der Ausdruck „ T a t s a c h e n " in § 14 bedeutet konkrete Vorgänge, greifbare und n a c h p r ü f b a r e Motive, Absichten, Ziele, die der Anpreiser dem Anderen vorwirft — das Reichsgericht sagt dazu (MuW. 1920, S. 158): „Als T a t sachen sind nicht rein subjektive Urteile und Kritiken zu verstehen. Wenn jedoch

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Unlauterer W e t t b e w e r b

d a m i t zugleich etwas als v o r h a n d e n hingestellt und an dieses ein Urteil g e k n ü p f t wird, um das als vorhanden Hingestellte zu beleuchten und zu bewerten, und damit die Möglichkeit gegeben ist, das Urteil auf seine Richtigkeit nachzuprüfen, so liegt eben darin gleichzeitig auch die B e h a u p t u n g einer T a t sache". Die Grenze zu ziehen ist natürlich oft recht schwierig. Die Beweisbarkeit einer Äußerung spielt eine wichtige Rolle hierbei. Zu der Unwahrheit der b e h a u p t e t e n oder verbreiteten „ T a t s a c h e n " m u ß hier hinzutreten, daß sie „geeignet sind, den Betrieb des Geschäfts oder den Kredit des Inhabers zu schädigen" — also auch hier das Erfordernis der Wirkungsmöglichkeit, aber hier auf dem Umwege über das Urteil der Allgemeinheit; denn Kredit ist eine Vertrauenstatsache. W ä h r e n d man bei der unlauteren Anpreisung es auf die eigenen K ä u f e r abgesehen hat, richtet sich die Kreditschädigung an die Adresse der Käufer des Anderen. Öffentlichkeit der Verbreitung der B e h a u p t u n g ist nicht Voraussetzung, sie kann auch von Mund zu Mund geschehen, und vertrauliche Mitteilungen können auch hierher gehören. F ü r die gewerbsmäßige oder gelegentliche A u s k u n f t e r t e i l u n g , f ü r die diese Bes t i m m u n g gefährlich werden könnte, ist Abs. 2 des § 14 geschaffen, welcher vertrauliche Mitteilungen, an denen der Mitteilende oder der E m p f ä n g e r ein berechtigtes Interesse h a t , f ü r zulässig erklärt, wenn nicht die T a t sachen der Wahrheit zuwider b e h a u p t e t oder verbreitet werden. d) B e s t e c h u n g , S c h m i e r g e l d e r . Zu den gesetzlich behandelten Unlauterkeiten des A n g e s t e l l t e n im W e t t b e w e r b gehören vor allem noch die A n n a h m e v o n B e s t e c h u n g s g e l d e r n von Geschäftsleuten, die beim Abschluß von Verträgen, bei Lieferung oder dgl. bevorzugt werden wollen (§ 12 UWG.). Der Bestechende und der Bestochene sind s t r a f b a r . Hier handelt es sich zwar n i c h t in erster Linie um die Treupflicht gegen den Prinzipal, sondern u m den Schutz des Mitbewerbers, aber die Verletzung der Treupflicht gegen den Prinzipal ist dabei mit im Spiele und stellt den T a t b e s t a n d der arglistigen Täuschung dar. Wesentlich ist die Bevorzugung eines Lieferers oder K u n d e n als D a n k f ü r das Schmiergeld und u n t e r unanständiger Durchquerung des geschäftlich Üblichen. Gewährung und A n n a h m e von Vorteilen durch Geschäftsfreunde ist erlaubt, wenn dadurch nicht der W e t t b e w e r b Anderer in unlauterer Weise ausgeschaltet oder beeinträchtigt wird. Damit stimmt auch RGZ. 107, 208ff. überein, wo freilich nicht die Gültigkeit eines solchen Geschäfts schon wegen der unlauteren Handlungsweise des

Bestechenden oder des Bestochenen beseitigt wird. Es wird also zwischen Nichtigkeit des Geschäfts und Unanständigkeit des Verhaltens des Bestechenden unterschieden, Aber das ändert nichts daran, daß die Strafe f ü r solche unlautere W e t t b e w e r b s h a n d l u n g eintritt, und zwar f ü r b e i d e Beteiligte (§ 12 UWG.). Zu beachten ist, daß auch das a b g e l e h n t e Schmiergelderangebot und das n i c h t angenommene Angebot unlauterer Dienste s t r a f b a r macht, natürlich nur denjenigen, der das Angebot machte, nicht den Anderen, der es zurückwies. Die Fassung des P a r a g r a p h e n ist absichtlich w e i t : „ a n d e r e Vorteile" können von allerlei Art sein; also keineswegs nur Geld und Geldeswert, auch Zuwendungen an dritte Personen rechnen dahin. 3. W e r b e r a t u n d P o l i z e i . Über die Zuständigkeit der Polizei bei Verstößen gegen den lauteren W e t t b e w e r b wurde schon zu 2 (s. oben) einiges Allgemeine ausgeführt. Als maßgebend m u ß t e dabei angesehen werden, ob nach allgemeinen Grundsätzen die Polizei hier Hilfe f ü r die Strafverfolgungsbehörden zu leisten und ob sie im gesetzlich gegebenen R a h m e n f ü r die öffentliche Sicherheit zu sorgen habe. Der W e r b e r a t d e r d e u t s c h e n W i r t s c h a f t (Berlin W 8, T a u b e n s t r . 37) und seine Bekanntmachungen nehmen eine Sonderstellung ein. Ihr Ziel ist vorwiegend eine kulturelle Reinigung des Wettbewerbswesens; dies dient der W e t t b e w e r b s o r d n u n g ; doch bleibt es fraglich, ob solche W a h r u n g dieser öffentlichen Ordnung schon der W a h r u n g der öffentlichen Sicherheit gleichzusetzen ist. Manches, was im W e t t b e w e r b geschieht oder f r ü h e r geschah — Zugaben, R a b a t t e , Verlosungen, Preisausschreiben, Sonderveranstaltungen, marktschreierische Schilder usw. — erscheint dem Einen schlechthin so anstößig, daß er sofortiges polizeiliches Einschreiten f ü r unerläßlich hält, während ein Anderer in manchen Fällen solcher Art nichts Anstößiges findet. Daher ist die Streitfrage entstanden, bei der beispielsweise v. B r a u n m ü h l - Z w e c k und O e s t e r l e die polizeiliche Zuständigkeit bejahen, R e i m e r und C u l e m ä n n jedoch sie verneinen. Ist, wie z. B. bei den Bestimmungen des U W G . über Ausverkauf usw. eine Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde im Gesetz vorgesehen, so rechtfertigt sich ein polizeiliches Recht von dort her, andererseits ist bei schwierigen, nur zwischen zwei oder mehreren K o n k u r r e n t e n vorliegenden Wettbewerbsstreitigkeiten die öffentliche Sicherheit gewiß nicht gefährdet. Bezüglich des Inhalts der Werberatsbestimmungen wird die Beantwortung der Streitfrage darauf beruhen, ob man den Schutz jeder Rechtsnorm

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Unlauterer Wettbewerb als Bestandteil der öffentlichen Ordnung ansieht und wie weit man überhaupt das Wesen einer Wettbewerbsordnung als einen Teil der öffentlichen Sicherheit ansehen will. Die Frage wurde insbesondere dahin spezifiziert, wie weit die Polizei auf E r s u c h e n des Werberats tätig zu werden habe; nach einer Erklärung des Präsidenten des Werberats („Wirtschaftswerbung" 1934, Nr. 21) wird der Werberat die zuständigen Polizeibehörden „vorläufig nur von Fall zu Fall ersuchen", bei der Durchführung der Maßnahmen mitzuwirken; solchem Ersuchen aber muß wohl analog § 29 der 1. DurchfVO. zum ReichskulturkammerO. vom 1. XI. 1933 (RGBl. I, 797) entsprochen werden. Zweifellos wird aber der Werberat ein solches Ersuchen in Fällen wirklicher Gefährdung der öffentlichen Ordnung an die Polizeibehörde richten, um ganz im Rahmen der gesetzlichen Voraussetzungen zu bleiben, dann aber auch die polizeiliche Hilfe zu beanspruchen haben. Der Begriff des öffentlich anstößigen Mißstandes, der eben verschiedener Auffassung zugänglich ist, wandelt sich nach der Volksmeinung und namentlich nach der Anschauung der „beteiligten Kreise"; zumal ja sowohl die „wettbewerbliche Sitte" wie auch der „wettbewerbliche Geschmack" auf die Dauer mit der volksmäßigen Überzeugung, von der sie getragen wurden, in Einklang stehen muß. Abgesehen hiervon aber gibt es noch Stellen und Organisationen, mit denen sich die Strafverfolgungsbehörden zweckmäßigeroder notwendigerweise in Verbindung setzen sollen, wenn entsprechende Verstöße zu ihrer Kenntnis gelangen. Es seien insbesondere genannt: 1. Zentralstelle zur Bekämpfung der Schwindelfirmen, Geschäftsstelle in Hamburg 11, Börse, Zimmer 86 (vgl. hierzu JMB1. 1933 S. 258 betr. Abt. Z der Industrie- und Handelskammer in Berlin und Deutsche Justiz 1934 S. 794); 2. Verein gegen das Bestechungsunwesen e. V. in Berlin W 35, Matthäikirchstr. 28 (vgl. hierzu § 43 der AV. d. JM. vom 12. X I I . 1927, JMB1. 1927, 395; ferner R G S t . 68, 263; 69, 135); 3. Reichsausschuß f ü r das Zugabeverbot e. V. in Berlin-Zehlendorf-Mitte, Schweitzerstraße 1 a ; 4. Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs der Einzelhandelsvertretung der Industrie- und Handelskammer zu Berlin NW 7, Dorotheenstr. 8 ; 5. Sonderausschuß f ü r Wettbewerbsfragen der Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels und des Deutschen Industrie- und Handelstages, Berlin. 4. F ü r d i e i n t e r n a t i o n a l e B e k ä m p -

fung des u n l a u t e r e n Wettbewerbs (außerhalb des Warenzeichenrechts) geben Art. 10b u. 10c der P a r i s e r Ü b e r e i n k u n f t vom 20. III. 1883 (revidiert 1900, 1911, 1925, AusfG. vom 31. III. 1913, RGBl. 236) eine Art Generalklausel wie im deutschen Recht unter besonderer Betonung von Tatbeständen wie nach unserem § 14 UWG. (üble Nachrede) und § 15 WZG. (Ausstattungsschutz) und eine Stütze des § 16 UWG. (Namenrecht). Art. 8 schützt den Handelsnamen, auch wenn er nicht Teil einer Fabrikoder Handelsmarke ist, Art. 9 gibt Beschlagnahme und Einfuhrverbot einen Handelsnamen widerrechtlich tragender Erzeugnisse, und diese Bestimmung des Art. 9 bezieht sich auf jedes Erzeugnis, das eine falsche Herkunftsbezeichnung trägt. Hierhergehört auch das 2. M a d r i d e r A b k o m m e n vom 14. IV. 1891 betr. Unterdrückung falscher Herkunftsangaben (revidiert 1911 und 1925), dem das Deutsche Reich durch ReichsG. vom 21. III. 1925 (RGBl. II, 115) beigetreten ist. Aus dem Schrifttum: R e i m e r , Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, Zwei Bände, Berlin 1934/35. — K o m m e n t a r e zum G e s e t z g e g e n d e n u n l a u t e r e n W e t t b e w e r b von Q e i mer, Rosenthal, Callmann, Baumb a c h , E l s t e r ; zur Z u g a b e n g e s e t z g e b u n g von K l a u e r , Gottschick, E l s t e r ; zum P r e i s n a c h l a ß g e s e t z von M i c h e l - W e b e r , E l s t e r ; zum Wirts c h a f t s w e r b u n g s g e s e t z von v. B r a u n mühl-Zweck. — O e s t e r l e , Neues Wirtschaftsrecht, Berlin 1934. — Dort überall unzählige Literaturnachweise. — O e s t e r l e und C u l e m a n n , Werberat und Polizei (Die Polizei, 1934, Nr. 11 u. 24). — C u l e m a n n , in J W . 1934, 1950 u. 2675. — P. M ü l l e r , Die Einigungsämter f ü r W e t t bewerbsstreitigkeiten, MinBl. f. Wirtsch. u. Arbeit 1935 S. 137 ff. — Wirtschaftsblatt d. Industrie- u. Handelskammer zu Berlin, Sonderheft, „Der lautere W e t t bewerb", 1935 S. 12. — Z e i t s c h r i f t e n : W i r t s c h a f t s w e r b u n g , Mitteilungsblatt des Werberates der deutschen Wirtschaft (Berlin, Carl H e y m a n n ) ; A r c h i v f ü r W e t t b e w e r b s r e c h t , Zeitschr. zur Förderung des lauteren Wettbewerbs unter besonderer Berücksichtigung des Werberechts (Berlin, Franz Vahlen). Alexander

Elster.

Unnatürlicher Tod s. Mord. Unterschlagung s. Untreue und Unterschlagung. Untersuchung s. Voruntersuchung.

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Unterschrift Unterschrift.

1. J u r i s t i s c h e s . Die grundlegende Bestimmung über die Bedeutung der Unterschrift im Rechtsverkehr enthält § 416 ZPO.: „ P r i v a t u r k u n d e n begründen, sofern sie von den Ausstellern unterschrieben oder mittels gerichtlich oder notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet sind, vollen Beweis dafür, daß die in denselben enthaltenen Erklärungen von den Ausstellern abgegeben sind." Hier tritt der urkundenbegründende Charakter der Unterschrift mit aller Deutlichkeit hervor. Es ist gleichgültig, ob der Text solcher Urkunden handschriftlich oder maschinenschriftlich, eigenhändig oder von einem Dritten hergestellt ist, mit der einzigen Ausnahme des eigenhändigen Testaments (§ 2231 Nr. 2 BGB.). Unleserliche Unterschriften machen die Urkunde zwar nicht rechtsunwirksam, führen aber sehr leicht und oft zu Streitigkeiten, weshalb die Pflege und Anwendung einer leserlichen Namensunterschrift im Verkehr sehr notwendig ist. Die Unterstützung kranker oder verletzter Personen bei Leistung der Unterschrift (oder eines eigenhändig zu schreibenden Testaments) ist zulässig, jedoch keine „ H a n d f ü h r u n g " , bei der die Hand in der vom Schreiber gewollten Bewegung nicht mehr frei ist, der individuelle Beweiswert des Namenszuges zu stark beeinträchtigt wird und der Einfluß der Hand des Fremden zu stark mitwirkt. Der 4. Zivilsenat des Reichsgerichts hat sich in mehreren veröffentlichten Entscheidungen über die Voraussetzungen ausgesprochen, unter denen bei fremder Hilfe eine eigenhändig geschriebene Erklärung und eine eigenhändige Unterschrift im Sinne des § 2231 Nr. 2 und § 2242 BGB. anzunehmen ist. Dieser Auffassung hat sich auch das Kammergericht angeschlossen, vgl. J a h r b . d. Entsch. d. Kammergerichts 48 (1916), 82ff. Die dort veröffentlichten Rechtsgrundsätze haben folgenden W o r t l a u t : 1. Eigenhändige Schrift liegt nicht vor, wenn der Erblasser bei der Niederschrift völlig unter fremder Herrschaft und Leitung gestanden hat, da dann nicht die eigene Hand des Erblassers, sondern die des Dritten die Niederschrift bewirkt hat. 2. Eigenhändige Schrift liegt vor, wenn der Dritte der Hand des Erblassers nur Unterstützung zur Ermöglichung der Niederschrift geliehen hat. 3. Auch dadurch, daß der Dritte bei der Herstellung der Schrift mitbestimmend mitgewirkt hat, wird die Annahme einer eigenhändigen Schrift des Erblassers noch nicht ausgeschlossen, solange dieser sie auch selbst

mit seiner eigenen Hand so, wie er es wollte, hergestellt hat. 2. K r i m i n a l i s t i s c h interessiert die Unterschrift nachfolgenden Gesichtspunkten: a) Die Unterschrift ist von einem Dritten gefälscht, und zwar entweder durch mechanische oder freihändige Schriftnachahmung nach dem Vorbild einer echten Unterschrift. b) Die Unterschrift ist zwar echt, d. h. vom Namensträger eigenhändig geschrieben, aber entweder zum Zwecke der Täuschung und Vorbereitung eines Einwandes der Fälschung verstellt geschrieben (sogenannte Selbstfälschung) oder infolge zufälliger Begleitumstände vom Namensträger als eigene Unterschrift nicht wiedererkennbar, oder sie ist erschlichen. c) Vorbeugung gegen Unterschriftsfälschungen. Zu a : Die Fälschung einer Unterschrift geschieht m e c h a n i s c h im Wege der D u r c h p a u s u n g , und zwar unterscheidet man die Übertragung einer Unterschrift auf die zu fälschende Urkunde durch Nachfahren nach einer untergelegten echten Unterschrift im durchfallenden Licht (direkte Übertragung ohne Hilfszeichnung) oder die indirekte Übertragung nach vorheriger (durchgepauster) Strichvorzeichnung und nachheriger Überschreibung mit Tinte. Die Vorzeichnung kann bei durchfallendem Licht gemacht werden oder bei auffallendem Licht mit Hilfe eines Kopierpapieres. Die f r e i h ä n d i g e N a c h a h m u n g erfolgt durch Ähnlichgestaltung der zu fälschenden Unterschrift bei ständiger Kontrolle der Schreibbewegung im Rahmen des daneben gelegten Vorbildes. Sie kann auch dadurch erfolgen, daß der Fälscher die in seinem Besitz befindliche fremde Unterschrift „ e i n ü b t " , um so einen „gewandteren" Namenszug zu erzielen; er wird manchmal diese „ E i n ü b u n g " dann f ü r nötig halten, wenn er die zu fälschende Unterschrift vor den Augen eines kontrollierenden Beamten oder Angestellten (z. B. am Post- oder Bankschalter) zu leisten hat. Fehlt dem Fälscher ein Vorbild oder hat er die (ihm mögliche) Beschaffung einer echten Unterschrift verabsäumt, dann wird er entweder die Nachahmung nach dem Gedächtnis vorzunehmen versuchen oder ganz nach eigenem Gutdünken, also ohne jedes Vorbild die Unterschrift eines existierenden oder — wenn der Fall entsprechend anders liegt — eines überhaupt nicht existierenden Menschen unter die zu fälschende Urkunde setzen, um sich z. B. einen „Beleg" f ü r den „rechtmäßigen" Erwerb einer gestohlenen Sache zu verschaffen. In diesem Falle wird er die fremde Unterschrift, von der er kein

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Unterschrift Vorbild hat, mit unverstellter oder mit verstellter Schrift ausführen. Bei Massenfälschungen, wie sie häufig von Provisionsreisenden ausgeführt werden, bemüht sich der Fälscher, die Verschiedenheit der angeblichen Besteller durch möglichst weitgehende und abwechselnde Schriftverstellung vorzutäuschen. Es wird ihm aber nicht möglich sein, eine solche Reichhaltigkeit fremder Schriftmerkmale vorzutäuschen, die eine Feststellung solcher Fälschungen verhindern könnte. Nur in ganz seltenen Fällen wird ein raffinierter Fälscher den Namenszug seines Opfers so eingehend studieren, daß er auch die Feinheiten ihrer Entwicklung mitberücksichtigt. Bei der Schriftuntersuchung wird der Sachverständige meistens Anhaltspunkte finden können, ob und inwieweit typische Fälschungsmerkmale nachweisbar sind und in welchen individuellen Merkmalen die Echtheit einer bestrittenen Unterschrift erkennbar ist. Dabei kann er manchmal zeitwidrige Abweichungen feststellen, wenn nämlich der Fälscher z. B. eine veraltete Unterschrift (aus früheren Jahren) als Vorbild wählt, die der Geschädigte zur Zeit des Urkundenausstellungsdatums unmöglich geschrieben haben kann. Der Nachweis gepauster Unterschrift kann besonders dadurch überzeugend geführt werden, daß entweder 2 oder mehrere der vorliegenden bestrittenen Unterschriften sich beim Aufeinanderlegen und Betrachten im durchfallenden Licht weitgehend decken, wie es bei natürlich entstandenen Unterschriften grundsätzlich nicht der Fall sein kann, oder dadurch, daß noch Spuren der Vorzeichnung an den Strichrändern nachweisbar sind. Es ist außerordentlich schwierig, eine vorgezeichnete Schrift so nachzufahren, daß keine Entgleisungen eintreten, erst recht nicht, wenn der Fälscher auch die individuelle Schreibschnelligkeit nachahmen wollte. Manchmal versucht der Fälscher die überstehenden Vorzeichnungsstriche durch Radieren zu entfernen, was aber wiederum Fälschungsspuren hinterläßt. Vorzeichnungsstriche sind auch dadurch nachzuweisen, daß die darüber liegende Tintenschrift an geeigneten Versuchsstellen mit chemischen Mitteln entfernt und die darunter liegende Bleistiftschrift sichtbar gemacht wird. Raffiniertere Übertragungsverfahren (z. B. photochemische oder lithographische, wie sie bei Banknotenfälschungen vorkommen) treten bei den alltäglichen Unterschriftsfälschungen kaum auf. Z u b : Die S e l b s t f ä l s c h u n g einer Unterschrift kommt gelegentlich auch vor, wobei der Namensträger durch auffallende Formenund Merkmaleabweichungen den Einwand der Fälschung vorbereiten und bei P r ü f u n g Handwörterbuch der Kriminologie.

Bd. II.

der Urkunde glaubhaft machen will. Der Nachweis solcher Selbstfälschung ist auch f ü r den Sachverständigen recht schwierig und erfordert besondere Erfahrung und Vorsicht. Zufälligen Schreibumständen, welche die Echtheit einer Unterschrift zweifelhaft erscheinen lassen können, sind Unterschriften ausgesetzt, welche im Rauschzustande, im Krankheitszustande (sogenannte pathologische Schriften) oder auch unter physischen und psychischen Störungsumständen entstanden sind, wie auch ungewohntes Schreibmaterial, ungeeignete Schreibunterlage, Gehen, Fahren, Schreiben im Stehen, Schreiben im Erschöpfungszustand, in der Angst (z. B. bei Erpressungen) und dergleichen hierher zu zählen ist. Eine Unterschrift kann auch e r s c h l i c h e n sein, was bei Blankounterschriften, auch bei betrügerischen Kunstgriffen von Provisionsreisenden der Fall sein kann, wie auch schließlich die scheinbaren Blankounterschriften durch Wegschneiden eines unterschriebenen Urkundentextes und nachheriges Darübersetzen eines anderen Urkundentextes, soweit der gewonnene freie Zwischenraum ausreicht, hierher zu zählen sind. Zu c: Schutzmaßnahmen gegen Unterschriftfälschungen sind, kurz zusammengefaßt, folgende: Pflege eines leserlichen, möglichst fließend geschriebenen Namenszuges, dessen Schwankungsgrad nicht allzu groß sein darf; Vermeidung von freien Zwischenräumen zwischen Urkundentext und Namensunterschrift; bei wichtigen Urkunden Anwendung eines Schlußschnörkels (Paraphe) oder Anbringung geheimer Kennzeichen (s. d. Art. Urkundenfälschung); Unterlassung des Vorschreibens von Namen, um f ü r weniger schreibgewandte Menschen die Stelle anzugeben, wohin sie (z. B. bei Wechseln) ihre Unterschrift zu setzen haben, weil solche Vorzeichnungen sehr leicht die Veränderung einer gewohnten Unterschrift zur Folge haben oder die teilweise verdeckte Vorzeichnung mißverständlich als Fälschungsmerkmale angesehen werden könnte. Schrifttum: H. S c h n e i c k e r t , Kriminaltaktik u. Kriminaltechnik, 4. Aufl., Lübeck 1933, S. 119. — Schneickert, Verfälschung der eigenen Unterschrift, Groß' Archiv f. Kriminologie, 94, 177ff. — G. B u h t z , Die Bedeutung der H a n d f ü h r u n g und -Stützung bei eigenhändigen Testamenten. (Ztschr. f. gerichtl. Schriftuntersuchungen) Nr. 24 (1931). Hans Schneickert.

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Untersuchungshaft

Untersuchungshaft. I. B e g r i f f u n d Z w e c k . Die Untersuchungshaft ist die Verwahrung eines Beschuldigten vor rechtskräftigem Abschluß des S t r a f v e r f a h r e n s zur Sicherung der Durchf ü h r u n g des Verfahrens und der Erreichung seiner Zwecke. Sie hat in erster Linie die Aufgabe, die Person des Täters sicherzustellen und die A u f k l ä r u n g der T a t zu ermöglichen. Daneben kann sie aber auch dem Zwecke dienen, die Funktionen der Strafe zu sichern und einzuleiten. So kann sie das Sühnebedürfnis befriedigen, wenn sie einen T ä t e r t r i f f t , der ein schweres Verbrechen begangen hat und dessen Freiheit dem Gerechtigkeitsgefühl widersprechen würde. Oder die U n t e r s u c h u n g s h a f t kann generalprävenierend wirken, indem die sofortige Festn a h m e nach erfolgter T a t ein Zeichen schneller schlagkräftiger Reaktion ist. Sie kann schließlich auch der allgemeinen Sicherheit dienen, indem die Verwahrung weitere S t r a f t a t e n des Täters verhindert. Ob die Erfüllung der S t r a f f u n k t i o n e n n u r t a t s ä c h liche Nebenwirkungen der Untersuchungsh a f t oder aber selbständig zu erstrebende Ziele sind, bestimmt das Gesetz. Die Untersuchungshaft unterscheidet sich von der S t r a f h a f t dadurch, daß sie sich auf eine Person bezieht, gegen die ein rechtskräftiges E r k e n n t n i s noch nicht ergangen ist. W e n n auch die Schuld eines Untersuchungshäftlings schon vor seiner Aburteilung feststehen mag, so ist er doch nur Beschuldigter. Die gegen ihn ausgesprochene H a f t hat sich daher auf das Mindestmaß des Erforderlichen zu beschränken, durch das ihre Zwecke erfüllt werden kann. Selbst wo sie S t r a f f u n k t i o n e n a u s ü b t , ist sie doch noch keine Strafe, sondern n u r eine Sicherungsmaßn a h m e zur Erreichung der Strafzwecke, die ohne die M a ß n a h m e nicht in voller Wirkung e n t f a l t e t werden können. Das staatliche Gewaltverhältnis zu dem Beschuldigten ist bei der Untersuchungshaft beschränkt, während es bei der S t r a f h a f t sehr viel weiter greift. Es fehlt vor allem die E i n f l u ß n a h m e auf die Persönlichkeit des Täters, sei es, daß ihm der Sinn der Sühne zum Bewußtsein gebracht wird, sei es, daß er zur Besserung angehalten und zum Wiedereintritt in die Gemeinschaft vorbereitet wird. Die Unters u c h u n g s h a f t ist Änderung der äußeren Lage des Täters, die S t r a f h a f t ergreift darüber hinaus auch die innerliche Persönlichkeit. Die U n t e r s u c h u n g s h a f t ist nicht die einzige M a ß n a h m e der Freiheitsbeschränkung im S t r a f v e r f a h r e n . Ihr geht vielfach die „vorläufige V e r w a h r u n g " voraus. Diese ist eine die Untersuchungshaft vorbereitende

Maßnahme. Sie beginnt mit der vorläufigen F e s t n a h m e und dauert, falls nicht vorherige Entlassung erfolgt, bis zur Entscheidung der f ü r die A n o r d n u n g der U n t e r s u c h u n g s h a f t zuständigen Behörde an. Ihr fehlt der Char a k t e r der Selbständigkeit. Eine Parallele zur U n t e r s u c h u n g s h a f t stellt die einstweilige Unterbringung dar. Diese dient ausschließlich der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit gegenüber zurechnungsunfähigen oder vermindert zurechnungsfähigen T ä t e r n . Sie ist nicht notwendig mit einem S t r a f v e r f a h r e n verbunden. Sie k o m m t vielmehr vorwiegend im Sicherungsverfahren zur Anwendung. Die bisher bezeichneten H a f t a r t e n liegen im R a h m e n eines strafrechtlichen Verfahrens. Ihnen gegenüber steht die polizeiliche H a f t (Schutzhaft). Sie wird zum Schutze der Persönlichkeit oder öffentlichen Sicherheit von der Polizei angeordnet. Es handelt sich bei dieser H a f t a r t um eine verwaltungsrechtliche Maßnahme. II. D i e g e s e t z l i c h e R e g e l u n g d e r Untersuchungshaft. 1. A n o r d n u n g d e r U n t e r s u c h u n g s h a f t . a) Voraussetzung f ü r die A n o r d n u n g der Untersuchungshaft ist das Vorhandensein dringender V e r d a c h t s g r ü n d e . Dringend sind Verdachtsgründe dann, wenn sie nach der jeweiligen Verfahrenslage die Wahrscheinlichkeit der Ü b e r f ü h r u n g begründen. Die bloße Wahrscheinlichkeit genügt. Eine größere oder gar an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit k a n n schon deswegen nicht verlangt werden, weil von ihr zu Beginn eines Strafverfahrens regelmäßig ü b e r h a u p t nicht die Rede sein k a n n . Daß aber auch dann schon ein H a f t b e f e h l geboten oder angebracht sein kann, kann nicht zweifelhaft sein. „Dringend e r " Verdacht ist nicht das gleiche wie „hinreichender" Verdacht. Dringender Verdacht ist vielmehr ein stärkerer Verdacht. Hinreichender Verdacht liegt schon d a n n vor, wenn die Möglichkeit der Verurteilung besteht. Wenn somit auch „ d r i n g e n d e r " Verdacht und „hinreichender" Verdacht gegenübergestellt werden können, so doch nur, wenn man von der gleichen Verfahrenslage ausgeht. Nur im Hinblick auf eine bestimmte Verfahrenslage kann ein Verdacht dringend oder auch n u r hinreichend sein. Die Anforderungen, die m a n an das Erfülltsein der Voraussetzungen „dringend" und „hinreichend" zu stellen h a t , steigen mit dem Fortgang des Verfahrens. Beim Vorliegen bestimmter Verdachtsgründe kann der Verdacht im Anfang des Verfahrens dringend sein, während die gleichen Verdachtsgründe bei Abschluß des Ermittlungsverfahrens nicht einmal mehr hinreichend zu sein brauchen.

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Untersuchungshaft Steht bei Einleitung eines Ermittlungsverfahrens fest, daß eine bestimmte Personengruppe in einer größeren Anzahl von Prozessen u n t e r auffallenden U m s t ä n d e n im Gegensatz zu den Angaben anderer Personen wechselseitig zu ihren Gunsten Aussagen machen, so sind sie des Meineidskomplotts dringend verdächtig. Der Haftbefehl würde gerechtfertigt sein. Wenn aber nach den erfolgten E r m i t t l u n g e n der Verdacht über die anfänglichen Verdachtsgründe nicht hinausgekommen ist, so würde er nicht einmal mehr hinreichend sein und eine Anklage rechtfertigen. Eine Gegenüberstellung der § § 1 1 2 und 203 StPO. ( „ d r i n g e n d e r " Verdacht bei H a f t b e f e h l , „ h i n r e i c h e n d e r " Verdacht bei Anklage), wie sie vielfach erfolgt, ist demnach verfehlt. Ob die Verdachtsgründe bei der gleichen Verfahrenslage als dringend oder nur als hinreichend anzusehen sind, unterliegt dem pflichtgemäßen Ermessen der v e r a n t w o r t lichen Organe. Eine feste Grenzziehung ist unmöglich. Zwischen den Fällen, in denen der Verdacht zweifellos dringend und zweifellos n u r hinreichend ist, liegt ein weites Gebiet, auf dem das Organ auf Grund persönlicher W e r t u n g die Entscheidung t r i f f t . H a f t g r ü n d e sind nach § 112 S t P O . Fluchtg e f a h r , Verdunkelungsgefahr (Kollusionsverdacht), Rückfallgefahr und Gefahr der Verletzung des allgemeinen Rechtsempfindens. F l u c h t g e f a h r ist begründet, wenn nach Lage der Sache damit gerechnet werden kann, daß sich der Beschuldigte dem S t r a f v e r f a h r e n oder der Strafvollstreckung entziehen wird. Ein u n b e s t i m m t e r allgemeiner Verdacht reicht nicht aus, um einen H a f t b e f e h l zu rechtfertigen. Es müssen vielmehr besondere Tatsachen gegeben sein. F ü r das Vorliegen des F l u c h t v e r d a c h t s stellt das Gesetz Vermutungen auf. Der wichtigste Fall der gesetzlichen V e r m u t u n g ist der, daß ein Verbrechen den Gegenstand der Untersuchung bildet ( § 1 1 2 Abs. 2 Ziff. 1). Der Grund der gesetzlichen V e r m u t u n g besteht in der angedrohten Straf höhe. Ferner bes t e h t die gesetzliche V e r m u t u n g des F l u c h t v e r d a c h t s bei einem Beschuldigten, der ein Heimatloser oder Landstreicher ist oder nicht i m s t a n d e ist, sich über seine Person auszuweisen, sowie bei einem Beschuldigten, der Ausländer ist und bei dem begründeter Zweifel besteht, ob er sich auf L a d u n g vor Gericht stellen und dem Urteile folgen wird. Die im Gesetze hervorgehobenen Fälle erschöpfen die F l u c h t v e r d a c h t s g r ü n d e nicht. T r i f f t einer der im Gesetze erwähnten Fälle zu, so bedarf es im Haftbefehl keiner weiteren B e g r ü n d u n g f ü r die V e r h a f t u n g . Die gesetzliche V e r m u t u n g ist aber widerlegbar. Es

können Tatsachen gegeben sein, bei denen trotz Vorliegens der im Gesetz angegebenen Fälle die A n n a h m e eines Fluchtverdachts nicht gerechtfertigt ist. So kann bei einem Verbrechen der F l u c h t v e r d a c h t ausgeräumt sein, weil erhebliche mildernde U m s t ä n d e anzunehmen sind und daher keine höhere Strafe zu erwarten ist, oder weil der Beschuldigte festen W o h n s i t z , Grundeigent u m oder sonst schwer verwertbares Eigent u m hat, eine Familie zu versorgen hat, oder weil er im festen Beruf steht oder er schwer e r k r a n k t oder leidend ist. In Auswertung des Grundgedankens des § 112 Abs. 2 Ziff. 1 (Verbrechen als Gegenstand der Untersuchung) sieht die Praxis F l u c h t v e r d a c h t ganz allgemein, also auch bei Vergehen (häufigste Fälle: Betrug, Untreue, Unterschlagung) als vorliegend an, wenn eine höhere Strafe zu erwarten ist. Was eine höhere Strafe ist, wird freilich nicht einheitlich b e a n t w o r t e t . Manche Gerichte sehen eine Strafe von 10 Monaten Gefängnis, manche erst eine Gefängnisstrafe von 1 J a h r als höhere Strafe an. Haftbefehle im Hinblick auf die Höhe der zu erwartenden Strafe kommen außerordentlich häufig vor. Diese Praxis ist b e a n s t a n d e t worden. Zu unrecht. Es mag sein, daß mancher der in H a f t genommenen Personen tatsächlich nicht geflohen wäre. Doch ist dieser Gesichtspunkt nicht entscheidend. Es k o m m t vielmehr darauf an, daß zu erwartende hohe Strafen erfahrungsgemäß leicht einen Anreiz geben, sich dem S t r a f v e r f a h r e n zu entziehen. Gegenüber dieser Sachlage müssen sich die Strafverfolgungsbehörden sichern. Sie können es nicht im Einzelfall darauf a n k o m m e n lassen, ob der T ä t e r da bleibt oder nicht. Sie können auch nicht erst abwarten, ob der T ä t e r Anstalten zur Flucht t r i f f t oder nicht. Das Zugreifen würde häufig zu spät erfolgen. Selbst wenn es auch nicht leicht sein mag, sich auf dauernd oder auch n u r längere Zeit einer kraftvoll durchgeführten Nachforschung zu entziehen, selbst wenn der Geflüchtete auch im Auslande vor einer V e r h a f t u n g und Auslieferung nicht sicher ist, so sind doch die Nachforschungen mit Mühe, Arbeit u n d Kosten verbunden. Vor allem aber verletzt die gelungene Flucht das gerechtfertigte Bedürfnis zur Sühne, sie mildert die Staatsa u t o r i t ä t , schädigt das Ansehen der Polizei und S t a a t s a n w a l t s c h a f t , reizt Andere zu neuen S t r a f t a t e n an. Es k a n n nicht verlangt werden, daß der S t a a t das Risiko einer Flucht t r ä g t , u m so weniger als es sich bei zu erw a r t e n d e r hoher Strafe um ein schweres Delikt handelt. Auch der Einwand, daß das staatliche Organ ein P r o p h e t sein müsse, wenn es beurteilen könne, welche Strafe zu

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erwarten ist, schlägt nicht durch. Einem erfahrenen P r a k t i k e r ist es durchaus möglich, abzuwägen, welche S t r a f h ö h e in Betracht k o m m t . Als sonstige Beispiele des Fluchtv e r d a c h t s seien hervorgehoben: sachliche G r ü n d e : Fehlen einer festen Wohnung, unangemeldeter A u f e n t h a l t , möbliertes Wohnen in verdächtigen Vierteln, Beziehungen zu Verbrecherkreisen, Beziehungen zum Ausland, W o h n e n in nächster Nähe der Grenze; persönliche G r ü n d e : gewohnheits- und gewerbsmäßiger Verbrecher. Der Fluchtverdacht kann auch aus dem früheren Verhalten des T ä t e r s in einem anderen oder in demselben S t r a f v e r f a h r e n hergeleitet werden. Der Beschuldigte h a t sich schon einmal verborgen gehalten oder er ist einer Ladung unentschuldigt nicht nachgekommen. Für den letzten Fall ist die Möglichkeit eines H a f t befehls in §§ 230, 236 StPO. ausdrücklich niedergelegt. Der Gesichtspunkt der Fluchtgefahr t r i f f t auch zu, wenn der Verdacht des Selbstmordes besteht (wichtig vor allem bei Beteiligung Mehrerer an einer S t r a f t a t ) . V e r d u n k e l u n g s g e f a h r besteht, wenn — wie es in § 112 Abs. 1 StPO. heißt — „ T a t s a c h e n vorliegen, aus denen zu schließen ist, daß der Beschuldigte Spuren der T a t vernichten oder daß er Zeugen oder Mitschuldige zu einer falschen Aussage oder Zeugen dazu verleiten werde, sich der Zeugnispflicht zu entziehen". Zur Begründung der Verdunkelungsgefahr genügen ebenso wenig wie bei der F l u c h t g e f a h r allgemeine Verdachtsgründe oder Erwägungen. Umgekehrt würde es aber zu viel verlangt sein, zu fordern, daß der Beschuldigte schon mit der Vorbereitung einer Verdunkelungshandlung begonnen habe. Praktisch würde d a m i t gefordert werden, daß eine Vorbereitungshandlung festgestellt ist. Bis das aber der Fall ist, kann der Beschuldigte schon alle möglichen Verdunkelungen vorgenommen haben oder aber seine Vorbereitungen können schon so weit gediehen sein, daß sie durch Verwandte oder Freunde fortgesetzt werden können. Es genügen vielmehr f ü r die A n n a h m e der Verdunkelungsgefahr schon solche im konkreten Fall bes t i m m t festgestellte Tatsachen, bei denen nach der Lebenserfahrung damit zu rechnen ist, daß der Beschuldigte Handlungen vornehmen wird, um eine A u f k l ä r u n g zu erschweren oder unmöglich zu machen. Das bloße Leugnen rechtfertigt die A n n a h m e der Verdunkelungsgefahr allerdings noch nicht. Das Gesetz sieht eine solche nur in der Einwirkung auf Beweismittel, Zeugen oder Mitbeschuldigte. Daher v e r m a g sogar der U m stand, daß der T ä t e r die Strafverfolgungsbehörden auf falsche F ä h r t e n lenkt, allein noch nicht einen Haftbefehl wegen Verdunkelungs-

I gefahr zu begründen. Der Mangel des Geständnisses oder das Unternehmen der Ablenkung der Strafverfolgungsbehörden vermag aber in Verbindung mit anderen U m s t ä n d e n sehr wohl die A n n a h m e der Verdunkelungsgefahr zu rechtfertigen. Das würde beispielsweise der Fall sein, wenn Mitbeschuldigte v o r h a n d e n sind, die entweder ü b e r h a u p t noch nicht ermittelt sind oder aber ebenfalls leugnen, wenn Zeugen gehört werden müssen, zu denen der Beschuldigte in näheren (verwandtschaftlichen, freundschaftlichen oder geschäftlichen) Beziehungen steht, wenn U r k u n d e n und Bücher beigezogen werden müssen, die noch nicht sichergestellt und noch f ü r den Beschuldigten erreichbar sind. In derartigen Fällen m u ß damit gerechnet werden, daß es nicht bei dem bloßen Ableugnen und Irreführen bleibt, sondern, daß der Beschuldigte darüber hinaus Verdunkelungshandlungen vornehmen wird. Anhaltsp u n k t e f ü r die Frage der Verdunkelungsgef a h r lassen sich auch aus der Persönlichkeit des Beschuldigten gewinnen. Dem Ruf des Beschuldigten kann maßgebliche Bedeutung zukommen. Ist der Beschuldigte a u t o r i t ä t s feindlich eingestellt oder lügnerisch veranlagt, so wird m a n um so eher von ihm erwarten können, daß er staatliche M a ß n a h m e n zu durchkreuzen sucht. Das gilt vor allem von vielfach Vorbestraften, von Gewerbsund Gewohnheitsverbrechern. Auch die Art und die näheren U m s t ä n d e der S t r a f t a t k a n n von Wichtigkeit sein (z. B. A n s t i f t u n g zum Meineid). H a t der T ä t e r ein Geständnis abgelegt oder sind die zur Ü b e r f ü h r u n g ausreichenden Spuren (insbesondere U r k u n d e n und Bücher) genügend gesichert oder sind zuverlässige Zeugen v o r h a n d e n , so fehlen in der Regel die Grundlagen f ü r die A n n a h m e einer Verdunkelungsgefahr. Im Einzelfall kann allerdings t r o t z d e m die begründete A n n a h m e bestehen, daß der Beschuldigte in der Freiheit versuchen wird, durch unlautere M a ß n a h m e n die Ü b e r f ü h r u n g dennoch zu durchkreuzen. Liegen hierfür T a t sachen vor, so ist die V e r h a f t u n g t r o t z Geständnisses geboten. Der W o r t l a u t des § 112 S t P O . bezieht sich nur auf solche Fälle der Verdunkelungsgefahr, in denen die Verdunkelungshandlung von dem Beschuldigten ausgeht. Damit sind aber die Möglichkeiten der Verdunkelung keineswegs erschöpft. Denkbar ist, daß die Vernichtung der Spuren oder die Verleitung Anderer zur falschen Aussage oder zur E n t ziehung vor der Aussage von Dritten ausgeht, daß sich der Beschuldigte diese Sachlage nur dadurch zu Nutze macht, daß er entweder bloß eine s t r a f b a r e H a n d l u n g in Abrede stellt oder aber daß er auf die unrichtigen Ge-

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sichtspunkte und die falschen Zeugnisse hin- sozialgefährlichen Seite hin, z. B. Wirtweist. Auch in solchen Fällen wird man die schaftsführer, Beamter oder Amtswalter, Zulässigkeit einer V e r h a f t u n g wegen Ver- aber auch asoziale oder staatsfeindliche dunkelungsgefahr zuzulassen haben. Der Elemente). Die Wirkung der T a t muß derSinn des § 112 ist die Gewährleistung der art sein, daß sie in einem beliebigen Bevölsicheren D u r c h f ü h r u n g des Verfahrens. Von kerungsteil, der örtlich beschränkt sein kann, wem die Gefahr ausgeht, ist eine Frage u n t e r - Aufsehen und E r b i t t e r u n g erregt hat, so daß geordneter Bedeutung. Die F e s t n a h m e des das gesunde Rechtsempfinden die sofortige Beschuldigten bedeutet auch keine unbillige V e r h a f t u n g erfordert. Besonders geregelt sind die H a f t g r ü n d e Härte, wenn er bestrebt ist, die Vorteile dieser Lage auszuwerten. Ob man in einem in der Militärstrafgerichtsordnung. § 96 erderartigen Falle die Zulässigkeit des H a f t - w ä h n t als H a f t g r ü n d e : Verbrechen als befehls damit begründet, daß das Gesetz als Gegenstand der Untersuchung, Fluchtgefahr, Beispiel der Verdunkelungsgefahr nur den Verdunklungsgefahr, Rückfallgefahr. Ferner Hauptfall erwähnt (dagegen wohl der Wort- ist — über den allgemeinen Strafprozeß laut) oder aber, daß analoge A n w e n d u n g des hinaus — die Untersuchungshaft zulässig, Gesetzes geboten ist, deren grundsätzliche wenn die A u f r e c h t e r h a l t u n g der militäriBerechtigung im S t r a f p r o z e ß auch bei einer schen Manneszucht die V e r h a f t u n g erfordert Funktion der UnterAnwendung zu Ungunsten des Beschuldigten (generalpräventive allgemein a n e r k a n n t ist, ist Frage der juristi- suchungshaft). schen Konstruktion. Weitere Haftvoraussetzungen und H a f t Der H a f t g r u n d der R ü c k f a l l g e f a h r gründe bestehen nach geltendem Rechte (eingeführt durch d. RG. vom 28. VI. 1935) nicht. Aus Anlaß des Todes des ehemaligen ist gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, aus Reichspostministers Dr. Höfle, der am denen zu schließen ist, daß der Beschuldigte 20. IV. 1925 in der Untersuchungshaft eindie Freiheit zu neuen s t r a f b a r e n Handlungen t r a t , wurde die Frage, ob H a f t f ä h i g k e i t m i ß b r a u c h e n werde. Es m u ß zu erwarten als notwendige Voraussetzung der Unterstehen, daß der T ä t e r bis zu seiner Aburtei- j suchungshaft anzusehen sei, lebhaft erörtert. lung vorsätzlich neue S t r a f t a t e n begeht. Es Diese Frage t a u c h t dann auf, wenn der Beb r a u c h t sich dabei nicht um die gleichen schuldigte sich in einem solchen körperlichen oder gleichartige Delikte zu handeln. T a t - oder geistigen Zustande befindet, daß von sachen, die Rückfallgefahr begründen, sind dem Vollzuge der U n t e r s u c h u n g s h a f t schwere z. B. die Vorbereitung oder das Inaussicht- gesundheitliche Nachteile, wenn nicht gar stellen neuer s t r a f b a r e r Handlungen. Einen der Tod zu erwarten ist, oder wenn der BeSchluß auf die Rückfallgefahr läßt häufig schuldigte bereits an einer schweren K r a n k die Art und die D u r c h f ü h r u n g der be- heit leidet, die in der Untersuchungshaft nicht gangenen S t r a f t a t zu, z. B. der A u f b a u des entsprechend oder angemessen behandelt und betrügerischen Unternehmens. Entschei- bei der vielleicht mit dem Ableben des Bedende B e d e u t u n g k o m m t der Persönlichkeit schuldigten gerechnet werden kann. Bei der des Täters zu. Rückfallgefahr wird regel- ersten Alternative verschlimmert die Untermäßig bei Gewerbs- und Gewohnheitsver- suchungshaft den Zustand, bei der zweiten brechern a n z u n e h m e n sein. Nicht selten würde die Verschlimmerung oder der Tod wird sie auch bei den sogenannten Über- auch ohne U n t e r s u c h u n g s h a f t eintreten. Man versucht nicht selten diese Fälle nach den z e u g u n g s t ä t e r n vorliegen. Von der Gefahr der V e r l e t z u n g d e s Bestimmungen über die H a f t f ä h i g k e i t bei der a l l g e m e i n e n R e c h t s e m p f i n d e n s kann S t r a f h a f t zu lösen. So ordnet § 455 Abs. 2 m a n d a n n sprechen, „ w e n n — wie es in der S t P O . den Aufschub der Vollstreckung einer Neufassung des § 112 Abs. 1 S t P O . durch Freiheitsstrafe an, falls von der Vollstreckung d. R G . vom 28. VI. 1935 heißt — es mit eine nahe Lebensgefahr f ü r den Verurteilten Rücksicht auf die Schwere der T a t und die zu b e f ü r c h t e n steht. Die Vorschriften über durch sie hervorgerufene Erregung der die S t r a f h a f t lassen sich jedoch nicht auf die Öffentlichkeit nicht erträglich wäre, den An- Untersuchungshaft übertragen. Die Untergeschuldigten in Freiheit zu lassen". Das suchungshaft ist eine von der S t r a f h a f t sich Gesetz stellt also auf zweierlei a b : auf die wesentlich unterscheidende Maßnahme. Die B e d e u t u n g der T a t und auf ihre W i r k u n g Entscheidung kann vielmehr n u r aus dem auf die Öffentlichkeit. Die Schwere der T a t Wesen der U n t e r s u c h u n g s h a f t selbst und ihrer bestimmt sich vornehmlich nach dem Ziel, gesetzlichen Regelung getroffen werden. Wird der A r t und Weise der D u r c h f ü h r u n g der durch die K r a n k h e i t die Fluchtgefahr oder die H a n d l u n g , ihrem Erfolg und nicht zuletzt Verdunkelungsgefahr beseitigt, so entfällt der nach der Persönlichkeit des T ä t e r s (sowohl H a f t g r u n d . Die Untersuchungshaft ist daher nach der sozial-wertvollen als auch nach der unzulässig. Trotz der Krankheit kann jedoch

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ein H a f t g r u n d bestehen. In diesem Falle ergibt sich die Lösung aus dem allgemein gültigen Gesichtspunkt der Interessenabwägung. Das Interesse der Allgemeinheit an der D u r c h f ü h r u n g des Strafverfahrens, an der Verwirklichung der Gerechtigkeit, ist in Vergleich zu stellen mit dem Interesse der Allgemeinheit an der E r h a l t u n g der K r a f t und des Lebens des Einzelnen und der Vermeidung unbilliger H ä r t e n sowie mit dem persönlichen Interesse des Betroffenen und seiner Angehörigen. Das Interesse an der D u r c h f ü h r u n g des Verfahrens ist um so stärker, je schwerer das begangene Verbrechen und je höher die zu erwartende Strafe ist. Das gilt vor allem f ü r todeswürdige Verbrechen, aber auch schon dann, wenn mit langjährigen Freiheitsstrafen zu rechnen ist. Auch der U m f a n g des Strafverfahrens kann von ausschlaggebender Bed e u t u n g sein. Soll beispielsweise ein K o m plott aufgedeckt werden, so wird t r o t z K r a n k h e i t und Lebensgefahr eines Beteiligten von der U n t e r s u c h u n g s h a f t nicht Abs t a n d zu nehmen sein, wenn die Freilassung den Erfolg des ganzen Verfahrens in Frage stellt. Das Interesse des Betroffenen wiegt um so schwerer, je mehr Nachteile die Untersuchungshaft f ü r ihn bringt. Im Falle einer Verschlimmerung der Krankheit durch die Untersuchungshaft wird daher eine A b s t a n d n a h m e eher in Betracht kommen als wenn die K r a n k h e i t und ihr Ausgang von der Unters u c h u n g s h a f t unabhängig ist. Aber auch in dem letzten Fall wird jeweils zu prüfen sein, ob man das Interesse des Betroffenen und seiner Angehörigen an einem Lebensende außerhalb der Anstalt berücksichtigen kann, ganz abgesehen davon, daß die Strafverfolgungsbehörde es soweit als möglich vermeiden wird, dem R u f e der Rücksichtslosigkeit gegenüber schwerkranken Beschuldigten und dem, wenn auch u n b e g r ü n d e t e n Vorwurf der Schuld an K r a n k h e i t und Tod N a h r u n g zu geben. Allgemein gültige Regeln können auch hier nicht aufgestellt werden. Maßgebend ist die Lage des Einzelfalls. Die A n o r d n u n g der U n t e r s u c h u n g s h a f t ist stets dem Ermessen des staatlichen Organs überlassen. Das entbindet freilich nicht von pflichtgemäßer P r ü f u n g . Diese h a t sich vor allem darauf zu erstrecken, ob nicht minder einschneidende M a ß n a h m e n ausreichen (Vorführung, Haussuchung, Beschlagnahme). Aber t r o t z Fehlens solcher anderer Mittel und t r o t z Vorliegens der Haftvoraussetzungen ist die A n o r d n u n g der Untersuchungshaft nicht zwingend vorgeschrieben. Das Gesetz h a t gerade in A n b e t r a c h t der schwerwiegenden Folgen der U n t e r s u c h u n g s h a f t von jeglichem Zwange A b s t a n d genommen. Zieht man in Betracht, daß schon die Begriffe

„Fluchtge| „dringende Verdachtsgründe", f a h r " , „Verdunkelungsgefahr", „Rückfallg e f a h r " und „ G e f a h r der Verletzung des allgemeinen R e c h t s e m p f i n d e n s " dehnbar und unbes t i m m t sind, so ist durch Absehender Bindung des Organs diesem ein weites Betätigungsfeld persönlicher Anschauungen gewährt. b) Eine E i n s c h r ä n k u n g f ü r die A n o r d n u n g der Untersuchungshaft bringt §113 S t P O . Bei Ü b e r t r e t u n g e n u n d l e i c h t e n V e r gehen (d. h. Vergehen, die n u r mit Geldstrafe bedroht sind) ist U n t e r s u c h u n g s h a f t Wegen Verdunkelungsgefahr ausgeschlossen. Untersuchungshaft wegen Fluchtgefahr ist nur bes c h r ä n k t zulässig. Sie darf nur dann v e r h ä n g t werden, wenn der Beschuldigte ein H e i m a t loser oder Landstreicher oder nicht imstande ist, sich über seine Person auszuweisen, oder wenn er Ausländer ist und wenn begründete Zweifel bestehen, daß er sich auf L a d u n g vor Gericht stellen und dem Urteile Folge leisten wird oder wenn er u n t e r Polizeiaufsicht s t e h t oder schließlich wenn es sich um eine Übertret u n g handelt, wegen derer die Unterbringung in einem Arbeitshaus angeordnet werden k a n n . Das ist vor allem der Fall bei Landstreichern, Bettlern, Arbeitsscheuen und Dirnen. 2. E r s a t z m i t t e l . Ersatzmittel sind solche weniger einschneidende M a ß n a h m e n , durch die die Verhängung oder der Vollzug der U n t e r s u c h u n g s h a f t überflüssig werden. Es sind Maßnahmen, die an Stelle der U n t e r s u c h u n g s h a f t treten, die in einer solchen Lage zur Anwendung kommen, bei der an sich die U n t e r s u c h u n g s h a f t geboten ist. Die S t r a f prozeßordnung e r w ä h n t nur eine derartige M a ß n a h m e , die zwar nicht die A n o r d n u n g oder A u f r e c h t e r h a l t u n g des H a f t b e f e h l s bet r i f f t , wohl aber seine Vollstreckung ausschließen k a n n : die S i c h e r h e i t s l e i s t u n g (§117). Sie kann durch Hinterlegung in barem Geld oder in Wertpapieren oder durch P f a n d b e stellung oder mittels Bürgschaft geeigneter Personen erfolgen. Eine Freilassung gegen Sicherheitsleistung k o m m t n u r in B e t r a c h t , wenn die V e r h a f t u n g wegen des Verdachts der Flucht angeordnet ist. Aber auch f ü r den Fall der Stellung ausreichender Sicherheit ist die Verschonung mit dem Vollzuge der U n t e r s u c h u n g s h a f t nicht zwingend v o r geschrieben. Die Freilassung unterliegt dem Ermessen des zur Entscheidung berufenen Organs. Wenngleich auch in einem solchen Fall die Ablehnung der Freilassung die Ausn a h m e sein wird, so ist doch denkbar, daß der Vollzug der U n t e r s u c h u n g s h a f t im Hinblick auf die Schwere der T a t , die unsoziale Auswirkung der Freilassung oder die Sicherheit der Allgemeinheit gerechtfertigt ist. Wenngleich die S t r a f p r o z e ß o r d n u n g auch als einziges Ersatzmittel die Sicherheits-

Untersuchungshaft leistung a n f ü h r t , so muß es doch als zulässig erachtet werden, den Vollzug auch aus anderen Gründen auszusetzen. Wenn t a t sächlich im Einzelfall andere geeignete Maßn a h m e n zur Anwendung gebracht werden können, so ist nicht einzusehen, weswegen von ihnen nicht Gebrauch gemacht werden darf. Handelt es sich doch bei der Untersuchungshaft um eine Maßnahme, die f ü r die Allgemeinheit nicht minder als f ü r den Einzelnen von den schwersten Folgen sein kann. Es kann nur darauf ankommen, daß der Untersuchungszweck erreicht wird. Freilich wird die entscheidende Stelle eine Ersatzanordnung nur dann treffen, wenn ihr Erfolg feststeht. Tatsächlich macht die Praxis auch von derartigen Maßnahmen Gebrauch. Es kommen z. B. in B e t r a c h t : regelmäßige Meldepflicht, Abgabe des Auslandspasses, Ermöglichung ständiger Erreichbarkeit. Umstritten ist die Zulässigkeit des Hausarrestes. Doch wird man auch ihn in folgerichtiger D u r c h f ü h r u n g der mitgeteilten Grundgedanken zulassen müssen. Einen weiteren gesetzlichen Ausbau h a t das System der Ersatzmittel durch das Jugendgerichtsgesetz erhalten. Nach § 28 Abs. 1 J G G . ist die Untersuchungshaft nur zu vollziehen, wenn ihr Zweck nicht durch andere Maßregeln, insbesondere durch eine vorläufige A n o r d n u n g über die Erziehung und Unterbringung erreicht werden kann. 3. D i e Z u s t ä n d i g k e i t z u r A n o r d nung der U n t e r s u c h u n g s h a f t und der E r s a t z m a ß r e g e l n . Die Entscheidung liegt in der H a n d des Richters. Die V e r h a f t u n g erfolgt gemäß § 114 S t P O . auf Grund eines schriftlichen H a f t b e f e h l s des Richters. Nur falls Gefahr im Verzuge ist, sind der Staatsanwalt und die Polizei- und Sicherheitsb e a m t e n bei Vorliegen der H a f t v o r a u s setzungen u n d H a f t g r ü n d e zur vorläufigen F e s t n a h m e des Beschuldigten befugt (§ 127 StPO.). In diesem Falle ist der Festgenommene unverzüglich dem Amtsrichter zur Entscheidung über den E r l a ß eines H a f t befehls v o r z u f ü h r e n (§128 StPO.). Die Auslegung des Begriffes „ u n v e r z ü g l i c h " ist Gegens t a n d l e b h a f t e r Meinungsverschiedenheiten gewesen. Durch die höchstrichterliche R e c h t sprechung ist in maßgeblicher Weise der Begriff dahin erläutert worden, daß die V o r f ü h r u n g regelmäßig n u r dann als unverzüglich anzusehen sei, wenn sie innerhalb der nächsten 24 Stunden, spätestens aber a m Tage nach der Ergreifung s t a t t f i n d e . Unerhebliche Überschreitung dieses Zeitraumes ist allerdings bei Vorliegen besonderer Gründe zulässig. Im Hinblick auf § 114b Abs. 1 S t P O . entspricht diese Auslegung dem Gesetze. Es folgt aus ihr namentlich, daß die Polizei-

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behörden nicht befugt sind, zwecks S a m m lung weiteren Belastungs- und Entlastungsmaterials die V o r f ü h r u n g hinaus zu schieben. Neigung dazu k ö n n t e deswegen bestehen, weil die Polizei vor der V e r h a f t u n g ohne Gef ä h r d u n g der Untersuchung bestimmte wichtige Ermittlungen nicht machen konnte und daher b e f ü r c h t e t , daß der Richter den Vorgeführten freilassen wird. Hält sich der Richter vor Augen, daß dringender T a t v e r dacht sich nach der jeweiligen Lage der Sache, insbesondere auch nach den E r m i t t l u n g s möglichkeiten bemißt, so werden, wenn der ermittelnde Beamte — u n t e r U m s t ä n d e n persönlich — den Richter über die weiteren eingeleiteten und zu erwartenden E r m i t t lungen in Kenntnis setzt, Unzuträglichkeiten nicht zu erwarten sein. 4. A u f h e b u n g d e r U n t e r s u c h u n g s h a f t . Gemäß § 115a S t P O . ist, solange der Beschuldigte sich in Untersuchungshaft befindet, jederzeit von A m t s wegen darauf zu achten, ob die F o r t d a u e r der H a f t zulässig und notwendig ist. In jedem S t a n d e des Verfahrens ist zu prüfen, ob die H a f t v o r a u s setzungen oder H a f t g r ü n d e entfallen sind. Ist die U n t e r s u c h u n g s h a f t n u r wegen Verdunkelungsgefahr v e r h ä n g t , so ist vor allem zu prüfen, ob auf Grund der erfolgten Ermittlungen (Zeugenvernehmungen, Haussuchungen, Beschlagnahmen, Sachverständigengutachten) ü b e r h a u p t noch eine Verdunkelung s t a t t f i n d e n kann. Entfallen die Haftvoraussetzungen und H a f t g r ü n d e , so h a t die A u f h e b u n g des H a f t befehls und die Entlassung aus der Unters u c h u n g s h a f t zu erfolgen (§ 123 StPO.). Das h a t insbesondere mangels dringenden T a t v e r d a c h t s dann zu geschehen, wenn der Angeschuldigte freigesprochen oder außer Verfolgung gesetzt worden ist. Die Einlegung eines Rechtsmittels darf in diesem Falle die Freilassung nicht verzögern. Eine W i e d e r v e r h a f t u n g ist jedoch zulässig. Die A u f h e b u n g des H a f t b e f e h l s kann f ü r den Häftling, wenn sie kurz vor dem Termin oder gar nach seiner Verurteilung erfolgt, eine H ä r t e bedeuten. Der bald erfolgende S t r a f a n t r i t t b e d e u t e t bei einer H a f t u n t e r brechung vielfach eine stärkere seelische Belastung als die unmittelbare Ü b e r f ü h r u n g aus der U n t e r s u c h u n g s h a f t in die S t r a f h a f t . Dieser U m s t a n d ist bei Fortfall der H a f t b e dingungen bedeutungslos, wohl aber ist er zu berücksichtigen, soweit die Entscheidung im Ermessen liegt. 5. A n r e c h n u n g d e r U n t e r s u c h u n g s h a f t . Nach § 60 S t G B , kann eine erlittene Untersuchungshaft bei Fällung des Urteils auf die e r k a n n t e Strafe ganz oder teilweise angerechnet werden. Die Anrechnung der

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Untersuchungshaft

U n t e r s u c h u n g s h a f t steht demnach grundsätzlich im Ermessen des Richters. Das entbindet ihn freilich nicht davon, seine E n t scheidung von sachlichen und angemessenen Erwägungen abhängig zu machen. So hat der Richter auf der einen Seite zu beachten, daß, wenn zwar auch der Vollzug der Untersuchungshaft gegenüber dem der S t r a f h a f t milder ist, die Untersuchungshaft vielfach seelisch, zuweilen auch wirtschaftlich besonders drückend wirkt, und daß sie mit der Freiheitsstrafe deren schlimmste Folge: den Freiheitsentzug gemeinsam hat. Diese Umstände sprechen f ü r die Anrechnung. Auf der anderen Seite kann aber berücksichtigt werden, daß der Beschuldigte durch sein eigenes Verhalten (unwahre Angaben, unsachliche Anträge, völlig aussichtsloses Rechtsmittel) die Untersuchungshaft unnötig verlängert hat. Die A n r e c h n u n g der Untersuchungshaft durch das Gericht hat die Wirkung, daß die bis zur Urteilsverkündung erlittene Unters u c h u n g s h a f t in Berücksichtigung k o m m t . Ist der Beschuldigte ohne Vorliegen eines Haftbefehls gemäß § 127 Abs. 2 StPO. von der S t a a t s a n w a l t s c h a f t oder Polizei vorläufig festgenommen, so wird die Zeit von der vorläufigen F e s t n a h m e bis zur Ü b e r f ü h r u n g in die Untersuchungshaft mitberechnet, da die vorläufige Verwahrung die Funktion der U n t e r s u c h u n g s h a f t a u s ü b t und ihre Einleitung darstellt. Die Zeit nach der Urteilsverkündung wird dagegen nicht von der im Urteil ausgesprochenen Anrechnung der U n t e r s u c h u n g s h a f t ber ü h r t . Da das Urteil der Revisionsinstanz n u r die rechtliche N a c h p r ü f u n g des angefochtenen Urteils bedeutet und keine selbständige, von dem angefochtenen Urteil losgelöste Sachentscheidung e n t h ä l t , kann in der Revisionsinstanz eine Anrechnung der weiterhin erlittenen U n t e r s u c h u n g s h a f t nicht erfolgen. Wird die Revision des Angeklagten verworfen, so kann der Verurteilte eine Anrechnung der U n t e r s u c h u n g s h a f t nur im Gnadenwege erlangen. Die Einlegung der Revision bedeutet f ü r den Untersuchungshäftling demnach ein nicht geringes Risiko. Um einen Untersuchungshäftling, der seinerseits keinen Anlaß zu einer Hinauszögerung der R e c h t s k r a f t des Urteils gegeben h a t , nicht unbilligerweise durch ein von anderer Seite eingelegtes Rechtsmittel zu belasten, bestimmt § 450 StPO., daß auf die zu vollstreckende Freiheitsstrafe die Unters u c h u n g s h a f t u n v e r k ü r z t anzurechnen ist, welche der Angeklagte erlitten hat, seit er auf Einlegung eines Rechtsmittels verzichtet oder das eingelegte Rechtsmittel zurückgenommen h a t oder seitdem die Einlegungs-

frist abgelaufen ist, ohne daß er eine Erklärung abgegeben hat. Die Anrechnung der Untersuchungshaft kann auf jede zeitige Freiheitsstrafe und auch auf Geldstrafe erfolgen. | 6. S c h a d e n e r s a t z f ü r e r l i t t e n e U n t e r s u c h u n g s h a f t . a) Die Regelung des Ersatzes f ü r erlittene Untersuchungshaft t r i f f t das G. vom 14. V I I . 1904 (mit Änderungen vom 24. X I . 1933). Einen Anspruch auf Entschädigung f ü r erlittene Unter: suchungshaft gewährt das Gesetz nur Personen, die im S t r a f v e r f a h r e n ohne gleichzeitige Anordnung der Unterbringung in eine Heil- und Pflegeanstalt freigesprochen oder durch Beschlüsse des Gerichts außer Verfolgung gesetzt sind. Voraussetzung des E n t i schädigungsanspruchs ist ferner, daß das Verfahren die Unschuld des Angeschuldigten ergeben hat oder daß gegen ihn wenigstens ein begründeter Verdacht nicht vorliegt. Trotz Vorliegens der genannten Voraussetzung entfällt der Anspruch auf E n t s c h ä d i gung, wenn der V e r h a f t e t e die Untersuchungshaft vorsätzlich herbeigeführt oder durch grobe Fahrlässigkeit verschuldet hat. Ferner kann der Anspruch ausgeschlossen | werden, wenn die zur Untersuchung gezogene I T a t des Angeschuldigten eine grobe Unredi lichkeit oder Unsittlichkeit in sich geschlossen ! h a t oder in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausch begangen ist, oder wenn der Verdacht der Vorbereitung eines Verbrechens oder Vergehens besteht. Schließlich kann die Entschädigung auch bei solchen Personen ausgeschlossen werden, die mit ehrenrührigen Strafen oder mit die Ehre berührenden Sicherungsmaßnahmen belegt sind (Nichtbesitz der bürgerlichen Ehrenrechte, Zuchthausstrafe, deren Verbüßung noch nicht drei J a h r e zurückliegt, Polizeiaufsicht, rechtskräftige A n o r d n u n g der Unterbringung in einem Arbeitshaus innerhalb der letzten zwei J a h r e ) . Gegenstand des Ersatzes ist nur der entstandene Vermögensschaden. Die Höchstgrenze der Entschädigung ist ein Kapitalbetrag von 75000 RM. oder ein R e n t e n b e t r a g von jährlich 4 5 0 0 RM. Außer dem Verurteilten haben die gesetzlichen Unterhaltsberechtigten des Verurteilten einen Anspruch auf Entschädigung. b) Das Gesetz betreffend die E n t s c h ä d i gung f ü r unschuldig erlittene Untersuchungsh a f t b e t r i f f t nicht die Fälle, in denen das staatsanwaltschaftliche E r m i t t l u n g s v e r f a h r e n zur Einstellung gelangt, da hier der Beschuldigte weder freigesprochen noch außer Verfolgung gesetzt ist. Hier besteht kein Rechtsanspruch auf Entschädigung. J e d o c h

Untersuchungshaft besteht die Möglichkeit der Zubilligung eines Ersatzes aus Billigkeitserwägungen. 7. D u r c h f ü h r u n g d e r U n t e r s u c h u n g s h a f t . Die Richtlinien über den Vollzug der Untersuchungshaft sind in der Strafprozeßordnung niedergelegt (§ 116 StPO.). Die D u r c h f ü h r u n g im einzelnen ist zur Zeit noch landesrechtttch geregelt. In Preußen gilt die Verordnung über die D u r c h f ü h r u n g der Untersuchungshaft vom 1. V I I I . 1933. Eine einheitliche reichsrechtliche Regelung ist in Kürze zu erwarten. Die D u r c h f ü h r u n g der U n t e r s u c h u n g s h a f t erfolgt entweder in besonderen Untersuchungsgefängnissen oder in Gerichtsgefängnissen. Reine Untersuchungsgefängnisse gibt es in Preußen nicht. In den Anstalten, die dauernd eine größere Zahl von Untersuchungshäftlingen a u f n e h m e n , sind f ü r die Untersuchungshäftlinge besondere Abteilungen eingerichtet. Die Unterbringung des Untersuchungshäftlings erfolgt grundsätzlich in der Weise, daß er bei Tag und N a c h t , namentlich auch bei der Arbeit, allein in einer Zelle untergebracht ist. Er darf jedoch bei der Bewegung im Freien, beim Gottesdienst oder auch bei sonstigen besonderen Anlässen mit anderen Häftlingen z u s a m m e n k o m m e n (Zellenhaft). Die Zellenhaft läßt sich freilich nicht immer d u r c h f ü h r e n . Die Gründe d a f ü r können in einer Überbelegung der Anstalt liegen. Sie können sich aber auch aus der Person des Häftlings ergeben. So können aus der Zellenhaft Gefahren f ü r Gesundheit oder Leben entstehen (Verdacht der Neigung zum Selbstmord). In diesen Fällen können auch mehrere Häftlinge in einem R a u m untergebracht werden. Wo der U n t e r s u c h u n g s h ä f t ling mit anderen in B e r ü h r u n g k o m m t , ist zweierlei zu b e a c h t e n : zunächst im Interesse des Untersuchungshäftlings, daß er von Strafgefangenen getrennt bleibt; dann im Interesse der D u r c h f ü h r u n g des S t r a f v e r fahrens, daß er mit Häftlingen, die der Mitt ä t e r s c h a f t , Teilnahme, Begünstigung oder Hehlerei in bezug auf dieselbe T a t verdächtig sind, nicht in Verbindung k o m m t . Solche H ä f t l i n g e sind in möglichst von einander entf e r n t liegenden H a f t r ä u m e n zu verwahren. Aber selbst bei strenger Abscheidung wird es o f t m a l s nicht möglich sein, innerhalb einer A n s t a l t die Beziehungen zwischen den verschiedenen in derselben Sache festgenommenen Häftlingen völlig zu unterbinden. Werden jugendliche Häftlinge in Gemeinschaftsh a f t gebracht, so ist d a f ü r zu sorgen, d a ß sie sittlich nicht gefährdet werden. Eine Zus a m m e n l e g u n g von Erwachsenen und J u g e n d lichen ist grundsätzlich zu vermeiden. Sie darf n u r erfolgen, wenn der körperliche oder geistige Z u s t a n d des Jugendlichen sie gebietet.

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Dem H ä f t l i n g werden nur solche Beschränkungen auferlegt, die zur Sicherung des Haftzweckes oder im Hinblick auf die Ordnung in der Anstalt notwendig sind. Er darf sich in diesem R a h m e n Bequemlichkeiten und Beschäftigungen verschaffen, die seinem S t a n d e und seinen Vermögensverhältnissen entsprechen. Er kann sich selbst beköstigen. Der Genuß leichter geistiger Getränke kann ihm in mäßigem Ausmaß genehmigt werden. Dem männlichen Untersuchungshäftling kann das T a b a k r a u c h e n gestattet werden. Ob sich der Untersuchungshäftling an den in der Anstalt eingeführten Arbeiten beteiligen will, ist ihm freigestellt. Selbstbeschäftigung kann ihm erlaubt werden. Er darf mit Zustimm u n g des Richters eigene Bücher lesen oder eigene Zeitungen und Zeitschriften halten. Der Untersuchungshäftling trägt in der Regel eigene Kleidung und Wäsche. Er darf auch eigene Bettwäsche benutzen. Sind seine Sachen nicht ausreichend oder in Ordnung, oder will der Untersuchungshäftling sie schonen, so erhält er Hauskleidung. Diese hat sich von der Kleidung der Strafgefangenen zu unterscheiden. Den V e r k e h r m i t d e r A u ß e n w e l t regeln die Bestimmungen über Besuche, Schriftverkehr und Ausführung. Die Erlaubnis zum Besuch eines Häftlings erteilt der Richter. Er setzt Z e i t p u n k t , Häufigkeit und Dauer der Besuche im Benehmen mit dem Anstaltsvorsteher fest. Jedoch kann der Richter allgemein oder f ü r bestimmte Personen die Entscheidung über die Zulassung von Besuchen dem Vorsteher übertragen. Die Besuche werden überwacht. Ausnahmen sind zulässig. Falls es der Stand der ErE r m i t t l u n g e n gebietet, kann der Richter den Besuchsempfang unterbinden und Besuchssperre anordnen. Der Schriftverkehr des Häftlings ist, falls im Einzelfall nicht Gegenteiliges angeordnet ist, zeitlichen Beschränkungen nicht unterworfen. Wohl aber unterliegt er der Überwachung durch den Richter. Das gilt nicht nur, wenn die Untersuchungsh a f t wegen Verdunkelungsgefahr, sondern auch wenn sie wegen dersonstigen H a f t g r ü n d e angeordnet ist. Die Notwendigkeit und Berechtigung der Überwachung auch in dem letzten Fall ergibt sich aus der Anstaltsordnung. Dem überwachenden Richter ist zur Pflicht gemacht, f ü r eine schnelle Abwicklung des Briefverkehrs Sorge zu tragen und das Briefgeheimnis strengstens zu wahren. Beans t a n d e t der Richter einen Brief, so sieht er von seiner Weiterbeförderung ab. Er kann ihn entweder dem Absender zurückschicken oder ihn zu den E r m i t t l u n g s a k t e n nehmen oder ihn dem Vorsteher der Anstalt vorlegen, falls der Inhalt des Briefs f ü r diesen von Be-

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deutung ist. Dem Häftling soll der Richter von der B e a n s t a n d u n g Nachricht geben, wenn die Untersuchung dadurch nicht gef ä h r d e t wird. Besonderen Bestimmungen unterliegt der Verkehr des Häftlings mit dem V e r t e i d i g e r . Dem v e r h a f t e t e n Beschuldigten ist schriftlicher und mündlicher Verkehr mit dem Verteidiger gestattet (§ 148 Abs. 1 StPO.). F ü r die Freiheit des Verkehrs ist der Z e i t p u n k t der E r ö f f n u n g des H a u p t v e r f a h r e n s oder, wo ein Eröffnungsbeschluß fehlt, der Z e i t p u n k t der Einreichung der Anklageschrift von m a ß gebender Bedeutung. Bis zu diesem Zeitp u n k t kann der Richter, falls die Unters u c h u n g s h a f t wegen Verdunkelungsgefahr angeordnet ist, bestimmen, daß Unterredungen zwischen dem Verteidiger und dem H ä f t l i n g n u r in seiner Gegenwart oder in Gegenwart eines anderen Richters s t a t t finden dürfen. Auch kann der Richter den Besuch von der jeweiligen Erteilung der Sprecherlaubnis abhängig machen. Er k a n n auch schriftliche Mitteilungen zurückweisen, wenn ihm die Einsicht nicht g e s t a t t e t wird. Nach dem bezeichneten Z e i t p u n k t unterliegt der Verkehr mit dem Verteidiger keinerlei Beschränkungen mehr. Bei jugendlichen Häftlingen gilt f ü r den Verkehr mit dem J u g e n d a m t , dem Schutzhelfer oder dem bestellten Beistand das Entsprechende. Eine A u s f ü h r u n g des Untersuchungshäftlings kann erfolgen, wenn dieser wichtige u n d unaufschiebbare Angelegenheiten persönlicher, geschäftlicher oder rechtlicher A r t zu erledigen h a t . Die A u s f ü h r u n g darf sich n u r auf einige Tagesstunden erstrecken. Sie bedarf der richterlichen Zustimmung. Sie geschieht auf Kosten des Häftlings. E r k r a n k t ein Häftling, so h a t f ü r ihn der A n s t a l t s a r z t Sorge zu tragen. J e d o c h k a n n der Untersuchungshäftling auf eigene Kosten mit Genehmigung des Richters einen anderen Arzt zuziehen. Mit Z u s t i m m u n g des Richters kann der e r k r a n k t e H ä f t l i n g in eine andere f ü r die Behandlung kranker Gefangener besonders eingerichtete Anstalt oder Abteilung oder aber auch in eine öffentliche Heil- oder Pflegeanstalt gebracht werden. Bei Schwan-

geren k o m m t die Ü b e r f ü h r u n g in eine E n t bindungs- oder K r a n k e n a n s t a l t in Betracht. Geisteskranke oder der Geisteskrankheit dringend verdächtige Häftlinge können in eine Strafanstalts-Beobachtungsabteilung aufgen o m m e n werden. Bei der Anordnung derartiger M a ß n a h m e n ist stets zu prüfen, ob sie mit den Zwecken der H a f t vereinbar sind. Das wird z. B. bei einer Unterbringung in einer öffentlichen K r a n k e n a n s t a l t häufig nicht der Fall sein. Falls die Untersuchungszwecke oder die persönlichen Verhältnisse des Häftlings es erforderlich machen, können gegen den Häftling S i c h e r u n g s m a ß r e g e l n angeordnet werden. Es können aus seiner Zelle Einrichtungsgegenstände e n t f e r n t oder ihm Arbeitsgeräte oder Bekleidungsstücke entzogen werden, falls durch sie Flucht-, Verdunkelungs- oder Selbstmordversuche gefördert werden können. Die Fesselung ist gestattet, wenn sie wegen besonderer Gefährlichkeit des H ä f t lings, namentlich zur Sicherung Anderer erforderlich erscheint oder wenn er einen Selbstmordversuch oder Entweichungsversuch bereits gemacht oder vorbereitet hat. In der H a u p t v e r h a n d l u n g soll jedoch der Häftling ungefesselt erscheinen. Zu den Sicherungsmaßnahmen ist auch die Zwangse r n ä h r u n g bei Verweigerung der Nahrungsa u f n a h m e zu rechnen. Die Verhängung von H a u s s t r a f e n ist zulässig, wenn der Häftling sich gegen die Ordnung im Gefängnis vergangen h a t u n d die B e s t r a f u n g zur A u f r e c h t e r h a l t u n g der Ordnung und der Sicherheit erforderlich ist. III. B e d e u t u n g u n d W i r k u n g d e r U n t e r s u c h u n g s h a f t , a) Die Frage nach der B e d e u t u n g und W i r k u n g der U n t e r s u c h u n g s h a f t ergibt sich u m so dringlicher, als es sich bei ihr u m eine häufig a n g e w a n d t e prozessuale M a ß n a h m e handelt. Uber die Zahl der Untersuchungsgefangenen in Preußen gibt die Statistik über die Gefangenenanstalten der J u s t i z v e r w a l t u n g in Preußen Aufschluß. Um die Bedeutung der Zahlen verständlich zu machen, werden die Zahlen der in den Gefängnissen u n t e r g e b r a c h t e n Strafgefangenen ebenfalls mitgeteilt.

Gesamtzahl der im Laufe des J a h r e s untergebrachten Haushaltsjahr

1925 1926 1927 1928 1929

Untersuchungshäftlinge

Strafgefangenen

Männer

Frauen

Gefängnis Männer Frauen

103 93 76 73 75

12 10 6 5 5

169 151 122 115 120

383 195 471 890 778

876 061 832 710 496

643 114 392 424 240

16 13 10 8 8

223 821 348 532 621

Männer 35 39 30 26 27

674 946 272 967 693

Haft | Frauen 23 21 7 2 3

697 908 734 618 036

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Untersuchungshaft Die Zahl der Untersuchungshäftlinge h a t sich in den J a h r e n von 1925—1929 erheblich verringert. Die sinkende Tendenz hält bis zur nationalen E r h e b u n g an. Mit dem Einsetzen eines schärferen Vorgehens gegen das Verbrechertum h a t sich dieZahl jedoch wieder

erhöht. Zwar fehlen noch die Zusammenstellungen über das gesamte preußische Gebiet. Aufschlußreich sind jedoch die das Gefängnis Köln betreffenden Zahlen, in denen sich der allgemeine Zug widerspiegeln dürfte.

Gesamtzahl der im Laufe des J a h r e s untergebrachten Haushaltsjahr

1931 1932 1933 1934

Untersuchungshäftlinge Männer

Frauen

2699 2545 3197 3725

544 475 957 660

Strafgefangenen Gefängnis Männer Frauen 7115 7219 8025 6043

Die zur Verfügung stehenden Zahlen lassen leider nicht erkennen, aus welchem Grunde (Fluchtgefahr, Verdunkelungsgefahr oder beides) die Untersuchungsgefahr angeordnet ist, sie ergeben aber ein hinreichend deutliches Bild davon, wie notwendig die Praxis zur Sicherung der Durchf ü h r u n g des S t r a f v e r f a h r e n s die häufige Anwendung der U n t e r s u c h u n g s h a f t erscheint. b) Die positive Wirkung der Unters u c h u n g s h a f t besteht vornehmlich in der Erreichung der mit ihr verfolgten Zwecke: der U n t e r b i n d u n g der Möglichkeit der Flucht und der Verdunkelung, der Sicherung der Allgemeinheit und der Beruhigung des verletzten Rechtsempfindens. Darüber hinaus löst die U n t e r s u c h u n g s h a f t , auch ohne daß nach gelt e n d e m Recht ihrZweck gerade d a r a u f g e r i c h t e t ist, generalpräventive W i r k u n g aus. Von großer Bedeutung ist die Frage, welchen Einf l u ß die U n t e r s u c h u n g s h a f t auf die A u f k l ä r u n g des Sachverhalts h a t . Die U n t e r s u c h u n g s h a f t f ü h r t in vielen Fällen zu einem Geständnis des Beschuldigten, zu dem es ohne seine I n h a f t n a h m e nicht gekommen wäre. Schon die überraschende F e s t n a h m e kann dem Beschuldigten seine Selbstsicherheit nehmen und ihn zu einem Geständnis bewegen. H ä u f i g werden aber erst das längere Losgelöstsein v o n der U m welt, die A b t r e n n u n g v o n allen das S t r a f v e r f a h r e n durchquerenden Einflüssen, das Ausgeliefertsein an die staatliche A u t o r i t ä t , die den Willen und die W i d e r s t a n d s k r a f t lähmende W i r k u n g der U n t e r s u c h u n g s h a f t , die dauernde Einwirkung der Vernehmungen mit der immer deutlicher werdenden Erkenntnis, daß die Beweise sich immer mehr schließen, den Häftling veranlassen, seine T ä t e r s c h a f t einzugestehen. Die I n h a f t n a h m e eines Beschuldigten wird nicht selten auch die Zeugen zu offenen und ehrlichen Mitteilungen veranlassen, die sich sonst vielleicht gescheut h ä t t e n , den Beschuldigten zu belasten. Sie

639 570 737 551

Männer 1373 1159 1091 816

Haft I Frauen :

112 116 331 248

sehen nun, daß das Schicksal seinen Gang geht und daß sie nicht die den Anstoß gebenden K r ä f t e sind. Freilich darf nicht v e r k a n n t werden, daß die Untersuchungshaft auch umgekehrte Wirkungen ausüben k a n n . Sie kann den T ä t e r zu einem falschen Geständnis veranlassen, indem er es in der E r w a r t u n g abgibt, entlassen zu werden. Der Vernehmende sollte sich wenigstens in der Regel davor hüten, durch Erweckung von Hoffnungen ein Geständnis herbeizuführen. Auch auf Zeugen kann die Untersuchungshaft einen ungünstigen Einfluß ausüben. Die F e s t n a h m e s t ä r k t in den Zeugen den Glauben an die T ä t e r s c h a f t des V e r h a f t e t e n . Dadurch kann in ihnen ein zu Ungunsten des Beschuldigten gefärbtes Bild entstehen. Die U n t e r s u c h u n g s h a f t kann auch der Beschaffung von Aufklärungsmaterial im Wege stehen. Der Beschuldigte, der an sich das Entlastungsmaterial a m leichtesten beschaffen könnte, ist durch die H a f t in der Mitwirkung n a t u r g e m ä ß s t a r k beschränkt. Hier erwächst der Strafverfolgungsbehörde die Pflicht, mit besonderem Nachdruck die A u f f i n d u n g des Entlastungsmaterials zu betreiben und erforderlichenfalls f ü r einen Offizialverteidiger Sorge zu tragen. Eine f ü r die A u f k l ä r u n g ungünstige Lage kann f ü r den Untersuchungshäftling infolge einer längeren H a f t d a d u r c h entstehen, daß sie in ihm eine gleichgültige, alles hinnehmende S t i m m u n g erzeugt. Diese Verfassung k a n n ihm leicht in der H a u p t v e r h a n d l u n g eine ungünstige Stellung verschaffen, wie denn überh a u p t der freie Angeklagte günstiger dasteht als der v e r h a f t e t e . Das ist nicht nur der Fall, weil der freie Angeklagte in einer besseren seelischen Verfassung ist, sondern auch deswegen, weil der v e r h a f t e t e Angeklagte mit dem Schuldverdacht stärker belastet ist und dieser Verdacht durch die V o r f ü h r u n g aus der H a f t dem Gericht (namentlich den Laien-

Untersuchungshaft

860

Sittlichkeitsverbrechen, vor s c h a n d e , sonstige Mißhandlungen). Hervorzuheben sind die psychischen WirDiese Gefahren f ü r eine A u f k l ä r u n g und kungen auf den Untersuchungshäftling. Sie richtige Würdigung des Sachverhalts dürfen interessieren vor allem, als es sich um einen nicht übersehen werden. Sie vermögen aber bisher Unbescholtenen, mit dem Gefängnis die Notwendigkeit der Untersuchungshaft noch nicht oder nur wenig in Berührung geund die Tatsache ihrer vielfach günstigen kommenen Menschen handelt. Der A u f e n t Auswirkung nicht zu beseitigen. Nur wird halt im Gefängnis, die Gemeinschaft mit man die Gefahren in Rechnung stellen und anderen, teils schwerer Verbrechen schuldigen geeignete M a ß n a h m e n treffen müssen, um oder doch verdächtigen Personen, die Einunrichtigen Ergebnissen im Einzelfall vor- sicht in die Folgen und die Bedeutung der zubeugen. T a t , die Sorge um Geschäft und Familie, die c) Schließlich sind noch die Wirkungen Angst vor der Ungewißheit des Ausgangs des der U n t e r s u c h u n g s h a f t zu erwähnen, die den Verfahrens, die Furcht vor der Schande der Sichimmerwiederbefassen Beschuldigten und seine Familie u n m i t t e l b a r Bestrafung, das betreffen, die aber auch die Allgemeinheit mit dem T a t k o m p l e x , der Mangel an Abangehen können. So kann die überraschende lenkung und vielleicht auch Reue und GeF e s t n a h m e des Beschuldigten, der f ü r die wissensqualen — all das sind Umstände, die Z u k u n f t keine Vorbereitungen und Anord- auf den Häftling eindringen und seine seenungen mehr t r e f f e n kann, von schweren lische H a l t u n g beeinflussen. wirtschaftlichen Nachteilen f ü r ihn, seine In diesem Z u s a m m e n h a n g gewinnt das Familie, seine Angestellten und vielleicht so- P r o b l e m : Selbstmord und Untersuchungshaft gar f ü r die Volkswirtschaft sein. O f t m a l s Bedeutung. Die Statistik f ü r die Gefangenenbedeutet die V e r h a f t u n g f ü r den Beschuldig- anstalten der J u s t i z v e r w a l t u n g in Preußen ten eine Einbuße an Ansehen und Ehre. Das läßt über die Zahl der Selbstmorde von Herausreißen aus der Familie bringt diese Untersuchungshäftlingen unmittelbar ein nicht selten in eine materiell und geistig ver- klares Bild nicht gewinnen. Sie zählt die zweifelte Lage. Freilich brauchen solche Selbstmorde und Selbstmordversuche in den Folgen nicht immer einzutreten. Die Ver- Gefangenenanstalten ü b e r h a u p t , ohne Unterh a f t u n g kann auch ohne wesentliche Nach- suchungshäftlinge und Strafgefangene zu teile sein. Sie kann im Gegenteil f ü r die sondern. Dennoch sind ihre Zahlen nicht beFamilie eine Befreiung bedeuten (Blut- deutungslos: richtern) lebendig und Augen gebracht wird.

wirkungsvoll

Todesfälle Haushaltsjahr

1925 1926 1927 1928 1929

Selbstmord

Selbstmordversuche

überhaupt

163 115 102 86 63

F ü r Zuchthäuser, in gelten folgende Zahlen: 1925 55 1926 28 1927 25 17 1928 1929 13

ernstlich gemeinte

nicht ernstlich gemeinte

Männer

Frauen

Männer

Frauen

Männer

Frauen

78 62 45 44 31

6 8 4 3 2

98 113 111 78 85

15 11 11 8 9

212 231 203 210 234

17 40 21 14 24

denen 6 7 5 3 3

Untersuchungshäftlinge 1 —

1 -

In den Zuchthäusern ist also die Zahl der Selbstmorde und Selbstmordversuche im Verhältnis zu den Todesfällen ü b e r h a u p t sehr viel niedriger als in den Gefängnissen. Daraus ergibt sich, daß die Anstalten mit Untersuchungshäftlingen eine höhere Selbstmordziffer aufweisen als die nur mit Strafgefange-

8 12 12 2 5

nicht 1 — — —

untergebracht 11 17 29 22 20

sind, 15 1 1 —

2

nen belegten. Das läßt die A n n a h m e gerechtfertigt erscheinen, daß die größere Selbstmordziffer den Untersuchungshäftlingen zuzuschreiben ist. Diese A n n a h m e findet auch ihre Bestätigung durch Feststellungen im Gefängnis Köln:

861

Untersuchungshaft Todesfälle Haushaltsjahr

Selbstmordversuch

Selbstmord überhaupt

überhaupt

Untersuchungshäftlinge

ernstl. gemeint

nicht ernstlich gemeint

Männer Frauen Männeri Frauen Männer Frauen Männer Frauen 1931 1932 1933 1934 Summe

5 4 2 7 18

4 3 2 6 15

1 1 2

4 2 2 5 13

1 1 2

5 2 4 6 17

1 3 3

10 3 3 7 23

7

1

2 4

! |

1 7

Die Zahlen verändern das f ü r den Unter- werden. An H a n d der Gefängnisunterlagen s u c h u n g s h ä f t l i n g ungünstige Bild auch nicht, wurden f ü r die J a h r e 1910—1935 e r m i t t e l t : wenn sie f ü r einen größeren Zeitraum erfaßt

26 4

Männer

Frauen

59 48

nicht feststellbar

to to

Todesfälle 89 Selbstmordfälle 56

Untersuchungshäftlinge

to to

Strafgefangene

Die 50 Selbstmorde der Untersuchungshäftlinge verteilen sich auf die Alter wie folgt: bis 20 J a h r e 7 Fälle 20—30 „ 12 „ 30—40 „ 11 „ 40—50 „ 10 „

50—60 J a h r e 7 Fälle 60—70 „ 1 Fall über 70 ,, 2 Fälle

Dem Berufe nach fällt die große Zahl der von Untersuchungshäftlingen vorwiegend in der ersten Zeit der H a f t liegen (Sieverts Handwerker auf. Bezüglich der S t r a f t a t e n verteilen sich j S. 35). Für die spätere Zeit kommen als die Selbstmordfälle wie f o l g t : Hochverrat 1, auslösende Momente namentlich VernehMord oder Totschlag 4, A b t r e i b u n g mit Todes- mungen, längere H a u p t v e r h a n d l u n g e n oder erfolg 1, Meineid 2, Sittlichkeitsverbrechen 9, Ausspruch der Verurteilung in Betracht. Ärgerniserregung 1, Zuhälterei 1, KörperverBeachtenswert ist, daß u n t e r 6 Nichtletzung 2, R a u b 1, Erpressung 1, Betrug 8, selbstmordfällen in der Nachkriegszeit in drei Urkundenfälschung 1, Diebstahl 14, Unter- Fällen der Tod infolge Schlaganfalls eintrat. schlagung 1, Waffenbesitz 1, Widerstands- In einem Fall war die Todesursache nicht leistung 1. in einem Falle drohte die Siche- feststellbar. rungsverwahrung. Von den sich selbst t ö t e n So schwerwiegend und bedauerlich auch den F r a u e n war eine des Mordes und die die Begleiterscheinungen der Untersuchungsandere der Erpressung beschuldigt. h a f t vielfach sein mögen, so sind sie doch die Die A r t des Selbstmordes war in 47 Fällen unvermeidbaren Folgen einer e r n s t h a f t durchE r h ä n g e n , in 3 Fällen H e r a b s t ü r z e n von g e f ü h r t e n Strafverfolgung, die im Interesse einem höheren Stockwerk. Aufschneiden der der W a h r u n g der Gerechtigkeit und der P u l s a d e r f ü h r t e in keinem Fall den ge- Sicherheit des Volkes trotz H ä r t e n u n d w ü n s c h t e n Erfolg herbei. Opfer auf die U n t e r s u c h u n g s h a f t nicht verDer Z e i t p u n k t des Selbstmordes lag in zichten kann. 30 Fällen wie f o l g t : 11 vom 1 — 3 . T a g der IV. E r g e b n i s l o s e UntersuchungsH a f t ( d a r u n t e r 7 vor Erlaß des Haftbefehls), h a f t . Trotz der U n t e r s u c h u n g s h a f t läßt sich 6 vom 3.—5. Tag, 1 von der 1.—2. Woche, nicht selten eine Ü b e r f ü h r u n g des Beschul1 von der 2.—3. Woche, 3 von der 3. Woche digten nicht herbeiführen. Das Verfahren bis zum 1. Monat, 2 v o m 1.—2. Monat, k o m m t entweder nicht zur H a u p t v e r h a n d 1 vom 2.—3. Monat, 3 vom 3.—4. Monat, lung oder der Angeklagte wird freigesprochen. 1 vom 5.— 6. Monat, 1 nach mehr als 1 J a h r . Ein Bild über das Verhältnis der Zahlen der Diese Zahlen bestätigen die auch sonst ge- in U n t e r s u c h u n g s h a f t genommenen Personen troffene Feststellung, daß die S e l b s t m o r d e : zu den verurteilten Untersuchungshäftlingen

862

Untersuchungshaft

ergeben Ziffern aus dem J a h r e 1925. In der ersten H ä l f t e 1925 wurden in Preußen 14330 Personen in Untersuchungshaft gen o m m e n , davon wurden 12547 verurteilt. Bei 1133 kam es nicht zur H a u p t v e r h a n d l u n g und 650 wurden freigesprochen ( D R Z . 1926, S. 367). Wie groß die Zahl der Unschuldigen unter den Nichtangeklagten und Freigesprochenen ist, ist nicht feststellbar. Eine Mindestzahl k ö n n t e sich aus der Zahl der Fälle ergeben, in denen ein Beschluß auf Gew ä h r u n g von Entschädigung ergangen ist. Die Ziffern hierfür fehlen. V. K r i t i k u n d R e f o r m f r a g e n . Die H a n d h a b u n g der Untersuchungshaft durch die Strafverfolgungsbehörden wurde im S c h r i f t t u m vor der nationalen E r h e b u n g vielfach b e a n s t a n d e t (vgl. hierzu insbesondere die Aufsätze in der J W . 1925, S. 1433 ff.). Man hielt die weitherzige Auslegung des Gesetzes und die häufige A n w e n d u n g der U n t e r s u c h u n g s h a f t mit den Grundsätzen der individuellen Freiheit und der Rechtssicherheit nicht f ü r vereinbar. Gerade im Hinblick auf die Möglichkeit sachlich f e h l e r h a f t e r Entscheidungen sah m a n eine unerträgliche Gefahr f ü r die vielleicht unschuldig Verdächtigen. Aus diesen E r w ä gungen heraus ergaben sich die Bestrebungen zur E i n s c h r ä n k u n g der U n t e r s u c h u n g s h a f t . Auch im nationalsozialistischen Strafprozeß wird man nicht übersehen, daß die E r m i t t lungen sich gegen Unschuldige richten können. Doch r ü c k t im Gegensatz zu dem liberalen Prozeß hier die Vorstellung von dem vielleicht unschuldig Verdächtigen gegenüber dem Gedanken zurück, daß der S t r a f p r o z e ß Kampf gegen das Verbrechertum bedeutet. Die Mittel und die Art des Vorgehens richten sich nach den Notwendigkeiten der Gegenwehr gegen das Verbrechertum. Soll diese erfolgreich gestaltet werden, so erscheint eine E i n s c h r ä n k u n g der Befugnisse der S t r a f v e r folgungsbehörde gegenüber dem bisherigen Zustande u n a n g e b r a c h t . Die Gefahr von Fehlentscheidungen m u ß immer in Kauf genommen werden. Sie ist, wenn m a n nicht ü b e r h a u p t auf eine wirksame Verbrechensb e k ä m p f u n g verzichten will, unvermeidbar. Daß die Gefahr auf ein Mindestmaß zu beschränken ist, ist selbstverständlich. Nur nutzen nicht Gesetzesänderungen. Die wesentlichste Garantie der W a h r n e h m u n g der Gemeinschaftsinteressen und der persönlichen Freiheit und Rechtssicherheit liegen in der Persönlichkeit der Rechtsanwendenden. In ihrer Pflichttreue und Gewissenhaftigkeit, in ihrer Sachkenntnis und Fähigkeit, im Einzelfall die Gefahren und die Notwendigkeiten abzuwägen, in ihrem Geschick r u h t der Schutz der Allgemeinheit und des Einzelnen.

Einer Einschränkung der bisher bestehenden Befugnis der Strafverfolgungsbehörden b e d u r f t e es daher nicht. Mit Recht hat vielmehr das RG. vom 28. VI. 1935 mit der E i n f ü h r u n g der Rückfallgefahr und der Gef a h r der Verletzung des allgemeinen Rechtsempfindens als H a f t g r ü n d e eine A u s d e h n u n g der Haftmöglichkeiten gebracht. Die Novelle befriedigt ein Bedürfnis der Praxis. Die Schaffung der neuen H a f t g r ü n d e beseitigt den bisherigen nicht unbedenklichen Z u s t a n d , daß die Strafverfolgungsbehörden sich bemühen, die Untersuchungshaft mit den geltenden H a f t g r ü n d e n zu begründen, während tatsächlich Sicherungs-, generalpräventive oder Vergeltungserwägungen das Maßgebliche sind. Bezüglich des Verdachtsgrundes der Verdunkelungsgefahr ist noch bei der endgültigen Neufassung der S t P O . klar zu stellen, daß die Gefahr auch von D r i t t e n ausgehen kann. Diesem Gesichtspunkt t r ä g t das französische Gesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit Rechnung, wenn es dort heißt, daß die Untersuchungshaft zulässig ist, wenn die A u f r e c h t e r h a l t u n g der H a f t geeignet ist, der Wahrheitsermittlung zu dienen (Art. 113 des Code d'instruction criminelle). Von verschiedener Seite ist die Einf ü h r u n g eines auch im Ausland üblichen richterlichen Verwahrungsbefehls empfohlen worden (vgl. hierzu auch Art. 67 Ziff. 76, § 129 des E n t w u r f s eines Einführungsgesetzes zum A D S t G B . von 1929). Diejenigen, die f ü r eine Einengung der Auslegung des Begriffes „dringende V e r d a c h t s g r ü n d e " eintraten, verk a n n t e n nicht, daß es doch Fälle gibt, in denen die Voraussetzungen des eingeengten Begriffs nicht vorliegen, aber dennoch eine Festn a h m e geboten ist. Für diesen Fall soll die Möglichkeit eines nur f ü r kurze Zeit (3—5 Tage) geltenden Verwahrungsbefehls gegeben sein, der auch den Vorzug h ä t t e , in der Öffentlichkeit nicht die gleiche ehrmindernde Wirkung zu haben wie der H a f t b e f e h l , in dem dem Beschuldigten der dringende T a t v e r d a c h t bescheinigt wird. Auf der anderen Seite t r e t e n Vertreter der Polizei f ü r die Einf ü h r u n g des Verwahrungsbefehls auch u n t e r Berücksichtigung des heutigen Rechtszustandes ein. Da im Falle der vorläufigen Festn a h m e die V o r f ü h r u n g vor den Richter spätestens am nächsten Tage zu erfolgen habe, könne es vorkommen, daß das Material f ü r die A n n a h m e dringenden Verdachts durch den Richter nicht ausreicht. Ich halte die E i n f ü h r u n g des Verwahrungsbefehls weder aus dem einen noch aus dem anderen Grunde f ü r erforderlich. Das Gesetz gibt dem Gerichte eine solche Auslegungsfreiheit, daß alle Fälle, in denen die U n t e r s u c h u n g s h a f t erforderlich

Untersuchungshaft ist, berücksichtigt werden können. Die Einf ü h r u n g einer neuen M a ß n a h m e macht den strafprozessualen A p p a r a t nur verwickelter. Daß die Volksausfassung zwischen Verwahrungs- und H a f t b e f e h l einen Unterschied machen wird, der dem Festgenommenen zu gute k o m m t , ist k a u m a n z u n e h m e n . Viel erörtert ist die Frage der E i n f ü h r u n g zeitlicher Begrenzungen der Untersuchungsh a f t und der Ü b e r p r ü f u n g der H a f t im f ö r m lichen Verfahren. Das G. vom 24. IV. 1935 h a t mit Recht das förmliche mündliche oder schriftliche H a f t p r ü f u n g s v e r f a h r e n , wie es durch die Novelle vom 27. X I I . 1926 eingef ü h r t war, wieder beseitigt, da es der Verzögerung des E r m i t t l u n g s v e r f a h r e n s diente. Es bleibt auch hier nur die Möglichkeit, auf die Gewissenhaftigkeit der A m t s t r ä g e r zu vertrauen, wie es der heute geltende § 115 S t P O . t u t , indem er vorschreibt, daß jederzeit von Amtswegen darauf zu achten ist, ob die Fortdauer der H a f t zulässig und nötig ist. Eine zeitliche Beschränkung der H a f t dauer ist nicht möglich, da es Fälle geben kann, in denen sich die E r m i t t l u n g e n sehr schwierig gestalten und sich lange hinziehen. Die F o r t d a u e r der U n t e r s u c h u n g s h a f t nach einem gewissen Z e i t r a u m von einem neuen Haftbefehl (vielleicht einer höheren Stelle) abhängig zu machen, ist ebenso wie das f ö r m liche H a f t v e r f a h r e n zeitraubend und f ü h r t praktisch in der Regel zu keinem anderen Ergebnis. Die Stellung des S t a a t s a n w a l t s im zukünftigen Strafprozeß als des Herrn des Ermittlungsverfahrens läßt es folgerichtig erscheinen, daß in Z u k u n f t im Ermittlungsverf a h r e n der S t a a t s a n w a l t den H a f t b e f e h l erläßt. Die Dazwischenschaltung eines Richters, dem der Sachverhalt bis zur Vorlage der A k t e n u n b e k a n n t ist, der die Vorgänge innerlich noch nicht verarbeitet h a t , der vor allem auch die weiteren Pläne des Staatsanwalts nicht kennt und sich vielleicht erst durch den S t a a t s a n w a l t unterrichten lassen muß, bedeutet ein H e m m n i s in der D u r c h f ü h r u n g des Verfahrens. Tatsächlich erweist auch die Praxis, daß die Gerichte den Anträgen auf Erlaß eines H a f t b e f e h l s regelmäßig entsprechen. Es empfiehlt sich daher, dem S t a a t s a n w a l t die Befugnis z u m E r l a ß eines H a f t b e f e h l s zu geben. Gegen den H a f t befehl k ö n n t e das Beschwerderecht an die vorgesetzte Dienststelle oder an das Gericht zugelassen werden. Im Hinblick auf die einschneidende Bedeutung der Untersuchungsh a f t d ü r f t e die letzte Möglichkeit vorzuziehen sein. Z u m mindesten m ü ß t e nach einer gewissen H a f t d a u e r dem Beschuldigten der Weg zur H e r b e i f ü h r u n g einer gerichtlichen E n t scheidung offen stehen.

863

Bezüglich der Frage der A n r e c h n u n g der U n t e r s u c h u n g s h a f t empfiehlt es sich, ihre grundsätzliche A n o r d n u n g im Gesetze vorzuschreiben, jedoch die Möglichkeit der Nichtanrechnung offen zu lassen. Bei der zu erwartenden reichsrechtlichen Regelung des Vollzuges der Untersuchungsh a f t kann auf den zur Zeit in den Ländern geltenden Bestimmungen a u f g e b a u t werden. Die preußische Verordnung zur D u r c h f ü h r u n g der U n t e r s u c h u n g s h a f t vom 1. V I I I . 1933 entspricht gerade im Hinblick auf die Sicherung der Rechtsstellung des Beschuldigten und die scharfe B e t o n u n g des besonderen Charakters der U n t e r s u c h u n g s h a f t gegenüber der S t r a f h a f t den neuzeitlichen Erfordernissen. Einzelfragen, wie etwa die Regelung des Verhältnisses des Richters oder in Zuk u n f t des S t a a t s a n w a l t s und des Vorstehers der A n s t a l t t r e t e n gegenüber dem Grundsätzlichen zurück. Schrifttum: Die erörterten rechtlichen Fragen werden vornehmlich in den K o m m e n t a r e n zur S t P O . und den strafprozessualen Lehrbüchern erörtert. Es sei vor allem auf den Komm e n t a r von L ö w e - R o s e n b e r g , 19. Aufl., hingewiesen. Eine E r l ä u t e r u n g der preußischen Verordnung über die D u r c h f ü h r u n g der Untersuchungshaft in SchmidtS c h ä f e r - K r u g , Preußisches Strafvollstreckungs- und Gnadenrecht, 1934. Aus dem neueren S c h r i f t t u m g r u n d legend R u d o l f Sieverts, Die Wirkungen der Freiheitsstrafe und der Unters u c h u n g s h a f t 1929, dort ein eingehendes Literaturverzeichnis, vor allem auch über die einschlägige medizinische und psychologische Literatur. — R u d o l f B a e t z g e n , Der Vollzug der U n t e r s u c h u n g s h a f t 1932 (ebenfalls mit ausgedehnten S c h r i f t t u m s angaben). — L i s e l o t t e B l o e m , Die Sit u a t i o n der S t r a f e r w a r t u n g in der Unters u c h u n g s h a f t , 1934. Von neueren A b h a n d l u n g e n in Zeitschriften seien g e n a n n t : G u s t a v A s c h a f f e n b u r g , Die B e d e u t u n g der Unters u c h u n g s h a f t f ü r die E r m i t t l u n g des T a t bestandes, Monatsschrift f. Kriminalpsychologie, 23. J a h r g . , S. 257 (1932). — E. F. C a r r i v e , Das neue französische Gesetz üner den Schutz der persönlichen Freiheit, Arch. f. Kriminologie 94, 32 (1934). — F r a n z E x n e r , Richter, S t a a t s a n w a l t und Beschuldigter im S t r a f p r o z e ß des neuen Staates, Zeltschr. f. d. ges. Strafrechtswissenschaft 54, 1 (1934). — H a n s v o n Hentig, Die B e d e u t u n g der Unters u c h u n g s h a f t f ü r die E r m i t t l u n g des Sachverhalts, Monatsschrift f. Kriminalpsychologie 23. J a h r g . S. 268 (1932). — S c h w a r z , Bausteine zum S t r a f p r o z e ß im nationalsozialistischen S t a a t , Gerichtssaal 105, 348 (1935). — K a r l S i e g e r t , Richter, Staatsanwalt und Beschuldigter im Strafprozeß

864

Untersuchungshaft — Untreue und Unterschlagung (A. Kriminologie)

des neuen Staates, Zeitschr. f. d. ges. Strafrechtswissenschaft 54, 14 (1934). Z u m neuen Strafprozeßrecht s. a. U l r i c h S t o c k , Zur Strafprozeßerneuerung Vgl. ferner in diesem H a n d w ö r t e r b u c h die Art. Haftpsychologie I, 631, Kollusionsgefahr I, 8 0 6 f . ; Selbstmord II, 538ff., insbesondere S. 566, 574. Karl Peters.

Untreue und Unterschlagung. A. Kriminologie. I. J e mehr der T r e u e g e d a n k e im Recht K r a f t und Anerkennung gewinnt, um so mehr muß auch die rein strafrechtlich-begriffliche Unterscheidung von Untreue und Unterschlagung und insbesondere die Sonderung u n t e r den einzelnen U n t r e u e t a t b e s t ä n d e n k r i m i n o l o g i s c h an Bedeutung verlieren. Was die beiden T a t b e s t ä n d e der Untreue und Unterschlagung im S t G B . (§§ 246 und 266) t r e n n t , nämlich die Zurechnung der „ U n t e r schlagung" zur Gruppe Diebstahl und der „ U n t r e u e " zur Gruppe Betrug, ist, da es sich bei beiden u m im E f f e k t ganz ähnliche Vermögensdelikte handelt, ein jedenfalls f ü r den rechtswidrigen Willen, ja sogar auch f ü r das wesentliche Ergebnis des tatsächlichen Rechtsbruches k a u m sehr ausschlaggebendes Trennungsmerkmal. Denn beide T a t b e s t ä n d e , m a g es sich n u n u m bewegliche Sachen (wozu auch Geld gehört) oder um andere Vermögensobjekte, deren Wert sich in Geld ausdrücken läßt, handeln, beruhen im Wesentlichen darauf, daß d e r Rechtsbrecher n i c h t v o n a u ß e n h e r (wie beim sonstigen Diebstahl) in den f r e m d e n Vermögensbereich eindringt, sondern bereits intra muros des f r e m d e n Vermögensbereiches sich befindet, allwo er e i n e V e r p f l i c h t u n g z u r S o r g f a l t u n d T r e u e ü b e r n o m m e n h a t . Sowohl Besitz und Gewahrsam einer f r e m d e n Sache (Voraussetzung f ü r Unterschlagung) wie Verf ü g u n g s m a c h t über fremdes Vermögen (Voraussetzung f ü r Untreue) haben, wie man in der Mehrzahl der Fälle sagen kann, besondere rechtliche Beziehungen hergestellt, deren übergeordnetes Merkmal die Treue ist, so daß solches widerrechtliches Eingreifen in diesen Bannkreis nicht von einem beliebigen Dritten, sondern von einem beteiligten Zweiten geschieht. Solcher Auffassung entspricht auch die Stellungnahme der amtlichen Strafrechtskommission, die zwar den Begriff der Unterschlagung auf T a t b e s t ä n d e einzuengen bestrebt war, bei denen nicht von „ a n v e r t r a u t e m G u t " die Rede sein kann (z. B. bei der Fundunterschlagung), d a f ü r aber die V e r u n t r e u u n g als besonderen T a t b e s t a n d

herausstellte, um ihn zum Teil mit der „ U n t r e u e " zu vereinigen. Kohlrausch (Bericht über die Arbeit der Amtlichen Strafrechtskommission — s. S c h r i f t t u m — 1935, S. 311) s a g t : „ D e r qualifizierte T a t b e s t a n d der V e r u n t r e u u n g u m f a ß t nicht nur die weitaus häufigeren Fälle, sondern in dem Treubruch steckt auch ein selbständiger S t r a f g r u n d . Die V e r u n t r e u u n g von Sachen ist keine A b a r t des rechtswidrigen Behaltens. Vielmehr: wie man sich eine Sache durch Wegnahme zueignen kann, kann man es auch durch Treubruch. Im ersten Fall ist Strafgrund der Einbruch in den f r e m d e n Besitzstand, im zweiten die Täuschung f r e m d e n Vertrauens. Beide verdienen selbständige, und zwar gleiche S t r a f e " . Diese geläuterte, von Kohlrausch a. a. O. mit interessanten Hinweisen auf das ausländische, namentlich das englische und französische Recht, ergänzte Auffassung wird von D a h m (ebd. S. 334ff.) weiter verfolgt in Einordnung der verschiedenen hierhergehörigen s t r a f r e c h t lichen T a t b e s t ä n d e unter den Oberbegriff des T r e u b r u c h s . „ D e r ausschlaggebende Gesichtspunkt ist der Gedanke des Treubruchs. Es ist gerade Aufgabe einer nationalsozialistischen Strafrechtserneuerung, diesen einfachen und volkstümlichen Gedanken zur Geltung zu bringen." Die „ U n t e r s c h l a g u n g " wird Hilfstatbestand. Die Abgrenzung der T a t b e s t ä n d e erhält u n t e r kriminologischer B e t r a c h t u n g eine neue Beleuchtung, die auf die technisch-strafrechtliche Unterscheidung von Einfluß sein wird. Obwohl es Unterschlagungsfälle ohne Treubruch geben kann, ist doch das Merkmal der Treueverletzung k ü n f t i g noch stärker in den Vordergrund zu rücken, ganz abgesehen von der Tatsache, daß sich erst im gemeinen Recht aus der Unterschlagung die Untreue abgesetzt h a t , während eigentlich umgekehrt im Gesamtbilde der Untreue die Unterschlagung höchstens eine Sondererscheinung der Untreue sein könnte. Die Heimlichkeit, die im altdeutschen Recht qualifizierend, straferhöhend, kriminalistisch schwerer wiegend behandelt wurde (vgl. v. Amira, Grundriß des germanischen Rechts, 1913, S. 233), ist — selbst gegenüber dem an sich heimlichen, aber dennoch handgreiflicheren Diebstahl und Einbruch, ja sogar gegenüber dem Betrug — besonders bei Untreue und V e r u n t r e u u n g in noch stärkerem Maße gegeben; denn gerade diese beiden Delikte werden sozusagen „in sich" begangen, sei es durch Buchungen, sei es durch Vermischung, durch Verwendungswandlung, k u r z u m durch spezifische Heimlichkeiten im Sinne feigster Handlungen. So t r i t t also auch jenes strafrechtlichbegriffliche Merkmal zurück, daß bei „ U n t e r -

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Untersuchungshaft — Untreue und Unterschlagung (A. Kriminologie)

des neuen Staates, Zeitschr. f. d. ges. Strafrechtswissenschaft 54, 14 (1934). Z u m neuen Strafprozeßrecht s. a. U l r i c h S t o c k , Zur Strafprozeßerneuerung Vgl. ferner in diesem H a n d w ö r t e r b u c h die Art. Haftpsychologie I, 631, Kollusionsgefahr I, 8 0 6 f . ; Selbstmord II, 538ff., insbesondere S. 566, 574. Karl Peters.

Untreue und Unterschlagung. A. Kriminologie. I. J e mehr der T r e u e g e d a n k e im Recht K r a f t und Anerkennung gewinnt, um so mehr muß auch die rein strafrechtlich-begriffliche Unterscheidung von Untreue und Unterschlagung und insbesondere die Sonderung u n t e r den einzelnen U n t r e u e t a t b e s t ä n d e n k r i m i n o l o g i s c h an Bedeutung verlieren. Was die beiden T a t b e s t ä n d e der Untreue und Unterschlagung im S t G B . (§§ 246 und 266) t r e n n t , nämlich die Zurechnung der „ U n t e r schlagung" zur Gruppe Diebstahl und der „ U n t r e u e " zur Gruppe Betrug, ist, da es sich bei beiden u m im E f f e k t ganz ähnliche Vermögensdelikte handelt, ein jedenfalls f ü r den rechtswidrigen Willen, ja sogar auch f ü r das wesentliche Ergebnis des tatsächlichen Rechtsbruches k a u m sehr ausschlaggebendes Trennungsmerkmal. Denn beide T a t b e s t ä n d e , m a g es sich n u n u m bewegliche Sachen (wozu auch Geld gehört) oder um andere Vermögensobjekte, deren Wert sich in Geld ausdrücken läßt, handeln, beruhen im Wesentlichen darauf, daß d e r Rechtsbrecher n i c h t v o n a u ß e n h e r (wie beim sonstigen Diebstahl) in den f r e m d e n Vermögensbereich eindringt, sondern bereits intra muros des f r e m d e n Vermögensbereiches sich befindet, allwo er e i n e V e r p f l i c h t u n g z u r S o r g f a l t u n d T r e u e ü b e r n o m m e n h a t . Sowohl Besitz und Gewahrsam einer f r e m d e n Sache (Voraussetzung f ü r Unterschlagung) wie Verf ü g u n g s m a c h t über fremdes Vermögen (Voraussetzung f ü r Untreue) haben, wie man in der Mehrzahl der Fälle sagen kann, besondere rechtliche Beziehungen hergestellt, deren übergeordnetes Merkmal die Treue ist, so daß solches widerrechtliches Eingreifen in diesen Bannkreis nicht von einem beliebigen Dritten, sondern von einem beteiligten Zweiten geschieht. Solcher Auffassung entspricht auch die Stellungnahme der amtlichen Strafrechtskommission, die zwar den Begriff der Unterschlagung auf T a t b e s t ä n d e einzuengen bestrebt war, bei denen nicht von „ a n v e r t r a u t e m G u t " die Rede sein kann (z. B. bei der Fundunterschlagung), d a f ü r aber die V e r u n t r e u u n g als besonderen T a t b e s t a n d

herausstellte, um ihn zum Teil mit der „ U n t r e u e " zu vereinigen. Kohlrausch (Bericht über die Arbeit der Amtlichen Strafrechtskommission — s. S c h r i f t t u m — 1935, S. 311) s a g t : „ D e r qualifizierte T a t b e s t a n d der V e r u n t r e u u n g u m f a ß t nicht nur die weitaus häufigeren Fälle, sondern in dem Treubruch steckt auch ein selbständiger S t r a f g r u n d . Die V e r u n t r e u u n g von Sachen ist keine A b a r t des rechtswidrigen Behaltens. Vielmehr: wie man sich eine Sache durch Wegnahme zueignen kann, kann man es auch durch Treubruch. Im ersten Fall ist Strafgrund der Einbruch in den f r e m d e n Besitzstand, im zweiten die Täuschung f r e m d e n Vertrauens. Beide verdienen selbständige, und zwar gleiche S t r a f e " . Diese geläuterte, von Kohlrausch a. a. O. mit interessanten Hinweisen auf das ausländische, namentlich das englische und französische Recht, ergänzte Auffassung wird von D a h m (ebd. S. 334ff.) weiter verfolgt in Einordnung der verschiedenen hierhergehörigen s t r a f r e c h t lichen T a t b e s t ä n d e unter den Oberbegriff des T r e u b r u c h s . „ D e r ausschlaggebende Gesichtspunkt ist der Gedanke des Treubruchs. Es ist gerade Aufgabe einer nationalsozialistischen Strafrechtserneuerung, diesen einfachen und volkstümlichen Gedanken zur Geltung zu bringen." Die „ U n t e r s c h l a g u n g " wird Hilfstatbestand. Die Abgrenzung der T a t b e s t ä n d e erhält u n t e r kriminologischer B e t r a c h t u n g eine neue Beleuchtung, die auf die technisch-strafrechtliche Unterscheidung von Einfluß sein wird. Obwohl es Unterschlagungsfälle ohne Treubruch geben kann, ist doch das Merkmal der Treueverletzung k ü n f t i g noch stärker in den Vordergrund zu rücken, ganz abgesehen von der Tatsache, daß sich erst im gemeinen Recht aus der Unterschlagung die Untreue abgesetzt h a t , während eigentlich umgekehrt im Gesamtbilde der Untreue die Unterschlagung höchstens eine Sondererscheinung der Untreue sein könnte. Die Heimlichkeit, die im altdeutschen Recht qualifizierend, straferhöhend, kriminalistisch schwerer wiegend behandelt wurde (vgl. v. Amira, Grundriß des germanischen Rechts, 1913, S. 233), ist — selbst gegenüber dem an sich heimlichen, aber dennoch handgreiflicheren Diebstahl und Einbruch, ja sogar gegenüber dem Betrug — besonders bei Untreue und V e r u n t r e u u n g in noch stärkerem Maße gegeben; denn gerade diese beiden Delikte werden sozusagen „in sich" begangen, sei es durch Buchungen, sei es durch Vermischung, durch Verwendungswandlung, k u r z u m durch spezifische Heimlichkeiten im Sinne feigster Handlungen. So t r i t t also auch jenes strafrechtlichbegriffliche Merkmal zurück, daß bei „ U n t e r -

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schlagung" eine bewegliche Sache in Frage Auf Grund der weiten Fassung des neuen T a t k o m m t und eine Verwendung zu eigener Be- bestands wird es hinfort möglich sein, die reicherung, bei „ U n t r e u e " im engeren straf- strafwürdigen Fälle treuwidriger Vermögensrechtlichen Sinne aber mißbräuchliche oder schädigung lückenlos zu erfassen. Der neue treuewidrige Behandlung beliebiger f r e m d e r , § 266 S t G B , ist ja v o m Gesetzgeber ganz der Eigenmacht zugänglicher Vermögenswerte allgemein als Mittel zur B e k ä m p f u n g von auch ohne eigene Bereicherung vorliegen soll. ,Schiebertum' und . K o r r u p t i o n ' gedacht, er Der Gemeinschaftsgedanke der Treue wird soll im Bereiche treuhänderischer Vermögenshier gegen den Individualgedanken der unver- fürsorge Treu und Glauben wieder zur Gelantwortlichen H a n d l u n g aufgestellt und es t u n g bringen und damit die in unserem Wirtwird eine Entwicklung f o r t g e f ü h r t , die bereits schaftsleben eingerissenen unerfreulichen ZuNamentlich durch eine Erweiterung und Vereinheit- stände überwinden helfen." lichung der verschiedenen T a t b e s t ä n d e der aus diesen Sätzen ergibt sich im Wesentlichen zweierlei: die S t ä r k u n g des Treuegedankens U n t r e u e " a n g e b a h n t worden ist. Denn seit dem 1. VI. 1933 (G. v o m im K a m p f e gegen kriminelle Vermögensunter26. V. 1933 [RGBl. I, 295 Art. 1 Ziff. 18]) gibt schleife und die Möglichkeit f ü r den prakder abgeänderte § 266 StGB, an Stelle eines tischen Kriminalisten, auf Grund solcher f r ü h e r recht schematischen kasuistischen E t h i k zuzugreifen, die strafrechtlich genaue Katalogs verschiedener Gruppen, die Un- Unterscheidung der Spezialtatbestände aber treue begehen können, d r e i n e u e g e n e r e l l e dem Gerichtsurteil zu überlassen, das sich U n t r e u e t a t b e s t ä n d e : 1. M i ß b r a u c h t a t - subtil damit auseinanderzusetzen h a t u n d bestand (Mißbrauch einer rechtlich begrün- seinerseits sowohl die strafrechtlichen wie die bürgerlichrechtlichen Vorausdeten V e r t r e t u n g s m a c h t ; 2. T r e u b r u c h t a t - auch bestand I (Verletzung einer rechtlich be- setzungen der S t r a f b a r k e i t , namentlich beg r ü n d e t e n Treupflicht); 3. T r e u b r u c h t a t - züglich der Strafzumessung, zu ergründen hat. Treue aber ist (vgl. M e r k , Vom Werden bestand II (Verletzung einer tatsächlich beg r ü n d e t e n Treupflicht). Betont man bei der und Wesen des deutschen Rechts, LangenUnterschlagung des § 246 StGB, nicht mehr salza 1935, S. 81) die Zwillingsschwester der die „bewegliche Sache" — wie das ja schon Ehre im germanischen Recht. Treue ist Bebei dem „ D i e b s t a h l " von Elektrizität seiner- ständigkeit, Zuverlässigkeit im Hinblick auf zeit einer klaren Erkenntnis imWege gestanden die Interessen Anderer, zumal wenn m a n hat —, so ist in die neuen erweiterten Untreue- diese Interessen zu wahren irgendwie bet a t b e s t ä n d e auch die Unterschlagung leicht sonders verpflichtet ist, und zugleich im einzuordnen und es d ü r f t e als ein Fortschritt Interesse der Allgemeinheit. Sobald aber Unanzusehen sein, a l l e diese T a t b e s t ä n d e unter treue sich auf Vermögensdinge bezieht, so ist den Oberbegriff der Untreue einzuordnen. sie der Gegensatz zu anständiger, korrekter K. S i e g e r t schlägt (Deutsches Recht 1934, und pflichtgemäßer Handlungsweise in VerS. 531) eine grundlegende Vereinfachung mögens*, Besitz- und Geldangelegenheiten. durch folgende Gesetzesfassung v o r : „ D e r Hält man dies grundsätzlich fest, so erscheint U n t r e u e ist schuldig, wer die ihm auf Grund es kriminologisch aufschlußreich, alle jene eines Treueverhältnisses obliegende Pflicht, Einzelarten, von denen u n t e r II noch näher f r e m d e Vermögensinteressen wahrzunehmen, zu sprechen ist, zuerst u n t e r dem zusammenvermögensrechtvorsätzlich verletzt und dadurch dem Treu- fassenden Gesichtspunkt geber Nachteile z u f ü g t . " Dies t r i f f t d a n n eben licher Untreue anzusehen. Wenn der Leipauch auf die Unterschlagung einer im eigenen ziger K o m m e n t a r z u m S t G B . ( E b e r m a y e r Gewahrsam befindlichen f r e m d e n Sache Lobe) (1929, S. 793) von „ V e r u n t r e u u n g " als zu. Denn diese Unterscheidung bliebe ge- „qualifizierter Unterschlagung" spricht, sokünstelt wie diejenige der f r ü h e r e n (und viel- fern die Sache dem T ä t e r „ a n v e r t r a u t " war, leicht auch jetzigen) verschiedenen Untreue- so ist das A n v e r t r a u e n nur ein höherer Grad t a t b e s t ä n d e . „Die neue U n t r e u e b e s t i m m u n g " , des Gewahrsams und die Grundlage f ü r die heißt es bei S c h w i n g e - S i e b e r t (s. Schrift- Qualifizierung der Untreuehandlung. t u m ) S. 12; dort wird auch (S. 61) b e t o n t , II. Der kriminologische T a t b e s t a n d verdaß U n t r e u e in Tateinheit mit U n t e r - mögensrechtlicher Untreue zeigt sich nach schlagung t r e t e n kann), „will mit diesen geltendem Recht in f o l g e n d e n S p i e l a r t e n : Künsteleien ein f ü r alle Mal Schluß machen. 1. U n t e r s c h l a g u n g beweglicher Sachen, Die Rechtsprechung soll in Z u k u n f t nicht die sich im Gewahrsam des Unterschlagenden mehr in die Verlegenheit kommen, in Fällen, befanden. Es wird dabei durch irgend eine wo sie verurteilen möchte, entweder freizu- in Erscheinung t r e t e n d e H a n d l u n g der Gesprechen oder zu Konstruktionen Zuflucht w a h r s a m f ü r den Anderen in einen Gewahrnehmen zu müssen, die mit dem Analogie- sam f ü r den Unterschlagenden verwandelt. verbot nicht in Einklang zu bringen sind. Auf welche Weise oder durch welche Mittel Handwörterbuch der Kriminologie. Bd. II. 55

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diese Gewahrsamszueignung geschieht, ist gleichgültig ( R O S t . 15, 426). Es genügt, daß Eigenbesitz oder Gewahrsam sich erkennen ließ. Beispielsweise ist dies der Fall, wenn der F u n d nicht in angemessener Zeit gemeldet, hinterlegt, z u r ü c k e r s t a t t e t wird (Fundunterschlagung), oder wenn die besessene Sache v e r b r a u c h t oder verzehrt wird, oder wenn sie v e r k a u f t wird, d. h. bereits dann, wenn der K a u f v e r t r a g abgeschlossen wird ( R G S t . 17, 59), oder wenn die Sache verarbeitet w i r d ; unter U m s t ä n d e n auch wenn dem Berechtigten gegenüber der Besitz der Sache geleugnet wird. Besondere Schwierigkeiten können entstehen, wenn es sich um G e l d h a n d e l t ; „ V e r m i s c h u n g f r e m d e n Geldes mit eigenem ist nur dann Aneignung, wenn sie in Aneignungsabsicht erfolgt" (Leipziger K o m m e n t a r 1929, S. 793). Das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit, das sich eben auf die Aneignung bezieht, ist dabei maßgebend, also schon ein Bewußtsein, gegen die Rechtsordnung schlechthin zu verstoßen, auch ohne gewinnsüchtige oder vermögenschädigende Absicht ( R G S t . 21, 270). Auch bleibt es stets eine erst im Einzelfall zu lösende Frage, ob J e m a n d , z. B. der Sammler von Bestellungen, der im voraus Gelder einzieht und diese nicht behufs A u s f ü h r u n g der Bestellung weiter leitet, eine Unterschlagung begeht oder als selbständiger K a u f m a n n etwa nur Geschäftsschulden dadurch eingeht, die er bei Fälligkeit zu zahlen h a t und deren Nichtzahlung ihn bloß zum säumigen Schuldner macht ( R G S t . 69, 147: „Die vorausgezahlten Gelder wurden mit dem E m p f a n g Eigentum des Angeklagten, so daß eine Unterschlagung der Gelder nicht in Frage k o m m t " . . . „Die Pflicht, Vertragsbedingungen zu erfüllen, ist nicht gleichbedeutend mit der Pflicht, im Sinne des § 266 S t G B , die Vermögensinteressen eines Anderen wahrzunehmen oder zu betreuen"). Hier werden die Grenzen immer flüssig bleiben, aber der strenger gewordene U n t r e u e t a t b e s t a n d kann auch hier ergänzend im Sinne befriedigender Rechtsverwirklichung eingreifen. F ü r das künftige Recht steht bei D a h m (a. a. O. S. 344) als Vorschlag eines veränderten Unterschlagungstatbestandes: „Wer, abgesehen von den Fällen des Raubes, des Diebstahls oder des Treubruchs, widerrechtlich sich zum Herrn einer f r e m d e n beweglichen Sache macht, wird mit Gefängnis, in leichteren Fällen mit H a f t b e s t r a f t . " Hier ist also Unterschlagung u n t e r T r e u b r u c h ausgeschieden, weil T r e u b r u c h als besonderer strafrechtlicher T a t b e s t a n d angesehen wird. 2. M i ß b r a u c h e i n e r gesetzlichen Vollmacht oder Vertretungsbefugnis, möglich z. B. beim Vormund, Vater, Ehe-

g a t t e n bezüglich der Vermögensverwaltung ihrer Schutzbefohlenen, beim Konkursverwalter, Nachlaßverwalter, K u r a t o r , Güterpfleger usw. Vgl. auch RVO. § 23 f ü r Mitglieder der Organe der Versicherungsträger, ebenso R K n a p p s c h G . § 153 und AVAVG. § 268. Die Verletzung kann auch im Dulden von Rechtswidrigkeiten oder im Unterlassen von pflichtmäßigen Handlungen bestehen (z. B. Verschweigen der Vaterschaft des Vorm u n d s g e g e n ü b e r demMündel, R G S t . 30,391). Die schwierige Abgrenzung, wo das bürgerlichrechtliche Vollmachtverhältnis a n f ä n g t oder a u f h ö r t (vgl. den Boten, den Quittungsträger, den Aufträge a u s f ü h r e n d e n Angestellten), b ü ß t zwar ihre schließliche strafrechtliche Bedeutung zum großen Teil ein, da der U n t r e u e t a t b e s t a n d ja jetzt auch andere Fälle u m f a ß t (s. zu 3ff.), aber das ändert nichts daran, daß der rein e r f a ß t e Mißbrauchtatbestand von der zivilrechtlichen Klärung des Bevollmächtigtenverhältnisses abhängig ist. Grundlage des T a t b e s t a n d e s ist hier — wie im Folgenden — die Pflichtwidrigkeit bei der Verwaltung und Verfügung. Die folgenden T a t b e s t ä n d e (3ff.) sind berufen, jeweils die Lücken des vorhergehenden auszufüllen ¡ ( S c h w i n g e - S i e b e r t , a. a. O., S. 19); dies I zu betonen ist wichtig gegenüber den GeI fahren einer uferlosen, willkürlich ausdehnend e n A n w e n d u n g des § 266 (s. u n t e n zu III ; a m Ende). 3. M i ß b r a u c h e i n e r a u f t r a g s m ä ß i g behördlichen Vollmacht oder Vert r e t u n g s b e f u g n i s , möglich z. B. beim T r e u h ä n d e r ( R G S t . 61, 174), Vermögensverwalter; denn es ist das Wesen des Treuhänders oder obrigkeitlich bestellten Verwalters, daß er zum Vorteil, nicht zum Nachteil der seiner Pflege a n v e r t r a u t e n Interessen handelt. 4. M i ß b r a u c h e i n e r v e r t r a g l i c h e n Vollmacht oder Vertretungsbefugnis, möglich z. B. beim Gesellschafts-, Auftrags-, Verlagsverhältnis; beim Testamentsvollstrecker, der ja durch Rechtsgeschäft bestellt ist (vgl. Schwinge-Siebert, S. 26); bei Liquidatoren einer offenen Handelsgesellschaft; Überschreitung der Vertretungsbefugnis (z. B. durch Prokurist). Hierher gehört ein Teil des Gebiets d e r h a n d e l s r e c h t l i c h e n U n t r e u e , nämlich soweit der Ungetreue eine Vollmacht oder Vertretungsbefugnis besitzt und diese verletzt (Gesellschafter, Agent, Handlungsbevollmächtigter). 5. T r e u b r u c h b e i r e c h t l i c h b e g r ü n d e t e r T r e u p f l i c h t . Hier handelt es sich beispielsweise um Handlungen eines Vormundes, Ehemannes, Treuhänders usw., die außerhalb des Gebiets ihrer eigentlichen Vollmacht und Vertretungsbefugnis (s. oben zu 2 und 3) liegen, aber doch zu dem von ihnen

Untreue und Unterschlagung (A. Kriminologie) nach Lage der Dinge zu verlangenden Treuehalten gehören, also etwa nachlässige Beh a n d l u n g der Rechtsansprüche der Schutzbefohlenen ohne unmittelbaren Mißbrauch der Vollmacht. Auch der K o m m a n d i t i s t gehört hierher, ebenfalls der Makler. Nach der Rechtsprechung des RO. und nach neuer Gesetzesdoktrin gehört hierher auch der Teil der h a n d e l s r e c h t l i c h e n U n t r e u e , der sich auf § 312 H O B . (Vorstand usw. der Aktiengesellschaft) bezieht, da es sich bei den Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern nur um kontrollierende, nicht um rechtsgeschäftliche Tätigkeit zu handeln b r a u c h t . Es gehört dahin jedes absichtliche Handeln zum Vermögensnachteile des Auftraggebers, der Gesellschaft usw., z. B. Bilanzfälschungen, satzungswidrige Kreditgewährung oder Darlehnsaufnahme, besonders riskante Geschäfte, die ohne A n w e n d u n g der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes getätigt werden. Im Verhältnis zu dem neu gefaßten § 266 S t G B , ist § 3 1 2 H G B . lex specialis ( S t a u b , HGB., S. 870 Anm. 21). Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft oder einer Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft können sich einer U n t r e u e auch dann schuldig machen, wenn sie eine Rechtshandlung nicht in ihrer Eigenschaft als Vorstand, sondern als Vertragsgegner der von ihnen vertretenen Gesells c h a f t v o r n e h m e n ( R G S t . 26, 136; 58, 391/ 392; Urteil vom 14. VI. 1929, I D 505/28 und vom 10. V I I I . 1933, I D 603/33; vgl. auch R G S t . 26, 69; R G . V, 3. VI. 1935, 5 D 359/35. Auch als ihr Vertragsgegner darf er nicht absichtlich zu ihrem Nachteil handeln, ohne sich nach §§312 H G B . s t r a f b a r zu machen (vgl. R G S t . 41, 265/266; 62, 15, 20; 64, 81, 84). Gleicher Art sind die Bestimmungen G m b H G . § 81a, GenG. § 146, VersAufsG. § 142, Börsen G. § 95. 6. T r e u b r u c h b e i t a t s ä c h l i c h b e g r ü n d e t e r T r e u p f l i c h t , etwa der Fürsorge f ü r Hausangestellte, f ü r eine vorübergehend b e n u t z t e Wohnung, einen aus Gefälligkeit überlassenen Wagen (mangelhafte Bewahrung vor Schaden). 7. Die V e r b r e c h e n u n d V e r g e h e n i m A m t e , die nach §§ 331—359 S t G B , geahndet werden, können sämtlich zur Untreue bzw. zur Unterschlagung (hier insbesondere §§ 349ff.) gerechnet werden, weil durch ihre Begehung das Treu- und Vertrauensverhältnis, in dem der Beamte oder A m t s t r ä g e r zum S t a a t e oder zu seiner Obrigkeit steht, das Band bildet, das diese zum Teil ganz verschiedenartigen Delikte u n t e r einen Titel des Gesetzes gebracht hat. Selbst wenn man den Beamten nicht als „ B e v o l l m ä c h t i g t e n " ansieht und ein Untreuevergehen nach § 266 a b l e h n t (vgl. Leipziger K o m m e n t a r 1929,

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S. 873, zum Teil gegen Reichsgericht), so ändert doch diese strafrechtliche Einordnung nichts an der kriminologischen Zugehörigkeit dieser Delikte zu dem großen Gebiet der Untreue, da die Handlungen, von einem Bea m t e n begangen, nicht nur von außen her gegen die Rechtsordnung verstoßen, sondern zugleich eine Verletzung der inneren und durch den Beamteneid geheiligten Treuverpflichtungen verstoßen. III. Es liegt in der N a t u r der Sache, daß die Untreuekriminalität zumeist n i c h t s e h r h a n d g r e i f l i c h ist, d. h. daß ihre E r m i t t e l u n g sehr sachliche Einblicke und ihre Beurteilung geschäftliche Urteilskraft verlangt. So sehr man f ü r die neuen U n t r e u e t a t b e s t ä n d e auch versucht hat, die Abhängigkeit von zivilrechtlichen Rechtsfragen (der Bevollmächtigung usw.) zu beseitigen oder zu verkleinern, ganz abzusehen ist davon nicht. Es bedarf der Einsicht in die Aufgaben der verschiedenen Verwaltungs-, Fürsorge- und Treuhandbetätigungen, um die zu verlangende Treue von der kriminalistisch werdenden Untreue zu scheiden. „Handelsrechtliche" U n t r e u e i s t also gewiß nicht ohne genaue P r ü f u n g der betreffenden handelsrechtlichen Befugnisse und Pflichten feststellbar. Und will man einen T r e u b r u c h beispielsweise im Familiengüterrecht erkennen und feststellen, so muß m a n sich über die Rechte und Pflichten der Beteiligten in Bezug auf die Vermögensverwaltung u. dgl. klar sein. Daß diese Rechte und Pflichten nicht völlig eindeutig sind, liegt auf der H a n d ; denn es handelt sich dabei um den ethischen, oftmals subjektiven und gewiß auch wandelbaren Begriff der Treue. Dieser ist nicht nur gegenüber Charakteren und Sachu m s t ä n d e n , sondern auch gegenüber der Zeitanschauung relativ. J e ernster und sittlicher eine Zeit ist, um so strenger n i m m t sie den Begriff der Treue und damit zugleich ihr Gegenstück, die Untreue. Was in laxer Zeits t r ö m u n g als erlaubtes Schlüpfen durch Maschen des Gesetzes oder der Sittenanschauung galt, wird in ethisch geläuterter Rechtsauffassung zu Rechtsbruch und Untreue. J a aus diesen Gesichtspunkten entwickelt sich auch die Frage, wenn ein „besonders schwerer Fall" vorliegt. Hierüber sind einige neuere Urteile ergangen, die(z. B. OLG. Kiel 14. I I I . 1935, Ss 9/35 in H R R . 1935) die Schwere des Falles unter dem Gesichtspunkt der Schädigung des Volksganzen betonen. Das RG. (V, 27. VI. 35, D 464/35) bestätigt grundsätzlich solche Auffassung, aber umgrenzt sie gegen Uferlosigkeit, indem es s a g t : „ D a s RG. hat schon mehrfach dem Gedanken Ausdruck gegeben, daß es eine übertriebene Wert u n g wirtschaftlicher Vorgänge gegenüber den vielen anderen f ü r das Wohl des Volkes

55*

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U n t r e u e u n d U n t e r s c h l a g u n g (A. Kriminologie)

w i c h t i g e n G e s i c h t s p u n k t e n sein u n d eine zu g e r i n g e W e r t u n g der das Volk t r a g e n d e n K r ä f t e b e d e u t e n w ü r d e , w e n n schon ein geringerer Geldverlust der m i t d e m S t a a t e v e r b u n d e n e n O r g a n i s a t i o n e n , also a u c h der N S . V o l k s w o h l f a h r t , t r o t z der großen Zahl ihrer Mitglieder u n d t r o t z ihrer finanziellen K r ä f t e ohne weiteres als S c h ä d i g u n g des Wohles des Volkes angesehen w e r d e n m ü ß t e . " Es k o m m e v i e l m e h r darauf an, „ w e l c h e n U m f a n g die E i n b u ß e an A n s e h e n oder a n sonstigen geis t i g e n oder s i t t l i c h e n G ü t e r n , u n d zwar v o r n e h m l i c h in j e n e n Kreisen a n g e n o m m e n h a t , in denen diese v e r w u r z e l t s i n d " . Vgl. a u c h R G . V, 27. V I . 35, 413/35 u n d 445/35, a b gedr. im H R R . 1935. Der G e d a n k e des G e m e i n n u t z e s , der v o r E i g e n n u t z g e h t , u n d der opfervollen B e t ä t i g u n g der V e r a n t w o r t lichen aller A r t , a u c h in Gelddingen, f ü r die n ä h e r e u n d weitere U m w e l t v e r g r ö ß e r t n a t u r g e m ä ß die A n f o r d e r u n g e n a n die T r e u e u n d erweitert die T a t b e s t ä n d e der U n t r e u e . H i e r f ü r g i b t die n e u e F a s s u n g des § 266 R S t G B . w i r k s a m e H a n d h a b e n . In einer A n s p r a c h e im Mai 1935 bezeichnete R e i c h s j u s t i z m i n i s t e r G ü r t n e r gerade die neue u m f a s s e n d e B e g r i f f s b e s t i m m u n g der s t r a f b a r e n U n t r e u e als ein Beispiel d a f ü r , wie das S t r a f g e s e t z das g r u n d s ä t z l i c h e norm a t i v e E l e m e n t in den V o r d e r g r u n d zu r ü c k e n habe, d a m i t a u c h T a t e n , die einen R e c h t s g e d a n k e n v e r l e t z e n , a b e r auf den b u c h s t ä b l i c h e n I n h a l t eines S t r a f g e s e t z p a r a g r a p h e n n i c h t passen, g e a h n d e t w e r d e n k ö n n e n . Es ist d a n n h e u t e nicht m e h r möglich, einen — schon f r ü h e r teilweise scharf kritisierten — Fall zu d e n k e n , d a ß E l e k t r i z i t ä t s d i e b s t a h l nicht o h n e einen n e u e n Gesetzesakt g e a h n d e t w e r d e n k o n n t e , weil E l e k t r i z i t ä t keine bewegliche S a c h e sei. U n t r e u e in V e r m ö g e n s d i n g e n u n d Veruntreuung aber werden nunmehr Tatb e s t ä n d e sein, bei denen auf G r u n d aller U m s t ä n d e eines Falles ein auf sittlicher Korrektheit beruhendes Abwägen erforderlich ist zwischen b e r e c h t i g t e m Gemeins c h a f t s s i n n einerseits u n d einem in ber e c h t i g t e r U m g r e n z u n g g e h a l t e n e n Eigenvorteil des Verwalters, Gesellschafters, Vorm u n d s , L i q u i d a t o r s , V o r s t a n d s usw. a n d e r e r seits. Die N o t w e n d i g k e i t einer Interessen- u n d G ü t e r a b w ä g u n g ist insbesondere a u c h d a n n erf o r d e r l i c h , w e n n der H a n d e l n d e m e h r e r e Interessen zu b e r ü c k s i c h t i g e n h a t ( S c h w i n g e S i e b e r t , a . a . O . , S. 49). F ü r alle G r u p p e n allgemein g e l t e n d e Regeln a u f z u s t e l l e n , wird hier nicht möglich sein, weil es jeweils erforderlich ist, die S t a n d e s - u n d A r b e i t s e h r e im besonderen zu p r ü f e n u n d in die E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e einzusetzen. Die Vorschläge f ü r das k ü n f t i g e S t r a f r e c h t (vgl. D a h m , a. a. O., S. 343/44) erk e n n e n die v e r s c h i e d e n e n V o r a u s s e t z u n g e n ,

die d u r c h die Lebens- u n d R e c h t s l a g e gegeben sind, an, w e n n sie t r e n n e n : a) „ W e r die i h m auf G r u n d eines T r e u v e r h ä l t n i s s e s obliegende P f l i c h t , f r e m d e Vermögensinteressen w a h r z u n e h m e n , v e r l e t z t , oder es böswillig u n t e r l ä ß t , f r e m d e Vermögensinteressen w a h r z u n e h m e n , obwohl er K r a f t eines T r e u v e r h ä l t n i s s e s d a z u v e r p f l i c h t e t ist, u n d wer d a d u r c h d e m , dessen Vermögensinteresse er zu b e t r e u e n h a t , N a c h t e i l zufügt, wird mit Gefängnis bestraft. W e g e n T r e u b r u c h s w i r d insbesondere bes t r a f t , wer sich oder einen A n d e r e n z u m H e r r n einer f r e m d e n beweglichen Sache m a c h t , die i h m a n v e r t r a u t w a r , oder wer die i h m d u r c h Gesetz, behördlichen A u f t r a g oder R e c h t s g e s c h ä f t e i n g e r ä u m t e Befugnis, ü b e r f r e m d e s Vermögen zu v e r f ü g e n oder einen A n d e r e n zu v e r p f l i c h t e n , m i ß b r a u c h t . In besonders schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus." b) U n t e r s c h l a g u n g , schon zitiert oben zu II, 1 a m E n d e (S. 866). c) „ I s t d u r c h einen Diebstahl, einen T r e u b r u c h oder eine U n t e r s c h l a g u n g ein Angehöriger oder der V o r m u n d , L e h r h e r r oder E r zieher eines an der S t r a f t a t Beteiligten verletzt oder lebt der Verletzte m i t einem a n der S t r a f t a t Beteiligten in häuslicher Gemeins c h a f t , so w i r d dieser Beteiligte n u r auf Verlangen des V e r l e t z t e n v e r f o l g t . W e r die T a t gegen seinen E h e g a t t e n beg e h t , m i t d e m er in häuslicher G e m e i n s c h a f t lebt, oder wer sie a n S a c h e n geringen W e r t e s gegen einen a n d e r e n A n g e h ö r i g e n b e g e h t , m i t d e m er in häuslicher G e m e i n s c h a f t l e b t , ist straffrei." Die ethische A b w ä g u n g h a t a u c h hier das e n t s c h e i d e n d e W o r t . Diese ethische A b w ä g u n g m u ß a b e r a u c h s t a r k g e n u g sein, Q u e r u l a n t e n t u m , v e r s u c h t e E r p r e s s u n g u. dgl., die sich m i ß b r ä u c h l i c h der Anzeige wegen U n treue gegenüber Verwaltern und Treuhändern bedienen, z u r ü c k z u w e i s e n (vgl. S c h w i n g e S i e b e r t , a. a. O., S. 16/17); bloße U n z u f r i e d e n h e i t m i t d e m V e r m ö g e n s v e r w a l t e r darf nicht schon den Vorwurf der U n t r e u e beg r ü n d e n , es heißt hier — t r o t z der s t r e n g e n g r u n d s ä t z l i c h e n A b w e h r u n d der n a c h R G e s . v o m 28. VI. 1935 ( R G B l . I S. 839) geb o t e n e n Analogie im S t r a f r e c h t — Vorsicht g e g e n ü b e r den G e f a h r e n einer willkürlich ausd e h n e n d e n G e s e t z e s a n w e n d u n g w a l t e n zu lassen. Schrifttum: N e b e n den K o m m e n t a r e n des S t G B . , insbes. L e i p z . K o m m e n t a r (Ebermayer-LobeR o s e n b e r g 1929 zu §§ 246 c, 266) u n d den L e h r b ü c h e r n des S t r a f r e c h t s (u. a. G e r l a n d 1932 S. 6 0 4 f f . u. 649) insbesondere die u m f a s s e n d e u n d alle E i n z e l f r a g e n behandelnde Schrift von E. S c h w i n g e und

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Untreue und Unterschlagung (A. Kriminologie — B. Statistik W S i e b e r t , Das neue U n t r e u e s t r a f r e c h t in strafrechtlicher und zivilrechtlicher Beleuchtung, Berlin 1933: ferner insbesondere Das k o m m e n d e D e u t s c h e Strafr e c h t " . Besonderer Teil. Bericht über die Arbeit der amtlichen S t r a f r e c h t s k o m mission. Herausgegeben von Dr. F r a n z O ü r t n e r , Reichsjustizminister. Daraus K o h l r a u s c h S. 297ff., D a h m S. 334ff. Über handelsrechtliche Untreue S t a u b , H O B . II, 863ff. (zu § 312 HGB.). — D. P r i e ß , Die aktienrechtliche Untreue, Diss., H a m b u r g 1933. — H. M a y e r , Die Untreue im Z u s a m m e n h a n g der Vermögensverbrechen, 1926. Alexander Elster.

B. Statistik. Eine Darstellung über die Entwicklung des zahlenmäßigen Umfangs der U n t e r s c h l a g u n g , der U n t r e u e und der A m t s u n t e r s c h l a g u n g im Deutschen Reich ist (wie auch bei jedem anderen Verbrechen oder 1. D i e E n t w i c k l u n g d e r

Vergehen gegen Reichsgesetze) vom J a h r e 1882 ab möglich, in dem die Reichskriminalstatistik (s. a. d. Art. Kriminalstatistik) ihren Anfang n a h m . In diesem ersten J a h r der kriminalstatistischen Erhebungen wurden wegen U n t e r s c h l a g u n g (§ 246 StGB.) 14577 Personen oder 46 auf je 100000 der strafmündigen Zivilbevölkerung (Kriminalitätsziffer) rechtskräftig verurteilt. Nach einem bis etwa Ende der 80er J a h r e währenden geringfügigen Rückgang in der Unterschlagungskriminalität setzt mit der zunehmenden wirtschaftlichen Blüte und dem wachsenden Wohlstand ein Aufstieg ein, der fast bis zum Schluß der Vorkriegsperiode anhält. Im J a h r e 1912 wurden 31450 wegen Unterschlagung Verurteilte gezählt (von diesem J a h r e ab enthalten die Zahlen hierüber auch die Verurteilungen wegen Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen des § 248a StGB., soweit es sich um Unterschlagung handelt, die jedoch ziemlich geringfügig sind). Die Kriminalitätsziffer

1 U n t e r s c h l a g ung im D e u t s c h e n Reich ) seit

Rechtskräftige Verurteilte

insgesamt

14577 14432 16340 19982 20030 23454 29742 30487 25970 17184 16254

16010

18578 16461 30264 32259 31701 37211 29988 31302 34061 34660 35843 38705 40092 39443 38027

1882.

Von den Verurteilten waren

auf 100000 weiblich der jeweiligen strafmündigen Beins% völkerung 2 ) gesamt 2979 2957 3279 3686 3483 4024 5067 4985 4748 3847 4650 5941 7730 4870 6574

6666

20.4 20.5

20,1

18,4 17,4 17.2 17.0 16,4 18.3 22.4

28.6

37.1 41,6 29.6 21.7 20,7 17,4 16.7 14.2

jugendlich

vorbestraft

insgesamt

%

insgesamt

%

1419 1353 1875 2149 2235 2327 2441 2735 2360 3113 3935 4063 3949 2496 3828 3318 3177 3278 1768 1322 1255 1153 1409 1306 1179 967 807

9.7 9,4 11.5 10,8 11,2 9,9 8,2 9.0 9.1 18,1 24.2 25,4 21.3 15.2 12.6 10.3

4189 4763 6404

28,7 33,0 39,2 43,0 48,7 51.6 53.0 52,2 52,4 48.4 42,2 32.2 26.5 21,5

8600

9762 12101 15761 15906 13605 8322 6856 5161 4918 3537 6098 7223 8568 10070 10187 11551 13809 15833 18374 20839 21728 21550 20566

20.1

22.4 27.0 6220 27.1 4258 5,9 34.0 3821 12,2 4.2 36,9 3729 10,9 3,7 40.5 3882 11,2 3.3 45.7 3990 11,1 3,9 51.3 4491 11,6 3.4 53.8 4979 12,4 2,9 54.2 5051 12.8 2.5 54.6 4804 12,6 2,1 54.1 Jeweiliges Reichsgebiet. — 2) Kriminalitätsziffer. — Kriminalitätsziffern lassen sich mangels Angaben über die s t r a f m ü n d i g e männliche Zivilbevölkerung f ü r die Kriegsjahre nicht berechnen. 5521

10,0 8.8

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Untreue und Unterschlagung (A. Kriminologie — B. Statistik W S i e b e r t , Das neue U n t r e u e s t r a f r e c h t in strafrechtlicher und zivilrechtlicher Beleuchtung, Berlin 1933: ferner insbesondere Das k o m m e n d e D e u t s c h e Strafr e c h t " . Besonderer Teil. Bericht über die Arbeit der amtlichen S t r a f r e c h t s k o m mission. Herausgegeben von Dr. F r a n z O ü r t n e r , Reichsjustizminister. Daraus K o h l r a u s c h S. 297ff., D a h m S. 334ff. Über handelsrechtliche Untreue S t a u b , H O B . II, 863ff. (zu § 312 HGB.). — D. P r i e ß , Die aktienrechtliche Untreue, Diss., H a m b u r g 1933. — H. M a y e r , Die Untreue im Z u s a m m e n h a n g der Vermögensverbrechen, 1926. Alexander Elster.

B. Statistik. Eine Darstellung über die Entwicklung des zahlenmäßigen Umfangs der U n t e r s c h l a g u n g , der U n t r e u e und der A m t s u n t e r s c h l a g u n g im Deutschen Reich ist (wie auch bei jedem anderen Verbrechen oder 1. D i e E n t w i c k l u n g d e r

Vergehen gegen Reichsgesetze) vom J a h r e 1882 ab möglich, in dem die Reichskriminalstatistik (s. a. d. Art. Kriminalstatistik) ihren Anfang n a h m . In diesem ersten J a h r der kriminalstatistischen Erhebungen wurden wegen U n t e r s c h l a g u n g (§ 246 StGB.) 14577 Personen oder 46 auf je 100000 der strafmündigen Zivilbevölkerung (Kriminalitätsziffer) rechtskräftig verurteilt. Nach einem bis etwa Ende der 80er J a h r e währenden geringfügigen Rückgang in der Unterschlagungskriminalität setzt mit der zunehmenden wirtschaftlichen Blüte und dem wachsenden Wohlstand ein Aufstieg ein, der fast bis zum Schluß der Vorkriegsperiode anhält. Im J a h r e 1912 wurden 31450 wegen Unterschlagung Verurteilte gezählt (von diesem J a h r e ab enthalten die Zahlen hierüber auch die Verurteilungen wegen Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen des § 248a StGB., soweit es sich um Unterschlagung handelt, die jedoch ziemlich geringfügig sind). Die Kriminalitätsziffer

1 U n t e r s c h l a g ung im D e u t s c h e n Reich ) seit

Rechtskräftige Verurteilte

insgesamt

14577 14432 16340 19982 20030 23454 29742 30487 25970 17184 16254

16010

18578 16461 30264 32259 31701 37211 29988 31302 34061 34660 35843 38705 40092 39443 38027

1882.

Von den Verurteilten waren

auf 100000 weiblich der jeweiligen strafmündigen Beins% völkerung 2 ) gesamt 2979 2957 3279 3686 3483 4024 5067 4985 4748 3847 4650 5941 7730 4870 6574

6666

20.4 20.5

20,1

18,4 17,4 17.2 17.0 16,4 18.3 22.4

28.6

37.1 41,6 29.6 21.7 20,7 17,4 16.7 14.2

jugendlich

vorbestraft

insgesamt

%

insgesamt

%

1419 1353 1875 2149 2235 2327 2441 2735 2360 3113 3935 4063 3949 2496 3828 3318 3177 3278 1768 1322 1255 1153 1409 1306 1179 967 807

9.7 9,4 11.5 10,8 11,2 9,9 8,2 9.0 9.1 18,1 24.2 25,4 21.3 15.2 12.6 10.3

4189 4763 6404

28,7 33,0 39,2 43,0 48,7 51.6 53.0 52,2 52,4 48.4 42,2 32.2 26.5 21,5

8600

9762 12101 15761 15906 13605 8322 6856 5161 4918 3537 6098 7223 8568 10070 10187 11551 13809 15833 18374 20839 21728 21550 20566

20.1

22.4 27.0 6220 27.1 4258 5,9 34.0 3821 12,2 4.2 36,9 3729 10,9 3,7 40.5 3882 11,2 3.3 45.7 3990 11,1 3,9 51.3 4491 11,6 3.4 53.8 4979 12,4 2,9 54.2 5051 12.8 2.5 54.6 4804 12,6 2,1 54.1 Jeweiliges Reichsgebiet. — 2) Kriminalitätsziffer. — Kriminalitätsziffern lassen sich mangels Angaben über die s t r a f m ü n d i g e männliche Zivilbevölkerung f ü r die Kriegsjahre nicht berechnen. 5521

10,0 8.8

870

Untreue und Unterschlagung (B. Statistik)

stellt sich auf 67. Sie erreicht damit vor dem Kriege das Maximum. Sehr mit Recht erklärt A s c h a f f e n b u r g (a. a. O. S. 129) die Vorkriegsentwicklung der Unterschlagungskriminalität damit, daß da, wo Handel und Industrie blühen, die Gelegenheit am häufigsten ist, die zum Betrüger macht und die Unterschlagungen begünstigt. Was die Ursachen der Unterschlagungskriminalität im einzelnen a n b e t r i f f t , so gelten hierbei dieselben Momente, die B e r g f ü r den a r t v e r w a n d t e n Bet r u g treffend a n f ü h r t : „Nicht die wirtschaftliche Depression, sondern im Gegenteil der wirtschaftliche Aufschwung bildet das hervorragendste Milieu f ü r den Betrug, nicht die Not, sondern gerade der laute, lärmende Markt, wo sich alles drängt, mit einander und gegen einander wirkend, dem Gewinn nachjagend, dieser laute und lebendige Markt ist seine eigentliche Provinz. Daher das üppige Gedeihen des Betruges in dem verwickelten Handelsverkehr, daher die Existenz von Verbrechen, die gerade dem Betrug nahe verw a n d t , spezifisch Delikte der Wohlhabenden sind, wie Untreue, die Verbrechen des Börsengesetzes, gewisse Vergehen gegen die Arbeiterschutzgesetze usw." (vgl. Getreidepreise und Kriminalität in Deutschland seit 1882, Abhandl. des kriminalistischen Seminars an der Universität Berlin, N. F., 1. Bd., 2. H e f t , Berlin 1902, S. 295). W ä h r e n d des Krieges gehen die Verurteilungen um fast die Hälfte bis auf 16010 im J a h r e 1917 zurück. Die Ursache hierfür ist wohl darin zu suchen, daß f ü r die Unterschlagung unter den Kriegsverhältnissen das Betätigungsfeld viel enger, die Gelegenheit erheblich geringer geworden war. Nach Kriegsende m a c h t sich zwar auch bei der Unterschlagung wieder eine Z u n a h m e bemerkbar, die jedoch im Vergleich zu dem Anschwellen der Diebstahlskriminalität viel geringer ist. Die Verurteiltenzahl erhöhte sich von 30264 im J a h r e 1920, in dem bereits wieder das Niveau der letzten Vorkriegszeit erreicht ist, auf 37211 im H a u p t i n f l a t i o n s j a h r 1923, die Kriminalitätsziffer von 64 u m 1 8 , 8 % auf 76, während die Diebstahlskriminalitätsziffer in dem gleichen Zeitraum um 3 4 , 8 % (von 560 auf 755) angewachsen ist. Da bei der Unterschlagung das Objekt erf a h r u n g s g e m ä ß vielfach Bargeld ist, d ü r f t e — ähnlich wie beim R a u b e — die Inflation in kriminogener Beziehung abschwächend gewirkt haben, denn es verlohnte sich in zahlreichen Fällen nicht, eine Geldsumme zu unterschlagen, die in nächster Zeit schon wieder erheblich an Wert verloren h a t t e . Mit der Stabilisierung der W ä h r u n g und der damit v e r b u n d e n e n Rückkehr normaler wirtschaftlicher Verhältnisse t r i t t auch bei der Unterschlagungskriminalität, der allgemeinen Ten-

denz der Vermögenskriminalität folgend, eine A b n a h m e ein, die jedoch keineswegs so s t a r k ist, wie der Rückgang beim Diebstahl und der Hehlerei. Wegen Unterschlagung wurden im J a h r e 1924 insgesamt 29988 Personen oder 64 auf je 100000 der s t r a f m ü n d i g e n Gesamtbevölkerung verurteilt. W ä h r e n d in den folgenden J a h r e n Diebstahl und Hehlerei sich noch weiter verringern, weisen die Unterschlagungen ab 1925 wieder eine Z u n a h m e auf, die bis zum J a h r e 1930 anhält, in dem 40092 straffällige Personen gezählt wurden. Die Kriminalitätsziffer steigt bis auf rund 80 und damit auf den Höchststand in der Nachkriegsperiode. In den J a h r e n 1931 und 1932 t r i t t dann in der Verurteiltenzahl eine leichte Verringerung ein, die sich im J a h r e 1933 in v e r s t ä r k t e m Maße fortsetzt. In diesem J a h r e wurden 24 600 Personen wegen Unterschlagung straffällig, die Kriminalitätsziffer sinkt bis auf 49. Im Verlauf der fünfzigjährigen kriminalstatistischen Beobachtungsperiode h a t t e sich somit die Unterschlagung fast verdreifacht, der ihr soziologisch v e r w a n d t e Betrug sowie die Urkundenfälschung sind jedoch auf das Vier- bis F ü n f f a c h e gestiegen. In der Reihenfolge aller von der Kriminalstatistik erfaßten s t r a f b a r e n Handlungen stand nach der Häufigkeit die Unterschlagung im Durchschnitt der ersten zehn J a h r e der Kriminalstatistik (1882/1891) an f ü n f t e r Stelle (hinter Diebstahl, Körperverletzung, Beleidigung und Hausfriedensbruch), sie war dann an die vierte Stelle gerückt. Stärkere Verurteiltenzahlen weisen gegenwärtig Diebstahl und Betrug auf. Im J a h r e 1885 verhält sich die Unterschlagung zum einfachen Diebstahl noch wie 1:5, im letzten Vorkriegsjahr n u r noch wie 1:2,5, im J a h r e 1926 nur wie 1 : 2 und die Folgezeit bringt, wie schon angedeutet, eine weitere Vormachtstellung der Unterschlagung. „ S o ist das Bild, das die Unterschlagung g e w ä h r t " , b e m e r k t hierzu S a u e r (a. a. 0 . S. 487), „zwar nicht ganz so schlecht wie beim Betrug und bei der U r k u n d e n fälschung. Aber es ist sehr ungünstig u n d ernst. — Dieser Verlauf der Kriminalität bestätigt aufs neue, daß die Unterschlagung a m fernsten dem Diebstahl steht, dagegen soziologisch weit mehr v e r w a n d t dem Betrug und wohl noch enger v e r w a n d t der U r k u n d e n fälschung ist. Aber auch der Hehlerei s t e h t sie sehr n a h e . " Die Beteiligung des w e i b l i c h e n G e s c h l e c h t s an der Unterschlagungskriminalität entspricht im allgemeinen derjenigen der F r a u e n an der Gesamtkriminalität (vgl. d. Art. Geschlecht und Straffälligkeit). In einigen J a h r e n ist sie höher, in einigen J a h r e n niedriger als diese. S a u e r (a. a. O. S. 487)

871

U n t r e u e u n d U n t e r s c h l a g u n g (B. S t a t i s t i k ) 2. D a s A l t e r d e r w e g e n U n t e r s c h l a g u n g V e r u r t e i l t e n i n d e n J a h r e n 1928

Altersklassen a = Verurteilte insgesamt b = davon Vorbestrafte

u n t e r 16 J a h r e alt 16 bis

ti

18



ii

18



ti

21



ti

21



11

25



ii

25



11

30



ii

30



Ii

40



ii

40



11

50



a

50



11

60



60



11

70



„ ii

70 J a h r e U. d a r ü b e r alt

1929

. . .

1931

1932

insge- dav. ! insge- j dav. insge- dav. insge- dav. insge- ! dav. s a m t weibl. I s a m t i weibl. s a m t weibl. s a m t weibl. s a m t i weibl. 414 27 995 167 3 459 1 171 7 098 3 638 8 260 4 947 8 930 5 036 4 379 2 298 1 865 905 394 164 49 21

56 115 7 355 64 652 207 791 327 1098 378 589 200 261 92 62 16 11

1

Alter unbekannt . . Insgesamt

1930

1928—1932.

(a 135 843 \ b 18 374

3990 1292

366 32 940 153 3 520

51 315 241 53 3 23 2 18 864 121 116 726 126 4 104 10 3 273 373 2 901 365 1 166 935 1 091 62 57 7 285 782 6 744 708 7410 3 330 3 761 215 209 3 764 8 909 9 240 981 878 9 249 383 5 472 339 5 696 5 753 10 004 1269 11 034 1462 11 309 567 485 6 973 6 794 6 005 793 5 637 735 5 232 4 922 282 3 223 299 2 905 2 805 340 302 2416 2211 1 949 112 108 1 232 1 116 979 72 59 509 465 434 19 15 245 195 169 6 3 46 50 36 | 1 1 1 18 20 13 1 1 2 1 38 705 4491 140 092 4979 |39 443 20 839 1520 [21 728 1653 21 550

189 38 10 1 618 105 107 7 2 495 352 824 45 6 114 707 2 987 201 7 857 922 4 682 341 1561 11 615 7 075 605 906 5 931 341 3 345 379 2 589 141 1 258 69 572 27 262 12 46 5 16 1 5051 ¡38 027 1714 20 566

e r w a r t e t bei diesem Delikt eine s t ä r k e r e Be- gerichtsgesetzes im J a h r e 1923 wird die U n t e r teiligung, d a die F r a u hier nicht wie beim s c h l a g u n g s k r i m i n a l i t ä t der J u g e n d l i c h e n verDiebstahl einen ä u ß e r e n W i d e r s t a n d zu ü b e r - h ä l t n i s m ä ß i g i m m e r geringer. Ihr Anteil bew i n d e n , weniger Mut als Verschlagenheit zu t r u g in den letzten J a h r e n n u r noch r u n d beweisen b r a u c h t . A n d e r e r s e i t s s t e h t in nor- 2 - 3 % . malen Zeiten die F r a u weniger im g e s c h ä f t Über den A l t e r s a u f b a u sowie ü b e r den l i c h - w i r t s c h a f t l i c h e n L e b e n ; sie f i n d e t infolge B e r u f der wegen U n t e r s c h l a g u n g V e r u r dessen seltener Gelegenheit z u m Besitz f r e m - t e i l t e n geben die Ü b e r s i c h t e n 2 u n d 3 A u f der Sachen. D a r a u s e r k l ä r t sich a u c h der schluß. Wie v o r d e m Kriege so weist a u c h wesentlich s t ä r k e r e Anteil der F r a u e n an den j e t z t die U n t e r s c h l a g u n g s k r i m i n a l i t ä t in ihrer U n t e r s c h l a g u n g e n w ä h r e n d des Krieges, in Verteilung auf die Altersklassen ein Vord e m er bis auf ü b e r 4 0 % im J a h r e 1918 a n - herrschen der gereifteren J a h r e auf. Bei der steigt, w ä h r e n d ihre K r i m i n a l i t ä t in der ersten B e t r a c h t u n g des B e r u f s ergibt sich ein Ü b e r Nachkriegszeit, b e s o n d e r s a b e r seit Ü b e r - wiegen der n i c h t s e l b s t ä n d i g e n P e r s o n e n (Anw i n d u n g der I n f l a t i o n w i e d e r b e d e u t e n d a b - gestellte, A r b e i t e r , Gehilfen, T a g e l ö h n e r , n i m m t . E r s t in den l e t z t e n B e r i c h t s j a h r e n K n e c h t e , Mägde usw.) in den drei H a u p t 1930—1932 ist sie wieder e t w a s s t ä r k e r . wirtschaftsabteilungen Land- und ForstA u c h die J u g e n d l i c h e n weisen v o r d e m w i r t s c h a f t , I n d u s t r i e u n d H a n d w e r k sowie in Kriege im D u r c h s c h n i t t einen ä h n l i c h e n A n - H a n d e l u n d Verkehr, das S a u e r (a. a. O. teil a n den U n t e r s c h l a g u n g e n wie a n der Ge- S. 487) d a m i t b e g r ü n d e t , d a ß gerade diese s a m t k r i m i n a l i t ä t a u f . In d e n Kriegszeiten Berufsklassen in die Gelegenheit wie Verlegensteigt er a u s zahlreichen G r ü n d e n , die in heit k o m m e n , ü b e r f r e m d e s G u t zu v e r f ü g e n . diesem W e r k a n a n d e r e r Stelle eingehend d a r DerAnteilderVorbestraftenentspricht gelegt sind (vgl. d. A r t . K r i m i n a l i t ä t im im Großen u n d G a n z e n d e m allgemeinen J u g e n d a l t e r ) , b e m e r k e n s w e r t a n . N a c h Be- D u r c h s c h n i t t s s a t z . E r ist j e d o c h in A b e n d i g u n g des Krieges wird die Beteiligung w e i c h u n g v o n a n d e r e n Verbrechen in der wesentlich schwächer. W e n n a u c h die J u g e n d - letzten Zeit v o r d e m Kriege weit s t ä r k e r als lichen n u r schwer der V e r s u c h u n g w i d e r - in den ersten N a c h k r i e g s j a h r e n . Bei Beurstehen, so gelangen sie doch weit seltener in t e i l u n g der N a c h k r i e g s v e r h ä l t n i s s e ist allerden Besitz f r e m d e n E i g e n t u m s als die E r - \| dings zu berücksichtigen, d a ß die s t a t i s t i s c h e w a c h s e n e n . N a c h I n k r a f t t r e t e n des J u g e n d - :: E r f a s s u n g der V o r b e s t r a f u n g e n (s. a. d. A r t .

4804 1551

872 3. D e r H a u p t b e r u f

U n t r e u e und Unterschlagung (B. Statistik) der wegen U n t e r s c h l a g u n g Verurteilten 1928

Wirtschaftsabteilungen

A. Land- und Forstwirtschaft, J a g d u. Fischerei, insges. . davon Selbständige u. Geschäftsleiter Angestellte, Arbeiter, Tagelöhner, Knechte, Mägde Angehörige B. Industrie und Handwerk, insgesamt davon Selbständige u. Geschäftsleiter Angestellte, Gehilfen, Gesellen, Arbeiter . . . . Angehörige C. H a n d e l u. Verkehr, insges. davon Selbständige u. Geschäftsleiter Angestelite, Gehilfen, Arbeiter Angehörige D. ö f f e n t l . Verwaltung 1 ), freie Berufe, Gesundheitswesen insgesamt . . . davon Erwerbstätige Angehörige E. Häusl. Dienste insgesamt . davon Erwerbstätige Angehörige F. Lohnarbeit wechselnder Art insgesamt . . . . davon Erwerbstätige Angehörige G. Ohne Beruf u. ohne Berufsangabe insgesamt . davon Selbständige Angehörige

in d e n J a h r e n

1930

1929

1931

1928—1932. 1932

dav. dav. dav. dav. dav. insge- Vor- insge- Vor- insge- Vor- insge- Vor- insge- Vorbebesamt samt besamt besamt samt bestrafte strafte strafte strafte strafte 3 249

1386

3519

1684

3 507

1698

3 505

1669

3 633

1674

405

137

472

166

457

177

553

220

732

277

2714 130

1228 21

2919 128

1492 26

2 896 154

1490 31

2 782 170

1417 32

2 703 198

1348 49

13 651

7232

15468

8411

15 807

8541

15 527

8536

14 961

8046

1 107

584

1 287

700

1 470

830

1 615

915

1 902

1026

11 781 763

6432 216

7430 281

13217 1 120

11 925 1 134

6704 316

7046

7950

14 901

7389 12 726 1 186 322 8495 14820

7272 349

13516

13 182 999 14 332

8449 14 304

8219

2 660

1458

2 909

1811

3 491

4 022

2496

4 344

2708

10 480 376

5497 91

11 005 418

6167 10210 160 588

5788 165

9317 643

5323 188

1 120

514

1 112

574

1 310

657

1 327

695

1 518

770

1 074 46

504 10

1 055 57

557 17

1 257 53

643 14

1 264 63

679 16

1 429 89

749 21

509

183

511

178

560

196

506

175

394

137

507 2

183

511

178

557 3

196

504 2

174 1

389 5

137

3122

1749

2 951

1677

3 045

1743

2 725

1550

2179

1251

2 944 178

1689 60

2 754 197

1600 77

2 804 241

1671 72

2 479 246

1459 91

1 987 192

1190 61

676

264

812

365

962

398

1 033

476

1 038

469

622 54

251 13

739 73

339 26

861 101

368 30

913 120

427 49

937 101

438 31

Vorbestrafte. Statistik) seit dem I n k r a f t t r e t e n des Gesetzes über beschränkte Ausk u n f t aus dem Strafregister und die Tilgung von S t r a f v e r m e r k e n vom 9. IV. 1920 (RGBl. 507) s t a r k beeinträchtigt wird, dessen statistische Auswirkungen durch einen allgemeinen Rückgang in der Zahl der Vorbes t r a f t e n in Erscheinung t r i t t , da eine nicht geringe Zahl tatsächlich Vorbestrafter infolge der Tilgung ihrer Strafvermerke nicht mehr

6013 10913 126 497

2168

als Vorbestrafte gelten. In der letzten Zeit ist jedoch im R a h m e n der Unterschlagungskriminalität die Beteiligung zu einer recht bedenklichen Höhe angeschwollen. Da die U n t r e u e (§ 266 S t G B . ) soziologisch wie auch psychologisch der Unterschlagung eng verwandt ist, so zeigt die Gestalt ihrer Kriminalitätskurve große Ähnlichkeit mit der Unterschlagungskurve, nur ist ihr Verlauf unruhiger als bei jener, was nach

Untreue und Unterschlagung (B. Statistik) der Meinung von S a u e r (a. a. O. S. 497) mit der — wenigstens früher — zahlenmäßig recht geringen Kriminalität und der hochgradigen Spezialisierung des Tatbestandes zusammenhängt. Die Zahl der wegen Untreue Verurteilten hat sich in den drei letzten J a h r zehnten vor dem Kriege mehr als verfünffacht. Ihre Kriminalitätsziffer berechnet sich im J a h r e 1913 auf 3,14 gegen 0,84 im J a h r e 1882. Im ersten Kriegsjahr t r i t t ein zunächst mäßiger, in den Folgejahren immer stärkerer Rückgang ein, der auch noch bis in das erste Nachkriegsjahr hinein anhält. Dann setzt ein Umschwung ein. Die Zahlen schwellen fast von J a h r zu J a h r rapide an. Das letzte Berichtsjahr weist 4243 Verurteilte mit einer Kriminalitätsziffer von 8,45 auf. Zu bemerken ist, daß in den Verurteiltenzahlen vom J a h r e 1931 ab auch die Verurteilungen wegen Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen des § 36 des H y p B a n k G . vom 13. VII. 1899 und gegen § 138 des O. über die Beaufsichtigung der privaten Versicherungsunternehmungen und Bausparkassen in der Fassung der Bek. vom 6. VI. 1931 enthalten sind. „Diese starke Zunahme gegenüber der Vorkriegszeit (bei größerer wirtschaftlicher Blüte der letzteren)", bemerkt S a u e r mit Recht hierzu, „ist aber zugleich ein bedenkliches Zeichen f ü r die Gewissenlosigkeit, mit der fremde Rechte abhängiger und schwächerer Personen mißbraucht werden, und allgemein f ü r den Niedergang der Wirtschaftsmoral" (a. a. 0 . S. 497). Die F r a u e n k r i m i n a l i t ä t auf dem Gebiete der Untreue ist, von einigen J a h r e n abgesehen, meist wesentlich schwächer als die des Mannes. Die J u g e n d l i c h e n sind bei diesem Delikt erklärlicherweise nur selten vertreten. Dem A l t e r nach überwiegen die Klassen der 30—^O- und der 40—50jährigen. Die Aufgliederung der wegen Untreue Verurteilten nach dem B e r u f ergibt ein Vorherrschen der Angehörigen von Handel, Industrie, öffentlicher Verwaltung sowie der freien Berufe. Die V o r b e s t r a f t e n z i f f e r entspricht vorwiegend dem Normalsatz von 3 — 4 : 1 . In letzter Zeit erreicht sie aber teilweise die Hälfte der Verurteilten. Die A m t s u n t e r s c h l a g u n g zeigt in der Vorkriegszeit wie auch die anderen Verbrechen und Vergehen im Amte als Zeichen fortschreitender Gesundheit des Staatswesens und seines Beamtenkörpers einen fast andauernden Rückgang. Der Krieg hat dann einen Anstieg zur Folge, der sich, nach kurzer Unterbrechung im ersten Nachkriegsjahr, mit

873

4. D i e E n t w i c k l u n g d e r U n t r e u e u n d A m t s u n t e r s c h l a g u n g im D e u t s c h e n R e i c h 1 ) s e i t 1882. Rechtskräftig Verurteilte wegen

Rechtskräftig Verurteilte wegen Jahre

AmtsUn- untertreue schlagung

1882 267 292 1885 1890 524 1895 738 1900 790 1905 1325 1910 1567 1913 1493 1914 1264 1915 545 1916 450 1917 332 1918 249 1919 170 *) Jeweiliges

Jahre

454 1920 382 1921 410 1922 382 1923 376 1924 349 1925 318 1926 362 1927 327 1928 479 1929 512 1930 496 1931 522 1932 249 Reichsgebiet.

AmtsUn- untertreue schlagung 385 758 866 723 768 1613 2232 2234 2091 2488 2788 3397 4243

395 676 729 515 791 1378 1462 1181 1046 994 986 1031 1195

fortschreitender Inflation, als die Gehälter immer mehr hinter den Lebenshaltungskosten zurückblieben, in verstärktem Grade fortsetzt. Aber auch die Stabilisierung t u t dieser Entwicklung im Gegensatz zum Rückgang der meisten anderen Vermögensdelikte bei der Wiederherstellung geordneter Wirtschaftsverhältnisse keinen Einhalt. Das Steigen der Kriminalitätskurve der Amtsunterschlagung hält wie auch bei der Untreue bis zum J a h r e 1926 an, das 1462 Verurteilte aufweist. Die nächsten J a h r e bringen zwar eine Verminderung, doch ist das Kriminalitätsniveau im Vergleich zur Vorkriegszeit noch immer als recht hoch anzusprechen. Schrifttum: S. v. K o p p e n f e l s , Die Kriminalität der Frau im Kriege, Kriminal. Abh., Heft 2, Leipzig 1926. — G. A s c h a f f e n b u r g , Das Verbrechen und seine Bekämpfung, Heidelberg 1933, 3., verbesserte Aufl., 2. Abdruck. — W. S a u e r , Kriminalsoziologie, BerlinGrunewald 1933. — Statistik des Deutschen Reichs. Kriminalstatistik (seit 1882 jährlich erscheinend). — Die Entwicklung der Kriminalität im Deutschen Reich seit 1882, Statistik des Deutschen Reichs 370 (Berlin 1930), 31 ff. — Die Entwicklung der Strafen im Deutschen Reich seit 1882, Statistik des Deutschen Reichs 384 (Berlin 1931), 64 ff. Ernst Roesner.

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U r k u n d e n f ä l s c h u n g (A. Kriminelles)

m a c h e n sollen, z. B. fingierte Liebesbriefe einer vielbegehrten, a b e r nicht erreichbaren j u n g e n D a m e , u m d a m i t r e n o m m i e r e n zu k ö n n e n , oder die A n f e r t i g u n g u n d Versend u n g v o n S c h r i f t s t ü c k e n zur A b l e n k u n g der T a t s p u r auf einen a n d e r e n Menschen. Urkundenfälschung. Diese wenigen Beispiele mögen genügen, u m A. Kriminelles. die unterschiedliche Beweiserheblichkeit v o n 1. „ U r k u n d e n u n d a n d e r e als Beweis- U r k u n d e n dieser drei H a u p t g r u p p e n zu m i t t e l dienende S c h r i f t s t ü c k e w e r d e n in der beleuchten. 2. U m eine U r k u n d e n f ä l s c h u n g feststellen Hauptverhandlung verlesen", so heißt es im § 249 S t P O . D a n a c h ist die U r k u n d e ein u n d b e s t r a f e n zu k ö n n e n , m u ß sie erst beverlesbares Beweismittel. Z u m Begriff der wiesen werden, w a s regelmäßig d u r c h SachU r k u n d e gehören a b e r im weiteren Sinne v e r s t ä n d i g e n b e w e i s geschieht (vgl. § 9 3 S t P O . alle Gegenstände, die einen gedanklichen u n d § 442 ZPO.). E b e n s o wichtig sind aber alle EinrichInhalt d u r c h S c h r i f t - oder a n d e r e Zeichen rechts- u n d beweiserheblich v e r k ö r p e r n . Ohne t u n g e n u n d V e r a n s t a l t u n g e n zur V e r h ü t u n g Selbstverständauf die juristische Seite des U r k u n d e n b e - v o n U r k u n d e n f ä l s c h u n g e n . griffes n ä h e r einzugehen, soll hier die Ur- lich sind die B a n k i n s t i t u t e , die den s t ä r k s t e n k u n d e n f ä l s c h u n g v o r allem v o n der krimi- b e r u f s m ä ß i g e n U r k u n d e n v e r k e h r u n t e r h a l nologischen Seite aus b e t r a c h t e t w e r d e n . So t e n , der e r f a h r u n g s g e m ä ß v o n Fälschern u n d vielseitig die K a s u i s t i k der U r k u n d e n f ä l - B e t r ü g e r n z u r E r r e i c h u n g v o n großen Gelds c h u n g ist, so einfach ist ihr M o t i v : die b e t r ä g e n b e v o r z u g t wird, v o n je her b e m ü h t , T ä u s c h u n g . Deswegen wird die U r k u n d e n - d u r c h besondere S i c h e r u n g s m i t t e l u n d s t ä n f ä l s c h u n g auch meistens in V e r b i n d u n g mit dig g e ü b t e strenge U r k u n d e n k o n t r o l l e die Betrug angewendet. Dieses T ä u s c h u n g s - F ä l s c h u n g e n möglichst zu v e r h ü t e n oder m i t t e l ist a b e r u m so gefährlicher, als gerade wenigstens zu v e r m i n d e r n . Da diese Vord e m U r k u n d e n s c h r i f t s t ü c k im allgemeinen b e u g u n g s m i t t e l e r p r o b t u n d d a h e r m u s t e r R e c h t s - u n d Verkehrsleben großer Beweis- gültig sind, sollen sie hier z u s a m m e n f a s s e n d wert beigelegt wird u n d der U r k u n d e n b e w e i s , dargestellt u n d zur allgemeinen N a c h a h m u n g besonders im Zivilprozeß, eine b e v o r z u g t e , e m p f o h l e n w e r d e n : das V e r f a h r e n v e r e i n f a c h e n d e u n d beschleu- | a) F o r m u l a r s t r e n g e . Das E r f o r d e r n i s , nigende Stellung e i n n i m m t . zur Anfertigung bestimmter Urkunden nur Gewisse U r k u n d e n f ä l s c h u n g e n wieder- die vorgeschriebenen F o r m u l a r e zu b e n ü t z e n , holen sich t ä g l i c h : so die Wechsel- u n d ermöglicht es den B a n k e n , besonders b e i m Scheckfälschungen, die Bestellschein- u n d S c h e c k v e r k e h r , die V e r a n t w o r t u n g f ü r mißL e g i t i m a t i o n s f ä l s c h u n g e n ; weiterhin sind aber bräuchliche V e r w e n d u n g v o n V o r d r u c k e n a u c h alle mit Z a h l u n g e n z u s a m m e n h ä n g e n d e d e m K u n d e n selbst zu ü b e r t r a g e n , w a s i h n B e u r k u n d u n g e n , also v o r allem die Q u i t t u n g s - z u r besonderen Vorsicht a n s p o r n e n soll. f ä l s c h u n g , ü b e r h a u p t alle k r e d i t s u c h e n d e n b) P a p i e r s i c h e r u n g . Soweit die Uru n d - b e g r ü n d e n d e n S c h r i f t s t ü c k e s t ä n d i g e r k u n d e einen d e m W e r t p a p i e r ähnlichen F ä l s c h u n g s g e f a h r ausgesetzt. W e r t t r ä g e r darstellt, wird sie wie dieses A u ß e r den u n m i t t e l b a r auf Gewinn u n d d u r c h S c h u t z u n t e r d r u c k ( s o g e n a n n t e r ReliefSchadenszufügung gerichteten U r k u n d e n - plein), d u r c h K u n s t d r u c k l e i s t e n ( f ü r die Guillochen), f ä l s c h u n g e n gibt es eine zweite H a u p t g r u p p e , B l a t t e i n r a h m u n g , s o g e n a n n t e Saugdie n u r als Beiwerk der G e w i n n u n g v o n Vor- d u r c h Wasserzeichen, d u r c h g u t e Waschempfindlichkeit des teilen jeder A r t dienen, so z. B. fingierte f ä h i g k e i t u n d K o r r e s p o n d e n z e n , welche u n w a h r e B e h a u p - P a p i e r s gegen chemische B e h a n d l u n g der Der R a n d (bei t u n g e n des B e t r ü g e r s g l a u b h a f t m a c h e n B e s c h r i f t u n g gesichert. sollen. Als c h a r a k t e r i s t i s c h e s Beispiel sei der Scheck- u n d K r e d i t b r i e f v o r d r u c k e n ) e r h ä l t gefälschte (oder d u r c h Z u s ä t z e v e r f ä l s c h t e ) eine s o g e n a n n t e Zahlenleiste m i t den a u f Brief der unehelichen M u t t e r in deren g e d r u c k t e n Zahlen 100, 200, 300 usw., die U n t e r h a l t u n g s p r o z e ß e r w ä h n t , der die v o m beim G e b r a u c h a b z u s c h n e i d e n ist, soweit der Beklagten e r h o b e n e E i n r e d e der Nicht- A u s s t e l l u n g s b e t r a g ü b e r s c h r i t t e n wird. Das alleinbeteiligung g l a u b h a f t m a c h e n soll, oder Wasserzeichen ist f ü r W e r t p a p i e r e d e r a r t fingierte Begleitschreiben, welche den u n - wichtig, d a ß A n f e r t i g u n g u n d H a n d e l der echten C h a r a k t e r gefälschter U r k u n d e n ver- W e r t p a p i e r e m i t Wasserzeichen gesetzlich geregelt w e r d e n m ü ß t e . decken sollen. Z u r d r i t t e n H a u p t g r u p p e v o n gefälschten c) V o r s i c h t i g e , z u v e r l ä s s i g e A u f U r k u n d e n gehören diejenigen, die — ohne b e w a h r u n g a l l e r V o r d r u c k e , die f ü r den Vermögensvorteile — etwas g l a u b h a f t G e l d v e r k e h r b e s t i m m t sind, u n d VernichU n z ü c h t i g e Schriften u n d A b b i l d u n g e n s. S c h m u t z - u n d S c h u n d s c h r i f t e n .

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U r k u n d e n f ä l s c h u n g (A. Kriminelles)

m a c h e n sollen, z. B. fingierte Liebesbriefe einer vielbegehrten, a b e r nicht erreichbaren j u n g e n D a m e , u m d a m i t r e n o m m i e r e n zu k ö n n e n , oder die A n f e r t i g u n g u n d Versend u n g v o n S c h r i f t s t ü c k e n zur A b l e n k u n g der T a t s p u r auf einen a n d e r e n Menschen. Urkundenfälschung. Diese wenigen Beispiele mögen genügen, u m A. Kriminelles. die unterschiedliche Beweiserheblichkeit v o n 1. „ U r k u n d e n u n d a n d e r e als Beweis- U r k u n d e n dieser drei H a u p t g r u p p e n zu m i t t e l dienende S c h r i f t s t ü c k e w e r d e n in der beleuchten. 2. U m eine U r k u n d e n f ä l s c h u n g feststellen Hauptverhandlung verlesen", so heißt es im § 249 S t P O . D a n a c h ist die U r k u n d e ein u n d b e s t r a f e n zu k ö n n e n , m u ß sie erst beverlesbares Beweismittel. Z u m Begriff der wiesen werden, w a s regelmäßig d u r c h SachU r k u n d e gehören a b e r im weiteren Sinne v e r s t ä n d i g e n b e w e i s geschieht (vgl. § 9 3 S t P O . alle Gegenstände, die einen gedanklichen u n d § 442 ZPO.). E b e n s o wichtig sind aber alle EinrichInhalt d u r c h S c h r i f t - oder a n d e r e Zeichen rechts- u n d beweiserheblich v e r k ö r p e r n . Ohne t u n g e n u n d V e r a n s t a l t u n g e n zur V e r h ü t u n g Selbstverständauf die juristische Seite des U r k u n d e n b e - v o n U r k u n d e n f ä l s c h u n g e n . griffes n ä h e r einzugehen, soll hier die Ur- lich sind die B a n k i n s t i t u t e , die den s t ä r k s t e n k u n d e n f ä l s c h u n g v o r allem v o n der krimi- b e r u f s m ä ß i g e n U r k u n d e n v e r k e h r u n t e r h a l nologischen Seite aus b e t r a c h t e t w e r d e n . So t e n , der e r f a h r u n g s g e m ä ß v o n Fälschern u n d vielseitig die K a s u i s t i k der U r k u n d e n f ä l - B e t r ü g e r n z u r E r r e i c h u n g v o n großen Gelds c h u n g ist, so einfach ist ihr M o t i v : die b e t r ä g e n b e v o r z u g t wird, v o n je her b e m ü h t , T ä u s c h u n g . Deswegen wird die U r k u n d e n - d u r c h besondere S i c h e r u n g s m i t t e l u n d s t ä n f ä l s c h u n g auch meistens in V e r b i n d u n g mit dig g e ü b t e strenge U r k u n d e n k o n t r o l l e die Betrug angewendet. Dieses T ä u s c h u n g s - F ä l s c h u n g e n möglichst zu v e r h ü t e n oder m i t t e l ist a b e r u m so gefährlicher, als gerade wenigstens zu v e r m i n d e r n . Da diese Vord e m U r k u n d e n s c h r i f t s t ü c k im allgemeinen b e u g u n g s m i t t e l e r p r o b t u n d d a h e r m u s t e r R e c h t s - u n d Verkehrsleben großer Beweis- gültig sind, sollen sie hier z u s a m m e n f a s s e n d wert beigelegt wird u n d der U r k u n d e n b e w e i s , dargestellt u n d zur allgemeinen N a c h a h m u n g besonders im Zivilprozeß, eine b e v o r z u g t e , e m p f o h l e n w e r d e n : das V e r f a h r e n v e r e i n f a c h e n d e u n d beschleu- | a) F o r m u l a r s t r e n g e . Das E r f o r d e r n i s , nigende Stellung e i n n i m m t . zur Anfertigung bestimmter Urkunden nur Gewisse U r k u n d e n f ä l s c h u n g e n wieder- die vorgeschriebenen F o r m u l a r e zu b e n ü t z e n , holen sich t ä g l i c h : so die Wechsel- u n d ermöglicht es den B a n k e n , besonders b e i m Scheckfälschungen, die Bestellschein- u n d S c h e c k v e r k e h r , die V e r a n t w o r t u n g f ü r mißL e g i t i m a t i o n s f ä l s c h u n g e n ; weiterhin sind aber bräuchliche V e r w e n d u n g v o n V o r d r u c k e n a u c h alle mit Z a h l u n g e n z u s a m m e n h ä n g e n d e d e m K u n d e n selbst zu ü b e r t r a g e n , w a s i h n B e u r k u n d u n g e n , also v o r allem die Q u i t t u n g s - z u r besonderen Vorsicht a n s p o r n e n soll. f ä l s c h u n g , ü b e r h a u p t alle k r e d i t s u c h e n d e n b) P a p i e r s i c h e r u n g . Soweit die Uru n d - b e g r ü n d e n d e n S c h r i f t s t ü c k e s t ä n d i g e r k u n d e einen d e m W e r t p a p i e r ähnlichen F ä l s c h u n g s g e f a h r ausgesetzt. W e r t t r ä g e r darstellt, wird sie wie dieses A u ß e r den u n m i t t e l b a r auf Gewinn u n d d u r c h S c h u t z u n t e r d r u c k ( s o g e n a n n t e r ReliefSchadenszufügung gerichteten U r k u n d e n - plein), d u r c h K u n s t d r u c k l e i s t e n ( f ü r die Guillochen), f ä l s c h u n g e n gibt es eine zweite H a u p t g r u p p e , B l a t t e i n r a h m u n g , s o g e n a n n t e Saugdie n u r als Beiwerk der G e w i n n u n g v o n Vor- d u r c h Wasserzeichen, d u r c h g u t e Waschempfindlichkeit des teilen jeder A r t dienen, so z. B. fingierte f ä h i g k e i t u n d K o r r e s p o n d e n z e n , welche u n w a h r e B e h a u p - P a p i e r s gegen chemische B e h a n d l u n g der Der R a n d (bei t u n g e n des B e t r ü g e r s g l a u b h a f t m a c h e n B e s c h r i f t u n g gesichert. sollen. Als c h a r a k t e r i s t i s c h e s Beispiel sei der Scheck- u n d K r e d i t b r i e f v o r d r u c k e n ) e r h ä l t gefälschte (oder d u r c h Z u s ä t z e v e r f ä l s c h t e ) eine s o g e n a n n t e Zahlenleiste m i t den a u f Brief der unehelichen M u t t e r in deren g e d r u c k t e n Zahlen 100, 200, 300 usw., die U n t e r h a l t u n g s p r o z e ß e r w ä h n t , der die v o m beim G e b r a u c h a b z u s c h n e i d e n ist, soweit der Beklagten e r h o b e n e E i n r e d e der Nicht- A u s s t e l l u n g s b e t r a g ü b e r s c h r i t t e n wird. Das alleinbeteiligung g l a u b h a f t m a c h e n soll, oder Wasserzeichen ist f ü r W e r t p a p i e r e d e r a r t fingierte Begleitschreiben, welche den u n - wichtig, d a ß A n f e r t i g u n g u n d H a n d e l der echten C h a r a k t e r gefälschter U r k u n d e n ver- W e r t p a p i e r e m i t Wasserzeichen gesetzlich geregelt w e r d e n m ü ß t e . decken sollen. Z u r d r i t t e n H a u p t g r u p p e v o n gefälschten c) V o r s i c h t i g e , z u v e r l ä s s i g e A u f U r k u n d e n gehören diejenigen, die — ohne b e w a h r u n g a l l e r V o r d r u c k e , die f ü r den Vermögensvorteile — etwas g l a u b h a f t G e l d v e r k e h r b e s t i m m t sind, u n d VernichU n z ü c h t i g e Schriften u n d A b b i l d u n g e n s. S c h m u t z - u n d S c h u n d s c h r i f t e n .

U r k u n d e n f ä l s c h u n g (A. Kriminelles) t u n g , wenn sie a u ß e r Geltung gesetzt w e r d e n , z. B. bei A u f h e b u n g des S c h e c k k o n t o s , oder wenn der Kreditbrief e r s c h ö p f t ist. Denn gerade solche an sich gesicherte V o r d r u c k e werden mit Vorliebe zu F ä l s c h u n g e n b e n u t z t . Aus diesem G r u n d e ist z. B. auch die Unb r a u c h b a r m a c h u n g eines H y p o t h e k e n b r i e f e s n a c h Löschung der H y p o t h e k d u r c h § 69 der G r u n d b u c h o r d n u n g vorgeschrieben w o r d e n . d) Grundsätzliche und strenge V e r m e i dung von Blankounterschriften. e) Grundsätzliche u n d möglichst ausschließliche V e r w e n d u n g v o n T i n t e z u r Herstellung v o n geldwerten U r k u n d e n , n o t falls m a g V e r w e n d u n g v o n T i n t e n s t i f t a n gängig sein, w ä h r e n d Bleistift in j e d e m Falle U r k u n d e n f ä l s c h u n g e n erleichtert, Verwend u n g v o n S t a n z s c h u t z s c h r i f t e n , wobei die Geldbeträge (in W o r t e n ) so in das P a p i e r eingestanzt werden, d a ß ihre E n t f e r n u n g oder Ä n d e r u n g unmöglich g e m a c h t wird (sogenannte Toddschrift). f) S o r g f ä l t i g e A u s f ü l l u n g d e s (vorg e d r u c k t e n ) T e x t e s , u m Zusätze, v o r allem Z a h l e n e r h ö h u n g e n , unmöglich zu m a c h e n . E r f o r d e r l i c h ist auch eine gepflegte, g u t leserliche U n t e r s c h r i f t , weil unleserliche, f l ü c h t i g hingeworfene U n t e r s c h r i f t e n die F ä l s c h u n g e n erleichtern u n d die E c h t h e i t s f e s t s t e l l u n g erschweren. M a n c h e v e r s e h e n i h r e U n t e r s c h r i f t (zum S c h u t z gegen N a c h a h m u n g ) mit einem eigenartigen Schlußschnörkel ( P a r a p h e ) oder g a r m i t gewissen G e h e i m z e i c h e n ; doch lassen sich die B a n k i n s t i t u t e im allgemeinen nicht auf „ U n t e r schriften mit G e h e i m z e i c h e n " ein. g) S c h u t z d e s F i r m e n b r i e f p a p i e r s . D a es wiederholt v o r g e k o m m e n ist, d a ß A n t w o r t b r i e f e v o n B a n k e n zu F ä l s c h u n g e n u n d Betrügereien v e r w e n d e t w e r d e n , h a b e n die B a n k e n ihre V o r d r u c k e ( f ü r gewöhnliche A n t w o r t s c h r e i b e n ) mit f o l g e n d e m A u f d r u c k v e r s e h e n : „ D i e s e r Brief e n t h ä l t keine A k k r e d i t i e r u n g e n , Scheckavise, Ü b e r t r ä g e , A n s c h a f f u n g e n zu Ihren G u n s t e n v o n d r i t t e r Seite u n d a u c h sonst keinerlei W e r t v e r f ü g u n g e n . " W e n n dabei noch chemisch gesichertes P a p i e r v e r w e n d e t wird, ist die Sicherheit gegen m i ß b r ä u c h l i c h e Wiederv e r w e n d u n g solcher A n t w o r t b r i e f e schon g u t . h) A n w e n d u n g d e s F i n g e r a b d r u c k e s zur Sicherung gewisser, besonders hochwertiger U r k u n d e n oder z u m E r s a t z d e r U n t e r s c h r i f t bei S c h r e i b u n k u n d i g e n . Dieses S i c h e r u n g s m i t t e l ist allerdings im d e u t s c h e n U r k u n d e n v e r k e h r noch nicht e i n g e f ü h r t , im Gegensatz zu A m e r i k a , wo es bereits sogeg e n a n n t e Traveller- (oder Reise-) Schecks mit S i c h e r u n g s f i n g e r a b d r u c k gibt. i) T e l e p h o n i s c h e , telegraphische o d e r s c h r i f t l i c h e R ü c k f r a g e n beim Ur-

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k u n d e n a u s s t e l l e r , ob die vorgelegte U r k u n d e a n e r k a n n t wird, h a b e n oft schon g e p l a n t e Betrügereien unmöglich g e m a c h t . A u c h der B i l d f u n k , d u r c h den die b e a n s t a n d e t e „ Ü b e r w e i s u n g " schnellstens der a n f r a g e n d e n B a n k ü b e r m i t t e l t w u r d e , ist bereits in den Dienst der banktechnischen Kontrolle gestellt worden. Diese u n d vielleicht noch weitere ähnliche M a ß n a h m e n z u r Sicherung des U r k u n d e n v e r k e h r s sind bei den B a n k i n s t i t u t e n schon weitgehend ausgebildet u n d passen sich jederzeit neuen B e d ü r f n i s s e n an, wie sie sich aus der täglichen P r a x i s u n d E r f a h r u n g ergeben. Sie sollten daher, weil sie e r p r o b t sind, a u c h im sonstigen U r k u n d e n v e r k e h r a n g e w e n d e t werden, u m die Urkundenf ä l s c h u n g e n unmöglich zu m a c h e n oder doch erheblich zu erschweren, w a s eben z u m A u f g a b e n g e b i e t der V e r b r e c h e n s v e r h ü t u n g gehört. Z u P u n k t f ist noch Folgendes zu bem e r k e n : D a die U n t e r s c h r i f t eines Menschen i m m e r h i n f ü r sich allein n u r ein schwaches Sicherungs- u n d Beweismittel darstellt, e m p fiehlt es sich, n a c h Möglichkeit den ganzen U r k u n d e n t e x t (z. B. eines S c h u l d v e r s p r e chens) v o m S c h u l d n e r selbst h a n d s c h r i f t l i c h a u s f ü h r e n zu lassen, u m so eine größere U n t e r s u c h u n g s g r u n d l a g e f ü r d e n Fall des B e s t r e i t e n s d e r U r k u n d e n e c h t h e i t zu s c h a f f e n . Dabei w i r d d a r a n e r i n n e r t , d a ß beim eigenh ä n d i g e n T e s t a m e n t gerade auf die H a n d s c h r i f t als Beweismittel W e r t gelegt wird, w e n n der Gesetzgeber d a s E r f o r d e r n i s a u f stellt — u n d z w a r ist dieser Fall des § 2231 Ziffer 2 B G B . der einzige dieser A r t — , d a ß die T e s t a m e n t s n i e d e r s c h r i f t v o m A n f a n g bis z u m E n d e v o n der H a n d des E r b l a s s e r s herr ü h r e n m u ß , d a m i t sie zu einer rechts- u n d beweiserheblichen U r k u n d e wird. (Vgl. d. Art. Unterschrift.) Z u P u n k t h : Der F i n g e r a b d r u c k ist als Sicherung v o n U r k u n d e n bereits e i n g e f ü h r t : bei P ä s s e n in einigen s ü d a m e r i k a n i s c h e n S t a a t e n , bei I d e n t i t ä t s k a r t e n in Chile u n d im englischen S e e f a h r t s d i e n s t , bei den eingeborenen A r b e i t e r n in N i e d e r l ä n d i s c h - I n dien, bei Lebensversicherungspolicen in Indien, bei gewerblichen L e g i t i m a t i o n s k a r t e n in Ä g y p t e n f ü r Schofföre, S t r a ß e n h ä n d l e r und Dienstboten. A b e r a u c h der Gesetzgeber h a t in m a n c h e n Fällen gewisse S i c h e r h e i t s m a ß n a h m e n z u m U r k u n d e n s c h u t z vorgeschrieben, so z. B. bei der B e s t i m m u n g , d a ß gewisse wichtige R e c h t s g e s c h ä f t e n u r gerichtlich oder notariell zu b e u r k u n d e n sind, f e r n e r f ü r die Mitwirk u n g v o n Zeugen bei E r r i c h t u n g von Urk u n d e n , z. B. eines T e s t a m e n t e s nach §§ 2233, 2249, 2250 B G B . , f ü r die Beglau-

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U r k u n d enfälschung (A. Kriminelles) — (B. Technisches)

bigung einer Unterschrift oder eines H a n d zeichens in Gegenwart eines Richters oder Notars (§ 183 Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit). Schließlich gehören auch M a ß n a h m e n zum U r k u n d e n s c h u t z g e g e n V e r n i c h t u n g hierher. So werden z. B. in Ziffer 47 der Anweisung zum Vollzug des Personenstandgesetzes (vom 25. III. 1899) die Standesbeamten angewiesen, zur F e r n h a l t u n g von Gefährdungen der Standesregister bei Brandfällen u. dgl. die standesamtlichen Nebenregister da, wo es geschehen kann, gesondert von den Hauptregistern an sicheren Orten aufzubewahren. Anderenfalls sollen sie in einer Weise a u f b e w a h r t werden, welche deren R e t t u n g im Falle der E n t s t e h u n g eines Brandes usw. möglichst erleichtert. — Ähnliche Vorschriften m ü ß t e n auch f ü r andere, ebenso wichtige Urkundensammlungen bestehen, z. B. f ü r Grundbuchurkunden, Fingerabdrucksammlungen. (Nach Berichten aus Nordamerika h a t man dort von einem n e u e r f u n d e n e n „ewigen P a p i e r " Gebrauch g e m a c h t , weil es praktisch nicht zu vernichten sei, also weder zerreißbar, zerschneidbar noch v e r b r e n n b a r sein soll. Daher soll es sich besonders gut f ü r Scheck- und Wechselu r k u n d e n eignen. Auch bei den türkischen Behörden sollen wichtige Urkunden auf unv e r k e n n b a r e m Papier aufgenommen werden.) 3. Die W e r t p a p i e r e sind eine Urkundena r t , deren Besonderheit darin besteht, daß das E i g e n t u m an der Urkunde das darin b e u r k u n d e t e Recht v e r m i t t e l t . Die Fälschung v o n Wertpapieren ist selten und wird vor allem durch die folgenden M a ß n a h m e n , wie sie von der Zulassungsstelle der Berliner Börse vorgeschrieben sind, v e r h i n d e r t : a) Nur erfahrene, zuverlässige und modern eingerichtete Wertpapierdruckereien dürfen mit dem Druck von Wertpapieren beauft r a g t werden, denen auch die Herstellung der verschiedenen Emissionen desselben Ins t i t u t s zu übertragen ist, um durch Anwend u n g des genau gleichen Herstellungsverf a h r e n s die P r ü f u n g und E r k e n n u n g der E c h t h e i t und des Unterschiedes von Wertpapieren anderer E m i t t e n t e n zu erleichtern. b) Zur Herstellung ist gesetzlich geschütztes, unverkäufliches Wasserzeichenpapier mit den notwendigen Festigkeitseigenschaften zu verwenden. c) Es dürfen n u r im eigenen Druckereibetrieb hergestellte unverkäufliche Druckp l a t t e n f ü r die Herstellung mehrfarbiger Guillochen verwendet werden, die wieder bestimmte Güteeigenschaften aufweisen müssen. d) Außerdem gehören hierher noch weitere Sicherungsmaßnahmen, wie Anbringung der

Firma der Druckerei, Prägestempel, Herstellung n u r im guten Buch- oder Kupferdruck, keinesfalls im Steindruck, und h a n d schriftlich ausgeführte Unterschrift eines Kontrollbeamten. Daneben gibt es zum Schutz gegen Wertpapierfälschungen auch noch gewisse banktechnische Sicherungs- u n d Kontrollmaßnahmen. Falls doch einmal Wertpapierfälschungen a u f t r e t e n , werden die typischen Fälschungsmerkmale von der zuständigen Gemeinschaft der B a n k i n s t i t u t e (in Berlin in der „Sammelliste aufgerufener W e r t p a p i e r e " der Bank des Berliner Kassenvereins) veröffentlicht. Dadurch sind alle Bankinstitute zur verschärften Kontrolle und erhöhten Vorsicht aufgefordert. Auch hier gilt, wie auf den anderen Gebieten des Selbstschutzes, der G r u n d s a t z : J e größer die Sicherheit, desto erschwerter die B e u r k u n d u n g . Aber eine der wichtigsten Vorbeugungsmaßnahmen ist und bleibt die Sicherung des Urkundenpapiers und die strenge Entziehung der Möglichkeit der unbefugten Beschaffung des f ü r solche Fälschungen erforderlichen Papiermaterials. Schrifttum: Dr. G. O p i t z , Fälschung und Verfälschung von Bankakkreditiven usw. in „ K r i m i nalistik im Zahlungsverkehr", Berlin 1933, S. 91 ff. — H. S c h n e i c k e r t , Krimin a l t a k t i k und Kriminaltechnik, Lübeck 1933, S. 11 Off. Hans Schneickert.

B. Technisches. Die P r ü f u n g v o n U r k u n d e n auf s t a t t gehabte Verfälschung läßt sich durch die E r rungenschaften der kriminalwissenschaftlichen Forschung und in der H a n d erfahrener Sachverständiger heute in den meisten auch sehr verwickelt liegenden und mit den raffiniertesten Methoden bewirkten Fällen mit Sicherheit d u r c h f ü h r e n . Unter dem Begriff „ U r k u n d e n " kann m a n verstehen „ S c h r i f t s t ü c k e , die zum Beweise von Rechten und Rechtsverhältnissen von Erheblichkeit sind", oder entsprechend der Definition des neuen Strafgesetzbuches „ S c h r i f t , die z u m Beweise einer rechtlich erheblichen Tatsache b e s t i m m t i s t " . Dahin gehören z. B. Personenausweise, Testamente, Verträge, Wechsel, Kreditbriefe, Schuldverschreibungen, Quittungen, Zeugnisse, Bestellscheine usw. Solche U r k u n d e n können mit und ohne Vordrucke h a n d - oder maschinenschriftlich ausgefüllt und v o n H a n d - oder Facsimile-Druckschrift unterzeichnet und mit Stempeln, Siegeln oder dergleichen gesichert worden sein. Auch können

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U r k u n d enfälschung (A. Kriminelles) — (B. Technisches)

bigung einer Unterschrift oder eines H a n d zeichens in Gegenwart eines Richters oder Notars (§ 183 Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit). Schließlich gehören auch M a ß n a h m e n zum U r k u n d e n s c h u t z g e g e n V e r n i c h t u n g hierher. So werden z. B. in Ziffer 47 der Anweisung zum Vollzug des Personenstandgesetzes (vom 25. III. 1899) die Standesbeamten angewiesen, zur F e r n h a l t u n g von Gefährdungen der Standesregister bei Brandfällen u. dgl. die standesamtlichen Nebenregister da, wo es geschehen kann, gesondert von den Hauptregistern an sicheren Orten aufzubewahren. Anderenfalls sollen sie in einer Weise a u f b e w a h r t werden, welche deren R e t t u n g im Falle der E n t s t e h u n g eines Brandes usw. möglichst erleichtert. — Ähnliche Vorschriften m ü ß t e n auch f ü r andere, ebenso wichtige Urkundensammlungen bestehen, z. B. f ü r Grundbuchurkunden, Fingerabdrucksammlungen. (Nach Berichten aus Nordamerika h a t man dort von einem n e u e r f u n d e n e n „ewigen P a p i e r " Gebrauch g e m a c h t , weil es praktisch nicht zu vernichten sei, also weder zerreißbar, zerschneidbar noch v e r b r e n n b a r sein soll. Daher soll es sich besonders gut f ü r Scheck- und Wechselu r k u n d e n eignen. Auch bei den türkischen Behörden sollen wichtige Urkunden auf unv e r k e n n b a r e m Papier aufgenommen werden.) 3. Die W e r t p a p i e r e sind eine Urkundena r t , deren Besonderheit darin besteht, daß das E i g e n t u m an der Urkunde das darin b e u r k u n d e t e Recht v e r m i t t e l t . Die Fälschung v o n Wertpapieren ist selten und wird vor allem durch die folgenden M a ß n a h m e n , wie sie von der Zulassungsstelle der Berliner Börse vorgeschrieben sind, v e r h i n d e r t : a) Nur erfahrene, zuverlässige und modern eingerichtete Wertpapierdruckereien dürfen mit dem Druck von Wertpapieren beauft r a g t werden, denen auch die Herstellung der verschiedenen Emissionen desselben Ins t i t u t s zu übertragen ist, um durch Anwend u n g des genau gleichen Herstellungsverf a h r e n s die P r ü f u n g und E r k e n n u n g der E c h t h e i t und des Unterschiedes von Wertpapieren anderer E m i t t e n t e n zu erleichtern. b) Zur Herstellung ist gesetzlich geschütztes, unverkäufliches Wasserzeichenpapier mit den notwendigen Festigkeitseigenschaften zu verwenden. c) Es dürfen n u r im eigenen Druckereibetrieb hergestellte unverkäufliche Druckp l a t t e n f ü r die Herstellung mehrfarbiger Guillochen verwendet werden, die wieder bestimmte Güteeigenschaften aufweisen müssen. d) Außerdem gehören hierher noch weitere Sicherungsmaßnahmen, wie Anbringung der

Firma der Druckerei, Prägestempel, Herstellung n u r im guten Buch- oder Kupferdruck, keinesfalls im Steindruck, und h a n d schriftlich ausgeführte Unterschrift eines Kontrollbeamten. Daneben gibt es zum Schutz gegen Wertpapierfälschungen auch noch gewisse banktechnische Sicherungs- u n d Kontrollmaßnahmen. Falls doch einmal Wertpapierfälschungen a u f t r e t e n , werden die typischen Fälschungsmerkmale von der zuständigen Gemeinschaft der B a n k i n s t i t u t e (in Berlin in der „Sammelliste aufgerufener W e r t p a p i e r e " der Bank des Berliner Kassenvereins) veröffentlicht. Dadurch sind alle Bankinstitute zur verschärften Kontrolle und erhöhten Vorsicht aufgefordert. Auch hier gilt, wie auf den anderen Gebieten des Selbstschutzes, der G r u n d s a t z : J e größer die Sicherheit, desto erschwerter die B e u r k u n d u n g . Aber eine der wichtigsten Vorbeugungsmaßnahmen ist und bleibt die Sicherung des Urkundenpapiers und die strenge Entziehung der Möglichkeit der unbefugten Beschaffung des f ü r solche Fälschungen erforderlichen Papiermaterials. Schrifttum: Dr. G. O p i t z , Fälschung und Verfälschung von Bankakkreditiven usw. in „ K r i m i nalistik im Zahlungsverkehr", Berlin 1933, S. 91 ff. — H. S c h n e i c k e r t , Krimin a l t a k t i k und Kriminaltechnik, Lübeck 1933, S. 11 Off. Hans Schneickert.

B. Technisches. Die P r ü f u n g v o n U r k u n d e n auf s t a t t gehabte Verfälschung läßt sich durch die E r rungenschaften der kriminalwissenschaftlichen Forschung und in der H a n d erfahrener Sachverständiger heute in den meisten auch sehr verwickelt liegenden und mit den raffiniertesten Methoden bewirkten Fällen mit Sicherheit d u r c h f ü h r e n . Unter dem Begriff „ U r k u n d e n " kann m a n verstehen „ S c h r i f t s t ü c k e , die zum Beweise von Rechten und Rechtsverhältnissen von Erheblichkeit sind", oder entsprechend der Definition des neuen Strafgesetzbuches „ S c h r i f t , die z u m Beweise einer rechtlich erheblichen Tatsache b e s t i m m t i s t " . Dahin gehören z. B. Personenausweise, Testamente, Verträge, Wechsel, Kreditbriefe, Schuldverschreibungen, Quittungen, Zeugnisse, Bestellscheine usw. Solche U r k u n d e n können mit und ohne Vordrucke h a n d - oder maschinenschriftlich ausgefüllt und v o n H a n d - oder Facsimile-Druckschrift unterzeichnet und mit Stempeln, Siegeln oder dergleichen gesichert worden sein. Auch können

Urkundenfälschung (B. Technisches)

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zur Sicherung bestimmte Papiere und Tinten berechtigten Ansprüche einer großen Familie oder Farben Verwendung gefunden haben. auf eine Millionenerbschaft aus dem Nachlaß J e nach den U m s t ä n d e n des Falles sind eines im Ausland Ende des 18. J a h r h u n d e r t s d a n n die geeigneten Untersuchungsmethoden verstorbenen hohen Offiziers. Zum Beweis zu wählen. Im allgemeinen wird schon die der verwandtschaftlichen Beziehungen legte a u f m e r k s a m e B e t r a c h t u n g , insbesondere unter die Erbgemeinschaft eine Anzahl Briefe vor, Beziehung auf im Gedächtnis haftendes oder die in altem Gerümpel zufällig gefunden vorliegendes Vergleichsmaterial gegebenen- worden sein sollen und Berichte des befalls den Verdacht einer Fälschung erwecken treffenden Ahnen über seine Schicksale und u n d zur A n w e n d u n g einer eingehenderen Familienereignisse enthielten. Die Untersuchung der Briefe, die etwa schriftanalytischen, mikroskopischen, chemischen oder sonstigen P r ü f u n g s m e t h o d e in den J a h r e n 1750—80 in Asien geschrieben durch Sachverständige Veranlassung geben. worden sein sollten, ergab, daß die Schrift 1. Der Fälschung verdächtigte Handschrif- nicht der Prägung der damaligen Zeit, t e n oder Unterschriften sind unter Berück- namentlich eines im jugendlichen Alter aussichtigung der Art des Zustandekommens auf gewanderten Deutschen entsprach, daß sie das Vorliegen der individuellen Schriftmerk- mit Stahlfeder geschrieben war, daß teermale der Originalschriften zu prüfen, die ge- f a r b b l a u - ü b e r f ä r b t e Eisengallustinten und ein kennzeichnet sein können durch die Stellung, Papier verwendet wurden, das größtenteils Größe, Schriftart, Einzelelemente, Bindung, aus Zellstoff bestand. Zur damaligen Zeit verK u r v e n , Beizeichen, Schriftdruck, Feder- wendete man aber Kielfedern und Galläpfelhaltung, gewohntes Schriftmaterial (Papier, tinte oder Pflanzenfarbstofflösungen oder Tinte, Feder, S t i f t a r t usw.). Bei Schrift- Tuschen, Stahlfedern wurden erst im 19. J a h r ähnlichkeiten ist die Erforschung aller Einzel- h u n d e r t gebräuchlich und Papiere mit Zellheiten nur an entsprechenden Vergrößerungen stoff erst Ende des vorigen J a h r h u n d e r t s . d u r c h f ü h r b a r . Falls Schriftverstellung vor- Um das Alter vorzutäuschen, h a t der Fälscher liegt, m u ß in der Beurteilung der A u t o r s c h a f t das Papier mit Salzsäuredämpfen bearbeitet, einer b e s t i m m t e n Person größte Vorsicht und wodurch blaue Verfärbung der Tinte und Z u r ü c k h a l t u n g in der Schlußfolgerung beob- gelbe Verfärbung des Papiers sowie Brüchiga c h t e t werden. Oft sind solche Fälle nur keit desselben eintrat, sodaß die Briefe wie u n t e r Heranziehung besonderer Hinweise, die alt und verlagert erschienen. Personenausweise oder Schecks können sich durch das verwendete Schriftmaterial und Übereinstimmung mit dem beigebrachten andersartigen Vordruck, andersartiges Papier, Vergleichsmaterial, das Vorhandensein von besonders auch anders guillochierten Untersichtbaren oder latenten Fingerspuren, Ab- grund in Art und Farbe zeigen, die von den drücken auf Löschblättern usw. ergeben Originalvordrucken abweichen, und die Ausfüllungen können entweder handschriftlich können, möglich. 2. Bei Maschinenschriften wird aus Schrift- gefälscht oder aber durch Phototypie von a r t und Größe meist schon ein Schluß auf die Originalen übertragen worden sein. Solche Art der verwendeten Schreibmaschine mög- Ganzfälschungen können nur durch Vergleich lich sein und das S t u d i u m der Einzel- der erwähnten Einzelheiten mit Originalen heiten der Buchstaben und etwaiger d a r a n e r k a n n t werden. In gleicher Weise geschieht auch die v o r h a n d e n e r Fehler oder späterer Verletzungen unter U m s t ä n d e n auch einen Schluß P r ü f u n g von Wertpapieren, Geldscheinen und auf die zur Verwendung gekommene Schreib- dergleichen. Handelt es sich nicht u m im maschine zulassen. Bei Stanzfehlern an ein- Ganzen gefälschte Urkunden, sondern um in zelnen Buchstaben ist zu prüfen, ob diese auch irgend einem Teil, z. B. der W e r t a n g a b e oder bei anderen Schriftstücken aus solchen Ma- der Unterschrift, verfälschte Urkunden, so ist schinen vorliegen, denn die Buchstaben zeigen die f r ü h e r e ausradierte oder durch Bleichsolche kleinen, selbst mit der Lupe k a u m be- flüssigkeiten e n t f e r n t e Schrift in manchen m e r k b a r e n Fehler bei der automatischen Her- Fällen wieder lesbar zu machen. Oft gibt die stellung durch ganze Serien hindurch, sodaß B e t r a c h t u n g oder Photographie mit kurzalle mit dem betreffenden Buchstaben aus- welligen (ultravioletten) Strahlen schon eine gerüsteten Maschinen den gleichen Fehler auf- A u f k l ä r u n g (ähnlich wie bei Palimpsesten) weisen. So wie bei Analysen von H a n d - durch S i c h t b a r m a c h u n g der Veränderung des schriften kann bei der Analyse von Maschinen- Papiers an den f r ü h e r mit saurer Tinte beschriften auch nur die Summe der Indizien schrieben gewesenen Stellen, oder durch Anblasen mit J o d d ä m p f e n , wobei auch bezu einem tragbaren Beweis dienen. 3. B e i s p i e l e . In einem durch fast alle sonders Rasuren hervortreten oder durch An-, Tageszeitungen gegangenen Erbschaftsprozeß blasen mit Rhodanwasserstoffsäure, wodurch handelte es sich um die Beweisführung der Reste von Eisentintenschrift rot in Er-

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Urkundenfälschung (B. Technisches)

scheinung treten, oder durch die Methoden, I Dadurch ist die Fälschung klar erwiesen welche f ü r die Entwicklung unsichtbarer | worden. Die Zeitfolge von Schriften, namentlich Geheimschriften Verwendung finden. Eine Bank lieferte bei der Steuerbehörde das Verhältnis zwischen Datierung und Unterwiederholt Formularlisten der zu versteuern- schrift, Stempeln und Unterschrift bietet an den Wertpapiere ein, in denen f r ü h e r mit Kreuzungsstellen zwischen den beiden in BeTinte gemachte Einträge der Wertpapiere t r a c h t kommenden Teilen der Urkunde der durch sogenannten Tintentod ausgelöscht und mikroskopischen Untersuchung oft erhebliche weitere zu versteuernde Wertpapiere über die Schwierigkeiten, besonders wenn Tinte auf ausgelöschten Einträge mit Schreibmaschinen- Stift oder Maschinenschrift oder umgekehrt schrift eingetragen waren. Beim Anblasen vorliegen. In solchen Fällen h a t sich die der Einträge mit Rhodanwasserstoff (ent- Abziehmethode mit klebrigen Folien, wie sie wickelt aus R h o d a n a m m o n und Salzsäure zum Abziehen von Fingerabdrücken b e n u t z t durch E r w ä r m e n ) t r a t u n t e r der Maschinen- werden, bewährt. Liegt Stiftschrift, Stempelschrift die f r ü h e r e Tintenschrift deutlich her- f a r b e oder Maschinenschrift auf der Tinte, so vor, sodaß die Steuerhinterziehung erwiesen läßt sie sich mit der Folie von der Tinte abziehen, sodaß in dem Abzug keine Lücke werden konnte. Der Fälscher eines Kreditbriefes, der zur a u f t r i t t . Liegt aber die Tinte auf dem StiftSicherung auf einem bestimmten Papier mit | strich, Stempel oder Maschinenschriftdruck, mehreren Farben bedruckt und beschriftet so bleibt der durch die Tinte gedeckte Teil und sogar zum Teil mit P r ä g u n g hergestellt im Abzug weg. 4. Das Alter von Tintenschriften kann, war, schnitt die Wertangabe „ D u e Dollars" aus und klebte ein neues mit der Feder in sofern Eisenoxydul enthaltende Tinten vorDruckschrift täuschend beschriebenes Blätt- liegen, dadurch festgestellt werden, daß das chen Papier mit dem Wort „Mille" in den ! Eisensalz in der Tintenschrift allmählich Kreditbrief ein. Die Fälschung wurde erst j oxydiert und in Wasser unlöslich wird. Die bemerkt, nachdem er wiederholt Beträge bei Tintcnschrift verliert dadurch dann auch ihre verschiedenen aus- und inländischen Banken | Kopierfähigkeit. Zieht man die Tintenschrift auf dieses Falsifikat hin erhoben h a t t e . Erst mit einem Tröpfchen Wasser einige Minuten durch die mikroskopische Untersuchung : lang aus und p r ü f t das auf eisenfreies Filtrieri papier abgesogene Tröpfchen auf Eisen, so wurde der Schwindel aufgedeckt. Spätere Einfügungen in Urkunden können \ ist bei Vorhandensein desselben die O x y mit anderer Tinte und Feder geschehen sein. dation der Schrift noch nicht vollendet. Die A u f k l ä r u n g geschieht durch mikro- J e nach Art der Tinte und des Papiers chemische P r ü f u n g mit sehr kleinen Tröpfchen sowie der A u f b e w a h r u n g (Schutz vor L u f t und s t a r k v e r d ü n n t e r Säure und sofortiger Neutra- Licht) kann dann gegenüber Vergleichslisation mit Ammoniak, wodurch verschiedene schriften aus den in Betracht k o m m e n d e n Tinten erkennbar sind, ferner bei gleicher Zeiten das Alter erwiesen werden. Tinte durch das Verhalten ider Tinte an BeNach der von Ledden-Hulsebosch anrührungsstellen zu der früheren Schrift, wobei gegebenen Methode kann auch durch künstalsbaldige Einfügung Auslauferscheinungen liche Alterung eines Teils der Schrift bei Bein der früheren Tintenschrift, spätere Ein- strahlung mit ultraviolettem Licht mit entf ü g u n g aber scharfe Abgrenzung ergibt. Auch sprechenden Vergleichsprüfungen der etwa das Verhalten der Schrift zu Brüchen in dem s t a t t g e h a b t e Abschluß oder Fortschritt der Papier und die bei späterer E i n f ü g u n g auf- Alterungserscheinung dargetan werden. tretenden Auslauferscheinungen der Tinte in Dr. Rall hat in Verbindung mit Mezger dem Bruch können als Beweis dienen. und Heess neuerdings eine Methode zur FestBei Schrift mit harter Feder auf weicher stellung des Alters von Tintenschriften auf Unterlage oder bei Stiftschriften kann auch Grund der Beobachtung a u f g e b a u t , daß fast die Reliefbildung f ü r die Feststellung der alle Tinten Spuren von Chlorverbindungen Reihenfolge bzw. Zeitzwischenräume dienlich sowie Sulfaten enthalten. Diese wandern aus sein. Eine mit Stift geschriebene Q u i t t u n g der Tintenschrift in das umgebende Papier über RM. 500.— zeigte auf der Rückseite eine allmählich aus. Der Grad dieser Auswandespäter geschriebene Bleistiftnotiz, die ein bei rung kann in den aus der Urkunde ausgetangierend auffallendem Licht deutlich er- schnittenen, auf wenige Striche beschränkkennbares Relief gebildet h a t t e . Diese baren Teilen durch Fixierung der ChlorverQ u i t t u n g lautete bei Vorlage an den Schuld- bindung mit Silberlösung und durch Fixierung ner über RM. 2500.—. Die Ziffer „ 2 " h a t t e der Sulfate mit Bleisalzen festgestellt weraber das Relief der rückseitigen Schrift den. Man kann dadurch in der Regel sicher niedergedrückt, während die frühere Schrift bestimmen, welcher zeitliche Unterschied der Q u i t t u n g durch das Relief gehoben war. zwischen der D a t i e r u n g einer Schrift und

Urkundenfälschung (B.

Technisches)

A b b . 1. G e f ä l s c h t e Q u i t t u n g , durch E i n f ü g u n g einer 2 v o r die Zahl 5 0 0 . Die 2 h a t das Relief der r ü c k s e i t i g e n S c h r i f t n i e d e r g e d r ü c k t , w ä h r e n d der T e x t (siehe die S c h l e i f e ) d a d u r c h g e h o b e n war.

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Alle (4) möglichen Kinder sind gleich, sie sehen äußerlich alle aus wie der Vater (AA), haben aber doch alle auch die Anlage zum mütterlichen „nicht A " ( = aa). Selbst wenn diese Familie nur ein Kind hervorbrächte, m ü ß t e das soeben Gesagte auf dieses Kind zutreffen. Heiratet dieses Kind einen P a r t n e r , der ihm äußerlich gleicht (also das väterliche Äußere hat), so kann man ihm äußerlich nicht ansehen, ob er innerlich wirklich dem Vater entspricht, also n u r die A-Anlage hat, oder ob er innerlich dem Geschwister gleicht, also innerlich auch die „nicht A " ( = a)-Anlage t r ä g t . Im ersteren Falle würde die Ehe ergeben Aa < — A A AA AA Aa Aa Wiederum würden alle Kinder gleich aussehen, aber die Hälfte der Geschwister wäre innerlich anders gebaut. Bringt diese F a milie nur ein Kind auf die Welt, so weiß m a n natürlich nicht, welcher Hälfte es angehört. — Läge aber der soeben angedeutete zweite Fall vor, so ergäbe sich folgende E h e Aa • Aa AA Aa Aa aa Von den 4 Kindern sind also äußerlich drei gleich, eins verschieden ( o h n e die großväterliche Eigenschaft). Von den drei äußerlich gleichen Geschwistern sind aber innerlich nur 2 gleich, das d r i t t e ist „rein gemendelt" (AA). Bringt diese Ehe aber nur e i n Kind hervor, so kann m a n von vorn herein nicht ahnen, ob es zum T y p u s AA oder Aa oder aa gehören wird. Ist das Kind dann da, so kann man ihm ansehen, ob es aa oder eine der anderen beiden S t r u k t u r e n h a t ; welche der beiden letzteren S t r u k t u r e n es h a t , kann m a n nicht a h n e n . Zusammengefaßt ergeben sich also, wenn sich 2 P a r t n e r mit äußerlich verschiedener Eigenschaft vereinen (AA und aa) bei den Enkeln folgende Möglichkeiten AA

Aa

aa

906

Vererbung

Sind aber beispielsweise nur 2 Enkel da, die die betreffende Eigenschaft besitzen, so können sie beide AA oder beide Aa oder beide verschieden sein. Aber es ist sogar möglich, daß beide Enkel aa sind, also das fragliche Merkmal nicht besitzen. Denn die oben angegebenen Zahlenverhältnisse sind nur Wahrscheinlichkeitszahlen, die sich im konkreten Falle nicht immer zu realisieren brauchen. Man sieht, daß schon nach diesen alten klassischen Mendelschen Regeln die Erbprognose im Falle der einzelnen Familie schwierig ist, f ü g t man aber gar noch die oben angedeutete Quantitätstheorie des Merkmals oder die relative Valenz ein, so wird die Angelegenheit unübersehbar. 3. Um hier doch in der Forschung weiter zu kommen, haben die modernen erbbiologischen Forschungsinstitute, insbesondere unter der F ü h r u n g von Rüdin und Luxenburger einen anderen Weg beschritten. Man wählt ein Elternpaar, bei dem ein P a r t n e r ein Merkmal (z. B. eine b e s t i m m t e geistige Störung) besitzt, und forscht (ganz unabhängig von allenTheorieen), wie oft das gleiche Merkmal in der Nachkommenschaft, auch bei den Seitenlinien, v o r k o m m t . Zum Vergleich untersucht man, ob und wie oft man dieses Merkmal auf S t a m m t a f e l n antrifft, bei denen k e i n Elternteil das Merkmal besaß. Endlich läßt man sich selbstverständlich jene Fälle nicht entgehen, bei denen b e i d e Elternteile das Merkmal tragen. Nach bes t i m m t e n Berechnungsverfahren, auf die hier nicht einzugehen ist, kommen nun jene Forscher etwa zu folgenden Ergebnissen: Gewählt sei das Beispiel eines bestimmten Gemütsleidens, der Schizophrenie: Ist ein Elternteil schizophren, so sind durchschnittlich 9,1 % der Kinder abermals schizophren, daneben sind 1 7 , 6 % aller Kinder schizophrenieähnliche P s y c h o p a t h e n sowie 2 2 , 6 % andere a b n o r m e T y p e n . Sind beide Eltern schizophren, so lauten die entsprechenden Zahlen 53 und 29 %. Bei der Durchschnittsbevölkerung erwartet man einen Prozentsatz von 0,85 % Schizophrenie (nach G ü t t - R ü d i n - R u t t k e S. 97 s. u.). Die Forschung hat begreiflicherweise zuerst die körperlich greifbaren Merkmale als Gegenstand gewählt. So haben die Augenärzte gefunden, daß von den in der J u g e n d erblindeten Augen 1 0 % durch angeborenen Star erblindeten. Die Neurologen wendeten sich bestimmten Formen der Idiotie oder des Veitstanzes (Chorea H u n t i n g t o n ) oder bestimmten Sys t e m e r k r a n k u n g e n von Hirn oder Rückenm a r k zu. Auch die Psychiater beteiligten sich vor allem an der Erforschung der großen endogenen Psychosen in der Annahme, daß

ein körperliches Substrat, erkrankt, auch diesen seelischen Störungen zu Grunde liegen müsse. Auf allen diesen Gebieten hat die Erbforschung reiche Ergebnisse gezeitigt. An den psychiatrischen Forschungen hat natürlich auch der Kriminalist ein gewisses Interesse. Denn wenn es im Wesen einer bestimmten Psychose liegt, zu einer Verbrechenskategorie zu neigen, so würden auch die Erbwahrscheinlichkeiten im Rahmen der Erforschung der Verbrechensursachen liegen. Freilich ist schon an anderer Stelle dieses Handwörterbuches (oben S. 446ff.) auseinandergesetzt worden, daß die Bedeutung der echten Psychosen f ü r die Verbrechensbegehung klein sei. 4. In sehr viel schwierigeres Gebiet muß die Forschung eintreten, wenn es sich nicht um körperlich greifbare Eigenschaften handelt, sondern um s e e l i s c h e V e r h a l t e n s w e i s e n . Die Psychologie ist sich über das Wesen der Eigenschaft noch nicht einig. Die eine Gruppe von Forschern macht z. B. zwischen blauer Augenfarbe ( P i g m e n t a r m u t ) und Geiz keinen Unterschied. Beides seien menschliche Eigenschaften und könnten also in gleicher Weise erbbiologisch behandelt werden. Eine zweite Gruppe von Wissenschaftlern gibt das f ü r gewisse seelische Eigenschaften, nämlich solche zu, die sicher körperlich u n t e r b a u t seien, z. B. den angeborenen Schwachsinn. Aber auch gewisse seelische Konstitutionsfaktoren, wie etwa die konstitutionelle Erregtheit (Hypomanie) werden noch hinzu gerechnet, da sich solche „ E i g e n s c h a f t e n " i m m e r offenbaren, gleichgültig in welchem Lebensraum ein Individuum heranwachse. Die Psychologie unterscheidet aber die seelischen (sogenannten leeren) „ F u n k t i o n e n " als eingeborene Wesenszüge von der Form und Weise, wie sie sich als reale L e b e n s f o r m ausgestalten. Derselbe Wesenszug des Einfallsreichtums, der sogen a n n t e n Eigenanregbarkeit, kann sich im Leben als Unternehmergeist eines vielgewandten K a u f m a n n s oder als romantische Unruhe eines pseudologistischen Hochstaplers offenbaren. Ob sie sich im einen Falle so oder im anderen anders zeigt, hängt u. a. von der Schicht der Geburt, von der Kinderstube, den äußeren Einflüssen, kurz dem Schicksal oder dem Lebensraum ab, in dem j e m a n d heranwächst. Deshalb ist eine dritte Gruppe von Forschern nicht geneigt, solche Eigenschaften (wie kaufmännische Betriebsamkeit oder Hochstapelei) als Grundwesenszüge anzusehen, deren Erblichkeit zu untersuchen lohne. Es seien dies Lebensformen, um einen Ausdruck von E. Spranger aufzunehmen, aber keine Charaktereigenschaften. Diese Forscher schließen aus der Vererbung

Vererbung also alle Prägungen a u s , die erst durch Wirtschaftslage, Oesellschaft, K u l t u r erfolgen. Die Psychologie setzt z. B. in einer Weise, die hier nur angedeutet werden kann, bei der Frage der Talente aus einander, daß es wohl ein vererbbares Talent f ü r Mathem a t i k insofern gebe, als bestimmte angeborene seelische (leere) F u n k t i o n e n in dem Zahlenmaterial der Arithmetik ein besonders brauchbares Material f ä n d e n und sich deshalb diesem zuwendeten. Im engeren Sinne gebe es aber keine eingeborene Anlage f ü r Mathem a t i k , weil diese ein K u l t u r - aber kein N a t u r m o m e n t sei. 5. Die gleiche Überlegung gilt nun, wie f ü r viele soziale Erscheinungen, auch f ü r das V e r b r e c h e n . J e n e eben erwähnte erste G r u p p e von Forschern untersucht das Verbrechen auf seine Vererbung genau so wie Blauäugigkeit. Die andere Gruppe sieht in dem Verbrechen eine soziale Einstellung oder Betätigung. Zur ersten Gruppe gehörte z. B. Lombroso mit seinen Thesen: der Verbrecher ein Primitiver, der Verbrecher ein Kind, der Verbrecher ein Epileptiker. Alle drei Eigens c h a f t e n : Primitivität ( = Atavismus, Darwinsche Theorie), Infantilität, Epilepsie galten Lombroso als Körpereigenschaften und so suchte er nach anderen Körpereigenschaft e n , die den Verbrecher außerdem noch kennzeichnen, und f a n d sie in seinen vielerörterten Degenerationszeichen. Aber selbst Lombroso, f ü r den also sein Delinquente n a t o eine K ö r p e r v a r i e t ä t war, m u ß t e im Laufe seiner Untersuchungen selbst zugestehen, daß seine Aufstellungen nur f ü r 4 0 % aller Verbrecher zuträfen. (Über Lombroso siehe unter dem Stichw. Kriminalanthropologie). H e u t e gibt es nur noch wenige Forscher, die der Lombrososchen Lehre anhängen. Der extremste Gegenpol wissenschaftlicher Anschauung hält das Verbrecher-Sein f ü r einen Beruf, wie den des K a u f m a n n s oder Juristen, also f ü r eine rein kulturbedingte Lebensform. Auch diesem extremen S t a n d p u n k t wird nicht viel Z u s t i m m u n g erwachsen. Eine vermittelnde Theorie ist der Meinung, daß das Verbrechen in der T a t eine Kulturerscheinung sei (siehe d. Art. Verbrechensursachen), abhängig von zahlreichen sozialen und persönlichen F a k toren. Aber ebenso sehr wie die Wahl eines Berufes oft von rein zufälligen außergewöhnlichen Schicksalsmomenten abhängig sei, ebenso oft sei sie doch durchaus von persönlichen Anlagen des Individuums bestimmt. Man pflegt zu argumentieren: ein vielverdienender Rechtsanwalt aus alter Juristenfamilie h a t t e d r e i Söhne, und nur einer ergriff die Tradition der Familie und wurde J u r i s t , der andere wurde bildender Künstler und darbte, der dritte ging nach Amerika

907

und brachte es als B a u u n t e r n e h m e r zu Wohlstand. Nach der strengen Vererbungsmeinung m ü ß t e jeder der Söhne sein juristisches, künstlerisches, u n t e r n e h m e r h a f t e s Talent ererbt haben, weil in der Familie eben jene Potenzen als Gene v o r h a n d e n gewesen seien. Nach anderer Meinung war nur der Künstler ein originär begabter, anlagemäßig spezialisierter M a n n ; J u r i s t und Unternehmer waren intellektuell gleich gut begabte, einfallsreiche aber durchschnittliche Persönlichkeiten; d i e s war ihre Anlage. Daß aber der eine J u r i s t , der andere Bauunternehmer wurde, lag in schicksalsmäßigen Einflüssen des Lebensraumes, die mit Vererbung nichts zu t u n h a t t e n . Wendet m a n derartige Anschauungen auf das Verbrechen an, so entsteht folgende A u f f a s s u n g : Es gibt viele Zufalls-, Gelegenheits- und Fahrlässigkeitsverbrecher, die sich von der Gesamtheit der Bevölkerung überh a u p t nicht unterscheiden und kein spezielles E r b g u t besitzen. Es gibt andere Persönlichkeiten, die auf sozial tiefster Stufe geboren zum Verbrechen kommen müssen. Es gibt eine dritte (kleine) Gruppe von Individuen, die u n t e r a l l e n Umständen, in j e d e r sozialen Lage zum Verbrechen gelangen müssen. Diese Auffassung glaubt also auch an einen „geborenen" Verbrecher; freilich nicht im Lombrososchen Sinne körperlicher Stigm a t a , sondern im Sinne angeborenen Charakters. Die meisten Charaktere lassen sich erziehen, ihre Anlagen lassen sich zu sozial nützlichen Betätigungen bringen, aber es gibt — um ein Beispiel zu nennen — Individuen, die so lebendig, aktiv, unternehmungslustig, unruhig, gewandt, aller Dauer abgeneigt, infolgedessen arbeitsscheu, aber phantasievoll, einfühlungsfähig, klug sind, daß sie trotz aller aufgewendeten Erziehungsmühe, mögen sie Kinder einfachster oder gehobenster Bildungsschicht sein, zum Hochstapeln kommen müssen. Es gibt einen anderen, an Zahl häufigeren Typus, dessen Gefühlsarmut, Geistesschwäche, Roheit, Akt i v i t ä t so groß ist, daß der Lebensraum ungelernter Arbeiter, daß die Ordnung der Schule, meist auch die besondere Aufwendung der Fürsorgeerziehung nicht ausreicht, u m sie vor verbrecherischer L a u f b a h n zu bewahren. Es sind die viel besprochenen Unverbesserlichen der Fürsorgeerziehungsanstalten und die Anwärter auf die spätere Sicherungsverwahrung. Die soeben geschilderten 2 T y p e n des gewandten klugen Hochstaplers und des gering begabten rohen Eigentumsverbrechers sind nur 2 Beispiele; es könnten noch mehr aus jener Gruppe geschildert werden, bei denen die eingeborene

908

Vererbung

Anlage ganz oder vorwiegend die Lebensform bestimmt. Bei solchen Anlageverbrechern — sie sind unter sich also keineswegs einheitlich — lohnte es durchaus, auf der S t a m m t a f e l nach erblichen Momenten zu suchen. Wenn diese z. B. beim Hochstapler auch keineswegs immer als verbrecherische Lebensform gef u n d e n werden, so zeigen sich doch dort, bei den Aszendenten, nicht selten die gleichen Wesenszüge der Unruhe, Unstetheit, Haltlosigkeit, Abenteuerlust usw. Die Anhänger dieser wissenschaftlichen Auffassung fassen ihre These also folgendermaßen kurz z u s a m m e n : Die verbrecherische Betätigung ist eine Lebensform, die sich zum Teil bei durchschnittlichen Individuen aus äußeren Einflüssen ergibt: M ( = M i l i e u T y p e n ; — die zum weiteren Teil aus der unglücklichen Z u s a m m e n w i r k u n g von ungünstigen Charakteranlagen und ungünstigem Lebensraum e n t s p r i n g t : M + A (A = Anl a g e ) - T y p e n ; — die schließlich auch allein aus bestimmten eingeborenen Wesenszügen hervorgehen k a n n : r e i n e A - T y p e n . Welcher T y p u s im einzelnen Falle vorliegt, kann eben nur aus der gründlichen persönlichen Untersuchung jedes einzelnen Falles entschieden werden. Es gibt in der Literatur wenig glückliche Studien, die z. B. aus der Tatsache, daß ein Onkel und sein Neffe beide mit dem Strafgesetz in Konflikt kamen, auf 2 A-Verbrecher schließen wollen. Dies wäre genau so voreilig, wie wenn man bei Onkel und Neffe, die beide Kaufleute sind, deshalb auf eine gemeinsame Erbanlage schließen wollte. Auch bei der Beurteilung der sogenannten Verbrecherfamilien ist Vorsicht geboten. Es ist durchaus d e n k b a r u n d bei wenigen der veröffentlichten Verbrecherfamilien m a c h t es auch wirklich den Eindruck, daß es Familien gibt, bei denen AVerbrecher ein relativ festes Gen vererben, z. B. das oben genannte C h a r a k t e r s y n d r o m : a r m an Geist und Gemüt, roh, sehr a k t i v . D a ß die d a m i t b e h a f t e t e n Nachk o m m e n wieder Verbrecher werden, ist so g u t wie sicher. Aber man bedenke auch, daß es sehr tiefstehende Familien gibt, bei denen sich auf Grund des tiefen sozialen, bildungsmäßigen, gesundheitlichen, hygienischen Niveaus übelste Zustände des Lebensraums entwickeln, und daß in solchem Lebensraum Alkoholismus, Prostitution, Verbrechen als s o z i a l e Folgen selbstverständlich sind. Kinder, die in solcher Umgebung heranwachsen, sind allein schon durch die äußeren Einflüsse sozial aufs schwerste gef ä h r d e t . Man bedenke auch, daß ein gering b e g a b t e r ungelernter unständiger Arbeiter o f t nur ein schwachsinniges Mädchen zur Ehef r a u findet, — eine andere n i m m t ihn n i c h t — ,

und diese debile Frau setzte nun bisher erbmäßig wieder debile Kinder in die Welt. Erbliche Charaktermomente, erbliche Unterbegabungen, äußere Einflüsse schlechtesten Lebensraums, T r u n k s u c h t und dazu noch gelegentlich Tuberkulose verquicken sich dann zu einem so unseligen Durcheinander, daß die Kinder, die solchen Verhältnissen e n t s t a m m e n , sich selbst bei normaler Anlage k a u m zum Niveau eines ordentlichen fleißigen sozialen Staatsbürgers heraufarbeiten können. Den amerikanischen Studien über Verbrecherfamilien ist deshalb nicht viel zu entnehmen, weil die dort beschriebenen T a t sachen nicht immer zuverlässig erscheinen und die verwendeten Begriffe zu unscharf sind. Besonders mit dem vagen Begriff „feeble-minded" läßt sich wissenschaftlich nicht arbeiten. 6. Möge man jener erstgenannten Theorie zustimmen, daß die Verbrechensverübung eine menschliche Eigenschaft sei, wie Blauäugigkeit, oder möge man der Meinung beipflichten, daß nur die Eigenschaften des Charakters und der Intelligenz vererbt werden können, die direkt oder indirekt zur Lebensform des Verbrechens f ü h r e n können, auf alle Fälle erweist sich das seit 1934 geltende G e setz zur V e r h ü t u n g e r b k r a n k e n Nachw u c h s e s als ein kräftiger Bundesgenosse in der B e k ä m p f u n g des Verbrechens. Zwar ist, wie erwähnt, die Bedeutung der beiden großen dort a n g e f ü h r t e n endogenen Psychosen (man.-depr. Gemütsstörung und Schizophrenie) f ü r die Verbrechensbetätigung n i c h t sehr groß, um so wichtiger ist aber die im Gesetz festgelegte B e k ä m p f u n g des S c h w a c h s i n n s . Zwar unterscheidet das Gesetz zwischen endogenem und exogenem Schwachsinn (letzterer auf Grund von Geburtst r a u m a t a , Lues, f r ü h e r Meningitis, Enzephalitis, Säuglingskopfunfällen) und läßt n u r f ü r ersteren die Sterilisation zu. Aber schwachsinnige Individuen sind s t e t s unerwünschte Volksgenossen, sie beteiligen sich in hohem Maße an der kleinen Alltagskriminalität, an Arbeitsscheu, Betteln und Landstreichen und an der Prostitution. Sie vermögen selten eine geordnete Familie zu gründen und sind niemals gute Erzieher. Deshalb wird jeder Volksfreund der Tendenz des G ü t t - R ü d i n - R u t t k e s c h e n Kommentars zum Sterilisierungsgesetz zustimmen, den Begriff des endogenen Schwachsinns möglichst weit zu fassen und also möglichst viele Schwachsinnige an der Fortpflanzung zu hindern. Von dem gleichen allgemeinen Gesichtspunkt aus empfiehlt es sich, auch jene Individuen unter die Sterilisierungsmöglichkeit einzubeziehen, bei denen kein formaler Schwachsinn nachgewiesen werden

Vererbung — Vergiftungen kann, bei denen aber im Sinne der früher sogenannten Moral insanity und des oben definierten geborenen Verbrechers ein völliger Mangel der Gemütsdispositionen und rohe ungehemmte Aktivität nachweisbar sind. (In Übereinstimmung mit Gütt-Rüdin S. 94.) Im Wortlaut • des Sterilisationsgesetzes ist freilich diese Möglichkeit nicht begründet, weshalb die Meinungen der Sachverständigen und die Rechtsprechung der Erbgesundheitsgerichte hierüber noch geteilt sind. Daß man Sittlichkeitsverbrecher nach heute geltendem Recht unter bestimmten Umständen auch der K a s t r a t i o n unterwerfen kann, ist ein weiterer bedeutungsvoller Fortschritt in der Verbrechensbekämpfung. Freilich soll dieser operative Eingriff dem Verbrecher den Sexualtrieb und daher auch den Anreiz zum Sexualverbrechen nehmen. Dies hat mit dem Gesichtspunkt der Vererbung logisch nichts zu tun, wenngleich es auch als ein erwünschtes Nebenergebnis erscheint, daß diese gemeingefährlichen Verbrecher keine Kinder, zu deren Erziehung sie ja doch unfähig wären, in die Welt setzen können. 7. Hat man als Fachmann mit der Erörterung der Vererbungsprobleme auch in Laienkreisen zu tun, so stößt man immer wieder auf ein Mißverständnis, das noch kurz besprochen werden soll. Der Laie, oft auch leider der Pädagoge, ist allzu leicht geneigt, in der Feststellung der Eingeborenheit einer Anlage gleichzeitig auch ihre Unbeeinflußbarkeit, Unerziehbarkeit zu sehen. Man hört nicht selten die pädagogische Ausrede: ich kann mit dem Kinde nichts anfangen, es ist erblich belastet. Das ist ein grundfalscher Standpunkt. Man denke doch besonders der sicher eingeborenen Anlage eines künstlerischen T a l e n t s ! Nach wieviel Seiten läßt es sich doch künstlerisch entwickeln, je nach den Einflüssen, denen es unterworfen wird. Und wenn man auch in den Biographieen von Künstlern zuweilen liest, daß sie sich aus sogenanntem „instinktiven Gefühl" gewissen Einflüssen fest verschlossen hätten, um eigenwillig ihren Weg zu wandeln, so findet man in den gleichen Biographieen oft kurz hernach bestätigt, welch außerordentlichen Einfluß gewisse Schicksalsmomente auf die weitere künstlerische Laufbahn gehabt haben. Das Gleiche gilt von den C h a r a k t e r z ü g e n . Anlagen lassen sich erzieherisch entwickeln, Anlagen lassen sich unterdrücken. Vor allem aber können — wie schon oben angedeutet — (leere) Charakteranlagen, wie z. B. Geschäftigkeit, auf die verschiedensten Gebiete und Gegenstände der Kultur gerichtet und dort verankert werden. Noch einmal sei des Beispieles der Pubertät gedacht: der Über-

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schwang der Aktivität dieser Jahre ist sicher biologisch eingeboren. Ob er sich aber auf das Zerstören von Gartenanlagen und Friedhöfen richtet oder in staatlich oder speziell militärisch überwachter Erziehung auf Sport und Selbstausbildung gelenkt wird, ist das Ergebnis pädagogischer Kunst. Daß es daneben einzelne schwer oder nicht erziehbare unglückliche Charakteranlagen geben kann, an denen alle Erziehungskunst scheitert, soll nicht geleugnet werden. Auf dem Gebiet der verbrecherischen Betätigung haben ja unsere modernen Verwahrungsgesetze mit diesem Umstand abgerechnet. Schrifttum:

Baur-Fischer-Lenz, Menschliche Erblichkeitslehre, München, Lehmann, 4. Aufl. 1934. — G o l d s c h m i d t , R., Einführung in die Vererbungswissenschaft, 5. Aufl., Berlin, Springer, 1928, S. 568. — L e n z , F., Menschliche Auslese und Rassenhygiene, 4. Aufl. — G ü t t - R ü d i n - R u t t k e , Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, München, Lehmann 1934, 272 S. — R ü d i n , E r n s t , Erblehre und Rassenhygiene im völkischen Staat, München, Lehmann, 1934. Hans W. Gruhle. Vergehen s. Kriminalstatistik.

Vergiftungen. 1. V e r g i f t u n g e n sind durch „ G i f t e " herbeigeführte Funktionsstörungen des lebenden Organismus, die entweder Wiederherstellung, dauerndes Siechtum oder den Tod zur Folge haben. Nach dem Verlauf unterscheidet man zwischen akuter und chronischer Vergiftung. Bei einer tödlichen Vergiftung kann entweder Giftmord, Selbstmord oder Unglücksfall vorliegen. Für die strafrechtliche Beurteilung erscheinen Vergiftungen als vorsätzliche oder fahrlässige Tötungen oder Körperverletzungen. Darüber hinaus pönalisiert das RStGB. die Verwendung von Gift als ein sogenanntes gemeingefährliches Verbrechen: Brunnenvergiftung und Verbreiten vergifteter Sachen (§§ 324—326), und das auf eine Einzelgefährdung tendierende Verbrechen der Beibringung von Gift, Vergiftung im engeren Sinne § 229. Dieser Sondertatbestand der Vergiftung unterscheidet sich von Tötung und Körperverletzung dadurch, daß der Tod oder die Gesundheitsbeschädigung nicht eingetreten zu sein braucht, und von einer versuchten Tötung dadurch, daß für den Täter nicht der Vorsatz, zu töten, sondern nur die Absicht

Vererbung — Vergiftungen kann, bei denen aber im Sinne der früher sogenannten Moral insanity und des oben definierten geborenen Verbrechers ein völliger Mangel der Gemütsdispositionen und rohe ungehemmte Aktivität nachweisbar sind. (In Übereinstimmung mit Gütt-Rüdin S. 94.) Im Wortlaut • des Sterilisationsgesetzes ist freilich diese Möglichkeit nicht begründet, weshalb die Meinungen der Sachverständigen und die Rechtsprechung der Erbgesundheitsgerichte hierüber noch geteilt sind. Daß man Sittlichkeitsverbrecher nach heute geltendem Recht unter bestimmten Umständen auch der K a s t r a t i o n unterwerfen kann, ist ein weiterer bedeutungsvoller Fortschritt in der Verbrechensbekämpfung. Freilich soll dieser operative Eingriff dem Verbrecher den Sexualtrieb und daher auch den Anreiz zum Sexualverbrechen nehmen. Dies hat mit dem Gesichtspunkt der Vererbung logisch nichts zu tun, wenngleich es auch als ein erwünschtes Nebenergebnis erscheint, daß diese gemeingefährlichen Verbrecher keine Kinder, zu deren Erziehung sie ja doch unfähig wären, in die Welt setzen können. 7. Hat man als Fachmann mit der Erörterung der Vererbungsprobleme auch in Laienkreisen zu tun, so stößt man immer wieder auf ein Mißverständnis, das noch kurz besprochen werden soll. Der Laie, oft auch leider der Pädagoge, ist allzu leicht geneigt, in der Feststellung der Eingeborenheit einer Anlage gleichzeitig auch ihre Unbeeinflußbarkeit, Unerziehbarkeit zu sehen. Man hört nicht selten die pädagogische Ausrede: ich kann mit dem Kinde nichts anfangen, es ist erblich belastet. Das ist ein grundfalscher Standpunkt. Man denke doch besonders der sicher eingeborenen Anlage eines künstlerischen T a l e n t s ! Nach wieviel Seiten läßt es sich doch künstlerisch entwickeln, je nach den Einflüssen, denen es unterworfen wird. Und wenn man auch in den Biographieen von Künstlern zuweilen liest, daß sie sich aus sogenanntem „instinktiven Gefühl" gewissen Einflüssen fest verschlossen hätten, um eigenwillig ihren Weg zu wandeln, so findet man in den gleichen Biographieen oft kurz hernach bestätigt, welch außerordentlichen Einfluß gewisse Schicksalsmomente auf die weitere künstlerische Laufbahn gehabt haben. Das Gleiche gilt von den C h a r a k t e r z ü g e n . Anlagen lassen sich erzieherisch entwickeln, Anlagen lassen sich unterdrücken. Vor allem aber können — wie schon oben angedeutet — (leere) Charakteranlagen, wie z. B. Geschäftigkeit, auf die verschiedensten Gebiete und Gegenstände der Kultur gerichtet und dort verankert werden. Noch einmal sei des Beispieles der Pubertät gedacht: der Über-

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schwang der Aktivität dieser Jahre ist sicher biologisch eingeboren. Ob er sich aber auf das Zerstören von Gartenanlagen und Friedhöfen richtet oder in staatlich oder speziell militärisch überwachter Erziehung auf Sport und Selbstausbildung gelenkt wird, ist das Ergebnis pädagogischer Kunst. Daß es daneben einzelne schwer oder nicht erziehbare unglückliche Charakteranlagen geben kann, an denen alle Erziehungskunst scheitert, soll nicht geleugnet werden. Auf dem Gebiet der verbrecherischen Betätigung haben ja unsere modernen Verwahrungsgesetze mit diesem Umstand abgerechnet. Schrifttum:

Baur-Fischer-Lenz, Menschliche Erblichkeitslehre, München, Lehmann, 4. Aufl. 1934. — G o l d s c h m i d t , R., Einführung in die Vererbungswissenschaft, 5. Aufl., Berlin, Springer, 1928, S. 568. — L e n z , F., Menschliche Auslese und Rassenhygiene, 4. Aufl. — G ü t t - R ü d i n - R u t t k e , Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, München, Lehmann 1934, 272 S. — R ü d i n , E r n s t , Erblehre und Rassenhygiene im völkischen Staat, München, Lehmann, 1934. Hans W. Gruhle. Vergehen s. Kriminalstatistik.

Vergiftungen. 1. V e r g i f t u n g e n sind durch „ G i f t e " herbeigeführte Funktionsstörungen des lebenden Organismus, die entweder Wiederherstellung, dauerndes Siechtum oder den Tod zur Folge haben. Nach dem Verlauf unterscheidet man zwischen akuter und chronischer Vergiftung. Bei einer tödlichen Vergiftung kann entweder Giftmord, Selbstmord oder Unglücksfall vorliegen. Für die strafrechtliche Beurteilung erscheinen Vergiftungen als vorsätzliche oder fahrlässige Tötungen oder Körperverletzungen. Darüber hinaus pönalisiert das RStGB. die Verwendung von Gift als ein sogenanntes gemeingefährliches Verbrechen: Brunnenvergiftung und Verbreiten vergifteter Sachen (§§ 324—326), und das auf eine Einzelgefährdung tendierende Verbrechen der Beibringung von Gift, Vergiftung im engeren Sinne § 229. Dieser Sondertatbestand der Vergiftung unterscheidet sich von Tötung und Körperverletzung dadurch, daß der Tod oder die Gesundheitsbeschädigung nicht eingetreten zu sein braucht, und von einer versuchten Tötung dadurch, daß für den Täter nicht der Vorsatz, zu töten, sondern nur die Absicht

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Vergiftungen

der Gesundheitsbeschädigung erforderlich ist. Ist infolge einer solchen „ V e r g i f t u n g " eine schwere Körperverletzung im Sinne des § 224 oder der Tod wirklich eingetreten, so erhöhen sich die gesetzlichen Mindeststrafen auf 5 bzw. 10 J a h r e Zuchthaus. Die Strafrechtswissenschaft hat diesem komplizierten Sond e r t a t b e s t a n d in der bisherigen Form die Existenzberechtigung abgesprochen. Praktisch spielt er neben den verschiedenen Formen der T ö t u n g und Körperverletzung und den gemeingefährlichen Verbrechen eine geringe Rolle: 1930 10 Verurteilte, d a r u n t e r 7 Frauen. Die deutschen E n t w ü r f e haben den S o n d e r t a t b e s t a n d des § 229 R S t G B . durch einen allgemeinen subsidiären T a t bestand der wissentlichen und gewissenlosen Lebensgefährdung ersetzt. Der besondere kriminelle Gehalt heimlicher Vergiftungen wird sich auch im künftigen Recht in der Strafzumessung bei Tötungen, Tötungsversuchen und Körperverletzungen auswirken (vgl. auch „ D a s kommende deutsche Strafr e c h t " , besonderer Teil, Bericht der Strafrechtskommission, Berlin 1935 S. 261). 2. Die T a t b e s t ä n d e der Brunnenvergift u n g , des Verbreitens vergifteter Sachen und der Vergiftung im engeren Sinne verlangen eine klare A u s l e g u n g d e s B e g r i f f e s G i f t . F ü r gesondert geregelte Einzelgebiete hat die Gesetzgebung den Sinn von Bezeichnungen wie „hochgiftige S t o f f e " (VO. über die Schädlingsbekämpfung mit hochgiftigen Stoffen vom 29.1.1919 — R G B l . 1 6 5 — i n Verbindung mit Ausf.VO. vom 22. V I I I . 1927 — RGBl. I, 297) und „ g i f t f r e i " (G. betr. Verwendung gesundheitsschädlicher Farben vom 5. V I I . 1887 — RGBl. 277 — §§ 6 und 4) selbst durch Einzelaufzählung abschließend b e s t i m m t . Kein Stoff ist ein G i f t an sich. Ein bes t i m m t e r Stoff kann dadurch zum „ G i f t e " werden, daß er einem Individuum „ g e g e b e n " wird und dieser Begriff des „ G e b e n s " (früher „Vergebens") liegt sprachlich in dem Worte „ G i f t " . Sind die Funktionsänderungen, die ein bestimmter Stoff — etwa Arsenik — in einem Individuum herbeiführt, schädlicher Art, so handelt es sich um eine Giftwirkung, sind sie nützlich, um eine Arzneiwirkung. Dieselbe Substanz kann also, je nach der verabreichten Menge, zum Arzneimittel (Heilmittel) werden — oder zum Gifte. Unwesentlich f ü r den Giftbegriff ist, daß eine Substanz, wie etwa Arsenik, schon in kleinen Mengen schädlich wirkt oder daß sie etwa körperfremd ist. Das lebensnotwendige Kochsalz, in großer Menge aufgenommen, wird zum Gift und ebenso reines, destilliertes Wasser, das in großer Menge in die B l u t b a h n eingespritzt wird. W ä h r e n d die W i r k u n g der meisten Gifte eine „chemische" ist, be-

zeichnet man die wasserentziehende W i r k u n g des Kochsalzes und die die Blutkörperchen lösende des destillierten Wassers als eine „physikalisch-chemische" Wirkung. Dagegen ist die Anämie verursachende W i r k u n g des R a d i u m s eine rein „physikalische", bedingt durch Aussendung von Strahlen. In Erweiterung einer Definition von Jacobj (Sammlung von Vergiftungsfällen 1931,2, C 4) kann man demnach sagen: „ G i f t ist jeder Stoff, sobald er durch Wirksamwerden seiner chemischen, physikalisch-chemischen oder physikalischen K r ä f t e auf die Lebensvorgänge eines Individuums schädigend einwirkt oder u n t e r gegebenen Bedingungen schädigend einwirken m u ß " . Diese Definition scheidet rein mechanische Wirkungen, etwa die schneidende W i r k u n g von Glas, aus. Stoffe wie zerstoßenes Glas wurden f r ü h e r als „mechanische G i f t e " bezeichnet, können aber, wenn ü b e r h a u p t , höchstens eine „ K ö r p e r v e r l e t z u n g " , keine „ V e r g i f t u n g " herbeiführen. Strafrechtlich einer Vergiftung gleichzusetzen ist die absichtliche Beibringung von Krankheitserregern, wie Bakterien ( R u h r , Typhus, Cholera, Tetanus, Diphtherie) oder W ü r m e r n (Trichinen). Diese organisierten Krankheitserreger sind keine „ S t o f f e " und demnach auch keine „ G i f t e " , sie e n t h a l t e n oder erzeugen aber solche. Der Nachsatz in der Giftdefinition von J a c o b j ist f ü r Fälle von Vergiftungsversuchen mit unzulänglichen Mitteln erforderlich: So können z. B. große Mengen flüssigen, metallischen Quecksilbers oder eine mehrfach tödliche Gabe von Phosphor in Form eines ganzen Stückes ungelöst und d a r u m ohne Giftwirkung den D a r m k a n a l durchlaufen. Ebenso wird eine reichliche Gabe von Arsenik, eingeschlossen in eine im Magen-Darmkanal unlösliche Kapsel oder Pille, unwirksam bleiben. 3. G i f t m e n g e u n d A n w e n d u n g s f o r m . F ü r jede Giftwirkung ist einerseits die Giftmenge, andererseits die Verwendungsform und der Ort der Beibringung maßgebend. Eine f ü r den Menschen pro Kilo Körpergewicht k r a n k machende (toxische) oder tödliche (letale) Dose eines bestimmten Giftes läßt sich nur ungefähr, nie genau angeben. Bei Giften, die als Arzneimittel gebraucht werden, gibt die Maximaldose des „Arzneibuches" einen Anhalt d a f ü r , welche Menge im allgemeinen ohne Gefahr verabreicht werden kann. Die Maximaldose eines Arzneimittels f ü r einen Erwachsenen kann aber schon den Tod eines Kindes herbeiführen. Aber selbst die hundert-, ja die tausendfache Menge der Maximaldose, also etwa mehrere G r a m m Arsenik, brauchen, innerlich beige-

Vergiftungen bracht, nicht tödlich zu wirken, wenn, was v o r k o m m e n kann, das Gift durch den Brecha k t wieder e n t f e r n t wird. Auch kann ein Gift, wie das Strychnin, zusammen mit Tierkohle als „ G e g e n g i f t " in mehrfach tödlicher Gabe innerlich ohne Schaden genommen werden. Wichtig ist auch, ob ein Gift in den leeren oder mit Speisen gefüllten Magen gelangt. Der Mageninhalt v e r d ü n n t das Gift und verzögert oder vermindert seine Wirkung. Auch die F o r m , in der ein Gift in den Magen gelangt, ist f ü r die Wirkung wichtig. Eine in Wasser schwer lösliche Substanz, wie der Arsenik in Form eines groben Pulvers, wird im Magen n u r sehr langsam in Lösung gehen und bei gleicher Dose schwächer wirken als eine Arseniklösung. Bei E i n f ü h r u n g in den Mastdarm, etwa als Klistier, oder in die weibliche Scheide, können viele Gifte rasch zur Wirkung gelangen. Sublimatpastillen haben schon wiederholt beim Einlegen in die Scheide zu tödlichen Vergift u n g e n geführt. Durch die f e t t g e t r ä n k t e unverletzte K ö r p e r h a u t dringen gut nur f e t t lösliche Substanzen wie Benzol, Nitrobenzol, Nikotin, in den Körper ein; dagegen werden von Wundflächen aus alle Gifte leicht resorbiert. Die meisten Gifte wirken rascher und in geringerer Menge, wenn sie in Lösung u n t e r die H a u t oder in die Muskulatur eingespritzt, als wenn sie innerlich verabreicht werden. Die rascheste Wirkung wird durch Einspritzung in die Venen erzielt, und bei Giften, welche sich im Magen-Darmkanal leicht zersetzen, ist die intravenöse Injektion auch die wirksamste. Einer s u b k u t a n e n oder i n t r a m u s k u l ä r e n Einspritzung k o m m t die Einwirkung von vergifteten Waffen (Giftpfeilen) nahe. Besonders rasche Wirkung kann durch E i n a t m u n g gas- oder d a m p f förmiger Gifte zu stände kommen, eine besonders langsame Wirkung, wenn feste Gifte, etwa Bleisplitter von einem Geschoß, im Gewebe eingebettet sind. Auch intravenös oder s u b k u t a n beigebrachte Gifte werden zum Teil im MagenD a r m k a n a l (Kot) oder in den Nieren ( H a r n ) wieder ausgeschieden. Manche Gifte, die rasch durch die Nieren ausgeschieden werden, wie die Kalisalze oder das südamerikanische Pfeilgift Curare, sind innerlich, bei normaler Nierenfunktion, k a u m schädlich. Bei verhinderter Ausscheidung durch die Nieren, bei Nierenerkrankung, können derartige Subs t a n z e n auch innerlich wirksam werden. Nicht wenige Gifte gehen auch in die Milch über und auf diesem Wege können Säuglinge mit Alkohol, Schlafmitteln, Morphin u. a. vergiftet werden.

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4. G i f t e m p f i n d l i c h k e i t . Der kindliche Organismus zeigt vielen Giften gegenüber, auf das Kilo Körpergewicht berechnet, die gleiche Empfindlichkeit wie der des Erwachsenen. Manche Schlafmittel werden von Kindern in besonders hohen Gaben vertragen. Dagegen ist eine gesteigerte E m p findlichkeit des Kindes gegen Abkochung von Mohnköpfen, Opium und Morphin hervorzuheben. Abgesehen von besonderer Empfindlichkeit Giften gegenüber durch die e r w ä h n t e E r k r a n k u n g von Ausscheidungsorganen (Nieren, auch Leber) k o m m t noch eine individuelle Ü b e r e m p f i n d l i c h k e i t , auch „ A l l e r g i e " genannt, vor, die man, sofern sie angeboren ist, als I d i o s y n k r a s i e , sofern sie erworben ist, als A n a p h y l a x i e zu bezeichnen pflegt. Eine gesteigerte Empfindlichkeit Giften gegenüber kann eine vorübergehende Erscheinung sein und z. B. bei Frauen sich n u r während der Menstruation oder d e r Schwangerschaft äußern. Auch eine g e s t e i g e r t e R e s i s t e n z gegen Gifte, „ G i f t f e s t i g k e i t " , kann sowohl angeboren wie erworben sein. Bekannt ist die Gewöhnung an Gifte bei wiederholter Zuf u h r kleiner, allmählich steigender Mengen, so beim Arsenik und den sogenannten Rauschgiften (Alkohol, Morphin, Kokain) (s. d. Art.). Bei wiederholter Z u f u h r kleiner Giftgaben, wie sie nicht selten bei Arsenikmorden erfolgt, sind die Vergiftungserscheinungen wenig stürmisch und auffällig und können in ihrem Verlauf leichter mit Infektionskrankheiten verwechselt werden als bei einmaliger Beibringung großer Giftmengen. Manche Gifte haben die Eigenschaft, daß sie sich bei wiederholter Beibringung im Körper anhäufen. Eine solche „ K u m u l a t i o n " ist namentlich beim Blei und den Digitaliskörpern zu beobachten. 5. S t a t i s t i k d e r V e r g i f t u n g e n . G i f t mord und Selbstmord. Die Zahl der Morde durch Gift n i m m t seit längerer Zeit beständig ab, dagegen die der Selbstmorde zu. Tödliche U n g l ü c k s f ä l l e durch Gift werden gleichfalls viel seltener verzeichnet als Selbstmorde. Sie werden allerdings auch recht häufig nicht als Vergiftungsfälle erkannt, was übrigens f ü r die Mehrzahl aller Vergiftungen gilt. Zu G i f t a t t e n t a t e n finden heute in den K u l t u r s t a a t e n vergiftete Waffen k a u m Verwendung. Häufig sind Giftüberfälle als Eifersuchtsdelikte, wobei durch Bespritzen namentlich des Gesichtes mit einer ätzenden Flüssigkeit (Schwefelsäure-Vitriolöl, Salzsäure, Phenol, Natronlauge) lebenslängliche

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E n t s t e l l u n g durch Narben beabsichtigt und oft erreicht wird. Andererseits ist auch ein Mordversuch durch Bespritzen mit flüssiger Blausäure b e k a n n t . Sowohl schwere Körperschädigung wie der Tod kann herbeig e f ü h r t werden mit den meist flüssigen Kriegskampfstoffen, von denen man u n t e r scheidet: Tränengase (Weißkreuzstoffe), Nasen- und Rachenreizstoffe (Blaukreuzstoffe), L u n g e n g i f t e (Grünkreuzstoffe) und H a u t gifte (Gelbkreuzstoffe). Über verbrecherische B e t ä u b u n g , namentlich durch Chloroform, wird oft in Tageszeitungen berichtet. Auch verdient die Willenlosmachung durch alkoholische Getränke oder durch Kokainpralinen z u m Zwecke geschlechtlichen Mißbrauches hier E r w ä h n u n g . Bei G i f t m o r d e n steht der Arsenik i m m e r noch an der Spitze der Gifte, obwohl heute auch dem Laien b e k a n n t ist, daß Arsen selbst in Spuren und diese in Leichen noch viele J a h r e nach der Vergift u n g chemisch nachzuweisen sind. Die häufige Verwendung des Arseniks erklärt sich daraus, daß er ein weißes, geruchloses Pulver darstellt, das keinen stark ausgeprägten Geschmack besitzt, in Lösung f a r b los ist u n d somit leicht u n b e m e r k t in Speisen beigebracht werden k a n n . Letzteres gilt auch f ü r das Bleiweiß und f ü r die als R a t t e n gift gebrauchten Kieselfluornatriumpräparate, T h a l l i u m p r ä p a r a t e und das Bariumk a r b o n a t , ferner f ü r das in H a u s h a l t u n g e n als Fleckenentfernungsmittel oft vorrätige Kleesalz und weiter f ü r viele Pflanzengifte. Die häufigste Beibringung von Giften erfolgt in Speisen. Doch sind auch andere Z u f ü h r u n g s a r t e n nicht selten, namentlich wenn ein Giftmord durch Ärzte, Apotheker oder Pflegepersonal ausgeführt wird. Die Geschichte der Gifte kennt alle möglichen Arten der kriminellen Giftbeibringung: Von vergifteten Handschuhen, Blumen, Briefen bis zu vergifteten Kerzen. (Vgl. L. L e w i n , Die Gifte in der Weltgeschichte, Berlin 1920, S. 93ff.) Neuartig erscheint der kürzlich aus Frankreich gemeldete Giftmord an einer F r a u , die durch den Gebrauch eines von einem Apotheker vergifteten Lippenstiftes s t a r b (Apothekerzeitung 1933, S. 55). Der medizinische bzw. toxikologische Bildungsgrad des Giftmörders k o m m t in der Wahl seines Giftes zum Ausdruck. Ein verbrecherischer Arzt wird Gifte wählen, die nicht n u r u n b e m e r k t beigebracht werden können, sondern die auch keine besonders auffälligen K r a n k h e i t s s y m p t o m e machen und die in der Leiche schwer nachzuweisen sind. In diese Gruppe von Substanzen gehören manche Pflanzengifte, wie Digitalin, Stropha n t h i n , Akonitin, Diphtherietoxin, die alle

schon zum Giftmord durch Ärzte gebraucht wurden, wobei wiederholt die Vergiftungss y m p t o m e des einen P r o d u k t e s durch Zugabe eines zweiten verschleiert wurden. Das heute in Deutschland am häufigsten gebrauchte Gift zu S e l b s t m o r d e n ist das Kohlenoxyd in Form des Leuchtgases. An zweiter Stelle stehen die Schlafmittel, namentlich das Veronal, während das f r ü h e r e Modegift Lysol heute seltener Verwendung findet und der einst so häufige Phosphorselbstmord seit dem Verbot der Phosphorstreichhölzer fast verschwunden ist. Wenn bei einem Vergiftungstod im Magen-Darmkanal großeGiftmengen gefunden werden, namentlich wenn es sich um s t a r k bitter schmeckende Substanzen handelt, wie das Strychnin, oder s t a r k sauer schmeckende, wie die Mineralsäuren, oder u m s t a r k riechende Substanzen, wie das Phenol, so sprechen diese U m s t ä n d e im Zweifelsfalle mehr f ü r Verunglückung oder Selbstmord als f ü r Mord. Auch die Kombination einer Vergiftung mit einer anderen gewaltsamen Todesart (Erhängen, Erschießen) spricht mehr f ü r Selbstmord. 6. E r k e n n u n g d e r Vergiftungen. Manche Vergiftungen sind schon durch das Krankheitsbild, das sie hervorrufen, f a s t mit Sicherheit zu erkennen, so die Strychninvergiftung auf Grund ihrer eigentümlichen K r ä m p f e . Bei Vergiftungen, die lediglich Lähmungen zeigen, ohne besondere Nebenu m s t ä n d e , wie etwa die enge Pupille bei der Morphinvergiftung, läßt sich aus dem Vergiftungsbilde keine bestimmte Diagnose stellen. Auf eine Vergiftung hinweisen werden häufig Erscheinungen wie Übelkeit, Erbrechen, starke Durchfälle, die sich einige Zeit nach der N a h r u n g s a u f n a h m e einstellen, namentlich wenn diese bei mehreren Personen a u f t r e t e n , welche dieselben Speisen genossen haben. Steigern sich die Erscheinungen weiter bis zum Tode, bei vorher anscheinend gesunden Menschen, so wird dies, wie auch andere unerwartete und plötzliche Todesfälle den Verdacht einer Vergiftung nahe legen. An Vergiftung durch ein geruchloses Gas wie Kohlenoxyd oder Kohlensäure wird zu denken sein, wenn beim Aufenthalt in einem R ä u m e Schwindel und Benommenheit eintritt. Auch äußere Begleitu m s t ä n d e können auf Vergiftungen hinweisen: So das Auffinden von einer Giftflasche oder von Tablettenröhrchen neben einem Bewußtlosen oder Toten. Mit S i c h e r h e i t kann eine Vergiftung im allgemeinen aber erst durch den N a c h w e i s eines oder mehrerer Gifte im Körper oder in den E n t -

Vergiftungen leerungen (Erbrochenes, Harn, Kot) eines anscheinend Vergifteten e r k a n n t werden. Andererseits werden bei einer S e k t i o n (s. d. Art.), welche bei Verdacht einer Vergiftung unter besonderen Vorsichtsmaßregeln durchz u f ü h r e n ist, f ü r viele Gifte, namentlich solche, die lokale Veränderungen herbeif ü h r e n (Ätzgifte), schon weitgehende Schlüsse auf bestimmte Gifte möglich sein. 7. D e r N a c h w e i s v o n G i f t e n . § 91 S t P O . : „Liegt der Verdacht einer Vergiftung vor, so ist die Untersuchung der in der Leiche oder sonst gefundenen verdächtigen Stoffe durch einen Chemiker oder eine f ü r solche Untersuchungen bestehende Fachbehörde vorzunehmen. Der Richter kann anordnen, daß diese Untersuchung u n t e r Mitwirkung eines Arztes s t a t t f i n d e t . " Der wichtigste Nachweis f ü r die meisten anorganischen Gifte ist ein c h e m i s c h e r (s. d. A r t . Chemische Untersuchungsmethoden). Zahlreiche Lehrbücher vermitteln die K e n n t nis dieser Methoden. Manche Gifte, welche den Blutfarbstoff verändern, vor allem das Kohlenoxyd, lassen sich p h y s i k a l i s c h durch das Spektroskop nachweisen. Wird der Tod durch Teile von Giftpflanzen, wie Tollkirschenbeeren, Bilsenkraut- oder Stechapfelsamen, Giftpilze oder auch durch Gifttiere wie die Canthariden verursacht, so kann die b o t a n i s c h - bzw. z o o l o g i s c h - m i k r o s k o p i s c h e Untersuchung die Giftquelle ermitteln. Viele Pflanzengifte, vor allem Alkaloide und Glykoside, können zwar in reinem Z u s t a n d e leicht chemisch charakterisiert w e r d e n ; aber beim Versuch ihrer Isolierung aus Leichenteilen haften den meist n u r geringen vorhandenen Substanzmengen Verunreinigungen so fest an, daß der chemische Nachweis vielfach unsicher wird oder ganz versagt. In solchen Fällen kann oft noch der p h a r m a k o l o g i s c h e Nachweis durch den Tierversuch mit Erfolg d u r c h g e f ü h r t werden. Näheres über die im Einzelfalle in B e t r a c h t kommenden Proben wird bei Besprechung der einzelnen Gifte e r w ä h n t werden. Viele organischen Gifte sind derart leicht zersetzlich, daß ihr Nachweis in gefaulten Leichenteilen unmöglich wird. Die Leichenteile müssen also vor Fäulnis geschützt werden und dies kann durch Kälte (Verpacken in Eis) oder durch Zusatz genügender Mengen eines Konservierungsmittels geschehen. Als solches k o m m t , sobald bei der Sektion der Verdacht auf empfindliche Alkaloide wie Kokain, Lobelin, Akonitin oder die Glykoside (Digitaliskörper) besteht, n u r reiner Alkohol in Betracht, nicht etwa Formalin u. a. Schwach saure Reaktion ist dabei weniger schädlich als alkalische Reaktion. Handwörterbuch der Kriminologie.

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Ein Nachweis vieler Gifte wird auch noch in exhumierten Leichen möglich sein. Durch die Leichenverbrennung werden zwar alle organischen Gifte zerstört, aber manche anorganischen Gifte, namentlich Arsen, lassen sich noch in der Asche nachweisen. 8. E i n t e i l u n g d e r G i f t e n a c h i h r e r Wirkung. Entsprechend ihrer W i r k u n g lassen sich die Gifte zunächst unterscheiden in solche mit vorzugsweise l o k a l e r S c h ä d i g u n g am Orte der Einwirkung und solche mit vorzugsweise r e s o r p t i v e r W i r k u n g , die e n t f e r n t vom Orte der A n w e n d u n g nach der „ R e s o r p t i o n " , dem Eindringen in die Körperorgane, a u f t r i t t . L o k a l e W i r k u n g besitzen die „ Ä t z g i f t e " , zu denen anorganische und organische Säuren, Phenole, Laugen, Ammoniak, von Metallsalzen Sublimat und Chlorzink, lokal reizende Gase und D ä m p f e ( K a m p f gase) gehören. Bei allen übrigen Giften t r i t t die r e s o r p t i v e W i r k u n g in den Vordergrund oder ist neben der lokalen Wirkung vorhanden. Nach der besonders hervortretenden Lokalisation der Wirkung unterscheidet m a n : B l u t g i f t e , a) Gifte der Blutbildungss t ä t t e n : R a d i u m , Benzol, b) Gifte, die Auflösung der roten Blutkörperchen verursachen (Hämolyse) und d a d u r c h blutigen H a r n : Arsenwasserstoff, chlorsaures Kali, Säuren, c) Gifte, die den Blutfarbstoff verä n d e r n : Er wird auffällig rot durch Kohlenoxyd und Blausäure; braun (Methämoglobinbildung) durch chlorsaures Kali, N a t r i u m nitrit, Nitroglyzerin, Nitrobenzol, Anilin; desgleichen ( H ä m a t i n b i l d u n g ) durch Arsenwasserstoff, Säuren, Laugen. H e r z g i f t e : Bariumsalze, Akonit, Fingerh u t , M a i b l u m e , Oleander, Meerzwiebel, afrikanische und indische Pfeilgifte. M a g e n - D a r m - G i f t e : Arsenik, Zinksalze, Kupfersalze, Quecksilbersalze, Bleisalze, Nikotin, Colchicin, Bakteriengifte. N i e r e n g i f t e : Sublimat, Phenol, Canthariden. L e b e r g i f t e : Phosphor, Arsenik, Alkohol, Chloroform, Ätherische Öle, Giftpilze. N e r v e n g i f t e : a) vorherrschende Erregung, K r ä m p f e : Thallium, Kokain, Atropin, Strychnin, Pikrotoxin, Cicutoxin; b) vorherrschende L ä h m u n g : Kohlenoxyd, Kohlensäure, Blausäure, Benzin, Benzol, Alkohol, Äther, Chloroform, Schlafmittel, Aldehyde, Phenole, Nitrobenzol, Opium (Morphin), Coniin, Schlangengifte. Der Tod bei resorptiver Vergiftung t r i t t am häufigsten ein entweder durch L ä h m u n g des A t m u n g s z e n t r u m s oder des Herzens. 9. D i e k r i m i n e l l w i c h t i g s t e n G i f t e . 58

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I. A n o r g a n i s c h e G i f t e . Halogene: Fluor, Chlor, Brom, Jod. F l u o r . F l u o r w a s s e r s t o f f ätzt stärker als Salzsäure. Keine kriminelle Bedeutung. F l u o r n a t r i u m , giftiges Konservierungsmittel. K i e s e l f l u o r n a t r i u m als R a t t e n und Küchenschabenmittel („Orwin, Albatol, T a n a t o l " u. a. m. im Handel). Tod durch Verwechslung, Mord, Selbstmord. Beide Verbindungen machen Übelkeit, Erbrechen, allgemeine Schwäche, Bewußtlosigkeit. Sektion zeigt Blutungen, Geschwürsbildungen im Magen-Darmkanal. Nachweis: Flußsäure ä t z t Glas. C h l o r . Grünes, die Schleimhäute s t a r k reizendes Gas, verflüssigt in Bomben. K a m p f gas. Verursacht Lungenreizung, A t e m n o t , Erstickung. Chlor wird leicht frei aus C h l o r k a l k , aus N a t r i u m h y p o c h l o r i t (Fleckenwasser, E a u de Javelle), auch im Magen. C h l o r k o h l e n o x y d ( = P h o s g e n ) . Farbloses Kampfgas, verflüssigt in Bomben. lOmal giftiger als Chlor, giftiger als Blausäure. Verursacht tödliche Lungenentzündung. S e n f g a s (Dichloräthylsulfid, „Gelbk r e u z " - K a m p f s t o f f ) . Ölige Flüssigkeit. Noch giftiger als Phosgen. Macht auf H a u t und Schleimhäuten schwere E n t z ü n d u n g . C h l o r w a s s e r s t o f f = S a l z s ä u r e . Rohe konzentrierte Salzsäure, an der L u f t rauchende Flüssigkeit. Als Reinigungsmittel im Haushalt. Zu E i f e r s u c h t s a t t e n t a t e n , Selbstmord, Mord an Kindern. W i r k u n g und Leichenv e r ä n d e r u n g wie Schwefelsäure (s. d.). Nachweis: Vermehrung der Chloride im H a r n . C h l o r s a u r e s K a l i (Kaliumchlorat). Weißes Salz in Z a h n p a s t e n , in Wasser gelöst als Gurgelmittel. Zu Selbstmord, Abtreibung. Tödliche Gabe 15—30 g. Diese verursacht Erbrechen, Durchfälle, Blausucht, A t e m n o t , Tod durch innere Erstickung infolge von Blutveränderung (Methämoglobinbildung). Sektion: Gewebe braun, Nierenveränderung. Nachweis: In Substanz im Magen, Chlorentwicklung mit Salzsäure. Im Blut spektroskopisch Methämoglobin. B r o m . Braune, ätzende Flüssigkeit. Wie die B r o m s a l z e ohne toxikologische Bedeutung. Jod. Schiefergraue Kristalle. Braune Lösung in Alkohol = J o d t i n k t u r . Zu Selbstmord getrunken. Als Abtreibungsmittel in G e b ä r m u t t e r eingespritzt. B o r s ä u r e . Weißes in Wasser lösliches Pulver. Als Arzneimittel eingespritzt Tod durch Verwechslung mit Kochsalzlösung. Stickstoffverbindungen. Stickstoffoxyde = Nitrose Gase. Rote Dämpfe, die gewerbliche Vergiftungen verursachen. Verflüssigt in Bomben als K a m p f gas. Dämpfe, wenig lokal reizend, ver-

ursachen, eingeatmet, tödliche Lungenentz ü n d u n g und Methämoglobinbildung im Blut. S a l p e t e r s ä u r e ätzt wie Schwefel- und Salzsäure (s. d.) u n t e r Gelbfärbung der Gewebe. A m m o n i a k . Gas, verflüssigt in Eismaschinen. Im Handel in wässeriger Lösung als „ S a l m i a k g e i s t " . Im H a u s h a l t als Reinigungsmittel. Stark riechende, eingeatmet s t a r k reizende, alkalische Flüssigkeit, welche die Schleimhäute, getrunken, meist nicht so schwer verätzt wie Kali- oder Natronlauge (s. d.), sondern n u r s t a r k entzündlich rötet. Selten zu Selbstmord. Tödliche Gabe 10—30 g starker A m m o n i a k lösung. Nachweis: Geruch, Nebel mit Salzsäure. S c h w e f e l . Als gelber elementarer Schwefel ohne toxikologische Bedeutung. Innerlich A b f ü h r m i t t e l . Verbrennt zur stechend riechenden S c h w e f l i g e n S ä u r e (Schwefeldioxyd). Diese wird oxydiert zu S c h w e f e l säure. In hoher Konzentration ölige Flüssigkeit „Vitriolöl". „ V i t r i o l - A t t e n t a t e " . Hierbei Verätzung der H a u t mit H i n t e r lassung von Narben. Verbrennung der Kleider. Getrunken häufig durch Verwechslung. Selbstmord. Morde bei Kindern. Verätzung schon in der Umgebung des Mundes. Weiter in Mund, Speiseröhre, Magen. Schädliche Wirkung ist von der Konzentration abhängig. In nicht ätzender Konzentration unschädlich. Von konzentrierter Säure tödliche Gabe etwa 10 g. Vergiftungserscheinungen: Starke Leibschmerzen, Erbrechen, Durchfall, Kollaps. Wenn Tod nicht a k u t eintritt, Spätfolgen durch Gewebszerstörung mit Narbenbildung (Strikturen) im Magen-Darmkanal. Sektion zeigt Entzündung, Schwellung, Ätzung (Schorfbildung) in Verdauungsorganen. Blut u n g e n bzw. braunes H ä m a t i n im Magen. Chemischer Nachweis durch Bariumchlorid. S c h w e f e l w a s s e r s t o f f . Nach faulen Eiern riechendes, s t a r k giftiges Gas. Gewerbliche Vergiftungen. P h o s p h o r . Wachsartige, gelbe Masse. Gegen Selbstentzündung u n t e r Wasser a u f bewahrt. Löslich in F e t t e n . Geruch und Geschmack besonders eigentümlich, an Knoblauch erinnernd. F r ü h e r zu Streichholzköpfchen. Heute ungiftiger roter Phosphor nur an Streichholzschachteln. Gelber Phosphor dient als Gift gegen R a t t e n , Feldmäuse, Krähen in Form von Latwerge oder Pillen. F r ü h e r Mord und Selbstmord u n t e r Verwendung von Streichholzköpfchen häufig, ebenso Tod bei Gebrauch als Abtreibemittel. Heute noch Giftmorde. Tödliche G a b e : Dezigrammdosen. Vergiftungsverlauf: Anfangs Erbrechen nach Phosphor riechender, im Dunkeln leuchtender Massen. Nach vor-

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übergehender Erholung 2—3 Tage später als Magen- und D a r m m i t t e l , W u n d s t r e u Gelbsucht, wieder Erbrechen, dann Leber- pulver, Syphilismittel. Hierbei medizinale schwellung, H a u t - und Schleimhautblutun- Vergiftungen. gen, große Schwäche, Benommenheit, KolKali- und Natronlauge. Wässerige laps. Sektion: Verfettung der inneren Or- Lösungen von Ä t z k a l i und Ä t z n a t r o n gane, namentlich der Leber, neben Blutungen. ( = Laugenstein). Verwendung in der Technik Nachweis nach Mitscherlich: Bei Wasser- zur Seifenherstellung (Seifensiederlaugen). dampfdestillation Leuchten im Dunkeln. Vielfach zu Selbstmorden. Mord an Kindern. Durch Oxydation des Phosphors e n t s t e h t Wegen des s t a r k e n „ L a u g e n g e s c h m a c k s " P h o s p h o r s ä u r e ; besitzt keine spezifische k a u m in Nahrungsmitteln beizubringen. TödGiftwirkung, n u r Ätzwirkung, entsprechend liche Gaben des festen Laugensteins 10 bis der Konzentration. 20 g. Vergiftungserscheinungen als Wirkung A r s e n . Graues Metalloid. Durch Oxy- der Gewebsverätzung ähnlich wie bei Säuredation entstehen A r s e n i g e S ä u r e ( = A r - vergiftung. Bei Sektion Schleimhäute mehr s e n i k ) und A r s e n s ä u r e mit spezifischer gequollen, erweicht, bei Blutungen AlkaliGiftigkeit. Rote und gelbe Arsensulfide, h ä m a t i n mehr rot gefärbt als bei SäureR e a l g a r und A u r i p i g m e n t , sind prak- vergiftung. Alkaliverätzung machen auch tisch ungiftig. Giftig die grünen Arsen- starke Lösungen der P o t t a s c h e und der Seifenlösungen in Gebärkupferverbindungen S c h e e l e s G r ü n und S c h m i e r s e i f e . S c h w e i n f u r t e r G r ü n , die als Mittel gegen m u t t e r eingespritzt als Abtreibemittel. tierische und pflanzliche Schädlinge VerKalzium. Ätzkalk. In Breiform wendung finden. Als Arzneimittel (gegen schwächer ätzend als Kali- und Natronlauge. Syphilis) wichtigste organische ArsenverB a r i u m . Von Bariumsalzen ist p r a k bindung: S a l v a r s a n . Sehr giftiges, die tisch ungiftig das unlösliche B a r i u m s u l f a t Blutkörperchen lösendes Gas: A r s e n w a s s e r - (Schwerspat, K o n t r a s t s u b s t a n z f ü r Röntgens t o f f , verursacht gewerbliche Vergiftungen. a u f n a h m e n ) , giftig das als E n t h a a r u n g s Die toxikologisch wichtigste Arsenverbin- mittel dienende B a r i u m s u l f i d . B a r i u m dung, der A r s e n i k , bildet ein weißes Pulver k a r b o n a t , in Wasser unlöslich, aber in der oder weiße porzellanartige Stücke, die in Salzsäure des Magens löslich. R a t t e n g i f t . Wasser schlecht löslich sind. Verwendung Da geschmacklos, in Speisen leicht beizuals R a t t e n g i f t , zur Konservierung von Tier- bringen. Zufällige und absichtliche Verbälgen, zum „ S c h ö n e n " von Pferden. Ver- giftungen. Grammdosen sind tödlich. Macht giftungen durch Verwechslung des Pulvers Leibschmerzen, Durchfälle, Erbrechen, Lähmit Mehl, Zucker. Häufigstes Mittel zu m u n g der Muskulatur. Tod durch HerzGiftmorden, da Lösungen färb-, geruchlos l ä h m u n g . Sektion zeigt Blutungen im Magen. und ohne auffälligen Geschmack, somit in Nachweis: G r ü n f ä r b u n g der Flamme, Fällung Nahrungsmitteln leicht u n b e m e r k t beizu- durch Schwefelsäure. bringen. Tödliche G a b e n : Dezigramme. Radium. Arzneimittel zur StrahlenA k u t e Vergiftung: Choleraähnlicher Brech- behandlung. Technisch zur Herstellung durchfall, Fieber, E n t z ü n d u n g der Schleim- leuchtender Zifferblätter. Spuren, chronisch häute, unstillbarer Durst. Tod in Stunden aufgenommen, lagern sich in Organen (Knobis Tagen. S u b a k u t e und chronische Ver- chen) ab und können tödliche Blutschädigung g i f t u n g : Schleimhautentzündung, Fieber, (Anämie) verursachen. Übelkeit, Brechneigung, Abmagerung. VerC h r o m . Chromsäure, starkes Ätzmittel. dickung und Schwarzfärbung der H a u t . K a l i u m c h r o m a t (gelb), Verwechslung mit Nervenschmerzen und -lähmungen. Es be- Schwefel. K a l i u m b i c h r o m a t (orangerot), steht die Möglichkeit der Gewöhnung an zum Gerben, in elektrischen Elementen. allmählich steigende Arsenikgaben (Arsenik- Gewerbliche Vergiftungen. Vereinzelt zu esser in Steiermark). Die Sektion zeigt E n t - Mord, Selbstmord und Abtreibung. G r a m m z ü n d u n g und Blutungen im Magen-Darm- dosen können tödlich wirken. Chromate kanal. Arsennachweis gelingt noch in Spuren machen innerlich Leibschmerzen, blutiges chemisch im Liebig-Marshschen A p p a r a t Erbrechen, Durchfälle, Nierenschädigung bis (Arsenspiegel) und biologisch durch Schim- zur H a r n v e r h a l t u n g . Sektion zeigt Vermelpilze (Penicillium brevicaule), die auf ätzungen, Blutungen, C h r o m a t f ä r b u n g im arsenhaltigem Material mit Knoblauchgeruch Magen, Nierenveränderungen. Nachweis wachsen. durch Wasserstoffsuperoxyd als blaue ÜberA n t i m o n . Wichtigste Verbindung, der B r e c h w e i n s t e i n , wirkt arsenikähnlich und h a t heute gegenüber f r ü h e r geringe toxikologische Bedeutung. W i s m u t . Wismutverbindungen dienen I

chromsäure. Mangan. M a n g a n o x y d (Braunstein) m a c h t eigentümliche gewerbliche Vergift u n g . K a l i u m p e r m a n g a n a t (übermangansaures Kali) löst sich in Wasser mit violetter

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Vergiftungen

Farbe. Dient als Desinfektionsmittel. Selbstmordfälle. Große Gaben machen Verätzungen, die den Tod zur Folge haben können. K u p f e r . K u p f e r s u l f a t (Kupfervitriol, blau) und K u p f e r a z e t a t (Grünspan, grün). Selten zu Selbstmord und Mordversuchen. Tödliche Gaben 10—20 g. Machen starkes Erbrechen grünlicher Massen und ebensolche Durchfälle. Tod durch Gefäß- u n d Herzlähmung. Sektion: E n t z ü n d u n g und Schleimhautschwellung im Magen-Darm-Kanal. Nachweis: A m m o n i a k macht Blaufärbung. S i l b e r . S i l b e r n i t r a t (Höllenstein) ä t z t oberflächlich. „ A r g y r i e " ( G r a u f ä r b u n g der H a u t ) bei chronischer Silberaufnahme. G o l d . Goldverbindungen sind Arzneimittel gegen Tuberkulose. Medizinale Vergiftungen. Z i n k . Farblose Salze als Arzneimittel. C h l o r z i n k ist starkes Ätzmittel. Lösung versehentlich oder absichtlich getrunken. Z i n k s u l f a t (Zinkvitriol), Brechmittel wie Kupfersulfat. Q u e c k s i l b e r . Als flüssiges Metall innerlich unschädlich. In D a m p f f o r m längere Zeit e i n g e a t m e t : chronische Schädigung. Wichtige berufliche Vergiftung. Ungiftige V e r b i n d u n g : roter Zinnober. Alle anderen Verbindungen sind giftig. Quecksilberc h l o r i d (Sublimat). In Pastillen, als Desinfektionsmittel, rot gefärbt. (Blaue Pastillen enthalten Quecksilberzyanid.) Häufig zu Selbstmord. Mordversuche selten e r : Lösungen schmecken s t a r k metallisch. Tödlich: Dezigrammdosen. A k u t e Vergift u n g : Lokale Verätzung. M u n d e n t z ü n d u n g , Schmerzen, Erbrechen, blutige Durchfälle, Eiweiß im H a r n , H a r n v e r h a l t u n g . Tod nach 2—4 Tagen. Chronische Vergiftung: E n t z ü n d u n g im Mund, Verdauungsstörungen, schleimige Durchfälle, nervöse Störungen (Zittern, Befangenheit, Lähmungen). Sektion zeigt lokale Verätzung an Einführungsstelle (z. B. Scheide). Schwellung, Geschwürsbildung, Blutungen, besonders im Dickdarm. Nierenentzündung. Nachweis: Auf blankem Kupferblech grauer Fleck, mit J o d rotes Quecksilberjodid. T h a l l i u m . Farblose Salze (Azetat und Sulfat) medizinisch innerlich als E n t h a a r u n g s mittel. Neuerdings als Gift gegen R a t t e n und Mäuse (Zeliopaste, rot gefärbte Zelioweizenkörner). Zunehmende Selbstmorde. Mord selten. Vergiftung von Kindern durch Essen der ausgelegten Körner. Machen Übelkeit, Erbrechen, Fieber, Nierenreizung, Muskelzuckungen, Lähmungen. 2—3 Wochen nach G i f t a u f n a h m e : Haarausfall am ganzen Körper, Tod im Koma. Sektion: Kein Bef u n d oder Blutungen im Magen-Darm, Nieren-

und Leberschädigung. Verfettungen. Nachweis durch G r ü n f ä r b u n g der Flamme. B l e i . B l e i o x y d e : B l e i g l ä t t e (lachsfarben), M e n n i g e (ziegelrot) und B l e i w e i ß (Bleikarbonat) sind wichtige, wasserunlösliche Anstrichfarben. Gehen im Magen-DarmKanal langsam in Lösung. Wasserlöslich ist der süßlich schmeckende B l e i z u c k e r (Bleiazetat), in Lösung als B l e i e s s i g gebräuchlich. Akute Vergiftung durch Bleiweiß oder Bleizucker zu Mord und Selbstmord sehr selten. Häufiger Bleiglätte als Abtreibungsmittel. Tödliche Gaben etwa 20 g. Machen Erbrechen, Kolikschmerzen, K r ä m p f e , Lähmungen, Bewußtlosigkeit, Tod nach längerer Zeit. Chronische Vergiftung: Wichtigste gewerbliche Vergiftung. Blässe, B l u t a r m u t , Bleisaum am Zahnfleisch. Magen-Darm-Störungen (Kolikschmerzen) mit Verstopfung, Gelenkschmerzen, Lähmungen der Hände, Sehstörungen, H i r n e r k r a n k u n g . Fehlgeburten. Sektion meist nicht charakteristisch. Blei in O r g a n e n : Leber, Knochen. Nachweis durch Schwefelwasserstoff. II. O r g a n i s c h e G i f t e ( K o h l e n s t o f f verbindungen). Kohlenoxyd. Das reine Kohlenoxyd ist ein brennbares, f ä r b - und geruchloses Gas und besitzt keine toxikologische Bedeutung. Es bildet zu 5 — 2 0 % den giftigen Bestandteil des L e u c h t g a s e s und ist in dieser Form das heute am häufigsten geb r a u c h t e Selbstmordmittel geworden. Neben Kohlensäure findet es sich weiter im K o h 1 e n d u n s t und anderen Verbrennungsgasen, die häufig Tod durch Unglücksfälle (Gasbadeofen, A u t o m o t o r e n , Explosionsgase) herbeif ü h r e n . Verlauf der a k u t e n Vergiftung: J e nach der Konzentration des Kohlenoxyds, in der E i n a t m u n g s l u f t setzen f r ü h e r oder später Vergiftungserscheinungen ein, wie Benommenheit, Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Herzklopfen, plötzlich eint r e t e n d e Schwäche (Unfähigkeit, das Fenster zu öffnen), Bewußtlosigkeit, manchmal K r ä m p f e . Tod durch A t m u n g s l ä h m u n g . Bei Wiederbelebung können Nachkrankheiten folgen: Zucker im H a r n , Herzschwäche, Sehstörungen, Organblutungen ( H a u t ) , Lähmungserscheinungen (Blase, Darm), nervöse Störungen aller Art, Gehirnerkrankungen. Wiederholte A u f n a h m e kleiner Kohlenoxydmengen f ü h r t zu „chronischer V e r g i f t u n g " ohne kriminelle Bedeutung. Sektion: kirschrote Leichenflecke. Im Blut KohlenoxydHämoglobin (chemisch und spektroskopisch nachzuweisen), kapillare Blutungen in H a u t und Organen. Organdegeneration. K o h l e n s ä u r e . F ä r b - und geruchloses, nicht brennbares Gas, das spezifisch schwerer ist als die L u f t und sich in den tiefen Teilen

Vergiftungen eines Raumes ansammelt. Dadurch lebensgefährlich in Gärkellern, Schächten, Gruben. In Bomben im Handel. Neben Kohlenoxyd in Verbrennungsgasen. Vergiftung: Beschleunigung der A t m u n g , A t e m n o t , Bewußtlosigkeit, K r ä m p f e , Atmungsstillstand. Sektion: Gesicht blau, Organblutungen, Lungenödem. Blausäure, Zyanide, Bittermandelöl. Blausäure in D a m p f f o r m riecht eigentümlich, dient als Entwesungsmittel gegen Insekten (Kleiderläuse, Wanzen, Mehlmotte) und kann bei diesem Gebrauch zu tödlicher Verunglückung f ü h r e n . Hinrichtungsmittel in den Vereinigten S t a a t e n von Nordamerika. Selbstmordmittel bei Chemikern. Häufiger Mord und Selbstmord durch das wichtigste Salz der Blausäure, das Z y a n k a l i . Dieses leicht zugänglich wegen Verwendung in der Goldindustrie (galvanische Bäder). Tödliche Gaben von Z y a n k a l i : Dezigramme. Aus Zyankali bildet sich im Magen freie Blausäure. Nicht aus den praktisch ungiftigen F e r r o - und F e r r i z y a n k a l i (gelbes und rotes Blutlaugensalz). Selten Todesfälle durch b i t t e r e M a n d e l n (tödliche Gabe 5 0 g ) und andere, b i t t e r schmeckende Fruchtkerne (Pfirsich, Pflaume, Kirsche). Vergiftung: Blausäuredampf, eingeatmet, oder Zyankali, in Substanz oder in wässeriger Lösung verschluckt, kann in wenigen Minuten durch A t m u n g s l ä h m u n g zum Tode f ü h r e n , u n t e r K r ä m p f e n und Bewußtseinsverlust. Bei langsamerer Vergiftung t r e t e n erst Schwindel, Angstgefühl, Übelkeit, Erbrechen, A t e m n o t , Pupillenerweiterung, K r ä m p f e auf. Aussehen dabei rosig. Sektion: Totenflecke hellrot. Blut in Organen, auch in Venen, hellrot. Zyankali m a c h t Verätzung im Magen wie Alkalien. Nachweis: Geruch charakteristisch. Mit Eisensalzen Berlinerblauprobe. P e t r o l e u m , B e n z i n , B e n z o l . Petroleum und Benzin wirken schwach, Benzol s t a r k narkotisch, letzteres etwa so s t a r k wie Chloroform. G e t r u n k e n : Lokale Reizung im Magen-Darm-Kanal, Kopfschmerz, Rausch, Bewußtlosigkeit. Benzoldämpfe, chronisch eingeatmet, machen B l u t a r m u t . Sektion: Blutüberfüllung der Organe, Blutungen. A l k o h o l e . M e t h y l a l k o h o l (Methanol, Holzgeist), Bestandteil des denaturierten Spiritus. Verwechslung mit Äthylalkohol. Fälschungsmittel alkoholischer Getränke. Todesfälle durch Verwechslung nicht selten. Tödliche Mengen von etwa 50 g an. Berauschende W i r k u n g gering. Erscheinungen von Übelkeit, Erbrechen, Sehstörungen t r e t e n erst nach Stunden auf. K r ä m p f e , A t e m lähmung. Sektion: Nicht charakteristisch. Nachweis: Oxydation zu Formaldehyd. Äthylalkohol. Akute tödliche Ver-

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giftungen am häufigsten durch Trinken von B r a n n t w e i n (Weinbrand, R u m , Kirschgeist) mit 4 0 — 5 0 % reinem Alkohol. Trinkwetten, auch Selbstmordfälle. Mord bei Kindern (20—30 g Schnaps f ü r diese gefährlich). Tödliche Mengen f ü r Erwachsene bei raschem Trinken etwa % Liter B r a n n t wein. Vergiftung: Nach kurzer Erregung Bewußtlosigkeit (Narkose) und Tod durch Atemlähmung. Bei langsamer Vergiftung und Wiedererholung: Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerz. Chronische Vergiftung s. d. Art. Alkoholismus. Sektion: Blutüberfüllung, Blutungen. Nachweis: Geruch. J o d o f o r m probe. Äther, C h l o r o f o r m (Inhalationsnarkotika). Narkosetodesfälle. Selbstmord durch E i n a t m u n g oder Trinken. Verbrecherische B e t ä u b u n g meist durch Chloroform. Chronische E i n a t m u n g oder Trinken von Ä t h e r f ü h r t zur Sucht. Wirkung wie Äthylalkohol. Im Anschluß an Ä t h e r n a r k o s e : E r k r a n k u n g der Atmungsorgane, im Anschluß an Chlorof o r m n a r k o s e : Organverfettungen. Chloroformähnlich wirken moderne chlorhaltige Lösungsmittel der Technik wie T e t r a c h l o r k o h l e n s t o f f (Feuerlöschmittel), T r i c h l o r ä t h y l e n u. a. S c h l a f m i t t e l (Hypnotika). Chloralh y d r a t , das älteste künstliche Schlafmittel, noch heute g e b r a u c h t ; chronischer Gebrauch f ü h r t zu „ C h l o r a l i s m u s " . Toxikologisch wichtigste, moderne Schlafmittel sind V e r o n a l und L u m i n a l . Besonders häufig dienen beide zu Selbstmorden. Mord selten. Tödliche Gaben beider von 4 g an. Vergiftungsverlauf: Schlaf, Bewußtlosigkeit, Muskelerschlaffung, Tod durch A t m u n g s l ä h m u n g meist erst nach Stunden. Pupillen bei Veronalvergiftung oft eng. Sektion zeigt nichts Bemerkenswertes. Nachweis: von Veronal aus Organen Reingewinnung in Kristallform. Andere Schlafmittel wie P h a nodorm, Noctal, Adalin, Somnifen f a n d e n gleichfalls zu meist erfolglosen Selbstmordversuchen Verwendung. Aldehyde. Formaldehyd (40%ige Lösung = Formalin). Wichtiges Desinfektionsmittel. Dämpfe, eingeatmet, reizen die Schleimhäute. Flüssigkeit getrunken m a c h t Verätzung im Magen-Darmkanal. Vergiftungen durch Verwechslung, Selbstmord. P a r a l d e h y d . Eigentümlich riechende Flüssigkeit dient als wenig giftiges Schlafmittel. Metaldehyd. K o m m t in Form weißer, f a s t geschmackloser Tabletten als „ M e t a " Brennstoff (fester Spiritus) in den Handel. Gefährliches Gift f ü r Kinder, die schon durch Verschlucken einer T a b l e t t e schwer vergiftet werden können. Tod durch Gehirnentzündung.

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Vergiftungen

E s s i g s ä u r e . Als farblose, flüssige Essigessenz (mit 8 0 % Essigsäure) in Haushalt u n g e n vorrätig. Selbstmord. Mord an Kindern. Tödliche Gabe 50 g. Macht, wie konzentrierte Mineralsäuren, doch meist weniger s t a r k , Leibschmerzen, blutiges Erbrechen, blutigen Harn, Bewußtseinstrübung, Herzschwäche. Sektion zeigt Essiggeruch, Verätzung der Schleimhäute und H ä m a t i n b i l d u n g wie durch Mineralsäuren. Oxalsäure. Freie Oxalsäure (Zuckersäure) und ihr als Fleckenentfernungsmittel in Haushaltungen gebräuchliches Kalisalz, das K l e e - ( S a u e r k l e e - ) S a l z , bilden f a r b lose, in Wasser lösliche Kristalle. Selbstmord (namentlich bei Frauen) und Mord (langsam kleine Gaben), Verwechslung. Geschmack nicht u n a n g e n e h m säuerlich. Tödliche Gaben 10—30 g. Vergiftungsverlauf: Schmerzen, Erbrechen, Erregung bis zu K r ä m p f e n , oft durch rasch eintretende Herzschwäche f r ü h e r Tod. Bei langsamerem Verlauf Nierenschädigung (Eiweiß im H a r n ) bis zur H a r n verhaltung. Sektion: Verätzung im MagenD a r m - K a n a l . Hämatinbildung. Kristalle von oxalsaurem Kalk namentlich in Nieren. Diese f ü r den Nachweis wichtig. Phenol, Lysol. Phenol (Karbols ä u r e ) , f r ü h e r in wässeriger Lösung als Wunddesinfektionsmittel vielfach gebraucht, ist in Form der flüssigen Karbolsäure ein starkes Ätzgift f ü r H a u t und Schleimhäute. Tod durch Verwechslung der meist rötlich gefärbten, eigentümlich riechenden, süß schmeckenden, öligen Flüssigkeit. Ähnlich wirkt, doch schwächer und langsamer, das b r a u n gefärbte L y s o l (Kresolseifenlösung), f r ü h e r namentlich als leicht zugängliches Desinfektionsmittel viel zu Selbstmorden geb r a u c h t . Tödliche G a b e n : Karbolsäure 10 g. Lysol 50 g. Vergiftungsverlauf: Brennen im Rachen und Magen. Übelkeit, Erbrechen, m a n c h m a l K r ä m p f e , oft rasche L ä h m u n g von Herz und A t m u n g . H a r n oft dunkel. Sektion: Weiße bzw. b r a u n g r a u e Ätzschorfe im Mund und Magen-Darmkanal. Starker, charakteristischer Geruch von Phenol und Lysol. Nachweis: Wässeriges Destillat weißer Niederschlag durch Bromwasser, Blaufärb u n g durch Eisenchlorid. S a l i z y l s ä u r e , A s p i r i n . Salizylsäure und ihr Natronsalz werden in großen Gaben (bis zu 10 g täglich) als Arzneimittel gegen Gelenkrheumatismus gebraucht. Derartige Gaben können G e b ä r m u t t e r b l u t u n g und Abort verursachen. Aspirin (Azetylsalizyls ä u r e ) ist in manchen Ländern (Ungarn) ein vielgebrauchtes Selbstmordmittel geworden. Tödliche G a b e : 30—40 g. N i t r o b e n z o l (Mirbanöl). Billiger Ersatz des ähnlich riechenden Bittermandelöls.

Läusemittel. Abtreibungsmittel (s. d. A r t . Innere und äußere Abtreibungsmittel). Tödliche G a b e : sehr schwankend (10—20 g). Vergiftungsverlauf: Blausucht (Gesicht, Lippen), Schwindel, Kopfschmerz, A t e m n o t , Bewußtseinsstörung, Tod im Koma. Bei langsamem Verlauf: Gelbsucht, H a r n v e r haltung. Sektion: Bittermandelölgeruch, Blut und Organe b r a u n durch Methämoglobin. P i k r i n s ä u r e . Die gelb gefärbte, bitterschmeckende, kristallisierte Pikrinsäure h a t Verwendung gefunden zur Erzeugung künstlicher Gelbsucht (Militärdiensthinterziehung), Selbstmordmittel. Tödliche G a b e : über 10 g. A n i l i n , ölige, eigentümlich riechende Flüssigkeit. Lösungsmittel f ü r organische Farbstoffe (zu Stempelfarbe, Lederfarbe). A z e t a n i l i d ( A n t i f e b r i n ) dient als Fiebermittel. Arzneiliche Vergiftung bei Azetanilid. Bei Anilin gewerbliche Vergiftungen. Selbstmorde. Tödliche G a b e : Individuell sehr verschieden. Vergiftungsverlauf ähnlich wie bei Nitrobenzol. III. P f l a n z e n g i f t e . O p i u m , M o r p h i n . O p i u m , getrockneter Michsaft der Mohnköpfe, b r a u n e Masse, enthält als wichtigstes Alkaloid das M o r p h i n . Andere P r ä p a r a t e aus O p i u m : K o d e i n , Dionin, Heroin, Eukodal, Pantopon. Medizinale Vergiftungen, Selbstmord, Mord. Tödliche G a b e n : F ü r Säuglinge wenige Tropfen O p i u m t i n k t u r , wenige Milligramme Morphin. F ü r Erwachsene: 1—2 g Opium, Dezigramme Morphin. Bei M o r p h i n i s m u s bzw. O p i u m s u c h t (s. d. Art. Rauschgifte) Gewöhnung an vielfach tödliche Gabe. A k u t e Vergiftung: Fortschreitende L ä h m u n g des Zentralnervensystems, Schlaf, Bewußtlosigkeit, Atemverlangsamung, Atemstills t a n d . Bei Kindern K r ä m p f e . Charakteristisch bei verlangsamter A t m u n g enge P u pillen. Chronische Vergiftung = Morphinismus. Sektion: Keine besonderen Veränderungen. Nachweis in Leichenteilen: Chemisch Blaufärbung durch Eisenchlorid, Violettf ä r b u n g mit Marquis' Reagens. P h a r m a k o logisch: F ü r Mäuse doppelt so giftig wie f ü r Frösche, eigentümliche Mäuseschwanzreaktion. K o k a i n . Das Alkaloid der K o k a b l ä t t e r . Medizinale Vergiftungen bei Verwendung zur Lokalanästhesie. Selbstmorde. Tödliche Gaben: Dezigramme. A k u t e Vergiftung: Erregung des Zentralnervensystems, Rausch, Delirien, K r ä m p f e , Pupillenerweiterung, Muskelstarre, Kollaps, Atemstillstand. Chronische Vergiftung: K o k a i n i s m u s (s. d. A r t . Rauschgifte). Sektion: negativ. Nachweis: Chemisch mit Chlorwasser und Palladiumchlorür. Pharmakologisch: 3 — 4 m a l giftiger

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f ü r Mäuse als f ü r Frösche, E m p f i n d u n g s - teilen, T i n k t u r oder reinem Colchicin. Arzneilosigkeit auf der Zunge. mittel gegen Gicht. Giftmord. Tödliche A t r o p i n , S k o p o l a m i n . Alkaloide von Gabe von Colchicin: Zentigramme. VergifTollkirsche, Stechapfel und Bilsenkraut. t u n g s v e r l a u f : W i r k u n g t r i t t spät auf (GegenVergiftung von Kindern durch Essen von satz zu anderen Pflanzengiften). CholeraTollkirschenbeeren (tödlich von 5 Stück an). ähnlicher Brechdurchfall (wie durch Arsenik). Medizinale Vergiftungen durch Asthmatee, Tod durch A t m u n g s l ä h m u n g . Sektion negaNachweis: Chemisch Salzsäure und Augentropfen, Überdosierung von Skopola- tiv. (Grünbzw. Rotfärbung). min. Selbstmord. Mord auch durch Pflanzen- Eisenchlorid teile. Tödliche Gaben der Alkaloide: Zenti- Pharmakologisch: F ü r Mäuse 500mal giftiger gramme. Vergiftungsverlauf: Trockenheit als f ü r Frösche. Giftigkeit f ü r Frösche durch im Munde, Schlingbeschwerden, Pupillen- E r w ä r m e n gesteigert. erweiterung, Sehstörungen, R ö t u n g von Hals V e r a t r i n . Das Alkaloid der zur Herund Gesicht, Pulsbeschleunigung, Rausch, stellung von Läuseessig dienenden SabadillDelirien, K r ä m p f e , A t e m l ä h m u n g . Sektion samen und das ebenso wirkende Alkaloid negativ. Nachweis: Chemisch durch Sal- des weißen Nieswurz (Veratrum album) petersäure und Kalilauge (Violettfärbung). haben n u r geringe toxikologische Bedeutung. Pharmakologisch: Beide Alkaloide sind f ü r A k o n i t i n . Das Alkaloid des S t u r m h u t s Mäuse 2 mal giftiger als f ü r Frösche. P u - (Aconitum Napellus) f ü h r t e durch Überpillenerweiterung. dosierung zu medizinalen Vergiftungen, die P h y s o s t i g m i n . Alkaloid der Kalabar- Pflanze selbst und ihre Teile vielfach zu bohne, die in Westafrika zu Gottesurteilen Giftmorden. Tödliche Gaben des Alkaloids: dient. Arzneiliche Vergiftungen, Selbst- Milligramme. Vergiftungsverlauf: Brennen mord. im Munde, Kribbeln und Ameisenlaufen in N i k o t i n . Alkaloid der T a b a k s b l ä t t e r . den Gliedern, Kältegefühl, PulsverlangsaSektion Tödliche Vergiftungen durch Rauchen. Selbst- mung, Herz- oder A t m u n g s t o d . mord durch Tabakauszüge, die zur Insekten- negativ. Nachweis: Pflanzenteile mikroskob e k ä m p f u n g dienen. Selbstmord auch durch pisch. Chemisch Alkaloidreaktionen. P h a r Nikotin, Mord (Fall Graf Bocarme 1850 in makologisch: Peristaltik am Froschherzen. Belgien). Tödliche G a b e n : Von Nikotin C h i n i n . Alkaloid der Chinarinde, das Zentigramme, Klistier mit Auszug aus 2 g s t a r k b i t t e r schmeckende Chinin ist MalariaT a b a k . Abort bei Tabakarbeiterinnen. A k u t e mittel, verursacht Wehen und dient als AbVergiftung: Speichelfluß, Übelkeit, Er- treibungsmittel. Große Gaben (10—20 g) zu brechen, Durchfall, Muskelschwäche, Kopf- Selbstmord. schmerz, O h n m a c h t , K r ä m p f e , Herzschwäche, S t r y c h n i n . Das Alkaloid der StrychnosKollaps. Chronische Vergiftung durch T a b a k - samen (Brechnüsse, Krähenaugen) dient als rauch macht Gefäßschädigungen, Herzbe- Gift f ü r Mäuse (Mäuseweizen), wilde Kaninschwerden, Sehstörungen. Sektion: T a b a k - chen, Füchse. Arzneiliche Verwendung als geruch, sonst negativ. Nachweis: Chemisch Bitter- und Nervenmittel. Zu Mord und durch Jodlösung (Roussin-Kristalle). P h a r - Selbstmord, t r o t z des sehr bitteren Gemakologisch: F ü r Mäuse 3 mal giftiger als schmackes, Tödliche G a b e n : Zentigramme. f ü r Frösche. Froschwirkung charakteristisch Vergiftungsverlauf: Schon bald Zuckungen (Beinstellung). Blutegelkontraktion. in Muskeln, gesteigerte Reflexerregbarkeit, C y t i s i n . Alkaloid des Goldregens. Ver- Muskelsteifheit, K i n n b a c k e n k r a m p f , Streckg i f t u n g von Kindern durch Genuß von Blüten k r a m p f . Tod nach mehreren K r a m p f a n Sektion: Auffallende Totenstarre, und Samen. W i r k u n g der des Nikotins fällen. B l u t a u s t r i t t in den Organen. Nachweis: ähnlich. C o n i i n . Alkaloid des gefleckten Schier- Chemisch durch Kaliumbichromat und Schwelings und der Hundspetersilie. Verwechs-. felsäure (Violettfärbung). Pharmakologisch: lung der Blätter mit Petersilie, der Samen F ü r Mäuse 20—30 mal giftiger als f ü r Frösche, mit Anis, f ü h r t zu Vergiftungen. Hinrich- S t r e c k k r ä m p f e bei beiden Tierarten. tungsmittel im A l t e r t u m (Schierlingsbecher Cicutoxin. Giftiger Bestandteil des des Sokrates). Mord durch Coniin (Dr. J a h n , Wasserschierlings (Cicuta). Nur Vergiftungen Dessau 1861). Vergiftungsverlauf: Von den durch Pflanzenteile, meist durch die knollige Beinen aufsteigende L ä h m u n g . Tod durch Wurzel. Verwechslung mit Sellerie. GiftA t e m l ä h m u n g bei erhaltenem Bewußtsein. morde in Ostpreußen. Vergiftung: ZuckunSektion negativ. Geruch nach Mäuseharn. gen, Schreikrämpfe, Tod im K r a m p f a n f a l l . Botanisch: Pflanzenreste. Pharmakologisch: Sektion negativ. Nachweis von Pflanzen5 mal giftiger f ü r die Maus als f ü r den Frosch. teilen mikroskopisch. Pharmakologisch: Colchicin. Giftiger Bestandteil der Charakteristische K r ä m p f e am Frosch (PikroHerbstzeitlose. Vergiftungen mit Pflanzen-1 toxinstellungen).

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Vergiftungen

P i k r o t o x i n . Gift der indischen Kokkels- Zersetzung (Fäulnis). Verschiedene Formen körner (zum Fischfang). Kokkelskörner ver- der Vergiftung, je nach Bakterienart. a) Maeinzelt zu Mord, zufälligen Vergiftungen. gendarmerscheinungen (Brechdurchfall) namentlich durch Paratyphusbazillen. b) ErW i r k u n g wie Cicutoxin. (atropinDigitalis, Strophanthus, S c i l l a . scheinungen am Nervensystem Diese Pflanzen enthalten als Arzneimittel und ähnlich) bei „ B o t u l i s m u s " durch Bacillus Gifte wichtige Glykoside. Digitoxin (Digi- botulinus. talin) in den Fingerhut-(DigitaIis-)blättern. Ä t h e r i s c h e Ö l e . Wirksame BestandS t r o p h a n t h i n in den afrikanischen Strophan- teile aromatisch riechender Pflanzen, aus t h u s s a m e n , Scillaren in der Meerzwiebel diesen durch Wasserdampfdestillation ge(Scilla). Ähnlich wirkende Herzgifte sind in wonnen. T e r p e n t i n ö l . Große Mengen geder Maiblume, im Goldlack und im Oleander t r u n k e n zu Selbstmordversuchen. Häufigste enthalten. Meerzwiebel und ihre P r ä p a r a t e kriminelle Verwendung von ätherischen Ölen dienen als R a t t e n g i f t , das auch f ü r den oder ihren S t a m m p f l a n z e n zur A b t r e i b u n g Menschen giftig ist. Tödliche arzneiliche (s. d. Art. Innere und äußere A.). VerwenVergiftungen durch Digitalisblätter, Stroph- dung f i n d e n : Bernsteinöl, Rosmarinöl, Sadeanthin. Giftmorde (Digitalin: Dr. de la baumöl neben Abkochungen von Zweigen Pommerais, Paris 1863, S t r o p h a n t h i n : Dr. des S a d e b a u m s (Sabina), T h u j o n (meist in Richter, Bonn 1929). Vergiftungsverlauf: Form von Abkochungen aus Zweigen des Übelkeit, Erbrechen, anfänglich meist Puls- Lebensbaums, des Rainfarns), Pulegon (aus verlangsamung, später Beschleunigung, der Poleiminze), Myristizin (meist in Form Schwäche, Angstgefühl, Angstschweiß, oft geriebener Muskatnüsse), Apiol (brauner oder plötzlicher Herzstillstand. Sektion negativ. grüner E x t r a k t aus der Petersilie in GelatineNachweis: Pharmakologisch: Diese Glyko- kapseln). In Form der Pflanzenteile finden Verside sind giftiger f ü r Frösche als f ü r Mäuse, wendung Safran, Zweige der Eibe (Taxus), der z. B. S t r o p h a n t h i n 25 mal. Systolischer Gartenraute. Vergiftungsverlauf: Lokale ReiStillstand am Froschherzen. zung im Magen-Darm-Kanal, G e b ä r m u t t e r M u t t e r k o r n (Seeale cornutum), Pilz- kontraktionen, G e b ä r m u t t e r b l u t u n g e n , Abort, wucherung auf Roggen. Daraus M u t t e r k o r n - K r ä m p f e , Lähmungen, Nierenentzündungen, Sektion: Blutüberfüllung, e x t r a k t e (Ergotin). Mutterkornalkaloide Er- blutiger H a r n . gotoxin und Ergotamin, im Handel als Gyn- E n t z ü n d u n g , B l u t a u s t r i t t e im Magen-Darmergen und Clavipurin. Vergiftungen, medi- Kanal und anderen Organen. Verfettungen. zinale und bei Verwendung als Abtreibungs- Nachweis: Im Wasserdampfdestillat charakmittel (s. d. Art. Innere und äußere A.). teristischer Geruch. Physikalisch durch ReTödliche Gaben hängen vom Alter der Droge f r a k t o m e t e r und Siedepunktsbestimmung. ab. Schwere Vergiftung schon durch 4 g C h e n o p o d i u m ö l . Amerikanisches äthefrische Droge. Vergiftungsverlauf: A k u t e risches Öl als Mittel gegen Spulwürmer. T o d V e r g i f t u n g : Übelkeit, k r a m p f h a f t e s Würgen, durch Überdosierung, Fahrlässigkeit, SelbstHeißhunger, unstillbarer Durst, Ameisen- mord. V e r g i f t u n g : Übelkeit, Erbrechen, Belaufen, Kribbeln, K r ä m p f e , Muskelzuckungen, nommenheit, Bewußtlosigkeit, Krämpfe, G e b ä r m u t t e r b l u t u n g e n , blutiger H a r n . Chro- A t e m l ä h m u n g . Sektion: Blutüberfüllung der nische Vergiftung: Magendarmerscheinungen, Organe, Verfettungen. Muskelzuckungen, K o n t r a k t u r e n der BeugeF i l i x e x t r a k t . Das E x t r a k t aus dem muskeln, K r ä m p f e , brandiges Absterben der W u r m f a r n ist das wichtigste B a n d w u r m Extremitäten. Sektion: Bei chronischen mittel. Vergiftungsfälle durch ÜberdosieFällen Gefäßveränderungen, Blutungen in rung. W i r k u n g : Übelkeit, Erbrechen, D u r c h inneren Organen, Thrombosen, Gangrän. fälle, K r ä m p f e mit aufsteigender L ä h m u n g , Nachweis: Mutterkorn mikroskopisch, cheGelbsucht, Sehstörungen, L ä h m u n g von misch Färbungsreaktionen. Herz und A t m u n g . G i f t p i l z e . Meist Verwechslung mit eßIV. T i e r g i f t e . baren Pilzen. Tödliche Vergiftungen durch T r i c h i n e n . Seltene NahrungsmittelverFliegenpilz, Knollenblätterschwamm, nicht giftung durch Genuß von mit Trichinen infigenügend ausgekochte Lorcheln. B a k t e r i e n g i f t e . Zu Mord und Selbst- ziertem Fleisch. Diese W ü r m e r enthalten ein mord b e n u t z t : Diphtherietoxin (Dr. P a t - Gift, das die A t m u n g l ä h m t . schenko Petersburg 1910), T e t a n u s t o x i n . C a n t h a r i d e n (spanische Fliegen). Diese K u l t u r e n von Typhus-, Cholerabazillen u. a. offizineile K ä f e r a r t und ihr v e r w a n d t e finden (Dr. Heyde, Kansas City 1910, Hopf, als gefährliches sexuelles Erregungsmittel F r a n k f u r t 1913). Verwendung; auch zu Giftmorden. Als N a h r u n g s m i t t e l v e r g i f t u n g e n . Nah- Arzneimittel äußerlich: Blasenbildung. Innerrungsmittel werden giftig durch bakterielle lich: M a g e n - D a r m - E n t z ü n d u n g , Nierenent-

Vergiftungen — Verkehrspolizei

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siert, gesetzlich festzulegen. Die Worte: „nach ihrem Ermessen" sind mit Rücksicht auf die Rechtsprechung eingefügt, um das Opportunitätsprinzip f ü r die Polizeibehörde unzweideutig festzulegen. Danach ist also Verkehrspolizei Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit und Abwehr von Gefahren. Maßnahmen der Verkehrspolizei haben einzusetzen, wenn sie die Polizei nach ihrem Ermessen f ü r erforderlich hält. Das Ermessen ist ein pflichtmäßiges. J e nach den wechselnden Tatbeständen ergibt sich eine untere und obere Ermessensgrenze, innerhalb deren die Polizei einschreiten muß, wenn dieses Einschreiten nach pflichtmäßigem Ermessen geboten ist. Im Rahmen dieser Grenzen kann die Verkehrspolizei die Polizeiverordnung oder die polizeiliche Verfügung anwenden. Soweit die Verkehrspolizei in Polizeiverordnungen bestimmte Tatbestände unter Strafe stellt, ist sie selbst bei der Verfolgung von Übertretungen ihrer Verordnungen gebunden. Derartige Polizeiverordnungen richten sich — wie alle Polizeiverordnungen — im Rahmen ihrer räumlichen und zeitlichen Begrenzung an alle Personen. Darüber hinaus hat die Verkehrspolizei das f ü r den e i n z e l n e n Fall gegen die einzelne Person oder einen beschränkten Personenkreis wirksame Mittel der polizeilichen Verfügung, die sich gerade im Rahmen dieses Polizeizweiges vielfach auch in Z e i c h e n von Polizeibeamten, deren Bedeutung als bekannt vorausgesetzt und Verhaftung s. Untersuchungshaft, Festnahme, deren Kenntnis verlangt wird, ausdrückt. Die polizeilichen Verfügungen können sowohl Verwahrung (polizeiliche). im Rahmen des Allgemeinauftrages der Verkehrspolizei liegende Handlungen der Verkehrsteilnehmer erzwingen als auch solche, Verkehrspolizei. deren Befolgung durch Polizeiverordnung 1. R e c h t s q u e l l e n . Die Verkehrspolizei oder andere Reichs- und Landesgesetze verist ein Ausfluß der Polizeigewalt. Sie stützt langt wird und deren Nichtbefolgung unter sich materiell auf das allgemeine Polizeirecht Strafe gestellt ist. der Länder. Die Polizei-Generaldelegation, Damit sind als weitere Rechtsquellen nach Suarez „Die nötigen Anstalten zur Er- f ü r die Tätigkeit der Verkehrspolizei die haltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und auf dem Gebiete des Verkehrs erlassenen Ordnung sowie zur Abwendung der dem Reichs- und Landesgesetze gekennzeichnet. Publikum und dessen einzelnen Mitgliedern Unter diesen Reichs- und Landesgesetzen bevorstehenden Gefahren zu treffen, ist das ist insbesondere das Reichsgesetz über Amt der Polizei", aus dem § 10 II 17 des den Verkehr mit Kraftfahrzeugen und das Preußischen Allgemeinen Landrechts ist Luftverkehrsgesetz zu nennen. Beide Geihrem Gegenstande nach wohl in allen setze sind Rahmengesetze und überlassen deutschen Ländern der Polizeigewalt materiell den Hauptinhalt der einzelnen Bestimzu Grunde gelegt. Sie ist f ü r Preußen in § 14 mungen den zu ihnen gehörigen ReichsPolVerwG. vom 1. VI. 1931 in anderer Fas- rechtsverordnungen, die auf diese Weise ohne sung ohne Änderung ihres Sinnes übernommen Inanspruchnahme des schwerfälligen Gesetzworden. Hierzu sagt die Begründung des Ge- gebungsapparates ständig der Zeitentwicksetzes: „Der Entwurf schlägt vor, die prak- lung angepaßt werden können und angepaßt tisch in jeder Beziehung bewährte Begriffs- werden. Die Reichsverfassung legt im Art. 7, bestimmung des § 10 II 17 ALR. sachlich un- 19 die Zuständigkeit des Reiches f ü r die Geverändert, nur im Wortlaut etwas moderni- setzgebung auf dem Gebiete des Verkehrs von

zündung, Nierenblutungen, sexuelle Erregung. Nachweis in Leichenteilen: Mikroskopisch. S k o r p i o n e . Kindermorde durch Skorpionstich bei Chinesen. S c h l a n g e n . In Deutschland nur eine Giftschlange: Kreuzotter. Todesfälle beim Beerensuchen. Biß in Hand und Fuß. Viele tödliche Vergiftungsfälle durch Schlangenbiß in den Tropen. Selbstmord der ägyptischen Königin Kleopatra durch den Biß einer Giftschlange. Schrifttum: Allgemeines und Kasuistik: Starkens t e i n , R o s t , P o h l , Toxikologie, Berlin 1929. — F l u r y und Z a n g g e r , Toxikologie, Berlin 1928 .— L e s c h k e , Vergiftungen, München 1933. — L e w i n , Gifte und Vergiftungen, Berlin 1929. — D e r s e l b e , Gifte in der Weltgeschichte, Berlin 1920. — v. H o f m a n n - H a b e r d a , Lehrb. d. gerichtl. Medizin, 11. Aufl., Berlin 1927. — Lochte, Ziemke, Müller-Heß, Hey, Wi e t h o l d , Gerichtl. Medizin, Berlin 1930. — S a m m l u n g von V e r g i f t u n g s f ä l l e n , 1—4. Berlin 1930—33. G i f t n a c h w e i s : B r ü n i n g , Chemische Untersuchungsmethoden, dieses Handwörterbuch der Kriminologie, S. 207. — G a d a m e r, Chemische Toxikologie, 2. Aufl., Göttingen 1924. — F ü h n e r , Nachweis und Bestimmung von Giften auf biolog. Wege, Berlin 1911. Hermann Fühner.

Vergiftungen — Verkehrspolizei

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siert, gesetzlich festzulegen. Die Worte: „nach ihrem Ermessen" sind mit Rücksicht auf die Rechtsprechung eingefügt, um das Opportunitätsprinzip f ü r die Polizeibehörde unzweideutig festzulegen. Danach ist also Verkehrspolizei Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit und Abwehr von Gefahren. Maßnahmen der Verkehrspolizei haben einzusetzen, wenn sie die Polizei nach ihrem Ermessen f ü r erforderlich hält. Das Ermessen ist ein pflichtmäßiges. J e nach den wechselnden Tatbeständen ergibt sich eine untere und obere Ermessensgrenze, innerhalb deren die Polizei einschreiten muß, wenn dieses Einschreiten nach pflichtmäßigem Ermessen geboten ist. Im Rahmen dieser Grenzen kann die Verkehrspolizei die Polizeiverordnung oder die polizeiliche Verfügung anwenden. Soweit die Verkehrspolizei in Polizeiverordnungen bestimmte Tatbestände unter Strafe stellt, ist sie selbst bei der Verfolgung von Übertretungen ihrer Verordnungen gebunden. Derartige Polizeiverordnungen richten sich — wie alle Polizeiverordnungen — im Rahmen ihrer räumlichen und zeitlichen Begrenzung an alle Personen. Darüber hinaus hat die Verkehrspolizei das f ü r den e i n z e l n e n Fall gegen die einzelne Person oder einen beschränkten Personenkreis wirksame Mittel der polizeilichen Verfügung, die sich gerade im Rahmen dieses Polizeizweiges vielfach auch in Z e i c h e n von Polizeibeamten, deren Bedeutung als bekannt vorausgesetzt und Verhaftung s. Untersuchungshaft, Festnahme, deren Kenntnis verlangt wird, ausdrückt. Die polizeilichen Verfügungen können sowohl Verwahrung (polizeiliche). im Rahmen des Allgemeinauftrages der Verkehrspolizei liegende Handlungen der Verkehrsteilnehmer erzwingen als auch solche, Verkehrspolizei. deren Befolgung durch Polizeiverordnung 1. R e c h t s q u e l l e n . Die Verkehrspolizei oder andere Reichs- und Landesgesetze verist ein Ausfluß der Polizeigewalt. Sie stützt langt wird und deren Nichtbefolgung unter sich materiell auf das allgemeine Polizeirecht Strafe gestellt ist. der Länder. Die Polizei-Generaldelegation, Damit sind als weitere Rechtsquellen nach Suarez „Die nötigen Anstalten zur Er- f ü r die Tätigkeit der Verkehrspolizei die haltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und auf dem Gebiete des Verkehrs erlassenen Ordnung sowie zur Abwendung der dem Reichs- und Landesgesetze gekennzeichnet. Publikum und dessen einzelnen Mitgliedern Unter diesen Reichs- und Landesgesetzen bevorstehenden Gefahren zu treffen, ist das ist insbesondere das Reichsgesetz über Amt der Polizei", aus dem § 10 II 17 des den Verkehr mit Kraftfahrzeugen und das Preußischen Allgemeinen Landrechts ist Luftverkehrsgesetz zu nennen. Beide Geihrem Gegenstande nach wohl in allen setze sind Rahmengesetze und überlassen deutschen Ländern der Polizeigewalt materiell den Hauptinhalt der einzelnen Bestimzu Grunde gelegt. Sie ist f ü r Preußen in § 14 mungen den zu ihnen gehörigen ReichsPolVerwG. vom 1. VI. 1931 in anderer Fas- rechtsverordnungen, die auf diese Weise ohne sung ohne Änderung ihres Sinnes übernommen Inanspruchnahme des schwerfälligen Gesetzworden. Hierzu sagt die Begründung des Ge- gebungsapparates ständig der Zeitentwicksetzes: „Der Entwurf schlägt vor, die prak- lung angepaßt werden können und angepaßt tisch in jeder Beziehung bewährte Begriffs- werden. Die Reichsverfassung legt im Art. 7, bestimmung des § 10 II 17 ALR. sachlich un- 19 die Zuständigkeit des Reiches f ü r die Geverändert, nur im Wortlaut etwas moderni- setzgebung auf dem Gebiete des Verkehrs von

zündung, Nierenblutungen, sexuelle Erregung. Nachweis in Leichenteilen: Mikroskopisch. S k o r p i o n e . Kindermorde durch Skorpionstich bei Chinesen. S c h l a n g e n . In Deutschland nur eine Giftschlange: Kreuzotter. Todesfälle beim Beerensuchen. Biß in Hand und Fuß. Viele tödliche Vergiftungsfälle durch Schlangenbiß in den Tropen. Selbstmord der ägyptischen Königin Kleopatra durch den Biß einer Giftschlange. Schrifttum: Allgemeines und Kasuistik: Starkens t e i n , R o s t , P o h l , Toxikologie, Berlin 1929. — F l u r y und Z a n g g e r , Toxikologie, Berlin 1928 .— L e s c h k e , Vergiftungen, München 1933. — L e w i n , Gifte und Vergiftungen, Berlin 1929. — D e r s e l b e , Gifte in der Weltgeschichte, Berlin 1920. — v. H o f m a n n - H a b e r d a , Lehrb. d. gerichtl. Medizin, 11. Aufl., Berlin 1927. — Lochte, Ziemke, Müller-Heß, Hey, Wi e t h o l d , Gerichtl. Medizin, Berlin 1930. — S a m m l u n g von V e r g i f t u n g s f ä l l e n , 1—4. Berlin 1930—33. G i f t n a c h w e i s : B r ü n i n g , Chemische Untersuchungsmethoden, dieses Handwörterbuch der Kriminologie, S. 207. — G a d a m e r, Chemische Toxikologie, 2. Aufl., Göttingen 1924. — F ü h n e r , Nachweis und Bestimmung von Giften auf biolog. Wege, Berlin 1911. Hermann Fühner.

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Verkehrspolizei

K r a f t f a h r z e u g e n zu Lande, zu Wasser und in der L u f t fest. Von dieser dem konkurrierenden Oesetzgebungsrecht des Reiches zuzurechnenden Befugnis h a t das Reich auf dem Gebiete des K r a f t - und Luftverkehrs Gebrauch gemacht. Damit ist auf diesen Gebieten f ü r die Landesgesetzgebung kein R a u m mehr. Die neue Reichs-StraßenverkehrsO r d n u n g vom 28. V. 1934 (RGBl. S. 457) regelt in A u s f ü h r u n g des Ges. über den Verkehr mit K r a f t f a h r z e u g e n den gesamten S t r a ß e n v e r k e h r durch die Länder erschöpfend. Sie läßt f ü r Polizeiverordnungen der Verkehrspolizei nur da R a u m , wo sie es ausdrücklich b e s t i m m t . Der Eisenbahnverkehr ist nicht Sache der Verkehrspolizei im engeren Sinne. Seine verkehrspolizeiliche Behandlung liegt in H ä n d e n der Eisenbahnverwaltung. Nur soweit Kleinb a h n v e r k e h r (also auch S t r a ß e n b a h n ) in Frage k o m m t , sind die auf diese bezüglichen Landesgesetze Rechtsquellen f ü r die Verkehrspolizei. Die f ü r den Verkehr auf Binnenwasserstraßen erlassenen Polizeiverordnungen stützen sich auf die Rechtsquellen der sonstigen Verkehrspolizei. Neben diesen rechtsetzenden Zuständigkeiten h a t die Verkehrspolizei wie die übrige Polizei nach der Strafprozeßordnung die Aufgabe, s t r a f b a r e n Handlungen nachzuforschen und alle keinen Aufschub duldenden Handlungen vorzunehmen, um die Aufklärung der T a t herbeizuführen. Auf diesem Gebiet wird also nicht nur das spezielle Verkehrspolizei-Strafrecht, sondern auch das allgemeine Strafrecht zur Rechtsquelle f ü r die Verkehrspolizei. Das spezielle Verkehrsstrafrecht ist in den vorangeführten Reichs- und Landesgesetzen e n t h a l t e n . 2. B e g r i f f u n d f o r m e l l e Z u s t ä n d i g k e i t e n . Nach dem zu 1. Gesagten ist Verkehrspolizei in weiterem Sinne die Sorge f ü r die Ordnung, Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf öffentlichen Straßen, zu Lande, zu Wasser und in der L u f t . Im engeren und gebräuchlichen Sinne versteht m a n unter Verkehrspolizei nur die Verkehrspolizei zu L a n d e ; m a n bezeichnet die Verkehrspolizei der L u f t als Luftpolizei (Luftaufsicht), die Verkehrspolizei zu Wasser als Wasserpolizei. Die beiden letzten Polizeiarten unterliegen m u t a t i s m u t a n d i s den gleichen Voraussetzungen f ü r ihre Tätigkeit wie die Verkehrspolizei in engerem Sinne. Sie stützen sich lediglich auf eine speziellere Gesetzgebung. Sie können f ü r die Bet r a c h t u n g im Folgenden ausscheiden; ihre Tätigkeit liegt auf ihrem Sondergebiet parallel. In formeller Hinsicht kann man die Tätigkeit der Verkehrspolizei einteilen in Ver-

waltungspolizei, Exekutivpolizei und strafverfolgende Polizei. Der Verwaltungsverkehrspolizei liegt die Rechtsetzung ob und in engerem Sinne die bürokratische Ausf ü h r u n g der Gesetze mit ihrem weitverzweigten Form- und Formularwesen. Das Gebiet der Exekutiv-Verkehrspolizei ist die u n m i t t e l b a r e Regelung und Beaufsichtigung des Verkehrs, das der strafverfolgenden Verkehrspolizei die Untersuchung und Aufklärung von Verkehrsdelikten. In tatsächlicher Hinsicht werden diese Tätigkeiten mit etwas überschneidender Zuständigkeit ausgeübt a) durch die Verwaltungspolizei, b) durch die Schutzpolizei, c) durch die Kriminalpolizei, d) durch die Landjägerei. Die V e r w a l t u n g s p o l i z e i ist zuständig f ü r den Erlaß von Polizeiverordnungen unter Mitwirkung der die praktische E r f a h r u n g tragenden Schutzpolizei. Sie besorgt das Zulassungswesen f ü r K r a f t f a h r z e u g f ü h r e r und Kraftfahrzeuge, spricht die Verbote f ü r die weitere Inbetriebnahme von Fahrzeugen aus, entzieht die Fahrerlaubnis f ü r K r a f t f a h r z e u g f ü h r e r und verbietet ungeeigneten Personen das Führen anderer Fahrzeuge und f ü h r e r scheinfreier Kraftfahrzeuge, sie beaufsichtigt das Droschkenwesen und den Kraftlinienverkehr innerhalb u n d außerhalb der Gemeindebezirke, sie erläßt an die f ü r die Unterhaltung der Wege und die Aufstellung von Verkehrszeichen verpflichteten Personen oder Körperschaften die notwendigen Anordnungen und verfügt die Aufstellung und Einziehung von Verkehrsschildern aller A r t . Die S c h u t z p o l i z e i (s. d. Art.) stellt das Auge der Verwaltungspolizei auf der Straße dar. Sie h a t auf Grund ihres besonderen Sachverständnisses und ihrer besonderen Erf a h r u n g Vorschläge zu machen, die zu vielfachen Anordnungen der Verwaltungspolizei f ü h r e n . Vor allem aber greift sie bei drohender Gefahr überall u n m i t t e l b a r in den Ablauf des Verkehrs durch Anordnungen an Ort u n d Stelle (Verkehrsregelung) ein, sie ist ferner bei Verfolgung von Verkehrsdelikten (Untersuchung von Verkehrsunfällen, bei denen der Verdacht fahrlässiger Körperverletzung oder fährlässiger T ö t u n g vorliegt) das meist f r ü h zeitig an Ort und Stelle befindliche Hilfsorgan der Kriminalpolizei oder der heute vielfach in größeren Orten eingesetzten besonderen Unfallkommandos. Die K r i m i n a l p o l i z e i (s. d.) — in Großs t ä d t e n durch besondere Verkehrsdezernate vertreten — untersucht Verkehrsunfälle, bei denen der Verdacht der fahrlässigen Körperverletzung oder der fahrlässigen T ö t u n g vorliegt. Die Landjägerei (s. d.) schließlich ü b t auf dem Lande die Tätigkeit der Schutz- u n d

Verkehrspolizei Kriminalpolizei aus, soweit nicht an Stelle der letzten Landeskriminalpolizei hier t ä t i g werden kann. 3. D i e s a c h l i c h e n A u f g a b e n d e r V e r k e h r s p o l i z e i . Die Verkehrspolizei greift in das gesamte Lebensgebiet des Verkehrs ein, Gegenstand ihres Aufgabenkreises sind a) die Führer von Fahrzeugen aller Art, b) die Fahrzeuge aller Art, c) die Fußgänger, d) die öffentlichen Wege, Straßen und Plätze mit ihren F a h r - u n d Gehbahnen, e) die Verkehrseinrichtungen aller Art, welche auf diesen F a h r und Gehbahnen zu verkehrspolizeilichen Zwecken aufgestellt oder angebracht sind, f) der Fahrverkehr. a) D i e F ü h r e r v o n F a h r z e u g e n a l l e r A r t . An die Führer von Fahrzeugen m u ß die Verkehrspolizei mannigfache Anforderungen stellen. Ziel der Beobachtung der Führer von Fahrzeugen ist die Ausscheidung solcher Personen aus dem Verkehr, die durch körperliche, geistige oder sittliche Mängel die übrigen Verkehrsteilnehmer dauernd gefährden. Körperliche Mängel sind solche, die zur sicheren F ü h r u n g der betreffenden Fahrzeugart ungeeignet machen. Geistige Mängel haben Verständnislosigkeit f ü r die Rechtsordnung zur Folge. Sittliche Mängel sind bei solchen Personen vorhanden, die infolge sittlicher Schwäche (Trunkenheit, Roheit) oder infolge mangelnden Willens zur Befolgung der Rechtsordnung eine dauernde Gefahr darstellen. Soweit das K r a f t f a h r z e u g in Frage k o m m t , werden alle diese Eigenschaften vor Erteilung des Führerscheins g e p r ü f t . Zusätzlich wird hier auch noch die technische Fähigkeit ( F a h r k u n s t ) und die Kenntnis der Verkehrsregeln gefordert. Bei F ü h r e r n anderer Fahrzeuge kann die Verkehrspolizei erst einschreiten, wenn sich einer der vorbezeichneten Mängel amtlich herausstellt. b) F a h r z e u g e a l l e r A r t . Bei den Fahrzeugen sorgt die Verkehrspolizei f ü r einen verkehrssicheren Z u s t a n d . Fahrzeuge, die infolge ihrer B a u a r t , ihres Alters oder eines sonstigen Mangels den Verkehr gefährden können, müssen aus dem Verkehr e n t f e r n t werden. Darüber hinaus unterliegt die Inbetriebnahme von K r a f t f a h r z e u g e n auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen einem bis ins einzelne gehenden Zulassungsverfahren. Dieses Zulassungsverfahren soll der Verkehrspolizei die Entscheidung über die Verkehrssicherheit durch Beibringung von G u t a c h t e n technischer Sachverständiger erleichtern. Neben dem Fahrzeug selbst unterliegt die Ausrüstung der Fahrzeuge mit den f ü r die Sicherheit des Verkehrs wichtigen Ausrüstungsteilen der ständigen Aufsicht der Verkehrspolizei. Bremsen, Geräte f ü r das Abgeben von Warnungssignalen (Hupen,

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Pfeifen u. a.), Fahrzeuganhänger, Kuppelungsvorrichtungen, Beleuchtung u. a. müssen betriebssicher sein und in ihrer technischen Ausgestaltung bestimmten, meist im einzelnen festgelegten Sicherheitsvorschriften entsprechen. Hier gehören in den Aufgabenkreis der Verkehrspolizei im R a h m e n der Ausf ü h r u n g der Reichsgesetze auch Aufgaben, die nicht mehr polizeilichen Gesichtspunkten entsprechen, wie die Überwachung der Bereifung, die im wesentlichen dem Schutz der Wege gegen vorzeitige Zerstörung dient. c) F u ß g ä n g e r . Den Fußgängern gegenüber ist die Aufgabe der Verkehrspolizei eine doppelte. In erster Linie soll der Fußgänger vor den Gefahren geschützt werden, die ihm durch den Verkehr drohen. Im zunehmenden Maße aber wird auch der Fußgänger zu einer Gefahrenquelle f ü r den Verkehr und m u ß daher auch solchen Vorschriften unterworfen werden, die die Verkehrspolizei überwacht, welche nicht nur s e i n e m Schutz, sondern dem S c h u t z d e s ü b r i g e n V e r k e h r s dienen. Denn gerade das Bestreben der Schonung eines verkehrswidrig handelnden Fußgängers f ü h r t oft zu schweren Verkehrsunfällen u n d macht dann den Fußgänger allein oder mitschuldig am Verkehrsdelikt. d) Ü b e r w a c h u n g d e r ö f f e n t l i c h e n W e g e . Der Zustand der Wege, auf denen der Verkehr s t a t t f i n d e t , ist wesentlich f ü r seine Sicherheit. Damit wird die Überwachung des Personenkreises, der f ü r den verkehrssicheren Z u s t a n d der Wege zu sorgen hat, Aufgabe der Verkehrspolizei. Die verantwortlichen Persönlichkeiten sind überwiegend Organe öffentlich-rechtlicher Körperschaften. e) V e r k e h r s e i n r i c h t u n g e n a l l e r A r t . Um auf den Verkehr Einfluß ausüben zu können, bedient sich die Verkehrspolizei zahlreicher verschiedenartiger Zeichen und Sicherungsvorrichtungen, die neuerdings unter dem nicht ganz glücklichen, viel mit den Regelungszeichen der Polizeibeamten zu verwechselnden Namen „Verkehrszeichen" zus a m m e n g e f a ß t sind. Sie werden in mehrere Gruppen eingeteilt. I. Die Warnzeichen, das sind die dreieckigen r o t u m r a n d e t e n Schilder, die den Verkehr vor ihm drohenden Gefahren warnen. II. Die Gebots- und Verbotszeichen, die in Polizeiverordnungen niedergelegte Geu n d Verbote bekanntgeben, wie Sperrungen, Geschwindigkeitsbeschränkungen, Straßenbeschränkungen, P a r k v e r b o t e , Richtungsverbote u. a. III. Hinweiszeichen, die auf besondere Einrichtungen, wie Parkplätze, Hilfsposten, auf den Namen der O r t s c h a f t e n (Ortstafeln) oder auch die R i c h t u n g einer Straße (Wegweiser) oder schließlich auf die Verkehrs-

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bedeutung (Hauptverkehrsstraße, Straße 1. Ordnung) hinweisen. f) D e r F a h r v e r k e h r . Alle vorbezeichneten Aufgaben dienen der letzten, der H a u p t aufgabe der Verkehrspolizei der Regelung und Überwachung des Fahrverkehrs. Innerhalb des R a h m e n s der sonst von der Verkehrspolizei f ü r notwendig erachteten Beschränkungen und besonderen, örtlich verschieden angewandten Vorschriften gelten einige wichtige a l l g e m e i n e Regeln: Rechts ausweichen, links Überholen! Abbiegen nach rechts in kurzem Bogen, nach links in weitem Bogen! Überholen der S t r a ß e n b a h n rechts, an Haltestellen nur in Schrittgeschwindigkeit und bei entsprechendem Abstand! Herabsetzen der Geschwindigkeit oder Anhalten da, wo die Übersicht über die F a h r b a h n behindert ist! Die wesentlichste und kriminologisch wichtigste Vorschrift l a u t e t : „ J e d e r Teilnehmer am Verkehr h a t sich so zu verhalten, daß er keinen A n d e r e m schädigt oder mehr, als den U m s t ä n d e n nach unvermeidbar, behindert oder belästigt (§ 25 RStraßenVerkOrdn.). Hier ist also eine vom Kasuistischen freie Generalklausel geschaffen, die dem Verkehrsteilnehmer die V e r a n t w o r t u n g f ü r ein verkehrsgerechtes Verhalten auferlegt. 4. W e s e n u n d I n h a l t d e r V e r k e h r s p o l i z e i . Das Wesen der Verkehrspolizei erschöpft sich in der Erziehung der Verkehrsteilnehmer zu verkehrsgerechtem Verhalten. Diese Erziehung t r ä g t alle Merkmale einer echten Erziehung, beginnend von der Belehrung über die E r m a h n u n g und Verwarnung, schließlich zur B e s t r a f u n g übergehend. Dieses erzieherische Wesen t r i t t bei der Verkehrspolizei viel schärfer in den Vordergrund als bei vielen anderen Polizeiarten. Das liegt daran, daß die Tatsache der aus dem Verkehr hervorgehenden Gefahren allen Verkehrsteilnehmern an sich klar ist, daß aber die Faktoren, die zu Unfällen und damit zu Delikten f ü h r e n , nicht richtig erk a n n t werden. Die Verursachung der Gef a h r e n ist überwiegend auf Erziehungsfehler zurückzuführen. Damit t r i t t die kriminologische Bedeutung der Verkehrspolizei hervor. Denn k o m m t man den Gründen der Fehl-Erziehung — im Sinn einer an sich richtigen, ihr Ziel nicht erreichenden Erziehung — auf die Spur, so e r f a ß t man damit auch bereits die kriminologischen Wurzeln des dem Verkehrsunfall häufig zu Grunde liegenden Verkehrsdelikts. Die Fehl-Erziehung auf dem Verkehrsgebiet kann alle psychischen Grundlagen sonstiger Fehl-Erziehung haben. Gleichgültigkeit, Unfähigkeit zur inneren A u f n a h m e , Zerstreutheit, U n a u f m e r k s a m k e i t , U n k e n n t nis sind die häufigsten Eigenschaften der

Objekte der Erziehung. Nicht selten sind aber auch Rücksichtslosigkeit, die sich bis zur B r u t a l i t ä t steigern kann, mangelnder Gemeinsinn, grundsätzliche Ablehnung jeder Art behördlicher Vorschriften die Hindernisse, an denen die Erziehungsarbeit der Verkehrspolizei abprallt. Da neben den am Verkehr beteiligten Personen auch die Eigenschaften und Fehlerquellen der von ihnen geführten Fahrzeuge f ü r die Beurteilung des Verkehrs und seiner Unfallquellen in Frage kommen, ist der weitere Inhalt verkehrspolizeilicher Tätigkeit E r k e n n t n i s der technischen, äußeren Z u s a m m e n h ä n g e im Verkehr. Die Fähigkeit zur Entscheidung, was vom Menschen und was vom Fahrzeug im Verkehr g e f o r d e r t werden kann, die Fähigkeit zur Entscheidung darüber, welche V e r k e h r s f e h l e r und G e f a h r e n q u e l l e n vom Menschen und welche vom Fahrzeug ausgehen, ist das Wesen der Verkehrspolizei. Eine Auswertung der B e r l i n e r Unfallverkehrsstatistik ergibt nach Professor A c h im J a h r e 1928 folgende Unfallursachen: Fahrzeug 3 , 8 % , Fahrer 6 8 , 7 % , Fußgänger 2 1 , 2 % , F a h r b a h n 3 , 8 % , sonstige Ursachen 2 , 5 % . Bei dieser Statistik m u ß beachtet werden, daß das günstige Abschneiden der Fußgänger auf die weitgehend durchgef ü h r t e Verkehrserziehung der Berliner Verkehrsteilnehmer z u r ü c k z u f ü h r e n ist. Der Anteil der Fußgänger wird sich an anderen Orten s t a r k zu Ungunsten der Fußgänger verschieben. Feststehend und durch viele andere Statistiken erwiesen ist, daß der Anteil der Fahrzeuge als Unfallursache (Fehler im Material) außerordentlich gering ist. Oberingenieur W e h r in Berlin unterscheidet (nach eigener Angabe in der Reihenfolge willkürlich) folgende Unfall-Verursachungsg r u p p e n : 1. Unfälle, die durch innere Mängel des Fahrzeugs, und zwar a) solche, die durch E r m ü d u n g des Materials (Überalterung), b) solche, die durch mangelhafte Pflege und W a r t u n g und unsachgemäße Behandlung, U n k e n n t n i s der Materie oder Nachlässigkeit des Fahrers entstehen. 2. Unfälle, die durch einen Mangel in der Person des Führers entstehen, und zwar a) solche, die auf körperliche Mängel (schlechte Augen, schlechtes Gehör, übergroße Nervosität), b) solche, die durch Übermüdung, c) solche, die durch übermäßigen Alkoholgenuß, d) solche, die durch Leichtsinn, e) solche, die auf übertriebenen Sport zurückzuführen sind. 3. Unfälle, die bei unvorschriftsmäßiger Ausbildung des Fahrers außerhalb des Rahmens einer F a h r schule entstehen. 4. Unfälle, die auf mangelh a f t e Verkehrsregelung in den Straßen der Großstadt zurückzuführen sind. 5. Unfälle, die auf schlechte Beschaffenheit der Straßen,

Verkehrspolizei vorzugsweise der Landstraßen, besonders auch beim Übergang von guten auf schlechte Straßen und auf vereiste Straßen bzw. nasse Asphaltstraßen zurückzuführen sind. 6. Unfälle, die auf das verkehrstechnisch falsche Verhalten der Straßenpassanten und anderer Fuhrwerke zurückzuführen sind. 7. Unfälle, die ohne ausgesprochene Schuld auf beiden Seiten auf eine V e r k e t t u n g unglücklicher Zufälle zurückzuführen sind (Zeitschrift „ D e r Motorwagen", 20. II. 1929, Nr. 5). Ohne zu dieser Gruppierung Stellung zu nehmen, zeigt die A u f f ü h r u n g die Vielseitigkeit der Richtungen, in denen sich die Nachforschungen der Verkehrspolizei bei der E r g r ü n d u n g von Verkehrsunfällen bewegen müssen, wobei es reizvoll ist, daß auch ihr eigenes Verhalten selbstverständlich in diese P r ü f u n g eingeschlossen werden m u ß . 5. D a s V e r k e h r s d e l i k t . Es wurde bereits ausgeführt, daß eine Kriminologie des Verkehrsdeliktes nicht abgehandelt werden kann, ohne eine Kenntnis des gesamten Aufgabenkreises der Verkehrspolizei voranzuschicken. Verkehrsdelikte sind ihrer äußeren Qualität nach überwiegend Fahrlässigkeitsdelikte. Anschläge auf K r a f t f a h r zeuge oder Eisenbahntransporte können hier als nicht hierher gehörend ausgeschieden werden. Auch der Fahrzeugdiebstahl gehört nicht in das Gebiet des Verkehrsdelikts, obgleich er in seiner Durchf ü h r u n g sehr häufig eine Anzahl von Verkehrsdelikten zur Folge h a t . Aber hier wird besonders klar, daß der Vorsatz des T ä t e r s nur selten (Angriff auf Leben oder Gesundheit eines Verfolgers) auf die Herbeif ü h r u n g des s t r a f b a r e n Erfolges gerichtet ist, sondern daß gegebenenfalls dolus eventualis hier vorliegen kann. Es ä n d e r t aber nichts daran, daß das eigentliche Verkehrsdelikt, nämlich die Körperverletzung und die Töt u n g , eben f a h r l ä s s i g e Körperverletzung oder f a h r l ä s s i g e T ö t u n g sind. (Eine Anzahl von Formaldelikten wie Führen eines Fahrzeuges, ohne im Besitz eines Führerscheins zu sein, oder Führen eines nicht zugelassenen Fahrzeuges sind nach dem K r a f t verkehrsgesetz V e r g e h e n auf Grund des gegen sie festgesetzten S t r a f r a h m e n s . Ohne verkehrspolizeiliche Bedeutung ist auch eine b e s t i m m t e Gruppe s t r a f b a r e r H a n d lungen, die hier neben der Sache liegen, wie: Kraftfahrzeugdiebstahl, Verwendung von K r a f t f a h r z e u g e n zu gemeinen Verbrechen u. a., vgl. d. A r t . Kraftwagen.) Gerade weil es sich beim Verkehrsdelikt s t e t s d a r u m handelt, nachzuweisen, ob Fahrlässigkeit oder Nichtfahrlässigkeit vorliegt, schiebt sich zwischen den Richter u n d den T ä t e r der gesamte Komplex der polizei-

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lichen P r ä v e n t i v n o r m e n , die das Wesen der Verkehrspolizei ausmachen. Der T ä t e r h a t nachzuweisen, daß er sie befolgt hat, um seine B e s t r a f u n g zu vermeiden. Der S t a a t s a n w a l t h a t zu prüfen und zu beweisen, welche verkehrspolizeilichen Normen verletzt sind, weil die Verletzung dieser Normen allein die K a u s a l i t ä t s k e t t e bis zum s t r a f b a r e n Erfolg begründen k a n n . Damit erhält die verkehrspolizeiliche Norm gegenüber allen anderen polzeilichen Normen eine ganz besondere, f ü r alle Verkehrsbeteiligten schwerwiegende Note. Die Nichtbefolgung einer derartigen Norm kann das Kettenglied in der K a u s a l i t ä t s k e t t e sein, das f ü r die Verurteilung ausschlaggebend ist. Das Verkehrsdelikt s t e h t seinem Wesen nach als ein reines Erfolgsdelikt a u ß e r h a l b der kriminologischen Betrachtung aller übrigen Delikte. Denn es kann bei einer großen Anzahl von T ä t e r n die kriminelle — das ist hier fahrlässige — Veranlagung J a h r e , ja ihr Leben lang v o r h a n d e n sein, ohne daß es jemals zu einem s t r a f b a r e n Erfolge k o m m t . Es kann auf der anderen Seite bei einem anderen T ä t e r ohne diese Einstellung durch eine V e r k e t t u n g s u b j e k t i v ungünstiger U m stände die kriminelle Einstellung nur ein einziges Mal vorgelegen haben. Mit anderen Worten spielen beim Verkehrsdelikt Glück und Pech des Täters eine Rolle. Alle diese U m s t ä n d e erfordern eine besonders gründliche Untersuchung hinsichtlich der Person des Täters, hinsichtlich seiner Einstellung zur Allgemeinheit, seiner Lebensf ü h r u n g , seiner Charaktereigenschaften usw. Hier m u ß die Kriminologie des Verkehrsdeliktes dem Wesen der Verkehrspolizei folgen und zunächst einmal feststellen, welchen T y p der T ä t e r im Verkehrsleben darstellt. Diese P r ü f u n g kann bereits in der Voru n t e r s u c h u n g oder in der polizeilichen Untersuchung vorgenommen werden. Die Mittel der Polizei eignen sich infolge der Verflecht u n g ihrer Organisation mit dem bürgerlichen Leben zu dieser Untersuchung besonders gut. Denn gerade im Z u s a m m e n h a n g mit der Kriminologie anderer Delikte m u ß hier der soziologischen Schichtung des Täters im Verkehrsdelikt ein besonderes Augenmerk zugewendet werden. Das Verkehrsdelikt entspringt keiner eigentlichen verbrecherischen Veranlagung, da f a s t ausschließlich der Erfolg nicht gewollt ist. Parallelen zur Veranlagung sonstiger krimineller T ä t e r finden sich nur in der Einstellung zur Außerachtlassung der Rechtsordnung, deren Bruch hier aber — wie bereits ausgeführt — lediglich die kausalen Kettenglieder betrifft. Der Wille zur Körperverletzung oder T ö t u n g fehlt. An seine Stelle t r e t e n eine Anzahl bereits geschilderter innerer Charaktereigen-

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Schäften des Täters. Typisch ist, daß die Strafe f ü r das Verkehrsdelikt in der überwiegenden Zahl der Fälle Nichtvorbestrafte treffen wird. Hier m u ß bereits die kriminalsoziologische Unterscheidung eintreten. Der T y p des gewalttätigen, brutalen Täters, in dessen Vorleben sich Anzeichen durch Vorstrafen oder auf Grund sonstiger E r m i t t lungen finden, kann schonungsloserer Beurteilung unterliegen. Der andere T y p aber, bei dem mehr oder weniger persönliches Pech eine Rolle spielt, bedarf genauerer Betrachtung. Vielfach stellt sich heraus, daß derartige Täter persönliche Mängel hinsichtlich ihrer Entschlußfähigkeit oder hinsichtlich ihrer Schreckhaftigkeit haben, die ihnen selbst u n b e k a n n t waren. Gerade im Zus a m m e n h a n g damit, daß derartige Personen vielfach nicht nur durchschnittlich ordentliche, sondern gelegentlich sogar besonders wertvolle Mitglieder der menschlichen Gesellschaft sind, ist nicht etwa außergewöhnliche Milde, wohl aber außergewöhnliche Sorgsamkeit in der E r g r ü n d u n g aller nur möglichen subjektiven Mängel erforderlich. Denn Aufgabe der strafverfolgenden Polizei wie des öffentlichen Anklägers ist auch hier — und hier ganz besonders —, die entlastenden Momente neben den belastenden Momenten herauszuarbeiten. 6. D e r T a t o r t . Die äußere Feststellung der Faktoren, die zum Unfall und damit zum Verkehrsdelikt geführt haben, ist der sonstigen kriminalpolizeilichen Tätigkeit stark v e r w a n d t . Am Unfallort (als T a t o r t ) werden mit allen Mitteln der Kriminaltechnik vorhandene Spuren festgehalten sowie vorgef u n d e n e körperliche Gegenstände sichergestellt. Auch hier unterscheidet sich die Tätigkeit am T a t o r t häufig sehr s t a r k von der Tätigkeit an anderen T a t o r t e n , weil n ä m lich sehr schnell eine Verschiebung und Verwischung der Spuren eintreten kann. Die Verkehrspolizei h a t nämlich die vordringliche Aufgabe, den Verkehr aufrecht zu halten, und wird infolgedessen sehr häufig selber nach oberflächlicher skizzenmäßiger T a t o r t s a u f n a h m e die Spuren des Unfalls, d. h. die betroffenen Fahrzeuge, fortschaffen müssen. Dieser U m s t a n d erschwert die E r m i t t l u n g e n . Er bringt es mit sich, daß beim Eintreffen sachverständiger Sonderbeamter der Kriminalpolizei diese Spuren verschwunden sind. Es ist von großer Wichtigkeit, daß bei schweren Unfällen u n d damit v e r b u n d e n e n schweren Verkehrsdelikten möglichst bald amtlich a n e r k a n n t e Sachverständige oder die besonderen Unfallkommandos am T a t o r t zur Stelle sind. Dadurch wird die Untersuchung des Unfalls außerordentlich gefördert. Denn die Feststellungen des Sach-

verständigen gewinnen erheblich an Wert, wenn er nicht nur die Spuren an den betroffenen Fahrzeugen nachträglich und nach deren A b t r a n s p o r t beurteilt. Wichtig f ü r die Rekonstruktion des Unfalles ist vielmehr die Stellung der Fahrzeuge u n m i t t e l b a r nach dem Unfall. 7. Z e u g e n - u n d Z e u g e n w e r t . Mangels v o r h a n d e n e r einwandfreier Spuren spielt im Verkehrsstrafprozeß die Zeugenaussage in Verbindung mit der Aussage des Sachverständigen eine besondere Rolle. Besonders schwierig ist hier die Eingruppierung des Zeugen nach seiner Urteilsfähigkeit. Es ist das eins der H a u p t p r o b l e m e bei der Untersuchung von Verkehrsunfällen u n d der an sie g e k n ü p f t e n s t r a f b a r e n T a t b e s t ä n d e . Denn im Verkehr b e t r a c h t e t sich meist jeder als besonders sachverständig, bildet sich aus Teilmerkmalen bereits ein Urteil, das in der überwiegenden Zahl der Fälle durch Sympathieen o d e r A n t i p a t h i e e n beeinflußt ist. Versuche mit geistig hochwertigem und nach seiner Vorbildung sachverständigem Zeugenmaterial an H a n d von F i l m a u f n a h m e n haben interessante Ergebnisse gezeitigt. Ein Unfall wurde künstlich herbeigeführt u n d gleichzeitig von mehreren Blickpunkten aus a u f g e n o m m e n . Das Ergebnis waren stets widersprechende Zeugenaussagen, bei denen keiner der Zeugen den wahren Schuldigen erkannte. (Dieser war ein K r a f t f a h r z e u g f ü h r e r , der infolge rücksichtslosen Überquerens einer Kreuzung mehrere andere Verkehrsteilnehmer zwang, plötzliche Ausweichbewegungen zu machen, und sie dadurch in Zusammenstöße hineintrieb. Dieser Fahrzeugführer und sein F a h r zeug selbst blieben unbeschädigt; sie wurden, da das Fahrzeug nicht anhielt, ü b e r h a u p t nicht beachtet). Selbst eine richtige Darstellung der Teilvorgänge wird n u r von einem ganz kleinen Teil der Zeugen gegeben. Niemals k o m m t dabei eine völlig klare Rekonstruktion des Unfallherganges zu stände. Dieser wertvolle Versuch zwingt zum Nachdenken über die Gründe des Versagens des Zeugen. Sie beruhen auf der außerordentlich kurzen Zeit des Unfallherganges. Sie beruhen ferner darauf, d a ß der Zeuge meist nur den eigentlichen Unfall, nicht aber die kurz vorhergehenden Phasen beobachtete und daß die Verarbeitung im Gedächtnis des Zeugen durch die nachfolgenden Vorgänge meist erschwert wird. Man m u ß die Zeugengruppen in ihrer Einstellung zu den Unfallbeteiligten von Anfang an trennen. J e nachdem, ob es Fußgänger, K r a f t f a h r z e u g f ü h r e r , Pferdefahrzeuglenker, S t r a ß e n b a h n f ü h r e r oder R a d f a h r e r sind, werden sie vielfach von Anfang an eine vorgefaßte Meinung haben, die sich aus ihrer

Verkehrspolizei Gruppenzugehörigkeit zu den einzelnen Verkehrsteilnehmern ergibt. Diese Aussagen auf das rechte Maß zurückzuführen, ist f ü r die untersuchende Polizei, f ü r den S t a a t s a n w a l t und den Richter eine außerordentlich schwere Aufgabe. Oerade weil es sich aber beim Verkehrsdelikt um die Feststellung handelt, ob eine S u m m e von Ordnungsnormen verkehrspolizeilicher Art befolgt oder übertreten sind, k o m m t es auf e i n d e u t i g e Feststellung an. Es h a t sich als zweckmäßig erwiesen, über jede einzelne Frage möglichst Zeugen verschiedener Beobachtungspunkte zu hören. Es ist wichtig, die Zeugen nicht sämtlich aus Gruppen von Zuschauern zu entnehmen, die bereits über den Hergang des Unfalls diskutieren. Hier hat sehr häufig eine u n b e w u ß t e Beeinflussung s t a t t g e f u n d e n . 8. D a s V e r k e h r s s t r a f v e r f a h r e n . Das S t r a f v e r f a h r e n in Verkehrssachen unterscheidet sich grundsätzlich von jedem anderen S t r a f v e r f a h r e n . Die oben zitierte Allgemeinbestimmung, daß jeder Teilnehmer im Verkehr sich so verhalten muß, daß er keinen Anderen schädigt, würde das Verkehrsdelikt des Führers eines Fahrzeuges an sich zu einem reinen Erfolgsdelikt stempeln. Denn e contrario m ü ß t e gefolgert werden, daß immer, wenn ein s t r a f b a r e r Erfolg eingetreten ist, der Führer jene Norm übertreten hat. Das ist natürlich nicht der Fall, sondern es t r i t t Straffreiheit ein, wenn die Faktoren, die zu dem s t r a f b a r e n T a t b e s t a n d e geführt haben, ohne Schuld, d. i. ohne Fahrlässigkeit des Führers, wirksam geworden sind. Wenn auch strafprozessual dem Führer nachgewiesen werden muß, daß er fahrlässig gehandelt h a t , so läuft in der Praxis das Verfahren häufig parallel dem Verfahren beim Zivilprozeß in K r a f t f a h r s a c h e n . Der Führer wird nämlich das Bestreben haben, von sich aus nachzuweisen, daß höhere Gewalt oder — wie es in den zivilrechtlichen H a f t p f l i c h t p a r a g r a p h e n des Kraftverkehrsgesetzes heißt — ein unabwendbares Ereignis vorgelegen hat. Dabei ergibt sich die Schwierigkeit, daß die Feststellung der Ursachen allein nicht genügt. Denn an sie •— und schon das stößt auf große Schwierigkeiten — schließt sich die P r ü f u n g , ob die Ursachen fahrlässig herbeigeführt sind oder nicht. Aus den im Absatz „ D a s Wesen der Verkehrspolizei" a u f g e f ü h r t e n Gruppen von Unfallursachen ergibt sich die außerordentliche Vielseitigkeit der vorzunehmenden P r ü f u n g e n . Die Beteiligten werden versuchen, die Schuld auf einander gegenseitig abzuwälzen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung, die bei der E r g r ü n d u n g der Schuldfrage, d. h. der Zurechnung, eine Hauptrolle spielt, geht in ihren Anforderungen

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an die Fahrzeugführer sehr weit. Im Schriftt u m h a t sich der Begriff der Überspannung der Anforderung an die Sorgfaltspflicht des K r a f t f a h r z e u g f ü h r e r s herausgebildet. Das zeigt sich in der Tatsache, daß man in Kreisen der berufsmäßigen u n d sportlich tätigen Fahrzeugführer in vollem U m f a n g von einer übergroßen H ä r t e der R e c h t s p r e c h u n g überzeugt ist. Dieses Urteil kann n a t u r g e m ä ß nicht im Verhalten der Rechtsprechung begründet sein. Es ist vielmehr begründet in der Schwierigkeit der Grenzf i n d u n g zwischen dem subjektiven Verschulden und dem objektiven Vorliegen eines schuldfreien, wohl am besten als technischen T a t b e s t a n d zu bezeichnenden Verursachungsgrundes. Ereignisse, die sich immer in wenigen Sekunden oder noch kürzerer Zeit abgespielt haben, sind im Verf a h r e n zu sezieren und müssen in dicken Aktenbündeln analysiert und in stundenlangen Verhandlungen gewissermaßen im Zeitlupentempo verbreitert werden. Widersprechende Zeugenaussagen und — was bedauerlich ist — widersprechende Meinungen der Sachverständigen sollen dem Richter, der überwiegend nicht sachverständig sein kann, zu einem richtigen Urteil verhelfen. Sie sind leider nur zu häufig geeignet, ihn zu verwirren. Überdenkt m a n diese tatsächlichen Verfahrensschwierigkeiten, so ist es erfreulich, daß die höchsten Gerichte in der Rechtsprechung eine große Anzahl von auslegenden Rechtssätzen bereits geprägt haben. Denn die hier zur Rede stehende Norm angewendet auf die Fahrgeschwindigkeit der K r a f t f a h r zeuge ist ihrem Charakter nach eine Bestimmung, die erst durch die Rechtsprechung Leben und Bedeutung erhalten kann, wie etwa die zivilrechtlichen Bestimmungen über Treu und Glauben oder — was hier nahe liegt — der Allgemeinauftrag der Polizei. Und das verhältnismäßig junge Alter des Verkehrs ist wohl vor allem schuld daran, daß die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung herausgearbeiteten Rechtssätze noch nicht völlig den Erfordernissen des Verkehrs entsprechen können und andererseits noch nicht genügend Eingang in den Kreis der Fahrzeugführer gefunden haben. Denn in die Rechtsfindung hinein schiebt sich ein f ü r die Fahrzeugführer stets ungünstig wirkendes, an sich gerechtes Moment. Das ist das Bestreben, die Gesamttendenz der Verkehrsgesetzgebung im Schutze des seiner N a t u r nach schwachen u n d schutzbedürftigen Fußgängers zu suchen. Die Richtigkeit dieser Tendenz kann ernstlich nicht bestritten werden. Sie darf aber nicht dahin f ü h r e n , den Fußgänger als Unfallfaktor, und zwar als schuldhaften Unfallfaktor, völlig auszuschlie-

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Verkehrspolizei

ßen. Es zeigen sich neuerdings in der R e c h t s p r e c h u n g des Reichsgesetzes A n s ä t z e in dieser R i c h t u n g . E s ist a b e r n i c h t die R e c h t s p r e c h u n g , sondern das G e s e t z , d a s diese Schwierigkeiten hervorruft. Das Biid w i r d nämlich ein völlig a n d e r e s da, wo b e s t i m m t e n Verkehrsm i t t e l n ein besonderer s t r a f r e c h t l i c h e r S c h u t z zur Seite s t e h t . Hier wird die V e r f a h r e n s r i c h t u n g völlig g e ä n d e r t ; g e m e i n t ist der S c h u t z , den die s c h i e n e n g e b u n d e n e n F a h r zeuge auf G r u n d der §§ 315, 316 R S t G B . ( T r a n s p o r t g e f ä h r d u n g ) genießen. Kriminologisch gesehen b e d e u t e t das, d a ß nicht m e h r n u r der T ä t e r s t r a f b a r ist, der einen s t r a f b a r e n E r f o l g h e r b e i g e f ü h r t h a t , sondern es g e n ü g t die b e g r ü n d e t e B e s o r g n i s , d a ß der b e s t i m m u n g s m ä ß i g e G e b r a u c h der B a h n einen S c h a d e n erleidet. A u c h hier ist n a c h § 316 Fahrlässigkeit s t r a f b a r . Eine ganze Anzahl v o n T ä t e r n , die in A n s e h u n g der Gef ä h r d u n g a n d e r e r als E i s e n b a h n t r a n s p o r t e straflos ausgehen, m a c h e n sich hier s t r a f b a r . D a d u r c h e r h ä l t diese B e s t i m m u n g eine m e h r p r ä v e n t i v e W i r k u n g als die auf Verkehrsdelikte a n g e w e n d e t e n verkehrspolizeilichen N o r m e n , die h ä u f i g im S t r a f p r o z e ß ein besonderes Gewicht e r h a l t e n , w e n n mit ihrer Verletzung ein weiterer s t r a f b a r e r Erfolg, n ä m l i c h fahrlässige K ö r p e r v e r l e t z u n g oder fahrlässige T ö t u n g , eingetreten ist. Wohl aus diesem G r u n d e sind B e s t r e b u n g e n im Gange, die s t r a f r e c h t l i c h e n B e s t i m m u n g e n ü b e r T r a n s p o r t g e f ä h r d u n g a u c h auf a n d e r e T r a n s p o r t e , also K r a f t w a g e n u n d gegebenenfalls F u h r w e r k e , a u s z u d e h n e n .

der v o n L u b r i c h im A u f t r a g e des P s y c h o logischen I n s t i t u t s der U n i v e r s i t ä t Gött i n g e n beim P o l i z e i i n s t i t u t f ü r T e c h n i k u n d Verkehr, Berlin, d u r c h g e f ü h r t e n Versuche stellte sich h e r a u s , d a ß der R e a k t i o n s z e i t eine besondere B e d e u t u n g z u k o m m t . Die R e a k t i o n s z e i t ist die individuelle F ä h i g k e i t , einen E n t s c h l u ß zu fassen u n d ihn in die T a t u m z u s e t z e n . Auf die U n t e r s u c h u n g e n im V e r k e h r s p r o z e ß ü b e r t r a g e n also z. B. die F ä h i g k e i t , den E n t s c h l u ß z u m B r e m s e n zu fassen u n d die B r e m s e n zu betätigen. Diesem V o r g a n g ist die eigentliche Schrecks e k u n d e (Schreckzeit) v o r g e s c h a l t e t , w ä h r e n d der eben die E n t s c h l u ß k r a f t ausges c h a l t e t ist. Der Schreckzeit geht wiederu m eine s u b j e k t i v verschieden lange Zeit v o r a u s , nämlich die F ä h i g k e i t , m i t d e m A u g e ein Ereignis zu erfassen, das Bild gedanklich zu v e r a r b e i t e n u n d n u n erst einen E n t s c h l u ß zu fassen. E s ist klar, d a ß der Schreck e n t s t e h t d u r c h die g e d a n k l i c h e E r f a s s u n g des s u b j e k t i v gefährlich u n d d a m i t s c h r e c k h a f t w i r k e n d e n Bildes. Der Vollständigkeit h a l b e r m u ß h i n z u g e f ü g t werden, d a ß sich den v o r s t e h e n d geschilderten P h a s e n noch eine rein t e c h n i s c h e P h a s e anschließt, n ä m l i c h die Zeit v o m Einsetzen der B r e m s w i r k u n g bis z u m Stillstand des F a h r z e u g e s ( B r e m s w e g ) . Das E r g e b n i s dieser U n t e r s u c h u n g e n ist schwerwiegend f ü r die R e c h t s f i n d u n g . Es zeigt sich, d a ß im einzelnen Fall zahlreiche schwer differenzierbare M o m e n t e g e w ü r d i g t w e r d e n m ü s s e n . Man m u ß feststellen, d a ß der V e r k e h r s s t r a f p r o z e ß erst in den A n f ä n g e n einer noch n i c h t ü b e r s e h b a r e n E n t w i c k l u n g s t e c k t , bei der sich das kriminologische P r o blem in einer deutlich s i c h t b a r e n K o n k u r r e n z z u m physio-psychologischen P r o b l e m befindet. So spielt d e n n z u r Zeit der v e r k e h r s polizeiliche G e s i c h t s p u n k t im V e r k e h r s s t r a f prozeß als A u s k u n f t s - u n d Aushilfsmittel eine erhebliche Rolle. Bieten doch die k o n k r e t e n Regeln, die E i g e n t ä t i g k e i t u n d Gesetz der O b h u t der Verkehrspolizei a n v e r t r a u e n , die einzigen b e w e i s b a r e n A n h a l t s p u n k t e f ü r die S c h u l d h a f t i g k e i t , die als Glieder der K a u s a l k e t t e v e r w e r t b a r sind. D a m i t h a t die Verkehrspolizei, ihr A u f g a b e n k r e i s u n d ihr inneres Wesen f ü r die A b u r t e i l u n g v o n Verk e h r s d e l i k t e n eine e n t s c h e i d e n d e k r i m i n o logische B e d e u t u n g .

Im E n t l a s t u n g s b e w e i s spielt die sogenannte „ S c h r e c k s e k u n d e " eine zun e h m e n d e Rolle. W ä h r e n d der W i r k s a m k e i t dieser S c h r e c k s e k u n d e w i r d d e m T ä t e r der S c h u t z des § 51 R S t G B . zugebilligt. Ü b e r die S c h r e c k s e k u n d e b e s t e h t eine nicht u m fangreiche Literatur. Hier wird die Bez e i c h n u n g S c h r e c k s e k u n d e insofern als irref ü h r e n d hingestellt, als die D a u e r der Schreckzeit verschieden ist. J e n a c h der V e r a n l a g u n g des T ä t e r s ist nämlich der Z e i t r a u m , w ä h r e n d d e m er in seiner freien W i l l e n s b e s t i m m u n g b e e i n t r ä c h t i g t wird, verschieden. Das objektive Längenmaß der Schrecksekunde richtet sich also n a c h den s u b j e k t i v e n Merkm a l e n der E i g e n s c h a f t e n der v o m Schrecken in ihrer H a n d l u n g s f ä h i g k e i t g e l ä h m t e n Person. L u b r i c h v e r ö f f e n t l i c h t in seinen „ E x Schrifttum: perimentellen U n t e r s u c h u n g e n z u m P r o b l e m der s o g e n a n n t e n S c h r e c k s e k u n d e " ( A r c h i v M ü l l e r , S t r a ß e n v e r k e h r s r e c h t , K o m m e n t a r , Berlin 1935. — E r a s - B ö s l i n g , Reichsf ü r die g e s a m t e Psychologie, B d . 84, A k a g a r a g e n o r d n u n g , K o m m e n t a r , Berlin 1932. demische Verlagsgesellschaft Leipzig, 1932) — V o l k m a n n , K o m m e n t a r , Berlin 1932. h i e r ü b e r Versuchszahlen. E r u n t e r s c h e i d e t — — K. V o l k m a n n , Die S t r a ß e n v e r wie auch die übrige L i t e r a t u r — zwischen der k e h r s o r d n u n g e n n e b s t den einschlägigen Schreckzeit u n d der R e a k t i o n s z e i t . W ä h r e n d Nebenbestimmungen, Berlin 1929. —

Verkehrspolizei — Vermißte und u n b e k a n n t e Tote P a e t s c h - L a n g e n s c h e i d t , Vorschriften über Verkehrseinrichtungen, Berlin 1930. — G i e s e - P a e t s c h , Polizei und Verkehr, Berlin 1926. Kleinschmidt-Schickerl i n g , Der Verkehrsunfall, Berlin 1930. Z e i t s c h r i f t e n : Verkehrstechnik, Zbl. f. d. ges. Landverk. und S t r a ß e n b a u , 52 Hefte, Berlin. — Verkehrswarte, Organ der Deutschen Verkehrswacht, E. V., Berlin. — Verkehrsrechtliche Rundschau, BerlinSchöneberg. — Das Recht des K r a f t f a h r e r s , Berlin. — Die Polizei, Berlin. Ü b e r die S c h r e c k s e k u n d e : Lubrich, Experimentelle Untersuchungen zum Problem der sogenannten Schrecksekunde. Arch. f. d. ges. Psychologie, Bd. 84, Leipzig 1932. — T r a m m , Die Bedeutung der Reaktionszeit, Industrielle Psychotechnik 1929, H e f t 10. — Prof. Dr. K a r l M a r b e , Die gerichtspsychologische B e g u t a c h t u n g von Autounfällen, Leipzig 1932. Gustav Langenscheidt.

V e r l e u m d u n g s. Lüge und P a t h o logisches Lügen.

Vermißte und unbekannte Tote. Die beiden Materien „ V e r m i ß t e " und „ u n b e k a n n t e T o t e " sind u n t r e n n b a r mit einander v e r b u n d e n , denn erfahrungsgemäß sind immer eine gewisse Anzahl Vermißter u n t e r den u n b e k a n n t e n Toten und auch umgekehrt zu finden. 1. V e r m i ß t e . Der Begriff „ v e r m i ß t " ist keineswegs mit „ v e r s c h w u n d e n " gleichzusetzen. Ein Verschwundener braucht durchaus noch nicht im amtlichen Sinne als „ v e r m i ß t " zu betrachten sein; so würde j e m a n d , der nach Begehung einer s t r a f b a r e n H a n d l u n g verschwunden ist, zunächst n i c h t als „ v e r m i ß t " , sondern als „flüchtiger Rechtsbrecher" anzusprechen sein. H a t er dagegen Selbstmordabsichten schriftlich oder mündlich geäußert, so ist seine Behandlung als „ V e r m i ß t e r " schon aus dem Grunde geboten, als er vielleicht unter den „ u n b e k a n n t e n T o t e n " zu finden wäre. Auch die Personen, die aus zivilrechtlichen Gründen verschwinden und sich deshalb absichtlich verborgen halten (Entziehung der Unterhaltspflicht usw.), sind nicht „ V e r m i ß t e " , es sei denn, daß sie den Freitod suchen wollen. Im allgemeinen gelten folgende Personen im amtlichen Sinne als v e r m i ß t : Diejenigen, deren Verschwinden die Ann a h m e begründet, daß eine a n ihnen begangene S t r a f t a t , ein Unfall, eine plötzHand-wörterbuch der Kriminologie.

Bd. II.

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lieh eingetretene Hilflosigkeit oder ein selbstgewählter Tod als Ursache des Verschwindens in Frage k o m m e n ; diejenigen, deren A u f e n t h a l t s o r t auf Grund gesetzlicher Befugnisse durch andere Personen bestimmt wird, sofern sie sich ohne Erlaubnis und ohne Wissen ihres gesetzlichen Vertreters aus der ihnen zugewiesenen W o h n u n g entfernt haben und ihr Verbleib nicht bekannt ist; diejenigen, die nachweislich durch Unglücksfall oder Selbstmord in Gebirgen, Gewässern, Waldungen usw. umgekommen, deren Leichen aber nicht zu finden sind. Ausgehend von dem S t a n d p u n k t e , daß diejenigen, die nach den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches „ g e s c h ä f t s f ä h i g " sind, selbst ihren A u f e n t h a l t bestimmen dürfen, sind Vermißte im allgemeinen lediglich zu e r m i t t e l n . Ausnahmen bilden a) die Minderjährigen und b) die e n t m ü n d i g t e n Volljährigen (vgl. §§ 1626 u. 1896 BGB.). Da bei beiden Arten derjenige, der die elterliche Gewalt ausübt, den A u f e n t h a l t zu bestimmen h a t , müssen oder können diese Vermißte nach E r m i t t l u n g in polizeiliche Verw a h r u n g genommen werden. Dieselbe Maßn a h m e kann bei den Verschwundenen get r o f f e n werden, welche die ernste Absicht haben, Selbstmord zu verüben (§§ 14, 15 des Polizeiverwaltungsgesetzes v o m 1. VI. 1931). Die Bearbeitung der Vermißten- und der Leichensachen u n b e k a n n t e r Personen ist insonderheit durch den E r l a ß des preußischen Ministers des Innern v o m 27. X. 1925 — MinBl. vom 4. X I . 1925, Nr. 47, S. 1154ff. — geregelt. Zuständig f ü r die Bearbeitung der Vermißtensachen ist die Ortspolizeibehörde, aus deren Bereich der Vermißte verschwunden ist. Sie ergreift sofort diejenigen Maßnahmen, welche zur E r m i t t l u n g der vermißten Person f ü h r e n könnten und je nach Lage des Falles ganz verschieden sind. Die A u f n a h m e der Vermißtenanzeige geschieht auf einem bestimmten Vordruck (LKP- 2); genaue B e a n t w o r t u n g sämtlicher in der Anzeige enthaltenen Fragen ist unerläßlich. Insbesondere muß die Beschreibung der Person und der Kleidungsstücke so genau sein, daß ein Wiedererkennen des Vermißten, selbst wenn er als Leiche gefunden wird, ohne weiteres möglich ist. Der aufnehmende Bea m t e wird sich hierbei nicht lediglich auf Entgegennahme der von dem Anzeigenden gegebenen vielfach mangelhaften Beschreibung beschränken, sondern diese durch Nachfrage bei geeigneten Auskunftspersonen ergänzen. 59

Verkehrspolizei — Vermißte und u n b e k a n n t e Tote P a e t s c h - L a n g e n s c h e i d t , Vorschriften über Verkehrseinrichtungen, Berlin 1930. — G i e s e - P a e t s c h , Polizei und Verkehr, Berlin 1926. Kleinschmidt-Schickerl i n g , Der Verkehrsunfall, Berlin 1930. Z e i t s c h r i f t e n : Verkehrstechnik, Zbl. f. d. ges. Landverk. und S t r a ß e n b a u , 52 Hefte, Berlin. — Verkehrswarte, Organ der Deutschen Verkehrswacht, E. V., Berlin. — Verkehrsrechtliche Rundschau, BerlinSchöneberg. — Das Recht des K r a f t f a h r e r s , Berlin. — Die Polizei, Berlin. Ü b e r die S c h r e c k s e k u n d e : Lubrich, Experimentelle Untersuchungen zum Problem der sogenannten Schrecksekunde. Arch. f. d. ges. Psychologie, Bd. 84, Leipzig 1932. — T r a m m , Die Bedeutung der Reaktionszeit, Industrielle Psychotechnik 1929, H e f t 10. — Prof. Dr. K a r l M a r b e , Die gerichtspsychologische B e g u t a c h t u n g von Autounfällen, Leipzig 1932. Gustav Langenscheidt.

V e r l e u m d u n g s. Lüge und P a t h o logisches Lügen.

Vermißte und unbekannte Tote. Die beiden Materien „ V e r m i ß t e " und „ u n b e k a n n t e T o t e " sind u n t r e n n b a r mit einander v e r b u n d e n , denn erfahrungsgemäß sind immer eine gewisse Anzahl Vermißter u n t e r den u n b e k a n n t e n Toten und auch umgekehrt zu finden. 1. V e r m i ß t e . Der Begriff „ v e r m i ß t " ist keineswegs mit „ v e r s c h w u n d e n " gleichzusetzen. Ein Verschwundener braucht durchaus noch nicht im amtlichen Sinne als „ v e r m i ß t " zu betrachten sein; so würde j e m a n d , der nach Begehung einer s t r a f b a r e n H a n d l u n g verschwunden ist, zunächst n i c h t als „ v e r m i ß t " , sondern als „flüchtiger Rechtsbrecher" anzusprechen sein. H a t er dagegen Selbstmordabsichten schriftlich oder mündlich geäußert, so ist seine Behandlung als „ V e r m i ß t e r " schon aus dem Grunde geboten, als er vielleicht unter den „ u n b e k a n n t e n T o t e n " zu finden wäre. Auch die Personen, die aus zivilrechtlichen Gründen verschwinden und sich deshalb absichtlich verborgen halten (Entziehung der Unterhaltspflicht usw.), sind nicht „ V e r m i ß t e " , es sei denn, daß sie den Freitod suchen wollen. Im allgemeinen gelten folgende Personen im amtlichen Sinne als v e r m i ß t : Diejenigen, deren Verschwinden die Ann a h m e begründet, daß eine a n ihnen begangene S t r a f t a t , ein Unfall, eine plötzHand-wörterbuch der Kriminologie.

Bd. II.

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lieh eingetretene Hilflosigkeit oder ein selbstgewählter Tod als Ursache des Verschwindens in Frage k o m m e n ; diejenigen, deren A u f e n t h a l t s o r t auf Grund gesetzlicher Befugnisse durch andere Personen bestimmt wird, sofern sie sich ohne Erlaubnis und ohne Wissen ihres gesetzlichen Vertreters aus der ihnen zugewiesenen W o h n u n g entfernt haben und ihr Verbleib nicht bekannt ist; diejenigen, die nachweislich durch Unglücksfall oder Selbstmord in Gebirgen, Gewässern, Waldungen usw. umgekommen, deren Leichen aber nicht zu finden sind. Ausgehend von dem S t a n d p u n k t e , daß diejenigen, die nach den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches „ g e s c h ä f t s f ä h i g " sind, selbst ihren A u f e n t h a l t bestimmen dürfen, sind Vermißte im allgemeinen lediglich zu e r m i t t e l n . Ausnahmen bilden a) die Minderjährigen und b) die e n t m ü n d i g t e n Volljährigen (vgl. §§ 1626 u. 1896 BGB.). Da bei beiden Arten derjenige, der die elterliche Gewalt ausübt, den A u f e n t h a l t zu bestimmen h a t , müssen oder können diese Vermißte nach E r m i t t l u n g in polizeiliche Verw a h r u n g genommen werden. Dieselbe Maßn a h m e kann bei den Verschwundenen get r o f f e n werden, welche die ernste Absicht haben, Selbstmord zu verüben (§§ 14, 15 des Polizeiverwaltungsgesetzes v o m 1. VI. 1931). Die Bearbeitung der Vermißten- und der Leichensachen u n b e k a n n t e r Personen ist insonderheit durch den E r l a ß des preußischen Ministers des Innern v o m 27. X. 1925 — MinBl. vom 4. X I . 1925, Nr. 47, S. 1154ff. — geregelt. Zuständig f ü r die Bearbeitung der Vermißtensachen ist die Ortspolizeibehörde, aus deren Bereich der Vermißte verschwunden ist. Sie ergreift sofort diejenigen Maßnahmen, welche zur E r m i t t l u n g der vermißten Person f ü h r e n könnten und je nach Lage des Falles ganz verschieden sind. Die A u f n a h m e der Vermißtenanzeige geschieht auf einem bestimmten Vordruck (LKP- 2); genaue B e a n t w o r t u n g sämtlicher in der Anzeige enthaltenen Fragen ist unerläßlich. Insbesondere muß die Beschreibung der Person und der Kleidungsstücke so genau sein, daß ein Wiedererkennen des Vermißten, selbst wenn er als Leiche gefunden wird, ohne weiteres möglich ist. Der aufnehmende Bea m t e wird sich hierbei nicht lediglich auf Entgegennahme der von dem Anzeigenden gegebenen vielfach mangelhaften Beschreibung beschränken, sondern diese durch Nachfrage bei geeigneten Auskunftspersonen ergänzen. 59

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Vermißte und u n b e k a n n t e Tote

Die Ermittlungen nach dem Verbleib der v e r m i ß t e n Person werden in zweierlei Richt u n g e n hin vorgenommen, und zwar im bürotechnischen Sinne (durch Notierungen, Ausschreiben, Polizeifunksprüche usw.) und im kriminalpolizeilichen Sinne (durch Vornahme von Nachfragen bei Verwandten, Bekannten, in Berufs-, Vereins- und Parteikreisen, in bes t i m m t e n Lokalen, Pensionaten, Asyjen, Herbergen u. a.). Ergibt sich im Laufe der Ermittlungen ein begründeter Verdacht, daß die verschwundene Person etwa das Opfer eines Verbrechens geworden sein könnte, benachrichtigt die Ortspolizeibehörde sofort sowohl die in Frage kommende Landeskriminalpolizeistelle als die zuständige Staatsanwalts c h a f t durch Übersendung einer entsprechenden Anzeige. Die Weiterbearbeitung der Angelegenheit erfolgt dann nicht mehr vom Gesichtspunkte des Vermißtseins, sondern von dem des Verbrechens aus. Die Vermißtenanzeige (Formular L K P . 2) verbleibt grundsätzlich bei der f ü r die Bearbeitung zuständigen Ortspolizeibehörde. Sind die örtlichen E r m i t t l u n g e n ergebnislos geblieben, macht die Ortspolizeibehörde — spätestens nach Ablauf einer Woche •— eine entsprechende Mitteilung an die zuständige Landeskriminalpolizeisteile in Form eines Auszuges aus der Anzeige (Vordruck L K P . 3). Diese leitet das Formular der zuständigen Nachrichtensammelstelle zu, welche an H a n d einer von ihr innerhalb ihres Bezirks zu f ü h r e n d e n Kartei der „ u n b e k a n n t e n Leichen" feststellt, ob der Vermißte etwa schon als „ u n b e k a n n t e Leiche" gemeldet ist. Bejahendenfalls v e r a n l a ß t sie sofort im Einvernehmen mit der f ü r die A u f f i n d u n g der Leiche zuständigen Behörde das Notwendige, wobei in erster Linie die Angehörigen ermittelt und benachrichtigt werden. Verneinendenfalls legt die Nachrichtensammelstelle eine Verm i ß t e n k a r t e (Vordruck L K P . 5) an, die der von ihr zu f ü h r e n d e n Vermißtenkartei einverleibt wird, und übersendet den erwähnten Vordruck L K P . 3 n u n m e h r der dem Preußischen Landeskriminalamt unterstehenden Landeszentrale f ü r Vermißte und u n b e k a n n t e Tote in Berlin, welche auf diese Art von s ä m t lichen preußischen Ortspolizeibehörden ihr Material erhält. Ihr Wirkungskreis ist aber nicht lediglich auf Preußen beschränkt, sondern sie b e f a ß t sich auch mit der Bearbeitung der in Frage kommenden Materien nicht n u r v o n ganz Deutschland, sondern auch der anderen europäischen und sogar überseeischen Länder. Bei der Landeszentrale werden, abgesehen von ihrer sonstigen Tätigkeit, verschiedene Karteien, insbesondere die Vermißtenkartei und die Kartei der u n b e k a n n t e n Toten ge-

f ü h r t . Von jeder v e r m i ß t gemeldeten Person wird nach erfolglosem Vergleich mit der Kartei der u n b e k a n n t e n Toten eine Verm i ß t e n k a r t e (Vordruck L K P . 5) — gelb — und von jeder Leiche einer u n b e k a n n t e n Person nach negativer Vergleichsarbeit mit der Vermißtenkartei eine Leichenkarte (Vordruck L K P . 5) — grün — angelegt, die den betreffenden Karteien einverleibt werden. Als erledigt wird eine Vermißtensache grundsätzlich erst dann betrachtet, wenn die betreffende Person tatsächlich entweder lebend oder t o t — ohne Rücksicht auf die Länge der Zeit — ermittelt worden ist. Nach Erledigung werden die Vermißtenkarten sowohl bei den Nachrichtensammelstellen als bei der Landeszentrale e n t n o m m e n und sämtliche v e r a n l a ß t e n F a h n d u n g s m a ß n a h m e n zurückgezogen. 2. U n b e k a n n t e T o t e . Bei A u f f i n d u n g eines u n b e k a n n t e n Toten wird in erster Linie festgestellt, ob etwa fremdes Verschulden a m Tode vorliegen kann. Bejahendenfalls wird sofort die zuständige Mordkommission in Anspruch genommen, die die weitere Bearbeit u n g der Angelegenheit ü b e r n i m m t . Im Verneinungsfalle werden umgehend die zuständige S t a a t s a n w a l t s c h a f t benachrichtigt und die zur Feststellung der Persönlichkeit n o t wendigen Maßnahmen getroffen, zu denen außer einer eingehenden Durchsuchung der Kleider usw. u. a. Lichtbildaufnahmen, Fertigung von Fingerabdrücken, Anlegung v o n sogenannten Kleiderkarten und häufig auch Ausschreiben gehören. Zuständig f ü r die Bearbeitung ist die Ortspolizeibehörde des Auffindungsortes, die über die A u f f i n d u n g der Leiche einen eingehenden Bericht auf einem bestimmten Vordruck ( L K P . 8) e r s t a t t e t , der bei der Ortspolizeibehörde bleibt. Falls sich die Persönlichkeit der Leiche nicht feststellen läßt, sendet die Ortspolizeibehörde genau wie bei den Vermißtensachen einen Auszug (Vordruck L K P . 3 der zuständigen Landeskriminalpolizeisteile ein, die diesen der zuständigen Nachrichtensammelstelle weiterleitet. An H a n d der genauen Beschreibung der Leiche und der Kleider stellt die Nachrichtensammelstelle jetzt durch Vergleich mit den Vermißtenkarten fest, ob es sich bezüglich der Leiche etwa um die eines Vermißten handelt. Im Bejahungsfalle erfolgt sofort die Verständigung der f ü r das Verschwinden zuständigen Ortspolizeibehörde. Verneinendenfalls wird eine Leichenkarte angelegt und diese der Leichenkartei einverleibt. Gleichzeitig wird das Formular L K P . 3 — wie bei den Vermißtenangelegenheiten — der Landeszentrale in Berlin eingereicht. Hier erfolgt n u n der Vergleich mit ihrer Vermißtenkartei und die

Vermißte und unbekannte Tote — Vermittlungsschwindel weitere Handhabung so, wie schon unter „ V e r m i ß t e " erwähnt. Nach einwandfreier Feststellung des Toten werden die Leichenkarten sowohl bei der Nachrichtensammelstelle als bei der Landeszentrale entnommen und sämtliche zur Ermittlung der Persönlichkeit getroffenen Maßnahmen zurückgezogen. Hans Bender.

Vermittlungsschwindel. Vermittlungsschwindel ist ein übliches Kennwort f ü r betrügerische Handlungen geworden, die im Zusammenhang mit den verschiedenartigsten Vermittlungen auf dem Gebiete des Handels begangen werden. So wie im Handel, anders als bei der produktiven W i r t s c h a f t , besonders häufig die unlautere Ausnutzung der Volksgenossen erfolgt, da beim Handel hierzu erleichterte Voraussetzungen bestehen, so ist auf dem Gebiete des Handels bei allen Vermittlungsgeschäften wiederum die Möglichkeit zu unlauteren Geschäften besonders groß und wird in einem auffälligen Maße ausgenutzt. Deshalb besteht gegen alle Vermittlungsgeschäfte in weitesten Kreisen der Bevölkerung von vorn herein großes Mißtrauen und f ü r die s t r a f würdigen Handlungen hat sich der Begriff Vermittlungsschwindel eingebürgert. 1. Unter den Vermittlungsgeschäften gibt es eine ganze Reihe von typischen Geschäften, bei denen immer wieder schwindelhafte Handlungen versucht werden. Am markantesten ist der Heiratsvermittlungsschwindel (vgl. den Art. 1, 661). Bei ihm handelt es sich vor allem darum, daß bei der Vermittlung von Ehen seitens der Vermittler ohne Leistung nur die vorauszuzahlende Provision erstrebt wird. Nach dieser Zahlung wird dann in der Regel eine weitere Tätigkeit überhaupt eingestellt oder es werden zwecklose Verbindungen hergestellt, deren Aussichtslosigkeit den Vermittlern von vorn herein bekannt ist. Damit ist zugleich das Kennzeichnende f ü r den gesamten Vermittlungsschwindel aufgezeigt, nämlich das Erstreben einer Provision ohne eine ernstliche und aussichtsreiche vermittelnde Tätigkeit der Vermittler. Während bei einem sachlich arbeitenden Vermittler hinreichende Beziehungen bestehen, um einem suchenden Volksgenossen die gewünschten wirtschaftlichen Beziehungen oder Leistungen zu vermitteln, sind bei dem unreell arbeitenden Vermittler derartige Verbindungen überhaupt nicht vorhanden und er arbeitet unter Vorspiegelung derselben, lediglich damit der Suchende unter gutgläubiger Annahme der

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Richtigkeit solcher Vorspiegelungen die von dem Vermittler geforderten Zahlungen an voraussichtlichen Kosten, an Provisionsvorschüssen, u. dgl. leistet. Beim Heiratsschwindel ist die vorherige Zahlung noch damit begründet, daß an sich die Forderung als unsittlich nicht einklagbar ist und deshalb der Vermittelnde scheinbar zu seiner eigenen Sicherheit Vorauszahlung verlangen kann. In allen anderen Fällen dagegen ist die vorherige Zahlungsforderung meist schon ein bedenkliches Zeichen f ü r das ehrliche Wollen des Vermittlers. 2. In gleicher Weise wie beim Heiratsvermittlungsschwindel ist auch bei dem nächstgroßen Gebiete des Vermittlungsschwindels, dem Darlehns-, Hypotheken- und Kreditvermittlungsschwindel, die Erzielung von Vermittlungsgeldern ohne erforderliche Leistung das Wesentliche. Unendlich groß ist die Zahl der Kreditsuchenden, denn f ü r die mannigfachsten Zwecke des Wirtschaftslebens werden Geldmittel gebraucht, sei es als bares Darlehen, sei es als Hypothek. Der Kreis der Geldsucher ist dabei ganz verschiedenartig zusammengesetzt und u m f a ß t alle Kreise des Volkes. Es ist nun selbstverständlich, daß große Wirtschaftsunternehmungen oder wirtschaftlich sehr gesicherte oder beziehungsreiche Personen niemals Geldvermittler in Anspruch zu nehmen brauchen, da sie unmittelbar an die Geldgeber, insbesondere die Bankinstitute, herantreten können. Anders allerdings bei den wirtschaftlich schwächer gestellten Volksgenossen, die f ü r ein kleines Besitztum eine zweite oder drittrangige Hypothek brauchen oder die f ü r die Ausstattung der Tochter, die Ausbildung des Sohnes oder etwaige Lebensbedürfnisse Geld benötigen oder die sich eine größere Anschaffung machen wollen, deren Kosten ihre laufenden Einnahmen übersteigen, sie alle wenden sich in vielen Fällen an Vermittler. Teils treten sie direkt an Vermittler heran, teils melden sich diese auf Anzeigen in Zeitungen. Hier beginnt dann regelmäßig der Leidensweg all derer, die einem unreellen Vermittler in die Hand fallen. Die Geldbesorgung wird als eine Kleinigkeit bezeichnet, es werden Listen vorgelegt, nach denen der Vermittler zahlreichen Volksgenossen bereits Geldgeber vermittelt hat, die sich bei näherem Nachprüfen allerdings als fingiert oder übertrieben herausstellen, und schließlich wird eine Bearbeitungsgebühr als Vorauszahlung verlangt. Diese wird damit begründet, daß eine Bearbeitung der Unterlagen erfolgen müsse, Korrespondenz zu führen sei, u. dgl. m. Als erstes legt also der Geldsuchende einmal Geld auf den Tisch des Vermittlers. Ein Vorschlag

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Vermißte und unbekannte Tote — Vermittlungsschwindel weitere Handhabung so, wie schon unter „ V e r m i ß t e " erwähnt. Nach einwandfreier Feststellung des Toten werden die Leichenkarten sowohl bei der Nachrichtensammelstelle als bei der Landeszentrale entnommen und sämtliche zur Ermittlung der Persönlichkeit getroffenen Maßnahmen zurückgezogen. Hans Bender.

Vermittlungsschwindel. Vermittlungsschwindel ist ein übliches Kennwort f ü r betrügerische Handlungen geworden, die im Zusammenhang mit den verschiedenartigsten Vermittlungen auf dem Gebiete des Handels begangen werden. So wie im Handel, anders als bei der produktiven W i r t s c h a f t , besonders häufig die unlautere Ausnutzung der Volksgenossen erfolgt, da beim Handel hierzu erleichterte Voraussetzungen bestehen, so ist auf dem Gebiete des Handels bei allen Vermittlungsgeschäften wiederum die Möglichkeit zu unlauteren Geschäften besonders groß und wird in einem auffälligen Maße ausgenutzt. Deshalb besteht gegen alle Vermittlungsgeschäfte in weitesten Kreisen der Bevölkerung von vorn herein großes Mißtrauen und f ü r die s t r a f würdigen Handlungen hat sich der Begriff Vermittlungsschwindel eingebürgert. 1. Unter den Vermittlungsgeschäften gibt es eine ganze Reihe von typischen Geschäften, bei denen immer wieder schwindelhafte Handlungen versucht werden. Am markantesten ist der Heiratsvermittlungsschwindel (vgl. den Art. 1, 661). Bei ihm handelt es sich vor allem darum, daß bei der Vermittlung von Ehen seitens der Vermittler ohne Leistung nur die vorauszuzahlende Provision erstrebt wird. Nach dieser Zahlung wird dann in der Regel eine weitere Tätigkeit überhaupt eingestellt oder es werden zwecklose Verbindungen hergestellt, deren Aussichtslosigkeit den Vermittlern von vorn herein bekannt ist. Damit ist zugleich das Kennzeichnende f ü r den gesamten Vermittlungsschwindel aufgezeigt, nämlich das Erstreben einer Provision ohne eine ernstliche und aussichtsreiche vermittelnde Tätigkeit der Vermittler. Während bei einem sachlich arbeitenden Vermittler hinreichende Beziehungen bestehen, um einem suchenden Volksgenossen die gewünschten wirtschaftlichen Beziehungen oder Leistungen zu vermitteln, sind bei dem unreell arbeitenden Vermittler derartige Verbindungen überhaupt nicht vorhanden und er arbeitet unter Vorspiegelung derselben, lediglich damit der Suchende unter gutgläubiger Annahme der

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Richtigkeit solcher Vorspiegelungen die von dem Vermittler geforderten Zahlungen an voraussichtlichen Kosten, an Provisionsvorschüssen, u. dgl. leistet. Beim Heiratsschwindel ist die vorherige Zahlung noch damit begründet, daß an sich die Forderung als unsittlich nicht einklagbar ist und deshalb der Vermittelnde scheinbar zu seiner eigenen Sicherheit Vorauszahlung verlangen kann. In allen anderen Fällen dagegen ist die vorherige Zahlungsforderung meist schon ein bedenkliches Zeichen f ü r das ehrliche Wollen des Vermittlers. 2. In gleicher Weise wie beim Heiratsvermittlungsschwindel ist auch bei dem nächstgroßen Gebiete des Vermittlungsschwindels, dem Darlehns-, Hypotheken- und Kreditvermittlungsschwindel, die Erzielung von Vermittlungsgeldern ohne erforderliche Leistung das Wesentliche. Unendlich groß ist die Zahl der Kreditsuchenden, denn f ü r die mannigfachsten Zwecke des Wirtschaftslebens werden Geldmittel gebraucht, sei es als bares Darlehen, sei es als Hypothek. Der Kreis der Geldsucher ist dabei ganz verschiedenartig zusammengesetzt und u m f a ß t alle Kreise des Volkes. Es ist nun selbstverständlich, daß große Wirtschaftsunternehmungen oder wirtschaftlich sehr gesicherte oder beziehungsreiche Personen niemals Geldvermittler in Anspruch zu nehmen brauchen, da sie unmittelbar an die Geldgeber, insbesondere die Bankinstitute, herantreten können. Anders allerdings bei den wirtschaftlich schwächer gestellten Volksgenossen, die f ü r ein kleines Besitztum eine zweite oder drittrangige Hypothek brauchen oder die f ü r die Ausstattung der Tochter, die Ausbildung des Sohnes oder etwaige Lebensbedürfnisse Geld benötigen oder die sich eine größere Anschaffung machen wollen, deren Kosten ihre laufenden Einnahmen übersteigen, sie alle wenden sich in vielen Fällen an Vermittler. Teils treten sie direkt an Vermittler heran, teils melden sich diese auf Anzeigen in Zeitungen. Hier beginnt dann regelmäßig der Leidensweg all derer, die einem unreellen Vermittler in die Hand fallen. Die Geldbesorgung wird als eine Kleinigkeit bezeichnet, es werden Listen vorgelegt, nach denen der Vermittler zahlreichen Volksgenossen bereits Geldgeber vermittelt hat, die sich bei näherem Nachprüfen allerdings als fingiert oder übertrieben herausstellen, und schließlich wird eine Bearbeitungsgebühr als Vorauszahlung verlangt. Diese wird damit begründet, daß eine Bearbeitung der Unterlagen erfolgen müsse, Korrespondenz zu führen sei, u. dgl. m. Als erstes legt also der Geldsuchende einmal Geld auf den Tisch des Vermittlers. Ein Vorschlag

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Vermittlungsschwindel

des Geldsuchenden, die Gebühren und Provision doch von dem später v e r m i t t e l t e n Gelde abzuziehen, wird in all diesen Fällen regelmäßig zurückgewiesen, da der unreelle Vermittler ja v o n vorn herein gar nicht ernsth a f t an die Geldvermittlung denkt. Häufig verlangt der Vermittler über diese Vorauszahlung hinaus noch die Unterschrift unter einen Vermittlungsschein, der von dem Geldsuchenden zumeist nicht durchgelesen wird, in dem dieser sich aber noch zu weiteren Leistungen verpflichtet, die regelmäßig f ü r anderweite, freilich erfolglose Vermittlungst ä t i g k e i t e n vor der Geldgabe fällig werden. Die Tätigkeit üben solche Vermittler danach in der Weise aus, daß sie dem Geldsuchenden entweder eine Anzahl von Geldgebern nennen, die bei näherem Zusehen gar kein Geld zu vergeben haben oder aus einer Zeitung e n t n o m m e n sind, aus der der Geldsuchende diesen Geldgeber ebenso gut selbst h ä t t e finden können, oder die selbst wiederum nur Vermittler, aber nicht Geldgeber sind. In letzterem Falle beginnt dann ein neues betrügerisches Geschäft gegenüber dem Geldsuchenden, indem auch der neue Vermittler zunächst Vorschußzahlungen verlangt, ehe er t ä t i g wird, ohne aber im Ergebnis irgend eine Beziehung herzustellen. Nur allzu häufig stehen diese verschiedenen Vermittler in einem betrügerischen Zusammenhange und haben von vorn herein vor, das Opfer, das in ihre Netze gegangen ist, durch Hin- und Herschicken gemeinsam um sein Geld zu bringen. Vielfach besteht die Tätigkeit des Vermittlers auch lediglich darin, daß er den Geldsuchenden v e r a n l a ß t , ein Inserat aufzugeben, und zwar nach seinem Vorschlag in einem sogen a n n t e n Finanzblatt, das tatsächlich eine ganz unbedeutende Zeitung ohne Abonnentenkreis ist und das von ihm alsdann an alle möglichen Geldgeber geschickt wird, die es allerdings in der Regel mangels Ansehen einfach in den Papierkorb werfen. Da ein Erfolg des Inserates weder versprochen noch g a r a n t i e r t wurde, kann der Geldsuchende sich an den Herausgeber des Blattes, dem er f ü r das Inserat einen ungewöhnlichen Preis hat zahlen müssen, nicht halten. Ganz ähnlich ist das Vorgehen bei der Besorgung von H y p o t h e k e n oder Bankkrediten, bei welchen eingehende Unterlagen über die Sicherheit vorzulegen sind. Werden die von dem Vermittler geforderten Unterlagen ü b e r h a u p t vorgelegt, so geschieht das von den unreellen Vermittlern zumeist in der Weise, daß sie wahllos die Anträge an alle möglichen Geldinstitute geben, gleichgültig, ob nach den Unterlagen oder nach den Bedingungen der Institute ü b e r h a u p t eine Möglichkeit f ü r die Geldgewährung besteht. Dar-

auf k o m m t es ihm auch nicht an, vielmehr lediglich auf die mit dieser Versendung beweisbar zum Ausdruck gebrachte scheinbare Tätigkeit. 3. Neben den Vermittlern von Geld t r e t e n besonders solche von Grundstücken hervor. Landsuchende oder Leute, die Land oder Grundstücke verkaufen wollen, benutzen in weitem Umfange die Tätigkeit von Vermittlern, da auch hier die Herstellung der Verbindung von Käufer und Verkäufer sehr schwierig ist. Gerade bei den wirtschaftlich schwächeren Volksgenossen ist die Inans p r u c h n a h m e von Vermittlern mangels hinreichender Beziehungen vielfach notwendig. Unreelle Vermittler nutzen die suchenden Volksgenossen auch hier aus, indem sie, ohne daß sie Interessenten an der H a n d haben, sich Vorschußzahlungen geben lassen, obgleich sie von vorn herein keine oder nur zwecklose Arbeit leisten wollen. Im letzteren Falle wenden sie sich wahllos ebenfalls wieder an alle möglichen kapitalkräftigen Leute mit den vorliegenden Angeboten, damit sie mit den ablehnenden Bescheiden eine Tätigkeit nachweisen können. Hierin lediglich besteht das mehr oder weniger große Geschick der Vermittler, denn dadurch verwischen sie a m besten ihre s t r a f w ü r d i g e n Handlungen und sichern sich möglichst lange vor dem Erkanntwerden. 4. Neben diesen besonders häufigen A r t e n des Vermittlungsschwindels spielte f r ü h e r noch eine große Rolle der Arbeitsvermittlungsschwindel. Da gerade hierbei aber mit dem wertvollsten Volksgute, der Arbeitskraft, Mißbrauch getrieben und die Existenz zahlloser arbeitender Volksgenossen gefährdet wurde, ist die private Arbeitsvermittlung verboten und die Arbeitsvermittlung in s t a a t liche Obhut genommen worden. Durch die Einrichtung der Arbeitsämter ist deshalb der Arbeitsvermittlungsschwindel endgültig beseitigt worden. 5. Neben diesen hauptsächlichen Gebieten der Vermittlungstätigkeit gibt es noch eine Reihe von Fällen, in denen Vermittler t ä t i g sind. Gewöhnlich sind die Vermittler dann aber nicht selbständige Gewerbetreibende, sondern arbeiten als Angestellte irgend eines Unternehmens und vermitteln f ü r dieses Geschäfte. In diesen Fällen wird, wenn unlautere Machenschaften vorliegen, nicht im eigentlichen Sinne von Vermittlungsschwindel gesprochen, da hier gewöhnlich nicht der Vermittler in seinem Interesse, sondern in dem des betreffenden Unternehmens gehandelt hat. 6. Der Vermittlungsschwindel ist s t r a f rechtlich f a s t regelmäßig als Betrug anzusprechen und ohne weiteres erfaßbar. Schwierigkeiten bestehen lediglich darin, den Nach-

Vermittlungsschwindel — weis f ü r die von vorn herein bestehende Absicht, ohne Tätigkeit einen Vermögensvorteil zu erwerben, zu f ü h r e n . Wenn aber seitens der Geschädigten sofort Anzeige e r s t a t t e t wird, so wird die Zahl der dadurch b e k a n n t werdenden Fälle regelmäßig im einzelnen Falle den Nachweis ermöglichen oder zum mindesten erleichtern. Ebenso wie es Pflicht der Strafverfolgungsbehörden ist, mit allem Nachdruck jeden Vermittlungsschwindel zu verfolgen, ebenso m u ß deshalb im Interesse einer wirksamen B e k ä m p f u n g jeder einzelne Volksgenosse dem durch eigenes Erleben oder anderweit ein Fall des Vermittlungsschwindels b e k a n n t wird, ohne Scham offen diesen zur Kenntnis der Behörden bringen. Dadurch erst kann die Verhinderung eines volkswirtschaftlichen Raubbaues, wie ihn der Vermittlungsschwindel bedeutet, verhindert werden. Karl Krug.

Vernehmungstechnik. I. D a s W e s e n d e r V e r n e h m u n g . 1. V e r n e h m u n g u n d A u s s a g e . Wir verstehen u n t e r der Vernehmung die Tätigkeit eines behördlichen Organes des Strafverf a h r e n s zur E r m i t t l u n g und zum Beweise streiterheblicher Tatsachen durch die Aussage und das Verhalten einer A u s k u n f t s p e r son. Die älteste Betrachtungsweise h a t Aussage wie Vernehmung zunächst nur unter dem Gesichtspunkt ihrer r e c h t l i c h e n Ordn u n g gemäß den gestaltenden Grundsätzen des S t r a f v e r f a h r e n s erfaßt und in der Vern e h m u n g wie in der Aussage nur j u r i s t i s c h e Probleme erblickt. In der nächsten Stufe wird die Aussage als p s y c h i s c h e Leistung u n d Verhörsprodukt mit Rücksicht auf ihre Fehlerquellen erfaßt (W. Stern). Dabei t r e t e n aber die Aussageleistungen des Vernommenen in den Vordergrund, während die Leistungen und Fehler des Vernehmenden nicht recht zur Geltung k o m m e n . Die jüngste, aus dem Wissenszweig der Kriminalbiologie entspringende b i o l o g i s c h e Methode betrachtet Vern e h m u n g wie Aussage als ein w e c h s e l s e i t i g e s E r l e b n i s der P e r s ö n l i c h k e i t des Vernehmenden und des Vernommenen. D a m i t t r i t t nicht bloß der Aussageinhalt, sondern das P r o z e ß v e r h a l t e n beider Teile, m a g es bewußt oder u n b e w u ß t erfolgen, in den Vordergrund. Die Vernehmungsleistung wie die Aussageleistung werden jede f ü r sich u n d im Wechselspiel als eine G a n z h e i t von Trieb-, Gefühls-, Verstandesund Willensäußerungen erfaßt. Derart wird die Wiederbelebung der in der Aussage wiedergegebenen W a h r n e h m u n g angeregt, und wir

Vernehmungstechnik

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haben es auf beiden Seiten mit einem emotionalen Verhalten zu t u n , dessen Gehalt nicht bloß aus den Vernehmungsanforderungen und dem Aussageinhalt, sondern auch aus den A u s d r u c k s s y m p t o m e n des Erlebens wie Mimik, Tonfall, Gestik und A u f t r e t e n beider Teile e r k a n n t werden kann. Damit wird auch das Erlebnisinteresse an der B e k u n d u n g bea c h t e t ; es wird das Emotionale beider Teilnehmer am Erlebnis beachtet. J e d e Aussage ist schon an und f ü r sich eine bewußt oder unbewußt „ g e f ü h l s b e t o n t e Bekundung"; die S y m p t o m a t i k des Schuld-, Lügeund Wahrheitsgefühls ist bedeutungsvoll. Die Wechselseitigkeit des Erlebens aber t r i t t nicht nur bei der Fragestellung, dem sogen a n n t e n V e r h ö r , sondern auch beim zus a m m e n h ä n g e n d e n „ B e r i c h t " des Vernommenen h e r v o r ; die Aussage ist bei der Vern e h m u n g im Vorverfahren an das Organ der Strafverfolgung oder des Gerichtes a d r e s s i e r t ; bei der Vernehmung in der H a u p t v e r handlung dagegen nicht bloß an den Vorsitzenden und an die Beisitzer des Gerichtes, sondern auch an die Gegenpartei und vermöge der Öffentlichkeit an die anwesenden Zuhörer und an die Presseöffentlichkeit überh a u p t . D a ß aber die durch Fragen zur Ergänzung und A u f k l ä r u n g des Berichtes hervorgerufenen A n t w o r t e n ein wechselseitiges Erlebnis sind, ergibt sich von selbst. Nach der durch die neueren psychologischen u n d psychiatrischen Forschungen sich entwickelnden „ P e r s ö n l i c h k e i t s l e h r e " (s. „Persönlichkeitsaufbau") ist schließlich jedes Erlebnis der Ausfluß der individuellen Persönlichkeitsartung, ihre Aktualisierung unter dem Umwelteinfluß (Lenz); daraus ergibt sich die Notwendigkeit, sowohl die Persönlichkeit des Vernehmenden wie des Vernommenen als der personellen Träger ihrer Leistungen als auch den Einfluß der „ V e r n e h m u n g s a d r e s s e " heranzuziehen. Dies ist bei der Vernehmung des Beschuldigten in weiterem U m f a n g möglich als bei der Zeugenvernehmung, bei der die Persönlichkeit nur f ü r kurze Zeit in das Blickfeld des Vernehmenden t r i t t . Doch wird bei der Vern e h m u n g jugendlicher Zeugen eine besondere Technik immer mehr als erforderlich erachtet. 2. B i o l o g i s c h e Vernehmungstechn i k . Die Vernehmung h a t nach der biologischen Methode eine Doppelaufgabe zu erfüllen. Sie zerfällt in die V e r n e h m u n g z u r S a c h e und in die V e r n e h m u n g z u r P e r s o n des Vernommenen. Diese letztere wiederum sucht sowohl die individuelle A r t u n g des des Beschuldigten und des Zeugen zur Zeit der Vernehmung, die T a t p e r s ö n l i c h k e i t und die Vernehmungspersönlichkeit

Vermittlungsschwindel — weis f ü r die von vorn herein bestehende Absicht, ohne Tätigkeit einen Vermögensvorteil zu erwerben, zu f ü h r e n . Wenn aber seitens der Geschädigten sofort Anzeige e r s t a t t e t wird, so wird die Zahl der dadurch b e k a n n t werdenden Fälle regelmäßig im einzelnen Falle den Nachweis ermöglichen oder zum mindesten erleichtern. Ebenso wie es Pflicht der Strafverfolgungsbehörden ist, mit allem Nachdruck jeden Vermittlungsschwindel zu verfolgen, ebenso m u ß deshalb im Interesse einer wirksamen B e k ä m p f u n g jeder einzelne Volksgenosse dem durch eigenes Erleben oder anderweit ein Fall des Vermittlungsschwindels b e k a n n t wird, ohne Scham offen diesen zur Kenntnis der Behörden bringen. Dadurch erst kann die Verhinderung eines volkswirtschaftlichen Raubbaues, wie ihn der Vermittlungsschwindel bedeutet, verhindert werden. Karl Krug.

Vernehmungstechnik. I. D a s W e s e n d e r V e r n e h m u n g . 1. V e r n e h m u n g u n d A u s s a g e . Wir verstehen u n t e r der Vernehmung die Tätigkeit eines behördlichen Organes des Strafverf a h r e n s zur E r m i t t l u n g und zum Beweise streiterheblicher Tatsachen durch die Aussage und das Verhalten einer A u s k u n f t s p e r son. Die älteste Betrachtungsweise h a t Aussage wie Vernehmung zunächst nur unter dem Gesichtspunkt ihrer r e c h t l i c h e n Ordn u n g gemäß den gestaltenden Grundsätzen des S t r a f v e r f a h r e n s erfaßt und in der Vern e h m u n g wie in der Aussage nur j u r i s t i s c h e Probleme erblickt. In der nächsten Stufe wird die Aussage als p s y c h i s c h e Leistung u n d Verhörsprodukt mit Rücksicht auf ihre Fehlerquellen erfaßt (W. Stern). Dabei t r e t e n aber die Aussageleistungen des Vernommenen in den Vordergrund, während die Leistungen und Fehler des Vernehmenden nicht recht zur Geltung k o m m e n . Die jüngste, aus dem Wissenszweig der Kriminalbiologie entspringende b i o l o g i s c h e Methode betrachtet Vern e h m u n g wie Aussage als ein w e c h s e l s e i t i g e s E r l e b n i s der P e r s ö n l i c h k e i t des Vernehmenden und des Vernommenen. D a m i t t r i t t nicht bloß der Aussageinhalt, sondern das P r o z e ß v e r h a l t e n beider Teile, m a g es bewußt oder u n b e w u ß t erfolgen, in den Vordergrund. Die Vernehmungsleistung wie die Aussageleistung werden jede f ü r sich u n d im Wechselspiel als eine G a n z h e i t von Trieb-, Gefühls-, Verstandesund Willensäußerungen erfaßt. Derart wird die Wiederbelebung der in der Aussage wiedergegebenen W a h r n e h m u n g angeregt, und wir

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haben es auf beiden Seiten mit einem emotionalen Verhalten zu t u n , dessen Gehalt nicht bloß aus den Vernehmungsanforderungen und dem Aussageinhalt, sondern auch aus den A u s d r u c k s s y m p t o m e n des Erlebens wie Mimik, Tonfall, Gestik und A u f t r e t e n beider Teile e r k a n n t werden kann. Damit wird auch das Erlebnisinteresse an der B e k u n d u n g bea c h t e t ; es wird das Emotionale beider Teilnehmer am Erlebnis beachtet. J e d e Aussage ist schon an und f ü r sich eine bewußt oder unbewußt „ g e f ü h l s b e t o n t e Bekundung"; die S y m p t o m a t i k des Schuld-, Lügeund Wahrheitsgefühls ist bedeutungsvoll. Die Wechselseitigkeit des Erlebens aber t r i t t nicht nur bei der Fragestellung, dem sogen a n n t e n V e r h ö r , sondern auch beim zus a m m e n h ä n g e n d e n „ B e r i c h t " des Vernommenen h e r v o r ; die Aussage ist bei der Vern e h m u n g im Vorverfahren an das Organ der Strafverfolgung oder des Gerichtes a d r e s s i e r t ; bei der Vernehmung in der H a u p t v e r handlung dagegen nicht bloß an den Vorsitzenden und an die Beisitzer des Gerichtes, sondern auch an die Gegenpartei und vermöge der Öffentlichkeit an die anwesenden Zuhörer und an die Presseöffentlichkeit überh a u p t . D a ß aber die durch Fragen zur Ergänzung und A u f k l ä r u n g des Berichtes hervorgerufenen A n t w o r t e n ein wechselseitiges Erlebnis sind, ergibt sich von selbst. Nach der durch die neueren psychologischen u n d psychiatrischen Forschungen sich entwickelnden „ P e r s ö n l i c h k e i t s l e h r e " (s. „Persönlichkeitsaufbau") ist schließlich jedes Erlebnis der Ausfluß der individuellen Persönlichkeitsartung, ihre Aktualisierung unter dem Umwelteinfluß (Lenz); daraus ergibt sich die Notwendigkeit, sowohl die Persönlichkeit des Vernehmenden wie des Vernommenen als der personellen Träger ihrer Leistungen als auch den Einfluß der „ V e r n e h m u n g s a d r e s s e " heranzuziehen. Dies ist bei der Vernehmung des Beschuldigten in weiterem U m f a n g möglich als bei der Zeugenvernehmung, bei der die Persönlichkeit nur f ü r kurze Zeit in das Blickfeld des Vernehmenden t r i t t . Doch wird bei der Vern e h m u n g jugendlicher Zeugen eine besondere Technik immer mehr als erforderlich erachtet. 2. B i o l o g i s c h e Vernehmungstechn i k . Die Vernehmung h a t nach der biologischen Methode eine Doppelaufgabe zu erfüllen. Sie zerfällt in die V e r n e h m u n g z u r S a c h e und in die V e r n e h m u n g z u r P e r s o n des Vernommenen. Diese letztere wiederum sucht sowohl die individuelle A r t u n g des des Beschuldigten und des Zeugen zur Zeit der Vernehmung, die T a t p e r s ö n l i c h k e i t und die Vernehmungspersönlichkeit

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Vernehmungstechnik

zur E r k e n n t n i s zu bringen. Aus dieser Auffassung der Vernehmung ergibt sich die biologische V e r n e h m u n g s t e c h n i k als die m i t u n t e r im Oesetz oder in Ministerialverordnungen festgelegte, sonst aus den Ergebnissen der K r i m i n o l o g i e sowie der E r f a h r u n g des Vernehmenden geschöpfte K u n s t der b e s t m ö g l i c h e n G e s t a l t u n g d e r V e r n e h m u n g unter Verwertung der Persönlichkeit des Vernehmenden wie des Vernommenen. Diese Technik h a t infolge der Wechselseitigkeit des Erlebnisses sowohl die Einzeleinstellung des Vernehmenden wie die des Vernommenen als auch die wechselseitige Einwirkung beider zum Gegenstande. 3. P r o z e ß e i n s t e l l u n g d e s V e r n e h m e n d e n . Die Aufgaben des Vernehmenden gestalten sich nach seiner Prozeßrolle und der Prozeßlage. Zunächst sind die Persönlichkeiten der S t r a f v e r f o l g u n g ( S t a a t s a n w a l t , Polizei, L a n d j ä g e r , Gendarmerie) in erster Linie auf die E r m i t t l u n g des Schuldigen und der Beweismittel seiner Schuld eingestellt. Den Verfolgungsorganen ist die T a k t i k des überraschenden, vorwiegend auf die belastenden Momente eingestellten ersten A n g r i f f e s und der Erlangung eines G e s t ä n d n i s s e s eigentümlich; dabei spielt noch die individuelle A r t u n g der Persönlichkeit des Vernehmenden, sein beruflicher Ehrgeiz, seine Arbeitsbelastung, seine Aussichten auf Beförderung und seine Rücksichtnahme auf das Urteil der vorgesetzten Behörde über seine Leistungen eine Rolle. Die r i c h t e r l i c h e n Organe der Vernehmung (Amtsrichter, Untersuchungsrichter, Vorsitzender in der H a u p t verhandlung) dagegen sind durch die Prozeßaufgaben der U b e r p r ü f u n g und Entscheidung zu einer mehr unparteiischen Einstellung im Vergleich zum S t a a t s a n w a l t und den übrigen Verfolgungsorganen genötigt ( R S t P O . § 136). Es k o m m t eine vertiefte und erweiterte Erhebung der e n t l a s t e n d e n Umstände, insbesondere die A u f n a h m e der vom Beschuldigten angebotenen Unschuldsbeweise (z. B. des Alibibeweises) neben den Schuldbeweisen paritätisch in B e t r a c h t ; die Technik des richterlichen Vernehmenden ist in ihrer Eigenart mehr als die des Polizeiorganes gesetzlich gebunden. Neben dieser verschiedenen Organeinstellung des Vernehmenden k o m m t noch seine Einstellung nach der P r o z e ß l a g e in Bet r a c h t . Ob es zunächst nur auf die polizeiliche E n t d e c k u n g des vermutlichen Täters und auf die S a m m l u n g der Verdachtsgründe oder ob es auf die allseitige und gründliche E r m i t t l u n g der f ü r und gegen den Beschuldigten sprechenden U m s t ä n d e durch den Richter a n k o m m t , dies beeinflußt die Technik der Vernehmung. Die Vernehmungstechnik

erfordert Menschenkenntnis und Menschenbehandlungstechnik. Die Erfüllung der im folgenden aufgestellten Anforderungen an eine k u n s t g e r e c h t e Vernehmung ist nicht in jeder Prozeßlage die gleiche; Art und Maß der Anforderungen an die Technik hängen von der Art und Schwere der begangenen T a t in ihrer Bedeutung f ü r die öffentliche Sicherheit, f ü r die Rechtspflege, von der Beweislage, von dem leugnenden oder geständigen Verhalten des Beschuldigten und schließlich auch von der Stellungnahme der öffentlichen Meinung, insbesondere der periodischen Presse, zum Einzelfall ab. Die Überbelastung der vernehmenden Organe legt eine Raschheit in der Behandlung der einzelnen Vernehmung nahe, die nicht immer den Gefahren des J u s t i z i r r t u m s zu entgehen v e r m a g ; dazu k o m m t , daß eine Zeit lang die Leichtlebigkeit und politische Zerfahrenheit das Sicherheitsgefühl aller Prozeßorgane e r s c h ü t t e r t hat und d a ß gerade der Eid, infolge des geringen Respektes vor einer solchen Beteuerung, eine s t a r k e Werteinbuße zu erleiden drohte. Schließlich kann nicht v e r k a n n t werden, d a ß die V e r d u n k e l u n g s - und die V e r t e i d i g u n g s t e c h n i k des Schuldigen immer raffinierter werden. Daher bedarf die Vernehmungstechnik eines gründlichen und eingehenden S t u d i u m s durch alle verantw o r t u n g s b e w u ß t e n Prozeßorgane. 4. P r o z e ß e i n s t e l l u n g d e s V e r n o m m e n e n . Sie wird durch die P r o z e ß r o l l e des Vernommenen und seine P r o z e ß l a g e zur Zeit der Vernehmung b e s t i m m t . Die Aussage vor den Verfolgungsorganen der Staatsa n w a l t s c h a f t , der Polizei u n d den übrigen Sicherheitsorganen wird vom Zeugen u n t e r dem Druck der gesetzlichen Pflicht zur wahren Aussage, die e r z w u n g e n werden kann, abgelegt. Beim schuldigen Verdächtigen, gegen den kein äußerer Zwang zulässig ist, wirken das Schuldgefühl, die F u r c h t vor E n t deckung seiner T ä t e r s c h a f t und vor dem Strafvollzug u n d den Straffolgen f ü r seine Ehre und sein F o r t k o m m e n ein; sie lassen seine Aussage als einerseits durch den inneren Gewissensdruck und andererseits durch den Druck des Selbsterhaltungstriebes im entgegengesetzten Sinn belastet erscheinen; beim Unschuldigen wirken Verdächtigung und H a f t an sich beängstigend. Die Vernehmungstechnik darf ferner nicht außer acht lassen, daß nur die e r s t e Vernehmung wegen der Erlebnisneuheit der Vernehmung, wegen der Nähe zum Taterlebnis und der affektiven Erlebnisdichte eine unmittelbare Wiedergabe des Geschehens ermöglicht, während alle späteren Angaben derselben Person weniger Reproduktionen des Erlebnisses als vielmehr W i e d e r h o l u n g e n der f r ü h e r e n Aus-

Vernehmungstechnik sagen b e d e u t e n ; dazu kommen Abänderungen und Ergänzungen, welche beim Zeugen oder Beschuldigten infolge der Beeinflussung durch die Presse, durch andere Zeugen oder gar Mitbeschuldigte e n t s t a n d e n sind. So h a t jede spätere Aussage bereits eine E n t w i c k l u n g s g e s c h i c h t e hinter sich (Plaut). So ist das Schwergewicht auf die e r s t e Vern e h m u n g des Zeugen zu legen, weil dabei begangene Fehler schwer wieder gut gemacht werden k ö n n e n ; die F u r c h t vor dem vielleicht gefährlichen Abweichen im Aussageinhalt und die Gefahr der Verfolgung wegen fahrlässigen Falscheides oder wegen Meineides in Deutschland, wegen falscher unbeeideter oder beeideter Aussage in Österreich, binden bei den späteren Vernehmungen an die erste Aussage. Die Aussagetechnik h a t ferner nicht zu übersehen, daß jede Niederschrift (Protokoll) nicht eine Wiedergabe der Aussage selbst, sondern bereits eine in die J u ristensprache übertragene Darstellung des erheblichen Aussageinhaltes durch den vern e h m e n d e n Berichterstatter ist. II. D i e b i o l o g i s c h e V e r n e h m u n g s t e c h n i k im a l l g e m e i n e n . 1. A l l g e m e i n e A n f o r d e r u n g e n a n d e n Vernehmenden. Die Vernehmung im Strafverfahren fordert Menschenkenntnis, lebhaftes Interesse, vorsichtige Menschenb e h a n d l u n g und vor allem Geduld, so lehrt H. Groß. Sie hat auf einem umfassenden Wissen zu ruhen, das jedoch die Kenntnis der Grenzen eigener Fähigkeiten nicht übersieht u n d erforderlichenfalls einen Sachverständigen zuzuziehen sich nicht scheut. Immer soll die Vernehmung vom Hintergrunde der A u t o r i t ä t ausgehen, ohne doch in aufdringliche Ichbetonung überzugehen. Allzu s t a r k e A u t o r i t ä t s b e t o n u n g wirkt auf beeinflußbare Personen suggestiv und der Vernehmende hört nur das, was er dem Vernommenen nahelegt und dieser als erwünscht v e r m u t e t ; sie r u f t umgekehrt bei selbständigen N a t u r e n eher eine gegensätzliche Einstellung zur W a h r h e i t s e r m i t t l u n g hervor. Zu geringe W a h r u n g der A u t o r i t ä t gibt den Vernehmenden der Phantasie, der Irreführ u n g oder gar dem Hohne des Vernommenen preis. T a t k r ä f t i g aber nicht grob, weder höhnend noch a u f b r a u s e n d soll der Vernehmende auch gegenüber dem U n v e r s t a n d oder der Bosheit des Vernommenen a u f t r e t e n . Auch beim Unverständigen und Ungebildeten soll die K r ä n k u n g des Selbstwertgefühls und die Verängstigung vermieden w e r d e n ; Angst l ä h m t das Gedächtnis und stachelt die P h a n tasie an. Dennoch ist nicht j e d e Gefühlserregung auszuschalten; u n t e r U m s t ä n d e n kann, wie noch ausgeführt werden wird, die F ö r d e r u n g des Gewissenskonfliktes durch

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Appell an das Gewissen zum reumütigen Geständnis f ü h r e n . In Jugendgerichtssachen ist bereits die A u s w a h l der zur Vernehmung Jugendlicher geeigneten Personen gesetzlich geregelt. So ist die Bearbeitung der J u g e n d sachen bei jeder S t a a t s a n w a l t s c h a f t tunlichst in den H ä n d e n bestimmter (besonders befähigter) Beamten zu vereinigen (§ 21 R J u g GerG. und § 28 Ö J u g G e r G . ) . Die Gesetzgebung hat durch die tunlichste Ü b e r t r a g u n g des Richteramtes an den V o r m u n d s c h a f t s richter und die erweiterte Heranziehung von Schöffen oder Fachschöffen als J u g e n d r i c h t e r d a f ü r vorgesorgt, daß das Verständnis f ü r die jugendliche Eigenart des Beschuldigten gewährleistet ist ( R J u g G e r G . §§ 17ff. ( Ö J u g G e r G . §§ 15ff.). Insbesondere dürfen nach dem Ö J u g G e r G . zu S t r a f r i c h t e r n in J u g e n d s a c h e n nur Richter bestellt werden, die sich durch pädagogisches Verständnis auszeichnen ; sie sollen vorher in V o r m u n d s c h a f t s sachen t ä t i g gewesen sein und womöglich in Psychologie, Psychiatrie oder Pädagogik wissenschaftlichen Unterricht genossen hab e n ; jedem Schöffengericht in Jugendsachen m u ß eine im Lehrberufe u n d soll eine in der J u g e n d f ü r s o r g e tätige Person angehören (§§ 22, 27). Für die Vernehmung von Kindern und Jugendlichen in Sexualsachen ist besondere Vorbildung nötig (vgl. I I I b 2). 2. V o r b e r e i t u n g d e r V e r n e h m u n g . J e d e Vernehmung, mag sie im Vorverfahren oder in der H a u p t v e r h a n d l u n g erfolgen, erfordert eine Vorbereitung. Sie besteht im a u f m e r k s a m e n S t u d i u m der Vorakten, insbesondere der Anzeige des Verletzten, der Polizei- und Sicherheitsbehörden, der Vernehmungs- und Augenscheinsprotokolle und der G u t a c h t e n . Lassen f r ü h e r e Vernehmungen bereits eine b e s t i m m t e V e r t e i d i g u n g s t a k t i k erkennen, so bedarf es mitunter eines förmlichen Vernehmungsplanes. In dessen Vordergrund s t e h t die V e r m u t u n g von T a t und T ä t e r . Aus den Ergebnissen der E r m i t t l u n g e n soll der Vernehmende ein Bild des Ablaufes der T a t in a l l e n Einzelheiten nach Zeit, Ort u n d Umwelt zu gewinnen t r a c h t e n ; d a r a n reiht sich die T ä t e r v e r m u t u n g , die alle Anzeichen (Indizien s. d.) f ü r und wider die V e r m u t u n g zu berücksichtigen hat. Hierbei müssen alle erfahrungsgemäß möglichen V a r i a n t e n durchgegangen werden. T a t - und T ä t e r v e r m u t u n g sollen nach jeder Vernehmung und nach den Ergebnissen jeder Beweisaufnahme immer wieder auf ihr Zutreffen g e p r ü f t und erforderlichenfalls richtiggestellt oder fallengelassen werden. Es k o m m t viel darauf an, daß solche Vermutungen nicht zu f r ü h aufgestellt u n d nicht hartnäckig wider die Beweislage festgehalten werden.

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Vernehmungstechnik

3. S e e l i s c h e r K o n t a k t m i t d e m V e r n o m m e n e n . Bereits bei Beginn der Vern e h m u n g u n d insbesondere während deren Verlauf hat der Vernehmende E i n f ü h l u n g in das Verstandes-, Gemüts- und Willensleben des Vernommenen zu gewinnen. Die seelische Distanz, die durch die wechselseitige Fremdheit bei Beginn besteht, soll sich in die R e s o n a n z des wechselseitigen Verständnisses verwandeln. Dies u. a. durch das wechselseitige „Ins-Auge-Blicken", durch das Anpassen der Fragen an die Intellekts- und Bildungsstufe wie an den Dialekt des Vernommenen. Die Beschönigung der T a t ist dann, wenn einmal die begriffswesentlichen Merkmale des T a t b e s t a n d e s ermittelt sind, zu dulden. Immer m u ß der Vernommene u n t e r der Beobachtung und L e n k u n g seiner A u f m e r k samkeit und seines Interesses durch den Vern e h m e n d e n stehen. 4. E r f a s s u n g d e s A u s s a g e t y p s . Die Strafprozeßordnungen Deutschlands und Österreichs ( R S t P O . § 136, Ö S t P O . § 199) schreiben bereits f ü r die erste gerichtliche Vernehmung die „ E r m i t t l u n g der persönlichen Verhältnisse" vor. Die J u g e n d gerichtsgesetzgebung betont die Pflicht, die L e b e n s v e r h ä l t n i s s e sowie alle U m s t ä n d e zu erforschen, die zur Beurteilung der körperlichen und geistigen E i g e n a r t dienen könn e n ; in zweifelhaften Fällen soll der J u g e n d liche ärztlich u n t e r s u c h t werden ( R J u g G e r G . § 31, Ö J u g G e r G . § 32). Hier ergibt sich die Zweckmäßigkeit von „kriminalbiolog i s c h e n E r h e b u n g s b l ä t t e r n " , von denen bei der Beschuldigtenvernehmung die Rede sein soll. Die A u s s a g e g e s t a l t soll nach A u f n a h m e der „ P e r s o n a l i e n " w ä h r e n d der S a c h v e r n e h m u n g ermittelt werden. Bei der bisher üblichen Vernehmungstechnik steht das W o r t des Vernommenen zu sehr im Vorderg r u n d , w ä h r e n d die Erfassung der S y m p t o m a t i k des Verhaltens vernachlässigt wird. Gerade aber die Beobachtung der beweglichen Gestalt der Aussage in Mimik, Tonfall und Gestik, in der der Vernommene vor Gericht zielbewußt, echt oder unecht erscheint, ist aufschlußreich. Die Art, wie der Vernommene eintritt, wie er herumsieht, wie er zuhört, welche Mittel er anwendet, um den Eindruck der W a h r h a f t i g k e i t zu erwecken, wie er selbst f r a g t oder sich fragen läßt, dies alles zusammen begründet den Gesamteindruck der Aussage. Die S y m p t o m a t i k der „ g e f ü h l s b e t o n t e n " B e k u n d u n g (vgl. I 1) kann Worte ersetzen und widerlegen; sie ist vielfach ausdrucksfähiger und nachhaltiger als das Gesprochene. Freilich läuft gerade der mimische Vorgang viel schneller ab und m u ß rasch erfaßt werden. Ist der Aussagetyp er-

mittelt, so h a t der Vernehmende das ihm entsprechende Verhalten zu beobachten. Der Vernommene kann sich offen, verhalten oder verschlossen zeigen; in letzterem Falle m u ß der Vernehmende den Grund der Verschlossenheit zu ermitteln und zu überwinden t r a c h ten. Ist der Vernommene schweigsam, so m u ß er durch Fragen angeregt, ist er redselig, so m u ß er auf die Angabe des Wesentlichen beschränkt werden. Ist das T e m p e r a ment leicht erregbar, so m u ß jeder Angriff auf das Selbstwertgefühl vermieden w e r d e n ; ist die Erregbarkeit s t u m p f , so kann ein kräftigerer Appell an die Pflicht und die Leistungsfähigkeit nachhelfen. Die S t i m m u n g als Gesamtergebnis der Gefühlsabläufe kann in ihrem heiteren, indifferenten oder traurigen Ausdruck k a u m beeinflußt w e r d e n ; nur das Tempo der Erregbarkeit in seinem raschen Wechsel oder in seinem Verharren oder in seinen schwingenden Übergängen m u ß ausgenützt werden. Ist der Bewegungsausdruck steif oder verhalten, so m u ß er durch Besser u n g der S t i m m u n g gelockert, ist er fahrig, so m u ß er g e h e m m t werden. Die A r t u n g der P h a n t a s i e k o m m t in der trockenen oder renommierenden oder gar phantastischen Wiedergabe zum Ausdruck. Besonders bei Feststellung von Erinnerungslücken m u ß deren Ausgestaltung durch die Phantasie vermieden werden. Viel k o m m t darauf an, wie die Freiheit der Aussage beschaffen ist; sie k a n n u n t e r Gewissens-, Sorgen-, Straf druck s t e h e n ; sie kann t a t - und s t r a f a b g e f u n d e n sein. Die Befreiung vom Druck ist beim Zeugen eher anzustreben, beim Schuldigen eher zu vermeiden. Schwierigkeiten bereitet die Konzentration der A u f m e r k s a m k e i t auf das Wesentliche, wenn der Vernommene leicht abgelenkt, ideenflüchtig oder ideengebunden ist; hier m u ß mit Geduld und Ausdauer immer auf den Aussagegegenstand zurückgekommen und die Gebundenheit durch wiederkehrende Ideengänge gelöst werden. Die Erinnerung zeigt sich in den T y p e n des gut, schwer, mit Lücken oder Fehlern Eri n n e r n d e n ; hier kann der Vernehmende durch die Anleitung zum Zurückversetzen in die W a h r n e h m u n g s s i t u a t i o n eine gefühlsbegleitete Erinnerung und d a m i t eine getreue Wiedergabe des Erlebnisses erzielen. 5. E r f a s s u n g d e r P e r s ö n l i c h k e i t . Die biologische Vernehmungstechnik geht von der G r u n d a n s c h a u u n g aus, daß die konkrete Aussage nicht bloß vom Aussagetyp, sondern vermöge ihres Ursprunges auch vom Persönlichkeitstyp a b h ä n g t , die auseinander gehalten werden müssen (Seelig). Damit wird ein Problem aufgeworfen, dessen Lösung erst in Angriff genommen ist; doch können bereits einige Erkenntnisse der Persönlichkeitslehre

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als verwertbar betrachtet werden. Leichter sondern zugleich eine geistige Verarbeitung feststellbar ist der Unterschied zwischen dem nach der Intelligenz, Bildung und dem P r o „Introverten" und dem „ E x t r o v e r t e n " z e ß i n t e r e s s e des Vernommenen darstellt. ( J u n g ) . Die nach innen gewendete Auskunfts- Der Vernehmende h a t daher zunächst das person zeigt eine größere Neigung zur p h a n - W a h r g e n o m m e n e von dem Verarbeiteten zu tastischen Beeinflussung und individuellen scheiden und sich ein selbständiges, anschauGestaltung ihrer W a h r n e h m u n g und Aus- liches Bild des Vorganges zu verschaffen. Darsage, die nach außen gewendete Persönlich- an schließt sich die P r ü f u n g auf Fehlerquellen. keit dagegen eine größere Neigung zur realen Für sie hat die moderne A u s s a g e f o r s c h u n g W a h r n e h m u n g und Aussage gemäß der gegen- bereits wertvolle Erkenntnisse zu Tage geständlichen Außenwelt ( J u n g ) . Daran reiht fördert (s. d. Art. „Zeugenaussage"). Man sich die Unterscheidung zwischen dem Men- beginnt mit der P r ü f u n g der W a h r n e h schen mit gespaltenem, gegensätzlichem Tem- m u n g s f ä h i g k e i t , wobei individuelle Sinnesperament und dem mit schwingendem, sich fehler des Vernommenen, seine berufliche Beanpassendem T e m p e r a m e n t (Kretschmer). gabung, seine Affekterregbarkeit zur Zeit der Daran Dem schizothymen Menschen mit seinem zäh W a h r n e h m u n g zu beachten sind. verharrenden oder j ä h springenden Tempera- reiht sich die P r ü f u n g der individuellen E i n ment, den m a n an seiner biologischen Affini- p r ä g u n g s f ä h i g k e i t f ü r das Wahrgenomt ä t zum schmalwüchsigen oder athletischen mene und schließlich die der individuellen K ö r p e r b a u t y p erkennt, werden wir eine Nei- R e p r o d u k t i o n s f ä h i g k e i t . Es sei aus der gung zur Spaltung der A u f m e r k s a m k e i t und Fülle dessen, worauf zu achten ist, nur das zur Bevorzugung der Einzelbeobachtung und praktisch Wichtigste hervorgehoben. Bei der Einzelwiedergabe annehmen k ö n n e n ; beim P r ü f u n g der W a h r n e h m u n g durch Augenz y k l o t h y m e n Menschen dagegen, der eine und Ohrenzeugen wäre zu ermitteln, ob der A f f i n i t ä t zum gedrungenen (pyknischen) visuelle, auditive, eidetische (bildbewahrende) K ö r p e r b a u t y p besitzt, werden wir eine Neigung T y p der Wahrnehmungsweise vorliegt. Bei zur zusammenfassenden Beobachtung und der Bewertung der richtigen E n t f e r n u n g s Wiedergabe sowie zur größeren Nachhaltig- s c h ä t z u n g i s t Vorsicht am P l a t z e ; der Bauer keit des Eindrucks (Perseveration) v e r m u t e n z. B. kann n a c h d e r U h r n u r die E n t f e r (Scholl). Hinsichtlich der Neigung zur A r t nungen von seinem Hause zur Kirche, zum der F r a g e b e a n t w o r t u n g haben experimen- W i r t s h a u s und zur nächsten Eisenbahntelle Untersuchungen aber gezeigt, daß ge- station richtig a n g e b e n ; alle Fragen nach rade der Mensch mit gedrungenem K ö r p e r b a u anderen E n t f e r n u n g e n b e a n t w o r t e t er zwar die Detailantworten bevorzugt (W. Enke). immer sofort, aber auch immer falsch (H. Dies wird damit erklärt, daß es dem Schmal- Groß). Bei der Vernehmung des Verletzten wüchsigen infolge seiner Abspaltungsneigung | wieder sind dessen Empfänglichkeit f ü r leichter fällt, die Einzelheiten zu vernach- Schreck- und Schmerzgefühle, das Hereinlässigen, während der gedrungene Mensch spielen von phantastischen und illusionären nichts vom Erinnerungskomplex wegzulassen Ergänzungen infolge eines Erinnerungsverv e r m a g (Kretschmer). Von Bedeutung wäre lustes zu beachten. Bei der P r ü f u n g der Eres schließlich, festzustellen, ob die „eide- innerung des Tatzeugen soll ermittelt werden, tische" Anlage beim Vernommenen vorliegt, ob sie auch den „ V e r g a n g e n h e i t s i n d e x " bei der die optischen Anschauungsbilder besitzt, d. h. ob sie mit dem Merkmale auflänger a n d a u e r n und daher das visuelle Bild t a u c h t , daß die zu Grunde liegende W a h r in seinen Einzelheiten leichter reproduziert n e h m u n g gerade zur kritischen Zeit und am werden kann. Bei dem heutigen S t a n d e der kritischen Ort gemacht wurde. Die AnAusbildung in der Vernehmungstechnik emp- regung der E r i n n e r u n g erfolgt durch das fiehlt sich allerdings die Zuziehung eines Aufsuchen der V e r b i n d u n g s g l i e d e r zwikriminalbiologischen oder psychiatrischen schen den einzelnen Erinnerungselementen; Sachverständigen zur E r m i t t l u n g dieser Per- erforderlich ist oft die Anleitung zum gesönlichkeitstypen; bei der Polizeidirektion in danklichen Zurückversetzen u n d noch besser Wien beurteilt diese ein fachmännisch aus- die Verbringung der Auskunftsperson auf den gebildetes Organ der „Kriminalbiologischen T a t o r t zur gleichen Tageszeit. Die Sicherheit Station". und Genauigkeit der Erinnerung soll im Protokoll e r w ä h n t werden. 6. P r ü f u n g d e r A u s s a g e . Eine P r ü f u n g der Aussage ist s t e t s geboten, weil sie von W ä h r e n d der ganzen Aussagetätigkeit ist vorn herein weder blindlings als wahr hinge- insbesondere in der H a u p t v e r h a n d l u n g die n o m m e n noch sofort als u n w a h r e r k a n n t wer- U r t e i l s v o r s i c h t — ob der Vernommene den kann. Vorauszuschicken ist, daß jede überstürzt oder überlegt aussagt — und das Aussage nicht bloß eine Reproduktion der V e r a n t w o r t u n g s g e f ü h l gegenüber der W a h r n e h m u n g der erheblichen Tatsachen, Rechtspflege und gegenüber seinem Gewissen

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zu prüfen. D a r a n reiht sich die P r ü f u n g der S e l b s t ä n d i g k e i t der Aussage, d. h. darauf, ob der Vernommene unter f r e m d e m Einfluß, insbesondere einer intellektuellen oder emotionalen insbesondere sexuellen Hörigkeit aussagt. Die Einflüsse der Familie, der Verw a n d t s c h a f t , Schwägerschaft, der Gemeinde-, Landes-, Staatsangehörigkeit und Parteizugehörigkeit sind zu b e a c h t e n ; die Beeinflussung w ä h r e n d des W a r t e n s auf dem Korridor oder im Zeugenzimmer und insbesondere durch die Presse sollte tunlichst verhindert werden. Unter der Suggestion ist die Erscheinung zu verstehen, bei der ein P h a n tasieerlebnis ohne neu hinzukommende oder ohne ausreichende Ursache in ein inhaltsgleiches Ernsterlebnis ü b e r g e h t ; es sind sowohl die Empfindungs-, Urteils-, Gefühlswie Strebungssuggestion zu beachten (Seelig). Die P r ü f u n g der W a h r h e i t einer Aussage kann nur an der H a n d von M o t i v e n und S y m p t o m e n der W a h r h a f t i g k e i t oder der Lüge erfolgen, wie sie bei der Beschuldigtenv e r n e h m u n g geschildert werden sollen. Die Lügenhaftigkeit (s. d. Art. „ L ü g e " ) als eine erhöhte Bereitschaft kann nicht nur aus dem Mangel an Lügehemmungen, sondern auch aus der geringen Intelligenz und geringen E m o t i o n a l i t ä t entspringen. J e mehr allerdings die Lüge sich im Vorleben des Vernommenen, insbesondere in seinem Prozeßverhalten nachweisen läßt, je mehr antisoziale Charakterzüge ü b e r h a u p t hervorkommen, desto eher kann auf Lügenhaftigkeit geschlossen werden (M. Zillig). Doch b e r a u b t der Nachweis e i n e r Lüge den Vernommenen noch nicht jeder Glaubwürdigkeit; davon soll bei der Vernehmungstechnik gegenüber dem Beschuldigten noch näher die Rede sein. Die P r ü f u n g des A u s s a g e i n h a l t e s wird bei der Sonderdarstellung der Zeugen- und Beschuld i g t e n v e r n e h m u n g behandelt werden. III. a) D i e Z e u g e n v e r n e h m u n g . 1. W e s e n d e r Z e u g e n a u s s a g e . Vern e h m u n g und Aussage erhalten beim Zeugen prozessuale Eigenart dadurch, daß er zur Aussage und zur Wahrheit unter Eid rechtlich verpflichtet ist und mit Zwangsmitteln zur Erfüllung seiner Pflicht angehalten werden k a n n . Die Prozeßordnungen in Deutschland und Österreich haben die ungerechtfertigte Zeugnis- oder Eidverweigerung mit Geld- und Arreststrafen bedroht ( R S t P O . § 70, Ö S t P O . § 160). Ä u ß e r e r Z w a n g zur W a h r h e i t s b e k u n d u n g ist zulässig und geboten. Es läßt die Ö S t P O . (§§ 165, 247) der Vernehmung zur Sache eine E r m a h n u n g an den Zeugen vorangehen, „auf die an ihn zu richtenden Fragen nach seinem besten Wissen und Gewissen die reine W a h r heit anzugeben, nichts zu verschweigen u n d

seine Aussage so abzulegen, daß er sie erforderlichenfalls eidlich bekräftigen k ö n n e " . Die Zeugenaussage wird unter Gewissens-, Eides- und S t r a f d r u c k gesetzt. Dazu k o m m t noch, daß die Vernehmung des Zeugen in der H a u p t v e r h a n d l u n g u n t e r der Kontrolle nicht nur des vernehmenden Vorsitzenden, sondern auch der gerichtlichen Beisitzer (Richter und Schöffen), des Prozeßgegners und seines Vertreters sowie der anwesenden Zuhörer und der Presseöffentlichkeit steht. Dieser legale Druck kann in der Technik der Vernehmung ausgewertet werden. Die Erforschung der materiellen Wahrheit im Strafverfahren f ü h r t zunächst zur Forderung, daß die Vernehmung der Zeugen, insbesondere der Augen- u n d Ohrenzeugen, möglichst f r ü h z e i t i g nach der T a t erfolge. Die erste „ G r u n d v e r n e h m u n g " liegt in den H ä n d e n der S t a a t s a n w a l t s c h a f t und der Sicherheitsbehörden in Deutschland, in den H ä n d e n der Polizeibehörden und der Gendarmerie in Österreich; der S t a a t s a n w a l t kann dort s e l b s t vernehmen, hier n u r den sicherheitsbehördlichen Vernehmungen b e i w o h n e n . Diese erste Vernehmung ist um so bedeutungsvoller f ü r das ganze Verfahren, weil Fehler infolge der protokollarischen Festlegung des Aussageinhaltes erfahrungsgemäß nicht mehr oder nur schwer berichtigt werden können. 2. G e s e t z l i c h e r G a n g d e r V e r n e h m u n g . Er ist f ü r die g e r i c h t l i c h e Vern e h m u n g in den Strafprozeßordnungen geregelt. Am Beginn der Vernehmung s t e h t die Fragestellung über die sogenannten Personalien; Fragen über solche Umstände, welche die Glaubwürdigkeit der Zeugen in der vorliegenden Sache betreffen, insbesondere über seine Beziehungen zum Beschuldigten oder Verletzten sollen im allgemeinen nur vorgelegt werden, wenn eine besondere Veranlassung zum Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen besteht (§ 68 R S t P O . ) ; in Österreich kann der Zeuge, wenn es nach den besonderen U m s t ä n d e n des Falles unumgänglich notwendig ist, auch darüber befragt werden, ob er schon einmal in einer strafgerichtlichen Untersuchung gestanden und welche Ergebnisse dieselbe h a t t e (ÖStPO. § 166). Fragen nach Tatsachen, die dem Zeugen, seinem Verlobten, seinem E h e g a t t e n oder einer Person, die im Sinne von § 52 Abs. 1 Nr. 3 R S t P O . sein Angehöriger ist, zur Unehre gereichen können, sollen nur gestellt werden, wenn es unerläßlich ist (§ 6 8 a R S t P O . ) ; der Zeuge soll nach Vorstrafen nur gefragt werden, wenn ihre Feststellung notwendig ist, um über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Nr. 2, 3 R S t P O . zu entscheiden oder um seine Glaubwürdigkeit zu beurteilen (§ 68 a Abs. 2 R S t P O . ) . Daran reiht sich

Vernehmungstechnik die P r ü f u n g der Vernehmungsfähigkeit des Zeugen (ÖStPO. § 151) und die P r ü f u n g des Rechtes zur Zeugnisverweigerung ( R S t P O . §§ 52, 53, Ö S t P O . § 153) sowie der Befreiungsgründe (ÖStPO. § 152). Daran schließt sich die Mitteilung des Gegenstandes der Untersuchung und der Person des Beschuldigten ( R S t P O . § 69, Ö S t P O . § 167). Der Zeuge ist zunächst zu einer zusammenhängenden „ D a r stellung" oder „ E r z ä h l u n g " zu veranlassen und insbesondere aufzufordern, den Grund seines Wissens anzugeben, um das Zeugnis vom Hörensagen oder eine bloße Kombination zu erkennen (ÖJustMinErl. vom 12. IV. 1904 ZI. 7673). Der Ö J u s t M i n E r l . vom 1. II. 1907 ZI. 2801 betont, daß die E r h e b u n g des Wissensgrundes auch ein Prüfstein f ü r die Glaubwürdigkeit sein kann, weil sie dem Zeugen die Einsicht vermitteln kann, daß seine B e h a u p t u n g e n r i e h t h a l t b a r sind, und er d a m i t von sich aus zu einer Richtigstellung gelangt. Die Ö S t P O . § 167 verpflichtet den Vernehmenden, Fragen, durch welche ihm T a t u m s t ä n d e vorgehalten werden, die erst durch seine Antwort festgestellt werden sollen, möglichst zu vermeiden und wenn unvermeidlich im Protokoll ersichtlich zu machen. Bei der ausnahmsweisen Beeidigung im Vorverfahren und bei zwingend vorgeschriebener Beeidigung in der H a u p t v e r h a n d l u n g ist die Eidesnotwendigkeit bzw. -fähigkeit vorweg zu prüfen ( R S t P O . §§ 5 9 f f . , Ö S t P O . §§ 169, 170). Die Vernehmung im Vorverf a h r e n erfolgt ohne Beisein der Parteien und Parteienvertreter sowie des Beschuldigten oder anderer Zeugen ( R S t P O . § 59, Ö S t P O . § 162). Die Vernehmung durch den Vorsitzenden aber in der H a u p t v e r h a n d l u n g vollzieht sich in Gegenwart und unter Kontrolle des Gerichtes, der Parteien und ihrer Vertreter sowie in Anwesenheit der bereits vernommenen Zeugen, was eine v e r ä n d e r t e A d r e s s e der Vernehmung bedeutet. ( R S t P O . § 238, Ö S t P O . § 247). Bei dieser Vernehmung ist die Verlesung von Protokollen über frühere Vernehmungen des erschienenen Zeugen zulässig, wenn dieser erklärt, daß er sich einer Tatsache nicht mehr erinnere, oder zur Behebung eines Widerspruches mit f r ü h e r e n Aussagen, wenn dieser nicht auf andere Weise ohne Unterbrechung der H a u p t v e r h a n d l u n g festgestellt oder behoben werden kann ( R S t P O . § 253, Ö S t P O . § 252 Z. 2) oder wenn der erschienene Zeuge unberechtigt die Aussage verweigert (ÖStPO. § 252 Z. 3). 3. B i o l o g i s c h e T e c h n i k . Sie fordert zunächst, daß der Vernehmung des Zeugen die nötige Z e i t gewidmet wird, um nicht bloß eine Reproduktion des Aussageerlebnisses, sondern auch das Herauskommen der Z e u g e n p e r s ö n l i c h k e i t zu gewährleisten. Der

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Vernehmende m u ß sich ferner darüber klar werden, welche Anforderungen er an die Intelligenz und Bildung des Zeugen im allgemeinen, an die Wahrnehmungs-, Einprägungs-, Erinnerungs- und Ausdrucksfähigkeit insbesondere stellen k a n n ; in diesem Belange ist jedes ungeduldige und drängende Verhalten mit der Gefahr der Verschüttung oder Verfälschung des Zeugnisses verbunden. Das e r s t e P r o b l e m des Vernehmenden ist es, die Aussage zu einem e m o t i o n a l e n E r l e b n i s des Vernommenen zu gestalten, d. h. nicht nur eine verstandesmäßige Erinnerung zu erzielen, sondern die Gefühle wieder zu beleben, die seinerzeit beim Augenund Ohrenzeugen der T a t oder der sonst erheblichen Tatsachen vorherrschte. Deshalb ist der Zeuge zu einer a n s c h a u l i c h e n Schilderung des Herganges zu veranlassen, wobei die emotionalen Ausdrucksmittel und deren D e u t u n g zu beachten sind. Beim Zeugen kann die Technik der S y m p t o m e n t w i c k l u n g , die wir bei der allgemeinen Vernehmungstechnik kennen gelernt haben, wertvolle Dienste leisten. Beim Zeugen ist die beim legalen Staatsbürger a u f t r e t e n d e s p o n t a n e U n t e r s t ü t z u n g der Behörden bei der Suche nach dem Schuldigen derart zu benützen und zu unterstützen, daß der Vergeltungs- und der aus ihm entspringende E n t deckungstrieb wieder belebt wird; jedoch ist auch die Möglichkeit der Wiederbelebung der Gefühle, die aus F r e u n d s c h a f t , Feindschaft, Neid oder bloßer Sensationssucht entstehen, nicht außer acht zu lassen. Das z w e i t e P r o b l e m der biologischen Zeugenvernehmung ist die E r m i t t l u n g der Persönlichkeit aus ihren hauptsächlichsten Persönlichkeitszügen, d. h. ihren Neigungen funktionaler und materialer Art in dem Maße, wie dies eben während der S a c h v e r n e h m u n g möglich ist; es sei denn, daß eine gesonderte N a c h p r ü f u n g d e r G l a u b w ü r d i g k e i t geboten ist. Auch beim Zeugen wirken Rassen-, Volks-, Staats- und Standeszugehörigkeit beeinflussend auf Form und Inhalt der Aussage. Dabei müssen schon bei E r m i t t l u n g der sogen a n n t e n P e r s o n a l i e n des Zeugen dem Vernehmenden die t y p i s c h e n Eigenschaften des männlichen oder weiblichen, des kindlichen, jugendlichen, erwachsenen oder greis e n h a f t e n Zeugen und die Angehörigkeit des Zeugen zum gleichen Beruf, zum gleichen oder gegnerischen P a r t e i g e t r i e b e , in dem der Beschuldigte steht, beim Vernehmenden ins Bewußtsein t r e t e n und verwertet werden. Nur beispielsweise sei darauf hingewiesen, daß der weibliche Zeuge oft bessere W a h r nehmungsfähigkeit f ü r das Detail, aber auch Neigung zur Erinnerungsfälschung aus seiner Emotionalität m i t b r i n g t ; daß die Beschrän-

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Vernehmungstechnik

kung auf das Tatsächliche ihm schwer fällt, weil er durch Sympathie- oder Antipathie-, Liebes- und Sexualerlebnisse beeinflußt wird. Auf die Frage nach dem Grunde des Wissens, die nicht selten mit einem Augenniederschlag, mit Achselzucken oder leerem W o r t schwall b e a n t w o r t e t wird, kann wegen der weiblichen Scham nicht verzichtet w e r d e n ; es wäre vielleicht bei Sexualdelikten am besten, wenn die Vernehmung des weiblichen Belastungszeugen durch einen weiblichen Richter erfolgte. Hinsichtlich der Vernehm u n g kindlicher und jugendlicher Zeugen wird auf die Sonderdarstellung verwiesen; bei Greisen sind die allgemeine Interesselosigkeit, die Ichsucht und die gesteigerte Reizbarkeit wie E r m ü d b a r k e i t vom Vernehmenden durch Geduld, Kürzung der Vernehm u n g und Vermeidung von Reizanlässen zu b e k ä m p f e n . Wie den Kindern ist auch den Greisen das lange W a r t e n vor der Vernehm u n g zu ersparen. Berufs- oder Parteizugehörigkeit kann den Zeugen zu einer „ k a m e r a d s c h a f t l i c h e n " oder „genossenschaftlichen" Aussage verleiten; Aussagen von Lehrern über die Persönlichkeitsartung von Kindern können beim Massenunterricht kaum individualisierend sein, weil erfahrungsgemäß ein verläßliches Urteil nur bei „auffälligen" Schülern im günstigen oder ungünstigen Sinn gebildet wird. Die B e a n t w o r t u n g der Fragen, die in der sogenannten „ S c h u l a u s k u n f t " verlangt wird, kann zuverlässig nur auf Grund des Urteils a l l e r Lehrer des betreffenden Schülers erfolgen. Die Vernehmung des Landjägers (in Österreich Gendarmen) unter Diensteid unterliegt der Gefahr, daß die Aussage zu sehr von dem Bestreben getragen wird, die A u t o r i t ä t der Amtsperson zu wahren, alles unpersönlich vorzubringen, vom Inhalt des Berichtes an den Vorgesetzten oder des Protokolls über die erste Vernehmung in keinem P u n k t e abzuweichen. Es h a t der Vernehmende der Gefahr einer unlebendigen Aussage durch Detailfragen zu begegnen und gegenüber dem Standesbewußtsein und dem beruflichen Zusammenhalt die Wahrheitspflicht zu betonen. Der Nachbar schließlich ist ein gefährlicher Zeuge, wenn er sich nur als Ausgang oder Durchgang von Gerücht und Klatsch gibt oder seine Aussage unergiebig ist, weil er es mit niemandem verderben will. Hier ist die E r k e n n t n i s dieser Tendenz dem „ N a c h b a r z e u g e n " nicht zu verschweigen. Beim A l i b i z e u g e n k o m m t besonders sein persönliches Verhältnis zum Verdächtigen durch Verwandtschaft, Schwägerschaft, Ehe, Liebesverhältnis, Freundschaft, Aussicht auf Vorteil oder Gefahr eines Nachteils, die er vom Ausgang des Prozesses zu erwarten h a t , in Betracht.

4. E r f a s s u n g u n d B e h a n d l u n g d e r A u s s a g e t y p e n . Es ist zunächst die Aussageweise des Zeugen nach dem Aussagetyp zu beurteilen, dem der Zeuge nahe k o m m t . Der wertvolle Augen- und Ohrenzeuge ist zur möglichst reinen Wiedergabe seiner W a h r nehmungen anzuhalten. In diesem Belange neigt gerade der intelligente und gebildete Zeuge, der seine Aussage mit Sicherheit, Folgerichtigkeit und Gewandtheit v o r t r ä g t , zur Mitteilung der eigenen gefühlsmäßigen Einstellung zur T a t ; deshalb ist gerade dieser Zeugentyp zu einer nüchternen und sachlichen Darstellung des Sachverhaltes schwerer zu bestimmen. Beim ungebildeten Zeugen stößt der Vernehmende auf die geminderte Fähigkeit, Wesentliches und Unwesentliches zu unterscheiden, auf die Sucht, das gerade zufällig in die Erinnerung Tretende vorzubringen, auf das Abspringen oder Abgleiten vom Gegenstande der Vernehmung, auf die leichte Fremd- und Autosuggestibilität bei der Vernehmung selbst; die Aussage des unintelligenten Zeugen m u ß daher häufig durch Fragen unterbrochen und zur Beschränkung auf das Wesentliche, zur Vollständigkeit, Folgerichtigkeit und Selbständigkeit der Aussage geführt werden. Der ungebildete Zeuge vermag vielleicht das Beobachtete gut wahrzunehmen, nicht aber es in seinen Wissensund E r f a h r u n g s s c h a t z einzugliedern. Es ist ihm die W i e d e r g a b e d e s M a t e r i a l s in der ihm gewohnten ländlichen oder dialektischen Ausdrucksweise zu g e s t a t t e n ; die Eingliederung in den a l l g e m e i n e n Wissens- und Erfahrungsschatz erfolgt dann erst durch den Vernehmenden bei der Abfassung des Protokolls. Beim sicheren Zeugen, der p r o m p t , deutlich, lebhaft und h a r t n ä c k i g aussagt, ist besonderes Augenmerk auf den Grund des Wissens und die Einstellung zum Beschuldigten zu richten. Die Sicherheit kann auch aus Kritiklosigkeit, aus Kompensation der inneren Unsicherheit zur Wahrung des guten Eindrucks oder gar aus dem Streben, nur eine Wiederholung einer bereits f r ü h e r abgegebenen Aussage zu geben, entspringen. Der unsichere Zeuge dagegen m a c h t einen scheuen, schüchternen Eindruck, blickt zu Boden, räuspert sich, spricht leise, verschluckt Worte, läßt den Sinn der Aussage nicht erkennen, m a c h t längere P a u sen zwischen den einzelnen Bekundungen. Bei ihm ist festzustellen, ob diese Unsicherheit ein S y m p t o m mangelhafter W a h r n e h mungsfähigkeit, schwacher Erinnerungsk r a f t , ungeübten Ausdrucks oder eine Übersteigerung des Verantwortlichkeitsgefühls oder gar der Lüge ist. Der vorsichtige Zeuge (Rechtsanwalt, Beamte, Religionsdiener u. A.), der gehemmt, durch die Absicht nichts zu

Vernehmungstechnik verschweigen und nichts hinzuzufügen, aussagt, widerstrebt einer zusammenhängenden Darstellung und möchte lieber nur auf Fragen a n t w o r t e n . Ihm gegenüber ist jedes Drängen zu genaueren Angaben aussichtslos, weil damit nur der seelische A b s t a n d zwischen Vernehmenden und Vernommenen und die Vorsicht vergrößert wird. Beim ängstlichen Zeugen wirkt die Furcht vor der Bloßstellung durch Unwissenheit, mangelnde Schlagfertigkeit oder das Versagen der E r i n n e r u n g hemmend ein; diese Einstellung ist bei der Vern e h m u n g von Frauen und Mädchen häufiger zu b e o b a c h t e n ; sie ist am A n f a n g der Aussage am stärksten, läßt aber bei aufklärender Beruhigung nach und kann bei einiger Geduld meist überwunden werden. Beim Zeugen, der sich bald und immer wieder berichtigt, ist zu prüfen, ob die erste oder die berichtigte Aussage der Wahrheit entspricht. Beim geltungsbedürftigen Zeugen steht das Interesse an der eigenen Person (Eitelkeit, Überheblichkeit, Unbescheidenheit im A u f t r e t e n ) im Vordergrund. Ihm dient die Vernehmung hauptsächlich dazu, sich und seine Leistungen insbesondere in der H a u p t v e r h a n d l u n g zur Schau zu stellen. W ä h r e n d der Ängstliche die Aussage ü b e r h a u p t gerne vermieden hätte, w i l l der Geltungsbedürftige geradezu vern o m m e n werden, mag er auch nichts Wesentliches anzugeben haben. Die geltungssüchtige Aussage erkennt man an dem selbstbewußten Vorbringen, an der Langatmigkeit, an ihrer Durchsetzung mit Werturteilen und an der betonten Ichhaftigkeit der ganzen Aussage. Er wird am leichtesten dazu verleitet, auf Kosten der Wahrheit zu einer positiven Aussage zu gelangen oder bei seiner Aussage zu verharren, obgleich ihr die übrigen Beweismittel widerstreiten. Diesem gefährlichen Zeugen gegenüber hat der Vernehmende aus der Reserve herauszutreten und ihm klar zu machen, daß er im Dienste der Wahrheitsf i n d u n g steht und seine Persönlichkeit gar nicht interessiert; worauf er allerdings bald das Interesse an der ganzen Aussage verliert. Der uninteressierte Zeuge, der infolge Mangels an g u t e m Willen zur Anstrengung des Gedächtnisses ü b e r h a u p t nichts weiß, am liebsten unklar oder w o r t k a r g mit ja oder nein antwortet, ist meist unverwendbar und nur selten durch E r m a h n u n g an seine Pflicht zur Aufgabe seiner geistigen Trägheit zu bestimmen. Dies gelingt am ehesten noch, wenn er nur vorschützt, uninteressiert zu sein, um weder zu Gunsten noch zu Ungunsten des Beschuldigten auszusagen. Der befangene Zeuge ist jener, der durch seine Prozeßsituation bedrückt wird, der am liebsten mit dem Gericht und mit der Sache nichts zu t u n h ä t t e , der sich beobachtet und

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kritisiert f ü h l t , mit dem Vernehmenden eigentlich in keinen K o n t a k t treten will, u m auch nur den Schein des Beteiligtseins zu vermeiden. Ist das Motiv der Befangenheit nur die Scheu vor Aufdeckung seines Innenlebens, so kann die Wahrheit immer noch, allerdings m i t u n t e r durch Schluß aus dem Verschwiegenen ermittelt werden. Der spont a n e Zeuge ist jener, der in seinem Bericht oder auch später ungefragt und zwanglos seine Eindrücke wiedergibt. Auch hier ist das Motiv zu erforschen und insbesondere zu ermitteln, ob nicht einseitige P a r t e i n a h m e f ü r oder gegen den Beschuldigten ihn zur spont a n e n Äußerung drängt. 5. E r f a s s u n g u n d B e h a n d l u n g d e s Z e u g e n t y p s . Die Beurteilung der Zeugenaussage hängt letzten Endes vom H e r a n ziehen der Persönlichkeit ab. Nach der R S t P O . § 68 sind nur e r f o r d e r l i c h e n f a l l s an den Zeugen Fragen über die Glaubwürdigkeit zu stellen. Der Richter ist auf den Eindruck angewiesen, den der Zeuge w ä h r e n d der relativ kurzen Zeit der Vernehmung im Vorverfahren m a c h t ; schärfer t r i t t die Persönlichkeitsstruktur in der Hauptverh a n d l u n g während der Vernehmung durch den Vorsitzenden und während des Kreuzverhörs h e r v o r ; hier k a n n gründlicher vorgegangen werden. Es gibt aber Beweislagen, in denen die E r f o r s c h u n g d e r g e s a m t e n P e r s ö n l i c h k e i t schon im Vorverfahren unbedingt geboten ist. Dies insbesondere, wenn dem einzigen belastenden Kronzeugen, der — wie in Sittlichkeitsprozessen — zugleich der V e r l e t z t e ist, ein leugnender Angeklagter gegenübersteht, der alle S y m p t o m e der wahrheitsgemäßen Aussage zeigt. Hier d r ä n g t die Zwitterstellung des Verletzten als Nebenkläger und als Zeuge zur Erforschung seiner Persönlichkeit. Es kann aber auch sein, daß die S y m p t o m a t i k d e r W a h r h e i t , von der bei der Beschuldigtenvernehmung näher die Rede sein wird, beim Zeugen u n e c h t (vorgetäuscht) ist und das geschilderte Erlebnis ü b e r h a u p t nicht s t a t t g e f u n d e n h a t . Daran ist zu denken, wenn es sich um eine Persönlichkeit mit der Verstellungsgabe der p h a n tastischen Veranlagung, Lügenhaftigkeit, Verschlagenheit, und auch eines ausgeprägten Einfühlungsvermögens in die vorgetäuschte Persönlichkeit handelt. Doch kann es auch sein, d a ß nur die starke Einwärtswendung des Sonderlings S y m p t o m e der Lüge v o r t ä u s c h t und t r o t z d e m der bekundete Vorgang s t a t t g e f u n d e n h a t (C. Leonhardt). Es sollte der Aussagetyp auf die P e r s ö n l i c h k e i t s a r t u n g bezogen werden, d. h. eine c h a r a k t e r o l o g i s c h e P r ü f u n g der Glaubwürdigkeit, in zweifelhaften Fällen unter Zuziehung von psychologischen, psychiatrischen

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Vernehmungstechnik

oder kriminologischen Sachverständigen s t a t t finden. Nach R S t P O . § 239 kann die Vernehmung der vom S t a a t s a n w a l t und dem Angeklagten b e n a n n t e n Zeugen in der H a u p t v e r h a n d l u n g der S t a a t s a n w a l t s c h a f t und dem Verteidiger auf deren übereinstimmenden A n t r a g vom Vorsitzenden überlassen werden. Eine analoge Bestimmung fehlt in der österreichischen Strafprozeßordnung. Dieses „ K r e u z v e r h ö r " b e d e u t e t eine Vernehmung durch einen P a r teiinteressenten zur Feststellung der seiner Prozeßrolle günstigen T a t u m s t ä n d e ; sie ist oft nichts mehr als eine Wiederholung der bereits vor der gerichtlichen Vernehmung erfolgten Vorvernehmung durch die interessierte P a r t e i ; sie gewinnt an Beweiswert, weil die Aussage in Gegenwart des interessierten Prozeßgegners erfolgt und von ihm nachgep r ü f t w i r d ; dem Vorsitzenden kommen nicht n u r die zur „weiteren A u f k l ä r u n g der Sache", sondern auch zur P r ü f u n g der Glaubwürdigkeit ( R S t P O . § 68) erforderlichen Fragestellungen zu. Zur Erforschung der Persönlichkeit des Zeugen ist das Kreuzverhör wegen der Einseitigkeit der Fragestellung schlecht geeignet (Lenz); es spielt ohnehin in der Praxis eine verschwindende Rolle. Wird das Zeugnis aus Gründen, die in der R S t P O . §§ 52, 53, 55 und Ö S t P O . § 152 nicht a n e r k a n n t sind, verweigert und dennoch erzwungen, so soll der Vernehmende den angegebenen Befangenheitsgrad sich vor Augen halten und im Protokoll hervorheben. Sagt eine zur E n t s c h l a g u n g vom Zeugnis befugte Person dennoch aus, so ist der Grund, weshalb sie auf ihr Recht verzichtet h a t oder w a r u m sie ihren Verzicht widerrufen h a t ( R S t P O . § 52), zu ermitteln. Das Zeugnis desjenigen, dem die Ablegung des Zeugnisses oder die B e a n t w o r t u n g einer Frage unmittelbaren oder bedeutenden Vermögensnachteil nach sich ziehen oder ihm selbst oder einem seiner Angehörigen Schande bringen (ÖStPO. § 153) oder die Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung zuziehen würde ( R S t P O . § 55) sollte nur dann gefordert werden, wenn kein anderes Auskunftsmittel zur Verfügung steht. Ebenso steht es mit der u n b e e i d i g t e n Vern e h m u n g von Personen, die zur Zeugnisverweigerung berechtigt sind ( R S t P O . § 63). 6. Der E i d e s z w a n g . J e d e s Zeugnis m u ß , abgesehen von den gesetzlichen Ausn a h m e n ( R S t P O . §§60ff., Ö S t P O . §§247,453), in der H a u p t v e r h a n d l u n g beeidet werden. 7. D i e P r ü f u n g d e s A u s s a g e i n h a l t e s . Sie m u ß schon während der „ V e r n e h m u n g im Z u s a m m e n h a n g " nach R S t P O . § 69 oder während der „ z u s a m m e n h ä n g e n d e n Erzähl u n g " nach Ö S t P O . § 167 einsetzen. W ä h r e n d dieser ist eine doppelte geistige Tätigkeit des

Vernehmenden nötig, die P r ü f u n g des Inhaltes der Aussage einerseits und die E r m i t t l u n g des Aussagetyps, wenn möglich auch des Persönlichkeitstyps andererseits. Die Technik der inhaltlichen P r ü f u n g besteht im Vergleich mit früheren Aussagen, z. B. der im Vorverf a h r e n im Gegensatz zu der in der H a u p t verhandlung abgegebenen; stärkeren E r m i t t lungswert h a t der Vorhalt des Widerspruches mit der Aussage a n d e r e r Zeugen, weil sie zur Ü b e r p r ü f u n g der eigenen Aussage anreizt. Doch f ü h r t der Vorhalt des Widerspruches mit der Beschuldigtenaussage den Zeugen m i t u n t e r deshalb zur Versteifung seines Verhaltens und zum Festhalten an der ersten Aussage, weil er dem U m s t ä n d e der Anklageerhebung oder gar der V e r h a f t u n g eine ihr nicht zukommende Bestätigung der Richtigkeit seiner Aussage beimißt. In Österreich ist die G e g e n ü b e r s t e l l u n g von Zeugen unter einander und dieser mit dem Beschuldigten zur A n e r k e n n u n g oder zur Behebung des Widerstreites ihrer Aussagen schon im V o r v e r f a h r e n , wenn sie vom Untersuchungsrichter f ü r notwendig erachtet wird, sonst erst in der H a u p t v e r h a n d lung zugelassen. Die Gegenüberstellung soll in der Regel nicht zwischen mehr als zwei Personen zugleich geschehen. Die Gegenübergestellten sind über jeden einzelnen U m s t a n d , hinsichtlich dessen ihre Aussagen von einander abweichen, besonders zu vernehmen und die beiderseitigen Antworten zu Protokoll zu bringen. In der H a u p t verhandlung kann der Vorsitzende Zeugen, deren Aussagen von einander abweichen, einander gegenüberstellen (ÖStPO. §§ 168, 248). In Deutschland findet die Gegenüberstellung im vorbereitenden Verfahren nur dann s t a t t , wenn es f ü r das weitere Verf a h r e n geboten erscheint (§58 Abs. 2 R S t P O . ) . Die Technik der Gegenüberstellung h a t darauf zu achten, daß der Zweck der wechselseitigen Einwirkung entgegengesetzter Aussagen erreicht wird durch die vollständige Wiedergabe der widersprechenden Aussagen, durch die Bereitstellung der erforderlichen Zeit, so daß die beiden Widersacher an einander geraten (Hellwig) und die S y m b o l i k der Lüge oder der Wahrheit bei den Aussagegegnern h e r a u s t r i t t . Die Gegenüberstellung des Zeugen und des ihn als T ä t e r erkennenden Zeugen h a t in der Technik insoweit eine Verbesserung erfahren, als die f r ü h e r allgemein übliche Einzelkonfrontation doch aufgegeben u n d die W a h l k o n f r o n t a t i o n bevorzugt wird. Dem Zeugen wird d a n n die Aufgabe gestellt, aus mehreren Personen gleichen Alters, Geschlechtes und sozialer Stellung den Beschuldigten wiederzuerkennen. Damit wird

Vernehmungstechnik die Gefahr vermieden, daß die Einzelgegenüberstellung auf den unsicheren oder unvorsichtigen Zeugen, insbesondere den J u g e n d lichen, suggestiv zu Gunsten der Identität wirkt. Die Wiedererkennung kann auch dann überzeugend sein, wenn der Zeuge nicht im stände ist, vor der Gegenüberstellung ein Signalement anzugeben, oder falsche Signalem e n t a n g a b e n m a c h t , weil im Gedächtnis nur der Gesamteindruck der Gestalt, nicht aber die Einzelheiten wie Haarfarbe, Kleidung u. a. festgehalten werden. Fragen nach Erkennungsmerkmalen vor der Gegenüberstellung sind daher als verwirrend zu vermeiden (Seelig; anderer Meinung Hellwig). In Österreich ist die vorherige Aufforderung des Zeugen zur Angabe der unterscheidenden Merkmale vorgeschrieben (§ 168 ÖStPO.). Das Gleiche gilt f ü r die Agnoszierung von Gegenständen. III. b) D i e V e r n e h m u n g k i n d l i c h e r und jugendlicher Zeugen. 1. D i e B e w e r t u n g d e r k i n d l i c h e n u n d j u g e n d l i c h e n A u s s a g e . Grundsätzlich sind Kinder (bis zum vollendeten 14. Lebensjahr) b e f ä h i g t , im S t r a f v e r f a h r e n als Zeugen herangezogen zu werden. Die gerichtlichen E r f a h r u n g e n wie die Forschungen der Wiener Psychologen-Schule (Karl u n d Charlotte Bühler) und die Untersuchungen im psychologischen Seminar von Marbe durch Maria Zillig (Würzburg) haben gezeigt, daß Kinder oft z u v e r l ä s s i g e r e Beobachter sind als Erwachsene, weil f ü r sie vieles noch neu ist; sie sehen sich solche Dinge genau an, während der Erwachsene oft nach flüchtigem Hinsehen zu wissen glaubt, um was es sich handelt. Kinder sind gerade Erwachsenen gegenüber von erstaunlicher K r i t i k f ä h i g k e i t . W ä h r e n d das Kind zwischen dem 2. und 4. Lebensjahr seine D e u t u n g der Lebensvorgänge nicht den W a h r n e h m u n g e n entn i m m t , sondern seine eigenen Eindrücke auf die objektive Welt ü b e r t r ä g t , beginnt bereits in der Entwicklungsstufe vom 5. bis zum 8. Lebensjahr die A b w e n d u n g von der „fiktiven D e u t u n g zur r e a l e n E r k l ä r u n g " . Es sind daher die Forderungen nach Ausschluß von Kindern unter einem bestimmten Alter vom gerichtlichen Zeugnis (W. Stern, Lipm a n n ) abzulehnen (H. Groß). Es ist vielmehr in jedem Einzelfall zu prüfen, ob das Kind im Hinblick auf den konkreten A u s s a g e g e g e n s t a n d die Fähigkeit zur W a h r nehmung, gedächtnismäßigen Bewahrung u n d sprachlichen Wiedergabe besitzt; die E n t s c h e i d u n g ist dann aber n u r f ü r den k o n k r e t e n zur A u f k l ä r u n g bedürftigen Aussagegegenstand zu treffen. Um diese Frage zu lösen, wird meist die Zuziehung von psychologischen oder psychiatrischen Sachverständigen erferderlich sein; diese haben bei

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| der B e a n t w o r t u n g nicht nur den Aussagetyp i und dessen individuelle Variation, sondern insbesondere die Entwicklungsstufe der Persönlichkeit festzustellen. Gerade während der Pubertätszeit k o m m t die Unausgeglichenheit der jugendlichen Persönlichkeit und die Schwierigkeit der Anpassung ihrer Phantasiewelt an die Wirklichkeitswelt zum Ausdruck. Die Gefahr liegt bei solchen Zeugen in der U m d e u t u n g des W a h r g e n o m m e n e n im Sinne des jugendlichen Seelenlebens, in der Verdrehung, Übertreibung und Vergröberung des Erlebnisses und insbesondere in der Versteif u n g auf eine einmal gemachte Aussage; derart k o m m t der Jugendliche von einer N o t lüge, die er zur A n w e n d u n g b e f ü r c h t e t e r Strafe gemacht hat, nicht mehr los; deshalb m u ß auf den U r s p r u n g der Aussage zurückgegangen werden. Die Wiedergabe des W a h r genommenen leidet u n t e r der U n g e w a n d t heit, den zutreffenden sprachlichen Ausdruck zu finden, und in der Verbindung eines anderen Sinnes mit herkömmlichen Begriffen. Die Persönlichkeit des ersten eine A u s k u n f t Heischenden ü b t auf junge Zeugen einen a u t o r i t ä r e n Einfluß, wenn es die Eltern, der Lehrer, der L a n d j ä g e r , der S t a a t s a n w a l t oder der Richter sind; vielfach wird auf eindringliche Fragen eine dem Vernehmenden vermutungsweise genehme oder geradezu v o n diesem angedeutete A n t w o r t gegeben. Deshalb sind Suggestivfragen bei Kindern und Jugendlichen schlechterdings auszuschließen (s. d. A r t . Suggestion). Die Gefahr einer V e r f ä l s c h u n g der Aussage des Kindes liegt in dessen Reaktion gegen die erduldeten H e m m u n g e n ihres Wollens und Handelns durch Eltern, Lehrer oder Mitschüler (Franziska Baumgartner), diese passive Resistenz kann sogar in H a ß und Verfolgungssucht gegenüber der mißliebigen Autoritätsperson umschlagen. Das lügnerische Verhalten ist dann eine Reaktion gegen f o r t d a u e r n d e Freiheitsbeschränkungen und Minderungen des jugendlichen Selbstbewußtseins und die Aussagefälschung gelangt nicht zum Bewußtsein des Vernommenen. Ein besonderes Kapitel bilden die gerade in der gerichtlichen Praxis häufiger vorkommenden Belastungen von Lehrpersonen durch ihre Schüler mit S e x u a l e r l e b n i s s e n . Hier zeigt sich oft, daß Kinder und Jugendliche ungenügende oder falsche Vorstellungen vom Wesen des Sexualerlebens ü b e r h a u p t besitzen, daß ihre jugendliche Sehnsucht nach einem Sexualerlebnis, insbesondere der Zärtlichkeit und der Liebeszuneigung des angeschwärmten Lehrers mit der Realität verwechselt wird; so k o m m t es zu falschen Deutungen an sich harmloser Vorgänge ( „ E n t harmlosungen"). In einigen Fällen weiß zwar

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Vernehmungstechnik

das Kind, daß ihm eine Zärtlichkeit erwiesen | wird, weiß aber nicht, ob die Zärtlichkeit des ; Erwachsenen einen gewollt sexuellen Char a k t e r besitzt. In anderen Fällen kann der kindliche oder jugendliche Zeuge bereits die harmlosen Berührungen als solche erkennen, aber er v e r k e n n t die Situation. Ein Umfassen der Schulter wird als U m a r m u n g oder gar als B e r ü h r u n g der Brüste g e d e u t e t ; setzt sich der Lehrer zur Schülerin in die Bank, so heißt es, er habe sich an den Beinen der Schülerin zu schaffen gemacht. Dazu k o m m t , daß infolge ungenügender Kenntnis des Körperbaues die Berührungen falsch lokalisiert werden. Besonders beeinflußt ist der Jugendliche durch die phantastische Ausgestaltung des angeblichen Sexualerlebnisses im Klatsch der Mitschüler und der Altersgenossen und in der Presseberichterstattung. Schließlich ist nicht zu übersehen, wie s t a r k der Eindruck ist, den die V e r h a f t u n g des angeblichen Täters auf Jugendliche a u s ü b t ; dadurch lassen sie sich in ihren Aussagen leicht zu Ungunsten des Beschuldigten beeinflussen. 2. D i e V e r n e h m u n g . Die Technik der Vernehmung kindlicher oder jugendlicher Zeugen in S e x u a 1 prozessen war in der H a u p t VO. d. sächsischen Justizministeriums vom 28. III. 1922 s a m t Ergänzungs- und AusführungsVO. vom 9. V I I . 1923 und in der VO. des Innenministeriums vom 6. V. 1922, und in der VO. des Justizministeriums vom 3. I. 1928 über die Vernehmung Jugendlicher überh a u p t behandelt worden. Auch sind Gesichtsp u n k t e f ü r eine Schulauskunft über Kinder als Zeugen und Beschuldigte in einer „ A n l a g e " sowie Anweisungen über den Gang der Vernehmung in einem „ M e r k b l a t t f ü r Kriminalhelfer" aufgestellt worden. P r e u ß e n war mit der allgemeinen Verfügung des Justizministeriums vom 23. II. 1927 über die Vernehmung Jugendlicher ( P r J M B l . 1927 S. 53) und mit dem Runderlaß vom 16. V I I I . 1928 über die polizeiliche Vernehmung von Kindern und Jugendlichen nachgefolgt. Die allgemeine Verfügung des Reichsministers der J u s t i z v o m 13. IV. 1935 betr. Richtlinien f ü r das S t r a f v e r f a h r e n (Amtl. Sonderveröffentlichungen der deutschen J u s t i z Nr. 7 — R. v. Decker's Verlag, H. Schenck, Berlin W 9) gibt unter Nr. 25 Anweisungen f ü r die Vernehmung von Jugendlichen. An dieser Stelle können nur die leitenden Grundsätze des Verfahrens herausgegriffen werden. Voranzuschicken ist, daß die Einstellung des Vernehmden gerade bei Kindern und Jugendlichen darauf gerichtet sein m u ß , durch ruhigen, sachlichen und gütigen Ernst das Vertrauen des Vernommenen zu gewinnen. Gerade bei diesen Zeugen m u ß der Vernehmende z u h ö r e n können, Geduld behal-

t e n , selbst bei abschweifenden oder offenbar lügnerischen Erzählungen. Er darf nicht jede unwahre Aussage als eine Lüge (s. d.) betrachten und noch weniger bei der in der Entwicklung begriffenen Persönlichkeit des J u g e n d lichen ihn als schlechterdings lügenhaft behandeln. Die Phantasiefähigkeit, Suggestibilität und Lügenhaftigkeit ist besonders zu prüfen (Seelig). Der Vernehmende soll den anderen „reden lassen" und nicht nach einzelnen im Verhör festgelegten Fragen abhören; nicht den Beschuldigten, und schon gar nicht den Jugendlichen, t r i f f t die Last des Beweises seiner eigenen Unschuld oder gar die Pflicht, die Person des wahren Schuldigen nachzuweisen. Zur Vernehmung soll nur eine psychologisch und insbesondere sexualpsychologisch ausgebildete und p r a k tisch erfahrene Persönlichkeit herangezogen werden, so daß bei der S t a a t s a n w a l t s c h a f t wie bei der Polizei hierfür eine geeignete Persönlichkeit dauernd bestellt wird. Erforderlichenfalls sind bei der polizeilichen Vernehm u n g K r i m i n a l h e l f e r beizuziehen. Ist dies nicht tunlich, so wäre es vorsichtig, wenn das mit der Vernehmung b e t r a u t e E x e k u t i v organ ( S c h u t z m a n n , Landjäger, W a c h m a n n , Gendarm) bei s t r a f b a r e n Handlungen aus dem Sexualbereich des angeblich betroffenen Opfers zunächst nur Identität des angeblichen Täters, Ort und Zeit der T a t feststellt, aber die übrigen T a t b e s t a n d s e r h e b u n g e n dem S t a a t s a n w a l t und dem Gericht ü b e r l ä ß t . Doch soll der Sachverhalt tunlichst bereits im Vorverfahren durch r i c h t e r l i c h e Vern e h m u n g geklärt werden, so daß die „ e r s t e V e r n e h m u n g " zur Sache, von der infolge ihres gestaltenden Einflusses so viel a b h ä n g t , einwandfrei erfolgt. In der H a u p t v e r h a n d lung sollte das K i n d ü b e r h a u p t nicht mehr oder, wenn der Persönlichkeitseindruck zur Ü b e r f ü h r u n g erforderlich ist, nur in aller Kürze sozusagen „ r e p e t i e r e n d " v e r n o m m e n werden. Bei jeder Vernehmung ist d a f ü r zu sorgen, daß Jugendliche nicht lang auf ihre Vernehmung warten müssen oder gar mit anderen vorgeladenen Zeugen im W a r t e zimmer sich besprechen können. Soweit ist den Vorsichtsmaßregeln der deutschen Ministerialverordnungen zuzustimmen (vgl. Nr. 203 Abs. 3 der obengen. VO. des Reichsjustizministers vom 13. IV. 1935); es m u ß jedoch ein Vorbehalt gemacht werden gegenüber der Anschauung des Thüringischen Merkblattes, daß die Bestimmungen der R S t P O . über die Vernehmung von Beschuldigten (§ 136) und Zeugen (§ 69) durch den Richter schlechterdings und ohne Vorbehalt f ü r den P o l i z e i b e a m t e n maßgebend sind. Dies ist aus dem W o r t l a u t der Bestimmungen nicht zu erweisen und liegt auch nicht im

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oom 7. 3unt 1909, in ber Soffung 00m 9.SDiärj 1932 Jturjer Kommentar für Gräfte unb on Dr. 2He£attbet d f t c r , »eritn £afcf)enformat. 394 (Seiten. 1932. ©urefj 9iacf)träge ergänzt biß SKitte 1 9 3 5 . geb. 3t$i. 6.75 (©uttentagfdfje ©ammiung J)eutf tn Düffeiborf. ¿Streite Auflage. £afdj>enformat. 316 Seiten. 1935. @eb. 9120?. 5.60 (®uttentagfd>e (Sammlung jDeutfdfjcr SJleidfjägefejse, 9fr. 175.)

Getreu dem Geiste der neuen Verkehrsordnung, aber doch unter Heranziehung der bisherigen Rechtsprechung und anknüpfend an die Erfahrungen der Verkehrspraxis sind hier alle Rechtsfragen behandelt, die die Fülle des Straßenverkehrs mit sich bringt. — Das Verhalten von Auto, Kraftrad, Schienenbahn, Fuhrwerk, Radfahrer und Fußgänger unter sich und zu einander wird an Hand der gesetzlichen Vorschriften eingehend erläutert. Die wichtigsten Fahrgebote sind durch Zeichnungen veranschaulicht. Muster und Formulare ergänzen die Darstellung. — Die amtlichen Verkehrszeichen sind in farbiger Wiedergabe beigefügt.

©adjlidje 93eroeife bei ber Klärung tum ^obesfäHen

S3on Dr. Äettgeres, ^rofeffor ber gericf)titcf)en SKebtjtn an ber Unis »erfität 23ubapefi. «Kit 83 Olbbilbungen. ö5rofc£>fta». V , 216 Seiten. 1935. @eb. 3120?. 12.—

Der Verfasser, der als Professor der gerichtlichen Medizin, als Gerichtsarzt und als Prosektor der hauptstädtischen Polizei in Budapest seit mehr als 40 Jahren im Dienste steht, hat seine vielfachen Erfahrungen, die er in einer großen Anzahl von Fällen durch Teilnahme an Tatortsbesichtigungen und Leichenuntersuchungen gesammelt hat, für das Ermittlungsverfahren bei der Klärung von Todesfällen zusammengestellt. Ein ganz besonderes Gewicht wird in diesem Buch auf die sachlichen Beweise, die sich bei der Tatortsbesichtigung und bei der äußeren Untersuchung der Leiche ergeben, gelegt mit dem besonderen Bestreben, durch gesteigerte Heranziehung der Hilfswissenschaften der Rechtspflege und durch ein zielbewußtes planmäßiges Vorgehen beim Sammeln und Verwerten der sachlichen Beweise, einen erhöhten Erfolg zu sichern. Die sieben goldenen „ W", die sieben Fragen, die den Augen der Teilnehmer des Verfahrens vorschweben sollten: Wer? Was? Wo? Womit? Warum? Wie? und Wann? — sind einzeln ausführlich ausgearbeitet.

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