Handwörterbuch der Kriminologie: Band 5, Lieferung 1 Nachtrags- und Registerband [2., völlig neu bearbeiteter Aufl. Reprint 2020] 9783112322840, 9783112322833


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German Pages 238 [247] Year 1983

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Handwörterbuch der Kriminologie: Band 5, Lieferung 1 Nachtrags- und Registerband [2., völlig neu bearbeiteter Aufl. Reprint 2020]
 9783112322840, 9783112322833

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Band 5, Lieferung 1

HANDWÖRTERBUCH DER KRIMINOLOGIE Begründet von

ALEXANDER ELSTER und H E I N R I C H

LINGEMANN

in völlig neu bearbeiteter zweiter Auflage herausgegeben von

Rudolf Sieverts t und Hans Joachim Schneider Nachtrags- und Registerband, erste Lieferung

Prostitution; Strafen und Maßregeln; Strafrechtsreform; Tierquälerei; Fahrlässige Tötungsdelikte; Umweltkriminalität; Kriminalistik; Strafaussetzung zur Bewährung, Bewährungshilfe und Führungsaufsicht; Strafvollzug: Untersuchungshaft; Strafvollzug: Erwachsenenbildung.

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Berlin 1983 W A L T E R DE G R U Y T E R • B E R L I N • N E W YORK

Nachtrags- und Registerband, erste Lieferung Prostitution

Von Prof. Dr. Hans Joachim Schneider

Strafen und Maßregeln

Von Prof. Dr. Ulrich Eisenberg

Strafrechtsreform

Von Prof. Dr. Ulrich Weber

Tierquälerei

Von Rechtsanwalt Dr. Klaus Wiegand

Fahrlässige Tötungsdelikte

Von Prof. Dr. Wolf Middendorff

Umweltkriminalität

Von Ltd. Kriminaldirektor a. D. Günther Bauer

Kriminalistik Strafaussetzung zur Bewährung, Bewährungshilfe und Führungsaufsicht Strafvollzug: Untersuchungshaft Strafvollzug: Erwachsenenbildung

Von Ltd. Kriminaldirektor a. D. Günther Bauer Von Prof. Dr. Michael Walter Von Prof. Dr. Heinz Müller-Dietz Von Prof. Dr. Heinz Müller-Dietz

Erscheinungsdatum: Juni 1983 ISBN 3 11 00 9717 6 © Copyright 1983 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, Karl J. Trübner, Veit & Comp., 1000 Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany Satz und Druck: Saladruck Steinkopf & Sohn, Berlin 36 Buchbindearbeiten: Lüderitz & Bauer, Berlin 61

Prostitution

PROSTITUTION 1. Begriff der Prostitution Die Prostituierte gibt sich zum Zwecke der Bestreitung ihres Lebensunterhalts in der Regel ohne Gefühlsbeteiligung gegen Entgelt - Geld oder sonstigen materiellen Gewinn - wahllos vielen Partnern, meist Männern, die sie für gewöhnlich nicht kennt, zum Geschlechtsverkehr oder anderen Sexualhandlungen hin. Nach ihrer eigenen Meinung und nach der Auffassung ihrer Bezugspersonen (Zuhälter, Bordellwirte) geht sie einem Berufe nach, der in einer Dienstleistung besteht, nämlich darin, kurze, unpersönliche Sexualkontakte anzubieten. In der Sicht der öffentlichen Meinung läßt sie sich zum Sexualobjekt erniedrigen. Sie beutet ihre eigene Sexualität und die ihrer Kunden aus, indem sie gefühlsmäßig gleichgültig - ihre Sexualbeziehungen rein kommerzialisiert. Die Gesellschaft beurteilt ihre Tätigkeit als sozialabweichendes Verhalten, weil ihr Geschlechtsverkehr nicht in stabilen zwischenmenschlichen Beziehungen innerhalb von Ehe und Familie stattfindet und weil er grundsätzlich nicht auf Fortpflanzung, Vermehrung und Kinderaufzucht und deshalb auch nicht auf die Erhaltung der Gesellschaft abzielt. Die Prostituierte macht ihren Körper für ihre Kunden zum reinen sexuellen Lustobjekt, um daraus finanziellen Gewinn zu schlagen. Zwar werden vor- und außereheliche Sexualbeziehungen in den modernen Industriegesellschaften geduldet, wenn die Paare, die sich lieben und heiraten wollen, sich dabei diskret und taktvoll verhalten. In der finanziellen Ausbeutung der Sexuallust anderer sieht die Gesellschaft indessen ein egoistisches, sozialfeindliches Verhalten, das sie sozial abwertet. Die Prostituierten werden deshalb als Randgruppe gebrandmarkt und aus der Gesellschaft weitgehend ausgeschlossen, obgleich sie für die sexuell Unbefriedigten, Perversen, Fremden in der Gesellschaft eine wichtige Ventilfunktion erfüllen. Die phantasierte Prostitution, z. B. ihre populärwissenschaftliche Darstellung, übersteigt bei weitem ihre wirkliche Bedeutung. Nur zu oft reagieren die Massenmedien und die öffentliche Meinung auf Prostitution in gefühlsmäßiger, moralisierender, dramatisierender Weise. Selbst bei Kriminologen und Praktikern der Strafrechtspflege kann man mitunter eine mangelnde Distanz zu ihrem Objekt der Forschung beobachten. Sie verschlimmern damit nur das persönliche und soziale Problem. Nicht selten verfolgt die Bevölkerung Berichte der Massenmedien über Prostitution und Zuhälterei mit „wollüstigem Schaudern". Das ist keine Haltung, die eine vernünftige Kontrolle der Prostitution erleichtert. 2. Geschichte der Prostitution In der Geschichte gab es neben der gewerbsmäßigen Prostitution die religiöse und gastliche Prostitu-

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tion. Die jungen Babylonierinnen mußten den Tempel der Istar aufsuchen, um dort darauf zu warten, daß ein beliebiger Fremder sie zum Geschlechtsverkehr im Istarhain aufforderte. Sie erhielten dafür eine Münze nach dem Gutdünken des Fremden, die als geheiligtes Geld galt und der Göttin gehörte. Nach Vollzug des Verkehrs, der die Bedeutung eines religiösen Rituals hatte, konnte das junge Mädchen nach Hause zurückkehren, weil es seine einmalige Pflicht der Fruchtbarkeitsgöttin gegenüber erfüllt hatte. Eine gehobene Form der Prostitution war das Hetärentum in Griechenland. Die Hetären waren musikalisch ausgebildet und auf geistigem Gebiet soweit erzogen, daß sie auch den Gebildeten unter ihren Besuchern verstandesmäßig zu folgen und mit ihnen eine Unterhaltung zu führen vermochten. Ihre Standbilder wurden neben denen der großen Männer aufgestellt, und sie waren Heldinnen von Dramen und Gedichten. Die japanischen Geishas haben eine ähnliche Stellung wie die Hetären. Sie sind in Tanzen, Singen und anderen Unterhaltungsarten ausgebildet und bedienen ihre Gäste im Teehaus. Sie sind keine gewöhnlichen Prostituierten, sondern sie wählen ihre Sexualpartner aus. Reste der gastlichen Prostitution, die es noch heute bei den Eskimos gibt, haben sich in Mitteleuropa bis ins Mittelalter erhalten: Der Gast durfte die Nacht mit der Frau, der Tochter oder der Magd des Gastgebers „auf guten Glauben", d. h. in der Erwartung verbringen, daß keine Schwängerung eintrat. Die Heere der Kreuzfahrer wurden bereits von einem Dirnentroß begleitet. Die Landsknechtstruppen des Dreißigjährigen Krieges kannten sogar die Dienststellung eines „Hurenweibels", eines Feldwebels, der unter dem Dirnentroß für Ordnung sorgte. Das Konzil von Konstanz (1414 bis 1418) lockte etwa eintausend Prostituierte an. Hauptsammelpunkt der Prostitution war im Mittelalter bis in die Renaissance hinein das Badehaus, das einen allgemeinen Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens bildete. In Japan ist heute noch die BadehausProstitution, aber auch die Prostitution in Stundenhotels und durch sogenannte Masseusen in Hotels weit verbreitet. Seit den zwanziger Jahren nimmt die kasernierte Bordellprostitution (George J. Kneeland 1917; Howard B. Woolston 1921) ab. An ihre Stelle tritt immer mehr eine heimliche Prostitution in Massagesalons und „Taxi Tanzhallen" (Paul G. Cressey 1932), in denen man gegen eine geringe Gebühr „Taxi Girls" zum Tanzen auffordern konnte. Diese jungen Damen waren gelegentlich zur Prostitution bereit.

3. Erscheinungsformen

der Prostitution

Man unterscheidet die Prostitution entweder nach dem Ort, an dem die Dirnen „auf den Strich"

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Prostitution

gehen (sich anbieten) oder die Prostitution ausüben: Haus-, Bar-, Hotel-, Bordell-, Straßen-, Theater-, Lokal-, Eisenbahn- oder Kraftfahrzeugprostitution oder nach dem Beruf, den sie gerne zur Verschleierung ihrer wahren Tätigkeit angeben oder noch wirklich ausüben: Bar- und Tischdamen-, Kellnerinnen-, Serviererinnen- oder Tänzerinnenprostitution. Von der Prostitution, die durch das organisierte Verbrechen betrieben wird (Call-GirlRinge), trennt man die halborganisierte Prostitution, die durch Photomodell-Agenturen, SpezialKosmetiksalons oder Privat-Sexklubs vermittelt wird. Die unorganisierten Prostituierten, die ihre eigenen Manager sind, machen durch Zeitungsanzeigen (Hostessen, Photomodelle) auf sich aufmerksam oder treffen ihre Kunden in Tanzcafes, Nachtklubs und Diskotheken. Neben der Berufsprostitution steht die nichtberufsmäßige Teilzeitprostitution: Teenager, die im Elternhaus leben und regelmäßig die Schule besuchen, prostituieren sich - ohne Wissen ihrer Eltern - an Nachmittagen oder an einzelnen Wochenenden (Dorothy Heid Bracey 1979, 58). Hausfrauen aus der Mittelschicht treffen sich - ohne Wissen ihrer Ehemänner - mit ihren Partnern in Hotelzimmern, um ihrer Langeweile zu entfliehen und sich ein wenig Taschengeld nebenbei zu verdienen. Neben einer unhygienischen Prostitution entwikkeln sich in verstärktem Maße neuerlich hygienischere Formen der Prostitution. Die unhygienische Prostitution ist gekennzeichnet durch ihre Gefahr der Ansteckung mit Geschlechtskrankheiten, durch ihre Verbindung mit Kriminalität und durch ihre starke soziale Abwertung. Als Beispiel für diese Art kann die Prostitution in Polen dienen, weil man sie dort durch die Behörden drastisch zu unterdrükken versucht und dadurch in die Illegalität treibt. Nach dem 2. Weltkrieg ist die Prostitution in Polen ständig angestiegen. Die Zahl der Prostituierten wurde vor etwa zehn Jahren auf mehr als 10000 geschätzt (Leszek Lerneil 1973, 304-311). Sie ist besonders in Warschau und in den polnischen Hafenstädten weit verbreitet. Man unterscheidet verschiedene Arten der Prostitution in Polen: Die Straßenprostituierten verkehren mit ihren Partnern in Trümmern, in Parks, an Stränden und abgelegenen Stellen (z. B. in Kellern, in Hauseingängen, im Treppenhaus, auf dem Boden). Die Restaurantprostituierten begeben sich mit ihren Partnern am häufigsten in die Wohnungen ihrer Kuppler und Zuhälter, in die Wohnungen ihrer Partner, in ihre eigenen Wohnungen oder in gemietete Taxis. Das Restaurant ist lediglich ein Anbahnungsort. Die Gesellschaftsprostituierten verfügen über eine eigene, gut eingerichtete Wohnung. Sie unterhalten Beziehungen mit einer kleinen Zahl von Personen, die ihre Dienste in Anspruch nehmen und die sie ihren Bekannten weiterempfehlen. Die Zeit des Zusammentreffens wird am häufigsten telefonisch vereinbart. Die Hotelprostituierten steigen in Großstadt-

hotels ab. Mit ihren Kunden knüpfen sie telefonisch Bekanntschaften an, und sie laden ihren Partner in ihr Zimmer ein oder schlagen vor, in sein Hotelzimmer zu kommen. Nicht selten nehmen sie die gutbezahlten Dienste der Hotelportiers in Anspruch, die ihnen die Partner auch von außerhalb des Hotels zuführen (Leszek Lernell 1973, 304-311). 82 Prostituierte im Alter von weniger als 25 Jahren hat Magdalena Jasiriska (1964) in Warschau interviewt. Sie hat ein Jahr und zwei Jahre nach den Erstinterviews Nachuntersuchungen vorgenommen. 51 % der von ihr untersuchten Prostituierten kamen aus der Arbeiterschicht, 18 % vom Land und 5 % aus der Intelligenzschicht. Bei drei Vierteln der Elternhäuser mangelte es an elterlicher Leitung und Kontrolle, 51 % hatten keinen Elementarschulabschluß, 86% ihre Ausbildung unterbrochen. Drei Viertel aller Prostituierten liefen von Zuhause weg. Sie fühlten sich im Elternhaus wegen des ständigen Streits und wegen des zerrütteten Ehelebens der Eltern nicht wohl. Die Prostituierten, die gelegentlich auch beim Geschlechtsverkehr mit ihren Kunden sexuelle Befriedigung empfanden, begingen zu 84% Straftaten: Beischlafdiebstähle, Erpressungen und Raubüberfälle zusammen mit ihren Zuhältern und Kupplern. Die Freunde und Ehemänner der Prostituierten organisierten die Rechtsbrüche. Die Kunden wurden in einen Hinterhalt gelockt und überfallen. Da sie jeden Skandal vermeiden wollten, zeigten sie die Prostituierten und ihre Zuhälter nicht an. Auch vandalistische Handlungen wurden den Kunden gegenüber begangen. Der Diebstahl wurde für die meisten Prostituierten zum wesentlichen Element ihrer „beruflichen" Karriere (Magdalena Jasinska 1964, 363-376). Neben dieser Art der Prostitution, die man auch noch in westeuropäischen und nordamerikanischen Industrieländern findet und die in den Entwicklungsländern weit verbreitet ist, entwickelt sich in Nordamerika und Westeuropa eine hygienischere Prostitution, die man als Wirtschafts- oder Teilzeitprostitution oder als hochprofessionalisierte Prostitution von „Sexualtechnikerinnen" bezeichnen kann. Diese Prostitutionsform ist wenig mit Geschlechtskrankheiten und kaum mit Kriminalität (allenfalls mit Wirtschaftskriminalität) belastet. Da sie sich besser sozial einordnet, nicht gemeinlästig ist und da sie sich wirksamer zu tarnen und zu verschleiern versteht, ist sie auch kaum sozial geächtet. Die beteiligten Frauen und Mädchen fühlen sich weniger ausgebeutet und nicht als Sexualobjekte degradiert. Industrieunternehmen, Herstellerfirmen von Waren, versuchen ihre Hauptabnehmer, Handelsfirmen, dadurch zu für sie günstigen langfristigen Verkaufsverträgen zu veranlassen, daß sie die Manager der Handelsfirmen durch „Prostituierte" unterhalten lassen, die sich nicht als solche zu erkennen geben und die von den Industrieunternehmen bezahlt werden. Sekretärinnen, Fotomodelle, Lehrerinnen, Tänzerinnen, Schauspielerin-

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Prostitution nen, Hausfrauen übernehmen diese einträgliche Nebenbeschäftigung. Es handelt sich meist um attraktive, gepflegte, charmante junge Damen, die man zum Essen und Tanzen ausführen kann, die sich zu benehmen wissen und die für eine Nacht mit ihrem Partner das Hotelzimmer teilen. Man lädt diese jungen Damen auch zu einem Herrenausflug übers Wochenende auf eine Yacht ein. Diese „Teilzeitprostituierten" werden hoch bezahlt und üben ihre Tätigkeit in einer angenehmen, entspannten und gepflegten Atmosphäre aus. Wirtschaftsmanager äußern die Meinung, daß es keine engere persönliche Beziehung zwischen Männern gibt, als mit denselben Frauen geschlafen zu haben. Da die Manager meist verheiratet sind und den Skandal der Offenlegung ihrer „Abenteuer" fürchten, besitzen sie ein Druckmittel für gegenseitiges Wohlverhalten im wirtschaftlichen Bereich. Handelt es sich bei der skizzierten Prostitutionsform um „käufliche Sexualität" für gehobene Bevölkerungsschichten, so sind die sexuellen Dienste in vielen modernen Massagesalons in Nordamerika und Westeuropa für den kleinen Mann gedacht. Es herrscht eine öffentliche Verwirrung, ob in Massagesalons sexuelle Dienste geleistet werden oder nicht. Nach außen hin lassen die Massagesalons behaupten, daß sie keine sexuellen Sonderleistungen erbringen. Das trifft auch oft zu. Wenn ein Kunde den Massagesalon betritt, den die Masseuse aus irgendeinem Grunde nicht leiden kann, leugnet sie ihm gegenüber jede Möglichkeit sexueller Sonderleistungen ab. Auf diese Weise erhält sie sich ihre Selbstachtung: „Ich bin keine gewöhnliche Prostituierte. Ich bediene nur Kunden, die ich gern leiden mag" (Paul K. Rasmussen, Lauren L. Kuhn 1978, 813). Sexuelle Sonderleistungen werden von einzelnen Masseusen mit einzelnen Kunden im Massageraum vereinbart, in dem sie mit Kunden allein sind. Das gibt zahlreichen Masseusen Gelegenheit, ihre Sexualität unter Anwendung hochentwickelter Sexualtechniken, diskret und unter hygienischer Kontrolle zu „vermarkten". Die Masseusen, Damen aus der Mittelschicht im Alter zwischen 18 und 30 Jahren, mit angenehmem Äußeren und liberalen Sexualauffassungen, besitzen im Massagesalon bequeme Arbeitsbedingungen bei guter Bezahlung. Daß nicht alle Massagesalons sexuelle Sonderleistungen erbringen und daß solche Sonderleistungen ins Ermessen der einzelnen Masseuse gestellt werden, ermöglicht es vielen Masseusen, sich nicht als sozialabweichend zu definieren und sich auch nicht als sozialabweichend abstempeln zu lassen. Die volle Tätigkeit vieler Massagesalons und vieler Masseusen bleibt im Zwielicht, im Halbdunkel. Nebeneinnahmen werden in vielen Massagesalons für folgende sexuelle Sonderleistungen von einzelnen Masseusen erzielt: manuelle sexuelle Erregung, oral-genitale Sexualkontakte und Geschlechtsverkehr. Zahlreiche Masseusen begrenzen ihre sexuellen Sonderleistungen im Umfang, in der

Art und im Personenkreis, den sie bedienen. Sie bemühen sich darum, sich bei der Erbringung sexueller Sonderleistungen gefühlsmäßig nicht zu beteiligen. Ihren Freunden und Ehemännern gegenüber können sie auf diese Weise einige Tätigkeiten einräumen, ohne ihnen alles sagen zu müssen. Denn die Masseuse ist in einem aufreizenden Milieu mannigfaltigen Versuchungen und Druckphänomenen der Konkurrenz ausgesetzt, denen sie mitunter nur schwer zu widerstehen vermag. In einem solchen Milieu, in dem eine Aufsplitterung und Verteilung der Sexualität und eine Zuteilung und Nichtzuteilung je nach persönlicher Sympathie möglich ist, lernt man schnell, Sexualtechniken mit professioneller Meisterschaft anzuwenden und sich an die Besonderheiten und Einstellungen der Kunden zu gewöhnen. Hochbezahlte Spezialprostituierte sind auch in Bordells tätig. Als „Stiefelfrauen" „behandeln" sie zusammen mit einigen „Dienerinnen" in kleinen Folterkammern ihre Kunden mit sado-masochistischen Praktiken. Es handelt sich meist um Stammkunden, die pro „Behandlung" 1500,- DM zahlen müssen (Jürgen Kahmann, Hubert Lanzerath 1981, 80/81).

4. Die Prostitution als soziales System Alle Prostituierten tun zwar im wesentlichen dasselbe. In der modernen hochzivilisierten Gesellschaft teilt sich die Prostitution jedoch in eine Fülle von Erscheinungsformen auf, um durch einen Ausfilterungsprozeß den verschiedensten Bedürfnissen und Interessen Rechnung tragen zu können. Durch ein System der Aussonderung, der Verteilung im Raum und des gegenseitigen Abstandhaltens wird die Variationsbreite der Begegnungsmöglichkeiten mit verschiedenen Typen von Prostituierten begrenzt und die Anonymität der Begegnung vermindert. In der Hierarchie der Prostitutionsformen wird die Straßen- und Autoprostitution ganz unten eingestuft. Die Prostitution in Massagesalons oder die Anzeigenprostitution (z. B. durch Photomodellagenturen) nimmt eine mittlere Position ein. Die Elite der weiblichen heterosexuellen Prostitution bilden die „Call-Girls". Zwar kann auch ein „CallGirl" in ihrer devianten Karriere einmal auf der Straße angefangen und sich dann „hochgearbeitet" haben. Gleichwohl vermeiden die verschiedenen Typen von Prostituierten einen zu engen Kontakt. Die Vertreterinnen der höheren Formen schauen jeweils verächtlich auf die niedrigeren Formen herab. Straßen- und Autoprostituierte sind deshalb so minder geachtet, weil sie nahezu jeden Kunden akzeptieren und weil sie große Zahlen von Kunden zu niedrigem Preis schnell und unpersönlich abfertigen. Die allerniedrigste Form der Prostitution ist die Bordellprostitution gealterter Prostituierter, die sich in einem Bordellhinterhof mit alten, häßlichen,

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behinderten und betrunkenen Männern abgeben müssen. Das „Call-Girl" akzeptiert demgegenüber nur eine kleine Zahl ausgewählter Kunden, die hohe Preise zahlen können. Sie wird nicht nur wie die Straßenprostituierte im voraus in Geld bezahlt, was das Geschäftsmäßige der Begegnung verdeutlichen und gleichzeitig verhindern soll, daß der Kunde ohne Bezahlung verschwindet. Das „Call-Girl" erhält wertvolle Kleider, Juwelen oder die Miete für ihr Luxusappartement als Gegenleistungen. In der öffentlichen Meinung wird die Straßenund Autoprostitution als ein wahlloses, chaotisches und völlig ungeordnetes Phänomen beurteilt. Daß eine solche Sichtweise nicht der Wirklichkeit entspricht, hat Bernard Cohen (1980) herausgearbeitet, der in New Y o r k City durch unmittelbare Feldbeobachtung und informelle Interviews zwei Jahre lang die Straßen- und Autoprostitution untersucht hat. Cohen hat für seine Beobachtungen ein Kraftfahrzeug benutzt, und er hat alle seine Erfahrungen sofort auf einen Kassettenrecorder diktiert. E r stellte fest, daß die Straßen- und Autoprostitution eine wohlgeordnete Subkultur bildet. Jede Prostituierte hat ihren festen „Standplatz" am Gehweg, von dem aus sie die langsam vorbeifahrenden Autofahrer auf sich aufmerksam zu machen versucht. Diesen festen Standplatz, mit dem sie sich so sehr identifiziert, daß sie an ihm „Quasi-Eigentümer-Rechte" geltend macht, besitzt sie aus folgenden Gründen: Sie kennt das Gebiet um ihren Standplatz herum so gut, daß sie sich notfalls leicht und schnell verstecken oder auch bei Gefahr flüchten kann. Ihre Stammkunden wissen, wo sie zu finden ist. Ihr Zuhälter kann sie gut überwachen. Ihre Mitbewerberinnen halten so weit Abstand, daß sie mit ihnen konkurrieren kann. Innerhalb des Prostitutionsbezirks sind die Straßenund Autoprostituierten nach ihrem Alter, ihrer Attraktivität und nach den sexuellen Diensten, die sie anbieten, in einer bestimmten Ordnung verteilt. Schon etwas ältere und weniger attraktive Prostituierte würden sich unter jungen, hübschen Mädchen nicht halten können. Deshalb sucht sich jede ihren Platz oder bekommt ihn von ihren Mitbewerberinnen oder den Zuhältern angewiesen. Insofern reguliert und kontrolliert sich die deviante Subkultur selbst. Autoprostituierte benutzen auch immer wieder denselben „Stellplatz", zu dem sie ihre Kunden leiten, um dort die vereinbarten sexuellen Handlungen mit ihnen auszuführen. Auf diese Weise kann ihr Zuhälter sie vor Angriffen ihrer Kunden am besten schützen und sie gleichzeitig wirksam kontrollieren. Der Zuhälter genießt im kriminellen Milieu kein großes Ansehen, weil er keine besonderen Fähigkeiten - wie z. B . der Berufseinbrecher - besitzt. E r ist bewußt modisch gekleidet, schmückt sich mit Juwelen, besitzt ein großes, modernes Auto und läßt auf jede Weise erkennen, daß es ihm nicht an Geld mangelt. Sein Prestige steht in Wechselwirkung zum Ansehen, das seine Prostituierten in der devianten Subkultur genießen. Die Prostitu-

ierte braucht ihren Zuhälter, weil er ihren „Beruf" versteht und sie emotional stützt, weil er sie schützt, ihr die Regeln der devianten Subkultur beibringt und sie überredet, diese Regeln einzuhalten. E r kennt sich im kriminellen Milieu gut aus und wird von Kriminellen als Auskunftsperson und mitunter auch als Geldquelle benutzt. Die Prostituierten können ihren devianten Lebensstil nur einige Monate bis etwa sechs oder sieben Jahre lang durchhalten. Die meisten Prostituierten geben nach zwei bis drei Jahren auf. Die wenigen, die ihr Geld zusammenzuhalten vermochten, kaufen sich eine eigene Boutique oder einen Friseursalon. Die meisten heiraten. Auf viele wartet kein vielversprechendes Leben, da sie keine abgeschlossene Berufsausbildung haben und sich mit schlechtbezahlten Berufen (z. B . Toilettenfrau) begnügen müssen. Die Straßen- und Autoprostituierten, die durch die Art ihrer Kleidung und durch körperliche Ausdrucksbewegungen (z. B . Art ihres Ganges) auf sich aufmerksam machen, sprechen eine eigene Sprache, in der sie sich sehr offen und drastisch über sexuelle Vorgänge äußern. Sie „arbeiten" in bestimmten Großstadtbezirken zusammen, um sich gegenseitig zu schützen und zu kontrollieren. Prostituierte, die im devianten Milieu längere Zeit überleben können, besitzen folgende Merkmale: Sie sind nicht gewalttätig. Sie stehlen nicht. Sie kommen mit ihren Mitbewerberinnen aus. Sie befolgen die Regeln der devianten Subkultur. Sie verhalten sich rücksichtsvoll und ehrerbietig gegenüber der Polizei. Sie besitzen ein angenehmes, ruhiges, eher kühles Naturell. Sie sind nicht rauschgiftsüchtig, und sie vermögen ihre Kunden zu kontrollieren. Gewalttätige, unehrliche, arrogante, aufgeblasene und rauschgiftsüchtige Prostituierte neigen dazu, mit anderen Prostituierten, mit Kunden oder mit der Polizei zusammenzustoßen. Prostituierte, die ihre Kunden betrügen, bestehlen oder berauben, sind auf die Dauer nicht in der Lage, genug zu verdienen, um als Prostituierte davon leben zu können. Sie werden körperlich verletzt oder mitunter auch getötet, weil sie sich in einem gefährlichen Milieu leichtsinnig verhalten. Straßen- und Autoprostitution entwickelt sich in Großstadtbezirken, die sich für dieses illegale „Geschäft" eignen und die genug Möglichkeiten zur Flucht bieten. Diese Großstadtgebiete, die meist von armen Minderheiten bewohnt werden, die der Prostitution tolerant gegenüberstehen, sind gekennzeichnet durch Parks, Alleen, schäbige Hotels, billige Absteigen, leere Bauplätze, verlassene Gebäude, Nachtbars, schlechtbeleuchtete Parkplätze und Schnellimbißstuben, die noch spät abends geöffnet haben.

5. Die Prostituierte als Opfer Die Hälfte aller von Magdalena Jasihska (1964) befragten polnischen Prostituierten war bei ihrem

Prostitution ersten Geschlechtsverkehr vergewaltigt worden. Nach einer japanischen Untersuchung (Jasuka Fujita, Juzaburo Hashimoto, Noriko Sato 1974) waren es sogar 67 % der jugendlichen Prostituierten. Viele der von Dorothy Heid Bracey (1979) untersuchten New Yorker jugendlichen Prostituierten, die im Alter bis zu 18 Jahren standen, waren als Kinder von ihren Eltern körperlich mißhandelt oder sexuell mißbraucht worden. Die psychische Fehlverarbeitung einer Vergewaltigung oder einer dauernden körperlichen Mißhandlung kann dazu führen, daß ein junges Mädchen eine prostitutive Karriere beginnt. Prostituierte sind opfergeneigte Personen, weil sie sich in viktimogene Situationen begeben, aus denen heraus häufig ein Prozeß des kriminellen Opferwerdens in Gang kommt. Der normale Bürger meidet in der Nacht dunkle, abseitige Großstadtgebiete und den Kontakt mit Fremden in diesen Bezirken zu dieser Zeit. Prostituierte sind nicht nur bösartigen Angriffen von Mitbewerberinnen und Straßenpassanten ausgesetzt, sondern sie nehmen auch in abgelegenen Großstadtgebieten Fremde während des Abends und der Nacht mit nach Hause, um Geschlechtsverkehr gegen Bezahlung mit ihnen zu haben. Zwischen 1962 und 1972 sind in München zwanzig Prostituierte eines gewaltsamen Todes gestorben (Richard Symanski 1981, 52). Prostituierte werden häufig von ihren Kunden angegriffen. Sie stehen nachts oftmals allein auf den Straßen in Großstadtbezirken, die hoch mit Kriminalität belastet sind. Sie tragen manchmal hohe Geldsummen mit sich herum. Das wissen jugendliche Räuber und Rauschgiftsüchtige, die ihnen die Handtaschen zu entreißen versuchen.

6. Ursachen der Prostitution Gibt es viele Spielarten der Prostitution in den modernen Industriegesellschaften, so ist die Prostitution - nach ihrer jeweiligen Erscheinungsform auch auf unterschiedliche Gründe zurückzuführen. So mag es durchaus vorkommen, daß die höheren Formen der Prostitution (z.B. Tätigkeit als „CallGirl") aus mehr oder weniger rationaler Motivation gewählt werden (Harry Benjamin, R. E. L. Masters 1964, 91). Im übrigen gibt es im wesentlichen fünf Erklärungsversuche zur Verursachung der Prostitution: die Anlagetheorie und ihre Weiterentwicklung, die sozioökonomische Theorie, der psychoanalytische und der lerntheoretische Erklärungsversuch, schließlich die sozialpsychologische Theorie der „Prostituiertenkarriere", die Elemente des psychoanalytischen und des lerntheoretischen Erklärungsversuchs verarbeitet. Lombroso und Ferrero haben (1894) die anlagetheoretische Interpretation begründet: Es gibt eine „geborene Dirne", bei der typische Degenerationsmerkmale anatomischer und psychischer Art nachgewiesen werden können. Erich Wulften spricht

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(1931) davon, daß „im Weibe physisch und psychisch die Dirnennatur schlummert...". Er fährt dann fort: „Die Prostitution ist unausrottbar, weil sie mit der psychophysischen Anlage des Weibes zusammenhängt." Kurt Schneider hat (1926) diesen Ansatz weitergeführt. Er untersuchte in den Jahren 1913 und 1914 in Köln 70 eingeschriebene Prostituierte, die unter Gesundheitskontrolle standen, und veröffentlichte deren Lebensläufe. Er teilte sie nach den Kriterien „ruhig-phlegmatisch" und „unruhigsanguinisch" ein. Zu den Ruhigen zählte er über zwei Drittel, zu den Unruhigen etwa ein Drittel seiner Fälle. Er nahm eine „Abwägung zwischen Schicksals- und Anlagefaktoren" vor. Es war für ihn indessen nur denkbar, daß eine Frau zur gewerbsmäßigen Dirne wird, „wenn die ganze Persönlichkeit dieser Lösung in übermächtiger Weise entgegenkommt". In den Jahren 1924 und 1925 nahm er eine Nachuntersuchung an 62 noch erreichbaren Probandinnen vor, von denen noch 19 unter Gesundheitskontrolle standen. Von den 43 Kon trollentlassenen waren 32 verheiratet und lebten mit ihren Ehemännern zusammen. Alle eingeschriebenen Prostituierten beklagten sich bitter über ihre polizeiliche Abstempelung. Unter den 62 wieder ermittelten Prostituierten fand Kurt Schneider 14 Frauen, die ihm charakterologisch nicht auffielen, 21 Schwachsinnige, 15 Frauen mit „psychopathischen" Zügen und 12 Schwachsinnige mit „psychopathischen" Merkmalen. Er kommt zu dem Schluß: „Es handelt sich bei den meisten Mädchen wohl nicht um ausgesprochen psychopathische Persönlichkeiten, sondern um Menschen mit abnormen Charakterzügen." Ebenfalls 70 Prostituierte haben Siegfried Borelli und Willy Starck (1957) in München mit den Methoden der Exploration, der Verhaltensbeobachtung und mit psychodiagnostischen Testverfahren untersucht. Sie stellten Infantilität, eine psychische Unreife, eine „sittlich defekte Anlage" und Lebensuntüchtigkeit bei ihren Probandinnen fest, die unfähig waren, dauerhafte soziale Bindungen einzugehen. Anlagemäßig vorgegebene Minderwertigkeiten und negative Kindheitseinflüsse wirkten in die gleiche Richtung, indem sie die Bildung des psychischen Gleichgewichtes und damit die Ausreifung der Persönlichkeit verhinderten. Nach Borelli und Starck ist die Prostitution kein Problem einer übersteigerten Sexualität der Prostituierten. Sie stellten vielmehr Beeinträchtigungen des Selbstgefühls, Empfindungen der Angst und gestörte Familienverhältnisse fest. Die von ihnen ermittelten psychischen Mängel halten sie für „anlagemäßig mitbedingt". Sie konnten aufgrund ihrer Untersuchungen bestätigen, „daß ein nicht unerheblicher Teil der Prostituierten an angeborenen psychischen Mängeln leidet..." (1957, 250). Die Vertreter der sozioökonomischen Verursachungstheorie gehen davon aus, daß die Mehrzahl der Prostituierten aus den unteren sozialen Schichten kommt. Die Lebensbedingungen dieser Bevöl-

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kerungsschichten sind zu schlecht. Die jungen Mädchen aus diesen Schichten verdienen als Arbeiterinnen, Hausgehilfinnen, Kellnerinnen, als Chor-, Ballett- oder Kabarettgirls so wenig, daß sie davon nicht leben können und sich der Prostitution zuwenden müssen (August Bebel 1892; Abraham Flexner 1914). Da ihnen legale Berufe mit gutem Verdienst versperrt sind, verbleiben ihnen nur die Möglichkeiten einer „unproduktiven Altjungfernschaft" oder eines geminderten sozialen Status als Prostituierte (Kingsley Davis 1966). Den psychoanalytischen Erklärungsansatz vertreten z. B. Edward Glover (1960, 1969) und Harold Greenwald, der „Call-Girls" in New York City psychotherapeutisch behandelt hat: Die Prostituierten müssen in ihrer Kindheit Ablehnung ertragen, so daß sich die Mädchen unerwünscht und ungeliebt vorkommen und jeder Liebe unwürdig fühlen. Aufgrund fehlender emotionaler Zuwendung ist eine Identifikation mit den Eltern unmöglich, so daß die Mädchen jeden psychischen Halt verlieren. Welche gestörten Eltern-Kind-Beziehungen im einzelnen zur Prostitution führen, ist unter den Psychoanalytikern umstritten. Die einen halten einen „Elektra-Komplex" für entscheidend, der unbewußt darauf abzielen soll, von der Mutter als gehaßter Rivalin befreit zu werden und den Vater zu besitzen. Die Prostitution stellt sich dann im Regelfall der Enttäuschung als ein gegen den Vater gerichteter feindseliger Akt dar. Die anderen sehen die erste und wichtigste Ursache für die Prostitution darin, daß die Mutter ihre Tochter von den Kinderjahren an emotional bewußt oder unbewußt ablehnte. Wenn die Mädchen die Beziehung zur Mutter als unzulänglich erlebt hatten, wandten sie sich dem Vater oder einem Vaterersatz in der Hoffnung zu, von ihm das zu erhalten, was ihnen die Mutter verweigert hatte. Indem sie sich zur Prostituierten erniedrigt, will die erwachsene Frau ihre Mutter dafür bestrafen, daß sie ihr als Kind Liebe und Wärme vorenthalten hat. Das Geld wird der Prostituierten zum Symbol für diese nicht empfangene Wärme und Liebe. Doch erweist sich das Geld als unbefriedigender Ersatz. Es ekelt sie an. Deshalb gibt die Prostituierte es ihrem Zuhälter, um ihn als Mann noch stärker zu erniedrigen, als sie selbst sich herabsetzt, oder sie wirft ihr Geld einfach „zum Fenster hinaus". In Los Angeles hat James H. Bryan (1969 a) 33 „Call-Girls" im Alter zwischen 18 und 32 Jahren untersucht. Er stellte fest, daß die Call-Girl-Anwärterinnen eine Lehre durchmachen. Die „Call-Girls" erhalten von ihren Kunden Telefonanrufe und treffen mit ihnen in ihrer eigenen Wohnung oder in der Wohnung des Kunden zusammen. Alle Call-GirlAnwärterinnen hatten vor dem Beginn ihrer Karriere Kontakte mit anderen Call-Girls oder Zuhältern. Alle Anfängerinnen werden von erfahrenen Call-Girls - mitunter unter Aufsicht eines Zuhälters - angelernt. Die Lehrzeit dauert zwischen zwei und

acht Monaten und wird in der Wohnung der „Lehrmeisterin" durchgeführt, die 40 % bis 50 % des von ihrem Lehrling „erarbeiteten" Lohnes erhält. Die Anfängerinnen werden in zwei wesentliche Dimensionen des Call-Girl-Daseins eingeführt: in die Wertstrukturen der Call-Girls und ihrer Zuhälter und in ihre Verhaltensstrukturen gegenüber Kunden, anderen Call-Girls und gegenüber Zuhältern. Die Anfängerin muß sich eine Klientel mit Hilfe ihrer „Lehrmeisterin" aufbauen. Sie muß lernen, wie sie sich in „Problemsituationen" zu verhalten hat, wann und wie sie ihr „Honorar" am besten erhält, wie sie sich mit dem Kunden unterhält und wie sie möglichst viele Kunden anlockt, um sie dann so schnell und so bequem wie irgend möglich wieder loszuwerden, wenn sie ihr Geld erhalten hat. Die Anwärterinnen müssen in zwei Grundnormvorstellungen der Call-Girls eingeführt werden: Man muß mit möglichst geringem Aufwand ein Höchstmaß an Gewinn erzielen, selbst wenn man Rechtsnormen oder moralische Wertmaßstäbe verletzt. Prostitution ist ein genauso „ehrliches", zumindest kein „unehrlicheres" Verhalten als das tagtägliche Benehmen der „Spießbürger" und ihrer Frauen. Um die „Ausbeuter auszubeuten", ist jedes Mittel recht. Die Anfängerin lernt die Solidarität der Innengruppe der Prostituierten und ihrer Zuhälter. Sie wird der Außengruppe der „Spießbürger" immer mehr verfremdet. Sexualtechniken, physische und sexuelle Hygiene sind demgegenüber untergeordnete „Lehrgegenstände". In sexuelle Perversionen wird sie so gut wie überhaupt nicht eingeführt. Es wird ihr allerdings geraten, jeden Orgasmus beim Geschlechtsverkehr mit Kunden zu vermeiden. Die Anlagetheorie überzeugt nicht, weil man die Anlagebedingtheit devianten Verhaltens nicht nachweisen kann. Jede Anlage ist notwendigerweise durch Sozialisationseinflüsse wesentlich modifiziert. Der erweiterte Anlage-Umwelt-Ansatz befriedigt ebenfalls nicht, weil der Begriff der „Umwelt" außerordentlich unbestimmt und undifferenziert ist. Die sozioökonomische Verursachungstheorie vermag nicht zu erklären, warum Mädchen aus allen Bevölkerungsschichten Prostituierte werden und warum sich nicht alle Mädchen aus den unteren Schichten der Prostitution anschließen. Jürgen Kahmann und Hubert Lanzerath haben (1981) bei ihrer Untersuchung Hamburger Prostituierter herausgefunden, daß sie aus allen sozialen Schichten stammten. Im übrigen haben sich die ökonomischen Lebensbedingungen der unteren Schichten und die Löhne der Arbeiterinnen so sehr verbessert, daß der sozioökonomische Erklärungsansatz heute veraltet ist. Der psychoanalytische Erklärungsversuch ist empirisch schwer nachweisbar. Immerhin ist richtig, daß die meisten Prostituierten ernsthafte Schwierigkeiten im Sozialisationsprozeß der Familie hatten. Der lern theoretische Ansatz wird den heutigen Erscheinungsformen der Prosti-

Prostitution tution weitgehend gerecht. Er erklärt indessen nur den zweiten Teil des Sozialprozesses der Prostitutionsverursachung. Bevor die Anfängerin den Lernprozeß durchlaufen kann, muß sie erst einmal für die Prostitution anfällig sein. Diese Anfälligkeit entsteht aufgrund gesamtgesellschaftlicher Einflüsse (einseitige materielle Orientierung bei relativ niedrigem Lohn gefährdeter Berufsgruppen, z.B. Kellnerinnen, Fotomodelle, Friseusen: Gefühl einer niedrigen Lebensqualität) und eines defekten Sozialisationsprozesses, den sie durchlaufen hat (Ablehnung, Vernachlässigung durch die Eltern, die Schule), leicht, zumal die Toleranz der Gesellschaft der Prostitution gegenüber immer größer wird. Die sozialpsychologische Theorie der „Prostituiertenkarriere", die Elemente des psychoanalytischen und des lerntheoretischen Erklärungsansatzes enthält, stellt einen „Interpretationskompromiß" dar, der sich auf neuere empirische Daten stützen kann (Diana Gray 1978; Norman B.Jackman, Richard O'Toole, Gilbert Geis 1967, Nanette J.Davis 1971; Barbara Sherman Heyl 1979, James H. Bryan 1969 b) und dessen Stärke darin besteht, daß er die Dynamik und die Prozeßhaftigkeit der Verursachung deutlich macht. Es handelt sich um einen Prozeß, in dem alte Lebensstile, persönliche Identitäten, Rollen, Einstellungen verlernt und neue gelernt werden. Dieser Prozeß kennt Wendepunkte, die erlebt und durchschritten werden müssen. In diesem Prozeß spielen Fremd- und Eigeninterpretationen und -definitionen eine wesentliche Rolle. Das Mädchen lernt, den Austausch „Sexualität gegen Geld" als Beruf anzusehen und wie eine Prostituierte zu denken und zu handeln. Nach der Theorie der „Prostituiertenkarriere" kann man fünf Phasen der Prostitutionsverursachung unterscheiden: - In der ersten Phase ist eine soziale Verfremdung und Isolation des Mädchens in seinem sozialen Nahraum beobachtet worden. Durch schlechte Beziehungen zu Vater und Mutter vermochte sich seine Beziehungsfähigkeit nicht auszubilden. Eine längere beständige Partnerbeziehung zu einem Freund konnte nicht aufgebaut werden. Das Mädchen fühlte sich einsam und verlassen in einer für es fremden, feindlichen oder gleichgültigen Welt. Seine Bedürfnisse nach Sicherheit, Zärtlichkeit, Schutz, Verständnis und Vertrauen wurden von seinen Eltern und Lehrern nicht befriedigt (Paul Le Moal 1965). Besonders dem Vater gegenüber entwickelte es eine äußerst feindselige Haltung. Weil es nicht genügend emotionale Zuwendung von Seiten seiner Mutter erhielt, konnte es sich mit ihr nicht identifizieren und keine Zielvorstellung als Ehefrau und Mutter für seine eigene Zukunft aufbauen. Sein Familienversagen setzte sich in Schule und Berufsausbildung fort, die es als langweilig und unbefriedigend erlebte. Es lief aus der Schule weg und wechselte häufig die Lehrstellen. Hinzu kamen

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frühere Versuche der Eltern, ihre eigenen unbewußten persönlichen Schwierigkeiten auf ihre Tochter zu übertragen: „Meine Mutter hat mir schon immer prophezeit, daß ich 'mal auf dem Strich lande." „Mein Vater hat gesagt: Aus dir kann nur eine Hure werden." Solche und ähnliche negative Benennungen der beeinflußbaren Mädchen durch Eltern, Lehrer und Nachbarn wirkten stark auf die Selbstdefinition der Mädchen (Nanette J. Davis 1971). Familienentfremdung und -isolation machten für Prostitution empfänglich und anfällig. - In der zweiten Phase sucht das Mädchen nach persönlichen Erfolgserlebnissen. Es befindet sich in instabilen Lebensbedingungen und in einer schlechten finanziellen Situation. Es ist mit sich und seiner Lage unzufrieden. Es möchte mehr Geld für sich zur Verfügung haben. Es möchte mit mehr Menschen zusammentreffen. Denn es empfindet sein Leben als langweilig. Es spielt mit dem Gedanken, Prostituierte zu werden. Es möchte gern mehr über Prostitution erfahren. Geringe intellektuelle Fähigkeiten und niedrige Arbeitswilligkeit stehen im Gegensatz zu seinem hohen Anspruchsniveau. Mit möglichst wenig Aufwand an Ausbildung und Arbeitsleistung möchte es möglichst große Erfolge erzielen. Es kommt mit irgendjemand in Kontakt, der mit Prostitution zu tun hat. Es entdeckt die Möglichkeit, „leichtes Geld" zu machen. Es kommt zu der Erkenntnis, keinen anderen Beruf ergreifen zu können, in dem es mit seinen geringen Fähigkeiten und seiner niedrigen Leistungsbereitschaft auch nur annähernd so viel Geld verdienen könnte. Es erkennt, daß es eine zufriedenstellende Sexualpartnerin ist. Ihm kommt zum Bewußtsein, daß es ein für die Prostitution ausreichend angenehmes körperliches Aussehen besitzt. - In der dritten Phase definiert das Mädchen oder die junge Frau sich selbst als Prostituierte. Sie entfernt sich in ihrem Denken und Handeln immer mehr von der normalen Welt der „Spießbürger". Nach ihrer ersten Nacht als Prostituierte erhält sie Zuspruch und Ermutigung durch Zuhälter, andere Prostituierte und Bordellwirte. Vor allem das viele verdiente Geld wirkt ermutigend. Sie wird von anderen als Prostituierte etikettiert und akzeptiert das. Sie organisiert ihr ganzes Leben um ihre prostitutive Tätigkeit herum. Sie beginnt, einen prostitutiven Lebensstil zu führen. - In der vierten Phase lernt sie, ihre Sexualität zu handhaben und zu vermarkten, ihre Sexualität zweckhaft und zielvoll einzusetzen. Es kostet sie zunächst Überwindung, aber sie gewöhnt sich schnell daran. In dieser Phase eignet sie sich die Verhaltensweisen und Einstellungen der Prostituierten ihren Mitbewerberinnen, ihren Kunden und ihren Zuhältern gegenüber an. - In der fünften Phase leuchtet ihr ein, ihre Tätigkeit als Prostituierte vor sich selbst und anderen zu rechtfertigen. Sie nimmt eine „Berufsideologie" an, die mannigfaltigen Zwecken dient. Ihre

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Kunden sind für sie Ausbeuter, weil sie sie auf diese Weise besser ausnutzen kann. Die Prostitution verhindert in ihrer Sicht Vergewaltigungen und Lustmorde, weil sie so weniger moralische Konflikte hat. Sie überredet sich selbst: „Ich bedauere es nicht, Prostituierte zu sein, weil ich Menschen damit helfe. Viele Männer, die zu mir kommen, suchen Zuneigung und Freundschaft. Sie wollen mit mir sprechen, weil sie menschliche Probleme haben." Alle Frauen sind für sie Prostituierte, weil sie sich mit dieser Behauptung gegen Brandmarkung und Herabsetzung verteidigen will. Ihre Kolleginnen sind nach ihrer Ideologie ehrlicher und hilfreicher als andere Frauen, weil sie mit ihnen zusammenleben muß. In Wirklichkeit sind die Beziehungen zwischen Prostituierten konflikthaft, von Streit, Mißtrauen, Abneigung und mangelnder Solidarität erfüllt. Weil sie diesen Fünfphasenprozeß nicht vollständig durchlaufen haben, leben viele Prostituierte in zwei Welten: im Wertsystem der Prostitution und im traditionellen konventionellen Wertsystem. Sie sind stolz auf ihre Kinder. Sie „opfern" sich für diejenigen, die „hilflos" und von ihnen abhängig sind. Ihre Prostituiertentätigkeit wird vor ihrer Familie und ihren Nachbarn sorgfältig geheim gehalten. Sie entpersonalisieren ihre Prostituiertenrolle. Diese Rolle spielt in ihrer Gedankenwelt eine Person, zu der sie nur vage Beziehungen haben. Die sozialpsychologische Theorie der „Prostituiertenkarriere" wird auch durch eine Studie unterstützt, die sich mit Stripteasetänzerinnen befaßt, die eine enge Beziehung zur Prostitution haben. Mit den Methoden der Beobachtung und des Interviews haben James K. Skipper und Charles H. McCaghy (1970) 75 Stripteasetänzerinnen in 10 Großstädten der USA untersucht. Die Frauen befanden sich im Alter zwischen 19 und 45 Jahren; 60% von ihnen waren 20 bis 30 Jahre alt. Stripteasetänzerinnen sind Mädchen und Frauen, die ihren Lebensunterhalt damit verdienen, daß sie sich in sexuell aufreizender Weise vor einem dafür bezahlenden Publikum entkleiden. Skipper und McCaghy stellten bei ihren Probandinnen zeitige physische Reife, frühe sexuelle Erfahrung, sexuelle Anziehungskraft, Abwesenheit des Vaters aus dem Elternhaus während der Kindheit und Jugend der Mädchen, Mangel an Zuneigung und elterlichem Verständnis, zeitige Unabhängigkeit und frühes Verlassen des Elternhauses durch die Mädchen fest. Wenn der Vater anwesend war, hatte er einen zerüttenden Einfluß auf die Familie. Wenigstens 60 % der Stripperinnen kamen aus unvollständigen und zerstörten Familien, in denen sie wenig Beachtung und Zuneigung gefunden hatten. Von 35 durchschnittlich ein- bis eineinhalb Stunden interviewten jungen Frauen hatte nur eine genügend Talent und Ausbildung, um in einem anderen legalen Beruf mehr Geld zu verdienen. Die Karriere der meisten Stripperinnen verlief folgendermaßen: eine Tendenz zu exhibitio-

nistischem Verhalten, eine Gelegenheitsstruktur, die Striptease als berufliche Alternative nahelegte, und das plötzliche Gewahrwerden leicht zu erlangender Belohnungen für das Strippen. Alle Probandinnen lebten in Großstädten mit Klubs und Theatern, in denen Striptease üblich war. Sie waren alle ziemlich attraktiv, ein Umstand, der ihnen ihre Einstellung durch Vermittlungsbüros und Arbeitgeber sicherte. In nahezu allen Fällen erfuhren sie ihre Qualifikationen für das Strippen durch Freunde, Arbeitgeber, Vermittler oder Bekannte.

7. Die Bordellwirtin als Unternehmerin Ein Bordell, ein Haus, in dem die Prostituierten ihrer Tätigkeit nachgehen, ist ein illegales Unternehmen, in dem ständig unsichere und unbeständige menschliche Begegnungen stattfinden. Es handelt sich um eine unkontrollierbare, unkooperative Umgebung, in der ein Bordellwirt oder eine Bordellwirtin unerwartete, unvorhersagbare Problemsituationen meistern muß. Die Lebensgeschichte einer Bordellwirtin, die in ihrer Jugend als Prostituierte tätig gewesen war, hat Barbara Sherman Heyl (1979) erarbeitet, indem sie mit ihrer Probandin drei Jahre lang Interviews führte. Sie interviewte ferner die Eltern, Freunde und den Arzt ihrer Probandin sowie Prostituierte aus dem Bordell, das ihre Probandin leitete. Sie zog schließlich Briefe, private Dokumente und Gerichtsakten heran. Da es sich beim Bordell der Probandin um ein Haus handelte, das sich die Unterweisung junger Prostituierter zur Aufgabe gemacht hatte, konnte Sherman Heyl beobachten, wie die Bordellwirtin die jungen Anfängerinnen unterrichtete. Sie erlernten die grundlegenden Techniken und Regeln des „Berufs". Im Rollenspiel wurden sie mit Selbstverteidigung und damit vertraut gemacht, wie man Kunden behandelt. Sie wurden in die Wertvorstellungen der devianten Subkultur eingeführt und systematisch der konventionellen, konformen Gesellschaft verfremdet. Die Bordellwirtin hatte als Leiterin eines illegalen Unternehmens zunächst alle die Schwierigkeiten, die ein legaler Unternehmer auch hat: Finanzierung, Werbung, Nachwuchs. Darüber hinaus mußte sie mit mannigfaltigen Problemsituationen fertig werden, da es sich um ein illegales Unternehmen handelte: Die Prostituierten versuchten, sich ihrer Kontrolle zu entziehen und ihre Autorität herauszufordern. Sie litten unter seelischen Depressionen und unter psychosomatischen Beschwerden. Die Zuhälter versuchten, ihre Anweisungen zu mißachten. Die Polizei versuchte, ihr strafbare Handlungen nachzuweisen. Die Kunden beschwerten sich und waren unzufrieden. In allen diesen Problemsituationen mußte die Bordellwirtin versuchen, ihre Interpretation und Definition der Situation durchzusetzen. Das erforderte ein hohes Maß an psychischer, devianter Energie.

Prostitution 8. Die Prostituierte, ihre Kunden und ihre Zuhälter

Geschlechtskrankheiten wurden in der Vergangenheit häufig durch Prostitution verbreitet. Da sie überhaupt seltener geworden sind und da die hygienischeren Formen der Prostitution - zumindest in den modernen Industriestaaten Westeuropas und Nordamerikas - zunehmen, ist die Prostitution kein so großer Gefahrenherd für die Ansteckung mit Geschlechtskrankheiten mehr (Richard Symanski 1981, 49). Das gilt allerdings nur bedingt für die heimliche unkontrollierte und die „Baby-Prostitution", wie die Prostitution der 14- bis 18jährigen Mädchen genannt wird. Die meisten erfahrenen Prostituierten überprüfen ihre Kunden vor dem Geschlechtsverkehr auf Geschlechtskrankheiten. Sie nehmen dauernd Penizillin oder andere Antibiotika ein. Sie lassen sich regelmäßig ärztlich untersuchen. Alkohol- und Drogenmißbrauch kommen zwar unter den Prostituierten vor. Sie sind aber bei weitem nicht so häufig, wie gemeinhin angenommen wird (etwa bei 4 % bis 9 % der Prostituierten). Sie trinken oft Alkohol und nehmen häufig Drogen aus Ekel und Abscheu vor ihrem Gewerbe. Sie versuchen auf diese Weise, sich den wahllosen Geschlechtsverkehr psychisch zu erleichtern. Andere gehen der Prostitution nach, um ihren Alkohol- oder Drogenmißbrauch finanzieren zu können. Die Mehrheit der Prostituierten leidet weder an Nymphomanie, an einem krankhaft gesteigerten Geschlechtstrieb, noch an Frigidität, Gefühlskälte. Die meisten Prostituierten sind auch keine Lesbierinnen, sondern empfinden sexuell außerhalb ihres Gewerbes relativ normal. Die Prostituierte wird selten zur Prostitution gezwungen. Sie ergreift ihren „Beruf" meist aus Eigeninitiative, nachdem sie sich informiert hat. Als Hauptgrund für ihre „Berufswahl" geben die Prostituierten finanzielle Schwierigkeiten an. Als zweiter Grund wird erstaunlicherweise der Umstand genannt, mit vielen verschiedenen Männern zusammentreffen zu können (Gilbert Geis 1975, 332). Prostituierte haben gegenüber Männern keine allgemeine Abneigung, wie häufig behauptet wird. Einige mögen sie, einige mögen sie nicht, viele sind ihnen egal. Sie fühlen auch in dieser Hinsicht verhältnismäßig normal. Die meisten Prostituierten äußern weder Bedauern noch Reue über ihre „Arbeit". Wird die Prostitution in die Illegalität gedrängt, so steht die Prostituierte vor dem Dilemma, einerseits Kunden werben, andererseits ihre „wahre" Identität verschweigen zu müssen. Dieses Dilemma läßt sie häufig Opfer von Nötigung und Erpressung werden. Denn viele Taxifahrer und Hotelportiers z. B. beuten ihre Kenntnis der „wahren" Identität der Prostituierten aus. Sie werden ihre nichtzahlenden Kunden oder verlangen sogar Geld von ihr. Die Prostituierten sind wegen ihres psychisch belastenden, abstoßenden Gewerbes und wegen ihrer konflikt-

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haften Persönlichkeitsstruktur relativ häufig selbstmordgefährdet. Mitunter entsteht ein politischer Skandal, wenn sich herausstellt, daß Regierungsmitglieder oder Wirtschaftsführer Call-Girls aufgesucht haben (z. B. die Affäre der Prostituierten Christine Keeler mit dem britischen Verteidigungsminister John Profumo). Da solche einflußreichen Persönlichkeiten mit Call-Girls oder Party-Girls verkehren, werden Prostituierte mitunter zur politischen oder Wirtschaftsspionage benutzt (z.B. der Fall der Mata Hari, die während des 1. Weltkriegs als Doppelagentin von den Franzosen erschossen wurde). Der Kunde ist für die Prostituierte ein notwendiges Übel. Der Mehrzahl der Prostituierten ist es gleichgültig, ob ein Kunde schön oder häßlich, ob er jung oder alt ist. Wesentlich ist den meisten Prostituierten nur, ob der Kunde bequem, nicht pervers und nicht schwierig, sondern schnell und leicht sexuell zu befriedigen und ob er großzügig ist. Facharbeiter und Seeleute werden wegen der genannten Eigenschaften als Kunden geschätzt. 6 9 % der männlichen Bevölkerung haben zu irgendeiner Zeit in ihrem Leben einen oder zwei Kontakte mit Prostituierten. Häufigere Erlebnisse mit Prostituierten haben nur 15% bis 2 0 % . Lediglich 3,5 bis 4 % der Gesamttriebbefriedigung der männlichen Bevölkerung entfällt auf die Prostitution (Alfred C.Kinsey, Wardell B.Pomeroy, Clyde E.Martin 1955, 549/550). Viele Kunden wollen sich mit der Prostituierten unterhalten. Die einen verlangen nach mitmenschlicher Nähe, die die Prostituierte in der Regel nicht zu geben vermag. Die anderen suchen Prostituierte der Kuriosität wegen auf. Ein von vielen Kunden bevorzugtes Gesprächsthema ist die Frage: „Wie gerät ein so nettes Mädchen auf die schiefe Bahn?" Viele Prostituierte, die diese ihnen oft gestellte Frage langweilig und lächerlich finden, haben sich eine möglichst rührselige Geschichte ausgedacht, die entweder völlig oder zu einem großen Teil unwahr und erfunden ist, die aber von ihren Kunden gern geglaubt wird. Die Frage, warum die Kunden die Dienste einer Prostituierten in Anspruch nehmen, ist bisher in der kriminologischen Forschung nur höchst unzulänglich bearbeitet worden. Diese Frage ist indessen ebenso wichtig wie das weit öfter erörterte Problem, warum ein Mädchen zur Prostituierten wird. Denn ohne ihre Kunden, die ihre Dienste nachfragen, könnte die Prostituierte nicht leben. Motive wie Neugier, Unruhe, Abenteuerlust, Interesse an Perversionen, Stärkung schwindender Männlichkeit, Wunsch nach Abwechslung, Vergleich mit der Ehefrau und Feindseligkeit ihr gegenüber erscheinen allzu oberflächlich. In Einzelfällen mag der Alkohol oder eine günstige Gelegenheit während einer Reise oder einer Tagung eine Rolle spielen. In seltenen Fällen können folgende Gründe maßgeblich sein: Der Mann will sich sein Vorurteil bestätigen lassen, daß Frauen gefühlskalt sind. Er

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will das Leben der Prostituierten ändern, er will sie „bekehren". Er möchte sich mit seinen sexuellen Erlebnissen großtun. Er ist impotent bei Frauen, die er liebt. Er besitzt sexuelle Fähigkeiten nur bei Frauen, die er als minderwertig ansehen kann. Er entwickelt ein Mitgefühl mit den Prostituierten und identifiziert sich mit ihren Zuhältern. Die Unsitte früherer Zeiten, sich als junger Mann der Mittelschicht durch eine Prostituierte in die Sexualität einführen zu lassen, gehört wohl der Vergangenheit an. Wesentlich häufiger als alle bereits genannten Gründe dürfte das Bestreben sein, die Prostituierte als Ersatz für eine Partnerin zu nehmen, zu der man aus mannigfaltigen Gründen (z.B. körperliche Unansehnlichkeit, fortgeschrittenes Lebensalter) keinen Zugang findet. Eine sexuelle Episode mit einer Prostituierten ist zudem die einfachste und bequemste Form der sexuellen Befriedigung für einen Mann, der keine Gefühle, keine sozialen Beziehungen und nicht viel Geld „investieren" will. Wenn zwei Freunde nacheinander mit derselben Prostituierten verkehren, mag das auch für versteckte Homosexualität sprechen. Alle diese Gründe leuchten die Komplexität der Beziehungen zwischen der Prostituierten und ihren Kunden indessen nicht annähernd aus (Charles Winick, Paul M. Kinsie 1971, 193-209). Unbewußtes Verlangen nach gefühlsmäßiger Wärme und Geborgenheit, die der Mann weder bei seiner Mutter noch bei seiner Ehefrau gefunden hat, und ein unbewußtes Minderwertigkeitsgefühl sind bei der Entscheidung einer großen Zahl von Männern wirksam, eine Prostituierte aufzusuchen. Was der Mann in seiner Beziehung zu seiner Mutter und zu seiner Ehefrau unbewußt vermißt, sucht er vergeblich bei der Prostituierten. Sexualität ist hierbei für das wirklich gesuchte Gefühl des Verstehens und der Mitmenschlichkeit zwischen Mann und Frau nur ein Symbol. Was bei der Fehlbegegnung mit der Prostituierten vergeblich gesucht und nicht gefunden wird, sind gefühlsmäßige Wärme und mitmenschliches Verstehen. Deshalb versuchen viele Call-Girls die Rolle von Sozialarbeiterinnen zu spielen. Sie befriedigen nicht nur die sexuellen Bedürfnisse ihrer Kunden, sondern auch deren Wünsche nach Beruhigung, Vertraulichkeit, Entspannung, Abenteuer und Selbstbestätigung (Richard Symanski 1981, 81/82). Viele Prostituierte, viele Kuppler, viele Praktiker der „Sittenpolizei" behaupten: Der Zuhälter schlägt seine Prostituierten. Er nimmt ihnen ihr ganzes Geld weg. Er verspielt ihr Geld. Er führt junge Mädchen der Prostitution zu. Er macht sie mit List und Gewalt gefügig und hält sie mit Gewalt und Drogen in der Prostitution. Ob diese Behauptungen zutreffen, ist bisher kriminologisch nicht erwiesen. Das enge Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen Prostituierter und ihrem Zuhälter beruht auf mehreren Faktoren: Einerseits bedarf die Prostituierte eines wirksamen Schutzes und einer durchgreifenden Hilfe sowohl vor anderen und neu-

en Konkurrentinnen als auch gegenüber zahlungsunwilligen oder gewalttätigen und perversen Kunden. Andererseits spielt das rein persönlichmenschliche Motiv eine entscheidende Rolle. „Die Frau, die sich durch ihr Gewerbe jeden Kontaktes zur Gesellschaft begeben hat und sich vereinsamt fühlt, will einen Menschen haben, der ihr ganz allein g e h ö r t . . . Sie läßt ihm Anzüge machen und will, daß er sich das Beste kauft, damit sie sich mit ihm zeigen kann und damit er besser aussieht als die Freunde all der anderen Mädchen. Der Zuhälter wird also systematisch von seiner Dirne zu dem Drohnendasein erzogen und gerät mindestens in dem gleichen Maße in ein Abhängigkeitsverhältnis zu seiner Dirne wie es umgekehrt der Fall ist" (Borelli-Starck 1957, S. 38/39). Zuhälter halten sich die Prostituierten in der Bundesrepublik immer weniger. Es gibt heute nicht nur den gewaltsamen, kriminellen Zuhältertyp, sondern auch den weichen, arbeitsscheuen Parasiten, der der Gesellschaft nicht gefährlich, sondern allenfalls lästig ist. Der Zuhälter ist für die Prostituierte ebenso ein Statussymbol wie der Ehemann für seine Ehefrau. Die Prostituierte braucht ihren Zuhälter, um ihre Einsamkeit, ihre soziale Isolation und ihre Anonymität zu überwinden. Die Beziehung zwischen dem Zuhälter und seiner Prostituierten beurteilt man noch am zutreffendsten, wenn man ihre Ähnlichkeit mit der Ehemann-Ehefrau-Beziehung herausarbeitet. Die umgekehrten ökonomischen Rollen bilden freilich im Zuhälter-Prostituierten-Verhältnis die Besonderheit (Travis Hirschi 1969, 202). Dieses Verhältnis ist konflikthaft und instabil. Ein ständiger Wechsel von Zuhälter zu Zuhälter ist deshalb für viele Prostituierte typisch. Sie halten sich zwar einen Zuhälter, streben aber gleichwohl eine ganz andere Beziehung an: „Sie träumen fast ausnahmslos von einem ,älteren, verständnisvollen, zärtlichen und liebevollen' Mann, der sie umhegt und ,umsorgt', bei dem sie sich ,geborgen fühlen' können. Sie möchten von diesem Mann nicht als ,Hure' behandelt, sondern als Frau akzeptiert werden" (Dorothea Röhr 1972, 136).

9. Prostituierte und ihre Kinder Zahlreiche Prostituierte haben Kinder. Die Hamburger Prostituierten, die Jürgen Kahmann und Hubert Lanzerath (1981) untersucht haben, hatten zur Hälfte (50,6 %) keine Kinder. Etwa ein Drittel (28 %) hatte ein Kind. 13 % hatten zwei, und weniger als 10 % hatten drei und mehr Kinder. Obgleich die Prostituierten als „tier- und kinderlieb" gelten, wirkt sich die Prostitution - wie Lieselotte Pongratz (1964) herausarbeitete - in folgender Weise nachteilig auf die Prostituiertenkinder aus: - Zahlreiche Kinder wurden von ihren Verwandten abgelehnt und in die Familie nicht aufgenommen, weil sie Prostituiertenkinder waren. Die An-

Prostitution nähme der Kinder durch Adoptiv- und Pflegeeltern erwies sich als schwierig, weil man Erbschäden befürchtete. Pongratz fand keinerlei Anhaltspunkte für solche Schäden. - Auf eine Heimeinweisung reagierten die Kinder wegen mangelnder individueller Zuwendung mit ganz erheblichen Verzögerungen und Störungen in ihrer Entwicklung (Hospitalismusschäden). Im Alter von acht Jahren waren bei diesen Kindern häufig schwere neurotische Verhaltensstörungen und schulisches Versagen zu bemerken. - Falls die Kinder bei ihren Müttern blieben, entwickelten sie sich in ihren ersten Lebensjahren zwar ganz zufriedenstellend (günstiger als die Heimkinder). Wegen des häufigen Partnerwechsels ihrer Mutter, wegen dauernder Streitigkeiten der Ehegatten, wegen asozialer Lebensformen, ungünstigen Erziehungs- und Wohnverhältnissen zeigten die Kinder aber in ihrer Jugend erhebliche Anpassungs- und Erziehungsschwierigkeiten. Die Prostituiertenkinder, die in normalen Pflegefamilien großgeworden waren, entwickelten sich demgegenüber befriedigend. Hatten die meisten Prostituierten als Kinder selbst unter einer unruhigen, unsteten und ungeborgenen Kindheit zu leiden, so gelang es ihnen als Mütter nicht, ihren Kindern bessere Entwicklungschancen zu bieten. Die moralische Abwertung der Prostituierten durch die Gesellschaft wirkte sich darüber hinaus nachteilig auf die Entwicklung der Prostituiertenkinder aus.

10. Zuhälterei, Kuppelei und Menschenhandel Mit dem Strafrecht kann man die Prostitution nicht ausrotten. Gleichwohl versucht man es immer wieder. Man unterscheidet hierbei drei Reaktionsarten: - Der Prohibitionismus kriminalisiert die Prostitution; er stellt sie unter strafrechtliches Verbot. - Nach dem Abolitionismus ist zwar die Prostitution unerwünscht und sollte beseitigt werden. Da man das indessen nicht erreichen kann, kriminalisiert man das gesamte Umfeld der Prostitution, um sie mittelbar zu treffen und ihre Ausbreitung zu verhindern. Das Fördern und Ausnutzen der Prostitution wird unter Strafe gestellt. Bordelle und Straßenprostitution sind verboten. - Der Regulationismus beschränkt die Prostitution auf Bordelle und auf Bezirke, in denen die Prostituierten ihrem Gewerbe nachgehen können. Wenn man erkannt hat, daß man das Prostitutionsmilieu nicht durch das Strafrecht beseitigen kann, sollte man wenigstens versuchen, es so kriminalitätsfrei wie möglich zu machen. Kunden werden z . B . Opfer der Prostituierten (Raub, Diebstahl, Betrug). Prostituierte werden z. B. Opfer der Kunden, ihrer Zuhälter oder anderer Personen (Taxifahrer, Hotelportiers); sie werden beraubt, erpreßt,

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geschlagen, vergewaltigt und sogar ermordet. Die Gesellschaft erschwert sich die Strafverfolgung in der devianten Subkultur selbst, indem sie die Prostitution stark moralisch abwertet (informelle Sanktionen!) und ihre Förderung und Ausnutzung mit Strafen belegt. Durch solche Maßnahmen, durch die man das Prostitutionsmilieu verunsichern will, erreicht man im Gegenteil, daß es allen praktischen Strafverfolgungsmaßnahmen Widerstände entgegensetzt. Um Skandale und informelle Sanktionen zu vermeiden, zeigt man kriminelles Verhalten nicht an. Wegen der Strafandrohung für Förderung und Ausnutzung prostitutiven Verhaltens werden Menschen genötigt und erpreßt. Zuhälterei wird regelmäßig erst dann von der Prostituierten angezeigt, wenn es zwischen ihr und ihrem Zuhälter zum Krach gekommen ist. Es wäre deshalb besser, das Prostitutionsmilieu nicht durch „Verdachtstrafen" (Ernst-Walter Hanack 1968) zu stabilisieren, sondern die wirkliche Kriminalität in der Prostitutionssubkultur zu bekämpfen, um auf diese Weise unnötiges kriminelles Opferwerden zu vermeiden. Es gibt keinen einheitlichen kriminologischen Tätertyp des Zuhälters (Reimer Dieckmann 1975; Friedrich-Christian Schroeder 1978). Alle Zuhälter haben Beziehungen zu Prostituierten, die sie als Erwerbsquelle benutzen. Es gibt weibliche Zuhälter und Zuhälter im Nebenberuf. Einige Zuhälter verkuppeln ihre Geliebte aus sexuell-erotischen Motiven. Kaiser Wilhelm II., der keinerlei kriminologische Einsicht in die Probleme der Prostitution und Zuhälterei besaß, nahm 1891 den vielbeachteten Strafprozeß gegen den gewalttätigen Zuhälter Heinze zum Anlaß, scharfe strafrechtliche Maßnahmen gegen diese „verworfene Menschenklasse" zu fordern. Der Zuhälter ist ein Schmarotzer und Parasit. Es mag den Tüchtigen und Fleißigen empören, daß Nichtstuer, Faulenzer und Gammler Lebensweisen führen, die durch Arbeitsscheu, Müßiggang und Eitelkeit gekennzeichnet sind. Irrationale Abscheu vor „lasterhaftem Treiben" und Verachtung des Zuhälters als eines „sozialwiderlichen Menschen" (Louis, Loddel) rechtfertigen indessen noch keine Strafandrohungen. Die Kriminalität des Zuhälters soll konkret bestraft werden. Bloße Verdächtigungen (Zuhälterei als „Brutstätte, Unterschlupf und Nährboden" des Verbrechens, Zuhälter als organisierter oder Berufs-Verbrecher, Brutalität und Gewalt im Zuhältermilieu) haben sich indessen als wenig hilfreich erwiesen. Sie komplizieren das Kontrollproblem in unnötiger Weise. Der Zuhälter wird nach deutschem Strafrecht (§ 181 a StGB) bestraft, weil er angeblich eine Gefährdung für die Prostituierte und insbesondere für ihre Freiheit darstellt und weil er den sozialen Schaden, den die Prostitution anrichtet, nicht noch durch gewerbsmäßige Geschäftemacherei vertiefen soll. Man straft den Zuhälter, weil er die Prostituierte parasitär ausnutzt (ausbeuterische Zuhälterei), sie in ihre prostitutive Rolle hineintreibt und in

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Prostitution

dieser Rolle hält und überwacht (dirigierende Zuhälterei), weil der Zuhälter der Prostituierten Kunden zuführt (kupplerische Zuhälterei) und weil die Zuhälterei ganz allgemein ein Nährboden für Kriminalität, Gewalt- und Drogenkriminalität, sein soll. Gegenüber der Prostitution wird das Strafrecht mittelbar eingesetzt. Die Ausübung der Prostitution zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten kann strafgesetzlich verboten sein (§ 184 a StGB). Ferner wird die jugendgefährdende Prostitution (§ 184 b StGB) mit Strafe belegt. Sexuelle Handlungen Minderjähriger dürfen nicht gefördert werden (§ 180 StGB). Die Prostituierten sollen in einem Bordellbetrieb nicht in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gehalten und nicht ausgebeutet werden (§ 180 a StGB). Schließlich soll niemand mit Gewalt, List oder Drohung dazu gebracht werden, der Prostitution nachzugehen. Es soll niemand wider seinen Willen mit List, Drohung oder Gewalt entführt werden, um ihn unter Ausnutzung seiner Hilflosigkeit zu sexuellen Handlungen zu bringen (§ 181 StGB). Diese Vorschrift über Menschenhandel ist aufgrund übertriebener, dramatisierender Zeitungsberichte in die Strafgesetzbücher gekommen. Zu Beginn dieses Jahrhunderts berichtete man über Zehntausende junger Mädchen, die angeblich verschwunden seien, die man verschleppt habe und die zur Prostitution abgerichtet und gezwungen würden. Diese Zeitungsberichte, die von einem „weißen Sklavenhandel" sprachen, erwiesen sich nach eingehenden Überprüfungen und Untersuchungen zum größten Teil als unwahr und phantastisch übertrieben. Die meisten Mädchen waren aus ihrem Elternhaus weggelaufen und freiwillig zur Prostitution gekommen. Nur in einigen ganz wenigen Fällen konnte festgestellt werden, daß man mit Gewalt, Drohung oder List nachgeholfen hatte, um das Mädchen der Prostitution zuzuführen (Walter C. Reckless 1933). Die überwiegende Mehrheit junger Damen in Westeuropa und Nordamerika dürfte so selbstbewußt und lebenstüchtig sein, daß Menschenhändler bei ihnen keine Chance haben. Fälle von Menschenhandel sind freilich insofern denkbar, als es sich z.B. um Mädchen aus Asien und dem Fernen Osten handeln kann, die in die Bundesrepublik Deutschland zum Zwecke der Prostitution „verkauft" werden.

11. Problematik der Kontrolle der Prostitution Prostitution ist ein soziales Problem, weil die Gesellschaft durch übertriebene moralische Abwertung und informelle Sanktionierung sie zu einem solchen Problem macht. Moralische Unternehmer wollen die moralische Auffassung der Mehrheit oder sogar einer Minderheit der Bevölkerung mit dem Strafrecht durchsetzen. Die unmittelbare oder mittelbare Kriminalisierung der Prostituierten und

ihrer Kunden hat sich indessen nicht als wirksam erwiesen. Strafgesetze können und sollen Verhalten nicht verhindern, das zwei übereinstimmende, verantwortliche Erwachsene miteinander ausführen und das weder einzelne noch die Gesellschaft insgesamt schädigt. Angebot und Nachfrage rufen sich gegenseitig hervor: Frauen und Mädchen stellen ihre sexuellen Dienste zur Verfügung. Männer wollen ihre sexuellen Bedürfnisse befriedigen. Es gibt keinen strafrechtlichen Weg, das zu verhindern. Moralische Unternehmer schaffen vielmehr Sozialprobleme, indem sie die Moral zum Maßstab für Strafgesetze machen. Je mehr die Prostitution durch Polizei und Gerichte in die Illegalität gedrängt wird, desto mehr braucht sie Vermittler und Werber, die sie zusätzlich kommerzialisieren und die die Prostituierten viktimisieren. Prostituierte sind durch strafrechtliche Maßnahmen weder zu resozialisieren noch abzuschrecken. Durch die Kriminalisierung der Prostitution setzt man sie und ihre Kunden vielmehr der Erpressung und der Nötigung aus. Die Verursachung von Raub und Beischlafdiebstahl wird begünstigt, wenn die Prostitution in die Illegalität gedrängt wird und wenn sie deshalb nicht mehr kontrolliert werden kann. Die illegalen sexuellen Bedürfnisse der männlichen Bevölkerung werden dann vom organisierten Verbrechen ausgenutzt, das auf nationaler und internationaler Ebene mit Prostituierten Handel treibt. So werden Prostituierte aus asiatischen Ländern in die Bundesrepublik Deutschland gebracht, wo sie ausgenutzt werden, da sie hilflos sind und die deutsche Sprache nicht beherrschen. Durch die Kriminalisierung nehmen die Geschlechtskrankheiten zu, da sich die Prostituierten - aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung - ihrer regelmäßigen ärztlichen Kontrolle entziehen. Die strafrechtliche Verfolgung der Prostitution verursacht hohe Kosten und hat einen zweifelhaften Wert. Die Kriminalpolizei, die moralische Delikte verfolgt, muß notwendigerweise schwere Rechtsbrüche (z. B. Einbrüche, Wirtschaftskriminalität) vernachlässigen. Denn die Kräfte der formellen Sozialkontrolle stehen der Gesellschaft nur in beschränktem Maße zur Verfügung, so daß es notwendig ist, Prioritäten in der Strafverfolgung zu setzen. Der Nutzen der Kriminalisierung der Zuhälter und Kuppler, die die Prostitution zusätzlich gewerbsmäßig ausnutzen, ist gleichfalls ungewiß. Die heutige Prostituierte ist mehr Arbeitgeberin als Arbeitnehmerin. Sie beschäftigt eher Zuhälter und -Kuppler, als für sie zu arbeiten. Die soziale Wertung der Prostitution als Sozialabweichung hat sich verändert. Diese Veränderung hat viele Gründe: Die zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen Mann und Frau werden nicht mehr so sehr durch ökonomische Notwendigkeiten bestimmt. Um die Gesellschaft zu erhalten, brauchen bei dem Fortschritt der Medizin nicht mehr so viele Kinder geboren zu werden. Die Kindersterb-

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Prostitution lichkeit hat abgenommen. Der Überbevölkerung wird sogar mit Geburtenkontrolle entgegengewirkt. Sexualität ist zur bloßen Körperfunktion geworden, die sich von Gefühlsbeziehungen weitgehend gelöst hat. Moderne Nüchternheit und Sachlichkeit haben diese Loslösung beschleunigt und zu einer weiten Verbreitung von Promiskuität geführt. Erzwungene sexuelle Enthaltsamkeit wird von niemandem mehr erwartet. Sie wird niemandem zugemutet. Prostitution wird deshalb für viele zum Ersatz. Der Körper ist zum bloßen Lustobjekt geworden. Das Sinken der Arbeitsmoral (hohe Ansprüche bei niedrigen Leistungen) läßt viele Frauen und Mädchen zu Prostituierten werden. Freilich hat die Prostitution eine nicht zu unterschätzende Entlastungsfunktion für die Gesellschaft. Eine kleine Zahl von Frauen befriedigt die sexuellen Bedürfnisse einer großen Zahl von Männern. Die Prostitution erfüllt zur Stabilisierung von Ehe und Familie eine Aufgabe, die bisher keine andere soziale Institution übernommen hat. Die sexuelle Liberalisierung hat weder die Prostitution noch deren starke moralische Abwertung zum Verschwinden gebracht. Es sind im Gegenteil neue Formen der Prostitution entstanden. Die Mannigfaltigkeit der Erscheinungsformen der Prostitution erschwert ihre Kontrolle. Teilzeitprostitution und Prostitution in Massagesalons werden deshalb nicht mehr als Prostitution angesehen, weil sie unter hygienischen Bedingungen ausgeführt werden, weil sie sich wirksamer sozial einordnen, besser tarnen und verdecken, weil sich Frauen und Mädchen selbst nicht als Prostituierte fühlen und weil sie von ihren Kunden und Arbeitgebern nicht als solche angesehen werden. Es fragt sich freilich, ob es gerechtfertigt ist, allein niedrigere, unhygienischere Arten der Prostitution (z.B. Straßen- und Bordellprostitution) als solche zu definieren, weil sie sozial sichtbarer und leichter beweisbar sind. Mit den staatlichen Maßnahmen der Kontrolle (z.B. Registrierung, Kasernierung in Eros-Centern, Anordnung von Sperrbezirken) sind auch degradierende, herabsetzende Wirkungen verbunden, die das Bild der Prostituierten beeinflussen, das sie selbst von sich hat und das andere von ihr haben. Dasselbe gilt für die phantastische Dramatisierung der Prostitution. Die Prostituierten der Straßenund Bordellprostitution müssen allerdings registriert und überwacht werden, um Geschlechtskrankheiten vorzubeugen und die öffentliche Belästigung auf den Straßen auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Gehobene, hygienischere Formen der Prostitution lassen sich nicht überwachen, brauchen auch wohl aus hygienischen Gründen (Vermutung von Geschlechtskrankheiten) und wegen möglicher öffentlicher Belästigung nicht kontrolliert zu werden, da sie sich selbst kontrollieren und vor der Öffentlichkeit verdeckt halten. Diskrete Prostitution sollte deshalb von staatlichen Kontrollen unbehelligt bleiben, wenn sie sich hygienisch selbst überwacht. Prostituierte, die nicht sozial lästig sind, die

keine Kriminalität mit ihrem Gewerbe verbinden oder begünstigen und die für ihre hygienische Selbstkontrolle sorgen, sollten keine soziale Abwertung erfahren (Gilbert Geis 1975, 342).

12.

Strichjungen

Homosexuelle Prostitution ist nicht von der wirtschaftlichen Lage abhängig. Sie steht in Notzeiten nicht in besonderer Blüte. Es gibt sie auch in Zeiten des Wohlstandes. Strichjungen sind jugendliche Delinquenten, deren Entwicklung in hohem Maße gestört ist. Besonders ihre Leistungen in der Schule und im Beruf sind schlecht. Ihre Erziehung ist regelmäßig gehemmt. Nur wenige entwickeln sich indessen zu Berufs- und Gewohnheitsverbrechern. Es überwiegen vielmehr die Täter, die hin und wieder leichtere Vermögensdelikte begehen (Klaus Ulrich Klemens 1967). Die mit Abstand häufigste Tat, die von Strichjungen vor, während und nach der Ausübung ihres Gewerbes begangen wurde, war 1948 bis 1960 in Berlin (West) Diebstahl. Der homosexuellen Subkultur geben Barbesitzer in Lokalen für Homosexuelle, Besitzer von Boutiquen für Männer und Fotografen für erotische Fotografien und Filme Beständigkeit. Anbahnungsorte für homosexuelle Prostitution sind die Sammelplätze für Homosexuelle in bestimmten Straßen oder Parks, sind Männertoiletten in Hotels oder Badeanstalten. Die Strichjungen und ihre Kunden erkennen sich an ihrer Kleidung und an ihren Körperbewegungen. Attraktive junge Männer, die keine Berufsausbildung haben und die ihren Lebensunterhalt nicht auf legalem Weg verdienen wollen, halten sich in Restaurants für Homosexuelle auf, um dort angesprochen zu werden. Relativ gut bezahlte „Call-Boys" treffen sich mit ihren Kunden nach telefonischer Vereinbarung - in ihren Appartements. Strichjungen sind meist selbst keine Homosexuellen; sie sind in der Regel bisexuell. Eine große Zahl junger Männer wird in bestimmten sozialen Situationen (Geldmangel, ohne Freunde, auf Reisen) von Homosexuellen angesprochen, die ihnen Geld für einen kurzen unpersönlichen sexuellen Kontakt (meist Fellatio) anbieten. In Westeuropa und Nordamerika ist ferner die homosexuelle Prostitution 12- bis 17jähriger Bandendelinquenten weit verbreitet, die kein homosexuelles Selbstbild entwickeln, obgleich sie ihre Kunden als Homosexuelle ansehen. Der Hauptunterschied zur Prostituierten, die dafür bezahlt wird, daß ihr Kunde einen Orgasmus erlebt, besteht beim Strichjungen darin, daß er für seinen eigenen Orgasmus bezahlt wird. Deshalb ist der Strichjunge in der Zahl seiner Sexualkontakte begrenzt, da auch junge und gesunde Männer nur zwei bis drei Orgasmen während eines Tages haben. Während die Prostituierte durch die Geldzahlung erniedrigt wird, degradiert die

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Prostitution

Geldzahlung in der homosexuellen Welt den Kunden, der niedriges Ansehen und keinerlei Prestige besitzt. Er legt Wert auf kurze möglichst unpersönliche Sexualkontakte, um sein bürgerliches Image (Charakterbild) nicht zu gefährden und sich keiner Erpressung auszusetzen. Wegen der Flüchtigkeit und Anonymität der Partnerbeziehungen (mangelnde Bindungsfähigkeit!) ist die homosexuelle Prostitution jugend- und abwechslungsorientiert. Die physische Attraktivität junger Männer steht in hohem Kurs. Man verlangt nach immer neuen Begegnungen. Nicht wenige junge Männer erlernen auf diese Weise den homosexuellen Lebensstil. In Homosexuellenkreisen sagt man: „Die Strichjungen dieses Jahrgangs bezahlen die Strichjungen des nächsten Jahres". Homosexuelle, die bisexuell sind und eine Ehefrau und Familie haben, nehmen die Dienste von Strichjungen in Anspruch, weil sie wegen der großen sozialen Risiken (moralische Abwertung der Homosexualität!) keinerlei festeren homosexuellen Bindungen eingehen können (John H. Gagnon, William Simon 1978). Der homosexuelle Kunde ist opfergeneigt. Oft folgt dem homosexuellen Kontakt ein Gewaltakt: Raub, Körperverletzung, Erpressung. Denn die Kunden zeigen die Täter nicht an, um einen Skandal zu vermeiden. Es gibt Gewaltdelinquenten, die die Rolle von Strichjungen spielen, um ihre Kunden zu berauben, zumal wenn sie wohlhabend sind. Homosexuelle Prostitution von Bandendelinquenten ist eine zeitlich wie örtlich vorübergehende Tätigkeit. Die Delinquenten wollen lediglich „leichtes, schnelles" Geld machen, ohne viel zu riskieren. Sie definieren sich selbst nicht als Prostituierte oder Homosexuelle und lassen auch nicht zu, daß andere sie so definieren. Regeln und Verhaltensweisen homosexueller Prostitution haben sie erlernt. Der sexuelle Kontakt bleibt auf Fellatio beschränkt. Der Kunde riskiert Gewaltanwendung (homosexuelle Panik!), wenn er die Männlichkeit des Strichjungen angreift oder die affektive Neutralität des Sexualaktes in Zweifel zieht (Albert J. Reiss 1975): Er muß ausreichend zahlen. Das heterosexuelle Selbstbild des Strichjungen darf nicht in Gefahr kommen. Er darf ihn nicht belästigen, wenn er Mädchen bei sich hat. Denn das heterosexuelle Selbstbild ist bei Bandendelinquenten meist stark ausgeprägt, weil sie aus der sozioökonomischen Unterschicht kommen. Der Kunde darf den Jungen nicht veranlassen, bei dem Sexualakt eine weibliche Rolle zu spielen. Er riskiert sonst Gewaltanwendung. Die vorübergehenden Kontakte zwischen Strichjungen und ihren Kunden sind also höchst instabil und leicht verletzbar. Der Kunde darf schließlich nichts verlangen, was über Fellatio hinausgeht. Die Jungen definieren sich selbst nicht aufgrund ihres homosexuellen Verhaltens, sondern aufgrund ihrer Annahme einer homosexuellen Rolle. Sie verhalten sich zwar homosexuell; sie lehnen es aber ab, eine homosexuelle Rolle anzunehmen.

M o n o g r a p h i e n und

Sammelwerke

A. B e b e l : Die Frau und der Sozialismus. Stuttgart 1892. H. B e n j a m i n , R. E. L. M a s t e r s : Prostitution and Morality. New York 1964. S. B o r e l l i , W. S t a r c k : Die Prostitution als psychologisches Problem. Berlin, Göttingen, Heidelberg 1957. D. H. B r a c e y : "Baby-Pros": Preliminary Profiles of Juvenile Prostitutes. New York 1979. B. C o h e n : Deviant Street Networks: Prostitution in New York City. Lexington, Toronto 1980. P. G. C r e s s e y : The Taxi-Dance Hall: A Sociological Study in Commercialized Recreation and City Life (1932). Nachdruck: Montclair, N. J. 1969. R. D i e c k m a n n : Das Bild des Zuhälters in der Gegenwart. Erscheinungsformen und Möglichkeiten der Bekämpfung. Wiesbaden 1975. A. F l e x n e r : Prostitution in Europe (1914). Nachdruck: Montclair, N . J . 1969. E. G l o v e r : The Roots of Crime. London 1960. E. G l o v e r : The Psychopathology of Prostitution. 3. Aufl. London 1969. H. G r e e n w a l d : Das Call Girl. Eine psychoanalytische und sozialpsychologische Studie. Rüschlikon-Zürich, Stuttgart, Wien o.J. E.-W. H a n a c k : Empfiehlt es sich, die Grenzen des Sexualstrafrechts neu zu bestimmen? Gutachten A zum 47. Deutschen Juristentag. München 1968. B. S. H e y l : The Madam as Entrepreneur: Career Management in House Prostitution. New Brunswick, N. J. 1979. J. K a h m a n n , H. L a n z e r a t h : Weibliche Prostitution in Hamburg. Heidelberg 1981. A . C . K i n s e y , W . B . P o m e r o y , C . E . M a r t i n : Das sexuelle Verhalten des Mannes. Berlin, Frankfurt/M. 1955. K. U. K l e m e n s : Die kriminelle Belastung der männlichen Prostitution. Berlin 1967. G. J. K n e e l a n d : Commercialized Prostitution in New York City (1913). Nachdruck: Montclair, N. J. 1969. P. L e M o a l : Étude sur la Prostitution des Mineures. Paris 1965. L. L e r n e i l : Grundriß der allgemeinen Kriminologie (polnisch). Warschau 1973. C. L o m b r o s o , G. F e r r e r ò : Das Weib als Verbrecherin und Prostituierte. Hamburg 1894. L. P o n g r a t z : Prostituiertenkinder: Umwelt und Entwicklung in den ersten acht Lebensjahren. Stuttgart 1964. W. C. R e c k l e s s : Vice in Chicago (1933). Nachdruck: Montclair, N. J. 1969. D. R ö h r : Prostitution: Eine empirische Untersuchung über abweichendes Sexualverhalten und soziale Diskriminierung. Frankfurt/ M. 1972. K. Schneider: Studien über Persönlichkeit und Schicksal eingeschriebener Prostituierter. 2. Aufl. Berlin 1926. R. S y m a n s k i : The Immoral Landscape: Female Prostitution in Western Societies. Toronto 1981. C. W i n i c k , P. M. K i n s i e : The Lively Commerce: Prostitution in the United States. Chikago 1971. H. B. W o o l s t o n : Prostitution in the United States (1921). Nachdruck: Montclair, N.J. 1969. E. Wulffen: Das Weib als Sexualverbrecherin. 3. Aufl. Hamburg 1931.

Zeitschriften- und

Sammelwerkaufsätze

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Strafen und Maßregeln J . F u j i k a , J . H a s h i m o t o , N . S a t o : Eine Studie über den Werdegang jugendlicher Prostituierter (japanisch). Koichi Miyazawa (Hrsg.): Das Verbrechen und das Opfer - Viktimologie in Japan. 2. Band. 2. Aufl. Tokio 1974, 313-372. J. H. G a g n o n , W. S i m o n : Homosexual Prostitution. Leonard D. Savitz, Norman Johnston: Crime in Society. New York, Chichester, Brisbane, Toronto 1978, 815-820. G. G e i s : Prostitution. Simon Dinitz, Russell R.Dynes, Alfred C. Clarke (Hrsg.): Deviance: Studies in Definition, Management, and Treatment. 2. Aufl. New York, London, Toronto 1975, 331-349. D. G r a y : Teenage Prostitution. Leonard Savitz, Norman Johnston (Hrsg.): Crime in Society. New York, Chichester, Brisbane, Toronto 1978, 788-800. T. H i r s c h i : The Professional Prostitute. William A.Rushing (Hrsg.): Deviant Behavior and Social Process. Chikago 1969, 200-204. N. R. J a c k m a n , R. O ' T o o l e , G. G e i s : The Self-image of the Prostitute. John H. Gagnon, William Simon (Hrsg.): Sexual Deviance. New York, Evanston, London 1967, 133-146. M. J a s i ñ s k a : Junge Prostituierte (polnisch). Archiwum Kryminologii 2 (1964), 145-250. P. K. R a s m u s s e n , L. L. K u h n : The New Masseuse. Leonard Savitz, Norman Johnston (Hrsg.): Crime in Society. New York, Chichester, Brisbane, Toronto 1978, 801-814. A. J. R e i s s : The Social Integration of Queers and Peers. William A. Rushing (Hrsg.): Deviant Behavior and Social Process. New York 1975, 254-267. F.-C. S c h r o e d e r : Neue empirische Untersuchungen zur Zuhälterei. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform. 61 (1978), 62-67. J. K. S k i p p e r , C. H. M c C a g h y : Stripteasers: The Anatomy and Career Contingencies of a Deviant Occupation. Social Problems 17 (1970), 391-405. HANS JOACHIM

SCHNEIDER

STRAFEN UND MASSREGELN A. Zweispurigkeit von Rechtsfolgen 1. Schuld als Voraussetzung von Strafen Das deutsche Strafrecht beruht auf dem Prinzip der Schuld als Voraussetzung der Strafbarkeit; dieses Prinzip leitet sich aus dem Postulat der Willensfreiheit (vgl. Engisch 1965) des Menschen ab. Hiernach handelt der Straftäter grundsätzlich schuldhaft, sofern seine Schuldfähigkeit nicht aufgrund besonderer psychischer Gegebenheiten als ausgeschlossen gilt (§20 StGB, §12 Abs. 2 OWiG). Nach der Rechtsprechung wird „mit dem Unwerturteil der Schuld dem Täter vorgeworfen, daß er sich nicht rechtmäßig verhalten, daß er sich für das Unrecht entschieden hat, obwohl er sich rechtmäßig verhalten, sich für das Recht hätte entscheiden können" (BGHSt. 2, 194 ff. [200]). Gegen die mangelnde Präzision in der Gleichsetzung von Schuld und Verwerfbarkeit ist von Teilen der Strafrechtslehre eingewandt worden, letztere könne nur Folge von Schuld, nicht aber diese selbst sein. Das Schuldprinzip, dem - als im Rechtsstaatsprinzip begründet - der Rang eines Verfassungsgrundsatzes (BVerfGE 20, 323 [331]) beigemessen wird, besagt

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bezüglich der Problematik eines Monismus oder aber einer realen Vielfalt des Gewissens (Art. 4 Abs. 1 GG), es gebe nur ein Gewissen, das durch Anspannung gefunden werden könne. (Abweichungen scheinen allenfalls bei religiös begründeter Gewissensentscheidung anerkannt zu werden und zum Ausschluß der Schuld führen zu können [BVerfGE 23, 133; bes. BVerfGE 32, 108f.]; dies wird am ehesten Unterlassungstaten betreffen.) Eine Ablösung des Schuldprinzips gilt auch im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts als nicht vertretbar (vgl. Tiedemann 1976, S.254); so ist eine Strafverfolgung gegenüber einer Organisation grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. aber § 30 OWiG sowie Schünemann 1979, S. 180ff.). Im Hinblick auf das (seitherige) Unvermögen des empirischen Nachweises der Willensfreiheit wird von Vertretern der Strafrechtslehre gelegentlich vorgeschlagen (§2 AE-StGB 1966; Roxin 1974), das Schuldprinzip nicht zum Nachteil, sondern nur zum Vorteil, das heißt zur Limitierung der Rechtsfolgen, zu verwenden, wobei seine Rechtfertigung eher auf präventive Zwecke beschränkt bleibt (vgl. auch §59 Abs. 2 AE-StGB 1966). Von anderen wird das Schuldprinzip - gewissermaßen unterhalb des Niveaus seiner konzeptionellen Grundlage mit erklärtem Hinweis auf seine pragmatische Eignung verteidigt, wobei Schuld etwa als Zurückbleiben hinter Art und Ausmaß von Legalverhalten zu verstehen sei, wie es von einem (gedachten) durchschnittlichen Staatsbürger erwartet werde. 1. Die Konzeption des Schuldvorwurfs hat individualisierenden Charakter und bezieht sich (vorgeblich) auf den innerpsychischen Bereich. Die gemeinten Abläufe sind sozial nicht sichtbar; einer ' empirischen Untersuchung sind sie nach ganz überwiegender Auffassung nicht zugänglich. a) Zugleich übergeht das (individualisierende) Schuldprinzip diejenigen theoretischen Auffassungen und empirischen Anhaltspunkte, die auf eine Bindung individuellen Handelns an (heterogene) Gruppen- oder Organisationsnormen hindeuten. Dies gilt etwa dann, wenn eine Tat aus der Rolle innerhalb einer Tätergemeinschaft oder eines Verbandes heraus begangen wird und das Verhalten des Täters mehr von gruppen- oder verbandsinternen und weniger von individuell relevanten Normen getragen ist; dabei können im Rahmen hierarchischer Interdependenzen Probleme einer (gegebenenfalls auch gewissensbezogenen) Delegierung der (straf-)rechtlichen Verantwortung auf die „Führungsebene" auftreten. Allerdings sollen nach dem Konzept der Neutralisierung (Sykes/Matza 1974 [1957], S. 361) die meisten der jugendlichen Delinquenten ein Unrechtsbewußtsein haben; da jedoch eine generelle Normenflexibilität bestehe, komme es zu Straftaten, deren von Unrechtsgehalt gekennzeichnete Begehung durch unterschiedliche Techniken neutralisiert (oder auch rationalisiert) werde. Für den Bereich der Wirtschaftskriminalität war

Strafen und Maßregeln J . F u j i k a , J . H a s h i m o t o , N . S a t o : Eine Studie über den Werdegang jugendlicher Prostituierter (japanisch). Koichi Miyazawa (Hrsg.): Das Verbrechen und das Opfer - Viktimologie in Japan. 2. Band. 2. Aufl. Tokio 1974, 313-372. J. H. G a g n o n , W. S i m o n : Homosexual Prostitution. Leonard D. Savitz, Norman Johnston: Crime in Society. New York, Chichester, Brisbane, Toronto 1978, 815-820. G. G e i s : Prostitution. Simon Dinitz, Russell R.Dynes, Alfred C. Clarke (Hrsg.): Deviance: Studies in Definition, Management, and Treatment. 2. Aufl. New York, London, Toronto 1975, 331-349. D. G r a y : Teenage Prostitution. Leonard Savitz, Norman Johnston (Hrsg.): Crime in Society. New York, Chichester, Brisbane, Toronto 1978, 788-800. T. H i r s c h i : The Professional Prostitute. William A.Rushing (Hrsg.): Deviant Behavior and Social Process. Chikago 1969, 200-204. N. R. J a c k m a n , R. O ' T o o l e , G. G e i s : The Self-image of the Prostitute. John H. Gagnon, William Simon (Hrsg.): Sexual Deviance. New York, Evanston, London 1967, 133-146. M. J a s i ñ s k a : Junge Prostituierte (polnisch). Archiwum Kryminologii 2 (1964), 145-250. P. K. R a s m u s s e n , L. L. K u h n : The New Masseuse. Leonard Savitz, Norman Johnston (Hrsg.): Crime in Society. New York, Chichester, Brisbane, Toronto 1978, 801-814. A. J. R e i s s : The Social Integration of Queers and Peers. William A. Rushing (Hrsg.): Deviant Behavior and Social Process. New York 1975, 254-267. F.-C. S c h r o e d e r : Neue empirische Untersuchungen zur Zuhälterei. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform. 61 (1978), 62-67. J. K. S k i p p e r , C. H. M c C a g h y : Stripteasers: The Anatomy and Career Contingencies of a Deviant Occupation. Social Problems 17 (1970), 391-405. HANS JOACHIM

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STRAFEN UND MASSREGELN A. Zweispurigkeit von Rechtsfolgen 1. Schuld als Voraussetzung von Strafen Das deutsche Strafrecht beruht auf dem Prinzip der Schuld als Voraussetzung der Strafbarkeit; dieses Prinzip leitet sich aus dem Postulat der Willensfreiheit (vgl. Engisch 1965) des Menschen ab. Hiernach handelt der Straftäter grundsätzlich schuldhaft, sofern seine Schuldfähigkeit nicht aufgrund besonderer psychischer Gegebenheiten als ausgeschlossen gilt (§20 StGB, §12 Abs. 2 OWiG). Nach der Rechtsprechung wird „mit dem Unwerturteil der Schuld dem Täter vorgeworfen, daß er sich nicht rechtmäßig verhalten, daß er sich für das Unrecht entschieden hat, obwohl er sich rechtmäßig verhalten, sich für das Recht hätte entscheiden können" (BGHSt. 2, 194 ff. [200]). Gegen die mangelnde Präzision in der Gleichsetzung von Schuld und Verwerfbarkeit ist von Teilen der Strafrechtslehre eingewandt worden, letztere könne nur Folge von Schuld, nicht aber diese selbst sein. Das Schuldprinzip, dem - als im Rechtsstaatsprinzip begründet - der Rang eines Verfassungsgrundsatzes (BVerfGE 20, 323 [331]) beigemessen wird, besagt

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bezüglich der Problematik eines Monismus oder aber einer realen Vielfalt des Gewissens (Art. 4 Abs. 1 GG), es gebe nur ein Gewissen, das durch Anspannung gefunden werden könne. (Abweichungen scheinen allenfalls bei religiös begründeter Gewissensentscheidung anerkannt zu werden und zum Ausschluß der Schuld führen zu können [BVerfGE 23, 133; bes. BVerfGE 32, 108f.]; dies wird am ehesten Unterlassungstaten betreffen.) Eine Ablösung des Schuldprinzips gilt auch im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts als nicht vertretbar (vgl. Tiedemann 1976, S.254); so ist eine Strafverfolgung gegenüber einer Organisation grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. aber § 30 OWiG sowie Schünemann 1979, S. 180ff.). Im Hinblick auf das (seitherige) Unvermögen des empirischen Nachweises der Willensfreiheit wird von Vertretern der Strafrechtslehre gelegentlich vorgeschlagen (§2 AE-StGB 1966; Roxin 1974), das Schuldprinzip nicht zum Nachteil, sondern nur zum Vorteil, das heißt zur Limitierung der Rechtsfolgen, zu verwenden, wobei seine Rechtfertigung eher auf präventive Zwecke beschränkt bleibt (vgl. auch §59 Abs. 2 AE-StGB 1966). Von anderen wird das Schuldprinzip - gewissermaßen unterhalb des Niveaus seiner konzeptionellen Grundlage mit erklärtem Hinweis auf seine pragmatische Eignung verteidigt, wobei Schuld etwa als Zurückbleiben hinter Art und Ausmaß von Legalverhalten zu verstehen sei, wie es von einem (gedachten) durchschnittlichen Staatsbürger erwartet werde. 1. Die Konzeption des Schuldvorwurfs hat individualisierenden Charakter und bezieht sich (vorgeblich) auf den innerpsychischen Bereich. Die gemeinten Abläufe sind sozial nicht sichtbar; einer ' empirischen Untersuchung sind sie nach ganz überwiegender Auffassung nicht zugänglich. a) Zugleich übergeht das (individualisierende) Schuldprinzip diejenigen theoretischen Auffassungen und empirischen Anhaltspunkte, die auf eine Bindung individuellen Handelns an (heterogene) Gruppen- oder Organisationsnormen hindeuten. Dies gilt etwa dann, wenn eine Tat aus der Rolle innerhalb einer Tätergemeinschaft oder eines Verbandes heraus begangen wird und das Verhalten des Täters mehr von gruppen- oder verbandsinternen und weniger von individuell relevanten Normen getragen ist; dabei können im Rahmen hierarchischer Interdependenzen Probleme einer (gegebenenfalls auch gewissensbezogenen) Delegierung der (straf-)rechtlichen Verantwortung auf die „Führungsebene" auftreten. Allerdings sollen nach dem Konzept der Neutralisierung (Sykes/Matza 1974 [1957], S. 361) die meisten der jugendlichen Delinquenten ein Unrechtsbewußtsein haben; da jedoch eine generelle Normenflexibilität bestehe, komme es zu Straftaten, deren von Unrechtsgehalt gekennzeichnete Begehung durch unterschiedliche Techniken neutralisiert (oder auch rationalisiert) werde. Für den Bereich der Wirtschaftskriminalität war

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bereits die Möglichkeit angeführt worden (Cressey 1952, S. 49ff.), der Straftäter nehme eine Einschätzung seines Verhaltens vor, die es ihm erlaube, seine Tat als etwas anderes denn als eine Straftat zu definieren. b) Die technische Handhabung des Schuldprinzips besteht darin, daß im Wege eines normativen Aktes der Zurechnung eine bestimmte kognitive und voluntive Fähigkeit auf der Seinsebene vorausgesetzt wird, deren Fehlhandhabung vorgeworfen wird. Der Schuldbegriff erscheint als ein Zugriffsinstrument, das die seins- und erfahrungswissenschaftliche, aber auch die normative Zusammensetzung seiner Elemente im unklaren belassen muß, da es weder seins- und erfahrungswissenschaftliche noch strafrechtlich relevante Schuldsachverhalte gibt, die diese Eigenschaft per se, gewissermaßen im natürlichen Sinne hätten. Zahlreiche Beispiele aus der Strafrechtsdogmatik lassen deutlich werden, in welchem Ausmaß es bei dem Schuldbegriff um die Durchsetzung dessen geht, was man als kriminalpolitisch effizient empfindet, und wie sehr sich das Postulat der individuellen Freiheit zu normgemäßem Handeln zu verflüchtigen scheint. „Intrasystematisch, allein vom Schuldprinzip her, sind die Beschränkungen, denen der Schuldausschluß etwa bei der Schuldunfähigkeit oder beim Verbotsirrtum unterliegt, nicht mehr zu erklären" (Stratenwerth 1977, S.43), sondern nur durch kriminalpolitische Motive. So erscheint zum Beispiel die Konstruktion der Lebensführungsschuld, die in verschiedenstem Zusammenhang bedeutsam wird (z. B. beim Affekt, beim Verbotsirrtum, auch bei Problemen der Fahrlässigkeit), präventiv motiviert; dabei vermögen die Versuche der Inbezugsetzung zum Schuldprinzip kaum die Intention zu verdecken, schon auf die Vermeidung von Situationen hinzuwirken, in denen der Täter einem strafrechtlich relevanten Verhalten erliegen könnte. c) Zudem scheint das Schuldprinzip - wegen der individualisierenden, sozial isolierenden Wirkung in besonderem Maße zur Erreichung gesellschaftsstabilisierender Funktionen von (Verbrechen beziehungsweise von reaktiver) strafrechtlicher Erfassung von Verhalten geeignet. Solche Funktionen beziehen sich auf die Bekräftigung sozialer Normensysteme (einschließlich der Legalordnung) und auf die Entlastung von der Ungewißheit über die Geltung sozialer Normen, auf die Ableitung von Aggressionen durch (psychoanalytisch und mentalhygienisch verstandene) Projektions- und Identifizierungsabläufe sowie auf Disziplinierung in (auch) außerstrafrechtlichen Verhaltensbereichen wie auch auf die Legitimation sozialer Ungleichheit. Was zum Beispiel die Funktion der Bekräftigung der Legalordnung angeht, so mögen sich - bezogen auf die kognitive Geltungsstruktur strafrechtlicher Nonnen - mittels des Schuldprinzips durch (gedankliche) Herausnahme der Straftat aus dem Kreis

erwartungsprägender Gegebenheiten die einschlägigen Erwartungen aufrechterhalten lassen (s. zum folgenden Jakobs 1976). Solches mag zum einen dergestalt geschehen, daß das Verbrechen gewissermaßen als Naturunglück in einen Bereich verwiesen wird, in dem Enttäuschung normativer Erwartung nicht möglich ist; dies könnte etwa dann der Fall sein, wenn der Täter als mehr oder weniger biologisch defekt oder krank bezeichnet wird, man ihn entschuldigt und sodann verwahrt oder zu heilen angibt. Es mag zum anderen erreicht werden, indem die Tat dem Täter, dokumentiert durch Strafe, als schuldhaft zugerechnet und dadurch als eine nicht akzeptable Verhaltensweise bestätigt wird. In beiden Fällen würde der Täter - als Bedingung der Straftat - isoliert, wobei der Schuldbegriff als ein Instrumentarium „normativer und sozialpsychologischer, jedenfalls aber nicht primär individualpsychologischer Art" (Jakobs 1976, S.32) erscheinen würde. 2. Die Schuld ist die Grundlage der Strafzumessung (§46 Abs. 1 S. 1 StGB); im Unterschied zur konzeptionellen Bedeutung der Schuld ist hiermit der Umfang dessen fixiert, was dem Täter in bezug auf sein Verhalten in Zusammenhang mit der Tat subjektiv zugerechnet werden kann. Ließe sich die Schuld insoweit ausschließlich im Sinne einer Limitierungsfunktion begreifen, stellte der Schuldausgleich keinen Strafzweck mehr dar; demgegenüber wird überwiegend auch eine konstitutive Funktionsbestimmung angenommen, wonach es bei einer Strafzweckbedeutung von Begriffen wie „Vergeltung" oder „Sühne" verbleibe. Daneben ist eine hinsichtlich der Wirkungen der Strafe zu erstellende Prognose zu berücksichtigen (§46 Abs. 1 S . 2 StGB). Gelegentlich wird die Vorstellung geäußert, im Rahmen des Schuldprinzips solle eine Form strafrechtlicher Reaktion eintreten, „die aus der Mitverantwortung der Gesellschaft Konsequenzen zieht und also auch gegenüber dem Straftäter menschliche Solidarität übt" (Stratenwerth 1977, S.41, s. auch S.49 a.E.; s. auch Roxin 1974, S. 181 ff.). Demgegenüber liegen bis in die Gegenwart hinein Anhaltspunkte dafür vor, daß sich das Schuldprinzip in vorzüglicher Weise zur Ausübung von Repression eignet. Dies gilt zum Beispiel für die „in jeder Hinsicht als realitätsfern und doktrinär" (Stratenwerth 1972, S. 15) erscheinende, erst im Jahr 1969 eingeführte strafschärfende Rückfallvorschrift des §48 StGB. Bei dieser wird die Strafschärfung mit einem erhöhten Schuldvorwurf begründet, der daraus folge, daß der Täter die neue Tat trotz Warnung durch die früheren Verurteilungen begangen habe; was die zusätzliche Voraussetzung angeht, daß wegen einer der Vorverurteilungen mindestens drei Monate Freiheitsstrafe vollstreckt worden ist, so gilt als solche zwar nicht die Ersatzfreiheitsstrafe (BGHSt. 27, 90ff.; BayObLG NJW 1974, 1256), wohl aber - in kaum vertretbarer Weise - die Jugendstrafe (BGHSt. 7, 300ff.).

Strafen und Maßregeln a) Nach Auffassung des BVerfG (JZ 1979, 225) sei § 48 StGB insoweit verfassungsgemäß, als diese Norm „generell eine erhöhte Mindeststrafe bei Rückfall androht". Hiergegen bestehen insofern Bedenken, als §48 StGB bei Straftaten mit einer Mindeststrafe von mehr als sechs Monaten nicht zur Anwendung kommt, also gerade keine „generelle" Rückfallvorschrift ist. Während bei solchen Straftaten der Rückfall nur als eine unter mehreren Strafzumessungstatsachen berücksichtigt wird, dominiert bei geringfügigeren - aber noch nicht durch § 48 Abs. 2 StGB ausgeschlossenen - Straftaten die Rückfälligkeit; dies ist um so bedeutsamer, als die Ausgestaltung des §48 Abs. 2 StGB einen in der Praxis erheblichen Bereich von Straftaten trotz äußerst geringfügigen Schadens nicht von der Anwendung der strafschärfenden Rückfallvorschrift befreit. b) Die Vorschrift des § 48 StGB läßt in besonderem Maße die Diskrepanz zwischen individualisierendem Reduktionsprinzip und komplexer Wirklichkeit (einschließlich des Interaktionismus zwischen Justiz und Vorverurteiltem) erkennen. Psychologisch erscheint plausibel, daß die (postulierte) Wahlmöglichkeit zugunsten des Legalverhaltens mit zunehmender Häufigkeit oder gar Gewohnheitsmäßigkeit der Tatbegehung reduziert wird. Insofern wäre es eher verständlich, wenn der Schuldvorwurf entsprechend eingeschränkt würde; die entgegengesetzte Bewertung aber deutet darauf hin, daß der Schuldbegriff von Interessen ausgefüllt wird, die außerhalb der Ermittlung individualpsychologisch relevanter Elemente liegen. Auch läßt sich ein erhöhter Schuldvorwurf psychologisch kaum damit begründen, der Betroffene setze sich über ein durch Vorverurteilung und Strafvollzug, also durch eigene Erfahrung gewonnenes Bewußtsein von der Strafbarkeit seines Verhaltens hinweg, weil gerade durch Vorverurteilung und Strafvollzug etwa gemachte negative Erfahrungen zu einer Einschränkung der Wahlmöglichkeit geführt haben mögen. Dementsprechend bestehen Bedenken auch gegenüber der Auffassung, daß derjenige, der sich über die „mit früheren Verurteilungen gesetzten Hemmungsimpulse" (BVerfG JZ 1979, 224) hinwegsetze, unter Umständen mit vermehrter krimineller Energie und deshalb mit vermehrter Schuld handele; zum einen ist schon fraglich, ob Hemmungsimpulse gesetzt wurden, und zum anderen würde ein Befund vermehrter krimineller Energie nichts über vermehrte Schuld, sondern eher etwas über die Plausibilität reduzierter Wahlmöglichkeit aussagen. Was endlich die in § 48 StGB zum Ausdruck gelangende Annahme angeht, dem Strafvollzug komme in der Regel eine die Legalbewährung fördernde Funktion zu (vgl. auch hierzu BVerfG JZ 1979, 226), so fehlt es für eine solche Annahme einstweilen an empirischen Belegen. Soweit mitunter darauf hingewiesen wird, daß sich unter den Vorverurteilten überwiegend Menschen

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befinden, die von Schwäche und Anpassungsschwierigkeiten gekennzeichnet sind, und die mehr der HUfe (vgl. OLG Köln MDR 1980, 510 und schon MDR 1977, 860f.: Anwendung auf „Bahnhofsstreuner... aus sozialer Hilflosigkeit") als der Strafe bedürften und die für die Warnfunktion einer Verurteilung kaum empfänglich seien, so wird auch hierbei weniger auf Fragen eingeschränkter Wahlmöglichkeit eingegangen; vielmehr stehen sozialstaatliche Erwägungen oder Fragen der kriminalpolitischen Zweckmäßigkeit im Hinblick auf eine geringere Gefährlichkeit im Vordergrund. Da die Anwendung des § 48 StGB davon abhängig sein soll, „daß den Täter im konkreten Fall im Blick auf die Warnfunktion ein verstärkter Schuldvorwurf trifft" (BVerfG JZ 1979 , 224), wird die Fähigkeit des Tatrichters postuliert, bei der Frage danach, welche positiven und negativen Wirkungen von der Verurteilung und vom Strafvollzug ausgegangen sein könnten, auch „psychische Faktoren, charakterliche Eigenschaften des Angeklagten und dessen Lebensumstände" einzubeziehen. Indes bleibt „vollkommen unerfindlich" (Stratenwerth 1972, 17), woraus sich eine solche Fähigkeit des Tatrichters ergeben könnte. c) Was die Häufigkeit der Anwendung des § 48 StGB in den Jahren 1977 und 1978 angeht, so betrug deren Anteil an allen Verurteilungen (bei absolut 9719 und 10 203 einschlägig strafschärfend Verurteilten) 1,60% und 1,66%; die entsprechenden Anteile bei Diebstahl lauteten (bei absoluten Zahlen von 6027 und 6226) 5,74% und 5,78% (StrafSt. [Ausf. Ergebn.] 1977, S. 178, 164, 166; 1978, S. 178, 164). 2. Gefahr ab Voraussetzung von Maßregeln Voraussetzung der Anordnung von Maßregeln (der Besserung und Sicherung) ist eine rechtswidrige Tat sowie eine vom Täter ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit. Ein schuldhaftes Handeln des Täters ist nur für die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung sowie, was die zukünftige Rechtslage angeht, für die Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt (§ 65 Abs. 1 und 2, nicht jedoch Abs. 3 StGB) vorausgesetzt. Hiernach ist, von den genannten Ausnahmen sowie von der Führungsaufsicht (§§68 ff. StGB) abgesehen, auch eine selbständige Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung möglich (§71 StGB; s. dazu auch § 413 StPO). 1. Bei der Bemessung von Maßregeln kommt dem - im Rechtsstaatsprinzip begründeten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine ähnliche Begrenzungsfunktion zu (§62 StGB), wie sie bei der Strafzumessung (im Erwachsenenstrafrecht) durch das Schuldprinzip gewährleistet ist. Schon die Voraussetzung der Gefahr erheblicher Straftaten (s. aber § 68 StGB) ebenso wie die Möglichkeit der

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Aussetzung der Vollstreckung von Maßregeln zur Bewährung ist Ausdruck des Prinzips der Verhältnismäßigkeit; das gleiche gilt für den Grundsatz, daß unter mehreren zulässigen und geeigneten Maßregeln (§ 72 Abs. 1 StGB) diejenige anzuordnen ist, die den Täter am wenigsten beschwert. Dabei muß eine Verhältnismäßigkeit zur begangenen Tat und zusätzlich zu den zu erwartenden Taten und außerdem zum Grad der Gefahr bestehen. Auch bei Nachentscheidungen (etwa der Entlassung aus stationärer Maßregeldurchführung) gilt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Wie jedoch der Rahmen der „Verhältnismäßigkeit" im einzelnen auszufüllen ist, ist kaum hinreichend geklärt oder auch nur erörtert worden (s. aber Haag 1970, S. 37 ff., 112 ff.). 2. Was künftig „zu erwartende Taten" sowie die vom Täter „ausgehende Gefahr" anbetrifft, so bedarf es einer Prognose. Während bei der Verhängung und Bemessung von Strafen die Ahndung der Tatschuld im Vordergrund steht und prognostische Überlegungen lediglich hinzutreten, kommt es bei der Anordnung und Bemessung von Maßregeln wesentlich auf die prognostische Ausrichtung an. Als inhaltlicher Maßstab werden Begriffe wie Präventionsbedürftigkeit und -zugänglichkeit des Täters verwandt; ist damit zu rechnen, daß die Maßregeln der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, in einer Entziehungsanstalt oder in der Sicherungsverwahrungsanstalt angeordnet werden, so ist ein Sachverständiger zu vernehmen (§246a StPO; s. auch § 80a StPO). Allerdings läßt sich bei dem (gegenwärtigen) kriminologischen Wissensstand in der Prognoseforschung, abgesehen von Extremgruppen, die Frage nach dem zukünftigen Legalverhalten kaum mit zureichender Treffsicherheit und in überprüfbarer Weise voraussagen, zumal dieses wesentlich auch von formeller und informeller Reaktion abhängt. ( - Dieses Bedenken betrifft um so mehr den bezüglich der Strafe gelegentlich unterbreiteten Vorschlag, anstelle des Schuldprinzips dasjenige der Verhältnismäßigkeit zu setzen, wobei Kriterien zur Bestimmung der Rechtsfolgen solche der Prävention beziehungsweise des Rechtsgüterschutzes zu sein hätten, und wobei die schutzwürdigen Interessen der Allgemeinheit mit den präventiv etwa erforderlichen Eingriffen in die Rechtsgüter des Täters zu einem Ausgleich zu bringen wären [vgl. Ellscheid/Hassemer 1975 (1970), S. 275 ff.]). 3. Soweit Maßregeln der Besserung und Sicherung auch im Jugendstrafrecht Anwendung finden (§7 JGG), ist deren Vereinbarkeit mit dem Erziehungsgedanken kaum systematisch überprüft worden (zur Entstehungsgeschichte vgl. Ausführungsgesetz RGBl. 1933 I S. 1000 [1005]). Auch ist nicht ohne weiteres verständlich, warum es für das Jugendstrafrecht - trotz bestehender Rechtsfolgenvielfalt und -flexibilität - zusätzlicher bessernder Maßregeln bedürfen soll, während eine Dominanz

von Sicherungsbelangen dem Erziehungsziel entgegenstünde. Im einzelnen fällt hinsichtlich der nach geltendem Jugendstrafrecht anwendbaren Maßregeln betreffend den Sicherungsaspekt z . B . auf, daß die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zeitlich nicht befristet ist (§ 67 d StGB) und die Registrierung der Anordnung dieser Maßregel nicht getilgt wird (§43 Abs. 3 Nr. 2 B Z R G ) ; im übrigen ist der Alltag innerhalb der forensischen Abteilungen psychiatrischer Anstalten weithin von Sicherungsbelangen bestimmt. - Aber auch die Führungsaufsicht begegnet insoweit erzieherischen Bedenken, als sie die Zeit behördlicher Kontrolle verlängert. Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist wesensmäßig ohnehin primär eine Sicherungsmaßregel, die - abgesehen von den Zweifeln an einer spezialpräventiven Wirksamkeit - dem erzieherisch zu beachtenden Streben Jugendlicher und Heranwachsender (auch) nach dem Kraftfahrzeug als Statussymbol Erwachsener kaum Rechnung trägt.

3. Verhältnis zwischen Strafen und Maßregeln 1. Die Strafe (auf der Grundlage des Schuldprinzips) muß bei der Erfüllung präventiver Aufgaben mitunter von vornherein scheitern, während die Maßregel insoweit geeignet erscheint. Dies ist zum einen dann der Fall, wenn eine gefährliche, das heißt auch in Zukunft zur Verletzung von Straftatbeständen neigende Person schuldunfähig (§20 StGB; vgl. auch § 3 JGG) handelt, so daß deren Bestrafung unzulässig ist. Es gilt zum anderen dann, wenn der Täter zwar schuldhaft handelt, eine am Schuldmaß orientierte Strafart und/oder -dauer aber, auch unter Berücksichtigung spezial- und generalpräventiver Gesichtspunkte, für die Erzielung einer Präventionswirkung ungeeignet ist. Aus diesem Grunde kennt das strafrechtliche Rechtsfolgensystem sowohl Strafen als auch Maßregeln; man bezeichnet dies als Zweispurigkeit oder auch als dualistisches System. Mit Ausnahme der Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis werden die Maßregeln im Vergleich zu den Strafen nur äußerst selten angewandt. 2. a) Soweit Strafe und Maßregel zugleich verhängt werden, begegnet dies logisch-begrifflichen Bedenken im Hinblick auf antithetische Aspekte des Verhältnisses von Willensfreiheit und Schuld einerseits sowie Determiniertheit und Maßregelbedürftigkeit andererseits, wie sie sich in (zumindest partiell) unterschiedlichen Zielsetzungen und Vollzugsbedingungen der jeweiligen Rechtsfolgen niederschlagen und etwa in der Gegenüberstellung von §48 StGB einerseits und §65 StGB andererseits anschaulich werden. Zudem ist die Maßregelverhängung jedenfalls dann, wenn sie einen richterlichen Schuldspruch zur Grundlage hat, (ebenso wie die Strafe) an die Begehung einer strafbaren Hand-

Strafen und Maßregeln lung geknüpft, so daß sie als ein mit dem Unwerturteil verbundenes Übel und damit gewissermaßen auch als Strafe empfunden wird. Diese Einwände würden behoben, wenn Strafen und Maßregeln durchgängig nur alternativ angewandt würden, sofern das System der Zweispurigkeit (trotz der auch im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bestehenden Bedenken) beibehalten werden soll. b) Wird neben der Verhängung von Freiheitsstrafe die Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet, so handelt es sich tatsächlich um eine Doppelbestrafung (§ 67 Abs. 1 StGB; anders Art. 42 Nr. 1 StGB-Schweiz). Im Falle der Anordnung einer der übrigen mit Freiheitsentziehung verbundenen Maßregeln neben der Verhängung einer Freiheitsstrafe wird erstere grundsätzlich vor der Freiheitsstrafe vollzogen (§67 Abs. 1 StGB; s. jedoch auch §67 Abs. 2, 3 StGB), wobei die Zeit des Vollzuges der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird (§ 67 Abs. 4 StGB, vikariierendes System; s. hierzu Marquardt 1972; Müller 1981). - Eine Nivellierung des Verhältnisses von Freiheitsstrafe und mit Freiheitsentziehung verbundener Maßregel findet sich insoweit, als ein zu Freiheitsstrafe verurteilter Gefangener in den (Maßregel-)Vollzug einer sozialtherapeutischen Anstalt verlegt werden kann, und zwar auch ohne Zustimmung des Vollstreckungsgerichts und allein aufgrund des Einverständnisses des Leiters der sozialtherapeutischen Anstalt (§9 Abs. 1 S. 1 StVollzG). Eine Nivellierung mit eher umgekehrter Richtung stellen Abteilungen zur Behandlung von Drogenabhängigen im Strafvollzug dar, zumal die Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nur vergleichsweise restriktiv angeordnet (beziehungsweise vollstreckt) wird.

B. Strafen 1. Geldstrafe l . a ) Die Verhängung der Geldstrafe geschieht (seit 1.1.1975) nach Tagessätzen (§40 StGB). Dabei ist die Festlegung der Anzahl der Tagessätze von der Bestimmung von deren Höhe zu unterscheiden. Bei ersterem handelt es sich um die Bewertung des Unrechts- und Schuldgehalts der Tat. Letzteres hingegen stellt einen Vorgang der Anpassung an die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§40 Abs. 2 StGB) und insbesondere an die wirtschaftliche Leistungsfähgkeit des Verurteilten dar und dient der Berücksichtigung ungleichmäßiger Einkommensverhältnisse. - Die Regelung, die bis 31.12.1974 bestanden hatte (§27 StGB a. F.), berücksichtigte die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten bei der einheitlichen Festle-

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gung der Geldstrafe. Sie führte zu ungleichen Geldstrafen bei gleichem Schuldgehalt der Straftat, so daß aus der festgelegten Geldstrafe der Unrechtsgehalt nicht entnommen werden konnte. Vielmehr konnte es sich entweder um eine schwere Tat einer finanziell schwachen Person oder um eine leichte Tat einer wohlhabenden Person handeln. Demgegenüber stellt der Tagessatz eher eine objektiv gleiche Bemessungsgrundlage dar. Die ausnahmsweise („Gewinnsuchtstaten", §41 StGB) bestehende Möglichkeit kumulativer Verhängung von Geldstrafe neben Freiheitsstrafe erscheint zum einen deshalb als mit dem Konzept des Tagessatzsystems schwer vereinbar, weil der Verurteilte während des Freiheitsentzuges in der Regel kaum Einkünfte hat und ein Konsumverzicht oder eine Lebensstandardbeschränkung über die Situation im Strafvollzug hinaus kaum erreicht werden kann (s. daher auch § 459 d StPO); zum anderen ist bei Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung die Auflage einer Geldleistung möglich (§ 56b Abs. 2 Nr. 2 StGB). Außerdem besteht sowohl die Rechtsfolge der Einziehung (§§74 ff. StGB) als auch die Möglichkeit der Gewinnabschöpfung durch das eigenständige Rechtsinstitut des Verfalls (§§73ff. StGB). b) Die Geldstrafe ist, soweit keine abweichende Regelung getroffen wird, nach Rechtskraft in einem Betrag voll zu zahlen. Allerdings sind unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen Zahlungserleichterungen zu gewähren (§42 StGB). 2. Was die Bestimmung der Höhe des einzelnen Tagessatzes angeht, so liegt eine Bemessungsregel etwa im Sinne einer Beschreibung des Einwirkungszieles der Geldstrafe nicht vor. Daher hängt es von dem Verständnis dieses Einwirkungszieles ab, ob bei der Bestimmung der Tagessatzhöhe eher eine individuelle Anpassung an die Verhältnisse des jeweiligen Verurteilten oder aber eine eher schematische Bemessung angezeigt erscheint, wobei bei letzterem Verfahren etwa eine Geldstrafentabelle die jeweils gestaffelten Tagessätze (unter Berücksichtigung insbesondere von Nettoeinkommen und Zahl unterhaltsberechtigter Personen) vorsehen würde. Zur Verdeutlichung des Problems sei nur auf die Frage hingewiesen, wie der unterschiedlichen Art der Verplanung der Einkünfte - zum Beispiel einerseits der Abzahlung für eine wertbeständige Anschaffung, andererseits des Sparens für eine Urlaubsreise - Rechnung zu tragen ist. - Die Erfassung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse kann das Gericht, soweit Beweismittel ihm nicht zur Verfügung stehen, durch Schätzung vornehmen (§40 Abs. 3 StGB). Dieses Vorgehen entspricht etwa dem (summarischen) Strafbefehlsverfahren (§§407ff. StPO); es schränkt die allgemeine gerichtliche Aufklärungspflicht (§244 StPO) ein, ohne sie jedoch inhaltlich aufzuheben. a) Im einzelnen ist in der Regel von dem Nettoeinkommen auszugehen, das der Täter durch-

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schnittlich an einem Tag hat oder haben könnte (§40 Abs. 2 S. 2 StGB). Jedoch soll die Bestimmung der Tagessatzhöhe „unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse" (§ 40 Abs. 2 S. 1 StGB) geschehen. Es ließen sich darunter sowohl eine „zumutbare Einbuße", eine Beschränkung auf notwendigen Unterhalt oder der Verbleib der „lohnpfändungsfreien Beträge als Existenzminimum" (§ 49 Abs. 2 S. 2 AE-StGB) verstehen. Unstreitig ist die Auffassung, daß nicht nur außergewöhnliche Belastungen, sondern auch sämtliche Unterhaltspflichten bei der Festsetzung der Höhe der Tagessätze angerechnet werden müssen; dabei ist bezüglich des Unterhalts für die einkommenslose Ehefrau ein Abzug der Hälfte des Nettoeinkommens als zu weitgehend abgelehnt worden (BGHSt. 27, 228 [231]), wobei in der Begründung unter anderem ausgeführt wurde, die für den Zugewinnausgleich festgelegte Halbierung (§ 1378 BGB) gelte nicht für die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Strafurteils. Betreffend Abweichungen vom Nettoeinkommen nach oben wird hinsichtlich einer Berücksichtigung des Vermögens äußerst zurückhaltend verfahren; gegenüber der zunächst teilweise vertretenen Auffassung, es seien neben dem Barvermögen sämtliche zumutbar verwertbaren Gegenstände zu berücksichtigen, sind neben Aspekten der Verhältnismäßigkeit die praktisch erheblichen Ermittlungsschwierigkeiten sowie der Umstand angeführt worden, daß der Geldstrafe kein konfiskatorischer Charakter beigemessen werden dürfe. b) Im Hinblick auf soziale Auswirkungen von Anzahl und Höhe der Tagessätze ergibt sich mit zunehmendem Anstieg der Anzahl der Tagessätze eine Tendenz zu einer nicht mehr nur entsprechend linearen, sondern zu einer progressiven Zunahme der Belastung für den Verurteilten; um insoweit einen Ausgleich zu schaffen, ist in solchen Fällen die Grenze soll bei etwa 90 Tagessätzen liegen - bei der Bestimmung der Tagessatzhöhe ein gewisser Betrag über dem Lebensunterhalt zu belassen (LG Waldshut MDR 1977, 420f.; BGHSt. 26, 325ff. [331 f.]). c) Was die tatsächliche Festlegung der Höhe der Tagessätze angeht, so ergibt die statistische Analyse (StrafSt. 1976 bis 1978, jeweils Tab. 7.1.) eine Tendenz, im unteren Bereich des vorgesehenen Rahmens zu bleiben (s. näher Albrecht 1980). Dies entspricht einem geläufigen Befund auf den Gebieten der Strafzumessung. 3. Das Leistungsobjekt der Geldstrafe ist ein unpersönliches und austauschbares. Demgemäß bestehen verschiedene Möglichkeiten einer Abwälzung der Leistungserbringung. Insbesondere läßt sich nicht erzwingen, daß der Verurteilte und nur dieser - und nicht auch oder allein ein Dritter - die Zahlungen leistet; insofern bleibt fraglich, inwieweit die Geldstrafe, deren Vollstreckung in den

Nachlaß des Verurteilten ausscheidet (§459c Abs. 3 StPO), tatsächlich eine höchstpersönliche Natur hat und geeignet ist, die Person des Verurteilten selbst zu treffen. a) Zwar gilt die Bezahlung der Geldstrafe durch einen Dritten als Strafvereitelung (§258 StGB). Dies soll jedoch nicht der Fall sein bei einer Hilfe, die dem Verurteilten materiell die Geldstrafe vor der Zahlung abnimmt (BGHZ 41,223 [230]); es soll ferner nicht gelten bei einem Darlehen oder einer nachträglichen Entschädigung (BGHZ 23 , 222 [224]), es sei denn, daß dem Verurteilten der spätere Ersatz vor der Zahlung der Geldstrafe zugesagt worden ist. b) aa) Eine häufige Form der Abwälzung der Leistungserbringung besteht in deren „Streuwirkung" auf Angehörige und Familienmitglieder, und zwar insbesondere dann, wenn der Verurteilte für deren Unterhalt aufkommt. Soweit das Familienleben als Konsumgemeinschaft ausgestaltet ist, ist es kaum möglich, daß nur das formell bestrafte Mitglied die Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Lebensstandards zu spüren bekommt. Dagegen mögen die genannten Personen in ihren Konsummöglichkeiten ebenfalls eingeschränkt werden - möglicherweise sogar überwiegend, während der Verurteilte seinen üblichen Konsum eher behält. Andererseits mag es jedoch, je nach den gegebenen Verhältnissen, (zusätzlich) zu einer informellen Sanktionierung des Verurteilten durch die genannten Personen kommen. bb) Eine Form der Abwälzung mit besonderer Bedeutung für den Bereich der Wirtschaftskriminalität besteht in der Möglichkeit, daß Gewerbetreibende oder Geschäftsleute die zu zahlenden Beträge in mehr oder weniger großem Umfang auf Preise und Betriebskosten umlegen. c) Schließlich bedingt das Leistungsobjekt Geld die Möglichkeit, die zu zahlenden Beträge aus solchen Einkünften zu entrichten, die aus Straftaten stammen. So mag die Geldstrafe kriminogener Anreiz dafür sein, (weitere) Straftaten zu begehen, um die Mittel zur Bezahlung der Geldstrafe zu beschaffen. 4. Anstelle der Geldstrafe wird eine Ersatzfreiheitsstrafe in denjenigen Fällen angeordnet und vollstreckt, in denen die Geldstrafe nicht eingebracht werden kann oder die Leistung unterbleibt. Was die Ermächtigung der Landesregierungen angeht, die Tilgung uneinbringlicher Geldstrafen durch freie Arbeit zu ermöglichen (Art. 293 EGStGB), so sind landesrechtliche Vorschriften bisher nur vereinzelt erlassen worden (s. Baumann 1979,290 ff.). In der kriminalpolitischen Diskussion ist die hier genannte Möglichkeit als ungerecht abgelehnt worden, weil der Betroffene den Geldbetrag bis auf den Mindestsatz sparen würde, während ein anderer Verurteilter, der seiner bisherigen Arbeit nachgehe, die gesamte Geldstrafe zu bezahlen habe.

Strafen und Maßregeln 2. (Nebenstrafe)

Fahrverbot

1. Das Fahrverbot (§44 StGB) als Spezialsanktion für Kraftfahrer ist eine Nebenstrafe ( - die einzige innerhalb des StGB (s. aber noch § 41 a BJagdG] - ) ; es kann also nur zugleich mit einer anderen Strafe verhängt werden (anders § 55 AEStGB mit Begründung S. 109f.). Als Nebenstrafe wird das Fahrverbot nach den allgemeinen Strafzumessungsregeln behandelt, wenngleich gewisse Einschränkungen des Strafzumessungsermessens des Gerichts bestehen (§44 Abs. 1 S . 2 StGB). - Für bestimmte Verkehrsordnungswidrigkeiten kann das Fahrverbot als Nebenfolge verhängt werden (§25 StVG). Die wesentliche Funktion des Fahrverbots ist die Sanktionierung solcher Fahrzeugführer, die vergleichsweise schwere Verkehrsdelikte (vgl. §§315 ff. StGB) schuldhaft begangen haben, ohne daß ihre generelle Eignung zur Teilnahme am Straßenverkehr in Frage stünde; daneben kann es auch wegen solcher Taten verhängt werden, bei denen ohne daß es sich um Straßenverkehrsdelikte handeln würde - das Kraftfahrzeug zur Begehung eines anderen Delikts verwandt wurde, das heißt das Fahrverbot kann auch dann angeordnet werden, wenn es zumindest primär nicht um den Schutz der Verkehrssicherheit geht. - Im Unterschied zur Anordnung der Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis (§§69 ff. StGB) ist eine negative Prognose nicht erforderlich. Demgemäß beeinträchtigt das Fahrverbot die Fahrerlaubnis dem Grunde nach nicht, das heißt nach Ablauf der Verbotsfrist braucht letztere nicht erneut erworben zu werden. 2. Der Vergleich zwischen einem sogenannten Sonntagsfahrer und einem auf das Kraftfahrzeug angewiesenen Berufsfahrer läßt Bedenken gegenüber dem Fahrverbot entstehen, die den Grundsatz der Opfergleichheit berühren. Handelt es sich nämlich um einen Täter, der etwa aus beruflichen Gründen auf das Kraftfahrzeug angewiesen ist, so kann das Fahrverbot erhebliche berufliche und damit auch soziale Nachteile für den Täter haben (s. zur Berufsverteilung der Betroffenen KBA 1978, E 7f.). 3. Der für das Fahrverbot zulässige Zeitraum beträgt höchstens drei Monate (§44 Abs. 1 S . 3 StGB). - Zeiträume einer behördlich veranlaßten Anstaltsverwahrung werden in die Verbotsfrist nicht eingerechnet (§44 A b s . 4 S.2 StGB), da dies die einzige Möglichkeit darstellt, das Fahrverbot auch in solchen Fällen effektiv werden zu lassen. Jedoch erwachsen dem Fahrverbot dadurch insoweit Elemente einer zeitlichen Kumulation von Rechtsfolgen; es bedeutet eine zusätzliche Belastung des zur Freiheitsstrafe ohne Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung Verurteilten, im Vergleich etwa zu solchen Personen, die zu Geldstrafe oder zu Freiheitsstrafe unter Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung verurteilt wor-

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den sind, wobei diese zusätzliche Benachteiligung von der Hauptstrafe her nicht gedeckt ist. Bei Verstößen gegen das Fahrverbot (§ 21 StVG) kann ein Fahrverbot auch erneut verhängt werden. 4. a) Hinsichtlich der Anwendungspraxis läßt sich (entsprechend §§25 Abs. 1 S.2, 24a StVG) tendenziell eine Trennung in „Alkoholstraftäter" und „Nichtalkoholstraftäter" erkennen. So lag zum Beispiel in den Jahren 1977 und 1979 bei den gemäß §25 StVG gerichtlich verhängten Fahrverboten in 82,7 % und 84,7 % Trunkenheit am Steuer zugrunde (KBA 1978 und 1980, jeweils E 29); bei den gemäß §44 StGB verhängten Fahrverboten war dies nur in 36,4 % und 36,5 % der Fall (KBA 1978, E 27; 1980, E 28). b) die Anwendungshäufigkeit des Fahrverbots steht gegenüber der Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis deutlich zurück. Dies beruht möglicherweise darauf, daß der Höchstzeitraum als zu kurz beurteilt wird. - In den Jahren 1973 bis 1978 betrug der Anteil des Fahrverbots an allen Verurteilungen wegen Straßenverkehrsdelikten 4,1, 4,9, 5,5, 6,5, 7,0 und 7,3 (StrafSt. 1973-1978 Tab. 1 und 3). 3. Jugendstrafe 1. a) aa) Jugendstrafe wird zum einen verhängt, wenn wegen „schädlicher Neigungen, die in der Tat hervorgetreten sind", Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung als nicht ausreichend angesehen werden (§17 Abs. 2, 1. Altern. JGG); hiernach ist die Verhängung von Jugendstrafe wegen vorhandener „schädlicher Neigungen" nicht zulässig bei solchen Straftaten, die auf diese Neigungen nicht hinweisen. Soweit der Gesetzeswortlaut im übrigen von der Annahme ausgeht, eine Erziehung durch Jugendstrafe sei generell möglich, so fehlt es an empirischen Belegen. Gegenüber dem Begriff „schädliche Neigungen" (vgl. zur Herkunft V O vom 10.9.1941 [RGBl. I S. 567] sowie §§ 4, 6 R J G G ; s. zum Begriff „kriminelle Neigungen" § 12 österr. J G G vom 18.7.1928) bestehen erhebliche Bedenken hinsichtlich (Un-)Bestimmtheit und empirischer Erfaßbarkeit. Nach überwiegender Ansicht soll es sich um Mängel handeln, die ohne Intervention die Gefahr der Begehung weiterer solcher Straftaten in sich bergen, die nicht nur „gemeinlästig" sind oder den Charakter von Bagatelldelikten haben; auf die Entstehungszusammenhänge solcher Mängel komme es hingegen nicht an (vgl. BGHSt. 11, 169 [171]). Hierzu ergibt sich zunächst, daß sogenannte Gelegenheits-, Konflikt- oder Notdelikte (allein) nicht auf „schädliche Neigungen" hinweisen; gleichwohl wird für die Subsumtion bezüglich „schädlichen Neigungen" auf Merkmale der Tat wie zum Beispiel auf deren Schwere nicht verzichtet. - Was die Abgrenzung des Begriffs „schädliche Neigungen" von demjenigen der „Verwahrlosung" (als Voraussetzung für

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die Anordnung der Fürsorgeentziehung) anbetrifft, so soll ersterer enger sein als letzterer. Danach soll „Verwahrlosung" (s. näher Munkwitz 1975) regelmäßig vorliegen, wenn „schädliche Neigungen" gegeben sind, aber nicht umgekehrt. Dies würde dem funktionalen Verständnis des Begriffs „schädliche Neigungen" entsprechen, wonach dieser inhaltlich einer negativen Rückfallprognose für erhebliche Straftaten gleichsteht. Nach allgemeiner Beobachtung kommt es in der Praxis bei der Bejahung von „schädlichen Neigungen" im wesentlichen auf das Vorliegen von Rückfälligkeit und einer gewissen Deliktsschwere, hingegen erst in zweiter Linie auf bestimmte Merkmalsausprägungen im Sozial- oder Persönlichkeitsbereich an. Eine im Tatsächlichen überzeugende und überprüfbare Abgrenzung zwischen „Verwahrlosung" und „schädlichen Neigungen" ist allenfalls in Ausnahmefällen möglich. bb) Jugendstrafe wird zum anderen verhängt, wenn wegen „Schwere der Schuld" Strafe als erforderlich angesehen wird (§ 17 Abs. 2, 2. Altern. JGG). Diese Voraussetzung soll sich, unter Einbeziehung der Tatmotivation, in erster Linie nach der jeweiligen Form der (Einzeltat-)Schuld und dem Grad der Schuldfähigkeit bestimmen. Die jugendstrafrechtlichen Erläuterungen zum Begriff „Schwere der Schuld" sind unterschiedlich und erscheinen gelegentlich als nicht konsistent. Einigkeit besteht jedenfalls darin, daß ein vom allgemeinen Strafrecht erheblich abweichender Maßstab anzulegen sei und insofern das Schwergewicht mehr auf subjektiven und persönlichkeitsbegründeten Faktoren im Verhältnis des Täters zur Tat als auf deren (Erfolgs-)Schwere hegen solle. Dabei sei generell der „Grad der Schuldfähigkeit" zu beachten; so sollen im einzelnen zum Beispiel solche Gegebenheiten, die eine Minderung der Schuldfähigkeit (§21 StGB) begründen oder eine nur an der unteren Grenze der strafrechtlichen Verantwortlichkeit (§ 3 JGG) hegende geistige oder sittliche Reife annehmen lassen, zur Verneinung der Voraussetzung „Schwere der Schuld" führen können. b) Die beiden möglichen Voraussetzungen der Verhängung von Jugendstrafe weisen in ihrer Gegenüberstellung auf die Zweckdivergenz zwischen Erziehung und Schuldausgleich hin. Diese Zweckdivergenz wird dann besonders deutlich, wenn die Schuld - im Unterschied zu der weit überwiegenden Zahl der Fälle - nicht als ein Symptom „schädlicher Neigungen" gewertet wird. Dabei nämlich kommt es darauf an, ob eine Verhängung von Jugendstrafe allein wegen „Schwere der Schuld" erforderlich scheint und/oder mit dem Erziehungsauftrag des Jugendstrafrechts vereinbar ist. Die Beantwortung dieser Frage mag zugleich eine Stellungnahme dazu bedeuten, ob im Jugendstrafrecht eine „echte" Kriminalstrafe zulässig ist, die gegebenenfalls allein die Funktion hat, dem Täter als Ausgleich schuldhaften Unrechts ein Übel zuzufügen.

Der BGH läßt die Verhängung von Jugendstrafe wegen „Schwere der Schuld" nur dann zu, wenn dies auch aus erzieherischen Gründen erforderlich ist (BGHSt. 15, 224; deutlicher BGHSt 16, 261 [263]; ebenso BGH StVert 1981, 130 sowie 240 und 241; s. aber auch BGH NJW 1972, 693); der Erziehungsgedanke dürfe gegenüber dem „Sühnegedanken" nicht soweit außer acht gelassen werden, daß die Jugendstrafe zu einer reinen Schuldstrafe werde, sondern es seien stets der Erziehungsgedanke und das Wohl der Betroffenen zu beachten. Diese Auffassung, die von Vertretern der Lehre überwiegend abgelehnt wird, steht zwar dem Wortlaut des § 17 Abs. 2 JGG entgegen, indem sie der Voraussetzung der „Schwere der Schuld" eine selbständige Bedeutung gegenüber der Voraussetzung der „schädlichen Neigungen" versagt; hingegen entspricht sie dem in mehreren Bestimmungen des J G G zum Ausdruck kommenden Vorrang des Erziehungsgedankens und den allgemeinen jugendrechtlichen Zielen von Schutz, Förderung und Integration (zum Inhalt dieser Ziele s. Eisenberg 1980). c) Seit dem Jahre 1966 ist ein Anstieg der Häufigkeit der Verhängung der Jugendstrafe insgesamt zu verzeichnen. In den Jahren 1972 bis 1976 betrug der Anteil der Jugendstrafe innerhalb der wegen eines Verbrechens oder Vergehens nach Jugendstrafrecht Verurteilten 15,4%, 16,0%, 16,1%, 16,5 %, 16,7 %, und sank sodann von 1977 bis 1979 auf 15,6%, 15,0% und 14,2% (StrafSt R 1 jeweils Tab. 3.8). Hingegen ist der Anteil der Jugendstrafe von unbestimmter Dauer an Jugendstrafen insgesamt rückläufig; er betrug im Jahre 1955 noch 22,0 %, im Jahre 1966 schon weniger als 11 % und belief sich in den Jahren 1972 bis 1978 auf 5,2%, 3 , 9 % , 3,4%, 3,1%, 2,8%, 2,6% und 2,2% (StrafSt. Tab. 4, seit 1975 Tab. 3.8). Diese rückläufige Tendenz mag auf der Kenntnis der Jugendgerichte von den Schwierigkeiten beruhen, während des Vollzugsablaufs eine aus erzieherischer Sicht angezeigte Haftdauer festzulegen. 2. Das Mindestmaß der Jugendstrafe beträgt sechs Monate (§ 18 Abs. 1 S. 1 JGG). Bezogen auf das Verhältnis von Vollzugsdauer und Wirksamkeit der Jugendstrafe wird aufgrund mehrerer Untersuchungen überwiegend angenommen, eine Jugendstrafe von weniger als sechs Monaten Dauer habe eine geringere Wirksamkeit als eine solche von sechs Monaten Dauer und mehr; darüber hinaus sei eine nachhaltige erzieherische Einwirkung erst bei einer Vollzugsdauer von einem Jahr an zu erreichen (vgl. schon Schaffstein 1968, S.66ff.). Jedoch kann bei vorsichtiger Interpretation nicht davon ausgegangen werden, eine vergleichsweise kürzere oder längere Vollzugsdauer stehe mit einer vergleichsweise höheren oder geringeren Rückfälligkeit in „erzieherisch" bedingendem Zusammenhang. Hingegen läßt sich durch eine Einschränkung der Jugendstrafe von kürzerer Dauer erreichen, daß

Strafen und Maßregeln der Vollzugsablauf weniger von ständiger Fluktuation der Gefangenen strapaziert wird. a) Das Höchstmaß der Jugendstrafe von bestimmter Dauer ist im Grundsatz auf fünf Jahre festgelegt (§18 Abs. 1 S. 1 JGG), weil vermutet wird, eine längere Strafdauer sei auf keinen Fall mehr erzieherisch sinnvoll. Was das für bestimmte schwere Verbrechen Jugendlicher und generell für Heranwachsende geltende Höchstmaß von zehn Jahren angeht, (§§ 18 Abs. 1 S. 2,105 Abs. 3 JGG), so steht dieses in Widerspruch zum Erziehungsgedanken. Von den in den Jahren 1976 und 1978 verhängten 17 441 und 18 266 Jugendstrafen von bestimmter Dauer entfielen auf die Höhe von sechs Monaten 3351 und 3567 (= 19,2% und 19,5%), von sechs Monaten bis einschließlich neun Monaten 3811 und 4126 (= 21,9 % und 22,6 %), von neun Monaten bis einschließlich einem Jahr 5436 und 5621 (= 31,2 % und 30,8 %) sowie von einem Jahr bis einschließlich zwei Jahren 3560 und 3583 (= 20,4 % und 19,6 %) (StrafSt 1976, 92f.; 1978, 94f.). b) Eine Verurteilung zu Jugendstrafe von unbestimmter Dauer setzt voraus, daß als Höchstmaß eine Strafe von nicht mehr als vier Jahren geboten ist, daß sich aber zur Zeit des Urteilsspruchs noch nicht voraussehen läßt, welche Zeit zur Erziehung erforderlich ist (§ 19 Abs. 1 JGG). Dabei kann das Gericht ein sechs Monate Dauer (§ 18 Abs. 1 S. 1 JGG) überschreitendes Mindestmaß und/oder ein vier Jahre unterschreitendes Höchstmaß festlegen (§ 19 Abs. 2 S. 2, 3 JGG; vgl. auch RL Nr. 4 zu § 19 JGG). In der kriminologischen Sanktions- und Behandlungsforschung ist weithin anerkannt, daß pädagogische und therapeutische Bemühungen unter Freiheitsentzug kaum sinnvoll sein können, wenn und solange die Probanden sich in Ungewißheit hinsichtlich des Entlassungszeitraums befinden. Darüber hinaus ist die Vorstellung, der Erzieher und/ oder der Anstalts- sowie der Vollstreckungsleiter seien aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung in der Lage, einen tatsächlichen Integrationsprozeß der Gefangenen von einer Scheinanpassung zu unterscheiden, nur eingeschränkt vertretbar. Das Erkenntnisproblem wird zusätzlich dadurch verschärft, daß ein Integrationsprozeß betreffend formelle Anstaltsnormen in keiner Weise mit einem solchen betreffend allgemeine gesellschaftliche Normen und Wertvorstellungen identisch zu sein braucht. Insofern muß es sich in Fällen des Irrtums nicht einmal um eine mangelnde Qualifikation der genannten Bediensteten oder Richterperson handeln. 3. a) aa) Für den Vollzug der Jugendstrafe (s. näher Böhm 1979, S. 522 ff.; Haesler 1979, S. 535ff.), dessen Ausgestaltung im einzelnen seither ohne Gesetz im förmlichen Sinne geschieht (s. aber BJM 1980), bestehen in der Regel besondere Jugendstrafanstalten (§ 92 Abs. 1 JGG; s. aber §§ 92

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Abs. 2 S. 1 JGG und 114 JGG). In der Praxis wird vielfach schon deren räumliche Beschaffenheit als ungeeignet bezeichnet; nur gelegentlich finden sich kleinere Anstalten unter baulicher Verwirklichung der Voraussetzungen des Wohngruppen-Systems. Die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit, den Vollzug „in geeigneten Fällen weitgehend in freien Formen" (§ 91 Abs. 3 JGG) durchzuführen, ist nur eingeschränkt verwirklicht. bb) Was die personelle Ausgestaltung angeht, so haben Fragen der Auswahl wie auch der Aus- und Weiterbildung der Bediensteten wegen der besonderen Aufgaben des Jugendstrafvollzugs eine gegenüber dem allgemeinen Strafvollzug eher noch größere Bedeutung (vgl. §91 Abs. 4 JGG). Nach dem Gesetzeswortlaut (§ 91 Abs. 2 S. 2 und 3 JGG) sind die beruflichen Leistungen des Verurteilten zu fördern und Lehrwerkstätten einzurichten. In der Praxis des Jugendstrafvollzuges hat der Bereich der schulischen Ausbildung zwar einen höheren Stellenwert als im Erwachsenenstrafvollzug und das Angebot an Lehrbetrieben ist in der Mehrzahl der Jugendstrafanstalten relativ umfassender als im Erwachsenenstrafvollzug. Jedoch werden diese Einrichtungen als kaum zureichend beurteilt. b) Das allgemeine Erziehungsziel der Jugendstrafe, nämlich ein „rechtschaffener Lebenswandel" (vgl. §§19 Abs. 1 a . E . , 21 Abs. 1 S. 1 a . E . , 88 Abs. 1, 89 Abs. 1, 91 Abs. 1 JGG) sowie ein „rechtschaffener Mensch" (vgl. § 97 Abs. 1 JGG), ermangelt nicht nur hinreichender Bestimmtheit, sondern wird hinsichtlich einer Relevanz für zukünftige Legalbewährung angezweifelt. Die genannten Begriffe bieten einen vergleichsweise breiten Spielraum zur Durchsetzung solcher erwünschter Ziele, die mit (objektiven) Erziehungsinteressen der Betroffenen nicht in Einklang stehen müssen. c) aa) Die Durchführung des Vollzugs der Jugendstrafe ist insofern erschwert, als die Funktion der Jugendstrafe sowohl Übelzufügung als auch Erziehung sein soll, wobei sich die genannten Zwecke nur dann vereinbaren ließen, falls diese Rechtsfolge als Teil einer Erziehungsstrategie innerhalb einer pädagogischen Konzeption ausgestaltet wäre. Hingegen verdeckt das Wort Erziehungsstrafe den Umstand (vgl. Peters 1966, 56) daß es (jedenfalls auch) um die Anwendung von Kriminalstrafe geht, also einer Sanktion, die in ihrer Zielrichtung auf den Sozialvorwurf und die Minderung der Sozialstellung gerichtet ist; damit aber begründet sie eine Einstellung gegenüber dem Delinquenten, die einem erziehungspsychologisch gebotenen Verhältnis von vornherein widerspricht (s. dazu Eckert 1982, 135 ff.). - So wird der (geschlossene) Jugendstrafvollzug vielfach als dem Erwachsenenstrafvollzug ähnlich beurteilt. Angebote zu systematischen pädagogischen oder therapeutischen Bemühungen bestehen nur vereinzelt; soweit dies etwa zur Behandlung von Drogenabhängigen der Fall ist, so kumulieren die allgemeinen Divergenzen im

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methodischen Vorgehen mit behandlungsabträglichen strukturellen Bedingungen der Jugendstrafanstalten. bb) Vergleichsweise häufig finden sich Elemente eines Stufenstrafvollzuges, der vielfach als Progressiwollzug bezeichnet wird. Diese Vollzugsausgestaltung wird unter anderem damit zu begründen versucht, es sollten Erziehungsmängel durch ein zeitlich gedrängtes (erneutes oder nachträgliches) Durchlaufen verschiedener Entwicklungsphasen ausgeglichen werden. 4. Ähnlich wie bei der Freiheitsstrafe wird auch bei der Jugendstrafe die Schwere des Eingriffs sowie möglicher negativer Auswirkungen des Vollzuges oder des vollständigen Vollzuges durch Formen der Aussetzung zur Bewährung reduziert; dabei wird - im Unterschied zur Freiheitsstrafe - zwischen Aussetzung der Verhängung und Aussetzung der Vollstreckung unterschieden. a) aa) Die gesetzlichen Voraussetzungen der Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe zur Bewährung bestehen darin, daß das Gericht Zweifel daran hat, ob schädliche Neigungen in einem Ausmaß vorliegen, daß Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel nicht ausreichen (§27 JGG). Wird während der Bewährungszeit der Zweifel, der Anlaß zur Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe war, zum Nachteil des Betroffenen ausgeräumt, so erkennt das Gericht aufgrund einer neuen, allein den Strafausspruch betreffenden Hauptverhandlung auf diejenige Jugendstrafe, „die es im Zeitpunkt des Schuldspruchs bei sicherer Beurteilung der schädlichen Neigungen des Jugendlichen ausgesprochen hätte" (§30 Abs. 1 S. 1 a. E. JGG). Hiernach gilt es als unzulässig, die schlechte Führung des Jugendlichen und/oder eine etwaige erneute Straffälligkeit während der Bewährungszeit, welche letztere einer getrennten Aburteilung unterliegt, zum selbständigen Strafgrund zu machen; hingegen soll es zulässig und auch geboten sein, solche zwischenzeitlich eingetretenen Umstände zur Beurteilung der Persönlichkeit des Betroffenen einzubeziehen. Die Dauer der Bewährungszeit von höchstens zwei Jahren (§28 Abs. 1 JGG) bei der Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe ist wegen der Belastung hinsichtlich der zukünftigen jugendgerichtlichen Entscheidung aus rechtsstaatlichen Gründen kürzer als bei der Aussetzung der Vollstreckung der Jugendstrafe. Im Falle der nachträglichen Verhängung einer Jugendstrafe darf deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt werden (§ 30 Abs. 1 S. 2 JGG); dieses Verbot mag als inkonsistent erscheinen. Was die Anwendungshäufigkeit angeht, so wird verschiedentlich angenommen, sie müsse schon deshalb vergleichsweise gering bleiben, weil der Jugendrichter verfahrensrechtlich verpflichtet ist, umfangreiche Erhebungen über personale und soziale Merkmale durchzuführen, so daß Zweifel betreffend den Umfang von „schädlichen Neigungen"

dadurch in der Regel ausgeschlossen werden könnten. Demgegenüber ist nicht zu verkennen, daß die Feststellung, ob „schädliche Neigungen" überhaupt vorliegen und welchen Umfang sie haben, aus empirischer Sicht nur selten mit hinreichender, Zweifel ausschließender Sicherheit wird beantwortet werden können, und zwar unabhängig von der Ausführlichkeit der genannten Erhebung. Somit ließe sich vermuten, bereits die Verhängung der Jugendstrafe werde vergleichsweise häufig ausgesetzt, zumal davon auszugehen sein wird, daß die Zurückstellung der gerichtlichen Bejahung des in Frage stehenden Umfanges „schädlicher Neigungen" zusätzlich belastende Auswirkungen auf den Betroffenen zu vermeiden vermag; dem steht die Ungewißheit hinsichtlich der Höhe einer etwa zu verhängenden Jugendstrafe gegenüber. Der tatsächlich zurückhaltende Gebrauch der Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe mag auf Schwierigkeiten darin beruhen, Betroffenen - zumal solchen aus sozio-ökonomisch unteren und untersten Herkunfts- oder Bezugsgruppen - verständlich zu machen, warum es nach einem gewissen Zeitraum zur Verhängung der Jugendstrafe kommen kann; im übrigen mögen Probleme der Anrechnung, falls nämlich eine neue Straftat begangen wird, und nicht zuletzt solche hinsichtlich der Zulässigkeit eines Sicherungshaftbefehls (§ 453 c StPO) relevant sein. - Unmittelbare statistische Angaben über die Häufigkeit der Aussetzung der Verhängung einer Jugendstrafe liegen nicht vor; solche finden sich jedoch im Zusammenhang mit den Zugängen bei der Bewährungshilfe. Hierfür beliefen sich die Zahlen für Probanden in den Jahren 1972 bis 1976 auf 1272, 1391, 1285, 1421 und 1459, für Unterstellungen in den Jahren 1977 bis 1979 auf 2996, 3328 und 3607 (BewHiSt 1972-1979, jeweils Tab. 2). bb) Die Aussetzung der Vollstreckung der Jugendstrafe zur Bewährung ist als Regel bei der Verurteilung zu einer bestimmten Jugendstrafe von nicht mehr als einem Jahr möglich, sofern eine günstige Prognose sowohl hinsichtlich eines Warnungseffekts schon durch die Verurteilung als auch hinsichtlich einer zukünftigen Legalbewährung „auch ohne die Einwirkung des Strafvollzuges" vorliegt (§ 21 Abs. 1 S. 1 JGG). Hierbei geht der Gesetzeswortlaut von der Vorstellung aus, die Vollstrekkung einer Jugendstrafe sei generell geeignet, eine zukünftige Sozial- und Legalbewährung - von der Haftzeit abgesehen - positiv zu beeinflussen; für eine solche Annahme fehlt es an empirischen Belegen. - Als eingeschränkte Möglichkeit kann die Vollstreckung einer bestimmten Jugendstrafe auch von bis zu zwei Jahren Dauer ausgesetzt werden (§ 21 Abs. 2 JGG). Dieser erweiterte Anwendungsbereich soll im Jugendstrafrecht in eher größerem Maße als im Erwachsenenstrafrecht (§56 Abs. 2 StGB) Ausnahmecharakter (vgl. BGHSt. 24, 360 [362]) haben und in der Regel wohl eher bei Verhängung von Jugendstrafen wegen „Schwere der

Strafen und Maßregeln Schuld" relevant sein; wenn nämlich die Verhängung von Jugendstrafe mit einer Dauer von mehr als einem Jahr wegen „schädlicher Neigungen" geschieht, so dürfte es häufig an einer günstigen Prognose fehlen. Die besondere Regelung, daß die Anordnung der Aussetzung der Vollstreckung der Jugendstrafe zur Bewährung nicht nur im Urteil, sondern - im Unterschied zum Erwachsenenstrafverfahren (§§260 Abs. 4 S. 4, 268a Abs. 1 StPO) - auch nachträglich durch Beschluß (§57 Abs. 1 S. 1 JGG) getroffen werden kann, mag in solchen Fällen sinnvoll sein, in denen für die Entscheidung zusätzliche Informationen oder Erkenntnisse benötigt werden, die nach der Hauptverhandlung noch nicht vorliegen. Hingegen werden erziehungspsychologische Bedenken dagegen bestehen, die Aussetzung nur deshalb noch nicht im Urteil anzuordnen, um dem Jugendlichen zunächst eine zusätzliche Warnung zu vermitteln oder ihn im unklaren darüber zu belassen, ob Vollstreckung oder Aussetzung der Vollstreckung eintreten wird. - Was die Dauer der Bewährungszeit angeht (§22 Abs. 1 JGG), so beruht die im Vergleich zum Erwachsenenstrafrecht (§56a StGB) kürzere Höchstfrist auf der Überlegung, daß eine über den Zeitraum von drei Jahren hinausgehende Dauer erzieherisch nicht mehr wirksam, sondern eher abträglich sein würde (vgl. jedoch auch §22 Abs. 2 S. 2 JGG). Der Anteil der Verurteilungen zu bestimmter Jugendstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, hat sich seit dem Jahre 1953 nahezu verdoppelt. Diese Tendenz entspricht zwar vordergründig (nur) der Entwicklung bei der Freiheitsstrafe, ist aber insofern unterschiedlich, als der Anteil der Jugendstrafe an allen jugendstrafrechtlichen Verurteilungen vom Jahre 1970 an angestiegen ist, während bezüglich der Freiheitsstrafe eine entgegengesetzte Entwicklung zu verzeichnen ist. Der Anstieg der Aussetzung der Vollstreckung der Jugendstrafe zur Bewährung an allen jugendstrafrechtlichen Verurteilungen hat sich nahezu verdreifacht. - Im einzelnen ist in den Jahren 1976 und 1978 bei der Jugendstrafe von sechs Monaten in 81,9 % (abs. 2744 von 3351) und 84,3 % (abs. 3008 von 3567), bei der Jugendstrafe von mehr als sechs bis zu neun Monaten in 78,9 % (abs. 3009 von 3811) und 81,3% (abs. 3353 von 4126), bei der Jugendstrafe von mehr als neun Monaten bis zu einem Jahr in 73,6% (abs. 4002 von 5436) und 75,4% (abs. 4241 von 5621) und bei der Jugendstrafe von mehr als einem Jahr bis zu zwei Jahren in 20,5 % (abs. 725 von 3560) und 23,0 % (abs. 825 von 3583) der Fälle die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden (StrafSt. R 3 1976, 92f.; 1978, 94f.). cc) Die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer Jugendstrafe von bestimmter Dauer (§ 88 JGG) setzt voraus, daß eine günstige Prognose vorliegt und daß mindestens sechs Monate - bei Jugendstrafe von mehr als einem Jahr mindestens

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ein Drittel der Strafe - vollstreckt worden ist; vor Vollstreckung von sechs Monaten Dauer ist die Aussetzung nur aus „besonders wichtigen Gründen" möglich (§88 Abs. 1, 2 JGG). - Die Aussetzung des Restes einer Jugendstrafe von unbestimmter Dauer setzt voraus, daß das Mindestmaß vollstreckt ist und eine günstige Prognose vorliegt (§ 19 Abs. 3 i.v. m. §89 Abs. 1, 2 JGG); in besonderen Ausnahmefällen kann auf die Aussetzung des Strafrestes verzichtet und sofort die endgültige Entlassung angeordnet werden (§89 Abs. 4 JGG). Dabei wird jeweils die unbestimmte in eine bestimmte Jugendstrafe umgewandelt. Die bedingten Entlassungen gemäß §§88, 89 JGG beliefen sich - bezogen auf die Gesamtzahlen der Abgänge aus dem Jugend- und Freiheitsstrafenvollzug - in den Jahren 1976-1978 auf 3979 von 68 181, 3549 von 63 219 und 4087 von 64 968; die Gesamtzahlen der bedingten Entlassungen aus Jugend* und Freiheitsstrafenvollzug (einschließlich Sicherungsverwahrung) im Wege der Gnade betrugen in den genannten Jahren 1707, 1619 und 1932, die Verhältniszahlen 9,5, 9,4 und 10,4 (Angaben des Statistischen Bundesamtes Wiesbaden, Schreiben vom 7.1.1980). b) aa) Bei sämtlichen Formen der Aussetzung wird der Betroffene der Aufsicht und Betreuung eines Bewährungshelfers unterstellt (§§29 S . l , 88 Abs.5 S . l , 89 Abs.3 JGG). Auch die sonstigen rechtlichen Möglichkeiten zur Ausgestaltung der verschiedenen Formen der Aussetzung sind, mit Ausnahme der Dauer der Bewährungszeit bei der Aussetzung der Verhängung von Jugendstrafe (§ 28 JGG), einheitlich (§§ 29 S. 2, 23, 88 Abs. 5 S. 2, 89 Abs. 3 JGG). Das Gericht „soll" (§23 Abs. 1 S. 1 JGG) in der Regel Weisungen erteilen; inhaltlich handelt es sich bei den Weisungen um solche im Sinne der Erziehungsmaßregeln (§§9 Nr. 1,10 JGG). Bei den Auflagen, die das Gericht erteilen „kann" (§23 Abs. 1 S. 2 JGG), handelt es sich um solche im Sinne der Zuchtmittel (§§13 Abs. 2 Nr. 2, 15 JGG). - Das Gericht sieht in der Regel von Weisungen oder Auflagen vorläufig ab, wenn „der Jugendliche Zusagen für seine künftige Lebensführung" macht oder „er sich zu angemessenen Leistungen, die der Genugtuung für das begangene Unrecht d i e n e n , . . . erbietet" (§23 Abs. 2 JGG), und wenn die Erfüllung der Zusagen oder des Anerbietens zu erwarten ist; während diese Regelung aus erzieherischer Sicht damit begründet wird, daß eine freiwillige Anstrengung größeren Erfolg erwarten läßt als eine gerichtlich auferlegte, so ist nicht zu übersehen, daß sie einen Vorteil für diejenigen Verurteilten bedeutet, die in der Lage sind, entsprechende Erklärungen abzugeben und einzuhalten. bb) Bei Verstößen gegen Bewährungsanweisungen und/oder -auflagen wird die Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung nur dann widerrufen, wenn es sich um besonders schwere Verstöße

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handelt (§§ 23 Abs. 1 S. 4, 26 Abs. 1, 88 Abs. 5, 89 Abs. 3 JGG) und die Möglichkeiten der Verlängerung der Bewährungszeit oder der Erteilung weiterer Weisungen oder Auflagen (§ 26 Abs. 2 JGG) nicht ausreichen. - Was den (nur bedingten) Widerrufsgrund der Begehung einer Straftat in der Bewährungszeit (§26 Abs. 1 Nr. 1 JGG) angeht, so gelten die nachfolgenden Ausführungen bezüglich der Freiheitsstrafe entsprechend (s. zudem OLG Hamm NJW 1973, 911; OLG Celle MDR 1971, 778; OLG Koblenz BlAlk. 1981, l l l f . ) .

4.

Freiheitsstrafe

1. a) Seit 1969 besteht eine einheitliche Freiheitsstrafe (anstelle der vorherigen unterschiedlichen Freiheitsstrafen: Zuchthaus, Gefängnis, Einschließung, Haft). Wenngleich mit Verhängung dieser Strafe keine unterschiedlichen Kategorien von Strafvollzugsanstalten festgelegt sind, ist faktisch weiterhin eine Kategorisierung zu verzeichnen, und zwar auf der Grundlage des Vollstreckungsplanes. In dessen Rahmen bestimmen die Landesjustizverwaltungen die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vollzugsanstalten „im übrigen" nach „allgemeinen Merkmalen" (§ 152 Abs. 3 StVollzG). Ein wesentliches Kriterium ist dabei, neben räumlichen Faktoren, die Vollzugsdauer, die sich wiederum wesentlich nach Vorstrafen und nach der letzten Straftat bestimmt. Dem entsprechen Klassifikationen von Verurteilten, die teilweise in erster Linie Intentionen einer nach dem Sicherungsbedürfnis und den Prinzipien eines reibungslosen und kostensparenden Vollzugsablaufs vorgenommenen Staffelung der Gefangenen folgen. - Auch soweit Klassifikationen gemäß kriminalpädagogischer oder -therapeutischer Zielrichtung angestrebt werden, so können sich Bedenken im Hinblick auf statische Eigenschaften ergeben, die jeder Klassifikation innewohnen und die bereits mit der Klassifizierung eine (zusätzliche) negative oder aber positive Zuschreibung bewirken. b) Das Verhältnis der Anteile von Freiheitsstrafe und Geldstrafe hat sich (in Deutschland) ausweislich kriminalstatistischer Anhaltspunkte innerhalb eines knappen Jahrhunderts umgekehrt. Während im Jahre 1882 noch 76,8 % der Hauptstrafen auf Freiheitsstrafe und 22,2 % auf Geldstrafe entfielen (RKrSt. 1928, 65, 69), betrugen die Anteile der vollstreckten Freiheitsstrafen - einschließlich der Fälle des Widerrufs der Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung und derjenigen der Ersatzfreiheitsstrafe - Mitte der 70er Jahre dieses Jahrhunderts etwa 12% und diejenigen der Geldstrafe - abzüglich der Fälle der Ersatzfreiheitsstrafe - e t w a 80%. Deliktsstrukturell bestehen erhebliche Unterschiede sowohl hinsichtlich der Verteilung von Frei-

heitsstrafe und Geldstrafe als auch - innerhalb der Verurteilungen zu Freiheitsstrafe - hinsichtlich der Anteile der Aussetzungen der Strafvollstreckung zur Bewährung. Dabei läßt sich bei einer Grobeinteilung erkennen, daß das Ausmaß des Eingriffs zum Beispiel bei Straßenverkehrsdelikten besonders gelinde, bei Diebstahlsdelikten hingegen besonders schwer ist. 2. a) Die Freiheitsstrafe ist stets dann, wenn das Gesetz nicht lebenslange Freiheitsstrafe androht, eine zeitige mit dem Mindestmaß von einem Monat und dem Höchstmaß von 15 Jahren (§ 38 Abs. 1, 2 StGB). Während das Mindestmaß im Falle der Ersatzfreiheitsstrafe (§ 43 S. 3 StGB) unterschritten werden darf, gilt das Höchstmaß auch für die aus zeitigen Freiheitsstrafen gebildete Gesamtstrafe (§54 Abs. 2 S. 2 StGB). Hingegen enthalten die einzelnen Straftatbestände häufig ein höheres Mindestmaß und ein geringeres Höchstmaß. Freiheitsstrafe von unter sechs Monaten Dauer darf (seit den Reformgesetzen aus dem Jahre 1969) nur dann verhängt werden, wenn dies aus den im Gesetz näher bezeichneten Gründen als „unerläßlich" erscheint (§47 Abs. 1 StGB; Grundsatz der ultima ratio). Diese Einschränkung kurzzeitiger Freiheitsstrafen wurde damit begründet, eine kurze Freiheitsstrafe schade in spezialpräventiver Hinsicht in der Regel mehr als sie nütze; während der Verurteilte wie bei der längerfristigen Freiheitsstrafe aus seiner sozialen Umwelt herausgenommen und durch Stigmatisierung und Kontakt mit anderen Gefangenen gefährdet werde, fehle es an der notwendigen Zeitdauer im Strafvollzug für eine „resozialisierende" Einwirkung. An hinreichenden empirischen Belegen für diese oder jene Auswirkung kurzzeitiger Freiheitsstrafe fehlt es, und zwar selbst bezüglich Erstbestrafter. Auch wird für Wirtschafts- wie auch für Verkehrsstraftäter angenommen, die kurzzeitige Freiheitsstrafe könne zur „Aufrüttelung" oder als Schock eine durchaus sinnvolle Funktion erfüllen, zumal bei im allgemeinen sozial angepaßten Verurteilten. - Unstreitig bereiten kurzzeitige Freiheitsstrafen der Vollzugsverwaltung im Verhältnis zu längerfristigen Freiheitsstrafen, statistisch betrachtet, ungleich mehr Aufwand. b) Während verschiedene Straftatbestände eine lebenslange Freiheitsstrafe androhen, wird sie in der Praxis ganz überwiegend wegen Mordes (§ 211 StGB) verhängt. Diesbezüglich widerspricht es dem Charakter der lebenslangen Freiheitsstrafe als einer absoluten Strafe, daß die Bewertung eines zum Tod eines Menschen führenden Delikts als Mord oder aber als eine andere Straftat von Ungewißheit gekennzeichnet ist. Diese Ungewißheit beruht schon auf strafrechtsdogmatisch unbestrittenen Implikationen der Abgrenzung zwischen Mord und Totschlag; auch wird angenommen, daß außerhalb der Tatbegehung liegende Kriterien und Tendenzen unterschiedlicher Zuschreibung im Ablauf des gesamten sozialen Reaktionsprozesses von Bedeutung sei-

Strafen und Maßregeln en. - Verläßliche Angaben über das Ausmaß der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch den Vollzug lebenslanger Freiheitsstrafe hegen nicht vor (vgl. Jescheck/Triffterer 1978). Nach (nunmehr) geltendem Recht (§57a StGB [eingeführt durch 20. Strafrechtsänderungsgesetz vom 8.12.1981, in Kraft seit 1.5.1982]) ist eine Entlassung von zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten durch Richterspruch möglich (vgl. auch die vorausgegangene Entscheidung BVerfG NJW 1977,1525 [1529f.]). Der Gnadenweg bleibt weiterhin bestehen (die Frage der gerichtlichen Überprüfbarkeit abschlägiger Gnadenentscheidungen ist von einzelnen Gerichten bejaht worden [HessStGH NJW 1974, 791; BayVGH NJW 1966, 443; s. aber auch BVerfGE 25, 351 ff. sowie BVerfGE 30, 111]). - Empirische Anhaltspunkte über die zukünftige Legalbewährung von aus lebenslanger Freiheitsstrafe Entlassenen sind insoweit kaum verallgemeinerungsfähig, als die Probandenstruktur aufgrund strafrechtlicher Gegebenheiten nicht unerheblichem Wandel unterliegt; auch können sich entsprechende Untersuchungen notwendigerweise nur auf denjenigen Teil der jeweiligen Verurteiltenoder Gefangenengruppen beziehen, der gemäß den Kriterien der Prognosestellung oder denjenigen der (jeweiligen) Gnadenpraxis ausgewählt worden ist, wobei in die Gnadenpraxis gerade auch Kriterien der Prognosestellung eingehen (HessStGH NJW 1974, 793 r. Sp.). 3. a) aa) Bezüglich des Vollzuges der Freiheitsstrafe (s. näher Granau 1975, S.268ff.; Einsele 1975, S. 608ff.; Schneider 1979, S. 495ff.) sind die Landesjustizverwaltungen verpflichtet, Justizvollzugsanstalten in bestimmten Formen räumlicher Größe und Beschaffenheit bereitzustellen (§§ 139ff., bes. §§143f. StVollzG; s. aber die de facto-Wirkung des §201 StVollzG). Diesbezüglich sind Belastungen für Vollzugsziele und -geschehen daraus entstanden, daß die Anzahl der Justizvollzugsanstalten zumindest seit Beginn der 60er Jahre im Bundesgebiet insgesamt sowie in den Flächenstaaten zunehmend verringert worden ist. Diese Entwicklung hat in den genannten Bezugskategorien zu einer durchschnittlich höheren Belegungszahl der Anstalten geführt (vgl. hierzu § 14 Abs. 3 StVollzG). In den Stadtstaaten ist eine gegenläufige Entwicklung zu verzeichnen. - Die Strafe soll im offenen Vollzug vollstreckt werden, soweit dem keine in der Person des Verurteilten liegenden Umstände entgegenstehen (§ 10 StVollzG). Bei der Zuteilung werden statische Komponenten im Vordergrund stehen, soweit auf die Variablen Deliktsart, Alter und Vollzugsdauer abgestellt wird. Das zentrale Interesse der Praxis besteht darin, solche Täter auszuwählen, die als ungefährlich gelten; diesbezüglich ist die Bedeutung der Vorstrafenbelastung allein in Frage gestellt worden (Rüther/Neufeind 1978, S. 372). - Für das Jahr 1978 wird berichtet, daß in Nordrhein-Westfalen ein Drittel aller

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erwachsenen Strafgefangenen in Einrichtungen des offenen Vollzuges untergebracht seien; dieses Bundesland verfüge damit über 59,3 % der im Bundesgebiet innerhalb offener Einrichtungen bestehenden Haftplätze (ZStrafvollz 29 [1980], 41). Hinsichtlich der räumlichen Unterbringung der Gefangenen besteht eine Trennung zwischen Strafanstalten für männliche und solche für weibliche Personen. Dabei sind Strafanstalten für Frauen wegen ihrer geringeren Kapazität sowohl hinsichtlich der Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen als auch betreffend die Eignung des Personals vergleichsweise besonders ungünstig ausgestattet (Einsele 1975, S.641f„ 647). bb) Den Landesjustizverwaltungen obliegt ferner die Pflicht, die Justizvollzugsanstalten mit dem erforderlichen Fachpersonal auszustatten (§ 155 Abs. 2 StVollzG). Das Personal innerhalb der Strafanstalt läßt sich nach seiner Funktion in den Verwaltungsdienst, den allgemeinen Vollzugsdienst, den Werkdienst und den Sozialdienst trennen. Generell zeichnen sich Strafvollzugsanstalten durch einen erheblichen personellen Mangel aus. Dies gilt neben dem allgemeinen Vollzugsdienst insbesondere für den Bereich des Sozialdienstes; zwar ist das zahlenmäßige Verhältnis von Mitgliedern des Sozialdienstes zur Zahl der Gefangenen seit Mitte der 60er Jahre geringfügig verbessert worden, jedoch dürften die relativen Anteile derjenigen Gefangenen, die wegen (häufiger) strafrechtlicher Vorbelastungen der Tätigkeit des Sozialdienstes in besonderem Maße bedürfen, im Zusammenhang mit der Zurückdrängung der kurzzeitigen Freiheitsstrafe angestiegen sein. - Zwischen den Bedienstetengruppen zeigen sich nahezu regelmäßig erhebliche Kommunikationsbarrieren, die bisweilen zur Entfremdung einzelner Gruppen untereinander führen. cc) Gemäß §37 Abs. 3 StVollzG (zum Inkrafttreten s. § 198 Abs. 2 Nr. 1 StVollzG) soll geeigneten Gefangenen Gelegenheit zur Berufsausbildung, beruflichen Fortbildung und Umschulung gegeben werden. Dieses Ziel ist bisher nur eingeschränkt verwirklicht. Auch kommt es vor, daß Gefangene mit einer gewissen beruflichen Qualifikation mangels einschlägiger Beschäftigungsmöglichkeiten im Vollzug nur als ungelernte Hilfskräfte tätig werden oder jedenfalls nicht eine andere berufliche Ausbildung durchlaufen können. - Bezüglich der Gefangenen mit vergleichsweise kürzerer Strafdauer wird in der Praxis schon der Beginn einer Berufsausbildung gelegentlich mit der Begründung abgelehnt, die wenigen vorhandenen Ausbildungsplätze dürften nicht zum Nachteil von Gefangenen mit vergleichsweise längerer Strafdauer besetzt gehalten werden, da die Ausbildung ohnehin nicht abgeschlossen werden könne. Was die rechtliche Ausgestaltung der Fragen des Arbeitsentgelts und der sozialen Sicherung anbelangt, so sind die verbalisierten Grundsätze für die Durchführung des Vollzuges (§3 StVollzG) bisher

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nur sehr eingeschränkt verwirklicht (s. näher §§200, 43 Abs. 1 Satz 2, 44, 199 Abs. 2 N r . l , 46 StVollzG bzw. §§ 198 Abs. 3, 191 - 193, aber auch §§ 194 Nr. 5,45 sowie §§ 56-66 und 76-78 StVollzG; vgl. aber auch Entwurf eines 1. Gesetzes zur Fortentwicklung des Strafvollzuges, BT-Drucks. 9/566; s. hingegen BR-Drucks. 442/82). b) aa) Der Vollzugsablauf ist durch eine Vielzahl von Kontroll- und Sanktionierungsinstrumenten gekennzeichnet. - Disziplinarmaßnahmen können aufgrund eines schuldhaften Verstoßes gegen dem Gefangenen auferlegte Pflichten verhängt werden (§ 102 Abs. 1 StVollzG). Zu diesen Pflichten gehört nicht zuletzt die Arbeit (§ 41 StVollzG); dabei ergeben sich Bedenken insofern, als ein gewisser Anteil von Gefangenen der Arbeit möglicherweise eher (oder nur) aus Angst vor Sanktionen nachkommt und daher zu einer negativen Bewertung von Arbeit gelangen mag (hinsichtlich der Disziplinarmaßnahme des Arbeitsentzuges s. aber § 103 Abs. 1 Nr. 7 StVollzG). Bei den Sanktionen handelt es sich vor allem um die zeitlich befristete Beschränkung allgemeiner Rechte des Gefangenen (§ 103 Abs. 1 Nr. 2-8 StVollzG) sowie um Arrest bis zu vier Wochen (§ 103 Abs. 1 Nr. 9 StVollzG), wobei letzterer zahlreiche Rechte des Gefangenen aussetzt (§ 104 Abs. 5 StVollzG). - Die Rechte der Gefangenen dürfen insoweit auch über die im einzelnen bestimmten gesetzlichen Eingriffsgrundlagen des StVollzG hinausgehend beschränkt werden, als dies „zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt unerläßlich" (§ 4 Abs. 2 Satz 2 StVollzG) ist. Als für Sicherheit und Ordnung erhöht gefährdend beurteilte Gefangene dürfen in eine sichere Anstalt verlegt werden (§ 85 StVollzG). Bei einem erhöhten Maß an Gefährlichkeit stehen besondere Sicherungsmaßnahmen zur Verfügung, die - dem Bestimmtheitsgrundsatz entsprechend - im Gesetz abschließend genannt sind (§88 StVollzG). bb) Was den Rechtschutz der Gefangenen anbetrifft, so sind für die gerichtliche Überprüfung von Justizverwaltungsakten auf dem Gebiet des Erwachsenenstrafvollzuges Strafvollstreckungskammern zuständig (§ 78 a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 GVG, § 109 StVollzG; s. hierzu auch §§462a, 463 StPO). Das Verfahren ist nach Art der möglichen Anträge und Entscheidungen dem allgemeinen verwaltungsgerichtlichen Verfahren ähnlich. c) aa) Was die Ziele des Strafvollzuges anbetrifft, so soll darauf hingewirkt werden, daß der Gefangene fähig wird, „künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen" (§ 2 S. 1 StVollzG); diese Aufgabe ist als „Vollzugsziel" bezeichnet. Bei der Beurteilung dieses „Vollzugsziels" wie auch einer (etwaigen) Bildungs- und Sozialisationsfunktion der Strafvollzugsanstalten kommt dem Umstand erhebliche Bedeutung zu, daß etwa die Hälfte der gesamten Haftzeit in Unter-

suchungshaft verbracht wird. Während dieses Zeitraumes ist für entsprechende Bemühungen ohnehin kein Raum, wodurch die Landesjustizverwaltungen insoweit in erheblichem Ausmaß entlastet werden. - Das genannte Vollzugsziel (ebenso wie die allgemeinen Gestaltungsgrundsätze des Vollzuges [§3 StVollzG]) gilt für zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilte in gleicher Weise, ohne daß es dabei auf die Frage einer unmittelbar bevorstehenden Entlassung ankommt (LG Hamburg ZStrafvollz 27 [1978], 122 f.). Zugleich fragt es sich, nach welchen Wert- und Interesseninhalten welcher gesellschaftlicher Gruppen der Begriff „in sozialer Verantwortung" ausgefüllt werden könnte (ähnlich Stratenwerth 1979, S. 907). Nach empirischen Anhaltspunkten haben Gefangene soziale Normen und Wertvorstellungen bezüglich tragender Rechtsgüter wie Eigentum, Freiheit, persönliche Unversehrtheit in der Regel internalisiert. Was die Nichteinhaltung von (statistisch vorherrschenden) sozialen Normen des Verhaltens im Leistungs-, Sozial- und Freizeitbereich angeht, so bleibt, unbeschadet einer Plausibilität, die Annahme einer spezifischen Relevanz für die Legalbewährung fraglich; bei Straftätern aus den Bereichen der Wirtschaftskriminalität oder des Organisierten Verbrechens wie auch von Staatsführungen als Tätergemeinschaften zum Beispiel scheint sich nämlich zu zeigen, daß Straffälligkeit nicht prinzipiell mit Mängeln der Sozialisation (in den genannten Bereichen) zusammenhängt. Im übrigen ist unstreitig, daß innerhalb der Gesellschaft unterschiedliche altersmäßige und sonstige soziale Gruppen mit unterschiedlichen Wert- und Interessensystemen sowie Verhaltensmustern bestehen; dabei könnte der Anspruch einer Sozialisierung an Normen anderer altersmäßiger oder sozio-ökonomischer Gruppen wohl nur als überhöht bezeichnet werden. Soweit bei einem Teil der Gefangenen Sozialisationsdefizite angenommen werden, kommt es nicht auf eine Wiederherstellung, sondern auf eine Nachholung von Sozialisation an; die Bestimmung von Sozialisationsdefiziten setzt allerdings ihrerseits eine Bewertung voraus. Für die ganz überwiegende Mehrheit der Gefangenen läßt sich lediglich feststellen, daß die von ihnen gewählten Methoden zur Erreichung allgemein erstrebter Ziele illegal waren, und daß die Anwendung dieser Methoden strafrechtlich verfolgt wurde. Dabei ist davon auszugehen, daß Verhalten als Methode zur Erreichung von Zielen oder zur Verwirklichung von Interessen wesentlich auch von Einstellungen abhängig ist. Einstellungen ihrerseits ändern sich (nur), wenn sich das Bewertungssystem verschiebt oder entwikkelt. Letzteres aber ist bevorzugt oder gar ausschließlich dann möglich, falls andere (positive) soziale Erfahrungen gemacht werden. Aus diesem Grunde ist eine wirksame Intervention kaum zu erwarten, solange der Gefangene aus der Gesell-

Strafen und Maßregeln schaft genommen wird und Möglichkeiten, soziale Belohnung zu erhalten, auf die Anstaltssituation beschränkt bleiben, zumal die innerhalb des Vollzugsgeschehens geläufige Reglementierung und Beschneidung von Handlungschancen eine soziale Bestrafung bedeuten. Zudem enthält schon das Strafurteil - erhöht in den Fällen der Anwendung des § 48 StGB - den Vorwurf des Versagens und eine ausdrückliche Abwertung, so daß der von Zwangssymbolen gekennzeichnete Vollzugsablauf um so eher als repressiv und aggressiv empfunden werden mag; schon deshalb läßt sich annehmen, daß die Einstellung des Gefangenen gegenüber Bemühungen i.S. des §2 Satz 1 StVollzG - die ihre Ausgangspunkte in der Achtung des Gefangenen nehmen müßten - von vornherein eher ablehnend sein wird. - Was im einzelnen die Behandlung von Drogenabhängigen angeht, so kumulieren die allgemeinen Divergenzen im methodischen Vorgehen mit behandlungsabträglichen strukturellen Bedingungen der Strafvollzugsanstalten. bb) Der Strafvollzug „dient", im Sinne eines gleichfalls spezialpräventiven Strafzwecks, auch dem „Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten" (§2 S. 2 StVollzG) während des Vollzugszeitraums. Die Verschiedenartigkeit dieser Intention gegenüber der eingangs genannten (§2 S. 1 StVollzG) spiegelt den prinzipiellen Widerspruch zwischen Eingliederungs- und Sicherungskonzept wieder. Dabei besteht in der Praxis, unbeschadet der Anerkennung der Pluralität von Vollzugszielen (anders §2 Abs. 1 AE-StVollzG), ein weiter Spielraum für die tatsächliche Ausgestaltung des Vollzugsgeschehens zugunsten der Ziele von Sicherheit und Ordnung; dem würde es entsprechen, wenn auf Seiten der Vollzugsverwaltung die Funktionsfähigkeit einer Strafanstalt überwiegend nach der Zahl der Entweichungen und weniger nach etwaigen Erfolgen der (Wieder-)Eingliederung beurteilt würde und wird. - So dominieren innerhalb der W S t V o l l z G Einschränkungsbestimmungen (etwa zum offenen Vollzug, zu Vollzugslockerungen und zum Urlaub), von denen einzelne als gesetzwidrig beurteilt wurden (OLG Frankfurt NIW 1979, 2575 f.; O L G Celle JR1978,258 [259]; OLG Frankfurt NJW 1978, 334f.; vgl. auch OLG Koblenz ZStrafvollz. 27 [1978], 123 [124]; OLG Hamburg ZStrafvollz. 27 [1978], 185; OLG Hamm ZStrafvollz. 28 [1979], 252 [LS]); zum Teil kehren sie das vom Gesetzgeber aufgestellte Regel-AusnahmeVerhältnis in sein Gegenteil um, indem sie einen Regelfall für die Ungeeignetheit als Grund für eine Versagung vorsehen. Tatsächlich ist der Strafvollzug in geschlossenen Anstalten auch in der Gegenwart dem Bestreben nach Sicherheit und Ordnung unterstellt; dies betrifft, wenngleich modifiziert, auch den halboffenen Vollzug (vgl. etwa Reinert 1972, S. 64ff.; Jones/ Cornes 1977). Allerdings gilt dies weniger für die Aufgabe der Bediensteten der Sozialgruppe oder

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auch derjenigen des Werkdienstes; wenngleich es insofern zu Rollenkonflikten mit anderen Bedienstetengruppen kommt, würde es jedoch eine Überbewertung darstellen, wollte man für den Bereich tatsächlichen Vollzugsgeschehens generell von einem Zielkonflikt zwischen Belangen von Sicherheit und Ordnung einerseits und denjenigen von Behandlung andererseits ausgehen. cc) Als ein drittes Vollzugsziel mag sich ein Vergeltungsbestreben auswirken (vgl. etwa OLG Bamberg ZStrafvollz. 28 [1979], 122f.), und zwar als Ausdruck einer „Disfunktionalität des Strafrechtssystems" (Hassemer 1971, S.54). dd) Unabhängig von den vorgenannten Vollzugszielen besteht innerhalb der Gefängnisgesellschaft, das heißt bei Personal wie Gefangenen, ein tatsächlicher Zielkonflikt im Verhältnis von Sicherheit und Ordnung einerseits und reibungslosem Vollzugsablauf andererseits. Trotz der zwischen Bediensteten- und Gefangenengruppen bestehenden beiderseitigen Zurückhaltung oder auch (gruppengetragenen) Abneigung zwingt der Anstaltsalltag zu einem Arrangement. Ohne eine gewisse Flexibilität der Bediensteten läßt sich die Anstaltsleitung kaum aufrechterhalten. d) Für die Ausgestaltung des Vollzuges gemäß dem gesetzlich vorgesehenen „Vollzugsziel" sollen die Grundsätze der Angleichung des Lebens im Vollzug „soweit als möglich" an allgemeine Lebensverhältnisse (§ 3 Abs. 1 StVollzG), des Schutzes vor schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges (§ 3 Abs. 2 StVollzG) sowie der Ausrichtung auf Entlassung und Eingliederung (§ 3 Abs. 3 StVollzG) maßgebend sein. Diesem Bestreben folgend wird, nach der Vorstellung des Gesetzgebers, für jeden Gefangenen auf der Grundlage einer Behandlungsuntersuchung (§ 6 StVollzG) ein Vollzugsplan aufgestellt (§7 StVollzG). Bezüglich einer Behandlung sowie zur Erreichung der als „Vollzugsziel" bezeichneten Aufgabe geht der Gesetzgeber von der Notwendigkeit einer Mitwirkung des Gefangenen aus (§§4 Abs. 1, 6 Abs. 3 StVollzG). Andererseits besteht bezüglich der Gestattung der Selbstbeschäftigung (§ 39 Abs. 2 StVollzG) eine restriktive Tendenz; so kann die Gestattung von der Entrichtung eines Haftkostenbeitrages abhängig gemacht werden (§50 Abs. 2 StVollzG; s. im übrigen auch W S t V o l l z G Nr. 3). aa) Unter der Voraussetzung gegenwärtiger personeller und ökonomischer Gegebenheiten wird ein Vollzugsplan nicht um Individualisierung, sondern nur um Klassifizierung (zur Klassifizierung im Rahmen des Vollstreckungsplans s.o. 1. a)) bemüht sein können. Um dabei den Bedenken gegenüber den statischen Komponenten jeder Klassifizierung Rechnung zu tragen, wird bevorzugt auf eine Orientierungs- oder Beobachtungsphase unmittelbar nach der Einweisung hingewiesen. Unabhängig davon aber kommt es gerade darauf an, ob als Kriterium für die Bildung von Gruppen Behand-

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lungsbedürfnisse oder aber Belange des Vollzugsablaufs verwandt werden. bb) Wenngleich das StVollzG einen Stufenvollzug nicht kennt, hat es den Vollzugsablauf in verschiedene Abschnitte gegliedert. Im übrigen besteht zum Beispiel hinsichtlich der Vollzugslockerungen (§ 11 StVollzG), des Urlaubs aus der Haft (§ 13 StVollzG) sowie des Freizeitangebots ein Ermessen der Vollzugsbehörde (s. aber KG NJW 1979, 2574), so daß Mechanismen des Stufenstrafvollzugs anhaltend wirksam bleiben könnten; dies gilt weniger hinsichtlich der Wahrnehmung des Grundrechts der Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, §§68-70 StVollzG; vgl. auch WStVollzG Nr. 2 zu § 68 StVollzG). Entgegen einzelnen Reformvorschlägen (vgl. z.B. §98 AEStVollzG) gewährt § 67 Satz 2 StVollzG kein Recht auf ein bestimmtes Freizeitangebot in Form gemeinschaftlicher Veranstaltungen, sondern nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Ausgestaltung des Anstaltsangebotes (s. auch § 17 Abs. 2 Satz 2 StVollzG). Auch mag die Anwendung der formellen Sanktionsmöglichkeiten als Komplementärform des Stufenstrafvollzugs wirken; dies hat insbesondere auch Bedeutung in Zusammenhang mit den Voraussetzungen einer vorzeitigen Entlassung. cc) Während das geordnete Zusammenleben in der Strafanstalt nicht auf Zwangsmaßnahmen, sondern auf der Verantwortung der Gefangenen selbst beruhen soll (§81 Abs. 1 StVollzG), beschränkt sich das Gesetz hinsichtlich der Selbst- und Mitverantwortung der Gefangenen auf eine sehr allgemeine und eher restriktive Regelung (§ 160 StVollzG; vgl. z. B. auch AG Mannheim NStZ 1982, 136). Soweit in der Reformdiskussion die Übernahme der Mitverantwortung von Gefangenen durch Beteiligung an offiziellen Entscheidungen gefordert wird, begegnet dies unter anderem dem Problem, inwieweit die für die Entscheidung zuständigen Bediensteten bei einer von Gefangenen zu treffenden Entscheidung vertreten werden können. Es handelt sich hierbei sowohl um Fragen der dienstlichen Pflichten gegenüber der vorgesetzten Behörde als auch um solche der (Amts-)Haftung. Ferner ist bei Versuchen zur Mitverantwortung zu überprüfen, ob es sich bei den gewählten Vertretern der Gefangenengemeinschaft um informelle Führer oder zumindest um Personen des Vertrauens der Gefangenen handelt, oder aber ob die Gewählten nicht tatsächlich auf der Seite der Bediensteten stehen und ohne inhaltliche Legitimation durch die Gefangenengruppen handeln. Verschiedentlich wird angestrebt, Gefangene nicht nur untereinander, sondern auch mit Bediensteten zu Gruppengesprächen zusammenzuführen. Dies soll zugleich ein Verständnis der Mitglieder der Gefängnisgesellschaft für die unterschiedlichen Rollen fördern sowie der Vermeidung oder Bewältigung bevorstehender oder gegenwärtiger

Konflikte dienen. - Der AE-StVollzG hatte die Einrichtung von Wohn- beziehungsweise Behandlungsgruppen mit je einem Gruppenbeamten vorgesehen (§§9, 17, 19 StVollzG). dd) Dem Gefangenen ist ein Recht auf Kontakt mit der Außenwelt garantiert; für die Vollzugsanstalt besteht eine Pflicht zur Förderung dieses Kontaktes (§23 StVollzG), der allerdings vielfältig eingeschränkt werden kann (§§24ff. StVollzG). An Möglichkeiten zu unmittelbaren Außenkontakten (und zur stufenweisen Rückführung des Gefangenen in die Außengesellschaft) im einzelnen ist zunächst der Freigang (§11 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG) als regelmäßige Beschäftigung außerhalb der Anstalt ohne Aufsicht eines Vollzugsbediensteten zu nennen, wobei der Gefangene für die Freizeit sowie die Nachtruhe in die Strafanstalt zurückkehrt. Andere unmittelbare Kontakte zur Außengesellschaft ergeben sich bei der (beaufsichtigten) Ausführung (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG), dem (unbeaufsichtigten) Ausgang (§11 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG) sowie vor allem im Regelurlaub (§ 13 StVollzG) und schließlich bei Urlaub, Ausgang und Ausführung aus wichtigem Anlaß (§ 35 StVollzG). - Wenngleich im Anschluß an spektakuläre oder spektakulär dargestellte Tatbegehungen während eines Urlaubs in der öffentlichen Meinung und bei einzelnen Strafverfolgungsbehörden die Vorstellung einer besonderen Gefährdung der Sicherheitsinteressen (§2 S. 2 StVollzG) durch Urlaub von Gefangenen vorherrscht, hegen verallgemeinerungsfähige Angaben über die Quote solcher Gefangener, die im Urlaub erneut straffällig werden, nicht vor. Was die Frage danach angeht, zu welchem Anteil Gefangene nicht (rechtzeitig) aus dem Urlaub zurückkehren, so wurde für das Jahr 1978 in Nordrhein-Westfalen eine Quote von 4,7 %, in Bayern eine solche von 2,7 % berechnet (ZStrafvollz. 29 [1980], 41, 51). Im Rahmen der Vorbereitung auf die Entlassung bestehen die Möglichkeiten des Sonderurlaubs (§ 15 Abs. 3, 4 StVollzG; s. auch §126 StVollzG) sowie der Verlegung in eine offene Anstalt oder Abteilung (§ 15 Abs. 2 StVollzG) oder aber in (etwa vorhandene) spezielle Einrichtungen des Übergangsvollzuges (§ 147 StVollzG; Sollvorschrift); für letztere wird eine solche Ausgestaltung angestrebt, die sich nach Belegungszahl wie insbesondere auch hinsichtlich sozialer Binnennormen nicht mehr (sichtbar) von „unauffälligen" Häusern und Bewohnergruppen in der Außengesellschaft unterscheidet (vgl. hierzu §§ 7 Abs. 1 Nr. 4, 66, 67, 69 Abs. 3 AEStVollzG). 4. Die Schwere des Eingriffs sowie möglicher negativer Auswirkungen des Vollzuges oder des vollständigen Vollzuges der verhängten Freiheitsstrafe wird in statistisch erheblichem Ausmaß durch Formen der Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung reduziert. a) aa) Nach geltendem Erwachsenenstrafrecht wird, bei Vorhegen der übrigen gesetzlichen Vor-

Strafen und Maßregeln aussetzungen, die Vollstreckung von Freiheitsstrafen unter sechs Monaten Dauer, sofern sie überhaupt verhängt werden (§47 StGB), stets ausgesetzt (§56 Abs. 1 StGB). Bei Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu einem Jahr Dauer kann die Aussetzung, bei Vorliegen der übrigen gesetzlichen Voraussetzungen, nur dann nicht erfolgen, wenn die „Verteidigung der Rechtsordnung" die Vollstreckung gebietet (§56 Abs. 1, 3 StGB). Bei Freiheitsstrafen von mehr als einem Jahr und bis zu zwei Jahren Dauer darf die Vollstreckung nur als Ausnahme zur Bewährung ausgesetzt werden (§ 56 Abs. 1, 2 StGB). Was die übrigen gesetzlichen Voraussetzungen anbetrifft, so geht der Gesetzeswortlaut von der Annahme aus, die Einwirkung des Strafvollzuges sei generell der zukünftigen Legalbewährung dienlich; hierfür fehlt es an empirischen Belegen. - Nach allgemeiner Auffassung hat das Gericht bei der Prognosestellung ein vertretbares Risiko zu verantworten; auch ist eine günstige Prognose gemäß § 56 Abs. 1 StGB nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil gemäß § 47 StGB die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter unerläßlich erscheint (BGHSt. 24, 164, 166). Die gesetzlichen Voraussetzungen zur Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung können deshalb nicht befriedigen, weil sie vom Strafmaß abhängig bleiben, das seinerseits ganz überwiegend von der Tatschuld (§ 46 Abs. 1 S. 1 StGB) bestimmt wird. So vermögen von der Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung solche Verurteilte teilweise nicht erfaßt zu werden, für die eine Freiheitsstrafe in besonderem Maße schädlich ist und für die daher die Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung geeignet wäre. - Die Aussetzungshäufigkeit ist, entsprechend der gesetzlichen Regelungen, erheblich unterschiedlich danach, welche Dauer die verhängte Freiheitsstrafe hat. Darüber hinaus ergeben sich unverhältnismäßige Unterschiede unter anderem nach der Deliktsstruktur. bb) Nach Vollstreckung von zwei Dritteln der verhängten Strafe, mindestens jedoch von zwei Monaten wird, bei Vorliegen der übrigen gesetzlichen Voraussetzungen, die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt (§57 Abs. 1 StGB). Schon nach Vollstreckung der Hälfte der verhängten Strafe, mindestens jedoch von einem Jahr, darf die Vollstreckung des Strafrestes nur als Ausnahme zur Bewährung ausgesetzt werden (§57 Abs. 2 StGB). - Systematische Schwierigkeiten bereitet die Lösung der in der Rechtsprechung umstrittenen Frage, ob als Freiheitsstrafe gemäß § 57 StGB auch die Ersatzfreiheitsstrafe anzusehen ist. Nach allgemeiner Auffassung hat das Gericht bei der Prognosestellung, ebenso wie bei derjenigen zu § 56 StGB, ein vertretbares Risiko zu verantworten; hierfür ist wegen der eingeschränkten Erhebungsmöglichkeiten eine im Vergleich zu § 56 StGB häufigere Heranziehung von Sachverständigen erforderlich ( a . A . wohl K G NJW 1972, 2228f.; KG

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NJW 1973, 1420f.). - In den Jahren 1976-1978 betrugen die Zahlen für Abgänge der gemäß §57 Abs. 1 StGB sowie gemäß § 57 Abs. 2 StGB vorgenommenen Entlassungen (im Bundesgebiet einschließlich Berlin [West]) - bezogen auf die Gesamtzahlen der Abgänge aus dem Jugend- und Freiheitsstrafenvollzug - 1 2 1 0 9 , 1 1 8 1 2 und 12 469 sowie 75, 164 und 112 von 68181, 63219 und 64968; die Gesamtzahlen der bedingten Entlassungen aus dem Jugend- und Freiheitsstrafenvollzug (einschließlich Sicherungsverwahrung) im Wege der Gnade betrugen in den genannten Jahren 1707, 1619 und 1932 (Angaben des Statistischen Bundesamtes Wiesbaden, Schreiben vom 7.1.1980). b) aa) Für die Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe beziehungsweise des Rests derselben gelten weitgehend einheitliche Regelungen (§§56a-56g, 57 Abs. 3 StGB), wobei im Falle der Aussetzung des Strafrestes die Bewährungszeit dessen Dauer nicht unterschreiten darf (§ 57 Abs. 3 S. 1 a . E . StGB). Die im Rahmen der Ausgestaltung der Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung möglichen und nach ihrer Art abschließend geregelten Auflagen (§§56b [57 Abs. 3 S. 1] StGB; Kannvorschrift) haben pönalen Charakter; sie stehen unter dem Verbot unzumutbarer Anforderungen an den Verurteilten. (§ 41 Abs. 1 AE-StGB sah die Erteilung von Auflagen mit pönalem Charakter als obligatorisch für jede Aussetzung der Strafvollstrekkung zur Bewährung vor; dem entspricht, daß der A E die Anwendung der Aussetzung im übrigen erweitert gefaßt hatte.) - Erbietet sich der Verurteilte zu „angemessenen Leistungen, die der Genugtuung für das begangene Unrecht dienen", und ist die Erfüllung dieser Leistungen zu erwarten, so sieht das Gericht „in der Regel von Auflagen vorläufig ab" ( § 5 6 b Abs. 3 StGB); während hiermit eine freiwillige Leistung seitens des Verurteilten gefördert werden soll, läßt sich nicht übersehen, daß über Vermögen verfügende Verurteilte sich eher von der Anordnung und Bestimmung von Auflagen durch das Gericht werden befreien können. - Die Auflage, den Schaden wiedergutzumachen ( § 5 6 b Abs. 2 Nr. 1 StGB), bedeutet wegen der Sanktion des Widerrufs der Strafaussetzung bei gröblichem oder beharrlichem Verstoß ( § 5 6 f Abs. 1 Nr. 3 StGB) eine Durchsetzungsform zivilrechtlicher Schadensersatzpflichten. In der Praxis am häufigsten ist die Geldauflage (§56b Abs. 2 Nr. 2 StGB); sie unterscheidet sich von der Geldauflage im Jugendstrafrecht (§ 15 Abs. 1 Nr. 3 J G G ) dadurch, daß Empfänger auch der Staat sein kann. Die im Rahmen der Ausgestaltung der Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung vorgesehenen Weisungen (§§56c [57 Abs. 3 S. 1 StGB]; bedingte Mußvorschrift) sollen als Instrumente pädagogischer Beeinflussung wirken, wobei der im Gesetz aufgeführte Katalog an Weisungen nicht abschließend ist; die Weisungen stehen unter dem

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Verbot unzumutbarer Anforderungen an die Lebensführung des Verurteilten (§56c Abs. 1 S.2 StGB). Auch bei den Weisungen kann eine freiwillige Zusage des Verurteilten dazu führen, daß von der Erteilung vorläufig abgesehen wird (§56c Abs. 4 StGB). - Die einschneidendste Weisung ist die Unterstellung unter Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers (§ 56 d StGB), die anderen Weisungen gegenüber subsidiär ist (§56d Abs. 1 S. 1 StGB); sie ist jedoch in der Regel zu erteilen bei Personen, die noch nicht 27 Jahre alt sind und zu einer Freiheitsstrafe von mehr als neun Monaten verurteilt werden (§56d Abs. 2 StGB) ebenso wie bei denjenigen Verurteilten, die mindestens ein Jahr ihrer Strafe „verbüßt" haben (§ 57 Abs. 3 S. 2 StGB). bb) Der Widerruf der Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung ist ultima ratio (vgl. §§ 56f Abs. 2, 57 Abs. 3 S. 1 StGB). - Was den (nur bedingten) Widerrufsgrund der Begehung einer Straftat in der Bewährungszeit (§56f Abs. 1 Nr. 1 StGB) angeht, so ist fraglich, wonach sich bestimmt, ob eine Straftatbegehung als Widerrufsgrund feststeht; dabei zeigt sich ausschnitthaft die Problematik der Kompetenz zur Feststellung von Straftaten auf den verschiedensten Stufen der reaktiven strafrechtlichen Erfassung von Verhalten. Allgemein wird angenommen, daß eine (rechtskräftige) Verurteilung nicht erforderlich ist, wohl aber daß das Gericht aufgrund zweifelsfreier Tatsachen die Überzeugung erlangt hat und erlangen durfte, daß der Betreffende die Tat begangen hat; allerdings könne ein vorheriger Widerruf gegebenenfalls nicht tunlich sein (OLG Karlsruhe G A 1974,156f.; O L G Hamm NJW 1974, 1520; OLG Stuttgart NJW 1977, 1249). Wird kein Widerruf vorgenommen, so erläßt das Gericht die Strafe (§56g Abs. 1 S. 1 StGB; die Eintragung in das B Z R G bestimmt sich nach §§ 14 Abs. 1 Nr. 4, 32 Abs. 1 Nr. 1 b BZRG). 5.

Ersatzfreiheitsstrafe

1. Ersatzfreiheitsstrafe wird an Stelle der Geldstrafe in denjenigen Fällen angeordnet und vollstreckt, in denen die Geldstrafe nicht eingebracht werden kann (§ 43 S. 1 StGB, § 459 e Abs. 1,2,459 c Abs. 1, 2 StPO); soweit Ausnahmeregelungen bestehen (§§ 459 d, 459 f StPO), sind sie an vergleichsweise enge Voraussetzungen geknüpft. Die gesetzliche Regelung stellt nicht darauf ab, ob die Uneinbringlichkeit der Geldstrafe verschuldet oder unverschuldet ist; dies wird damit begründet, das Gericht solle umfangreicher - und nicht selten erfolgloser - Ermittlungen zu dieser Verschuldensfrage enthoben sein. Hiernach ergibt sich, daß allein die Mittellosigkeit des Verurteilten Anlaß zur Einweisung in die Strafanstalt sein kann, das heißt, daß eine andere und ihrer Natur nach einschneidendere - Qualität von Strafe vollzogen wird, als diejenige, auf die

erkannt worden war; dabei läßt sich nach empirischen Anhaltspunkten begründet annehmen, daß es zur Ersatzfreiheitsstrafe häufig wegen Nichtarbeit kommt. Dies würde den Vorstellungen entsprechen, wonach die Geldstrafe von vornherein weniger für (wiederholt) wegen vergleichsweise geringfügiger (Vermögens-)Delikte verurteilter Personen angezeigt erscheine, da bei diesen die Uneinbringlichkeit ebenso wahrscheinlich sei wie die mangelnde Möglichkeit der Abwälzung auf etwa vorhandene Angehörige. (Hieraus mag sich zugleich ein Bedenken gegenüber Erwägungen zur Einführung der Möglichkeit ergeben, die Vollstreckung der Geldstrafe zur Bewährung auszusetzen, da bei dem zuletzt umschriebenen Täterkreis auch die Voraussetzungen einer Aussetzung zur Bewährung weniger vorliegen werden und somit die am meisten betroffenen Verurteiltengruppen nicht entlastet würden). 2. Im Falle der Umwandlung der Geldstrafe in eine Ersatzfreiheitsstrafe wird je Tagessatz ein Tag Freiheitsstrafe berechnet (§43 S.2 StGB), wobei das Mindestmaß der Freiheitsstrafe - entgegen der allgemeinen Regelung (§ 38 Abs. 2 StGB) - einen Tag beträgt. Hierin besteht ein Widerspruch zu der ultima-ratio-Klausel kurzzeitiger Freiheitsstrafen (§47 StGB). - Gegenüber diesem Umwandlungsmaßstab bestehen unter anderem deshalb Bedenken (vgl. Tröndle 1974, S. 575 ff.), weil die Ersatzfreiheitsstrafe als „echte" Freiheitsstrafe gilt (BGHSt. 20, 13 [16]) und daher dem Unrechtsgehalt der Tat und der Schuld entsprechen müsse (§ 46 Abs. 1 S. 1 StGB); aus diesem Grunde müsse ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe für mehrere Tagessätze zureichen. 3. Was die Problematik einer etwaigen Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung angeht (vgl. Weber 1978), so erscheint es als inadäquat, eine Prognoseentscheidung im Sinne des §57 StGB treffen zu wollen, wenn ein Straftäter lediglich zu Geldstrafe verurteilt worden ist. Auch bestehen für Anordnung und Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe besondere gesetzliche Regelungen (§§42f. StGB, §§459äff. StPO); zudem ist Ratenzahlung auch während des Vollzuges der Ersatzfreiheitsstrafe mit der Wirkung entsprechender Verkürzung letzterer möglich (§459e Abs. 4 StPO), so daß keine Gesetzeslücke vorliegt, die durch § 57 StGB ausgefüllt werden müßte. Insbesondere tritt die Ersatzfreiheitsstrafe nur insoweit an die Stelle der entsprechend erledigten Geldstrafe, als sie vollstreckt wird; die Geldstrafe wandelt sich also nicht mit der Anordnung der Ersatzfreiheitsstrafe in eine Freiheitsstrafe im Sinne der §§ 38 f. StGB um, sondern behält ihre Eigenständigkeit. Demgemäß würde bei einer Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer Ersatzfreiheitsstrafe die Restgeldstrafe fortbestehen, zumal das geltende Recht eine Aussetzung der Vollstreckung einer Geldstrafe zur Bewährung nicht kennt. Aber auch ein Erlaß der Restgeldstrafe im Anschluß an die

Strafen und Maßregeln Anwendung des §57 StGB ist nicht möglich, weil die Ersatzfreiheitsstrafe vom Bestand der Geldstrafe abhängig ist und nicht umgekehrt (s. §459e Abs. 4 StPO). Unbeeinflußt von diesen Gegebenheiten erscheint es jedoch unbillig, einen Täter, der nur zu einer weniger einschneidenden Strafart, nämlich zu Geldstrafe verurteilt worden war, schlechter zu stellen, als einen zu Freiheitsstrafe verurteilten Täter. Dies gilt um so mehr, als der Nachweis unverschuldeter Zahlungsunfähigkeit aus tatsächlichen Gründen häufig nicht zu erbringen ist, die Bestimmungen des §42 StGB und des §459a StPO bei einem tatsächlich mittellosen Verurteilten kaum hinreichend Abhilfe zu schaffen geeignet sind und endlich die Härteklausel (§ 459 f StPO) vergleichsweise eng gefaßt ist. 4. Was die Häufigkeit der Ersatzfreiheitsstrafe angeht, so ist zwischen Anordnung und Vollstrekkung zu unterscheiden. Nach vorläufigen empirischen Anhaltspunkten soll es zur Vollstreckung beziehungsweise zur vollständigen Vollstreckung nur bei einem kleineren Teil der Betroffenen kommen, während der eher überwiegende Teil die Geldstrafe nach Ladung zum Strafantritt bezahle. a) Für den Anteil der vollstreckten Ersatzfreiheitsstrafen an allen auf Geldstrafen lautenden Urteilen wurde ein Anstieg verzeichnet (s. Tröndle 1974, S. 548 Fn. 23). Bezogen auf die Zahlen der Zugänge in den Jahren 1972 und 1976-1978 zum Beispiel betrug dieser Anteil bei den auf Geldstrafe allein lautenden Urteilen 4,1 % , 5 , 6 % , 4 , 2 % und 5 , 5 % (StrafSt 1972, 13; 1976-1978 jeweils Tab. 3.7.; StVollzSt. 1972, 21; 1976, 25; 1977, 17; 1978, 19). b) Ähnliches gilt hinsichtlich des Anteils der Ersatzfreiheitsstrafe an allen Freiheitsstrafen; am I.1.1974 und am 31.12.1974 betrug dieser Anteil 3,52% und 4,14% (StVollzSt. 1974, 23), während er an den entsprechenden Stichtagen des Jahres 1977 auf 4,55% und 4,96% (StVollzSt. 1977, 17), denjenigen des Jahres 1978 hingegen (nur) auf 4,27 % und 4,59 % (StVollzSt. 1978, 19) lautete. c) Der Anteil der Zu- und Abgänge bei Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen an allen Zuund Abgängen liegt erheblich über dem Anteil der Ersatzfreiheitsstrafen an allen Freiheitsstrafen. In den Jahren 1974 sowie 1977 und 1978 zum Beispiel lauteten die Anteile der Zugänge wegen Ersatzfreiheitsstrafe auf 15,9% sowie 13,34% und 11,64%; betreffend die Abgänge beliefen sich die entsprechenden Anteile auf 15,88% sowie 13,33% und I I , 6 0 % (StVollzSt 1974, Tab. 4; 1977 und 1978 jeweils Tab. 2). C. Maßregeln

1. Führungsaufsicht 1. Die Maßregel der Führungsaufsicht findet bei unterschiedlichen Voraussetzungen für nicht min-

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der unterschiedliche Tätergruppen Anwendung. Zu unterscheiden ist die Kannvorschrift der Anordnung nach Strafverbüßung (vgl. § 68 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB) von der kraft Gesetzes eintretenden Führungsaufsicht im Zusammenhang mit einer freiheitsentziehenden Rechtsfolge (§68 Abs. 2 StGB). Während die erstgenannte Gruppe von Fallgestaltungen eine Prognosestellung voraussetzt, kommt es bei der zweitgenannten Gruppe auf eine solche nur insofern an, als die Maßregel der Führungsaufsicht durch gerichtliche Anordnung entfallen kann (§ 68f Abs. 2 StGB); daneben ergeben sich erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Art des im Zusammenhang mit der Führungsaufsicht stehenden Freiheitsentzuges, so daß auch insofern unterschiedliche Techniken, Methoden sowie sächliche und personelle Voraussetzungen zur Durchführung dieser Maßregel geschaffen werden müßten. - Die Maßregel der Führungsaufsicht stellt den Versuch dar, beaufsichtigende Kontrolle und helfende Betreuung zu vereinigen. Ein wesentliches Bedenken gegenüber dieser Maßregel besteht darin, daß weder abstrakt noch hinsichtlich der Verwirklichung eine Integration der beiden genannten Zwecke gelingen zu können scheint. Hinzu tritt die Problematik der Zweigleisigkeit (oder Überbetreuung) in der Zusammenarbeit von Führungsaufsichtsstelle (s. hierzu Art. 295 EGStGB) und Bewährungshilfe (vgl. §68a Abs. 2 StGB; s. hierzu Brüsten 1978, S. 208ff.). Insofern sind Ausgestaltung und erwartete Einwirkungsmöglichkeiten dieser Maßregel vergleichsweise vage geblieben. 2. a) Was die zur Durchführung der Führungsaufsicht möglichen Weisungen angeht (§68b StGB), so ist der gesetzliche Katalog, im Unterschied zu demjenigen der im Rahmen der Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung möglichen Weisungen (§56c Abs. 2 StGB), vielgestaltiger gefaßt; jedoch ist auch er nicht abschließend (s. §68b Abs.2 S. 1 StGB; zur Zumutbarkeit s. §68b Abs. 3 StGB). Die Schwierigkeit liegt darin, daß die Weisungen genau bestimmt werden müssen (§68b Abs. 1 S. 2 StGB), zumal sie teilweise strafbewehrt sind (§§68b Abs. 1, 145a StGB). b) Gegen eine Kriminalstrafe wegen Weisungsverstoßes (§ 145 a StGB) bestehen gemäß dem Verhältnismäßigkeitsprinzip allerdings Bedenken. Dies gilt in erster Linie für Fälle, in denen eine Strafe oder Maßregel bereits gänzlich vollstreckt ist; soweit noch eine Reststrafe oder -maßregel zu vollstrecken ist, wird angenommen, § 145 a StGB habe ohnehin keine praktische Bedeutung. - Für die Fälle bereits gänzlich vollstreckter Rechtsfolgen war diese Strafbewehrung mit der Begründung eingeführt worden, andernfalls wären Weisungsverstöße gewissermaßen risikofrei. Demgegenüber wird eine unter Strafandrohung erteilte Weisung kaum als Lebenshilfe empfunden werden können (s. aber auch §11 Abs. 3 JGG); auch mag das Prinzip der

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Strafen und Maßregeln

Subsidiarität strafrechtlicher Eingriffe tangiert sein (vgl. Lenckner 1972, S.223). In den Jahren 1976 bis 1978 wurden absolut 9,12 und 18 Personen gemäß § 145 a StGB verurteilt (StrafSt. 1976-1978, jeweils S. 10). 3. Die Zahl der Anordnungen von Führungsaufsicht betrug in den Jahren 1975-1978 in ansteigender Tendenz 98, 349,370 und 497 Fälle, wovon in 4, 18, 21 und 19 Fällen Heranwachsende und in 1,1, 4 und 9 Fällen Jugendliche betroffen waren (StatJb. 1979, 332; StrafSt. 1978, 32f.). Am Stichtag des 31.12. der Jahre 1977 und 1978 befanden sich im Bundesgebiet einschließlich Berlin (West) 4080 und 5083 Personen unter Führungsaufsicht, darunter 179 und 225 weiblichen Geschlechts; hiervon waren 3666 und 4569 nach allgemeinem Strafrecht und 414 und 514 - darunter allein 118 und 170 Jugendliche - nach Jugendstrafrecht unterstellt (BewHiSt. 1977 und 1978, 5). 2. Entziehung der

Fahrerlaubnis

1. Die Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis (§§69ff. StGB; vorläufige Entziehung gemäß § 111 a StPO) dient der Gewährleistung der Verkehrssicherheit. Im Unterschied zur Nebenstrafe des Fahrverbots (§ 44 StGB) stellt sie auf die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen ab und setzt lediglich eine rechtswidrige Tat voraus (vgl. auch § 71 StGB). Die Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis, die unter dem Strafschutz des §21 StVG steht, ist auch hinsichtlich des Eingriffs deshalb weitreichender als das Fahrverbot, weil ein größerer zeitlicher Spielraum besteht und insbesondere weil die (bisherige) Fahrerlaubnis entzogen bleibt und gegebenenfalls nur eine neue Fahrerlaubnis erteilt werden kann. ( - Weiterreichend als die strafrechtlichen Eingriffsmöglichkeiten ist die Regelung der Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Verwaltungsbehörden [§4 StVG, §§3, 15 b StVZO]; sie ist insbesondere für solche Fälle der Ungeeignetheit vorgesehen, die [noch] nicht zu einer Verkehrsstraftat geführt haben). Die Prüfung der Frage, ob sich „aus der Tat" eine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen „ergibt" (§69 Abs. 1 StGB), bereitet in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten, und zwar auch bei Berücksichtigung aller relevant erscheinenden personalen und sozialen Umstände. Das Strafgericht verfügt nur über einen Ausschnitt an relevanten Informationen, so daß es zu einer abschließenden Beurteilung der Fahrtauglichkeit oftmals nicht in der Lage ist. Insofern haben die Regelbeispiele einer Ungeeignetheit (§69 Abs. 2 StGB), die eine Einschränkung des Ermessens des Gerichts hinsichtlich der Annahme der Ungeeignetheit darstellen, eine Hilfs- und zugleich Begrenzungsfunktion für die Rechtsprechung. Eine solche Begrenzung ist um so mehr angezeigt, als für diese Maßregel - im Unter-

schied zu allen anderen Maßregeln - eine (ausdrückliche) Prognose über die drohende Gefahr nicht erforderlich ist; anders verhält es sich nur im Falle der lebenslangen Sperrfrist (§ 69 a Abs. 1 S. 2 StGB). Zudem bedarf es einer Prüfung der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) der Entziehung der Fahrerlaubnis nicht (§69 Abs. 1 S . 2 StGB), weil angenommen wird, daß das Vorliegen einschlägiger Ungeeignetheit stets eine vom Täter ausgehende Gefahr für die Verkehrssicherheit darstelle und insofern eine UnVerhältnismäßigkeit ausschließe. 2. a) In der Anwendungspraxis ist (entsprechend §69 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 4 StGB) die Tendenz zu einer generalisierten Trennung in „Alkoholtäter" und „Nichtalkoholtäter" eher noch ausgeprägter als bei der Verhängung des Fahrverbots. So lag den gerichtlichen Entziehungen der Fahrerlaubnis (der Klassen eins bis fünf) wegen Straßenverkehrsstraftaten zum Beispiel im Jahre 1977 in 94,9 % Trunkenheit am Steuer zugrunde (KBA 1978, E l l ) . Gegenüber dem Ausmaß der Dominanz dieses Kriteriums läßt sich einwenden, daß es kaum als gegenüber bestimmten personalen oder sozialen Merkmalen relevanter angesehen werden kann, zumal ein nicht unerheblicher Anteil der Straßenverkehrsstraftaten - darunter auch solcher mit Todesfolgen - ohne einen nachweisbaren Alkoholeinfluß der Kraftfahrzeugführer geschieht. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, daß es - nach Zahlen bis Ende 1973 (KBA 1974, V 2) - zum Beispiel bei 2 2 , 3 % der Vielfachtäter ( = sieben und mehr Eintragungen im VZR) noch nie zu einer rechtswirksamen Entziehung der Fahrerlaubnis gekommen war. b) Die Zahl der strafrechtlichen Entziehungen der Fahrerlaubnis wegen Straftaten im Straßenverkehr lauteten in den Jahren 1974-1978 auf 151327, 154465, 163609, 175550 und 182492 (StrafSt 1974-1978, Tab. 2).

3.

Berufsverbot

1. Die Maßregel des Berufsverbots (§70 StGB; vorläufige Anordnung gemäß § 132 a StPO) ist darauf gerichtet, die Allgemeinheit vor solchen Personen zu schützen und zu sichern, die ihren Beruf oder ihr Gewerbe mißbräuchlich oder unter grober Verletzung der damit verbundenen Pflichten zur Begehung von rechtswidrigen Taten benutzt haben und bei denen die Gefahr weiterer erheblicher Taten der bezeichneten Art besteht; wegen der Bedeutung des Grundrechts der freien Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG) kommt dem Merkmal der Erheblichkeit besondere Bedeutung zu. (Zum Verhältnis des strafgerichtlich angeordneten Berufsverbots zu dem Berufsverbot durch die Verwaltungsbehörde [§§35, 58 f. GewO, §38 BSeuchenG, §§ 15 ff. GaststättenG] gibt es nur teilweise Regelungen [z. B. § 35 Abs. 3 GewO], so daß Justiz

Strafen und Maßregeln und Verwaltung im übrigen untereinander nicht gebunden sind; vgl. aber BVerwGE 15, 282 [288]). Was die Alternative der Verletzung der mit Beruf oder Gewerbe „verbundenen Pflichten" angeht, so wurde eine restriktive Auslegung im Sinne von „in Ausübung seines Berufs" vorgesehen (BGHSt. 22, 144 [146]). Zur Annahme der Gefahr „erheblicher rechtswidriger Taten" wurde ausgeführt, auch für die Anlaßtaten müsse eine erhebliche Bedeutung vorausgesetzt werden; im übrigen soll das Berufsverbot nur dann erforderlich sein, wenn nicht nur die Möglichkeit, sondern die Wahrscheinlichkeit weiterer Straftaten besteht (BGH GA 1955, 149 [151]). Gemäß dem Prinzip des geringstmöglichen Eingriffs darf das Berufsverbot nicht verhängt werden, wenn schonendere Eingriffe wie zum Beispiel Untersagung nur eines Teils der Berufstätigkeit oder Verpachtung des Gewerbebetriebes ausreichen. 2. Ein Verstoß gegen die Anordnung des Berufsverbots ist strafbewehrt (§ 145c StGB). In den Jahren 1976 bis 1978 wurden absolut 5, 6 und 5 Verurteilungen nach § 145 c StGB vorgenommen (StrafSt. 1976-1978, jeweils S. 10). 3. Die Aussetzung der Maßregel zur Bewährung ist unter bestimmten Voraussetzungen möglich (§70a StGB), jedoch frühestens, wenn das Verbot ein Jahr gedauert hat (§70a Abs. 2 S. 1 StGB); da „die Zeit, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist", nicht eingerechnet wird (§70a Abs. 2 S.3 StGB), bestehen Vorbehalte im Hinblick auf eine mögliche zeitliche Kumulierung. Der Widerruf der Aussetzung und die Erledigung des Berufsverbots sind gesondert geregelt (§70b StGB). 4. Strafrechtliche Berufsverbote wurden in den Jahren 1973 bis 1978 in 92, 97, 70, 82, 63 und 59 Fällen angeordnet (StatJb. 1979, 332; StrafSt. 1978, 32).

4. Unterbringung in einem Krankenhaus

psychiatrischen

1. Voraussetzung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus als einer freiheitsentziehenden Maßregel ist, daß eine Person wegen Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) nicht oder nur wegen verminderter Schuldfähigkeit (§21 StGB) bestraft werden kann, sie jedoch wegen von ihr zu erwartender erheblicher rechtswidriger Taten für die Allgemeinheit gefährlich ist (§ 63 Abs. 1 StGB). ( - Soweit auch die Voraussetzungen zur Unterbringung nach allgemeinen landesrechtlichen Regelungen vorliegen [vgl. aber Art. 104 GG], besteht eine Konkurrenz zu dieser Maßregel). Zweck der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist die Sicherung des Schutzes der Allgemeinheit durch Isolierung; zugleich soll eine „Re-Sozialisierung" (§§63 Abs. 2, 65 Abs. 3

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StGB; Inkrafttreten jeweils 1.1.1985[?]) des Täters angestrebt werden. Dem Prinzip des geringstmöglichen Eingriffs, das sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ableitet (§ 62 StGB), kommt bei dieser Maßregel deshalb besondere Bedeutung zu, weil bei einem Großteil der Betroffenen die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus als wenig geeignet gilt und weil die Praxis der Entlassungsentscheidungen in erheblichem Maße zu Bedenken Anlaß gibt (s. schon § 67 d StGB argumentum e contrario). Als weniger eingreifende Maßnahme bieten sich unter anderem gegebenenfalls Familienbetreuung, Bemühungen im Rahmen einer Vormundschaft sowie freiwillige psychotherapeutische Behandlung an. 2. Der Vollzug der Maßregel, der in Anstalten der Gesundheitsverwaltung stattfindet, richtet sich im wesentlichen nach anderen landes- (s. z. B. Hess. GVB1. 1981, 414) oder bundesrechtlichen Bestimmungen als denjenigen des Strafvollzugsrechts (§§ 136, 138 StVollzG). Die Vollzugsausgestaltung ist, zusätzlich zu den im allgemeinen ohnehin bestehenden Beeinträchtigungen psychisch Kranker in geschlossenen Institutionen, auch insoweit nur in begrenztem Maße therapeutisch ausgestaltet, als das Sicherungsinteresse haftähnliche Bedingungen veranlaßt. Zudem scheinen innerhalb des nach § 63 StGB in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesenen Personenkreises Angehörige aus sozio-ökonomisch unteren Schichten im Vergleich auch zu anderen Patienten psychiatrischer Krankenhäuser erheblich überrepräsentiert zu sein (vgl. Albrecht 1978, S. 107ff.). Namentlich bezüglich des nach §21 StGB eingewiesenen Täterkreises, soweit es sich zum Beispiel um Psychopathien, Neurosen oder Triebstörungen handle, bestehe ein Mangel geeigneter Behandlungsmethoden innerhalb der psychiatrischen Anstalt (s. Ehrhardt 1974, S. 156; Ritzel 1975, S. 184). 3. Bei den Möglichkeiten zur Aussetzung der Maßregelvollstreckung zur Bewährung ist zu unterscheiden zwischen der Aussetzung bei der Unterbringungsanordnung durch das erkennende Gericht (§67b Abs. 1 S. 1 StGB) und der Aussetzung im Falle einer vorweg vollzogenen Freiheitsstrafe durch die Strafvollstreckungskammer (§ 67 c StGB) sowie der Möglichkeit der Aussetzung nach bisherigem Vollzug dieser Maßregel (§67e StGB); in beiden zuletzt genannten Fällen bestehen besondere Schwierigkeiten zur Erstellung der Prognose. Was die gemäß § 67 e Abs. 2 , 2 . Alternative StGB jährlich zu treffende Entscheidung der Strafvollstreckungskammer zu der Frage, ob der Zweck des Maßregelvollzuges erfüllt und eine Entlassung vertretbar ist, angeht, so beruht sie in der Regel auf den Befunden und Beurteilungen des behandelnden Arztes. Hieraus ergibt sich zum einen eine zusätzliche und existentielle Abhängigkeit des Betroffenen von dem behandelnden Arzt; zum anderen erwächst letzterem hieraus eine erhöhte Ver-

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Strafen und Maßregeln

antwortung, die eine eher restriktive Tendenz der Prognoseerstellung bedingen mag. Zumindest bezüglich des erstgenannten Aspekts könnte die Beauftragung eines solchen Gutachters, der gewissermaßen außenstehender Dritter ist, möglicherweise eine gewisse Abhilfe schaffen. (Im übrigen lauten die genannten Entscheidungen deshalb vergleichsweise selten auf Entlassung, weil eine Aufnahmebereitschaft durch Angehörige beziehungsweise Möglichkeiten der Unterbringung in Übergangs- oder Pflegeheimen nur eingeschränkt gegeben zu sein scheinen). - Nach einer Untersuchung über (teilweise ähnliche) Gegebenheiten in der Schweiz verbleiben solche Täter, bei denen wegen verminderter Zurechnungsfähigkeit auf Unterbringung in eine Heil- oder Pflegeanstalt erkannt worden war, in 53 % der Fälle mehr als doppelt so lang im Maßnahmenvollzug als es einer als schuldangemessen bezeichneten Strafe entsprochen hätte; hinzu kommt, daß der Maßnahmenvollzug zu erheblichem Anteil in Strafanstalten stattfand (vgl. Aebersold 1972, S. 116, 122 ff.). 4. Die Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wurde in den Jahren 1971-1978 im Rahmen von Aburteilungen gegen 375, 390, 392, 399, 336, 410, 389 und 377 Personen angeordnet (StrafSt. 1971-1978, jeweils Tab. 2); ihre Häufigkeit liegt demgemäß insoweit gegenwärtig um ein Mehrfaches über derjenigen der Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung. In den Jahren 1976 bis 1978 ( - jeweils am 1.1. - ) befanden sich 3627, 3511 und 3373 - davon 189,186 und 175 weibliche - Personen aufgrund strafrichterlicher Entscheidung in einem psychiatrischen Krankenhaus, wobei es sich bezüglich 411,461 und 4 2 6 davon 46, 49 und 43 weibliche - Personen um eine einstweilige Unterbringung (§ 126 a StPO) handelte (StVollzSt. 1976, 44; 1977, 32; 1978, 34). 5. Unterbringung in einer Entziehungsanstalt 1. Voraussetzung der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt als einer freiheitsentziehenden Maßregel ist gemäß § 64 Abs. 1 StGB zunächst, daß eine Person den „Hang" hat, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel zu sich zu nehmen, und daß sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf den genannten „Hang" zurückgeht, verurteilt worden ist oder nur deshalb nicht verurteilt worden ist, weil sie schuldunfähig war oder ihre Schuldunfähigkeit nicht auszuschließen war; des weiteren muß die Gefahr bestehen, daß die Person infolge ihres „Hanges" weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. ( - Neben dieser Maßregel sind Unterbringungsmaßnahmen nach Polizeirecht im weiteren Sinne und zum Schutz der Allgemeinheit wie auch des Betroffenen möglich, ohne daß eine Straftat vorliegen muß [vgl. aber Art. 104 GG] - ) .

Zweck der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt soll primär die Besserung durch Behandlung des Betroffenen sein (vgl. § 64 Abs. 2 StGB); demgegenüber soll der Zweck der Sicherung des Schutzes der Allgemeinheit zurücktreten. So kommt es weder darauf an, daß der Betroffene für die Allgemeinheit gefährlich ist (§64 Abs. 1 a. E. StGB im Unterschied zu § 63 Abs. 1 a. E. StGB), noch ist die Anordnung zulässig, sofern eine „Entziehungskur von vornherein aussichtslos erscheint" (§64 Abs. 2 StGB), wobei die Aussichtslosigkeit nur nach der Persönlichkeit des Täters, nicht aber etwa nach dem Fehlen geeigneter Anstalten im zuständigen Vollstreckungsbereich zu beurteilen ist (BGHSt. 28, 327; s. aber - betreffend Jugendstrafrecht und die besonderen Voraussetzungen in §93a JGG-LG Bonn NJW 1977, 345); auch darf die Dauer der Unterbringung zwei Jahre nicht übersteigen (§ 67 d Abs. 1 Satz 1 StGB). - Allerdings ist umstritten, ob sowohl bezüglich der Wahrscheinlichkeit als auch der Erheblichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten (§ 64 Abs. 1 a. E. StGB) im Hinbück auf den vorrangigen Besserungszweck geringere Anforderungen zu stellen sind als bei der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Was die Voraussetzungen des genannten „Hanges" angeht, so lassen sie sich wegen der mangelnden empirischen Erfaßbarkeit dieses Begriffs (vgl. hierzu auch §§65 Abs. 2 Nr. 3, 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB) nicht eindeutig bestimmen. - Die Einbeziehung solcher Straftaten, die auf den Hang „zurückgehen", richtet sich auf den Bereich der sogenannten Beschaffungskriminalität. 2. Der Vollzug der Maßregel, der in Anstalten der Gesundheitsverwaltung geschieht, richtet sich im wesentlichen nach Landesrecht (§ 138 StVollzG). Was die Gegebenheiten der Behandlung angeht, so fehlt es weithin an geeigneten räumlichen und personellen Voraussetzungen; dies gilt eingeschränkt auch weiterhin für Jugendliche, und zwar entgegen spezieller gesetzlicher Vorschrift (§93a JGG). Dem körperlichen Entzug schließt sich häufig lediglich eine (meist eintönige) Form der Beschäftigung an, während psycho- oder sozialtherapeutische Bemühungen vereinzelt und/oder ohne hinreichende Qualität bleiben; demgegenüber ist nach ganz überwiegender Erfahrung davon auszugehen, daß körperlicher Entzug ohne entsprechende Motivation und begleitende Bemühungen in der Regel erfolglos bleibt. So steht die eher punktuelle Intervention im Vordergrund, währenddessen sich eine zunehmende Beeinträchtigung der Untergebrachten im psychischen und sozialen Bereich einschließlich zentraler Voraussetzungen zur (Wieder-) Eingliederung in die Außengesellschaft vollzieht; hiervon sind in besonderem Maße die (in der Entwicklung befindlichen) Jugendlichen betroffen. Auch in Anstalten mit verleichsweise aufwendiger personeller Ausstattung hängt das therapeuti-

Strafen und Maßregeln sehe Verständnis und Vorgehen mehr von der jeweiligen Institution oder dem jeweiligen Therapeuten und weniger von zuverlässigen Erkenntnissen über die Wirksamkeit verschiedener Behandlungskonzepte und -verfahren bei unterschiedlichen Probandengruppen ab. Dies beruht neben anderen Gründen auf dem Mangel praxisbegleitender Behandlungsforschung wie auch auf der Ausgangsproblematik, daß nämlich unter Zwang behandelt werden soll; die Auffassung, auf Bereitschaft oder Freiwilligkeit könne verzichtet werden, weil eine drogenabhängige Person kein mündiger Bürger sei, entbehrt schon empirischer Grundlage. Auch mag anhaltende Therapieunwilligkeit nicht weniger auf Therapieunfähigkeit der Untergebrachten (oder auch der Therapeuten) als auf dem Grundwiderspruch zwischen erzwungener Unterbringung und Therapie beruhen; ohnehin bestehen gegenüber Wirkungsweisen und Funktionen strafrechtlicher Strategien im Bereich des Drogenwesens Bedenken nicht nur bei den Betroffenen. Üblicherweise wird eine stufenweise Intervention unter Einschaltung mehrerer Institutionen als am ehesten erfolgreich angenommen, wobei die stationäre Unterbringung nur die erste Phase darstellt und der Nachsorge zentrale Bedeutung zukommt. - (Soweit unter Verzicht auf stationäre Unterbringung gelegentlich Programme [zur Entzugserleichterung oder aber] zur Substitution [z. B. bei Heroin durch Methadon] empfohlen werden, bei denen im Ergebnis eine Droge durch eine andere ersetzt wird, so ist auch insoweit zu besorgen, daß sie eher zur Verdeckung zugrundeliegender interaktionistischer Zusammenhänge als zu substantieller Hilfe geeignet sind. Allerdings könnte die bezweckte Vermeidung von Entzugssymptomen Möglichkeiten für die Aufnahme aktiver Lebensgestaltung bieten, zumal die zusätzlichen Beeinträchtigungen stationärer Unterbringung entfallen würden). 3. Wegen der rechtlichen Möglichkeiten der Aussetzung der Vollstreckung gilt das für die Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus Ausgeführte entsprechend. Jedoch ergeben sich wesentliche Unterschiede insofern, als die Höchstfrist zur Überprüfung, ob die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung auszusetzen ist, sechs Monate beträgt (§ 67 e Abs. 2, 1. Altern. StGB); insbesondere hat die Entlassung nach Ablauf von zwei Jahren Unterbringung stattzufinden (§67d Abs. 1, 3 S. 1 StGB). Wird die Unterbringung vor der Strafe vollzogen und stellt sich während des Vollzuges heraus, daß die Bemühungen um Entziehung keine Aussicht auf Erfolg haben, so ist in der Rechtsprechung umstritten, ob die Strafvollstreckungskammer, falls Überweisung in den Vollzug einer anderen Maßregel ( § 6 7 a Abs. 1 StGB) ausscheidet, in ihrer Entscheidung zur Verlegung des Betroffenen in den Strafvollzug zugleich zulässigerweise den Maßregelvollzug für endgültig erledigt erklären kann (bejahend

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O L G Düsseldorf NJW 1980,1345 f. in entsprechender Anwendung des §64 Abs. 2 StGB, mit Nachweisen). 4. Was die Häufigkeit der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anbetrifft, so wurde sie in den Jahren 1971 bis 1978 im Rahmen von Aburteilungen in 194, 191, 162, 183, 286, 404, 429 und 483 Fällen angeordnet (StrafSt. 1971-1978, jeweils Tab. 2.). Diese Zahlen spiegeln die restriktive Praxis der Gerichte wider, die unter anderem mit Auswirkungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§62 StGB) begründet wird; teilweise finden sich auch Hinweise auf das Unvermögen, das Ausmaß der Abhängigkeit der Betroffenen zu erkennen. Im übrigen aber zeichnet sich teilweise eine gemeinsame Strategie der Gerichte wie der Therapeuten entsprechender Anstalten ab, potentielle „Entweicher" und/oder „Störer" eher von dieser Maßregel auszunehmen und (allein) zu Freiheitsstrafe zu verurteilen. Dies ist nicht zuletzt im Hinblick auf die tatsächliche Dauer des Freiheitsentzuges bedenklich (s. nämlich § 67 d Abs. 1 StGB), zumal in Fällen der Teilnahme der Betroffenen an etwaigen therapeutischen Programmen innerhalb des Strafvollzuges die Frage einer vorzeitigen Entlassung (§57 StGB) nicht unerheblich von den jeweiligen Therapeuten (mit-)beantwortet wird. A m 31.3. der Jahre 1977 und 1978 befanden sich aufgrund einer Anordnung gemäß §64 StGB 348 und 407 männliche und 35 und 57 weibliche Personen in einer Entziehungsanstalt, davon 124 und 104 männliche und 10 und 23 weibliche Personen ohne Trunksucht (StVollzSt. 1977 und 1978, jeweils Tab. 9).

6. Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt 1. Das Inkrafttreten der Bestimmungen über die Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt (§ 65 StGB) ist (durch Gesetz vom 22.12.1977 [BGBl. 1,3104]) bis zum 1.1.1985 hinausgeschoben worden. - Diese Maßregel ist für vier unterschiedliche Tätergruppen vorgesehen (§65 Abs. 1 Nr. 1, N r . 2 , Abs. 2, Abs. 3 StGB; kritisch Einsele 1971, S. 151; H. J. Schneider 1979, S. 505 f.). Für drei dieser Tätergruppen ist eine negative Prognose des Inhalts erforderlich, daß die Gefahr besteht, der Täter werde weiterhin erhebliche rechtswidrige Taten begehen; für eine Tätergruppe muß die Gefahr bestehen, daß der Täter sich zum „Hangtäter entwickeln wird" (§65 Abs. 2 Nr. 3 StGB). Für die Praxis wird die Prüfung der Frage, ob die gesetzlichen Kriterien zur Einweisung vorliegen oder nicht, erhebliche Schwierigkeiten bereiten, zumal es sich vielfach um empirisch kaum (hinreichend) erfaßbare Begriffe handelt. Zunehmend mit Ende der Siebziger Jahre läßt sich besonders seitens der Landesjustizverwaltun-

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Strafen und Maßregeln

gen ein Interesse daran erkennen, § 65 StGB nicht in Kraft treten zu lassen und Sozialtherapie nur im Rahmen des - gegebenenfalls zu modifizierenden § 9 StVollzG zu verwirklichen. 2. Der Vollzug dieser Maßregel bestimmt sich nach dem StVollzG (insbesondere §§123-128). Beginnend Ende der Sechziger Jahre wird eine sozialtherapeutische Tätigkeit in einigen Strafvollzugseinrichtungen mit vergleichsweise kleiner Belegungszahl durchgeführt, die zur Vorbereitung der Errichtung sozialtherapeutischer Anstalten und sodann gemäß §9 StVollzG bereitgestellt wurden; dabei liegt ein nach Struktur und Behandlungsmethoden einheitliches oder gar einheitlich angewandtes Konzept nicht vor. Schon deshalb kann nicht verwundern, daß die Quote der Rückverlegungen in den Normalvollzug nach bisherigen Berechnungen zwischen 30 % und 60 % beträgt. Die weitaus überwiegende Zahl der verwendeten Verfahren ist, unbeschadet verschiedener Modifizierungen, der allgemeinen Psychotherapie entlehnt; deren Eignung ist wegen wesentlicher Unterschiede der Patientenkreise der allgemeinen Psychotherapie und der im § 65 StGB umschriebenen Personengruppen von vornherein (zumindest) teilweise in Frage gestellt. Wenig geklärt ist die Frage, wodurch sich im einzelnen die Sozialtherapie von anderen Formen der (Psycho-)Therapie unterscheidet. Gelegentlich wird die Ansicht geäußert, um Sozialtherapie handele es sich nur dann, wenn der therapeutische Prozeß von den Betroffenen getragen werde; so würde ein zentraler Unterschied zwischen herkömmlichem Strafvollzug und Sozialtherapie in der Art des Verständnisses von Behandlung liegen, wobei ein Über-/Unterordnungsverhältnis zugunsten eines Angebots von Hilfe zurücktrete. Dabei bescheiden sich zahlreiche vollzugserfahrene Therapeuten mit dem Ziel, diejenigen Beeinträchtigungen für Einstellungen und Sozialverhalten, die frühere Anstaltsaufenthalte hinterlassen haben (sollen), aufzuheben oder jedenfalls zu mildern. - Die Behandlungsverfahren hängen in ihrer Verwirklichung weitgehend von der Person des Behandelnden ab; demgemäß wird in der Behandlungsorganisation wie auch in der wissenschaftlichen Sanktionsund Behandlungsforschung zunehmend die Überprüfung der Geeignetheit des Therapeuten oder Erziehers angestrebt. Dies gilt auch deshalb als unerläßlich, weil für den Probanden Freiheitsentzug prinzipiell unabhängig davon ist, ob der Aufenthalt in einer Strafanstalt herkömmlicher Art oder in einer sozialtherapeutischen Einrichtung oder Anstalt stattfindet. Auch die bestgemeinte Behandlung bleibt Ausübung von Macht, solange sie in ihren äußeren Voraussetzungen auf der Inhaftierung aufbaut. Zudem liegen Anhaltspunkte dafür vor, daß erhöht individualisierende Formen des Strafvollzuges eine Tendenz zur Förderung von Ungerechtigkeit und Heuchelei haben können, und

daß gutgemeinte Intentionen zu sublimem Terror des Therapeuten zu führen vermögen. Eine Sozialtherapie, die sich entsprechenden Erfahrungen verschließt, könnte zu einer Institutionalisierung janusköpfiger Gewaltausübung werden. 3. Was die Effizienz stationärer Sozialtherapie mit strafrechtlich Verurteilten im allgemeinen anbetrifft, so läßt sich - bei unterschiedlicher Tendenz in den Ergebnissen bisheriger Analysen - von einer Unwirksamkeit schon deshalb nicht ausgehen, weil sowohl die Systematik sozialtherapeutischer Bemühungen im allgemeinen als auch die Gegebenheiten der analysierten Projekte im einzelnen jeweils von erheblichen Mängeln gekennzeichnet waren (s. näher Eisenberg 1974; vgl. auch Fachausschuß 1981). 7. Unterbringung in der Sicherungsverwahrung 1. Die Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) ist darauf gerichtet, die Allgemeinheit vor solchen als besonders gefährlich beurteilten Straftätern (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB) zu sichern, bei denen die übrigen strafrechtlichen Sanktionsarten entweder sich als unzureichend erwiesen haben (§ 66 Abs. 1 StGB = Täter mit mehreren Vorstrafen) oder als unzureichend erscheinen (§ 66 Abs. 2 StGB = Täter mit mehreren Vortaten); dabei handelt es sich bezüglich der zweitgenannten Voraussetzung (nur) um eine Kannvorschrift, die den Zugriff gegenüber einem Serientäter erlauben soll, dem es bisher gelang, Bestrafungen zu entgehen. a) Die Prognosestellung betreffend einen „Hang zu erheblichen Straftaten", dessentwegen der Täter „für die Allgemeinheit gefährlich ist", hat auf den Zeitpunkt der Urteilsfindung und ohne Einbeziehung etwaiger Wirkungen des Strafvollzuges abzustellen; die Möglichkeit einer späteren Korrektur ist verfahrensrechtlich gegeben (§ 67 c StGB). Was den Begriff des Hanges angeht, so ermangelt er einer empirisch zuverlässigen Erfaßbarkeit. Eine Erheblichkeit soll auch dann vorliegen, wenn der Schweregehalt der einzelnen Taten zwar gering, deren Häufigkeit jedoch groß ist (vgl. BGH NJW 1971, 1323); im übrigen ist wenig geklärt, welche Delikte und Tatgestaltungen „erhebliche Straftaten" im Sinne des §66 Abs. 1 Nr. 3 StGB sind. - Auch für die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gilt das Prinzip des geringstmöglichen Eingriffs, so daß zu prüfen ist, ob schonendere Maßnahmen wie etwa Überwachung durch die Polizei, Unterbringung in einer Entziehungsanstalt oder Familienbetreuung ausreichend und durchführbar sind. b) Kriminologische Befunde zur Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung liegen vorzugsweise für die Verhältnisse des vormals geltenden Rechts (§§42e, 20 a StGB a.F.) vor (vgl. Krebs 1975, 168ff.), so daß deren Relevanz für die

Strafen und Maßregeln gegenwärtigen Voraussetzungen zumindest begrenzt ist; hinzu kommt, daß die Forschungen sich nahezu ausschließlich auf Aktenauswertungen stützen, was gerade in diesem Bereich an vergleichsweise enge methodische Grenzen der Aussagemöglichkeit stößt. Die früheren Untersuchungen haben ganz überwiegend ergeben, daß in Sicherungsverwahrung zu einem unverhältnismäßig großen Anteil eher „gemeinlästige" Täter und vergleichsweise selten solche Personen eingewiesen wurden, die zu Gewaltdelikten neigten (s. Hellmer 1961, S.24f.); die Verteilung nach Deliktsgruppen zeigte einen Anteil der Vermögens- und Eigentumstäter von etwa zwei Drittel bis drei Viertel. 2. Die Sicherungsverwahrung wird nach der Freiheitsstrafe vollstreckt, das heißt ein Vikariieren ist ausgeschlossen (vgl. § 67 Abs. 1 StGB). Der AE hatte vorgeschlagen, vor Durchführung einer Sicherungsverwahrung eine sozialtherapeutische Behandlung von vier Jahren stattfinden zu lassen [§ 70 Abs. 1, 3 AE-StGB]). Die Durchführung des Vollzuges dieser Maßregel geschieht, von einzelnen Sondervorschriften abgesehen (§§ 129 ff.. StVollzG), nach den für den Vollzug der Freiheitsstrafe geltenden Bestimmungen; diese Regelung wird damit begründet, daß in anderer Weise Ordnung innerhalb der Anstalt nicht zu verwirklichen sei (vgl. BVerfGE 2, 118 [120]). Da jedoch allein zum Zweck der Sicherung des Schutzes der Allgemeinheit an der kumulativen Verhängung und Vollstreckung festgehalten wird, bestehen Bedenken gegenüber der weitreichenden Gleichstellung mit Strafgefangenen (vgl. auch §70 Abs. 4 AE-StGB). Auch mag bei den Betroffenen der Eindruck erweckt werden, an ihnen würden nacheinander zwei Strafen vollzogen, zumal die Anstalten meistens personell wie auch räumlich eng mit den Strafanstalten verknüpft sind. - Das Ziel einer „Re-Sozialisierung" tritt gegenüber dem Sicherungszweck zurück, scheidet jedoch nicht aus (§ 67 d Abs. 2 StGB, §§ 129f., 134 StVollzG); so ist ein materiellrechtlicher Anspruch eines Verwahrten, im Hinblick auf bestimmte tatsächliche Umstände eine vollständige Abschrift des über ihn erstatteten (sexualpsychologischen) Sachverständigengutachtens zu erhalten, auf den „Re-Sozialisierungs"-Gedanken gestützt worden (OLG Koblenz MDR 1975, 338). 4. Während die Häufigkeit der Sicherungsverwahrung im Jahre 1934 bei 3723, im Jahre 1939 bei 1827 und im Jahre 1940 bei 1916 lag, wurde die Zahl 200 in den Jahren 1945 bis 1960 nur zweimal überschritten, und zwar im Jahre 1958 mit 208 und im Jahre 1959 mit 230 (vgl. zum ganzen Hellmer 1961, 16f.). Im Anschluß an das 1. StrRG (aus dem Jahre 1969) hatte sich bereits im Jahre 1970 die Zahl der Verhängungen von Sicherungsverwahrung auf 110 verringert; in den Jahren 1971-1978 betrugen die Zahlen der Verhängungen 116, 114, 84, 69, 52, 60, 51 und 35 (StrafSt. 1971-1978 Tab. 2). Die Schwankungen in der Häufigkeit der Anordnung von Si-

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cherungsverwahrung mögen das Ausmaß der Unbestimmtheit der Voraussetzungen dieser Maßregel in der früheren und in der gegenwärtigen Fassung teilweise belegen. - Am 31.3. der Jahre 1970 bis 1978 befanden sich insgesamt 718, 502, 382, 376, 376, 337, 301, 271 und 268 Personen in Sicherungsverwahrung (StVollzSt 1970-1978, Tab. 5).

Monographien P. A e b e r s o l d : Die Verwahrung und Versorgung vermindert Zurechnungsfähiger in der Schweiz. Basel, Stuttgart 1972. H.-J. A l b r e c h t : Strafzumessung und Vollstreckung bei Geldstrafen unter Berücksichtigung des Tagessatzsystems. Berlin 1980. U. E i s e n b e r g : Minderjährige in der Gesellschaft. Über Zusammenhänge zwischen institutionalisierten Beeinträchtigungen und Delinquenz. Köln u. a. 1980. K. E n g i s c h : Die Lehre von der Willensfreiheit in der strafrechtsphilosophischen Doktrin der Gegenwart. 2. Aufl. Berlin 1965. J. H e l l m e r : Der Gewohnheitsverbrecher und die Sicherungsverwahrung 1934-1945. Berlin 1961. K. H a a g : Rationale Strafzumessung Ein entscheidungstheoretisches Modell der strafrichterlichen Entscheidung. Köln u.a. 1970. G. J a k o b s : Schuld und Prävention. Recht und Staat. Heft452/453. Tübingen 1976. H. J o n e s , P. C o r n e s : Open prisons. London 1977. H. M a r q u a r d t : Dogmatische und kriminologische Aspekte des Vikariierens von Strafe und Maßregel. Berlin 1972. B. M ü l l e r : Anordnung und Aussetzung freiheitsentziehender Maßregeln der Besserung und Sicherung; Berlin, München 1981. R. R e i n e r t : Strafvollzug in einem halboffenen Gefängnis. Das Ziel der Strafanstalt. Göttingen 1972. B. S c h ü n e m a n n : Unternehmenskriminalität und Strafrecht. Köln u.a. 1979. G. S t r a t e n w e r t h : Die Zukunft des strafrechtlichen Schuldprinzips. Karlsruhe 1977. G. S t r a t e n w e r t h : Tatschuld und Strafzumessung. Recht und Staat. Heft 406/407. Tübingen 1972.

Zeitschriften- und

Sammelwerkaufsätze

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Strafrechtsreform

W. T. H a e s l e r : Jugendstrafvollzug. Übersicht über die internationale Praxis. In: R. Sieverts, H. J. Schneider: Handwörterbuch der Kriminologie. 2. Aufl. Bd. 4. Berlin, New York 1979. W. H a s s e m e r : Strafzumessung, Strafvollzug und die „Gesamte Strafrechtswissenschaft". In: A. Kaufmann (Hrsg.): Die Strafvollzugsreform. Eine kritische Bestandsaufnahme. Karlsruhe 1971. H.-H. J e s c h e c k , O. T r i f f t e r e r (Hrsg.): Ist die lebenslange Freiheitsstrafe verfassungswidrig? Dokumentation über die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht am 22. und 23. März 1977. Baden-Baden 1978. A. K r e b s : Sicherungsverwahrung. In: R. Sieverts,H. J.Schneider: Handwörterbuch der Kriminologie. 2. Aufl. Bd. 3. Berlin, New York 1975. T. L e n c k n e r : Strafe, Schuld und Schuldfähigkeit. In: H.Göppingen H. Witter (Hrsg.): Handbuch der forensischen Psychiatrie. Band 1. Berlin u.a. 1972. W. M u n k w i t z : Verwahrlosung. In: R.Sieverts, H.J.Schneider: Handwörterbuch der Kriminologie. 2. Aufl. Bd. 3. Berlin, New York 1975. K. P e t e r s : Die Grundlagen der Behandlung junger Rechtsbrecher. MschrKrim. 49 (1966). G. R i t z e l : Unterbringung nach §63 2. StrRG: Besserung oder Sicherung. MschrKrim. 58 (1975). C. R o x i n : „Schuld" und „Verantwortung" als strafrechtliche Systemkategorien. In: C. Roxin, H.-J. Bruns, H.Jäger (Hrsg.): Festschrift für H. Henkel. Berlin, New York 1974. W. R ü t h e r , W. N e u f e i n d : Offener Vollzug und Rückfallkriminalität. MschrKrim. 61 (1978). F. S c h a f f s t e i n : Rückfall und Rückfallprognose bei jungen Straffälligen. KrimGegfr. 8 (1968). H. J. S c h n e i d e r : Kriminaltherapie. In: R.Sieverts, H.J.Schneider: Handwörterbuch der Kriminologie. 2. Aufl. Bd. 4. Berlin, New York 1979. H. S c h ü l e r - S p r i n g o r u m : Hauptprobleme einer gesetzlichen Regelung des Jugendstrafvollzuges. In: R. Herren u. a. (Hrsg.): Festschrift für Thomas Würtenberger. Berlin 1977. G. S t r a t e n w e r t h : Strafrecht und Sozialtherapie. In: A.Kaufmann u.a. (Hrsg.): Festschrift für Paul Bockelmann. München 1979. G. M. S y k e s , D. M a t z a : Techniken der Neutralisierung: Eine Theorie der Delinquenz. In: F. Sack; R. König (Hrsg.): KriminalSoziologie. 2. Aufl. Frankfurt a. M. 1974. K. T i e d e m a n n : Erscheinungsformen der Wirtschaftskriminalität und Möglichkeiten ihrer strafrechtlichen Bekämpfung. ZStrW 88 (1976). H. T r ö n d l e : Die Geldstrafe in der Praxis und Probleme ihrer Durchsetzung unter besonderer Berücksichtigung des Tagessatzsystems. ZStrW 86 (1974). U. W e b e r : Aussetzung des Restes der Ersatzfreiheitsstrafe nach § 57 StGB? In: W. Stree u.a. (Hrsg.): Gedächtnisschrift für Horst Schröder. München 1978.

Arbeitsmaterialien Alternativentwurf eines Strafgesetzbuches. Allgemeiner Teil. Erste Aufl. Tübingen 1966 (AE-StGB). Altemativentwurf eines Strafvollzugsgesetzes. Tübingen 1973 (AEStVoUzG). Der Bundesminister der Justiz (Hrsg.): Schlußbericht der Jugendstrafvollzugskommission. Köln 1980 (BMJ 1980). Fachausschuß sozialtherapeutische Anstalt: Sozialtherapie als kriminalpolitische Aufgabe. Empfehlungen zur zukünftigen rechtlichen und tatsächlichen Ausgestaltung im Justizvollzug. Schriftenreihe des Bundeszusammenschlusses für Straffälligenhilfe. Heft 26. Bonn 1981. Kraftfahrt-Bundesamt und Bundesanstalt für den Güterverkehr (Hrsg.): Statistische Mitteilungen. Hefte 1 und 4 (KBA). Richtlinien zum Jugendgerichtsgesetz (RL). Statistisches Bundesamt Wiesbaden (Hrsg.): Fachserie A. Bevölkerung und Kultur. Reihe 9 Rechtspflege. II. Strafverfolgung; seit 1975: Rechtspflege. Fachserie 10. Reihe 3 Strafverfolgung (StrafSt.).

Statistisches Bundesamt Wiesbaden (Hrsg.): Fachserie A. Bevölkerung und Kultur. Reihe 9 Rechtspflege. III. Strafvollzug; seit 1975: Rechtspflege. Fachserie 10. Reihe 4 Strafvollzug (StVollzSt.). Statistisches Bundesamt Wiesbaden (Hrsg.): Fachserie A. Bevölkerung und Kultur. Reihe 9 Rechtspflege. IV. Bewährungshilfe (BewHiSt.). Statistisches Bundesamt Wiesbaden (Hrsg.): Rechtspflege. Fachserie 10. Reihe 1. Ausgewählte Zahlen für die Rechtspflege (RPflSt.). Statistisches Bundesamt Wiesbaden (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland (StatJb.). Verwaltungsvorschriften zum Strafvollzugsgesetz (WStVollzG). ULRICH

EISENBERG

STRAFRECHTSREFORM I. EINLEITUNG Die Zeit für einen zusammenfassenden Überblick über die deutsche Strafrechtsreform ist nicht ungünstig, denn die Reformtätigkeit des Gesetzgebers hat nunmehr einen gewissen Abschluß gefunden. Dies gilt jedenfalls für das materielle Strafrecht, das allein Gegenstand dieses Artikels ist. (In die Betrachtung einbezogen werden wegen ihres engen Zusammenhanges mit dem materiellen Recht lediglich die prozessualen Bemühungen um die Bewältigung der Bagatellkriminalität. Ausgeklammert bleiben dagegen, obwohl im StGB geregelt - §§77 ff. und 78 ff. StGB - , Strafantrag und Verjährung, da es sich hierbei nach h. M. um prozessuale oder doch Institute mit stark prozeßrechtlichem Einschlag handelt). Die neue dogmatische und kriminalpolitische Grundkonzeption steht seit dem Ersten und dem Zweiten Gesetz zur Reform des Strafrechts (1. und 2. StrRG) von 1969 fest und bietet sich in dem seit 1.1.1975 in Kraft befindlichen Allgemeinen Teil des StGB in einem neuen äußeren Gewand dar. Auch im Besonderen Teil sind in jüngerer Zeit gravierende Änderungen erfolgt, auch in seit Jahrzehnten auf das heftigste umstrittenen Bereichen, etwa bei den Staatsschutzdelikten durch das 8. Strafrechtsänderungsgesetz von 1968, bei Sexualdelikten durch das 4. StrRG von 1973, beim Schwangerschaftsabbruch nach dem Scheitern des 5. StrRG von 1974 endgültig durch das 15. StrafrechtsänderungsG vom 18.5.1976. Darüber hinaus wurden wichtige Deliktsgruppen im Besonderen Teil keineswegs nur redaktionell, sondern in sachlicher Hinsicht durch das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch von 1974 (EGStGB) teilweise recht einschneidend überarbeitet. Mit Recht stellt Jescheck fest, „der mit der Reform erreichte Stand des deutschen Strafrechts bedeutet in seiner Geschichte einen tieferen Einschnitt als seinerzeit die Gesetzgebung der Jahre 1870 und 1871, die im wesentlichen der Vergangenheit zugewendet war". Nimmt man das am 1.1.1977 (mit

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Strafrechtsreform

W. T. H a e s l e r : Jugendstrafvollzug. Übersicht über die internationale Praxis. In: R. Sieverts, H. J. Schneider: Handwörterbuch der Kriminologie. 2. Aufl. Bd. 4. Berlin, New York 1979. W. H a s s e m e r : Strafzumessung, Strafvollzug und die „Gesamte Strafrechtswissenschaft". In: A. Kaufmann (Hrsg.): Die Strafvollzugsreform. Eine kritische Bestandsaufnahme. Karlsruhe 1971. H.-H. J e s c h e c k , O. T r i f f t e r e r (Hrsg.): Ist die lebenslange Freiheitsstrafe verfassungswidrig? Dokumentation über die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht am 22. und 23. März 1977. Baden-Baden 1978. A. K r e b s : Sicherungsverwahrung. In: R. Sieverts,H. J.Schneider: Handwörterbuch der Kriminologie. 2. Aufl. Bd. 3. Berlin, New York 1975. T. L e n c k n e r : Strafe, Schuld und Schuldfähigkeit. In: H.Göppingen H. Witter (Hrsg.): Handbuch der forensischen Psychiatrie. Band 1. Berlin u.a. 1972. W. M u n k w i t z : Verwahrlosung. In: R.Sieverts, H.J.Schneider: Handwörterbuch der Kriminologie. 2. Aufl. Bd. 3. Berlin, New York 1975. K. P e t e r s : Die Grundlagen der Behandlung junger Rechtsbrecher. MschrKrim. 49 (1966). G. R i t z e l : Unterbringung nach §63 2. StrRG: Besserung oder Sicherung. MschrKrim. 58 (1975). C. R o x i n : „Schuld" und „Verantwortung" als strafrechtliche Systemkategorien. In: C. Roxin, H.-J. Bruns, H.Jäger (Hrsg.): Festschrift für H. Henkel. Berlin, New York 1974. W. R ü t h e r , W. N e u f e i n d : Offener Vollzug und Rückfallkriminalität. MschrKrim. 61 (1978). F. S c h a f f s t e i n : Rückfall und Rückfallprognose bei jungen Straffälligen. KrimGegfr. 8 (1968). H. J. S c h n e i d e r : Kriminaltherapie. In: R.Sieverts, H.J.Schneider: Handwörterbuch der Kriminologie. 2. Aufl. Bd. 4. Berlin, New York 1979. H. S c h ü l e r - S p r i n g o r u m : Hauptprobleme einer gesetzlichen Regelung des Jugendstrafvollzuges. In: R. Herren u. a. (Hrsg.): Festschrift für Thomas Würtenberger. Berlin 1977. G. S t r a t e n w e r t h : Strafrecht und Sozialtherapie. In: A.Kaufmann u.a. (Hrsg.): Festschrift für Paul Bockelmann. München 1979. G. M. S y k e s , D. M a t z a : Techniken der Neutralisierung: Eine Theorie der Delinquenz. In: F. Sack; R. König (Hrsg.): KriminalSoziologie. 2. Aufl. Frankfurt a. M. 1974. K. T i e d e m a n n : Erscheinungsformen der Wirtschaftskriminalität und Möglichkeiten ihrer strafrechtlichen Bekämpfung. ZStrW 88 (1976). H. T r ö n d l e : Die Geldstrafe in der Praxis und Probleme ihrer Durchsetzung unter besonderer Berücksichtigung des Tagessatzsystems. ZStrW 86 (1974). U. W e b e r : Aussetzung des Restes der Ersatzfreiheitsstrafe nach § 57 StGB? In: W. Stree u.a. (Hrsg.): Gedächtnisschrift für Horst Schröder. München 1978.

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Statistisches Bundesamt Wiesbaden (Hrsg.): Fachserie A. Bevölkerung und Kultur. Reihe 9 Rechtspflege. III. Strafvollzug; seit 1975: Rechtspflege. Fachserie 10. Reihe 4 Strafvollzug (StVollzSt.). Statistisches Bundesamt Wiesbaden (Hrsg.): Fachserie A. Bevölkerung und Kultur. Reihe 9 Rechtspflege. IV. Bewährungshilfe (BewHiSt.). Statistisches Bundesamt Wiesbaden (Hrsg.): Rechtspflege. Fachserie 10. Reihe 1. Ausgewählte Zahlen für die Rechtspflege (RPflSt.). Statistisches Bundesamt Wiesbaden (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland (StatJb.). Verwaltungsvorschriften zum Strafvollzugsgesetz (WStVollzG). ULRICH

EISENBERG

STRAFRECHTSREFORM I. EINLEITUNG Die Zeit für einen zusammenfassenden Überblick über die deutsche Strafrechtsreform ist nicht ungünstig, denn die Reformtätigkeit des Gesetzgebers hat nunmehr einen gewissen Abschluß gefunden. Dies gilt jedenfalls für das materielle Strafrecht, das allein Gegenstand dieses Artikels ist. (In die Betrachtung einbezogen werden wegen ihres engen Zusammenhanges mit dem materiellen Recht lediglich die prozessualen Bemühungen um die Bewältigung der Bagatellkriminalität. Ausgeklammert bleiben dagegen, obwohl im StGB geregelt - §§77 ff. und 78 ff. StGB - , Strafantrag und Verjährung, da es sich hierbei nach h. M. um prozessuale oder doch Institute mit stark prozeßrechtlichem Einschlag handelt). Die neue dogmatische und kriminalpolitische Grundkonzeption steht seit dem Ersten und dem Zweiten Gesetz zur Reform des Strafrechts (1. und 2. StrRG) von 1969 fest und bietet sich in dem seit 1.1.1975 in Kraft befindlichen Allgemeinen Teil des StGB in einem neuen äußeren Gewand dar. Auch im Besonderen Teil sind in jüngerer Zeit gravierende Änderungen erfolgt, auch in seit Jahrzehnten auf das heftigste umstrittenen Bereichen, etwa bei den Staatsschutzdelikten durch das 8. Strafrechtsänderungsgesetz von 1968, bei Sexualdelikten durch das 4. StrRG von 1973, beim Schwangerschaftsabbruch nach dem Scheitern des 5. StrRG von 1974 endgültig durch das 15. StrafrechtsänderungsG vom 18.5.1976. Darüber hinaus wurden wichtige Deliktsgruppen im Besonderen Teil keineswegs nur redaktionell, sondern in sachlicher Hinsicht durch das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch von 1974 (EGStGB) teilweise recht einschneidend überarbeitet. Mit Recht stellt Jescheck fest, „der mit der Reform erreichte Stand des deutschen Strafrechts bedeutet in seiner Geschichte einen tieferen Einschnitt als seinerzeit die Gesetzgebung der Jahre 1870 und 1871, die im wesentlichen der Vergangenheit zugewendet war". Nimmt man das am 1.1.1977 (mit

Strafrechtsreform gewissen Ausnahmen) in Kraft getretene Strafvollzugsgesetz vom 16.3.1976 hinzu, das den Strafvollzug endlich auf eine einheitliche Rechtsgrundlage gestellt hat, so darf mit Recht behauptet werden, daß das deutsche Strafrecht einen Stand erreicht hat, der den internationalen Vergleich keineswegs zu scheuen braucht. Dies, obwohl gerade das Strafvollzugsgesetz bei weitem nicht die Erwartungen erfüllt hat, die in eine moderne, sozialstaatlichen Ansprüchen gerecht werdende Reform gesetzt werden konnten (—» Strafvollzug). Lediglich im Strafverfahrensrecht steht die Verwirklichung wichtiger Reformvorhaben noch aus (—> Reform des Strafverfahrensrechts). Nicht übersehen werden darf allerdings, daß jede Reform des materiellen Rechts sich auch auf das Strafverfahren auswirkt, also zugleich ein Stück Strafprozeßreform ist. So wird zunehmend darauf aufmerksam gemacht (Sarstedt, Reinhard von Hippel), daß die verstärkte Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit, wie sie vor allem bei der Festsetzung der Rechtsfolgen nunmehr geboten ist, den Verfahrensgegenstand beträchtlich erweitert und den Strafrichter vor Aufgaben gestellt hat, für deren Bewältigung er prozessual nicht ohne weiteres gerüstet ist. Der materiellrechtliche Gesetzgeber hat diese Auswirkungen sicher nicht in ihrer vollen Schärfe gesehen, so daß man überspitzt von einer unbewußten strafprozeßgestaltenden Kraft des materiellen Rechts sprechen kann. Die Darstellung erstreckt sich im wesentlichen auf die Entwicklung nach dem Zusammenbruch von 1945. Frühere Reformen und Reformbestrebungen, die - abgesehen von einigen zeitbedingten, noch früheren Änderungen des RStGB von 1871 in der Gründerzeit - bereits mit dem Vorentwurf 1909 einsetzten, können schon aus Raumgründen nur insoweit berücksichtigt werden, als sie nennenswerte Bezüge zu den jüngeren Reformen aufweisen. Die bis zum 2. Weltkrieg erarbeiteten Entwürfe sind jedoch vollständig in die Chronologie der Bemühungen um eine Gesamtreform des deutschen Strafrechts (II.) aufgenommen. Von den neueren Reformen können auch nur die wichtigeren und nicht die über 50 Novellen zum StGB seit Ende des zweiten Weltkrieges behandelt werden, ganz zu schweigen von den zahlreichen Änderungen im Nebenstrafrecht. (Ein vollständiger Überblick über die Änderungen des StGB seit 1871 ist z.B. dem Kommentar von Dreher-Tröndle, 41. Aufl. 1983, vorangestellt). Die Reform des Strafrechts der Bundesrepublik Deutschland ist keine nationale Einzelerscheinung. Sie ist Teil einer internationalen Bewegung, die Ende der fünfziger Jahre eingesetzt hat und die in neuen Strafgesetzbüchern in Schweden (1962), in der Tschechoslowakei und Bulgarien (1967), in der DDR (1968), in Österreich (1975) sowie in einschneidenden Teilrevisionen z.B. im schweizerischen und französischen Strafrecht und schließlich in einer ganzen Reihe von amtlichen und privaten

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Reformentwürfen ihren Niederschlag gefunden hat. Unter diesen Umständen erscheint es besonders verlockend, das Thema Strafrechtsreform rechtsvergleichend anzugehen. Auch dem stehen jedoch die beengten Raumverhältnisse entgegen, so daß wegen des rechtsvergleichenden Aspekts der Strafrechtsreform insbesondere auf den 1978 erschienenen Band „Strafrechtsreform und Rechtsvergleichung" (Berliner Gastvorträge, hrsg. von Hans Lüttger, Verlag de Gruyter) verwiesen werden darf. - Zur DDR ist zu bemerken, daß sich die Strafrechtsordnungen in beiden Teilen Deutschlands im Zuge der jüngeren Reformen derart auseinanderentwickelt haben, daß sie sich nicht mehr auf eine gemeinsame deutschrechtliche Wurzel zurückführen lassen. Als nüchterne Konsequenz dieses Prozesses bleibt nur, das Strafrecht der DDR in gleicher Weise zu behandeln wie andere ausländische Strafrechte, ein Schritt, der z. B. in der dritten Auflage (1978) des der Rechtsvergleichung stark verpflichteten Lehrbuches von Jescheck getan wurde und den 1980 der Bundesgerichtshof (BGHSt. 30, 1) im wesentlichen nachvollzogen hat. Vgl. zur Strafrechtsentwicklung in der DDR im übrigen insbesondere Roggemann. Strafgesetzbuch und Strafprozeßordnung der DDR mit Nebengesetzen. 2. Aufl. 1978. Die folgende Darstellung vermittelt zunächst einen tabellarisch gehaltenen chronologischen Überblick über die Bemühungen um eine Gesamtreform des deutschen Strafrechts (II) und bringt dann in einem Hauptteil (III) eine Wiedergabe des Inhalts der wichtigsten Reformen. Die Darstellung folgt hier im wesentlichen dem Aufbau des Strafgesetzbuches bzw. im Besonderen Teil der Gliederung der Delikte, die sich in der deutschen Strafrechtswissenschaft durchgesetzt hat und der auch der Entwurf 1962 gefolgt ist. Dem Benutzer soll damit eine rasche Information über Änderungen der ihn jeweils interessierenden Einzelmaterie(n) ermöglicht werden. II. CHRONOLOGIE DER BEMÜHUNGEN UM EINE GESAMTREFORM DES STRAFRECHTS A. Die Reformbestrebungen bis zum 2. Weltkrieg 1882 Marburger Programm von Franz von Liszt (ZStW 3, 1). Bedeutsamster Anstoß zur Strafrech tserneuerung (Spezialprävention, Täterstrafrecht). Streit der klassischen (Binding, Beling, Birkmeyer) und der modernen (soziologischen) Strafrechtsschule (v. Liszt, Kohlrausch, später Radbruch, Eb. Schmidt). 1902 Bildung eines freien wissenschaftlichen Komitees von acht Professoren auf Veranlassung des Staatssekretärs des Reichsjustizamtes Nieberding. Erarbeitung der 1909 abgeschlossenen 16bän-

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digen „Vergleichenden Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts". 1909 „Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch", erarbeitet von einer 1906 eingesetzten, aus Strafrechtspraktikern bestehenden Kommission unter Vorsitz des Direktors im Preußischen Justizministerium Lucas. 1911 „Gegenentwurf" von Strafrechtslehrern der klassischen und modernen Schule (Kahl, v. Liszt, v. Lilienthal, Goldschmidt). - Spürbarer Einfluß der modernen Schule (Strafschärfung für Rückfalltäter und Gewohnheitsverbrecher, Einrichtung der Sicherungsverwahrung). 1913 „Kommissionsentwurf", erarbeitet von einer aus Wissenschaftlern und Praktikern zusammengesetzten größeren Kommission, zunächst unter dem Vorsitz von Lucas, später von Kahl. 1914-18 Unterbrechung der Reformbemühungen durch den 1. Weltkrieg. 1919 „Entwurf 1919", zusammengestellt von einem kleinen Kreis von Praktikern auf der Grundlage des Kommissionsentwurfs von 1913. Ausbau der Maßregeln der Sicherung und Besserung sowie der bedingten Strafaussetzung. Österreichischer Gegenentwurf zu dem Allgemeinen Teil des Ersten Buches des Deutschen Strafgesetzentwurfes 1919. - Der E ist Ausdruck der nach dem 1. Weltkrieg einsetzenden engeren Zusammenarbeit mit Österreich zum Zwecke der gegenseitigen Rechtsangleichung. 1920 Publikation der Entwürfe 1913 und 1919 zusammen mit einer Denkschrift. 1922 Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches, vorgelegt von dem damaligen Reichsjustizminister Gustav Radbruch. - Der E 1922 geht ebenfalls auf eine Zusammenarbeit mit dem österreichischen Bundesministerium für Justiz zurück, ist aber doch im wesentlichen das WerkGustav Radbruchs. Er ist stark geprägt von den Forderungen der modernen Strafrechtsschule. Die Geldstrafe steht im Mittelpunkt des Strafensystems; Verstärkung der Resozialisierungsmöglichkeiten durch Ersetzung der Zuchthausstrafe mit ihren entehrenden Folgen durch das „strenge Gefängnis" sowie durch Abschaffung der Ehrenstrafen; Abschaffung der Todesstrafe; Bemühungen um Verschmelzung von Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung: Möglichkeit der Vollziehung freiheitsentziehender Maßregeln vor der Strafe und danach Verzicht auf Strafvollstreckung sowie Möglichkeit, die Sicherungsverwahrung von vornherein an die Stelle der Strafe treten zu lassen. Der Entwurf Radbruchs wurde erst 1952 publiziert. 1925 Amtlicher Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches. - Der E weist einschneidende Abschwächungen der Radbruch'schen Konzeption auf. 1927 Das gilt in noch verstärktem Maße für den Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetz-

buches 1927, der das Ergebnis einer eingehenden Beratung des E 1925 im Reichsrat ist. 1930 Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches nach den Beschlüssen der ersten Lesung des Deutschen Reichstagsausschusses und den Deutschen und Österreichischen Strafrechtskonferenzen (Ausgabe von Kohlrausch = E 1930 = E Kahl). - Der E ist das Ergebnis eingehender Beratungen des E 1927 im 21. Ausschuß (Reichsstrafgesetzbuch) des Deutschen Reichstages (Vorsitz: Kahl) und verschiedener deutscher und österreichischer parlamentarischer Strafrechtskonferenzen. Wegen der Auflösung des Reichstages 1930 konnte die zweite Lesung des E nicht mehr abgeschlossen werden. Damit waren die Bemühungen um eine rechtsstaatliche Gesamtreform des deutschen Strafrechts gescheitert. 1936 Entwurf 1936 (Gürtner). - Der E ist das Ergebnis der Beratungen einer 1933 eingesetzten amtlichen Strafrechtskommission. Er löste sich weitgehend von der rechtsstaatlichen, liberalen und humanitären Grundhaltung der Entwürfe der Weimarer Zeit. Der E wurde nicht veröffentlicht. Er war den nationalsozialistischen Machthabern immer noch nicht totalitär genug und wurde deshalb nicht Gesetz. B. Die Reformbestrebungen nach dem Zusammenbruch von 1945 1953 Entschluß des damaligen Bundesjustizministers Dehler, die große Strafrechtsreform wieder in Angriff zu nehmen. Veranlassung von Gutachten deutscher Strafrechtslehrer zu Grundfragen des künftigen Strafrechts (Materialien zur Strafrechtsreform. Bd. 1.1954) und von umfangreichen rechtsvergleichenden Vorarbeiten durch das Institut für ausländisches und internationales Strafrecht der Universität Freiburg i. Br. (Materialien zur Strafrechtsreform. Bd.2. I.Allgemeiner Teil 1954. II. Besonderer Teil 1955). 1954 Berufung der Großen Strafrechtskommission (Strafrechtslehrer und -praktiker, Vertreter der Landesjustizverwaltungen und der Anwaltschaft, Abgeordnete des Deutschen Bundestages) durch den Nachfolger Dehlers, Bundesjustizminister Neumayer. Aufgabe: Beratung des Entwurfs eines neuen Strafgesetzbuches mit Unterstützung durch die Strafrechtsabteilung des Bundesjustizministeriums. Die Große Strafrechtskommission hielt bis 1959 22 Arbeitstagungen und zahlreiche (Unterkommissions-)Sitzungen ab. Die Niederschriften über die Sitzungen wurden in 14 Bänden 1956-1960 veröffentlicht. 1956 Fertigstellung eines Entwurfes des Allgemeinen Teils eines StGB (vom Bundesjustizministerium 1958 veröffentlicht).

Strafrechtsreform 1958 Fertigstellung des Allgemeinen und des Besonderen Teils; 1959 veröffentlicht vom Bundesjustizministerium aufgrund der 1. Lesung in der Großen Strafrechtskommission (E 1959 I) und der 2. Lesung (E 1959 II). 1960 Fertigstellung eines ersten Gesamtentwurfes mit Begründung im Bundesjustizministerium. Vorlage durch Bundesjustizminister Schäffer an die Bundesregierung. Von der Bundesregierung beschlossen. Der E passierte noch den Bundesrat, der Bundestag konnte ihn aber in der zu Ende gehenden 3. Legislaturperiode nicht mehr behandeln. 1962 wurde der E 1960, unwesentlich geändert, als Entwurf 1962 erneut dem Bundesrat zugeleitet und mit der Stellungnahme des Bundesrates und einigen sachlichen Änderungen durch die Bundesregierung (Bundestagsvorlage 1962, Drucks. IV/ 650) in den Bundestag eingebracht. 1963 wurde der E 1962 in erster Lesung vom Bundestag behandelt. Anschließend wurde er im Rechtsausschuß (Unterausschuß Strafrecht, später Sonderausschuß Strafrecht) beraten, konnte aber in der 4. Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet werden. In der Wissenschaft stieß der E 1962 zunehmend auf herbe Kritik. Ihm wurden vor allem eine verfehlte kriminalpolitische Konzeption, weltanschauliche Beflissenheit, zahlreiche Härten, Pedanterie und Perfektionismus vorgeworfen. Ersten Niederschlag in Gestalt eines Gegenentwurfs fand diese Kritik in dem „Entwurf eines Strafgesetzbuches, Allgemeiner Teil" des Tübinger Strafrechtlers Jürgen Baumann (Recht und Staat Heft 274/275, 1963). 1965 Um Zeit zu gewinnen, wurde der E 1962 als Initiativentwurf 1965 unverändert in den 5. Deutschen Bundestag eingebracht. 1966 ff. 1966 wurde der Sonderausschuß des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform gebildet. Wegen der Zunahme der Bedenken gegen den Gang der amtlichen Reform schlössen sich 14 deutsche und schweizerische Strafrechtslehrer zusammen, die 1966 den „Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches, Allgemeiner Teil" vorlegten (2. Aufl. 1969). Der von der Fraktion der FDP 1967 in den Bundestag eingebrachte AE wurde vom Sonderausschuß für die Strafrechtsreform mitberaten und hat die kriminalpolitische Konzeption der amtlichen Reform wesentlich beeinflußt. Dasselbe gilt für die Alternativ-Entwürfe zum Besonderen Teil: „Sexualdelikte, Straftaten gegen Ehe, Familie und Personenstand, Straftaten gegen den religiösen Frieden und die Totenruhe" (1968), „Politisches Strafrecht" (1968), „Straftaten gegen die Person, l.Halbbd." (1970), „Straftaten gegen die Person, 2. Halbbd." (1971), „Straftaten gegen die Wirtschaft" (1977).

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1969 gelang mit der Verabschiedung des 1. und des 2. Strafrechtsreformgesetzes ein wichtiger Teil der Gesamtreform. 1975 Das am 1.1.1975 in Kraft getretene 2. StrRG brachte einen neuen Allgemeinen Teil. Wegen der zum Teil einschneidenden Änderungen des Besonderen Teils durch das Einführungsgesetz zum StGB von 1974 wurde das Strafgesetzbuch am 2.1.1975 neu bekanntgemacht (BGBl. I S. 1).

ffl. DER INHALT DER WICHTIGSTEN REFORMEN A. Reformen im Allgemeinen Teil des Strafrechts 1. Grundentscheidungen der deutschen Strafrechts reform Die psychologischen, psychiatrischen und kriminologischen Forschungen der letzten hundert Jahre haben ergeben, daß die menschliche Willensfreiheit erfahrungswissenschaftlich nicht nachweisbar ist. Die Strafrechtswissenschaft konnte also jedenfalls nicht mehr mit der von der idealistischen Philosophie vermittelten Sicherheit davon ausgehen, daß sich der Mensch frei zwischen Gut und Böse, zwischen Recht und Unrecht entscheiden kann (Indeterminismus). Vielmehr mußte die zunehmende Unsicherheit des Menschenbildes zwangsläufig zu einer Abkehr vom reinen Schuld-Sühne-Denken, also von dem Vergeltungsstrafrecht im Sinne Kants und Hegels führen. Ein langwieriger, bis heute noch nicht abgeschlossener Erkenntnisprozeß führte zu der Einsicht, daß die Strafe nicht mehr als unabdingbare und zweckfreie Reaktion auf schuldhaft (= in freier Entscheidung) begangenes Unrecht begriffen werden kann. Ist der Straftäter kein selbstherrlich entscheidender und handelnder Antiheld, sondern in der Regel ein schwacher Mensch, der den Zwängen und Versuchungen seiner Umwelt besonders leicht erliegt, so drängt sich der Gedanke auf, ihn nicht vergeltend zu bestrafen, sondern ihm zu helfen, dieser Schwäche entgegenzuwirken. Demgemäß formuliert §2 Satz 1 des Strafvollzugsgesetzes vom 16.3.1976 (BGBl. I, S. 581) als Vollzugsziel, „im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen". Die Resozialisierung des Täters als strafrechtliches Ziel ist zur beherrschenden Losung der neueren Reformdiskussion - nicht nur in der Strafrechtswissenschaft - geworden, zumal man im Anschluß an die moderne Strafrechtsschule Franz von Liszts und gestützt auf neue und verfeinerte statistische Erhebungen darauf verweisen konnte, daß das klassische Vergeltungsstrafrecht gerade im Strafvollzug versagt hatte, wie die hohen Rückfallquoten (—» Rückfall und Prognose) beweisen. Verfassungs-

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rechtlich läßt sich die Forderung nach Resozialisierung aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 S. 1 GG) herleiten (Würtenberger), wobei man sich darüber im klaren sein muß, daß das Sozialstaatsprinzip noch zu wenig präzisiert ist, um daraus fertige Modelle ableiten zu können; dies gilt für das Strafrecht ebenso wie für andere Rechtsgebiete. Mit dem Kostenargument - die resozialisierungsfreundliche Ausgestaltung des Strafrechts und des Strafvollzuges ist für die Rechtsgemeinschaft auf die Dauer billiger als der wiederholte Strafvollzug an Rückfalltätern - konnten in den letzten Jahren Politiker und maßgebende Bevölkerungskreise für den Resozialisierungsgedanken gewonnen werden. Bei alledem darf aber nicht übersehen werden, daß - worauf neuerdings zu Recht verstärkt hingewiesen wird - der Aussagegehalt des Resozialisierungsbegriffes (noch) relativ beschränkt ist. Einig ist man sich nur in der Ablehnung des reinen Vergeltungsstrafrechts. Noch nicht gelungen ist eine allseits anerkannte positive Ausgestaltung und Konkretisierung der Resozialisierungsidee. Evident wird dieses Manko in dem am 1.1.1977 in Kraft getretenen Strafvollzugsgesetz, wo über allgemeine Aussagen zur Gestaltung des Vollzuges hinaus keine konkreten Behandlungsmethoden festgeschrieben sind, einfach deshalb, weil empirisch ausreichend erprobte Konzepte dieser Art noch fehlen und erst erprobt werden müssen (—» Strafvollzug). Nur am Rande sei darauf hingewiesen, daß schon der Begriff der Resozialisierung insofern nicht korrekt ist, als viele Täter noch nie sozial angepaßt waren, also bei ihnen eine (erstmalige) Sozialisierung angestrebt werden muß. Nicht unbegründet erscheint auch die Warnung vor einer Resozialisierungseuphorie, die zwar das Beste des Verurteilten will, aber an Behandlung zu viel tut und damit für den Probanden zu einem ebenso schlimmen und das Vollzugsziel gefährdenden Übel wird wie die alte Vergeltungsstrafe. Der Mitte der sechziger Jahre auch den Gesetzgeber erfassende Durchbruch der keineswegs neuen Einsicht, daß das Strafrecht in vielen Fällen nicht geeignet ist, den straffällig Gewordenen zu bessern und ihm in Zukunft ein straffreies Leben zu ermöglichen, hat nicht nur zu einer spezialpräventiven Umgestaltung des Sanktionensystems geführt, sondern darüber hinaus - neben anderen Einflüssen, etwa verfassungsrechtlicher Art - das Bestreben wach werden lassen, es schon von vornherein nicht zur Anwendung des Strafrechts kommen zu lassen, also den Kreis strafbarer Verhaltensweisen enger zu ziehen. Das hat einmal zur Streichung und Beschneidung einer ganzen Reihe von Tatbeständen geführt. Als heute bereits klassischer Bereich einer von dieser Tendenz der Gesetzgebung getragenen Durchforstung werden die Sittlichkeitsdelikte genannt. Zum anderen wurden auf Kosten des Legalitätsprinzips die Möglichkeiten aktiviert, von der

Durchführung eines Strafverfahrens trotz rechtswidriger und schuldhafter Tatbestandserfüllung abzusehen (vgl. §§153 f. StPO). - Allerdings ist zur Vervollständigung des Bildes zu vermerken, daß keineswegs eine ausschließliche Tendenz zur Strafrechtseinschränkung besteht, vielmehr in den letzten Jahren - vorwiegend aus aktuellen Anlässen durchaus auch neue Straftatbestände ins StGB gelangt sind, und zwar zur wirksameren Bekämpfung des Menschenraubes (§§239a und 239b StGB, Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme), der Luftpiraterie (§ 316 c StGB), der Wirtschaftskriminalität (§§264 und 265b StGB, Subventions- und Kreditbetrug; weitere Strafvorschriften, namentlich Tatbestände im Vorfeld des Betruges, sind vorgesehen) sowie des Terrorismus (§ 129a StGB, Bildung terroristischer Vereinigungen). Die Willensfreiheit des Menschen kann zwar nicht positiv nachgewiesen werden, sie kann aber von den Erfahrungswissenschaften bislang ebensowenig ausgeschlossen werden. „Der Mensch erscheint als ein eigentümliches Zwischenwesen zwischen Freiheit und Gebundenheit" (Dreher). Strafgesetzgebung, Strafrechtswissenschaft und Rechtsprechung können also nach wie vor, wenn auch nicht mehr bar jeden Zweifels, den Schuldgedanken postulieren, der im übrigen auch in der Bevölkerung durchaus lebendig ist, und sind nicht auf einen Determinismus festgelegt. Dies liegt auch um so näher, als unser ganzes sonstiges Rechtssystem auf die Entscheidungsfreiheit des Menschen angelegt ist: In Art. 2 Abs. 1 GG hat die Verfassung eine Grundentscheidung für die Freiheit der Person getroffen, das Zivilrecht wird nach wie vor beherrscht vom Grundsatz der Privatautonomie, und wie selbstverständlich ist allen Bürgern das Recht zuerkannt, in Wahlen über weittragende und häufig komplizierte politische Fragen zu entscheiden. „Die Freiheit pflegt man nur mit Bezug auf das Strafrecht, in dem ihre Last zu tragen ist, zu leugnen" (Bockelmann). - Neuerdings kommt auch in der Strafrechtswissenschaft die Einsicht wieder mehr zur Geltung, daß es den einheitlichen, aus Schwäche und unter dem Zwang der Umstände handelnden Täter nicht gibt. Vor allem der zielstrebig und rücksichtslos das Risiko genau kalkulierende Wirtschaftskriminelle hat wesentlich zur Korrektur des Bildes beigetragen. Diese differenzierte Betrachtungsweise sollte nicht auf den Sektor der Wirtschaftsdelinquenz beschränkt bleiben, sondern auch andere Bereiche erfassen, etwa die Wohlstands- und Begehrenskriminalität sowie die Straßenverkehrsdelinquenz. Noch der Entwurf 1959 enthielt an hervorragender Stelle in § 2 ein Bekenntis zum Schuldstrafrecht: „Wer ohne Schuld handelt, wird nicht bestraft. Die Strafe darf das Maß der Schuld nicht überschreiten" (vgl. auch §2 Abs. 2 AE). Diese Bestimmung wurde zwar in die späteren Entwürfe und auch in den seit 1.1.1975 in Kraft befindlichen neuen Allgemei-

Strafrechtsreform nen Teil des StGB nicht übernommen. Dies bedeutet jedoch keine Abkehr vom Schuldgrundsatz. Vielmehr wurde auf die Vorschrift deshalb verzichtet, weil der Schuldgrundsatz so selbstverständlich sei und sich aus zahlreichen anderen Vorschriften, z. B. über die Schuldfähigkeit (jetzt §§ 19ff. StGB) ergebe, daß er keiner besonderen Hervorhebung bedürfe. Im geltenden neuen Recht findet sich das Schuldprinzip als Grundlage der Strafbemessung in § 46 Abs. 1 S. 1 StGB, wobei man sich heute weitgehend einig darüber ist, daß die Tatschuld, nicht etwa eine Lebensführungsschuld, gemeint ist. Die Skeptiker gegenüber dem Schuldprinzip konnten diese Entscheidung des Gesetzgebers hinnehmen, weil die Schuld, auch wenn man ihre metaphysische Verwurzelung zunehmend leugnet, ganz pragmatisch dazu dient, die Strafe nach oben zu begrenzen, während ein reines Resozialisierungsstrafrecht die Dauer der Behandlung des Täters vom Resozialisierungserfolg abhängig machen müßte. Niemand denkt aber ernsthaft daran, einen Täter, der wiederholt kleine oder auch mittelschwere Diebstähle oder Betrügereien begangen hat, möglicherweise bis an sein Lebensende zu behandeln. Immer wieder wurde auch darauf hingewiesen, daß bei einem Verzicht auf den Schuld-SühneGedanken die NS-Gewaltverbrecher heute nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden könnten, da sie sich längst in die Gesellschaft (wieder-)eingegliedert hätten, so daß keinerlei Resozialisierungsbedürfnis bestehe, ein ausschließliches Besserungsstrafrecht also strafrechtliche Sanktionen nicht verhängen könnte. Ein Sanktionsverzicht in diesen Fällen sei jedoch für das Gerechtigkeitsempfinden unerträglich. Schließlich sollte die heilsame strafprozeßbeschränkende Wirkung eines an der Tatschuld orientierten Strafrechts nicht zu gering veranschlagt werden. Die Verantwortlichkeit für eine ganz konkrete Tat läßt sich trotz aller Vorbehalte gegenüber der prozessualen Feststellbarkeit der subjektiven Tatseite immer noch ungleich leichter ermitteln als die Anti- oder Asozialität einer Person und deren Behandlungsbedürftigkeit, deren Feststellung (durch wen?) zu einer totalen Entschleierung der Persönlichkeit führen müßte, die auch verfassungsrechtlich (Art. 1 Abs. 1 GG) schwerlich hingenommen werden könnte. Mit dem Festhalten am Schuldprinzip in den jüngsten Reformen waren zugleich die Würfel für die grundsätzliche Beibehaltung der überkommenen Strukturen des Strafrechts, also der tatbestandlichen Vertypung des strafwürdigen Unrechts und der Zweiteilung der Sanktionen in Strafe und Maßregeln der Besserung und Sicherung gefallen. Sowohl das Strafen- als auch das Maßregelsystem wurde zwar resozialisierungsfördernder ausgestaltet - Verzicht auf die entehrende Zuchthausstrafe, Zurückdrängung der kriminalpolitisch unerwünschten kurzfristigen Freiheitsstrafe zugunsten der Geld-

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strafe, Erweiterung der Strafaussetzung zur Bewährung, Möglichkeit der Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt, grundsätzlich Vollzug der Maßregeln vor einer daneben verhängten Freiheitsstrafe und Anrechnung des Maßregelvollzuges auf die Freiheitsstrafe - , aber es wurde doch eine deutliche Absage an die grundsätzliche Ablösung des Strafrechts durch ein System therapeutischer und pädagogischer Maßnahmen i. S. der extremen, namentlich von Gramatica repräsentierten Richtung der défense sociale erteilt. Noch unter dem Eindruck der schrecklichen Erfahrungen mit einem die rechtsstaatlichen Grenzen verlassenden Strafrecht in der Zeit des Nationalsozialismus, war es Ziel der Regierungsentwürfe der sechziger Jahre, unbedingt an einer präzisen gesetzlichen Umschreibung der Voraussetzungen strafrechtlicher Rechtsfolgen festzuhalten, was mit einem an die Antisozialität und Gefährlichkeit einer Person anknüpfenden Behandlungsrecht, das mit Maßnahmen gar nicht warten möchte, bis ein Delikt begangen wird, unvereinbar wäre. Mit einem derartigen Präventionsrecht hätte man auch die Tradition der modernen deutschen Strafrechtsschule Franz von Liszts verlassen; von Liszt hatte bekanntlich stets eine genaue tatbestandliche Umschreibung desjenigen Verhaltens gefordert, das strafrechtliche Rechtsfolgen auslösen sollte. Schließlich fehlte es an zuverlässigen breiteren empirischen Erfahrungen mit einem reinen Behandlungsrecht. Ohne Zweifel hat jedoch der gemäßigte, etwa von Marc Ancel vertretene Zweig der défense sociale über den Alternativentwurf stark auf die Ausgestaltung der strafrechtlichen Rechtsfolgen eingewirkt, wie sie seit dem l . S t r R G von 1969 geltendes Recht sind (jetzt 3. Abschnitt, §§38 ff. des Allgemeinen Teils der seit 1.1.1975 in Kraft befindlichen Neufassung des StGB). Aber nicht nur das doch noch tiefer als häufig zugegeben in unserem Rechtsdenken verwurzelte Schuldprinzip hat den Reformgesetzgeber von der Schaffung eines noch stärker ausgeprägten Resozialisierungsstrafrechts zurückgehalten. Obwohl die Generalprävention im neuen Recht nirgends ausdrücklich erwähnt wird, hat doch die Idee der abschreckenden Wirkung der Strafe auf die Allgemeinheit mit dazu beigetragen, dem Strafrecht seinen Charakter der Zufügung eines spürbaren Übels zu erhalten. So wurde das Mindestmaß der Freiheitsstrafe auf einen Monat festgesetzt (§ 38 Abs. 2 StGB), während der Alternativ-Entwurf hierfür 6 Monate vorgeschlagen hatte (§36 Abs. 1 AE). Als weitere, nur generalpräventiv zu erklärende Abweichungen der Reformgesetzgebung von den Alternatiworschlägen seien genannt: Höchstmaß der Geldstrafe nach §40 Abs. 1 S. 1 StGB 360 Tagessätze, §49 Abs. 1 S. 2 AE: 24 Monatssätze, also das Doppelte; Möglichkeit der Ersetzung der allein angedrohten Freiheitsstrafe durch Geldstrafe bis zu sechs Monaten (§47 Abs. 2 StGB), § 50 Abs. 1 AE:

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bis zu zwei Jahren; entgegen § 57 AE keine Verwarnung mit Strafvorbehalt bei Freiheitsstrafe, sondern nur - und auch dort nur bei Vorliegen besonderer Umstände - bei der Geldstrafe (§59 StGB); Zurückhaltung im Einsatz der „dritten Spur" des Strafrechts, der Strafaussetzung zur Bewährung, schon was die Höhe der aussetzungsfähigen Strafe anlangt (§ 40 Abs. 1 AE: Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren, §56 Abs. 1 StGB: Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr im Normalfall); Absehen von Strafe bei „Bestrafung" des Täters durch die Tatfolgen, wenn nicht eine höhere als einjährige Freiheitsstrafe verwirkt ist (§60 StGB), §58 Abs. 1 AE: Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren, außerdem Einbeziehung außergewöhnlich schwerer Konfliktslagen in dieses Rechtsinstitut. Trotz aller Streitigkeiten über die Auslegung dieses Begriffes im einzelnen ist man sich einig darüber, daß die „Verteidigung der Rechtsordnung" in §§47 und 56 Abs. 3 StGB stark generalpräventive Elemente aufweist (zum Verständnis dieser Formel in der Rechtsprechung vgl. BGHSt. 24, 40 und 64, wo entscheidend auf den Gesichtspunkt der Erhaltung der Rechtstreue in der Bevölkerung abgestellt wird). Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die Reformgesetzgebung nicht zur Verdrängung auch nur eines der hergebrachten Strafzwecke aus dem StGB gefühlt hat. Vielmehr ist unser Strafrecht weiterhin der Schuldvergeltung verpflichtet, und es verfolgt daneben spezial- wie auch generalpräventive Zwekke. Nach wie vor besteht also die Schwierigkeit, die verschiedenen Strafzwecke miteinander in Einklang zu bringen, was die Vereinigungstherorie mit voneinander teilweise so stark abweichenden Schattierungen versucht, daß es eher angebracht erscheint, von verschiedenen Vereinigungstheorien zu sprechen. Es ist verlockend, das Dilemma dadurch aufzulösen oder doch zu entschärfen, daß man den verschiedenen Stadien, in denen das Strafrecht dem einzelnen entgegentritt, verschiedene Strafzwecke zuordnet, nämlich die Generalprävention der durch den Gesetzgeber erfolgenden Strafandrohung, die Schuldvergeltung der in die Hand des Richters gelegten Verhängung der Strafe und die Resozialisierung der von der Vollzugsbehörde vollzogenen Strafe. Die reine Durchführung einer derartigen Dreiteilung ist jedoch nicht möglich, da das Strafrecht trotz dieser Aufgliederung in verschiedene Etappen eine Einheit bleibt. Man wird also besser nur von einer Schwerpunktbildung in dem geschilderten Sinne reden. Denn selbstverständlich verbietet die Menschenwürde und der im Rechtsstaatsprinzip enthaltene Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dem Gesetzgeber die Androhung nicht schuldangemessener Strafen nur um einer besonders intensiven generalpräventiven Wirkung willen. Und ebenso selbstverständlich darf der Richter bei der Strafverhängung nicht nur nach dem Schuldvergel-

tungsprinzip verfahren, sondern muß die Wirkung der Strafe auf den Verurteilten, also spezialpräventive Gesichtspunkte, berücksichtigen. Schließlich hat sich ein noch so resozialisierungsfreundlicher Strafvollzugsstab bewußt zu bleiben, daß gerade auch der Vollzug der Strafe dem Schuldausgleich und „dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten" (§ 2 S. 2 StVollzG) dient. Trotz vielfältiger Bemühungen ist es auch auf anderen Wegen nicht gelungen, eine allseits akzeptierte Harmonie der Strafzwecke zu schaffen. Es blieb vielmehr eine Unsicherheit bereits in den ganz elementaren Fragen unseres Strafrechts, die allein schon verhindern wird, sich für längere Zeit mit dem jetzt erreichten Stand dieses Rechtsgebiets abzufinden. Zu hoffen bleibt, daß Korrekturen der jetzigen kriminalpolitischen Konzeption nicht sprunghaft, etwa nur anläßlich aktueller Erscheinungen, wie z. B. des Terrorismus, sondern wohlüberlegt und mit Blick darauf erfolgen, daß jeder Eingriff Auswirkungen auf die Balance des gesamten Systems zur Folge hat. Was die Rechtspraxis anlangt, so dürfte bei dem entscheidenden Akt der Strafzumessung auch in Zukunft die vom Bundesgerichtshof (BGHSt. 7,28, 32; 20, 264, 267; 24, 132, 134) und überwiegend im Schrifttum (vgl. die Nachweise bei Schönke-Schröder: StGB, 21. Aufl. 1982 Rdn. 10 vor §§38ff.) vertretene Spielraumtheorie das Feld beherrschen, die von der Prämisse ausgeht, der Richter habe innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens einen zusätzlichen, durch die Schwere des konkreten Falles abgesteckten (engeren) Rahmen (= Spielraum), innerhalb dessen die Strafe nach unten schon und nach oben noch schuldangemessen sei. Innerhalb dieses Spielraums könne er anderen Strafzwecken (Abschreckung und Sicherung der Allgemeinheit, Resozialisierung des Täters) Raum geben. Die Spielraumtheorie kann sich zwar (auch) auf §46 Abs. 1 S. 1 StGB stützen, wonach die Schuld des Täters Grundlage für die Zumessung der Strafe ist. Aber sie ist nicht die einzige Konsequenz aus dieser Bestimmung. Vielmehr ließe es sich mit dem vom Gesetzgeber bewußt unverbindlich gehaltenen Begriff „Grundlage" durchaus vereinbaren, die schuldangemessene Strafe - etwa aus generalpräventiven Überlegungen - zu überschreiten oder aus spezialpräventiven Erwägungen - zu unterschreiten, wenn man sich dabei nur nicht allzusehr ( = grundsätzlich) vom Schuldprinzip entfernt. Die Vorstellung der Schuldüberschreitung ist - trotz der (bislang) gefestigten gegenteiligen Rechtsprechung (vgl. insbesondere BVerfGE 45, 187, 260) - derart beunruhigend, daß man sich insoweit ein klares Verbot des Gesetzgebers i. S. der §§2 Abs. 2, 59 Abs. 1 S. 1 AE gewünscht hätte. Zu begrüßen ist dagegen, daß der Reformgesetzgeber die Spielraumtheorie nicht nach unten festgeschrieben hat, bleibt doch auf diese Weise Raum für eine eventuell für notwendig erachtete Änderung der gegenwärti-

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Strafrechtsreform gen Rechtsprechung in Richtung auf eine Verhängung auch das Schuldmaß unterschreitender Strafen aufgrund eines überwiegenden Resozialisierungsinteresses.

2. Geltungsbereich des Strafgesetzes a ) D e r z e i t l i c h e G e l t u n g s b e r e i c h . Der Reformgesetzgeber hat das in Art. 103 Abs. 2 G G - neben dem Bestimmtheitsgrundsatz und dem Analogieverbot- enthaltene Rückwirkungsverbot für so wichtig erachtet, daß es nunmehr, als Anweisung an den strafrechtsanwendenden Richter, an hervorragender Stelle des StGB in § 1 wörtlich wiederholt wird. Was die zeitliche Geltung des Strafgesetzes im übrigen anlangt, so ist es in § 2 StGB im wesentlichen bei der schon früher geltenden Regelung geblieben. In §2 Abs. 5 StGB wird allerdings nunmehr ausdrücklich hervorgehoben, daß Verfall, Einziehung und Unbrauchbarmachung wegen ihres teilweise pönalen Charakters den gleichen Grundsätzen unterliegen wie die Strafe und ihre Nebenfolgen. Verfassungsrechtlich bedenklich ist die Beibehaltung der Ausnahme der Maßregeln der Besserung und Sicherung vom Rückwirkungsverbot (§ 2 Abs. 6 StGB). Für die Maßregeln ist also der Zeitpunkt der Entscheidung maßgebend, falls nichts anderes bestimmt ist. Eine solche gegenteilige Bestimmung, die das 2. StrRG zunächst für die Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt, für die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung und für die Führungsaufsicht vorgesehen hatte, wurde durch das EGStGB wieder gestrichen, so daß nunmehr lediglich die Übergangsvorschriften in Art. 301, 303 und 305 EGStGB gelten, die für die sozialtherapeutische Anstalt, die Führungsaufsicht und das Berufsverbot n. F. Rückwirkungsverbote anordnen. Demgegenüber hatte der A E in § 1 Abs. 2 generell für die Verhängung von Maßregeln gesetzliche Bestimmtheit zur Zeit der Tat verlangt, mit der Begründung, „daß die Maßregeln überaus schwere Eingriffe in die Rechtsgüter des Betroffenen bedeuten und wie eine Strafe repressiv wirken können". b) Z u m r ä u m l i c h e n und p e r s ö n l i c h e n G e l t u n g s b e r e i c h des deutschen Strafrechts ist hervorzuheben, daß das 2. StrRG in § 3 StGB zu dem Territorialitätsprinzip zurückgekehrt ist, dem bereits das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 gefolgt war, das aber 1940 zugunsten des aktiven Personalprinzips aufgegeben worden war. Zutreffend ist dazu in der Begründung des E 1962 ausgeführt, „bei dem gegenwärtigen Verhältnis der Kulturstaaten zueinander (werde) ein Anspruch des Staates, dem Staatsangehörigen überall hin in der Welt mit dem heimischen Strafrecht zu folgen, fragwürdig". Nicht Aufgabe des Strafrechts ist nach traditioneller Auffassung die Bestimmung des Inlands- und Aus-

landsbegriffs. Das deutsche Strafrechtsanwendungsrecht enthält deshalb nach wie vor keine Regelung dieses Problems, das naturgemäß vor allem hinsichtlich der in der D D R begangenen Straftaten eine erhebliche Rolle spielt. Im Schrifttum setzte sich, zumal nach den Verträgen mit Polen und der D D R , entgegen der früheren Rechtsprechung des B G H und des BVerfG immer stärker die Auffassung durch, daß Inland nicht mehr das Deutsche Reich in den Grenzen vom 31.12.1937, sondern nur noch das Territorium der Bundesrepublik Deutschland sein kann, mit der Folge, daß in der D D R begangene Straftaten wie Auslandstaten zu behandeln sind; so im Grundsatz jetzt auch BGHSt. 30, 1 ff. Unbefriedigend bleibt allemal, daß die Entscheidung politisch derart intrikater Fragen beim Strafrichter hängengeblieben ist.

3.

Begriffsbestimmungen

Im Anschluß an den E 1962 definiert § 11 StGB i. d. F. des 2. StrRG eine Reihe von Personen- und Sachbegriffen, deren sich der Gesetzgeber im StGB häufig bedient. Teilweise handelt es sich dabei um Begriffsbestimmungen, die bereits im alten Recht dort enthalten waren, wo sie die praktisch bedeutsamste Rolle spielten, etwa der Angehörigenbegriff beim Nötigungsnotstand des §52 StGB a. F. oder der Unternehmensbegriff zunächst bei den Hochverratsdelikten, später - seit dem 8. StrRÄndG von 1968 - in §46a StGB a . F . im Anschluß an den Rücktritt vom Versuch. Teilweise handelt es sich um die Umschreibung von Begriffen, die zwar schon bislang vom Gesetz verwendet, aber nicht definiert waren, etwa der Begriff des Richters, oder die erst durch das 2. StrRG ins StGB aufgenommen wurden, wie der Begriff des für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten. Während noch der E 1962 in § 11 Abs. 1 Nr. 1 eine Definition der Straftat enthalten hatte, die allerdings als irreführend und überflüssig kritisiert wurde, verzichtete das 2. StrRG ganz auf eine Definition. Das EGStGB brachte dann die nunmehr in §11 Abs. 1 Nr. 5 StGB enthaltene Definition des im Gesetz häufig verwendeten Begriffs „rechtswidrige Tat", um klarzustellen, daß immer nur eine solche rechtswidrige Tat gemeint ist, die den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt. Es handelt sich also um nichts weiter als eine Abgrenzung des strafrechtswidrigen von dem nach anderen Normen - des öffentlichen oder Zivilrechts - rechtswidrigen Verhalten. Insbesondere wollte der Gesetzgeber keine Entscheidung darüber treffen, ob der Vorsatz der Handlung und damit dem Tatbestand (so die finale Handlungslehre) oder der Schuld (so die sog. kausale Handlungslehre) zuzurechnen ist, wie sich der Reformgesetzgeber auch sonst weitgehend der Entscheidung von dogmatischen Grundlagenfragen enthalten hat, welche die

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Strafrechtsreform

Strafrechtswissenschaft teilweise stark bewegt haben. 4. Einteilung

der Straftaten. Bewältigung tellkriminalität

der Baga-

a ) E i n t e i l u n g d e r S t r a f t a t e n . Im Gegensatz zur Bestimmung der Personen- und Sachbegriffe in § 11 StGB, die mehr rechtstechnischer Natur ist, steht die im 2. StrRG vorgenommene, nunmehr in § 12 StGB enthaltene Zweiteilung der Straftaten in Verbrechen und Vergehen (Dichotomie), welche die ursprüngliche, aus dem französischen Recht stammende Dreiteilung in Verbrechen, Vergehen und Übertretungen (Trichotomie) abgelöst hat, in Verbindung mit einem zentralen und alten Anliegen der Strafrechtsreform, nämlich der Abschichtung des Bagatellunrechts vom echten kriminellen Verhalten (Tendenz der Entkriminalisierung). Es ist also in diesem Zusammenhang geboten, zum einen auf die Entwicklung des Ordnungswidrigkeitenrechts einzugehen und zum anderen über das materielle Strafrecht hinaus einen Blick auf die strafprozessualen Bemühungen zur Bewältigung des Bagatellunrechts zu werfen. b) B e w ä l t i g u n g der B a g a t e l l k r i m i n a l i t ä t . aa) Entwicklung des Ordnungswidrigkeitenrechts. Die Bemühungen, aus dem Strafrecht nicht kriminelle ( = nicht strafwürdige) Verhaltensweisen herauszulösen und gesondert als Zuwiderhandlungen zu erfassen, die keinen ethisch verwurzelten Vorwurf gegen den Täter begründen, sondern nur als sittlich neutrales Polizei- oder Verwaltungsunrecht zu werten sind, reichen bekanntlich bis ins Mittelalter zurück. Der Gesetzgeber des RStGB von 1871 hat die Problematik zwar erkannt, aber vor den Schwierigkeiten ihrer gesetzestechnischen Bewältigung kapituliert und in den 29. Abschnitt des Besonderen Teils des StGB Übertretungen aufgenommen, wobei von vornherein umstritten war, ob es sich bei den §§ 360 ff. StGB a. F. um qualitativ von den Verbrechens- und Vergehenstatbeständen abgrenzbares Polizeiunrecht oder nur um quantitativ minderes Unrecht handelt. Jedenfalls enthielten die Übertretungen kriminelles Unrecht. Ihre Aufnahme ins StGB führte zu der erwähnten Dreiteilung der Delikte. Übertretung war eine Handlung, die mit Haft- oder Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark bedroht war. Die ständige Ausdehnung des Verwaltungsrechts im Zuge der Entwicklung des Staates vom liberalen Nachtwächterstaat zum Daseinsvorsorge gewährenden Sozialstaat sowie speziell das Erfordernis staatlicher Wirtschaftslenkung in Krisenzeiten (Kriegs- und Nachkriegszeiten) ließen den nebenstrafrechtlichen Normenbestand in einem kaum noch überschaubaren Ausmaß anwachsen. Es erschien zunehmend unerträglich, alle diese im Nebenstrafrecht erfaßten Zuwiderhandlungen, die sich häufig darin erschöpften, Sand

ins Getriebe der Verwaltung zu streuen, zwar zumeist nur als Übertretungen, aber damit doch als kriminelles Unrecht zu erfassen, nicht zuletzt auch wegen der damit verbundenen Überlastung der Strafgerichte. Der Gesetzgeber ging deshalb im Wirtschaftsstrafrecht dazu über, den Verwaltungsbehörden die Ahndung geringfügiger Verstöße mit Ordnungsstrafen zu gestatten, ohne daß es ihm trotz frühzeitig einsetzender theoretischer Bemühungen (James Goldschmidt bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in den zwanziger und dreißiger Jahren dann insbesondere Erik Wolf) - gelungen wäre, ein allgemeingültiges, befriedigendes Abschichtungskriterium zu entwickeln. Dies gelang erst im Wirtschaftsstrafgesetz (WiStG) 1949, dank der Vorarbeit von Eberhard Schmidt: Die Straftaten sind ethisch vorwerfbare Rechtsgutsbeeinträchtigungen, die Ordnungswidrigkeiten ethisch wertneutraler Verwaltungsungehorsam (qualitative Abgrenzung). Der damit gewonnene Maßstab für die Differenzierung von kriminellem und bloßem Verwaltungsrecht ermöglichte 1952 die Schaffung eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten als materiellund verfahrensrechtliches Rahmengesetz für alle Ordnungswidrigkeiten. Hauptsanktion der Ordnungswidrigkeit wurde die Geldbuße, die von der Verwaltungsbehörde verhängt wird, gegen deren Entscheidung die ordentlichen Gerichte angerufen werden können. Der Bundes- und die Landesgesetzgeber gestalteten in der Folgezeit nicht nur bereits im Nebenstrafrecht vorhandene Übertretungs-, teilweise auch Vergehenstatbestände zu Bußgeldtatbeständen um, sondern schufen darüber hinaus eine Unzahl von neuen Ordnungswidrigkeiten in nahezu allen Rechtsbereichen; man vergleiche die schwindelerregende, nahezu eintausend Nummern umfassende „Übersicht über die Bußgeldvorschriften im Bundes- und Landesrecht" auf S. 1145 ff. der 5. Aufl. (1977) des Kommentars zum OWiG von Göhler. Der Siegeszug des Ordnungswidrigkeitenrechts war zugleich der Todesstoß für die Übertretungen. Dies um so mehr, als der Gesetzgeber die Abgrenzung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten zunehmend nicht mehr nach qualitativen, sondern nach quantitativen Kriterien, also nicht nach der Art, sondern nach dem Grad des verwirklichten Unrechts vornahm, so daß das Feld der Ordnungswidrigkeiten keineswegs nur mehr das Verwaltungs- und Polizeiunrecht, sondern das Bagatellunrecht schlechthin wurde. Jedermann sichtbar wurde diese Entwicklung mit der Umgestaltung der Straßenverkehrsübertretungen zu Ordnungswidrigkeiten durch das Einführungsgesetz zum OrdnungswidrigkeitenG von 1968 - der nach der Massenhaftigkeit der Zuwiderhandlungen bedeutendste Entkriminalisierungsakt der deutschen Strafrechtsreform. Ohne Rücksicht auf die Rechtsnatur der im StGB enthaltenen Übertretungen Polizeiunrecht oder nicht - war also ihre Umgestaltung zu Ordnungswidrigkeiten zwingend vorge-

Strafrechtsreform zeichnet. Bereits der E 1956 (veröffentlicht 1958) sah folgerichtig keine Übertretungen mehr vor. Endgültig beseitigt wurden sie jedoch erst durch das EGStGB von 1974, das in der Entkriminalisierung sogar noch einen Schritt weitergegangen ist und auch alle außerhalb des StGB angesiedelten leichten (mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von einem niedrigeren Höchstmaß als sechs Monate bedrohten) Vergehen zu Ordnungswidrigkeiten herabgestuft hat (Art. 13 EGStGB). Die im StGB enthaltenen Übertretungen wurden entweder ersatzlos gestrichen - z. B. Bettelei und Landstreicherei - , in Ordnungswidrigkeiten umgewandelt - so der grobe Unfug, der in drei Bußgeldtatbestände aufgespalten wurde: § 117 OWiG (unzulässiger Lärm), § 118 OWiG (Belästigung der Allgemeinheit), §119 OWiG (grob anstößige und belästigende Handlungen); die falsche Namensangabe (§111 OWiG); das Halten gefährlicher Tiere (§ 121 OWiG) - oder zu Vergehen aufgewertet - so der frühere Mundraub, der nunmehr dem § 242 StGB unterfällt und lediglich durch das Antragserfordernis nach §248a StGB gegenüber dem normalen Diebstahl privilegiert ist. - Man kann also nicht von einer reinen Entkriminalisierungstendenz sprechen, und es wird sich auch bei der Betrachtung des Besonderen Teils des StGB zeigen, daß keineswegs nur Straftatbestände gestrichen oder eingeengt, sondern auch neu ins StGB gelangt sind. Das OWiG 1952 wurde - veranlaßt vor allem durch verfahrensrechtliche Überlegungen - 1968 durch ein neues Gesetz über Ordnungswidrigkeiten abgelöst, das wichtige dogmatische Grundentscheidungen, die dann auch Eingang ins StGB gefunden haben, vorweggenommen hat. Es enthält neben einem Ersten Teil, der dem Allgemeinen Teil des StGB entspricht, und einem Zweiten, verfahrensrechtlichen Teil, in einem Dritten Teil eine Reihe von Bußgeldtatbeständen, die im wesentlichen den früher im StGB enthaltenen Übertretungstatbeständen entsprechen. Anders als der Besondere Teil des StGB, wo der Kernbereich des Strafrechts erfaßt ist, sind jedoch in diesem Dritten Teil des OWiG nicht die wichtigsten Bußgeldtatbestände zusammengefaßt, sondern er enthält - unsystematisch - die Ordnungswidrigkeiten, die nicht in besonderen Gesetzen des Bundes- oder Landesrechts untergebracht werden konnten (vgl. zum ganzen: Göhler. Ordnungswidrigkeitengesetz. 6. Aufl. 1980, insbes. Einleitung, Vorbemerkungen vor § 1 sowie Vorbemerkungen vor § 111). Unbefriedigend bleibt die Zerstreuung der Bußgeldtatbestände in einer Unzahl von Gesetzen und Verordnungen, ein Mißstand, dem sich allerdings wegen der Verzahnung mit der jeweils zugrunde liegenden Rechtsmaterie nicht nennenswert abhelfen läßt. Bei der Zusammenfassung aller oder doch der wesentlichen Ordnungswidrigkeiten in einem Gesetz müßte nämlich jeweils eine mit einem kaum vertretbaren Aufwand verbundene eigenständige

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tatbestandliche Umschreibung des Unrechts erfolgen, während sich jetzt der Gesetzgeber mit Blankettnormen, zumeist am Schluß der einzelnen Gesetze, begnügen kann, ein Verfahren, das allerdings die Gefahr mangelnder Bestimmtheit mit sich bringt, weil die blankettausfüllenden Normen naturgemäß häufig nicht am Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG) orientiert sind. Zu hoffen bleibt, daß es der Gesetzgeber nicht bei der Durchforstung des (Neben-)Strafrechts auf entbehrliche Strafvorschriften bewenden läßt, sondern demnächst auch das Ordnungswidrigkeitenrecht einer ähnlichen kritischen Prozedur unterzieht. Die Verwaltung muß wieder mehr daran gewöhnt werden, widerborstigen Bürgern mit ihrem ureigensten Instrumentarium - Ersatzvornahme, Zwangsgeld, unmittelbarer Zwang - zu begegnen. Bei einer solchen Musterung des Ordnungswidrigkeitenrechts dürfte sich dann aber andererseits auch bestätigen, daß manche rechtswidrigen Verhaltensweisen als Ordnungswidrigkeiten nur unzulänglich erfaßt sind und dringend ins Kriminalstrafrecht übernommen werden müßten. Als Beispiel seien gewisse immer wieder angeprangerte gravierende Kartellrechtsverstöße genannt (vgl. §38 GWB einerseits und die §§170-173 A E BT, Straftaten gegen die Wirtschaft, andererseits). bb) Andere materiellrechtliche Lös u n g s v e r s u c h e . Der Verzicht auf die Übertretungen hat keineswegs alle Probleme der Bagatellkriminalität beseitigt. Ungelöst blieb vor allem die Frage, was in den Fällen zu geschehen hat, die sich im untersten Bereich der Vergehenskriminalität bewegen und in denen der Einsatz des Strafrechts gemessen am ultima-ratio-Prinzip problematisch erscheint. Praktisch handelt es sich um die kleinen Eigentums- und Vermögensdelikte sowie um Bagatellfälle der Körperverletzung, also Massenerscheinungen, was die Lösung der Problematik auch unter dem Gesichtspunkt einer Entlastung der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte dringlich macht. Der Gesetzgeber konnte sich bislang nicht zu materiellrechtlichen Lösungen entschließen, die in der Tat auf beträchtliche Schwierigkeiten stoßen. Wie soll etwa der Diebstahls- oder Körperverletzungstatbestand gefaßt werden, damit nicht strafwürdige Wegnahmehandlungen bzw. Eingriffe in die körperliche Integrität im Bereich des Straflosen bleiben? Nicht weniger schwierig ist die andere denkbare Lösung, nämlich eine brauchbare Formel für die Abschichtung tatbestandsmäßigen Verhaltens von geringem Gewicht als Ordnungswidrigkeit zu finden, ganz abgesehen davon, daß immer noch Hemmungen bestehen, Verhaltensweisen im klassischen Bereich der Kriminalität zu Ordnungswidrigkeiten herabzustufen; hier wirkt die Auffassung nach, Ordnungswidrigkeitsunrecht sei Polizei- und Verwaltungsunrecht und damit ungeeignet, handfeste Angriffe auf konkrete Individualrechtsgüter an-

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gemessen zu sanktionieren. Die Schwierigkeiten von materiellrechtlichen Globallösungen, etwa im Bereich der kleinen Eigentums- und Vermögenskriminalität, haben Versuche sektoraler Lösungen für ganz bestimmte rechtstatsächliche Erscheinungen auf den Plan gerufen. Zu nennen ist zunächst der im Alternativ-Kreis erarbeitete „Entwurf eines Gesetzes gegen Ladendiebstahl (AE-GLD)" von 1974. Er geht davon aus, daß sich der Ladendiebstahl wesentlich von anderen Diebstahlsfällen unterscheidet, weil der Kunde geradezu zur Wegnahme aufgefordert werde, so daß der Unrechtsgehalt weniger im Zugriff auf das in der weggenommenen Sache verkörperte fremde Eigentum als im Ausbleiben der Gegenleistung liege. Die Tat stelle sich m. a. W. als ein keinem herkömmlichen Deliktstypus eindeutig zuzuordnender Angriff auf fremdes Vermögen dar, der eine Sonderregelung folgenden Inhalts rechtfertige: Straflosigkeit von Erst-, eventuell auch noch von Zweittätern, wenn durch die Tat kein höherer Schaden als maximal 500,- DM angerichtet wurde. Ersetzung der strafrechtlichen Sanktion durch eine pauschalierte Schadensersatzleistung, mit der neben dem Ausgleich des konkreten Schadens die allgemeinen Aufwendungen des Ladeninhabers zur Abwehr von Ladendiebstählen sowie seine Kosten für evtl. ausgesetzte Fangprämien abgegolten werden. Eintragung der zivilrechtlichen Sanktionen in ein Sanktionsregister, das der Ermittlung von Wiederholungstätern und der spezialpräventiven Einwirkung auf den Täter dient. Obwohl mit einer derartigen Lösung aus dem geltenden Recht resultierende Mißstände (Unklarheiten im Umfang des zivilrechtlichen Schadensersatzes, Gefahr der Ungleichbehandlung bei der strafprozessualen Lösung; dazu auch nachstehend cc) beseitigt würden, hat die überwiegende Mehrheit in der Abteilung „Sanktionen für Kleinkriminalität" des 51. Deutschen Juristentages in Stuttgart 1976 das AE-Modell abgelehnt: Eine sektorale strafrechtliche Regelung des Ladendiebstahls versperre entweder ganz den Weg zu einer umfassenden gesetzgeberischen Bewältigung der Bagatellkriminalität oder präjudiziere doch eine umfassende Lösung in einer Weise, die dann möglicherweise nicht für den ganzen Komplex passe; die Entkriminalisierung eines so archetypischen Delikts wie des Diebstahls sei wegen der damit verbundenen Gefahr einer Korrumpierung der Rechtstreue der Allgemeinheit nicht vertretbar; eine prozessuale Lösung belasse den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten den nötigen Spielraum für eine sachgerechte Behandlung des Einzelfalles. - Die Entscheidung des 51. DJT dürfte kein Zufallsergebnis sein, sondern sie ist m. E. symptomatisch für die gegenwärtige Einstellung maßgebender Kreise, etwa des Deutschen Richterbundes, so daß eine materiellrechtliche Entschärfung der Ladendiebstahlsproblematik durch den Gesetzgeber in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist.

Ähnlich verhält es sich mit der Betriebskriminalität, zu der ein - ebenfalls vom AE-Kreis erarbeiteter - „Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Betriebsjustiz" aus dem Jahr 1975 (AE-BJG) vorliegt, der die Ahndung typischerweise von Betriebsangehörigen während der Arbeitszeit oder im Zusammenhang mit einer dienstlichen Verrichtung gegeneinander oder gegenüber dem Betrieb begangener Taten (also nicht nur Eigentums- und Vermögensdelikte, sondern auch Personendelikte wie Körperverletzung und Beleidigung) durch eine Schiedsstelle vorsieht, soweit die Delikte nicht im Hinblick auf ihre Folgen, die Art ihrer Begehung oder wegen beharrlicher Wiederholung als schwerwiegend anzusehen sind. Das Verfahren zielt auf die Wiederherstellung des Betriebsfriedens und die Verhinderung künftiger Verfehlungen. „Dabei ist in erster Linie auf einvernehmliche Beilegung des Vorfalles unter den Beteiligten (Schlichtung) hinzuwirken. Soweit erforderlich, ist eine Sanktion auszusprechen" (§2 AE-BJG). Als Sanktionen kommen in Betracht die Verwarnung, die Verpflichtung zur Wiedergutmachung des Schadens, Geldbuße bis zur Höhe eines monatlichen Einkommens im Betrieb, Versetzung und Kündigung, jedoch nur im Rahmen der Zulässigkeit einer außerordentlichen Kündigung (vgl. im einzelnen §3 AE-BJG). Gegen Entscheidungen der Schiedsstelle sollen die staatlichen Gerichte angerufen werden können. Die gegen dieses Modell, insbesondere gegen die Ausschaltung der staatlichen Strafgerichtsbarkeit, vorgebrachten Bedenken verlieren entscheidend an Gewicht, wenn man sich vor Augen hält, daß Betriebsjustiz seit Jahren in großem Umfang und in verschiedenen Formen geübt wird, eine gesetzliche Regelung mithin kaum noch faktische Entkriminalisierung bedeuten, sondern lediglich eine tatsächliche Erscheinung rechtlich kanalisieren und damit Mißbräuchen zum Nachteil der Betroffenen steuern würde. c c ) P r o z e s s u a l e L ö s u n g . Nachdem die materiellrechtlichen Versuche zur Bewältigung der Bagatellkriminalität vorläufig gescheitert sind, wird man sich auf absehbare Zeit hinaus mit der im EGStGB von 1974 getroffenen prozessualen Lösung abfinden müssen. Diese zerfällt in zwei Maßnahmen: Die Ausgestaltung des Diebstahls und der Unterschlagung geringwertiger Sachen zu Antragsdelikten in § 248 a StGB - falls nicht ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht - , mit entsprechenden Regelungen für Begünstigung, Hehlerei, Betrug und Untreue (sonderbarerweise nicht für die Wilderei) einerseits, die gravierende Durchbrechung des Legalitätsprinzips in den §§ 153, 153 a StPO andererseits. §248a StGB, der im Hinblick auf die bereits erwähnte Heraufstufung des Mundraubs (§ 370 Abs. 1 Nr. 5 StGB a. F.) zum Vergehen und den Verzicht auf die früher in § 248 a StGB a. F. privile-

Strafrechtsreform gierte Notentwendung (Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu höchstens drei Monaten) eine bedenkliche Strafverschärfung brachte, ist allen Einwänden ausgesetzt, die seit langem grundsätzlich gegen die Antragsdelikte und speziell gegen das Antragserfordernis bei Bagatelldelikten vorgebracht werden, bei denen sich ja das Antragserfordernis nicht mit der besonderen Täter-Opfer-Beziehung begründen läßt, so daß hier die Gefahr mißbräuchlicher und willkürlicher Handhabung des Antragsrechts besonders beunruhigen muß. Hat sich der Gesetzgeber mit dem neuen § 248 a StGB immerhin noch in hergebrachten Bahnen bewegt - der Mundraub und die Notentwendung des alten Rechts waren ebenfalls Antragsdelikte - , so läßt sich das von den in der Strafprozeßordnung (§§ 153, 153 a StPO) zur besseren Bewältigung der Bagatellkriminalität getroffenen Regelungen nicht mehr behaupten. Die wichtigsten Neuerungen sind folgende: Beim Absehen von der Verfolgung wegen geringer Schuld des Täters und fehlendem öffentlichen Interesse ist bei Vermögensdelikten die Zustimmung des Gerichts zur Verfahrenseinstellung entbehrlich geworden (§ 153 Abs. 1 S. 2 StPO). Für die Hauptmasse der Kleinkriminalität wird also im Interesse der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung auf die Kontrolle der Staatsanwaltschaft durch das Gericht verzichtet. Mit dem neuen § 153 a StPO löste sich der Gesetzgeber von dem bisherigen Erfordernis, daß die Frage des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung danach zu beurteilen ist, wie sich die Tat des Beschuldigten als solche darbietet: Durch die Erfüllung von Auflagen und Weisungen der Staatsanwaltschaft - Erbringung einer bestimmten Leistung zur Wiedergutmachung des durch die Tat verursachten Schadens, Zahlung eines Geldbetrages zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse, Erbringung sonstiger gemeinnütziger Leistungen, Erfüllung von Unterhaltspflichten in einer bestimmten Höhe (vgl. den abschließenden Katalog in § 153 a Abs. 1 S. 1 StPO) - kann der Beschuldigte das zunächst vorhandene öffentliche Interesse an der Strafverfolgung beseitigen und ein Verfahrenshindernis herbeiführen. Gegen die Neuregelung wurden über den grundsätzlichen Streit um den tiefgreifenden Einbruch in das Legalitätsprinzip hinaus schon während des Gesetzgebungsverfahrens eine ganze Reihe von Einwendungen erhoben, etwa: Verlust an Rechtssicherheit, Gefährdung des Sozialstaatsprinzips, Einbuße an Werten, die mit der mündlichen und öffentlichen Verhandlung vor einem erkennenden Gericht verbunden sind (Hanack), unwürdiges Freikaufverfahren, das den Gleichheitssatz verletzt und auf die Dauer schwere Nachteile für das allgemeine Rechtsbewußtsein erwarten läßt (Schmidhäuser), Verstoß gegen § 136 a StPO und gegen die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 MRK (Dencker), Vereinigung der Anklage- und Urteilsfunktion in der Hand der

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Staatsanwaltschaft (Rudolphi); vgl. die Zusammenstellung auch der nach Inkrafttreten der Vorschriften erschienenen kritischen und zustimmenden Literatur bei Meyer-Goßner in: Löwe-Rosenberg. Die StPO und das GVG. 23. Aufl. 1977. §153a Rdn. 108, 109. Es liegt auf der Hand, daß diese dem Ermessen der Staatsanwaltschaft breiten Raum gewährende prozessuale Lösung schwerlich den Grad an Rechtssicherheit gewährleisten kann, den ein ausgewogenes materiellrechtliches Modell erreichen würde. Ob in der Praxis auf Dauer einigermaßen befriedigende Ergebnisse erzielt werden können, hängt wesentlich von einer sinnvollen Bindung des staatsanwaltschaftlichen Ermessens durch die Landesjustizverwaltungen ab, die im Interesse der Gleichbehandlung möglichst durch bundeseinheitliche Allgemeinverfügungen erfolgen sollte.

5. Grundlagen der Strafbarkeit (der klassische Bereich der Dogmatik) a ) A l l g e m e i n e s . Die gesetzgeberische Konzeption der allgemeinen Verbrechenslehre stand seit dem Entwurf 1962 im wesentlichen fest, und auch der E 1962 hat keine umstürzenden Neuerungen gebracht, sondern sich fast durchweg darauf beschränkt, die strafrechtsdogmatischen Erkenntnisse der modernen Strafrechtslehre und höchstrichterlichen Rechtsprechung kodifikatorisch festzuschreiben. Der damit erzielte Gewinn an Rechtssicherheit sollte nicht zu gering veranschlagt werden, auch wenn man der Auffassung sein kann, der Gesetzgeber habe die wissenschaftliche Diskussion mitunter, etwa im Irrtums- und Teilnahmebereich, zu früh abgeschnitten. Auf der anderen Seite wird bemängelt, daß in den neuen Allgemeinen Teil nicht die im E 1962 (§§ 16-18) oder im A E (§§ 17 und 18; gegenüber dem E 1962 einfacher formuliert und Strafbarkeitsverzicht bei geringfügig fahrlässigem Verhalten in § 16 Abs. 2 fordernd) enthaltenen Legaldefinitionen von Vorsatz und Fahrlässigkeit übernommen wurden, „da das Gesetz bei so wesentlichen Fragen nicht ohne Not schweigen sollte" (so die AE-Begründung zu § 17). Hervorzuheben ist, daß auch dem Allgemeinen Teil, wie er sich seit dem 1. Januar 1975 darbietet, keine grundsätzliche Entscheidung für ein bestimmtes Verbrechenssystem, etwa die von Welzel begründete finale Handlungslehre, zu entnehmen ist; alle Einzelregelungen, die gerne für diese Lehre in Anspruch genommen werden, sind durchaus mit der sog. kausalen Handlungslehre in Einklang zu bringen, der es z. B. keineswegs verschlossen ist, dem Irrtum über die Rechtswidrigkeit der Tat keinen Einfluß auf den Vorsatz des Täters beizumessen, sondern ihn al^ selbständigen Schuldausschließungs- oder -milderungsgrund zu behandeln, wie das nunmehr in

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Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung des BGH in § 17 StGB geschieht. b ) E i n z e l n e w i c h t i g e R e g e l u n g e n . Soweit im folgenden nichts anderes vermerkt ist, sind die behandelten Regelungen durch das 2. StrRG ins StGB gelangt. a a ) B e g e h e n d u r c h U n t e r l a s s e n . Um den immer wieder geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken - Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG - Rechnung zu tragen, wurde als § 13 eine Vorschrift zur Regelung der sog. unechten Unterlassungsdelikte Begehen durch Unterlassen, das gewohnheitsrechtlich seit langem anerkannt ist - ins StGB aufgenommen. Die Vorschrift vermag nicht voll zu befriedigen. Insbesondere ist im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG zu bemängeln, daß der Reformgesetzgeber schon im E 1960 den Versuch aufgegeben hat, zu bestimmen, in welchen Fällen jemand „rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt". Der E 1956 hatte in § 13 noch die gewohnheitsrechtlich anerkannten Erfolgsabwendungspflichten - aus Gesetz, aus gefahrschaffendem vorangegangenem Verhalten (Ingerenz) sowie aus Übernahme der Gewähr für das bedrohte Rechtsgut - normiert, desgleichen der AE in § 12. Wo die gesetzliche Bestimmtheit der Strafe gefordert wird, ist es gerade verfehlt, die Entwicklung Lehre und Rechtsprechung zu überlassen, zumal da letztere in der Annahme von Erfolgsabwendungspflichten nie zimperlich gewesen ist. Immerhin sollte das nunmehr geforderte rechtliche Einstehenmüssen für das auf dem Spiele stehende Rechtsgut dazu führen, daß auf die Annahme nur moralisch begründeter Garantenpflichten verzichtet wird. b b ) O r g a n - u n d V e r t r e t e r h a f t u n g . Bereits das EGOWiG von 1968 hat mit der Einfügung des § 50 a a. F. ins StGB - zum Ordnungswidrigkeitenrecht selbst vgl. die entsprechende Regelung in §9 OWiG - eine einheitliche Regelung der strafrechtlichen Organ- und Vertreterhaftung gebracht, die vor allem im Neben-(Wirtschafts-) Strafrecht eine Rolle spielt und dort in teilweise voneinander abweichenden Einzelvorschriften normiert war. §50a a. F. StGB wurde ohne sachliche Änderungen als § 14 ins neue StGB übernommen. Der Anwendungsbereich der Bestimmung dürfte mit der zunehmenden Pönalisierung sozialschädlicher Verhaltensweisen in der Wirtschaft wachsen, denn im Wirtschaftsstrafrecht ergibt sich oft die Situation, die § 14 StGB im Interesse der Schließung von Strafbarkeitslücken erfassen will: Der Vertretene weist besondere personbezogene Pflichtenmerkmale auf, z. B. Vermögensbetreuungspflichten gegenüber Einzelpersonen oder erhöhte Pflichten gegenüber der Allgemeinheit aufgrund des Empfangs öffentlicher Mittel, nicht dagegen der

für ihn Handelnde, so daß beide straflos bleiben müßten, der Vertretene, weil er nicht gehandelt hat, der Beauftragte, weil ihn nicht die besonderen Pflichten treffen. Der Regierungsentwurf 1982 eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (2. WiKG), BR-Drucks. 219/82 sieht eine Neufassung von § 14 StGB vor, die eine effektivere Bekämpfung der Betriebskriminalität gewährleisten soll. cc) Strafrechtliche Verantwortlichkeit von juristischen P e r s o n e n und P e r s o n e n v e r e i n i g u n g e n . Keine Regelung im StGB hat dagegen die nach wie vor heftig umstrittene strafrechtliche Verantwortlichkeit von juristischen Personen und Personenvereinigungen erfahren. Die h. M. geht dahin, wenn nicht bereits die Handlungsfähigkeit, so sei doch jedenfalls die Schuldfähigkeit juristischer Personen abzulehnen, da ein ethisch begründeter Schuldvorwurf nur gegen natürliche Personen erhoben werden könne. Abweichende Vorschriften im Nebenstrafrecht (§ 5 WirtschaftsstrafG 1954, §393 Reichsabgabenordnung) wurden deshalb aufgehoben. Eine andere Frage ist die, ob bei strafbarem oder ordnungswidrigem Verhalten des Organs oder Vertreters einer juristischen Person oder Personenvereinigung, durch welches Pflichten der j. P. verletzt worden sind oder durch das die j. P. bereichert worden ist oder werden sollte, zusätzlich eine Sanktion auch gegen diese verhängt werden kann. Sie wird in § 30 OWiG dahin beantwortet, daß gegen die juristische Person oder Personenvereinigung als Nebenfolge der Straftat oder Ordnungswidrigkeit eine Geldbuße festgesetzt werden kann. Nach § 30 Abs. 4 OWiG ist auch die selbständige Festsetzung der Geldbuße möglich, wenn eine natürliche Person aus tatsächlichen Gründen nicht verfolgt oder verurteilt werden kann oder wenn das Gericht von Strafe absieht oder das Verfahren gegen die natürliche Person eingestellt wird. Seit dem EGOWiG 1968 ist auch die Einziehung eines Gegenstandes oder des Wertersatzes gegen juristische Personen, nichtrechtsfähige Vereine und Personenhandelsgesellschaften möglich; vgl. §75 StGB. d d ) R e c h t f e r t i g u n g s g r ü n d e . Zudemklassischen im StGB geregelten Rechtfertigungsgrund der Notwehr (§ 32 StGB) ist in § 34 StGB der rechtfertigende Notstand getreten, der seit der bahnbrechenden Entscheidung RGSt. 61, 242 aus dem Jahre 1927 (Güterabwägung von Leben und Gesundheit der Schwangeren einerseits und Leben der Leibesfrucht andererseits) in der Rechtsprechung als übergesetzlicher Notstand anerkannt war. Während der E 1956 in § 39 Abs. 2 einer reinen Güterabwägungstheorie zuneigte, hat sich seit dem E 1960 (vgl. dort sowie in E 1962 § 39) eine Interessentheorie durchgesetzt, die zwar ebenfalls dem Wert der

Strafrechtsreform bedrohten Rechtsgüter wesentliches Gewicht beimißt, aber darüber hinaus die sonstigen Interessen der jeweiligen Rechtsgutsinhaber in die Betrachtung einbezieht, etwa die Entscheidungsfreiheit eines außerhalb des Geschehens stehenden Dritten hinsichtlich eines Eingriffs in höchstpersönliche Rechtsgüter (Blutspende, Organtransplantation). Zu warnen ist vor einer vorschnellen Heranziehung des § 34 StGB bei Interessenkollisionen, die bereits anderweitig eine Regelung gefunden haben, etwa in den Notstandsbestimmungen der §§228 und 904 B G B ; der E 1956 hat sogar insoweit eine ausdrückliche salvatorische Klausel erwogen. Schon gar nichts zu suchen hat die strafrechtliche Notstandsregelung bei der Frage der Rechtfertigung staatlicher Eingriffe in Rechtsgüter Privater, z. B. in den Hausfrieden und die Intimsphäre (Fall Traube), wenn die Eingriffsbefugnisse in der Verfassung und den zu ihrer Konkretisierung erlassenen Gesetzen abschließend geregelt sind. - Eine gesetzliche Regelung der Pflichtenkollision ist nicht erfolgt; einen Vorschlag enthält § 10 des Gegenentwurfs Baumann von 1963, wonach bei der Pflichtenkollision, die ja den Täter zum Handeln zwingt, Rechtfertigung nicht nur bei Überwiegen, sondern schon bei Gleichwertigkeit der erfüllten Pflicht eintreten soll. e e ) S c h u l d v o r a u s s e t z u n g e n . Im Bereich der Schuldvoraussetzungen hat der Reformgesetzgeber im 2. StrRG die Vorschrift über die Schuldunfähigkeit von Kindern, die seit dem Jugendgerichtsgesetz von 1923 aus dem StGB ausgegliedert war, wegen ihrer grundlegenden Bedeutung als § 19 wieder ins StGB übernommen (so bereits alle Entwürfe seit dem E 1956; vgl. dort §22). Eine sachliche Änderung ist damit nicht verbunden; auch im übrigen ist es bei den Altersstufen des J G G geblieben, so bei der Gruppe der (18-21jährigen) Heranwachsenden, obwohl im Zivilrecht die Volljährigkeitsgrenze mit Wirkung vom 1.1.1975 vom einundzwanzigsten auf das achtzehnte Lebensjahr herabgesetzt wurde (vgl. §2 B G B ) . Keine sachliche Änderung gegenüber dem alten §51 StGB hat trotz sprachlicher Abweichungen auch die Neuregelung der Schuldunfähigkeit und der verminderten Schuldfähigkeit in den §§20 und 21 StGB gebracht. Durch die Verwendung des Begriffes Schuld wird klar herausgestellt, daß die Rechtswidrigkeit des Täterverhaltens unberührt bleibt und nur die Schuld tangiert wird. Der Gesetzgeber bedient sich nach wie vor der gemischt biologisch-psychologischen Methode, d. h. es werden bestimmte biologische (besser: psychische) Zustände umschrieben, die aber für sich genommen noch keine Schuldunfähigkeit begründen, sondern nur dann, wenn sie die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Täters zur Zeit der Tat beseitigt haben. Dabei wird nunmehr auf die Einsichtsfähigkeit in das Unrecht der Tat abgehoben, wodurch zum Ausdruck gebracht wird, daß es nicht etwa auf die

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Einsicht in das Unsittliche des Täterverhaltens ankommt. Damit wird auch die Parallele der mangelnden Unrechtseinsicht wegen seelischer Störungen zum Verbotsirrtum deutlich herausgestellt. Die Umschreibung der einzelnen „biologischen" Störfaktoren ist einsichtiger als im früheren Recht und ermöglicht eine bessere Verständigung zwischen Juristen und Medizinern. Sie erfaßt auch die bei Taubstummen vorliegenden Defekte, so daß eine dem alten §55 StGB entsprechende Sondervorschrift überflüssig wurde. Entgegen dem Vorschlag in § 22 A E hat sich der Gesetzgeber nicht zu einer obligatorischen Strafmilderung bei verminderter Schuldfähigkeit entschließen können, sondern ist bei der Kann-Milderung des alten § 51 Abs. 2 StGB stehengeblieben, was vom Schuldprinzip her um so weniger verständlich ist, als in § 21 StGB eine erhebliche Verminderung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit verlangt wird. f f ) V o r s a t z u n d F a h r l ä s s i g k e i t werden, wie bereits oben 5 . a ausgeführt, auch im neuen Allgemeinen Teil nicht definiert, sondern in § 15 StGB lediglich als Begriffe verwendet; immerhin läßt sich aus der Irrtumsregelung des § 16 StGB schließen, daß der Vorsatz die Kenntnis sämtlicher Tatbestandsmerkmale erfordert, dagegen ist vom voluntativen Element des Vorsatzes nicht die Rede. § 15 StGB begrenzt die Strafbarkeit auf vorsätzliches Handeln, sofern nicht das Gesetz fahrlässiges Verhalten ausdrücklich mit Strafe bedroht. Diese Regelung hat einmal dazu geführt, daß im Besonderen Teil auf die ausdrückliche Hervorhebung vorsätzlichen Handelns in zahlreichen Vorschriften verzichtet werden konnte. Zum anderen sind alle Unklarheiten darüber beseitigt worden, ob nicht doch in einigen Bestimmungen, welche keine Schuldform angegeben haben, auch die Fahrlässigkeit erfaßt wird (so die frühere Rechtsprechung zu manchen Übertretungen sowie zur Baugefährdung, §330 StGB a. F.). Der neugefaßte §323 StGB enthält nunmehr folgerichtig in Abs. 3 und 4 ausdrückliche Fahrlässigkeitsregelungen. In diesem Zusammenhang ist auf §11 Abs. 2 StGB hinzuweisen, wo den Vorsatzdelikten solche Taten zugeordnet werden, die einen Tatbestand verwirklichen, der hinsichtlich der Handlung Vorsatz voraussetzt, hinsichtlich einer dadurch verursachten besonderen Folge jedoch Fahrlässigkeit ausreichen läßt. Damit wurde der Streit darüber beendet, wie gemischt vorsätzlich-fahrlässige Tatbestände einzuordnen sind, was insbesondere für die Möglichkeit der Teilnahme, die vorsätzliches Handeln des Haupttäters voraussetzt (dazu näher unten 5 . j j ) , an derartigen Delikten sowie für die Versuchsbestrafung, die ebenfalls nur bei Vorsatztaten denkbar ist, von Bedeutung ist. Durch § 11 Abs. 2 StGB erfaßte Vorsatz-Fahrlässigkeitskombinationen finden sich vor allem im Staatsschutzstrafrecht (z. B. §97 Abs. 1 StGB), bei den Explosions-

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delikten (§311 Abs. 4 StGB) sowie bei den Verkehrsstraftaten ( z . B . §§315 Abs.4, 315c Abs.3 Nr. 1 StGB). Das R G und noch der B G H im Jahre 1951 (BGHSt. 1, 332) ließen bekanntlich für die erfolgsqualifizierten Delikte schlichte Verursachung der schweren Tatfolge genügen, wobei die Haftung des Täters dadurch eine besondere Schärfe erhielt, daß auch die Kausalität des Täterverhaltens für den Eintritt der Qualifikation nach der strengen Bedingungstheorie und nicht, wie im Schrifttum zur Abmilderung unbilliger Ergebnisse vorgeschlagen, nach der Adäquanztheorie beurteilt wurde. Im Anschluß an die Entwürfe der Weimarer Zeit wurde durch das 3. StrafrechtsÄndG von 1953 §56 StGB a. F. eingefügt, der der Unvereinbarkeit der reinen Erfolgsqualifikation mit dem Schuldprinzip Rechnung trug und hinsichtlich der schweren Folge wenigstens Fahrlässigkeit forderte. Eine entsprechende Vorschrift ist nunmehr in § 18 StGB enthalten, durch dessen Fassung auch eindeutig klargestellt ist, daß Teilnahme am erfolgsqualifizierten Delikt möglich ist, sofern nur der Anstifter oder Gehilfe hinsichtlich der schweren Tatfolge mindestens fahrlässig handelt. gg) T a t u m s t a n d s - und V e r b o t s i r r t u m . Ein Hauptkampfplatz dogmatischen Streits war schon vor Inkrafttreten des RStGB von 1871 die Irrtumsproblematik. Das R G unterschied im Anschluß an die bereits unter Geltung des preußischen StGB von 1851 die Judikatur beherrschende Auffassung zwischen dem Irrtum über Tatsachen (error facti), der nach § 59 Abs. 1 StGB a. F. den Vorsatz ausschloß, und dem Rechtsirrtum, der als unbeachtlich angesehen wurde (error iuris nocet). Dem vorsatzausschließenden Tatsachenirrtum wurde der Irrtum über außerstrafrechtliche Normen gleichgestellt. Der auf einer Verkennung des Strafgesetzes beruhende Verbotsirrtum konnte also den Täter in keiner Weise entlasten, sondern führte zur Verurteilung wegen vorsätzlicher Tat. Diese Rechtsprechung stieß schon früh auf Widerspruch im Schrifttum und wurde schließlich nahezu einhellig abgelehnt. Ein gesetzgeberischer Ansatz zur Berücksichtigung des Verbotsirrtums findet sich übrigens bereits in der Bundesratsverordnung vom 18.1.1917 (RGBl. S.58) über die Verfolgung von Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften über wirtschaftliche Maßnahmen. Gegen Ende des 1. Weltkrieges hatten die Bewirtschaftungsvorschriften einen derartigen Umfang angenommen, daß nicht mehr davon ausgegangen werden konnte, den Rechtsunterworfenen seien alle diese Normen bekannt. Gleichwohl hat das R G bis zu seinem Ende im Jahre 1945 an seiner Judikatur festgehalten, und erst der B G H hat sie 1952 in einer berühmten Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen (BGHSt. 2, 194) als mit dem Grundsatz unvereinbar aufgegeben, daß Strafe Schuld voraussetzt. Er

hat dabei die Vorsatztheorie, welche die Verbotskenntnis als Element des Vorsatzes postulierte, also dem Verbotsirrtum vorsatzausschließende Wirkung i . S . des §59 Abs. 1 StGB a . F . beimaß, verworfen und ist der Schuldtheorie gefolgt, nach der die Verbotskenntnis ein vom Vorsatz gelöstes eigenständiges Schuldelement darstellt, so daß der Verbotsirrtum den Vorsatz unberührt läßt. Er soll vielmehr nur bei Unvermeidbarkeit, also wenn der Täter trotz Gewissensanspannung und Vergewisserung über den Normenbestand das Unrechtsbewußtsein nicht hätte haben können, zum Schuldausschluß führen; bei Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums ist Strafmilderung möglich. Dieser Konzeption der Behandlung von Irrtumsfragen ist die amtliche Reformgesetzgebung von Anfang an gefolgt (vgl. insbesondere §§ 19, 21 E 1962), und auch der Alternativ-Entwurf hat sich der Schuldtheorie angeschlossen (vgl. §20 AE). Eine entsprechende- Regelung findet sich nunmehr in §§ 16 und 17 StGB. § 16 StGB, der dem alten § 59 StGB entspricht, stellt ausdrücklich klar, daß der Tatumstandsirrtum zum Vorsatzausschluß führt; in § 16 Abs. 2 StGB wird daraus die zwingende Konsequenz gezogen, daß bei irrtümlicher Annahme der Merkmale eines milderen Gesetzes nur nach diesem bestraft werden kann. § 17 StGB enthält die Regelung des Verbotsirrtums i. S. der Schuldtheorie. Innerhalb der Schuldtheorie ist umstritten, wie der Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes zu behandeln ist. Die strenge Schuldtheorie nimmt Verbotsirrtum an, die eingeschränkte Schuldtheorie, der die Rechtsprechung gefolgt ist, behandelt diesen Irrtum wie einen Tatumstandsirrtum mit der Folge des Vorsatzausschlusses. Der letzteren Auffassung waren die Entwürfe, und zwar der E 1962 in § 20, der A E in § 19 Abs. 1 gefolgt. Im 2. StrRG ist eine Regelung unterblieben. Gleichwohl ist damit zu rechnen, daß der B G H an seiner Rechtsprechung festhalten, also weiterhin nach der eingeschränkten Schuldtheorie judizieren wird, der durch die NichtÜbernahme der Entwurfsregelung in den neuen Allgemeinen Teil nicht der Boden entzogen worden ist. hh) Entschuldigungsgründe. In§33StGB hat der Gesetzgeber in Übereinstimmung mit § 14 Abs. 3 A E im wesentlichen die alte Regelung des sog. intensiven Notwehrexzesses in §53 Abs. 2 StGB a. F. übernommen. Demgegenüber hatte der E 1962 in seinem § 38 Abs. 2 für die Straffreiheit zusätzlich verlangt, daß dem Täter die Überschreitung der Notwehrgrenzen nicht vorzuwerfen ist, was zu einer im Ergebnis nicht zu rechtfertigenden Haftungsverschärfung geführt hätte (vgl. dazu näher die Begründung zu § 14 A E sowie den 2. Schriftlichen Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, Drucks. V/4095 zu §33 StGB). Andererseits wurde auch auf die in § 38 Abs. 1 E 1962 vorgesehene Strafmilderungsmöglichkeit für

Strafrechtsreform solche Notwehrüberschreitungen verzichtet, die nicht auf Verwirrung, Furcht oder Schrecken des Täters zurückzuführen sind; die innerhalb der normalen Strafrahmen möglichen Milderungen wurden für diese Fälle als ausreichend angesehen. Obwohl in § 33 StGB nach wie vor neutral formuliert wird, der die Grenzen der Notwehr überschreitende Täter werde nicht bestraft, steht die h. M. auf dem Standpunkt, daß es sich um einen Schuldausschließungsgrund handelt. Bei der Neuregelung des entschuldigenden Notstandes wurden die beiden Notstände des alten Rechts, der Nötigungsnotstand des § 52 StGB a. F. und der allgemeine Notstand des § 54 StGB a. F., in einer Vorschrift, §35 StGB, zusammengefaßt. Die frühere Differenzierung konnte aufgegeben werden, weil nunmehr auch die Zubilligung des allgemeinen Notstandes nicht mehr zwingend dadurch ausgeschlossen wird, daß der Täter die Notlage verschuldet hat. Allerdings dürfte es sich dabei um seltene Extremfälle handeln, wird doch in der Zumutbarkeitsklausel des §35 Abs. 1 S. 2 StGB als ein Fall des Bestehenmüssens der Notsituation deren Verursachung durch den Täter hervorgehoben. Gegenüber dem alten Recht wurden die notstandsfähigen Rechtsgüter über Leib und Leben hinaus auf die Freiheit ausgedehnt. Eine Erstreckung auf alle Rechtsgüter, die der E 1927 und der E 1930 jeweils in §25 vorgesehen hatten, wurde wegen der damit verbundenen Gefahr der Ausuferung des Notstandes und des Verlustes des Ernstes der Strafdrohungen - übrigens auch im A E (§23) - abgelehnt. Ebenfalls nur vorsichtig ausgedehnt wurde der Personenkreis, zugunsten dessen Notstandshandlungen entschuldigend wirken, nämlich auf - neben den Angehörigen - andere dem Täter nahestehende Personen. Auch hier waren die Entwürfe der Weimarer Zeit (aaO) weitergegangen und hatten ein gefahrabwehrendes Handeln zugunsten jedes Dritten genügen lassen. Umgekehrt befürchtete der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform in Übereinstimmung mit kritischen Stimmen aus der Wissenschaft eine zu starke Einschränkung der entschuldigenden Notstandswirkung durch die Rechtsprechung, wenn es bei der weiten Unzumutbarkeitsklausel in §40 Abs. 1 E 1962, §23 A E geblieben wäre (2. Schriftlicher Bericht, Drucks. V/4095 zu § 35). Die Zumutbarkeitsregelung wurde deshalb als Ausnahmevorschrift in § 35 Abs. 1 S. 2 StGB von der Grundnorm abgesetzt, und es wurden quasi als Richtlinie für die Judikatur - zwei anerkannte Fälle namentlich angeführt, in denen dem Täter die Hinnahme der Gefahr in der Regel zumutbar ist, nämlich die (schuldhafte, so die h. M.) Selbstverursachung sowie die Verpflichtung zur Hinnahme der Gefahr kraft eines besonderen Rechtsverhältnisses. Der Alternativ-Entwurf zog die Konsequenz aus der Erkenntnis, daß die psychische Notsituation des Täters dieselbe ist, gleichviel, ob die von ihm ange-

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nommene Gefahrenlage tatsächlich gegeben ist oder nicht, und verlangte deshalb in §23 für die Entschuldigung lediglich, daß der Täter handelt, um (subjektiv) die Gefahr abzuwenden. Eine Irrtumsregelung erübrigte sich bei dieser subjektiven Gesetzesfassung. Demgegenüber forderten die amtlichen Entwürfe objektives Vorliegen der Notsituation, so daß sie bei bloß subjektiver Annahme durch den Täter zu einer Irrtumsregelung gezwungen waren. Dem ist das 2. StrRG gefolgt. Die Irrtumsvorschrift des §35 Abs. 2 StGB geht davon aus, daß die irrige Annahme zur Entschuldigung führender Umstände den Vorsatz nicht berührt, und läßt - wie bei der Regelung des Verbotsirrtums in § 17 StGB - Entschuldigung nur eintreten, wenn der Irrtum unvermeidbar war. Bei Vermeidbarkeit des Irrtums ist zwingend Strafmilderung vorgeschrieben (so bereits §40 E 1962). i i ) V e r s u c h und R ü c k t r i t t vom Vers u c h haben im neuen Recht eine nur in Nuancen von den alten §§43-46 StGB abweichende Regelung erfahren. Mit der Versuchsdefinition in §22 StGB, die nicht an die umständliche Formulierung in §26 Abs. 1 E 1962, sondern an die einfachere Umschreibung in §24 A E anknüpft, wurde die subjektive Versuchstheorie gesetzlich verankert, der das R G von Anfang an und später auch der B G H gefolgt war („nach seiner Vorstellung von der Tat"). Die Abweichung im Wortlaut - „Vorstellung" des Täters in § 22 StGB gegenüber „Tatplan" in § 24 A E - hielt der Sonderausschuß zur sprachlich zutreffenden Erfassung auch von Affekttaten, bei denen nicht geplant wird, für geboten. Um deutlich zu machen, daß sich die Abgrenzung von strafloser Vorbereitungshandlung und strafbarem Versuch nicht abstrakt, sondern nur im Hinblick auf den jeweils in Frage stehenden Tatbestand vornehmen läßt, wurde der farblosere Begriff „Straftat" (im A E ) bei der Umschreibung der Verwirklichungshandlung durch den Begriff „Tatbestand" ersetzt. Nach wie vor stets strafbar ist der Versuch eines Verbrechens, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§23 Abs. 1 StGB). Des weiteren ist es bei der bloßen Kann-Milderung der Versuchsstrafe geblieben (§ 23 Abs. 2 StGB), während der A E zu der bis 1943 zwingend vorgeschriebenen Strafmilderung zurückkehren wollte, weil „der Erfolgsunwert das Unrecht der Tat mitbegründet, sein Ausbleiben daher dieses Unrecht mindert" (Begründung zu § 25 Abs. 2 A E ) . Schon seit langem wird der subjektiven Versuchstheorie vorgehalten, sie führe in Fällen des sog. absolut untauglichen Versuchs zu unbilligen Ergebnissen, wobei es allerdings auch der objektiven Versuchstheorie letztlich nicht gelungen ist, eine befriedigende Abgrenzung des (nach dieser Lehre straflosen) absolut untauglichen vom nur re-

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lativ untauglichen Versuch zu finden. §23 Abs. 3 StGB trägt diesen Einwendungen mit einer Unverstandsklausel Rechnung, die allerdings - anders als § 25 Abs. 3 Nr. 2 A E und bereits § 23 Abs. 4 E 1925 - keine generelle Straflosigkeit vorsieht, sondern lediglich das Absehen von Strafe oder eine in das Ermessen des Richters gestellte Strafmilderung. Entgegen § 25 Abs. 3 Nr. 1 A E ist im neuen Allgemeinen Teil auch keine Regelung des von einem untauglichen Täter begangenen Versuchs erfolgt. Weitgehende Einigkeit herrscht im übrigen darüber, daß §23 Abs. 3 StGB nicht die Fälle des abergläubischen Versuchs (Totbeten, Behexen) erfaßt, der bereits bisher mit unterschiedlichen Begründungen als strafrechtlich völlig irrelevant angesehen wurde, so daß es nicht gerechtfertigt wäre, nun auch in diesen Fällen die Straflosigkeit vom Ermessen des Strafrichters abhängig zu machen. Mit der Rücktrittsregelung in § 24 StGB bewegt sich der Reformgesetzgeber grundsätzlich in den Bahnen des alten §46 StGB: Nach wie vor wird zwischen dem Rücktritt vom unbeendeten und vom beendeten Versuch differenziert und für die Wirksamkeit des Rücktritts Freiwilligkeit gefordert. Unterblieben ist die Fixierung der Freiwilligkeit beim beendeten Versuch auf die Nichtentdeckung des Täters (§46 Nr. 2 StGB a . F . ) , so daß der Täter nunmehr trotz objektiver Tatentdeckung noch wirksam zurücktreten kann, wenn er annimmt, die Tat sei noch nicht entdeckt. In § 24 Abs. 1 S. 2 StGB wird dem Täter ausdrücklich der Rücktritt vom untauglichen und fehlgeschlagenen Versuch ermöglicht. Eine entsprechende Regelung hatte bereits das 3. StrafrechtsÄndG von 1953 in § 4 9 a StGB a . F . für die versuchte Teilnahme eingeführt. Bewußt und gegen den Widerspruch des A E wurden in §24 Abs. 2 StGB die Anforderungen an den Rücktritt des Beteiligten verschärft. Während es nach der h. M. früher genügte, daß der Tatbeteiligte seinen eigenen Tatbeitrag rückgängig machte, wird nunmehr von ihm die Verhinderung der Tatvollendung verlangt, oder, falls die Tat ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird, wenigstens freiwilliges und ernsthaftes Bemühen um die Verhinderung der Vollendung gefordert. Zu den hergebrachten Unternehmenstatbeständen, die Versuch und Vollendung als einheitlich vollendetes Delikt erfassen (vgl. die Legaldefinition in § 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB), für die also die nur den Rücktritt vom Versuch regelnde Vorschrift des § 24 StGB ebensowenig gilt wie der alte §46 StGB, so daß besondere Rücktrittsvorschriften erforderlich sind (vgl. etwa §§ 83 a, 316a Abs. 2 StGB), sind im Zuge der jüngeren Reformen eine Reihe von Tatbeständen getreten, welche in anderer Weise die Vollendungsstrafbarkeit so weit vorverlegen, daß es unbillig erscheint, dem Täter die Möglichkeit des Rücktritts in Gestalt der tätigen Reue abzuschneiden. Besondere Regelungen des Rücktritts vom

vollendeten Delikt sind demgemäß z. B. enthalten in §§149 Abs. 2 und 3 StGB (Vorbereitung der Fälschung von Geld und Wertzeichen), 275 Abs. 2 StGB (Vorbereitung der Fälschung von amtlichen Ausweisen), 239 a Abs. 3 und 239b Abs. 2 StGB (Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme), 264 Abs. 4 StGB (Subventionsbetrug) und 265 b Abs. 2 StGB (Kreditbetrug). Da beim erpresserischen Menschenraub und bei der Geiselnahme alle anderen Erwägungen der Sorge um das Wohl des seiner Freiheit Beraubten unterzuordnen sind, wird hier sogar auf das Erfordernis der Freiwilligkeit des Täters für die Wirksamkeit des Rücktritts verzichtet. j j ) T ä t e r s c h a f t u n d T e i l n a h m e . Für den Bereich der Beteiligung mehrerer an einer Straftat hat der Gesetzgeber von der Zusammenfassung aller Beteiligungsformen in einem einheitlichen Täterbegriff abgesehen (vgl. im einzelnen die Begründung des E 1962 vor § 29); anders das Ordnungswidrigkeitenrecht in §14 OWiG, wo allerdings die Berechtigung dieser Lösung und ihre Reichweite nach wie vor heftig umstritten sind. Vielmehr wird in den §§ 25-27 StGB an der hergebrachten Einteilung der Tatbeteiligung in Täterschaft, Anstiftung und Beihilfe festgehalten. In § 25 StGB wird neben der unmittelbaren Alleintäterschaft und der Mittäterschaft jetzt auch die mittelbare Täterschaft genannt („wer die Straftat... durch einen anderen begeht"). Für Anstiftung und Beihilfe (§§ 26 und 27 StGB) wird im Anschluß an die Rechtsprechung des B G H seit BGHSt. 9, 370 eine vorsätzliche Haupttat vorausgesetzt - dies entgegen der nachdrücklichen Warnung im A E (Begründung zu §§ 28, 29), die auf der Einsicht fußt, daß es - vor allem bei den durch besondere Täterqualitäten umschriebenen Sonderdelikten - strafwürdige Fälle gibt, die über die mittelbare Täterschaft nicht erfaßt werden können. Ein Gutteil dieser Fälle hätte über die in § 32 E 1962 vorgesehene Irrtumsvorschrift befriedigend gelöst werden können (Bestrafung als Anstifter oder Gehilfe, wenn der Teilnehmer irrig vom Vorhandensein des Vorsatzes beim Haupttäter ausgegangen ist). Der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform hat jedoch auf die Übernahme der Vorschrift in den neuen Allgemeinen Teil verzichtet, „da der Gesetzgeber mit einer solchen Regelung zu sehr ins Detail gehen würde und dieser Fall zudem in der Praxis nur eine sehr untergeordnete Rolle [?] spielt" (2. Schriftlicher Bericht, Drucks. V/4095, S. 13 1. Sp.). Daraus ist m. E. zu schließen, daß der im E 1962 vorgeschlagenen Regelung vom Gesetzgeber keine sachliche Absage erteilt worden ist, die Rechtsprechung also nicht gehindert ist, Irrtumsfälle entsprechend der kriminalpolitisch wünschenswerten E 1962-Regelung zu lösen. Andere Akzessorietätsfragen als die nunmehr in § 26 und § 27 StGB angeordnete Abhängigkeit der Teilnehmerstrafbarkeit vom Vorsatz des Haupttä-

Strafrechtsreform ters waren bereits in früheren Novellen entschieden worden: Schon die Strafrechtsangleichungs-VO von 1943 hatte den nunmehr in § 29 StGB enthaltenen Grundsatz der Schuldunabhängigkeit (limitierte Akzessorietät) ins StGB eingeführt (§ 50 Abs. 1 StGB a. F.). Mit der jetzt in §28 Abs. 1 StGB, vorher in § 50 Abs. 2 StGB a. F. enthaltenen Regelung der strafbegründenden besonderen persönlichen Merkmale (Legaldefinition in § 14 Abs. 1 StGB) hat bereits das EinführungsG zum OWiG von 1968 einem von der Literatur immer wieder vorgebrachten Anliegen Rechnung getragen, allerdings mit der vom Gesetzgeber unvorhergesehenen Folge vorzeitiger Verjährung von NS-Gewaltverbrechen wegen der zwingend angeordneten Strafmilderung (vgl. BGHSt. 22,375; diese Panne wurde durch § 78 Abs. 4 i. d. F. des 2. StrRG ausgebügelt). Was die Pönalisierung von Vorbereitungshandlungen im Bereich der Teilnahme anlangt, so ist es entgegen den restriktiven Vorschlägen des A E (vgl. § 32) und im Anschluß an den E 1962 in § 30 StGB im wesentlichen bei der weitreichenden Regelung geblieben, wie sie der 1876 ins StGB eingefügte sog. Duchesne-Paragraph 49 a nach mehrfachen früheren Änderungen schließlich i. d. Fassung des 3. StrafrechtsÄndG von 1953 enthalten hat. Die Neuregelung geht sogar insofern noch weiter als die frühere Fassung, als in Abs. 2 nun ausdrücklich auch die Verabredung der Anstiftung zu einem Verbrechen erfaßt wird. Verzichtet wird - entgegen § 35 Abs. 3 E 1962 und § 32 Abs. 2 A E - nach wie vor auf eine gesetzliche Regelung der Streitfrage, für wen die in Aussicht genommene Tat ein Verbrechen sein muß, für den, der die Tat begehen soll (so der E 1962), für den, der zu ihr anstiftet, oder für beide (so der A E ) . - Der Rücktritt von der strafbaren Verbrechensvorbereitung ist der besseren Übersichtlichkeit halber nunmehr in einer besonderen Vorschrift (§ 31 StGB) geregelt, die verschiedene Lücken und Unklarheiten des alten § 49 a Abs. 3 StGB vermeidet.

6. Die Rechtsfolgen der Tat a ) A l l g e m e i n e s . Während der neue Allgemeine Teil im Kernbereich der Strafrechtsdogmatik (vorstehend 5.) - von der Übernahme einiger einfacherer Regelungen aus dem Alternativ-Entwurf abgesehen - dem Entwurf 1962 gefolgt ist, der seinerseits wieder weitgehend auf die einschlägige Judikatur zu den dogmatischen Grundfragen zurückgegriffen hat, hat sich im Bereich der Rechtsfolgen überwiegend die modernere, in die Zukunft weisende Konzeption des A E durchsetzen können, wenn auch von manchen AE-Mitverfassern nicht zu Unrecht die teilweise Verwässerung ihrer Vorschläge im Verlauf der parlamentarischen Beratungen beklagt wurde.

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Wie bereits oben unter III. A. 1. dargelegt, hat der Reformgesetzgeber an der 1933 durch das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung geschaffenen Zweiteilung der strafrechtlichen Sanktionen in Strafen (dazu unten b) und Maßregeln der Besserung und Sicherung (dazu unten d) festgehalten (sog. Zweispurigkeit). Diese beiden inzwischen schon klassischen Säulen des Rechtsfolgensystems wurden, wie im einzelnen zu zeigen sein wird, resozialisierungsfreundlicher ausgestaltet. Ebenfalls auf den Resozialisierungsgedanken zurückzuführen ist die starke Erweiterung der Strafaussetzung zur Bewährung (dazu unten c) und des mit ihr gekoppelten Instrumentariums zur ambulanten Behandlung des Straftäters (vgl. die Auflagen und Weisungen der §§ 56 b und c StGB). Der gesetzgeberische Ausbau der Strafaussetzung und die große praktische Bedeutung, die dieses Institut neben den beiden hergebrachten Straftatfolgen mittlerweile spielt, haben dazu geführt, der Bewährungsaussetzung das Gewicht einer zunehmend selbständigen Rechtsfolge beizumessen, so daß neuerdings zutreffend von einer dritten Spur unseres Strafrechts die Rede ist. Dies ist um so mehr gerechtfertigt, als nicht mehr nur Strafen, sondern auch einige freiheitsentziehende Maßregeln der Besserung und Sicherung zur Bewährung ausgesetzt werden können (vgl. § 67 b StGB). b ) D i e S t r a f e n , a a ) H a u p t s t r a f e n . Die Todesstrafe wurde durch Art. 102 G G abgeschafft, der damit obsolet gewordene § 13 StGB a. F., der die Vollstreckung regelte, durch das 3. StrÄndG von 1953 gestrichen. Der periodisch immer wieder laut werdende Ruf nach der Todesstrafe, jüngst bei der Diskussion um die Terrorismusbekämpfung, hat wegen der verfassungsrechtlichen Abolition, die nur mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates rückgängig gemacht werden könnte (vgl. Art. 79 Abs. 2 GG), nach menschlichem Ermessen keine Chance auf Verwirklichung. Auf das grundsätzliche Für und Wider der Todesstrafe, das ganze Bibliotheken füllt, braucht also hier nicht eingegangen zu werden. Aktueller Anlaß besteht allerdings zu dem Hinweis, daß die Wiedereinführung der Todesstrafe kein geeignetes Instrument zur Bekämpfung des Terrorismus wäre, weil sich gerade dieser zu allem entschlossene Täterkreis durch ihre Existenz nicht abschrecken ließe, und auch der speziellen Freipressungskriminalität könnte man damit schwerlich beikommen, da von der Verhaftung bis zur rechtskräftigen Aburteilung gefaßter Täter Jahre vergehen, also nach wie vor genügend Zeit für Befreiungsaktionen vorhanden wäre. Vor dem gesetzgeberischen Durchbruch der Reformbewegung kannte das StGB vier freiheitsentziehende Hauptstrafen: die Zuchthausstrafe, die

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Gefängnisstrafe, die Einschließung (welche im 3. StrÄndG von 1953 an die Stelle der ursprünglichen Festungshaft getreten war) und die Haft. Im E 1962 war zwar wegen der beabsichtigten Streichung der Übertretungen für die Haft kein Raum mehr, und auch auf die Einschließung wollte der Entwurf wegen ihrer geringen praktischen Bedeutung, und weil die Große Strafrechtskommission eine Sonderbehandlung von Überzeugungs- und Gewissenstätern nicht für angebracht hielt, verzichten. Gleichwohl konnte man sich trotz gewichtiger Stimmen auch in der Großen Strafrechtskommission nicht für die einheitliche Freiheitsstrafe entschließen, sondern hat die Zuchthaus- und Gefängnisstrafe beibehalten und mit der Strafhaft sogar eine dritte freiheitsentziehende Strafe schaffen wollen. Der Entwurf ging nämlich von der Auffassung aus, daß eine allein in der Strafhöhe abgestufte Einheitsstrafe nicht ausreiche, die verschiedenen Unrechtsarten hinlänglich differenziert zu sanktionieren. Die Gefängnisstrafe sollte die Reaktion auf die schwere und mittlere Kriminalität sein. Mit der - allerdings stark zurückgedrängten - Zuchthausstrafe wollte man die Hochkriminalität erfassen, wobei der Resozialisierungsgedanke bewußt der Schuldvergeltung und der Generalprävention untergeordnet wurde; insbesondere glaubte man auch, daß nach Abschaffung der Todesstrafe ein Verzicht auf die Zuchthausstrafe vom Volk als unangebrachte Milderung des Strafrechts mißverstanden würde. Die Strafhaft schließlich sollte die Abstufung des Unrechts nach unten in Fällen ermöglichen, in denen „die Gefängnisstrafe einen zu starken sittlichen Makel bedeuten und unerwünschte Nebenwirkungen für die Lebens- und Berufsstellung des Verurteilten haben, andererseits die Geldstrafe einen zu geringen Eindruck hinterlassen würde" (Begründung E 1962, S. 165). Gedacht war dabei vor allem an Fahrlässigkeitstaten, insbesondere im Straßenverkehr, wo im übrigen vor Inkrafttreten des 1. StrRG von 1969 mit seiner Zurückdrängung der kurzfristigen Freiheitsstrafe die Rechtsprechung in bestimmten Härtewellen immer wieder versucht hat, mit teilweise extrem kurzen Freiheitsstrafen (Wochen oder gar nur Tage) Alkoholtätern einen wirksamen Denkzettel zu verpassen und zugleich generalpräventive Wirkung zu entfalten. Unter dem Eindruck des Alternativ-Entwurfes, der in Übereinstimmung mit der Tendenz der internationalen Entwicklung und zahlreichen Stellungnahmen aus Wissenschaft und Praxis die Einheitsstrafe forderte (136 AE und Begründung S.75f.), hat sich der Gesetzgeber entgegen dem E 1962 mit dem 1. StrRG von 1969 für die einheitliche Freiheitsstrafe entschieden. Folgende Gründe waren für diese Entscheidung maßgebend: „Es besteht in der Praxis kein wirklicher Unterschied zwischen Zuchthaus und Gefängnis. Eine Differenzierung nach Strafarten im Vollzug ist nicht oder nur in belanglosen Punkten möglich und im übrigen auch

sachlich nicht geboten, da beide Strafarten dasselbe Vollzugsziel haben. Die Zuchthausstrafe behindert eine wirkliche Resozialisierung und kann sich vor allem bei der Rückkehr in das bürgerliche Leben schädlich auswirken. Sie versieht den Gefangenen mit dem Makel des Zuchthäuslers, was dazu führen kann, daß der Entlassene den Keim künftiger Kriminalität in sich trägt. Die Einheitsstrafe ermöglicht eine Trennung nach Tätergruppen in geeigneten Anstalten und verzichtet auf die unnötigen Kosten für besondere Zuchthäuser. Sie setzt sich in den neueren Strafgesetzbüchern und Reformentwürfen immer mehr durch" (Erster Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, Drucks. V/4094, S.8, l.Sp.). Das geltende Recht kennt die einheitliche Freiheitsstrafe als zeitige (ein Monat bis fünfzehn Jahre) und als lebenslange Freiheitsstrafe (§38 StGB). - Anläßlich der Beratung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge vom 25.9.1978 (BGBl. I S. 1571) im Bundesrat wurde die Forderung laut, das Höchstmaß der zeitigen Freiheitsstrafe bei besonders schweren (terroristischen) Gewalttaten auf zwanzig Jahre anzuheben. Ein derartiger Schritt ließe sich schwerlich mit den durch das Bundesverfassungsgericht veranlaßten Überlegungen zur Reform der lebenslangen Freiheitsstrafe (dazu unten) in Einklang bringen; der Vorschlag wurde nicht aufgegriffen. Abgesehen von dem allgemeinen Unbehagen gegenüber der Freiheitsstrafe, die von vielen Strafrechtlern und Kriminologen widerwillig nur noch deshalb hingenommen wird, weil für sie bislang keine befriedigenden Ersatzsanktionen gefunden wurden und wohl in absehbarer Zeit auch nicht gefunden werden dürften, war und ist die Freiheitsstrafe gezielten Angriffen von zwei Seiten ausgesetzt: Die Bedenken richten sich einmal gegen die kurzfristige Freiheitsstrafe, zum anderen gegen die lebenslange Freiheitsstrafe. Die Einwendungen gegen die kurzfristige Freiheitsstrafe stützen sich vor allem auf die hohe Rückfallquote gerade bei dieser Strafart. Dieser Mißstand ist spätestens seit der ersten vom Statistischen Reichsamt im Jahre 1882 herausgegebenen Rechtspflegestatistik bekannt und wurde von Franz von Liszt ins allgemeine Blickfeld gerückt. Die Erkenntnis, daß die kurzfristige Freiheitsstrafe keine bessernde Wirkung auf die meisten Verurteilten ausübt, schon weil die dem Vollzugsstab zur Verfügung stehende Zeit viel zu kurz ist, um auf den sozial nicht verwurzelten Straftäter (resozialisierend einzuwirken, ihn z.B. für einen Beruf auszubilden, und daß andererseits die Gefahr krimineller Infektion erfahrungsgemäß beim Vollzug kurzfristiger Freiheitsstrafen besonders groß ist, hat in der Geldstrafengesetzgebung der Jahre 1921-1924 einen ersten gesetzgeberischen Niederschlag gefunden. Auch wegen Vergehen und Übertretungen, für die nur Gefängnis oder Haft angedroht war

Strafrechtsreform (praktisch wichtigster Fall: Diebstahl), konnte nun Geldstrafe verhängt werden, falls eine Gefängnisstrafe von weniger als drei Monaten verwirkt war (§27b StGB a.F.). Weiter wurde zur Vermeidung kurzfristiger Ersatzfreiheitsstrafen in §28b StGB a.F. die Möglichkeit vorgesehen, daß der Verurteilte eine uneinbringliche Geldstrafe durch freie Arbeit tilgen kann, wovon jedoch nur sehr zurückhaltend Gebrauch gemacht wurde. Im übrigen sollte mit der in § 27 c Abs. 1 StGB a. F. vorgeschriebenen Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters bei der Bemessung der Geldstrafe darauf hingewirkt werden, daß von vornherein möglichst nur solche Geldstrafen verhängt werden, die der Verurteilte auch aufbringen kann, so daß für eine Ersatzfreiheitsstrafe kein Raum bleibt. Abgesehen von der den Vollzug kurzfristiger Freiheitsstrafen zurückdrängenden Strafaussetzung zur Bewährung, die 1953 ins Erwachsenenstrafrecht eingeführt wurde (vgl. unten c), ist die Bewältigung der Problematik der kurzfristigen Freiheitsstrafe bis zu den Strafrechtsreformgesetzen von 1969 nicht über den Stand der 20er Jahre hinausgediehen. Und auch das 1. StrRG hat in § 18 Abs. 2 StGB a. F. für die zeitige Freiheitsstrafe noch das Mindestmaß von einem Tag beibehalten und lediglich die nunmehr in §47 StGB enthaltene ultima-ratio-Klausel für die Verhängung von Freiheitsstrafen unter 6 Monaten gebracht. Erst mit dem Inkrafttreten des 2. StrRG Anfang 1975 wurde das Mindestmaß der zeitigen Freiheitsstrafe auf einen Monat heraufgesetzt (§ 38 Abs. 2 StGB), für die engagierten Gegner der kurzfristigen Freiheitsstrafe bei weitem nicht hoch genug; so sah der Alternativ-Entwurf in §36 Abs. 1 ein Mindestmaß von sechs Monaten vor. Am anderen Ende der Skala ist die lebenslange Freiheitsstrafe verstärkten Angriffen ausgesetzt. Die zunächst im Schrifttum (vgl. etwa die Nachweise bei Baumann-Weber. Strafrecht AT. 8. Aufl. 1977, S. 632 Fn. 4) und später auch in der Rechtsprechung (vgl. Vorlagebeschluß des LG Verden gemäß Art. 100 Abs. 1 GG in NJW 1976, 980) erhobenen Bedenken konnten das BVerfG jedoch letztlich nicht von der Verfassungswidrigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe überzeugen (vgl. BVerfGE 45, 187ff.). Die Auswertung der Literatur und der vom BVerfG selbst erhobenen Beweise, insbesondere der Stellungnahmen der angehörten Sachverständigen aus Vollzugswissenschaft und -praxis, hat zu einem non liquet in der Frage geführt, ob die lebenslange Freiheitsstrafe nach einer bestimmten Haftdauer - spätestens nach 25 Jahren - zu einem weitgehenden Persönlichkeitsverfall des Inhaftierten, zu einem Abstumpfen und schließlich gänzlichen Erlöschen seiner guten Affekte führe, so daß nur noch von einem Vegetieren gesprochen werden könne. Der Senat räumte zwar (aaO S.238) ein, daß es bedenklich erscheine, auch dann, wenn schwere Grundrechtseingriffe in Frage stünden, Unklarheiten in der Bewertung von Tatsachen zu

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Lasten des Grundrechtsträgers gehen zu lassen. Er verneinte gleichwohl einen Verstoß gegen die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Unantastbarkeit der Menschenwürde (aaO S. 229ff.) und stützte sich dabei zum einen auf den nach dem StVollzG von 1976 auch für den Lebenslangen vorgesehenen Behandlungsvollzug, zum anderen auf die von den Bundesländern geübte Gnadenpraxis (die Masse der Begnadigungen vollzieht sich zwischen dem 15. und 25. Haftjähr), welche die Gefahr schwerwiegender Persönlichkeitsveränderung wesentlich begrenze. Das Rechtsstaatsprinzip gebiete allerdings eine Verrechtlichung der Entlassungspraxis, d. h. den Gesetzgeber treffe die verfassungsrechtliche Pflicht, die bislang nur für die zeitige Freiheitsstrafe (§57 StGB) vorgesehene Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung auch für die lebenslange Freiheitsstrafe vorzusehen, wofür ihm eine angemessene Frist zur Sammlung von Erfahrungen und ein nur durch die Verfassung gezogener (weiter) Rahmen der Gestaltungsfreiheit zustehe (aaO S. 243 ff.). - Der Gesetzgeber ist diesem Auftrag mit dem 20.StrÄndG vom 8.12.1981 (BGBl. I S. 1329) nachgekommen: § 57 a StGB gebietet die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe nach Verbüßung von 15 Jahren unter bestimmten Voraussetzungen (dazu unten c). Das BVerfG verneinte auch die geltend gemachte Verfassungswidrigkeit der absoluten Androhung der lebenslangen Freiheitsstrafe für Mord (§211 StGB), forderte allerdings die Strafgerichte zur restriktiven Interpretation dieses Tatbestandes, insbesondere der Mordmerkmale „heimtückisch" und „um eine andere Straftat zu verdecken" auf. Erste Auswirkungen in dieser Richtung zeigten die Entscheidungen BGHSt. 27, 322 und 346. Unlängst hat der Große Strafsenat des BGH (BGHSt. 30,105) in einer auf heftigen Widerspruch gestoßenen Entscheidung demgegenüber eine Lösung der Problematik nicht in einer restriktiven Auslegung der Mordmerkmale im entschiedenen Fall der Heimtücke, sondern auf der Rechtsfolgenseite gesucht und bei Vorliegen „außergewöhnlicher Umstände" die Strafmilderungsvorschrift des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB für anwendbar erklärt, wonach statt lebenslanger eine zeitige Freiheitsstrafe im Mindestmaß von drei Jahren verhängt werden kann. Die Entwicklung der Reformgesetzgebung dürfte nach dem Spruch des BVerfG neben der Einführung der bedingten Entlassung auch für Lebenslange dahin gehen, daß die Abgrenzung von Mord und Totschlag nach teilweise anderen Kriterien als nach geltendem Recht erfolgt, möglicherweise in dem Sinne, daß der Mord als tatbestandlich nicht mehr abschließend vertypter besonders schwerer Fall des Totschlags ausgestaltet wird, so daß der Strafrichter von der Automatik der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe befreit wäre (so etwa der Beschluß der Abteilung Strafrecht des 53.DJT 1980, der

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vorschlägt, die Erschwerungsgründe als „besonders schwere Fälle" in Regelbeispielstechnik auszugestalten). Allerdings muß man sich auch vor Augen halten, daß derartige Lösungen eine Einbuße an Rechtssicherheit mit sich bringen, die gerade im Bereich der schwersten Kriminalität nicht auf die leichte Schulter genommen werden sollte. Was den Vollzug der Freiheitsstrafe anlangt, so ist zu bedauern, daß insoweit nicht wenigstens einige grundlegende Vorschriften ins StGB aufgenommen wurden. Es muß auf den Rechtsunterworfenen enttäuschend wirken, wenn er der zentralen Kodifikation des Strafrechts nicht einmal andeutungsweise entnehmen kann, welches Ziel mit der Freiheitsstrafe verfolgt wird und nach welchen Grundsätzen sie vollzogen wird; vgl. demgegenüber §§37-39 AE. An die Stelle der im unteren Bereich zurückgedrängten Freiheitsstrafe ist die Geldstrafe getreten. Sie beherrscht vor allem das Sechsmonatsfeld, in dem nach der Strafzumessungsvorschrift des §47 StGB (dazu auch unten dd) Freiheitsstrafe grundsätzlich nicht mehr verhängt werden darf, reicht aber noch beträchtlich darüber hinaus, denn nach § 40 Abs. 1 S. 2 StGB beträgt das Höchstmaß der Geldstrafe 360 Tagessätze ( = 1 Jahr), bei der Gesamtstrafenbildung im Falle von Tatmehrheit sogar 720 Tagessätze (= 2 Jahre), §54 Abs. 2 S. 2 StGB. Das 2. StrRG hat der Ausgestaltung der Geldstrafe das skandinavische Tagesbußensystem zugrunde gelegt, das bereits der E 1962 in §51 vorgesehen hatte (vgl. § 40 StGB). Abgelehnt wurde die in § 35 GE Baumann geforderte und im wesentlichen in den §49 A E übernommene Laufzeitgeldstrafe, die es ermöglicht hätte, dem Verurteilten eine während der Laufzeit ständig wiederkehrende fühlbare Beschränkung seines Lebensstandards aufzuerlegen und damit die Geldstrafe in ihrer Dauerwirkung der Freiheitsstrafe anzupassen. Immerhin hat das Tagessatzsystem, das eine klare Differenzierung von Unrechtsverwirklichung und Schuld des Täters einerseits und seinen wirtschaftlichen Verhältnissen andererseits ermöglicht, dazu geführt, daß die Geldstrafenverhängung rationaler und damit effektiver geworden ist. Mittlerweile sind rund 85 % der verhängten Strafen Geldstrafen. Verfassungsrechtlich und kriminalpolitisch problematisch bleibt die Ersatzfreiheitsstrafe, die nach §43 StGB an die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe tritt. Gegen den Umrechnungsmaßstab „ein Tagessatz Geldstrafe = ein Tag Freiheitsstrafe" (§43 S.2) werden neben grundsätzlichen Zweifeln an der Kommensurabilität beider Strafen Bedenken aus dem Schuldgrundsatz, dem Gleichheitssatz und dem Sozialstaatsprinzip insbesondere dann hergeleitet, wenn die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen wegen Geldstrafen mit sehr niedrigen Tagessätzen in Frage steht; jedenfalls in derartigen Fällen werde aus dem Ersatzübel ein nicht mehr vertretbares Zusatzübel. Es scheint, der österreichi-

sche Reformgesetzgeber war im Hinblick auf diese verfassungsrechtlichen Bedenken besser beraten, als er den Maßstab für die Umrechnung von Geldstrafe in Ersatzfreiheitsstrafe nicht auf 1 : 1 festgesetzt hat, sondern auf 2:1, also zwei Tagessätze Geldstrafe einem Tag Freiheitsstrafe gleichgestellt hat (§ 19 Abs. 3 S. 1 ÖStGB). Kriminalpolitisch unbefriedigend ist die Ersatzfreiheitsstrafe deshalb, weil mit ihr ein Hauptziel der jüngsten Reformen im Sanktionsbereich, nämlich die Zurückdrängung der zumeist schädlichen kurzfristigen Freiheitsstrafe, teilweise unterlaufen wird. Die ganz überwiegende Mehrzahl der Verurteilungen zu Geldstrafe bewegt sich ja wegen der prinzipiellen Sechsmonatsgrenze für die Freiheitsstrafe (§47 StGB) in dem Bereich bis zu 180 Tagessätzen, d. h. die vollstreckten Ersatzfreiheitsstrafen überschreiten in aller Regel ein halbes Jahr nicht und belaufen sich häufig nur auf Wochen oder gar Tage. Die für die primär verhängte Freiheitsstrafe in §38 Abs. 2 StGB bestimmte Einmonatsgrenze gilt nämlich nicht für die Ersatzfreiheitsstrafe; vielmehr ist ihr Mindestmaß nach § 43 S. 3 StGB ein Tag. Angesichts dessen ist es zu bedauern, daß in den Beratungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform (vgl. BT-Drucks. V/4095, S.22) nicht wenigstens einem möglichen Surrogat der Geldstrafe mehr Aufmerksamkeit gewidmet worden ist, nämlich der Tilgung der Geldstrafe durch freie Arbeit. Es ist zwar zuzugeben, daß dieses Institut, das im alten § 28 b StGB a. F. enthalten war, praktisch nie eine nennenswerte Rolle gespielt hat. Man muß sich dann allerdings fragen, warum das so gewesen ist. Die Vermutung liegt nahe und läßt sich auch aus den Stellungnahmen der Landesjustizverwaltungen gegenüber dem Sonderausschuß für die Strafrechtsreform herauslesen (aaO S.22 f.), daß die Tilgung der Geldstrafe durch freie Arbeit deshalb ein Mauerblümchendasein gefristet hat, weil sie mehr Aufwand bereitet hätte als die schlichte Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe, für die man ja durch die Existenz von Vollzugsanstalten allemal gewappnet war. Der Gesetzgeber hat kapituliert und die Tilgung uneinbringlicher Geldstrafe durch freie Arbeit nicht einmal mehr im StGB geregelt, sondern sie an eine ziemlich versteckte Stelle im Einführungsgesetz zum StGB (Art. 293 EGStGB) abgedrängt. Von der dort enthaltenen Ermächtigung, durch Rechtsverordnungen einschlägige Regelungen zu treffen, haben bisher lediglich Hamburg und Berlin (West) Gebrauch gemacht. b b ) N e b e n s t r a f e . Als einzige Nebenstrafe ist im Zuge der Reformbemühungen das Fahrverbot (§ 44 StGB) übriggeblieben, das durch das 2. StraßenverkehrssicherungsG von 1964 als §37 in das StGB a. F. eingestellt worden war. Die Rechtsnatur als Strafe wird allerdings dadurch relativiert, daß das Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht seit dem EGOWiG von 1968 dieselbe Rechtsfolge vorsieht

Strafrechtsreform (§25 StVG), die dort, da kein kriminelles Unrecht verwirklicht wurde, naturgemäß keinen Strafcharakter haben kann. - Will man die kurzfristige Freiheitsstrafe noch weiter zurückdrängen als im geltenden Recht geschehen, so liegt der Gedanke nahe, den Anwendungsbereich des Fahrverbots auszudehnen und es zur Hauptstrafe auszugestalten, wie es der A E in §55 (bis zu einem Jahr) vorsieht. c c ) N e b e n f o l g e n . Wie auf manch anderen Gebieten des Allgemeinen Teils (vgl. etwa die Organund Vertreterhaftung, oben unter 5 b, bb) hat auch bei der Neugestaltung der strafrechtlichen Nebenfolgen das Ordnungswidrigkeitenrecht Schrittmacherdienste geleistet: Das OWiG 1968 brachte in seinen §§22-29 eine Einziehungsregelung, die den gegen die alten §§ 40-42 StGB vorgebrachten, auf Art. 14 Abs. 1 und 3 GG gestützten verfassungsrechtlichen Einwendungen Rechnung trug und zugleich diese Nebenfolge effektiver gestaltete. Eine entsprechende Ausgestaltung der strafrechtlichen Vorschriften über Verfall, Einziehung und Unbrauchbarmachung erfolgte durch das EGOWiG 1968. Sie wurde durch das 2. StrRG nur unwesentlich modifiziert und findet sich nunmehr in den §§ 73-76 a StGB, die in ihrem Perfektionismus nicht mehr zu überbieten sind. Bedenken ausgesetzt ist wegen seiner Resozialisierungsfeindlichkeit der von den alten Ehrenstrafen übriggebliebene Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts. Dies gilt vor allem für den nach § 45 Abs. 1 StGB von Gesetzes wegen eintretenden Verlust bei Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr wegen eines Verbrechens, weil hier keinerlei Raum für eine zukunftsorientierte Täterprognose bleibt. Der Alternativ-Entwurf wollte die der Wiedereingliederung des Verurteilten hinderlichen Nebenfolgen erinnert sei auch an die in §45 E 1962 mit der Zuchthausstrafe verknüpften Wirkungen für die Berufsausübung - völlig ihres repressiven Charakters entkleiden und sie dementsprechend in- die Beamtengesetze, Berufsordnungen, Disziplinarordnungen u. dgl. verweisen, soweit auf sie aus präventiven Gründen nicht überhaupt verzichtet werden kann (vgl. AE, Begr. S.77). d d ) S t r a f b e m e s s u n g . Wie bereits ansatzweise die Entwürfe der Weimarer Zeit bemühten sich die Nachkriegsentwürfe verstärkt darum, „durch Aufstellung gesetzlicher Bemessungsregeln der richterlichen Strafzumessung eine tragfähige Grundlage zu geben" (E 1962, Begr. S. 179 r. Sp. unten). Diese Bestrebungen, denen - wenn auch zurückhaltender - in seinen §§ 59 ff. der AE gefolgt war, haben in den §§46 ff. StGB des geltenden Rechts ihren Niederschlag gefunden. Die in § 46 StGB enthaltenen „ Grundsätze der Strafbemessung" sind, wie bereits qben unter III.

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A. 1 a . E . dargelegt, insoweit bewußt unpräzise gehalten, als in Abs. 1 S. 1 sehr allgemein von der Schuld als Grundlage für die Strafzumessung die Rede ist, mit der Folge, daß zwar nunmehr die von der Rechtsprechung praktizierte Spielraumtheorie gesetzgeberisch anerkannt ist, daß aber - entgegen §59 Abs. 1 S. 1 A E - der Gesetzeswortlaut eine Überschreitung der schuldangemessenen Strafe aus präventiven Erwägungen nicht verbietet. Von dem in § 46 Abs. 2 StGB enthaltenen, naturgemäß nicht abschließenden Katalog von (ambivalenten) Bemessungsgesichtspunkten konnte von vornherein kein wesentlicher Wandel der Strafzumessungspraxis erwartet werden, denn die genannten Umstände waren schon zuvor als zumessungsrelevant anerkannt. Immerhin ist die Bestimmung als Appell an die Gerichte zu begrüßen, diesen Umständen im jeweils zu entscheidenden Fall auch Eingang in die Zumessungserwägungen zu gewähren und damit die Straffestsetzung (etwas) rationaler zu gestalten. Wie viel hier im übrigen noch im argen liegt, zeigt auch die Tatsache, daß es der Gesetzgeber in §46 Abs. 3 StGB für erforderlich hielt, das Verbot der Doppelbewertung von Tatbestandsmerkmalen zu verankern. Entgegen § 36 Abs. 1 S. 1 AE, der die Verhängung von Freiheitsstrafen unter sechs Monaten schlechthin ausschließen wollte (vgl. bereits oben aa), konnte sich der amtliche Gesetzgeber bei der Zurückdrängung der kurzfristigen Freiheitsstrafe, dem zentralen Anliegen der Strafrechtsreform, lediglich zu der „weichen" Lösung einer Strafzumessungsvorschrift, sog. ultima-ratio-Klausel, entschließen (§47 StGB). Auf das generalpräventive Element, das in dem Begriff „Verteidigung der Rechtsordnung" enthalten ist und das Angriffen von Vertretern einer pointiert spezialpräventiven Richtung ausgesetzt ist, wurde bereits oben unter III. A. 1 hingewiesen. Das 1. StrRG von 1969 hat die 1933 ins StGB eingeführte Strafschärfungsvorschrift des §20a für gefährliche Gewohnheitsverbrecher beseitigt. Die Vorschrift wurde als unvereinbar mit einem an der Tatschuld orientierten Schuldstrafrecht angesehen (vgl. etwa Begr. zu §61 E 1962, S. 182 r. Sp.). Der Alternativ-Entwurf (Begr. S. 117) hatte aus mehreren Gründen dringend davor gewarnt, in Gestalt des § 61 E 1962 einen „verkleinerten Gewohnheitsverbrecher" (Bockelmann) zu konservieren. Das 1. StrRG von 1969 hat mit §17, jetzt §48 StGB, gleichwohl eine allgemeine Rückfallvorschrift geschaffen (und zugleich die in der Tat unverständlich eklektischen alten Rückfallbestimmungen bei einzelnen Eigentums- und Vermögensdelikten, §§ 244, 250,262, 264 StGB a. F., beseitigt). Trotz der materiellen Rückfallvoraussetzung, daß sich der Täter „die früheren Verurteilungen nicht hat zur Warnung dienen lassen", ist es erwartungsgemäß nicht gelungen, die in §48 StGB angeordnete Strafschärfung mit dem Grundsatz der Tatschuldvergeltung in

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Einklang zu bringen. Auch mit spezialpräventiven Argumenten läßt sich die Vorschrift schwerlich überzeugend begründen, vielmehr ist der Einwand letztlich nicht auszuräumen, wie man eigentlich darauf bauen könne, eine verschärfte Freiheitsstrafe könne die resozialisierende Wirkung auf den Täter ausüben, welche die früher verhängten und verbüßten Strafen gerade nicht hatten. Obwohl es mit der Rechtsfigur der "besonders schweren Fälle" entgegen der Annahme des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform (Drucks. V/4095, S. 23 r. Sp.) schließlich doch noch zu einer begrifflichen Vereinheitlichung der tatbestandlich nicht erfaßten Straferschwerungen des Besonderen Teils gekommen ist, wurde auf die Übernahme einer dem § 62 E 1962 entsprechenden allgemeinen Vorschrift verzichtet. Im Hinblick auf den geringen Aussagegehalt jener Bestimmung - wesentliche Erhöhung des Unrechts und der Schuld - ist dies nicht zu bedauern. - Zunehmender Beliebtheit beim Gesetzgeber erfreut sich die Technik der Regelbeispiele, die den Wertmaßstab für die Abgrenzung des Normalfalles von dem besonders schweren Fall dadurch verdeutlichen soll, daß bei allen in Frage kommenden Tatbeständen des Besonderen Teils näher umschriebene Beispiele aufgeführt werden, die in der Regel die Anwendung des verschärften Strafrahmens rechtfertigen sollen (vgl. E 1962, Begr. S. 184 r. Sp.). Sicher können mit dem durch das 1. StrRG von 1969 auf diese Technik umgestellten § 243 StGB, dem Paradefall für die Verwendung von Regelbeispielen, elastischere Ergebnisse erzielt werden als mit dem früheren qualifizierten Tatbestand, der zu mancherlei Ungereimtheiten und Skurrilitäten geführt hatte, und gegenüber den nicht exemplifizierten besonders schweren Fällen bringt die Erläuterung durch Regelbeispiele auch einen Gewinn an Rechtssicherheit. Gleichwohl sollte vor allem der Einwand der „Verantwortungsscheu des Gesetzgebers" (Maurach) nicht leichtgenommen werden, ganz abgesehen von einigen noch nicht völlig geklärten Einzelfragen, wie z. B. der Versuchsproblematik, die diese Gesetzgebungstechnik mit sich gebracht hat. - Neuere einschlägige Vorschriften finden sich z. B. in §218 Abs. 2 StGB i . d . F . des 15.StrÄndG von 1976 sowie in den §§ 264 Abs. 2, 283 a, 283 d Abs. 3 und 302 a Abs. 2 StGB, alle i . d . F . des 1. G zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität von 1976. Auch für die nunmehr einheitlich als „minder schwere Fälle" charakterisierten Strafmilderungsvorschriften im Besonderen Teil - vgl. etwa §§ 154 Abs. 2, 213 , 220 a Abs. 2, 223 b bis 226 (jeweils Abs. 2), 249 Abs. 2, 250 Abs. 2 StGB - , die die Funktion der bisherigen „mildernden Umstände" und des „besonders leichten Falles" mit übernommen haben, wurde entgegen § 63 E 1962 zu Recht auf eine - zwangsläufig relativ farblose - Begriffsbestimmung im Allgemeinen Teil verzichtet.

In Übereinstimmung mit § 64 E 1962 sowie früheren amtlichen Entwürfen und dem Alternativ-Entwurf (§61 AE) enthält §49 StGB eine allgemeine Vorschrift über besondere gesetzliche Milderungsgründe. Sie übernahm in ihrem Abs. 1 die Funktion des alten §44 StGB, der die Strafmilderungsmöglichkeit für den Versuch enthielt und auf den in anderen Fällen gesetzlich vorgesehener Milderung verwiesen wurde. Die weitreichende Milderungsvorschrift des §49 Abs. 2 StGB, auf die im Besonderen Teil vor allem in Fällen des Rücktritts vom vollendeten Delikt verwiesen wird, war als § 15 bereits durch das 1. StrRG von 1969 ins StGB übernommen worden. c) S t r a f a u s s e t z u n g z u r Bewährung, V e r w a r n u n g mit S t r a f v o r b e h a l t und A b s e h e n v o n S t r a f e . Bereits das RStGB von 1871 sah in seinen §§ 24-26 die bedingte Entlassung von zu längerfristigen Zuchthaus- und Gefängnisstrafen Verurteilten nach Verbüßung von drei Vierteln, mindestens aber einem Jahr der Strafe vor, allerdings nicht als richterliche, sondern als Maßnahme der Justizverwaltung. Das StrÄndG von 1953 hat das Institut in die Hand des Richters gelegt und Entlassung schon nach Zweidrittelverbüßung, mindestens jedoch Verbüßung von drei Monaten der Strafe zugelassen (§26 StGB a. F.). Bei diesen zeitlichen Grenzen ist es im 1. und 2. StrRG für den Normalfall geblieben, jedoch ist die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung nun nicht mehr dem Ermessen des Richters anheimgegeben, sondern bei Vorhegen der formellen und - ausschließlich spezialpräventiv ausgerichteten - materiellen Voraussetzungen zwingend vorgeschrieben (§ 57 Abs. 1 StGB). Bei Vorliegen besonderer Umstände in der Tat und in der Persönlichkeit des Verurteilten kann (hier also fakultativ) Reststrafaussetzung schon nach Verbüßung der Hälfte, mindestens aber eines Jahres einer zeitigen Freiheitsstrafe erfolgen. - Wie bereits oben unter b, aa erwähnt, schreibt der durch das 20. StrÄndG vom 8.12.1981 (BGBl. I S. 1329) ins StGB eingefügte § 57 a unter denselben spezialpräventiv orientierten Voraussetzungen wie §57 Abs. 1 Nr. 2 StGB bedingte Entlassung des zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten nach Verbüßung von 15 Jahren vor. Allerdings schließt § 57 a Abs. 1 Nr. 2 StGB die Reststrafaussetzung bei besonders schwerer Tatschuld aus. Eine andere Hauptforderung der modernen Strafrechtsschule, nämlich die von vornherein erfolgende Strafaussetzung zur Bewährung, hat erst mit dem 3. StrÄndG 1953 Eingang ins Erwachsenenstrafrecht gefunden. Während im Jugendstrafrecht der gesetzliche Durchbruch bereits im JGG von 1923 (§§10ff.) erfolgt war, wurden im Erwachsenenstrafrecht seit 1895 bis 1953 landes-, seit der Gnadenordnung von 1935 reichsrechtliche Gnadenregelungen i. S. einer Strafaussetzung auf Wohl verhalten praktiziert. Der Gesetzgeber von 1953 ist

Strafrechtsreform nicht der im anglo-amerikanischen Recht ausgebildeten bedingten Verurteilung gefolgt, sondern hat an das belgisch-französische System der bedingten Strafaussetzung (sursis) angeknüpft. Bei dieser grundsätzlichen Entscheidung ist es in der jüngsten Reformgesetzgebung geblieben. Insbesondere konnte sich der Gesetzgeber aus Furcht vor einer Einbuße an generalpräventiver Wirkung des Strafrechts nicht zur Übernahme der Verwarnung mit Strafvorbehalt auf breiter Basis entschließen, wie sie der A E in §57 im Anschluß an gewichtige Stimmen im Reformschrifttum wegen ihrer besonderen Resozialisierungsfreundlichkeit (kein Strafmakel) für Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr, entsprechende Geldstrafe und Fahrverbot „als erste Stufe strafrechtlicher Reaktion im Bereich der sog. Massenkriminalität gegenüber Ersttätern" (AE, Begr. zu § 57) vorgesehen hatte. Das Institut findet sich in den §§59 ff. StGB lediglich als an strenge Voraussetzungen geknüpfte Ausnahmeerscheinung für Geldstrafen bis zu 180 Tagessätzen. Es konnte in der Praxis bislang keine nennenswerte Bedeutung erlangen und ist deshalb auch nicht geeignet, die Rolle der bei der Geldstrafe fehlenden Strafaussetzung zur Bewährung (dazu nachstehend) zu übernehmen. Die Zaghaftigkeit des Gesetzgebers zeigt sich auch darin, daß eine entsprechende Regelung für die Geldbuße des Ordnungswidrigkeitenrechts unterblieben ist. Im übrigen hat das 1. StrRG die Strafaussetzung zur Bewährung als ein wichtiges Mittel einer jeden modernen Kriminalpolitik stark ausgebaut (vgl. §§56ff. StGB): So wurde die Grenze für die Aussetzung von Freiheitsstrafen von neun Monaten auf ein Jahr, bei Vorliegen besonderer Umstände in der Tat und in der Persönlichkeit des Verurteilten sogar auf zwei Jahre erhöht, im letzteren Falle allerdings ins Ermessen des Gerichts gestellt, während §40 Abs. 1 A E in Übereinstimmung mit den Vorschlägen der Strafvollzugskommission obligatorische Aussetzung von Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren vorgesehen hatte. Zugunsten der Spezialprävention wurden generalpräventive Gesichtspunkte zurückgedrängt: Bei Freiheitsstrafen unter sechs Monaten steht nach § 56 Abs. 3 StGB die „Verteidigung der Rechtsordnung", die an die Stelle des - noch schillernderen - Begriffes des öffentlichen Interesses an der Strafvollstreckung in § 23 Abs. 3 Nr. 1 StGB a. F. getreten ist, der Aussetzung nicht entgegen; zwischen der ausnahmsweisen Verhängung sehr kurzfristiger Freiheitsstrafen (§ 47 StGB) und ihrer Vollstreckung wird also nochmals differenziert. Die Maßnahmen, die das Gericht im Rahmen der Strafaussetzung treffen kann, wurden beträchtlich erweitert und in der Genugtuung für das begangene Unrecht dienende Auflagen (§ 56 b StGB) und der Resozialisierung des Täters dienende Weisungen (§§56c und d StGB) gegliedert. Mit kaum überzeugenden Gründen hat es der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform abge-

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lehnt, die Strafaussetzung zur Bewährung in Anlehnung an ausländische Vorbilder auf die Geldstrafe auszudehnen (vgl. BT-Drucks. V/4094, S. 10). Dies gilt vor allem für das Argument, „auch eine beschränkte Zulassung der Aussetzung von Geldstrafen würde zu einer kaum tragbaren Mehrbelastung der Gerichte gerade im unteren Bereich der Kriminalität führen" (aaO). Zwar sieht in der Tat auch der A E keine Aussetzung der Geldstrafe vor, aber der Hinweis darauf im 1. Schriftl. Bericht des Sonderausschusses (aaO) ist deshalb wenig stichhaltig, weil der A E eine voll ausgebaute Verwarnung mit Strafvorbehalt vorschlug (vgl. oben), also bei der Geldstrafe auf die Strafaussetzung zur Bewährung leicht verzichten konnte. Der A E sah in seinem § 58 mit dem Schuldspruch unter Strafverzicht die Möglichkeit vor, nicht nur dann von einem Strafausspruch (bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe) abzusehen, „wenn der Täter durch die Folgen der Tat hinreichend bestraft erscheint", sondern auch dann, „wenn die Tat einer außergewöhnlich schweren Konfliktslage entsprungen ist"; bei vollendeten vorsätzlichen Straftaten gegen das Leben sollte die Vergünstigung allerdings ausgeschlossen sein. Der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform konnte sich zu einer derart umfassenden Lösung nicht entschließen, sondern hat sich im 1. StrRG (§ 16 StGB a. F. = § 60 StGB i. d. F. des 2. StrRG) auf die Erfassung des erstgenannten Komplexes - den Täter hat bereits eine poena naturalis getroffen - beschränkt und auch insoweit das Absehen von Strafe auf Fälle begrenzt, in denen eine Freiheitsstrafe von höchstens einem Jahr verwirkt ist. Andererseits wurden entgegen § 58 Abs. 2 A E vollendete vorsätzliche Delikte gegen das Leben nicht generell ausgeschlossen, „weil sich auch hier in besonderen Ausnahmefällen, z.B. bei der Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB . . . ein Bedürfnis für ein Absehen von Strafe ergeben kann". Zusammenfassend ist festzustellen, daß im nunmehr geltenden Recht - jedenfalls aus betont spezialpräventiver Sicht - die Möglichkeiten noch nicht voll ausgeschöpft sind, die Strafaussetzung zur Bewährung und vergleichbare Institute zu einem umfassenden Instrumentarium im Sinne einer echten dritten Spur unseres Strafrechts auszubauen. Häufig hat den Gesetzgeber die Furcht vor Einbußen an der Ernsthaftigkeit des Strafrechts von weitergehenden Lösungen - etwa im Sinne der AE-Vorschläge - abgehalten. d) Die M a ß r e g e l n der B e s s e r u n g und S i c h e r u n g . Durch das Reichsgesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24.11.1933 (RGBl. I S. 995), das auf den Entwurf eines StGB von 1930 zurückgeht, also zwar nicht nationalsozialistischen Ursprungs war, aber im Interesse „der wirksamen Sicherung der Volksgemeinschaft" teil-

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Strafrechtsreform

weise weit über die in der Weimarer Zeit vorgeschlagenen Regelungen hinausging, wurden als zweite Spur die Maßregeln der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt, in einer Trinkerheilanstalt oder Entziehungsanstalt, in einem Arbeitshaus und in der Sicherungsverwahrung, sowie die Maßregeln der Entmannung gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher und der Untersagung der Berufsausübung ins StGB eingefügt (§§42äff. StGB a.F.). Bereits durch das Kontrollratsgesetz Nr. 11 vom 30.1.1946 wurde die Maßregel der Entmannung aufgehoben. - Das Gesetz über die freiwillige Kastration und andere Behandlungsmethoden vom 15.8.1969 (BGBl. I S.1143) knüpft die entsprechenden Eingriffe an die Einwilligung des Betroffenen und sonstige strenge Voraussetzungen. - § 42 d StGB a.F. (Arbeitshaus) wurde ebenfalls nach 1945 - allerdings nur in den Ländern der amerikanischen Besatzungszone - aufgehoben, jedoch durch das 3. StrÄndG 1953 bundeseinheitlich wieder eingeführt. Durch das Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs von 1952 wurde als §42m StGB a.F. die Entziehung der Fahrerlaubnis neu ins StGB eingefügt. Trotz immer wieder laut gewordener Bedenken vor allem Vorwurf der Doppelbestrafung, Kritik der Antinomie von Sicherungs- und Besserungszweck, Übergriff des Strafrechts in die Kompetenz des präventiven Sicherheits- und des Sozialrechts hat es nie einem ernsthaften Zweifel unterlegen, daß die Maßregeln auch bei einer Gesamtreform des strafrechtlichen Sanktionensystems beibehalten werden. Die praktische Bewährung der Zweispurigkeit war hier ebenso entscheidend wie das Festhalten des Reformgesetzgebers am Schuldstrafrecht (vgl. zum letzteren bereits oben A I ) . Das geltende Recht (vgl. den Katalog in § 61 StGB) kennt folgende Maßregeln: (1) die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, (2) in einer Entziehungsanstalt, (3) in einer sozialtherapeutischen Anstalt und (4) in der Sicherungsverwahrung, (5) die Führungsaufsicht, (6) die Entziehung der Fahrerlaubnis und (7) das Berufsverbot. Der E 1962 hatte nicht die sozialtherapeutische Anstalt, jedoch die Bewahrungsanstalt, die vorbeugende Verwahrung, die Sicherungsaufsicht und das Verbot der Tierhaltung vorgesehen und wollte die Unterbringung in einem Arbeitshaus, in noch erweiterter Form, beibehalten. Nach anfänglichem Schwanken hat der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform schließlich einstimmig auf das Arbeitshaus verzichtet und §42d StGB a.F. im l . S t r R G gestrichen. Die seit langem gegen diese Maßregel erhobene Kritik, die sich auch der AE zu eigen gemacht hatte (vgl. Begr. zu § 66, S. 129), hat schließlich auch beim amtlichen Gesetzgeber zu der Einsicht geführt, „daß gegenüber arbeitsscheuen Kleindelinquenten, insbesondere den Dirnen, Bettlern und Landstreichern die schwerwiegende Maßregel des Arbeitshauses nicht am Platz i s t . . . Es muß versucht werden, dem bis-

her vom Arbeitshaus erfaßten Personenkreis mit den Mitteln der Sozialfürsorge beizukommen - Desgleichen wurde auf die Übernahme des Verbots der Tierhaltung ersatzlos verzichtet, weil es entgegen dem Vorschlag des § 233 E 1962 - bislang nicht zur Übernahme eines Tatbestandes der Tierquälerei ins StGB gekommen ist, die Maßregel also im StGB isoliert stehen würde. - Die Rolle der in §§91 ff. E 1962 vorgesehenen Sicherungsaufsicht hat weitgehend die Führungsaufsicht der §§68 ff. StGB i. d. F. des 2. StrRG übernommen, die (1) für Rückfalltäter (§68 Abs. 1 Nr. 1 StGB), (2) vor allem für sog. Vollverbüßer (§68f StGB) und entlassene Sicherungsverwahrte (§67d Abs. 2 und 4 StGB) sowie (3) in den Fällen eintritt, in denen Vorschriften des Besonderen Teils dies vorsehen (vgl. etwa §§ 129 a Abs. 7, 181b, 218 Abs. 2 S.2, 228, 239c, 245 , 256, 262 StGB). Sie ist in ihren Rechtsfolgen stark der Bewährungshilfe angenähert. Das Institut war, wie auch die Sicherungsaufsicht des E 1962, von vornherein heftiger Kritik ausgesetzt: Lückenbüßer für fehlende andere spezialpräventive Einwirkungsmöglichkeiten; Überschneidung mit der Bewährungsaussetzung; Skepsis gegenüber einer effektiven Wahrnehmung der Überwachungsfunktion durch die Aufsichtsstellen (Personalmangel). Die Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt (§65 StGB) wurde vom 2. StrRG allerdings wesentlich beschnitten - aus dem Alternativ-Entwurf (§69) übernommen, der seinerseits wieder an ausländische Vorbilder anknüpfte (vgl. dazu A E Begr. zu §69 sowie BT-Drucks. V/4095, S.27). Die gravierendste Abweichung gegenüber dem AE besteht darin, daß in § 65 StGB auf die Einweisung der chronisch Rückfälligen verzichtet wird, bei denen die Verfasser des A E in Übereinstimmung mit kriminologischen Erkenntnissen von einer „Psychopathievermutung" ausgingen. Wie unbefriedigend in diesen Fällen die Reaktion des § 48 StGB (Rückfallschärfung) ist, wurde oben unter 6. b. dd ausgeführt. Die Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt ist nunmehr für vier Tätergruppen vorgesehen: (1) Täter mit schweren Persönlichkeitsstörungen sowie gravierenden Vorverurteilungen, Vorverbüßungen und Anlaßtaten, bei denen die Gefahr weiterer erheblicher rechtswidriger Taten besteht (§ 65 Abs. 1 Nr. 1 StGB). (2) Sexualtäter mit ungünstiger Gefahrprognose (§65 Abs. 1 Nr. 2 StGB). (3) Jüngere Täter (bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres), die sich noch in der Entwicklung befinden und Gefahr laufen, sich zu Hangtätern zu entwickeln (§65 Abs. 2 StGB). Insoweit übernimmt also die sozialtherapeutische Anstalt die Funktion der in § 86 E 1962 vorgesehenen vorbeugenden Verwahrung. (4) Täter, bei denen an sich die Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vorliegen, für die aber nach ihrem Zustand die besonderen therapeutischen Mittel und sozialen Hilfen der

Strafrechtsreform sozialtherapeutischen Anstalt zu einer Resozialisierung besser geeignet sind als die Behandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 65 Abs. 3 StGB). Die sozialtherapeutische Anstalt ist insoweit an die Stelle der im E 1962 vorgesehenen Bewahrungsanstalt getreten. Das Inkrafttreten des § 65 StGB wurde zunächst durch Gesetz vom 30.7.1973 auf den 1.1.1978, sodann durch Gesetz vom 22.12.1977 auf den 1.1.1985 hinausgeschoben, weil die Bundesländer bislang nicht in der Lage waren, sozialtherapeutische Anstalten in der erforderlichen Zahl und dem nötigen Umfang einzurichten. Nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge muß sogar bezweifelt werden, ob es überhaupt zur Verwirklichung dieses Kernstücks der Reform im Bereich der Maßregeln der Besserung und Sicherung kommen wird. Es wird nämlich zunehmend die sog. Vollzugslösung gefordert, d. h. die Herausnahme der sozialtherapeutischen Anstalt aus dem Maßregelsystem und ihre Eingliederung in den Strafvollzug als besondere Vollzugsmaßnahme (entspr. §9 StrVollzG). Bei einer dahingehenden Entscheidung des Gesetzgebers wäre zu befürchten, daß die reformerischen Anliegen der AE-Verfasser noch weiter zurückgedrängt werden und die Sozialtherapie auf die begrenzten Möglichkeiten des allgemeinen Strafvollzugs zurückgestutzt wird. Alle Maßregeln der Besserung und Sicherung, auf deren Ausgestaltung im einzelnen hier nicht eingegangen werden kann, sind in § 62 StGB ausdrücklich dem aus dem Rechtsstaatsprinzip fließenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unterstellt. Bei der Entziehung der Fahrerlaubnis ging der Gesetzgeber davon aus, daß diesem Prinzip bereits durch die Umschreibung der Voraussetzungen für diese Maßregel Genüge getan ist (vgl. § 69 Abs. 1 S.2 StGB). Das Übermaßverbot wird weiter konkretisiert in §72 Abs. 1 S.2 StGB, wonach unter mehreren in Betracht kommenden zweckentsprechenden Maßregeln denjenigen der Vorzug zu geben ist, die den Täter am wenigsten beschweren. Die Hauptschwierigkeit eines jeden zweispurigen Rechtsfolgensystems liegt in der befriedigenden Regelung des Verhältnisses von Strafen und Maßregeln. Das alte Recht folgte dem Kumulationsprinzip, d.h. der Doppelvollziehung von Strafe und Maßregel, wobei die Strafe grundsätzlich vor der Maßregel zu vollstrecken war. Gerade gegen diesen Dualismus richtete sich der immer wieder erhobene Vorwurf der Doppelbestrafung. Um ihn auszuräumen, ist der Reformgesetzgeber nach dem Vorbild des Schweizerischen Rechts zum Prinzip des Vikariierens übergegangen, also zu der Ersetzung des Vollzugs der Strafe durch den vorangegangenen Vollzug der Maßregel und umgekehrt. Um der Resozialisierungsfunktion der Maßregeln, die schon in der Titelüberschrift vor § 61 StGB durch die Voranstellung der Besserung vor die Sicherung betont wird, Rechnung zu tragen, sind die freiheits-

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entziehenden Maßregeln mit Ausnahme der Sicherungsverwahrung, der damit jeglicher Besserungscharakter abgesprochen wird, grundsätzlich vor einer daneben verhängten Freiheitsstrafe zu vollziehen (§ 67 Abs. 1 StGB). Der Vikariierungsgedanke findet sich dann in §67 Abs. 4 StGB, wonach der Vollzug der Maßregel auf die Strafe anzurechnen ist. Wird umgekehrt ausnahmsweise die Strafe vor der Maßregel vollzogen (§ 67 Abs. 2 StGB), so hat das Gericht nach Strafverbüßung zu prüfen, ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung noch erfordert. Falls nein, wird die Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt. Berücksichtigt man weiter, daß nach § 67 b StGB die Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, einer Entziehungsanstalt oder einer sozialtherapeutischen Anstalt bei Vorliegen besonderer Umstände auch von vornherein zur Bewährung ausgesetzt werden kann, und daß ferner ein Austausch von Maßregeln im Vollzug möglich ist (§ 67 a StGB), so kann in der Tat von einem flexiblen System der einheitlichen Gesamtwirkung auf den Verurteilten gesprochen werden. Im Ergebnis wurden mit anderen Worten die beiden Spuren des deutschen Rechtsfolgensystems auf der Ebene der Vollstreckung weitgehend in eine Einspurigkeit übergeleitet. Abschließend ist zu vermerken, daß als Reaktion auf die schweren terroristischen Straftaten der jüngsten Zeit auch eine Strafrechtsverschärfung im Bereich der Maßregeln der Besserung und Sicherung diskutiert wird, nämlich im Gegensatz zum geltenden §66 StGB die Sicherungsverwahrung schon nach einmaliger Begehung bestimmter schwerer Delikte und bei Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung bzw. Bildung einer solchen Vereinigung (§ 129 a StGB) zuzulassen. e) S t r a f r e g i s t e r r e c h t u n d R e c h t d e r O p f e r e n t s c h ä d i g u n g . Die Übersicht über die Reform der strafrechtlichen Sanktionen wäre unvollständig ohne einen Bück auf die wichtigsten Neuerungen im Registerrecht und die gesetzgeberischen Bemühungen um die Entschädigung der Opfer von Straftaten. Denn einerseits kann die Wiedereingliederung des Straftäters in die Gesellschaft schwer behindert werden, wenn alle ihn betreffenden Entscheidungen, auch solche wegen geringfügiger Verstöße, ins Strafregister eingetragen werden und darüber noch nach Jahren oder gar Jahrzehnten umfassend Auskunft erteilt wird. Andererseits kann kein wirklicher Rechtsfrieden eintreten, wenn den Opfern von Straftaten keine Hilfe zuteil wird; abgesehen von der Enttäuschung und Verbitterung der von der Gesellschaft im Stich gelassenen Verbrechensopfer wird die Bevölkerung den vielfältigen Bemühungen um Humanisierung des Strafvollzuges und Resozialisierung der Verurteilten um so kritischer gegenüberstehen, je weniger für die Opfer eben dieser Verurteilten geschieht.

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Strafrechtsreform

a a ) R e g i s t e r r e c h t . In die durch die Strafregisterverordnung von 1882 geschaffenen einheitlichen Strafregister, die von den für den Geburtsort der Verurteilten zuständigen Staatsanwaltschaften bzw. vom Reichsjustizamt (Auslandsstrafregister) geführt wurden, wurden sämtliche Verurteilungen eingetragen und darüber praktisch auf Lebenszeit des Verurteilten an alle Behörden uneingeschränkte Auskunft erteilt. Die nachteiligen Folgen vor allem für das berufliche Fortkommen der Verurteilten wurden durch alsbald einsetzende gnadenweise Löschungen in Härtefällen, die noch vor dem ersten Weltkrieg legalisiert wurden, sowie durch reichseinheitliche Löschungserlasse in den Ländern nicht wesentlich gemildert. Nennenswerte Besserung brachte erst das Straftilgungsgesetz vom 9.4.1920 (RGBl. S. 507) mit der Einführung der beschränkten Auskunft und der Tilgung - Vergünstigungen, von denen allerdings Verurteilungen zum Tode und zu Zuchthaus ausgeschlossen blieben. Mit dem Einsetzen der Bemühungen um eine Gesamtreform des Strafrechts Anfang/Mitte der fünfziger Jahre wurde auch die Regelung des Registerwesens als unbefriedigend, weil immer noch zu rehabilitationsfeindlich, empfunden, und zwar vor allem wegen des zu umfangreichen Kreises auskunftsberechtigter Behörden, wegen des beschränkten Umfanges des Schweigerechts des Verurteilten, der seine Bestrafung auf Befragen einer Behörde selbst dann offenbaren mußte, wenn diese Behörde die Verurteilung vom Strafregister nicht mehr mitgeteilt bekam, sowie wegen der zu langen Fristen für beschränkte Auskunft und Tilgung. Ungereimt war auch das nie beseitigte Nebeneinander von Strafregister und den aufgrund landesrechtlicher Vorschriften weitergeführten Vorstrafenlisten der Polizeibehörden, die die Grundlage für die Erteilung von Leumundsbzw. Führungszeugnissen bildeten. Das schließlich nach längeren Vorarbeiten, u. a. im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform, am 18.3.1971 vom Bundestag verabschiedete Gesetz über das Zentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz - B Z R G , BGBl. I S. 243) brachte eine umfassende Normierung des Strafregisterrechts, in die auch Vorschriften über Führungszeugnisse, die registerrechtliche Regelung des J G G sowie die Bestimmungen über die gerichtliche Erziehungskartei einbezogen wurden. Organisatorisch bedeutsam war vor allem die Errichtung eines vom Generalbundesanwalt in Berlin geführten zentralen Registers (§§ 1 und 2 B Z R G ) , das an die Stelle der bisher von den Staatsanwaltschaften geführten Register trat, weiter die Einführung eines einheitlichen Führungszeugnisses (§§28-38 B Z R G ) . Von den materiellrechtlichen Änderungen gegenüber dem alten Recht i. S. einer wirksamen Rehabilitierung des Verurteilten sind folgende hervorzuheben: Nach § 30 Abs. 2 B Z R G werden bestimmte erstmalige sowie geringfügige Bestrafungen von vornherein nicht in das Führungszeugnis aufgenommen; die

Fristen, nach deren Ablauf Verurteilungen nicht mehr in das Führungszeugnis aufgenommen werden, wurden verkürzt (vgl. §§31, 32 B Z R G ) ; das Auskunftsrecht von Behörden wurde wesentlich eingeschränkt (vgl. §29 B Z R G ) ; vor allem im Bereich der kleineren Kriminalität wurden die Tilgungsfristen verkürzt (§44 B Z R G ) ; in §51 B Z R G wurde die Befugnis des Verurteilten, sich als unbestraft zu bezeichnen, erweitert. Auf teilweise scharfe Kritik ist §49 Abs. 1 B Z R G gestoßen, der von der Rechtsprechung dahingehend ausgelegt wird, daß eine frühere Verurteilung des Angeklagten, die im Zentralregister getilgt oder zu tilgen ist, in einem neuen Strafverfahren nicht strafverschärfend verwertet werden darf. Es sei unverständlich, daß nach §46 Abs.2 StGB u.a. das gesamte Vorleben des Täters bei der Strafzumessung in Betracht zu ziehen sei, dagegen die Berücksichtigung gerade solcher Vorgänge verboten sein solle, die von der Natur der Sache her besonders geeignet wären, die Strafe für den neuen Rechtsbruch mitzubestimmen. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch in BVerfGE 36, 174 die Vereinbarkeit des § 49 Abs. 1 B Z R G mit dem Grundgesetz bejaht: die Herausnahme bestimmter Vorverurteilungen und Vortaten des Beschuldigten aus der Gesamtheit der Tatsachen, die der Richter im Verfahren feststellen darf und bei seiner Entscheidung verwerten kann, führe - aufs Ganze gesehen - nicht zu einer nennenswerten Beeinträchtigung der Strafrechtspflege. bb) R e c h t der Opferentschädigung. Ein junger Teilbereich der Kriminologie, die - » Viktimologie, die, gestützt vor allem auf die interaktionistisch-sozialpsychologische Betrachtungsweise des Verbrechens, den Wechselwirkungsprozeß zwischen Täter und Opfer bei der Entstehung und Verhütung der Kriminalität erforscht, hat die Aufmerksamkeit auch auf die häufig desolate Situation der Opfer von Straftaten gelenkt, die wegen der intensiven Diskussion um die Resozialisierung der Straftäter zeitweilig weitgehend aus dem Blickfeld geraten war. Einen ersten Schritt zur Verbesserung der Lage der Kriminalitätsopfer hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) vom 11.5.1976 (BGBl. I S. 1181) getan. Wie schon der Name des Gesetzes sagt, werden nur die Folgen vorsätzlicher tätlicher Angriffe gegen Personen sowie der rechtmäßigen Abwehr solcher Angriffe erfaßt. Die Entschädigung ist beschränkt auf den Ausgleich der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen von gesundheitlichen Schädigungen. Sie erfolgt in Gestalt einer Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (§ 1 Abs. 1 OEG). In § 1 Abs. 2 O E G werden dem tätlichen Angriff die vorsätzliche Giftbeibringung sowie gewisse - auch fahrlässig begangene gemeingefährliche Delikte gleichgestellt, in § 1 Abs. 3 O E G Schädigungen durch bestimmte Unfäl-

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Strafrechtsreform le in die Regelung einbezogen. Nach § 2 Abs. 1 O E G sind Leistungen insbesondere dann zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat, nach § 2 Abs. 2 O E G können sie versagt werden, wenn es der Geschädigte unterlassen hat, das ihm Mögliche zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Verfolgung des Täters beizutragen. Keine Zuwendung erhalten insbesondere die Opfer von Eigentums- und Vermögensdelikten, obwohl auch diese Straftaten Folgen haben können, die an die Existenz der Betroffenen rühren. Die dafür vorgebrachten Gründe - z . B . leichte Versicherungsmöglichkeiten für Vermögenswerte, Gefahr mißbräuchlicher Anträge, physischer Schaden sei schwerer als Eigentumsschaden - sind letztlich wenig überzeugend. Man sollte offen zugeben, daß staatliche Ersatzleistungen für die Opfer von Straftaten gegen das Vermögen die Leistungsfähigkeit des Fiskus übersteigen würden.

B. Reformen im Besonderen Teil des Strafgesetzbuches und im Nebenstrafrecht 1.

Einleitung

Der Entwurf 1962 eines StGB sah eine umfassende Neugestaltung auch des Besonderen Teils des StGB vor. Dieser Gesetzgebungsoptimismus hat sich nicht erfüllt. Es hat sich gezeigt, daß der heutige Gesetzgeber mit einer Reform des gesamten Strafrechts in einem Wurf und aus einem Guß überfordert ist. Dies wurde gerade auch im Besonderen Teil offenbar, wo die Würfel darüber fallen, welche Verhaltensweisen unter Strafe gestellt werden sollen, denn hier prallen in der vielberufenen pluralistischen Gesellschaft die unterschiedlichsten weltanschaulichen Strömungen aufeinander. Man kann es als Tragik des E 1962 bezeichnen, daß er dies verkannt oder sich bewußt darüber hinweggesetzt hat und den Bereich des Strafbaren nach einer Konzeption ausgestalten wollte, die nach rückwärts gerichtet war und wegen ihrer Einseitigkeit zwangsläufig Widerspruch herausfordern mußte. Es war nicht einmal die noch relativ liberale Konzeption des Reichsstrafgesetzbuches von 1871, sondern eine Konzeption, die vornehmlich darauf bedacht war, sorgsam alle Lücken auszufüllen, die trotz entsprechender Bemühungen in zahlreichen Novellen und in der Judikatur in dem 1871 geknüpften Strafbarkeitsnetz noch geblieben waren. So ist es heute allgemeine Auffassung, daß der im E 1962 vorgeschlagene Besondere Teil, vor allem in den ideologieanfälligen Materien (z.B. Sexualdelikte, Schwangerschaftsabbruch), bereits bei seiner Vorlage veraltet war und es erst recht bei seinem Inkrafttreten gewesen wäre. Sein Verdienst bleibt es, das Strafrecht einer zu Ende gehenden Epoche nochmals umfassend und auf dogmatisch hohem Niveau gespiegelt und damit eine konzentrierte

Grundlage für eine echte Reformdiskussion gegeben zu haben, aus der dann zahlreiche gesetzgeberische Neuerungen auch im Besonderen Teil hervorgegangen sind. Auf die wichtigsten ist im folgenden kurz einzugehen, wobei in die Darstellung auch bedeutsame Novellen einbezogen werden, die vor oder unabhängig von den großen amtlichen Entwürfen erfolgt sind.

2. Straftaten gegen die Person a ) Ü b e r s i c h t . Schwerpunkte der bisherigen Reformtätigkeit auf diesem Gebiet bilden die Delikte gegen das werdende Leben (nachstehend b) sowie die Verletzungen des persönlichen Lebensund Geheimbereichs (unten c). Außerdem ist auf die Einführung bestimmter Tatbestände im Bereich der Straftaten gegen die persönliche Freiheit einzugehen (d). Die Diskussion einer Reform der Tötungsdelikte hat durch die Lebenslangen-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 45,187 ff.) neuen Auftrieb erhalten (dazu bereits oben A 6 b , aa), insbesondere was die Abgrenzung der schwersten Tötungsfälle von den weniger schweren anlangt. Ein Hauptproblem besteht darin, ob die Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag aufrechterhalten werden soll; so der E 1962 in seinen §§ 134 und 135, wobei das vor der Neugestaltung des § 211 im Jahre 1941 maßgebende Kriterium der Überlegung wieder ins Spiel gebracht wird; dagegen der Alternativ-Entwurf, der keine tatbestandsmäßige Trennung von Mord und Totschlag vorsieht, sondern lediglich qualifizierte Fälle der Tötung (§ 100 A E ) kennt, für welche die lebenslange Freiheitsstrafe nicht zwingend angedroht ist, vor allem weil „die erschwerenden M e r k m a l e . . . nur jeweils einen Umstand der Tat erfassen können, der durch andere, mildernde aufgewogen werden kann" (AE Begr. zu § 100). Die denkbaren Modelle sind damit keineswegs erschöpfend wiedergegeben, ganz zu schweigen von anderen Problemen, welche eine Neugestaltung der Tötungsdelikte aufwirft. Da der E 1962 ganz sicher nicht das letzte Wort von Seiten der amtlichen Reformer ist, konkrete andere amtliche Vorschläge aber noch nicht vorliegen, erscheint es verfrüht, den ganzen Komplex in diesem Artikel näher darzustellen. - Einen umfassenden Überblick über den gegenwärtigen Diskussionsstand vermitteln das Gutachten (Eser) und die Referate (Fuhrmann und Lackner) sowie die Verhandlungen des 53. DJT 1980. Die intensive Diskussion des Umweltschutzes in den letzten Jahren hat die Verpflichtung des Strafgesetzgebers ins Bewußtsein gerufen, das menschliche Leben und die menschliche Gesundheit vor den Gefahren der Gewässer- und Luftverunreinigung und des Lärms sowie der Herstellung und des Vertriebs schädlicher Produkte (ungeprüfte Arzneimit-

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tel und Chemikalien, gesundheitsschädliche Lebensmittel u. dgl.) zu schützen. Der AlternativEntwurf eines StGB (Besonderer Teil, Straftaten gegen die Person, 2. Halbband, 1971) hat diese individualrechtliche Komponente des Umweltschutzes ganz in den Vordergrund gestellt und in §§ 151-162 AE neben den hergebrachten „gemeingefährlichen Delikten" (Brandstiftung, Herbeiführung einer Explosion oder Überschwemmung u. dgl.) entsprechende Tatbestände der Personengefährdung vorgeschlagen. Der amtliche Gesetzgeber ist dieser rein persondeliktischen Konzeption des Umweltstrafrechts nicht gefolgt, sondern hat mit dem 18. StrÄndG vom 28.3.1980 (BGBl. I S. 373) im 28. Abschnitt des Besonderen Teils des StGB „Straftaten gegen die Umwelt", §§ 324-330d StGB, Vorschriften geschaffen, die neben dem Menschen die ökologischen Güter und die Umwelt als Ganzes schützen. - Zu diesem umfassenden Umweltstrafrecht näher unten B. 7. b ) S t r a f t a t e n g e g e n d a s w e r d e n d e Leb e n . Das im 19. Jahrhundert einsetzende und in §218 RStGB normierte strikte Abtreibungsverbot wurde erstmals im Jahre 1927 durch die Rechtspre- • chung gelockert: Das Reichsgericht (RGSt. 61,242) sah eine zur Abwendung einer gegenwärtigen ernsten Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der Mutter erfolgende Abtreibung als gerechtfertigt an (Anerkennung des übergesetzlichen Notstandes, jetzt in § 34 StGB allgemein - dazu oben A 5 b, dd und in § 218 a Abs. 1 Nr. 2 StGB als medizinische Indikaton speziell für den Schwangerschaftsabbruch geregelt). Bereits 1908 war vergeblich versucht worden, die medizinische Indikation im Gesetz zu verankern. Die Entwürfe 1927 und 1930 sahen jeweils in §254 entsprechende Regelungen mit der Folge des Ausschlusses der Tatbestandsmäßigkeit - vor und wollten diese auf die Tötung eines in der Geburt begriffenen Kindes ausdehnen (so auch § 157 Abs. 2 E 1962 und § 104 AE). Die Voraussetzungen der medizinischen Indikation wurden dann erstmals in § 14 Abs. 1 des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (ErbgesundheitsG) vom 14.7.1933 (RGBl. I S. 529) gesetzlich geregelt. Durch eine Novelle zu diesem Gesetz vom 26.6.1935 (RGBl. I S. 1035) wurde auch die eugenische Indikation anerkannt. § 14 Abs. 1 ErbgesundheitsG galt nach dem Zusammenbruch von 1945 in einzelnen Ländern weiter. Der E 1962 anerkannte lediglich die medizinische Indikation (§ 157 Abs. 1) und gab „im Hinblick auf den hohen Rang des geschützten Rechtsguts... einer Straflosigkeit der Abtreibung aus anderen G r ü n d e n . . . keinen Raum"; Begr. zu § 140, S. 278 r. Sp. (zur sozialen und eugenischen Indikation) und Vorbem. vor §157, S.292f. (zur ethischen Indikation). Damit setzte sich der amtliche Reformgesetzgeber über die Realitäten des Schwangerschaftsabbruchs hinweg, die zuletzt durch eine weitgehende Wir-

kungslosigkeit des strengen strafrechtlichen Abtreibungsverbotes (1972 standen 172 Verurteilungen nach §218 StGB schätzungsweise 100 000 bis 160 000 Abtreibungen gegenüber) und die vielfältigen Gefahren illegaler Eingriffe, vor allem für die Gesundheit der Schwangeren, gekennzeichnet waren. Die Mehrheit der Verfasser des AlternativEntwurfs (Besonderer Teil, Straftaten gegen die Person, 1. Halbband, 1970) wollte diesen Mißständen mit der Fristenlösung begegnen. § 105 Abs. 1 Nr. 1 A E wollte die innerhalb von vier Wochen nach der Empfängnis vorgenommene Schwangerschaftsunterbrechung schlechthin, § 105 Abs. 1 Nr. 2 die im zweiten oder dritten Monat nach der Empfängnis erfolgende Unterbrechung dann straflos lassen, wenn die Schwangere den Eingriff von einem Arzt vornehmen ließ, nachdem sie eine Beratungsstelle aufgesucht hatte. Die Beratungsstellen sollten die Möglichkeit besitzen, finanzielle, soziale und familiäre Hilfe zu leisten. Nachdem der Regierungsentwurf eines 5. StrRG, der eine großzügige Indikationenlösung vorgesehen hatte, in der 6. Legislaturperiode vom Deutschen Bundestag nicht mehr hatte verabschiedet werden können, brachten in der 7. Wahlperiode die Koalitionsfraktionen der SPD und FDP einen auf dem Fristenmodell des A E fußenden Entwurf ein, der als 5. StrRG vom 18.6.1974 (BGBl. I S. 1297) verabschiedet wurde. Dieses Gesetz wurde auf Antrag von 193 Mitgliedern des Deutschen Bundestags sowie der Landesregierungen von Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, des Saarlandes und von Schleswig-Holstein vom Bundesverfassungsgericht unter richterlicher Schaffung einer Übergangslösung durch eine wiederholt verlängerte einstweilige Anordnung am Inkrafttreten gehindert und schließlich in seinem Kernbereich, dem die Fristenlösung enthaltenden §218a StGB, für verfassungswidrig erklärt (BVerfGE 39, l f f . vom 25.2.1975): Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG schütze auch das werdende Leben, das überdies am Schutz der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG) teilhabe. Den Staat treffe die Pflicht, jedes menschliche Leben zu schützen, wobei dem Gesetzgeber ein Ermessensspielraum zustehe, der ihn nicht auf strafrechtlichen Schutz festlege, sondern auch andere, etwa präventive Lösungen zulasse, z. B. wirksame Hilfe für Frau und Kind, insbesondere für das uneheliche Kind und die uneheliche Mutter, ferner Beratung der Mutter. Mit dem 5. StrRG habe jedoch der Gesetzgeber dieses Ermessen überschritten, indem er die Vernichtung des werdenden Lebens ohne das Erfordernis von Indikationen für eine bestimmte Frist völlig straffrei gelassen habe. Die im Gesetz vorgeschriebene Beratung durch eine Beratungsstelle und einen Arzt seien ungeeignet, bei der Schwangeren wirksame Motivationen gegen eine Abtreibung aufzubauen, vor allem weil die Beratungsstelle selbst keine wirksame Hilfe leisten könne und der beratende Arzt dann selbst die Schwangerschaft abbre-

Strafrechtsreform chen könne, so daß von ihm keine sachgerechte Aufklärung mit dem Ziel erwartet werden könne, auf eine Fortsetzung der Schwangerschaft hinzuwirken. Obwohl diese Entscheidung den Gesetzgeber nicht gezwungen hätte, völlig vom Fristenmodell abzurücken - er hätte die Kompetenzen der Beratungsstellen im Sinne einer Gewährung finanzieller, sozialer und familiärer Hilfen ausbauen können, wie dies der Alternativ-Entwurf vorgesehen hatte - , schuf er mit dem 15.StrÄndG vom 18.5.1976 (BGBl. I S . 1213) eine Indikationenlösung mit einer übergreifenden medizinisch-sozialen Indikation, in welche die embryopathische (auch als eugenische, genetische oder kindliche Indikation bezeichnet), die kriminologische (auch als ethische, humanitäre oder Vergewaltigungsindikation bezeichnet) sowie die Notlagenindikation (auch als soziale Indikation bezeichnet) eingebunden sind (vgl. §218a StGB). Die Neuregelung begünstigt die Schwangere stark; sie bleibt auch bei Fehlen einer Indikation straflos, wenn der Schwangerschaftsabbruch nach Beratung von einem Arzt vorgenommen worden ist und seit der Empfängnis nicht mehr als 22 Wochen verstrichen sind (§218 Abs. 3 S . 2 StGB). Aus diesem Grunde wird gegen das 15. StrÄndG der Vorwurf einer verkappten Fristenlösung erhoben und werden erneut verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht. Auch ansonsten ist die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruches durch das 15. StrÄndG der Kritik ausgesetzt, nicht zuletzt wegen ihrer weitgehenden Unverständlichkeit für juristische Laien, die gerade hier, wo weite Bevölkerungskreise betroffen sind, hätte vermieden werden müssen. Mißlich ist schließlich die uneinheitliche Handhabung der Notlagenindikation des §218a Abs. 2 Nr. 3 StGB durch die Berater und die den Eingriff vornehmenden Kliniken, die sich teilweise - in Übereinstimmung mit ihren öffentlichrechtlichen Trägern und ohne auf die selbstverständlich zu respektierende Gewissensentscheidung des handelnden Arztes abzustellen - weigern, Unterbrechungen wegen einer sozialen Notlage der Schwangeren durchzuführen. c) V e r l e t z u n g des p e r s ö n l i c h e n Lebens* u n d G e h e i m b e r e i c h s . Vor allem drei Umstände haben in den letzten beiden Jahrzehnten zu einer ständig wachsenden Bedrohung der Privatsphäre geführt: erstens die Entwicklung von immer raffinierteren elektronischen Geräten zum unbemerkten Abhören und Festhalten des gesprochenen menschlichen Wortes, zweitens die Zunahme von Berufen, die sich mit der Bewältigung von Problemen der Intimsphäre befassen, und drittens das Interesse der öffentlichen Verwaltung an immer mehr Information über die Bürger, gekoppelt mit der Schaffung technischer Möglichkeiten zur unbeschränkten Speicherung und Wiedergabe solcher Daten. Auf den erstgenannten Gefahrenkreis hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zum

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strafrechtlichen Schutz gegen den Mißbrauch von Tonaufnahme- und Abhörgeräten vom 22.12.1967 (BGBl. I S. 1360) reagiert, durch das der damalige § 298 (Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes) ins StGB eingefügt wurde (jetzt §201 StGB). Die Vorschrift geht auf § 183 E 1962 zurück; der Alternativ-Entwurf (Besonderer Teil, Straftaten gegen die Person, 2. Halbband, 1971) wollte über das unbefugte Abhören hinaus auch das unbefugte Abbilden unter Strafe stellen (§146 Abs. 2 AE). Um der mißbräuchlichen Verwendung von Abhörgeräten besser vorbeugen zu können, hat Bayern im Bundesrat 1978 den Entwurf eines Gesetzes zur Verhinderung des Mißbrauchs von Abhörsendeanlagen eingebracht (BT-Drucks. 337/78), der u.a. eine Pönalisierung des Erwerbs von Abhörsendeanlagen ohne Erlaubnis vorsieht. Zur Verabschiedung eines solchen Gesetzes ist es bislang nicht gekommen. Der Schutz von privaten Geheimhaltungsinteressen wurde in §203 StGB (Fassung durch das E G S t G B 1974 und das 15. StrÄndG) beträchtlich erweitert. Die Vorschrift regelt in Abs. 1 die Materie des alten § 300 StGB (Verletzung des Berufsgeheimnisses), wobei die schweigepflichtigen Berufsgruppen entsprechend der oben geschilderten Tendenz stark vermehrt wurden. §203 Abs. 2 StGB erfaßt in Anlehnung an § 186 E 1962 den Bruch von Privatgeheimnissen durch Amtsträger und besonders Verpflichtete; die Vorschrift löste insoweit eine ganze Reihe einschlägiger Tatbestände im Nebenstrafrecht ab. In seinem Abs.2 S . 2 übernimmt § 203 StGB spezifische Aufgaben des vielberufenen Datenschutzes; er tritt damit in Konkurrenz zu dem noch umfassenderen § 41 des Bundesdatenschutzgesetzes vom 27.1.1977 (BGBl. I S. 201). Nicht zuletzt wegen des Zeitdruckes, unter dem der Gesetzgeber mit dem E G S t G B 1974 stand, wurde davon abgesehen, eine Vorschrift über die öffentliche Erörterung fremder Privatangelegenheiten (öffentliche Bloßstellung) in das StGB einzufügen, was einer alten Reformforderung entsprochen hätte und wie sie der E 1962 in § 182 und der A E in § 145 vorgeschlagen hatten, wobei der AlternativEntwurf den Indiskretionsschutz auch bei nicht ehrenrührigen Mitteilungen gewähren möchte. d) S t r a f t a t e n gegen die p e r s ö n l i c h e F r e i h e i t . Die Freiheitsdelikte bieten zwei anschauliche Beispiele für Ad-hoc-Reaktionen des Gesetzgebers auf neue Erscheinungsformen der Kriminalität: Auf dem Höhepunkt des kalten Krieges (KoreaKrise) wurden auf Veranlassung der dortigen Machthaber politisch mißliebige Personen aus der Bundesrepublik und Westberlin in die D D R verschleppt. Sie waren dort rechtsstaatswidriger politischer Verfolgung ausgesetzt und erlitten teilweise ein bis heute unaufgeklärtes Schicksal (Fall Linse). Daraufhin wurde das Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit vom 15.7.1951 (BGBl. I S. 448)

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erlassen, das mit §234a StGB einen entsprechenden Verschleppungstatbestand ins StGB einfügte und in § 241 a StGB die politische Verdächtigung von Personen unter Strafe stellte, die sich bereits in einem Gebiet befinden, wo ihnen bei Denunziation Gewalt- oder Willkürmaßnahmen aus politischen Gründen drohen. Das zweite Beispiel ist das 12. StrÄndG vom 16.12.1971 (BGBl. I S . 1979), mit dem der Gesetzgeber eine wirksamere Bekämpfung der politisch und habsüchtig motivierten Entführungskriminalität verfolgte, die weltweit in erschreckendem Ausmaße zugenommen hatte. § 239 a StGB wurde vom erpresserischen Kindesraub, dem sog. Kidnapping, auf den erpresserischen Menschenraub schlechthin ausgedehnt (Fall Albrecht). Mit §239b StGB wurde eine Bestimmung eingefügt, die solche Täter erfaßt, welche nicht erpresserisch handeln, sondern mit der Tat andere Verhaltensweisen abnötigen wollen, etwa die Freilassung inhaftierter Gesinnungsgenossen (Anschlag auf die deutsche Botschaft in Stockholm, Entführung von Hans Martin Schleyer). e) Straftaten gegen die sexuelle S e l b s t b e s t i m m u n g . Sein illiberaler Perfektionismus bei der Konzeption der Straftaten gegen die Sittlichkeit, der sich schon daran zeigt, daß an die Stelle der 17 Paragraphen des alten Rechts 32 Paragraphen treten sollten, hat dem E 1962 die schärfste Kritik eingetragen. Sie formierte sich auf der Strafrechtslehrertagung 1965, erfaßte auf dem 47. Deutschen Juristentag 1968 eine breitere juristische Öffentlichkeit und schlug sich im Alternativ-Entwurf „Sexualdelikte" von 1968 in einem rigorosen Gesetzesvorschlag nieder (1970 integriert in den A E „Straftaten gegen die Person" 1. Halbbd.). Der A E beschränkte sich auf die Pönalisierung gravierenden sozialschädlichen Verhaltens, also von Handlungen, die sich nicht nur gegen das Sittlichkeitsempfinden (wessen?), sondern gegen greifbare Rechtsgüter richten: „Angriffe auf die Jugend, soweit diese Jugend dadurch in ihrer Entwicklung beeinträchtigt werden kann, und Angriffe auf Erwachsene, soweit dabei Gewalt oder gravierende Formen von Nötigung angewendet werden oder ein Mißbrauch Wehrloser vorliegt" (AE Sexualdelikte, Begr. S. 9). Die staatliche Reform erfolgte in zwei Etappen: Zunächst wurde durch das 1. StrRG von 1969 die Strafbarkeit des Ehebruchs, der einfachen Homosexualität, der Unzucht mit Tieren (Sodomie) sowie der Erschleichung des außerehelichen Beischlafs abgeschafft, nachdem in den gesellschaftlich relevanten Gruppen breiter Konsens dahingehend bestand, daß Strafe nicht die richtige Reaktion auf diese Verhaltensweisen ist. Der zweite Schritt war das 4. StrRG von 1973, welches das Sexualstrafrecht auf einer mittleren Linie zwischen dem alten Recht und den Vorschlägen des Alternativ-Entwurfes erneuerte. Entgegen der neugefaßten

Überschrift des 13. Abschnitts des Besonderen Teils enthält das reformierte Sexualstrafrecht nicht nur Freiheitsdelikte in der Sphäre des Geschlechtlichen, sondern nach wie vor auch Tatbestände, hinter denen Verbote einer bestimmten Sittenordnung stehen, etwa das Anwerben zur Prostitution (§ 180 a Abs. 3 StGB), die kupplerische Zuhälterei (§181a Abs. 2 StGB) und die Ausfuhr pornographischer Schriften ins Ausland (§184 Abs. 1 Nr. 9 StGB; insoweit allerdings Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zur Pönalisierung durch die Internationale Übereinkunft zur Bekämpfung der Verbreitung und des Vertriebs unzüchtiger Veröffentlichungen von 1923). Speziell in der Beurteilung der Pornographie, deren akribische Regelung durch das neue Recht im übrigen stark kritisiert wird, ist ein Wandel der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Großzügigkeit hin eingetreten, den nach der Entscheidung des Großen Senats des B G H für Strafsachen von 1954 (BGHSt. 6, 46) zur Unzüchtigkeit des Geschlechtsverkehrs zwischen Verlobten zunächst niemand für möglich gehalten hat. Bahnbrechend war das Fanny-Hill-Urteil von 1969 (BGHSt. 23, 40). Man muß diese Entwicklung der Judikatur in die Betrachtung einbeziehen, wenn man ein abgerundetes Bild von dem tiefgreifenden Umbruch des Sexualstrafrechts seit Vorlage des E 1962 gewinnen will.

3. Straftaten gegen das Vermögen a ) A l l g e m e i n e s . Obwohl die Grundkonzeption des Eigentums- und Vermögensschutzes im RStGB von 1871 immer wieder in Frage gestellt worden ist - Problem der Zivilrechtsabhängigkeit, das mit dem Aufkommen der Sicherungsrechte des modernen Wirtschaftsverkehrs erwachsen ist; Problematik der Doppelspurigkeit des Vermögensschutzes durch Tatbestände zum Schutze spezialisierter Vermögenswerte, insbesondere des Eigentums, und durch Vorschriften zum Schutze des Vermögens als solchen; Frage des Verhältnisses von Verschiebungs- und Entziehungsdelikten - , hat der Kernbereich der Vermögensdelikte auch im Zuge der Nachkriegsreformen keine grundlegenden dogmatischen Änderungen erfahren. Sieht man von der Umgestaltung der erschwerten Diebstahlsfälle in den §§243 und 244 StGB durch das 1. StrRG von 1969 (zu der vom Gesetzgeber in § 243 StGB verwendeten Regelbeispielstechnik vgl. bereits oben A 6 b , dd) und der Raubqualifikationen (§§250, 251 StGB) durch das EGStGB von 1974 ab, so sind die nennenswerten Reformmaßnahmen mehr im Randbereich der klassischen Vermögensdelikte erfolgt: einmal bei der Bagatellkriminalität (dazu bereits oben A 4 b , insbes. 4 b , cc), zum anderen bei der Wirtschaftskriminalität (dazu nachstehend b).

Strafrechtsreform b ) W i r t s c h a f t s s t r a f r e c h t . Vgl. zunächst die Artikel —* Wirtschaftskriminalität und —> Wirtschaftsstrafrecht. Die folgenden Ausführungen können sich auf einen kurzen Überblick über die jüngsten Bemühungen um eine wirksamere Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität durch Verbesserung bestehender oder Schaffung neuer Straftatbestände beschränken. Zu nennen ist vor allem das Erste Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (1. WiKG) vom 29.7.1976 (BGBl. I S. 2034), durch das der Subventions- und Kreditbetrug (§§264, 265 b) neu ins StGB eingefügt, die Konkursdelikte (§§283 ff. StGB) wieder ins StGB übernommen und der Wucher neu und nunmehr in einem Tatbestand (§ 302 a StGB) geregelt wurden. Die §§264 und 265 b StGB wollen als abstrakte Gefährdungsdelikte bereits unrichtige und unvollständige Angaben bei der Beantragung einer Subvention oder eines Kredits erfassen, verzichten also auf die Merkmale Irrtumserregung, Vermögensverfügung und Vermögensschaden des Betrugstatbestandes (§263 StGB). Vor allem im Subventionsbereich war den Beschuldigten schon die Erfüllung dieser objektiven Tatumstände häufig nicht nachweisbar, ganz zu schweigen von der subjektiven Tatseite. Der Gesetzgeber hielt deshalb die Schaffung der genannten Vorfeldtatbestände für vordringlich. § 264 StGB wird ergänzt durch das Gesetz gegen mißbräuchliche Inanspruchnahme von Subventionen (SubventionsG) vom 29.7.1976 (BGBl. I 2037), das in seinem § 2 den Subventionsgeber verpflichtet, dem Subventionsnehmer die subventionserheblichen Tatsachen zu bezeichnen, so daß zum Vorsatzausschluß führende Fehlvorstellungen über die Subventionserheblichkeit künftig weitestgehend ausgeschlossen sind. §4 SubventionsG will sicherstellen, daß auch die im Subventionsbereich besonders häufigen Umgehungshandlungen strafrechtlich erfaßt werden. Da die Reformbestrebungen in anderen wichtigen Bereichen des Besonderen Teils des StGB von der Absicht der Strafrechtseinschränkung auf handfeste Rechtsgutsverletzungen getragen sind - vgl. vor allem das Sexualstrafrecht (s. oben B, 2e) und das Staatsschutzstrafrecht (s. unten 8) - , wird gegen die neu geschaffenen Gefährdungstatbestände von kritischen Stimmen geltend gemacht, der Gesetzgeber sei hier zu weit gegangen, zumal in § 264 Abs. 3 StGB auch leichtfertiges Verhalten unter Strafe gestellt werde. Der Regierungsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (2. WiKG) vom 4.6.1982 (BR-Drucks. 219/82) sieht - neben Ergänzungen des Nebenstrafrechts in Gestalt des Kapitalanlagebetruges (§ 264 a StGB) einen weiteren Tatbestand im Vorfeld des Betruges vor. Mit dem Computerbetrug (§ 263 a StGB) sollen Fälle der Vermögensschädigung erfaßt werden, in denen der Täter das Ergebnis eines vermögenserheblichen Datenverarbeitungsvorgangs durch betrügerische Mittel beeinflußt, ohne daß die Merk-

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male des §263 StGB (Täuschung eines anderen Menschen) vorliegen. - Dagegen ist die Aufnahme eines immer wieder geforderten dritten betrugsähnlichen Tatbestandes, des Ausschreibungs- oder Submissionsbetruges, der bereits in §270 E 1962 vorgesehen war, wieder einmal am Widerstand der betroffenen Wirtschaftskreise gescheitert. - Ferner sieht der Entwurf eines 2. WiKG in §266a eine Strafbestimmung gegen das „Veruntreuen von Arbeitsentgelt" vor, die vor allem die bisher in verschiedenen Sozi algesetzen verstreut geregelten sozialversicherungsrechtlichen Untreuefälle zusammengefaßt pönalisieren soll. Schließlich sollen durch die geplanten §§269 und 270 StGB („Fälschung gespeicherter Daten" und „Täuschung im Rechtsverkehr bei Datenverarbeitung") Lücken im Urkundenstrafrecht geschlossen werden, die sich aus dem Einsatz von Computern ergeben haben. Ein umfassendes Konzept zur Neugestaltung des Wirtschaftsstrafrechts, soweit die Tatbestände ins StGB eingestellt werden sollten, bietet der Alternativ-Entwurf Besonderer Teil, Straftaten gegen die Wirtschaft (1977). 4. Straftaten gegen den Gemeinschaftsfrieden. Widerstand gegen die Staatsgewalt Die Reformen im Bereich dieser Delikte sind ebenso wie die oben B. 2d geschilderten Erweiterungen der Tatbestände zum Schutze der persönlichen Freiheit - Reaktionen des Gesetzgebers auf bestimmte Vorgänge, welche die Öffentlichkeit stark beunruhigt haben: Im Anschluß an antisemitische Ausschreitungen in den Jahren 1959/60 wurde durch das 6. StrÄndG vom 30.6.1960 (BGBl. I S.478) §130 StGB, der früher die Anreizung zum Klassenkampf erfaßte, zu einer Vorschrift umgestaltet, die schlechthin „Teile der Bevölkerung" gegen Hetze und Beschimpfung schützt. Gefordert wird dabei ein Angriff gegen die Menschenwürde anderer, so daß neben dem öffentlichen Frieden hier der oberste Wert unserer Gemeinschaft (Art. 1 Abs. 1 GG) ausdrücklich dem Schutz des Strafrechts unterstellt ist. Im Gegensatz zum 6. StrÄndG verfolgte das 3. StrRG, die sog. Demonstrationsnovelle, vom 20.5.1970 (BGBl. I S.505) eine strafrechtseinschränkende Tendenz. Vorausgegangen war die Studentenrevolte der Jahre 1968/69 mit ihren Demonstrationen, Hausbesetzungen, Verkehrsblockaden, Verhinderung der Auslieferung von SpringerZeitungen u. dgl. In den sich in großer Zahl anschließenden Strafprozessen offenbarte sich, daß der noch aus den Zeiten des Obrigkeitsstaates stammende strafrechtliche Schutz des Gemeinschaftsfriedens nicht mehr durchweg mit der in Art. 8 GG verfassungsrechtlich garantierten Versammlungsfreiheit und dem daraus fließenden Demonstrationsrecht in Einklang zu bringen war. Vor allem

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durch folgende Änderungen sollte das Strafrecht verfassungskonformer ausgestaltet werden: Gestrichen wurde § 110 StGB a. F., die öffentliche Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze, Verordnungen und „gegen die von der Obrigkeit . . . getroffenen Anordnungen", sowie § 116 StGB a. F., der sog. Auflauf, der zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft wurde (vgl. §113 OWiG). Einem alten Anliegen entsprechend sollte dem Schuldgrundsatz beim Landfriedensbruch dadurch Rechnung getragen werden, daß die Strafbarkeit der bloßen Zugehörigkeit zu einer gewalttätigen Menschenmenge beseitigt und § 125 StGB vom Täterkreis her auf solche Personen beschränkt wurde, die sich an Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen als Täter oder Teilnehmer beteiligen oder auf die Menschenmenge einwirken, um ihre Bereitschaft zu solchen Handlungen zu fördern. - In jüngster Zeit sind vor allem im Hinblick auf gewalttätige Aktionen von Atomkraft" und Startbahngegnern sowie Hausbesetzern verstärkt Bedenken laut geworden, ob der Gesetzgeber des 3. StrRG in der Zurücknahme der Strafbarkeitsgrenze beim Landfriedensbruch nicht zu weit gegangen ist (vgl. auch BT-Drucks. 7/4549, S. 4f.). - Gründlich durchforstet wurden schließlich die §§113 ff. StGB a . F . , Widerstand gegen die Staatsgewalt: Der Problematik der Rechtmäßigkeit der Amtsausübung beim Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte versuchte der Gesetzgeber durch eine dogmatisch komplizierte Sonderregelung in § 113 Abs. 3 und 4 StGB gerecht zu werden. § 114 StGB a . F . , die Beamtennötigung, wurde gestrichen, ebenso §115 StGB a . F . , der sog. Aufruhr, und §§ 117-119 StGB a. F. (Forstwiderstand). - Das 3. StrRG wurde begleitet von einer im StraffreiheitsG 1970 (BGBl. I S.509) gewährten Amnestie, die sich auf Straftaten nach Vorschriften erstreckte, die durch das 3. StrRG aufgehoben oder ersetzt worden waren, ferner auf Straftaten, die in der Zeit vom 1. Januar 1965 bis zum 31. Dezember 1969 durch Demonstrationen oder im Zusammenhang hiermit begangen worden waren. Schließlich ist auf die gesetzgeberischen Aktivitäten zur wirksameren Bekämpfung des Terrorismus hinzuweisen: Durch das 14.StrÄndG vom 22.4.1976 (BGBl. I S. 1056) wurden die §§88a (verfassungsfeindliche Befürwortung von Straftaten) und 130 a (Anleitung zu Straftaten) neu ins StGB aufgenommen. Mit beiden Vorschriften wollte der Gesetzgeber der verbalen Schaffung eines für die Begehung von Gewalt- und Terrorakten günstigen geistigen Klimas vorbeugen. Dasselbe Gesetz brachte eine Neufassung des § 126 StGB dergestalt, daß an die Stelle der Anordnung gemeingefährlicher Verbrechen ein erweiterter kasuistischer Katalog von Taten und an die Stelle der Friedensstörung die bloße Eignung dazu getreten ist; durch den neuen Abs. 2 wird die fälschliche Warnung vor Straftaten (z. B. durch falschen Bombenalarm) erfaßt. Eine entsprechende Bestimmung wurde dem

§241 StGB, ebenfalls als Abs. 2, angefügt. - Durch das Terroristengesetz vom 18.8.1976 (BGBl. I S. 2181) wurde schließlich mit §129a StGB (Bildung terroristischer Vereinigungen) ein qualifizierter Tatbestand im Verhältnis zu § 129 StGB (Bildung krimineller Vereinigungen) geschaffen. Wie hektisch und unüberlegt die gesetzgeberischen Aktivitäten auf diesem Feld teilweise waren, zeigt sich daran, daß die §§88a und 130 a StGB bereits fünf Jahre nach ihrem Inkrafttreten durch das 19. StrÄndG vom 7.8.1981 (BGBl. I S. 808) wieder gestrichen wurden.

5. Straftaten gegen die Sicherheit des Rechts- und Geldverkehrs a ) U r k u n d e n s t r a f t a t e n . Ebensowenig wie die Vermögensdelikte (dazu oben 3 a) wurden bislang die Urkundenstraftaten umfassend reformiert. Vielmehr hat sich der Gesetzgeber darauf beschränkt, durch das 1. StrRG von 1969 einem als dringend erachteten kriminalpolitischen Bedürfnis durch Einfügung des § 268 StGB (Fälschung technischer Aufzeichnungen) Rechnung zu tragen. Die Vorschrift hat jedoch eine weit geringere praktische Bedeutung erlangt als ursprünglich angenommen. Dies dürfte vor allem daran liegen, daß sie gerade die Handlungsweisen nicht erfaßt, für die in den letzten Jahren ein Strafbedürfnis hervorgetreten ist, nämlich den sog. Computermißbrauch, bei dem der Täter nicht, wie in § 268 Abs. 3 gefordert, „durch störende Einwirkung auf den Aufzeichnungsvorgang das Ergebnis der Aufzeichnung beeinflußt", sondern falsche Daten eingibt (Eingabefälschung) oder auf das Programm, nach dem die Daten verarbeitet werden, einwirkt (Programmfälschung), also gleichsam eine schriftliche Lüge mittels Einsatzes der Technik herbeiführt. Diese Strafbarkeitslücke ist um so gravierender, als der Computermißbrauch als Vermögensdelikt (§§263, 266 StGB) nicht oder doch nur mittels gezwungener Interpretation der einschlägigen Tatbestände erfaßt werden kann. Der A E „Straftaten gegen die Wirtschaft" schlägt in seinem § 202 einen Tatbestand „Mißbrauch von Datenverarbeitungsanlagen" vor, der als Ergänzung des Betrugstatbestandes (§263 StGB) konzipiert ist: Anstelle der Gutläubigkeit eines Menschen wird ein selbständig arbeitendes technisches Gerät bewußt dazu mißbraucht, fremdes Vermögen zu eigenem oder fremdem Vorteil zu schädigen. Im Regierungsentwurf eines 2. WiKG vom 4.6.1982 (BRDrucks. 219/82) möchte insoweit nun auch der amtliche Gesetzgeber Abhilfe schaffen (s. dazu oben 3 b). b) G e l d - und Wertzeichenfälschung. Im Gegensatz zu den Urkundendelikten wurden die Münzdelikte (§§146 ff. StGB) völlig neu gefaßt, und zwar durch das EGStGB von 1974. Wir haben

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Strafrechtsreform es also hier mit einer Deliktsgruppe zu tun, bei der eine echte „Strafrechtsreform im Einführungsgesetz" erfolgt ist, ein Verfahren, gegen das seinerzeit verschiedentlich Bedenken angemeldet worden sind. Entscheidend ist jedoch letztlich nicht das Gewand, in dem eine Reform nach außen auftritt, sondern die Frage, ob die Neuregelung sachlich geglückt ist. Das ist jedenfalls insoweit zu bejahen, als nunmehr im 8. Abschnitt des BT neben der Geld- auch die Wertzeichenfälschung übersichtlich und in einer das Nebenstrafrecht entlastenden Weise geregelt ist. Zweifelhaft ist dagegen, ob die mit der Parallelisierung der Wertzeichenfälschung mit der Geldfälschung verbundene Strafbarkeitsausweitung auch sachlich gerechtfertigt ist. Die weite Vorverlegung der Strafbarkeit in den Gefährdungsbereich bis zur Herstellung von Druckvorrichtungen ist nämlich sicher zum Schutze des Geldverkehrs legitim, zum Schutze des Verkehrs mit Brief-, Stempel- und Steuermarken jedoch eher überzogen. Nicht zuletzt unter diesem Gesichtspunkt ist die Möglichkeit des Rücktritts vom vollendeten Delikt der Fälschungsvorbereitung in § 149 Abs. 2 und 3 StGB zu begrüßen, wenn auch diese Regelung ein weiteres Beispiel dafür ist, daß es immer noch an einer umfassenden gesetzgeberischen Konzeption der sog. tätigen Reue fehlt und entsprechende Vorschriften jeweils nur ad hoc geschaffen werden. Anderfalls hätte der Gesetzgeber zumindest erwägen müssen, auch für das Nachmachen und Verfälschen von Geld- und Wertzeichen Rücktrittsmöglichkeiten vorzusehen, denn auch dabei handelt es sich um vorbereitende Maßnahmen für den eigentlich gravierenden Eingriff, das Inverkehrbringen.

6. Gemeingefährliche

Straftaten

Auch in diesem Bereich wurde die erste wichtige Änderung durch aktuelle Vorgänge veranlaßt: Anfang der sechziger Jahre unternahmen junge Menschen, die den Eindruck hatten, es sei nicht ausreichend, dagegen mit Worten vorzugehen, Sprengstoffanschläge gegen die Berliner Mauer. Die mit diesen Fällen befaßten Gerichte sahen sich zur Anwendung des Gesetzes gegen den verbrecherischen und gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen vom 9.7.1884 (RGBl. S. 61) gezwungen, das unverhältnismäßig hohe Mindeststrafdrohungen enthielt, etwa in seinem §6 für die Verabredung eines Sprengstoffverbrechens Zuchthaus von mindestens fünf Jahren androhte. Dagegen aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 G G hergeleitete verfassungsrechtliche Bedenken führten zum Erlaß des 7. StrÄndG vom 1.6.1964 (BGBl. I S . 337), das die weite Strafbarkeitsvorverlagerung in den Vorbereitungs- und Verabredungstatbeständen des Sprengstoffgesetzes beseitigte, die Strafdrohungen milderte und die Regelung der zentralen Delikte als §§ 311-311 c ins StGB einstellte. Die Neuregelung

fügte sich vor allem insoweit nicht nahtlos in das System des StGB ein, als Wertungswidersprüche zu den Brandstiftungsdelikten auftraten. Diese wurden in Kauf genommen, nachdem man sich weder hatte entschließen können, die reformbedürftige Brandstiftungsregelung zusammen mit den Sprengstoffdelikten zu erneuern, noch - was verständlich ist - die Sprengstoffdelikte den veralteten Brandstiftungsvorschriften anzupassen. Durch das EGStGB von 1974 wurde dann das bisher in §40 Atomgesetz erfaßte Herbeiführen einer Explosion durch Kernenergie als §310b ins StGB übernommen. Der Mißbrauch ionisierender Strahlen, bisher §41 AtomG, findet sich nunmehr in §311a StGB. Vorbereitungshandlungen zu Explosions- und Strahlungsverbrechen sind einheitlich in § 311 b StGB erfaßt. - Das 18. StrÄndG vom 28.3.1980 (Umweltstrafrecht), BGBl. I S.373, hat schließlich die restlichen Tatbestände des AtomG, die den Strafrechtsschutz in den Gefährdungsbereich vorverlegen, als § 311 d (Freisetzen ionisierender Strahlen) und §311e (Fehlerhafte Herstellung einer kerntechnischen Anlage) ins StGB eingestellt. D a die Strahlungsdelikte zu den schwersten Formen der gemeingefährlichen Straftaten gehören, ist ihre Übernahme in das StGB als das Kerngesetz des Strafrechts vorbehaltlos zu begrüßen.

7. Straftaten gegen die Umwelt Das 18. StrÄndG - G zur Bekämpfung der Umweltkriminalität - vom 28.3.1980 (BGBl. I S. 373) hat die in der Praxis wichtigsten Strafvorschriften zum Schutze der Umwelt in das StGB eingestellt: 28. Abschnitt des Besonderen Teils, Straftaten gegen die Umwelt, §§ 324-330d StGB. Die andere denkbare Möglichkeit, die bislang in verschiedenen Gesetzen (WasserhaushaltsG, BundesimmissionsschutzG, BundesabfallbeseitigungsG, BundesnaturschutzG, AtomG) verstreuten Umweltschutztatbestände zusammenzufassen, die Schaffung eines Umweltgesetzbuches, läßt sich nach Auffassung des Gesetzgebers in absehbarer Zeit nicht verwirklichen. Wie bereits oben unter B 2 a bemerkt, verfolgt das neue Umweltstrafrecht nicht nur den Schutz des menschlichen Lebens und der Gesundheit des Menschen, sondern wertet ökologische Güter wie Gewässer, Luft, Boden, Nutztiere und Nutzpflanzen als selbständige Rechtsgüter; vgl. §§ 324 (Gewässerschutz), 325 (Luft- und Lärmschutz), 329 (schutzbedürftige Gebiete) sowie den Umweltbegriff in § 326 Abs. 5 StGB. Um Gefahren für die Umweltgüter schon im Vorfeld begegnen zu können und Beweisschwierigkeiten hinsichtlich der Kausalität von Handlungen einzelner für eingetretene Schäden zu verringern, wurden vorwiegend abstrakte Gefährdungstatbestände geschaffen; vgl. etwa §§ 326 (Umweltgefährdende Abfallbeseitigung), 327 (Uner-

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Strafrechtsreform

laubtes Betreiben von Anlagen), 328 (Unerlaubter Umgang mit Kernbrennstoffen), 329 StGB (Gefährdung schutzbedürftiger Gebiete). Teilweise wird allerdings die Strafbarkeit abstrakter Gefährdung wieder zurückgenommen, wenn eine konkrete Gefährdung offensichtlich ausgeschlossen ist (§ 326 Abs. 5 StGB). Konkrete Gefährdungen sind in §330 StGB (Schwere Umweltgefährdung) und § 330 a StGB (Schwere Gefährdung durch Freisetzen von Giften) als Qualifikationen erfaßt. Durchweg ist auch die fahrlässige Begehungsweise unter Strafe gestellt. Die abstrakte Gefährdung wird vorwiegend an die Verletzung außerstrafrechtlicher Regelungen geknüpft, entweder an Rechtsverordnungen (s. vor allem § 329 StGB) oder an Einzelakte der Verwaltung (s. insbesondere § 325 StGB mit der Legaldefinition der verwaltungsrechtlichen Pflichten in Abs. 4). Bei dieser bislang dem StGB fremden Verwaltungsrechtsabhängigkeit von Strafvorschriften liegen die Hauptprobleme des neuen Umweltstrafrechts. Die Strafbarkeit von Verhaltensweisen wird nämlich wegen des ausgeprägten Blankettcharakters der Straftatbestände weitgehend von der Verwaltung bestimmt, teilweise sogar von nichtstaatlichen Instanzen, die z. B. Richtlinien für die fehlerfreie Errichtung und den fehlerfreien Betrieb von kerntechnischen Anlagen (vgl. §311e StGB) erlassen können, die zusammen mit staatlichen Akten eine schwer durchschaubare normative Gemengelage bilden, so daß sich die Frage stellt, ob dem Bestimmheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG noch genügt ist. Darüber hinaus birgt die verwaltungsrechtliche Akzessorietät des Umweltstrafrechts einmal das Problem, welche strafrechtlichen Folgen z. B. die Zuwiderhandlung gegen eine Auflage hat, die später im Verwaltungsstreitverfahren aufgehoben wird; das jetzt geltende Recht begnügt sich problematisch - mit Verstößen gegen vollziehbare Akte, ohne Rücksicht auf deren endgültigen Bestand (vgl. namentlich §§325 Abs. 4, 327 StGB). Zum anderen stellt sich die Frage, ob die Erteilung sachlich verfehlter Genehmigungen oder das Unterlassen gebotener Auflagen durch die Verwaltung den Täter (z.B. i. S. der §§327 oder 325 StGB) rechtfertigen kann. Wie steht es in derartigen Fällen fehlerhaften Verwaltungshandelns mit der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der zuständigen Amtsträger? Angesichts dieser und ähnlicher Fragen stellt Lackner (StGB, 14. Aufl. 1981, Bern. 1 vor § 324) zutreffend fest, es bedürfe noch gründlicher Analyse, „ob dieser ganze Zustand verfassungsrechtlich akzeptabel i s t . . . Gesetzespolitisch ist er jedenfalls schwer erträglich und bedarf schon deshalb dringend der Bereinigung". 8.

Verkehrsstraftaten

Durch das Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 19.12.1952 (BGBl. I S. 832) wurde in

den 27. Abschnitt des StGB als gemeingefährliches Vergehen die Straßenverkehrsgefährung (§315a StGB a. F.) aufgenommen und in § 316 Abs. 2 StGB a. F. der praktisch besonders bedeutsame entsprechende Fahrlässigkeitstatbestand eingestellt. Die merkwürdige Definition des Begriffs der Gemeingefahr in § 315 Abs. 3 StGB a. F. - Gemeingefahr = Gefahr für Leib und Leben, sei es auch nur eines einzelnen Menschen - hat der Rechtsprechung beträchtliche Schwierigkeiten bereitet, mit denen sie nie ganz fertig geworden ist: Die Gefährdung eines bestimmten einzelnen Menschen war letztlich nicht befriedigend mit der vom Gesetz zugleich geforderten Herbeiführung einer Gemeingefahr in Einklang zu bringen. Bereits der E 1962 verzichtete deshalb ganz allgemein und speziell auch bei den Verkehrsdelikten auf den Begriff der Gemeingefahr (vgl. E 1962 Vorbem. vor §320, S. 496f. sowie die in §345 normierte Straßenverkehrsgefährdung). Dem ist der Gesetzgeber im Zweiten Straßenverkehrssicherungsgesetz vom 26.11.1964 (BGBl. I S. 921) gefolgt, das über die Befreiung der Straßenverkehrsdelikte aus ihrer Verklammerung mit der Gemeingefahr hinaus noch weitere wichtige Neuerungen gebracht hat: Einführung des Fahrverbots als Nebenstrafe (vgl. dazu bereits oben A 6 b, bb) sowie Herauslösung des abstrakten Gefährdungsdelikts der Trunkenheit im Verkehr aus §2 StVZO und Ausgestaltung zum Vergehen in §316 StGB. Fälle der Alkoholeinwirkung, die nicht den Grad der Fahruntüchtigkeit erreichen, werden von §24a StVG als Ordnungswidrigkeit erfaßt (sog. 0,8 Promille-Grenze, eingefügt durch Gesetz vom 20.7.1973, BGBl. I S. 870). Auf die Umgestaltung der Straßenverkehrsübertretungen zu Ordnungswidrigkeiten (Entkriminalisierung des Straßenverkehrsrechts) durch das EGOWiG von 1968 wurde bereits bei der Darstellung der Bewältigung der Bagatellkriminalität hingewiesen (oben A 4 b, aa). - In Erfüllung des Haager Abkommens vom 16.12.1970 zur Bekämpfung der Luftpiraterie wurde durch das 11. StrÄndG vom 16.12.1971 (BGBl. I S. 1977) § 316c StGB (Angriff auf den Luftverkehr) eingefügt.

9. Straftaten gegen den Staat und seine Einrichtungen sowie gegen die Völkergemeinschaft a) Das politische Strafrecht der nationalsozialistischen Zeit war durch das Kontrollratsgesetz Nr. 11 vom 30.1.1946 ersatzlos beseitigt worden. Durch das 1. StrÄndG vom 30.8.1951 (BGBl. I S.739) wurde ein neues Staatschutzstrafrecht geschaffen, das sich schlagwortartig als Strafrecht des Kalten Krieges bezeichnen läßt. Es stand, vor allem im Bereich der Staatsgefährdung, unter dem Motto „So viel strafrechtlicher Schutz wie irgend möglich" und enthielt demgemäß zu viele Tatbestände, die sich überdies stark überschnitten. Rechtsstaatliche

Strafrechtsreform Bedenken mußte vor allem die Verwendung unpräziser Begriffe, die häufige Kennzeichnung des strafbaren Unrechts durch subjektive Merkmale wie „staatsgefährdende Absicht" sowie die unbefriedigende Abgrenzung zwischen den Belangen des strafrechtlichen Staatsschutzes einerseits und dem Freiheitsraum des politisch engagierten Bürgers andererseits hervorrufen. Manche Vorschriften erhielten allerdings erst durch eine extensive Auslegung in der Rechtsprechung ihre häufig beklagte uferlose Weite, etwa §90a StGB a. F., der ein umfassendes Organisationsdelikt zur Erfassung verfassungsfeindlicher Bestrebungen enthielt, oder der Gefährdungstatbestand des §100e StGB a.F., der von der Judikatur immer stärker von einem Vorbereitungstatsbestand des Landesverrats zu einem abstrakten Beziehungstatbestand umgewandelt wurde, schließlich §92 StGB a.F., der staatsfeindliche Nachrichtendienst, der von der Rechtsprechung in einer Weise ausgedehnt wurde, daß sogar politisch unverfängliche gesamtdeutsche Kontakte strafrechtlich relevant werden konnten. Der E 1962 konnte in der Mitte der sechziger Jahre verstärkt einsetzenden Reformdiskussion keine Rolle mehr spielen, da er auch im Staatschutzstrafrecht nach rückwärts gerichtet, d. h. weitgehend in dem wenig verfassungskonformen Perfektionismus des 1. StrÄndG von 1951 verhaftet war. Typisch ist die Begründung zu §387 E 1962, der Nachfolgevorschrift des bedenklichen § 100 e StGB a. F., mit der auch die „kriminalpolitisch bewährte ständige höchstrichterliche Rechtsprechung zu § lOOe StGB" konserviert werden sollte (vgl. E 1962, Begr. S. 577 1. Sp.). Vielmehr stützte sich der Reformgesetzgeber auf drei Entwürfe, einen 1965 von der SPD-Bundestagsfraktion eingebrachten E, den 1966 eingebrachten Regierungsentwurf eines 8. StrÄndG sowie den während der Beratungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform 1968 vorgelegten Alternativ-Entwurf eines StGB, Besonderer Teil, Politisches Strafrecht, der in der Absage an das Staatsschutzstrafrecht von 1951 am weitesten ging. Das Bemühen des Sonderausschusses um ein Gesetz, das möglichst breite Anerkennung im Plenum des Deutschen Bundestages erhoffen ließ, führte zwangsläufig zu Kompromissen und dazu, daß keinem der Beteiligten alle Wünsche erfüllt wurden. In der Tat wird auch immer wieder angezweifelt, ob die Hauptziele der Reform wirklich in allen Punkten erreicht worden sind, die Krauth, Kurfess und Wulf in JZ 1968, 578 wie folgt umschrieben haben: „Verbesserung des Rechtszustandes im Hinblick auf eine aktivere gesamtdeutsche Politik durch Ausräumung strafrechtlicher Hindernisse, die Kontakten der Bürger in beiden Teilen Deutschlands untereinander und mit politischen Organisationen im Wege stehen können. Einschränkung des Staatsschutz-Strafrechts auf das zum Schutze unseres demokratischen Rechtsstaates unbedingt Erforderliche. - Präzise Umschreibung

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und weitere Objektivierung der Tatbestände, damit klar vorausgesehen werden kann, ob ein bestimmtes Handeln strafbar ist. - Lösung der Problematik des sog. publizistischen Landesverrats. - Erfüllung des in Art. 26 GG gestellten Verfassungsauftrags durch Strafvorschriften über den Friedensverrat." So wird etwa geltend gemacht, § 87 StGB (Agententätigkeit zu Sabotagezwecken) umschreibe vielfach nur unzureichend die unter Strafe gestellten Vorbereitungshandlungen zur Sabotage; §92 StGB ziehe den Kreis der geschützten Verfassungsgrundsätze zu weit; die begrüßenswerte Ausgliederung des sog. illegalen Staatsgeheimnisses aus dem Schutzbereich der Landesverratsvorschriften (§93 Abs. 2 StGB) werde durch die Pönalisierung des Verrats illegaler Geheimnisse in §97a StGB in unvertretbarer Weise relativiert; §99 StGB sei kaum präziser gefaßt als der alte § 100e StGB. b) Vorbehaltlos zu begrüßen ist dagegen die strafrechtliche Erfassung des Friedensverrats in den §§80 und 80a StGB; der Gesetzgeber ist damit allerdings reichlich spät - dem Verfassungsauftrag des Art. 26 Abs. 1 S. 2 GG nachgekommen. c) Bereits durch das Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur Konvention vom 9. 12. 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. 8.1954 (BGBl. II S. 729) war §220a ins StGB eingefügt worden. d) Das 4. StrÄndG vom 11. 6. 1957 (BGBl. I S. 597) trug der Wiederbewaffnung Rechnung und brachte einen neuen Abschnitt des StGB - jetzt ist es der 5. Straftaten gegen die Landesverteidigung (§§109ff. StGB). e) Zwar ist es bislang nicht zu der im E1962 (vgl. dessen §§460 ff.) angestrebten völligen Umgestaltung der Amtsdelikte zu „Straftaten gegen den öffentlichen Dienst" in dem Sinne gekommen, daß hier nur noch solche Strafvorschriften zusammengefaßt werden, die primär dem Schutz der pflichtgemäßen Amtsführung, nicht also - wie insbesondere die unechten Amtsdelikte - dem Schutz anderer Rechtsgüter wie Freiheit, körperliche Integrität usw. dienen. Immerhin wurde aber mit der ersatzlosen Streichung der §§341 (Freiheitsberaubung im Amt), 342 (Hausfriedensbruch im Amt), 350 und 351 StGB a. F. (einfache und schwere Amtsunterschlagung) durch das EGStGB von 1974 ein wichtiger Schritt in diese Richtung getan. Eine Reihe anderer - alter und neuer - unechter Amtsdelikte wurden entsprechend der Konzeption des E1962 (vgl. Begr. S.648 l.Sp.) im Zusammenhang mit den Grundtatbeständen geregelt, und zwar entweder als Erschwerungstatbestände (vgl. §§ 120 Abs. 2,133 Abs. 3,203 Abs. 2,258 a StGB) oder als Regelbeispiel (§ 264 Abs. 2 Nr. 2 StGB). Darüber hinaus brachte das EGStGB noch einige weitere Änderungen im 29. Abschnitt des BT „Straftaten im Amte". Die wichtigste ist die Neugestaltung der Bestechungsdelikte (§§ 331-335 a StGB) in Anlehnung an die §§ 460-466 E1962. Der

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Tierquälerei

Täterkreis wurde in zweifacher Richtung erweitert: Einbeziehung der für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten, so daß die §§ 2-4 der Verordnung gegen Bestechung und Geheimnisverrat nichtbeamteter Personen i. d. F. vom 22. 5. 1943 (RGBl. I S. 351) gestrichen werden konnten; Wiedereinbeziehung der Schiedsrichter, die durch ein Redaktionsversehen im 1. StrRG von 1969 herausgefallen waren. Ein Novum ist die Möglichkeit der strafbefreienden nachträglichen Genehmigung der Vorteilsannahme (vgl. §§ 331 Abs. 3 und 333 Abs. 3 StGB). § 334 StGB (Bestechung) enthält gegenüber dem entsprechenden § 333 StGB a. F. insofern eine Strafbarkeitserweiterung, als nunmehr auch Vorteilsgewährungen für zurückliegende Handlungen erfaßt werden. In § 332 Abs. 3 StGB ist u. a. die unter Geltung des alten Rechts umstrittene Frage entschieden, unter welchen Voraussetzungen sich ein Ermessensbeamter der Bestechlichkeit schuldig macht. Die Literatur zu Fragen der Strafrechtsreform ist fast unübersehbar. Neben den Stellungnahmen zur Gesamtreform ist jeweils eine große Zahl von Beiträgen zu den wichtigen Einzelnovellen erschienen. Eine auch nur annähern vollständige Wiedergabe ist aus Raumgründen nicht möglich. Deshalb werden nachstehend die Kommentare und Lehrbücher angegeben, die das Reformschrifttum und die Gesetzesmaterialien verstärkt berücksichtigen und weiterführende Hinweise geben.

Kommentare D r e h e r - T r ö n d l e : Strafgesetzbuch und Nebengesetze. 41. Aufl. 1983. K. L a c k n e r : Strafgesetzbuch mit Erläuterungen. 14. Aufl. 1981. L e i p z i g e r K o m m e n t a r . Strafgesetzbuch. 9.Aufl. Bearb. von P. B a l d u s u.a. 1970-1977. 10. Aufl. seit 1978 im Erscheinen. S c h ö n k e - S c h r ö d e r : Strafgesetzbuch. Kommentar. 21.Aufl. Bearb. von L e n c k n e r , C r a m e r , E s e r und S t r e e . 1982. Lehrbücher A r z t - W e b e r : Strafrccht. Besonderer Teil. Lehrheft 1: Delikte gegen die Person. 2. Aufl. 1981. Lehrheft 3: Vermögensdelikte (Kembereich). 1978. Lehrheft 4: Wirtschaftsstraftaten, Vermögensdelikte (Randbereich), Fälschungsdelikte. 1980. Lehrheft 5: Delikte gegen den Staat, gegen Amtsträger und durch Amtsträger. 1982. J. B a u m a n n : Strafrecht. Allgemeiner Teil. 8. Aufl. unter Mitwirkung von U. W e b e r . 1977. H. B l e i : Strafrecht. I. Allgemeiner Teil. 17. Aufl. 1977. Strafrecht. II. Besonderer Teil. 11. Aufl. 1978. H.-H. J e s c h e c k : Lehrbuch des Strafrechts. Allgemeiner Teil. 3. Aufl. 1978. M a u r a c h - Z i p f : Strafrecht. Allgemeiner Teil. Teilband 1. 5. Aufl. 1977. M a u r a c h - G ö s s e l - Z i p f : Strafrecht. Allgemeiner Teil. Teilband 2. 5. Aufl. 1978. M a u r a c h - S c h r o e d e r : Strafrecht. Besonderer Teil. Teilband 1. 6. Aufl. 1977. Teilband 2. 6. Aufl. 1981. E. S c h m i d h ä u s e r : Strafrecht. Allgemeiner Teil. 2. Aufl. 1975. ULRICH

WEBER

TIERQUÄLEREI 1.

Einleitung

Tierquälerei ist eine Straftat, die weithin nicht als solche begriffen wird. Vielmehr geht man oftmals davon aus, es handele sich hierbei um ein nicht strafwürdiges „Kavaliersdelikt". Diese Beurteilung der Tierquälerei geht freilich an ihrem Kern vorbei. Die vernachlässigte Aufmerksamkeit gegenüber dem Delikt der Tierquälerei ist um so erstaunlicher, als schon aus historischer Sicht Tiere sehr früh, zumindest in Gesetzen und Verordnungen, reflektiert wurden. Bereits der Codex Hammurabi, das älteste uns bekannte Gesetzeswerk, enthält bereits ein Verbot für Tierhalter, ihre Tiere übermäßig arbeiten zu lassen. Das Reich Hammurabis war im Norden von Semiten und im Süden von Sumerern bewohnt. Aus der territorialen Nähe zu dem Gebiet, in dem sich die Heilsgeschichte Israels vollzog, wird man wechselseitig kulturelle Beeinflussungen herleiten können. So liegt es nahe, eine Verbindungslinie zwischen der einzigen Tierschutzvorschrift des Codex Hammurabi und den jeweiligen biblischen Stellen zu ziehen, die tierschützenden oder zumindest tierfreundlichen Charakter haben. So wird im zweiten Buch Mose nicht für Menschen, sondern auch für Tiere am siebenten Wochentag Ruhe geboten, im fünften Buch Mose ist es untersagt, mit wesensfremden Tieren zu ackern. Dieser weltanschauliche Hintergrund hatte nicht nur den Tierschutz zum Ziel, sondern es ging wesentlich darum, die Tiere zu schonen, um ihre Arbeitsfähigkeit zu erhalten. Schließlich war die Erhaltung des Tierbestandes eine existenzielle Frage, denn die Deckung des täglichen Nahrungsbedarfs und der Kleiderversorgung hingen eng damit zusammen. Dem steht jedoch eine andere biblische Auffassung gegenüber, wonach der Mensch sich die Erde Untertan machen und die Tiere beherrschen soll. Im vorchristlichen Römischen Recht gab es kein Gesetz, das die Tierquälerei verbot. Bevor die Tiere in den sogenannten „Ädilischen Edikten" den Sachen gleichgestellt wurden und damit denselben Rechtsstatus wie Frauen, Sklaven und Kinder bekamen, blieben sie gänzlich unerwähnt. Das Tier war lediglich Funktionsträger, es war jederzeit für den Menschen nach seinem Gutdünken verfügbar. Dieses ausschließlich materielle Verständnis vom Tier zeigt sich besonders deutlich bei Cicero, für den die Welt ein einziger Nutzungszusammenhang war. Im nachchristlichen Römischen Recht machte sich aber zumindest eine tierfreundliche Tendenz bemerkbar. Ulpian bezeichnete in seinen „Institutiones" die Tiere als Subjekte des Naturrechts. Dieser Gedanke wurde auch im Corpus Juris Civile des oströmischen Kaisers Justinian schriftlich niedergelegt. Dort heißt es: „Das Naturrecht ist jenes Recht, welches die Natur allen Lebewesen gegeben hat und welches nicht nur

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Tierquälerei

Täterkreis wurde in zweifacher Richtung erweitert: Einbeziehung der für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten, so daß die §§ 2-4 der Verordnung gegen Bestechung und Geheimnisverrat nichtbeamteter Personen i. d. F. vom 22. 5. 1943 (RGBl. I S. 351) gestrichen werden konnten; Wiedereinbeziehung der Schiedsrichter, die durch ein Redaktionsversehen im 1. StrRG von 1969 herausgefallen waren. Ein Novum ist die Möglichkeit der strafbefreienden nachträglichen Genehmigung der Vorteilsannahme (vgl. §§ 331 Abs. 3 und 333 Abs. 3 StGB). § 334 StGB (Bestechung) enthält gegenüber dem entsprechenden § 333 StGB a. F. insofern eine Strafbarkeitserweiterung, als nunmehr auch Vorteilsgewährungen für zurückliegende Handlungen erfaßt werden. In § 332 Abs. 3 StGB ist u. a. die unter Geltung des alten Rechts umstrittene Frage entschieden, unter welchen Voraussetzungen sich ein Ermessensbeamter der Bestechlichkeit schuldig macht. Die Literatur zu Fragen der Strafrechtsreform ist fast unübersehbar. Neben den Stellungnahmen zur Gesamtreform ist jeweils eine große Zahl von Beiträgen zu den wichtigen Einzelnovellen erschienen. Eine auch nur annähern vollständige Wiedergabe ist aus Raumgründen nicht möglich. Deshalb werden nachstehend die Kommentare und Lehrbücher angegeben, die das Reformschrifttum und die Gesetzesmaterialien verstärkt berücksichtigen und weiterführende Hinweise geben.

Kommentare D r e h e r - T r ö n d l e : Strafgesetzbuch und Nebengesetze. 41. Aufl. 1983. K. L a c k n e r : Strafgesetzbuch mit Erläuterungen. 14. Aufl. 1981. L e i p z i g e r K o m m e n t a r . Strafgesetzbuch. 9.Aufl. Bearb. von P. B a l d u s u.a. 1970-1977. 10. Aufl. seit 1978 im Erscheinen. S c h ö n k e - S c h r ö d e r : Strafgesetzbuch. Kommentar. 21.Aufl. Bearb. von L e n c k n e r , C r a m e r , E s e r und S t r e e . 1982. Lehrbücher A r z t - W e b e r : Strafrccht. Besonderer Teil. Lehrheft 1: Delikte gegen die Person. 2. Aufl. 1981. Lehrheft 3: Vermögensdelikte (Kembereich). 1978. Lehrheft 4: Wirtschaftsstraftaten, Vermögensdelikte (Randbereich), Fälschungsdelikte. 1980. Lehrheft 5: Delikte gegen den Staat, gegen Amtsträger und durch Amtsträger. 1982. J. B a u m a n n : Strafrecht. Allgemeiner Teil. 8. Aufl. unter Mitwirkung von U. W e b e r . 1977. H. B l e i : Strafrecht. I. Allgemeiner Teil. 17. Aufl. 1977. Strafrecht. II. Besonderer Teil. 11. Aufl. 1978. H.-H. J e s c h e c k : Lehrbuch des Strafrechts. Allgemeiner Teil. 3. Aufl. 1978. M a u r a c h - Z i p f : Strafrecht. Allgemeiner Teil. Teilband 1. 5. Aufl. 1977. M a u r a c h - G ö s s e l - Z i p f : Strafrecht. Allgemeiner Teil. Teilband 2. 5. Aufl. 1978. M a u r a c h - S c h r o e d e r : Strafrecht. Besonderer Teil. Teilband 1. 6. Aufl. 1977. Teilband 2. 6. Aufl. 1981. E. S c h m i d h ä u s e r : Strafrecht. Allgemeiner Teil. 2. Aufl. 1975. ULRICH

WEBER

TIERQUÄLEREI 1.

Einleitung

Tierquälerei ist eine Straftat, die weithin nicht als solche begriffen wird. Vielmehr geht man oftmals davon aus, es handele sich hierbei um ein nicht strafwürdiges „Kavaliersdelikt". Diese Beurteilung der Tierquälerei geht freilich an ihrem Kern vorbei. Die vernachlässigte Aufmerksamkeit gegenüber dem Delikt der Tierquälerei ist um so erstaunlicher, als schon aus historischer Sicht Tiere sehr früh, zumindest in Gesetzen und Verordnungen, reflektiert wurden. Bereits der Codex Hammurabi, das älteste uns bekannte Gesetzeswerk, enthält bereits ein Verbot für Tierhalter, ihre Tiere übermäßig arbeiten zu lassen. Das Reich Hammurabis war im Norden von Semiten und im Süden von Sumerern bewohnt. Aus der territorialen Nähe zu dem Gebiet, in dem sich die Heilsgeschichte Israels vollzog, wird man wechselseitig kulturelle Beeinflussungen herleiten können. So liegt es nahe, eine Verbindungslinie zwischen der einzigen Tierschutzvorschrift des Codex Hammurabi und den jeweiligen biblischen Stellen zu ziehen, die tierschützenden oder zumindest tierfreundlichen Charakter haben. So wird im zweiten Buch Mose nicht für Menschen, sondern auch für Tiere am siebenten Wochentag Ruhe geboten, im fünften Buch Mose ist es untersagt, mit wesensfremden Tieren zu ackern. Dieser weltanschauliche Hintergrund hatte nicht nur den Tierschutz zum Ziel, sondern es ging wesentlich darum, die Tiere zu schonen, um ihre Arbeitsfähigkeit zu erhalten. Schließlich war die Erhaltung des Tierbestandes eine existenzielle Frage, denn die Deckung des täglichen Nahrungsbedarfs und der Kleiderversorgung hingen eng damit zusammen. Dem steht jedoch eine andere biblische Auffassung gegenüber, wonach der Mensch sich die Erde Untertan machen und die Tiere beherrschen soll. Im vorchristlichen Römischen Recht gab es kein Gesetz, das die Tierquälerei verbot. Bevor die Tiere in den sogenannten „Ädilischen Edikten" den Sachen gleichgestellt wurden und damit denselben Rechtsstatus wie Frauen, Sklaven und Kinder bekamen, blieben sie gänzlich unerwähnt. Das Tier war lediglich Funktionsträger, es war jederzeit für den Menschen nach seinem Gutdünken verfügbar. Dieses ausschließlich materielle Verständnis vom Tier zeigt sich besonders deutlich bei Cicero, für den die Welt ein einziger Nutzungszusammenhang war. Im nachchristlichen Römischen Recht machte sich aber zumindest eine tierfreundliche Tendenz bemerkbar. Ulpian bezeichnete in seinen „Institutiones" die Tiere als Subjekte des Naturrechts. Dieser Gedanke wurde auch im Corpus Juris Civile des oströmischen Kaisers Justinian schriftlich niedergelegt. Dort heißt es: „Das Naturrecht ist jenes Recht, welches die Natur allen Lebewesen gegeben hat und welches nicht nur

Tierquälerei dem Menschen eigen ist." Im Zuge der Völkerwanderung zogen germanische Volksstämme aus dem Osten Europas nach Westen. Dabei wurde das durch Zerrüttung im Innern geschwächte Römische Reich nach und nach von den Germanen besiedelt, was schließlich zur Bildung germanischer Staaten auf römischem Territorium und bis zur Zusammenfassung auf heimischem Boden im Frankenreich führte. Um ihren Lebensunterhalt zu sichern, bedienten sich die Germanen neben dem verhältnismäßig gering ausgeprägten Ackerbau vor allem der Jagd und der Viehzucht. Der Mensch war infolgedessen auf das Tier angewiesen, er war geradezu von ihm abhängig. Die natürliche Folge davon war, daß beispielsweise Wilddiebstahl schwer bestraft wurde. Die Bestrafung dieses Deliktes war jedoch keine Sanktion, die dem Tierschutz dienen sollte. Aufgabe dieser Strafandrohung bei Wilddiebstahl war es, der Anerkennung des Privateigentums, wonach jedem Grundstückseigentümer auf seinem Gute die Jagd als Teil seiner grundherrlichen Rechte zukam, Rechnung zu tragen. Unter König Eurich schrieben die Westgoten als erste Völkerschaft ihr Gewohnheitsrecht nieder. Nach dieser Kodifikation in Vulgärlatein wurde Pferdediebstahl beispielsweise mit dem Tode bestraft. Auch diese Sanktion hatte weniger tierschützerischen Charakter, sondern diente lediglich der Aufrechterhaltung der Wehrfähigkeit, da Pferde für die damalige Kriegsführung unerläßlich waren. Die im 13. Jahrhundert entstehenden Rechtsbücher und die Stadtrechte machten deutlich, daß sich das Strafrecht fortentwickelte und ließ deutlich Rechtssetzungstendenzen erkennen. Besonders der Sachsenspiegel war in den Gerichten der damaligen Zeit weit verbreitet. Dort wurde z. B. festgesetzt, daß ebenso wie für den erschlagenen Mann ein Wehrgeld für die getöteten Tiere an den Eigentümer zu entrichten war. Im Grunde gab es das ganze Mittelalter hindurch keine echten Tierschutzvorschriften im heutigen Sinne. Tiere wurden ausschließlich aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus geschützt, so daß Tiere nur in denjenigen Fällen einen gewissen Schutz erfuhren, in denen zufällig das materielle Interesse des Menschen mit der Förderung und Sicherung des Tierlebens übereinstimmte. Bei den Stadtrechten ist lediglich ein Fall bekannt, in dem der Rat zu Köln im Jahre 1417 „das Fangen der Nachtigallen und Jagen der Kaninchen in Hag und Hecken" bei Gefängnis in einem der Stadttürme und Geldstrafe von 40 kölnischen Mark untersagte. Im Zuge der nun sich immer weiter ausbreitenden Christianisierung Europas war sowohl der organisatorische Aufbau der Kirche als auch die philosophische Deutung und rechtliche Fundamentierung der Glaubenssätze fortgeschritten. Der planmäßige und erfolgreiche Kampf des Papsttums um die höchste geistliche und weltliche Gewalt brachte eine Entwicklung mit sich, die dazu führte, daß kirchliches und weltliches Recht gleichberechtigt

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nebeneinander standen: Das ius utrumque war geboren. Sowohl die damalige weltliche als auch die kirchliche Rechtsauffassung ging von der Strafmündigkeit der Tiere aus, so daß man sie ohne weiteres wegen bestimmter Verbrechen, deren man sie beschuldigte, vor den Strafrichter brachte und eine ordentliche Gerichtsverhandlung durchführte. Dem Tier wurde, gleich einem Menschen, ein Offizialvertreter beigeordnet, selbst das Aktenmaterial unterschied sich dem Umfang nach nicht von einem Prozeß, der gegen einen Menschen geführt wurde. Unter bestimmten Voraussetzungen konnte sogar die nächsthöhere Instanz angerufen werden. War der Rechtsweg ausgeschöpft und kam es zur rechtskräftigen Verurteilung des Tieres, so gingen die Verurteilten, allen möglichen Gattungen angehörend, ihrer „feierlichen Hinrichtung" entgegen. Die ebenfalls mit Tierprozessen befaßte Kirche erließ Malediktionen gegen das straffällig gewordene Tier. So wurde beispielsweise Ungeziefer exkommuniziert, das dadurch von bewachsenen Grundstücken vertrieben werden sollte. Diese Gesamtsituation gibt Anlaß zu der Vermutung, daß das Mittelalter den Tieren eine gewisse Rechtssubjektivität zusprach, die in der heutigen Zeit bisweilen von extremen Tierschützern, wenn auch in modifizierter Form, wieder verlangt wird. Amira hingegen hat überzeugend nachgewiesen, daß diesen Prozessen nicht der Gedanke der Strafmündigkeit des Tieres innewohnte. Es ging dabei nurmehr darum, die bösen Geister und Dämonen zum Gegenstand des Strafverfahrens zu machen mit der Besonderheit, daß diese in den Tieren gewütet haben sollen. Weder die Bambergische Halsgerichtsordnung von 1507, noch die Constitutio Criminalis Carolina vom Jahre 1532 enthielten Bestimmungen, die dem Tierschutz dienten. Dieser Zustand dauerte weitere 150 Jahre fort, bis schließlich im 17. und 18. Jahrhundert mehr und mehr Fälle bekannt wurden, in denen der Gesetzgeber und die Richter eindeutig zu Gunsten des Tieres eingegriffen haben. Dies erfolgte nun nicht mehr, um die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse zu sichern, sondern hier handelte es sich um Eingriffe um der Tiere selbst willen. So ist ein Fall aus Sagan in Preußen aus dem Jahre 1684 überliefert, in dem ein Mann, der sein Pferd durch Schläge und Stiche roh mißhandelt hatte, mit 2tägiger Ausstellung am Schandpfahl und 25 Talern Geldbuße bestraft wurde. In einem anderen Beispiel verurteilte die juristische Fakultät der Universität Leipzig im Jahre 1765 einen Angeklagten, der an einer Kuh Tierquälerei begangen hatte. Hommel war der erste juristische Autor, der 1739 die Idee des Tierschutzes im Wege rechtlicher Grundsätze festschreiben wollte. Er ging davon aus, daß aus Rechtlosigkeit des Tieres nicht der Schluß gezogen werden könne, daß der Mensch gegenüber dem Tier keine Pflichten habe. Durch den Satz: „Wer an Pein und Marder des Viehs Vergnügen findet, von dem kannst du sicher glauben, daß er mit eben der

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Tierquälerei

Wollust auch Menschen zerfleischen würde, wenn ihn Gesetz, Gewohnheit und Strafe nicht hinderten", leitete Hommel eine Entwicklung ein, die den Tierschutzgedanken zum festen Bestandteil des abendländischen Kulturkreises machte. Im weiteren Verlauf dieser geschichtlichen Epoche fiel der Tierschutz in den Aufgabenbereich der Verwaltungsbehörden. Da zu diesem Zeitpunkt der Rechtsstaatsgedanke noch nicht erwacht war, herrschte bei den Verwaltungsbehörden die Annahme vor, sie seien an gesetzliche Bestimmungen nicht gebunden. Dies führte dazu, daß gegen Tierquälerei oftmals ohne weiteres polizeilich vorgegangen wurde. Mit Fortschreiten der Kulturentwicklung wächst das Bedürfnis, die Bestrafung der Tierquälerei gesetzlich abzusichern. Der Rechtsstaatsgedanke kam auf und beeinflußte die geistigen und politischen Kräfte mit der Folge, daß die Kodifikation des Tierschutzes in den einzelnen Staaten Deutschlands nahezu gleichzeitig hervortraten. Als erstes deutsches Land hatte das Königreich Sachsen im Kriminalgesetzbuch vom 30. März 1838 die Tierquälerei im Artikel 310 unter Strafe gestellt. Das Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen erließ im Jahre 1840 eine Verordnung, die das Quälen von Tieren ohne Rücksicht auf die Eigentumsverhältnisse oder öffentliche Ärgerniserregung mit einer Strafandrohung bis zu 6 Wochen Gefängnis belegte. Auch im Württembergischen Polizeistrafgesetzbuch von 1839 wurde die Tierquälerei strafrechtlich sanktioniert. Mit geringer zeitlicher Verschiebung wurde in Hessen-Darmstadt, Preußen, Bayern, Waldeck, Braunschweig, und den freien Städten, wie Bremen, Lübeck und Hamburg, die Tierquälerei mit einer Strafandrohung versehen. Mit der Begründung des Norddeutschen Bundes war die Zuständigkeit zur Schaffung eines einheitlichen Bundesstrafrechts gegeben. Aufgrund der NovemberVerträge zu Versailles mit den Süddeutschen Staaten wurde am 1. Januar 1871 der Norddeutsche Bund zum Deutschen Reich erweitert. In der Folge wurde am 15. Mai 1871 das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich mit den erforderlichen redaktionellen Veränderungen verkündet. Im Rahmen dieses Gesetzeswerkes wurde die Tierquälerei als Übertretung behandelt. Der Übertretungstatbestand des § 360 Nr. 13 RStGB sah eine Geldstrafe bis höchstens 150,- DM oder Haft vor für die Fälle, in denen öffentlich oder in Ärgernis erregender Weise Tiere gequält wurden. 1933 wurde die Vorschrift des § 145 b StGB geschaffen, wonach kriminelles Unrecht beging, wer ein Tier roh mißhandelte oder absichtlich quälte. Aber bereits am 1. Februar 1934 wurde der § 145 b durch das Reichstierschutzgesetz vom 24. November 1933 abgelöst. Das Reichstierschutzgesetz war für die damalige Zeit sehr ausgereift und ausgesprochen tierfreundlich. Der zweite Abschnitt des Reichstierschutzgesetzes enthielt einen Katalog von einzelnen Tierquälereien, die sehr weit verbreitet waren und daher drohten, nicht

mehr als sittenwidrig angesehen zu werden. Der Gesetzgeber sah bei der Behandlung von Tieren das häufig im Vordergrund stehende, ausschließlich menschliche Nutzungsbedürfnis nicht mehr als gerechtfertigt an und verbot sämtliche Handlungen, die geeignet waren, Tiere zu quälen.

2.

Dogmatik

Am 1. Oktober 1972 trat das Tierschutzgesetz in Kraft und steht heute im Mittelpunkt des Tierschutzes in der Bundesrepublik Deutschland. Daneben gelten jedoch eine Reihe anderer tierschutzrechtlicher Bestimmungen, die zum Teil auf der Grundlage internationaler Verträge zustandegekommen sind und die Funktion haben, das Tierschutzgesetz begleitend zu ergänzen. Auch das Zivil-, Zivilprozeß- und das Verwaltungsrecht enthalten gesetzliche Regelungen in Bezug auf Tiere. Die entscheidende Vorschrift des Tierschutzgesetzes ist der § 17 TschG. Die Strafbestimmung des § 17 TschG beinhaltet zwei Tatbestände. Zum einen steht unter Strafandrohung die Tötung eines Wirbeltieres ohne vernünftigen Grund, zum anderen wird bestraft, wer einem Wirbeltier Schmerz oder Leid zufügt, wobei dies aus Rohheit geschehen kann oder länger anhaltende oder sich wiederholende Schmerzen verursacht. Die Tathandlung bei § 17 TschG muß sich auf ein Wirbeltier beziehen. Dieses Erfordernis des Wirbeltieres stellt schon insoweit eine Einschränkung dar, als nicht jedes Tier taugliches Objekt im Sinne des § 17 TschG sein kann. Die amtliche Begründung zum § 17 TschG geht zwar grundsätzlich von der Schutzbedürftigkeit und Würdigkeit aller Tiere aus, gewährt aber nur Wirbeltieren als Strafobjekt im Rahmen des § 17 TschG durch Strafandrohung abgesicherten Schutz. Die Beschränkung des Tatobjekts auf Wirbeltiere ist sachlich durchaus gerechtfertigt, da nur diese im Gegensatz zu niederen Tiergattungen - über ein Zentralnervensystem verfügen und infolge des damit verbundenen Schmerzleitungssystems ein ausgeprägtes Schmerzempfindungsvermögen haben. D a § 17 TschG eine Strafbestimmung ist, die zwei Tatbestände beinhaltet, gibt es auch zwei Tathandlungen, die in Nr. 1 und Nr. 2 des § 17 TschG unterschieden werden. Die Tathandlung des § 17 Nr. 1 TschG ist das Töten, wobei hier ausschließlich das „ob" und nicht auf das „wie" abgestellt werden muß. Dies bedeutet, daß auch die schmerzlose Tötung, insbesondere die Tötung eines betäubten Tieres, geeignete Tathandlung im Sinne des § 17 Nr. 1 TschG sein kann. Diese Tathandlung ist im Tierschutzgesetz neu, bislang war das Töten eines Tieres nur dann verboten, wenn ein anderer Eigentümer des Tieres war. Weiterhin bestimmt der Gesetzeswortlaut des § 17 TschG, daß Töten nur dann verboten ist, wenn die Tathandlung „ohne vernünftigen Grund" erfolgt. Diese Ausdrucksweise des

Tierquälerei Gesetzes gab es bisher nicht und ist vermutlich dem angelsächsischen Rechtskreis entlehnt. Ob nun das Merkmal „ohne vernünftigen Grund" normatives Tatbestandsmerkmal oder allgemeines Verbrechensmerkmal ist, wird unterschiedlich beantwortet. Diejenigen, die ein allgemeines Verbrechensmerkmal annehmen, sind der Meinung, daß zumindest in Grenzfällen vom Prinzip der Güter- und Pflichtenabwägung ausgegangen werden müsse, wobei auch und gerade das generelle und spezielle soziale Gewicht des mit der Handlung verfolgten Zwecks mit in die Abwägung einzubeziehen sei. Letztlich sei eine der allgemeinen Kulturentwicklung entsprechende Wertung vorzunehmen. Daraus läßt sich entnehmen, daß es sich bei dem Problem, ob ein Tier mit oder ohne vernünftigen Grund getötet wurde, in Wirklichkeit darum handelt, ob die Tiertötung die im sozialen Gemeinschaftsleben geltenden Regeln und Wertvorstellungen nicht schädigend beeinflußt, also sozial annehmbar ist. Infolgedessen greift die Ansicht immer mehr Platz, daß das Merkmal „ohne vernünftigen Grund" eine Sozialadäquanzklausel ist, die den Tatbestand normativ einschränkt. Bei § 17 Nr. 2 TschG, dem zweiten Tatbestand der Tierquälerei, muß zwischen den Begehungsweisen der rohen Schmerz- oder Leidenszufügung (Nr. 2 a) und der quälerischen Schmerz- oder Leidenszufügung (Nr. 2 b) unterschieden werden, wobei Schmerz- oder Leidenszufügung gleichbedeutend mit Mißhandlung ist. Eine Mißhandlung ist dann roh, wenn sie aus einer gefühllosen, Leiden des Tieres mißachtenden Gesinnung erfolgt. Schon das Reichsgericht hat eine gefühllose Gesinnung bejaht, wenn der Täter bei der Mißhandlung das notwendig als Hemmung wirkende Gefühl für den Schmerz des Tieres verloren hat, das sich vergleichsweise in gleicher Lage bei jedem menschlich und verständig Denkenden eingestellt haben würde. Diese subjektiven Gesichtspunkte wirken sich auf den Zweck der Mißhandlung aus, d. h. wer aus dem Charakterzug der Gefühl- und Mitleidlosigkeit heraus gehandelt hat, verfolgt in Wirklichkeit einen vernünftigen, berechtigten Zweck. Die Tat selbst ist letztlich der objektivierte Ausdruck der rohen Gesinnung. Auch im Hinblick auf das Merkmal „Rohheit" hat der Bundesgerichtshof entschieden, daß nur die Betrachtung des Einzelfalles klären kann, ob eine rohe Mißhandlung vorliegt oder nicht. Dies bedeutet, daß bei dem Zusatzmerkmal „roh" eine Einzelfallüberprüfung zu erfolgen hat. Es kann gegebenenfalls unter Einbeziehung der Regeln der sozialen Adäquanz die Mißhandlung als roh eingestuft werden. Handelt es sich bei dem Merkmal „roh" um ein Gesinnungsmerkmal, das ausschließlich täterbezogen ist, so ist das Merkmal „länger anhaltende oder sich wiederholende Schmerzen zufügen" mehr auf die Tat bezogen und charakterisiert die Mißhandlung hinsichtlich ihrer zeitlichen Dauer. Dies bedeutet, die Handlung des Täters muß dem Tier fortdauernde

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oder sich wiederholende Schmerzen oder Leiden verursachen, wobei bezüglich der Länge der Zeitspanne für die Beeinträchtigung des Wohlbefindens geringere Anforderungen zu stellen sind. Das Abstellen auf den Zeitfaktor ermöglicht, daß man bei entsprechender Intensität, die bei der rohen Mißhandlung erfolgt ist, Abstriche machen kann. Dadurch, daß die Sozialadäquanzklausel in den Tatbeständen des § 17 TschG der Tatbestandsmäßigkeit zugehört, wirken die Rechtfertigungsgründe im allgemeinen bereits tatbestandsausschließend, so daß in diesen Fällen die Frage, ob Unrecht vorliegt oder nicht, bereits durch die das Unrecht im Tatbestand vertypenden Sozialadäquanzklauseln beantwortet wird. Darüber hinaus sind durchaus Fälle denkbar, so zum Beispiel bei einem Anwendungsfall des § 34 StGB, in denen die Tatbestandsmäßigkeit nicht ohne weiteres entfällt, sondern die Rechtswidrigkeit nicht gegeben ist. Dies gilt zum Beispiel dann, wenn ein Vater den sein kleines Kind angreifenden Hund erschlägt und nur auf diese Weise das Leben seines Kindes schützen kann. Der Mißhandlungstatbestand des § 17 Nr. 2 TschG ist insoweit problemlos. Die rohe Mißhandlung eines Tieres ist immer rechtswidrig, weil die rohe Mißhandlung nie durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt sein kann. Im Hinblick auf die quälerische Mißhandlung gelten die gleichen Grundsätze wie für die grundlose Wirbeltiertötung. Im subjektiven Bereich ist für die Tötung eines Wirbeltieres gemäß § 17 Nr. 1 TschG als Schuldform Vorsatz erforderlich. Der Vorsatz muß darauf gerichtet sein, daß das Tier vom Leben zum Tode befördert wird. Bedingter Vorsatz reicht hier aus. Das gleiche Schuldformerfordernis des Vorsatzes trifft auch für die rohe Mißhandlung gemäß § 17 Nr. 2 a TschG zu, die nur als Vorsatztat denkbar ist. Hingegen ist die quälerische Mißhandlung gemäß § 17 Nr. 2 b TschG auch fahrlässig begehbar, da die Zufügung länger andauernder oder sich wiederholender Schmerzen oder Leiden aus Fahrlässigkeit durchaus denkbar ist. Die Intentionen, Tiere schutzwürdig anzuerkennen und ihnen gesetzlichen Schutz zu bieten, sind keineswegs einheitlich. Es wurden und werden in Vergangenheit und Gegenwart Tiere aus sehr unterschiedlichen Gründen heraus geschützt. Das wohl älteste Motiv für den Tierschutz ist der anthropozentrische Tierschutz. Im Mittelpunkt dieses Schutzgedankens steht der Mensch mit seinen vielfältigen Interessen. Besonders wirtschaftliche Erwägungen spielen hier eine Rolle, so daß auch teilweise in diesem Zusammenhang von einem an rein wirtschaftlichen Kriterien orientierten „ökonomischen" Tierschutz gesprochen wird. Das Tier unterliegt ökonomischen Prinzipien und ist demnach nur in der Funktion als wirtschaftliches Produkt und Produktionsmittel schützenswert. Aus dieser Sicht stellt sich das Bedürfnis des Menschen das Tier zu schützen, mittelbar als ein ökonomischer Faktor dar. Von anthro-

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Tierquälerei

pozentrischen Tierschutzmotiven mitumfaßt sind ästhetische Gesichtspunkte, die ausschließlich auf die menschliche Empfindsamkeit reflektieren und inhaltlich darauf hinzielen, den Menschen nicht Zeuge einer grundlosen Tiertötung oder Tiermißhandlung werden zu lassen. Besonders ältere Gesetzesfassungen machen die Strafbarkeit der Tierquälerei von der Wahrnehmung durch Dritte abhängig, was durch das Erfordernis „in Ärgernis erregender Weise" zum Ausdruck kommt. Der ästhetische Tierschutz ist eine Fortentwicklung des anthropozentrischen Tierschutzes, sieht aber das Tier um seiner selbst willen als schützenswert an. Dabei treten die beim anthropozentrischen Tierschutz vorzuziehenden reinen Nützlichkeitserwägungen zu Gunsten der Auffassung zurück, daß Tiere quasi gemeinschaftlich neben oder sogar mit den Menschen leben. Die Achtung und Wertschätzung, die der Mensch dem Tier entgegenzubringen hat, ist ein durch die geistige Überlegenheit des Menschen begründetes moralisches Postulat. Dieser Schutzgedanke kam schon in der amtlichen Begründung zum Reichstierschutzgesetz zum Ausdruck, in dem es heißt: „Es findet der Gedanke Raum, daß das Tier des Tieres wegen geschützt werden muß".

3. Entwicklung und praktische

Bedeutung

Um die statistische Entwicklung eines Delikts darzustellen, stehen vor allem zwei Quellen zur Verfügung: die amtliche Kriminalstatistik (Strafverfolgungsstatistik) und die polizeiliche Kriminalstatistik (bekanntgewordene Straftaten). Die polizeiliche Kriminalstatistik jedoch läßt sich im Hinblick auf den Straftatbestand der Tierquälerei nicht verwenden, da sie Verbrechen und Vergehen gegen strafrechtliche Neben- und Landesgesetze nur teilweise erfaßt und die Tierschutzstraftaten gemäß § 17 TschG nicht statistisch registriert. Darüber hinaus wird die statistische Nachprüfbarkeit der Vergehen gegen das Tierschutzgesetz dadurch gemindert, daß die amtliche Kriminalstatistik die Tierquälerei erst seit dem Jahr 1966 erfaßt. Bei der Überprüfung der in der Statistik festgehaltenen Verurteilungen, ergibt sich insgesamt eine rückläufige Tendenz. Wenn für das Jahr 1967 mit 354 Verurteilungen ein Höhepunkt festgestellt werden kann, so geht die Zahl der wegen Vergehen gegen das Tierschutzgesetz Verurteilten bereits 2 Jahre später im Jahre 1969, mit 286 wieder auf den Ausgangsstand von 1966 zurück. Seit diesem Zeitpunkt ist die statistisch ausgewiesene Zahl der Verurteilungen kontinuierlich gesunken und hat mit 204 Verurteilungen im Jahre 1975 den bisherigen Tiefststand erreicht. Noch deutlicher als die absoluten Zahlen können die Kriminalitätsziffern die von statten gegangene Entwicklung im Bereich der Tierquälerei festhalten und aufzeigen. Im Jahre 1966.

als erstmals die Vergehen gegen das Tierschutzgesetz statistisch erfaßt wurden, belief sich die Kriminalitätsziffer auf 0,6, wuchs bis auf einen Höchststand im Jahre 1967 auf 0,75 an, um nach den stagnierenden Jahren 1969 und 1970 mit 0,6 im Jahre 1975 auf den bisher niedrigsten Wert von 0,41 zu fallen. Dieses statistische Zahlenmaterial gibt jedoch nur bedingt die wahre Kriminalität im Bereich der Tierquälerei wieder. Wie jede Statistik ist auch diese mit gewissen Unsicherheitsfaktoren behaftet. Wendet man sich im Rahmen dieser Betrachtungen dem Verhältnis zwischen verurteilten und abgeurteilten Tätern zu, so zeigt sich, daß eine deutliche Divergenz besteht. Hinter dieser Divergenz verbirgt sich echte Tierquälerei - Kriminalität, die insbesondere wegen Freisprüchen oder Einstellungen zu keiner Bestrafung führte. So beträgt der Unterschied bei den Tatbeständen der Tierquälerei in der Zeit von 1966 bis 1976 durchschnittlich 25,1 % . Vergleicht man diesen Prozentsatz mit der prozentualen Differenz der Gesamtkriminalität, die sich in dem angegebenen Zeitraum auf etwa 12 % eingependelt hat, so wird deutlich, daß die Differenz zwischen den Abgeurteilten und Verurteilten bei Tierschutzstraftaten fast doppelt so hoch ist. Diese im Verhältnis zur Gesamtkriminalität wesentlich ungünstigere Verurteilungsquote gibt Hinweise darauf, daß die Bewertung der Tierschutzstraftaten als kriminelles Verhalten sehr uneinheitlich ist. Auch und gerade die Gerichte stehen den Vergehen gegen das Tierschutzgesetz sehr skeptisch gegenüber und messen ihnen oftmals nicht den Charakter einer „echten" kriminellen Straftat bei. Was das Verhältnis zwischen ermittelten und abgeurteilten Tätern betrifft, liegen leider keine präzisen massenstatistischen Werte vor. Das gleiche gilt für das Verhältnis zwischen aufgeklärten und bekannt gewordenen Taten. Die Gesamtaufklärungsquote aller Delikte von durchschnittlich 43 % ist nicht repräsentativ für die Vergehen gegen das Tierschutzgesetz, da die Polizei bei Kenntniserlangung von Tierquälereien die Ermittlung mit vergleichsweise geringem Personal- und Materialaufwand durchführt. Der wohl gewichtigste Unsicherheitsfaktor ist die statistisch nicht erfaßte oder von den Strafverfolgungsbehörden überhaupt nicht bemerkte Kriminalität. Das Problem der Dunkelziffer besteht darin, daß exakte Angaben und sichere Werte nicht vorliegen, sondern man nach wie vor auf Schätzungen angewiesen ist, die sich nur auf Erfahrungen oder begrenzt nachprüfbare Eindrücke stützen. Hält man sich die Besonderheiten der Vergehen gegen das Tierschutzgesetz vor Augen, so wird deutlich, daß die allgemeine Einstellung der Öffentlichkeit gegenüber der Tierquälerei dadurch gekennzeichnet ist, daß ihr bislang weite Teile der Bevölkerung mit geringem Interesse, wenn nicht gar gleichgültig gegenüber standen. Erst in jüngster Zeit wird die Aufmerksamkeit der Bevölkerung durch Presse,

Tierquälerei Rundfunk und Fernsehen auf diese Straftat gelenkt. Schon allein dadurch dürfte das Dunkelfeld recht breit sein. Bedenkt man weiter, daß durch den Boom des Tierhandels und durch die wachsende Zahl der Tierversuche, Tierquälereien mehr und mehr in sozial unauffälligem Rahmen begangen werden können, so läßt sich daraus ein weiterer Anhaltspunkt für eine hohe Dunkelziffer gewinnen. Entscheidend jedoch dürfte sein, daß die Betroffenen, nämlich die Tiere, sich nicht wie Menschen an Strafverfolgungsorgane wenden können und die Taten somit zu einem Großteil unentdeckt bleiben. Unter Berücksichtigung der genannten besonderen Aspekte wird klar, daß die Dunkelziffer bei Tierquälereien weit über dem Durchschnitt liegt und eine Schätzung von 5000:1 eher zu niedrig als zu hoch angesetzt ist. Unter Einbeziehung der dargelegten Umstände ist die erhebliche Diskrepanz zwischen tatsächlicher und statistisch ausgewiesener Kriminalität leicht einsehbar. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn man sich nochmals vor Augen hält, daß die Zahl der wegen Tierquälerei Verurteilten laut Kriminalstatistik nicht nur stagniert, sondern sogar kontinuierlich abnimmt, die tatsächlichen Vergehen gegen das Tierschutzgesetz dagegen rapide ansteigen. Besonders die wirtschaftliche Lage der Bundesrepublik Deutschland, die Automatisierungsbestrebungen auch in der Landwirtschaft und in der medizinisch-pharmazeutischen Industrie (bei Tierversuchen) erfordert, scheint zunehmend für den in Frage stehenden Deliktstypus an Bedeutung zu gewinnen. Der Zwang, konkurrenzfähig zu bleiben, treibt die Landwirtschaft und die Industrie zu profitsteigernden Maßnahmen, so daß viele Tiere nur noch wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden und damit mehr und mehr gefährdet sind, Opfer von Tierquälereien zu werden. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die überdurchschnittlich große Dunkelziffer die wahre Kriminalität völlig verdeckt, wobei sich die statistisch erfaßten Vergehen gegen das Tierschutzgesetz vor dem Hintergrund der tatsächlichen Delinquenz wie die Spitze eines Eisberges ausnehmen.

4.

Kriminalphänomenologie

Bei dem Versuch, das allgemeine Erscheinungsbild der Tierquälerei darzustellen, kommt es besonders darauf an, Tatort, Tatzeit, Tatmittel und den Schaden zu reflektieren. In zunehmendem Maße werden Tierquälereien heute in Mittel- und Großstädten begangen. Das hängt damit zusammen, daß im Verlauf zunehmender Industrialisierung und dem damit einhergehenden technischen und medizinischen Fortschritt sich der große Überhang an Tieren auf dem Lande zumindest partiell auf die Großstädte verlagert hat. Die in den städtischen Ballungszentren angesiedelten Pharmaindustrien, medizinischen Versuchsla-

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bors und technischen Institute halten in der Bundesrepublik eine überaus große Anzahl von Versuchstieren, deren Zahlen für die Bundesrepublik Deutschland schätzungsweise mit 15-20 Millionen angegeben wird. Allein in den Pharmakonzernen der Großstädte, die in der flächenmäßig kleinen Schweiz besonders stark vertreten sind, besteht ein Jahresbedarf an Versuchstieren von 3 Millionen Nagetieren, 2500 Katzen, 3000 Hunden und 1000 Affen. Diese Zahlen sind nicht geeignet, eine wirkliche Aussage über Tierquälerei in diesem Bereich zu machen. Sie können nur verdeutlichen, daß aufgrund der Quantität die Möglichkeit vermehrter Tierquälerei in den Mittel- und Großstädten gegeben ist. Hinzu kommt, daß die private Haustierhaltung in den Mittel- und Großstädten kontinuierlich ansteigt und bereits im Jahre 1974 einen Stand von 37,3 Millionen erreicht hatte. Diese Zahlen lassen vermuten, daß mit zunehmender Tendenz heutzutage Tierschutzstraftaten in Städten begangen werden. Dabei darf jedoch das Aufkommen der Tierschutzstraftaten in ländlichen Gebieten nicht unterschätzt werden. Dies gilt gerade im Hinblick auf die neuzeitliche Intensivhaltung von landwirtschaftlichen Nutztieren. Immerhin belief sich im Jahre 1974 die geschätzte Gesamtzahl landwirtschaftlicher Nutztiere auf 127,6 Millionen. Was die Tatzeit anbetrifft, so ergeben sich hier keine Besonderheiten gegenüber anderen Straftaten. Als Tatmittel kommen insbesondere Schuß- und Stichwaffen, für kleinere Tiere, wie Hasen, Kaninchen, Hühner etc. Schlagwerkzeuge aus Holz oder Metall in Betracht. Der Einsatz von elektrischem Strom zur gleichzeitigen Tötung mehrerer Tiere ist beispielsweise in Großschlachtanlagen für Geflügel vorzufinden. Selbst der Gebrauch chemisch-physikalischer Mittel (Einleitung von C 0 2 in verschlossene Behälter, in denen sich die Tiere befinden) ist, vor allem in England, üblich. Die besondere tierschutzrechtliche Problematik bei all diesen Tötungsmethoden ergibt sich meistens dann, wenn sie von Laien ohne Kenntnis und Anwendung der bestehenden tierschutzgerechten Möglichkeiten durchgeführt werden. Insgesamt läßt sich sagen, daß die unterschiedlichsten Tatwerkzeuge bei der Tierquälerei zur Anwendung kommen, wobei die aufgezeigten nur einen gewissen Eindruck vermitteln sollen. Ein interessanter Aspekt ist, daß durch Tierschutzstraftaten gemäß § 17 TschG auch erhebliche wirtschaftliche Vermögenspositionen tangiert sein können. Immerhin stellen der Viehbestand in der Landwirtschaft, das Tieraufkommen im gewerblichen Handel und die große Anzahl von Versuchstieren, einen finanziellen Gegenwert in Milliardenhöhe dar, der als echter Kostenfaktor in die betriebswirtschaftliche Rechnung eingeht. Das Tier wird mehr und mehr wirtschaftliches Produkt oder Produktionsmittel und stellt für den Eigentümer gerade hinsichtlich der Nutztier- und Versuchstierhaltung einen echten Vermögenswert dar. Der

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mögliche Wertverlust, der durch Tierschutzstraftaten eintreten kann, zeigt sich deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß eine legereife Junghenne zwischen 10,- DM und 15,- DM kostet. Große Geflügelzuchtbetriebe halten bis zu 30000 Junghennen zum Verkauf bereit, die demnach einen Wert von 300000, - bis 4 5 0 0 0 0 - DM verkörpern. Der Produktionswert der Geflügelhaltung erreichte im Wirtschaftsjahr 1973/74 in der Bundesrepublik Deutschland die Höhe von 3,71 Milliarden DM. Vergleichsweise sehr viel höher liegen die Vermögenswerte bei Rindern oder Schweinen. Auch für die einzelnen Industriezweige nehmen die Versuchstiere an Bedeutung für die Kostenrechnung stetig zu. Die Zahl der Tiere, die für wissenschaftliche Versuche benutzt werden, steigt laufend. Nach Schätzungen werden in der Bundesrepublik Deutschland 15-20 Millionen Versuchstiere pro Jahr benötigt, in den USA sogar 60-70 Millionen. Den möglichen materiellen Schäden als Folge von Tierquälereien stehen die Schäden gegenüber, die dem Tier selbst zugefügt werden. Allgemein spricht man von einem Schaden bei einem Tier dann, wenn Beeinträchtigungen der Unversehrtheit der Tiere - meist durch Schmerzen oder Leiden hervorgerufen - vorliegen. Die Schädigung kann körperlicher oder psychischer Art sein, wobei eine andauernde Wirkung nicht erforderlich ist, sondern eine vorübergehende Beeinträchtigung ausreicht. Es läßt sich daher feststellen, daß das Wesen des Schadens in diesem Zusammenhang darin liegt, daß der Zustand, in dem sich das Tier befindet, zum Schlechteren verändert wird. So treten oft nach außen hin leicht sichtbare Schäden, wie große Fleischwunden, Verstümmelungen der Gliedmaßen und Verletzungen der Augen und Ohren auf. Wenn Tiere auf engem Raum in großer Zahl gehalten werden, wie bei allen Formen der Intensivhaltung, können wegen der erhöhten Ansteckungsgefahr Zystenbildung, eitrige Infektionen oder Seuchen, die mit Haarausfall, Hautkrankheiten oder sonstigen Fellverletzungen einhergehen, auftreten. Die Intensivhaltung führt bisweilen als Folge von Bewegungsmangel zu Herz- und Kreislaufstörungen. Immer wieder werden von Tierärzten Schädigungen an Leber, Milz, Nieren oder Lunge diagnostiziert, die unmittelbar durch Tierquälereien verursacht wurden; auch werden immer wieder Magen-DarmBeschwerden beobachtet. Innerhalb des Bereichs der Muskeln und des Nervensystems werden Krämpfe, Lähmungserscheinungen oder Nervenerkrankungen als schadhafte Folge von Tierquälereien bemerkt. Ein weiteres, wesentlich schwieriger zu diagnostizierendes Feld möglicher Schädigungen bieten die von der Verhaltensforschung und Tierpsychologie erkannten psychischen Beeinträchtigungen, wie Hysterien, Neurosen, Psychopatien, Psychosen oder Triebhemmungen, die vor allem Folge von Angst- und Schreckerlebnissen oder ganz allgemein von Konfliktsituationen sind. Bei den

besonderen Erscheinungsformen kann in diesem Rahmen nur eine gewisse Auswahl getroffen werden. Es sind diejenigen hervorzuheben, die für die heutige Zeit besonders charakteristisch sind. Dabei ist zuerst an die Tierquälerei aus wirtschaftlichen Gründen zu denken. Tiermißhandlungen aus wirtschaftlichen Gründen rücken im Blick auf die Bedeutsamkeit für dieses Delikt immer mehr in den Vordergrund. Die Nachfrage nach tierischen Produkten steigt ständig, wobei die Nachfrage im gleichen Maße nach Eiern, Käse, Milch und Butter wächst, wie das Bedürfnis der Bevölkerung nach Fleisch, worauf die steigende Anzahl des Tierbestandes in der Nutztierhaltung zurückzuführen ist. So belief sich der Schweinebestand nach der letzten Schlachtviehzählung im Dezember 1977 auf 21,45 Millionen. Dies war ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr um 866000, also 4,2 %. Auch der Rinderbestand stieg, wenn auch im Verhältnis zum Schweinebestand geringer, um 280000 oder 1,8% auf 14,76 Millionen. Wie bereits gezeigt, nimmt das Aufkommen an Versuchstieren merklich zu und die private Haustierhaltung wächst an, so daß für das Jahr 1974 8 Millionen Hunde, Katzen, Meerschweinchen und Goldhamster gezählt wurden. Schon diese wenigen Zahlen zeigen, daß die Tiere inzwischen wirtschaftlich sehr interessant sind, weil sie infolge der großen allgemeinen Nachfrage in den betreffenden Wirtschaftssparten leicht kalkulierbar sind und mit hoher Gewinnspanne abgesetzt werden können. Das Tier als Ware und Produktionsmittel nimmt daher an vielen Sparten des Wirtschaftslebens, besonders auf dem Ernährungssektor, teil. Der sich in den letzten Jahren immer mehr ausdehnende Tierhandel erstreckt sich nicht nur auf die Bundesrepublik Deutschland, sondern wird, häufig durch internationale Verträge, auch mit anderen europäischen oder überseeischen Staaten betrieben, d. h. der Tierhandel wird inzwischen auf internationaler Ebene abgewickelt. Der Ex- und Import von Tieren hat insgesamt gesehen zur Vergrößerung des Viehbestandes geführt. Dieser Bestandszuwachs sowie der Übergang zur arbeitsteiligen Wirtschaftsweise und die dadurch bedingte Ausweitung des Tiertransportwesens haben große Probleme bezüglich eines tierschutzgerechten Transportwesens der Tiere mit sich gebracht. Tierquälereien im Zusammenhang mit Tiertransporten treten auffallend häufig auf. Dies liegt daran, daß die Tiere bei einem Transport, bei dem regelmäßig eine Vielzahl von Tieren befördert wird, erheblichen Belastungen ausgesetzt sind. Das Einfangen und die Herausnahme aus der gewohnten Umgebung, das Zusammentreffen mit fremden Menschen und Artgenossen sowie die transportbedingten Zwangsmaßnahmen verursachen oft Erregungsund Angstzustände, die die Tiere nicht immer zu kompensieren vermögen, und die dann Schmerzen, Leiden oder Schäden auslösen können. Ob und wie

Tierquälerei sich diese Belastungen letzten Endes auswirken, ist tierspezifisch und individuell verschieden und hängt von dem jeweiligen Adaptionsvermögen des Tieres ab. Dabei wirkt sich das wirtschaftliche Bestreben, diese Transporte möglichst rentabel durchzuführen jedoch dahingehend aus, daß eine größtmögliche Anzahl von Tieren auf einem möglichst kleinen Raum untergebracht wird. Bei Massentransporten dieser Art leiden die Tiere wegen der meist unzureichenden Lüftung und übergroßen Ladedichte regelmäßig an deutlich überhöhter Körpertemperatur (40°C und höher), Herz- und Atemfrequenz. In Extremfällen kann das zum qualvollen Tod einzelner Tiere führen. Die Mißstände werden noch dadurch aufrecht erhalten und gefördert, daß es an geeigneten Fachkräften für den Tiertransport fehlt, die die notwendigen anfallenden Arbeiten fachkundig ausführen. Als eine der wichtigsten Aufgaben dieser Fachkräfte ist die regelmäßige nach den artspezifischen Bedürfnissen ausgerichtete Fütterung der Tiere zu nennen, denn immer wieder kommen Todesfälle vor, die durch Verhungern auf den langen Transporten eingetreten sind. Schließlich lassen sich grausame Tierquälereien durch ungeeignete oder schadhafte Transportmittel feststellen. Im Rahmen der Tiertransporte kommt dem Nachnahmeversand von Tieren im Inland besondere Bedeutung zu. Immerhin werden im Jahresdurchschnitt in der Bundesrepublik Deutschland rund 61000 Paket- und 11000 Briefsendungen mit Tieren verschickt, davon etwa die Hälfte per Nachnahme. 30000 Welpen erreichen jährlich mit Bahnexpreß ihren neuen Besitzer. Die auf diese Weise versandten Tiere werden besonders dann starken Qualen ausgesetzt, wenn - wie es oft bei dieser Versendungsart passiert - die Annahme der Sendung durch den Empfänger verweigert, oder sogar die Rücknahme durch den Absender abgelehnt wird. Dadurch verlängert sich der ursprünglich veranschlagte Transportweg um 100 % für den Rücktransport, wobei die effektive Zeit (durch Wartezeiten bedingt), die die Tiere auf dem Transportweg verbringen, zum Teil sehr viel höher liegt. Daraus folgt Sauerstoff-, Pflege- und Nahrungsmangel, der das Leben der Tiere schwerwiegend gefährdet und allzu häufig zum qualvollen Tod vieler Tiere führt. Aus den dargelegten Gründen zeigt sich, daß der Tiertransport im Rahmen eines ständig wachsenden Tierhandels sehr anfällig für Mißhandlungen oder Qualen an Tieren ist, da es dabei nur um die Erreichung eines wirtschaftlichen Zieles geht und das Tier als Ware, ohne Rücksicht auf sein Leben, behandelt wird. Dieser Sachlage versuchte der Gesetzgeber in § 3 Nr. 9 TschG Rechnung zu tragen, in dem er den Nachnahmeversand von Tieren verbot. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat jedoch auf Betreiben der Landwirte und Geflügelzüchter das in § 3 Nr. 9 TschG enthaltene Nachnahmeversandverbot als verfassungswidrig aufgehoben und erklärt, das Verbot der Nachnahmeversendung

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lebender Tiere sei in seiner gegenwärtigen undifferenzierten Fassung mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Inzwischen hat sich der Deutsche Tierschutzbund mit der Deutschen Bundespost in Verbindung gesetzt und vereinbart, daß innerhalb der allgemeinen Annahmezeiten Sendungen mit lebenden Tieren jeweils nur von Montag bis Mittwoch zur Postbeförderung angenommen werden dürfen. Immer wieder findet Tierquälerei auch bei der Tierhaltung statt. In diesem Zusammenhang ist gerade die Batteriehaltung von Legehennen in die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gerückt. Die Batteriehaltung von Geflügel ermöglicht, eine Vielzahl von Tieren in eng stehender Reihenfolge in Käfigbatterien auf relativ kleinem Raum zu halten. Zur Haltung großer gleichartiger Nutztierbestände auf begrenztem Raum in neuzeitlichen Haltungssystemen ist man gekommen, weil der große ganzjährige Bedarf an frischen Geflügelprodukten nicht mehr mit der traditionellen Auslauf- bzw. Freilaufhaltung, die auch jahreszeitlich bedingten Schwankungen unterworfen war, befriedigt werden konnte. Die Wandlung der Nutzgeflügelhaltung vom vertrauten Bild der Hühnerschar auf dem Bauernhof zur intensiven Stallhaltung steht also unmittelbar mit der Nachfrage in Zusammenhang. Die gesamte Geflügelwirtschaft ist in den letzten 20 Jahren zu einer bedeutenden volkswirtschaftlichen Größenordnung gelangt. Wie schon erwähnt, erreichte der Produktionswert der Geflügelhaltung im Wirtschaftsjahr 1973/74 in der Bundesrepublik Deutschland eine Höhe von 3,71 Milliarden DM, wovon 2,86 Milliarden DM auf Eier und 760 Millionen DM auf Geflügelfleisch entfielen. Am Gesamtwert der landwirtschaftlichen Produktion hat die Geflügelhaltung einen Anteil von 7,8%. Der Gesamtverbrauch an Masthähnchen betrug 1972 362000 t, die nur zu 45% im Lande produziert werden konnten. Auch der Pro-Kopf-Verbrauch an Eiern steigt ständig und ist bei 292 Stück jährlich angelangt, so daß im Wirtschaftsjahr 1974/75 insgesamt 18 Milliarden Eier konsumiert wurden. Die bundesdeutsche Landwirtschaft konnte in diesem Jahr fast 2,5 Milliarden DM Verkaufserlös allein aus dem Eierhandel erzielen. Diese Zahlen machen eindrucksvoll klar, daß die Batteriehaltung von Geflügel vor allem eine Reaktion auf die gesteigerte Nachfrage war. Wendet man sich nun den Schäden zu, die zum Teil durch die Batteriehaltung an den Tieren entstehen, so zeigt sich, daß die Tiere einer breiten Palette von möglichen Qualen ausgesetzt sind. Es gibt Käfige, die so eng sind, daß die jungen Legehennen nicht aufrecht auf den schrägen Drahtrosten stehen können. Insbesondere widerspricht diese Art von Tierhaltung der verhaltensgerechten Unterbringung, da sich die Tiere nicht arttypisch verhalten können. So fehlt ihnen die Möglichkeit der Gefiederpflege, des Staubbadens, des Scharrens und der Ausstreckung. Diese Unterdrückung der natürlichen Verhaltensweisen in Verbindung

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mit der künstlichen Beleuchtung können im günstigsten Fall zu Knochen- und Gelenkerkrankungen führen. Die Gefahr ansteckender Krankheiten steigt, und tritt eine solche auf, so stirbt eine große Anzahl der Tiere. Die wohl schlimmste Auswirkung der Batteriehaltung dürfte der immer wieder zu beobachtende Kannibalismus sein, bei dem sich die Tiere gegenseitig die Augen aushacken, andere Körperverletzungen beibringen oder gar töten. Oftmals wird die Legeleistung der Hennen durch Aufzuchtart, Futtermittelzusätze und medikamentöse Behandlung so gesteigert, daß die Tiere infolge hohen Kalkmangels ihr Federkleid teilweise oder völlig verlieren. Wohin dieser Trend führt, wird deutlich, wenn man sich vor Augen hält, daß mittlerweile Züchtungen versucht werden, bei denen die Tiere kein Gefieder mehr haben, um möglichst viele Tiere nebeneinander in dem Käfig unterzubringen. Ein möglichst ausgewogenes Bild von dieser Erscheinungsform erfordert den Hinweis, daß diese Form der Massentierhaltung auch positive Aspekte hat. Gerade im Hinblick auf die Preisbildung wirkt sich die Käfighaltung kostengünstig aus. Gegenüber allen anderen Produktionskosten für Eier ist die Kostenlast bei Bateriehennenhaltung am geringsten. Auch wird immer wieder darauf aufmerksam gemacht, daß die Tiere bei dieser Haltung einen ganzjährigen Schutz vor Witterungseinflüssen genießen. Darüber hinaus verbessert sich die Möglichkeit der Einstellung der optimalen Raumtemperatur und die regelmäßige Futter- und Wasserversorgung ist gewährleistet. Außerdem kann die lebensmittelhygienische Überwachung der Geflügelprodukte aufrecht erhalten und weiter entwickelt werden. Die Erscheinungsform der Batteriehaltung wird auch von der Justiz nicht einheitlich beurteilt. So hat die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Stuttgart die Einstellung des wegen Tierquälerei im Zusammenhang mit der Batteriehaltung von Junghennen betriebenen Verfahrens beschlossen, mit der Begründung, daß zwar objektiv der Tatbestand der Tierquälerei erfüllt sei, aber subjektiv den Haltern von „Batteriehühnern" kein Vorwurf zu machen sei. Sinngemäß wird weiter ausgeführt, daß die Käfighaltung weit verbreitet sei und von staatlichen Behörden und Interessenverbänden befürwortet werde, so daß von dem einzelnen Halter nicht die Erkenntnis verlangt werden könne, er verstoße objektiv gegen das Tierschutzgesetz. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hingegen hat in einer Entscheidung gesagt, die Batteriehaltung von Legehennen sei „eine Form der Nutztierhaltung, die Grund zu ernsten Bedenken und somit um die weitere Entwicklung gibt." Nicht selten sind auch im sportlichen Bereich Tierquälereien anzutreffen. Nach wie vor ist im Bereich des Sports das Tier sehr beliebt. Dabei sind die Sportarten, bei denen der Mensch zusammen

mit dem Tier eine sportliche Leistung vollbringt zum Beispiel Pferderennen - von den Sportarten zu unterscheiden, bei denen ausschließlich das Tier im Mittelpunkt des sportlichen Geschehens steht und der Mensch nur als Zuschauer fungiert. Dazu gehören die in Südeuropa sehr beliebten Hahnenkämpfe oder die vorwiegend in England durchgeführten Hunderennen. Am Stierkampf, der wohl eine besondere Stellung einnimmt, sind zwar Menschen beteiligt, jedoch mit der Besonderheit, daß der Mensch als Sieger immer schon zu Beginn des Kampfes feststeht und dem Stier keine Chance bleibt. Der in der breiten Öffentlichkeit am meisten bekannte Tierkampf ist der hauptsächlich in Spanien veranstaltete Stierkampf. Diese Kampfart verläuft in spanischen Arenen nach eine'm strengen Zeremoniell, das aus dem Ende des 18. Jahrhunderts stammt. Der Stier hat keine Chance, mit dem Leben davon zu kommen, sondern muß dem Ritus entsprechend sterben. Dabei wird der Tod des Stieres qualvoll vorbereitet. Vor dem Todesstoß mit dem Degen wird das Tier mit spitzen Lanzen, die ihm ein Reiter (Picadores) vom Pferd aus in den Nacken stößt, gepeinigt. Durch den Schmerz bäumt sich das Tier auf und bohrt sich dadurch die Lanzenspitze des Reiters unwillkürlich tiefer in den Rücken. Im weiteren Verlauf des Kampfes werden dem Tier bunte, pfeilartige Stechwerkzeuge in den Rücken gespießt, die im Rückenfleisch des Tieres verbleiben und klaffende Wunden hinterlassen und dem Tier qualvolle Schmerzen bereiten. Wenn das Tier fast zu Tode gehetzt ist, bekommt es durch den Matador den Todesstoß, wobei die Prozedur im Fall des Mißlingens mehrfach wiederholt wird. Dadurch werden dem Tier Lungenstiche beigebracht, die zum strahlartigen Blutausfluß aus dem Maul des Tieres führen. Aber auch die Pferde der Lanzenreiter erleiden oft trotz ihres gepolsterten Schutzumhanges tiefe Fleischwunden, die teilweise zum Tode führen. Eine im Jahre 1974 veröffentlichte Statistik zeigt, daß in diesem Jahr in ca. 300 Arenen insgesamt 678 Stierkämpfe mit 4068 Bullen und 452 Stierkämpfe mit 2172 Jungtieren stattfanden. Bei diesen Kämpfen wurden auch 218 Pferde durch Verletzungen durch den Stier getötet. Insgesamt läßt sich sagen, daß es sich bei Stierkämpfen im Grunde nicht um echte Kämpfe handelt, sondern mehr um Jagden, da der Stier keine Überlebenschance hat. Eine andere Tierkampfart sind die Hahnenkämpfe wie sie in Portugal, Südfrankreich, Spanien und Mexiko stattfinden. Tierquälereien kommen bei diesen Kämpfen immer vor, da der Kampf so angelegt ist, daß beide Tiere mit ihren Schnäbeln und Krallen aufeinander losgehen. Dabei hacken zwei Kampfhähne so lange auf sich ein, bis einer den Tod erleidet oder völlig erschöpft auf dem Boden liegen bleibt. Durch das Hacken bringen sich die Hähne tiefe Fleischwunden bei, teilweise hacken sie sich sogar gegenseitig die Augen aus. Demgegen-

Tierquälerei über stellen die vor allem im anglo-amerikanischen Kulturkreis veranstalteten Hunderennen eine relativ harmlose Wettkampfart dar. Die Rennhunde laufen einem vor ihrer Nase entlanggezogenen Hasen nach und erreichen dabei die beachtliche Geschwindigkeit von 70 km/h. Nur selten erliegen die sehr gut konditionierten Tiere einem Herz- oder Kreislaufversagen infolge körperlicher Überanstrengung. Auch im Pferdesport lassen sich durchaus Tierquälereien beobachten. Der überwiegende Teil der gegenwärtig in der Bundesrepublik gehaltenen 340000 Pferde dient sportlichen Zwecken. Dem Pferd begegnet man heute im Turnier- und Fahrsport ebenso wie im Galopp- und Trabrennsport, bei Vielseitigkeitsprüfungen oder Hindernisrennen, aber auch beim Polospiel oder Freizeitritt. Pferde sind für Tierquälereien im besonderen Maße anfällig, da sie bei Schmerz- und Leidensempfindungen keine oder ganz selten Laute von sich geben. Da sie demnach nicht auf ihre Schmerzen aufmerksam machen, werden Schmerzen oder Leiden zumeist spät bemerkt. Zum anderen kommen bei einem Täter kein Mitleid oder sonstige psychische Hemmungen auf, die sich möglicherweise bei Schmerzlauten einstellen würden. Die wohl am häufigsten anzutreffende Schädigung bei unsachgemäßer Pferdehaltung dürfte durch Bewegungsmangel eintreten. In seinem natürlichen Lebensraum, der Steppe, ist das Pferd an Ungebundenheit und an Bewegung im großen Raum gewöhnt. Um so mehr leidet es, wenn es tagelang in einer Stallbox stehen muß, ohne daß es ausgeritten oder sonstwie bewegt wird. Besonders häufig lassen sich infolge des Bewegungsmangels Gelenkschädigungen feststellen. Bisweilen werden die Tiere in den Ställen sehr eng angebunden und fügen sich durch Kopf- und Körperbewegungen Hautwunden zu. Die psychische Folge dieser Bewegungsarmut zeigt sich in Abstumpfung, Verspanntheit, Übererregbarkeit und in einem aufgestauten Bewegungstrieb, der in pathologischer Weise durch Durchgehen, Gegen-HindernisseSpringen und bündwütiges Rasen zum Tragen kommt. Mangelnde Pflege führt zur Entzündung der Gelenke und zu schmerzhaften Hufschäden. Während der sportlichen Reitveranstaltung ist eine eventuelle Tierquälerei kaum in der Öffentlichkeit zu bemerken, sondern vorher oder nachher auf dem Abreite- oder Vorbereitungsplatz. In diesem Zusammenhang ist zunächst auf die wachsende Anzahl der Dopingfälle im Reitsport hinzuweisen, bei denen die Leistung der Pferde durch Einsatz von mechanischen oder medikamentösen Mitteln erhöht wird. Besonders deutlich ist die Tierquälerei beim Einsatz mechanischer Mittel. So werden den Pferden zum Teil mittels elektrischer Apparate, die unter dem Sattel installiert werden, Stromstöße verabreicht, die sie zum schnelleren Laufen veranlassen. Auch kommt es hinzu, daß Nadeln, Nägel oder Stifte unter dem Sattel verteilt werden, die dann das

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Pferd beim Lauf peinigen; selbst vor der Benutzung von mit Metalleinlagen versehenen Reitpeitschen schrecken die Täter nicht zurück. Allgemein wird der übermäßige Gebrauch von Reitpeitschen und Sporen auf dem Reitplatz mißbilligt. Daher hat in der Leistungsprüfungsordnung (LPO) für Turnierpferde und Rennordnung (RO) der Terminus „Unreiterliches Benehmen" einen festen Platz. Erwähnenswert ist noch, daß die Unkenntnis von Anfängern immer wieder zur unsachgemäßen Zäumung der Pferde führt, wodurch die Atmung nachhaltig behindert werden kann. Schließlich führen die Hindernisrennen, die die Leistungskraft der Pferde übersteigen, zu gefährlichen Stürzen, bei denen die Tiere schwere Verletzungen, besonders Knochenbrüche davontragen, wobei sogar der sofortige Tod durch Genickbruch bei einem solchen Sturz verursacht werden kann. Bevor das Augenmerk auf Tierquälereien im Rahmen wissenschaftlicher Forschung zu wenden ist, ist darauf hinzuweisen, daß die §§ 7-10 TschG sich ausschließlich mit Tierversuchen beschäftigen und bestimmen, unter welchen Voraussetzungen Tierexperimente erlaubt sind. Schon daraus läßt sich entnehmen, daß zumindest der Gesetzgeber nicht alle Versuche an Tieren als Tierquälerei einstuft. Vielmehr ist eine Tierschutzstraftat im Sinne von § 17 TschG vor allem in Fällen des Exzesses zu denken, oder wenn das Vergehen bei Gelegenheit des an sich erlaubten Tierversuches begangen wird. Dies bedeutet, daß nachdrücklich darauf hingewiesen werden muß, daß Tierquälereien im Rahmen wissenschaftlicher Forschung wohl auf Ausnahmen beschränkt sind. Heutzutage werden Tierexperimente auf vielen Gebieten der medizinischen und naturwissenschaftlichen Forschung gemacht. Sie werden immer dann als notwendig erachtet, wenn die Wechselwirkung einiger Organsysteme untereinander und die verschiedenartigen Einflüsse auf diese Wechselwirkungen geprüft werden müssen. Dazu gehören unter anderem Untersuchungen zur Erforschung der Störung der Organsysteme untereinander, zur Bestimmung von Wirkungsrichtung, Resorption, Verteilung, biochemischer Umwandlung, Metabolismus und Ausscheidung von Pharmaka usw. Zu diesen Tierexperimenten werden die unterschiedlichsten Tierarten verwendet. Vor allem Hunde, Katzen, Affen, Kaninchen, Schweine, Schafe, Kälber, Pferde, Hühner, Ratten, Mäuse und Vögel werden bei den Versuchen herangezogen. Im Rahmen der Tierversuche ist klarzustellen, daß man lediglich auf vage Schätzungen angewiesen ist. So werden 15 bis 20 Millionen Versuchstiere schätzungsweise in der Bundesrepublik Deutschland gehalten. Weitere Schätzungen gehen dahin, daß täglich allein in der Bundesrepublik mittlerweile 60000 Tiere einem Versuch unterworfen werden. Diese Entwicklung beschränkt sich nicht auf die Bundesrepublik Deutschland, sondern in jedem technologisch entwickelten Land, gleich ob im We-

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sten oder Osten, wird mit Tierversuchen gearbeitet. So finden jährlich in England 6 Millionen und Amerika 9 Millionen Versuche statt, wobei in England 8 8 % der Versuche ohne Betäubung durchgeführt werden. Der Finanzaufwand, der für Tierversuche betrieben wird, ist ganz erheblich. Das Versuchstierhaus der medizinischen Hochschule Hannover hat während einer Bauzeit von 5 Jahren 25 Millionen D M gekostet, das Primatenzentrum in Göttingen hat 50 Millionen D M an Kosten verursacht. Besonders deutlich wird der Kostenaufwand, wenn man sich daran erinnert, daß der Pharmakonzern der Firma Merk 1975 über 50 Millionen DM für die Forschung ausgegeben hat, wobei 90 % dieser Summe auf Tierversuche entfielen. In den USA wurden im gleichen Jahr 25 Milliarden Dollar von der Regierung zur Subventionierung von Laboratorien bewilligt, davon wurden 90 % unmittelbar oder mittelbar für Tierversuche ausgegeben. Betrachtet man diese Zahlen und berücksichtigt dabei, daß in vielen Fällen Regierungen oder Industrien Zahlenmaterial über Tierversuche nicht veröffentlichen, so läßt sich ein eindrucksvolles Bild vom Kapitalaufwand gewinnen, mit dessen Hilfe die Tierversuche finanziert werden. An dieser Stelle ist daran zu erinnern, daß inzwischen Versuchsmethoden entwickelt werden, die den Tieren weitgehende Schmerzlosigkeit ermöglichen. Eine ausgesprochen interessante Erscheinungsform der Tierquälerei ist die Tierquälerei durch Kinder und Jugendliche. Wenn auch diese Gruppen im Verhältnis zu anderen Erscheinungsformen zahlenmäßig nicht sehr ins Gewicht fallen, so sind Tiermißhandlungen durch Kinder und Jugendliche immer wieder anzutreffen. Dies mag auch damit zusammenhängen, daß Kinder und Jugendliche Tieren gegenüber nicht das Maß an Verantwortung spüren, wie es erforderlich ist, um ein Tier regelmäßig pflegerisch zu versorgen. Die Fälle echter Tierquälerei dürften sich dabei überwiegend außer Haus, also nicht am eigenen Haustier, das in der Familie lebt, vollziehen, da Eltern zum Großteil korrigierend eingreifen. Treffen Kinder oder Jugendliche auf fremde Tiere, ist vielfach die Angst vor dem unbekannten Tier und eine damit verbundene Überreaktion Ursache der Tatbegehung. Ein wichtiger Aspekt ist in diesem Zusammenhang die Tatbegehung durch Kinder oder Jugendliche, die ihrem Bewegungsdrang und Übermut nachgeben und, noch ohne Gefühl und Verständnis für ein Tier, dieses quälen oder mißhandeln. So warfen Kinder eine verletzte Katze in einen Bach. Als sich das Tier mühsam daraus gerettet hatte, wurde es mit Steinen und Flaschen geschlagen und mit Fußtritten bearbeitet, bis es tot liegen blieb. In einem anderen Fall schössen Kinder mit Pfeil und Bogen auf Ziervögel und anderes Geflügel. Die zum Teil getöteten Tiere warfen sie ins Gewässer. Bei der Gruppe, die aus rational unverständlichen Gründen Tiere quält, befinden sich vor allem Täter, die aufgrund ihrer

psychischen Struktur von der Norm abweichen und daher allgemein anders reagieren, als unter normalen Voraussetzungen zu erwarten ist. Hemmungen, die der normal Denkende und Empfindende hat, sind diesen Tätern unbekannt oder sie sind zumindest wenig ausgeprägt und können zu Triebanomalien führen. Eine solche Triebanomalie kann das Bild der Sodomie aufweisen. Sexuelle Handlungen mit Tieren sind bisweilen echte Triebanomalien und kommen als sexuelle Perversion relativ selten vor. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, daß es sich bei dem in Frage kommenden Täterkreis verhältnismäßig selten um wirklich psychisch Kranke handelt. Dies bedeutet, daß es dem Täter überwiegend um normale geschlechtliche Befriedigung geht, der Ausweg jedoch bei einem Tier gesucht wird, weil ein Verkehr mit Frauen nicht oder nicht ohne weiteres möglich ist. Das Tier dient in diesen Fällen gewissermaßen als „Notlösung" für eine an sich normale Trieb Veranlagung. Vielfach sind auch Schwachsinnige an sodomistischen Akten beteiligt. Insgesamt hat sich somit gezeigt, daß die Erscheinungsformen der Tierquälerei nahezu unerschöpflich sind und eine breite Palette beinhalten. 5. Mögliche Ursachen der Tierquälerei Wendet man sich im Rahmen der Betrachtung über die Ursachen der Tierquälerei dem Geschlecht zu, so zeigt sich, daß Frauen mit einem Anteil von durchschnittlich 10 bis 15 % an der Gesamtkriminalität beteiligt sind. Seitdem die Tierquälerei im Jahre 1966 in der Kriminalstatistik massenstatistisch erfaßt wird, haben Frauen bezüglich der Tierquälerei einschließlich 1976 einen durchschnittlichen Anteil von 8,3 % . Damit bleiben die Frauen, die Tierquälerei begehen, mit ca. 2-7 % gegenüber denen im Verhältnis zur Gesamtkriminalität zurück und sind demnach unterdurchschnittlich belastet. Den bisher niedrigsten Stand hatten die Frauen im Jahre 1976 erreicht, in dem sie an der Tierquälerei nur einen Anteil von 5,3 % hatten. Bei der Tierquälerei bewahrheitet sich die Erfahrung der Kriminologie, daß die Kriminalität der Frau stets sehr viel geringer ist, als die des Mannes. Der Grund für den geringen Anteil der Frauen an der Tierquälerei dürfte teilweise darin liegen, daß zumindest in der Landwirtschaft die Viehversorgung - jedenfalls bei den besonders gefährlichen Tierarten - von Männern übernommen wird, während sich Frauen mehr um die Kinder und den ländlichen Haushalt kümmern und somit weniger mit den Tieren in Kontakt kommen. Eine weitere mögliche Erklärung für den geringen Anteil der Frauen an der Tierquälerei könnte die Tatsache sein, daß es sich hierbei um ein Delikt handelt, das zumindest bei großen Tieren wie Rindern, Kälbern, Schweinen, Pferden und großen Hunden mit erheblichem Kraftaufwand verbunden ist, den Frauen nicht in dem Maße leisten können wie Männer. Auch im Rahmen wissen-

Tierquälerei schaftlicher Forschung dürften die Frauen weniger an tierquälerischen Exzessen beteiligt sein, da wissenschaftliche Berufe überwiegend von Männern ausgeübt werden. Erst in den letzten 15 bis 20 Jahren ist ein deutliches Anwachsen weiblicher Akademiker zu verzeichnen, was sich naturgemäß auch auf den Forschungsbereich auswirkt. Im Hinblick auf das Alter liegt der Schwerpunkt der Kriminalität bei Tätern im Alter von 18 bis 30 Jahren. Diese Rahmenwerte sind bei dem Delikt der Tierquälerei deutlich verschoben. Der Schwerpunkt ist bei dieser Deliktsgruppe mit 40 bis 50 % bei Menschen im Alter von 30 bis 50 Jahren. Auffallend ist der relativ große Anteil der über 50 Jahre alten Täter, der immer mehr als 20% beträgt. Ist die Tierquälerei demnach ein typisches Erwachsenendelikt, so dürfte die Ursache vor allem in dem erforderlichen Kraftaufwand, der mit dieser Deliktsbegehung verbunden ist, zu suchen sein. Darüber hinaus fallen in die Altersgruppe zwischen 30 und 50 Täter in Forschung und Wissenschaft, da ihre Ausbildung durch Schulzeit, Studium und eigene Forschung bedingt, erst im Alter von 25 bis 35 Jahren beendet ist. Bemerkenswert ist, daß zwar die Zahl der jugendlichen Täter einer Tierquälerei im Verhältnis zu der Belastung der Jugendlichen bezüglich der gesamten Kriminalität vergleichsweise gering ist, dennoch belief sich ihr Anteil immerhin im Durchschnitt auf 3 %. Dieser geringe Anteil erklärt sich wohl daraus, daß jugendlichen Tätern zumeist die Kraft fehlt, große Tiere zu quälen oder sie haben Angst vor ihnen. Ein weiterer Gesichtspunkt dürfte sein, daß, wenn man schon bei der Anzeigenerstattung in den Fällen der Tierquälerei allgemein sehr zurückhaltend ist, dies in verstärktem Maße zutrifft, wenn bekannt wird, daß Jugendliche die Tat begangen haben. Präzise Aussagen über Intelligenz und Erziehung von Tierquälern lassen sich nicht machen, da hierfür weder statistische Zahlen noch geeignete Kriterien vorliegen. Nicht zuletzt bietet das soziale Verhalten eines Täters wichtige Aufschlüsse über die Ursachen, die zu seinem kriminellen Verhalten führt. Während bei der Gesamtkriminalität die Quote der vorbestraften Täter seit 1950 bei ca. 35 % hegt, liegt der Anteil der vorbestraften Tierquäler mit durchschnittlich 31 % nur geringfügig darunter und entspricht demzufolge etwa dem Bild der Vorbestraften bei der Gesamtkriminalität. Die Belastung mit mehrfach vorbestraften Tätern ist bei denen mit 4 und mehr Vorverurteilungen mit 25,2% recht hoch. Diejenigen Täter dagegen, die nur einmal vorbestraft sind, haben einen Anteil von nur 39 %. Die mit 2 und 3 bis 4 Vorverurteilungen dazwischenliegende Gruppe ist mit 10,3 bzw. 21,7% belastet. Als Ergebnis läßt sich insoweit feststellen, daß 46,9% der Täter, also fast die Hälfte aller verurteilten Tierquäler, 3mal und mehr vorbestraft

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sind. Die Zahl der Täter, die bereits einschlägig vorbestraft sind, läßt sich aufgrund des verfügbaren Materials nicht exakt ermitteln. Jedoch dürfte die hohe Belastung derer, die mehr als 3mal vorbestraft sind, vermuten lassen, daß es sich bei der Delinquenz der Tierquälerei verhält wie bei der klassischen Kriminalität, so daß die Rückfallwahrscheinlichkeit mit der Zahl der Vorstrafen steigt. Dies gilt um so mehr, als gerade in der Landwirtschaft, im Sport und in der Forschung viele Tiere oftmals auch über einen langen Zeitraum hinweg wieder und wieder mißhandelt werden. Die Lebensweise der Täter ist infolge meist geregelter familiärer, wirtschaftlicher und beruflicher Verhältnisse unauffällig und sozial angepaßt. Somit sind auch ihre sozialen Kontakte von Mensch zu Mensch oder zu Behörden oder Institutionen nicht auffällig. Die Motive reichen von wirtschaftlichen Motiven zu ich-bezogenen Motiven bis hin zu fremd-bezogenen Motiven und Leichtsinn, Unerfahrenheit und Übermut. Die tatauslösenden Faktoren sind von den kriminogenen Faktoren zu unterscheiden. Bei den tatauslösenden Faktoren handelt es sich nicht um echte Ursachen der Kriminalität, sondern sie können in ihrer Gesamtheit das konkrete kriminelle Verhalten nur begünstigen. Sie fördern demnach in einer bestimmten Situation kriminelles Verhalten zu Tage, das also latent bereits bei dem Täter vorhanden war. Für die Tierquälerei kommen als tatauslösende Faktoren die besondere Wehrlosigkeit und Abhängigkeit des Tieres, sowie der Alkohol - besonders im Rahmen der Sodomie - in Betracht. Ein Umstand, der die Tatbegehung im besonderen Maße begünstigt, ist die Wehrlosigkeit und Abhängigkeit des Tieres. Das Tier ist nur mit Instinkt, nicht aber mit Vernunft ausgestattet. Es ist nicht in der Lage allein aufgrund der Erkenntnis von Sachzusammenhängen oder Handlungsabläufen zu handeln. Tiere können also keinen eigenen Willen in dem Sinne bilden, daß sie aus der Erkenntnis von Gesetzmäßigkeiten Folgen für ihr Handeln und Fühlen ableiten. Sie sind deshalb weitgehend hilflos und bleiben im Verhältnis zum Menschen von diesem abhängig; sie sind ihm ausgeliefert. Für potentielle Täter bieten die Tiere ein geeignetes, leicht zu erreichendes Opfer, das sich dem Zugriff der Menschen langfristig nicht wirksam entziehen kann. Die Täter können ihr Opfer leicht kalkulieren und brauchen kaum von dem Opfer, dem Tier, ernsthafte Risiken zu befürchten. Wie schon oben angedeutet, wirkt sich Alkohol als tatauslösender Faktor, besonders bei der Sodomie, aus. Es handelt sich dabei oft um Täter, die in Lokalen oder im privaten Kreise Alkohol zu sich genommen und somit ihre natürlichen Hemmungen weitgehend abgebaut haben. Weiterhin ist es ein für die Tatbegehung begünstigendes Moment, daß der Täter die die Tat fördernde Hoffnung hat, unerkannt zu bleiben oder wenigstens nicht bestraft zu werden. Die Strafverfolgungsbehörden ermitteln bei Tierschutzstrafta-

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ten bei weitem nicht mit dem Personal- und Sachaufwand, wie vergleichsweise bei der Gewalt- oder Vermögenskriminalität und die Aufklärungsquote dürfte entsprechend gering sein. Hält man sich nun die Ergebnisse der Kriminalätiologie vor Augen, so läßt sich die Bedeutung des einzelnen Faktors für die Tierquälerei nur schwer abschätzen und kann somit nur eine gewisse Orientierungshilfe bieten. Im konkreten Einzelfall wirken mehrere Ursachen zusammen, so daß ein einseitiges Abstellen auf diesen oder jenen Faktor das Gesamtbild verfälschen würde. Gleichwohl kann zusammenfassend festgestellt werden, daß die Tierquälerei ein Delikt ist, das zu 40 bis 5 0 % von Tätern im mittleren Alter (30 bis 50 Jahren) begangen wird. Auffallend dabei ist, daß die Belastung der Frauen mit 8,3 % unter dem durchschnittlichen Wert für die Gesamtkriminalität (10 bis 15 %) liegt. Durch das ständige rapide Ansteigen der Tierversuche verschiebt sich das Gesamtbild des Täterkreises ganz erheblich. Während ursprünglich die Täter in überwiegender Zahl aus dem Landwirtschaftsbereich kamen, nehmen die Täter im Bereich der Industrie und in der naturwissenschaftlichen Forschung merklich zu. Im Verhältnis dazu fallen Tierquälereien in privaten Haushalten zwar im Bezug auf die Art und Schwere der Leidenszufügung, aber im Hinblick auf die Anzahl nicht sehr ins Gewicht. Die Tierquälerei hat sich so stark im Bereich der Forschung, Industrie und im Tierhandel entwickelt, daß nahezu von „kommerzieller Tierquälerei" gesprochen werden muß. Darüber hinaus läßt sich in der Tendenz ganz allgemein feststellen, daß die Tierquälerei kein Delikt ist, das innerhalb einer bestimmten begrenzten sozialen Gruppe dominiert, sondern in allen Personen- und Lebensbereichen anzutreffen ist. Eine Tätertypologie läßt sich nicht herausarbeiten, da der Tätertyp der Tierquälerei sehr unterschiedlich ist und einheitliche Kriterien nicht erarbeitet werden können. 6.

Schlußwort

Der Straftat der Tierquälerei gehört sowohl dem Ungerechtsgehalt nach, als auch im Hinblick auf den Sachzusammenhang, systematisch nicht in ein gesondertes Tierschutzgesetz. Dies trägt nur zur weiteren Unüberschaubarkeit der ohnehin schon durch mannigfaltige Gesetzes- und Verordnungstexte sehr unübersichtlichen tierschutzrechtlichen Bestimmungen bei. Offensichtlich beruht dieser unbefriedigende Zustand weithin darauf, daß die Kriminologie der Tierquälerei vernachlässigt wurde und die kriminalpolitische Situation unklar blieb. All dies führte dazu, daß Tierschutz stets als Einzelproblem angesehen wurde, ohne ihn, den Erfordernissen veränderter Zeiten entsprechend, in einen größeren Rahmen zu stellen und ihn als wichtiges Anliegen des Umweltschutzes zu betreiben. Ausgehend von dem größeren Gesamtzusammenhang des

Umweltschutzes ist der systematische Standort des Tatbestandes der Tierquälerei neu zu bestimmen und einem noch zu schaffenden Umweltschutzgesetzbuch zuzuordnen, wobei zu hoffen ist, daß die schon seit langem laufenden Bemühungen um ein einheitliches Umweltschutzgesetzbuch endlich auf fruchtbaren Boden fallen. Ein solches Umweltschutzgesetzbuch würde notwendig - ähnlich wie das Strafgesetzbuch - nach Sachgebieten in mehrere Teile untergliedert, so daß die Tierschutzstraftat als Gegenstand des Naturschutzes der Rubrik „Straftaten gegen den Naturschutz" zugeschlagen werden müßte. Gerade aber, wenn man den Umweltschutz als leitendes Motiv für den Tierschutz auffaßt, wird man mit Gesetzen allein Tiere nicht langfristig vor tierquälerischen Übergriffen schützen können. Dies erfordert andauernde Information durch Tierschutzvereine, Behörden und Massenmedien, damit die Menschen ein Gefühl dafür bekommen, daß Mensch und Tier keine Gegensätze sind, die sich im günstigsten Fall gleichgültig gegenüberstehen oder unabhängig voneinander sind, sondern beide Bestandteile eines Naturhaushaltes sind. Die Erhaltung des Naturhaushaltes ist nicht nur eine Lebensnotwendigkeit, sondern stellt auch eine sozial und moralisch wichtige Aufgabe dar. Monographien K. v o n A m i r a : Thierstrafen und Thierprozesse. Sonderdruck. Innsbruck 1891. H. A. B e r k e n h o f f : Tierstrafe, Tierbannung und rituelle Tiertötung im Mittelalter. Diss. Bonn, Zürich 1937. E. B l o c h : Naturrecht und menschliche Würde. In: Werksausgabe Edition Suhrkamp. 1. Auflage. Frankfurt/M. 1977. J. B r e g e n z e r : Tierethik. Bamberg 1894. K. D r a w e r , K . J . E n n u l a t : Tierschutzpraxis • Stuttgart/New York 1977. P. D r ö g e : Eine Kasuistik der seit Inkrafttreten des neuen Deutschen Tierschutzgesetzes vom 24.7.1972 bis Juni 1977 an Gerichten der Bundesrepublik Deutschland und Westberlin aktenkundig gewordenen Verstöße gegen dieses Gesetz. Hannover 1977. E. G e b e l e v o n W a l d s t e i n : Der Tierschutz im Recht. Historische Entwicklung und sittliche Grundlage. Marburg 1952. H. G r o ß , F. G e e r d s : Handbuch der Kriminalistik. 10.völlig neubearbeitete Auflage von Friedrich Geerds. Band I. Berlin 1977. K. W i e g a n d : Die Tierquälerei. Ein Beitrag zur historischen, strafrechtlichen und kriminologischen Problematik der Verstöße gegen § 17 Tierschutzgesetz. Lübeck 1979. Kommentare K.J. E n n u l a t , G. Z o e b e : Kommentar zum Tierschutzgesetz. Stuttgart. Berlin. Köln. Mainz 1972. A. L o r z : Tierschutzgesetz, Kommentar. München 1979. Materialien und Quellen Gutachten über freilebende Tiere, Kälber, Nutzgeflügel, Säugetiere, Tiertransport, Versuchstiere. In Auftrag gegeben von dem Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Bonn. Kriminalstatistik. Fachserie A. Bevölkerung und Kultur. Reihe 9: Rechtspflege. Seit 1975: Fachserie 10. Rechtspflege. Reihe 1. Ausgewählte Zahlungen für die Rechtspflege und Reihe 3. Strafverfolgung. KLAUS

WIEGAND

Fahrlässige Tötungsdelikte

TÖTUNGSDELIKTE, FAHRLÄSSIGE I. EINLEITUNG Die fahrlässigen Tötungsdelikte haben im modernen Leben eine immer größere Bedeutung erlangt, und mit dem Fortschreiten der technischen Entwicklung sind die Folgen von Fahrlässigkeiten immer schwerer geworden. Trotz der auf vielen Gebieten ebenfalls gestiegenen Anforderungen an Vorsicht und Sicherheit läßt sich menschliches Versagen nie ganz ausschließen. Die Spannweite fahrlässigen Verhaltens ist außerordentlich groß; sie reicht z. B. von der Fahrweise des Autofahrers, der mit hoher Geschwindigkeit im Nebel auf der Autobahn fährt und fast damit rechnen kann, daß er einen schweren Unfall verursachen bzw. in einen solchen hineinfahren wird, bis zum Distanztäter, wie z.B. einem Behördenleiter oder militärischen Befehlshaber, der nicht genügend darauf achtet, daß in seinem Bereich Sicherheitsbestimmungen strikt eingehalten werden, durch deren Nichtbeachtung es dann zu einem tödlichen Unfall kommt. Im folgenden sollen zunächst die Formen der fahrlässigen Tötungen behandelt werden, und zwar im Straßenverkehr, im Schiffsverkehr, im Eisenbahnverkehr, im Flugverkehr, bei Sport und Spiel, im Militärbetrieb, bei der Tätigkeit des Arztes, und auf sonstigen Lebensgebieten. Anschließend will ich zusammenfassen, was kriminologische Untersuchungen zur Persönlichkeit des Täters fahrlässiger Tötungen ergeben haben, und werde bei der Darstellung der rechtlichen Behandlung dieser Delikte auf den Begriff der Fahrlässigkeit, auf Strafzumessungsfragen und auf mögliche Reformen eingehen.

II. FORMEN DER FAHRLÄSSIGEN TÖTUNG A. Straßenverkehr Die meisten fahrlässigen Tötungsdelikte werden heute im modernen Straßenverkehr begangen. Viele Statistiken weisen nur die tödlichen Unfälle aus, doch kann man davon ausgehen, daß es kaum einen Unfall gibt, der ohne Verschulden eines Beteiligten zustandegekommen ist. In der Bundesrepublik Deutschland starben 1953 11449 Personen durch Straßenverkehrsunfälle. Bis 1970 stieg diese Zahl auf 19193; zwischen 1974 und 1978 waren es jeweils zwischen 14000 und 15000 Tote, 1978 betrug diese Zahl 14662. (Statistisches Bundesamt 1979, S. 15). In den USA betrug die

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Zahl der Verkehrstoten 1953 37955, sie stieg bis 1972 auf 56278 und betrug 1977 49500 (National Safety Council 1978, S.58). Im Staat Kalifornien waren die entsprechenden Zahlen für 1969 5080, für 1974 4 019 und für 1978 5296 (Department of California Highway Patrol 1979, S.2). Diese Zahlen sind nur Anhaltspunkte; eine nähere Auswertung, insbesondere ein ins einzelne gehender Vergleich zwischen der Bundesrepublik und den USA kann an dieser Stelle nicht erfolgen (früher hierzu Wolf Middendorff 1959, S. 146ff., und Wolf Middendorff 1967, S.27ff.). Die fahrlässigen Tötungen im Straßenverkehr haben ganz verschiedene Ursachen. In den meisten Fällen handelt es sich um ein kurzfristiges, einfaches Versagen des Kraftfahrers, wie z. B. eine kurze Unaufmerksamkeit (siehe Wolf Middendorff 1980 [1], S. llOff.), um ein leichtes Verschätzen des Abstandes oder eine leicht überhöhte Geschwindigkeit, die den Unfall verursachen. Seltener ist der Fall, daß der Autofahrer Schalter oder die Bremse und das Gaspedal verwechselt. So wollte in Pforzheim der Fahrer eines Paketwagens der Bundespost, der auf dem Kraftwagenhof stand, im Innern des Wagens das Licht ausschalten; durch ein Versehen betätigte er jedoch den Anlasser des Fahrzeugs, und da der Rückwärtsgang eingelegt war, machte der Wagen einen Satz nach rückwärts. Der völlig verwirrte Mann trat dann auch noch auf das Gaspedal statt auf die Bremse, und dadurch wurden zwei seiner Kollegen so heftig gegen die Mauer der Garage gequetscht, daß der Tod auf der Stelle eintrat. Busfahrer haben besondere Pflichten; in Hamburg übersah 1978 ein Busfahrer eine aus dem Bus aussteigende alte, gebrechliche Frau, schloß die Tür und fuhr an, bevor die Frau ganz ausgestiegen war. Ihr Arm wurde in der zuklappenden Tür gefangen, sie wurde ein oder zwei Meter mitgerissen und vom rechten Hinterreifen des Busses erfaßt. An den Folgen dieses Unfalls starb sie drei Monate später im Krankenhaus. Der Fahrer hatte im Getümmel der ein- und aussteigenden Fahrgäste die Frau übersehen, weil er auf zwei Schüler geachtet hatte, die verspätet dem Bus zustrebten. Da die Frau nur knapp 1.50 m groß war, befand sie sich auf den Stufen nach draußen im toten Winkel des Beobachtungsspiegels des Fahrers, als er die Tür schloß. Andere Unfälle können sich aus einem länger andauernden Versagen des Kraftfahrers, einer Art Zustandsversagen, ergeben, so z. B. aus einem beständigen risikoreichen Fahren (Wolfgang Schneider 1978) oder aus übertriebenem Alkoholgenuß (Wolf Middendorff 1980 [2]). Das Versagen des Täters kann auch ein „nur" mittelbares sein, wie es z.B. der Fehler eines Pkw-Halters war, daß er in angetrunkenem Zustand seinen Wagen seiner ebenfalls angetrunkenen Freundin überließ, die den Unfall verursachte und dabei starb. Ihr Beifahrer, der Halter, wurde wegen fahrlässiger Tötung verurteilt.

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Fahrlässige Tötungsdelikte

Das Verschulden kann auch bei einem Transportunternehmer hegen, der die Arbeitszeitbestimmungen für seine Fahrer nicht einhält. So war 1956 der Fahrer eines Münchner Transportunternehmens 32 Stunden unterwegs, ohne geschlafen zu haben, als er mit einem schweren Transportzug zwischen Heidelberg und Karlsruhe in eine auf der Autobahn haltende Autokolonne raste. Drei Personen starben, vier weitere wurden schwer verletzt. Der Fahrer, der Firmeninhaber und dessen Ehefrau, die die Fahrt angeordnet hatte, wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt. Das Verschulden kann noch weiter zurückliegen, z.B. bei der Produktion von Kraftfahrzeugen. Bei der Durchfahrt durch ein Schwarzwalddorf stürzte von einem Langholzfuhrwerk ein Teil der Ladung auf den Gehweg. Ein dreijähriges Kind wurde getötet, seine Mutter schwer verletzt. Die Untersuchung des Fahrzeuges ergab, daß ein schwerer Fabrikationsfehler an der vorderen rechten Runge vorlag. Die Staatsanwaltschaft glaubte, dem Fahrzeughalter und dem Fahrer den Vorwurf der Fahrlässigkeit machen zu können, weil sie das Fahrzeug überladen und keine Rungenspannkette angebracht hatten („Rungenfall"). 1980 wurde in den USA vor dem Gericht von Winamac, Indiana die Autofirma Ford wegen fahrlässiger Tötung angeklagt; ihr wurde zur Last gelegt, sie habe gewußt, daß der Benzintank bei den Fahrzeugen des Typs ,Pinto' bei einem Auffahrunfall eine Gefahrenquelle darstelle und habe dennoch das Fahrzeug gebaut, verkauft und die Konstruktion nicht geändert. Bei einem Auffahrunfall waren in einem ,Pinto' drei Personen nach der Explosion des Benzintanks verbrannt.

B. Schiffsunglücke Fast täglich gehen Schiffe durch Kollisionen, Feuer, Schiffbruch oder aus nie aufzuklärender Ursache verloren. So konnte 1980 das Seeamt Bremerhaven nicht klären, warum und unter welchen Umständen das 37000 BRT große Frachtschiff .München' im Dezember 1978 im Atlantik im Orkan mit 28 Menschen unterging. In den meisten Fällen liegt jedoch auch bei Schiffsunglücken menschliches Versagen, insbesondere leichte oder schwere Fehler in der Schiffsführung vor, und die Folgen sind schwerer als bei den meisten Unfällen im Straßenverkehr. Schiffsunglücke haben eine sehr lange Geschichte; wenige Beispiele müssen an dieser Stelle genügen. Die französische Fregatte ,Medusa' lief am 2. 7. 1815 infolge navigatorischer Fehler der Schiffsführung vor der westafrikanischen Küste auf Grund, 139 Menschen kamen ums Leben. Der Kapitän wurde später zu drei Jahren Haft verurteilt (Erwin K. Münz 1969; Alexander McKee 1976). Um die Mitte des 19. Jahrhunderts fuhren Tausende von Schiffen auf dem Mississippi. Die Verkehrs-

verhältnisse waren chaotisch; es gab keine Navigationsvorschriften, keine Signale, keine Bojen und keine Markierung der Fahrrinne. Kollisionen waren häufig; die schwersten Unfälle entstanden durch Kesselexplosionen und Brände (Max Mittler 1968, S. 223). „Das große Übel" des Mississippi waren die Schiffsrennen. Jeder Kapitän wollte das schnellste Schiff haben. Passagiere und Bevölkerung nahmen leidenschaftlich Anteil an den sorgfältig organisierten oder zufällig zustandegekommenen Rennen. 1816 explodierte der überbeanspruchte Kessel des Schiffes ,Washington' - 7 Tote, 1817 der der .Constitution' - 11 Tote (Herbert Ashbury 1966, S. 76-77). Bei einem Rennen auf dem Hudson geriet das Schiff,Henry Clay' in Brand und strandete, über 100 Menschen starben (Arram Davidson 1962, S. 77ff.). In der Nacht vom 14. zum 15. April 1912 ging im Nordatlantik die .Titanic', das größte, modernste und angeblich sicherste Schiff der Welt, nach einem Zusammenstoß mit einem Eisberg unter. Über 1500 Menschen ertranken. Der Kapitän hatte eine Reihe von Eiswarnungen mißachtet (Robert Prechtl 1953; Walter Lord 1977; Wilhelm Bittorf 1980). Am 6. 12. 1917 kam es im Hafen von Halifax (Neu-Schottland) infolge eines Mißverständnisses beim Manövrieren zu einem Zusammenstoß zwischen dem französischen Munitionsdampfer ,Mont Blanc' und dem belgischen Getreidefrachter ,Imo'. Die ,Mont Blanc' explodierte, die Zahl der Toten wurde auf 2000, die der Verletzten auf 20000 geschätzt. In Schiffskreisen spricht man nicht gerne über die zahlreichen Kollisionen auf See und wiegelt gerne ab. In der englischen Marine kennt man das Wort: „Eine Kollision auf See kann einem den ganzen Tag verderben" (Peter Padfield 1967, S.5). Eine der schwersten Kollisionen der letzten Jahrzehnte war die des italienischen Passagierdampfers ,Andrea Doria' mit dem schwedischen Motorschiff .Stockholm' am 25 . 7. 1956 im Nordatlantik. 44 Menschen starben. Drei Ursachen trugen zur Kollision und zum Verlust der .Andrea Doria' bei: das Schiff fuhr im Nebel zu schnell - wie es die meisten Schiffe tun - , die Radarausbildung der Offiziere war ungenügend, und das Schiff hatte nicht genügend Ballast, weil der verbrauchte Brennstoff in den Tanks nicht durch Seewasser ersetzt worden war, was - aus Kostengriinden - kaum ein Kapitän tut. Die Verhandlung vor dem New Yorker Seeamt endete mit einem Vergleich zwischen den beteiligten Reedereien; der italienische Untersuchungsbericht über die Kollision wurde nie veröffentlicht (Alvin Moscow 1959). Am 19. 7. 1979 stießen vor der Karibikinsel Tobago zwei unter liberianischer Flagge fahrende, vollbeladene Großtanker zusammen. 29 Personen wurden vermißt, der vorläufige Schaden wurde auf rund 270 Millionen DM geschätzt. Mehr als 300 Millionen Liter Öl liefen aus. Seltener ist eine Kollision von Schiffen mit Brükken; in dichtem Nebel stieß im Januar 1980 der

Fahrlässige Tötungsdelikte unter liberianischer Flagge fahrende 16500 BRTFrachter ,Star Clipper' gegen eine Brücke zwischen der schwedischen Insel Tjörn und dem Festland und brachte 280 Meter der Brücke zum Einsturz. Bevor die Zufahrten gesperrt werden konnten, fuhren ein Lastwagen und sechs Personenwagen in die Tiefe. Wahrscheinlich hatte der spanische Rudergänger ein englisches Kommando des schwedischen Lotsen nicht richtig verstanden. Auch beim Anlegen von Schiffen können tödliche Unfälle geschehen; der Schiffsführer des Bodenseedampfers .Kempten' war am 15. 7. 1976 mit 1,3 %c nicht in der Lage, das im Hafen von Meersburg nur an einer Seite am Anlegeplatz vertäute Schiff zu halten, so daß es aufgrund falscher Betätigung der Schiffsschrauben abgetrieben wurde. Die Landetreppe stürzte dadurch ins Wasser und riß eine Anzahl von Personen mit. Eine Person wurde getötet. Der Schiffsführer und der Schiffskassierer wurden zu Freiheitsstrafen verurteilt, letzterer, weil er den Ausstieg der Passagiere nicht überwacht hatte (Urteil des LG Konstanz vom 29. 5. 1978). C. Eisenbahnunglücke Dem Menschen von heute präsentiert sich die Eisenbahn als ein Wunderwerk der Technik, das den Reisenden mit zahlreichen Sicherungen umgibt. In rund 150 Jahren hat die Eisenbahn eine großartige Entwicklung durchgemacht; bei der Eröffnung der ersten Linie zwischen Stockton und Darlington 1825 in England ritt ein Mann mit einer roten Fahne dem Zug voraus, um zu verhindern, daß der Zug zu schnell fuhr, und das Pferd trabte nicht einmal, sondern lief im Schritt. Die Probleme der Eisenbahn sind - grundsätzlich - bis heute dieselben geblieben; menschliches Versagen und menschlicher Irrtum führen immer wieder zu Unfällen, und es liegt in der Natur dieses schnellen Massenbeförderungsmittels, daß triviales Versagen schwerste Konsequenzen hat. Auf der anderen Seite ist die Eisenbahn das weitaus sicherste Verkehrsmittel; Anfang der siebziger Jahre wurden in der Bundesrepublik bei einer statistischen Transportleistung von 1 Milliarde Kilometer auf den Straßen 20, im Luftverkehr 6 und beim Betrieb der Eisenbahn 2 Verkehrsteilnehmer getötet (Der Spiegel, 31, 1971). Von den zahlreichen verschiedenen Ursachen, die zu Unfällen führen können, möchte ich mich auf sechs typische Arten konzentrieren und jeweils englische und deutsche Beispiele anführen, um die internationale Gemeinsamkeit der Probleme zu zeigen. Es sind dies: Geschwindigkeitsfehler, Überfahren von Signalen, Falsche Signalstellung, Rangierfehler, Schrankenunfälle, Fehler an Bahnanlagen.

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Unfälle durch überhöhte Geschwindigkeit (L. T. Rolt 1960, S. 134 ff.) waren im England der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch den Wettbewerb der verschiedenen Eisenbahngesellschaften mitbedingt. Besonders für das Personal der Sonderzüge zu und von Überseeschiffen war es eine „Ehrenpflicht" und „Sport", den knappen Fahrplan einzuhalten (O. S. Nock 1970, S. 82; Hans Joachim Ritzau 1972, S. 101-102). Auch in Deutschland kam es bis heute zuweilen zu Unfällen infolge zu hoher Geschwindigkeit. So entgleiste am 3. 9. 1882 bei Hugstetten ein Sonderzug auf dem Wege von Freiburg nach Colmar. 64 Menschen waren tot, 235 teilweise schwer verletzt (Wolf Middendorff 1974). Ein ähnliches Unglück ereignete sich am 17. 7.1911 im Bahnhof von Müllheim/Baden. (Wolf Middendorff 1982). Am 9. 2. 1971 entgleiste ein TEE bei Aitrang wegen überhöhter Geschwindigkeit. Die Folgen waren u. a. 28 Tote (Hans Joachim Ritzau 1972, S. 47). Am 21. 7. 1971 entgleiste ein Schnellzug bei Rheinweiler in Südbaden. Der Lokführer hatte statt der vorgeschriebenen 75 km/st die Kurve mit 140 km/st genommen. 23 Menschen starben, 120 waren verletzt (August Zureich und Adolf Nezmeskal 1973/74). Das Überfahren von Signalen fällt unter menschliches Versagen, wenngleich schlechte Sicht und schlecht sichtbare Signale ihren Anteil an einer Reihe von schweren Eisenbahnunfällen mit vielen Toten in England und Deutschland hatten (O. S. Nock 1970, S. 144ff., 205 ff.). Bis 1913 - in Bayern bis 1919 - bedeutete in Deutschland ein weißes Licht am Hauptsignal „Freie Fahrt". Nach einem schweren Unfall bei Nannhofen in Bayern am 19. 4. 1917 mit 30 Toten und 80 Verletzten wurde die Vermutung geäußert, daß der Lokführer bei dichtem Schneetreiben vielleicht durch andere weiße Lichtquellen getäuscht worden war. In der Hauptverhandlung berichtete ein Sachverständiger, daß in einem Jahr zirka 1300 falsche Signalstellungen registriert werden konnten (Hans Joachim Ritzau 1972, S. 105ff.). Bis heute ereigneten sich ähnliche Eisenbahnunglücke, z. B. 1961 im Hauptbahnhof Eßlingen mit 35 Toten (Hans Joachim Ritzau 1972, S. 120 ff.). Unfälle durch falsche Signalgebung haben sich weder durch komplizierte Verfahren noch durch moderne Technik gänzlich verhindern lassen. 1874 durfte in England eine Signalfreigabe nur durch schriftliche Weisung des Fahrdienstleiters erfolgen. Ein Unfall mit 25 Toten ereignete sich deshalb, weil aus Bequemlichkeit, die sich allmählich eingebürgert hatte, eine Signalfreigabe nur mündlich angeordnet worden war (O. S. Nock 1970, S. 35ff.). Eine moderne Tastatur kann dazu verleiten, von zwei nebeneinander hegenden Knöpfen in der Eile den falschen zu drücken, so daß das falsche Signal hochgeht und wie bei Meckelfeld 1969 ein Eilzug auf einen TEE auffährt. Vier Menschen starben, 43 wurden verletzt (Wolf Middendorff 1973, S. 10).

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Unfälle durch Rangierfehler und nicht geschlossene Schranken ereignen sich immer wieder (L.T.C. Rolt 1960; O.S. Nock 1970; Gerhard Mauz 1975, S. 211 ff.). Sehr selten kommt es zu Unfällen infolge Trunkenheit des Lokführers; so entgleiste am 17. 7.1911 ein Eilzug bei der Einfahrt in den Bahnhof Müllheim infolge Trunkenheit und zu hoher Geschwindigkeit, und 14 Personen wurden getötet (Karl Marbe 19261, S.37ff.). Technische Mängel vorübergehender und augenblicklicher Art oder weit zurückliegende Konstruktionsfehler können zu schweren Unglücken führen, wie dem Einsturz der Brücke über den Firth of Tay in Schottland am 28. 12. 1879, als gerade ein Personenzug in einem schweren Orkan über die Brücke fuhr. Anhand der ausgegebenen Fahrkarten schätzte man die Zahl der Toten auf 75. (L. T. C. Rolt 1960, S.79ff.; O.S. Nock 1970, S.87ff.; Gerhard Püschel 1975; Max Eyth 1969).

D. Flugzeugunfälle Bei Flugzeugunfällen sterben in der Welt jährlich zwischen 1000 und 1400 Menschen; zwischen dem 1. 1. 1958 und dem 15. 8. 1975 verunglückten 22 Düsenverkehrsflugzeuge. Die meisten Unglücksorte lagen im Umkreis von 3000 Metern von der Piste entfernt. Die Internationale Zivilluftfahrtsbehörde ICAO hat für die Jahre 1962 bis 1971 errechnet, daß sich 24 % der Unfälle während der Startphase und 54 % während der Landephase ereignet haben. Die Zahl der Landeunfälle ist im Steigen. Auf der Liste der Verursacher von Flugzeugunfällen stehen die Besatzungen mit 62 % an der Spitze. Im einzelnen ist ein Vergleich zwischen den Kontinenten sehr aufschlußreich; der Weltdurchschnitt von Abstürzen bei zivilen Fluggesellschaften lag zwischen 1950 und 1974 bei 21. Die USA waren zweieinhalbmal besser als der Weltdurchschnitt, Westeuropa hielt den Durchschnitt, alle anderen Kontinente waren weit schlechter, an der untersten Grenze lagen die Länder Osteuropas außer der UdSSR und der DDR. Sie waren zehnmal schlechter als der Weltdurchschnitt (Walter Senn 1977). Die britische Pilotenvereinigung veröffentlichte 1973 eine Untersuchung, nach der zwischen 1966 und 1970 bei Flugzeugkatastrophen 257 Menschen getötet wurden, weil die Piloten übermüdet waren und sich im Halbschlaf befanden (Die Welt, 9. 4. 1973). Trotz weitgehender Automatisierung im Cockpit sind die Möglichkeiten menschlichen Versagens nicht ausgeschlossen. Im November 1979 stieß eine neuseeländische Passagiermaschine in der Antarktis gegen einen Berg, und 257 Personen kamen ums Leben. Eine erste Untersuchung ergab, daß der Pilot gegen alle bestehenden Flugregeln verstoßen hatte. Außerdem war sich die Besatzung

wahrscheinlich nicht über die Gefahren des sogenannten „White out" im Klaren, d. h. sie wußten nicht, daß in Polargebieten weißer Boden mit dem Schneehimmel derart verschmelzen kann, daß Berge nicht mehr sichtbar sind. Zur Zeit des Unglücks betrug die Sichtweite für den Piloten 60 Kilometer. Es wurde zudem festgestellt, daß der Pilot vier Warnungen eines Warngerätes im Cockpit ignoriert hatte. Ein im April 1981 veröffentlichter Untersuchungsbericht schob dagegen die Schuld der Flugeinsatzabteilung der Fluggesellschaft zu und entlastete die Besatzung. In unserer Zeit sind Piloten immer stärker von der fehlerfreien Tätigkeit der Fluglotsen abhängig. Am 27. März 1977 stießen im Nebel auf dem Flughafen von Teneriffa eine Boeing 747 der KLM und ein Jumbo der PanAm zusammen. 583 Menschen starben. Die KLM-Maschine war zum Startplatz gerollt und hatte der Flugleitung „ready for take off" gemeldet. Die Antwort kam in Form von Fluganweisungen, was die KLM-Piloten nach internationalem Brauch als Starterlaubnis werteten, was sie aber hier nicht sein sollte. Dieses Mißverständnis wurde noch dadurch bestärkt, daß der Co-Pilot der KLM-Maschine die Fluganweisung wiederholte und daraufhin vom Tower ein „OK" als Antwort erhielt. Zwei Sekunden später kam von dem Fluglotsen der Befehl für die KLM-Maschine „stand by for take off", was also ein Startverbot bedeutete. Diesen Befehl hörten die niederländischen Piloten nicht mehr, sondern vernahmen nur einen Störton, weil die amerikanische Maschine auch gerade mit dem Tower sprach und dieselbe Frequenz benutzte. Allgemein bezeichnet man Fehler der Fluglotsen zu 15% als Unfallursachen, wie z.B. auch bei dem Zusammenstoß einer englischen Passagiermaschine auf dem Flug von London nach Istanbul mit einer jugoslawischen Chartermaschine im Luftraum von Zagreb. Beide Maschinen stießen frontal zusammen, alle 176 Passagiere kamen ums Leben. Der Fluglotse hatte die Fluganweisungen an die jugoslawische Maschine entgegen der internationalen Übung auf serbokroatisch gegeben, so daß der britische Pilot die Kollisionsgefahr nicht erkennen konnte. Es kommt allerdings recht häufig vor, daß die internationale Vorschrift, zwischen Boden und Luft nur Englisch zu sprechen, nicht beachtet wird, wenn Lotsen und Piloten die gleiche Sprache sprechen. Nachlässiges Verhalten des Bodenpersonals und der Besatzung führten zu dem Unglück von Hasloh, bei dem am 6. 9. 1971 22 Menschen starben. Eine Chartermaschine der „Paninternational" war mit 115 Urlaubern und 6 Besatzungsmitgliedern von Hamburg nach Malaga gestartet. Als das Flugzeug etwa 250 Meter Höhe erreicht hatte, setzten beide Triebwerke schlagartig aus. Der Flugkapitän brachte die Maschine auf der Autobahn bei Hasloh zu Boden, wo sie an einer Brücke zerschellte. Die Ermittlungen ergaben, daß am Tag zuvor auf dem

Fahrlässige Tötungsdelikte Flughafen Düsseldorf ausgelaufenes Kerosin in zwei Plastikbehältern aufgefangen worden war. Diese Behälter waren eigentlich für entmineralisiertes Wasser bestimmt, das bei sogenannten Naßstarts verwendet wird. Am nächsten Tag wurden diese nicht gekennzeichneten Behälter für solche mit Wasser gehalten und in die Unglücksmaschine verladen. In Hamburg entschloß sich der Flugkapitän wegen Übergewichts zu einem Naßstart, und man füllte u. a. auch die beiden Kanister Kerosin in die Triebwerke ein (Gerhard Mauz 1975, S. 176ff.; Wolf Middendorff 1981). E. Sport- und Spielunfälle Sport- und Spielunfälle ereignen sich vor allem bei Schulausflügen, beim Wandern und im Sommer oder Winter in den Bergen. Am 17. 4. 1936 kamen bei Schneesturm und Nebel fünf englische Schüler am Schauinsland bei Freiburg ums Leben, weil sie diese Wanderung schlecht geführt und schlecht ausgerüstet unternommen hatten (Wolf Middendorff 1978). Jedes Jahr verunglücken rund 600 Menschen in den Alpen tödlich; 46 % der Unglücke haben ihre Ursache im Mangel an alpiner Erfahrung, Selbstüberschätzung, Leichtsinn, unzureichender Ausrüstung und anderen subjektiven Gefahren, nur 8,6% hingen mit objektiven Gefahren zusammen (FAZ, 24. 7. 1980). Schulausflüge sind heute infolge der Rechtsprechung der Gerichte zu einer fast permanenten Gefahr für die Lehrkräfte geworden. Am 17. 3. 1972 besuchten zwei Lehrerinnen aus Kiel mit ihren Klassen, zusammen 65 Kindern zwischen 8 und 9 Jahren, den Heimattiergarten in Neumünster. Nach dem Ende der Besichtigung vergnügte sich ein Teil der Kinder auf dem zum Zoo gehörigen Kinderspielplatz, und ein neunjähriger Schüler wurde von dem herabfallenden Balken der Wippe am Kopf getroffen und getötet. Als Beispiel für einen Skiunfall sei der Fall Bogner erwähnt. Willy Bogner hatte 13 der Weltklasse angehörige Skifahrer angeworben, um mit ihnen einen Film im Engadin zu drehen. Am 2. 4. 1964 war eine Abfahrt vorgesehen, das ganze Tal war jedoch durch verschiedene Verbots- und Warntafeln wegen Lawinengefahr gesperrt. Eine besondere Warnung erfolgte am 2. 4. 1964 durch Lautsprecher am Ausgangspunkt der von Bogner und seiner Gruppe benutzten Liftanlage, außerdem wurde Bogner noch am selben Morgen durch einen Pistenwart auf die Sperrung des für die Abfahrt gewählten Gebietes aufmerksam gemacht. Dessen ungeachtet ließ Bogner seine Gruppe abfahren; ein Schneebrett löste sich, und die niederstürzenden Schneemassen überschütteten verschiedene Teilnehmer der Gruppe, wobei zwei Personen den Tod fanden (Gerhard Mauz 1968, S. 149ff.).

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Auf Kinderspielplätzen ereignen sich immer wieder tödliche Unfälle; am 30. 7. 1970 kam eine Mutter mit einem dreijährigen Kind auf einen Kinderspielplatz in Freiburg. Während die Mutter in ein Gespräch vertieft war, kletterte das Kind auf einen neben dem Spielplatz aufsteigenden Bahndamm, wurde von einer Lok erfaßt und getötet. F. Unfälle im Militärbetrieb Die Tätigkeit des Soldaten ist naturgemäß in besonderem Maße gefahrengeneigt; im Frieden besteht immer ein Zwiespalt zwischen dem Erfordernis einer möglichst realistischen Ausbildung und dem einer möglichst hohen Sicherheit für den einzelnen Soldaten. Unfälle sind indessen nie ausgeschlossen; einer früher härteren Ausbildung entsprach eine um so größere persönliche Verantwortung des Vorgesetzten, wie es Friedrich Franz von Unruh 1952 in seinem Treskow dargestellt hat. Einige Beispiele für tödliche Unfälle seien angeführt: am 31. 3. 1925 ertranken 80 Reichswehrsoldaten, als bei einem Weser-Übergang bei Veltheim eine Fähre kenterte (Dr. Mündt 1932, S. 103-107). Am 2. 6. 1957 ertranken 15 Rekruten der Bundeswehr beim Durchwaten der Iiier bei Kempten/Allgäu. (Paul Noack/Bernd Naumann 1961, S. 181 ff.). Am 9.4.1964 wurden auf dem Truppenübungsplatz Bergen-Hohne 10 Zuschauer getötet, als bei einem Übungsschießen ein Geschoß auf einem Lastwagen detonierte, auf dem Zuschauer standen. Am 15. 8. 1939 fand auf dem Truppenübungsplatz Neuhammer ein Artillerieschießen in Zusammenarbeit mit der Luftwaffe statt. Eine ganze Staffel von Sturzkampfbombern raste - vielleicht aufgrund einer falschen Angabe über die Wolkenhöhe - bei ihrem Sturzflug in einen Wald (Erich von Manstein 1966, S. 18). Ein französischer Luftwaffenpilot flog am 29.8.1961 mit seinem Düsenjäger gegen das Hauptkabel der Drahtseilbahn über dem Weißen Tal am Mont Blanc. Drei Kabinen klinkten aus und stürzten 150 Meter in die Tiefe, 6 Menschen wurden getötet. Am 12. 8. 1971 unterließ es der Verbandsführer eines Verbandes der Schweizer Luftwaffe, die Wetterverhältnissse vor dem Einfliegen in ein Tal zu erkunden. Zwei Flugzeuge gerieten in plötzlich auftretenden Nebel und prallten gegen eine Felswand. Ein Pilot kam ums Leben. Bei der Kriegsmarine hat es genau so wie bei der zivilen Schiffahrt immer schon Kollisionen gegeben; 1878 wollten drei deutsche Panzerschiffe ins Mittelmeer fahren. Vor der englischen Küste kam es infolge eines Mißverständnisses auf dem Panzerschiff ,König Wilhelm' zu einem falschen Manöver, so daß die ,König Wilhelm' den ,Großen Kurfürsten' rammte. Das Panzerschiff .Großer Kurfürst' sank sehr schnell; von der 487 Mann starken Besatzung ertranken 269. Das ein Jahr später tagende Marinekriegsgericht konnte die Schuld an dem ver-

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hängnisvollen Zusammenstoß nicht eindeutig klären; der Chef des Geschwaders, Konteradmiral Batsch, wurde zu 6 Monaten Festung verurteilt, weil die vorgeschriebene Distanz zwischen den Schiffen nicht eingehalten worden war. Der Kaiser begnadigte ihn bald darauf und ernannte ihn zum Direktor der Admiralität (Hans Roden 1978). Während eines Manövers der britischen Mittelmeerflotte vor der syrischen Küste kam es durch einen gefährlichen Befehl des Befehlshabers des britischen Geschwaders 1893 zu einer schweren Kollision. Infolge des in blindem Gehorsam ausgeführten Schwenkungsmanövers rammte das Panzerschiff ,Camperdown' das Flaggschiff ,Victoria'. Die ,Victoria' sank in wenigen Minuten mit dem Admiral und 358 Mann der Besatzung (Geoffrey Bennett 1980, S. 274). Am 3. 6. 1969 wurde von einem jungen Wachoffizier eines amerikanischen Zerstörers ein Funkspruch falsch ausgelegt, und es kam zu einem Zusammenstoß des Zerstörers mit dem australischen Flugzeugträger ,Melbourne', der den Zerstörer in zwei Teile zerschnitt. 74 amerikanische Matrosen kamen ums Leben. Der schuldige Wachoffizier erhielt vom Militärgericht einen Verweis und einen befristeten Beförderungsstop. Ein anderer tödlicher Unfall ist kaum noch mit Fahrlässigkeit zu entschuldigen; im Juli 1972 fuhr der französische Zerstörer ,Guepratte' mit zu hoher Geschwindigkeit zu nahe an der Küste der Cöte d'Azur entlang. Das Schiff befand sich auf der jährlichen „Kaffeefahrt" mit den Familienangehörigen der Besatzung. Der Kommandant wurde von einer Signalstation gewarnt, er fahre zu schnell und zu nahe der Küste. Er ließ antworten: „Ein Schiff der Kriegsmarine kümmert sich um so etwas nicht . . . im Krieg fahren wir doppelt so schnell." Wenige Minuten später schob auf einer 17 km langen Küstenstrecke die Heckwelle des Schiffes Boote, Badegäste und Strandkörbe bis zu 20 Meter landeinwärts. Eine Studentin wurde gegen einen Felsen geschleudert und getötet. 20 Badegäste erlitten zum Teil erhebliche Verletzungen. Der Kapitän wurde seines Dienstes enthoben; zu seiner Entschuldigung gab er an, die Angehörigen der Besatzung hätten die Badestrände deutlicher sehen sollen (Die Welt, 8. 7. 1972). Für fehlgeleitete Waffenwirkung in Kriegszeiten gibt es unzählige Beispiele aus alter und neuer Zeit. Beim Vormarsch der internationalen Streitmacht auf Peking während des Boxer-Aufstandes 1900 detonierte eine Granate inmitten einer amerikanischen Infanterie-Kompanie und tötete vier Soldaten. Das Geschoß stammte von einem russischen Geschütz, das in der Nähe einer englischen Artillerieeinheit in Stellung gegangen war. Die Ermittlungen ergaben, daß die Russen die Engländer nach der Zielentfernung gefragt hatten; die Engländer teilten sie ihnen in Yards mit, die Russen aber schössen nach dem metrischen System (Richard O'Connor 1980, S. 193). Am 10. 5. 1940 bombar-

dierten deutsche Kampfflugzeuge die Stadt Freiburg, die sie für die französische Stadt Dijon hielten. 57 Menschen wurden getötet (Wolf Middendorff 1977). Am 1. 4. 1944 wurde die Schweizer Stadt Schaffhausen von einer Gruppe amerikanischer Bomber angegriffen, und 40 Personen wurden getötet. Als Erklärung wurde angegeben, die Flugzeuge seien durch den Wind abgetrieben worden, die Windgeschwindigkeit sei höher gewesen, als man erwartet hatte. Am 22. 2. 1940 liefen sechs deutsche Zerstörer aus, um an der Dogger-Bank feindliche Fischdampfer aufzubringen. Die Fahrt endete damit, daß in der Nacht deutsche Kampfflugzeuge irrtümlich zwei deutsche Zerstörer durch Bombenabwürfe versenkten. 578 Soldaten wurden hierbei getötet. Zwischen Marine und Luftwaffe hatte keine Verständigung über die Einsätze stattgefunden. Vier Stunden nach dieser Katastrophe flog ein zurückkommender deutscher Bomber über die Insel Borkum und wurde von deutscher Flak abgeschossen (Cajus Bekker 1974, S.66ff.). Auch im U-Boot-Krieg sind entsprechende Irrtümer vorgekommen; im September 1940 versenkte vor der Küste von Norwegen ein englisches U-Boot ein eigenes U-Boot, von dem nur der Kommandant und ein Seemann überlebten. Ähnliches war auch schon im Ersten Weltkrieg geschehen (Lowell Thomas 1931, S. 184-186). Im Yom-Kippur-Krieg im Oktober 1973 schoß die Flugabwehr Ägyptens 45 eigene Maschinen ab. Am 6. 8. 1973 kamen durch einen irrtümlichen Bombenangriff amerikanischer Flugzeuge auf eine kambodschanische Stadt eine Anzahl Menschen ums Leben. Der Navigator und der Kommandant der Maschine erhielten einen „ernsten" Verweis, zwei andere Offiziere eine Verwarnung (Die Welt, 28. 8. 1973). G. Ärztliche Kunstfehler Es ist anzunehmen, daß sich bei der ärztlichen Tätigkeit infolge von Kunstfehlern und Nachlässigkeiten eine Reihe von fahrlässigen Tötungen ereignet, die niemals bekannt werden. Gerade auf diesem Gebiet dürfte die Dunkelziffer außerordentlich hoch sein (Wolf Middendorff 1959, S. 185). Derartige fahrlässige Tötungen sind in verschiedenen Formen vorgekommen. 1930 wurde in Lübeck ein neues Tuberkulosemittel zur Impfung benutzt, das nicht genügend erprobt war; 68 Kinder starben. Der verantwortliche Professor der Medizin wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Sein Verteidiger und der Gerichtsvorsitzende in diesem Verfahren nahmen sich später das Leben (Kurt Riess 1965, S. 270ff.; Erich Frey 1959, S. 463ff.). Auf dem Gebiet der Narkose haben sich eine Reihe von Unfällen ereignet; die Fehler können schon bei der Installation der Einrichtungen geschehen. Im Bezirkshospital von Zweisimmen, Schweiz kamen 1971 zwei Patienten ums Leben. Die Unter-

Fahrlässige Tötungsdelikte suchung ergab, daß die Installationsarbeiten für die Narkoseeinrichtung fehlerhaft waren, die Schlauchleitungen für Lachgas und Sauerstoff waren falsch angeschlossen. Der Sachbearbeiter der Firma für Klinikausstattung und ein Monteur wurden bestraft. Heute rechnet man international mit einem Todesfall auf 1000 bis 3000 Anästhesien. Bei Spitzenkliniken, die über gut funktionierende Anästhesie* Abteilungen verfügen, beträgt die Mortalität nur 1:10000 bis 1:30000, in den kleineren Kliniken ist daher die Mortalität entsprechend höher (FAZ, 21. 2.1979; Gerhard Mauz 1968, S. 142ff.). In Köln wurden 1979 ein Oberarzt und ein Chefarzt wegen fahrlässiger Tötung verurteilt; sie hatten einen Gastarzt, der schon wegen Alkohol- und Medikamentenmißbrauchs aufgefallen war, bei einer Operation nicht genügend beaufsichtigt, so daß ein Patient durch Fehler des Arztes gestorben war. Es wird immer ein Streitpunkt bleiben, ob Mißerfolge eines Arztes auf einen Kunstfehler oder vielleicht auf die fahrlässige Anwendung einer noch nicht voll erprobten Methode zurückzuführen sind. Es sei an die Strafverfahren gegen den Krebsarzt Dr. Issels erinnert (Gerhard Mauz 1968, S. 137ff.; Paul Noack/Bernd Naumann 1961, S. 201 ff.). Kunstfehler eines Arztes sind auch dadurch möglich, daß er, obwohl zu alt, nicht aufhören will zu operieren (Jürgen Thorwald 1963).

H. Unfälle auf verschiedenen Gebieten Kein großer Bau, keine Brücke oder sonst ein großes technisches Werk werden vollendet oder betrieben, ohne daß es hierbei zu schweren Unfällen kommt. Einer der außergewöhnlichsten Fälle dieser Art ereignete sich 1935 in Wittenberg. Ein Sprengstoffwerk flog in die Luft, und es gab über 50 Tote und 75 Schwerverletzte. Nach langen Ermittlungen ergab sich folgender Tatbestand: ein Arbeiter hatte bei kaum erträglicher Hitze in einem Bottich von Trinitrotoluol, einem sehr empfindlichen Sprengstoff, gerührt; da es ihm heiß wurde, zog er seinen Handschuh ab und legte ihn auf den Rand des Behälters. Durch irgendeine Bewegung fiel der Handschuh in die Säure, und diese entzündete sich, weil der Arbeiter entgegen der Betriebsanweisung seine schadhaften Handschuhe mit nach Hause genommen und sie sich von seiner Frau hatte stopfen lassen. Die wenigen Wollfäden in diesem Handschuh verursachten dann die Explosion. Der Täter verlor einen Arm und ein Bein; er wurde nicht angeklagt (Oskar Paul Dost 1958). Auch Atomkraftwerke können nicht betrieben werden, ohne daß es zu Unfällen kommt. Am 19. 11. 1975 erlitten im bayerischen Kernkraftwerk Gundremmingen beim Auswechseln einer Dichtung im Kühlsystem zwei Arbeiter durch heißen radioaktiven Dampf tödliche Verbrühungen. Mangelnde Aufsicht und mangelnde Vorsorge können

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zu vielerlei Unfällen führen wie dem am Neujahrsabend 1974 im Kölner Opernhaus. Der Bariton Wolfgang Anheisser sprang wie schon 42mal vorher aus einer Höhe von 3,50 Metern auf die Bühne und wurde nicht wie sonst durch ein Seil gehalten. Der Bühnenarbeiter hatte das Seil, das den Sprung sichern sollte, nicht, wie vorgesehen, an einem Karabinerhaken befestigt. Der Sänger starb an seinen schweren Verletzungen. Der technische Direktor, der Bühnenobermeister und ein tunesischer Bühnenarbeiter wurden verurteilt. Viele Unglücke werden durch den Ausbruch von Panik unverhältnismäßig verschlimmert wie z . B . beim Brand des Ringtheaters in Wien am 8. 12. 1881, bei dem 386 Menschen - nach anderen Quellen 450 - starben. (Walter Ullers 1980). Sieben Jahre später kam es in München zu einem einmaligen Unglück. Am 31. 7. 1888 bewegte sich ein Festzug durch die Straßen Münchens. Die Gruppe der Kaufmannschaft führte acht Elefanten mit. Als diese Gruppe der Gruppe der Eisenindustrie begegnete, scheuten die Elefanten, weil der von der Eisenindustrie mitgeführte Pappdrachen Feuer aus seinem Rachen schnaubte. Die Elefanten liefen durch die Straßen, taten aber keinem Menschen etwas zuleide. In der sofort entstehenden großen Panik kamen indessen drei Menschen um. Zuvor hatte es wegen des Mitführens der Elefanten und des Drachens mancherlei Warnungen gegeben, aber weder die Kaufmannschaft noch die Eisenindustrie wollten auf ihre Attraktion verzichten (Wiener Tagblatt, 2. 8. 1888).

m . DIE PERSÖNLICHKEIT DES TÄTERS Es gibt kaum kriminologische Untersuchungen, die etwas über die Täter der verschiedenen Formen der fahrlässigen Tötung aussagen. Die Unterschiede zwischen den Tätern sind zu groß, und es gibt innerhalb der einzelnen Formen zu wenig Fälle und zu wenig Täter, als daß Vergleiche, insbesondere mit Hilfe empirischer Studien, möglich wären, obwohl zu vermuten ist, daß es im Bereich des menschlichen Verhaltens genau so viele Regelmäßigkeiten gibt wie im Bereich der Naturwissenschaften (Lynda P. Malik 1970, S . 3 ) . Auf dem Gebiet des Straßenverkehrs ist die Situation besser; zwar gibt es über den Täter der fahrlässigen Tötung nur sehr wenig kriminologisches Material, wie z. B. das, daß die Vorstrafenquote dieser Täter zwischen 27 und 3 3 % liegt (Günther Kaiser 1970, S. 213) und damit höher ist als bei der fahrlässigen Körperverletzung; es gibt aber mehr Material über Verkehrstäter allgemein, und diese Ergebnisse lassen sich cum grano salis auch auf die Täter der fahrlässigen Tötungen anwenden, weil in sehr vielen Fällen Tat und Schuld dieselben sind und die Folgen - Verletzung oder Tötung - vom Zufall abhängen.

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Aus den Tätern der fahrlässigen Körperverletzung und der fahrlässigen Tötung lassen sich vier Gruppen bilden: a) Der Täter, der einmal versagt, indem er sich einer leichten Fahrlässigkeit schuldig macht, der einmal ,Pech' hat, ein leichtes Risiko eingeht und sonst absolut unauffällig ist. b) Der Täter, der einmal eine schwere, grobe Fahrlässigkeit begeht und mit seiner Fahrweise ein größeres Risiko eingeht. c) Der Täter, der häufig risikoreich fährt, so daß ein objektiver Betrachter zu der Schlußfolgerung kommen muß, daß nun endlich ein Unfall geschehen müßte. d) Der Täter, der die fahrlässige Tötung unter Alkoholeinfluß begeht. Die Täter der Gruppen c) und d) sind häufig wegen Verkehrsdelikten vorbestraft und werden oft auch auf andere Weise straffällig. Überschneidungen zwischen den einzelnen Gruppen sind selbstverständlich möglich. Zu a): Es ist unbestritten, daß jeder Mensch heute in irgendeiner Weise Verkehrsteilnehmer und daß jeder Verkehrsteilnehmer ein „potentieller Krimineller" ist (Armand Mergen 1978, S. 298) und sich vor allem während seiner Teilnahme am motorisierten Verkehr fast ständig in einer „potentiellen Deliktsituation" befindet (Hans Göppinger 1976, S.439). Der Mensch ist zudem ein „riskiertes Wesen mit einer konstitutionellen Chance zu verunglücken" (Hans Hass o. J., S. 109). Als Hauptursache für Unfälle ist die allgemeine Fehlerhaftigkeit des Menschen anzusprechen. Zahlreiche psychologische Untersuchungen von Verkehrsteilnehmern haben ergeben, daß häufiger, als allgemein bekannt ist, Wahrnehmungsfehler und -mängel auftreten, insbesondere im Schilderwald der Verkehrszeichen, in dem auch so wichtige Zeichen wie Ampelanlagen nicht selten einfach übersehen werden. Der Freiburger ADAC veranstaltete 1957 eine Testfahrt, bei der den Teilnehmern aufgegeben war, auf einer 16,5 km langen Strecke im Stadtgebiet sämtliche Verkehrsschilder und -zeichen zu zählen. Insgesamt waren es 287 Schilder, von 10 teilnehmenden Fahrern wurden im Durchschnitt 267 Schilder gezählt, das Minimum lag bei 239. Auf dem Verkehrsgerichtstag 1980 in Goslar sprach Steinbuch von der „informationellen Unzulänglichkeit des Menschen". Diese Unzulänglichkeiten haben mehrere Gründe: - „die Unzulänglichkeit der Informationsaufnahme: Der Mensch kann in begrenzter Zeit nur wenig Information aufnehmen. Deshalb ist der Zeitbedarf zur Wahrnehmung und zum Verständnis komplizierter Zusammenhänge oft größer, als er verfügbar ist, meist muß man sich vorzeitig entscheiden oder handeln.

- die unzulängliche Kapazität des Gedächtnisses: Die gesamte Informationsmenge, die der Mensch speichern kann, ist wesentlich geringer als die Informationsmenge, die zur Beschreibung seiner Welt gebraucht wird und eigentlich' sein Denken und Verhalten bestimmen müßte. - Die unzulängliche Kapazität des Gegenwartsspeichers des Menschen, seine allzu kleine Werkstatt des Denkens . . . die informationelle Unzulänglichkeit des Menschen zeigt sich vor allem im Verkehr. Beispielsweise ist der Mensch im Straßenverkehr vielfach überfordert - sei es nun als Autofahrer, sei es als Fußgänger" (Karl Steinbuch 1980, S. 28-29). Verhaltensforscher haben gezeigt, daß der Mensch ein Ordnungswesen ist; das bedeutet, daß er sich an jede Art von Tätigkeit in allen Berufen mehr oder weniger schnell gewöhnt und diese Tätigkeit dann routinemäßig ausübt (Wolf Middendorff 1973, S. 20-21). Es kann auch nicht bestritten werden, daß Routine den Menschen automatisch mehr oder weniger nachlässig macht. Ein routinemäßiges Nachlassen der Aufmerksamkeit tritt z. B. dann ein, wenn ein Kraftfahrer täglich dieselbe Strecke fährt; es ist möglich, daß er auf dieser Strecke eine Änderung der Vorfahrt oder eine neu angebrachte Ampelanlage einfach nicht wahrnimmt. „Es gibt generell gute und generell schlechte Umsteller" (Karl Marbe 19262, S.47). Die schlechte Umstellbarkeit vieler Menschen zeigt sich insbesondere bei der Veränderung der Witterung, wie z. B. beim plötzlichen Wintereinbruch mit Schnee und Glatteis oder beim plötzlichen Aufkommen von Nebel. Nach Wilhelm Arnold (1975, S. 131) ist die Unausgeglichenheit der Persönlichkeitsstruktur kennzeichnend für Unfallaffinität. Zu b): Viele Verkehrsteilnehmer gehen aus den verschiedensten Gründen ein größeres Risiko ein und fahren, wie es im Gesetz heißt, grob verkehrswidrig und rücksichtslos. Die in jedem Menschen gespeicherte Aggression spielt dabei eine große Rolle (Wolfgang Schneider 1978; Wolf Middendorff 1972 [1], S. 12ff.). Zu c): Der Übergang vom einmaligen Risikoverhalten zum beständigen risikoreichen Fahren ist fließend (Max Hess-Haeberli 1967). Vor allem jüngere Verkehrsteilnehmer neigen dazu, Risiken einzugehen, unter ihnen insbesondere auch Soldaten der Bundeswehr. Die Zusammenhänge zwischen Verkehrsdelinquenz und allgemeiner Kriminalität sind schon oft nachgewiesen und dargestellt worden (Wolf Middendorff 1972 [1], S. 19ff.; Monika Keske 1978). Zu d): Risikotäter fahren oft auch unter Alkoholeinfluß, die damit eingegangene Gefahr kann einen Teil des Risikoverhaltens darstellen. Alkoholtäter sind auch oft vorbestraft (Wolf Middendorff 1972 [1], S. 46ff.; Wolf Middendorff 1980 [2]; Marilee Garretson/Raymond C. Peck 1981).

Fahrlässige Tötungsdelikte Diese für Verkehrstäter entwickelte Typologie gilt mutatis mutandis auch für die Täter fahrlässiger Tötungen auf anderen Gebieten; Überschneidungen sind möglich.

IV. DIE RECHTLICHE BEHANDLUNG DER FAHRLÄSSIGEN TÖTUNG A. Der Begriff der Fahrlässigkeit 1. Allgemeines Was in unserer Zeit von den Gerichten als fahrlässiges Delikt abgeurteilt wird, hat es als Tatbestände in der Geschichte des Strafrechts immer schon gegeben und hat immer zu Schwierigkeiten geführt. Auch die Menschen früherer Zeiten haben die Unterschiede zwischen einem Vorsatz- und einem Fahrlässigkeitsdelikt erkannt und auch, ohne eine ausgebildete Strafrechtsdogmatik zur Verfügung zu haben, Lösungen verschiedener Art versucht: - auf dem Wege der Ausgestaltung des Begriffs der Fahrlässigkeit, - auf dem Wege über die Strafzumessung, - durch das Ausweichen in Freisprüche, - durch Gnadenerweise. 2. Geschichtliche Beispiele Das germanische „Strafrecht" beruhte auf dem Gedanken der Erfolgshaftung: „Die Tat tötet den Mann". Das hieß allerdings nicht, daß man nicht den Unterschied zwischen einer absichtlichen Tat und einer Tat aus Versehen kannte; man sprach in diesen Fällen von „Ungefährwerk". Ob eine solche Tat vorlag, beurteilte man nach typischen, wiederkehrenden äußeren Merkmalen, d.h. wenn nach allgemeiner Erfahrung eine derartige Tat nicht mit Absicht begangen wurde, wie beispielsweise beim Baumfällen oder wenn jemand in eine Tierfalle geriet. Man kannte allerdings nicht den Unterschied zwischen Fahrlässigkeit und schuldlosem Zufall. Auch das nachträgliche Verhalten eines Menschen wurde als Indiz gewertet; es war möglich, daß der Täter sich durch einen Reinigungseid vom Vorwurf des Vorsatzes befreite, in diesen Fällen war lediglich ein Wergeid zu zahlen (Eberhard Schmidt 1965, S. 31-33). In manchen Rechten wurde der Täter eines „Ungefährwerkes" wie derjenige behandelt, der in Notwehr gehandelt hatte (Rudolf His 1967, S.97). Die Alemannen kannten schon Grade der Fahrlässigkeit, wie wir heute sagen würden; so wurde in einem Basler Gesetz von 1438 erklärt, daß Schiffsleute eine besondere Verantwortung dafür träfe, daß ihren Passagieren kein Leid zustoße (Eduard Osenbriiggen 1860, S.41). In

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späterer Zeit entwickelte man für schwerste Fahrlässigkeit den Begriff der Frevelhaftigkeit, der sogenannten luxuria. (Eduard Osenbriiggen 1860, S. 142-143). Erst im hohen Mittelalter wurde die Gefährdungshaftung, d. h. eine Art Fahrlässigkeit, in den strafrechtlichen Bereich mit hineingenommen (Ekkehard Kaufmann 1958, S.83). In verschiedenen Rechtsordnungen blieb es jedoch noch länger bei der Zahlung von Wergeid für nicht absichtliche Tötungen (Karl Kroeschell 1973, S. 122). Bei dieser „Kriminalisierung" der absichtslosen Tötung wurde immer mehr die Diskrepanz zwischen Schuld und Erfolg offenbar, und man fand verschiedene Nebenwege und Auswege, um zu einer menschlichen Lösung zu kommen. In Lübeck fiel ein Dachdecker durch das Dach des Rathauses in den Sitzungssaal und schlug im Fallen einen Ratmann tot. Das Urteil lautete dahingehend, daß der anklagende Verwandte des Toten sich vom Dach herab auf den Angeklagten herabfallen lassen solle. Wenn er ihn durch den Fall erschlage, bleibe er wegen dieser Tat straflos (Rudolf His 1964, S. 101). Ein ähnliches Urteil wird bezeichnenderweise aus vielen Rechtsordnungen berichtet, in denen man offensichtlich dieselben Schwierigkeiten hatte, eine gute Lösung zu finden (Walter Ullers 1970, S. 19). Dieser Ausweg kam einem Freispruch gleich; bis heute hat man immer wieder denselben Ausweg aus dem Dilemma zwischen geringer Schuld und schwerem Erfolg gefunden. Es ist eine Erfahrungstatsache, daß der Prozentsatz von Freisprüchen in Verfahren wegen fahrlässiger Tötungen höher ist als bei anderen Delikten. „Die große Zahl von Freisprechungen ist für das Delikt typisch" (Karl Siegfried Bader 1949, S. 44). In England lautete die Strafbestimmung für fahrlässige Tötung bis 1956 „manslaughter". Da diese „barbarische Bezeichnung" offensichtlich die Laienrichter dazu veranlaßte, eine unverhältnismäßig große Anzahl von Angeklagten freizusprechen, wurde diese Strafbestimmung im Ausdruck gemildert. Die Anzahl der Verurteilungen stieg indessen nur geringfügig an. Während 1959 in der Bundesrepublik Deutschland auf 13 536 Getötete im Straßenverkehr 3101 Verurteilungen wegen fahrlässiger Tötung kamen, waren es in England bei 6 026 Getöteten nur 228 Verurteilungen. Auch in Norwegen sind die Laienrichter außerordentlich zurückhaltend, „einen sonst guten Mann als einen Kriminellen zu brandmarken, lediglich weil er einen Augenblick gedankenlos und unvorsichtig gewesen ist." Da zudem die Strafzumessungspraxis in Norwegen sehr hart ist, wurden von 75 wegen fahrlässiger Tötung Angeklagten nur 2 tatsächlich wegen dieses Delikts verurteilt (Johannes Andenaes 1968, S. 230-233). In vielen Rechtsordnungen konnte im Mittelalter das Gericht „nach Gnade" richten, wenn es offensichtlich notwendig war, das strenge Recht zu mildern (Rudolf His 1964, S. 384 ff.).

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Fahrlässige Tötungsdelikte 3. Der moderne Begriff der Fahrlässigkeit

Die Notwendigkeit, auch nichtvorsätzliches Handeln bestrafen zu müssen, hat in unserer Zeit zu recht unterschiedlichen Lösungen und verschiedenartigen Definitionen der Fahrlässigkeit geführt, so daß es für den Verursacher einer Tötung von entscheidender Bedeutung sein kann, in welchem Land er diesen Unfall verursacht hat und vor welches Gericht er kommt. Nach der in der Bundesrepublik von den Gerichten praktizierten Formel bedeutet Fahrlässigkeit, daß der Täter gegen die allgemeine, nach objektivem Maßstab zu beurteilende Sorgfaltspflicht verstoßen hat, und daß er zu ihrer Einhaltung subjektiv in der Lage war (Hans-Heinrich Jescheck 1978, S. 454ff.). Schon die Aufnahme einer gefährlichen Tätigkeit kann den Vorwurf der Fahrlässigkeit begründen, wenn der Täter hätte erkennen können, daß er den Anforderungen nicht gewachsen ist. Bei der Prüfung dieser Frage wird ein strenger, den Bedürfnissen der Allgemeinheit Rechnung tragender Maßstab an die zumutbare Selbstprüfung angelegt. Auch die an die Vorhersehbarkeit gestellten Voraussetzungen sind sehr streng; nach einer Entscheidung des OLG Hamm ist für einen Kraftfahrer, der einen schweren Fahrfehler begeht, auch vorhersehbar, daß er dadurch einen Menschen verletzt, der dann im Krankenhaus infolge der Transfusion des Blutes eines an Hepatitis erkrankt gewesenen Blutspenders an Transfusionshepatitis stirbt (Verkehrsrechtliche Mitteilungen, Mai 1974). Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß Gesetzgeber und Richter, die derartige Entscheidungen fällen und derartige Anforderungen stellen, von einem Menschenbild ausgehen, das es nicht gibt. Der unfehlbare „homunculus normalis" ist eine Illusion; oben wurde gezeigt, daß der Mensch im Gegenteil sehr fehlbar ist (Wolf Middendorff 1973, S.3ff., 9ff.). Der Schweizer Begriff der Fahrlässigkeit stimmt mit dem unsrigen im wesentlichen überein; vor einer Ausdehnung wird von Walder gewarnt (Hans Wälder 1975). Die nordischen Länder haben einen verschiedenen Begriff der Fahrlässigkeit entwikkelt; in Schweden gleicht der Begriff der Fahrlässigkeit dem unsrigen, norwegische Gerichte verlangen für eine Verurteilung einen wesentlich höheren Grad an Fahrlässigkeit. Ähnliches wie in Norwegen gilt auch für England und die USA. In der Nacht vom 18. auf den 19. Juli 1969 fuhr der damalige Senator Edward Kennedy in einem Pkw über die schmale Dyke-Brücke auf Chappaquiddick-Island. Er geriet über den geländerlosen Rand der Brücke, der Wagen versank im Wasser, und in ihm ertrank die Begleiterin Kennedys, Mary Joe Kopechne. Eine richterliche Untersuchung ergab, daß Edward Kennedy fahrlässig gefahren sei und dadurch zum Tod seiner Begleiterin beigetragen habe (Henry A. Zeiger 1970; Jack Olsen 1970; John Barron 1980). Bei diesem Stand der Dinge

wäre Kennedy in der Bundesrepublik mit Sicherheit wegen fahrlässiger Tötimg bestraft worden, in den USA wurde er wegen dieses Tatbestands nicht einmal angeklagt. Diese Entscheidung erging nicht etwa wegen der Persönlichkeit Edward Kennedys, sie entspricht vielmehr der allgemeinen Praxis in den USA. Amerikanische Staatsanwälte klagen im allgemeinen nicht wegen Fällen einfacher Fahrlässigkeit an, sie können von den Laienrichtern nur eine Verurteilung erwarten, wenn es sich um Fälle von schwerer Fahrlässigkeit, also z. B. grober Verkehrswidrigkeit und Rücksichtslosigkeit, handelt. Diese Praxis entspricht auch der strafrechtlichen Theorie; in dem Strafgesetzbuch des Staates New York aus dem Jahre 1967 wird Fahrlässigkeit dahingehend definiert, daß derjenige fahrlässig handelt, der ein nicht zu rechtfertigendes Risiko eingeht, das in der krassen Abweichung von der Sorgfalt eines vernünftigen Menschen besteht (§ 15.05 Abs. IV). Für die USA bedeutete es daher geradezu eine revolutionäre Entwicklung, daß 1979 die Firma Ford in den oben geschilderten Strafprozeß wegen fahrlässiger Tötung verwickelt wurde. Da in der Bundesrepublik - wie es den Anschein hat - eine gewisse Neigung besteht, z. B. in Prozessen wegen fahrlässiger Tötung infolge von ärztlichen Kunstfehlern nur bei schwerer Fahrlässigkeit zu verurteilen, kann man von einer gewissen Annäherung der Praxis in den USA und in der Bundesrepublik sprechen. Nach zehnwöchiger Verhandlung und 25stündiger Beratimg der Jury wurde die Firma Ford freigesprochen. B. Die Durchführung von Strafverfahren Ob es nach einem tödlichen Unfall, der offensichtlich auf fahrlässiges Verhalten zurückzuführen ist, tatsächlich zu einem Strafverfahren kommt, ist von Land zu Land, von Zeit zu Zeit und von Fall zu Fall sehr verschieden. Die Täter fahrlässiger Tötungen im Straßenverkehr haben die größte Chance, vor Gericht zu kommen und verurteilt zu werden; sie sind durch keine Gruppenzugehörigkeit geschützt, polizeiliche und staatsanwaltliche Ermittlungen bieten in diesen Fällen in der Regel wenig Schwierigkeiten, und meist handelt es sich nur um einen Täter, der unmittelbar auf das Opfer eingewirkt hat. Die Beweisschwierigkeiten werden größer, wenn eine Kette von vielleicht Verantwortlichen vorhanden ist, wenn es sich um Aufsichtspflichtige oder Vorgesetzte, z. B. sogenannte Schreibtischtäter, handelt, denen vielleicht irgendeine Unterlassung wie die einer Belehrungspflicht anzulasten ist. Je weiter die Distanz zum unmittelbaren Geschehen wird, desto unwahrscheinlicher ist es, daß es zu einer Verurteilung kommt. Nicht ohne Grund nennt man in diesem Zusammenhang oft das Sprichwort „Den Letzten beißen die Hunde".

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Fahrlässige Tötungsdelikte Wenn der fahrlässige Täter bei dem Unfall selbst getötet wird, kommt es ohnehin nicht zu einem Strafverfahren. 1. Straßenverkehr Im „Rungenfall" wurden in der ersten Instanz Fahrzeughalter und Fahrer verurteilt, dieses Urteil wurde in der zweiten Instanz bestätigt. Das Oberlandesgericht hob das Urteil auf, und in der vierten Verhandlung wurden beide Angeklagte freigesprochen. Die Tat war am 22. 12. 1967 geschehen, das letzte Urteil wurde am 3. 8.1972 gesprochen. Insgesamt wurden 18 Sachverständige gehört, das Verfahren kostete den Staat zwischen 40 000 und 50 000 DM. In noch mehr Instanzen wurde im folgenden Fall verhandelt: Am 14. 5.1950 fuhr ein Motorradfahrer auf einen Pkw auf, der - vom Motorradfahrer aus gesehen - von links nach rechts die Straße überquerte, um in einen Nebenweg einzubiegen. Der Beifahrer des Motorradfahrers wurde getötet. In der ersten Instanz wurde der Motorradfahrer zu vier Monaten Gefängnis verurteilt, seine Berufung wurde verworfen. Das Oberlandesgericht hob das Urteil auf und verwies die Sache an das Landgericht zurück. Dort wurde das erste Urteil bestätigt. Nach erneuter Revision wurde der Fall an ein anderes Landgericht zurückverwiesen, und in der sechsten Instanz erhielt der Motorradfahrer anstelle einer an sich verwirkten Gefängnisstrafe von zwei Monaten eine Geldstrafe von 300 DM. 2. Schiffsunglücke Nach Schiffsunglücken kommt es höchst selten zu Verhandlungen vor einem Strafgericht. Verhandlungen vor Seeämtern beschränken sich darauf, den objektiven Sachverhalt zu ermitteln. 3. Eisenbahnunglücke Nach dem Eisenbahnunglück zwischen Freiburg und Colmar wurden fünf Personen angeklagt, der Vorstand des Bahnamtes Freiburg, der Freiburger Fahrdienstleiter sowie der Lokführer, ein Wagenwärter und der Zugmeister des Zuges. In der Hauptverhandlung ging es im wesentlichen um die Ermittlung der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit und um die Theorie und Praxis der Gestellung von Bremsern. Nach der badischen Bremsordnung mußte eine bestimmte Anzahl von Bremsern vorhanden sein, die zum Zeitpunkt des Unglücks jedoch nicht im Zuge waren. Aus Zeugenaussagen ergab sich, daß eine Kontrolle von 60 Fahrberichten bezüglich der Gestellung von Bremsern für Züge ergeben hatte, daß in fast der Hälfte der Fälle

Verletzungen der Bremsordnung vorgekommen waren. Von den Verteidigern wurde versucht, die Definition der Fahrlässigkeit auf grobe Fehler zu begrenzen, denn es könne im Lande kaum noch einen Eisenbahnbeamten geben, der nicht schon eine der den Angeklagten vorgeworfenen Nachlässigkeiten begangen habe. Schließlich wurden alle fünf Angeklagten freigesprochen (Hugstetter Katastrophe 1883). In England wurde in den ersten Jahrzehnten des Eisenbahnbetriebes nach Unglücken selten ein Schuldiger angeklagt, es gab aber immer eine sehr sorgfältige Untersuchung der Ursachen der Unglücke, und die Berichte der Untersucher waren häufig mit Verbesserungsvorschlägen für den Eisenbahnbetrieb verbunden (O. S. Nock 1970, S. 247 ff.). In der Bundesrepublik wird heute nach Eisenbahnunfällen entsprechend unserem Fahrlässigkeitsbegriff angeklagt und verurteilt (Hans Joachim Ritzau 1972). Wenn sich kein Unfall ereignet, wohl aber ein fahrlässiges Verhalten aufgedeckt wird wie z.B. das Nichtschließen von Schranken während der Durchfahrt eines Zuges, verhängt die Bundesbahn selbst minimale Geldstrafen, die in krassem Mißverhältnis zu der Gefährlichkeit des beanstandeten Verhaltens stehen (Wolf Middendorff 1973, S. 24). 4. Flugzeugunglücke Bei Flugzeugunglücken kommt es oft zum Totalverlust der Maschine und zum Tod aller Insassen. Nach dem Unglück von Hasloh wurden vier Personen angeklagt und zwar der Co-Pilot, zwei Flugzeugelektriker und ein Flugzeugmechaniker. In erster Instanz wurden ein Elektriker und der Mechaniker verurteilt. Der Bundesgerichtshof hob dieses Urteil auf und verwies den Fall zurück; dann wurde das Verfahren wegen Geringfügigkeit gegen Zahlung von je 1500 DM Buße eingestellt. 5. Sport- und Spielunglücke Nach dem Bergunglück am Schauinsland bei Freiburg wurde der verantwortliche englische Lehrer nicht angeklagt, weil die Führung des Dritten Reiches damals auf ein gutes Verhältnis zu England größten Wert legte. Im Fall des Spielplatz-Unglücks von Freiburg wurde der Gartenbaudirektor der Stadt angeklagt, weil er es unterlassen habe, einen Zaun um den Spielplatz ziehen zu lassen, der verhindert hätte, daß das Kind auf den Bahndamm kletterte. In erster Instanz wurde der Angeklagte freigesprochen, in der zweiten Instanz ebenso, in der Revision wurde das Urteil aufgehoben, und in der vierten Verhandlung wurde der Angeklagte zu einer Geld-

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strafe von 250 DM verurteilt. Der Angeklagte bezahlte weder die hohen Kosten des Verfahrens noch die Geldstrafe aus eigener Tasche. Der Skifahrer Bogner wurde in erster Instanz freigesprochen und in der zweiten verurteilt. Seine Revision wurde verworfen. Nach dem Tod von Boxern - zwischen 1900 und 1968 starben etwa 514 Boxer an ihren Kampfverletzungen - kommt es fast nie zu einer Anklage oder gar zu einer Verurteilung, obwohl man in manchen Fällen sicher kaum noch von Fahrlässigkeit, sondern eher schon von bedingtem Vorsatz sprechen kann. Dasselbe gilt für den Rennsport, der an die Gladiatorenkämpfe des Altertums erinnert. Beim 24-Stunden-Autorennen von Le Mans raste 1955 ein Wagen in die Zuschauermenge und explodierte, 85 Zuschauer wurden getötet. Auf der Piste von Monza starben zwischen 1945 und 1973 11 Menschen, auf dem Nürburgring waren es von 1927 bis 1976 mehr als 300, in Indianapolis bis 1973 59. Verluste von Menschenleben werden seit jeher bei Spielen, Sport- und anderen Wettkämpfen in einem dem neutralen Betrachter fast unbegreiflichen Maße hingenommen; diese weitgehende Toleranz, die zu der Strenge gegenüber dem Einzeltäter im Straßenverkehr in keinem rational verständlichen Verhältnis steht, ist nur durch den uralten Spieltrieb des Menschen und sein ewiges Streben zu erklären, an Grenzen zu stoßen und Gefahren zu suchen. Frauen neigen weniger als Männer dazu, mit Gefahren zu spielen (Hans Hass o. J., S. 103-104; Johan Huizinga 1960).

stanz wurde der Pilot freigesprochen, die zweite Instanz verurteilte ihn zu einer Geldstrafe; der Ombudsmann legte Revision ein, und das Oberste Gericht bestätigte das Urteil, änderte jedoch die Begründung. Unter den Piloten entstand daraufhin eine Bewegung, die üblichen DA-Berichte nicht mehr zu erstatten. Nach langem Hin und Her wurde der Generalstaatsanwalt ermächtigt, in Fällen von leichter Fahrlässigkeit von einer Strafverfolgung abzusehen (Jacob Sundberg 1970). Ein Schweizer Militärgericht verurteilte am 6. 9. 1972 den Oberleutnant, der seinen Verband in den Nebel und gegen die Bergwand geführt hatte, zu zehn Tagen Freiheitsstrafe mit Bewährung. Der Pilot vom Mont Blanc wurde vom Militärgericht in Dijon freigesprochen, weil auf der Flugkarte der Armee die Bodenhindernisse im Mont Blanc-Gebiet nicht eingezeichnet waren. Der Luftwaffenhauptmann hatte behauptet, er habe nie gehört, daß es in diesem Gebiet eine Seilbahn gebe. Nach dem Iller-Unglück der Bundeswehr wurden drei Personen angeklagt; der stellvertretende Zugführer, der den Befehl gegeben hatte, durch die Hier zu waten, wurde verurteilt, der Zugführer und der Kompaniechef wurden freigesprochen. Im ersten Verfahren wegen des Schießunglücks von Bergen-Hohne wurden zwei Angeklagte zu Einschließungsstrafen (früher Festungshaft) verurteilt, fünf Angeklagte wurden freigesprochen. Nach durchgeführter Revision wurden die Strafen nach erneuter Verhandlung von 7 auf 4 und von 6 auf 2 Monate zur Bewährung herabgesetzt.

6. Unfälle im Militärbetrieb

7. Ärztliche Kunstfehler

Eine Durchsicht zahlreicher tödlicher Unfälle im Militärbetrieb läßt die Vermutung aufkommen, daß in diesen Fällen am ehesten eine Art Korpsgeist eine Bestrafung von fahrlässigem Verhalten verhindert, wobei es natürlich eine Rolle spielt, daß der Betrieb an sich mit vielen Gefahren belastet ist. Eine interessante Entwicklung zeigte sich in dieser Beziehung in Schweden. 1962 führte die schwedische Luftwaffe das sogenannte DA-System ein, was bedeutet, daß die Piloten angewiesen wurden, alle Mängel der Maschine, die bei einem Flug aufgetreten waren, aber auch alle eigenen Flugfehler, zu berichten. Diese Berichte kamen in manchen Fällen einer Selbstanzeige wegen fahrlässigen Handelns gleich. Bei einem Manöver ereignete sich ein Zusammenstoß zwischen zwei Flugzeugen in der Luft, die beteiligten Piloten konnten mit dem Fallschirm abspringen. Die Staatsanwaltschaft weigerte sich zunächst, Anklage wegen lebensgefährlicher Fahrlässigkeit und wegen Verletzung von Regeln des Flugbetriebes zu erheben. Der schwedische Ombudsmann erzwang die Anklage. Ein Gutachten der Luftwaffe kam zu dem Ergebnis, daß ein Pilot im Einsitzkampfflugzeug überfordert ist. In erster In-

Wenn wegen ärztlicher Kunstfehler Anklage erhoben wird, müssen in der Regel Gutachten angefordert werden, und in diesen Fällen zeigt sich dann der sogenannte „Krähenkomment", das heißt, es ist außerordentlich schwer, einen Sachverständigen zu finden, der einem Kollegen einen Fehler bescheinigt (Rudolf Rühl 1978; Julius Hackethal 1977, S.97ff.).

C. Die Strafzumessung Am 5. 6. 1907 überholte auf der Landstraße zwischen Flensburg und Husum einer jener neuen „Motorwagen" ein Lastfuhrwerk. Die Pferde dieses Fuhrwerks scheuten, und ein auf dem Wagen mitfahrender Arbeiter fiel herunter und war tot. Dem Kraftwagenführer wurde zur Last gelegt, er habe zu schnell überholt und sich dadurch einer fahrlässigen Tötung schuldig gemacht. Er wurde zu einem Monat Gefängnis verurteilt und anschließend zu 14 Tagen Haft begnadigt. In anderen Fällen von fahrlässiger Tötung in dem für jene Zeit so neuartigen

Fahrlässige Tötungsdelikte Straßenverkehr wurde auf eine Bestrafung überhaupt verzichtet (ADAC-Motorwelt 7, 1972). Die Strafzumessung ist die wichtigste und zugleich schwierigste Aufgabe des Strafrichters (Wolf Middendorff 1972 [1], S.67ff.). Franz von Liszt schrieb in seinen „Strafrechtlichen Aufsätzen und Vorträgen": „Man nenne mir einen Richter, der es bestreitet, daß Zufall und Willkür für die Höhe der erkannten Strafen maßgebend sind, der es leugnet, daß die Strafzumessung ein Griff ins Dunkle ist". Selbst wenn man diese Kritik als zu hart ablehnen würde, wird man doch Franz Exner zustimmen müssen, wenn er schreibt: „Ich habe mir die Strafzumessungsgründe aus einigen hundert Urteilen ausziehen lassen und habe daraus allerdings eine Fülle von Anregungen gewonnen, dabei aber immer wieder staunen müssen über die schematische Wiederkehr von stets gleichbleibenden .erschwerenden' und .mildernden' Umständen, die bei den einzelnen Deliktsarten mehr oder weniger formelhaft aneinander gereiht werden. Dabei ist mir trotz oft ausführlicher Begründung auch nicht in einem einzigen Falle wirklich begreiflich geworden, weshalb der etwa vorliegende schwere Diebstahl mit 6 und nicht mit 16 Monaten Gefängnis bestraft worden i s t . . . Wichtige, vielleicht die wichtigsten Strafzumessungsgründe, bleiben nämlich nicht nur ungeschrieben, sondern auch unausgesprochen, und . . . auch unbewußt" (Zitiert bei Elmar Müller 1960, S.291). Denselben Kommentar könnte man auch schreiben, wenn man einige hundert Urteile von Fällen fahrlässiger Tötung durchgesehen hat. Während sich bei Massendelikten wie der Trunkenheit am Steuer nach § 316 StGB eine gewisse Einheitlichkeit der Strafzumessung entwickelt hat, gilt dies nicht für Delikte der fahrlässigen Tötung. Die einzelnen Gerichte haben zu wenige Fälle zu entscheiden, und diese sind wiederum zu unterschiedlich, als daß es zu Vergleichen und zu einer Vereinheitlichung der Strafzumessung kommen könnte. Die Hauptschwierigkeit liegt darin, wenn es nicht gar unmöglich ist, in einem Urteil, d.h. in einer Strafe, sei es nun eine Freiheitsstrafe oder Geldstrafe, eine Synthese zwischen leichter Fahrlässigkeit und dem schweren Erfolg, d. h. dem Tod eines oder mehrerer Menschen zu finden. Die altgermanische Erfolgshaftung ist bis heute nicht überwunden. „Es ist ein wesentliches Merkmal für das Niveau einer Strafrechtsordnung, inwieweit sie sich von der Primitivform des Erfolgsstrafrechts . . . zum Schuldstrafrecht hin entwickelt hat" (Erwin Blume 1965, S. 1261; Wolf Middendorff 1964, S.343ff.; Wolf Middendorff 1961, S. 55ff.; Bernhard Püschel 1977, S. 5). Zusammengefaßt gibt es bis heute, 75 Jahre nach Franz von Liszt und fast 50 Jahre nach Exners Studien über die Strafzumessungspraxis der deutschen Gerichte, keine rationale Begründung dafür, daß ein Urteil so oder so ausfällt. So erhielt bei-

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spielsweise der Täter einer fahrlässigen Tötung durch falsches Überholen 1971 eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten ohne Bewährung. In der Berufungsinstanz wurde dieses Urteil vom Landgericht Schweinfurt auf zwölf Monate mit Bewährung herabgesetzt (ADAC - Motorwelt 6, 1971). Nach dem Eisenbahnunglück von Meckelfeld wurde der angeklagte Fahrdienstleiter zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten mit Bewährung verurteilt. Im Urteil heißt es: „Der Angeklagte war kraft seiner Tätigkeit ständig zu der gespanntesten Aufmerksamkeit verpflichtet. Er wußte, daß die kleinste Nachlässigkeit von ihm die schwersten Folgen haben müßte. Weil er in weit höherer Verantwortung als viele andere Menschen stand, wog sein Fehler besonders schwer, wie die Wirkung, der Tod und die Verletzung von insgesamt 50 Personen, beweist". Auch in vielen anderen Urteilen auf allen Gebieten wird ein Versagen bei höherer Verantwortung als straferschwerender Umstand gewertet. Diese Beurteilung entspricht nicht den oben angeführten kriminologischen Erkenntnissen über menschliches Versagen und menschliche Irrtümer, die niemals auszuschalten sind. Jeder Mensch wird sich auch an die höhere Verantwortung mit der Zeit ebenso gewöhnen wie an geringwertigere Pflichten und wird auch seine hohe Verantwortung allmählich als Routine empfinden und dieselben Fehler machen. Es war ein Schritt in die richtige Richtung, als durch Verordnung vom 2. 4. 1940 (RGBl. I, S. 606) die strafrechtliche Sonderstellung des „Berufsfahrers" beseitigt wurde, weil - wie es in der amtlichen Begründung heißt - mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs jeder die gleiche Verantwortung auf sich nehme. Bei der Strafzumessung ist auch das Verhalten der Opfer zu berücksichtigen; eine Typologie der Opfer zeigt, daß es völlig unschuldige Opfer genau so gibt wie an der Tat mitwirkende und provozierende Opfer, und ebenso auch Opfer, die fast oder genau so schuldig werden wie der Täter (Wolf Middendorff 1975 [1]). Wenn der Täter selbst schwer verletzt ist, ist es nicht ausgeschlossen, daß nach § 60 StGB auch in Fällen fahrlässiger Tötung von Strafe abgesehen wird. In den Ländern des Ostblocks herrscht ein überaus starres Erfolgsstrafrecht, und bei fahrlässigen Tötungen werden oft langjährige Freiheitsstrafen ausgesprochen. 1978 verurteilte ein Moskauer Gericht einen Lkw-Fahrer, der im betrunkenen Zustand acht Fußgänger umgefahren hatte, zum Tode. Das Urteil wurde vollstreckt. Dasselbe gilt auch für die USA, wenn Alkoholeinfluß bei der fahrlässigen Tötung eine Rolle gespielt hat. 1975 wurde in Heidelberg von einem Militärgericht ein amerikanischer Oberfeldwebel zu 12 Jahren Haft verurteilt, weil er in betrunkenem Zustand zwei radfahrende Kinder angefahren und getötet hatte. In Montgo-

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Fahrlässige Tötungsdelikte

mery/Alabama wurde 1977 ein Kraftfahrer, der unter Alkoholeinfluß einen Unfall mit Todesfolge verursacht hatte, wegen Mordes zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt. Die bisherigen Ausführungen zur Strafzumessung galten im wesentlichen für das Verkehrsstrafrecht; für die anderen Gebiete, in denen tödliche Unfälle vorkommen, gibt es keinerlei kriminologische Untersuchungen und auch kaum Vergleichsmöglichkeiten zur Strafzumessung. Es besteht jedoch die begründete Vermutung, daß die Strafen für Verkehrstäter höher sind als diejenigen, die wegen fahrlässiger Tötungen auf anderen Gebieten verhängt werden, und auch höher als in Fällen vorsätzlicher Körperverletzung bis nahe an den Tod (Wolf Middendorff 1964, S. 345).

D. Die Meinungen der Öffentlichkeit Seit alters her gibt es ein Sprichwort, Volkes Stimme sei gleichzeitig Gottes Stimme, und die Urteile, die von deutschen Gerichten gefällt werden, ergehen „im Namen des Volkes". Hinter diesen Worten steht die alte Vorstellung von einem einheitlichen Rechtsgefühl, das durch das Gericht repräsentiert wird. Diese Vorstellung ist jedoch falsch; genausowenig, wie es eine einheitliche Strafzumessung gibt, gibt es auch ein einheitliches Rechtsgefühl des Volkes. Ich selbst habe mehrfach dieses Rechtsgefühl getestet, z. B. in dem folgenden Fall: ein Pkw-Fahrer übersieht beim Kreuzen von Straßenbahnschienen die herannahende Straßenbahn, weil ihn kurz zuvor ein anderer Pkw-Fahrer überholt hat. Diesem gelingt es noch, die Schienen zu kreuzen, der folgende Pkw-Fahrer stößt mit der Straßenbahn zusammen, wobei der Beifahrer, ein Anhalter, den er kurz zuvor mitgenommen hatte, getötet wird. Der Pkw-Fahrer wird sehr schwer verletzt. Seine Fahrlässigkeit wird als leicht bezeichnet. Diesen Fall habe ich einem Lehrgang von angehenden Kriminalkommissaren, also einer relativ homogenen Gruppe von Menschen, zur Beurteilung gegeben und die Beamten gebeten, ihre Urteilsvorschläge mit Begründung schriftlich niederzulegen. Von 18 Beamten wollten 7 nach § 60 StGB von Strafe absehen, 7 wollten Geldstrafen zwischen 10 bis 15 und 60 Tagessätzen verhängen, 4 Beamte schlugen Freiheitsstrafen zwischen vier Wochen und einem Jahr vor, 3 Beamte wollten zusätzlich die Fahrerlaubnis entziehen, 2 auf die Dauer eines Jahres, einer für zwei Jahre. Diese Diskrepanzen des Rechtsgefühls sind erschreckend (Siehe Wolf Middendorff 1969). Das tatsächliche Urteil lautete auf 30 Tagessätze Geldstrafe. Ich hätte nach § 60 StGB von Strafe abgesehen. Die sogenannte veröffentlichte Meinung, d. h. die Meinungsäußerung in Presse, Hörfunk und

Fernsehen, unterscheidet sich wiederum von der öffentlichen Meinung in beträchtlichem Maße (Wolf Middendorf 1975 [2], S. 176ff.).

E. Reformen Schwere Unglücke regen zuweilen zu Reformen an; so wurde nach dem Untergang der .Titanic' der internationale Funkverkehr derart geregelt, daß jeder Schiffsfunker heute jederzeit erreichbar ist. Nach dem Untergang der , Andrea Doria' wurde die Radarausbildung der Schiffsoffiziere verbessert. Eine Reform des strengen Fahrlässigkeitsbegriffes wurde schon oft verlangt, aus kriminologischer Sicht schlug schon Lombroso vor, alle „unabsichtlichen" Handlungen von der Strafbarkeit zu befreien und sie dem Zivilrichter zu überlassen (Gerhard Simson 1972, S.254). Heute mehren sich die Stimmen, die eine Einschränkung des Begriffs der Fahrlässigkeit fordern (Wolf Middendorff 1973, S. 26-27). Die strafrechtliche Praxis ist nicht gehindert, die Maßstäbe für die Anwendung des Begriffes der Fahrlässigkeit zu ändern und sie den Erfordernissen unserer Zeit anzupassen.

F. Kriminologische Forschung Kriminologische Untersuchungen der Probleme der fahrlässigen Tötung sind dringend erforderlich, sie sollten sich insbesondere auf die Angleichung der Strafzumessung konzentrieren und zunächst eine Bestandsaufnahme der verschiedenen Arten der fahrlässigen Tötung und ihrer rechtlichen Behandlung vornehmen. Außerdem ist die Erforschung der Persönlichkeit der Täter der fahrlässigen Tötung dringend erforderlich (Wolf Middendorff 1972 [2], S. 113-114).

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Umweltkriminalität

UMWELTKRIMINALITÄT A. Umweltverschmutzung und Umweltkriminalitit Der Industrialisierungsprozeß unseres Jahrhunderts hat - zunehmend seit dem Beginn der 50er Jahre - den Naturhaushalt empfindlich gestört und damit die Lebensgrundlagen des Menschen gefährdet. Luftverunreinigungen und Lärm, Wasserverschmutzung und industrielle wie gewerbliche Abfälle, die Bebauung des Bodens mit Industrieanlagen und Mietskasernen, dann Hochhäusern führten zum Haß der Menschen gegen ihre Umwelt, die sie als häßlich, verschmutzt und verödet ansehen mußten, schließlich zum Haß gegeneinander, da einer den anderen in der drangvollen Enge und lärmerfüllten, abgasvergifteten Nachbarschaft als Störer, Neider, Bedrücker empfand. Haus und Wohnung boten keinen Platz zur sinnvollen Betätigung, Freiräume in den großen Städten existieren nicht, Spielplätze und Bewegungsräume für Kinder und Jugendliche waren nicht eingeplant oder völlig falsch geplant, sodaß nicht nur die Fließbandarbeit als Fron galt, sondern auch die eigene Nachbarschaft und Wohnung fremd und feindlich blieben. Mit Recht wird daher darauf hingewiesen, daß Krankheit, Nervosität, Spannungszustände, hier ihren Ursprung hatten und haben, daß in der Umweltverschmutzung auch eine der Ursachen von Kriminalität - insbesondere Zerstörung, Raub, Gewaltanwendung liege (—* Städteplanung und Baugestaltung). Auch der Wunsch, sich von dieser Umgebung zu befreien, führte zur Umweltverschmutzung und -belastung: Sprechen wir doch heute von der Zerstörung der Natur durch Wochenendhäuser, Freigeländeeinrichtungen, sprechen vom Freizeitlärm und Freizeitunrat, den es zu beseitigen gilt. Die Umweltverschmutzung wird heute richtigerweise Umweltkriminalität genannt, sofern sie über ein gewisses Maß hinausgeht; zahlreiche Vorschriften versuchen, sie zu verringern und zu bändigen, wer sie übertritt, wird mit Recht an die Seite des Diebes und Betrügers gestellt. Die kriminelle - weil verschmutzte - Umwelt aber (von der Hausgestaltung und Baustruktur bis zur Schmutz- und Lärmbelastung) beeinflußt auch Erleben und Verhalten und kann Kriminalität begünstigen und hervorbringen (—» Städteplanung: Verstädterung, Umweltverschmutzung. Kriminalität). Auch und besonders aus diesen Gründen bedarf es der Bekämpfung der Umweltkriminalität. B. Die Prinzipien des Umweltschutzes Die wirtschaftliche Entwicklung seit den 50er Jahren hat alle modernen Industriegesellschaften mit dem Problem der fortschreitenden Verschlechterung der Umweltbedingungen konfrontiert. Zwei Entwicklungen bedrohen die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen: Die Verschlechterung

der Qualität sowie der zunehmende Verbrauch, der diese Grundlagen langfristig in ihrem Bestand gefährden kann. Ein Teil dieser Entwicklung ist auf die Lebensund Produktionsformen der Industriewelt zurückzuführen, somit zunächst unvermeidbar, ein anderer Teil jedoch ist vermeidbar, weil er die Folge menschlicher Gleichgültigkeit, gemeinschaftswidrigen Gewinnstrebens oder menschlichen Unverstandes ist. Hier Grenzen zu setzen, die Umweltbelastung auf ein erträgliches Maß herabzusetzen und damit Anlaß für die Entwicklung neuer Produktionsverfahren zu geben, ist damit Aufgabe der öffentlichen Hand geworden. Umweltpolitik wurde zur eigenständigen politischen Aufgabe erklärt, die Voraussetzung dazu durch Änderung des Grundgesetzartikels 74 durch das 30. ÄndG. v. 12. 4. 1972 (BGBl. I 593) geschaffen: Danach gehören die Abfallbeseitigung, Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung zur konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes. Auf dem Gebiet des Naturschutzes, der Landschaftspflege und des Wasserhaushalts kann der Bund jedoch nur Rahmenvorschriften erlassen. Ein „Sofortprogramm Umweltschutz" v. 17. 9.1970 und ein „Umweltprogramm 1971" v. 29. 9. 1971 räumten dem Schutz der Naturgrundlagen den gleichen Rang wie etwa der äußeren oder inneren Sicherheit ein. Die deutsche Umweltpolitik wird seither von drei Prinzipien beherrscht: dem Vorsorgeprinzip, dem Verursacherprinzip und dem Kooperationsprinzip. Das Vorsorgeprinzip besagt, daß die Umweltpolitik sich nicht auf bloße Abwehr der Gefahren beschränken darf, sondern Vorsorge für den Schutz der Naturgrundlagen und für deren schonende Behandlung treffen muß. Vorausschauende und planende Maßnahmen aller staatlichen und gesellschaftlichen Kräfte müssen dafür sorgen, daß bei allen staatlichen und wirtschaftlichen Entscheidungen auch die möglichen Umweltauswirkungen berücksichtigt werden. Durch das Verursacherprinzip werden die Kosten zur Vermeidung, Beseitigung oder zum Ausgleich von Umweltbelastungen dem Verursacher auferlegt. Instrumente zur Durchsetzung des Prinzips sind Verfahrens- und Produktnormen, Gebote, Verbote, Einzelanordnungen und Abgabenregelungen. Der Verursacher wird dadurch am ehesten angehalten, von ihm ausgehende Umweltbelastungen mit eigenen Mitteln zu verringern; eine schonende Nutzung der Naturgüter läßt sich hierdurch am besten erreichen. Mit dem Kooperationsprinzip wird die frühzeitige Beteiligung der gesellschaftlichen Kräfte an der umweltpolitischen Willensbildung angesprochen, so daß die Mitverantwortung und Mitwirkung aller Beteiligten erreicht wird. Der Grundsatz der Regierungsverantwortung wird jedoch nicht in Frage gestellt.

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Umweltkriminalität C. Umweltbelastungen 1.

Luftverunreinigung

Abweichungen von der natürlichen Zusammensetzung der Luft (Stickstoff: 78, 1 Vol. %, Sauerstoff: 21 Vol. %, Kohlendioxid: 0,03 Vol. %, Edelgase: 0,93 Vol. %) werden entsprechend dem BImSchG als Luftverunreinigung bezeichnet. Hauptquellen der Luftverunreinigung sind Feuerungsanlagen industrieller und privater Natur, gewerblich-technische Prozesse sowie der Straßenverkehr. Luftverunreinigung kann zur Gesundheitsgefährdung und Klimaveränderung führen. Sie erfolgt in der Hauptsache durch Staub (Emissionen aus Feuerungsanlagen, Abfallverbrennung, Verkehr, chemische Industrie, Eisen- u. Stahlerzeugung, NEMetallerzeugung, Eisen- und Stahlgießereien, Industrie der Steine und Erden), Schwefeldioxid (bei Verbrennung von Kohle, Erdöl, Erdgas und industriellen Prozessen entstehend), Stickstoffoxide (Verbrennung in Kfz.-Motoren und Kraftwerken, Düngemittelherstellung), Kohlenwasserstoffverbindungen (fossile Brennstoffe, Steinkohlenteer, Kfz.und Heizungsabgase, Ruß, Mineralöle) Fluorkohlenwasserstoffe (Kältemittel, Treibgase), Schwermetalle (Blei, Cadmium, Chrom, Quecksilber, Thallium, die über Abgase von Kraftwerken, Kfz., industrieller Produktion frei werden), Asbest (Bremsbeläge, Fußbodenbeläge, Isoliermaterial, Asbestzementindustrie), Kohlenmonoxid (unvollst. Verbrennung organischer Verbindungen und fossiler Brennstoffe, Eisen- und Stahlindustrie, Hausheizung). Das sind lediglich die meist genannten Stoffe. In Wirklichkeit enthält die Luft sehr viel mehr Schadstoffe. Der Luftreinhalteplan des Raumes Köln zählt 1000 verschiedene Stoffe, die Emissionskataster von Dortmund und Duisburg weisen 280 verschiedene Stoffe auf.

1,1 Mio. LKW, 550 000 Krafträder, mehr als 2 Mio. Mopeds, Mokicks, Mofas), dabei sind 45 Mio. Bewohner tagsüber Außengeräuschpegeln von 55 dB und mehr sowie 10 Mio. Bewohner tagsüber Pegeln von über 65 dB, in besonders belasteten Gebieten Pegeln von über 80 dB durch den Verkehr ausgesetzt. 50% aller Bürger fühlen sich durch den Verkehrslärm belästigt - wobei noch 18% für den Lärm durch den Schienenverkehr und 13 % für den Lärm durch den Flugverkehr hinzukommen (= 81 %). Lärm durch Industrie und Gewerbe am Arbeitsplatz führte zu einem sehr erheblichen Anstieg der lärmbedingten Berufskrankheiten: Etwa 2,7 Mio. Arbeitnehmer arbeiten bei Lärmpegeln über 85 dB, so insbesondere in der Eisen-, Metall-, Textilindustrie sowie im Tiefbau. Durch die in der Vergangenheit gewachsenen Gemengelagen und Nachbarschaften zwischen Wohnbebauung und Betrieben werden durch den Industrielärm auch die Wohnungsinhaber belästigt. Baulärm: Durch die Entwicklung der Bauwirtschaft werden weite Teile der Bevölkerung vom Baulärm betroffen, der sich in teilweise hohen Geräuschpegeln zeigt. Im Gegensatz zu anderen Lärmquellen können Baustellen nicht durch andere Bauwerke umschlossen werden, Schallschirmaufstellungen sind oft sehr schwierig. Neue Konstruktionen führten zu leiseren Baumaschinen. Freizeitlärm: Dieser Lärm wird als besonders belästigend empfunden, weil er die gesuchte Erholung verhindert. Die Beurteilung des Freizeitlärms hängt von der subjektiven Einstellung der Betroffenen ab und ist deshalb schwierig. Freizeitlärm kann durch das Betreiben von Freizeitgeräten (Gartengeräte, Hobbygeräte, Motorboote, Modellflugzeuge) wie auch durch das Verhalten anderer Menschen entstehen (Gaststättenlärm, Wohnlärm, Ausflugsverkehr, Spiel und Sport).

2. Lärmbelastung Geräusche werden je nach Lautstärke und Höhe vom Menschen als störend empfunden (Lärm). Je nach Alter und Gesundheitszustand kann es zu Gesundheitsschäden kommen (Hörschäden, Kopfschmerzen, Nervosität). Die Stärke der Geräusche wird in Dezibel (dB) gemessen. Die Schlaftiefe wird schon ab 25 dB verändert, bei 60 dB bis zu 25% verkürzt. Ab 75 dB ist eine gegenseitige Verständigung gestört, ab 85 dB treten Hörschäden auf. Starke Belästigungen durch Verkehrslärm können zu langfristigen Herz-Kreislauf bzw. Magen-Darmtrakt-Erkrankungen führen. Psychische Reaktionen (Ärger, Gereiztheit) setzen bereits unterhalb von 60 dB ein, bei höheren Werten kommt es zu vegetativen Reaktionen. Hauptquellen des Lärms sind: Lärm durch den Verkehr (1979 in der BRD: Mehr als 20 Mio. PKW,

3. Wasserverunreinigung Man unterscheidet Niederschlagswasser (versetzt mit Gasen der Atmosphäre sowie Schadstoffen), Oberflächenwasser (abhängig vom durchflossenen Gestein, den Zuflüssen - Nebenflüsse und Niederschläge - sowie vom Grundwasser und Abwasser), Meerwasser und Grundwasser (abhängig von Gesteinen, Bodennutzung, Düngung und Tiefe). Abwässer (die ins Oberflächenwasser eingeleitet werden) entstehen durch den häuslichen, gewerblichen und industriellen Gebrauch. 1975 fielen im kommunalen Bereich aus diesem Bereich pro Tag 18,9 Mio. m3 Abwasser an. Die eingeleiteten sauerstoffzehrenden und giftigen Stoffe übersteigen die Selbstreinigungskraft des Wassers. Es bedarf daher einmal der Beschränkung der Einleitung, zum an-

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Umweltkriminalität

deren der mechanischen, chemischen oder biologischen Klärung des Abwassers. Außerdem kann eine Belastung der Gewässer mit Abwärme (etwa aus Kraftwerken) zur Abnahme des Sauerstoffgehaltes führen, so daß es bei stark abwasserbelasteten Gewässern zur Qualitätsverschlechterung kommen kann. Eine Überversorgung der Gewässer mit Nährstoffen (wie sie durch Abwässer geschieht) führt zur Vermehrung der Flora, die nicht mehr abbaubar ist (Faulschlammbildung). Zu den wassergefährdenden Stoffen werden gerechnet: Mineral- und Teeröle sowie deren Produkte, Säuren, Laugen, Alkalimetalle, Siliciumlegierungen mit über 30% Silicium, metallorganische Verbindungen, Halogene, Säurehalogenide, Metallcarbonyle, Beizsalze, flüssige und wasserlösliche Kohlenwasserstoffe, Alkohole, Aldehyde, Ketone, Ester, halogen-, stickstoff- und schwefelhaltige organische Verbindungen, Gifte, die geeignet sind, nachhaltig die physikalische, chemische oder biologische Beschaffenheit des Wassers nachteilig zu verändern. 4. Abfallbeseitigung In der BRD ist derzeit jährlich mit 225 Mio. t Abfall sowie 260 Mio. t jährlich landwirtschaftlichen Abfalls zu rechnen. Man unterscheidet zwischen Hausmüll, Sperrmüll, hausmüllähnliche Kommunal- u. Gewerbeabfällen, Klärschlamm, Marktabfällen, Straßenkehricht, Gartenabfällen (= Siedlungsabfall), Abfällen aus Handwerk, Handel und Industrie (= Gewerbeabfall), Krankenhausabfällen, Säuren, Laugen, Lösungen, radioaktiven Abfällen, Altöl, Altreifen (= Sonderabfälle). Zur Beseitigung der Abfälle ist zunächst ihre Einsammlung, der Transport zu einer Beseitigungsanlage und schließlich die Lagerung, Beseitigung oder Verwertung (Recycling) erforderlich. Da bei jedem Haushalt und Betrieb Abfälle entstehen, ist deren Einsammlung, Transport und Lagerung bzw. Beseitigung nicht nur ein technisches, sondern auch ein organisatorisches Problem größten Ausmaßes. Das Abkippen in die Landschaft, die Einleitung in Meere und sonstige Gewässer und das Vergraben von Sonderabfällen (Giftmüll) können in industriellen Gesellschaften nicht hingenommen werden. Es bedurfte hier umfassender Regelungen und neuer Verfahren und Überlegungen, gerade auch im Hinblick auf die Sonderabfälle radioaktiver Art.

Medizin und Energieerzeugung (Abgabe von radioaktiver Strahlung durch Kohlekraftwerke) auch die Belastung mit ionisierenden Strahlen künstlicher Herkunft hinzugekommen. Die Debatten um die Kernenergie haben ebenfalls die Aufmerksamkeit auf diese Belastungen gelenkt (in der Nähe der Kernenergiewerke beträgt die Strahlenbelastung nur lmrem pro Jahr). Auf jeden Fall hat eine Vielzahl von Menschen durch Berufsausübung Umgang mit ionisierenden Strahlen, so daß ein funktionierender Strahlenschutz notwendig ist, die Strahlenbelastung nicht nur für diese Menschen möglichst gering zu halten ist, für Unfälle und Defekte an technischen Einrichtungen Vorsorge zu treffen und die Entsorgung - Transport und Verbleib der Sonderabfälle und Reaktorbrennstoffe - zu regeln ist. 6. Naturschutz und Landschaftspflege Die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen erfordert auch die Erhaltung der Funktionsfähigkeit und der natürlichen Eigenart der Landschaft, den Schutz von Tier- und Pflanzenarten sowie deren Lebensgemeinschaften sowie die naturgemäße Nutzung und Entwicklung der Landschaft. Naturschutz und Landschaftspflege gehören daher mit zum Umweltschutz. So kommt es zur Notwendigkeit der Erhaltung der Ökosysteme: Damit sind die (ungestörten) Wirkungsbeziehungen von Pflanzen und Tieren unter dem Einfluß physikalisch-chemischer Standortfaktoren (Klima, Wasser, Boden) in einem bestimmten Raum gemeint. Durch das Ökosystem wird auch die Vegetation und die Tierwelt bestimmt. Der Einfluß der Vegetation auf Klima, Wasserhaushalt, Abtragungsschutz gegen Wind und Wasser sowie die menschliche Ernährung ist allgemein bekannt. Störungen der ökologischen Stabilität können u. U. verhängnisvoll sein. Dieses Gleichgewicht kann gestört werden durch die menschliche Besiedlung, den Abbau oberirdischer Bodenschätze, die Verkehrswege und Energieleitungen, land- und forstwirtschaftliche Nutzung (Monokulturen) sowie die Freizeit- und Erholungsansprüche des Menschen (Wochenendhäuser, Sportstätten, Erholungsverkehr, wasserrechtlicher Gemeingebrauch der Seen und Flüsse). Die darin liegenden Beeinträchtigungen und Gefahren zu erkennen und ihnen auch im Interesse der Bevölkerung planend und gestaltend zu begegnen, ist Aufgabe der Landschaftspflege und des Naturschutzes.

5. Strahlenbelastung D. Umweltrecht Zur Belastung mit natürlichen ionisierenden Strahlen (durchschnittlich 110 Millirem pro Jahr, bis zu 800 Millirem im Schwarzwald) ist durch die technische Entwicklung (Meßgeräte, Antistatika, Elektronenmikroskope, Fernsehgeräte) und die

1.

Immissionsschutz

Das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) v. 15. 3. 1974 (BGBl. I, S.721) faßt die bisherigen

Umweltkriminalität Vorschriften zur Verhütung schädlicher Umwelteinwirkungen zusammen. Dabei legt es folgende Definitionen fest: Schädliche Umwelteinwirkungen sind Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Immissionen sind auf Menschen, Tiere oder Pflanzen bzw. andere Sachen einwirkende Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnliche Umwelteinwirkungen. Emissionen sind die von einer Anlage ausgehenden Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme und ähnliche Erscheinungen. Luftverunreinigungen sind Veränderungen der natürlichen Zusammensetzung der Luft, insbesondere durch Rauch, Ruß, Staub, Gas, Aerosole, Dämpfe oder Geruchsstoffe. Erfaßt werden vom BImSchG die gesamte Industrie, Gewerbe, Handwerk, Land- und Forstwirtschaft sowie der hoheitliche wie der private Bereich insbesondere im Hinblick auf die Luftverunreinigung und den Lärm. Der Straßenverkehr unterliegt einer Spezialregelung (§ 38). Flugplätze sind vom BImSchG ausgenommen. Der Bereich der Kernenergie und ionisierenden Strahlen unterliegt Sonderbestimmungen (Atomgesetz u. a.) Die Ziele des Gesetzes werden erreicht durch Vorschriften über Anlagen, bestimmte Produkte und bestimmte Gebiete. A n l a g e - I m m i s s i o n s s c h u t z . § 4 BImSchG schreibt die Genehmigungspflicht für Anlagen vor, die schädliche Umweltwirkungen hervorrufen. Das Verfahren ist öffentlich; nur im vereinfachten Verfahren für kleinere Anlagen erfolgt keine öffentliche Bekanntgabe. Auch nicht genehmigungsbedürftige Anlagen (so der gesamte private Bereich) unterliegen nach § 22 BImSchG bestimmten Pflichten: Verhinderung vermeidbarer Umwelteinwirkungen, Beschränkung unvermeidbarer Einwirkungen auf ein Mindestmaß, ordnungsmäßige Beseitigung der Abfälle. Zur Ermittlung der Emissionen und Immissionen für genehmigungsbedürftige wie nichtgenehmigungsbedürftige Anlagen ist ein eingehendes Meßund Überwachungssystem vorgesehen. Vorschriften über die Beschaffenheit von Anlagen und über die Bauartzulassung können erlassen werden. P r o d u k t - I m m i s s i o n s c h u t z . Das Inverkehrbringen von Stoffen, Treibstoffen, Brennstoffen, Maschinen, Geräten, Fahrzeugen kann davon abhängig gemacht werden, daß umweltfreundliche Kriterien eingehalten werden (§ 32ff). Rechtsverordnungen nach § 38 regeln Fahrzeugbeschaffenheit und Zulassung. Der Betrieb von Kraftfahrzeugen kann bei austauscharmen Wetterlagen beschränkt oder verboten werden. Beim Bau von Verkehrswegen ist sicherzustellen, daß vermeidba-

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re Geräusche unterbleiben, Entschädigungsansprüche sind möglich. Gebiets-Immissionsschutz. Art und Umfang bestimmter Luftverunreinigungen sind in Belastungsgebieten regelmäßig festzustellen, ihre Entstehung und Ausbreitung ist zu untersuchen (§ 44) Emmissionskataster müssen aufgestellt werden, Luftreinhaltepläne sind zu verfassen. Durchführungsverordnungen (derzeit 8) regeln Einzelheiten: So die Bestellung von Immissionsschutzbeauftragten in Betrieben, den Betrieb von Feuerungsanlagen, Kriterien für genehmigungsbedürftige Anlagen bis hin zum Rasenmäher. Die „Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft)" legt die Emissions- und Immissionswerte fest, die nicht überschritten werden dürfen und regelt die Verfahren der Ermittlung dieser Belastungen. Sie gilt für alle genehmigungsbedürftigen Anlagen. Für das Gebiet des Lärms regelt die „Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm)" die Immissionsrichtwerte, die - je nach dem Charakter des Gebietes als gewerbliches oder Wohngebiet nicht überschritten werden dürfen. Eine Reihe von Verwaltungsvorschriften legt - entsprechend dem Gesetz zum Schutz gegen Baulärm - die Lärmrichtwerte und Berechnungsarten bei Baumaschinen fest. Für den Fluglärm finden sich die entsprechenden Bestimmungen im Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm v. 30. 3. 1971 (BGBl. I, S. 282) und den dazu ergangenen Schallschutzverordnungen und Bestimmungen über die Erfassung und Berechnung des Fluglärms, die Festsetzung von Lärmschutzbereichen der jeweiligen Flughäfen regeln sowie die VO über die Einschränkung des Flugbetriebes mit Leichtflugzeugen und Motorseglern. Die Bestimmungen über den Straßenlärm ergeben sich aus dem StVG, der StVO und StVZO. Die Messung und Überwachung der Luftverunreinigungen erfolgt durch ein lufthygienisches Überwachungssystem. So werden zunächst in Belastungsgebieten (Gebieten, in denen Luftverunreinigungen in besonderem Maße schädliche Auswirkungen haben können) Luftreinhaltepläne aufgestellt (z.B. Rheinschiene Süd, Ruhrgebiet West), deren Daten (auch Untersuchungen an Säuglingen, Pflanzen, Korrosionsraten bei Stahl, Bodenbelastung) Schlußfolgerungen für die weitere wirtschaftliche Entwicklung zulassen. Landesweite Meßnetze, gebildet durch Meßstationen mit Kleinprozeßrechnern zur Selbststeuerung und lokaler Datenreduktion melden alle 8 Stunden ihre Daten an eine Zentrale, bei Überschreitung von Grenzwerten erfolgt eine selbständige Sofort-Meldung. Luftmeßwagen und Sondermessungen fahren örtliche Meßstellen an. Durch Flugzeugmessungen kann die Schadstoffbelastung in verschiedenen Höhen ermittelt werden. Es gibt u. a. in Bayern ein Bioindikatornetz zur Erfassung langfristiger immissionsbe-

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Umweltkriminalität

dingter Schadstoffanreicherung in Pflanzen (Kiefern und Fichten). Bei gewerblichen Anlagen erfolgt eine Emissionsüberwachung, Hausbrandemissionen werden bekanntlich durch die Schornsteinfeger überwacht. Für die Überwachung des Fluglärms stehen Meßstationen sowie Meßwagen zur Verfügung. Durch örtliche Anordnungen lassen sich durch Änderung der An- und Abflugverfahren Lärmminderungen erreichen. Zeitliche Begrenzungen können den nächtlichen Fluglärm verringern. Die Bundesregierung kann die Emissionsrichtwerte für Flugzeuge festsetzen (z.B. für Leichtflugzeuge). Betrieblicher Lärm kann durch Meßwagen, die im Streifendienst eingesetzt werden, überwacht werden. Durch die Bauleitplanung lassen sich Lärmschutzbereiche festsetzen, die den Fluglärm, Gewerbelärm und Straßenverkehrslärm aus Wohngebieten ausschalten bzw. verringern. Die Ausrüstung der Polizei mit einfach zu handhabenden Kontrollgeräten ermöglicht eine Lärmüberwachung des Straßenverkehrs. Lärmkarten als Hilfsmittel der Lärmbekämpfung können den Lärm erfassen und zur Entwicklung von Schallschutzmaßnahmen herangezogen werden.

2. Wasserschutz Nach dem Wasserhaushaltsgesetz i . d . F . v. 16. 10. 1976 (BGBl. I, S. 3017 und S. 3341) - WHG sind Gewässer so zu bewirtschaften, daß sie dem Wohl der Allgemeinheit und dem im Einklang damit stehenden Nutzen einzelner dienen, wobei jede vermeidbare Beeinträchtigung zu unterbleiben hat; jedermann ist verpflichtet, bei Maßnahmen, die Einwirkungen auf das Gewässer zur Folge haben können, die erforderliche Sorgfalt anzuwenden, um eine Verunreinigung des Wassers zu verhüten. Die Benutzung des Wassers ist daher von einer Erlaubnis oder Bewilligung abhängig. Eine Erlaubnis ist die widerrufliche Befugnis, ein Gewässer zu einem bestimmten Zweck in einer nach Maß und Art bestimmten Weise zu nutzen. Eine Bewilligung ist das unwiderrufliche Recht, ein Gewässer in einer nach Art und Maß bestimmten Weise zu benutzen. Allerdings werden Bewilligungen nicht mehr erteilt, wenn die Benutzung geeignet ist, schädliche Veränderungen zu zeitigen: Dann gibt es nur noch eine Erlaubnis. Unter „Benutzung" ist in beiden Fällen das Einleiten, Einbringen, Entnehmen und Ableiten zu verstehen. Die Abwassereinleitung ist an Mindestanforderungen gebunden, Menge und Schädlichkeit sind dabei so gering zu halten, wie das nach dem Stande der Technik möglich ist.

Durch die Abwasserbeseitigung (Sammeln, Fortleiten, Versickern usw.) darf das Wohl der Allgemeinheit nicht beeinträchtigt werden. Abwasseranlagen sind nach den Regeln der Abwassertechnik zu erstellen. Die Länder haben Pläne für die Abwasserbeseitigung zu erstellen. Im Interesse der Wasserversorgung können Wasserschutzgebiete festgesetzt werden, in denen Handlungen mit nachteiligen Wasserfolgen verboten sind. Anlagen zum Lagern, Abfüllen und Umschlagen wassergefährdender Stoffe unterliegen bestimmten Auflagen, ständige Überwachung ist vorgeschrieben, Errichter und Instandsetzer unterliegen der regelmäßigen Überprüfung. Inhaber von Erlaubnissen und Bewilligungen sowie Nutzer von Gewässern über den Gemeingebrauch hinaus müssen die amtliche Überwachung aller Anlagen und Vorgänge dulden. Wer mehr als täglich 750 cbm Abwasser einleitet, muß Gewässerschutzbeauftragte bestellen, die die Einhaltung aller Vorschriften überwachen. Landesvorschriften über die Einleitung von Stoffen in oberirdische Gewässer sind möglich. Ein Waschmittelgesetz legt im Hinblick auf die Umweltverträglichkeit Grenzen der Bestandteile von Waschmitteln fest, eine VO dazu regelt die Abbaubarkeit bestimmter grenzflächenaktiver Stoffe. Die Beförderung wassergefährdender Stoffe in Rohrleitungen ist ebenfalls durch eine VO geregelt. Das Abwasserabgabengesetz setzt - je nach Verschmutzungsgrad - unterschiedlich hohe Geldabgaben bei der Einleitung von Abwässern fest. Die Abgaben dienen der Erhaltung und Verbesserung der Gewässergüte, insbesondere durch Errichtung von Abwasserbehandlungsanlagen usw. Die Gewässerüberwachung erfolgt durch die Länder, die im Rahmen eines Gewässeraufsichtsdienstes Überwachungspläne erstellt haben. Auf Grund dieser Pläne werden die Sammelkläranlagen überwacht, ein Gewässergütemeßnetz geschaffen, die Meßdaten der Gütepegel werden an eine Zentrale fernübertragen. Sauerstoffschwund, Öl- und Giftverschmutzungen können derart umgehend mitgeteilt werden und bestehende Alarm- und Einsatzpläne auslösen. Auch Überwachungskarteien gibt es, die von den Wasserwirtschaftsämtern geführt werden. Meßschiffe können auf schiffbaren Flüssen Proben entnehmen und diese analysieren. Für die Verschmutzungskontrolle wird auch die Wasserschutzpolizei eingesetzt. Für die Flüsse Rhein, Main, Neckar, Weser, Elbe, Donau und Isar wurden Wärmelastpläne errechnet, die die vorhandenen und geplanten Wärmeeinleitungen aufzeigen. Die Koordinierung erfolgt durch die Länderarbeitsgemeinschaft Wasser. Seereinhalteprogramme (z. B. in Bayern) wirken der Eutrophierung entgegen und verringern durch Vorschriften über die Nährstoffzufuhr und Ringkanalisation die Verschmutzung.

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Umweltkriminalität 3.

Abfallbeseitigung

Das Abfallbeseitigungsgesetz i. d. F. v. 5. 1. 1977 (BGBl. I, S. 41, ber. S.288) legt eine generelle Beseitigungspflicht fest. Durch die Beseitigung soll jedoch eine Gefährdung des Menschen sowie der Nutztiere, des Gewässers, Bodens, der Nutzpflanzen sowie der Natur und Landschaft vermieden werden. Auch darf dadurch die öffentliche Ordnung und die Sicherheit nicht gefährdet oder gestört werden. Abfälle aus gewerblichen oder sonstigen wirtschaftlichen Unternehmen, die in besonderem Maße gesundheits-, luft- oder wassergefährdend, explosibel oder brennbar sind oder Erreger übertragbarer Krankheiten enthalten, unterliegen zusätzlichen Bestimmungen. Die Vorschriften des AbfG gelten indessen nicht für Abfälle, deren Beseitigung in Spezialgesetzen geregelt ist: Das trifft zu für Tierkörper, Kernbrennstoffe, Abfälle aus Betrieben, die der Bergaufsicht unterstehen, gasförmige Stoffe sowie Abwässer, die in Gewässer eingeleitet werden. Die Beseitigungspflicht liegt bei den nach den Landesgesetzen zuständigen Körperschaften des öffentlichen Rechts. Diese können sich jedoch dritter Personen bedienen. Abfallbesitzer haben alle Abfälle diesen zuständigen Stellen zu überlassen - es sei denn, daß ein Ausschluß der Ablieferung erfolgt ist (z.B. bei Sondermüll). Inhaber von Abfallbeseitigungsanlagen können verpflichtet werden, die Mitbenutzung durch andere gegen Entgelt zu gestatten. Eigentümer geeigneter Grundstücke (frühere Kiesgruben, Steinbrüche usw.) können verpflichtet werden, ihre Räume der Abfallbeseitigung zur Verfügung zu stellen. Sondermüll ist vom Besitzer selbst zu beseitigen, er kann sich dazu der Hilfe dritter Personen bedienen. Abfallordnung: Abfälle dürfen nur in dafür zugelassenen Anlagen oder Einrichtungen behandelt oder gelagert werden. Das Einsammeln und Befördern ist nur dafür zugelassenen Personen gestattet, die nachweisen müssen, daß der Inhaber einer Beseitigungsanlage ihre Abfälle auch abnimmt. Die Genehmigung zum Einsammeln und Befördern darf nur zuverlässigen Personen übertragen werden. Eine AbfallbeförderungsVO regelt die Einzelheiten. Autowracks und Altreifen fallen unter die Bestimmungen des Gesetzes. Die Bundesländer haben Abfallbeseitigungspläne aufzustellen. Sie sind mit den anderen Ländern abzustimmen. Abfallbeseitigungsanlagen bedürfen der Planfeststellung und unterliegen der behördlichen Überwachung. In bestimmten Fällen kann die Führung eines Abfallnachweisbuches verlangt werden. Wer gesundheits-, luft- oder wassergefährdende Abfälle beseitigt, muß in jedem Falle ein Abfallnachweisbuch führen. Eine AbfallnachweisVO regelt die Einzelheiten. Betreiber ortsfester Abfallbeseitigungsanlagen müssen einen Betriebsbeauftrag-

ten für den Abfall einsetzen; gleiches gilt für die Beseitiger gesundheitsgefährdender Abfälle. Die Betriebsbeauftragten haben den Weg der Abfälle zu überwachen und für die Einhaltung aller Vorschriften zu sorgen; sie müssen demzufolge genügend sachkundig sein. 4.

Strahlenschutz

Von der Atom- und Strahlenschutzgesetzgebung wird die friedliche Nutzung radioaktiver Stoffe und ionisierender Strahlen erfaßt, nicht dagegen die Nutzung für militärische Zwecke. Die Vorschriften umfassen - die Verwahrung von Kernbrennstoffen, - die Ein- und Ausfuhr sowie den Verkehr mit radioaktiven Stoffen, - die Beförderung von radioaktiven Stoffen, - den Umgang (Bearbeitung, Verarbeitung, Verwendung) mit radioaktiven Stoffen, - die Erzeugung ionisierender Strahlen, - die Aufsuchung, Gewinnung und Aufbereitung radioaktiver Mineralien. Neben den Kernbrennstoffen (Plutonium 239 u. 241, Uran 233, Uran, das mit Isotopen 235 und 233 angereichert ist, Stoffen, die einen oder mehrere der genannten Stoffe enthalten sowie Uran/uranhaltige Stoffe der natürlichen Isotopenmischung, die so rein sind, daß sie in einem Reaktor eine sich selbst tragende Kettenreaktion aufrechterhalten) gehören zu den radioaktiven Stoffen auch solche, die ionisierende Strahlen spontan aussenden: Alpha-, Beta- und Gammastrahlen sowie Neutronenstrahlen. Grundlagen der Gesetzgebung sind das Atomgesetz i.d.F. v. 31. 10. 1976 (BGBl. I, S.3053) und die StrahlenschutzVO v. 13. 10. 1976 (BGBl. I, S. 2905, ber. 1977 S. 184 u. 269), die RöntgenVO und die Regelungen über die Verwendung ionisierender Strahlen im Lebensmittel- und Arzneimittelrecht sowie die Bestimmungen über den Transport gefährlicher Güter, die Einleitung in Gewässer und Baubestimmungen - alle, soweit sie sich mit radioaktiven Stoffen bzw. Errichtung von Kernenergieanlagen befassen. Nach dem Atomgesetz sind Kernbrennstoffe staatlich zu verwahren, jede Verwahrung außerhalb davon bedarf der Genehmigung, ebenso die Einund die Ausfuhr sowie der Transport. Alle damit befaßten Personen bedürfen der Fachkunde und müssen zuverlässig sein sowie Schutzvorrichtungen gegen Störungen nachweisen. Bei Genehmigungen zur Errichtung von Anlagen, die Kernbrennstoffe be- oder verarbeiten bzw. spalten, gelten die gleichen Voraussetzungen für alle, die in der Anlage tätig sind. Neben geeigneten Schutzmaßnahmen gegen Störungen durch Dritte muß eine Schadensvorsorge gewährleistet sein. Dem Betreiber der Anlage obliegt der Sabotageschutz (daneben auch der Poli-

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Umweltkriminalität

zei gemäß Polizeidienstvorschrift 100); für den Sabotageschutz sind Richtlinien erlassen worden, die zu beachten sind (Bundesanzeiger Nr. 206 v. 3. 11. 1977, Gem. Min. Bl. 1977, S.48, Gem. Min. Bl. 1977, S. 683). Die StrahlenschutzVO regelt den Umgang mit radioaktiven Stoffen (einschl. Beförderung, Einund Ausfuhr, Beseitigung der Abfälle, Errichtung u. Betrieb der Anlagen). Sie legt die höchstzulässigen Immissions- und Emissionsgrenzwerte zum Schutz der Bevölkerung wie auch der beruflich damit befaßten Personen (Strahlenpässe für Berufsangehörige) sowie die Umgebungsüberwachung fest. Zuverlässigkeit und Fachkunde des Personals werden hier ebenso wie Schutz gegen Störmaßnahmen gefordert. Darüber hinaus sind Strahlenschutzbeauftragte zu bestellen. Genehmigungspflichtig sind Ein- u. Ausfuhr, Beförderung und Errichtung sowie Betrieb dieser Anlagen. Die Bauart der Anlagen ist zulassungspflichtig. Schließlich regeln die Schutzvorschriften: Pflichten und Aufgaben der Strahlenschutzverantwortlichen und -beauftragten, Aufstellung von Strahlenschutzplänen, Führung von Betriebsbüchern, Funktionsprüfungen der Geräte, Planung von Brandschutzmaßnahmen, Bereithaltung von Hilfsmitteln und Personal bei Unfällen und Störungen. Die regelmäßige Untersuchung des Personals ist vorgeschrieben. Über Patienten sind Aufzeichnungen zu machen, die ihnen auf Verlangen abschriftlich auszuhändigen sind. Die RöntgenVO regelt den Betrieb von Röntgeneinrichtungen und Störstrahlern, die Durchleuchtungsgrundsätze, die Höchstdosen der Strahlung für Personal sowie die Überwachung der Beschäftigten. Hier gelten vergleichbare Bestimmungen wie in der StrahlenschutzVO.

5. Naturschutzrecht und Landschaftspflege Das Bundesnaturschutzgesetz v. 20. 12. 1976 (BGBl. I, S. 3573-BNatSchG) ist ein Rahmengesetz, es soll eine einheitliche Naturschutzgesetzgebung in den Ländern ermöglichen. Lediglich die im § 4 genannten Bestimmungen des BNatSchG gelten unmittelbar. Im Gegensatz zu den gängigen Begriffen und früheren Bestimmungen gilt der Begriff des Naturschutzes nun auch im besiedelten Bereich: „Natur und Landschaft sind im besiedelten und unbesiedelten Bereich zu schützen, zu pflegen und zu entwickeln." Grundsätze legen die einzelnen Aufgaben fest, wobei es im wesentlichen um die Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts geht und bei der Nutzung die Naturgüter pfleglich zu behandeln, die Vegetation und Tierwelt zu schonen und Schäden möglichst zu vermeiden sind. Landschaftsrahmenplanung und Landschaftsplanung soll für die Landesplanung und Bauleitpla-

nung die ökologischen Grundlagen liefern. Umfassend ist der Flächenschutz geregelt (Einrichtung von Naturschutzgebieten, Nationalparks, Landschaftsschutzgebiete, Naturparks, Naturdenkmäler, geschützte Landschaftsbestandteile). Die entsprechenden Einzelvorschriften und Verfahren sind Ländersache. Die Erklärung zum Nationalpark ist Angelegenheit des Bundes. Die §§ 13-19 regeln die Einzelheiten der jeweiligen Schutzgebiete. In den §§ 20-26 sind die Vorschriften für den Schutz wildwachsender Pflanzen und wildlebender Tiere („Artenschutz") niedergelegt. Im 6. Abschnitt sind die Grundsätze für die Erholung in Natur und Landschaft enthalten: §§ 27 und 28 geben jedem Bürger das Betretungsrecht der freien Flur auf Straßen und Wegen und verpflichten die Behörden, Grundstücke für die Erholung der Bevölkerung bereitzustellen. Rechtsfähige Vereine haben nunmehr ein Einsichts- und Anhörungsrecht bei bestimmten Maßnahmen (§ 29). Verstöße gegen die Bestimmungen sind Ordnungswidrigkeiten, § 329 StGB stellt bestimmte Veränderungen und Schädigungen in Schutzgebieten unter Vergehensstrafe. Die Länder haben Landesnaturschutzgesetze erlassen, einige besitzen in Form einer Naturschutzwacht Hilfskräfte mit hoheitlichen Befugnissen. Zur Landschaftspflege gehört neben der Erhaltung des Landschaftsbildes im Rahmen der landund forstwirtschaftlichen Nutzung (Agrarleitpläne) auch die Erhaltung der Tier- und Pflanzenarten (Landesverordnungen über den Artenschutz). Auch die Flurbereinigungsgesetze gehören zu den landschaftspflegerischen Maßnahmen, selbst in Städten und Gemeinden ergeben sich im Rahmen einer Grünordnung landschaftspflegerische Aufgaben zur Schaffung von Grünzügen und kleinräumigen Grün-, Wald- und Wasserflächen. Durch Landesgesetze (etwa das Bayerische NatSchG) haben die Gemeinden die Verpflichtung, eine Landschafts- und Grünordnungsplanung durchzuführen. Durch entsprechende Verordnungen sind landesrechtlich weiterhin Vorschriften über Campingplätze, Wassersport auf Seen und Flüssen, Benutzung von Reitwegen usw. erlassen worden. Die für die jeweiligen Schutzgebiete geltenden Gebote und Verbote sind in Rechtsverordnungen niedergelegt. E. Erscheinungsformen der Umweltkriminalität 1. Überblick über Formen und Häufigkeit Kennzeichnend für kriminelle Handlungen auf dem Gebiet des Umweltschutzes ist es , daß durch die Art oder durch das Ausmaß (Menge) eines Stoffes bzw. durch die Störung oder Vernichtung ökologischer Zusammenhänge schädliche Belastungen des Menschen, der Tier- und Pflanzenwelt oder des ökologischen Systems eintreten.

Umweltkriminalität Die Tathandlung (Unterlassung) kann in einer Emission bestehen, die die Luft, das Wasser oder den Boden beeinträchtigt oder als Strahlung wirkt. Man kann hier von einer direkt erfolgenden Einwirkung sprechen. Ebenso können aber Fehler oder Mängel beim Bau oder Betrieb von Anlagen, technische Mängel an Transportmitteln oder Unfälle, denen sie ausgesetzt sind, falsch gesteuerte Produktionsprozesse oder solche, die nicht mehr beherrscht werden können, mangelhafte Prüfungsprozesse von Chemikalien usw. indirekt zu Umweltbelastungen schädlicher Art führen. Es lassen sich daher nachstehend aufgeführte Formen unterscheiden: - Luftverunreinigung, - Lärmbelästigung, - Gewässerverunreinigung, - Verunreinigung bzw. Verseuchung durch Abfälle, - Strahlenbelastung, - Belastung des ökologischen Systems (Handlungen gegen geschützte Gebiete), - Gefährdungen durch Transport gefährlicher Güter, - Fehler bei der Herstellung oder dem Betrieb von Anlagen, - Freisetzung von gefährlichen Stoffen (Chemikalien). Der Gesetzgeber hat durch das 18. Strafrechtsänderungsgesetz (Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität) v. 28. 3. 1980 (BGBl. I, S. 373) diese Erscheinungsformen zusammengefaßt und als Straftatbestände (Vergehen) in den 28. Abschnitt des StGB übernommen. Darüber hinaus sind im Gesetz über die Beförderung gefährlicher Güter, in der VO über die Errichtung und den Betrieb von Anlagen zur Lagerung, Abfüllung und Beförderung brennbarer Flüssigkeiten sowie im Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz - Verabschiedung steht bevor) Vergehensstrafen vorgesehen, wenn bestimmte Handlungen besonders gefährlichen Charakters verbotswidrig vorgenommen werden. Sonstige verbotene Handlungen in den Umweltschutzgesetzen sind als Ordnungswidrigkeiten eingestuft. Das Verbot solcher Handlungen soll den Eintritt der nach dem 28 .Abschnitt des StGB zu ahndenden Folgen verhindern. Bußgeldkataloge sollen die rasche Verfolgung fördern. Über die Zahl der Umweltdeükte (Vergehen) gibt die Polizeiliche Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes Auskunft, die seit 1974 die Umweltdelikte unterteilt. Die letzte Aufklärungsquote (1979) lag bei 72,4 % (Umweltdelikte insgesamt), bei Vergehen gegen das BImSchG bei 89,5%, bei Abfalldelikten bei 88,6% und bei Vergehen gegen das Wasserhaushaltsgesetz bei 70,3%. Von den 1979 ermittelten 3544 Umwelttätern waren 27 Tatverdächtige Kinder, 53 Tatverdächtige Jugendliche, 95 Tatverdäch-

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Jahr

Gesamt- BlmSch.- Abfall zahl Delikte bes.G. Delikte

1974 1975 1976 1977 1978 1979

2800 3445 3395 3784 3699 4382

_ 57 77 120 138 162

164 177 135 145 170 236

WasserhaushaltsG Delikte 2483 3072 3073 3386 3312 3865

tige Heranwachsende und 3369 Tatverdächtige waren Erwachsene. Unter diesen befanden sich 468 Personen im Alter zwischen 21 und 30 Jahren, 1969 im Alter zwischen 30 und 50 Jahren, 651 zwischen 50 und 60 Jahren. Unter den genannten Tatverdächtigen (3544) waren 2043 in der Tatortgemeinde wohnhaft - Umweltdelikte sind also Delikte örtlicher Täter, 340 stammten aus dem Landkreis, 508 aus dem jeweiligen Land, nur 344 aus anderen Bundesländern. Im Nachfolgenden wird nach den genannten Erscheinungsformen gegliedert (und nicht nach der Reihenfolge des StGB), sie führen die Tatbestände des 28. Abschnitts StGB an.

2. Luftverunreinigung

und Lärm (§ 325 StGB)

Geschützt werden soll die natürliche Zusammensetzung der Luft. Bestraft wird, wer diese Zusammensetzung durch Veränderungen verursacht, wenn diese Veränderungen geeignet sind, außerhalb des zu einer Anlage (Betriebsstätte oder Maschine) gehörenden Bereiches die Gesundheit eines anderen, Tiere, Pflanzen oder andere Sachen von bedeutendem Wert zu schädigen. Der Gesetzestext hebt insbesondere die Freisetzung von Staub, Gasen, Dämpfen oder Geruchsstoffen hervor. Die Tathandlung ist strafbar, wenn sie unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten erfolgt. Damit sind, wie Abs. 4 definiert, grob pflichtwidrige (= besonders schwere Verletzung einer Pflicht bzw. die Verletzung einer besonders gewichtigen Pflicht) Verstöße gegen vollziehbare Anordnungen oder Auflagen, die dem Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen dienen, gemeint bzw. das Betreiben von Anlagen ohne die entsprechende Genehmigung oder entgegen einer vollziehbaren Untersagung. In Betracht kommen in erster Linie das BImSchG und die umweltschützenden Verordnungen. Voraussetzung der Strafbarkeit ist jedoch wie eingangs erwähnt die Gesundheitsschädigung bzw. Sachschädigung von bedeutendem Wert. Anders als im § 3 Abs. 1 BImSchG, der den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen sehr viel weiter faßt und darunter jede Gefahr versteht, die erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen zur

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Umweltkriminalität

Folge hat, faßt § 325 StGB diese - strafbewehrten Gefahren sehr viel enger. Jedoch ist der tatsächliche Eintritt eines Schadens, auch nicht das Vorliegen einer realen-konkreten Gefährdung notwendig, es reicht aus, wenn die Luftverunreinigung im Hinblick auf die genannten Güter (Gesundheit, Sachen) als generell gefährlich anzusehen ist. Von der Gefahr muß die Nachbarschaft bzw. die Allgemeinheit betroffen sein, nicht die Betriebsstätte oder Anlage selbst: Damit werden Umweltschutz und Arbeitsschutz voneinander abgegrenzt. Für den Verkehr (Kraftfahrzeuge, Schienen-, Luft- und Wasserfahrzeuge) trifft § 325 StGB kraft ausdrücklicher Nennung nicht zu. § 325 Abs. 2 führt sodann die Lärm Verursachung unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Vorschriften als strafbaren Tatbestand an: Wenn der Lärm geeignet ist, außerhalb des zur Anlage gehörenden Bereichs die Gesundheit eines anderen zu schädigen, ist der Tatbestand verwirklicht. Auch hier sind Versuch und fahrlässiges Handeln strafbewehrt, der Verkehrslärm bleibt außer Betracht. Abs. 4 (pflichtwidriges Handeln) gilt gleichfalls. Ortsveränderliche Anlagen, die gesundheitsschädigenden Lärm verursachen, fallen indes unter das Gesetz: Zu denken ist hier an Baumaschinen, mobile Pumpen und Hebewerke bei ihrem Arbeitseinsatz. Nur der gesundheitsschädigende Lärm soll unterlassen werden, die übermäßige Empfindlichkeit einzelner Personen bleibt unberücksichtigt. Eine Definition des Lärms an sich ergibt sich aus bisherigen Bestimmungen (§ 117 OwiG, § 24 StVG, § 49 StVO, § 30 StVO, § 3 BImSchG); wann er als gesundheitsschädigend zu bezeichnen ist, ergibt sich aus dem Gesetz selbst nicht. Bei der Beratung des Gesetzes wurde die Ansicht vertreten, es genüge, wenn ersichtlich sei, daß der Täter gegen verwaltungsrechtliche Pflichten verstoßen habe: Diese beruhten ja auf Gesetzen oder Rechtsverordnungen. 3. Umweltgefährdende Abfallbeseitigung (§ 326 StGB)

Nach dieser Bestimmung ist die unbefugte Behandlung oder Lagerung, Ablagerung, Ablassung oder Beseitigung bestimmter Abfälle strafbar, wenn sie außerhalb einer zugelassenen Anlage erfolgt oder wenn sie von einem zugelassenen Verfahren wesentlich abweicht. Ebenfalls strafbar ist die Nichtablieferung radioaktiver Abfälle, wenn die Ablieferung vorgeschrieben war. Das Gesetz führt drei Gruppen von Abfällen auf, die unter diese Regelung fallen, dabei bereitet die Definition gewisse Schwierigkeiten, zumal auf den Begriff der Gesundheitsbeschädigung verzichtet wird und die Bestimmung ein reines abstraktes Gefährdungsdelikt darstellt.

Zunächst sind solche Abfälle genannt, die Gifte oder Erreger gemeingefährlicher und übertragbarer Krankheiten bei Menschen oder Tieren enthalten oder hervorbringen können, wobei Krankheitserreger im Sinne des Bundesseuchengesetzes gemeint sind. Als Gift gilt jeder Stoff, der geeignet ist, unter bestimmten Bedingungen durch chemische oder chemisch-physikalische Einwirkung nach seiner Beschaffenheit und Menge Gesundheit und Leben von Menschen zu zerstören (mindestens wesentliche körperliche Fähigkeiten und Funktionen in erheblichem Umfange aufzuheben) - hierzu vgl. § 1, Abs. 1, Nr. 5 der ArbeitsstoffVO, §§ 229, 319 StGB. Die zweite Gruppe von Abfällen sind explosionsgefährliche, selbstentzündliche oder nicht nur geringfügig radioaktive Abfälle. Die Definition der Explosionsgefährlichkeit soll sich nach den § § 1 , 3 Sprengstoffgesetz richten, jedoch sind diese nicht eindeutig genug. Zudem ergeben sich Schwierigkeiten beim Schuldnachweis. Selbstentzündliche Stoffe sind solche, die deshalb besonders brennbar und daher feuergefährlich sind, weil sie unter den von der Natur gegebenen Bedingungen sich selbständig erhitzen und schließlich entzünden können (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe a ArbeitsstoffVO). Die Definition radioaktiver Abfälle ist aus § 2 Abs. 1 Atomgesetz und § 3 Abs. 1 StlSchVO zu entnehmen, dazu gehören auch kernbrennstoffhaltige Abfälle sowie solche, die radioaktive Stoffe oder ionisierende Strahlen aussenden. Schließlich fallen unter § 326 StGB auch Stoffe, die nach Art, Beschaffenheit oder Menge geeignet sind, nachhaltig ein Gewässer, die Luft oder den Boden zu verunreinigen oder sonst zu verändern. Bei der Auslegung ist zurückzugreifen auf § 19 g Abs. 5 WHG sowie §§ 324, 330 c Nr. 1 StGB sowie auf § 2 Abs. 2 AbfG. Die dortigen Bestimmungen wurden zur Fassung des § 326 herangezogen. Doch sollen hier auch Abfälle gemeint sein, die „Gewässer" (= nicht nur das Wasser, sondern schon das Ufer oder Gewässerbett) verunreinigen oder die Luft bzw. den Boden. Der Abfall, der beseitigt wird, muß wenigstens generell geeignet sein, in dem Bereich, in den er gelangt, einen der drei Schutzgüter (und damit zusammenhängende Schutzobjekte wie Tiere, Pflanzen) oder den Menschen zu gefährden. Abfälle, die z.B. nur im Wasser gefährlich sind, sind, wenn sie in der Landschaft gelagert werden und es ausgeschlossen ist, daß sie Grundoder Binnengewässer oder etwa den Menschen gefährden, ungefährlich im Sinne der Vorschrift. Eine Strafbarkeit würde dann entfallen. Sie entfällt auch dann, wenn eine schädliche Einwirkung auf die Umwelt, insbesondere auf Menschen, Gewässer, Luft, Boden, Nutztiere oder Nutzpflanzen wegen der geringen Menge offensichtlich ausgeschlossen ist (Abs. 5). Nicht gemeint ist auch Hausmüll: Dies ergibt sich aus den Beratungen über das neue Gesetz. Die Bestimmung des § 326 spricht von „zuge-

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Umweltkriminalität lassenen Anlagen" und meint damit nicht nur Abfallbeseitigungsanlagen, sondern auch sonstige Anlagen - etwa von Tierkörperbeseitigungsanstalten, oder Anlagen nach § 9a des Atomgesetzes. Alle diese Anlagen müssen zugelassen sein - Planfeststellung bzw. Genehmigung müssen vorliegen. Versuchshandlungen des Abs. 1 sind strafbar, fahrlässiges Handeln ist ebenfalls unter Strafe gestellt. 4. Gewässerverunreinigung (§ 324 StGB) Sie liegt vor bei einer Verunreinigung des Gewässers oder bei der nachteiligen Veränderung der Gewässereigenschaften - allerdings nur dann, wenn das eine oder andere unbefugt geschieht. Versuch sowie fahrlässiges Handeln sind strafbar. Eine Veränderung der Wassereigenschaften liegt dann vor, wenn die physikalische, chemische oder biologische Beschaffenheit verändert ist: Dazu gehören auch Erwärmungen, Geschmacksänderungen, Verminderung des Sauerstoffgehalts, radioaktive Kontaminierungen. Soweit die Veränderung äußerlich erkennbar ist, spricht man von Verunreinigung. Auch bereits verschmutztes Wasser kann noch weiter verunreinigt werden. Zu den Erscheinungsformen gehören das Einleiten von Raffinerierückständen durch Tankmotorschiffe in einen Fluß (auch wenn das nicht durch den Schiffsführer selbst geschieht, aber von ihm vorausgesehen werden konnte), die unbefugte Einleitung von Abwässern durch Firmen (Täter kann auch ein Bürgermeister/Gemeindedirektor sein, der von dieser Einleitung in die Gemeinde-Abwässer weiß und sie nicht verhindert), Einleiten von Silageabwässern in öffentliche Gewässer durch einen Landwirt, von Appreturflüssigkeit durch Reinigungsbetriebe, Abpumpen von Jauche in einen Graben, um den umgestürzten Jauchewagen leichter aufrichten zu können, Einleitung von Fäkalien, öl- oder farbenhaltigen Stoffen, schaumbildenden Stoffen, ja, auch von Leitungswasser, wenn dadurch den Fischen die Nahrungsgrundlage entzogen wird, Wasserentnahme bei Niedrigwasser, wenn dadurch eine Verringerung der Selbstreinigungskraft eintritt. Das Überlaufenlassen des Öltanks, das Umpumpen von Öl oder Auslaufenlassen von Benzin aus Tankfahrzeugen ist gleichfalls strafbar, wenn dadurch Gewässer verunreinigt werden. Gleiches gilt für Verkehrsunfälle (Kollisionen mit Tankwagen, Zusammenstöße mit Schiffen, die gefährliche Fracht befördern). Ob die Verunreinigung mittelbar oder unmittelbar erfolgt, ist gleichgültig. Bei der Verunreinigung (Veränderung) kommt es auf den konkreten Fall an: Dabei spielen Größe und Tiefe eines Gewässers, Wasserführung, Geschwindigkeit fließender Gewässer, Menge und Gefährlichkeit des eingeleiteten Stoffes eine Rolle. Es erfüllt den Tatbestand jedoch bereits die Verunrei-

nigung eines Teils des Gewässers, minimale Beeinträchtigungen reichen allerdings nicht aus. Befugt ist die Verunreinigung dann, wenn sie auf Grund einer Erlaubnis, Bewilligung, alter Rechte und Befugnisse sowie des Gemeingebrauchs erfolgt. Auch wenn ein Rechtfertigungsgrund gemäß § 34 StGB vorliegt oder eine Gefahrenabwehr die Einleitung nötig machte, Ausnahmeregelungen existieren (Gesetz zum Schutz des Meeres) bzw. sozial-adäquates Verhalten (unvermeidbarer Abfluß unreiner Stoffe von verkehrsreichen Straßen) ursächlich war, ist die Einleitung nicht unbefugt. Trotz bestehender Erlaubnisse wird der rechtswidrige Tatbestand indes erfüllt, wenn - die Einleitung in größerer Menge erfolgt oder ein höherer Verschmutzungsgrad eintritt, - Bedingungen der Bewilligung nicht erfüllt werden, - Auflagen nicht erfüllt werden (z. B. Bau einer Kläranlage), - Betriebsänderungen eintraten, so daß die Benutzung des Wassers nun eine völlig andere ist. Gerade in diesen Fällen - also bei bestehenden Bewilligungen und Erlaubnissen - kann es häufig zu verbotenen Einleitungen kommen - sei es vorsätzlicher oder fahrlässiger Natur. Dabei ist auch an betriebliche Störungen oder Unfälle zu denken, die eine eingehende Untersuchung durch die Behörden erfordern, um den Sachverhalt genau abzuklären. Der Schutz des § 324 erstreckt sich auf oberirdische Gewässer und das Grundwasser im Geltungsbereich des StGB sowie auf das Meer (§ 330 d, Ziff. 1). Damit sind sämtliche Meeresgewässer gemeint: die Hohe See wie die Küstengewässer. Dadurch wird entsprechend dem Londoner Abkommen v. 1972 der Schutz fremder Küstengewässer gewährleistet. Die Frage, ob es sich um rechtmäßige Bewilligungen oder Erlaubnisse handelt, ist nach dem Wasserhaushaltsgesetz bzw. den Landeswassergesetzen zu entscheiden.

5. Gefährdung schutzbedürftiger (§ 329 StGB)

Gebiete

Durch diese Bestimmung soll der Schutz von Gebieten, die in besonderem Maße durch schädliche Umwelteinwirkungen beeinträchtigt werden können, gewährleistet werden. Die Absätze 1 und 2 sind als abstrakte Gefährdungsdelikte ausgestaltet, Absatz 3 stellt auf Beeinträchtigungen ab. Abs. 1 stellt den Betrieb von Anlagen unter Strafe, die gemäß der Ermächtigung des § 49 BImSchG von den Ländern zum Schutz bestimmter Gebiete untersagt sind. Kurorte, Ortsteile mit Krankenhäusern, aber auch Verbote infolge Smoggefahr kommen hierfür in Betracht. Verstöße gegen die landesrechtlichen Smog-Verordnungen (Beschränkung des Kraftfahrzeugverkehrs, des

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Verkehrs von Eisenbahnen und Luftfahrzeugen) fallen indessen nicht unter diese Strafbestimmung. Gemäß Abs. 2 wird bestraft, wer innerhalb eines Wasser- oder Heilquellenschutzgebietes entgegen einer zu deren Schutz erlassenen Rechtsverordnung betriebliche Anlagen zum Lagern oder Umschlagen wassergefährdender Stoffe betreibt, Rohrleitungsanlagen zum Befördern wassergefährdender Stoffe in Betrieb hat oder im Rahmen eines Gewerbebetriebs (nicht privat) Kies, Sand, Ton oder andere feste Stoffe abbaut. Das ebenso gefährliche Befördern wassergefährdender Stoffe in Tankwagen durch Wasserschutz oder Quellenschutzgebiete hat der Gesetzgeber nicht verboten. Das Verkehrsrecht enthält eine solche Norm nicht. Abs. 3 dient dem Schutz der Naturschutzgebiete und Naturparks. Soweit hier Vorschriften bestehen, die den Abbau von Bodenschätzen, anderer Bodenbestandteile, Abgrabungen oder Aufschüttungen verbieten, sind Verstöße dagegen Straftaten. Gleiches gilt für das verbotswidrige Schaffen, Verändern oder Beseitigen von Gewässern, Entwässern von Mooren, Sümpfen, Brüchen oder sonstigen Feuchtgebieten und das Waldroden, sofern durch diese Handlungen wesentliche Bestandteile eines solchen Schutzgebietes beeinträchtigt werden. Eine Beeinträchtigung liegt nach der amtlichen Begründung dann vor, wenn nicht nur vorübergehende Störungen von einer gewissen Intensität gegeben sind, die das Eintreten konkreter Gefahren für diese Teile wahrscheinlich machen. Weniger gefährliche Handlungen können weiterhin nach landesrechtlichen Vorschriften behandelt werden: Bekanntlich haben die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein diese Handlungen bisher als Ordnungswidrigkeiten gewertet. In der Zukunft gilt das nur noch für die weniger gefährlichen Handlungen dieser Art.

schärft sich die Mindeststrafe auf 6 Monate, die Höchststrafe auf 10 Jahre, bei fahrlässiger Verursachung ergeben sich Strafmilderungen. Die Qualifikation betrifft die §§ 324 Abs. 1, 326 Abs. 1 u. 2, 327 Abs. 1 u. 2, 328 Abs. 1 u. 2, 329 Abs. 1-3 StGB, weiterhin den Betrieb von Anlagen gegen Vorschriften, Anordnungen oder Auflagen, den Betrieb von Rohrleitungen zum Befördern wassergefährdender Stoffe entgegen Genehmigungen, Bauartzulassungen, Anordnungen, Auflagen oder die Beförderung, Versendung, Verpackung, Überlassung, Kennzeichnung von Kernbrennstoffen (und sonstigen gefährlichen Gütern) ohne Genehmigung, Erlaubnis, bzw. gegen Anordnungen, Auflagen, Rechtsverordnungen. 7. Schwere Gefährdung durch Freisetzung von Giften (§ 330 a StGB) Diese Vorschrift setzt den § 330 StGB fort: Wer Gifte in der Luft, in einem Gewässer, im Boden oder sonst verbreitet oder freisetzt und dadurch einen Menschen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Körperverletzung bringt, wird mit Strafe von 6 Monaten bis zu 10 Jahren bestraft. Fahrlässige Verursachung kann zu Strafen bis zu 5 Jahren oder zur Geldstrafe führen. Gedacht ist bei dieser Bestimmung an Giftgase oder andere feste oder flüssige Stoffe, wie etwa das Gelbkreuz, das - wie sich ja gezeigt hat - zu einer Massengefahr führen kann. § 330a StGB ergänzt daher § 326 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Der Tatbestand der Giftfreisetzung ist erfüllt, wenn das Gift so in die Luft oder ein Gewässer eingeleitet wurde, daß es sich unkontrolliert ausbreiten kann. Die Auslegung von Rattengift auf den Boden erfüllt den Tatbestand nicht. Gift ist im Sinne der §§ 229, 319 StGB zu verstehen.

6. Schwere Umweltgefährdung (§ 330 StGB)

8. Freisetzung ionisierender Strahlen (§ 311 d StGB)

Erhöhte Strafen sind für die Fälle vorgesehen, in denen umweltgefährdende Handlungen erhebliche Gefahren hervorrufen, indem dadurch Leib und Leben eines Menschen, fremde Sachen von bedeutendem Wert, die öffentliche Wasserversorgung oder eine staatlich anerkannte Heilquelle gefährdet werden. Eine Strafschärfung tritt auch dann ein, wenn durch die Handlungen die bisherige Nutzung eines Gewässers oder eines Bodens auf längere Zeit nicht mehr möglich ist, oder ökologisch bedeutsame Bestandteile eines Naturhaushalts so beeinträchtigt werden, daß die Beseitigung nur mit unverhältnismäßig großen Schwierigkeiten oder erst nach längerer Zeit erfolgen kann. Bei Leibes- oder Lebensgefährdung einer größeren Zahl von Menschen oder bei leichtfertiger Verursachung des Todes oder schwerer Körperverletzungen eines Menschen ver-

§ 311a StGB bestraft den Mißbrauch ionisierender Strahlen, die Menschen gesundheitlich schädigen oder fremde Sachen unbrauchbar machen. § 311 b StGB pönalisiert die Verschaffung von Kernbrennstoffen oder sonstigen radioaktiven Stoffen, um damit Straftaten zu begehen. Der nunmehrige § 311 d StGB ersetzt den § 47 Atomgesetz und stellt als abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt ab auf die Freisetzung ionisierender Strahlen oder Bewirkung von Kernspaltungsvorgängen, wenn dadurch Schädigung von Leib oder Leben von Menschen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert eintreten kann. Die Tathandlung setzt voraus, daß verwaltungsrechtliche Pflichten verletzt werden: Vorschriften also, die dem Schutz vor ionisierenden Strahlen dienen sollen.

Umweltkriminalität 9. Fehlerhafte Herstellung einer kerntechnischen Anlage (§ 311 e StGB) Hierdurch wird § 48 Atomgesetz ersetzt. Bestraft wird, wer wissentlich kerntechnische Anlagen oder Gegenstände, die zur Errichtung einer Anlage dienen, fehlerhaft herstellt oder liefert, und dadurch wissentlich eine Gefahr für Leib oder Leben oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert herbeiführt, soweit diese Folgen mit Strahlungsvorgängen zusammenhängen. Nicht wissentliche Herbeiführung führt zur Strafmilderung, die leichtfertige Herbeiführung des Todes eines Menschen oder andere schwere Folgen führen zu einer erhöhten Strafbarkeit (von einem Jahr bis zu zehn Jahren).

10. Unerlaubtes Betreiben von Anlagen (§ 327 StGB) Durch diese Vorschrift sind die bisher bestehenden Bestimmungen aus dem Bereiche des Atomschutzes, des Immissionsschutzes und der Abfallbeseitigung zusammengefaßt worden. Danach wird bestraft, wer kerntechnische Anlagen betreibt, eine kerntechnische Anlage betriebsbereit innehat, eine solche abbaut oder wesentlich ändert (bzw. eine stillgelegte Anlage innehat oder abbaut), sowie jeder, der genehmigungsbedürftige Anlagen im Sinne des BImSchG oder Abfallbeseitigungsanlagen im Sinne des AbfG betreibt, ohne die entsprechenden Genehmigungen hierfür zu besitzen. Auch wer entgegen einer vollziehbaren Untersagung eine der hier genannten Handlungen vornimmt, wird belangt. Fahrlässiges Handeln ist ebenso wie vorsätzliches Handeln strafbar. Neu an dieser Bestimmung ist, daß nunmehr die Errichtung einer kerntechnischen Anlage nicht mehr strafbar ist, dagegen ein Verstoß gegen eine Untersagung mit Strafe bedroht wird. Auch der Abbau kerntechnischer Anlagen ist strafbar, sofern hierfür keine Genehmigung vorliegt.

11. Unerlaubter

Umgang mit (§ 328 StGB)

Kernbrennstoffen

Wer in irgendeiner Weise mit Kernbrennstoffen umgeht, bedarf der Genehmigung, er muß diesen Umgang einstellen, wenn es untersagt wird: Das ist der wesentliche Grundsatz dieser Bestimmung, die bisherige Vorschriften gleicher Art zusammenfaßt. Abs. 1 Ziff. 1 legt fest, daß - außerhalb kerntechnischer Anlagen, die ja behördlich genehmigt sein müssen - jede Bearbeitung, Verarbeitung, oder Verwendung von Kernbrennstoffen genehmigt sein muß, von dem genehmigten Verfahren darf nicht abgewichen werden. Auch dürfen genehmigte Betriebsstätten nicht geändert werden.

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Ziff. 2 legt fest, daß jede Aufbewahrung dieser Stoffe außerhalb von kerntechnischen Anlagen, jede Beförderung, Verbringung, Ein- und Ausfuhr genehmigungspflichtig ist. Abs. 2 verlangt die unverzügliche Ablieferung dieser Stoffe, sofern nach dem Atomgesetz dazu eine Verpflichtung besteht. Eine Herausgabe an Unberechtigte ist nicht statthaft. Auch fahrlässiges Handeln ist strafbar.

12. Gefährdung durch Transport gefährlicher Güter Luft-, Boden- und Gewässerverunreinigungen können auch durch Unfälle beim Transport gefährlicher Güter bzw. durch technische Mängel der Transportfahrzeuge entstehen. Das Gesetz über die Beförderung gefährlicher Güter v. 6. 8. 1975 (BGBl. I, S. 2121) ermächtigte daher die Bundesregierung, Verordnungen über die Zulassung solcher Güter, ihre Verpackung, den Bau und die Ausrüstung der Transportmittel und -fahrzeuge sowie das Verhalten während solcher Transporte zu regeln. Das Gesetz bezieht sich auf solche Güter, die auf Grund ihrer Natur, Eigenschaften und ihres Zustandes Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, für wichtige Gemeingüter, Leben und Gesundheit von Menschen sowie für Tiere und andere Sachen bilden können. Die dazu ergangenen Verordnungen regeln Bau, Beschaffenheit und Ausrüstung der Transportfahrzeuge. Besondere Bedeutung kommt der äußerlich sichtbaren Kennzeichnung der (Tank-) Straßentransportfahrzeuge zu, aus der die Art der jeweiligen Gefahr sowie der transportierte Stoff hervorgehen. Darüber hinaus sind Unfallmerkblätter mitzuführen, die Auskunft über die zu ergreifenden Maßnahmen bei Unfällen geben müssen, schließlich besteht beim Freiwerden der gefährlichen Stoffe eine Meldepflicht an die nächste Polizeidienststelle. Eine technische Untersuchung in verkürzten Abständen bei Tankfahrzeugen soll technischen Mängeln rechtzeitig begegnen. Dennoch weisen bei überraschenden Kontrollen derartige Fahrzeuge immer wieder erhebliche technische Mängel auf, die zu Umweltgefährdungen führen können. Verstöße gegen die Verordnungen auf diesem Gebiet sind Ordnungswidrigkeiten, im übrigen kommen die Straftaten des 28. Abschnitts StGB (Straftaten gegen die Umwelt) in Betracht.

F. Kriminalistik der Umweltdelikte Für die Überwachung der Umweltschutzvorschriften sind zunächst die einzelnen Fachbehörden zuständig: Das sind die Gewerbeaufsichtsämter (Luftreinhaltung, Lärmbekämpfung, Strahlen-

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schütz), die Wasserwirtschaftsämter (Wasserreinhaltung), die Ordnungsbehörden der Gemeinden (Abfallbeseitigung), Gesundheitsämter (Umweltchemikalien), die Kreisbehörden (Naturschutz, Landschaftspflege, Städte- und Wohnungsbau, Bauplanung), Straßenverkehrsbehörden (u. a. Verkehrslärm, Verkehr, Transport gefährl. Güter) sowie die ihnen übergeordneten Behörden auf der E b e n e der Regierungsbezirke und Bundesländer. Daneben bestehen in den einzelnen Bundesländern spezielle Landesbehörden bzw. Institute, Zentralstellen und Untersuchungsämter zur Regelung zentraler Aufgaben, Erstellung von Gutachten, wissenschaftlichen Untersuchungen. Eine lückenlose Einhaltung der Umweltschutzvorschriften setzt allerdings auch eine lückenlose Überwachung voraus. Diese kann beispielsweise durch ein Meßnetz für Luftverunreinigungen mit automatischer Weitergabe der Meßdaten und Alarmgebung bei Überschreitung bestimmter Werte erfolgen. Derartige Meßnetze bestehen zum Teil. Soweit sie nicht existieren, ist die Kontrolle durch mobile Meßstationen (Meßwagen) erforderlich, die auch außerhalb der üblichen Arbeitszeiten und auf Grund ihnen überbrachter Meldungen an Ort und Stelle Messungen vornehmen können. Bei der Gewässerüberwachung sind derartige Netze kaum möglich. Hier lassen sich praktisch nur an der Stelle der gewerblichen Einleitung von Abwässern Meßstationen einrichten. Allerdings ist eine lückenlose Überwachung aller Gewässer undenkbar. Ähnlich liegen die Dinge bei der Lärmbekämpfung und bei der Überwachung der Abfallbeseitigung. In all diesen Fällen liegt die Einhaltung der Umweltbestimmungen praktisch in der Hand der Bevölkerung selbst bzw. bedarf der Hilfe und Unterstützung durch die Polizeibehörden: Nur diese sind in der Lage, jederzeit auf die Einhaltung der Umweltschutzvorschriften zu achten und Meldungen über verdächtige Vorkommnisse weiterzugeben, um die Fachbehörden zu verständigen bzw. zu alarmieren. So haben denn auch einige Länder Spezialdienststellen für die Überwachung der Umweltbestimmungen geschaffen und Ausbildungsveranstaltungen für die damit betrauten Beamten durchgeführt (z. B . Baden-Württemberg, Niedersachsen, Hessen, Baden-Württemberg verfügen über ein mobiles Umweltschutzkommando). Die Dienststellen der Wasserschutzpolizei aller Bundesländer achten auf ihren Kontrollfahrten auch auf Wasserverunreinigungen und nehmen Wasserproben. Soweit es sich um die kriminalpolizeiliche Ermittlung von Umweltdelikten handelt, bestehen in allen Bundesländern - ebenso wie bei den Staatsanwaltschaften - Spezialdienststellen. Die Bekämpfung des Straßenverkehrslärms schließlich liegt nahezu ausschließlich in den Händen der Polizei, ebenso wie die Überwachung des Transports gefährlicher Güter. Ohne eine solche gezielte und umfassende Beobachtung gefährlicher Umwelterscheinungen

ließe sich eine Einhaltung der bestehenden Vorschriften nicht garantieren. Das lebendige Umweltbewußtsein der Bevölkerung ist ebenfalls notwendige Voraussetzung dafür, denn ohne die Mitteilung über etwaige Umweltgefahren wäre die Einschaltung der Polizei und der Fachbehörden die möglichst umgehend erfolgen sollte - nicht möglich. Umweltdelikte lassen sich nämlich nur durch eine sofortige Beweissicherung aufklären. Sie erfordert zunächst einmal die Entnahme von Proben (Wasserproben, Bodenproben, Proben des Abfalles, Lärmmessungen, Messungen der Luftverunreinigungen). Eile ist in solchen Fällen geboten, da oft genug in der nächsten Stunde die festzustellenden Schadstoffe abgeflossen, verweht sind oder aus sonstigen Gründen nicht mehr gemessen werden können. Daher sind mobile Meßstationen (Meßwagen) dringend notwendig, die jederzeit zum Einsatz gelangen können. Für die Probennahmen selbst sind Spezialgeräte erforderlich. Soweit eine entsprechende Ausbildung vorliegt, können die Polizeibeamten selbst derartige Proben entnehmen bzw. sichern (zu Lärmmessungen ist jede Verkehrsüberwachungsstelle der Polizei in der Lage, soweit es sich um Verkehrslärm handelt). Zur Beweissicherung gehört auch die Fotografie des Tatortes, die Absperrung und Sicherung gegen Veränderungen (etwa gegen die Wegschaffung von Abfällen, Chemikalien usw.), die Sicherstellung sonstiger Beweise (verendete Fische, sonstige Tiere, Kleidungsstücke usw.) und die Feststellung etwaiger Zeugen (Beobachtungen über sichtbare Erscheinungen, Mitteilungen über verdächtige Personen, Fahrzeuge, Beschäftigte von Betrieben usw.). Gehen Umweltverunreinigungen auf betriebliche Schäden, Unfälle, Mängel zurück, ist die Feststellung der am Tatort anwesenden Personen (Betriebspersonal, Aufsichtspersonal) sowie der betroffenen Werksanlagen erforderlich. D i e Erhebung weiterer Beweise erstreckt sich auch auf die Einsichtnahme in schriftliche Unterlagen, aus denen die Termine und Zeiten früherer Kontrollen und der Überwachung der Betriebssicherheit hervorgehen, auch lassen sich hieraus Erkenntnisse über bereits früher aufgetretene Mängel und deren Beseitigung gewinnen. Soweit das Umweltdelikt auf gewerbliche oder betriebliche Ursachen zurückgeht, müssen die Verantwortungsbereiche der beteiligten Personen genauestens abgeklärt werden. Die Zeugenbefragung ist in solchen Fällen oft besonders delikat wegen der betrieblichen Abhängigkeiten. Umweltschutzauflagen kosten darüber hinaus Geld und verteuern die Produktion. Wie bisherige Fälle gezeigt haben, ist auch stillschweigende Duldung oder unterlassene Kontrolltätigkeit von Überwachungsbehörden möglich und schadensursächlich. Aussagen jeder Art sollten durch Sachverständigengutachten überprüft und geklärt werden. Dabei

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Umweltkriminalität ist daran zu denken, die nötigen Sachverständigen frühzeitig heranzuziehen, damit nicht etwa erforderliche Ermittlungshandlungen, die später kaum mehr nachholbar sind, unterbleiben. Auf dem Gebiete des Strahlenschutzes sind Messungen der Radioaktivität in der Umgebung von Kernkraftwerken vorgeschrieben und erfolgen regelmäßig. Verstöße gegen die Vorschriften ergeben sich fast nur bei Unfällen, Wartungsfehlern oder technischen Mängeln bei sonstigen Geräten und Anlagen, die ionisierende Strahlen emittieren: Ob eine Emission erfolgt, läßt sich in diesen Fällen durch entsprechende Meßgeräte, die Katastrophendiensten und der Polizei zur Verfügung stehen, feststellen. Zudem verfügen diese Stellen über Dekontaminationseinrichtungen . Strahlenmedizinische Hilfen sind außerdem überall leicht erreichbar. Für die Feststellung der Mängel ist die Sicherstellung der Geräte, Einrichtungen, Transportvorrichtungen bis zur Untersuchung durch den Fachmann (Technische Überwachungsvereine, Gewerbeaufsichtsämter) notwendig. Die Umweltschutzgesetze und -Verordnungen schreiben in der Regel die Führung von Büchern oder sonstigen Nachweisen über Kontrollen, Überprüfungen, Meßwerte usw. vor. Derartige Nachweise spielen bei der Ermittlung von Straftatbeständen und der Prüfung der Frage des Vorsatzes bzw. der Fahrlässigkeit eine wichtige Rolle. Sie müssen daher in die Beweisführung einbezogen werden. Erfahrungsgemäß ist jedoch mitunter damit zu rechnen, daß beim Auftreten von Schadensfällen nachträgliche Eintragungen, Fälschungen oder Verfälschungen erfolgen, um den wahren Sachverhalt und die Feststellung des tatsächlichen Verschuldens zu verschleiern. In dieser Hinsicht können also kriminaltechnische Untersuchungen notwendig werden. Umweltschutz kostet Geld. Vorsätzliches Handeln kommt daher dann vor, wenn wirtschaftliche oder finanzielle Vorteile maßgebend für Vergehen gegen die Umweltbestimmungen sind. Das kann sowohl bei Produktions- wie Verarbeitungs- und Transportfirmen das Motiv sein. Aber auch Firmen, die sich mit der Abfallbeseitigung und Verwertung, mit dem Abtransport gefährlicher Stoffe und deren Vernichtung befassen - also eigentlich im Dienste des Umweltschutzes stehen - können, wie sich gezeigt hat, z. T. in erheblichem Maße gegen die Umweltgesetze verstoßen, indem sie ordnungsgemäße Verwertung usw. lediglich anbieten oder vorspiegeln, tatsächlich aber (aus Kostengründen bzw. um günstigere Angebote machen zu können) kriminelle Lagerungen oder Beseitigungen vornehmen, durch die mitunter Todesfälle oder erhebliche Gesundheitsbeschädigungen verursacht werden. Fahrlässiges Handeln geht zumeist zurück auf Bequemlichkeiten, Unachtsamkeit und mangelnde Kontrolle. Fahrlässigkeit spielt bei Verstößen gegen die Umweltschutzbestimmungen die zahlenmä-

ßig größte Rolle. Immer wieder kommt es aber auch vor, daß Unkenntnis der Gefahrenherde zu gefährlichen Folgen führt. Auch wird oft verkannt, daß angesichts der unvermeidbaren Belastung mit Gift- und Schadstoffen aller Art früher als unbedenklich angesehene Prozesse heutzutage lebensgefährlich sein können. So wurde im Raum von Hagen/Westf. jahrelang der Klärschlamm der örtlichen Ruhrverbandskläranlage von den Landwirten als beliebtes Düngemittel auf die Felder gebracht. Zufällig bemerkte das ein fachlich versierter Beamter des Stadtentwässerungsamtes und schlug Alarm: Aus seiner früheren Tätigkeit in einem anderen Bundesland wußte er, daß Klärschlamm in der Regel mit Cadmium verseucht ist. So war es auch hier: Die Düngung wurde sofort eingestellt. Das Getreide dieser Felder wurde vernichtet, da es für die menschliche Ernährung nicht geeignet war. Zwar war das Getreide für das Vieh bestimmt, aber ob es in den letzten 10 Jahren nicht auch der menschlichen Ernährung - trotz der 100 mg im Acker und der 200 mg im Schlamm (Grenzwert 3 mg pro kg Trockenmasse im Boden) - gedient hat, läßt sich nicht mehr klären. Seit 1975 wurde in Westfalen - aber auch in anderen Gegenden sowie im europäischen Ausland - bei der Zementherstellung Eisenoxid verwendet, das, aus Schwefelkies stammend, Thallium enthält. Das Thallium wurde nun im Abgasabscheider nicht zurückgehalten, sondern - in konzentrierter Form emittiert und geriet in den Nahrungskreislauf. Es kam zu Tierverendungen und Pflanzenschäden, die erst im Jahre 1979 dazu führten, daß die Besitzer Laboratoriumsuntersuchungen verlangten. Dabei stellte man Thallium Vergiftung fest; die Ermittlungen ergaben, daß das Thallium aus den Abgasen der Zementindustrie stammte. Daß es vorhanden war und in die Umwelt gelangte, war offenbar gar nicht bekannt. Die Schäden wurden auf die Witterung zurückgeführt. Es ergab sich, daß die bestehenden Informations- und Auskunftspflichten der Betreiber nicht ausreichten und die Bestimmungen enger gefaßt werden mußten.

Lehrbücher,

Monographien,

Sammelwerke

Ahlhaus, Boldt, K l e i n : Taschenlexikon Umweltschutz. 2. Aufl. Düsseldorf 1979. A . B e r n a t z k i , O. B ö h m , Bundesnaturschutzrecht. Loseblattsammlung. Stand: 1979. Wiesbaden 1979. Aurand, Hasselbarth, Lahmann, Müller, Niemitz: Organische Verunreinigungen der Umwelt. Berlin 1978. V . C h a r b o n n i e r , E . S t a c h e l s : Betrieb und Umwelt. Berlin 1977. F. J. D r e y h a u p t : Handbuch für Immissionsschutzbeauftragte. Köln 1978. G . F e l d h a u s : Bundesimmissionsschutzrecht. Berlin, Wiesbaden 1970. G i e s e k e , W i e d e m a n n , C z y c h o w s k i : Wasserhaushaltsgesetz. München 1979.

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Kriminalistik

H ö s e l , v . L e r s n e r : Recht der Abfallbeseitigung. Berlin 1979. M. K l o e p f e r : Deutsches Umweltschutzrecht. Loseblattsammlung. Stand: 1980. Percha/Starnberger See 1980. W. L e i t h e : Die Analyse der organischen Verunreinigungen in Trink-, Brauch- und Abwässern. 2. Aufl. Stuttgart 1975. W. L e i t h e : Die Analyse der Luft und ihrer Verunreinigungen. 2. Aufl. Stuttgart 1974. W. L e i t h e : Umweltschutz aus der Sicht der Chemie. Stuttgart 1975. G. M i c h e l s e n u. a.: Der Fischer-Öko-Almanach. Frankfurt 1980. J . N e u m a n n : Lärmmeßpraxis. 2. Aufl. Grafenau 1975. G. O l s c h o w y : Natur- und Umweltschutz in der Bundesrepublik Deutschland. Hamburg 1978. H. R e u t e r : Überwachungsbedürftige Anlagen. Wiesbaden 1980. H. J . S a c k : Umweltschutz-Strafrecht. Loseblattsammlung. Stand: 1979. Stuttgart 1979. D. S m i d t : Reaktor-Sicherheitstechnik. Berlin 1979. K. S c h ä f e r : Recht der umweltgefährlichen Stoffe. Wiesbaden 1980. J . T h o m a s , R . W i e d e m a n n : Immissionsschutz-Wegweiser. Loseblattsammlung. Stand: 1980. Berlin 1980. U l e : Bundes-Immissionsschutzgesetz. Loseblattsammlung. Stand: 1979. Neuwied 1979. K. P. W i n t e r s : Atom- und Strahlenschutzrecht. München 1978.

Zeitschriftenaufsätze

(Auswahl)

G. B a u e r : Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen. Leitsätze für die Öffentlichkeit. Sicherheitsreport 3 (1978), Heft 3. S.37. G. B a u e r : Schutz und Hilfe gegen die künstliche Strahlenexposition. Sicherheitsreport 4 (1979) Heft 2. S. 18. Breuer: Die Entwicklung des Wasser- und Abfallrechts 1974-1976. NJW 30 (1977), S. 1174. B r e u e r : Die Entwicklung des Umweltschutzrechts seit 1977. NJW 32 (1979), S. 1862. B r e u e r : Die Entwicklung des Atomrechts 1974-1976. NJW 30 (1977), S. 1121. W. K o e l z e r : Technische Sicherheit von Kernkraftwerken und polizeiliche Maßnahmen bei Unfällen. Sicherheitsreport 3 (1978), Heft 1, S. 21. H. J . S a c k : Das Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität. NJW 33 (1980), S. 1424. D . S e i l n e r : Zum Vorsorgegrundsatz im BImSchG. NJW 33 (1980), S. 1255. K. W e r n i c k e : Das neue Wasserstrafrecht, NJW 30 (1977), S.1662.

Materialien B u n d e s k r i m i n a l a m t : Polizeiliche Kriminalstatistik 1975-1979. Wiesbaden 1976, 1977, 1978, 1979, 1980. B u n d e s m i n i s t e r d e s I n n e r e n : Umweltbrief Nr.20: Bericht über die Auswirkungen von Luftverunreinigungen auf das globale Klima. Bonn 1980. B u n d e s m i n i s t e r d e s I n n e r e n : Umweltbrief Nr. 21: Umweltforschungsbericht. Bonn 1980. B u n d e s m i n i s t e r d e s I n n e r e n : Aktionsprogramm Lärmbekämpfung. Bonn 1980. B u n d e s m i n i s t e r f ü r F o r s c h u n g und T e c h n o l o g i e : Zur friedlichen Nutzung der Kernenergie. 2. Aufl. Bonn 1978. B u n d e s m i n i s t e r f ü r F o r s c h u n g u . T e c h n o l o g i e : Kernenergie. 3. Aufl. Bonn 1978. D e u t s c h e r B u n d e s t a g : Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines 16. Strafrechtsänderungsgesetzes. Bundestagsdrucksache 8/2382 v. 13. 12. 1978. Bonn 1978. U m w e l t b u n d e s a m t : Was Sie schon immer über Umweltchemikalien wissen wollten. 2. Aufl. Bonn 1980. GÜNTHER

BAUER

KRIMINALISTIK I. DAS ARBEITSFELD DER KRIMINALISTIK Die Kriminalistik als Lehre von der repressiven und präventiven Verbrechensbekämpfung gliedert sich in die Arbeitsgebiete Kriminaltaktik, Kriminaltechnik, Vernehmungstaktik und -technik, Datenerhebung und Auswertung (Statistik, EDV, Meldewesen), Fahndung und Observation, Präventionsaufgaben (einschl. Öffentlichkeitsarbeit), Kriminaldienstkunde und Organisation der Verbrechensbekämpfung. Sie ist dabei angewiesen auf die Grundlagen und Erkenntnisse der Strafrechts- und Strafprozeßrechtswissenschaft, der Kriminologie (Ätiologie und Phänomenologie), "des Strafvollzugsrechts, sowie - vor allem im Bereich der Auswertung kriminaltechnischer Erhebungen - auf die Biologie, Medizin (Rechtsmedizin und forensische Psychiatrie), Physik, Chemie, Psychologie und Soziologie (—* Kriminologie, —» Kriminaltaktik, —> Kriminaltechnik, —» Kriminalsoziologie). Besondere Bedeutung haben für die Verbrechensbekämpfung die Ergebnisse kriminalgeographischer Untersuchungen gewonnen, die in der Nachkriegszeit zunächst von Herold veröffentlicht wurden. Die dann einsetzenden umfangreichen Untersuchungen von Schwind (—» Kriminalgeographie) haben auch für die Praxis der Verbrechensbekämpfung wesentliche Hilfen ergeben. In gleicher Weise ist die Lehre vom Opfer (Viktimologie) für die Kriminalistik wegweisend geworden (—> Viktimologie), die auf von Hentigs Arbeit „The Criminal and His Victim" zurückgeht und die - als wissenschaftliche Disziplin - wesentlich von Hans Joachim Schneider weitergeführt wurde (für den Bereich der Kriminalistik siehe Bauer 1973). Auch die Prävention - seit jeher als wichtige Aufgabe der Kriminalistik betrachtet - hat in den letzten Jahren einen bedeutsamen Anteil der praktischen Verbrechensbekämpfung gewonnen und ist über die bloße Einrichtung von Beratungsstellen hinaus zu einer umfassenden Aufklärung, Unterrichtung und Beratung der Bevölkerung ausgestaltet worden.

II. ORGANISATIONS- UND PERSONALFRAGEN A. Das Sicherheitsprogramm Die zunehmende Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere auch der politisch motivierte Terror, gaben Anlaß, Aufgaben, Verwendung, Organisation und Ausbildung der Polizei neu zu durchdenken. Die „Ständige Konferenz der Innenminister/-senatoren des Bundes und der Länder" hat das Ergebnis dieser Überlegungen erstmals im Juni 1972 als „Programm für die Innere

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Kriminalistik

H ö s e l , v . L e r s n e r : Recht der Abfallbeseitigung. Berlin 1979. M. K l o e p f e r : Deutsches Umweltschutzrecht. Loseblattsammlung. Stand: 1980. Percha/Starnberger See 1980. W. L e i t h e : Die Analyse der organischen Verunreinigungen in Trink-, Brauch- und Abwässern. 2. Aufl. Stuttgart 1975. W. L e i t h e : Die Analyse der Luft und ihrer Verunreinigungen. 2. Aufl. Stuttgart 1974. W. L e i t h e : Umweltschutz aus der Sicht der Chemie. Stuttgart 1975. G. M i c h e l s e n u. a.: Der Fischer-Öko-Almanach. Frankfurt 1980. J . N e u m a n n : Lärmmeßpraxis. 2. Aufl. Grafenau 1975. G. O l s c h o w y : Natur- und Umweltschutz in der Bundesrepublik Deutschland. Hamburg 1978. H. R e u t e r : Überwachungsbedürftige Anlagen. Wiesbaden 1980. H. J . S a c k : Umweltschutz-Strafrecht. Loseblattsammlung. Stand: 1979. Stuttgart 1979. D. S m i d t : Reaktor-Sicherheitstechnik. Berlin 1979. K. S c h ä f e r : Recht der umweltgefährlichen Stoffe. Wiesbaden 1980. J . T h o m a s , R . W i e d e m a n n : Immissionsschutz-Wegweiser. Loseblattsammlung. Stand: 1980. Berlin 1980. U l e : Bundes-Immissionsschutzgesetz. Loseblattsammlung. Stand: 1979. Neuwied 1979. K. P. W i n t e r s : Atom- und Strahlenschutzrecht. München 1978.

Zeitschriftenaufsätze

(Auswahl)

G. B a u e r : Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen. Leitsätze für die Öffentlichkeit. Sicherheitsreport 3 (1978), Heft 3. S.37. G. B a u e r : Schutz und Hilfe gegen die künstliche Strahlenexposition. Sicherheitsreport 4 (1979) Heft 2. S. 18. Breuer: Die Entwicklung des Wasser- und Abfallrechts 1974-1976. NJW 30 (1977), S. 1174. B r e u e r : Die Entwicklung des Umweltschutzrechts seit 1977. NJW 32 (1979), S. 1862. B r e u e r : Die Entwicklung des Atomrechts 1974-1976. NJW 30 (1977), S. 1121. W. K o e l z e r : Technische Sicherheit von Kernkraftwerken und polizeiliche Maßnahmen bei Unfällen. Sicherheitsreport 3 (1978), Heft 1, S. 21. H. J . S a c k : Das Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität. NJW 33 (1980), S. 1424. D . S e i l n e r : Zum Vorsorgegrundsatz im BImSchG. NJW 33 (1980), S. 1255. K. W e r n i c k e : Das neue Wasserstrafrecht, NJW 30 (1977), S.1662.

Materialien B u n d e s k r i m i n a l a m t : Polizeiliche Kriminalstatistik 1975-1979. Wiesbaden 1976, 1977, 1978, 1979, 1980. B u n d e s m i n i s t e r d e s I n n e r e n : Umweltbrief Nr.20: Bericht über die Auswirkungen von Luftverunreinigungen auf das globale Klima. Bonn 1980. B u n d e s m i n i s t e r d e s I n n e r e n : Umweltbrief Nr. 21: Umweltforschungsbericht. Bonn 1980. B u n d e s m i n i s t e r d e s I n n e r e n : Aktionsprogramm Lärmbekämpfung. Bonn 1980. B u n d e s m i n i s t e r f ü r F o r s c h u n g und T e c h n o l o g i e : Zur friedlichen Nutzung der Kernenergie. 2. Aufl. Bonn 1978. B u n d e s m i n i s t e r f ü r F o r s c h u n g u . T e c h n o l o g i e : Kernenergie. 3. Aufl. Bonn 1978. D e u t s c h e r B u n d e s t a g : Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines 16. Strafrechtsänderungsgesetzes. Bundestagsdrucksache 8/2382 v. 13. 12. 1978. Bonn 1978. U m w e l t b u n d e s a m t : Was Sie schon immer über Umweltchemikalien wissen wollten. 2. Aufl. Bonn 1980. GÜNTHER

BAUER

KRIMINALISTIK I. DAS ARBEITSFELD DER KRIMINALISTIK Die Kriminalistik als Lehre von der repressiven und präventiven Verbrechensbekämpfung gliedert sich in die Arbeitsgebiete Kriminaltaktik, Kriminaltechnik, Vernehmungstaktik und -technik, Datenerhebung und Auswertung (Statistik, EDV, Meldewesen), Fahndung und Observation, Präventionsaufgaben (einschl. Öffentlichkeitsarbeit), Kriminaldienstkunde und Organisation der Verbrechensbekämpfung. Sie ist dabei angewiesen auf die Grundlagen und Erkenntnisse der Strafrechts- und Strafprozeßrechtswissenschaft, der Kriminologie (Ätiologie und Phänomenologie), "des Strafvollzugsrechts, sowie - vor allem im Bereich der Auswertung kriminaltechnischer Erhebungen - auf die Biologie, Medizin (Rechtsmedizin und forensische Psychiatrie), Physik, Chemie, Psychologie und Soziologie (—* Kriminologie, —» Kriminaltaktik, —> Kriminaltechnik, —» Kriminalsoziologie). Besondere Bedeutung haben für die Verbrechensbekämpfung die Ergebnisse kriminalgeographischer Untersuchungen gewonnen, die in der Nachkriegszeit zunächst von Herold veröffentlicht wurden. Die dann einsetzenden umfangreichen Untersuchungen von Schwind (—» Kriminalgeographie) haben auch für die Praxis der Verbrechensbekämpfung wesentliche Hilfen ergeben. In gleicher Weise ist die Lehre vom Opfer (Viktimologie) für die Kriminalistik wegweisend geworden (—> Viktimologie), die auf von Hentigs Arbeit „The Criminal and His Victim" zurückgeht und die - als wissenschaftliche Disziplin - wesentlich von Hans Joachim Schneider weitergeführt wurde (für den Bereich der Kriminalistik siehe Bauer 1973). Auch die Prävention - seit jeher als wichtige Aufgabe der Kriminalistik betrachtet - hat in den letzten Jahren einen bedeutsamen Anteil der praktischen Verbrechensbekämpfung gewonnen und ist über die bloße Einrichtung von Beratungsstellen hinaus zu einer umfassenden Aufklärung, Unterrichtung und Beratung der Bevölkerung ausgestaltet worden.

II. ORGANISATIONS- UND PERSONALFRAGEN A. Das Sicherheitsprogramm Die zunehmende Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere auch der politisch motivierte Terror, gaben Anlaß, Aufgaben, Verwendung, Organisation und Ausbildung der Polizei neu zu durchdenken. Die „Ständige Konferenz der Innenminister/-senatoren des Bundes und der Länder" hat das Ergebnis dieser Überlegungen erstmals im Juni 1972 als „Programm für die Innere

Kriminalistik Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland" vorgelegt und veröffentlicht. Im Februar 1974 ist dieses Programm dann in seiner endgültigen und ergänzten Form verabschiedet worden. Es bildete die Grundlage für die Reform der deutschen Polizei und des Verfassungsschutzes. Die Grundzüge dieser Reform, soweit sie die Verbrechensbekämpfung betreffen, bilden die nachstehenden Thesen, die durch die Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und der Länder weitgehend verwirklicht wurden. B. Aufgaben der Kriminalpolizei Der Sicherheitsauftrag der Polizei umfaßt den gesamten Bereich der Verbrechensbekämpfung also die Verbrechensverhütung und die Strafverfolgung. Schutz- und Kriminalpolizei sind gemeinsam Träger dieser Aufgabe. Dem entspricht die Forderung nach weitgehender organisatorischer Integration von Schutz- und Kriminalpolizei. Wer im einzelnen die Ermittlungen führt, ist eine Zweckmäßigkeitsfrage. Die Schutzpolizei bearbeitet in der Mehrzahl der Länder die kleine und mittlere Kriminalität selbständig. Außerdem obliegt ihr in allen Ländern die Bearbeitung der Ordnungswidrigkeiten, die im Zuge der Strafrechtsreform große Teile der bisherigen Bagatellkriminalität umfassen, sowie die Bearbeitung von Verkehrsstraftaten. Die Kriminalpolizei ermittelt in den Strafsachen, in denen ihre besonderen Kenntnisse und Möglichkeiten von überwiegender Bedeutung sind. Dies sind mindestens folgende Deliktsgruppen: Nicht natürliche Todesfälle (außer Verkehrstote), Staatsschutzdelikte, Rauschgift-, Falschgeld-, Sittlichkeitsdelikte, Brandstiftung, Explosionen, Sprengstoffdelikte, Raub und Erpressung, Wirtschaftsstraftaten, illegaler Waffenhandel, schwere Fälle des Diebstahls, Glücksspiel. In größeren Städten kann der Kriminalpolizei jedoch die Bearbeitung aller Verbrechen und Vergehen zugewiesen werden. In allen ländlichen und städtischen Gebieten obliegt der Schutzpolizei in den der Kriminalpolizei zugewiesenen Aufgabenbereichen der erste Angriff und die Mitwirkung bei Fahndungen. Die Landeskriminalämter haben Weisungs- und Koordinierungsbefugnisse und die fachliche Aufsicht über die strafverfolgende Tätigkeit der Polizeidienststellen, sofern die Aufsicht nicht von den obersten Landesbehörden selbst wahrgenommen wird (Landeskriminaldirektoren in den Innenministerien). Der Schwerpunkt der Arbeit der Landeskriminalämter liegt nicht in der Ermittlungstätigkeit. Sie haben indes u. a. auch die Aufgabe, überörtliche Ermittlungsverfahren bestimmten Polizeibehörden zuzuweisen und die Ermittlungen der Polizeidienststellen miteinander zu koordinieren. In Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt und der Polizei-Führungsakademie haben sie die Fort-

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bildung und Spezialausbildung der in der Verbrechensbekämpfung tätigen Beamten zu betreiben. Originär zuständig sind die Landeskriminalämter für Ermittlungen im überörtlichen Rauschgifthandel, in der Falschgeldherstellung, beim illegalen Waffenhandel und bei Staatsschutzdelikten. Subsidiär zuständig sind sie dann, wenn ihnen durch die Innenministerien, Gerichte, Staatsanwaltschaften oder Polizeidienststellen Ermittlungsaufgaben (zumeist überörtlicher Art) zugewiesen oder übertragen werden sollen. Die Innenminister behalten sich jedoch in diesen Fällen die endgültige Zustimmung bei Zuweisungen anderer Behörden vor. Die Landeskriminalämter können auch überörtliche Verfahren an sich ziehen, auch hier besteht der Zustimmungsvorbehalt der Innenminister. Im übrigen sind die Landeskriminalämter: - Zentrale Nachrichtensammei- und Auswertestellen, - Zentralstellen für Kriminalstatistik, - Zentralstellen für Kriminaltechnik und Erkennungsdienst, - Leitstellen für die überörtlichen Fahndungen, - Zentralstellen für den Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung, - Zentralstellen für Beratung und Vorbeugung. Das Bundeskriminalamt (BKA) ist die Informations- und Kommunikationszentrale der deutschen Polizei für die Verbrechensbekämpfung. Das Schwergewicht seiner Tätigkeit liegt in der Unterstützung der Länder durch Spezialisten und Spezialeinrichtungen. Seine Aufgaben als Zentralstelle sind - Nachrichtensammlung und Auswertung, - Zentralstelle für den Erkennungsdienst, - Zentralstelle für den elektronischen Datenverbund zwischen Bund und Ländern zu polizeilichen Zwecken, - Koordinierungsstelle für Kriminaltechnik, Kriminalstatistik, - Unterstützung der Länder in der Vorbeugungsarbeit, - Nationales Zentralbüro der Interpol, - Fortbildung auf den Gebieten der Kriminaltechnik, des Erkennungsdienstes, des Staatsschutzes und der Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität. Zuständig für Ermittlungen ist das BKA in folgenden Fällen: - International organisierter Handel mit Waffen, Munition, Sprengstoffen, Betäubungsmitteln, - international organisierte Herstellung oder Verbreitung von Falschgeld, die eine Sachaufklärung im Ausland erfordern. (In Fällen minderer Bedeutung kann die Staatsanwaltschaft im Benehmen mit dem BKA die Sache einer anderen sonst zuständigen Polizeidienststelle übertragen), - Straftaten gegen das Leben oder die Freiheit des Bundespräsidenten, Mitgliedern der Bun-

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Kriminalistik

desregierung, des Bundestages, Bundesverfassungsgerichts, Gäste der Verfassungsorgane des Bundes aus anderen Staaten, Leiter und Mitglieder der diplomatischen Vertretungen in besonderen Fällen, - Verfahren sonstiger Art, wenn die zuständige Landesbehörde darum ersucht, oder der Bundesinnenminister es aus schwerwiegenden Gründen anordnet oder der Generalbundesanwalt darum ersucht oder einen Auftrag erteilt. Dem BKA obliegt ferner der Schutz der Mitglieder der Verfassungsorgane des Bundes sowie der innere Schutz der Dienst- und Wohnsitze sowie der Aufenthaltsräume des Bundespräsidenten, der Mitglieder der Bundesregierung sowie in besonderen Fällen auch ihrer ausländischen Gäste. Darüber hinaus sind dem BKA durch Beschluß der Innenministerkonferenz vom 5. 8. 1977 zentrale Regelungsund Steuerungsbefugnisse auf dem Gebiete der Information und Operation übertragen worden. Der (persönliche) Schutz der Mitglieder der Verfassungsorgane wird durch die Sicherungsgruppe des BKA wahrgenommen, die in Bonn-Bad Godesberg ihren Sitz hat. Deren Tätigkeit erstreckt sich auch auf die Durchführung von Schutz- und Sicherungsaufgaben bei Staatsbesuchen (in Zusammenarbeit mit den Länderpolizeien) sowie auf die Durchführung von Sicherungsmaßnahmen an deutschen Vertretungen in Krisengebieten des Auslandes. Die Abteilung Staatsschutz des BKA befaßt sich mit der kriminalpolizeilichen Spionageabwehr (Landesverrat, landesverräterische bzw. geheimdienstliche Agententätigkeit) sowie mit Ermittlungen wegen Friedensverrats, Hochverrats und Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates sowie mit politisch motivierten Delikten von Ausländern. Die Abteilung Terrorismus (Kurzbezeichnung TE) des BKA hat den Auftrag, terroristische Gewalttaten zu verhindern bzw. aufzuklären und Terroristen zu ergreifen. Die Abteilung Terrorismus wurde 1975 geschaffen und gliedert sich in Ermittlungsreferate. Es besteht ein umfassendes Fahndungssystem, das den Strukturen der Terrorismusszene angepaßt ist. Dabei nehmen Maßnahmen zum frühzeitigen Erkennen von Planungen, Aufdecken der Logistik und Taktik und ein umfassender Informationsaustausch einen vorrangigen Platz ein. Die Zusammenarbeit mit den Ländern im Einsatzfalle ist durch einen Beschluß der Innenministerkonferenz aus dem Jahre 1978 im einzelnen geregelt.

C. Organisation Die bisherige unterschiedliche Organisation der Polizei - bedingt durch die seinerzeitigen Auffassungen der Besatzungsmächte und Traditionen der deutschen Länder - standen einer wirkungsvollen Zusammenarbeit zum Teil entgegen. Das Sicherheitsprogramm forderte daher eine in den Grund-

zügen einheitliche Organisation, deren Verwirklichung größtenteils bereits erfolgt ist. So sind Schutzpolizei und Kriminalpolizei schon auf der unteren Ebene organisatorisch unter eine Führung gestellt worden (untere Integrationsebene). Größere Zuständigkeitsbereiche und dadurch personalstärkere Dienststellen sind gebildet worden. Dabei wurden grundsätzlich die Grenzen der Gebietskörperschaften berücksichtigt; nur aus besonderen Gründen ist davon abgewichen worden. Von der Möglichkeit, die Zuständigkeitsgrenzen nach kriminalgeographischen Gesichtspunkten abzugrenzen (—» Kriminalgeographie D 1 b) hat man leider nur zum Teil Gebrauch gemacht. Kommunale Polizeistationen wurden weitgehend aufgelöst. Als einheitliche Organisationsgrößen sind vorgesehen: Untere Integrationsebene: Polizeipräsidium/Polizeidirektion. Merkmale: Gemeinsamer Leiter für Schutzpolizei und Kriminalpolizei, zentrale Führungsdienststelle, Größe des Dienstbereichs in Städten ca. 300000 Einwohner (die obere Grenze ist durch die Einwohnerzahl der Städte bedingt, in Nordrhein-Westfalen bilden Städte wie Köln, Dortmund, Essen jeweils ein Präsidium. In Bayern wird die Stadt München polizeilich durch ein Präsidium betreut, mithin läßt sich der Bereich bis zu 1 Mio. Einwohner durch eine Polizeibehörde abdecken). Die Dienststellen unterhalb eines Präsidiums sind die Schutzpolizeiinspektion bzw. Kriminalinspektion und die Polizeiwachen bzw. Kriminalkommissariate. Im ländlichen Bereich soll ein Präsidium ca. 30km Aktionsradius umfassen. Obere Integrationsebene: Landespolizeipräsidium/Regierungspräsidium (auch Landespolizeibehörde genannt). Merkmale: Zusammenfassung mehrerer Polizeipräsidien/Polizeidirektionen. Gewisse Funktionen der Kriminalpolizei können hier zentralisiert werden (Wirtschaftskriminalität, Einsatzkommissionen). Die' hier wiedergegebenen Richtlinien hinsichtlich der unteren und oberen Integrationsebene sind nur Anhaltswerte, die Bezeichnungen sind in den Bundesländern unterschiedlich. Ein „Polizeipräsidium" in Bayern umfaßt in der Regel einen Regierungsbezirk, faßt also Direktionen und Inspektionen zusammen, eine Kriminalpolizeidirektion in Schleswig-Holstein umfaßt ebenfalls mehrere „Kriminalpolizeistellen"; die genannte Kreispolizeibehörde ist obere Integrationsebene. Maßgeblich ist, daß nahezu überall der Grundsatz der gemeinsamen Leitung der unteren Integrationsebene durchgeführt wird und als obere Integrationsebene eine aufsichtsführende und leitende Dienststelle fungieren kann.

D. Personal, Laufbahn, Ausbildung Die seit 1945 übliche Einheitslaufbahn der Polizei ist inzwischen unterschiedlich weiterentwickelt worden. So ist heute der unmittelbare Einstieg in

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Kriminalistik den gehobenen und höheren Dienst der Kriminalpolizei möglich geworden (der übrigens nach 1918 auch schon möglich war). Voraussetzungen hierzu sind Abitur bzw. Fachhochschulreife, für den höheren Dienst ein abgeschlossenes Universitätsstudium. Aufstiegsbeamte aus dem mittleren Dienst absolvieren polizeiinterne Lehrgänge, die zum Laufbahnwechsel berechtigen. Fachhochschulen für Polizeibeamte, Lehrgänge an der Polizeiführungsakademie Münster-Hiltrup bereiten auf die Abschlußprüfungen für den gehobenen bzw. höheren Dienst vor. Die eigenverantwortliche, abschließende Ermittlungstätigkeit von Kriminalfällen besonderer Bedeutung stellt heute Anforderungen, die dem gehobenen Dienst zuzuordnen sind. So werden für die Tätigkeit im Bundeskriminalamt nur noch Beamte des gehobenen und höheren Dienstes verwendet, teilweise werden in den Bundesländern ebenfalls nur noch Anwärter für den gehobenen Kriminaldienst eingestellt. Die Tendenz geht dahin, kriminalpolizeiliche Tätigkeiten nur noch Beamten des gehobenen und höheren Dienstes zuzuweisen. Die Fortbildung der Beamten erfolgt auf Lehrgängen, Tagungen und Seminaren der Länder bzw. der Polizeiführungsakademie. Für die Bekämpfung von Fällen besonderer Gewaltkriminalität stellen die Länder Spezialeinheiten auf. Die Ausrüstung und Ausbildung erfolgt entsprechend den zu stellenden Anforderungen und nach einheitlichen Grundsätzen, so daß gemeinsame und parallele Einsätze möglich sind. Für den Bereich des Bundes unterhält der Bundesgrenzschutz eine Spezialeinheit zur Bekämpfung von Fällen besonderer Gewaltkriminalität. Ungeachtet der Polizeihoheit der Länder ist ein einheitliches Führungs- und Einsatzverhalten durch den Erlaß einheitlicher Dienstvorschriften gewährleistet. Vorschriften, Richtlinien, Erlasse usw. werden gemeinsam vorbereitet und dann in den einzelnen Bundesländern durch die Fachminister herausgegeben bzw. durch die Parlamente verabschiedet. Die Vorbereitung erfolgt, soweit es die Kriminalpolizei betrifft, durch die AG Kripo (Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Landeskriminalämter mit dem Bundeskriminalamt), die wiederum mit den Sicherheitsreferenten der Länder und der Ständigen Innenministerkonferenz zusammenarbeitet.

E. Jugendschutzmaßnahmen, weibliche Kriminalpolizei Die weibliche Kriminalpolizei - nach der Beendigung des 1. Weltkrieges geschaffen und nach der Beendigung des 2. Weltkrieges in allen Bundesländern wieder restituiert - sollte sich mit den Straftaten von Kindern und weiblichen Jugendlichen befassen, mit Gefährdetenaufgaben und generell mit Jugendschutzaufgaben.

Die Entwicklung der Jugendkriminalität und Jugendgefährdung brachte es jedoch mit sich, daß die gesamte Polizei sich mit diesem Problem befassen mußte und eine Spezialausbildung hierfür auch für männliche Beamte notwendig wurde. Zudem nahm die Kriminalität weiblicher Jugendlicher auf allen Deliktsgebieten erheblich zu, so daß eine Tataufklärung und Täterermittlung auch hier nur durch die Bearbeitung in Spezialkommissariaten - wie ja auch sonst bei der Kriminalpolizei - erfolgreich erschien. Der Verfassungsgrundsatz der gleichen Zugangsberechtigung der Frau zu allen Berufen gebot im übrigen auch bei der Polizei eine Änderung der bisherigen Organisation. So ist daher in den meisten Bundesländern die Organisationsform der weiblichen Kriminalpolizei aufgelöst worden, es werden Frauen genau wie Männer für alle Dienstzweige der Kriminalpolizei eingestellt und mit ausgezeichneten Ergebnissen auf allen Gebieten verwendet. Es kann auf die Mitwirkung weiblicher Beamter für alle Tätigkeiten auch schon deshalb nicht mehr verzichtet werden, weil die Beteiligung weiblicher Krimineller sich ebenfalls auf alle Delikte erstreckt und die von ihnen angewandte Verbrechenstechnik und -taktik sich kaum von der der männlichen Täter unterscheidet. Für die Bearbeitung der eigentlichen Jugendkriminalität wurden - soweit nicht bereits vorhanden - Spezialdienststellen geschaffen, die aus männlichen und weiblichen Sachbearbeitern bestanden, die eine Spezialausbildung absolviert hatten. Jugendschutz und Jugendkriminalität gehören im übrigen zum Stoff aller Ausbildungslehrgänge der Kriminalpolizei. Der Einsatz spezieller Jugendschutzbeamter auf der Straße und in bzw. an jugendgefährdenden Orten ist häufig auf die Kritik der mit Jugendhilfe betrauten Sozialarbeiter gestoßen, die - irrigerweis e - i n diesen Beamten ,Schnüffler' sahen. Dort, wo ideologiefrei jedoch sachliche Jugendarbeit geleistet wird, ist die enge Zusammenarbeit der Kriminalpolizei mit den Jugendämtern und Sozialdienststellen inzwischen gute Gewohnheit geworden. Sie findet in der Form regelmäßiger Zusammenkünfte, des Erfahrungsaustausches und der Zusammenarbeit im Einzelfall statt und erstreckt sich auch auf Kontakte zwischen Bewährungshelfern und Kriminalbeamten, um rechtzeitig Gefährdungen begegnen zu können. In Niedersachsen (Hannover) arbeiten Kriminalbeamte mit Sozialarbeitern auch räumlich eng zusammen in einem Gebäude. F. Internationale Zusammenarbeit Seit der Neugründung der IKPO im Jahre 1956 (anläßlich der 25. Tagung der früheren IKPK —» Kriminalpolizei) besteht diese Organisation aus der Generalversammlung, dem Exekutivkomitee (13 Personen, die jährlich zweimal zusammentreten),

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Kriminalistik

dem Generalsekretariat mit einem Generalsekretär und den Nationalen Zentralbüros (—> Internationale Verbrechensbekämpfung). Für die BRD ist das BKA in Wiesbaden Nationales Zentralbüro. Der IKPO gehören derzeit 130 Staaten an. Das Instrumentarium der IKPO gliedert sich in - Nachrichtenverbindungen: 52 Staaten sind an das internationale Funknetz angeschlossen, 66 Staaten sind an das internationale Telexnetz angeschlossen, das Telebildnetz ist im Ausbau begriffen. Ein eigener Kode ermöglicht die rationelle Abkürzung der jeweiligen Ersuchen, so daß etwa Festnahmeersuchen schnell und ohne Sprachschwierigkeiten übermittelt werden können. - Sammlungen und Auswertungsunterlagen: Die Unterlagen des Generalsekretariats umfassen alle Erkenntnisse über internationale Rechtsbrecher und ihre Arbeitsweise; sie ermöglichen außerdem die Identifizierung bisher unbekannter Täter durch Vergleich der Arbeitsweisen (modus operandi) und die Herstellung personen- oder sachbezogener Zusammenhänge. Es werden derzeit 260000 Akten über Personen bzw. Fälle geführt, eine Zehnfinger- und Einzelfingerabdrucksammlung, Lichtbildersammlung, sowie Spezialistenkarteien (Rauschgifthändler, Falschgeldhersteller, Wechselfallendiebe, Trickdiebe, Taschendiebe, Scheckbetrüger usw.). Für Rauschgift- und Falschgelddelikte bestehen internationale Meldebestimmungen, die einen weltweiten Überblick ermöglichen. - Ausschreibungen: International gesuchte Personen können zur Festnahme ausgeschrieben werden. Daneben gibt es die Ausschreibung zur Einholung von Auskünften, die Präventivausschreibung gefährlicher Rückfalltäter (Information über Auftreten) sowie die Ausschreibung zur Identifizierung unbekannter Toter sowie von Gegenständen. Darüber hinaus findet ein ständiger Erfahrungsund Erkenntnisaustausch statt. Dieser (schriftliche) Austausch wird ergänzt durch Regionalkonferenzen, Kontinentalkonferenzen, auf denen die regionalen Probleme erörtert werden, sowie Arbeitstagungen zur Erörterung von bestimmten Fachfragen, die besonders aktuell sind. Die Ergebnisse der Konferenzen und Tagungen werden den Teilnehmern und NZB's zugestellt. Eine Forschungsabteilung des Generalsekretariats wertet 250 Zeitschriften aus, beobachtet den internationalen Büchermarkt und veröffentlicht die gesammelten Erkenntnisse in der Bibliographie der von IKPO herausgegebenen Internationalen Kriminalpolizeilichen Revue. Speziell mit Fälschungen befaßt sich die viersprachige Zeitschrift „Erkennungszeichen echter und gefälschter Banknoten". III. KRIMINALTAKTIK Der Begriff Kriminaltaktik wurde im Jahre 1904 in die Verbrechensbekämpfung eingeführt: Der da-

malige Landgerichtsdirektor Weingart nannte sein damals erschienenes Buch so, das sich mit der Aufklärung von Verbrechen befaßte. Schneickert griff in den dreißiger Jahren diesen Begriff wieder auf, veröffentlichte ebenfalls ein Buch mit diesem Titel und gebrauchte ihn im weiteren Sinne als Lehre auch vom Vorgehen zur Vorbeugung von Verbrechen. Heute wird er meist im engeren Sinne verstanden, so daß etwa Kriminalgeographie, Kriminalstatistik, Viktimologie - obgleich sie auch wesentliche Elemente der Verbrechensprävention enthalten - nicht als Teilgebiete der Kriminaltaktik verstanden werden. Erkenntnisse dieser Disziplinen sind jedoch auch Voraussetzung kriminaltaktischen Vorgehens. So setzt die Kriminaltaktik im engeren Sinne voraus, daß kriminalgeographische Unterlagen erhoben, gesammelt und ausgewertet werden.

A . Ermittlung der Kriminalstruktur Das kriminelle Geschehen ist zunächst nach Delikten, örtlicher und zeitlicher Verteilung innerhalb des Raumes, der durch die Zuständigkeit der Ermittlungsdienststelle gegeben ist, aufzuzeichnen und zu analysieren. Dazu gehören Angaben über den Tatort (Straße, Objekt) und das einzelne Objekt sowie die vermutliche Tageszeit. Aus der Aufzeichnung muß nicht nur die Straßenbezeichnung, sondern auch das jeweilige Planquadrat (bzw. der jeweilige Block) hervorgehen, auch die Tatörtlichkeit muß näher beschrieben werden (Ort im Freien, Geschäft, Wohnhaus, Hotel, Veranstaltungsraum usw.). Unter „Tatzeit" sind das Datum, aber auch der Wochentag (Nacht zum Mittwoch) anzuführen. Als Delikt interessiert nicht nur „Diebstahl" sondern auch „Diebstahl an Kfz., Taschendiebstahl, Einbruch in Werkstatt", schließlich ist auch die Tatbeute (Bargeld, Tabakwaren, Radiogerät) von Bedeutung. Eine solche Kriminalitätsübersicht kann wie folgt aussehen: 70980 N.z.Samstag 12B2 Bremerstr. 65 Einbr Baubude Werkzeug Diese Angaben werden einmal listenmäßig per EDV ausgedruckt, zum anderen auf einem Stadtplan dargestellt. Die Datenverarbeitung erlaubt es, die Geschehnisse am Morgen des der Tatnacht folgenden Arbeitstages der taktischen Leitung der sachbearbeitenden Dienststelle mitzuteilen, so daß die Einsätze der kommenden Nacht rechtzeitig vorbereitet werden können, aber auch der Sachbearbeiter der einzelnen Delikte sofort umfassend über die Straftaten in seinem Bereich unterrichtet wird. Anhand der Berichte der zurückliegenden Zeit und anhand anderer Hilfsmittel (Tatortverteilung, Wohnsitzverteilung der in Betracht kommenden Täter, Täterstruktur des Bereiches, in dem sich Schwerpunkte von Straftaten gleicher Art zeigen),

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Kriminalistik Anhaltemeldungen (Meldungen über Antreffen von Personen unter verdächtigen Umständen in kriminalitätsgefährdeten Bereichen) und der Streifenberichte der Schutzpolizei lassen sich Anhaltspunkte über den Einsatz von Ermittlungen gewinnen. Ein Vergleich der Kriminalstruktur über eine Woche bzw. einen Monat hinweg läßt Schwerpunkte, deren Beginn und Ende sowie deren Ausbreitung oder Wanderung erkennen. Streifen und Observationen zur Prävention wie Repression werden nach diesen Unterlagen eingeteilt. Die Datenverarbeitung ermöglicht auch das Herausziehen bestimmter Daten (etwa aller Diebstähle von Autoradios in einem bestimmten Bereich, aller Überfälle auf Frauen - Handtaschenraub oder sexueller Natur - ) , um aus dem Vergleich der Daten Rückschlüsse auf die Täterermittlung zu ziehen. Ähnlich kann auch bei Dienststellen, die ohne EDV rein manuell ihre Daten gewinnen müssen, verfahren werden. Eine grobe Übersicht gibt auch die Kriminalstatistik. Das hier skizzierte Verfahren wird bei allen raumbezogenen Taten angewandt. Es eignet sich nicht für Delikte, die weder bei der Vorbereitung noch bei der Tatausführung oder nach Beendigung des Tatablaufes öffentliche Räume tangieren (etwa kaufmännischer Betrug, Wirtschaftsdelikte, Straftaten innerhalb der Familie usw.). B. Grundlagen der Kriminaltaktik Nach Weingart sollten „Activité und Vitesse" das Handeln bei der Verbrechensaufklärung bestimmen (nach einem Armeebefehl Napoleons). Diese Grundregel ist auch in den nachfolgenden taktischen Regeln enthalten, die für alle Ermittlungshandlungen gelten: - Planmäßiges Vorgehen, aber elastisch bleiben. - Schnelligkeit des Vorgehens: Spuren können vernichtet, Zeugen beeinflußt werden. Zwischen planlosem schnellem und planvollem langsamem Handeln muß die rechte Mitte gefunden werden. - Tatbefundssynthese: Aus der Zusammenschau aller Merkmale des Tatbefundes ergeben sich Hinweise auf den Täter und die ihn bewegenden Kräfte und Motive. - Spurensicherung und Auswertung, Erhebung des Personalbeweises. - Individuelle Planung: Patentrezepte für alle Fälle gibt es nicht. - Rechtmäßigkeit des Vorgehens (Verfassungsmäßigkeit, Gesetzmäßigkeit, Verhältnismäßigkeit). - Spezialisierung: Ermittlungen durch spezialisierte Beamte, so weit wie möglich und vertretbar zentrale Bearbeitung durch die Spezialdienststelle. - Einheitlichkeit des Handelns: Art, Maß und Ziel der Ermittlungen bestimmt der verantwortliche Leiter bzw. dessen Dienststelle. Die strenge Weisungsgebundenheit darf Anregungen, Vor-

schläge und Initiative der Ermittlungsbeamten nicht verhindern. Kriminologische Beurteilung des Delikts: Der Deliktstyp enthüllt Wesen des Täters und seine Motive. Die richtige Einordnung kann daher die Ermittlungen wesentlich erleichtern. Zu unterscheiden sind Aggressionsdelikte/Triebdelikte/Nutzdelikte/Schwächedelikte . C. Tatablauf und Tatsituationen Der verbrecherischen Tat gehen mehr oder minder umfassende Vorbereitungen voran, ihr folgen Abschluß - und Folgehandlungen. Der relativ lange Zeitraum zwischen Tatentschluß und Beuteverwertung bietet reichliche Ansatzpunkte der Überprüfung und Ermittlung. Es sind dies: Die Vortatsituation - Kriminogene Fakten - Tatentschluß - Tatplanung - Baldowern - Beschaffung von Tatmitteln - Annäherung an den Tatort - Annäherung an das Opfer - Beseitigung von Tathindernissen - Sicherung der Tatausführung Die Tatsituation - Tatkomponenten: Tatort, Tatzeit, Tatobjekte, Tathandlungen, Tatmittel, Tatmotiv, Verdächtige - Das Verbrechen Die Nachtatsituation - Verlassen des Tatortes - Fluchtart - Fluchtmittel - Rückkehr zum Tatort - Sicherung der Beute - Transportmittel - Absatz der Beute - Verwertung der Beute - Verhalten nach der Tat. Diese zeitliche Reihenfolge ist nachzuvollziehen, um die Möglichkeiten und Schwierigkeiten des Täters gedanklich zu erfassen und sie durch Nachforschungen, Observationen und Einsatz von V-Personen aufzuhellen. Diese Nachforschungen werden erleichtert und lückenlos betrieben, wenn das „Weingartsche Gerippe" zugrunde gelegt wird. Das Schema geht von der Untersuchung der Phase 2 Tatsituation - aus, um sodann die Vortatsituation und die Nachtatsituation abzuklären. Es gliedert sich in folgende Abschnitte: A. Umstände beim Hergang der Tat: Anwesenheit am Tatort, Besitz der Mittel und Werkzeuge zur Tat, Besitz gewisser Eigenschaften, Kenntnisse und Fähigkeiten;

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B. Umstände, die als Ursachen der Tat anzusehen sind: Motive zur Tat, Wille zur Tat; Wirkungen der Tat: physische Wirkungen der Tat, psychische Wirkungen der Tat. Die Fragestellung des Ermittlungsbeamten lautet also: Wer war zur Tatzeit am Tatort anwesend? Wer besaß die Mittel und Werkzeuge, die zur Tat benutzt wurden? Wer hat die Eigenschaften, Kenntnisse und Fertigkeiten, die der Täter besessen hat? Wer hatte ein Motiv zur Tat? Wer hatte den Willen zur Tat? Bei wem liegen die physischen Wirkungen der Tat vor? Bei wem liegen die psychischen Wirkungen der Tat vor? Die Suche nach der Antwort zu diesen Fragen wird zu mehreren Personen führen. Tatverdächtig werden sie erst dann sein, wenn mehrere der genannten Voraussetzungen zutreffen. Fehlt der eine oder andere Umstand, der vorliegen müßte, so kann Tatbeteiligung weiterer Personen angenommen werden. Liegen nun mehrere Tatumstände vor, so beweist das zunächst nur, daß der Betreffende Täter sein kann. Ein zwingender Beweis dafür liegt erst dann vor, wenn Umstände vorliegen, die nur und ausschließlich beim Täter vorhanden sein können (etwa Beweis durch Spuren). Die Beantwortung der Fragen des Abschnittes A schließt ein die Zeugenbefragung über Täterhinweise, Überprüfung der Gegenstände, die dem Täter gehören oder von ihm zurückgelassen wurden, Hinweisspuren (Fingerabdrücke), Hinweise und Beobachtungen auf dem Wege zum oder vom Tatort, Ausschluß etwaigen Tatverdachts durch Alibi, Feststellungen über die benutzten Tatmittel und Tatwerkzeuge (Verbleib, Besitz, Hersteller, Verkäufer), Klärung, ob bei Tatverdächtigen vorgefundene Werkzeuge pp. zur Tat benutzt wurden. Vergleich gesicherter Tatspuren mit vorgefundenen Werkzeugen, Klärung der Frage, welche Eigenschaften, Kenntnisse, Fähigkeiten der Täter besessen haben muß und welche dieser Voraussetzungen bei verdächtigen Personen vorliegen, notwendige Kenntnisse über die Möglichkeiten der Tatausführung. Im Abschnitt B wird die Suche nach den Motiven und dem Willen zur Tat genannt. Die Motivsuche ist meist einfach, doch bergen auch zunächst klare Tatvorgänge Schwierigkeiten in sich oder bedürfen genauester Untersuchung. Wer stiehlt, will sich möglichst mühelos fremdes Eigentum aneignen, will also Gewinn. Doch schon die Frage nach dem Diebesgut (und nach dem, was nicht gestohlen wurde) erbringt Hinweise auf die Absichten und Motive des Täters: Will er die Beute verkaufen oder dient sie seiner persönlichen Bereicherung, faszi-

niert sie ihn? Diebstähle mit größeren Zerstörungen oder Verwüstungen werden meist nicht des Gewinnes halber arrangiert, sondern um sich auszutoben, andere zu schädigen, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken (Kinder, Jugendliche, Rocker). Brandstiftungen werden aus sehr unterschiedlichen Motiven begangen, die sich nach mühevoller Arbeit aber vielfach aus dem Tathergang und der Objektwahl ergeben. Ähnlich liegen die Dinge bei den Tötungsdelikten. So ist die Motivsuche Voraussetzung der Suche nach dem Täter, der nicht wahllos, sondern zielbewußt ermittelt werden soll. Wer hatte ein Motiv (oder wer kann eines gehabt haben) und sprach darüber, wer war süchtig, triebgestört, Psychopath, in einer Lage, die motivierend sein konnte? Bei wem lagen weitere Voraussetzungen vor? Sehr oft führt die Beantwortung der Frage weiter, wer die Umstände kannte, die gerade diese Tat unter diesen Umständen ermöglichte (Verhältnisse pp.). Auch der umgekehrte Gedankengang kann weiterführen: Hatte ein Tatverdächtiger überhaupt ein Motiv? Der Wille zur Tat kann sich aus Äußerungen entsprechender Art ergeben, aber auch aus Handlungen, die auf einen Tatentschluß hindeuten (Alibivorkehrungen, Beschaffung von Tatmitteln, Beurlaubung eventueller Zeugen, Hinlocken des Opfers zum Tatort (etwa Aussprache mit dem späteren Mordopfer, angebliche Geschäftsverhandlungen) . Abschnitt C befaßt sich mit den Wirkungen der Tat. Sie läßt den Täter nicht „aus ihrem Griff". Auswirkungen der Tat auf den eigenen Körper, die Kleidung oder die Gegenstände des Täters (Spuren, Beschädigungen) kann dieser zwar beseitigen, Verletzungen, die er davontrug, heilen wieder. Die „Früchte des Verbrechens" aber - die Beute bleiben ihm, sie dienen der späteren Überführung genau so wie die Spuren und Beschädigungen der Werkzeuge. Größere Geldbeträge verändern seinen Besitzstand, bei großen Summen auch seinen Lebensstandard, seine Verhältnisse, oder dienen der Bezahlung alter Schulden oder Forderungen. All das ist mit physischen Wirkungen der Tat gemeint. Aber die Tat hat den Täter auch psychisch „im Griff". Der Mörder, der zum Tatort zurückkehrt, ist keine Erfindung der Romane, und zu Recht wird daher die Beerdigung des Opfers observiert. Der Täter spricht darüber - natürlich ohne sich als Täter zu dekuvrieren, er sammelt Berichte über den Fall, ja, der Einbrecher - auch der berufsmäßige - behält zur Erinnerung seiner Taten einzelne Stücke zurück, freut sich an ihnen, seine „Erfolge" werden dadurch wieder lebendig - bis sie schließlich bei der Hausdurchsuchung identifiziert werden und seiner Überführung dienen. Versuche der Tatverdeckung, Beweisbeseitigung, Zeugenbeeinflussung, Nachforschungen über die Folgen der eigenen Tat, Führung von Tagebüchern, Namensänderungen, Schriftver-

Kriminalistik Stellungen, Fluchtvorhaben - bis hin zum Reden über die eigene Tat vor Freunden, Verwandten, all das sind die psychischen Tatauswirkungen: Auch das Geständnis befreit letztlich den Täter von der psychischen Belastung (so weit das überhaupt möglich ist), gibt ihm die Möglichkeit, den Weg in die menschliche Gemeinschaft zurückzufinden. So wird der Tatablauf in allen seinen Stadien nach dem hier dargelegten Muster untersucht. Dem Ermittlungsbeamten stehen dafür die Mittel der Befragung, Zeugensuche und -Vernehmung, Spurensuche, -Sicherung und -auswertung, Durchsuchung und Beschlagnahme, Observation und Fahndung bis hin zur Festnahme zur Verfügung. Diese Mittel wird er - jeweils unterschiedlich je nach der Deliktsart einsetzen, um die gestellten Fragen beantworten zu können.

IV. KRIMINALTAKTISCHES VORGEHEN BEI EINZELNEN VERBRECHEN A. Vorsätzliche Tötungsdelikte Mord und Totschlag sind Delikte, die seit Jahrzehnten (seit 1954) Aufklärungsquoten von mehr als 90% aufweisen (1979: Morde 91,5%, Totschlagsfälle 98,1 %). Das liegt zum einen am Delikt selbst - die weitaus überwiegende Zahl der Fälle gehört zu den Beziehungsverbrechen (zwischen Opfer und Täter bestehen Beziehungen und Verbindungen, allerdings sehr unterschiedlicher Art) - , zum anderen an der Taktik des Vorgehens - Sachbearbeiter sind stets auf den Mord spezialisierte Beamte, die in einer Sonderkommission (Mordkommission) tätig werden, die Ermittlungen werden mit besonderer Intensität und vorrangig durchgeführt, für diese stehen in ausreichender Zahl Sachbearbeiter zur Verfügung, notfalls werden weitere Beamte von anderen Sachgebieten abgezogen. In besonders schwierigen Situationen und aufsehenerregenden Fällen sind mehr als hundert Kriminalbeamte zu gleicher Zeit tätig geworden. Zu der heute überall eingesetzten Mordkommission, die ständig - also auch nachts - einsatzbereit ist, tritt heute sofort der zuständige Mordsachbearbeiter der Staatsanwaltschaft (ebenfalls jeweils für mehrere Jahre aussschließlich in diesem Dezernat tätig), neben den kriminal-technisch ausgebildeten Beamten der Spurensuche und -Sicherung wird der Gerichtsmediziner umgehend herangezogen, ist oft auch am Tatort anwesend; Obduktionen sind bei Mord- und Totschlagsfällen die Regel; die Spuren sowie die Bekleidung des Opfers werden regelmäßig durch die gerichtsmedizinischen Institute bzw. die Landeskriminalämter (Bundeskriminalamt) von Wissenschaftlern untersucht und ausgewertet. Sobald ein vorsätzliches Tötungsdelikt bekannt wird, ist also dafür gesorgt, daß alle modernen Hilfsmittel eingesetzt werden.

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Problematisch ist die Anzeige bzw. Mitteilung über einen Mordfall. Ereignet sich die Tat in der Öffentlichkeit, oder wird sie im Wohnbereich durch die Umstände bekannt (Schreie, Geräusche usw.), sind es die Nachbarn oder Passanten, die den Fall bemerken und die Polizei verständigen. Erfolgt die Tat unbemerkt, so kann das Fernbleiben von der Arbeitsstelle Grund für eine Vermißtenmeldung und damit für polizeiliches Nachforschen werden. Handelt es sich bei dem Opfer um einen Alleinstehenden (Rentner, Witwe) oder liegt der Tatort im Wald, so bleibt der Fall u. U. monatelang unbekannt. Ähnlich liegen die Dinge, falls ein Opfer ohne Kampf oder sonst bemerkbare Verletzungen stirbt. Der hinzugezogene Arzt (in aller Regel ein Praktiker, der ja gerichtsmedizinische Vorlesungen zuletzt in der Studienzeit wahrgenommen hat) wird kaum den Toten eingehend und sorgfältig untersuchen können, ihn entkleiden, um den Körper auf Verletzungen zu untersuchen: Rücksicht auf die Angehörigen, Pietät, beengte Verhältnisse der Wohnung, fehlende Beleuchtung usw. können zu Fehlbeurteilungen führen. So kommt es immer wieder dazu, daß Morde durch Erwürgen, Erdrosseln, sogar Schuß- und Stichverletzungen nicht bemerkt werden und natürlicher Tod bescheinigt wird. Immer wieder werden solche Fälle in der Literatur bemängelt. Beim Einsatz der Ermittlungen wird man zunächst die Mordsituation feststellen. Von Hentig unterschied 5 Gruppen, die auch heute noch maßgebend sind für den Verlauf der weiteren Maßnahmen: Gewinnmord, Konfliktmord, Deckungsmord, Sexualmord, motivlose (motivarme) Morde. Welcher Gruppe die jeweilige Tat zuzuordnen ist, ergibt sich aus der Tatortuntersuchung, der Feststellung der persönlichen Verhältnisse sowie den ersten Zeugenbefragungen. Die richtige Erkenntnis entscheidet über den Erfolg: Bei einem Sexualmord sind hinsichtlich der Tätersuche andere Maßnahmen einzuleiten als bei einem Raub- oder Konfliktmord. Bei letzterem richtet sich die Fahndung gegen den Bekannten-(Verwandten-)kreis des Opfers, der ja meist feststeht, das Schwergewicht liegt bei der Beweisführung. Liegt ein Sexual- oder Gewinn(Raub-)mord vor, ist der Täter zumeist völlig unbekannt. Hier liegt der Ermittlungsschwerpunkt bei der Fahndung, der Suche nach dem Täter. Erst dann ergeben sich die Beweisprobleme. Im ersten Falle erstrecken sich die Maßnahmen auf den engeren Ortsbereich, im zweiten Falle können unter Umständen bundesweite Fahndungsmaßnahmen und breite Öffentlichkeitsfahndungen durch die Medien nötig werden. So richten sich Art und Ausmaß der taktischen Maßnahmen nach den Umständen des Einzelfalles. Soweit es sich nicht gerade um Konfliktmorde (Gattenmord, Geliebtenmord, Familienmord, Mord an Kindern usw.) handelt, können die kriminalpolizeilichen Dateien und Samm-

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lungen sehr hilfreich sein: Sexualmörder sind regelmäßig, Raubmörder oft früher in Erscheinung getreten, Sexualmörder insbesonderheit früher wegen sexuell abweichendem Verhalten straffällig geworden. Die schwierigsten Aufgaben stellen Mordfälle an Prostituierten wegen des zahlreichen und völlig unbekannten Besucherkreises sowie Morde, bei denen die Leichen vergraben oder versteckt werden (wie etwa im Falle Jürgen Bartsch). Die Leiche gibt nicht nur den Mordfall „bekannt", sie stellt auch den Täter bloß und sagt mehr über ihn aus, als der Mörder annehmen kann. Bei der Mordermittlung ist somit die „Aussage" des toten Opfers die wichtigste Erkenntnisquelle, seine Lebensumstände und Gewohnheiten führen auf die Spur des Mörders, der Tatort und seine Umgebung können Spuren und Zeugen liefern, wenn mit der nötigen Ausdauer gefahndet wird („Klinkenputzen" - systematisches Befragen aller Anwohner über die Tatzeitgeschehnisse). Presse, Fernsehen und notfalls Fernsehfilme können Hinweise ergeben, Alibiprüfungen sind unausweichlich, Motive sind zu ermitteln - und zu denken ist auch daran, daß im Menschen auch heute noch archaische Triebe in bestimmten Situationen zum Durchbruch kommen können, die er gebändigt glaubte („Im Spiegel des Mordes sieht die Menschheit ihr eigenes Antlitz" - v. Hentig). B. Raub Die Häufigkeitszahl der Raubüberfälle stieg von 7,0 des Jahres 1953 auf 35,8 im Jahre 1979. Der Raub weist mithin unter allen Delikten die stärkste Steigerungsrate auf. Das hängt zweifellos mit der faszinierenden Möglichkeit, in kurzer Zeit ohne Überwindung beträchtlicher Schwierigkeiten erhebliche Geldbeträge zu erbeuten, zusammen. Da Geld anonym ist, sich jederzeit mühelos verwerten läßt, ergeben sich auch nach Beendigung der Tat keinerlei Schwierigkeiten oder Fährnisse. Besonderer Mut ist für die Tatausführung nicht erforderlich, obgleich lohnende Beträge meist nur bei einer Tatausführung am Tage erreicht werden können: Es genügt das Vorhalten einer Schußwaffe, sei es auch nur einer Attrappe. Die massenhafte Ausbreitung des Bankraubes in den beiden letzten Jahrzehnten ist u. a. auch auf die Einrichtung sogenannter EinMann-Zahlstellen der Sparkassen und Banken in kleinen Orten und die völlig ungesicherten Räumlichkeiten (inzwischen behoben) zurückzuführen. Man unterscheidet folgende Formen (-> Gewaltkriminalität B): Raubüberfälle auf Banken und sonstige Zahlstellen, Raubüberfälle auf Geschäfte und Zahlstellen, Raubüberfälle auf Geld- und Werttransporte, Raubüberfälle auf Kraftfahrer (insbesondere Taxifahrer),

Zechanschlußraub, Handtaschenraub, sonstige Überfälle auf Straßen, Wegen usw. Das Vorgehen der Täter ist je nach dem gewählten Objekt sehr unterschiedlich. Banküberfälle erfolgen während der Öffnungszeiten - am Tage - , innerhalb der Verkehrszentren und können - von Ausnahmefällen bei kleineren Instituten abgesehen - nur von 2-3 Tätern vorgenommen werden. Die Anfahrt erfolgt mit einem gestohlenen Kfz, das nach der Flucht möglichst bald gewechselt wird, um Gefährdungen durch das erkannte Kennzeichen zu vermeiden. Auch Überfälle auf größere Geldtransporte per Kfz machen die Mitwirkung mehrerer Täter erforderlich, während Beraubungen von einzelnen Geldboten (Abgabe der Geldbomben am Nachtschalter) auch von Einzelpersonen im Schutze der Dunkelheit durchgeführt werden können. Die anderen Erscheinungsformen erlauben die Durchführung durch Einzeltäter. Nächtliche Überfälle - so der Zechanschlußraub und Handtaschenraub - bringen geringere Beuteerlöse, sind teilweise auch vom Zufall abhängig. Während der „Großraub" in der weitaus überwiegenden Zahl der Taten von kriminell erfahrenen Tätern begangen wird, sind Handtaschenräubereien und Straßenräubereien das Privileg junger und jüngster Täter (dazu gehören vielfach auch Kinder zwischen 12 und 14 Jahren, die Altersgenossen berauben). Die Taktik der Bekämpfung des Raubes richtet sich nach der Erscheinungsform. Zur Verringerung der Banküberfälle wurden schußsichere Kassiererplätze vorgeschrieben, worauf die Täter auf die Geiselnahme in Bankräumen auswichen: Nunmehr werden die Kunden bedroht, bis der Kassierer das Geld herausgibt. Mitunter werden auch die Kassierer und Filialleiter nachts unter Vorwänden zur Öffnung der Haus- bzw. Wohnungstüren veranlaßt, während die Familienangehörigen als Geiseln festgehalten werden, müssen Kassierer und Filialleiter den Tresor ihrer Bank öffnen und den Tätern das vorhandene Bargeld übergeben, worauf sie gewöhnlich in ihrer Bank eingeschlossen werden. Nunmehr sind alle Banken und entsprechenden Kassen mit optischen Raumüberwachungsanlagen ausgerüstet, so daß Fotos der Täter zur Verfügung stehen. Zur Vermeidung von Geiselnahmen versucht man die Täter nach Verlassen der Bank abzufangen. Das System der Ringalarmfahndung sperrt unmittelbar nach der Tat alle Straßen in bestimmten Entfernungen vom Tatort ab, um das Tatfahrzeug zu ermitteln. Das Bankpersonal - geschult und belehrt durch Filme und Vorträge - wird zur Ermittlung der Täterbeschreibung herangezogen. Personenbeschreibung, Maskierung, Worte und Redensarten, Auftreten, Bewaffnung sowie etwa gesicherte Spuren (Schußspuren, Fingerabdrücke) ergeben zusammen mit dem modus operandi-System gute Aufklärungsmöglichkeiten. Dazu treten noch Mitteilungen von V.-Personen und Observationen

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Kriminalistik sowie Täterfehler nach der Tat (physische und psychische Wirkungen), so daß die Aufklärungsquote gut ist (1979: 72,8%). Etwa 8 0 % der Bankräuber sind kriminell erfahren, so daß umfassende Karteiüberprüfungen und zentrale Ermittlungsführung bei Serientaten möglich sind. Ähnliches gilt für die Überfälle auf Geld- und Werttransporte: Transporte gewerblicher Geldtransportfirmen erfolgen in gepanzerten Spezialfahrzeugen, so daß Angriffe nicht möglich sind. Kritischer Punkt aller Geldtransporte sind die Be- und Entladezeiten, in denen nahezu alle Überfälle erfolgen. Hier wird durch die Täter rücksichtslos von der Schußwaffe Gebrauch gemacht, zumal die Tatbeute bis zu mehreren Millionen Mark betragen kann. Vermehrung des Wachpersonals bzw. Be- und Entladung in Schleusen sind die einzig möglichen Abhilfen. Transporte durch Bank- und Supermarktangestellte oder Boten sind ungleich häufiger, die Taten werden durch Unaufmerksamkeit bzw. Leichtsinn des Personals begünstigt, sowie durch Dämmerung oder Dunkelheit risikoärmer für den Täter. Regelungen, wonach Transporte ab einer bestimmten Summe nur durch Spezialfirmen durchgeführt werden können (in einigen Staaten vorgeschrieben) erscheinen zweckmäßig, zumal angesichts des höheren Risikos bei Banküberfällen der Bankraub zurückgeht und eine Zunahme des Transportraubes in Aussicht steht. Neben Überfällen auf Geldtransporte per Kfz sind auch Zugberaubungen möglich, doch derzeit nur in Italien üblich. Überfälle auf sonstige Werttransporte sind in einigen Fällen vorgekommen (Zigarettentransporte mittels Lkw und Transport von Diamanten bzw. Schmuck durch Händler). In einigen wenigen Fällen wurden durch Angehörige von Transportfirmen auch Überfälle vorgetäuscht und das Geld entnommen, wobei mitunter auch die Ermordung des Beifahrers vorkam. Raubüberfälle auf Geschäfte bezwecken den Raub des Inhalts der Ladenkasse, der naturgemäß sehr begrenzt ist. Bevorzugt werden die Zeiten kurz vor Geschäftsschluß sowie Tatorte, bei denen nur ein Angestellter anwesend ist. Die Taten ufern leicht aus, da die Betroffenen - im Gegensatz zu Bankund Kassenangestellten - oft dem Täter nicht willfahren, sondern die zwecklose Gegenwehr bevorzugen. Unter den Tätern finden sich auch Anfänger, Flüchtige, Randsiedler neben erfahrenen Kriminellen. Unter der Rubrik Geschäftsraub rangieren auch die Überfälle auf Juweliere und Geschäfte ähnlicher Gattung, bei denen erhebliche Werte erbeutet werden. Sie gehören indes noch zu den selteneren Taten und werden von Spezialisten ausgeführt, die dann gleich mehrere Taten überregional durchführen. In einigen Fällen wurde die Tätigkeit organisierter Banden (z. T. italienischer Herkunft) festgestellt. Der Handtaschen-, Zechanschluß- und Straßenraub sonstiger Art - zahlenmäßig weitaus überwiegend (von den 21950 Überfällen des Jahres 1979

bezogen sich nur 2527 auf Bank-, Geschäfts-, Transport- und Kraftfahrraub) - kann, soweit die Täter nicht durch das Opfer oder Zeugen erkannt werden, nur durch Observationen oder Vertrauenspersonen aufgeklärt werden, wobei diese Aufklärungsmethoden allerdings infolge der serienmäßigen Ausbreitung der Taten erfolgreich und lohnend sind. Da Raubüberfälle die Bevölkerung stets sehr beunruhigen und sich bei Nichtaufklärung seuchenhaft ausbreiten, sollten auch diese (kleineren) Raubtaten intensiv bekämpft werden. Sie bilden auch regelmäßig den Einstieg in die „große" Raubkriminalität, bzw. sonstige Gewaltkriminalität. Sonderformen - wie etwa Überfälle auf Wohnungen, Gehöfte - kommen gehäuft nur in ausgesprochenen Notzeiten oder innerstaatlichen Krisen vor und sind in Deutschland von 1945-1948/49 vorgekommen, seither aber nahezu völlig verschwunden. Überfälle auf Taxifahrer - zu Zeiten sich intensiv ausbreitend - bilden keine Gefahr mehr: Öftere Ablieferung der Geldbeträge sowie die energische Gegenwehr und gegenseitige Unterstützung der Taxifahrer (angesichts extensiver Gewaltanwendung überall bekannt geworden) haben offensichtlich abgeschreckt. C. Geiselnahmen Geiseln sollen mit ihrem Leben dafür garantieren, daß die Forderungen der Geiselnehmer erfüllt werden. Aus der Kriegführung seit Jahrtausenden bekannt, werden sie auch in der Verbrecherwelt häufig benutzt. Durch das 12. Strafrechtsänderungsgesetz vom 16. 12. 1971 wurden als Spezialgesetze die §§ 239a und 239b StGB eingefügt, da sich die Notwendigkeit dazu ergab. Wir kennen die offene Geiselnahme, bei der der Täter sich unter den Augen der Öffentlichkeit einer Geisel versichert, um seine Forderungen - Geld, Fluchtmöglichkeiten, Gefängniserleichterungen durchzusetzen. Der Täter verschanzt sich mit seiner Geisel in einem Gebäude bis seine Forderungen erfüllt sind oder entfernt sich mit ihr mittels eines Fahrzeuges (oft aufgrund von Drohungen bereitgestellt), um seine Flucht durch die Geisel abzudekken oder sie sicherer zu verwahren. Die verdeckte Geiselnahme (Entführung) erfolgt heimlich, abseits der Öffentlichkeit, des Nachts überfallartig oder bei Tage an wenig begangenen Orten (so bei Kindern), die Angehörigen erfahren erst durch Mitteilung des Täters von der Entführung, der damit seine Geldforderungen verknüpft. Entlassung wird bei Zahlung der geforderten Summe zugesagt (—> Gewaltkriminalität B 2 und C). 1. Offene Geiselnahmen Sie finden am häufigsten bei Banküberfällen statt, wenn der Täter - bedingt durch die inzwi-

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sehen überall üblichen Sicherungsmaßnahmen den Kassierer nicht mehr direkt bedrohen kann oder wenn während des Überfalles die Polizei im Bankgebäude erscheint. Der Täter bedroht dann die Bankkunden oder Angestellten, so daß seinen Forderungen nachgegeben wird. In der Regel verlangt er größere Bargeldbeträge als in der Bank vorhanden sind, Gestellung eines Fluchtautos und ungestörte Flucht mit einer oder mehreren Geiseln. Aus den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte (—» Gewaltkriminalität B 2 ) ergab sich ein taktisches Konzept, das darin gipfelt, den Täter zunächst durch Verhandlungen und Teilerfüllung seiner Forderungen zu erschöpfen oder ihn bei Verschaffung entsprechender Gelegenheiten zu überwältigen. Auf jeden Fall soll die Flucht verhindert werden: Sie führt, wie sich gezeigt hat, in aller Regel zur Aufgabe der nachfolgenden Observation und überläßt die spätere Festnahme dem Zufall. Die Bekämpfung der Geiselnahme gab Anlaß zur Aufstellung besonderer Einheiten, die auch für die Bekämpfung der übrigen Gewaltkriminalität geeignet sind. Als mobile Einsatzkommandos der Kriminalpolizei (MEK), Spezialeinsatzkommandos der Schutzpolizei (SEK) oder Präzisionsschützenkommandos (PSK) übernehmen sie die Tatortabsperrung, Fahndung und Observation sowie, falls unerläßlich, den bewaffneten Schutz bzw. die Aufgabe, den Täter kampfunfähig zu machen. Die Verhandlungen mit den Tätern führt eine Arbeitsgruppe „Kontaktaufnahme und Verhandlungen", die Tatortarbeit wird von einer „Ermittlungsgruppe" geleitet. Eine Dokumentationsgruppe übernimmt die Sammlung und Dokumentation der Beweismittel, die Schutzpolizei setzt eine Verkehrslenkungs- und Verkehrsregelungsgruppe ein. Eine Vielzahl optischer und fernmeldetechnischer Hilfsmittel stehen zur Verfügung, zur Verfolgung können Hubschrauber eingesetzt werden. Die polizeilichen Maßnahmen können u. U. mehrere Tage in Anspruch nehmen. Taktischer Grundsatz ist es, den Täter am Orte der Geiselnahme zu überwältigen, da eine Ortsverlagerung in der Regel neue Probleme schafft. Fälle solcher Art können nur durch speziell dafür ausgebildete Sachbearbeiter gelöst werden, die über ausreichende Erfahrung verfügen. Die Einsatzleitung muß - unbeschadet der politischen Verantwortung - in den Händen der Polizei bleiben und kann nicht auf kriminologisch oder kriminalistisch unbedarfte Fachberater verlagert werden. Ähnliche Probleme ergeben sich bei Geiselnahmen in Gefängnissen, Fluchtgeiseln und anderen Motiven. In der Regel ist am Tatort auch ein Vertreter der Staatsanwaltschaft. Nach den bestehenden Übereinkommen (Gemeinsame Richtlinien der Justizminister/-senatoren und der Innenminister/senatoren des Bundes und der Länder über die Anwendung unmittelbaren Zwanges durch Polizeibeamte auf Anordnung des Staatsanwaltes),

Ziff. III ist in Fällen, in denen Aufgaben der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung gleichzeitig wahrgenommen werden müssen, nach dem Grundsatz der Güter- und Pflichtenabwägung nach der konkreten Lage zu entscheiden, ob die Strafverfolgung oder die Gefahrenabwehr das höherwertige Rechtsgut ist. Daraus ergibt sich auch die Lösung des Problems, ob bei Geiselnahmen polizeiliche Belange der Gefahrenabwehr oder staatsanwaltliche Aufgaben der Strafverfolgung (für deren Wahrnehmung der Staatsanwalt der Polizei Weisungen erteilen kann) zunächst vorgehen.

2. Verdeckte Geiselnahmen

(Entführungen)

Der erste Nachkriegsentführungsfall ereignete sich 1958 in Stuttgart, entführt wurde ein 7jähriger Knabe, gefordert wurden als Lösegeld 15 000 DM. Das Opfer wurde sieben Tage später tot aufgefunden. Durch Ausstrahlung der Täterstimme konnte dieser ermittelt werden. Während zunächst Kinder wohlhabender Eltern entführt wurden, kam es infolge von Verwechslungen oder Zufällen auch zu Entführungen von Kindern unbemittelter Eltern. In diesen Fällen wurde das Lösegeld von öffentlichen Stellen (Kommunalverwaltung, Landesregierung) zur Verfügung gestellt, da eine andere Wahl gar nicht bestand. 1971 wurden die ersten Erwachsenen entführt (2 Fälle), es wurden 300000 und 100000 DM gezahlt, für die Entlassung des Essener Kaufmanns A. wurden 7 Mio verlangt und auch bezahlt, bei dem Studenten O. waren es bereits 21 Mio D M (—> Gewaltkriminalität C 2 und 3). Die Möglichkeiten einer Ermittlung ergeben sich durch die notwendige Kontaktaufnahme des Täters mit den Angehörigen des Opfers, die heute zumeist telefonisch erfolgt. Eine Stimmaufzeichnung erfolgt regelmäßig, hat aber nur dann Erfolg, wenn sie technisch einwandfrei vorgenommen wird. Das ist bei entsprechender Fachkenntnis durchaus möglich. Die Aufzeichnung kann später zum Stimmvergleich bei Tatverdacht herangezogen werden. Eine weitere Kontaktierung erfolgt bei der Geldübergabe. Diese wird observiert mit dem Ziel der Täterergreifung. Wird die Übergabe über einen Mittelsmann (wie in Essen und anderen Fällen) vorgenommen, muß dieser weiter observiert werden bis zur endgültigen Abgabe des Geldes an den Täter. Daß das Lösegeld registriert wird, ist inzwischen allgemein bekannt. Auch diese Registrierung kann zur Feststellung des möglichen Aufenthaltes des Täters, wenn nicht gar zu seiner direkten Festnahme führen. Wird - nach Zahlung des Lösegeldes - das Opfer freigelassen, so tragen dessen Beobachtungen über Geräusche, Lichtreflexe, Stimmen, Verbergungsorte usw. zur weiteren Tataufklärung bei. Bisher konnten - bis auf den Hamburger Fall - alle Entführungsfälle aufgeklärt werden. Doch ist es in

Kriminalistik einem Fall nur zufällig zur Entdeckung des Opfers gekommen (die Täter gaben sein Versteck trotz Zusage nicht preis), im Falle O. kam es zu schweren und erheblichen Verletzungen des Opfers. In jedem Falle ist das Risiko, ob nach Zahlung des Lösegeldes das Opfer auch tatsächlich freigelassen wird, nicht abzuschätzen: Bei Entführungen von Kindern kommt es immer wieder vor, daß die Opfer getötet werden, weil sie - was der Täter regelmäßig nicht einkalkuliert - sehr viel schwieriger zu behandeln oder ruhig zu halten sind als Erwachsene, die im Interesse aller sich den Forderungen der Täter zunächst fügen und Risiken vermeiden. Die Gliederung der Einsatzdienststellen ist ähnlich wie bei Geiselnahmen: Ermittlungsgruppe/ Gruppe Technik und Erkennungsdienst/Fahndungs- und Observationsgruppen/Gruppe Nachrichtensammlung und Auswertung/Dokumentations- und Aktenführungsgruppe/Auskunfts- und Pressestelle/Sachverständige-Berater-Reserven. Wesentlich für den Erfolg (oder Mißerfolg) ist die Zusammenarbeit mit der Presse. Jede an die Öffentlichkeit gelangende Mitteilung über den Fall muß im Hinblick auf ihre Wirkung auf den Täter überdacht werden. Bisher haben in nahezu allen Entführungsfällen die Presseorgane sich an die Empfehlungen der Polizei gehalten. Auch hier gilt - wie bei den Geiselnahmen - daß nur speziell ausgebildete Sachbearbeiter eingesetzt werden können, die über die nötige Erfahrung mit gefährlichen Rechtsbrechern verfügen. Das gilt in besonderem Maße für die Observationskräfte: Unbemerkte Observation ist eine der schwierigsten taktischen Maßnahmen, die in Fällen der hier genannten Art nur von den ständigen Observationsgruppen durchgeführt werden sollte. Nach Freilassung des Opfers kann, sofern der Täter nicht auf Grund anderer Umstände ermittelt wird, eine sehr breite Öffentlichkeitsarbeit erfolgen. Taten dieser Art erregen sehr viel Anteilnahme und es ist mit mehreren hundert Hinweisen zu rechnen, die aufzuarbeiten sind. Dazu gehören u. a. auch Angaben über die Stückelung des Lösegeldes, Ausstrahlung der Täterstimme über Rundfunk und speziell dafür geschaltete Telefonnummern sowie sonstige Hinweise über Gegenstände, Fahrzeuge und Besonderheiten, die eine Täterermittlung zulassen. D. Erpresserische Bedrohung Bei der Erpressung unterscheidet die Kriminologie zwischen der ausbeuterischen Erpressung und der erpresserischen Bedrohung. Erstere nahm bis zur Beendigung des 2. Weltkrieges 75% der Erpressungstaten in Anspruch. Heute dürfte sie nur noch Bruchteile des Delikts ausmachen, wenngleich die Dunkelziffer erheblich sein dürfte. Doch fällt allein schon wegen des Wandels der moralischen Auffassungen ein großer Teil der Grundlagen sol-

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cher Erpressungen weg (etwa wegen angeblicher sexueller Handlungen). Dagegen steht die erpresserische Bedrohung im Vordergrund, spektakuläre Fälle - etwa die Drohung, Nahrungsmittel einer bestimmten Firma vergiftet in den Handel zu bringen - füllen die Presse, kleinere Fälle gehören zum täglichen Brot jeder größeren Kriminaldienststelle. Sofern die Opfer über keinerlei nennenswerte Vermögenswerte verfügen, handelt es sich bei den Erpressungsversuchen - die in diesen Fällen meist schriftlich oder telefonisch gestellt werden - um Kinder, Jugendliche oder geistig nicht ganz zurechnungsfähige Personen. Aufmachung und Ausdrucksweise der Erpresserbriefe, Übergabeorte und verlangte Geldsummen weisen meist schon auf diesen Täterkreis hin. Ermittelt werden muß jedoch auch in diesen Fällen, denn die angedrohten Handlungen - etwa Brandlegungen - können ja ohne weiteres verwirklicht werden. Der Großteil der Taten richtet sich gegen wohlhabende Geschäftsleute, Fabrikanten, Großindustrielle oder bekannte Firmen. Die vorgesehenen Opfer sind meist durch das wirtschaftliche oder gesellschaftliche Leben des betreffenden Tatortes bekannt geworden, so daß sie als zahlungsfähige Opfer angesehen werden. Die Geldforderungen bewegen sich zwischen zehntausend DM und mehreren Millionen. Der Täter meldet sich brieflich, fernmündlich oder nimmt beide Kommunikationswege in Anspruch, die Verhandlungen über die Höhe der Summe und die zweckmäßige Übergabe nehmen mehrere Tage, oft auch Wochen in Anspruch. In dieser Zeit sind die Nerven des Opfers erheblich beansprucht, so daß es zweckmäßig ist, einen polizeilichen Sachbearbeiter ständig in der nächsten Nähe des Opfers zu stationieren. Bedroht werden entweder Angehörige oder Kinder des Opfers, deren Entführung in Betracht kommt, wenn nicht gezahlt wird, oder es werden Sprengstoffanschläge gegen die Fabrikationsräume oder Geschäftsniederlassungen angedroht: In beiden Varianten ist eine Durchführung der angedrohten Tat ja durchaus realistisch. Mitunter haben die Erpresser auch früher in den Betrieben des späteren Opfers gearbeitet, so daß sie mit den Verhältnissen dort gut vertraut sind. Auch Gesellschaften und öffentliche Einrichtungen können als Opfer gewählt werden - so Fluggesellschaften, oder - wie im Falle Roy Clark - die Deutsche Bundesbahn: Die Erpressungen nahmen (nach einem ersten Erpresserbrief im Jahre 1959) im Oktober 1966 ihren Anfang und endeten mit der Täterfestnahme im Dezember 1967. Clark schrieb 12 Erpresserbriefe und unternahm zur Bekräftigung seiner Forderungen drei Sprengstoffattentate gegen Gebäude der DB und gefährdete den Bahnbetrieb auf der Strecke durch zwei weitere Anschläge (—> Gewaltkriminalität D). Schließlich kassieren inzwischen organisierte kriminelle Gruppen nach Mafia-Manier laufend Geldbeträge bei Spielunternehmen, Restaurationen und

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anderen Betrieben meist ausländischer Besitzer unter der Drohung, Zerstörungen anzurichten oder gewalttätig gegen die Besitzer zu werden. Derartige Fälle sind in nahezu allen Bundesländern vorgekommen, am bekanntesten wurden die Erpressungen der sogenannten Wuppertaler Mafia (im Jahre 1980 abgeurteilt). In den Fall waren auch zwei Anwälte verwickelt. Die sachgemäße Aufklärung setzt die frühestmögliche Einschaltung der Kriminalpolizei voraus und beginnt mit der Überwachung des Telefons und Aufzeichnung der Gespräche. Eingehende Schriftstücke werden sichergestellt, die Untersuchung auf Fingerabdrücke, der benutzten Maschinenschriften (individuelle Merkmale der Typen), der Handschrift (Graphologe, Psychologe), des benutzten Papieres, Leims können Anhaltspunkte liefern. Doch oft genug verhalten sich die Täter auch hier recht geschickt. Im Falle der Ermittlung ist man indessen fast immer auf die sichergestellten Briefe pp. bzw. den Stimmvergleich angewiesen. Die Tataufklärung erfolgt jedoch in den meisten Fällen erst bei der Geldübergabe. Das ist auch dem Täter bekannt, deshalb versucht er sie so zu gestalten, daß er unentdeckt bleibt. Einsame, abgelegene Orte, bei denen in der Dunkelheit das Geld abgelegt werden soll (Autobahnrastplätze, Autobahnbrükken usw.) werden genau so gewählt wie Orte mit starkem Personenverkehr, um im Gewühl der Menge unterzutauchen. Auch der Abwurf des Lösegeldes aus einem Fahrzeug (Auto, Bundesbahn - hier auch an einem vorher nicht bekanntgegebenen Ort, der während der Fahrt signalisiert wird) ist schon verlangt worden. Es kann sich dann so etwas wie eine Schnitzeljagd entwickeln, die einen großen Personaleinsatz verlangt. Dabei müssen u. U. Berufskleidungsstücke (Postbeamte, Bahnbeamte) entliehen werden, Frauen zur Verfügung stehen, verdeckt zu tragende Funksprechgeräte verwendet werden, um die gegenseitige Verständigung zu ermöglichen. Bei Abwurf aus Fahrzeugen muß die Fahrtstrecke auf für den Täter günstige Stellen geprüft werden, die dann durch entsprechend viele Fahndungsgruppen abgesichert werden müssen. Derartige Fälle sind - so 1970 - vorgekommen. In diesem Falle wurde eine Fahrtstrecke, die sich über vier Bundesländer und zwei Nachbarstaaten der BRD erstreckte, observiert. Die Einschaltung der Polizei und ihre taktischen Maßnahmen müssen verborgen bleiben. Tritt der Täter von sich aus an die Öffentlichkeit, muß er über die Maßnahmen u. U. getäuscht werden (Falschmeldungen der Presse sind mitunter notwendig). Die Geldübergabe kann aus unterschiedlichen Gründen scheitern: Der Täter fühlt sich beobachtet, ihn verläßt der Mut, er hat ohnehin nur eine Scheinübergabe geplant, um zu testen, wie sich die Polizei verhält, oder bei der Übergabe ist die polizeiliche Observation tatsächlich bekannt geworden. In diesen Fällen haben die Täter wieder neue Kontakte angeknüpft und - un-

termalt durch einige Vorwürfe - neue Modalitäten vereinbart. Auch in diesem taktischen Spiel geht es darum, die Nerven zu behalten und den Täter u . U . dahin zu manövrieren, wo er mit Erfolg gefaßt werden kann. Immer wieder kommt es auch vor, daß der Täter schließlich aufgibt, ohne seine Drohung zu verwirklichen. Bei der Dauer-Erpressung durch organisierte Banden sind die Täter im allgemeinen bekannt. Die Schwierigkeiten liegen hier darin, vom Opfer überhaupt eine wahrheitsgemäße Aussage zu erhalten und Zeugen zu ermitteln. Der Einsatz von Vertrauenspersonen ist unumgänglich, damit Sachbeweise beschafft werden können. Telefonüberwachungen der tatverdächtigen Personen sowie des Anschlusses des Opfers sind erforderlich. Mit der sachbearbeitenden Staatsanwaltschaft muß die Frage geklärt werden, ob Tatteilnehmer bei Offenbarung des wirklichen Tatgeschehens mit milderen Strafen rechnen können (so etwa Hilfskräfte, die lediglich zur Unterstreichung der Bedrohung oder zu einzelnen Sachbeschädigungen eingesetzt wurden). Auch der Einsatz von Observationskräften (verdeckte Fotografie, Bewegungen der Erpresser) verspricht Erfolg. Mitunter nutzen die Täter die Furcht vor solchen Banden aus, treten offen an ein vermögendes Opfer heran und spiegeln ihm vor, im Auftrage großer Unbekannter zu handeln. Angst und Leichtgläubigkeit - vor allem älterer Personen oder von Frauen - werden skrupellos ausgenutzt. Geht der Vermögensverlust zu weit, finden sich oft beherzte Rechtsanwälte, Vermögens- oder Steuerberater, die ihre Mandanten schließlich dazu bringen, sich doch der Kriminalpolizei anzuvertrauen. Von sich aus hätten das die Opfer nie getan. In diesen Fällen - die kriminaltaktisch keine großen Schwierigkeiten ergeben - konnten in recht kurzer Zeit jahrelange Erpressungen beendet werden, unter denen die Opfer psychisch erheblich litten. Fälle dieser Art, die oft an schlechte Kriminalromane erinnern, gibt es tatsächlich. Es scheint, als ob hierfür die entsprechende „Literatur" und leider auch die einschlägigen Stoffe der Massenmedien nicht ganz unbeteiligt sind.

E. Brandstiftung Die vorsätzliche Brandstiftung teilt die Kriminalitätszunahme mit den (anderen) Gewalt- und Zerstörungsdelikten: Sie zeigt eine über die Gesamtkriminalität hinausgehende Steigerung. Von 1413 Straftaten (Häufigkeitszahl 2,8) des Jahres 1953 stieg sie auf 7175 Fälle (Häufigkeitszahl 11,7) des Jahres 1979. Im gleichen Zeitraum fiel die Aufklärungsquote von 57,7 % auf 40,9 %. Die Fahrlässigkeitsbrände beliefen sich 1979 auf 10012 Strafanzeigen, 1954 wurden 11806 fahrlässige Brandstiftungen gemeldet. Hier zeigt sich also eine einigermaßen gleichbleibende Tendenz.

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Kriminalistik Die Brandermittlung setzt eine spezielle Ausbildung voraus, die technisch und taktisch orientiert ist. Dennoch wird in jedem Falle die Heranziehung von Sachverständigen notwendig, die zu den je nach Brandobjekt unterschiedlichen Fragestellungen ihre Gutachten abzugeben haben. In der Praxis wird bei jedem gemeldeten Brand der Brandsachbearbeiter der Kriminalpolizei entsandt, der die weitere Bearbeitung übernimmt und die benötigten Sachverständigen heranzieht, bei größeren Bränden auch den Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft informiert. Von wesentlicher Bedeutung ist es, daß der Sachbearbeiter umgehend nach Brandmeldung (auch nachts) am Brandort erscheint, um die ersten Feststellungen treffen zu können. Dazu gehört die Ermittlung der anwesenden Personen (Zeugen), die Beobachtung des Brandverlaufs, der Flammenund Rauchbildung, erste Befragungen am Brandort, Beschlagnahme der Brandstelle, Sicherstellung wichtiger Beweismittel, sobald wie möglich (elektrische Anlagen, Zeitzünder, Flüssigkeiten usw.). Eine eingehende Untersuchung des Brandschutts, Ermittlung und Überprüfung des Brandherdes (bzw. der Brandherde), Sicherung der Spuren, Fotografie erfolgen sodann. Neben den den Brand beobachtenden Zeugen erfolgt eine Befragung der in der Nachbarschaft wohnenden Personen über etwaige Auffälligkeiten und im Zuge der ausführlichen Befragung des Brandgeschädigten auch eine Ermittlung über dessen wirtschaftliche Verhältnisse. Bei diesen Ermittlungen ist zunächst zu klären, ob eine Brandstiftung vorsätzlicher oder fahrlässiger Art vorliegt oder der Brand aus sonstigen nicht vermeidbaren Ursachen entstand. Dazu sind das Ergebnis der Brandortuntersuchung und die ersten Hinweise der Sachverständigen heranzuziehen, dazu dienen auch die Zeugen- und Geschädigtenvernehmungen. Bei der Untersuchung dieser Umstände sind auch die möglichen Motive einer Brandstiftung zu erörtern bzw. abzuklären. Sie ergeben sich aus der Art der Brandstiftung, dem Schaden, den persönlichen Verhältnissen des Geschädigten, seiner wirtschaftlichen Lage, schließlich aus Ereignissen und Vorkommnissen der letzten Monate (Ärger, Zwistigkeiten, familiäre Differenzen usw.). Aus der Zusammenstellung der technischen Umstände und des sozialen Status können sich die ersten Hinweise auf den tatsächlichen Verlauf ergeben. Brandgefahren können liegen in den Eigenschaften von Stoffen in fester, flüssiger und gasförmiger Form, können bei technischen Vorgängen entstehen (Elektrizität, Gas, elektrostatischer Aufladung) und können durch den Betrieb bedingt sein (Landwirtschaft, Handwerk, Industrie). Können diese Ursachen ausgeschieden werden oder liegen Anhaltspunkte anderer Art vor, handelt es sich um Brandstiftung. Diese kann erfolgen aus den nachstehend genannten Gründen: Politische Gründe (Terrorbrandstiftung), Schädigungsabsicht, (Haß,

Rache), Geltungsdrang (der Feuerwehrmann als Brandstifter), Brandlust (die vielberufene „Pyromanie"), Gewinnsucht, psychisch bedingte Ausnahmesituationen (Verzweiflung, Angst, Heimweh, Geisteskrankheit), sonstige Ausnahmesituationen (Pubertät, Menstruation) sowie Brandstiftung um Straftaten zu begehen oder zu verdecken. Diese pragmatische Einteilung hilft, nach Beobachtungen oder Gründen zu suchen, die auf die eine oder andere Art der Brandstiftung hindeuten und solche Motive auszuschließen, die nicht wahrscheinlich sind oder gar ausgeschlossen werden können (—» Gewaltkriminalität G). Serienbrandstiftungen deuteten in früheren Jahrzehnten auf Versicherungsbetrug hin, aus der Historie sind die Brandstiftungen der Jahre zwischen 1920 und 1930 bekannt, die in den landwirtschaftlichen Gebieten des Deutschen Reiches zur Arbeitsbeschaffung (Baugewerbe) oder um neue Scheunen oder Wirtschaftsgebäude zu erhalten, begangen wurden. In der Gegenwart deuten derartige Serien eher auf abartige Täter, Kinder, Schädigungsbrände oder Terrorakte (Rote Armee Fraktion und deren Folgeorganisationen) hin. Häufungen von Bränden zwingen zum Einsatz von Observationskommandos, oder, genauer ausgedrückt, zur umfassenden Beobachtung ganzer Ortsteile in den tatkritischen Zeiten, um verdächtige Personen sofort nach Ausbruch eines Brandes anhalten und überprüfen zu können. Derartige Serienbrandstiftungen erfolgen in der Regel in ein und derselben Stadt, oft auch im gleichen Ortsteil. Ob überregionale Brandstiftungen miteinander im Zusammenhang stehen - also von derselben Tätergruppe begangen wurden - läßt sich nur am modus operandi, insonderheit am verwendeten Brandmittel feststellen. Ein kriminaltechnischer Vergleich der sichergestellten Materiahen kann ergeben, ob Tatzusammenhang besteht (Pulver, Sprengstoff, Flüssigkeiten usw.). F. Triebverbrechen Darunter werden Straftaten verstanden, bei denen sexuelle Antriebe oder Motive maßgebend für die Tatbegehung waren. Es sind dies daher nicht nur Vergewaltigung, sexueller Mißbrauch von Kindern, exhibitionistische Handlungen oder die sonstigen Delikte des 13. Abschnitts des StGB, sondern auch Fetischismus (Diebstahl), sadistische Handlungen (Körperverletzung), Kleiderzerschneiden (Sachbeschädigung), Nekrophilie sowie Mordtaten und Brandstiftungen aus sexuellen Gründen. Delikte hingegen, die nur die Ausnützung fremder Unzucht bezwecken oder materiellen Nutzen aus dem Sexualverkehr ziehen, sind keine Triebverbrechen - auch wenn aus Zweckmäßigkeitsgründen heraus die Zuhälterei und die mit der Prostitution verbundene Kriminalität von den Dienststellen, die sich mit Triebverbrechen befassen, mit bearbeitet werden.

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Zahlenmäßig haben die Triebverbrechen abgenommen. Die sexuelle Freizügigkeit hat nicht nur zum Rückgang der Einnahmen der Prostituierten, sondern offenbar auch der Vergewaltigung und anderer Sexualtaten geführt. Andererseits erregen üble Sexualmorde und Vergewaltigungen, die mit erheblichen Verletzungen verbunden sind, immer wieder Abscheu und Empörung der Öffentlichkeit vor allem dann, wenn sich immer wieder ergibt, daß es Täter sind, die wegen gleichartiger Straftaten abgeurteilt waren und nach Strafverbüßung erneut straffällig wurden - in vielen Fällen in brutalerer Form. Die taktischen Probleme liegen bei Triebtaten einmal im Personalbeweis, sodann im Sachbeweis. Der Hergang des sexuellen Geschehens läßt sich eigentlich in seiner ganzen Breite nur durch die Geschädigtenaussage und die Angaben des Tatverdächtigen klären. Während die Beschuldigtenaussage aus ganz erklärlichen Gründen falsch oder gefärbt sein kann und man ihr mit einer gewissen Reserve (wie auch bei anderen Fällen) begegnet, muß man bei Triebtaten auch beim Geschädigten sorgsam prüfen, ob seine Anzeige zur Gänze oder in Teilen der Wahrheit entspricht: Man kann bei der Anzeige eines Diebstahls in der Regel unterstellen, daß die Angaben des Geschädigten zutreffen. Nicht ganz so klar liegen die Dinge bei den Triebverbrechen. Hier können Scham vor dem eigenen Verhalten, Angst vor Strafe (durch die Eltern), Unannehmlichkeiten (Ehegatte), übersteigerte Phantasie oder Rache (Lehrer, Erzieher) dazu führen, daß die Anzeige völlig falsch oder unwahr ist oder daß wesentliche Umstände verschwiegen werden. Da man natürlich dem Anzeigenden nicht von vornherein mit Mißtrauen begegnen kann, ist die Befragung des Anzeigenerstatters eine Aufgabe, die nur dem auf diesem Gebiete erfahrenen Sachbearbeiter anvertraut werden kann (oder der Sachbearbeiterin, wenn es sich um Fragen sexueller Beziehungen handelt). Auch die fast immer notwendige Gegenüberstellung, um die Einzelheiten der Tat abzuklären, ist für den/die Geschädigte(n) unangenehm, aber das beste Mittel, um die Wahrheit erfahren zu können: Sie beeindruckt den Tatverdächtigen fast regelmäßig so, daß er den wirklichen Verlauf schildert. Schließlich ist noch auf das Problem der Glaubwürdigkeit von Kinderaussagen hinzuweisen. Um erste Hinweise zu geben, ist es vorgeschrieben, daß bei der Befragung von Kindern auch Vermerke über das Verhalten des Kindes bei der Befragung gemacht werden und der Eindruck der vernehmenden Sachbearbeiterin niedergelegt wird. Das Sachbeweisproblem liegt in der oft erst Tage nach der Tat erfolgenden Anzeige und der zwischenzeitlichen Spurenvernichtung. Typisch für die Tat ist ja der körperliche Kontakt zwischen Opfer und Täter: Spuren des Täters können am Körper/an der Kleidung des Opfers sein, Spuren des Opfers

am Körper oder der Bekleidung des Täters. Die Spuren selbst unterliegen der Gefahr der raschen Vernichtung: Haare, Blut-, Speichel-, Spermaspuren, Faser-, Schmutz-, Staubspuren, Schußspuren. Auch am Tatort können sich diese Spuren befinden. Liegt er im Freien, sind Suche und Sicherung schwierig und von der verstrichenen Zeit abhängig. Zweckmäßig wird die gesamte Bekleidung des Opfers sichergestellt und kriminaltechnisch untersucht, sobald der Fall bekannt wird. Soweit das möglich ist, sind die Opfer bzw. deren Angehörige sofort darauf hinzuweisen, daß die Kleidung ungereinigt - in dem Zustande, in dem sie sich befindet vorzulegen ist. Auch die ärztliche Untersuchung des Opfers sowie Farbaufnahmen sind umgehend vorzunehmen. Wichtig ist auch die Lage der einzelnen Spuren an der Kleidung bzw. am Körper. Anhand dieser Feststellungen lassen sich später meist Widersprüche klären. Tatortskizzen, Lichtbildmappen sind nicht nur bei Mordfällen, auch bei anderen Triebverbrechen oft zweckmäßig. Eine eingehende Besichtigung des Tatortes kann manches klären, da etwa bei Vergewaltigungen oder Handlungen an Kindern die Einzelheiten des Tatortes (Türen, Fenster, Zäune, Gitter) eine Rolle spielen. Außerdem weiß man erst nach einer Besichtigung, ob z. B. das fragliche Zimmer, in dem die Vergewaltigung geschehen sein soll, verschließbar war oder ob gar kein Schloß vorhanden war. Ist der Sachverhalt geklärt und gesichert, und der Täter namentlich bekannt, ergeben sich die üblichen Modalitäten der Beweisführung. Auch wenn Tat und Tatverlauf erschreckend sind, sollte bei der Vernehmung versucht werden, die Verirrungen und Antriebe des Täters sorgsam und mit Einfühlung herauszuarbeiten. Vorwürfe wegen der Tat sind im Interesse der restlosen Aufklärung keinesfalls am Platze. Je „aufgeschlossener" der Täter seine Tatmotive und Vorstellungen klarlegt, um so eher und besser läßt sich später ein Urteil fällen, das sowohl dem Täter wie der Umwelt gerecht wird. Die Suche nach dem unbekannten Täter erfolgt über die Personenbeschreibung, Fantombilder, Pressenotizen und den Vergleich der Arbeitsweise (modus operandi). Dabei ist jedoch zu beachten, daß der Triebtäter durchaus nicht an eine immer gleiche Arbeitsweise gebunden ist. Auch die Opferwahl kann sehr unterschiedlich sein, was das Alter betrifft. Die Perseveranz bezieht sich jedoch regelmäßig auf den Ort und die Art der Kontaktaufnahmen (Wälder, Wohnungen, bzw. Verfolgung, Ansprechen, Tricks usw.). Die Suche beginnt in der nächsten Umgebung des Opfers: Allermeist wohnt der Täter in der Nachbarschaft. Da Triebtäter nahezu immer - einen netten Eindruck machen und fast niemals schrecklich aussehen, sucht man oft in der Ferne, anstatt im Nachbarhaus zu fahnden bzw. in der Umgebung (Region: wirtschaftlich oder verkehrsmäßig verflochtene Gebiete). Auch ist zu berücksichtigen, daß Wohnort des Täters und Tatort

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Kriminalistik zu zwei benachbarten Polizeibehörden gehören können: Dann ist der Täter an der Tatortbehörde nicht bekannt. Triebtäter sind häufig wegen an sich strafbarer sexueller Handlungen als pubertierende Kinder oder Jugendliche in Erscheinung getreten. Unterlagen darüber sind entweder bei der Polizei oder den Jugendbehörden greifbar und können zur Klärung von Verdachtsmomenten beitragen. Treten Triebtäter wiederholt im gleichen Bezirk (Stadtviertel, Park, Vorort, Straße) auf, erfolgt ihre Ermittlung durch Observationen: In der Regel wird ein entsprechendes „Opfer" von der Kriminalpolizei gestellt (Kriminalbeamtin, verkleideter Kriminalbeamter), das als „Lockperson" den fraglichen Ort passiert. Begleitende verdeckt operierende Kriminalbeamte fangen dann den Täter ab, sobald er sich als solcher durch strafbaren Versuch zu erkennen gegeben hat. Angesichts gefährlicher Vergewaltigungstaten oder bei Überfällen auf Liebespaare ist diese personalaufwendige und zeitraubende Methode notwendig.

G . Diebstähle Diebstähle ohne erschwerende Umstände machen 31 % der Gesamtkriminalität aus, Diebstähle unter erschwerenden Umständen belaufen sich auf 3 3 % der Gesamtkriminalität: Von den 3533000 Delikten des Jahres 1979 waren 2295694 Taten solche des Diebstahls. Die Verhältnisse der rückhegenden Zeit entsprechen diesen Zahlen. In der Diebstahlsgruppe ragen die sogenannten Massendelikte heraus, die teils durch die Entwicklung des Verkehrs (Fahrzeugdiebstähle), teils durch moderne Vertriebsformen (Ladendiebstähle) eine explosionsartige Ausbreitung erfahren haben. Faßt man diese Diebstähle zusammen (also ohne und mit erschwerenden Umständen) ergibt sich für 1979 folgende Größenordnung: Kraftwagendiebstahl 61107 Diebstahl aus Kraftfahrzeugen 301823 Diebstahl an Kraftfahrzeugen 289 932 Moped- und Kraddiebstahl 150 773 Fahrraddiebstahl 323204 Diebstahl aus Warenhäusern, Verkaufsräumen, SB-Läden 336119 davon Ladendiebstahl 267 574 Dieser Gruppe der Massendelikte stehen diejenigen Diebstahlsarten gegenüber, die ein gewisses Geschick und eine gewisse Erfahrung erfordern, so etwa die Einbruchdiebstähle in Wohnungen (92865), Bankeinbrüche (328), Büro-, Werkstattund Lagerräume (21116) sowie Einbrüche in Warenhäuser, Verkaufsräume, SB-Läden (in der oben genannten Zahl enthalten, machen die Einbruchdiebstähle lediglich 37797 aus). Angesichts der krassen zahlenmäßigen Unterschiede, der unterschiedlichen kriminellen Schwere und Gefährlichkeit und des sehr differenzierten Täterkreises ist das

kriminaltaktische Vorgehen ebenfalls den jeweiligen Gegebenheiten angepaßt. 1.

Fahrzeugdiebstähle

Diese Gruppe umfaßt Fahrräder, Mopeds, Krafträder und Autos, einschließlich der unbefugten Ingebrauchnahme sowie die Diebstähle in und aus sowie an Automobilen. Die Aufklärungsziffern sind minimal, liegen beim Fahrraddiebstahl bei 8 % und gehen über 35 % bei den anderen Delikten kaum hinaus. Bei der Vielzahl der Anzeigen, dem unüberschaubaren Täterkreis (überwiegend Gelegenheitstäter) und der technisch bedingten immer vergleichbaren Arbeitsweise kommt nur ein schematisches Verfahren in Betracht, das allerdings hinsichtlich der Autodiebstähle mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung auch die notwendige Schnelligkeit garantiert. Diebstähle von Kraftfahrzeugen werden daher sofort nach Bekanntwerden elektronisch in den Fahndungshilfsmitteln gespeichert. Die Abfrage gespeicherter Daten kann durch jeden Polizeistreifenwagen erfolgen, so daß Fahrzeuge, bei denen aus irgendwelchen meist verkehrspolizeilichen Gründen eine Kontrolle erfolgt, auch der Kontrolle auf eventuellen Diebstahl unterliegen. Darüber hinaus können sämtliche ein Streifenfahrzeug passierenden Kraftfahrzeuge elektronisch abgefragt werden, wenn Fahndungsmaßnahmen oder Kontrollen dieser Art notwendig werden. Der Großteil aller zunächst entwendeten Kraftfahrzeuge wird jedoch einige Tage nach der Tat wieder aufgefunden (zum Teil beschädigt), ohne daß indessen in diesen Fällen der Täter ermittelt wird. Der Kfz-Gebrauchsdiebstahl ist die Domäne jugendlicher Täter, die lediglich ein Fahrzeug einmal fahren und benutzen wollen. Nur die sogenannten NobelMarken werden durch berufsmäßige Täter, die bandenmäßig in Arbeitsteilung zusammenarbeiten, ins Ausland verkauft. Vorher erfolgen umfassende Veränderungen (Frisuren) um eine Identifizierung zu verhindern. Auch die Kfz-Papiere werden neu beschafft. Bei Diebstählen dieser Art erfolgt eine umfassende und sorgfältige Bearbeitung durch Spezialisten, da die eigentlichen Diebe und z. T. auch die Werkstätten im Bundesgebiet ansässig sind. Das taktische Vorgehen erstreckt sich zunächst auf die Observation verdächtiger Täter (nachdem die kriminalpolizeilichen Karteien und Sammlungen nachgeprüft wurden), wobei Wert darauf gelegt wird, den repressiven Zugriff möglichst anläßlich einer neuen Tat durchzuführen. Auch der Einsatz von Vertrauenspersonen ist zweckmäßig. Bei Werkstattdurchsuchungen sind umfassende kriminaltechnische Untersuchungen zum Nachweis der Frisuren angebracht. Stehen Verbringungswege und Tatbeteiligte im Ausland fest, wird Interpol eingeschaltet, so daß der Täter bzw. seine Helfer auch auf den Verkehrswegen ausländischer Staaten gefaßt wer-

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Kriminalistik

den können. Bevorzugte Absatzgebiete liegen im nahen und mittleren Orient, die früher genannten Absatzgebiete haben kaum mehr die frühere Rolle, doch können natürlich die Schweiz oder Österreich als Stationen des Durchgangs und der Umfrisierung dienen. Der Diebstahl von Fahrrädern und Mopeds ist besonders bei Kindern oder jüngeren Jugendlichen beliebt, entweder geht es hierbei um das Fahren und Benutzen, oder aber auch um die Verwendung von Ersatz- oder Zusatzteilen. Nicht selten ist auch der professionelle Diebstahl, um durch Teile-Austausch und Zusammenbau - „neue" Fahrzeuge zu produzieren und sie an Altersgenossen zu verkaufen. Der rapide Anstieg dieser Diebstähle geht auf die Zweiradwelle zurück, doch wird auch darüber Klage geführt, daß seit der Einbeziehung der Fahrräder in die Hausratsdiebstahlversicherung ältere Fahrräder als gestohlen gemeldet werden, um seitens der Versicherung mit einem neuen Rad belohnt zu werden. Allerdings wird dies lediglich daraus geschlossen, daß entwendete Fahrräder, die wieder aufgefunden werden, von den früheren Eigentümern oft nicht identifiziert werden, obgleich die technischen Daten übereinstimmen. Die Polizei bemüht sich, durch Einführung von Fahrradpässen und Sicherungsmaßnahmen (Schlösser) dies grassierende Delikt zu verringern. Eine Änderung der Versicherungsbedingungen, die ganz sicher einen Rückgang der Diebstähle zur Folge hätte, ist allerdings wohl nicht zu erreichen. Der Diebstahl aus Kraftfahrzeugen hat die Entwendung von Autoradios, Bargeldbeträgen oder Gepäckstücken zum Ziel. Mitunter dient diese Straftat auch als „Mutprobe" für Jugendliche - vor allem dann, wenn lediglich Taschenlampen, Straßenkarten oder ähnliche Gegenstände minderen Wertes gestohlen werden. Angesichts der massenweise am Straßenrande parkenden Kraftfahrzeuge bietet sich zu Taten dieser Art jederzeit Gelegenheit, zumal entgegen allen Mahnungen der Polizei immer wieder auch wertvollere Objekte im Wagen zurückgelassen werden - etwa Musterkollektionen von Edelsteinen oder Bekleidungsstücke. Die Tat selbst - meist durch Öffnen des Ausstellfensters begangen, dauert nur einige Minuten und wird auch auf Parkplätzen kaum bemerkt. Bei Häufung der Diebstähle in bestimmten Straßenzügen lassen sich nächtliche Streifen durchführen, die mitunter zur Festnahme auf frischer Tat führen. In solchen Fällen sind in der Regel zahlreichere zurückliegende Taten gleicher Art nachzuweisen. Schwierigkeiten bereitet bei Durchsuchungen die Identifizierung aufgefundener Gegenstände als Beute, da heute zumeist bei technischen Gegenständen individuelle Nummernbezeichnungen fehlen und ein Nachweis nur bei Vorliegen individueller Merkmale möglich ist. Kraftfahrzeuge, die in Urlaubs- oder Erholungsgebieten abgestellt sind, werden aufgebrochen, um Scheckformulare einschließlich der Scheckkarten

und Ausweise zu erlangen. Diese Straftatart wird gewöhnlich durch Banden ausgeübt, die sich darauf spezialisiert haben. Die entwendeten Schecks werden umgehend verwertet und schlagartig an Bankinstituten in Zahlung gegeben, ehe noch der Diebstahl gemeldet wurde. Die bekannteste Tätergruppe ist die Euro-Scheckgang, die dort tätig wird, wo deutsche Urlauber ihre Ferien verbringen. Gegen kriminelle Aktivitäten dieser Art müssen Observationsgruppen eingesetzt werden, um auf frischer Tat zugreifen zu können. Außer im europäischen Ausland tritt die Gruppe auch in deutschen Naherholungsgebieten auf. Objekte des Diebstahls an Kraftfahrzeugen sind Radioantennen, Radkappen, Reifen, Firmenembleme (Mercedessterne) sowie sonstige erreichbare Teile, die als Zusatzeinrichtungen bzw. Ersatzteile (etwa für Zweiradfahrzeuge) dienen können (Scheinwerfer, Tachometer). Auch hier liegt die Aufklärungsquote sehr niedrig (bei 5 % ) . Soweit die Diebstähle sich im Anschluß an Kirmes- oder Volksfestveranstaltungen ereignen bzw. häufen, wird Trunkenheit oder Kraftmeierei den Anlaß geben; die „Beute" wird einige Zeit später weggeworfen: Insofern ähneln die Taten reinen Sachbeschädigungen an Kraftfahrzeugen, die bei solchen Gelegenheiten, aber auch im Anschluß an Sportveranstaltungen vorkommen. Derartige Sachbeschädigungen an Kraftfahrzeugen ereigneten sich im Jahre 1979 21597mal. Die Aufklärung lag bei 17,5 % .

2. Kaufliausdiebstähle

(Ladendiebstähle)

Bei diesem Massendelikt liegt die Aufklärungsquote bei 96 %: Es kommen praktisch nur diejenigen Fälle zur Anzeige, bei denen der Täter auf frischer Tat ertappt wird (von den geringfügigen Ausnahmen der Flucht bei Entdeckung abgesehen). Die Zahl der Delikte hängt daher von der Intensität der Verfolgung ab, die ausschließlich durch betriebseigene Kräfte (Warenhausdetektive bzw. in geringerem Umfange Verkaufspersonal) geschieht. Die Aufgabe der Polizei (oft erfolgt die Bearbeitung durch die Schutzpolizei) besteht in der Entgegennahme der Anzeige, Versendung eines Anhörungsbogens und Abgabe an die Staatsanwaltschaft. Eine Durchsuchung der Räume und eingehende Befragung der Beschuldigten werden nur dann vorgenommen, wenn der Verdacht auf gewohnheits- oder gewerbsmäßiges Handeln besteht (auswärtige Täter, bereits in Erscheinung getreten usw.). Die Möglichkeit, daß daher Wiederholungstäter unentdeckt bleiben, muß angesichts der Unmöglichkeit individueller Bearbeitung in Kauf genommen werden. Zu den unaufgeklärten Diebstählen gehören auch Trickdiebstähle durch reisende Berufstäter, die wertvolle Objekte (Pelzmäntel, Juwelen) unter Ablenkung des Personals und dem Vorwand, zu-

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Kriminalistik nächst das nötige Bargeld zu beschaffen, gruppenweise auftreten (als Familie oder Clan). In unbemerkten Augenblicken wird das ausersehene Stück in einen Koffer oder eine Tasche praktiziert, unter dem Vorwand des Aufsuchens einer Bank entfernt sich einer der Täter mit dem Diebesgut, um dann zurückzukehren, mitzuteilen, daß die Bank bereits geschlossen habe und den endgültigen Kauf für den kommenden Tag zu versprechen. Das Diebesgut wird in der Regel sofort nach der Tat - auch per Flugzeug ins Ausland - abtransportiert, ehe die Tat durch den Geschädigten bemerkt wird. Überführung der Täter ist nur auf frischer Tat oder durch Sicherstellung der Beute beim Hehler möglich; die in Betracht kommenden Spezialisten sind durch den kriminalpolizeilichen Meldedienst nach einiger Zeit bekanntgeworden, eine Beweisführung jedoch nur unter den genannten Umständen möglich. 3. Einbruchdiebstähle Der (klassische) Einbruchdiebstahl ist zwar ebenfalls erheblich angestiegen, zeigt jedoch - ohne Massendelikte - nicht den gleichen explosiven Charakter. Man kann daher davon ausgehen, daß die kriminalpolizeiliche Aufklärungs- und damit Bekämpfungstätigkeit wirksame Schranken setzt. Man kann - zusammenfassend und abweichend von der Klassifizierung im Stichwort —> Kriminaltaktik folgende Gruppen unterscheiden: Geschäfts-, Schaufenster- und Schaukästeneinbrüche, Einbrüche in Banken, Sparkassen, Zahlstellen, Tresorräume, Einbrüche in Einfamilienhäusern, Villen, Wohnungseinbrüche , Einbrüche in Büros, Werkstätten-, Fabrik- und Lagerräume, Gaststätten-, Hotel- und Kantineneinbrüche, Einbrüche in Kioske Einbrüche in Baubuden, Schuppen, Boden-, Kellerräume, Baustellen, Einbruchdiebstähle in Gartenlauben, Jagdhütten, Wochenendhäuser, Einbrüche in Schulen, Kindergärten, Heime, Krankenhäuser usw. Je lohnenswerter das Objekt ist, um so umfassender sind auch die Sicherheitseinrichtungen, die überwunden werden müssen: So sind es denn die Wiederholungstäter (Berufs- und Gewohnheitstäter), die sich an Villen, Geschäftsräumen, Banken versuchen, ausgesprochene Spezialisten, die in aller Regel nach gewisser Zeit bekannt und erkannt werden und ihre Straftaten (Serien von 20 bis über 100 Einbrüchen) dann in der Haft abbüßen. Mühsamer ist das Geschäft der Gaststätteneinbrecher und Büro* und Fabrikeinbrecher, die mit geringeren Beutewerten rechnen müssen. Neben Anfängern in der Zunft finden sich auch hier Wiederholungstäter, die

mit bescheideneren Mitteln und Fähigkeiten ihren Lebensunterhalt verdienen wollen. Einen Höhepunkt verzeichnete teilweise der Einbruch in Wohnräume: Bedingt durch die Berufstätigkeit der Frauen - besonders auch bei ausländischen Arbeitskräften - stehen die Wohnungen heute während der Arbeitszeit leer, sie sind traditionsgemäß auch schlecht gesichert. Das nutzen die Wohnungseinbrecher aus, die hier die Konjunktur ausnützen und es auf die im Küchenschrank oder Schlafzimmer aufbewahrten Geldbeträge abgesehen haben. Sie kämmen regelrecht ganze Straßenzüge ab und verlegen ihr Arbeitsfeld, sobald durch die Anzeigenerstattung ihr serienmäßiges Auftreten bekannt wird. Bei den anderen genannten Einbruchsarten handelt es sich um Kinder oder Jugendliche als Täter, um Stadtstreicher, durchreisende Rechtsbrecher oder Anfänger auf dem Gebiete der Kriminalität. Mitunter reisen jedoch auch Spezialisten durch, die es etwa auf die in modernen Schulen vorhandenen technischen Geräte aller Art abgesehen haben und Ort für Ort „abkämmen". Der Einbruchskriminalität wird einmal durch verstärkte Bestreifung der jeweils gefährdeten Ortsteile (und damit Verunsicherung der Täter) begegnet. Die Aufklärung der Taten setzt mit der Auswertung der Meldungen und der speziellen Arbeitsweise ein: Observation verdächtiger Personen und Mitteilungen von V-Personen (gerade bei der Bekämpfung des Einbruchdiebstahls ein zugkräftiges Mittel) tragen zu ersten Erkenntnissen bei. Sobald Schwerpunkte erkannt werden, lassen sich gezielte Fahndungen an gefährdeten Objekten durchführen (so etwa der Empfang der Einbrecher in Geschäften oder Gastwirtschaften auf frischer Tat). Eine bedeutsame Rolle spielt auch heute noch das modus-operandi-System (allerdings in anderer Form als bisher). Die Beweisführung erfolgt anhand gesicherter Spuren (wobei Fingerabdrücke nach wie vor sehr bedeutsam sind) und durch Sicherstellung der Beute bei Durchsuchungen in der Wohnung des Täters oder Hehlers. Die überall übliche Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten ermöglicht auch schnellen Zugriff bei Verbringung der Beute ins europäische Ausland. Die Mitarbeit der Öffentlichkeit wird durch Presseveröffentlichung angeregt und trägt regelmäßig zu den Erfolgen bei. Belohnungen der Versicherungen und Zahlungen durch die Polizei bei Erfolg lohnen sich.

H. Rauschgiftkriminalität Während im Jahre 1960 lediglich 4761 Fälle des Rauschgiftmißbrauchs bekannt wurden, stieg die Zahl der Anzeigen im Jahre 1970 auf 16104. Seither ist ein steter, explosionsartiger Anstieg zu verzeichnen, so daß im Jahre 1979 die erfaßten Fälle 51445 betrugen. Davon erstrecken sich 17450 Fälle auf

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Kriminalistik

den illegalen Handel und Schmuggel. Die Zahl der Anzeigen geht - da „Geschädigte" ja zugleich Betroffene sind - auf die polizeiliche Ermittlungstätigkeit zurück. Doch setzen die polizeilichen Ermittlungen ja voraus, daß ein entsprechendes Volumen vorhanden ist. So läßt diese Zahl dennoch einiger-

maßen das Anwachsen dieses Deliktes erkennen, zumal auch mehr und mehr - vorwiegend jüngere Menschen an den Rauschgiftfolgen sterben: 616 waren es 1979. Auch die beschlagnahmten Rauschgiftmengen lassen den Anstrom der Zufuhr erkennen:

Jahr

Heroin

Morphinbase

Rohopium

Kokain

Cannabis

1970 1976 1979

0 494 kg 167150 kg 207331kg

0596 kg 10564 kg 1104 kg

34771kg 15085 kg 17249 kg

0040 kg 2403 kg 19028 kg

4331967 kg 5 325938 kg 6407226 kg

Der jahrelange Trend - Zunahme des Heroin- und Kokainkonsums bei gleichbleibendem Haschischverbrauch und Rückgang des Rohopiums wird deutlich. Auch der (hier nicht aufgeführte) Rückgang des LSD ist zu verzeichnen. Derzeit (1980) rechnet man mit ca. 55000-60000 Heroinabhängigen. Die kriminaltaktische Bearbeitung muß berücksichtigen, daß Händler wie Konsumenten das Bestreben haben, Handel wie Verzehr unentdeckt und ungestört von der Polizei durchführen zu können. Bei den überwiegend jugendlichen Konsumenten ist auch mit Hinweisen durch Eltern und Erziehungsberechtigte nicht zu rechnen; oft werden auch Beratungsstellen und therapeutische Einrichtungen zu spät in Anspruch genommen. In vielen Fällen ist der Konsument auch in den Handel verstrickt, ohne den er den Konsum nicht finanzieren kann. Schließlich kommt es auch zu sonstiger Kriminalität (Diebstahl, Raub, Fälschungen), um sich die Drogen zu beschaffen (Beschaffungskriminalität) oder ihren Erwerb zu finanzieren (indirekte Beschaffungskriminalität). D a die Drogen bzw. ihre Rohstoffe eingeführt werden müssen, ist die Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität nur international möglich und erstreckt sich auf die Verhinderung bzw. Beschränkung des Anbaues, der illegalen Gewinnung am Ursprungsort, auf die Kontrolle des Transports und der illegalen Einfuhr sowie auf den Handel wie den Verbrauch in der Bundesrepublik Deutschland selbst.

von 1971-1979 insgesamt 3 Mio D M zur Verfügung und wird ab 1980 jährlich 2 Mio D M dafür aufwenden. Die Polizeiarbeit erstreckt sich auf die Gestellung eines Verbindungsbeamten zur Rauschgiftdienststelle der IKPO, der Zusammenarbeit mit dem USA m t für Rauschgiftbekämpfung (DEA-Drug Enforcement Administration), die Bereitstellung von technischem Gerät für Behörden der Rauschgifttransitländer (insbesondere auf der Balkanroute) und die Entsendung von Kriminalbeamten zur Unterstützung der Herkunfts- und Transitländer bei fallbezogenen Ermittlungen. Hervorzuheben ist besonders diese personelle Zusammenarbeit mit Pakistan und Thailand. Auf jährlichen Zusammenkünften werden die Probleme und Taktiken besprochen: Es sind dies die Europäische Konferenz der Leiter der nationalen Rauschgiftdienststellen der IKPO sowie die Generalversammlung der IKPO. Auch der Arbeitskreis der Leiter der Zollverwaltungen der EG-Mitgliedsstaaten und der Türkei, der Rat für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens (Brüsseler Zollrat), der Einheitsausschuß im Rahmen der europäischen Zusammenarbeit bei der Rauschgiftbekämpfung (Pompidou-Initiative) sowie die Suchtstoffkommission des Wirtschafts- und Sozialrates der Vereinten Nationen befassen sich in jährlichen Zusammenkünften mit den Rauschgiftproblemen.

2. Unterbindung illegaler Einfuhr 1. Internationale

Bekämpfung

Die Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern vollzieht sich im Rahmen der Suchtstoffkommission der Vereinten Nationen (Einschränkung des illegalen Mohnanbaus). 1977 wurde ein Programm internationaler Strategien und Maßnahmen zur Bekämpfung des Drogenmißbrauchs beschlossen (32. Vollversammlung), 1979 eine entsprechende Resolution verabschiedet. Für Programme zur landwirtschaftlichen Umstrukturierung in illegalen Mohnanbaugebieten stellte die Bundesregierung

Die Arbeitsgemeinschaft Kripo (AG Kripo-, A G der Leiter der LKÄ und des BKA) schuf sich in der „Ständigen Arbeitsgruppe Rauschgift -STAR" eine Kommission, in der neben den Sachverständigen der Kriminalpolizei auch die entsprechenden Beamten der Zollverwaltung und der Grenzpolizei und ausländische Dienststellen vertreten sind. Dieser STAR sind angegliedert bzw. durch personelle Verflechtungen verbunden weitere Arbeitsgruppen, die aus Vertretern deutscher Kriminaldienststellen und Vertretern der jeweils anliegenden Nachbarstaaten bestehen:

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Kriminalistik Es bestehen derzeit: Deutsch-niederländische Arbeitsgruppe zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität, Deutsch-Französische Arbeitsgruppe zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels, Arbeitsgruppe zur Bekämpfung des Rauschgifthandels Nord, Arbeitsgruppe zur Bekämpfung des Rauschmittelhandels Südost, Arbeitsgruppe zur Bekämpfung des Rauschgifthandels Südwest. Die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit geschieht mittels einer Zentralen Arbeitsgruppe, die sich in die Unterausschüsse für Prävention und Medizin, Rechtsfragen, Repressive Maßnahmen und Streitkräfte gliedert. Diese Arbeitsgruppen vereinbaren Kontrollmaßnahmen, Schwerpunkte, Fahndungszeiten, Einsatz der Kräfte und sorgen auch durch gemeinsame Repressiv-Maßnahmen für lückenlose und durch die taktische Lage bedingte Behinderung und Verringerung illegaler Einfuhren. A n den Grenzen kommt naturgemäß der Kontrolle von Personen und Gütern besondere Bedeutung zu. Bei der Freizügigkeit und dem Aufkommen an den deutschen Grenzen können sich Kontrollmaßnahmen nur auf einen begrenzten Personenkreis erstrecken. Der Information über die Taktiken und Techniken des internationalen Rauschgifthandels kommt daher besondere Bedeutung zu. Je nach der Marktlage und dem Anbau wechseln die Herkunftsländer, der Kreis der Transporteure, die Art des Transportes. Auch die Taktik der Polizei- und Zollbehörden wird vom illegalen Handel beobachtet. Wird ein Flughafen besonders streng kontrolliert, dann weichen die Transporteure aus und wechseln zur Tarnung die einzelnen Herkunftflughäfen. Der Sondermeldedienst „Rauschgiftdelikte" der Kriminalpolizei bzw. des Zolls sorgt daher dafür, daß bei Aufgriffen der modus operandi festgelegt und zentral gesammelt wird. So lassen sich die beim Transport tätigen Personengruppen, Abflughäfen, Zielhäfen, bevorzugten Verstecke usw. schnell erkennen, um die Fahndung wiederum darauf abzustellen. Die Beobachtende Fahndung (Befa) für Rauschgiftdelikte läßt darüber hinaus die Erkennung des Reiseweges und der Verbringungsund Kooperationspunkte verdächtiger Personen zu. Beim Zoll werden schwerpunktmäßige Kontrollen durch 65 mobile Trupps durchgeführt, die Kraftfahrzeuge überholen, in Häfen werden Schiffsdurchsuchungstrupps, auf den Flughäfen Überwachungsgruppen des Zolls eingesetzt. Besonders empfindliche Grenzabschnitte unterliegen verstärkter Überwachung. 240 Zollhunde wurden für das Aufspüren von Haschisch, davon 110 zusätzlich für das Aufspüren von Heroin eingesetzt. Sondergerät - eine Lkw-Überholungshalle an der Autobahn Salzburg-München, Kombifahrzeuge, Testgeräte zur Identifikation von Rauschgift - sorgt für intensive Fahndungsarbeit. 200 Rauschgiftfahndungsbe-

amte des Zolls stehen für diesen speziellen Dienst zur Verfügung. Für Grenzkontrollen steht auch der Bundesgrenzschutz zur Verfügung, der durch motorisierte Fahndungsgruppen Schwerpunkteinsätze durchführt. Den Dienststellen stehen Testgeräte und besonders ausgebildete Kontrollbeamte zur Verfügung. Ein zum BKA abgestellter Verbindungsbeamter ist an der Auswertung neuer Informationen für den Bundesgrenzschutzeinzeldienst beteiligt.

3. Ermittlungen am Konsumort Die örtlichen Kriminaldienststellen sind die Träger des Ermittlungsdienstes für den örtlichen Handel und Konsum. Hier können eingesetzt werden: - Razzien an den Schwerpunkten des Handels und Verzehrs, - Durchsuchungen verdächtiger Treffs, Diskotheken, Gastwirtschaften, Wohnungen, - Beobachtung verdächtiger Fahrzeuge und Personen, - Einsatz von V-Leuten gegen Bezahlung, - fingierte Aufkäufe zur Sicherstellung von Rauschgiften, - Telefonüberwachung durch Gerichtsbeschluß. Der illegale (Klein-) Handel durch Rauschgiftkonsumenten sorgt für die Verbreitung des Rauschgiftes in allen Orten. Durch die Ermittlung dieser Dealer läßt sich die Ausbreitung daher erheblich beschränken und damit zumindest die leichte Gelegenheit und damit Verführbarkeit zum Rauschgiftmißbrauch verhindern. Ermittlungen dieser Art werden durch die Beobachtungsmaßnahmen der örtlichen Polizei ermöglicht. Die Beobachtung des überörtlichen Handels und der Ankauf größerer Mengen (und damit die Ermittlungen der Zwischenhändler) setzt gute V-Leute und entsprechenden Einsatz von Geld voraus. Derartige Maßnahmen können nur durch entsprechend ausgebildete und erfahrene Beamte durchgeführt werden, da die Händler der Polizeitaktik eine sich daran orientierende Verbrechenstaktik entgegensetzen. Die Einzelheiten können hier nicht erörtert werden. Der Einsatz von Kriminalbeamten, die für längere Zeit als Interessenten in der Rauschgiftszene leben, ist problematisch (eigener Rauschgiftkonsum mitunter nötig, Problem des Strafverfolgungszwangs) und daher kaum zu empfehlen (Gefahr bei Verdacht der Spitzeltätigkeit). Auf Dauer verspricht der Einsatz bezahlter VPersonen sowie die Observation verdächtiger Personen bessere Erfolge (einschließlich der Telefonüberwachung). Die geplante Verstärkung des Grenzeinsatzes durch Zoll, Zollfahndung, Zusammenarbeit mit der Polizei sowie die zentrale Sammlung, Auswertung und Weitergabe der Daten an die ermittelnden Dienststellen werden zweifellos die Einfuhr weiter verringern können. Eine Ermittlung

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der im Ausland sitzenden Großhändler und Initiatoren ist praktisch kaum möglich; kaufmännisch betriebenes organisiertes Verbrechen läßt sich nicht ausrotten. Lediglich der Transport und der Zwischenhandel - der die Bundesrepublik Deutschland berührt bzw. in ihr seinen Sitz hat - können erheblich eingeschränkt werden. Ein Erfolg wird allerdings nur durch umfassende präventive Maßnahmen, insbesondere auf dem Gebiete der Jugendpolitik und Jugenderziehung zu erreichen sein.

4. Organisation des Schmuggels Zu unterscheiden ist der „Ameisenhandel" vom gewerbsmäßigen Vertrieb durch organisierte Banden. Im Ameisenhandel werden durch Gastarbeiter

(Türken), Touristen, oder im kleinen Grenzverkehr (Niederlande-Deutschland) laufend kleinere Mengen Heroin oder Kokain bzw. Haschisch eingeschleust. Heroin-Dealer im Kleinhandel kaufen meist für ihren engeren Freundes- und bekanntenkreis ein und leben von diesem Handel. In den anderen Fällen muß erst für den Absatz gesorgt werden. Das kann dazu führen, daß die Gelegenheitsschmuggler bekannt werden und damit ermittelt werden können. Sobald ein bestimmter Abnehmerkreis vorhanden ist, ist das Risiko des Entdecktwerdens geringer. Nationale Gruppen (Italiener, Türken, Angehörige nah- oder mittelöstlicher Staten) haben gewöhnlich Abnehmer ihrer Nationalität, die für den Klein verkauf sorgen. Der gewerbsmäßige Schmuggel ist in ein Händler- und Verteilernetz gegliedert, dessen Struktur nachfolgende Aufstellung zeigt.

Bandenführer Aufkäufer I Kuriere I Labor I Großverteiler I Zwischenhändler I viele Kleinverteiler I Endverbraucher

Aufkäufer I Kuriere I Labor I Großverteiler I Zwischenhändler I viele Kleinverteiler I Endverbraucher

Der eigentliche Geldgeber und Bandenführer bleibt im Hintergrund und tritt nicht in Erscheinung, er organisiert lediglich den Aufkauf und Vertrieb. Die aufgekaufte Menge wird Kurieren (Transporteuren) übergeben, die sie in das eigentliche Zielland einschleusen (auf dem Land-, Luftoder Wasserweg). Hier gelangt sie an Großverteiler, die sie über den Zwischenhandel an den Kleinverteiler abgeben. Beim Vertrieb von Heroin ist entweder vor dem Transport in das Zielland oder aber im Zielland selbst die labormäßige Umwandlung von Morphinbase in Heroin dazwischengeschaltet. In früheren Jahren, als Marseille Hauptumschlagplatz im europäischen Heroinhandel war, befanden sich die Labors im Umkreis von Marseille. Heute sind sie überwiegend bereits in den Anbaugebieten installiert, also im „Goldenen Dreieck" (Laos/Burma/ Thailand) bzw. im nahöstlichen Bereich. Die Gewinnspanne ist beträchtlich. Der Zwischenhändler kann durch Beimischung anderer Substanzen die „Ware" erheblich strecken und dadurch zusätzliche Gewinne einstreichen. Da der

Aufkäufer I Kuriere I Labor I Großverteiler I Zwischenhändler I viele Kleinverteiler I Endverbraucher

prozentuale Heroingehalt vom Verbraucher nicht ermittelt wird, kann es bei hochprozentigem Heroin, das z. B. als Heroin 4 (67-79 % Heroin) in den Handel kommt, durch die ungewohnt hohe Konzentration zu Todesfällen kommen. Eine alles umfassende Handelsorganisation gibt es nicht. Es gibt vielmehr zahlreiche Organisationen unterschiedlicher Personalstärke, die auf diesem gewinnträchtigen Markt unabhängig voneinander operieren. Auch die Beteiligung der einzelnen Nationen ist unterschiedlich, wenn auch Angehörige nah-, mittel- und fernöstlicher Nationen immer beteiligt sein werden. Bekannt wurden in Marseille die korsische Gruppe, in den Niederlanden die chinesischen Händler, später malaiische Kuriere; derzeit liegt der Zwischenhandel und Transport in türkischen Händen. Kokainhändler müssen auf jeden Fall Beziehungen zu Mittel- und südamerikanischen Staaten haben und stammen von dort. Die hohe Beteiligung nordamerikanischer Staatsangehöriger in der deutschen Kriminalstatistik erklärt sich aus der Anwesenheit US-amerikanischer Stationierungskräfte .

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Kriminalistik 5. Transportwege,

Verstecke

Mohn - Lieferant des Opiums sowie der daraus hergestellten Gifte Morphin und Heroin - wird im wesentlichen im nahen, mittleren und fernen Osten angebaut. Von Anatolien ausgehend, sind Pakistan, das nördliche Indien, der Iran, das Goldene Dreieck (Laos/Burma/Thailand) Hauptlieferanten. Hanf (Haschisch) wird aus Indien, Afghanistan, Nepal, Kaschmir eingeführt (begehrt sind diese Provenienzen wegen ihrer hohen Qualität), jedoch sind auch der Iran, Libanon, Indonesien und die Türkei Lieferanten; afrikanisches Haschisch kommt ebenfalls häufig auf den Markt. Südrussischer Hanf dient dem örtlichen Konsum, Mexiko versorgt den Markt der USA. Kokain wird aus Mittel- und Südamerika eingeschleust und gewinnt zunehmend an Bedeutung. Die früheren Hauptumschlageplätze Marseille und Amsterdam sind durch polizeiliche Aktivitäten zunächst vorübergehend ausgeschaltet worden. Derzeit kommt Rauschgift über die Balkanroute auf den deutschen Markt, deutsche Großstädte - etwa Frankfurt - dienen als europäische Hauptumschlagplätze. Jedoch können sich diese Handelsgewohnheiten stets ändern. Natürlich sind die benötigten Mengen jederzeit in jeder europäischen Großstadt zu bekommen. Beim Lufttransport werden die Abreise- und Zielorte durch mehrfaches Umsteigen oder durch vorzeitiges Aussteigen und Weiterfahrt mit anderen Transportmitteln verschleiert, um die Fahndung zu erschweren. Das Rauschgift wird hier in Koffern mit doppeltem Boden eingeschleust oder am Körper getragen. Besonders angefertigte Westen oder Leibgürtel ermöglichen die Unterbringung größerer Mengen Haschischplatten; Heroin kann im Gepäck oder in Beuteln am Körper eingeführt werden. Der Pkw-Transport erfolgt in Hohlräumen des Autos, im Benzintank (der zur Aufnahme des Rauschgiftes entsprechende Abteilungen enthält), in der Dachbespannung oder unter dem Bodenblech. Lkw's und Autobusse (auch für Touristen oder Urlauber) transportieren Rauschgift in besonders hergerichteten Aufbauten oder Behältnissen (etwa in Tanklastwagen) mit zum Teil komplizierten Vorrichtungen (Verstecke, die sich nur durch elektrische Mechanismen öffnen lassen). Rauschgiftspürhunde und besondere Kfz-Untersuchungshallen können hier die Kontrolle erheblich erleichtern. Der lebhafte Kraftfahrzeugverkehr auf der Balkan-Route bietet sich geradezu als gute Einschleusungsmöglichkeit an. Schiffstransporte sind für die Haschisch-Verbringung behebt, da hier große Mengen eingeschleust werden können. In der Nähe des Zielortes kann das Schmuggelgut mittels Bojen im Wasser gelagert werden, bis der heimliche Abtransport durch kleine Boote erfolgen kann. Daß gelegentlich mehrere Zentner Haschisch durch Kontrollfahrzeuge aufgefunden werden, wird mit unter die Geschäftsun-

kosten verbucht. Kontrollen der Zoll- und Wasserschutzpolizeibehörden können hier, unterstützt durch Spürhunde, zum Ziele führen. Verstecke am Körper und in der Kleidung eignen sich für Heroin und Haschisch. Es gibt kaum ein Kleidungsstück, das nicht geeignet ist. Darüber hinaus sind die Körperöffnungen beliebt sowie Haarteile und mitgeführte Gegenstände (Schirme, Motorradhelme, Geschenke, Pakete usw.). Das Verschlucken von Rauschgift, das vorher in Präservative gefüllt wurde, ist riskant, weil diese Beutel im Magen platzen können und zum Tode führen, kommt aber dennoch immer wieder vor. Der Rauschgiftschmuggel durch Verbergen am Körper und in den Körperhöhlen ist erheblich im Ansteigen begriffen. Angesichts des heutigen Reiseverkehrs haben die Täter Chancen, ihre Ware durch die Kontrollen zu bringen. Schließlich kann Rauschgift auch als Beipack jeder Frachtsendung aus dem Ausland beigegeben werden. Frachtgüter jeder Art - auf dem Bahnoder Luftwege zu uns gelangend - sind schon mit Heroin- und Haschischzugaben versehen worden. Dazu gehört auch der Import exotischer Lebensmittel: Konservendosen eignen sich gut dazu, sofern man die angegebene Mengenbezeichnung auf der Verpackung einhält. Ein besonderes Problem bildet der sich großer Beliebtheit erfreuende Containerverkehr. Auch der Schmuggel mit der Post zeigt steigende Tendenz. Postpakete, aber auch Briefsendungen aus dem Ausland werden für den Heroinschmuggel genutzt, neuerdings auch für Kokain. Sogenanntes Diplomatengepäck ist wiederholt als ausgesprochenes Schmuggelgepäck für Rauschgifte erkannt und ermittelt worden. Man weiß zudem, daß seit einigen Jahren der Kleinhandel mit Rauschgiften und entsprechend auch der Rauschgiftkonsum mehr und mehr aus der Öffentlichkeit in den privaten Sektor (Rauschgiftpartys in privaten Wohnungen) abwandert. All diese Erkenntnisse zeigen die Schwierigkeiten einer Bekämpfung des illegalen Handels auf.

V. D E R M E L D E - U N D AUSWERTUNGSDIENST Der Melde- und Auswertungsdienst der Kriminalpolizei geht davon aus, daß der Rechtsbrecher bei der Wiederholung seiner Taten überwiegend gleiche oder zumindest ähnliche Straftaten verübt. Dabei verwerten sie ihre beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten, ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten sowie die bei der Verbrechensbegehung erworbenen Erfahrungen. Die Aufzeichnung der Arbeitsweise (modus operandi) des Täters ermöglicht daher bei späteren Taten den Vergleich mit der Arbeitsweise früherer Verbrechen - bei denen der Täter ermittelt wurde - so daß er anhand der neuen Tat erkannt werden kann. Überträgt

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man die Sammlung und Auswertung der Arbeitsweisen zentralen Auswertestellen, so kann nicht nur der örtlich gebundene Rechtsbrecher, sondern auch der überörtliche-überregionale („reisende") Täter ermittelt werden. Diese Überlegungen, die auf langjährige Beobachtungen und Erfahrungen zurückgingen, führten zu einem Melde- und Auswertesystem, bei dem (zuletzt) eine „Grundeinteilung der Straftaten" in acht Klassen mit entsprechenden Unterteilungen geschaffen wurden, in denen die Straftaten nach den Formen ihrer Begehungen klassifiziert wurden. Die umfangreichste Klasse - Raub und Diebstahl - unterschied dabei Taten nach dem Objekt (Örtlichkeit), nach dem Beutegut, nach der speziellen Arbeits- und Verhaltensweise des Täters und nach dem persönlichen Geschick bzw. dem Bruch eines Vertrauensverhältnisses, ermöglichte also eine Eingliederung in jeweils mehrere Untergruppen. Man brauchte dann lediglich die Arbeits- und Vorgehensweise eines bekannten Täters mit der Arbeitsweise einer von einem unbekannten Täter begangenen Tat zu vergleichen, um erste Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen zu erhalten (um es vereinfacht auszudrücken). Dieses System - 1927 eingeführt und mit mehreren Änderungen bis zur Gegenwart angewandt führte zu ausgezeichneten Erfolgen. Voraussetzungen waren allerdings - Straftaten, die eine individuelle Arbeitsweise zuließen, - Täter, die perseverant „arbeiteten", - Kriminalitätsraten, die eine manuelle Bearbeitung der Sammlungen zuließen, auf die das System abgestimmt war. Der rapide Anstieg der Kriminalität vor allem ab den späten sechziger Jahren sprengte jedoch die Grenzen, die den manuellen Karteien gesetzt waren. Die massenhafte Begehung von Delikten wie Diebstählen aus Kraftfahrzeugen ließ keinerlei Unterschiede der Tatbegehung mehr erkennen: Die Art des Aufbrechens (Ausstellscheibe), der Beute (wahlweise Radios, Bekleidung, Geld oder wertlose Dinge) und der Tatbedingungen (Örtlichkeit Straßenrand, Tatzeit nachts) waren immer die gleichen. Hier gab es keine Ansätze für die Feststellung eines speziellen modus operandi; ähnliches galt für eine Reihe anderer schwerer und einfacher Diebstähle, Raubüberfälle und Betrügereien. Zudem erwies sich seit einigen Jahren, daß der Rechtsbrecher durchaus nicht immer beim gleichen Vorgehen blieb: Bevorzugte er beispielsweise Pelze als Beutegut, so war es ihm letztlich gleichgültig, ob er die Schaufensterscheibe des Geschäftes zerstörte, um einzudringen, die Tür aufbrach, über das Dach Eingang suchte oder die Rückwand demolierte, um sich Zugang zu verschaffen. Er handelte so, wie es das jeweilige Objekt vorschrieb. Auch wechselten häufig die begehrten Objekte: Mal waren es Pelze, mal Edelsteine. Gestohlen wurde das, was Geld brachte oder der jeweilige Hehler verlangte. Den

alten „Spezialisten" gab es offenbar nicht mehr. Auch ging die Zahl der noch vorhandenen Spezialisten, die einen guten Trick ausgedacht und erprobt hatten, ständig zurück. Der seinerzeitige Fassadenkletterer war wohl ausgestorben, und hochkarätige „echte" Taschendiebe waren nur an Brennpunkten des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens zu finden, den wirklichen Groß- und Weltstädten. In der Provinz hausten Taschendiebe, die lediglich Einkaufstaschen der Frauen bei Schlußverkäufen und auf Wochenmärkten bestahlen - ein Vergehen, das schon von Kindern nach einiger Übung beherrscht wurde. Zudem führten Presse und Fernsehen täglich neue Verbrechen und Tricks vor, so daß der Rechtsbrecher neue Tatformen kennenlernte und nachahmte, seine bisherige Arbeitsweise aufgab und eine Nivellierung allerorts eintrat. Kaufhaustüren mit Zylinderschlössern aufzubrechen, wurde bald Allgemeinwissen, die Zahl dieser Täter vervielfachte sich. Eine einmal gewählte Arbeitsweise wurde also aufgegeben, wenn andere und lohnendere Vorgehens- und Arbeitsweisen bekannt wurden, entweder durch die Massenmedien oder durch Tatgenossen, Bekannte oder eigene Erfahrungen und neue technische Hilfsmittel. Damit waren dem Meldesystem die Grundlagen entzogen; es hatte nur noch beschränkte Gültigkeit. Die Einführung der EDV verlangte nun eine Aufteilung in zahllose Begriffe, die einheitlich gewählt werden mußten. Das ergab erhebliche Eingruppierungsschwierigkeiten. Wie war etwa der Begriff Sportschuhe (Beutegut) einzugruppieren? Turnschuhe, Hausschuhe, Lederschuhe, Fußballschuhe, Laufschuhe - all das bot sich an; bei der Anzeigenaufnahme konnten je nach Auffassung des Sachbearbeiters unterschiedliche Eingruppierungen vorgenommen werden. Zudem erforderte der Anzeigentext eine regelrechte Analyse, um das Tatgeschehen in die richtigen Computergruppen einzuordnen, die in einem umfangreichen Register aufgeführt waren. Das erforderte eine erhebliche Arbeitszeit. War allerdings die Anzeige gespeichert, dann ließ sich bei einer jeweils neuen Tat abfragen, wobei man den gesamten Anzeigeninhalt eingeben konnte (Beute, Örtlichkeit, Eindringungsart, Tatzeit, verwendetes Werkzeug), um nun in Minutenschnelle diejenigen Täter zu erhalten, die übereinstimmend gehandelt hatten. Waren sie jedoch in nur einem Detail abgewichen, mußte der Computer versagen; denn menschlicher Verstand, der kombinieren konnte (Ausfall nur eines Details konnte dennoch auf den gleichen Täter deuten) stand nicht mehr zur Verfügung. Zudem mußten ohnehin die Massendelikte ohne individuelle Arbeitsweisen ausscheiden. Nach dem derzeitigen Stand können mit Sicherheit Raubüberfälle, Sexualstraftaten und gewisse Betrugsarten nach einem - allerdings zu verbessernden - EDV-System gespeichert und dann verglichen werden. Ob und inwieweit das bei der großen

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Kriminalistik Zahl der Diebstahlsdelikte möglich sein wird, bleibt abzuwarten. Es ist anzunehmen, daß die „klassischen" Einbruchdiebstähle (Banken, Geschäfte, Einfamilienhäuser sowie Spezialfälle wie Wochenendhäuser usw.) ebenfalls nach einem abgewandelten Melde- und Auswertesystem aufgeklärt werden können, daneben natürlich auch die Fälle des (gefährlichen überörtlichen) Rauschgifthandels und der Geldfälschung. Zu berücksichtigen ist auch, daß die Zuverlässigkeit und der Erfolg dieses Systems von der Mitarbeit und Erfolgsüberzeugung der sachbearbeitenden Kriminalbeamten abhängt. Dabei ist darauf hinzuweisen, daß diese von Berufsziel und Ausbildung her eigentlich Ermittlungsbeamte sind, nicht aber Bürobeamte. Die Frage, ob für diesen Melde- und Auswertedienst (der erheblich mehr Zeit in Anspruch nimmt als bisher) speziell dafür ausgebildete Angestellte im Bürodienst eingesetzt werden sollen, ist noch nicht entschieden worden. Ein Mischsystem wäre hier zweifellos die optimalste Lösung. Die Prinzipien dieses MeldeAuswertedienstes sind gut, es bedarf jedoch einer zeit- und kriminalitätsgerechten Reform dieses an sich wertvollen Instruments der Verbrechensaufklärung. (s.a. Ziff. VIIH: Straftaten/Straftäterdatei).

ger zu sichern, sondern der Helm liefert auch Anhaltspunkte für den Ort seiner Aufbewahrung, vor oder nach der Tat (Fett-, Schmutz-, Erdanhaftungen). Werkzeugspuren, Farbe, Schlüsse auf individuelle Bearbeitung, Fabrikationshinweise, Nummern usw. legen den Weg des Objektes von der Herstellung bis zum Verkauf und damit zur Personenbeschreibung der Käufer offen. In geeigneten Fällen muß daher der Kriminalwissenschaftler in die eigentliche Tatortarbeit eingeschaltet werden, wobei man neben der wissenschaftlichen Ausbildung auch theoretische und praktische Erfahrungen in der Kriminalistik erwartet. In sonstigen Fällen wird die zu untersuchende Spur zweckmäßigerweise von den sichernden Beamten persönlich der Untersuchungsstelle des zuständigen LKA überbracht, um in einem persönlichen Gespräch mit dem Sachverständigen die Umstände des Falles zu erörtern. Diese Unterrichtung - die ein bloßer Bericht nicht ersetzen kann - ermöglicht dann auch eine Begutachtung, die auf alle Fallprobleme eingehen kann. Im folgenden können nur einige besonders wesentliche Untersuchungsverfahren erwähnt werden. B. Rasterelektronenmikroskop

VI. KRIMINALTECHNIK A. Erhebung des Sachbeweises Die stürmische Entwicklung der Naturwissenschaften, neue Methoden der Sicherung und Auswertung der Spuren, technische Weiterentwicklungen der Untersuchungsapparaturen und der Einsatz der Datenverarbeitung gestatten inzwischen Beweisschlüsse, die früher unvorstellbar waren. Diese Bedeutung des Sachbeweises verlangt eine umfassendere und bessere Ausbildung der mit der Spurensuche und -Sicherung betrauten Kriminalbeamten sowie den Einsatz von Wissenschaftlern nicht nur in den Labors, sondern auch am Tatort. So wird heute - zumindest bei den größeren Dienststellen (Direktionen und Präsidien) in jedem Falle ein Angehöriger des Erkennungsdienstes (oder, wie heute vielfach genannt, ein Angehöriger der Dienststelle Kriminaltechnik) zur Tatortarbeit entsandt, dem die gesamte Spurensuche und -Sicherung (nicht nur die nach Fingerabdrücken) obliegt. Diese Trennung zwischen dem den Fall bearbeitenden Sachbearbeiter (der naturgemäß ebenfalls den Tatort kennenlernen muß und den Tatortbereich fertigt) und dem Kriminaltechniker hat sich bewährt, da nunmehr speziell ausgebildete Beamte für die Spurensuche zur Verfügung stehen. Es kommt, um ein Beispiel Gemmers anzuführen, bei der Sicherstellung eines Motorradschutzhelmes (Mordsache Buback) nicht nur darauf an, Fingerund Schweißspuren, Haare, Haut- und Schuppenpartikel als unmittelbare Hinweisgeber auf den Trä-

Das bisher in der Kriminaltechnik verwendete Transmissionselektronenmikroskop erlaubte 800000fache Vergrößerungen. Der Einsatz war jedoch auf durchstrahlbare Objekte beschränkt (Maximaldicke Mooomm) und mit einem sehr hohen Präparationsaufwand verbunden. Das Rasterelektronenmikroskop ist indessen ein Auflichtmikroskop, das die Untersuchung von Oberflächen in einem Vergrößerungsbereich von 20fach bis 50000fach ermöglicht (in einer anderen Ausführung von 10-100 OOOfach). Die Tiefenschärfe ist bis zu 500mal größer als beim Lichtmikroskop. Die größere Tiefenschärfe läßt es zu, auch stark zerklüftete Oberflächen auszuwerten und zu fotografieren, z. B. Werkzeugspuren und Verfeuerungsspuren an Projektilen, Struktur von Lackoberflächen, Auswertung von biologischen Objekten wie Pollen, kleinste Holz- und Lederteilchen, Haare, Fasern, Hitzeeinwirkungen auf Textilgewebe (Aufquellung von Fasern, Schmelzkopfbildungen bei Chemiefasern). Bei Chemiefasern kann der Querschnitt und die Spinndüsenstruktur ermittelt werden. Mit Hilfe eines energiedispersiven Analysensystems ist auch die Aufnahme der Röntgenspektren und damit eine chemische Analyse des jeweiligen Objektes in 2-5 Minuten möglich. Kleinste Anhaftungen sind somit auswertbar.

C. Massenspektrometrie Neben der Chromatographie, der Infrarot-Spektrometrie und der UV-Spektrometrie wird zur Ana-

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lyse von Stoffen auch die Massenspektrometrie eingesetzt. Die jeweilige Materialprobe wird durch Erhitzen in einen gasförmigen Zustand überführt, in einen Gaschromatographen eingeführt und dann mit Elektronen beschossen. Dadurch werden sie ionisiert (sie verlieren Elektronen und erhalten dadurch eine positive Ladung). Diese positiven Ionen werden durch Hochspannung beschleunigt und fokussiert (gebündelt), nach ihrem Masse/Ladungsverhältnis aufgetrennt und in ihrer zeitlichen Aufeinanderfolge in einem Auffänger erfaßt, verstärkt und abgebildet. Der Massenspektrometer ermöglicht es also, die Molekulargewichte der Elemente, die im Material enthalten sind, zu bestimmen und die Isotope voneinander zu trennen. Dadurch kann die Gesamtstruktur einer organischen Substanz erkannt werden. Das BKA-Gerät ist an einen Computer angeschlossen, der das gesamte Verfahren rationalisiert, indem er das Spektrum der untersuchten Probe mit einer vorhandenen Massen-Spektren-Bibliothek vergleichen kann. Auf diese Weise lassen sich auch Brennstoffe, Kunststoffe und Lacke definieren, die - im Gegensatz zu Chemikalien - dazu eines Vergleichsspektrums bedürfen. Besondere Bedeutung hat dieses Verfahren bei der Definition von Betäubungsmitteln in anderen Substanzen, Erkennung von Brandlegungsmitteln, Sprengstoffen und Beimischung von Sprengstoffen zu anderen Chemikalien, bei der Untersuchung von Kunststoffen, petrochemischen Produkten und Arzneimitteln. Das BKA sieht in dieser Methode wegen ihrer universellen Anwendbarkeit, des geringen Substanzbedarfs und des schnellen Analysenverfahrens einen entscheidenden Beitrag zum Sachbeweis. D. Schußwaffenerkennungsdienst' Handschriftenerkennungsdienst Der Schußwaffenerkennungsdienst (-> Kriminaltechnik, 6. Schußspuren) umfaßt in der zentralen Tatmunitionssammlung (1977) 7500 Hülsen und 5000 Geschosse aus 4500 Fällen und nimmt jährlich um 9000 Projektile und Hülsen zu. Der Handschriftenerkennungsdienst umfaßt (1977) 85000 Schriftprobenkarten und 55000 Tatschreiber, die Sammlung wächst jährlich um 60000 Schriftproben. Jeder Vergleich in einer dieser beiden Dienste nimmt l'A Stunden in Anspruch. Damit ist die Grenze manueller Beherrschbarkeit erreicht. Der Einsatz von Vergleichsverfahren mit Hilfe der Datenverarbeitung ist daher unumgänglich. Im Rahmen dieser neuen Verfahren werden Geschoßspuren wie auch Handschriften von einer Fernsehkamera abgetastet und die Abtastpunkte entsprechend ihres Helligkeitswertes in einer Digitalzahl kodiert. Auf diese Weise verwandelt sich jedes Bild in eine Zahlenmatrix von 250000 Computerworten,

die im Rechner gespeichert werden. Dadurch wird die für die Vergleichsarbeit benötigte Zeit auf 1 Minute pro Vergleichsuntersuchung herabgedrückt. Es können daher ohne jede Personalvermehrung und bei höherer Qualität der Bearbeitung wie Verminderung der Fehlerrate mehr Einzelfälle bearbeitet werden.

E. Schaffung von Vergleichsbibliotheken Die Erstellung umfangreicher Vergleichsbibliotheken hat 1977 begonnen. Zur Feststellung der chemischen, physikalischen bzw. biologischen Merkmale eines Untersuchungsgegenstandes werden die jeweiligen Meßwerte an Vergleichsbibliotheken vorbeigeführt. Stimmen die gemessenen Werte eines Materials oder Stoffes mit den signifikanten Werten eines bereits in der Bibliothek vorhandenen Stoffes überein, so ergeben sich Ähnlichkeiten, die eine Identifizierung ermöglichen. Zunächst wurden derartige Dateien von Massenspektren, Infrarotspektren und Röntgenbeugungsdiagrammen erstellt. F. Personenidentifizierung Ein wissenschaftliches System zur Erkennung von Personen besteht in der Kriminalpolizei lediglich im Bereich der Daktyloskopie. Weitere Hilfsmittel - die Fotografie und die Personenbeschreibung - dienen zwar in der Praxis der Wiedererkennung und der Fahndung. Doch gibt es hierbei trotz der befriedigenden Leistungen in der Praxis des Alltags doch nicht auszuschaltende Fehlerquellen. Ein wissenschaftlich einwandfreies Verfahren zur Identifizierung durch Bild und Beschreibung existiert nicht. Auf Anregung von Herold wird daher an einem „Personenerkennungssystem" gearbeitet, das die wesentlichen Merkmale der Individualität erfaßt: Haltung, Gang, Gestik, Mimik, Sprache, Blut, Haare, Röntgenbilder, körpergebundene Besonderheiten, Verhaltenseigenschaften, so daß der Wiederholungstäter, der sich Nachforschungen und Fahndungen entzieht und unter Nutzung aller denkbaren Tarnungs- und Verschleierungsmöglichkeiten (wie etwa die Angehörigen terroristischer Vereinigungen) in „eine andere Haut" schlüpft, erkannt bzw. ermittelt werden kann. Dieses System wird sich auch auf Sprache und Schrift erstrecken. Bereits heute gibt es Meßverfahren, um aus Wortlängen, Satzlängen, Worthäufigkeiten oder grammatikalischen Besonderheiten Meßwerte zu erhalten, die eine Identifizierung ermöglichen. Schriftstücke wird man dann nicht mehr allein auf anhaftende Spuren, Beschaffenheit des Papiers und Feststellung der Schrifturheberschaft untersuchen, sondern auch die sprachlichen Komponenten des Schreibens bei der Ermittlung der Urheberschaft mit berück-

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Kriminalistik sichtigen. Hand in Hand damit wird am automatischen Schriftvergleich, der die Schriftcharakteristiken maschinenlesbar, klassifizierbar und reproduzierbar machen soll, gearbeitet. Ob das hier angedeutete textanalytische Verfahren den Wert eines forensischen Beweismittels erhalten wird, muß dahingestellt bleiben. Für die ermittelnde Kriminalpolizei kommt es aber darauf an, Ermittlungs- und Fahndungsansätze durch diese und andere Verfahren zu erhalten, um dann durch weitere Sachaufklärung solche Beweise zu erhalten, die forensischen Wert besitzen.

G. Daktyloskopie Nach wie vor spielt die Daktyloskopie bei der Täterermittlung eine bedeutsame Rolle. Das bisherige Verfahren wies jedoch Schwächen auf, die im Zuge der heutigen Tätermobilität nur eine geringe Effektivität ergab. Bekanntlich werden zum Zwekke der Personenfeststellung die Abdrücke aller Finger tatverdächtiger Personen genommen (Zehnfingerabdruckblätter). Diese Blätter werden zentral im Bundeskriminalamt gesammelt, nach einem bestimmten Verfahren wird eine Gesamtformel gebildet, die die spätere Identifizierung der betreffenden Person ermöglicht. Darüber hinaus werden von allen Tatverdächtigen, die eine Straftat begangen haben, bei der Fingerabdrücke entstanden sein können (also vornehmlich Diebe, Einbrecher, Räuber und Erpresser) Einzelfingerabdrücke genommen. Während im Zehnfingerabdruckverfahren alle Fingerabdrucke auf einem Blatt erscheinen, werden bei der Abnahme der Einzelfinger für jeden Finger gesonderte Karten verwendet. Diese Einzelfingerabdrücke verbleiben bei der örtlichen Kriminaldienststelle. Nur dann, wenn die Tatverdächtigen über den Bereich der örtlichen Dienststelle hinaus bzw. über ein Bundesland hinaus tätig wurden, erhalten die LKÄ bzw. das BKA zusätzliche Fingerabdruckblätter. Tritt nun im eigenen Bereich ein Einbrecher auf und hinterläßt er am Tatort Fingerabdrücke, findet ein Vergleich mit der örtlichen Sammlung statt. Ein überörtlicher Vergleich ist nur dann möglich, wenn diese Tatortfingerabdrücke in einen Rundversand gehen bzw. bei den übergeordneten Stellen Fingerabdrücke vorliegen. Ein Vergleich von Tatortfingerabdrücken mit den Zehnfingerabdruckblättern des BKA ist dagegen nicht möglich. Nunmehr findet eine Verformelung der Einzelfinger- und der Zehnfingerabdrücke nicht mehr manuell statt, sondern mit Hilfe der Datenverarbeitung. Auf Grund der fünf Grundmustergruppen (mit Unterteilungen 15 Grundmuster), weiteren Differenzierungen (Richtungsverlauf der Grundmuster, Eigenarten) sind 98 Einzelunterscheidungen möglich, die ergänzt werden durch die Deltalokalisie-

rung und die Merkmalslokalisierung. Innerhalb eines 9 mm Kreises im Musterkern werden die anatomischen Merkmale lokalisiert und mit „Beginn" und „Ende" erfaßt. Die Lokalisierung erfolgt nach Richtung und Entfernung von einem zentralen Drehpunkt. Die so gebildete Formel ermöglicht die Einsortierung in eine zentrale Sammlung. Sie wird bei Vergleichsuntersuchungen herausfiltriert und kann dann verglichen werden. Durch den Einsatz der EDV können nun die 2,8 Mio Zehnfingerabdruckblätter des BKA verformelt werden nach den Gesichtspunkten der Einzelfingerabdrücke, so daß der Vergleich einer eingesandten Tatortfingerspur mit dem Bestand des BKA möglich ist. Die Daktyloskopen erwarten dann, daß jede zweite Tatortfingerspur, soweit sie brauchbar ist, einem Täter zugeordnet werden kann. Heute beträgt die Erfolgsquote lediglich 4 % . Zudem wird die Vergleichsarbeit lediglich in ihrer letzten Phase vom Daktyloskopen vorgenommen, die Vorauswahl trifft der Rechner. Die früher bestehenden Lücken sind damit ausgefüllt, da jeder Tatverdächtige, von dem Fingerabdrücke genommen werden, zum Vergleich zur Verfügung steht.

VII. DAS INPOL-SYSTEM Die Konferenz der Innenminister verabschiedete am 27. 1. 1972 ein „Konzept für das polizeiliche Informations- und Auskunftssystem", dessen endgültige Fassung am 5. 12. 1975 erfolgte. Das Konzept sieht ein gemeinsames, arbeitsteiliges elektronisches Informations- und Auskunftssystem für die gesamte Polizei (INPOL) in der Bundesrepublik Deutschland vor, wobei das BKA als Zentralstelle fungieren soll. In dem zu schaffenden Verbundsystem sollen Informationen bereitgestellt werden für - das Bundeskriminalamt, - die Landeskriminalämter, - die Polizeidienststellen der Länder, - die Grenzschutzdirektion sowie die Grenzdienststellen des Bundes, - das Zollkriminalinstitut. Der Anschluß anderer Behörden ist zulässig, sofern der Bundesinnenminister und die Ständige Konferenz der Innenminister der Länder zustimmen. Das INPOL-System hat nachstehend angeführte Aufgaben: A. Kriminalaktennachweis (KAN) Der KAN ist das Verzeichnis solcher Beschuldigter oder Tatverdächtiger, die schwere oder überregional bedeutsame Straftaten begangen haben: Nach den Richtlinien für die Führung kriminalpolizeilicher personenbezogener Sammlungen werden

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über diese Personen Kriminalakten angelegt. Das Verzeichnis dieser Personen (Akten) ist im KAN gespeichert, Auskünfte darüber werden an die Polizeidienststellen in Bund und Ländern gegeben. Allerdings beschränkt sich die Aufnahme in den KAN auf Personen, die „schwere" bzw. „überregional bedeutsame" Taten begangen haben. „Schwere" Straftaten sind alle Verbrechen sowie die in § 100 a STPO aufgeführten Vergehen. „Überregional bedeutsame" Taten müssen eins der folgenden Kriterien aufweisen: - gewohnheits-, gewerbs- oder bandenmäßige Begehung, - Triebtäterschaft, - planmäßige überörtliche Begehung, - Verfolgung extremistischer Ziele, - Mitführung von Schußwaffen, - internationale Begehung, - erneute Straffälligkeit außerhalb des Wohnoder Aufenthaltsbereichs. Kriminalakten solcher Personen, die nicht unter diese Kriterien fallen, können nicht in den KAN des INPOL-Systems aufgenommen werden. Eine Registrierung ist dann nur in den Aktennachweisen desjenigen Landes möglich, in dem die Straftat begangen wurde. Direktauskünfte erfolgen dann nur an die Polizeidienststellen dieses Landes. Der KAN des INPOL-Systems wird - nach der Realisierung des Vorhabens - im Verbund betrieben. Vorhandene Bestände der Länder werden übernommen. KAN enthält die rechtmäßigen Personalien, die Aktennummer sowie die aktenführende Dienststelle sowie Kurzhinweise auf aktuelle Fahndungsnotierungen oder erkennungsdienstliche Behandlung. Aufgegeben wurde der seit 1975 betriebene „Zentrale Personenindex", der alle beim Bund und den Ländern in Erscheinung getretenen tatverdächtigen Personen enthielt. Dieser Datenbestand wird vorübergehend nur noch für Zwecke des B K A weitergeführt. Die nunmehr geltende Form des KAN geht auf die Datenschutzgesetzgebung zurück.

Aufgenommen werden entsprechend der PDV 384.1 z. B. Sachen, die der Beweissicherung dienen sollen, der Einziehung unterliegen oder deren Auffindung polizeiliche Ermittlungen unterstützen könnte sowie Kraftfahrzeuge, deren Insassen festgestellt werden sollen (Beispielsweise in der Terroristenfahndung).

B. Fahndung

Größere und umfangreiche Ermittlungskomplexe machen eine umfangreiche Karteiführung notwendig, um die jeweils genannten Personen, Taten, Hinweise auf Zeugen, Beweismittel und Spuren jederzeit präsent zu haben und sie für die Weiterführung der Ermittlungen nutzen zu können. Diese Aufgabe kann das PIOS-Verfahren übernehmen. Es handelt sich hierbei um eine zentrale Fundstellen-Dokumentation. Sie wird gegliedert in die Abschnitte P = Personalien, I = Institutionen, Vereinigungen und Organisationen, O = Objekte und Anschriften, S = Sachen und daher nach den Anfangsbuchstaben PIOS genannt. Nachdem Beschlüsse der A G Kripo, des AK II und der IMK ein solches System für den Bereich des B K A bei der Terrorismusbekämpfung sich nicht realisieren lie-

Die Datei enthält Unterlagen über die zur Festnahme, Aufenthaltsermittlung, Identitätsfeststellung oder Überwachung ausgeschriebenen Personen (auch internationale Ausschreibungen) entsprechend der PDV 384.1. Neben den Personaldaten sind die Ausschreibungsbehörde, die sachbearbeitende Polizeidienststelle, Aktenzeichen, Anlaß und Zweck der Ausschreibung sowie besondere Bearbeitungshinweise aufgeführt. Die Sachfahndungsdatei kann numerierte und unnumerierte Gegenstände erfassen. Sie hat besondere Bedeutung bei der Erfassung von Kraftfahrzeuge Waffen/Munition/Zubehör, Sprengkörpern und Sprengstoffen, Dokumenten, Siegeln, Stempeln.

C. Haftdatei In dieser Datei werden Personen erfaßt, die sich auf Grund richterlicher Urteile oder Anordnungen in Verwahrung befinden. Anhand der Datei kann festgestellt werden, ob und wo sich die gesuchte Person im Freiheitsentzug befindet. Auskünfte darüber können für die Alibiüberprüfung, die Ausscheidung etwa in Betracht kommender Tatverdächtiger, für Erkenntnisse über Mithäftlinge von Bedeutung sein, auch ermöglichen sie Mitteilungen über bevorstehende Haftentlassungen.

D. Daktyloskopiedatei/Erkennungsdienstdatei Die Daktyloskopiedatei ermöglicht die Identifizierung bereits erkennungsdienstlich behandelter Personen (s. Abschnitt Kriminaltechnik-Daktyloskopie) sowie die Ermittlung tatverdächtiger Personen aufgrund der Fingerabdrücke, wenn daktyloskopische Tatortspuren gesichert wurden. Diese Datei wird gekoppelt mit einer „Erkennungsdienstdatei", die den Nachweis über solche Personen führt, die nach § 81 b StPO durch Abnahme von Fingerabdrücken, Anfertigung von Lichtbildern und Aufnahme einer Personenbeschreibung erkennungsdienstlich behandelt wurden. Diese Dateien werden im Verbund mit den Ländern betrieben.

E . PIOS-Verfahren (Zentrales Aktenerschließungssystem)

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Kriminalistik ßen, beschloß die IMK am 20. 6. 1975 die Errichtung und den Betrieb des PlOS-Systems für den Bereich des Terrorismus durch die LKÄ und das BKA zum Zweck der zentralen Informationssammlung und -auswertung. Jeder der vier genannten Datenbereiche enthält formatierte Daten, Raum für freien Text, ein Fundstellenverzeichnis und Verknüpfungshinweise. Daher werden mehrdimensionale Abfragen, Informationen über Verbindungen und Zusammenhänge, Auswertungen, Wiederauffindungen, Anreicherungen von fragmentarischen Informationen sowie die Verknüpfung von Fundstellen in Akten zur Erkennung von Zusammenhängen möglich. F. Literatur-Dokumentationssystem (COD) Das computergestützte Literatur-Dokumentationssystem soll die kriminalwissenschaftliche Literatur (Kriminalistik, Kriminologie, Kriminaltechnik) erschließen, um der polizeilichen Praxis, Lehre und Forschung einen Überblick über die vorhandenen Veröffentlichungen zu geben. In dieser Dokumentation sind auch naturwissenschaftliche Veröffentlichungen enthalten, soweit sie kriminaltechnische oder verwandte Probleme behandeln, ebenso die polizeibezogene Rechtsprechung, Erlasse, Weisungen, Beschlüsse sowie Presseveröffentlichungen. Auch die Dokumentation kriminaltechnischer Gutachten ist geplant. Die Erfassung und Speicherung erfolgt in dreierlei Form: Bibliographische Angaben, freie Deskriptoren (Sachbegriffe, die dem Text entnommen werden und seinen Inhalt kennzeichnen), Kurzreferat (Zusammenfassung des Inhalts in kurzen Sätzen). Die erfaßten Dokumente werden außerdem auf Mikrofilme aufgenommen. Während mit dem Datensichtgerät Bibliographie, Deskriptoren oder Kurzreferat übermittelt werden können, wird der gesamte Text auf Anforderung als Mikrofilmabzug übermittelt. Die Aufnahme dieses Systems in INPOL wurde durch die IMK am 14. 6. 1974 beschlossen.

Dabei können die Länder auch die Daten, die sie selbst in INPOL-Bund eingespeichert haben, auch in den eigenen Dateien führen. Eine Parallel-Speicherung im Verbund (gleichzeitige Speicherung auch bei allen Ländern) findet jedoch nicht statt. Die Speicherung von Daten im INPOL-System setzt voraus, daß bestimmte, für die jeweilige Datei festgelegte Voraussetzungen erfüllt sind. Es bleibt Bund und Ländern unbenommen, die Daten, die danach für INPOL nicht in Betracht kommen, in eigenen Dateien zu speichern. INPOL-Bund Zu INPOL-Bund gehören: - der Kriminalaktennachweis (KAN), - die Personenfahndung, - die Haftdatei, - die Sachfahndung, - die erkennungsdienstlichen Daten, - zentrale Aktenerschließungssysteme, Spurendokumentationssysteme und Falldateien für Straftaten von bundesweiter Bedeutung im Sinne der Richtlinien für die Errichtung und Führung von Dateien über personenbezogene Daten beim BKA, - zentrale Tatmittelnachweise für bestimmte Kriminalitätsbereiche nach Abstimmung zwischen Bund und Ländern. INPOL-Land INPOL-Land umfaßt: - modus-operandi-Daten zu Personen und Fällen, - Folgedaten zu Personen, die in INPOL-Bund erfaßt sind, - Folgedaten zu Fällen mit unbekanntem Täter. Im übrigen speichern die Länder ihre Daten nach eigenem Ermessen. Das BKA speichert Daten aus den eigenen Ermittlungsvorgängen wie ein Bundesland. Durch diese Neuregelung werden u. a. die Konsequenzen aus der Datenschutzgesetzgebung gezogen.

H. Straftaten-/Straftäterdatei (Zentrale Falldateien)

G. Die Fortentwicklung des INPOL-Systems Auf der Innenministerkonferenz wurde am 12. 6. 1981 ein Konzept für die Fortentwicklung des INPOL-Systems beschlossen. Danach wird dieses System künftig wie folgt organisiert und entwickelt: Organisation: INPOL besteht aus: - Datenbeständen, die - auch nach Einspeicherung durch die Länder - beim Bundeskriminalamt als Zentralstelle für den elektronischen Datenverbund zwischen Bund und Ländern geführt werden (INPOL-Bund), - ergänzenden Datenbeständen, die von dem Land geführt werden, in dem sie angefallen sind (INPOL-Land).

Im März 1973 wurde von der AG Kripo eine Arbeitsgruppe damit beauftragt, Vorschläge für ein kriminalpolizeiliches Auskunfts- und Informationssystem zu machen, um den kriminalpolizeilichen Meldedienst zu reformieren. Daraufhin wurde im Juni 1974 das Modell SSD (Straftaten-/Straftäterdatei) vorgestellt, dessen Erprobung und Aufnahme in INPOL im September 1974 von der IMK beschlossen wurde. Ziel der Datei war es, Informationen über die Tatverdächtigen zu erhalten sowie Einzelheiten aus begangenen Straftaten zu dokumentieren: Durch den Vergleich beider Merkmale - des opus moderandi - sollte eine Auswertung zur Ermittlung des jeweiligen Täters führen. Damit sollte der kriminalpolizeiliche Melde- und Auswer-

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tungsdienst auf die elektronische Datenverarbeitung umgestellt werden - angesichts der jährlichen registrierten Straftaten in Höhe von knapp 4 Millionen eine Notwendigkeit. Benötigt werden für diese Auswertung: - Falldaten (Tatbeschreibung), - Personendaten (Personenbeschreibung), - Sachdaten (Waffen, Werkzeuge usw.), - Objektdaten (Tatorte, Tätertreffpunkte, gefährdete Objekte), - Organisationsdaten (Banden, krim. Organisationen). Die Daten wurden t in Merkmalskatalogen geführt, so daß überall genormte, gleich zu interpretierende Begriffe verwendet wurden. Die bisherigen Erprobungen haben jedoch gezeigt, daß ein solches System noch nicht ausgereift ist. Es wird daher gegenwärtig (1982) eine neue Konzeption entwickelt, bei der nur noch dann eine Meldepflicht des Delikts/Täters besteht, wenn spezifische Tatoder Tätermerkmale eine sinnvolle Auswertung erwarten lassen. Die sogenannten Massendelikte bei denen die Tatausführung ja durch das Objekt quasi vorgeprägt ist und keinerlei individuelle Besonderheiten zuläßt - scheiden daher für einen Tat/ Tätervergleich aus. Die bisherigen Sondermeldedienste - für Rauschgiftdelikte, Falschgelddelikte, Wirtschaftskriminalität und Waffen - haben sich jedoch bislang bewährt und werden weitergeführt. Die hier aufgezeigten Probleme ergeben sich lediglich beim „allgemeinen Meldedienst", d. h. bei den anderen Straftaten.

J. Zentrale Spurendokumentationssysteme Spurendokumentationssysteme - SPUDOK existieren beim BKA wie auch den Polizeibehörden der Länder. SPUDOK wird dann eingesetzt, wenn bei einem Kapitalverbrechen oder einem sonstigen bedeutsameren Verbrechen (etwa Entführung) eine größere Zahl von Hinweisen oder Spuren zu registrieren ist. Die Dokumentation ermöglicht es den Sachbearbeitern, einen ständigen Überblick über die vorhandenen Hinweise sowie den Stand ihrer Bearbeitung zu gewinnen. Darüber hinaus können die im SPUDOK registrierten Hinweise mit den Unterlagen im PIOSSystem verglichen werden. Erweisen sie sich als relevant, werden sie sodann in das PlOS-System übernommen. Nach Abschluß des jeweiligen Ermittlungsfalles werden die SPUDOK-Unterlagen gelöscht. K. Zentrale Tatmittelnachweise Dieses Vorhaben ist projektiert: Als Modell dient die beim BKA vorhandene Beweismitteldokumentation für den Bereich des Terrorismus.

VIII. VORBEUGENDE VERBRECHENSBEKÄMPFUNG Die präventive Verbrechensbekämpfung hat die Kriminalpolizei seit jeher befaßt - stellte sie doch immer wieder anhand der Repressiv-Maßnahmen gleichzeitig auch die Fehler und Nachlässigkeiten fest, die Straftaten etwa auf dem Sektor der Eigentumskriminalität erst ermöglichten. So finden sich denn Merkhefte und Broschüren über die Einbruchsverhütung schon in den frühen Dreißiger Jahren, herausgegeben von den Feuerversicherungen (z. B. Schleswig-Holsteinische Landesbrandkasse), Kriminalpolizeiliche Beratungsstellen für den Einbruchs- und Diebstahlsschutz (die erste 1923 in Berlin errichtet). Es gab Polizei-Aufklärungswochen und „Maßnahmen zum Schutze des Publikums durch Zusammenarbeit mit Presse, Rundfunk, Film sowie mit Privatunternehmen (Banken, Versicherungen)" (von Kleinschmidt, dem seinerzeitigen Leiter der Abt. Kriminalistik am Polizei-Institut Berlin-Charlottenburg als Teil der Kriminaltaktik aufgeführt). Rupprecht gliedert neuestens die Prävention wie folgt: 1. Beseitigung der Verbrechensursachen (im außerpolizeilichen Bereich liegend), 2. Polizeiliche Präsenz (von der uniformierten Polizei getragen vornehmlich durch Streifen), 3. Prävention durch Straftatermittlung und Verfolgung, 4. Prävention durch Beratung: a) Massenberatung, b) Gruppenbratung, c) Einzelberatung, Die präventiven Tätigkeiten unter 3 und 4 sind die vornehmlichen Aufgaben der Kriminalpolizei, wobei der Prävention durch Tatermittlung und Verfolgung eine bedeutsame Rolle zukommt. Sie wird auch als Sekundärprävention bezeichnet. Primärprävention wird dagegen die Verhütung vor der Tat genannt. Mit ihr soll sich dieser Abschnitt befassen und damit auf die Beratung eingehen.

A. Kriminalpolizeiliche Beratungsstellen Im Bereich der BRD existieren derzeit 110 Kriminalpolizeiliche Beratungsstellen: Sie sind einmal bei allen Landeskriminalämtern eingerichtet, darüber hinaus bei allen größeren Dienststellen (Polizeipräsidium bzw. Polizeidirektionen). Sie verfügen alle über ausreichendes Demonstrationsmaterial in Form von elektronischen und optischen Überwachungsanlagen und mechanischen Sicherungen. Diese Einrichtungen sind nahezu ausschließlich Leihgaben der Industrie. Sie ermöglichen es, den Ratsuchenden die Wirkungsweise und Anwendungsbereiche der einzelnen Systeme zu erklären und vorzuführen. Für die Beratung stehen in jeder

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Kriminalistik Beratungsstelle je nach Umfang ein bis drei Kriminalbeamte zur Verfügung, die ausschließlich für diese Tätigkeiten abgestellt sind. Die Beratungen erfolgen in der Dienststelle, aber auch in Form der Objektberatung am Ort des zu sichernden Objekts. Die „Beratungsbeamten" sind inzwischen durch Speziallehrgänge der Behörden für ihren Dienst besonders ausgebildet. Um Erfahrungen auszutauschen und einheitliche Projekte und Schwerpunkte bilden zu können, wurde eine Ständige Kommission „Kriminalpolizeiliche Beratung" innerhalb der AG Kripo gebildet, die seit 1959 jährlich mehrere Tagungen durchführt. Eine enge Zusammenarbeit mit den Fachverbänden der Wirtschaft (BHE, ZVEI sowie dem VdS) ist sichergestellt. Im Einvernehmen mit den Verbänden ist dafür gesorgt, daß nur solche Geräte der Sicherheitstechnik (so der Name für verbrechensverhütende Fabrikate) empfohlen werden, die gewissen Qualitätsansprüchen genügen und Fehlalarme nach Möglichkeit ausschalten. Beraten werden sowohl der Normalmieter wie der Hausbesitzer, der Architekt und Bauingenieur wie der Gewerbetreibende. Große Bedeutung kommt auch der Information von Schülern und Jugendlichen zu, um sie für den Gedanken einer vernünftigen Prävention zu gewinnen. Die Beratungsstellen haben sicher über ihre ursprüngliche Aufgabe hinaus häufig auch die Information über weitere kriminalpolizeiliche Aufgabengebiete übernommen: Etwa über den Drogenmißbrauch, den Betrug und die Jugendkriminalität. B. Das kriminalpolizeiliche Vorbeugungsprogramm Im Jahre 1965 beschloß die AG Kripo, das von dem Münchener Kriminaldirektor Weinberger kreierte Vorbeugungsprogramm des Bayerischen Landeskriminalamtes zu übernehmen. Ein ständiges Redaktionskomitee wurde gegründet, dem Beamte des BKA und der LKÄ angehörten. Dieses Vorbeugungsprogramm gibt - monatlich wechselnd mit Unterstützung von Werbetextern und Graphikern - ein Vorbeugungsprogramm heraus, das sich mit jeweils einem Thema befaßt. Es wird der Presse zum kostenlosen Abdruck angeboten und erreicht dadurch eine Auflage von 15-18 Mio. Das Programm wird ergänzt durch Fallschilderungen der einzelnen LKÄ bzw. der örtlichen Polizeibehörden. Auch der Rundfunk weist auf dieses Monatsprogramm hin und spricht damit ca. 20 Mio. Hörer an. Im Fernsehen wird im 1. Programm jeweils am 1. Freitag im Monat um 21 Uhr 30 ein Spot „Die Kriminalpolizei rät" gesendet, damit wird eine Einschaltquote von 20-30 Mio. garantiert. Im ZDF wird der Kripo-Monats-Tip im Rahmen des Magazins „Die Drehscheibe" gesendet, womit ca. 12 Mio. erreicht werden. Die Monatsthemen werden auch durch Plakate dargestellt, die in einer Auflage

von 100000 Stück im Vierfarbendruck erscheinen und auch als Wandkalender versandt werden. Auch die Wochenschau „Blick in die Welt" bringt einen zweiminütigen Beitrag zum jeweiligen Monatsthema mit 152 Kopien. Zu den Themen des Vorbeugungsprogramms gehören nicht nur Fragen der Diebstahlsbekämpfung und des Rauschgiftmißbrauchs, sondern auch Themen der polizeilichen Jugendarbeit, Vorbeugungsmaßnahmen gegen anarchistische Gewalttäter, allgemeine polizeiliche Öffentlichkeitsarbeit u. ä. Generell erfolgt eine Abstimmung des Programms auf die Kriminalitätsphänomenologie, der tendenziellen Entwicklung, der Schadensintensität und der Präventionsrelevanz bestimmter Delikte, der Beeinflußbarkeit potentieller Opfer und der Ergebnisse der Verhaltensforschung, Psychologie und Soziologie über Ursachen und Wirkungen vorbeugungsabgeneigter Verhaltensweisen und der Ansatzpunkte für präventionsgünstige Beeinflussung.

C. Gruppenberatung Mehr und mehr wird von der Gruppenberatung Gebrauch gemacht. Diese wendet sich, um nur die wichtigsten Multiplikatoren zu nennen, an - Architektenkammern, Einzelhandelsverbände, Berufsvertretungen, - Bankenvereinigungen und Angestellte einzelner Banken, - Versicherungsgesellschaften, - Hausbesitzervereine, Mietervereinigungen, - Schulklassen, - Altenklubs, - Gastarbeitergruppen, - Elternkreise und -verbände, - Jugendgruppen. Die dabei behandelten Themen richten sich an den Interessen der jeweiligen Gruppe aus und berücksichtigen die jeweils bestehenden Gefährdungen. So werden mit Architekten Gespräche über die zweckmäßige Gestaltung von Neubauten unter sicherheitstechnischen Gesichtspunkten geführt, Bankangestellte werden über das richtige Verhalten vor, während und nach Raubüberfällen unterrichtet, Schüler und Jugendliche über die Verhinderung von Fahrraddiebstählen belehrt und ganz allgemein aufmerksam gemacht über Einbruchssicherungsmaßnahmen im häuslichen Bereich. Weiterhin werden Probleme der Jugendkriminalität und des Rauschgiftmißbrauchs vor Eltern und Jugendlichen besprochen. In solchen Fällen kommt es häufig zu gemeinsamen Veranstaltungen mit Fachleuten anderer Bereiche (Psychologen, Ärzten, Jugendrichtern). Derartige Gruppenberatungen kommen entweder durch die Initiative der örtlichen Kriminalpolizei oder durch entsprechende Wünsche der jeweili-

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gen Gruppen zustande. Angebote der Kriminalpolizei zu solchen Veranstaltungen werden in der Regel gern angenommen. Für die meisten solcher Veranstaltungen steht bebildertes Anschauungsmaterial zur Verfügung, das von den Fachministerien zur Verfügung gestellt wird.

D. Zusammenarbeit mit Jugendlichen Präventive Tätigkeit zum Schutze der Jugend ist der Polizei durch das Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit, das Gesetz zur Bekämpfung jugendgefährdender Schriften und das Arbeitsschutzgesetz vorgeschrieben. Zur Durchführung dieser Aufgaben bestehen bei den Ländern und örtlichen Polizeibehörden z.T. sog. Jugendschutztrupps (wie etwa in Hamburg), die im Rahmen der Vorbeugung Streifen an jugendgefährdenden Orten, Lokalüberholungen, Beobachtung des Autostrichs auf weibliche Jugendliche und Überwachung des Jugendarbeitsschutzgesetzes wie des Jugendschutzgesetzes durchführen. Sofern spezielle Trupps nicht existieren, wird diese Aufgabe von besonders ausgebildeten Beamten im Rahmen der Fahndungs- und Streifentätigkeit durchgeführt. Die Dienststellen der allgemeinen Verwaltung (Ordnungsämter, Jugendämter usw.) sind an diesen Maßnahmen beteiligt. Zu den Aufgaben der Schutzpolizei gehören auch die Verkehrserziehung und Verkehrsaufklärung Jugendlicher. Aus diesen Aufgaben heraus wuchs entsprechend dänischen und schwedischen Vorbildern - hie und da eine ständige Zusammenarbeit, die sich beispielsweise in Mannheim als PolizeiJugendklub etablierte. Während die Stadt Mannheim Räume und Sachmittel zur Verfügung stellt, wird der Club personell organisiert und arrangiert von Freiwilligen der Schutzpolizei. Andere Dienststellen haben spezielle Arbeitsgruppen geschaffen, die ausschließlich zur Beratung und Betreuung von Jugendlichen - auch ausländischer Beteiligung eingesetzt werden. In anderen Städten wurden Kontaktbeamte eingesetzt, in München eine Jugendpolizei. Derartige Maßnahmen - von den Ministerien als notwendig angesehen und von den Praktikern der Schutz- wie der Kriminalpolizei begrüßt - stoßen allerdings auf Kritik aus den Reihen der Sozialarbeiter, die bei den Jugendbehörden und Verbänden beschäftigt sind. Hier wäre noch ein erhebliches Stück Reformarbeit und Aufklärung der Reformer selbst zu leisten.

E. Zusammenarbeit mit Behörden Eine ständige Zusammenarbeit besteht seit langem mit den Jugendämtern der kommunalen Verwaltung. Diese Kontakte verstärkten sich zwangsläufig durch die Zunahme der Rauschgiftdelikte. Es

finden ständige Zusammenkünfte mit den entsprechenden Sachbearbeitern statt, um gemeinsame Maßnahmen zu erarbeiten, Gefährdungsbereiche zu erkennen und für Abhilfe zu sorgen. Seitens der Kriminalpolizei werden gern Sachbearbeiter für die Sitzungen der Jugendwohlfahrtsausschüsse der Kommunalvertretungen gestellt, in vielen Fällen sind sie auch dorthin entsandt worden, um bei Beratungen mit ihrer Facherfahrung zur Verfügung zu stehen. Bedingt durch die Rauchgiftkriminalität, besteht eine entsprechende Zusammenarbeit auch vielfach mit den Gesundheitsbehörden. Eine Zusammenarbeit mit den Ordnungsämtern ist zwangsläufig durch die gemeinsame Aufgabenstellung von Polizei und Ordnungsämtern gegeben. In allen genannten Fällen geht es um die Präventionstätigkeit, um die Erkennung und Abstellung polizeilicher Gefahren, um Gelegenheiten für Straftaten zu verhindern bzw. zu verringern. Notwendig ist auch eine kriminalpolizeiliche Beratung hinsichtlich der Stadtbauplanung und Besiedlung. So sind z. B. Kinderspielplätze und Bolzplätze für Jugendliche wesentliche Möglichkeiten, Zerstörungsakte einzuschränken und Aktivitäten, die ins Kriminelle gehen können, vorher in legale Bahnen zu lenken (Abenteuerspielplätze unter fachlicher Leitung). Die Zusammenhänge zwischen Städtebau und Kriminalität sind längst wissenschaftlich untersucht, die sich daraus ergebenden „Sicherheitsgrundsätze" in einem Symposium des BKA (s. Literaturverzeichnis) erarbeitet worden (—> Städteplanung und Baugestaltung). Eine Beteiligung der Kriminalpolizei an allen Planungsarbeiten kann dafür sorgen, daß das kriminelle Geschehen in Sanierungs- und Neubaugebieten beeinflußt wird. Eine ständige Zusammenarbeit aller Behörden auf der Ebene der Kommunen, der Regierungsbezirke und der Länderministerien (geplant und z. T. durchgeführt hinsichtlich der Rauschgiftbekämpfung) mit dem Ziel, die Kriminalität zu verringern, ist notwendig, zweckmäßig und realisierbar. Vertreter der Kriminalpolizei haben schon vor Jahren verlangt, ähnlich wie in Großbritannien und Schweden, Komitees zur Verbrechensverhütung bzw. einen Rat für Verbrechensverhütung zu etablieren. F. Sicherheitstechnik: Möglichkeiten der technischen Prävention Der Schutz gegen Verbrechen kann - wenigstens soweit es sich um Sachwerte handelt - auch durch technische Vorkehrungen mannigfacher Art erfolgen, die entweder bereits beim Bau und der Errichtung einer Anlage oder eines Gebäudes berücksichtigt werden oder nachträglich angelegt werden. Dabei unterscheidet man zwischen Einrichtungen baulicher oder mechanischer Art, die ein Eindringen verhindern oder erheblich erschweren und Einrich-

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Kriminalistik tungen, die beim Eindringen einen Alarm auslösen und damit die Benachrichtigung des Eigentümers oder der Polizei bzw. von Bewachungsunternehmen ermöglichen, um den Täter dingfest zu machen oder zu vertreiben. Bei diesen technischen Einrichtungen hat man die Technik des Verbrechers berücksichtigt und die kriminalpolizeilichen Erfahrungen aus der Verbrechensbekämpfung einbezogen. Sicher gibt es keinen vollständigen Schutz gegen Straftaten. Der technische Schutz geht aber soweit, daß man unter Berücksichtigung des Umstandes, daß der Verbrecher ja nicht über beliebig viel Zeit verfügt und unauffällig vorgehen muß, von einem ausreichenden Schutz sprechen kann. 1. Mechanische/bauliche Sicherungen Türen und Fenster sind die beliebtesten Angriffspunkte der Diebe und Einbrecher. Während Haus- und Wohnungstüren im allgemeinen relativ stabil sind, gilt das gleiche leider nicht für Türen, die zu Kellern, Böden, Lagerräumen, Höfen, Werkstätten, Schuppen führen. Baumaterial und Bauausführung ermöglichen es vielmehr Unbefugten, leicht einzudringen. Schwachpunkte sind vor allem Spalten zwischen Tür und Türfutter, schwache Füllungen, ungeschützte Glasfüllungen, schlecht befestigte Schließbleche und Schließkästen, schwache Angeln und Riegel, schwache und lange Schließketten, gewöhnliche Schlösser - mit Dietrichen zu öffnen - Vorhängeschlösser, die keinen Widerstand bieten, schwache Türkrampen. Die Abstellung dieser Mängel führt regelmäßig zu einer ausreichenden Sicherung. Hinsichtlich der Schlösser findet man jedoch nur allzuhäufig das gewöhnliche Buntbartschloß, das keinen Schutz gegen unbefugtes Öffnen bietet. Es sollte durch das Zylinderschloß ersetzt werden (Yaleschloß), das mit mindestens 5-6 Stiftzuhaltungen einen guten Schutz bietet. Gegen gewaltsame Abdreh- und Abbrechversuche ist der neuere Kurzzylinder gefeit. Vorhangschlösser (mit Bügeln aus gehärtetem Stahl) bieten Schutz auch für Kellertüren; Türbeschläge, die durch eine Panzerüberfalle gesichert sind, können nicht abgeschraubt werden. Fenster können durch Rolladen, Gitter oder - vor allem bei gewerblichen Objekten - durch einbruchhemmende oder schußfeste Verglasung gesichert werden. Für die Aufbewahrung von Bargeldbeständen oder anderen Wertobjekten wurden Stahlschränke unterschiedlichen Sicherheitsgrades entwickelt, die diebes-, brand- oder sprengsicher sind.

2. Alarmanlagen Gefahren- und Einbruchmeldeanlagen müssen den Anforderungen des VDE, Klasse 0800 C bzw. 0833 entsprechen. Ein Anschluß der Anlage an das

Alarmsystem der Polizei erfolgt nur bei besonderer Gefährdung oder bei erheblichen Werten bzw. besonders wirtschaftlicher Bedeutung. In anderen Fällen erfolgt der Anschluß an die Alarmzentrale eines Sicherheitsunternehmens. Man unterscheidet bei diesen Anlagen den Alarmauslöser (sie melden das Eindringen Unbefugter) und den Alarmgeber (er meldet den ausgelösten Alarm weiter). Die Alarmauslösung kann erfolgen durch Magnetschalter (beim Öffnen einer Tür oder eines Fensters erfolgt eine Unterbrechung der Meldelinie, die den Alarm auslöst), Mikroschalter (bei Beschädigung eines Gegenstandes erfolgt Alarm), Optoschalter (wird das Objekt entfernt, gibt es Alarm), Erschütterungsmelder (beschränkt verwendbar, weil Erschütterungen auch durch den Verkehr möglich sind), Körperschallsensoren (Schallschwingungen bei Angriffen auf feste Körper werden in Alarm umgesetzt), Glasbruchsensoren (bei Glasbruch einsetzbar), Ultraschallbewegungsmelder, Infrarotlichtschranken, passive Infrarotgeräte, Mikrowellenmelder und kapazitiven Feldschutz. Diese fünf letztgenannten Melder geben Bewegungen innerhalb eines Raumes als Alarm weiter. Der ausgelöste Alarm kann nun akustisch, optisch oder als stiller Alarm weitergegeben werden. Die Bedeutung des akustischen Alarms hat jedoch abgenommen, da einerseits eine leichte Sabotagemöglichkeit besteht, der Angreifer allenfalls verscheucht, aber nicht ergriffen wird und schließlich bei Fehlalarmen nachbarschaftliche Beschwerden - mitunter auch Untersagung der Anlage - vorkommen können; zudem darf akustischer Alarm nicht länger als 2 Minuten andauern. Optischer Alarm wird zumeist neben akustischem Alarm eingesetzt, er kann unbeschränkt andauern. Heutzutage findet sich bei optischem Alarm oft die Alarmierung durch Halogenscheinwerfer. Sie dienen als Verscheuchungsmittel. Der stille Alarm läuft bei einer Alarmzentrale auf, die von Sicherheitsunternehmen betrieben wird, oder er löst ein automatisches Telefonwähl- und Ansagegerät aus, das einen beliebig zu bestimmenden Teilnehmer anwählt.

3.

Zugangskontrollsysteme

Die Gefahr von Ausspähung und Spionage, die Notwendigkeit des Datenschutzes und der Schutz vor Sabotage machen für die gewerbliche Wirtschaft und für Behörden den Einsatz von Zutrittskontrolleinrichtungen notwendig. Hier setzt die automatisierte Kontrolle ein, bei der eine fälschungssichere Ausweiskarte einem Ausweisleser eingegeben wird; dieser kontrolüert die Zugangsberechtigung und öffnet den Zugang. Die Ausweiskarte kann Kodierungen durch Infrarotpunkte, Magnetstreifen, oder Merkmale der Hand aufweisen; es gibt auch kleine Sender, die einen Code ausstrahlen, wodurch die Zutrittsberechtigung erfolgt.

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Kriminalistik

Neben einfachen Codelesern (off line-System) gibt es die Möglichkeit des Einsatzes von Prozeßrechnern (on line-System); hierbei kann ein mehrfacher Durchgang gesperrt werden, der Zutritt zu bestimmten Tageszeiten festgelegt werden, die Speicherung der Zugänge und der Eintritts- und Ausgangszeit ist möglich. Damit ist eine Kontrollmöglichkeit auch für erhebliche Gefährdungsbereiche möglich; es läßt sich später feststellen, ob abweichende Verhaltensweisen der Zugangsberechtigten vorlagen, die einer Erklärung bedürfen. 4.

Freigeländeüberwachung

Anlagen, die für die Versorgung der Bevölkerung von Bedeutung sind oder die auf Grund ihrer Produktion oder wegen der von ihnen verarbeitenden Stoffe (Kernkraftwerke) bei gewalttätigen Angriffen Gefahrenherde für die Umgebung sein können, werden durch die Überwachung des Freigeländes gesichert. Das gilt auch für Anlagen und Gebäude, die der inneren oder äußeren Sicherheit dienen (Polizei, Bundeswehr) oder die der Lagerung von Versorgungsgütern oder Einsatzmitteln dienen. Die Notwendigkeit einer solchen Überwachung ergab sich einmal durch Terrorakte und Sabotagehandlungen, zum anderen durch die Anforderungen an die Betriebssicherheit bestimmter Anlagen. Die Überwachung erfolgt durch überwachte Zaunanlagen, die mit Erschütterungsmeldern, Körperschallmeldern oder elektrostatischen Sensorkabeln versehen sind. Bewegungen und Erschütterungen des Zaungeflechts führen zu einer Meldung an die Zentrale. Werden Geophone eingesetzt, kommt es zur Registrierung der Trittschallbewegungen. Beim Einsatz eines Elektrodenzaunes wird ein Wechselfeld im Längswellenbereich erzeugt, bei Annäherung eines Störers wird bereits aus einem Abstand von 30 cm Alarm gegeben. Beim Doppelschleifensystem sind in das Zaungeflecht Widerstandsdrähte eingebettet, die an eine AuswerteElektronik geschaltet sind. Durchschneiden, Kurzschließen, Beanspruchung durch Zug oder Druck führen zur Alarmierung. Schließlich können - auch zusätzlich - Infrarotwechsellichtschranken oder Mikrowellenrichtstrecken installiert werden, die beim Durchschreiten der Zone Alarm geben. Will man Ausmaß und Anlaß des Alarmes feststellen, werden optische Überwachungsanlagen zusätzlich eingesetzt, so daß aus der Zentrale heraus Ort und Anlaß des Alarms ermittelt werden kann. Während der Dunkelheit erfolgt eine gleichzeitige Schaltung von Halogenscheinwerfern, um einen Überblick über das Gefahrenfeld zu erhalten.

zeichnung von Raubüberfällen in Kassen sowie zur Überwachung von Kaufhausdiebstählen, von Kassenvorgängen und Kassiererplätzen eingesetzt. Zur Verfügung stehen Überwachungssysteme durch Fernsehaufzeichnung, Filmaufzeichnung und fotografische Aufzeichnung. Soll dem unbefugten Eindringen in Räume durch sofortigen Einsatz von Hilfskräften (Polizei oder Werkschutz) begegnet werden, wählt man die Fernsehaufzeichnung, bei der die zu beobachtenden Vorgänge von einer Alarmzentrale aus beobachtet werden. Soll lediglich die Registrierung des Eindringlings beobachtet werden, kommt die fotografische Aufzeichnung (Fotofalle) in Betracht, die sich auch in Banken und Zahlstellen findet. Eine kombinierte Foto-Fernsehüberwachung - gekoppelt mit einer Videoaufzeichnung - ist ebenfalls möglich. Monographien und Sammelwerkaufsätze G. B a u e r : Moderne Verbrechensbekämpfung. Bd. 1-3. Lübeck 1970-1977. G. B a u e r : Rauschgift-Handbuch über Rauschgiftsucht, Rauschgifthandel, Bekämpfung und Hilfen. Lübeck 1972. G. B a u e r : Auf den Spuren des Verbrechens. Grenzen und Möglichkeiten der Kriminalistik. Lübeck 1973. G . B a u e r , K . H a a s e : Werkschutz und Betriebssicherheit, Lübeck 1982. G. B a u e r : Prävention durch Repression aus der Sicht eines Kriminalisten. In: Polizei und Prävention. Arbeitstagung des BKA 1975. Wiesbaden 1976. G. B a u e r : Serien- und Wiederholungsmörder - Probleme der Ermittlung und Verhütung. In: Kriminologische Gegenwartsfragen. Heft 14. Stuttgart 1980. G. B a u e r : Das Opfer im Ermittlungsverfahren. In: Kriminologische Gegenwartsfragen. Heft 12. Stuttgart 1976. G. B a u e r : Bedeutung der Viktimologie für die polizeiliche Praxis. Seminar an der Polizeiführungsakademie Hiltrup 1973. G. B e r t l i n g : Polizeiliche Einsatzplanung mit Hilfe elektronischer Datenverarbeitungsanlagen. In: Grundlagen der Kriminalistik, Bd. 4. Hamburg 1968. F. G e e r d s : Kriminalistik. Lübeck 1980. G r o B - G e e r d s : Handbuch der Kriminalistik. Bd.I, II. Berlin 1977, 1978. H. v. H e n t i g : Das Verbrechen. Bd. 1-3. Berlin 1961. H. H e r o l d : Kriminalgeographie. In: Grundlagen der Kriminalistik. Bd. 4. Hamburg 1968. H. H e r o l d : Neue Wege in der Kriminaltechnik eröffnen. In: Kriminologische Gegenwartsfragen. Heft 14. Stuttgart 1980. K. S c h a e f e r : Internationale Verbrechensbekämpfung. Schriftenreihe des BKA. Bd. 44. Wiesbaden 1977. H.-D. S c h w i n d u.a.: Dunkelfeldforschung in Göttingen 1973/ 1974. Forschungsreihe des BKA. Bd. 2. Wiesbaden 1975. H.-D. S c h w i n d u.a.: Empirische Kriminalgeographie. Forschungsreihe des BKA. Bd. 8. Wiesbaden 1978. W. S c h m i t z : Tatortbesichtigung und Tathergang: Forschungsreihe des BKA. Bd. 6. Wiesbaden 1977. H . J . S c h n e i d e r : Viktimologie. Die Wissenschaft vom Verbrechensopfer. Tübingen 1975. G. W i e s e l , H. G e r s t e r : Das Informationssystem der Polizei INPOL. Schriftenreihe des BKA. Bd. 46. Wiesbaden 1978. W. S t e f f e n : Analyse polizeilicher Ermittlungstätigkeit aus der Sicht des späteren Strafverfahrens. Forschungsreihe des BKA. Bd. 4. Wiesbaden 1976. Zeitschriftenaufsätze

5.

Raumüberwachungsanlagen

Sie werden zum Zwecke des Personenschutzes, des Objektschutzes, der Beobachtung und Auf-

G. B a u e r : Von der wechselnden Arbeitsweise des Verbrechers. Die Polizei 1969, S. 105. G. B a u e r : Organisation und Einsatz der Kriminalpolizei - Probleme, Fehler, Anregungen. Der Kriminalist 1975, S. 586.

Strafaussetzung zur Bewährung G. B a u e r : Ausbildung und Fortbildung im Saarbrücker Gutachten über das Berufsbild der Polizei. Der Kriminalist 1976, S. 260. G. B a u e r : Der Angriff der Verbrecherorganisationen auf die Sicherheit und die Abwehr der Kriminalpolizei. In: Dokumentation Verbrechensbekämpfung zur Fachtagung Kripo International 1976. Düsseldorf 1976. K. H. G e m m e r : Kriminalistischer Wert des Sachbeweises. Kriminalistik 32 (1978), S. 529. H. H e r o l d : Erwartungen von Polizei und Justiz in der Kriminaltechnik. Kriminalistik 33 (1979), S. 17. A. M ä t z l e r : Fehlerquellen bei Todesennittlungen. In: Kriminologische Gegenwartsfragen. Bd. 14, Stuttgart 1980. W. P i e t r z i k : Der international organisierte Rauschgifthandel. Kriminalistik 34 (1980), S.315. R. R u p p r e c h t : Kriminalstruktur. Kriminalistik 28 (1974), S.481.

Arbeitsmaterialien Bundeskriminalamt: Polizeiliche Kriminalstatistik 1970-1979. Wiesbaden 1971-1980. Bundeskriminalamt: Städtebau und Kriminalität. Internationales Symposion 1978. Wiesbaden 1979. Bundeskriminalamt: Kriminalpolizeiliche Beratung. Schriftenreihe des BKA. Bd. 47. Wiesbaden 1978. Bundeskriminalamt: Möglichkeiten und Grenzen der Fahndung. Arbeitstagung 1979. Wiesbaden 1980. Bundeskriminalamt: Straftatenklassifizierung und Gewichtung. Internationales Symposium 1977. Wiesbaden 1977. Bundesministerium des Innern/Bundeskriminalamt: Betrifft: Bundeskriminalamt. Bonn 1977. Ständige Konferenz der Innenminister/-senatoren des Bundes und der Länder: Programm für die Innere Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland. IM Rheinland-Pfalz. Mainz 1974. GÜNTHER

BAUER

STRAFAUSSETZUNG ZUR BEWÄHRUNG, BEWÄHRUNGSHILFE UND FÜHRUNGSAUFSICHT I. STELLUNG UND BEDEUTUNG DER STRAFAUSSETZUNG ZUR BEWÄHRUNG, DER BEWÄHRUNGSHILFE UND DER FÜHRUNGSAUFSICHT IM KRIMINALRECHTLICHEN SYSTEM A. Das kriminalrechtliche System als Präventionssystem 1. Prävention als Aufgabe des Kriminalrechts a) P r ä v e n t i o n d u r c h S c h u l d a u s g l e i c h . Nach begangener Tat kann es nur noch darum gehen, künftige Taten zu verhindern, also Prävention zu betreiben. Wenn das Erwachsenenstrafrecht als Tatschuldstrafrecht den Schuldausgleich in den Mittelpunkt stellt, so liegt dem die Auffassung zugrunde, dieser Schuldausgleich sei das geeignetste Mittel zur Prävention. Maßgebend sind dabei folgende empirische Vorstellungen: Die Verhängung eines tatschuldproportionalen Übels bewirke im Bestraften einen Lernschritt; aus dem Übel lerne

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er, künftig keine Taten mehr zu begehen, um eben das Übel zu meiden. Zugleich strahle dieser Bestrafungsvorgang auf die Allgemeinheit aus, sie werde - wie der Bestrafte - abgeschreckt und in ihrem Bestreben, keine Straftaten zu begehen, bestärkt. Die Erwartung, daß sich die Bürger normkonform verhalten, werde bekräftigt, und der soziale Frieden, der durch die Tat gestört worden sei, werde durch die Bestrafung wiederhergestellt. Bei derartigen Erwägungen geht man vom Bild des mündigen Bürgers aus, der sein Verhalten zu steuern vermag und vor der Rechtsgemeinschaft verantworten muß. Mit dem Begriff der Tatschuld knüpft das Strafrecht an Gedanken und Überzeugungen an, die weithin als nahezu selbstverständlich akzeptiert werden. Daß man für sein Verhalten verantwortlich ist und für begangenes Unrecht einzustehen habe, sind Annahmen, ohne die ein geregeltes Zusammenleben nicht auskommt. Die Problematik des Tatschuldstrafrechts liegt in dessen irrationalen Komponenten. Auch Schuld im rechtlichen Sinne läßt sich nicht „feststellen", sondern wird „angenommen" und „zugeschrieben". Sie kann mit keinem rationalen Maßstab in Übelskategorien umgerechnet werden. Nur bestimmte Dispositionen und Umstände können dazu führen, daß die Annahme von Schuld unhaltbar wird. Der Ausgleich der Schuld durch Übelskategorien bleibt lediglich einer relativen rationalen Erfassung zugänglich, indem das Ausmaß des Übels an der Schwere der Schuld ausgerichtet und die Übelsfolgen entsprechend abgestuft werden. Hieraus folgt zugleich die Möglichkeit, die Tatschuld als Strafzumessungsschuld mit einem vergleichenden Maßstab zu messen. Die Annahme strafbegründender Schuld indessen kann nur mit der Notwendigkeit staatlichen Strafens rational begriffen und gerechtfertigt werden. Tatschuld als Voraussetzung für Strafe steht also in einem zweckorientierten Kontext. Das zwingt allerdings noch nicht dazu, den Begriff der Tatschuld von den Momenten des persönlichen moralischen Unwerturteils zu lösen. Gleichwohl treten in der Strafrechtsdogmatik Tendenzen hervor, den Schuldbegriff stärker an der Notwendigkeit der Strafe auszurichten. Auf solche Weise wird das Schuldstrafrecht stärker zu einem (verdeckten) Maßnahmerecht hingeführt. Tatschuld und Tatschuldausgleich sind im Grundsatz einer empirischen Überprüfung entzogen. Empirische Untersuchungen vermögen höchstens die Randzonen zu beleuchten, ob die Annahme von Tatschuld vertretbar war, für vergleichbare Taten ähnliche Strafen verhängt wurden usw. Da jedoch das Schuldstrafrecht keine selbstzweckhafte Vergeltung beabsichtigt, sondern instrumental für den Rechtsgüterschutz sein soll, erhebt sich die Frage, ob die leitenden Vorstellungen über die präventive Wirkung des Schuldstrafrechts empirisch bestätigt werden. Fundamentale Zweifel frei-

Strafaussetzung zur Bewährung G. B a u e r : Ausbildung und Fortbildung im Saarbrücker Gutachten über das Berufsbild der Polizei. Der Kriminalist 1976, S. 260. G. B a u e r : Der Angriff der Verbrecherorganisationen auf die Sicherheit und die Abwehr der Kriminalpolizei. In: Dokumentation Verbrechensbekämpfung zur Fachtagung Kripo International 1976. Düsseldorf 1976. K. H. G e m m e r : Kriminalistischer Wert des Sachbeweises. Kriminalistik 32 (1978), S. 529. H. H e r o l d : Erwartungen von Polizei und Justiz in der Kriminaltechnik. Kriminalistik 33 (1979), S. 17. A. M ä t z l e r : Fehlerquellen bei Todesennittlungen. In: Kriminologische Gegenwartsfragen. Bd. 14, Stuttgart 1980. W. P i e t r z i k : Der international organisierte Rauschgifthandel. Kriminalistik 34 (1980), S.315. R. R u p p r e c h t : Kriminalstruktur. Kriminalistik 28 (1974), S.481.

Arbeitsmaterialien Bundeskriminalamt: Polizeiliche Kriminalstatistik 1970-1979. Wiesbaden 1971-1980. Bundeskriminalamt: Städtebau und Kriminalität. Internationales Symposion 1978. Wiesbaden 1979. Bundeskriminalamt: Kriminalpolizeiliche Beratung. Schriftenreihe des BKA. Bd. 47. Wiesbaden 1978. Bundeskriminalamt: Möglichkeiten und Grenzen der Fahndung. Arbeitstagung 1979. Wiesbaden 1980. Bundeskriminalamt: Straftatenklassifizierung und Gewichtung. Internationales Symposium 1977. Wiesbaden 1977. Bundesministerium des Innern/Bundeskriminalamt: Betrifft: Bundeskriminalamt. Bonn 1977. Ständige Konferenz der Innenminister/-senatoren des Bundes und der Länder: Programm für die Innere Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland. IM Rheinland-Pfalz. Mainz 1974. GÜNTHER

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STRAFAUSSETZUNG ZUR BEWÄHRUNG, BEWÄHRUNGSHILFE UND FÜHRUNGSAUFSICHT I. STELLUNG UND BEDEUTUNG DER STRAFAUSSETZUNG ZUR BEWÄHRUNG, DER BEWÄHRUNGSHILFE UND DER FÜHRUNGSAUFSICHT IM KRIMINALRECHTLICHEN SYSTEM A. Das kriminalrechtliche System als Präventionssystem 1. Prävention als Aufgabe des Kriminalrechts a) P r ä v e n t i o n d u r c h S c h u l d a u s g l e i c h . Nach begangener Tat kann es nur noch darum gehen, künftige Taten zu verhindern, also Prävention zu betreiben. Wenn das Erwachsenenstrafrecht als Tatschuldstrafrecht den Schuldausgleich in den Mittelpunkt stellt, so liegt dem die Auffassung zugrunde, dieser Schuldausgleich sei das geeignetste Mittel zur Prävention. Maßgebend sind dabei folgende empirische Vorstellungen: Die Verhängung eines tatschuldproportionalen Übels bewirke im Bestraften einen Lernschritt; aus dem Übel lerne

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er, künftig keine Taten mehr zu begehen, um eben das Übel zu meiden. Zugleich strahle dieser Bestrafungsvorgang auf die Allgemeinheit aus, sie werde - wie der Bestrafte - abgeschreckt und in ihrem Bestreben, keine Straftaten zu begehen, bestärkt. Die Erwartung, daß sich die Bürger normkonform verhalten, werde bekräftigt, und der soziale Frieden, der durch die Tat gestört worden sei, werde durch die Bestrafung wiederhergestellt. Bei derartigen Erwägungen geht man vom Bild des mündigen Bürgers aus, der sein Verhalten zu steuern vermag und vor der Rechtsgemeinschaft verantworten muß. Mit dem Begriff der Tatschuld knüpft das Strafrecht an Gedanken und Überzeugungen an, die weithin als nahezu selbstverständlich akzeptiert werden. Daß man für sein Verhalten verantwortlich ist und für begangenes Unrecht einzustehen habe, sind Annahmen, ohne die ein geregeltes Zusammenleben nicht auskommt. Die Problematik des Tatschuldstrafrechts liegt in dessen irrationalen Komponenten. Auch Schuld im rechtlichen Sinne läßt sich nicht „feststellen", sondern wird „angenommen" und „zugeschrieben". Sie kann mit keinem rationalen Maßstab in Übelskategorien umgerechnet werden. Nur bestimmte Dispositionen und Umstände können dazu führen, daß die Annahme von Schuld unhaltbar wird. Der Ausgleich der Schuld durch Übelskategorien bleibt lediglich einer relativen rationalen Erfassung zugänglich, indem das Ausmaß des Übels an der Schwere der Schuld ausgerichtet und die Übelsfolgen entsprechend abgestuft werden. Hieraus folgt zugleich die Möglichkeit, die Tatschuld als Strafzumessungsschuld mit einem vergleichenden Maßstab zu messen. Die Annahme strafbegründender Schuld indessen kann nur mit der Notwendigkeit staatlichen Strafens rational begriffen und gerechtfertigt werden. Tatschuld als Voraussetzung für Strafe steht also in einem zweckorientierten Kontext. Das zwingt allerdings noch nicht dazu, den Begriff der Tatschuld von den Momenten des persönlichen moralischen Unwerturteils zu lösen. Gleichwohl treten in der Strafrechtsdogmatik Tendenzen hervor, den Schuldbegriff stärker an der Notwendigkeit der Strafe auszurichten. Auf solche Weise wird das Schuldstrafrecht stärker zu einem (verdeckten) Maßnahmerecht hingeführt. Tatschuld und Tatschuldausgleich sind im Grundsatz einer empirischen Überprüfung entzogen. Empirische Untersuchungen vermögen höchstens die Randzonen zu beleuchten, ob die Annahme von Tatschuld vertretbar war, für vergleichbare Taten ähnliche Strafen verhängt wurden usw. Da jedoch das Schuldstrafrecht keine selbstzweckhafte Vergeltung beabsichtigt, sondern instrumental für den Rechtsgüterschutz sein soll, erhebt sich die Frage, ob die leitenden Vorstellungen über die präventive Wirkung des Schuldstrafrechts empirisch bestätigt werden. Fundamentale Zweifel frei-

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Strafaussetzung zur Bewährung

lieh sind angesichts der denkbaren Alternativen (Abschaffung des Strafrechts, reines Maßnahmerecht) wenig hilfreich, der Blick ist vielmehr auf das Detail zu richten, und hier sind die Grenzen des Schuldstrafrechts evident: Die Lektion, nicht wieder in kriminelle Verhaltensweisen zu verfallen, wird nur unter bestimmten Bedingungen gelernt. Der Täter muß entsprechend motivierbar sein, er muß „richtig" lernen, dem Übel der Bestrafung mithin nicht anders zu entgehen, er muß über alternative Verhaltensmuster verfügen, andere Kräfte, die ihn zu kriminalisierten Verhaltensweisen hinführen, dürfen nicht stärker sein usw. Ebenso sind die Wirkungen einer Bestrafung auf andere von vielerlei Bedingungen abhängig. Solche Wirkungen entfalten sich hauptsächlich über die Massenmedien, werden folglich in erheblichem Ausmaß von außerjustiziellen Stellen und in veränderten Formen weitergeleitet und stoßen schließlich wiederum auf ganz unterschiedliche soziale und psychische Dispositionen. b ) P r ä v e n t i o n d u r c h M a ß n a h m e n . Ein reines Schuldstrafrecht vermag den Erfordernissen einer wirkungsvollen Prävention nicht zu genügen. Das folgt nicht zuletzt schon aus dem System des Schuldstrafrechts selbst, das bei fehlender oder nur geringer Tatschuld keine Eingriffsgrundlage bietet. Unser kriminalrechtliches System ist darum zweispurig ausgestaltet, neben den Strafen (Geldstrafe, Freiheitsstrafe, Fahrverbot) steht ein Katalog von Maßnahmen (Maßregeln der Besserung und Sicherung), zu denen unter anderen auch die Führungsaufsicht zählt. Das Gewicht, das der Maßnahmekomponente zukommt, ist im Erwachsenenstrafrecht und im Jugendstrafrecht unterschiedlich stark. Während das Erwachsenenstrafrecht im Kern als Tatschuldstrafrecht anzusehen ist, dominiert im Jugendstrafrecht das Maßnahmerecht (vgl. § 5 JGG), weshalb man zutreffender auch vom Jugendkriminalrecht spricht. Das Jugendkriminalrecht kennt als einzige Strafe lediglich die Jugendstrafe (als Freiheitsstrafe), die aber eine ultima ratio darstellt. Kriminalrechtliche Maßnahmen knüpfen wie die Strafe an eine rechtswidrige Tat (s. § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB) an, sind indessen von ihrer Struktur her unabhängig von der Tatschuld. Sie beabsichtigen nicht Ahndung, sondern typischerweise Resozialisierung. Während einzelne Maßnahmen teilweise fehlende oder geminderte Tatschuld zur (negativen) Voraussetzung (§§ 63 , 64, 65 StGB) haben, sind andere (des Jugendkriminalrechts) nur bei schuldhaften Taten vorgesehen (z.B. Weisungen). Seine Grenzen findet das Maßnahmerecht in dem rechtstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, den das Strafgesetzbuch deshalb dem Maßnahmerecht voranstellt (§ 62 StGB). Ausschlaggebend für die Auswahl und Verhängung von Maßnahmen ist eine individuelle Gefahrprognose. In

erster Linie kommt es auf die Gefahr an, die durch künftige Taten für andere besteht, daneben muß aber auch die eigene Gefährdung des Täters durch soziale Restriktionen berücksichtigt werden. Letzteres gilt besonders für junge Täter, die noch in einer stärkeren psycho-sozialen Entwicklung begriffen sind. Ihre Rechtfertigung finden Maßnahmen in der Wirksamkeit, mit der sie künftiges sozial schädliches Verhalten verhindern. Diese Wirksamkeit hängt entscheidend davon ab, welche Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und in welchem Ausmaß diese zur Rückfallprophylaxe geeignet erscheinen. Die Erprobung und Entwicklung erfolgversprechender Behandlungskonzepte stellt deshalb die zentrale kriminalpolitische Aufgabe im Bereich des Maßnahmerechts dar. Strafen und Maßnahmen sind zwar vom Ansatz her klar voneinander unterschieden, jedoch gibt es im Hinblick auf die konkrete gesetzliche Ausgestaltung und die Auswirkungen beachtliche Überschneidungen. Das verdeutlicht ein Blick in den Bereich des Freiheitsentzuges: Längerfristige Freiheitsstrafen bewirken eine Sicherung des Täters und machen nicht selten sichernde Maßnahmen überflüssig. Zugleich gebietet das Sozialstaatsprinzip, über eine bloße Verwahrung hinauszugelangen und soziales Training oder Sozialtherapie zu ermöglichen (vgl. § 3 Abs. 3 StVollzG). Maßnahmen, die durchweg die Handlungsfreiheit einschränken, werden, gerade wenn sie die Bewegungsfreiheit tangieren, als Übel empfunden, und zwar nicht nur vom Betroffenen, sondern auch von der Allgemeinheit. Eine abschreckende Wirkung kommt deswegen nicht nur den Strafen zu. Wir finden den Abschrekkungseffekt auch in der gesetzlichen Regelung wieder, wenn etwa bei ausgesetzter Maßregel mit deren Vollstreckung „gedroht" wird (vgl. § 67 b StGB). Umgekehrt verlangt jede Form des sozialen Lernens, den Probanden als verantwortlich handelnde Persönlichkeit anzusprechen, so daß von einer besonderen Objektstellung des Probanden im Maßnahmerecht nicht gesprochen werden kann. Strafen und Maßnahmen sind beide Instrumente der institutionellen sozialen Kontrolle, die sich nur darin unterscheiden, wie Prävention erreicht werden soll. Ihr durchaus zweischneidiger Charakter ist durch die jüngere Kriminologie zu Recht hervorgehoben worden: Der Kontakt mit Institutionen des Kriminalrechts wirkt nicht ohne weiteres präventiv, sondern kann zugleich auch zur „kriminellen Infektion", zur Stigmatisierung, sozialen Degradierung und letztendlich durch Chancenbeschneidung und Identitätswandel zu „kriminellen Karrieren" führen. Aus dem Grunde gehört zu einem präventiven kriminalrechtlichen System ein Subsystem der Differenzierung und Feinsteuerung bis hin zur Nonintervention, mit dessen Hilfe das Übel der Strafe und ebenso jegliche Form von Behandlung genauer dosiert und strafende, sichernde und resozialisierende Momente aufeinander abgestimmt werden

Strafaussetzung zur Bewährung können. So gesehen erscheinen Strategien, die die Verhängung, die Vollstreckung oder den Vollzug von Strafen oder Maßnahmen zu vermeiden und das Übel ihres Erleidens durch besondere Drohungen mit dem Übel zu ersetzen suchen, als präventive „Maßnahmen". Das gilt erst recht, soweit ein Minus an Ahndung oder Internierung von einem Angebot an ambulanten Hilfen und von Kontrollen aufgefangen wird.

2. Präventive Strategien des Kriminalrechts Bestrafung und Prävention sind insofern gegenläufig, als eine Übelszufügung (vor allem durch Freiheitsentzug) notwendig entwurzelnde, aussondernde und diskriminierende Auswirkungen zeitigt, während Individualprävention eine gesellschaftliche Eingliederung mit beinhaltet. Das Kriminalrecht versucht deshalb unter möglichster Aufrechterhaltung der Drohungen mit dem Übel, die unerwünschten Folgen der Übelszufügungen zu vermeiden oder abzuschwächen. Die Instrumente, mit denen die Rücknahme der Konsequenzen aus den Strafdrohungen bewerkstelligt wird, setzen an verschiedenen Stationen des Kriminalisierungsprozesses an und sind teils verfahrensrechtlicher, teils materiellrechtlicher Natur. Die Verfolgung und Weiterverfolgung bestimmter Delikte ist an das Erfordernis eines Strafantrags des/der Antragsberechtigten gekoppelt, in zahlreichen Fällen kann das Ermittlungsverfahren von den Strafverfolgungsbehörden eingestellt werden, insbesondere, wenn sich eine anderweitige Lösung des sozialen Konflikts abzeichnet (etwa durch Maßnahmen des Jugendhilferechts, vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 1 J G G , oder dadurch, daß der durch die Tat angerichtete Schaden wiedergutgemacht wird, vgl. § 153 a Abs. 1 Nr. 1 und 4 StPO). Auch ohne Einstellung des Verfahrens werden stigmatisierende Wirkungen durch massenweise Erledigung in Bußgeldverfahren (Bußgeldbescheid s. §§ 47, 65, 66 OWiG) oder im Strafbefehlsverfahren (s. §§ 407ff. StPO), also ohne mündliche Hauptverhandlung, vermieden oder erheblich reduziert. Kommt es zur Hauptverhandlung, ist - abgesehen von der Verfahrenseinstellung - unter allerdings recht einschränkenden Voraussetzungen die Möglichkeit eröffnet, es beim Schuldspruch zu belassen. Entweder wird auf Strafe endgültig verzichtet (so im Falle des § 60 StGB), oder es wird die Verhängung einer noch zu bemessenden oder schon festgesetzten Strafe zur Bewährung ausgesetzt (vgl. § 27 JGG: Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe, § 59 StGB: Verwarnung mit Strafvorbehalt bei der Geldstrafe). Eine nach Schuldgesichtspunkten verwirkte kurzfristige Freiheitsstrafe darf nur in Ausnahmefällen, insbesondere zur „Verteidigung der Rechtsordnung", verhängt werden (s. §47 StGB). Die Lücke füllt die in ihrer Bedeutung stark

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gestiegene Geldstrafe. Verhängt das Gericht Freiheitsstrafe, so bedeutet das nicht einmal im Regelfall vollstreckbare Freiheitsstrafe. Vielmehr muß die Vollstreckung von Freiheitsstrafen, wie im folgenden noch des näheren darzulegen sein wird (s. I B 3 ) , in beträchtlichem Umfang zur Bewährung ausgesetzt werden. Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe bezieht sich wegen der Verpflichtung bzw. Möglichkeit zur Reststrafenaussetzung nur ausnahmsweise auf die gesamte Strafdauer. Um diese Einschränkungen des Vollzugs der Freiheitsstrafe voll zu erfassen, sind außerdem die vollzugsrechtlichen Bestimmungen heranzuziehen, die erhebliche Einschränkungen des Freiheitsentzuges vorsehen (offener Vollzug, Vollzugslockerungen: Urlaub, Sonderurlaub zur Entlassungsvorbereitung usw.). Der Verzicht auf die Konsequenzen der Straffälligkeit, der natürlich neben den präventiven Gesichtspunkten nicht zuletzt auch aus ökonomischen Erwägungen heraus erfolgt, läßt sich teilweise nur vor dem Hintergrund kriminalrechtlicher Surrogate durchführen, die das entstehende Vakuum gleichsam auffüllen können. Das geschieht einmal durch eine deutliche Verwarnung gegenüber dem Täter. Es soll verhindert werden, daß die Nachsicht als Schwäche mißverstanden wird. Verwarnung im hier verstandenen Sinne ist kein terminus technicus, sondern ein übergeordneter Begriff. E r bezieht sich auf zwei Botschaften, die dem Verwarnten in recht unterschiedlicher Weise übermittelt werden: 1. Sein Verhalten wird mißbilligt. 2. Bei Wiederholungen und anderem unerwünschten Verhalten ist es mit der Nachsicht oder Großzügigkeit vorbei. Beide Mitteilungen erfolgen mit geringerem oder stärkerem Nachdruck, die Skala reicht von rein verbalen Äußerungen bis hin zu einem empfindlichen Eingriff ins Vermögen (einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung zu zahlen, vgl. § 153 a Abs. 1 Nr. 2 StPO). Das Gesetz sieht auch unterschiedliche Grade der Formalisierung vor, es gibt die formlose mündliche Verwarnung durch die Strafverfolgungsbehörden ebenso wie die an bestimmte Formulierungen geknüpfte schriftliche Verwarnung im Urteil (s. § 59 Abs. 1 StGB). Dem Einsatz derartiger Verwarnungen liegen folgende Erwartungen zugrunde: Einmal geht man davon aus, der Täter könne „hören", brauche deshalb nicht (zumindest nicht gänzlich) zu „fühlen", zum anderen wird die in der Verwarnung enthaltene Mißbilligung selbst schon als eine gewisse Ahndung angesehen, die (zumindest vorerst) weitere Konsequenzen entbehrlich macht. Das bedeutsamste Instrument, mit dessen Hilfe die Zurückdrängung des unliebsamen Freiheitsentzuges überhaupt erst möglich wurde und möglich ist, ist die Gesamtheit der ambulanten sozialen Dienste (Gerichtshilfe, Betreuungseinrichtungen der Freien Träger usw.). Diese Dienste haben indessen nie die Bedeutung erlangt, die die Bewährungshilfe derzeit besitzt. Der Siegeszug der Be-

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Strafaussetzung zur Bewährung

währungshilfe und ihre gegenwärtige Überbeanspruchung folgen aus der allgemeinen Erkenntnis, daß kriminalrechtliche Strategien, die den Täter in seinen sozialen Bezügen belassen, vor der stationären Unterbringung der Vorrang gebührt. Diese Grundentscheidung für die ambulante Behandlung, die auf das Ausbleiben durchgreifender Erfolge stationärer Behandlungsprogramme ebenso wie auf die immense Kostenlast behandlungsintensiver stationärer Einrichtungen zurückzuführen ist, gilt für alle Bereiche der sozialen Kontrolle und der sozialen Hilfe gleichermaßen. Das System der stationären Maßregeln des Erwachsenenstrafrechts ist deswegen durch die Strafrechtsreform im Sinne einer Öffnung zur ambulanten Behandlung modifiziert worden: Auch die Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt kann wie die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden (vgl. § 67 b StGB). Die Bewährungshilfe wird insoweit durch das neu geschaffene Institut der Führungsaufsicht bewerkstelligt, bei der eine Aufsichtsstelle zusammen mit einem Bewährungshelfer die Überwachung und Betreuung übernimmt (s. § 68 a StGB). Die Entwicklung zur ambulanten Behandlung läßt sich bis hin zum polizeilichen Unterbringungsrecht der Länder zurückverfolgen; entsprechend den Leitvorstellungen einer gemeindenahen Psychiatrie ist man bestrebt, den stationären Krankenhausaufenthalt und hospitalisierende Einflüsse durch ein Netz differenzierter psychiatrischer Dienste zu vermeiden (vgl. PsychKG von NRW und Hamburg). Die kriminalpolitischen Auswirkungen dieser Entwicklung erschöpfen sich nicht in der Verdrängung des Freiheitsentzugs, sie werden vor allem in einer Hinwendung zu Maßnahmestrategien sichtbar, die den Mechanismus der schlichten Bestrafung zusehends überlagern. Der Bewährungshelfer hat in erster Linie die Aufgabe, die sozialen Partizipationsmöglichkeiten seines Probanden auszubauen und zu vermehren, ihm bessere als die kriminalisierten Verhaltensmuster zu vermitteln. Die mehr oder minder abgeschwächte prognostische Erwartung der „Bewährung", die einer Verhängungsoder Vollstreckungsaussetzung vorausgeht, beinhaltet zugleich mit die positiven Folgen, die die Bewährungshilfe nach sich ziehen soll (vgl. § 56 Abs. 1 S. 2 StGB, § 21 Abs. 1 S. 1 JGG). Bewährungshilfe bedeutet mithin nicht lediglich die Kontrolle eines prognostisch noch hoffnungsvoll beurteilten Täters, sondern vor allem auch, diese Prognose durch unterstützende Hilfestellungen günstig zu beeinflussen. Die Einschaltung der Bewährungshilfe wirkt sich nicht lediglich auf die ambulante Phase der Strafaussetzung aus, sondern darüber hinaus auch auf den gesamten Prozeß der Sanktionierung. Erfolgt ein Widerruf und im Anschluß daran der Vollzug der Freiheitsentziehung, erscheint letzterer nicht

lediglich als ein Übergang zur Bestrafung. Der Vollzug bedeutet vielmehr auch eine Fortsetzung der Behandlung im stationären Wege, er ist ein Glied in einer Kette aufeinander bezogener ambulanter und stationärer Maßnahmen. Das wird besonders am Institut der Reststrafenaussetzung deutlich, wenn der Vollzug der Freiheitsstrafe nicht zu Ende geführt und wiederum eine ambulante Bewährungsphase angeschlossen wird. Ferner muß in diesem Zusammenhang der Grundsatz des Vikariierens (§ 67 StGB: Vollzug der Maßregel vor der Strafe mit Anrechnung auf die Strafe) erwähnt werden. Bei einer Aussetzung des Maßregelvollzuges und des Vollzuges einer daneben verhängten Freiheitsstrafe wird im Falle des Widerrufs die besondere spezialpräventiv-behandlungsorientierte Maßregel vorweg und „auf Kosten" der Freiheitsstrafe vollzogen. Freilich können Maßnahme- und Strafkomponenten wegen deren unterschiedlicher Bezugssysteme nicht zur gänzlichen Deckung gebracht werden. Der Strafrahmen, den ein Tatschuldstrafrecht liefert, ist für die präventive Maßnahmekomponente nicht immer passend. Friktionen gibt es vor allem bei der Annahme großer Tatschuld. Ist die Tatschuld gering oder gar nicht vorhanden, besteht für den Gesetzgeber die Möglichkeit, eine Lücke im präventiven Gesamtsystem durch Maßnahmen zu schließen, die entweder neben eine Strafe treten oder eine Bestrafung obsolet machen. Erforderlich ist insoweit immer und nur, daß der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt, wonach die Maßnahme nicht zum Anlaß der Tat(en) und der künftigen Gefahren, die vom Täter ausgehen, außer Verhältnis stehen darf (vgl. § 62 StGB). Geht man indessen von großer Tatschuld aus, muß das in einem kriminalrechtlichen System, das sich - auch - als Tatschuldstrafrecht versteht, zu einer entsprechenden Ahndung führen. Eine Überlagerung langer Freiheitsstrafen durch das Institut der Vollstreckungsaussetzung kommt kaum in Betracht, weil sonst der Gesichtspunkt der vergeltenden Übelszufügung aufgehoben würde und es zudem unvertretbar erscheint, die Vollstreckung vielj ähriger Freiheitsstrafen von vergleichsweise geringfügigen Widerrufstatbeständen abhängig zu machen. Das geltende kriminalrechtliche System verwendet die präventiven Strategien des Schuldstrafrechts und des Maßnahmerechts meist nicht „rein" und alternativ, sondern sieht in weiten Bereichen Mischformen vor. Die Gesichtspunkte der Schuldvergeltung und der präventiven Behandlung werden auf verschiedenen Ebenen und in einer bestimmten Reihenfolge der Prioritäten beim Vorgang der Rechtsfolgenbestimmung berücksichtigt. Bei der Bemessung der Freiheitsstrafe des Erwachsenenstrafrechts wird zunächst der konkrete Schuldrahmen für die begangene Tat abgesteckt. Innerhalb dieses Rahmens verbleibt nach herr-

Strafaussetzung zur Bewährung sehender Auffassung ein Spielraum für die Verfolgung besonderer präventiver Zwecke. Unter diesen Zwecken ist der der präventiven Behandlung nur einer, der freilich dem Sicherungszweck vorgeht. Die elementare Entscheidung, ob eine Strafaussetzung erfolgen soll, ist an den gesetzlichen Rahmen für die aussetzbare Freiheitsstrafe und den konkreten Schuldrahmen gebunden, darüber hinaus auch noch an die besonderen präventiven Überlegungen, die zur Bemessung der Zeitspanne innerhalb des konkreten Schuldrahmens angestellt wurden. Dadurch reichen die Antinomien über den notwendigen Gegensatz von Strafe und Maßnahme hinaus. Besondere präventive Erwägungen zur zeitlichen Befristung der zu verhängenden Freiheitsstrafe hängen bei Ausklammerung der Aussetzungsfrage gleichsam „in der Luft". Kommt es zum Vollzug einer ausgesetzten Strafe, wird die Vollzugsdauer vom Behandlungsgesichtspunkt aus betrachtet kaum ideal bemessen, weil sie sich an der vergangenen Tatschuld (unter Anrechnung eventuell erlittener Untersuchungshaft) ausrichtet und die präventiven Erwägungen, die seinerzeit das Strafmaß mitbestimmt hatten, durch nachträgliche Ereignisse (beispielsweise zeitlich veränderte Ausbildungsangebote im Vollzug) hinfällig geworden sein können. Von diesen Mängeln bleibt auch das Jugendkriminalrecht nicht ganz verschont. Zwar ist die Jugendstrafe so zu bemessen, daß die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist (s. § 18 Abs. 2 JGG), aber auch bei der aussetzbaren Jugendstrafe erfolgt die Befristung schon bei der Verhängung.

B. Strafaussetzung zur Bewährung, Bewährungshilfe und Führungsaufsicht als Instrumente der Spezialprävention 1. Die Entwicklung der Strafaussetzung zur Bewährung von der gnadenweisen Haftverschonung zu einer eigenständigen ambulanten Behandlungsmaßnahme Das Rechtsinstitut der Strafaussetzung zur Bewährung, so wie es in seinen gegenwärtigen Ausgestaltungen im Erwachsenenstrafrecht und im Jugendkriminalrecht in Erscheinung tritt, hat sich im Laufe einer langjährigen geschichtlichen Entwicklung herausgebildet. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die kriminalpolitische Zielvorstellung, bei den als besonders verhängnisvoll angesehenen kurzfristigen Freiheitsstrafen vom Vollzug nach Möglichkeit abzusehen. Eine solche Möglichkeit wurde für gegeben erachtet, wenn zu hoffen war, daß der Straftäter schon aufgrund der gerichtlichen Tatfeststellung und unter der Drohung, bei weiteren Taten eine Freiheitsstrafe verbüßen zu müssen, vom Rückfall abgehalten werden konnte. Zur Verwirklichung dieser

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Strategie bildeten sich im angelsächsischen und im kontinentaleuropäischen Rechtskreis zwei unterschiedliche Verfahrensweisen heraus, die für die künftige Entwicklung - auch in Deutschland - wegweisend wurden: die Verhängungsaussetzung (Probation-System) und die Vollstreckungsaussetzung (Sursis). Bei der Verhängungsaussetzung wird nach dem Schuldspruch (conviction) der gerichtliche Strafausspruch (sentence) für eine bestimmte Zeitspanne zur Bewährung ausgesetzt. Im Falle der Bewährung unterbleibt die Verurteilung, andernfalls wird das Verfahren wieder aufgenommen und mit dem Strafausspruch und seiner Vollstreckung abgeschlossen. Bei der Vollstreckungsaussetzung setzt der Richter die Freiheitsstrafe schon vor Beginn der Bewährungszeit fest, aber es unterbleibt zunächst die Vollstreckung dieser Strafe. Bewährt sich der Verurteilte, wird die Strafe erlassen, bewährt er sich nicht, wird die Strafaussetzung widerrufen und die im Urteil festgesetzte Strafe vollstreckt. Etwa seit der Jahrhundertwende praktizierte man in Deutschland in größerem Umfang das Modell der Vollstreckungsaussetzung. Dabei wurde die Aussetzung der gerichtlich verhängten Freiheitsstrafe als Gnadenakt verstanden, der das Urteil abmildert. Justizverwaltungsvorschriften der Bundesstaaten (später: Länder) enthielten gewisse materielle Voraussetzungen für diese Begnadigung und zugleich auch einige Verfahrensvorschriften (Antragsrecht, Beschwerde u. ä.). Sie delegierten die Befugnis zu diesem besonderen Gnadenakt an unterschiedliche Behörden, teils an den Landesjustizminister, teils an die leitenden Beamten der Staatsanwaltschaften, vereinzelt für Bagatellstrafsachen auch an die Amtsgerichte. Während der NSZeit wurde die Justiz aus der Zuständigkeit der Länder in die des Reiches überführt. Der Reichsjustizminister erließ 1935 eine Gnadenordnung, die einen besonderen Abschnitt „Bedingte Strafaussetzung" enthielt. Darin wurden die Gnadenbehörden, meist die Staatsanwaltschaften, ermächtigt, die Vollstreckung von Freiheitsstrafen von nicht mehr als 6 Monaten Dauer ganz oder teilweise für eine Bewährungsfrist auszusetzen. Die Aussetzung konnte mit Geldbußen und Bewährungsauflagen verbunden werden. Während der Bewährungszeit unterstanden die bedingt Begnadigten der Überwachung durch die Justizbehörden. Diese Reichsgnadenordnung galt auch nach dem Zusammenbruch 1945 in den einzelnen Bundesländern, denen nach dem Grundgesetz die Gnadenhoheit zusteht, fort, bis das jeweilige Bundesland sie durch eine eigene Gnadenordnung ersetzte. Am bekanntesten ist die Gnadenordnung des Landes Nordrhein-Westfalen von 1951 geworden. Gesetzlich normiert war die Strafaussetzung „auf Probe" lediglich für das Jugendrecht (durch das JGG von 1923). Diese Regelung, die immerhin schon den Richter mit der Strafaussetzung betraute,

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enthielt allerdings noch schwerwiegende Lücken. So wurde insbesondere nicht festgelegt, unter welchen genaueren Voraussetzungen die Strafe ausgesetzt werden sollte. Da ferner keine Betreuung der jungen Täter sichergestellt war, blieben sie sich in ihrer schwierigen Situation meist selbst überlassen. Derartige Mißstände machten es den Nationalsozialisten leicht, im RJGG von 1943 die Strafaussetzung als „unpädagogische Politik des als ob" wieder abzuschaffen. Ein entscheidender Schritt von der bloßen Haftverschonung und Überwachung zu einer eigenständigen kriminalrechtlichen Reaktionsform mit spezialpräventiver Ausrichtung erfolgte im Jahre 1953, als die Vollstreckungsaussetzung für das Erwachsenenstraf- und das Jugendkriminalrecht erstmals gesetzlich näher geregelt und einheitlich den Kriminalgerichten übertragen wurde. Es entsprach den Grundsätzen der neuen Verfassung, den Gerichten als Repräsentanten der rechtsprechenden Gewalt die Bestimmung der Rechtsfolgen vollständig zu übertragen. Die Aussetzungsentscheidungen konnten nicht mehr als singuläre Gnadenakte begriffen werden, nachdem sie in einer Vielzahl von Fällen aus kriminalpolitischen Erwägungen heraus getroffen wurden. Unter dem Gesichtspunkt der Gewaltentrennung erschien es unerträglich, daß von der jeweiligen parteipolitischen Linie abhängige Verwaltungsbehörden richterliche Urteile de facto zum Teil grundlegend abänderten. Rechtsstaatliche Grundsätze verlangten außerdem, eine so bedeutsame Materie wie die Strafaussetzung gesetzlich und nicht nur durch Verwaltungsvorschriften zu normieren. Die Gnadenbehörden sind seither darauf beschränkt, wie auch sonst in Einzelfällen richterliche Urteile abzumildern, wenn die gesetzlichen Bedingungen aus individuellen und situativen Gründen zu besonderen, wenig angemessenen Härten führen. Diese korrektive Funktion der Gnadenbehörden hat mit der schrittweisen Ausdehnung der Aussetzungsmöglichkeiten und -geböte im Laufe der weiteren Entwicklung an Bedeutung verloren. Im Rahmen der gesetzgeberischen Bemühungen wurde zugleich deutlich, daß das Institut der Strafaussetzung durch ambulante Hilfen komplettiert und erweitert werden mußte. Nach dem Vorbild der angelsächsischen Länder führte man den Bewährungshelfer ein, der entsprechend den Aufgaben des probation officers und des parole officers sowohl bei anfänglicher Strafaussetzung als auch bei einer Reststrafenaussetzung dem Probanden helfen sollte, mit den persönlichen Belastungen, gerade auch aus der Straftat und Verurteilung, besser fertig zu werden. Es hatte sich herausgestellt, daß eine förmliche Überwachung angesichts der massiven und vielseitigen Schwierigkeiten der Probanden zur Rückfallverhütung nicht ausreichte. Diese gesetzliche Einführung der Sozialarbeit aktualisierte das im Grundgesetz verankerte Sozialstaatsprinzip.

Der Gesetzgeber des Jahres 1953 betrachtete die Neuregelung der Strafaussetzung und der Bewährungshilfe als einen vorläufigen Versuch. Der Anwendungsbereich der Strafaussetzung wurde recht vorsichtig abgesteckt. Die Vollstreckungsaussetzung war in das Ermessen des Richters gestellt und konnte im Erwachsenenstrafrecht nur bei einer Gefängnis- oder Einschließungsstrafe von nicht mehr als neun Monaten oder bei einer Haftstrafe vorgenommen werden; sie schied aus, falls dem Verurteilten in den letzten fünf Jahren vor Begehung der Tat(en) schon einmal die Strafaussetzung gewährt oder er innerhalb dieser erheblichen Zeitspanne zu Freiheitsstrafe(n) von insgesamt mehr als 6 Monaten verurteilt worden war. Im Jugendrecht wurde die Aussetzung einer bestimmten Jugendstrafe von nicht mehr als einem Jahr zugelassen. Besonders hervorzuheben ist, daß im Jugendkriminalrecht die Bestellung eines in der Regel hauptamtlichen Bewährungshelfers verpflichtend vorgeschrieben wurde, und zwar für alle Aussetzungsentscheidungen. Im Jugendkriminalrecht schuf man neben der Vollstreckungsaussetzung zugleich die Möglichkeit auch der Verhängungsaussetzung. Allerdings wurde hier der Anwendungsbereich auf bestimmte diagnostisch unklare Fälle noch wesentlich stärker eingeschränkt. Dennoch hatte man mit diesem Modell den Gedanken einer eigenständigen intensiven ambulanten Behandlung erstmalig gesetzlich fixiert: Der Proband wird nach der Feststellung der schuldhaften Tat noch nicht mit einer Freiheitsstrafe belegt, sondern obligatorisch einem Bewährungshelfer unterstellt; und nur, wenn die ambulante Behandlung scheitert, wird eine Jugendstrafe festgesetzt und auch vollstreckt. In jüngster Zeit ist der Gedanke der Vollstrekkungsaussetzung und der Bewährungshilfe durch das Betäubungsmittelgesetz (1981) und durch Reformbestrebungen im Jugendrecht belebt worden (Arbeitsentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Jugendstrafvollzuges und zur Eingliederung junger Straffälliger - 1980). § 35 BtMG sieht ein neues Rechtsinstitut der Zurückstellung der Strafvollstreckung vor, das die Möglichkeit der Vollstreckungsaussetzung für Rauschmittelsüchtige erheblich ausdehnt. Bei Tätern mit Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren kann die Vollstreckung der Strafe, eines Strafrestes oder der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zurückgestellt werden, wenn sich der Verurteilte einer entwöhnenden Behandlung unterzieht und deren Beginn sichergestellt ist. Die Zurückstellung wird widerrufen, falls die Behandlung nicht begonnen oder abgebrochen wird. Trotz Widerrufs kann unter den vorgenannten Voraussetzungen eine erneute Zurückstellung der Vollstreckung erfolgen. Gelingt die Behandlung, wird die Zeit eines Aufenthalts in einer freiheitsbeschränkenden Rehabilitationseinrichtung auf die Strafe angerechnet, bis infolge der Anrechnung zwei Drittel der Strafe erledigt sind.

Strafaussetzung zur Bewährung Das Gericht setzt dann den Strafrest zur Bewährung aus. Erfolgte die Behandlung in freieren Formen, setzt das Gericht ebenfalls die Vollstreckung der Freiheitsstrafe oder eines Strafrestes zur Bewährung aus, sobald verantwortet werden kann zu erproben, ob der Verurteilte keine Straftaten mehr begehen wird (vgl. § 36 BtMG). Bei Verurteilung zu Jugendstrafe gelten die §§35 und 36 BtMG sinngemäß (s. § 38 BtMG). Bei den skizzierten Regelungen erscheint es besonders bemerkenswert, daß die Zurückstellung der Strafvollstreckung generell auf Freiheitsstrafen bis zu einer Dauer von zwei Jahren Anwendung finden kann und daß ferner zunächst von dem Erfordernis der positiven Kriminalprognose abgesehen wird. Freilich ist die Anwendung des Instituts der Zurückstellung der Strafvollstreckung in das Ermessen der Vollstreckungsbehörden gestellt. Sie bedarf der Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges. Durch die Behandlung des Drogensüchtigen sollen die Voraussetzungen für die Strafaussetzung erst geschaffen werden, für die dann jedoch die relativ bescheidene Klausel von der Verantwortbarkeit einer Erprobung maßgeblich ist. Abgesehen von den Weiterungen der Vollstrekkungsaussetzung eröffnet das Gesetz Freiräume für alternative Konfliktlösungen, in die Behandlungsstrategien nichtstaatlicher Institutionen einbezogen werden. Das Gesetz ist auch ein Ausdruck dessen, daß Reaktionen auf Straffälligkeit vermehrt aus dem Monopol des Staates auf andere gemeinnützige Träger verlagert werden. Eine größere Reaktionsbeweglichkeit strebt ebenso § 89 b JGG in der Fassung des Arbeitsentwurfs an. Zur Vermeidung des Strafvollzuges an sehr jungen Tätern sieht diese Bestimmung folgendes vor: Bei Jugendlichen, die vor Vollendung des 16. Lebensjahres zu vollstreckbarer Jugendstrafe verurteilt worden sind, setzt der Vollstreckungsleiter (Jugendrichter) die Vollstreckung aus und ordnet als Surrogat die Unterbringung in einem Erziehungsheim an, wenn zu erwarten ist, daß dort die Erziehung des Jugendlichen besser gefördert werden kann. Die Unterbringungszeit wird auf die Jugendstrafe angerechnet. Entzieht sich der Jugendliche beharrlich der Betreuung in dem Erziehungsheim, wird die Unterbringung aufgehoben und die Aussetzung widerrufen. Der Vollstrekkungsleiter kann aber von einem Widerruf der Strafaussetzung absehen und eine Unterbringung in einer anderen - besser geeigneten - Einrichtung anordnen. Die Unterbringung wird vor Ablauf der Strafzeit aufgehoben, sowie die Voraussetzungen für eine Restaussetzung der Jugendstrafe gegeben sind. Kommt eine Aufhebung noch bei Vollendung des 18. Lebensjahres nicht in Betracht, erfolgt eine Überführung in den Jugendstrafvollzug. Dieser Gesetzesentwurf, der noch nicht geltendes Recht ist, sieht das Erziehungsheim als vorzugswürdige Alternative gegenüber der Vollzugsanstalt an und erwei-

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tert damit zugleich den Grundgedanken der §§ 71 Abs. 2 und 72 Abs. 3 JGG. Der Arbeitsentwurf übernimmt außerdem eine wesentliche Anregung der Jugendstrafvollzugskommission (1979/80) zur durchgehenden Betreuung vonseiten der Bewährungshilfe. Die Bestellung des Bewährungshelfers erlischt danach nicht mit dem Widerruf der Strafaussetzung; die Bewährungshilfe bleibt auch während der Vollzugsdauer neben der Vollzugsanstalt zur Erziehung verpflichtet. Gemäß § 91 b JGG i. d. Fassung des Arbeitsentwurfs veranlaßt der Bewährungshelfer die begleitenden Maßnahmen und notwendigen Hilfen zur Vorbereitung der Entlassung am Wohnsitz des Verurteilten. Auch im Falle einer anfänglich vollstreckbaren Jugendstrafe wird ein Bewährungshelfer spätestens drei Monate vor dem frühestmöglichen Zeitpunkt einer Restaussetzung, s. § 89 a Abs. 1 JGG in der Entwurfsfassung, bestellt. Abs. 3 dieser Vorschrift sieht darüber hinaus eine freiwillige Bewährungshilfe - ohne Kontrollfunktionen - bei Vollverbüßern vor, die nicht schon der Führungsaufsicht unterstehen. Mit dieser gleichfalls noch nicht geltenden Regelung dokumentiert der Gesetzgeber ein gewandeltes Verständnis von Bewährungshilfe. Bewährungshilfe bleibt nicht auf „Ausfallzeiten" beschränkt und an ein bestimmtes Institut der Vollstreckungsaussetzung gebunden, sondern ist als eine zentrale ambulante Betreuungsinstitution zu werten, die als eine Art Kontakt- und Koordinierungsstelle verschiedenartige Maßnahmen, Interventionen und Angebote vermittelt und verbindet. Versucht man, die künftige Entwicklung abzuschätzen, kann das nur gelingen, soweit Strafaussetzung, Bewährungshilfe und Führungsaufsicht im Zusammenhang der Entwicklung des gesamten Sanktionssystems gesehen werden. Als Institute der Spezialprävention hängt ihr weiteres Schicksal entscheidend davon ab, inwieweit sich das kriminalrechtliche Reaktionensystem in Richtung der Spezialprävention fortbildet. Entsprechendes wird zwar häufig propagiert, es dürfte indessen zu einseitig und verzerrend sein, wollte man die Entwicklung des Strafrechts allein als eine Entwicklung zu mehr Spezialprävention begreifen. Die Behandlungseuphorie der 60er Jahre - Treatment, Training, Therapie - ist bekanntlich verflogen. Dieser Umschwung dürfte keinesfalls nur auf einer Vernachlässigung methodisch befriedigender Effizienznachweise beruhen. Auch unser heutiges Verständnis von Kriminalität ist zu differenziert, als daß im engeren Sinne behandelnde spezialpräventive Interventionen noch als allseits empfehlenswerte Kontrollstrategien erscheinen könnten. Stärker als in der Vergangenheit wirkt sich empirische kriminologische Forschung auf die Rechtssetzung aus. Das gilt vor allem für den Bereich der Sanktionsforschung, aber auch für andere Bereiche kriminologischer Forschung. Der Ansatz des Labeling approach hat unter anderem gegenüber jegli-

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chen Formen von Stigmatisierung sensibilisiert. Die Dunkelfeldforschung, die an die Frage der Ubiquität von Kriminalität anknüpft, vermochte nachzuweisen, daß bestimmte Delikte nur in geringem Umfang bekannt und verfolgt werden. Gestützt werden dadurch teilweise Forderungen der Nonintervention, auch um eine größere Gleichheit im Unrecht zu erreichen. Praktisch bedeutsamer ist der noch im Wachsen befindliche Ansatz der Diversion, der auf eine Ablenkung vom förmlichen justiziellen Verfahren unter Zuhilfenahme alternativer und privatisierter Konfliktlösungsangebote abzielt. Die teilweise Nähe dieses Grundgedankens zur Strafaussetzung und zur Bewährungshilfe ist evident. Auf der anderen Seite bedingen derartige Veränderungen auch Veränderungen der Bewährungshilfe. Eine Rückverlagerung des Umgangs mit Straffälligen von speziellen und totalen Institutionen in die Gemeinde, Formen gemeindenaher ambulanter Betreuung und Kontrolle (community based programs), die auf allgemeine Arbeits-, Freizeit* und Wohnangebote und den allgemeinen mitmenschlichen Kontakt zurückgreifen, lassen zugleich den Behandlungsexperten und Spezialisten für Straffällige fragwürdig und eher entbehrlich erscheinen. Neben der Zunahme vermittelnder und koordinierender Aufgaben steigt das Interesse am Nichtfachmann und ehrenamtlichen Helfer, der natürlich auch aus finanziellen Erwägungen eine verlockende Alternative darstellt. Beeinflußt wird die weitere Entwicklung des Instituts der Strafaussetzung ferner von einem anhaltenden linearen Trend zu weniger belastenden justizförmigen Eingriffen. Am unteren Ende der Stufenleiter geht es um vermehrte - auch qualifizierte Verfahrenseinstellungen und schon um die Vermeidung von Strafanzeigen. Am oberen Ende verschieben sich die Gewichte von der vollstreckbaren Freiheitsstrafe zur ausgesetzten Freiheitsstrafe, von der ausgesetzten Freiheitsstrafe zur Geldstrafe usf. Begünstigt wird diese Milderungstendenz von der verbreiteten These einer gewissen Austauschbarkeit der Sanktionen (ohne Effektivitätsverlust) und von der Annahme, daß individual- und generalpräventive Wirkungen in erster Linie von der Wahrscheinlichkeit einer Bestrafung, weit weniger jedoch von deren genauerem Ausmaß bestimmt werden. Gesetzgeber und Rechtsprechung sind gegenwärtig aus welchen Beweggründen auch immer - in gewissem Umfang bereit, die Möglichkeiten zur Senkung des Belastungsgrades der Sanktionen auszuloten. Dabei werden Alternativen zum herkömmlichen Sanktionskatalog, die von Freien Verbänden der Justiz, hauptsächlich der Jugendkriminalrechtspflege, angeboten werden (beispielsweise über das „offene" Institut der kriminalrechtlichen Weisung), in erheblichem Maße aufgegriffen. Es wird sich noch erweisen müssen, inwieweit mithin die Praxis der Sanktionsanwendung auch „von außen" mitgesteuert zu werden vermag. Eine Verschiebung der ge-

samten Sanktionsstruktur in Richtung auf mildere Sanktionen hat für das Institut der Strafaussetzung und die Bewährungshilfe die Konsequenz, daß stärker belastete Probanden erfaßt und betroffen werden und damit die Anforderungen an die Bewährungshilfe eher steigen. Da das Institut der Strafaussetzung für die nähere Ausgestaltung der Bewährungszeit einen flexiblen Rahmen bietet, sind indessen Wege gangbar, um diesen künftigen Anforderungen gerecht werden zu können. Den Bewährungshelfern müssen allerdings ergänzende Dienste und Einrichtungen eröffnet werden (etwa zur Schuldenregulierung, zur beruflichen Förderung des Probanden, zum sozialen Training usw.), da sie sonst allein schon von ihrer Ausbildung her überfordert wären. Bislang hat sich die zunehmende Übernahme belasteter Probanden insgesamt positiv ausgewirkt. Jedenfalls ist ein Verlust an Sicherheit und ein Weniger an Rechtsgüterschutz nicht beklagt worden. Einzelne Evaluationsstudien belegen zudem, daß sich Probanden, die gar nicht oder weniger inhaftiert waren, gegenüber vergleichbaren anderen, ebenfalls unter Bewährungsaufsicht gestellten, besser bewähren. Derartige ermutigende Anzeichen werfen zugleich ein neues Licht auf das statistische Prognoseinstrumentarium, das dieser Entwicklung wegen zu schlechter Prognosen eher hinderlich sein könnte. Freilich werden statistische Prognoseverfahren bis zum heutigen Tage in der forensischen Praxis so gut wie nicht verwendet. Die Justiz zeigt hier vorwiegend große Zurückhaltung und auch Unsicherheit. Die höchstrichterlichen Entscheidungen äußern sich zu prognostischen Erwägungen des Tatrichters meist nur recht abstraktformelhaft. Entscheidend für den Bewährungsverlauf ist vor allem die soziale Situation des Probanden in den ersten Monaten der Bewährungszeit (Arbeit, geordnete finanzielle Verhältnisse, feste Partnerbeziehung usw.). Die künftige Entwicklung der Sanktionspraxis wird zusehends stärker vom internationalen Meinungs- und Erfahrungsaustausch beeinflußt werden. Im Ausland sind Versuche zu einer Verbesserung der Bewährungsverfahren vor allem in folgenden Hinsichten unternommen worden: ambulante Behandlung nach einer einleitenden Kurzinhaftierung (shock probation); Intensivierung der Bewährungshilfe (Differenzierung, geringere Fallzahl der Probanden, intensivierter Kontakt mit dem Bewährungshelfer); verstärkter Einsatz ehrenamtlicher Bewährungshelfer (frühere Straffällige - Ex-Offenders - Personen aus der sozialen Umgebung des Probanden, Studenten) und vorzeitige Einschaltung des Bewährungshelfers gleich nach der Ergreifung des Täters (Bewachung und Betreuung zur Abwendung von Untersuchungshaft - Pretrial Intervention). Ein endgültiges Urteil über diese neuerlichen Ansätze wäre verfrüht. Immerhin läßt sich schon jetzt sagen, daß die Fortschritte, die dadurch er-

Strafaussetzung zur Bewährung reichbar erscheinen, insgesamt recht begrenzt sein dürften. Ein stationärer Einstieg über eine Kurzinhaftierung erscheint deswegen besonders problematisch, weil dadurch ein Arbeitsplatz des Probanden erheblich gefährdet wird. Positive Effekte wurden bisher kaum nachgewiesen. Die Senkung der Fallzahl führt nicht automatisch zu einer intensiveren Sozialarbeit mit dem Probanden, darüber hinaus wird bei vermehrten Kontakten und Kontrollen zugleich mehr Auffälliges entdeckt, das zu weiteren, letztlich nicht hilfreichen Interventionen Anlaß gibt. In gewissem Umfang scheinen ehrenamtliche, nicht professionelle Bewährungshelfer gleichwertige Arbeit zu leisten. Man kann jedoch nicht davon ausgehen, daß sie die professionellen Helfer schlichtweg ersetzen. Beim Einsatz von Studenten ergeben sich besondere Schwierigkeiten aus dem häufig kurzfristigen Engagement und auch aus der Distanz zur Lebenswelt vieler Probanden. Die Eindämmung der Untersuchungshaft und schnelle Einschaltung der Gerichtshilfe und der Bewährungshilfe sind zentrale Reformanliegen. Die praktische Problematik bei der Umsetzung eines solchen Konzepts besteht indessen darin, daß die Richter und Staatsanwälte von der Gleichwertigkeit einer ambulanten Kontrolle und deren Durchführbarkeit überzeugt werden müssen. Offenbar fehlt es weitgehend an alternativen Einrichtungen, die die Untersuchungshaft substituieren könnten.

2. Kriminalpolitische Zielsetzung und rechtliche Konstruktion der Strafaussetzung zur Bewährung Der vorläufige Verzicht auf die Realisierung des staatlichen Strafanspruchs (in Gestalt der Freiheitsstrafe) stellt einen Ausdruck des fragmentarischen Charakters des Strafrechts dar, dessen Eingriffsbereich und -intensität auf das zur Bewerkstelligung des Rechtsgüterschutzes Unerläßliche beschränkt bleiben muß. Soweit künftige Taten kaum zu erwarten sind, wird der Täter primär begünstigt und teilweise vor nachteiligen, ihrerseits kriminelle Gefährdungen hervorrufenden Folgen verschont. Ansonsten schöpft man die Chance aus, eine soziale Integration in Freiheit zu erreichen. Ihre Begrenzung findet die Strafaussetzung am spezial- und generalpräventiven Aspekt der Aufrechterhaltung normkonformen Verhaltens, an Sicherungserfordernissen und (seltener) an einer besonderen Notwendigkeit stationärer Behandlung. In der Einrichtung und Gewährung der Bewährungshilfe verwirklicht sich vorrangig das Sozialstaatsprinzip, das eine Förderung und Hilfe zur Selbsthilfe für den sozial gefährdeten Bürger verlangt. Gleichzeitig bedeutet Bewährungshilfe eine im Vergleich zum stationären Vollzug weniger einschneidende und humanere Form der sozialen Kontrolle.

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Die Bemühungen, diese kriminalpolitischen Inhalte in eine entsprechende rechtliche Konstruktion einzubringen und damit zu einem gleichförmigen rechtlichen Verständnis der Strafaussetzung zu gelangen, haben in der rechtswissenschaftlichen Diskussion zu kontroversen Lösungen geführt. Inzwischen besteht allerdings weitgehende Einigkeit darüber, daß die Strafaussetzung weder als eine besondere Art der Strafe noch als eine Maßregel eingeordnet werden kann. Ferner läßt sich ihre Rechtsnatur nicht als bloße Modifikation der Freiheitsstrafen-Vollstreckung begreifen. Während Vollstreckungsentscheidungen nicht in die Kompetenz des erkennenden Richters fallen, sondern das weitere Verfahren mit dem Urteil betreffen, gehört es zu den bahnbrechenden Errungenschaften der Rechtsentwicklung, die Aussetzungsentscheidung dem Richter im Urteil vorzubehalten (§§ 260 Abs. 4 S. 4 StPO, 57 Abs. 1 JGG), also als wesentlichen Bestandteil der richterlichen Rechtsfolgenbestimmung zu betrachten. Die Einheit der Entscheidung über die Strafaussetzung, die Bewährungsfrist, die Weisungen und Auflagen und über die Bestellung eines Bewährungshelfers wird im Erwachsenenstrafrecht durch § 268 a Abs. 1 StPO besonders verdeutlicht, wonach der Bewährungsbeschluß, der die Ausgestaltung des Bewährungsverfahrens regelt, gleichzeitig mit dem auf Strafaussetzung lautenden Urteil zu verkünden ist. Das Jugendrecht sieht zwar die Möglichkeit eines nachträglichen Bewährungsbeschlusses vor, beläßt die Entscheidungen aber in der Hand des erkennenden Richters. Es handelt sich insoweit nicht um eine Abkehr vom Grundgedanken der Einheitlichkeit der Entscheidung, der im Jugendrecht sogar verstärkt gilt (vgl. a. § 31 Abs. 2 JGG), vielmehr um eine flexible Regelung, die noch zwischenzeitliche Erkundungen und Klärungen erlaubt. Die Einheit der verschiedenen Regelungen zeigt sich dem jungen Menschen schließlich bei der Erläuterung und Aushändigung des Bewährungsplans (s. § 60 JGG). In der rechtswissenschaftlichen Literatur ist die „Vollstreckungslösung" zunächst deswegen angegriffen worden, weil sie die Strafaussetzung in ihrer Bedeutung tendenziell abwerte. Erblickt man im Absehen von der Vollstreckung das maßgebliche Charakteristikum, liegen die Vorstellungen von einer ausnahmsweisen Regelung sowie von Milde und Gnade in der Tat nicht sehr fern. Die Ansicht von der Modifikation der Vollstrekkung vermag auch unter spezifisch rechtlichen Gesichtspunkten nicht zu befriedigen. Abgesehen von einer gewissen Unklarheit in den begrifflichen Konturen (was heißt hier Modifikation?) bleibt vor allem zu kritisieren, daß bei einer Aussetzungsentscheidung das wesentliche Moment nicht in einem Minus, dem vorläufigen Vollstreckungsverzicht, sondern in den Momenten zu suchen ist, die an die Stelle der anfänglichen Vollstreckbarkeit treten: Dieses „Plus" zu erfassen, ist die eigentliche Aufga-

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be. Gelegentlich ist auf die Vollstreckungsmodifikation abgestellt worden, um die rechtliche Unabhängigkeit von Strafbemessung und Aussetzung der so bemessenen Strafe zu betonen. Zutreffend ist, daß die rechtliche Konstruktion zwei dementsprechende selbständige Schritte vorsieht. Solche Stufenfolge verlangt jedoch nicht, die Strafaussetzung als Vollstreckungsproblem zu betrachten. Wir kennen vergleichbare Stufenregelungen auch andernorts, wenn etwa beim Tagessatzsystem der Geldstrafe die Anzahl der Tagessätze unabhängig von der Höhe des einzelnen Tagessatzes festgelegt wird. Für eine rechtliche Sonderbehandlung der Aussetzungsfrage (z.B. selbständige Anfechtbarkeit der Vollstreckungsaussetzung) erscheint die „Vollstrekkungslösung" mithin nicht erforderlich, sie bleibt ebenfalls im Rahmen einer Lösung möglich, die das Institut der Strafaussetzung als eine - mehrdimensionale - materielle Rechtsfolgenregelung ansieht. Die Lehre von der Vollstreckungsmodifikation beruht allerdings insofern auf einem zutreffenden Gedanken, als dadurch mitgesagt wird (werden soll), daß die Strafaussetzung keine besondere Art der Strafe darstellt und vor allem nicht zu einer „Aussetzungsstrafe" hinführt. In der Beschränkung auf den Warn- und Droheffekt der über dem Verurteilten schwebenden Freiheitsstrafe („Damoklesschwert") und selbst darin, daß der Vergeltungsaspekt durch die Auflage einer Geldbuße in einer abgemilderten und sublimierten Form (Zahlung für einen gemeinnützigen Zweck) mitberücksichtigt zu werden vermag, liegen insgesamt gesehen einer Bestrafung gegenläufige Momente. Sie kommen im Prozeß der richterlichen Rechtsfolgenbestimmung gleichsam als Gegengewicht nach der Festsetzung der Strafe zum Tragen. Wäre das Institut der Strafaussetzung eine Aussetzungsstrafe, würde der Verurteilte im Falle eines Widerrufs praktisch doppelt bestraft, der Aussetzungsstrafe würde die Vollstreckungsstrafe folgen. Der Richter kann zwar Leistungen, die der Verurteilte zur Erfüllung von Auflagen erbracht hat, auf die Freiheitsstrafe anrechnen (s. §§ 56f Abs. 3 S. 2 StGB, 26 Abs. 3 S.2 J G G ) , eine Anrechnung steht jedoch im richterlichen Ermessen und ist nicht obligatorisch. Eine Doppelbestrafung verstieße gegen elementare strafprozessuale Grundsätze und gegen die Verfassung (s. Art. 103 Abs. 3 GG). Obgleich die Strafaussetzung als eine nicht strafende materielle Rechtsfolge einzustufen ist, stellt sie dennoch keine Maßregel der Besserung und Sicherung dar; sie kennzeichnet vielmehr eine „dritte Spur". Gegenüber der Strafaussetzung sind die in § 61 StGB abschließend aufgezählten Maßregeln auf einzelne präventiv bestimmte Zielvorstellungen zentriert (Behandlung einer psychischen Erkrankung, sichere Verwahrung, Beseitigung einer Drogenabhängigkeit, Hinderung an bestimmten Tätigkeiten usw.) und ihrer Struktur nach eindimensional.

Freilich bedeutet die rechtliche Qualifizierung der Strafaussetzung als Rechtsfolge eigener Art zunächst nicht mehr als eine formelle Abgrenzung gegenüber anderen Rechtsinstituten, eine Art „Leerformel", die der inhaltlichen Auffüllung bedarf. Immerhin ist insoweit der entscheidende Gesichtspunkt bereits benannt: Das rechtliche Charakteristikum der Strafaussetzung liegt in einem Verbund verschiedener besonders aufeinander abgestimmter Interventionsformen. Unter Beibehaltung einer in der Verurteilung sich ausdrückenden Mißbilligung der Tat decken diese Interventionsformen das gesamte Spektrum spezialpräventiver Funktionen ab. Durch die drohende Vollstreckung wird der Verurteilte vor weiteren Straftaten gewarnt (Warnfunktion), auch der Auflage einer Geldbuße oder gemeinnütziger Leistungen kommt eine „Denkzettelwirkung" zu. Die Weisungen und vor allem die Bewährungshilfe bieten gewisse Hilfestellungen für die künftige Lebensführung (Sozialisationsfunktion), zugleich dienen sie einer verstärkten Beaufsichtigung des Probanden (Kontroll- und Sicherungsfunktion). Die Bedeutung der einzelnen Komponenten im Einzelfall orientiert sich am verfassungsrechtlichen Obermaßverbot. Soweit eine Verwarnung als ausreichend anzusehen ist, hat es hiermit im wesentlichen sein Bewenden. Sind bestimmte Sozialisationsausfälle oder Fehlentwicklungen erkennbar geworden, greift die Sozialisationsaufgabe ein; und erst wenn eine zusätzliche Überwachung erforderlich wird, um vom Verurteilten ausgehende Gefährdungen einzudämmen, erwächst der Bewährungshilfe ein besonderer Sicherungsauftrag. 3. Der wesentliche Inhalt der rechtlichen Regelung Im folgenden werden die Regelungen des allgemeinen oder Erwachsenenstrafrechts und des Jugendstrafrechts (Jugendkriminalrechts) im Zusammenhang dargestellt. Das Jugendkriminalrecht ist auf Personen anwendbar, die zur Zeit der Tat 14, aber noch nicht 18 Jahre alt sind (Jugendliche, s. § 1 Abs. 2 JGG): die Jüngeren, die noch nicht 14 Jahre alt sind, sind schuldunfähig (s. § 19 StGB). Die Täter, die zur Tatzeit 21 Jahre und älter sind, unterstehen ausschließlich dem Erwachsenenstrafrecht. Für die dazwischenliegende Altersgruppe der Heranwachsenden (18-21 Jahre) kommt sowohl das Jugendkriminalrecht als auch das allgemeine Strafrecht in Betracht. Jugendrecht ist anzuwenden, wenn der Heranwachsende zur Zeit der Tat „nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand" oder wenn es sich bei einer Tat um eine „Jugendverfehlung" handelt (s. § 105 Abs. 1 J G G ) . Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, müssen Heranwachsende nach allgemeinem Strafrecht behandelt werden. a) A n f ä n g l i c h e A u s s e t z u n g d e r Vollstreckung einer zeitlich befristeten

Strafaussetzung zur Bewährung F r e i h e i t s s t r a f e . Eine anfängliche Aussetzung der Vollstreckung kommt nur bei Freiheitsstrafen (einschließlich des Strafarrestes nach dem WStG, s. § 14 a WStG, nicht bei der Geldstrafe) in Betracht. Sie ist möglich, wenn das Gericht eine Freiheitsstrafe von maximal zwei Jahren verhängt. Das Gericht kann immer nur die gesamte Freiheitsstrafe zur Bewährung aussetzen (§§ 56 Abs. 4 StGB, 21 Abs. 3 J G G ) . Dadurch soll die Vollstreckung kurzer Freiheitsstrafen unterbunden werden. Da jedoch dem Verurteilten aus zuvor erlittener Untersuchungshaft keine weiteren Nachteile entstehen dürfen, ist ausdrücklich festgelegt, daß auch bei der Anrechnung der Untersuchungshaft auf die Freiheitsstrafe (Regelfall, vgl. §§ 51 StGB, 52a JGG) die Vollstreckung des verbleibenden Strafrestes in gleicher Weise aussetzbar ist. Die Vollstreckungsaussetzung ist stets an eine günstige Täterprognose geknüpft (§§ 56 Abs. 1 StGB, 21 Abs. 1 JGG). Es muß zu erwarten sein, daß der Täter bei einer mittelfristigen Sicht keine weiteren Straftaten begehen wird. Im Jugendrecht sind die Voraussetzungen umfassender formuliert, dort wird nicht lediglich auf die straffreie Lebensführung, sondern auf einen „rechtschaffenen Lebenswandel" abgehoben. Man darf hierin aber gleichwohl keine Anweisung für einen vergleichsweise engherzigen Gebrauch von der Strafaussetzung erblicken. In die Prognose sind nämlich sowohl im Erwachsenenstrafrecht als auch im Jugendrecht die Auswirkungen der Verurteilung und die Einwirkungen während der Bewährungszeit (also insbesondere die Aktivitäten des Bewährungshelfers) einzubeziehen. Während das Erwachsenenstrafrecht die allgemeine Handlungsfreiheit des Probanden im Rahmen eines noch legalen Verhaltens zu respektieren hat, ist der Bewährungshelfer, der gegenüber jungen Menschen tätig wird, gehalten, den Erziehungsprozeß zu unterstützen. Daß die Rahmenbedingungen für die Aussetzung der Jugendstrafe nicht enger, sondern eher weiter gesteckt sind, folgt zudem aus den Voraussetzungen für die Verhängung einer Jugendstrafe. Sie müssen vorliegen, damit überhaupt eine Vollstreckungsaussetzung erfolgen kann. Abgesehen von den Ausnahmefällen, in denen eine (nach gleichen Regeln aussetzbare) Jugendstrafe wegen der besonderen „Schwere der Schuld" zu verhängen ist, erfordert die Verhängung einer Jugendstrafe die Feststellung gewichtiger „schädlicher Neigungen" (s. § 17 Abs. 2 J G G ) . Unter „schädlichen Neigungen" indessen ist eine Tendenz zu sozialschädlichen Verhaltensweisen zu verstehen, die es im Bewährungsverfahren eben zu korrigieren gilt. Aus der genannten Regelung des Jugendrechts folgt der ebenso im Erwachsenenrecht verbindliche Grundsatz, daß ein vertretbares Risiko des Rückfalls oder andersartiger Straftaten in Kauf zu nehmen ist. Entsprechend dieser aussetzungsfreundlichen Linie sieht das Gesetz auch nicht in jeder

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späteren Tat notwendig eine Widerlegung der früheren günstigen Prognose (vgl. § 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB, § 26 Abs. 1 Nr. 1 JGG). Ob eine Freiheitsstrafe des Erwachsenenstrafrechts oder des Jugendrechts zur Bewährung aussetzbar ist, hängt allein von der im Einzelfall vorgenommenen Strafbemessung, nicht hingegen von der Deliktskategorie (Verbrechen, Vergehen, s. § 12 StGB) ab. Auch sieht das Gesetz keine Sonderregelungen für bestimmte Deliktsarten (etwa Sexualdelikte vgl. a. § 183 Abs. 3 StGB) oder Tätergruppen (etwa Alkoholgefährdete) vor. Bei Freiheitsstrafen unter sechs Monaten, die nur nach dem Erwachsenenrecht und selbst dort nur in sehr engen Grenzen verhängt werden dürfen (s. § 47 StGB), ist die Vollstreckungsaussetzung ausnahmslos und zwingend vorgeschrieben. Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu einem Jahr, die nach dem Jugendrecht verhängt werden (Jugendstrafe), müssen ebenfalls bei günstiger Prognose zur Bewährung ausgesetzt werden. Im Erwachsenenrecht gibt es für Freiheitsstrafen dieser Länge einen Ausnahmetatbestand: Die Vollstreckung wird nicht ausgesetzt, wenn sie die „Verteidigung der Rechtsordnung" gebietet (§ 56 Abs. 3 StGB). Diese recht unbestimmte Generalklausel wird von der Rechtsprechung erfreulicherweise restriktiv interpretiert. Man will mit Hilfe dieser Klausel verhindern, daß die Strafaussetzung von der Allgemeinheit bei ungewöhnlichen und vielleicht deshalb besonders beachteten Einzelfällen als Unsicherheit oder Schwäche der staatlichen Kontrollinstanzen mißverstanden wird. Die Brisanz der Problematik, die eine derartige Bezugnahme auf das mutmaßliche Empfinden der Bevölkerung schafft, liegt auf der Hand. Eine einschränkende Regelung enthält ebenfalls § 14 Abs. 1 WStG für Soldaten der Bundeswehr und militärische Vorgesetzte, bei denen die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten nicht ausgesetzt werden darf, wenn das die „Wahrung der Disziplin gebietet". Freiheitsstrafen zwischen einem und zwei Jahren werden im Regelfall vollstreckt. Sie können allerdings zur Bewährung ausgesetzt werden, falls „besondere Umstände in der Tat und in der Persönlichkeit des Verurteilten" vorliegen (s. §§ 56 Abs. 2 StGB, 21 Abs. 2 J G G ) . Freilich lassen sich die „besonderen Umstände" oft nicht auf die Tat oder den Täter alternativ begrenzen, so daß es leicht zu einer Frage der Verbalisierung und des Ausdrucks wird, ob das eine oder andere oder gar beide Komponenten angenommen werden. Nach einer anfänglich recht strengen und restriktiven Praxis hat die Rechtsprechung inzwischen die Gegensätzlichkeit der gesetzlichen Merkmalsgruppen zu entschärfen versucht („Gesamtschau") und zugleich die Aussetzung für den Tatrichter in der Weise erleichtert, daß die tatrichterliche Würdigung in der Rechtsmittelinstanz stärker respektiert wird. Diese aussetzungsfreundliche Rechtsprechung scheint eine baldige

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gesetzliche Neuregelung, wonach Freiheitsstrafen generell bis zu zwei Jahren aussetzbar werden, ansatzweise vorwegzunehmen. Die Aussetzung der Vollstreckung erfolgt für eine bestimmte Bewährungszeit. Das Verhalten des Probanden während der Bewährungszeit entscheidet darüber, ob die Freiheitsstrafe vollstreckt oder erlassen wird. Fehlverhaltensweisen vor und nach Ablauf der Bewährungszeit bleiben unberücksichtigt. Da die Bewährungszeit erst mit der Rechtskraft der Entscheidung über die Strafaussetzung beginnt, s. § 56 a Abs. 2 S. 1 StGB, gibt es zwischen der Aussetzungsentscheidung und dem Beginn der Bewährungszeit entsprechende „Freiräume". Im Falle einer Nichtbewährung während der Bewährungszeit wird die Aussetzung widerrufen. Ist die Aussetzung bis zum Ablauf der Bewährungszeit nicht widerrufen worden, so wird die Strafe nach dem Ablauf der Bewährungszeit erlassen, ohne daß insoweit eine positive Feststellung einer Bewährung zu erfolgen hat. Nach dem Erwachsenenstrafrecht kann das Gericht auch noch nach einem bereits ausgesprochenen Straferlaß diesen Erlaß innerhalb eines Jahres nach Ablauf der Bewährungszeit widerrufen, wenn der Proband wegen einer in die Bewährungszeit fallenden vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist (s. § 56g Abs. 2 StGB). Die Bewährungszeit bestimmt das erkennende Gericht. Im Erwachsenenstrafrecht ist der zeitliche Rahmen bedenklich weit gesteckt. Die Bewährungszeit beträgt mindestens zwei und höchstens fünf Jahre (§ 56a StGB). Innerhalb dieser Zeitspanne kann sie nachträglich verkürzt und verlängert werden. Um einen Widerruf abzuwenden, darf sie - auch nach ihrem Ablauf - verlängert werden. Eine Verlängerung ist noch über die Fünf-Jahres-Grenze hinaus möglich, jedoch in diesem Fall um nicht mehr als die Hälfte der ursprünglichen Bewährungszeit (§ 56 Abs. 2 StGB). Das Jugendrecht, das zu lange Überwachungs- und Betreuungszeiten mit guten Gründen vermeiden will, engt den richterlichen Spielraum stärker ein. Danach beträgt die Bewährungszeit mindestens zwei und höchstens drei Jahre (s. § 22 JGG). Die Bewährungszeit kann nachträglich noch auf ein Jahr verkürzt, allerdings auch bis auf vier Jahre verlängert werden. Die Aussetzungsentscheidung kann mit Auflagen, Weisungen und der Bestellung eines Bewährungshelfers ergänzt und abgerundet werden. Der wesentliche Unterschied zwischen Auflagen und Weisungen besteht darin, daß die Auflagen einen Tatbezug enthalten und einen gewissen Ausgleich für das begangene Unrecht ermöglichen sollen, während die Weisungen dazu bestimmt sind, die künftige Lebensführung des Probanden günstig zu beeinflussen. Der Katalog der Auflagen ist geschlossen, es dürfen nur diejenigen Auflagen erteilt werden, die das Gesetz ausdrücklich nennt. Das sind im Erwachsenenrecht und im Jugendrecht die

Auflage der Schadenswiedergutmachung sowie die Verpflichtung zur Zahlung einer Geldbuße (die nicht dem für die Geldstrafe des Erwachsenenrechts maßgeblichen Tagessatzsystem unterliegt), vgl. §§ 56b Abs. 2 Nr. 1 und 2 StGB; 23 Abs. 1, 15 Abs. 1 Nr. 1 und 3 JGG. Neben diesen beiden Möglichkeiten kennt das Erwachsenenstrafrecht noch zusätzlich die Auflage, gemeinnützige Leistungen zu erbringen, § 56b Abs. 2 Nr. 3 StGB. Ein ähnlicher Effekt läßt sich im Jugendrecht durch die ausdrücklich genannte Weisung erreichen, dem Probanden aufzugeben, Arbeitsleistungen zu erbringen, §§ 23 Abs. 1, 10 Abs. 1 Nr. 4 JGG. Hieran wird die teilweise enge Verwandtschaft von Auflagen und Weisungen - trotz deren unterschiedlicher Zielrichtung - deutlich. Das Jugendrecht kennt noch die Auflage gegenüber dem Täter, sich persönlich bei dem Verletzten zu entschuldigen, § 15 Abs. 1 Nr. 2 JGG, der jedoch wenig praktische Bedeutung zukommt. Sowohl im Erwachsenenstrafrecht als auch im Jugendrecht kann der Verurteilte durch Anerbieten zu „angemessenen Leistungen" und durch Zusagen für seine künftige Lebensführung den Auflagen bzw. Weisungen zuvorkommen. Wenn die Erfüllung derartiger Versprechen zu erwarten ist, muß der erkennende Richter grundsätzlich von entsprechenden Auflagen oder Weisungen absehen, §§ 56b Abs. 3,. 56c Abs. 4 StGB, 23 Abs. 2 JGG. Der Katalog der Weisungen ist insofern offen, als das Gesetz nur besonders bedeutungsvolle und häufiger in Betracht kommende Weisungen beispielhaft aufführt, dem Richter aber freie Hand für andere und weitere Weisungen läßt. Die Weisungen erstrecken sich namentlich auf den Aufenthalt, die Arbeit oder Ausbildung, die wirtschaftlichen Verhältnisse, Zahlungsverpflichtungen, die Freizeitgestaltung, den Kontakt mit anderen Personen und den Besitz von bestimmten Gegenständen, vgl. des näheren §§ 56c StGB und 23 Abs. 1, 10 JGG. Wegen der Gefahr einer zu weitgehenden Gängelung und zu starker und intensiver Einschränkungen ist ausdrücklich festgelegt, daß an die Lebensführung des Probanden keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden dürfen. Ohnehin gelten insoweit natürlich die verfassungsmäßigen Schranken, weswegen etwa die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG), die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) oder das Petitionsrecht (Art. 17 GG) nicht eingeschränkt werden dürfen. Gegenüber den Auflagen, deren Erteilung im freien Ermessen des Gerichts steht, ist die Erteilung von Weisungen dem Richter vom Gesetz verbindlicher vorgeschrieben. Im Erwachsenenrecht wird der Richter verpflichtet, die Weisungen auszusprechen, die erforderlich erscheinen, um die Gefahr künftiger Straftaten zu senken (vgl. § 56 c Abs. 1 S. 1 StGB). Das Jugendrecht enthält eine Soll-Bestimmung des Inhalts, daß der Jugendrichter die Lebensführung des Jugendlichen für die Dauer der

Strafaussetzung zur Bewährung Bewährungszeit durch Weisungen „erzieherisch beeinflussen" soll (s. § 23 Abs. 1 S. 1 JGG). Weisungen sind nicht lediglich in der Form von Verboten, Versagungen und Beschränkungen möglich, es können und sollen auch Weisungen mit Angebotscharakter erteilt werden. Derartige Weisungen sind in den gesetzlichen Katalogen des Erwachsenenstrafrechts und des Jugendkriminalrechts ebenfalls enthalten. So nennt § 56 c Abs. 3 Nr. 1 StGB ausdrücklich die Weisung, sich einer Heilbehandlung oder einer Entziehungskur zu unterziehen. § 10 Abs. 2 J G G hebt für das Jugendrecht die Möglichkeit einer heilerzieherischen Behandlung durch einen Sachverständigen hervor. Die richterliche Anordnung dieser Behandlungsprogramme wird freilich teils aus rechtlichen, teils aus Behandlungsgründen an die Zustimmung des Probanden (und/oder gegebenenfalls Erziehungsberechtigten und des gesetzlichen Vertreters) geknüpft. Das schärfste Druckmittel, mit dem auf die Erfüllung von Auflagen und die Befolgung von Weisungen hingewirkt werden kann, ist der drohende Widerruf. Allerdings bemüht sich das Gesetz, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wegen solcher „technischen Verstöße" möglichst zu vermeiden. Ein Widerruf aus diesem Grunde setzt voraus, daß das Verhalten des Probanden als gröblicher oder beharrlicher Verstoß zu qualifizieren ist. Da der Proband jedoch kaum genau vorhersehen kann, ab wann das Gericht die Schwelle eines so schweren Fehlverhaltens für überschritten erachtet, dürfte sich die Furcht vor einem Widerruf schon im Vorfeld auswirken, vor allem bei weniger erfahrenen Probanden. Im Falle derartiger Schwierigkeiten kommt für das Gericht in erster Linie kein Widerruf, sondern eine Modifizierung der Bewährungsbedingungen in Frage. Mitunter hat sogar schon ein bloßer Anhörungstermin vor dem Richter ausreichende Wirkungen. Neben der schon erwähnten Möglichkeit, die Bewährungszeit im Rahmen der Höchstgrenzen zu verlängern, können Weisungen und Auflagen auch nachträglich getroffen, geändert oder aufgehoben werden, s. §§ 56 f Abs. 2, 56 e StGB, 26 Abs. 2, 23 Abs. 1 S. 3 JGG. Diese Flexibilität besteht auch sonst, wenn sich Änderungen in der Lebenssituation des Probanden ergeben, deren Berücksichtigung erforderlich erscheint. Neben diesen im Erwachsenenrecht und im Jugendrecht gleichermaßen eröffneten Reaktionsmöglichkeiten sieht das Jugendrecht zusätzlich noch die Verhängung eines Beugearrestes bis zur Dauer von vier Wochen vor, s. §§ 23 Abs. 1 S. 4, 11 Abs. 3, 15 Abs. 3 S. 2 JGG. Ein Beugearrest setzt eine schuldhafte Zuwiderhandlung sowie eine entsprechende vorherige Belehrung voraus, durch die bei Verstößen gegen Weisungen oder Auflagen die Anordnung eines Jugendarrestes ausdrücklich angedroht worden war. Die mit dem Beugearrest verbundene Nötigung des Probanden, den ihm aufgegebenen Pflichten nachzukommen, besteht auch

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nach der Verhängung des Arrestes insofern fort, als der Richter von der Vollstreckung oder auch der weiteren Vollstreckung absehen kann, sowie der junge Proband sich anschickt, die Weisungen oder Auflagen doch noch einzuhalten, § 11 Abs. 3 S.3 JGG. Kriminalpolitisch am bedeutsamsten ist die Möglichkeit und (teilweise) Verpflichtung des erkennenden Gerichts, den Verurteilten der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers zu unterstellen. Diese Unterstellung ist rechtlich ebenfalls als eine Weisung (besonderer Art) anzusehen. Der Bewährungshelfer überwacht zunächst im Einvernehmen mit dem Gericht die Erfüllung der Auflagen und Weisungen sowie gegebenenfalls der Anerbieten und Zusagen des Probanden, s. §§ 56 d Abs. 3 S. 2 StGB, 24 Abs. 2 S. 2 JGG. Soweit mit der Strafaussetzung noch kein Bewährungshelfer bestellt worden ist, können Schwierigkeiten während der Bewährungszeit und vor allem ein Widerruf der Strafaussetzung durch die nachträgliche Einschaltung eines Bewährungshelfers aufgefangen werden, s. § 56f Abs. 2 StGB. Das Jugendrecht sieht die richterliche Bestellung eines Bewährungshelfers in jedem Falle zwingend vor, s. § 24 Abs. 1 JGG. Der Bewährungshelfer ist hiernach eine hauptamtlich beschäftigte Fachkraft. Aus besonderen, vom Gesetz als erzieherisch qualifizierten Gründen kann der Jugendrichter auch einen ehrenamtlichen Bewährungshelfer bestellen. Diese Möglichkeit kommt vor allem bei Bezugspersonen in Betracht, die der Proband bereits kennt und zu denen er schon einen persönlichen Zugang hat. Auch das Erwachsenenstrafrecht sieht für bestimmte Konstellationen die obligatorische Bestellung eines wahlweise haupt- oder ehrenamtlichen Bewährungshelfers (§ 56d Abs. 5 StGB, vgl. a. § 14 Abs. 3 WStG) vor. Das Gericht muß dem Probanden für die Dauer der Bewährungszeit einen Bewährungshelfer zuordnen, wenn das angezeigt ist, um den Probanden von Straftaten abzuhalten (§ 56 d Abs. 1 StGB). Wegen der Unbestimmtheit der gesetzlichen Voraussetzung verbleibt dem Gericht freilich ein erheblicher Interpretationsspielraum. Bei jüngeren volljährigen Verurteilten, die noch nicht 27 Jahre alt sind, ist gewöhnlich („in der Regel") ein Bewährungshelfer zu bestellen, wenn eine Freiheitsstrafe von mehr als 9 Monaten zur Bewährung ausgesetzt wird (s. § 56d Abs. 2 StGB). Die Unterstellung des Probanden unter die Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers bedeutet einerseits die wichtigste und wohl auch wirksamste Intervention, andererseits aber zugleich eine besonders einschneidende Maßnahme. In Anwendung des Erwachsenenstrafrechts hat deshalb der Richter gemäß dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu prüfen, ob nicht die Erteilung anderer Weisungen genügt, um eine straffreie Lebensführung des Probanden zu erreichen. Soweit eine Notwendigkeit, auf den Probanden besonders einzuwirken oder ihm bestimmte

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Hilfestellungen zu vermitteln, nachträglich entfällt, kann die Bestellung eines Bewährungshelfers gemäß den Vorschriften des Erwachsenenrechts vor Ablauf der Bewährungszeit wieder aufgehoben werden (s. §§56e StGB, 453 StPO). Die zahlreichen und teilweise sehr unterschiedlichen Aufgaben des Bewährungshelfers werden im einzelnen noch gesondert dargestellt (s. II B und C). Insgesamt gesehen ist der Bewährungshelfer sowohl der „verlängerte Arm des Richters" (vgl. aber § 14 Abs. 3 WStG und § 112 a Nr. 4 JGG) als auch ein vom Richter abgehobener eigenständiger Betreuer, der aus einer spezialpräventiven Zielsetzung heraus dem Probanden mit Methoden der Sozialarbeit und/oder Sozialpädagogik vorübergehende Angebote und Hilfen zur eigenverantwortlichen Selbststeuerung und straffreien Lebensführung zu gewähren hat. Das Zusammenspiel von Vollstreckungsaussetzung (wie auch späterem Straferlaß) auf der einen und von der Übernahme der aus Bewährungsauflagen und -Weisungen resultierenden Pflichten auf der anderen Seite kann in einem übertragenen Sinne als gegenseitiger „Vertrag" zwischen Gericht und Proband verstanden werden. Dessen Einhaltung durch den Probanden verlangt die Kenntnisnahme und das Bewußtsein dieser Pflichten - und der mit ihnen korrespondierenden Erwartungen des Gerichts und (gegebenenfalls) des bestellten Bewährungshelfers. Darüber hinaus soll der Proband ferner wissen, welche Folgen sich für ihn aus „Vertragsverletzungen" ergeben können; er muß vor allen Dingen motiviert sein, den an ihn gestellten Anforderungen nachzukommen. Diese Voraussetzungen für eine erfolgreiche Bewährungszeit zu verdeutlichen und zu unterstreichen, ist die Absicht des Bewährungsplans, den das Jugendrecht in § 60 JGG ausdrücklich vorsieht. Der Bewährungsplan, der von einem Behandlungs- oder Arbeitsplan des Bewährungshelfers zu unterscheiden ist, enthält eine entsprechende Zusammenstellung der einzelnen Anordnungen. Seine Aushändigung soll mit einer ergänzenden richterlichen Erläuterung verbunden werden. Gemäß § 60 Abs. 3 JGG soll der Jugendliche im Wege einer Selbstverpflichtung den Bewährungsplan unterschreiben; um eine einheitliche erzieherische Linie herzustellen, sind außerdem die Unterzeichnung durch den Erziehungsberechtigten und den gesetzlichen Vertreter vorgesehen. Ein Erlaß der Freiheitsstrafe nach Ablauf der Bewährungszeit bedeutet, daß keine Strafvollstrekkung mehr erfolgt, er beseitigt jedoch noch nicht den Eintrag der Vorstrafe im Zentralregister. Der Erlaß wird vielmehr als zusätzliche Information in das Register eingetragen (s. §§14 Abs. 1 Nr. 4, 15 Abs. 1 Nr. 4 BZRG). Allerdings ist der Gesetzgeber bestrebt, nachteilige Folgen für den Probanden, vor allem im Hinblick auf sein berufliches Fortkommen, zu vermeiden. Dritten gegenüber, also auch dem Arbeitgeber, gibt das polizeiliche Führungs-

zeugnis Auskunft über Vorstrafen. Ausgesetzte Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr werden nach drei Jahren seit der Verurteilung nicht mehr in das Führungszeugnis aufgenommen (s. § 32 Abs. 1 Nr. l b BZRG), ausgesetzte Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren nach einer Frist von fünf Jahren (s. § 32 Abs. 1 Nr. 2 BZRG). Das Jugendstrafrecht ist insoweit noch konsequenter; auch ausgesetzte Jugendstrafen bis zu zwei Jahren werden, falls kein Widerruf ausgesprochen worden ist, nicht im Führungszeugnis vermerkt, so daß sich der Jugendliche oder nach Jugendstrafrecht verurteilte Heranwachsende als unbestraft bezeichnen darf (vgl. §§30 Abs. 1 Nr. 3, 51 Abs. 1 BZRG). Mit dem Widerruf der Strafaussetzung bringt das Gericht zum Ausdruck, der Verurteilte könne jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr in Freiheit belassen werden. Die Prognose, die seinerzeit der Strafaussetzung zugrunde gelegen hatte, nämlich daß sich der Proband unter dem Eindruck seiner Verurteilung und mit Hilfe der ihm erteilten Weisungen straffrei führen und die ihm auferlegten Pflichten erfüllen werde, muß sich im Falle des Widerrufs als zu optimistisch herausgestellt haben. Demnach wird eine Gesamtweitung gefordert, die an den ursprünglichen Erwartungen orientiert ist. Dabei stellt der Widerruf die „ultima ratio" dar, die erst eingreift, wenn eine mildere Reaktion auf die Bewährungsverstöße, eine Verschärfung der Bewährungsbedingungen und/oder eine Verstärkung der Bewährungsaufsicht, zur Aufrechterhaltung der ursprünglichen Prognose zwecklos erscheinen (vgl. §§ 56f Abs. 2 StGB, 26 Abs. 2 JGG). Das Gesetz möchte jede schematische und somit häufig auch vorschnelle Kapitulation verhindern. So genügt nicht allein erneute Straffälligkeit. Straftaten, die mit der Ausgangstat keinerlei „kriminologischen Zusammenhang" aufweisen, die etwa aus einmaligen situativen Umständen erwachsen sind, kommen für einen Widerruf kaum in Betracht. Ein Widerruf ist erst angezeigt, wenn der Vollzug im Vergleich zu weiteren ambulanten Maßnahmen bessere Resozialisierungschancen eröffnet. Auch die mangelnde Zusammenarbeit mit dem Bewährungshelfer sowie die Nichtbefolgung anderer Weisungen stellen für sich besehen noch keinen Widerrufsgrund dar, wenn aus derartigen Widersetzlichkeiten nicht gleichzeitig die erhöhte Gefahr von neuen, mit dem früheren Delikt strukturell verwandten, Straftaten erwächst. Zumindest muß eine entsprechende „Besorgnis" veranlaßt sein. Indem das Gesetz auf dieses Zusatzerfordernis ausdrücklich hinweist, erschwert es den Widerruf bei lediglich schwer zugänglichen Probanden, die der Kontrolle ausweichen und auch nicht selten an Hilfsangeboten desinteressiert sind, bei denen aber trotzdem keine weiteren Straftaten bekannt werden. Das Junktim zwischen Bewährungsverstoß und Kriminalprognose kann freilich für die Auflagen nicht gelten. Letztere sind nicht auf die künftige

Strafaussetzung zur Bewährung Lebensführung bezogen, sondern auf die Tat und den Tatausgleich. Vom Ausgangspunkt der ursprünglichen Kriminalprognose her wäre es konsequent, die Erfüllung der Auflagen mit besonderen Zwangsmitteln sicherzustellen, aber von einem Widerruf - bei günstiger Kriminalprognose - abzusehen. Ein solches Zwangsmittel stellt im Jugendstrafrecht der schon erwähnte Beugearrest dar. Verständlicherweise will das Gesetz jedoch auf den Druck, der von einem drohenden Widerruf ausgeht, hier nicht verzichten. Begründet wird das mit der schon erwähnten „Vertragsverletzung", da auch die Erfüllung von Auflagen zu den Bewährungspflichten zählt. Der Widerruf und die Inhaftierung des Verurteilten können rasch vonstatten gehen. Der Widerruf erfolgt, wie alle nachträglichen Entscheidungen im Aussetzungsverfahren, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Dem Probanden ist (natürlich) zuvor rechtliches Gehör zu gewähren (vgl. §§ 453 Abs. 1 StPO, 58 Abs. 1 JGG). Das Fehlverhalten des Probanden muß zweifelsfrei feststehen; bei erneuter Straffälligkeit wird eine rechtskräftige Aburteilung der Nachtat(en) vom Gesetz allerdings nicht verlangt. Unter den Voraussetzungen der Flucht oder der Fluchtgefahr kann das Gericht gemäß § 453 c StPO bis zur Rechtskraft des Widerrufsbeschlusses Sicherungshaft anordnen. Man sieht in dieser Form der vorläufigen Sicherung nicht selten ein Institut, um in gravierenden Fällen „auf dem Fuße folgend" und schnell reagieren zu können. Die Haftzeit muß auf die zu vollstreckende Freiheitsstrafe angerechnet werden. Ansonsten bleiben Leistungen und Opfer, die dem Probanden vor der Strafhaft abverlangt wurden, grundsätzlich unberücksichtigt. Leistungen, die der Verurteilte zur Erfüllung von Auflagen oder entsprechenden Anerbieten erbracht hat, können allerdings nach dem Ermessen des Gerichts angerechnet werden (s. §§ 56f Abs. 3 S. 2 StGB, 26 Abs. 3 S. 2 JGG). b ) A u s s e t z u n g d e r V e r h ä n g u n g d e r Jug e n d s t r a f e . Gemäß § 27 JGG kann der Jugendrichter Unrecht und Schuld eines straftatbestandlich erfaßten Verhaltens feststellen und die Verhängung einer Jugendstrafe zur Bewährung aussetzen, falls er trotz Ausschöpfung der verfahrensmäßigen Erkenntnis- und Beweismittel nicht mit der nötigen Sicherheit zu beurteilen vermag, ob die Voraussetzungen für die Verhängung einer Jugendstrafe schon vorliegen. Derartige Zweifel dürfen außerdem lediglich bei einer Jugendstrafe wegen erheblicher „schädlicher Neigungen" bestehen; bleibt unklar, ob eine Jugendstrafe wegen „Schwere der Schuld" angezeigt ist, gilt uneingeschränkt der Grundsatz „in dubio pro reo". Eine Verhängungsaussetzung erscheint als Ausnahmeentscheidung, weil für den Regelfall davon ausgegangen wird, daß sich die persönlichen und sozialen Verhältnisse durch den Bericht der Jugendgerichtshilfe und erforderlichen-

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falls durch Sachverständigengutachten hinlänglich aufhellen lassen. Schätzt man allerdings diese Ermittlungsmöglichkeiten realistisch ein, müßten gerade bei einem recht unbestimmten Rechtsbegriff wie dem der „schädlichen Neigungen" nicht selten die erwähnten Zweifel fortbestehen. Mit der Rechtskraft des Schuldspruchs beginnt die Bewährungszeit, die hier erfreulich kurz bemessen ist. Die Bewährungszeit beträgt mindestens ein Jahr und höchstens zwei Jahre (§28 Abs. 1 JGG). Für die Bewährungszeit gelten die Vorschriften für die Vollstreckungsaussetzung entsprechend (§29 JGG). Obgleich also die Entscheidung über die Jugendstrafe ausgespart wird, erfolgt doch ein unter Umständen sehr intensiver Eingriff. Auch eine Tatahndung durch die Auferlegung einer Geldbuße ist mit der Aussetzungsentscheidung vereinbar. Im Vergleich zur jugendrechtlichen Vollstrekkungsaussetzung, die - abgesehen von der Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld - die Feststellung „schädlicher Neigungen" voraussetzt, betrifft die Verhängungsaussetzung eine weniger belastete Klientel. Es wird zudem die erzieherisch kaum positiv zu veranschlagende Charakterisierung des jungen Menschen als Neigungstäter vermieden. Auch erscheint der Schuldspruch nicht im polizeilichen Führungszeugnis (s. § 30 Abs. 1 Nr. 2 BZRG). Freilich ist der nicht leicht zu erfassende Inhalt einer solchen Entscheidung dem Jugendlichen oder Heranwachsenden mit geeigneten Worten verständlich zu machen. Das „Damoklesschwert" der Jugendstrafe, die bei „schlechter Führung" im Laufe der Bewährungszeit zu verhängen ist, hat für den Probanden noch ungenauere Konturen als bei der Vollstreckungsaussetzung einer bestimmten Jugendstrafe. Zwar ist selbst dort die tatsächliche Vollzugsdauer wegen der Möglichkeit einer Restaussetzung und einer einheitlichen Rechtsfolgenfestsetzung für die Ausgangstat und die spätere(n) Tat(en) relativ unbestimmt, doch steht dem Probanden wenigstens eine „Rechnungsgröße", eben die schon verhängte bestimmte Jugendstrafe, vor Augen. Die gesetzliche Regelung der an sich zweckmäßigen späteren Bemessung und der Vollstreckung der Jugendstrafe weist deutliche Schwächen auf. Zunächst wird dem Jugendrichter für die Bemessung der Jugendstrafe eine aus der gesetzlichen Konstruktion heraus verständliche, aber gleichwohl schwer zu vollziehende hypothetische Überlegung abverlangt: Der Richter muß die Jugendstrafe finden, die er im Zeitpunkt des Schuldspruchs verhängt hätte, wenn ihm eine sichere Beurteilungsgrundlage verfügbar gewesen wäre. Damit ist späteren Zweckmäßigkeitserwägungen der rechtliche Boden weitgehend entzogen. Obwohl im Falle der „schlechten Führung" nicht mehr festgestellt wird, als daß doch „schädliche Neigungen" vorliegen, wird von § 30 Abs. 1 S. 2 JGG eine Vollstreckungsaussetzung der nunmehr zu verhängenden Jugendstrafe ausdrücklich ausgeschlossen. Bedenkt man,

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daß der Zweitentscheidung ein Bewährungsverfahren mit allen bereits dargestellten Begleitmaßnahmen vorausgegangen war, leuchtet diese Regelung ein. Andererseits wird aber nicht erklärlich, warum hier die „schädlichen Neigungen" zur Vollstreckung führen müssen, während sie sonst geradezu zur Voraussetzung der Vollstreckungsaussetzung erklärt werden. Von der Aussetzung der Verhängung einer Jugendstrafe zu unterscheiden ist die nur im allgemeinen Strafrecht vorgesehene Verwarnung mit Strafvorbehalt (§§59ff. StGB). Dieses Institut sieht zwar ebenfalls eine Beschränkung auf den Schuldspruch ohne gleichzeitige Verurteilung vor. In Betracht kommen jedoch lediglich Geldstrafen, und betroffen wird eine gänzlich andere Klientel. Zudem wird hier die Strafe - anders als bei der Verhängungsaussetzung - bereits im Zeitpunkt des Schuldspruchs bestimmt und allein eine entsprechende Verurteilung vorbehalten. Die bisherige Bedeutung der Verwarnung mit Strafvorbehalt in der forensischen Praxis ist äußerst gering. c) V o r h e r i g e r V o l l z u g s v e r z i c h t und B e w ä h r u n g s h i l f e nach s o n s t i g e n Vors c h r i f t e n . Die Praxis hat nach Wegen gesucht, die Tätigkeitsfelder der Bewährungshilfe über die dargestellten Bewährungsverfahren hinaus noch zu erweitern. Entsprechende Bedürfnisse sind vor allem im Jugendkriminalrecht hervorgetreten. Besonders bemerkenswert ist ein Aussetzungsverfahren, das sich mit Hilfe des § 57 Abs. 1 JGG durchführen läßt. Nach dieser Bestimmung kann der Jugendrichter - anders als der allgemeine Strafrichter - eine Jugendstrafe verhängen, ohne zugleich über die Vollstreckungsentscheidung mitzuentscheiden. Indem man nun die Aussetzungsentscheidung um einige Monate hinausschiebt, entsteht Raum für eine sogenannte „Vorbewährung". Zugleich mit der Verhängung der Jugendstrafe erteilt der Richter dem Probanden die Weisung, sich der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers zu unterstellen (gem. den §§ 8 Abs. 2, 10 Abs. 1 JGG). Auch eine derartige Weisung sieht das JGG nicht ausdrücklich vor; da der Katalog der Weisungen jedoch ein offener ist, bestehen keine rechtlichen Bedenken. Allerdings muß ein Bewährungshelfer für diese Aufgabe nach landesrechtlichen Bestimmungen verfügbar sein. Der Bewährungshelfer übernimmt die ambulante Betreuung, ähnlich wie bei den herkömmlichen Aussetzungsverfahren. Der wesentliche Effekt eines solchen Vorgehens liegt in der verfahrensrechtlichen Umgehung des materiellrechtlichen Erfordernisses einer günstigen Prognose. Wenn der Richter Zweifel hat, ob er den Verurteilten schon dem Vollzug überantworten soll, und ihm noch eine Bewährungschance einräumen möchte, so kann er das hiernach tun, ohne im Moment der Verurteilung an die Feststellung einer günstigen Prognose gebunden zu sein. Stellt sich

dann das Verhalten des Probanden während der Vorbewährungszeit als hoffnungsvoll heraus, vermag darauf später die Vollstreckungsaussetzung gegründet werden. Über diesen Weg der Vorbewährung wird der Anwendungsbereich des Aussetzungsinstituts vorsichtig und in einem vertretbaren Rahmen einer vergleichsweise belasteteren Klientel eröffnet. In einem übertragenen Sinne gilt das gleichfalls für die Aussetzung des Vollzugs eines Haftbefehls gemäß § 116 StPO. Als „weniger einschneidende Maßnahme" kommt wiederum die Aufsicht durch eine Begleitperson, die auch ein Bewährungshelfer sein kann, in Frage. Freilich liegen insoweit die rechtlichen Rahmenbedingungen anders. Ein Haftbefehl und somit zugleich eine Haftverschonung setzen einen Haftgrund voraus, und eine Verurteilung darf noch nicht rechtskräftig sein. Bedenkt man jedoch, daß der bei weitem wichtigste Haftgrund der Fluchtgefahr oder Flucht aus bestimmten Indizien konstruiert wird und daß dem Richter ein erheblicher Interpretationsspielraum verbleibt, zeichnen sich auch hier die Konturen einer gewissen Vorbewährung ab. In dem Umfang, in dem Maßnahmen zur besonderen Sicherung des Strafverfahrens jedenfalls nicht unangebracht erscheinen, beinhaltet der ambulante Kontakt mit dem Bewährungshelfer schon eine Testsituation, deren Ergebnisse eine spätere Aussetzungsentscheidung mitbeeinflussen. d) Die A u s s e t z u n g eines S t r a f r e s t e s z u r B e w ä h r u n g . Wie die anfängliche Vollstreckungsaussetzung ist auch die Aussetzung eines Strafrestes zur Bewährung unter bestimmten Voraussetzungen obligatorisch und nach gesetzlichen Vorschriften vom Richter zu verfügen. Dabei handelt es sich um eine Strafvollstreckungsmaßnahme, über die nicht der erkennende Richter, sondern im Erwachsenenrecht die Strafvollstreckungskammer und im Jugendkriminalrecht der jugendrichterliche Vollstreckungsleiter zu entscheiden haben (s. §§462a Abs. 1, 454 StPO, 82 Abs. 1, 88, 89 JGG). Eine Restaussetzung kommt sowohl für eine anfänglich vollstreckbare Freiheitsstrafe als auch für eine durch Widerruf vollstreckbar gewordene Strafe in Betracht. Ob sie ebenfalls Ersatzfreiheitsstrafen betrifft, die anstelle uneinbringlicher Geldstrafen vollstreckt werden, ist umstritten, aber wohl zu bejahen. Beim Institut der Reststrafenaussetzung geht es weniger um die Belohnung für Wohlverhalten während des Vollzuges, obwohl freilich durch die Chance einer vorzeitigen Entlassung die gute Führung im Vollzug stimuliert wird. Bezweckt ist vielmehr, die Dauer des Vollzuges auf ein notwendig scheinendes Minimum zu beschränken und den Verurteilten unter möglichst günstigen Umständen in die Freiheit zurückzuführen. Einerseits wird ihm eine gewisse Großzügigkeit und positive Verhaltenserwartung entgegengebracht, anderer-

Strafaussetzung zur Bewährung seits verbleibt er noch unter verstärkter Kontrolle. Bei längeren Verbüßungszeiten steht in der anschließenden Bewährungszeit die Wiedereingliederung des Gefangenen im Vordergrund. Hat der Gefangene mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe verbüßt, so ist ihm u. a. deshalb in der Regel ein Bewährungshelfer zu bestellen (s. § 57 Abs. 3 S. 2 StGB); im Jugendrecht ist die Bewährungshilfe ohnehin wieder in jedem Falle obligatorisch (s. §§ 88 Abs. 5 S. 1,89 Abs. 3 JGG). Die Voraussetzungen, unter denen eine Restaussetzung erfolgen muß oder erfolgen kann, sind im Erwachsenenstrafrecht verbindlicher und starrer, im Jugendrecht flexibler, jedoch nicht unbedingt für den Probanden günstiger, formuliert. Gemäß § 57 Abs. 1 StGB ist bei Erwachsenen nach Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Strafe, mindestens von zwei Monaten, die Vollstreckung des Strafrestes von einem Drittel zur Bewährung auszusetzen. Die Aussetzung wird vorgeschrieben, falls „verantwortet werden kann zu erproben, ob der Verurteilte außerhalb des Strafvollzuges keine Straftaten mehr begehen wird". Mit diesem Erfordernis hält das Gesetz an dem Grundsatz der günstigen Prognose für alle gesetzlichen Aussetzungsentscheidungen fest. Um indessen eine risikobereite Praxis zu begünstigen, sind die konkreten Anforderungen sehr zurückhaltend und bescheiden formuliert worden. Die Aussetzung kann nur mit Zustimmung des Gefangenen vorgenommen werden (s. § 57 Abs. 1 Nr. 3 StGB). Gewöhnlich wird er darauf bedacht sein, bald aus der Anstalt entlassen zu werden. Schwierigkeiten können vor allem auftreten, wenn der Gefangene lediglich von dem Vollzug eines insgesamt gesehen unbedeutenden Restes verschont würde, den er vor der Alternative eines anschließenden Bewährungsverfahrens lieber voll „absitzen" möchte. Auch Hospitalisierungserscheinungen können dazu führen, daß der Gefangene seine Einwilligung verweigert. Eine Aussetzung schon nach Vollstreckung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe sieht das Gesetz für Ausnahmefälle vor; sie ist dem Vollstreckungsgericht nicht schlechthin vorgeschrieben, sondern unterliegt pflichtgemäßem richterlichen Ermessen. Das Gericht kann aussetzen, wenn der Gefangene ein Jahr Freiheitsstrafe verbüßt hat und „besondere Umstände in der Tat und der Persönlichkeit des Verurteilten" vorhegen (s. § 57 Abs. 2 StGB). Wir begegnen hier der gleichen Formel wie in § 56 Abs. 2 StGB, der die anfängliche Vollstreckungsaussetzung einer Freiheitsstrafe von ein bis zwei Jahren zuläßt. Die Bezugnahme auf Besonderheiten der Tat verdeutlicht, daß jedenfalls ein besonders positiver Ansatz für das weitere Leben in Freiheit für sich genommen nicht ausreicht. Keine ausdrückliche Regelung enthält das Gesetz für die Fälle, in denen mehrere Freiheitsstrafen hintereinander zu vollstrecken sind. Hier hat sich ein Verfahren durchgesetzt, wonach die Vollstreckung jeder Frei-

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heitsstrafe nach zwei Dritteln der Zeit unterbrochen und dann einheitlich über die Restaussetzungen entschieden wird (s. § 43 Abs. 3 StVollstrO). Veranlaßt durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (1977) hat der Gesetzgeber nunmehr eine Strafrestaussetzung auch für die lebenslange Freiheitsstrafe vorgesehen (20. StrÄndG - 1981). Danach muß die Strafvollstreckungskammer nach einer Haftzeit von 15 Jahren die weitere Vollstreckung bei günstiger Prognose aussetzen, falls nicht die „besondere Schwere der Schuld" die weitere Vollstreckung gebietet (§ 57 a Abs. 1 StGB). Die Entscheidung ergeht nach einer mündlichen Anhörung des Verurteilten und der Stellungnahme eines Sachverständigen, der sich insbesondere zur Gefährlichkeit des Verurteilten äußern soll (§ 454 Abs. 1 StPO). Die Dauer der Bewährungszeit beträgt grundsätzlich fünf Jahre. Dem Entlassenen ist im Regelfall ein Bewährungshelfer zur Seite zu stellen (§§ 57a Abs. 3, 57 Abs. 3 StGB). Der erzieherische Charakter der Jugendstrafe kommt nicht zuletzt in den Vorschriften über die Aussetzung einer Restjugendstrafe zum Ausdruck. Zunächst finden wir in Übereinstimmung mit den Bemessungsgrundsätzen die Annahme wieder, daß ein erzieherischer Vollzug von einer Mindestdauer von sechs Monaten ausgehen müsse. Freilich schließt §88 Abs. 2 JGG eine frühere Vollstrekkungsaussetzung nicht rundweg aus, sie wird jedoch auf „besonders wichtige Gründe" beschränkt. Derartige wichtige Gründe können vor allem günstige Lebensbedingungen für den Probanden in der Freiheit sein. Bei einer Jugendstrafe von mehr als einem Jahr muß mindestens ein Drittel der Strafe verbüßt sein, wobei natürlich anrechenbare Untersuchungshaft sowie anrechenbare Leistungen, die im Rahmen eines vorausgegangenen Bewährungsverfahrens erbracht wurden, zu berücksichtigen sind. Ansonsten hat der Vollstreckungsleiter - anders als im Erwachsenenrecht - freie Hand. Selbstverständlich muß er sich ebenfalls an Prognosekriterien orientieren. Bei einer Jugendstrafe wegen „Schwere der Schuld" erscheint eine gewisse Anlehnung an die Fristen der allgemeinen Freiheitsstrafe angezeigt, obwohl in Einzelfällen eine entgegenkommendere Handhabung durchaus in Betracht zu ziehen ist. Eine Restaussetzung ist außerdem bei der nur im Jugendkriminalrecht vorgesehenen Jugendstrafe von unbestimmter Dauer möglich (s. §§ 19, 89 JGG). Vorausgesetzt wird neben der günstigen Prognose die Verbüßung des Mindestmaßes der Jugendstrafe (mindestens sechs Monate, s. §§ 19 Abs. 2 S. 2,18 Abs. 1 JGG). Die Strafe wird in eine Jugendstrafe von bestimmter Dauer umgewandelt. Da die Bestimmungen über die vorzeitige Entlassung aus dem Vollzug sowohl im Erwachsenenrecht als auch vor allem im Jugendrecht dem Vollstrekkungsrichter erhebliche Beurteilungsspielräume eröffnen, der Entlassungszeitpunkt andererseits

168

Strafaussetzung zur Bewährung

aber einen wichtigen Fixpunkt für die Vollzugsgestaltung bildet (s. § 15 StVollzG), kommt einer entsprechenden Verständigung und Kooperation zwischen Vollzugsanstalt und Vollstreckungskammer/Vollstreckungsleiter große Bedeutung zu. Hinsichtlich der Ausgestaltung des Bewährungsverfahrens werden die jeweiligen Regeln über die anfängliche Vollstreckungsaussetzung für entsprechend anwendbar erklärt (s. §§57 Abs. 3 StGB, 57 a Abs. 3, 88 Abs. 5, 89 Abs. 3 JGG). Die vorherigen Ausführungen (s. 3. a) über Bewährungszeit, Auflagen, Weisungen und Widerruf gelten grundsätzlich auch für die Reststrafenaussetzung. Die Restaussetzung und auch der spätere Teilerlaß werden registerrechtlich als einzutragende Tatsachen erfaßt (s. §§ 14 Abs. 1 Nr. 1, 4, 15 Abs. 1 Nr. 2, 4 BZRG) und wirken sich günstig auf das Führungszeugnis aus (vgl. §§30 Abs. 2 Nr. 3, 32 Abs. 1 Nr. l b BZRG; hinsichtlich der lebenslangen Freiheitsstrafe s. §§ 31 Abs. 2 Nr. 1, 32 Abs. 1 Nr. 2, 32 Abs. 2 BZRG). 4. Das Institut der Führungsaufsicht Die Führungsaufsicht stellt eine neuartige ambulante Maßregel der Besserung und Sicherung dar. Sie ist unter dem Anspruch einer sachgerechteren und umfassenderen Alternative zur früheren Polizeiaufsicht (§§38, 39 StGB a.F.) entwickelt worden. Die Polizeiaufsicht verlieh der höheren Landespolizeibehörde für höchstens fünf Jahre die Befugnis, dem Verurteilten den Aufenthalt an bestimmten Orten zu verbieten und jederzeit Hausdurchsuchungen durchzuführen. Seit der Mitte der 50er Jahre arbeitete die Große Strafrechtskommission an dem Konzept einer „Sicherungsaufsicht", die dann in den Entwurf eines Strafgesetzbuchs von 1962 einging. Gedacht war vorrangig an eine Art „ambulanter Sicherungsverwahrung". Man hatte besonders die kriminell erheblich gefährdeten und gefährlichen Vollverbüßer längerer Freiheitsstrafen im Auge. Da für diese Klientel eine Reststrafenaussetzung, auch bei einer noch so zurückhaltenden Prognose, kaum in Betracht kam, stand keine Einrichtung bereit, die den Sicherungsbedürfnissen der Allgemeinheit hätte entsprechen können. Freilich war man schon damals bemüht, den Akzent nicht ganz einseitig allein auf die Sicherung zu legen, sondern versuchte, die Vorstellung einer gewissen Lebenshilfe für den Verurteilten mit dem Sicherungsgedanken zu harmonisieren. Teilweise zog man sogar Vergleiche mit der Erziehungsbeistandschaft bei jugendlichen Straftätern (vgl. § 9 Nr. 2 JGG). Verglichen mit den 50er Jahren brachten die 60er Jahre eine deutliche Schwerpunktverlagerung von Kontrolle auf Behandlung und Resozialisierung. Einen besonders eindrucksvollen Niederschlag hat diese Sichtweise in dem von einer Professorengruppe erarbeiteten Alternativentwurf eines StGB (von 1967) gefunden. Das im Kern repressive

und im Hinblick auf Resozialisierung wenig überzeugende Konzept einer Sicherungsaufsicht stieß auf erheblichen Widerstand, dem sich die bundesministeriellen Reformarbeiten wie auch eine etablierte Länderkommission nicht verschließen konnten. Fortan war man bestrebt, die Sicherungsaufsicht stärker in die Nähe der Bewährungshilfe zu rücken, sie gleichsam zu einer Bewährungshilfe auszugestalten. Neben eine Aufsichtsstelle sollte der Bewährungshelfer treten, und beide sollten in sich ergänzender Weise zusammenarbeiten. Darin sah man ein neues Konzept, das es rechtfertigte, von einem Institut der „Führungsaufsicht" zu sprechen. Das Bemühen, bestimmte Kontroll- und Sicherungsfunktionen mit einem gewissen Betreuungsangebot zu verbinden, fand dann schließlich seinen Niederschlag im 2. Strafrechtsreformgesetz von 1969, das die gegenwärtige rechtliche Regelung enthielt. Bevor dieses Gesetz jedoch 1975 in Kraft trat, wurde es noch durch das Einführungsgesetz zum StGB von 1974 erheblich modifiziert, und zwar wiederum im Sinne des Trends zur Bewährungshilfe, indem man vor allem die Stellung und Bedeutung des Bewährungshelfers gegenüber der Aufsichtsstelle hervorhob und eine hinreichend deutliche Aufgabenbeschreibung und -abgrenzung für und zwischen Bewährungshelfer und Aufsichtsstelle festzulegen suchte. Daneben wurden zugleich noch andere organisatorische Regelungen für die Aufsichtsstellen getroffen. Die Führungsaufsicht ist für eine Klientel vorgesehen, die im Vergleich zu der der Bewährungshilfe zumeist wesentlich umfangreichere Vorerfahrungen mit Instanzen sozialer Kontrolle aufweist und deshalb allgemein als schwer gefährdet qualifiziert wird. Gleichwohl werden von der Führungsaufsicht recht unterschiedliche Tätergruppen erfaßt. Die Führungsaufsicht ist auch im Rahmen des Jugendkriminalrechts anwendbar (s. § 7 JGG). Man unterscheidet zumeist gemäß der gesetzlichen Systematik zwischen den Fällen, in denen Führungsaufsicht durch richterliche Anordnung eintritt (§68 Abs. 1 StGB), und den Fällen, in denen sie ohnehin kraft Gesetzes eintritt (§ 68 Abs. 2 StGB). Diese an den formalen Wirksamkeitsbedingungen orientierte Aufteilung bringt indessen die verschiedenen kriminalpolitischen Funktionen der Führungsaufsicht nicht ganz zum Ausdruck. Aus kriminalpolitischer Sicht kann man zwei verschiedene Aufgabenbereiche der Führungsaufsicht unterscheiden: Führungsaufsicht als ambulante Alternative oder als Substitut zur stationären Unterbringung im Maßregelvollzug (1) und Führungsaufsicht als zusätzliches Mittel zur Kontrolle und Intervention bei kriminalprognostisch besonders ungünstig zu beurteilenden Tätern, außerhalb des Bereichs der gemeinlästigen Bagatelldelinquenz (2). Letzterenfalls figuriert die Führungsaufsicht gleichsam als Ausfallbürge für die „eigentliche", unter präventiven Gesichtspunkten aber unzureichende (Vor-)Sanktion.

Strafaussetzung zur Bewährung Mit der grundlegenden Reform des Maßregelrechts, die das 2. Strafrechtsreformgesetz brachte, war die Möglichkeit geschaffen, wie bei Freiheitsstrafen so nun auch bei stationärer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§§61 Nr. 1, 63 StGB), einer Entziehungsanstalt (§§61 Nr. 2, 64 StGB) und sogar in der Sicherungsverwahrung (§§ 61 Nr. 4, 66 StGB) die Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung auszusetzen. Man schuf sowohl die Form der anfänglichen Aussetzung (§§67b, 67 c StGB) durch das erkennende Gericht (s. § 260 Abs. 4 S. 4 StPO) als auch die einer nachträglichen „Rest"-Aussetzung (§67d Abs. 2 StGB) durch das Vollstreckungsgericht (s. §§463, 462 a Abs. 1 StPO). Während sich an die Vollstreckungsaussetzung einer Freiheitsstrafe ein Bewährungsverfahren anschließt, so ist es im Bereich des Maßregelrechts die ambulante Maßregel der Führungsaufsicht, die in sämtlichen Aussetzungsfällen ohne besondere richterliche Anordnung eingreift. Eine Parallele zum Recht der Strafaussetzung läßt sich des weiteren darin erblicken, daß die Vollstrekkungsaussetzung - schon aus strukturellen Notwendigkeiten heraus - eine günstige Prognose voraussetzt. Das Gesetz orientiert sich am Zweck der Maßregel und deren Zweckerreichung. Auch wenn der Zweck (noch) nicht erreicht ist und damit die materielle Grundlage für die Maßregel vorliegt, wird als Weg dorthin neben der Unterbringung auch der der ambulanten Betreuung vor dem Hintergrund des Widerrufs gesehen. Soweit schon durch einen solchen leichteren Eingriff die von den Maßregeln in den Mittelpunkt gerückten kriminalitätsfördernden Bedingungen (z. B. psychische Krankheiten, Rauschmittelsucht) und ihre Auswirkungen im Verhalten des Probanden erfolgversprechend angegangen zu werden vermögen, hat die Führungsaufsicht - in konsequenter Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes - den Vorrang. Hier bezieht sich die günstige Prognose also nicht primär auf die Symptomfreiheit und selbstregulierende Kräfte im Täter, sondern - bescheidener - vorrangig auf eine ausreichende Zugänglichkeit des Probanden auf ambulante Behandlungs- und Kontrollstile. Daneben stellt freilich die Rückfallgefahr noch einen gesonderten Rechnungsposten dar, weil Humanität und Liberalität einer Behandlung mit den Gefahren für die Allgemeinheit irgendwie ins Lot gebracht werden müssen. Von daher überrascht es nicht, wenn sich die Formeln bei der „Rest"-Aussetzung von Freiheitsstrafen und stationären Maßregeln, also nach erfolgter stationärer Intervention, praktisch wieder gleichen: Gemäß §67d Abs. 2 StGB setzt das Vollstreckungsgericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, sobald „verantwortet werden kann zu erproben, ob der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzuges keine rechtswidrigen Taten mehr begehen w i r d . . . " . Mindestens gleichgewichtig zu dieser ersten Fall-

169

gruppe steht die zweite, die den Aspekt einer zusätzlichen Sicherung verfolgt. Hier kennt das Gesetz sowohl die gleichsam automatisch per Gesetz eintretende Führungsaufsicht, die an ein bestimmtes Ereignis, die Entlassung aus einer Anstalt, anknüpft, als auch die durch das erkennende Gericht angeordnete Führungsaufsicht, die mit der Rechtskraft der Entscheidung beginnt, freilich während einer Anstaltsverwahrung nicht ausgeführt wird (s. §68c Abs. 2 StGB). Führungsaufsicht tritt einmal obligatorisch ein, wenn ein Verurteilter wegen der Erreichung der Höchstfrist für die erste Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, das sind gemäß §67d Abs. 1 StGB zehn Jahre, entlassen werden muß (§ 67 d Abs. 4 StGB). Man will auf diese Weise das fortbestehende Sicherungsbedürfnis wenigstens in einer milderen Form befriedigen. Vom Ansatz her sehr ähnliche Überlegungen liegen dem nächsten Tatbestand des §68f StGB zugrunde, wonach Führungsaufsicht eintritt, falls eine wegen einer vorsätzlichen Straftat verhängte Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren vollständig vollstreckt worden ist. Betroffen sind hiervon auch die Fälle, in denen zwar eine Reststrafenaussetzung erfolgt war, die Reststrafe aber dann infolge eines Widerrufs schließlich doch verbüßt werden mußte. Sofern allerdings im Anschluß an die Strafverbüßung eine freiheitsentziehende Maßregel vollzogen wird, besteht das zusätzliche Sicherungsbedürfnis nicht mehr und scheidet deshalb Führungsaufsicht aus diesem Tatbestand aus. Entsprechendes ist anzuordnen, wenn am Ende der Strafzeit aus neuen Gründen heraus eine günstige Kriminalprognose gestellt werden kann (s. § 68 f Abs. 2 StGB). Auch hier soll jede vermeidbare und eher schädliche Übersicherung unterbleiben. In den beiden Fällen, in denen Führungsaufsicht infolge einer Anordnung des erkennenden Richters eintritt, ist die Anordnung nicht unter bestimmten Voraussetzungen vorgeschrieben, sondern in das pflichtgemäße richterliche Ermessen gestellt. Es handelt sich einmal um den Fall, daß beim tatbestandlichen Vorliegen der gesetzlichen Rückfallbestimmung (§ 48 StGB) - die sechs Monate Freiheitsstrafe als Mindeststrafe vorschreibt - eine zeitige Freiheitsstrafe verwirkt worden ist (s. § 68 Abs. 1 Nr. 1 StGB). Es braucht keine mindestens sechsmonatige Freiheitsstrafe verhängt worden zu sein, wenn beispielsweise eine besondere Milderung wegen Beihilfe eingreift (s. §§ 27 Abs. 2 S. 2, 49 Abs. 1 StGB). Umgekehrt braucht sich die Mindeststrafe wegen Rückfalls auch gar nicht ausgewirkt zu haben, falls der Strafrahmen wegen des neuen Delikts ohnehin eine noch höhere Mindeststrafe angibt. Soweit jedoch die Anwendung des §48 StGB zu einer Strafschärfung führt, haben wir es mit einer Kumulation des kriminalrechtlichen Eingriffs zu tun, die wiederum auf früheren Eingriffen gründet. Eine derartige Entwicklung muß unter dem Aspekt der kriminellen Karriere als problematisch erschei-

170

Strafaussetzung zur Bewährung

nen. Die zweite Fallgruppe betrifft einzelne Strafvorschriften des Besonderen Teils des StGB, ungefähr 30, für die die Anordnung von Führungsaufsicht ausdrücklich vorgesehen wird. Gemäß §68 Abs. 1 Nr. 2 StGB kommt Führungsaufsicht allerdings nur in Betracht, wenn im Einzelfall eine zeitige Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verwirkt worden ist. Die einzelnen Delikte, die Führungsaufsicht nach sich ziehen können, lassen sich schwerlich unter einen rechtsgutbezogenen oder anderweitig zu bildenden Oberbegriff ordnen, sie reichen vom einfachen Diebstahl (auch Diebstahlsversuch) über vorsätzliche Körperverletzung, Sexualstraftaten, Geiselnahme bis zu bestimmten gemeingefährlichen Straftaten. Für beide Fallgruppen, die letztgenannte und auch die des gesetzlich erfaßten Rückfalls, gilt indessen das zusätzliche Erfordernis einer ungünstigen Prognose. Die Anordnung von Führungsaufsicht steht dem Gericht lediglich offen, soweit die abzuurteilende Tat oder die abzuurteilenden Taten als Ausdruck für die kriminelle Gefährlichkeit des Angeklagten angesehen werden können. Die Führungsaufsicht dauert mindestens zwei und höchstens fünf Jahre, die Höchstdauer kann allerdings abgekürzt werden (§68b Abs. 1 StGB). Die Führungsaufsicht endet mit Ablauf der Frist, durch vorzeitige gerichtliche Aufhebung nach Ablauf der Mindestdauer (§ 68 e Abs. 1 StGB) oder aus sonstigen Gründen, z. B. wegen erneuten Vollzuges einer stationären Maßnahme, der entweder unabhängig von der bisherigen Führungsaufsicht erfolgen kann (s. §68e Abs. 3 StGB) oder durch den Widerruf der Aussetzung einer stationären Maßregel bedingt wird. Agenten der Führungsaufsicht sind die Aufsichtsstelle und obligatorisch der Bewährungshelfer. Ihr Zusammenwirken und das Verhältnis zum (übergeordneten) Gericht werden im einzelnen unter II B dargestellt; hinsichtlich der personellen Ausstattung und Organisation der Aufsichtsstellen s. II A 2.

Das rechtliche Instrumentarium zur Beeinflussung der Lebensführung des Probanden sind wiederum Weisungen. Doch gelten für die Führungsaufsicht wichtige Besonderheiten. Die Weisungen werden in zwei verschiedene Gruppen aufgeteilt, wobei die eine Gruppe den Weisungen entspricht, die in Bewährungsverfahren erteilt werden können oder sollen (§ 68 b Abs. 2 StGB), während die andere Gruppe abweichenden Regelungen unterliegt (§68b Abs. 1 StGB). Diese zur zweiten Gruppe gehörenden Weisungen sind in einem abschließenden Katalog einzeln aufgeführt, das Gericht hat darüber hinaus bei seiner konkretisierenden Formulierung das verbotene oder verlangte Verhalten genau zu bestimmen. Der Grund liegt darin, daß Zuwiderhandlungen von § 145 a StGB als kriminelles Unrecht pönalisiert sind. Danach kann bei Antragstellung der Aufsichtsstelle mit Freiheitsstrafe

bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe belegt werden, wer vorsätzlich gegen eine solche präzisierte Weisung verstößt und dadurch den Zweck der Maßregel gefährdet. Die Einschränkungen durch strafbewehrte Weisungen können sehr erheblich und die Möglichkeiten des Verstoßes entsprechend reichhaltig sein. Der Proband kann beispielsweise angewiesen werden, einen bestimmten Bereich nicht ohne Erlaubnis der Aufsichtsstelle zu verlassen (§ 68 b Abs. 1 Nr. 1 StGB) oder bestimmte Tätigkeiten nicht auszuüben, die er nach den Umständen zu Straftaten mißbrauchen kann (Nr. 4). Verständlicherweise ist bei den strafbewehrten Weisungen eine „Vorwärtsstrategie" des Probanden, nämlich Zusagen über sein künftiges Verhalten zu machen, ausgeschlossen. Daß die Pönalisierung des Weisungsverstoßes erhebliche Probleme aufwirft, ist offensichtlich. Durch das Antragserfordernis kann die Aufsichtsstelle zwar entscheidend steuern. Andererseits gelangt sie dadurch aber auch in eine gewisse Nähe zu den Strafverfolgungsbehörden. Da der Bewährungshelfer die Überwachung der Weisungen immerhin zu unterstützen hat, fragt sich, inwieweit daraus Berichtspflichten erwachsen. Ein wohl noch größeres Dilemma bereitet die Art der Bestrafung, d. h. die Strafzumessung, die leicht auf eine kurzfristige Freiheitsstrafe hinauslaufen wird. An deren Wirksamkeit muß in Anbetracht der betroffenen Klientel gezweifelt werden. Die „strafrechtliche" Lösung ist eigentlich nur als eine Notlösung verständlich und sollte daher auf wirkliche „Notfälle" beschränkt bleiben. Soweit die Führungsaufsicht im Wege der Maßregelaussetzung eintritt, besteht als wirkungsvolles Druckmittel der Widerruf der Aussetzung, der bei einem gröblichen oder beharrlichen Verstoß gegen Weisungen gemäß § 67 g Abs. 1 Nr. 2 StGB in Betracht kommt. Im übrigen besteht nicht in jedem Fall Anlaß, sogleich mit den Weisungen gemäß §68b Abs. 1 StGB zu operieren. Mit Recht wird empfohlen, erst einmal auszuloten, inwieweit nicht schon mit den Mitteln der allgemeinen Bewährungshilfe einigermaßen befriedigende Ergebnisse erreichbar sind. Erst wenn und soweit hierfür der Weg versperrt ist, kann dann durch nachträglichen Beschluß (s. §1463 Abs. 2, 453 Abs. 1 StPO) die Gangart immer noch verschärft werden. So gesehen stellt sich dann bereits die Drohung mit dem Übergang zu verstärkter Einschaltung der Aufsichtsstelle und zu strafbewehrten Weisungen als Druckmittel dar. Die gerichtliche Anordnung der Führungsaufsicht oder ihr Eintritt kraft Gesetzes werden registerrechtlich erfaßt (vgl. §§ 4 Nr. 2, 5 Abs. 1 Nr. 6, 8 Abs. 1,14 Abs. 1 Nr. 2 BZRG); falls die Führungsaufsicht durch Aussetzung der Maßregelvollstrekkung eintritt, wird sie indessen unter Umständen nicht in das Führungszeugnis aufgenommen, s. § 30 Abs. 2 Nr. 6 BZRG.

171

Strafaussetzung zur Bewährung C. Bedeutung der Strafaussetzung zur Bewährung, der Bewährungshilfe und der Führungsaufsicht in der kriminalrechtlichen Praxis

streckungsaussetzung) und durch die Ablösung der Freiheitsstrafe von der Geldstrafe bewerkstelligt. Über den Widerruf von Aussetzungsentscheidungen und über Ersatzfreiheitsstrafen gelangt zwar ein Teil der Verurteilten später dennoch in den stationären Vollzug. Doch diese beachtenswerten Korrekturen heben den Befund des grundlegenden Wandels keineswegs auf. Um die kriminalpolitische Bedeutung der Strafaussetzung und der Bewährungshilfe zu ermessen, muß deren Rolle in diesem Gesamtrahmen gesehen werden. Entsprechend den Berechnungen von Heinz (Entwicklung, Stand und

1. Strafaussetzung zur Bewährung Die kriminalrechtliche Sanktionspraxis hat in den letzten 100 Jahren elementare Wandlungen erfahren. Die Gewichte haben sich von stationären zu ambulanten Sanktionen verlagert. Dieser Umschichtungsprozeß wurde vor allem durch einen verstärkten Gebrauch der Strafaussetzung (Voll-

Männliche Verurteilte nach allgemeinem Strafrecht im Jahre 1966 Spalte

1

2

3

Straftaten

Verurteilte insgesamt

Zu Gefängnis und Zuchthaus Verurteilte insgesamt

Strafaussetzungen insgesamt

(% von Sp. 1)

(% von Sp. 2)

(% von Sp. 2)

(% 'von Sp. 4)

(% von Sp. 2)

(% von Sp. 2)

(% von Sp. 2)

477 604

186 225 (38,9 %)

57 851 (31,1%;)

170 582 (91,6%)

57 851 (33,9%)

4813 (2,6'

6642 (3,6%)

4188 (2,2%)

Verbrechen und 202 400 Vergehen ohne Straßenverkehrsdelikte insgesamt

88 333 (43,6%)

29 337 (33,2%;)

73 240 (82,9%)

29 337 (30,1%)

4469 (5,1%)

6444 (7,3 %)

4180 (4,7%)

Straßenverkehrsdelikte insgesamt

97 892 (35,6%)

29 514 (30,1 %)

97 342 (99,4 %)

29 514 (30,3 %)

344 (0,4%)

198 (0,2%)

8 (0,008 %)

Verbrechen und Vergehen insgesamt

275 204

4

5

7

6

8

Gefängnis und Zuchthaus 1 Jahr bis 9 Monate bis 1 Jahr 2 Jahre

bis 9 Monate

über 2 Jahre (zeitl. befristet)

davon

im Jahre 1976 Spalte

1

2

Straftaten

Verur-

Zu Frei-

teilte insges.

Straftaten insgesamt

501 0 7 0

3

Strafheitsslrafe ausVerurteilte setzung rnsges. insges.

4

5

6

7

8

9

10

11

Freiheitsstrafen bis 6 Monate 6 Monate 6-9 Monate 9 Monate bis 1 Jahr davon davon davon davon ausgeausgeausgeausgesetzt setzt setzt setzt (% von (% von (% von (% von (% von (% von (% von (% von Sp.4) Sp.2) Sp.2) Sp.2) Sp. 6) Sp. 2) Sp. 10) Sp. 8)

12

1 Jahr bis 2 Jahre davon ausgesetzt (% von (% von

(% von

(% von

Sp. 1)

Sp.2)

91 810

56 794 43 317 33 272 11 222 7664 12 562 7482 12 179 7582 7862 (61,9) (47,2)1 (76,1) (12,2) (68,3) (13,7) (59,6) (13,3) (62,3) (8,5)

(18,3)

13

Sp. 2)

Sp. 12)

14

über 2 Jahre (zeitl. befristet)

(% von Sp.2)

794 4602 (10,1) (5,0)

Straftaten ohne 240 745 66 804 Straftaten im (27,7) Straßenverkehr insgesamt

4559 37 487 22 872 16 745 9409 6407 11 089 6597 11219 6972 7590 766 (56,1) (34,2)l (73,2) (14,0) (68,1) (16,6) (59,5) (16,8) (62,1) (11,4) (10,1) (6,8)

Straftaten im Straßenverkehr insgesamt

19 307 20 445 16 527 1 813 1257 1 473 885 960 (77,2) (81,8)i (80,8) (7,2) (69,3) (5,9) (60,1) (3,8)

260 325 25 006 (9,6)

610 272 (63,5) (1,1)

28 43 (10,8) (0,2)

Quelle: Stat. Bundesamt (Hrsg.): Rechtspflege. Fachserie 10. Reihe 3. Strafverfolgung 1976; und eigene Berechnungen. Die aus 1966 mitgeteilten Daten entstammen teilweise unveröffentlichten Unterlagen Kerners.

172

Strafaussetzung zur Bewährung

Struktur der Strafzumessungspraxis. Eine Übersicht über die nach allgemeinem Strafrecht verhängten Hauptstrafen von 1882 bis 1979. MschrKrim 64. [1981] S. 148 f.) waren 1882 noch 76,8 % aller Strafen wegen Verbrechen und Vergehen gegen Reichsgesetze unbedingt verhängte Freiheitsstrafen, im Jahre 1979 betrug der entsprechende Anteil bei nach allgemeinem Strafrecht Verurteilten lediglich 6,1 %. Das Verhältnis von stationär : ambulant hat sich von 3,3:1 in 1:15 geändert. Die Relation von Geldstrafe : Freiheitsstrafe kehrte sich von 1:3,5 in 4 , 7 : 1 um. Seit der gesetzlichen Einführung der Strafaussetzung zur Bewährung in das Erwachsenenstrafrecht im Jahre 1953 hat sich das Verhältnis

der vollstreckbaren zu den ausgesetzten Freiheitsstrafen von 2 , 3 : 1 in 1:1,9 umgewandelt. Während 1954 von den regelmäßig aussetzbaren Freiheitsstrafen des Erwachsenenrechts 33,9% und 1966 noch 35,9% tatsächlich ausgesetzt wurden, waren es 1976 71,4% und 1979 dann 73,2%. Schon an diesen wenigen Zahlen wird deutlich, daß die Entwicklung der stationären Freiheitsstrafe zur ambulanten Sanktion exemplarisch von einem Vergleich dieser beiden Jahrgänge eingefangen werden kann. Der Grund dafür liegt in der Strafrechtsreform von 1969, die das Rechtsfolgensystem und die Sanktionspraxis im Sinne des aufgezeigten Trends besonders nachhaltig beeinflußt hat. Im folgenden

Männliche Verurteilte nach Jugendstrafrecht im Jahre 1966 Spalte

1

2

3

Straftaten

Verurteilte insgesamt

Jugendstrafe insgesamt

Strafaussetzung insgesamt

4 6 Monate

{% von Sp. 1)

(% von Sp.2)

(% von Sp.2)

7

5

6

davon ausgesetzt (% von Sp.4)

Jugendstrafe 6-9 Monate davon ausgesetzt (% von (% von Sp.2) Sp.6)

8

9

10

11

von bestimmter Dauer 1-2 Jahre 9 Monate 1bis 1 Jahr davon ausgesetzt (% von (% von (% von Sp.2) Sp.2) Sp. 8)

über 2 Jahre

(% von Sp.2)

Verbrechen und Vergehen insgesamt

63 842

8815 (13,8)

4064 (46,1)

1610 1122 2070 1371 2509 (18,3) (69,7) (23,5) (66,2) (28,5)

1571 (62,6)

1286 (14,6)

386 (4,4)

Verbrechen und Vergehen ohne Straßenverkehrsdelikte insgesamt

45 138

8534 (18,9)

3901 (45,7)

1489 1047 1992 1319 2445 (17,4) (70,3) (23,3) (66,2) (28,7)

1535 (62,8)

1276 (14,9)

384 (4,5)

Straßenverkehrsdelikte insgesamt

18 704

281 (1,5)

163 (58,0)

52 64 121 75 78 (43,0) (61,9) (27,7) (66,6) (22,7)

36 (56,2)

10 (3,5)

2 (0,7)

im Jahre 1976 Spalte

1

2

3

Straftaten

Verurteilte insgesamt

Jugendstrafe insgesamt

Strafaussetzung insgesamt

6 Monate

(% von Sp. 1)

(% von Sp.2)

(% von Sp. 2)

94 915

16 828 (17,7)

9667 (57,4)

3051 2485 3528 2778 5081 (18,1) (81,4) (20,9) (78,7) (30,2)

3724 (73,3)

3417 680 1255 (20,3) (19,9) (7,5)

Straftaten ohne 71 308 Straftaten im Straßenverkehr insgesamt

16 247 (22,8)

9288 (57,2)

2852 2333 3401 2679 4910 (17,5) (81,8) (20,9) (78,8) (30,2)

3616 (73,6)

3345 660 1247 (20,6) (19,7) (7,7)

Straftaten im 23 607 Straßenverkehr insgesamt

581 (2,5)

379 (65,2)

152 127 99 171 199 (34,3) (76,4) (21,9) (77,9) (29,4)

108 (63,2)

72 20 8 (12,4) (27,8) (1,4)

Straftaten insgesamt

Quelle: wie zuvor.

4

7

5

6

davon ausgesetzt (% von Sp.4)

Jugendstrafe von bestimmter Dauer 6-9 Monate 9 Monate bis 1 Jahr 1-2 Jahre über 2 Jahre davon davon davon ausgeausgeausgesetzt setzt setzt (% von (% von (% von (% von (% von ( % v o n (% von Sp.8) Sp. 10) Sp.2) Sp.6) Sp.2) Sp.2) Sp.2)

8

9

10

11

12

173

Strafaussetzung zur Bewährung wird deshalb zunächst ein Überblick über die Entwicklung der anfänglichen Strafaussetzung in den Jahren 1966 und 1976 gegeben, der sich auf männliche Verurteilte nach Erwachsenenstrafrecht und nach Jugendstrafrecht bezieht. Die bei weitem geringeren Zahlen für weibüche Verurteilte werden nur für 1976 - wiederum getrennt nach Erwachsenenstrafrecht und nach Jugendstrafrecht - aufgeführt, da es insoweit als ausreichend erscheint, eine gewisse Anschauung von den Größenordnungen zu vermitteln. Am augenfälligsten zeigt sich der Rückgang der Freiheitsstrafen im Bereich der Verkehrsdelinquenz. Der Anteil der ausgesetzten Freiheitsstrafen betrug 1966 noch für alle Verbrechen und Vergehen 31,07%, für die Straßenverkehrsdelikte 29,13%. Bezüglich 1976 ergibt sich für alle Straftaten ein

Prozentsatz der ausgesetzten Strafen von 61,86%; betrachtet man lediglich die Straftaten im Straßenverkehr, liegt der Anteil der ausgesetzten Strafen sogar bei 77,21 %. Die vollstreckbare Freiheitsstrafe, die im Bereich der „klassischen" Kriminalität (ohne Straßenverkehrsdelikte) 1966 immerhin noch in 29,15 % der Fälle verhängt wurde, hatte 1976 nur noch einen Anteil von 12,18% an der Gesamtheit der entsprechenden Verurteilungen. Das Anliegen der Strafrechtsreform von 1969, die Freiheitsstrafe generell, vornehmlich aber die kürzere und da wiederum die vollstreckbare, einzuschränken, konnte auf die Praxis durchschlagen. Die Häufigkeitsverteilung der Strafaussetzung stimmt mit den Erwartungen, die man aufgrund der gesetzlichen Regelung haben muß, auch insofern überein, als der Anteil der Aussetzungen bei den

Weibliche Verurteilte (1976) nach allgemeinem Strafrecht Spalte

1

2

3

Straftaten

Verurteilte insges.

Zu Freiheitsstrafe Verurteilte

Strafaussetzung

insges.

insges.

4

6

5

bis 6 Monate

7

8

9

10

11

12

davon

1 Jahr bis 2 Jahre davon

Freiheitsstrafen 6-9 Monate 9 Monate

6 Monate

bis 1 Jahr davon

davon ausge-

ausgesetzt

davon ausgesetzt

13

ausge(% von

ausgesetzt (% von

Sp. 2)

Sp. 12)

über 2 Jahre (zeitl. befristet)

(% von Sp. 1)

(% von

(% von

(% von (% von

setzt (% von (% von

Sp- 2)

Sp. 2)

Sp- 4)

Sp. 6)

91084

6423 (7,1)

5007 (77,9)

682 746 586 3736 3077 810 708 578 276 (58,2) (82,4) (12,6) (84,2) (11,6) (78,5) (11,0) (81,6) (4,3)

84 142 (30,4) (2,2)

Straftaten ohne 65 949 Straftaten im Straßenverkehr insgesamt

6070 (9,2)

4701 (77,4)

3449 2822 784 662 723 568 692 565 275 (56,8) (81,8) (12,9) (84,4) (11,9) (78,6) (11,4) (81,6) (4,5)

84 142 (30,5) (2,3)

Straftaten im Straßenverkehr insgesamt

353 (1,4)

306 (86,7)

287 255 26 (81,3) (88,8) (7,4)

/

Straftaten insgesamt

25 135

Sp. 2)

Sp. 2)

20 23 (76,9) (6,5)

(% von (% von Sp. 2) Sp. 8)

18 16 (78,3) (4,5)

setzt {% von Sp. 10)

14

13 1 (81,3) (0,3)

(% von Sp.2)

/

nach Jugendstrafrecht Spalte

1

2

3

4

Straftaten

Verurteilte insgesamt

Jugendstrafe insgesamt

StrafausSetzung insgesamt

(% von Sp. 1)

(% von Sp. 2)

Jugendstrafe von bestimmter Dauer 6 Monate 6-9 Monate 9 Monate bis 1 Jahr 1-2 Jahre über 2 Jahre davon davon davon davon ausgeausgeausgeausgesetzt setzt setzt setzt (% von (% von (% von (% von {% von (% von (% von (% von (% von Sp. 2) Sp. 4) Sp. 2) Sp. 6) Sp. 2) Sp. 8) Sp. 2) Sp. 10) Sp. 2)

1119 (9,1)

817 (73,0)

300 259 283 231 355 (26,8) (86,3) (25,3) (81,6) (31,3)

278 (78,3)

143 49 28 (12,8) (34,3) (2,5)

Straftaten ohne 10 765 Straftaten im Straßenverkehr insgesamt

1106 (10,3)

809 (73,1)

295 255 282 230 350 (26,7) (86,4) (25,5) (81,6) (31,6)

275 (78,6)

141 49 28 (12,7) (34,8) (2,5)

Straftaten im 1505 Straßenverkehr insgesamt

13 (0,9)

8 (61,5)

5 4 (38,5) (80)

3 (60)

2 (15,4)

Straftaten insgesamt

12 270

Quelle: wie zuvor.

5

6

1 (7,7)

7

8

1 5 (100) (38,5)

9

10

11

12

-

174

Strafaussetzung zur Bewährung

unter sechs Monaten liegenden Freiheitsstrafen am höchsten ist (alle Straftaten: 76,81 %, nur Straftaten im Straßenverkehr: 80,84 %), hingegen die Prozentsätze der Aussetzungen für die Freiheitsstrafen von neun Monaten bis zu einem Jahr nicht etwa niedriger liegen als die der Aussetzungen von Freiheitsstrafen zwischen sechs und neun Monaten (Anteil der Aussetzungen bei den 6-9monatigen Freiheitsstrafen: Straftaten insgesamt 59,56%, nur Straftaten im Straßenverkehr 60,08%; Anteil der Aussetzungen bei den 9-12monatigen Freiheitsstrafen: Straftaten insgesamt 62,26 %, nur Straftaten im Straßenverkehr 63,54%). Bei den Freiheitsstrafen zwischen einem und zwei Jahren, die nur unter besonderen Voraussetzungen ausgesetzt werden können, sinkt der Prozentsatz der Aussetzungen erwartungsgemäß stark ab: Er beträgt für alle Straftaten 10,10 %, für die Straftaten im Straßenverkehr 10,29%. Die Einzelberechnungen machen erkennbar, daß die Aussetzungspraxis hinsichtlich der „klassischen" Kriminalität von der Verkehrskriminalität nicht sonderlich abweicht. Wenn gleichwohl der Anteil der Aussetzungen bei den wegen Verkehrsstraftaten zu Freiheitsstrafe Verurteilten in seiner Gesamtheit deutlich höher liegt, hat das seinen Grund darin, daß im Bereich der klassischen Kriminalität vergleichsweise mehr längere Freiheitsstrafen verhängt werden, für die eine Aussetzung weniger oder gar nicht in Betracht kommt.

Der Rückgang der Freiheitsstrafen gilt lediglich für Erscheinungsformen der geringfügigeren und mittleren Kriminalität, nicht hingegen für gravierende Straftaten. Diese betreffen nur einen sehr kleinen Täterkreis, der gleichsam den „harten Kern" darstellt. Die Grenze liegt etwa bei einer konkret verwirkten Freiheitsstrafe von einem Jahr. Ein Vergleich der Jahre 1966 und 1976 läßt erkennen, daß freilich die Sanktionspraxis im Grenzbereich nicht unabhängig von den Grenzziehungen des jeweiligen positiven Rechts ist. So liegt die Anzahl der Freiheitsstrafen zwischen 9 Monaten und einem Jahr 1976 wesentlich höher als 1966, da zu der Zeit die Neun-Monats-Zäsur für die Strafaussetzung nicht mehr galt und die etwas längeren Strafen ebenfalls ausgesetzt werden konnten. Man gelangt hier wieder zu ähnlichen Größenordnungen, wenn man die ausgesetzten Strafen von den insgesamt verhängten abzieht und somit lediglich die nicht ausgesetzten Freiheitsstrafen vergleicht (dann: Straftaten insgesamt: 4597; Straftaten ohne Taten im Straßenverkehr: 4247, Straftaten im Straßenverkehr: 350). Die Entwicklung im Erwachsenenstrafrecht hat sich in abgeschwächter Form auch auf das Jugendkriminalrecht ausgewirkt. Dort sind die Anteile der ausgesetzten Jugendstrafen gegenüber den vollstreckbaren Jugendstrafen um mehr als 10 % gestiegen:

Anteil der ausgesetzten Jugendstrafen an den gegen männliche Verurteilte verhängten Jugendstrafen bis zu einem Jahr Straftaten

Dauer der Jugendstrafe

Jahr

Anteil der Aussetzungen

Straftaten insgesamt

6 Monate

1966 1976 1966 1976 1966 1976

69,69 % 81,45% 66,23 % 78,74% 62,62% 73,29%

1966 1976 1966 1976 1966 1976

70,32 % 81,80% 66,22% 78,77 % 62,78% 73,65 %

1966 1976 1966 1976 1966 1976

61,98% 76,38% 66,67 % 77,95 % 56,25 % 63,16%

6-9 Monate 9 Monate bis 1 Jahr Straftaten ohne Straftaten im Straßenverkehr

6 Monate 6-9 Monate 9 Monate bis 1 Jahr

Straftaten im Straßenverkehr insgesamt

6 Monate 6-9 Monate 9 Monate bis 1 Jahr

Quelle: vgl. Tab. 1.

175

Strafaussetzung zur Bewährung Ein Vergleich der absoluten Zahlen der 1966 und 1976 verhängten Jugendstrafen ergibt für 1976 nahezu eine Verdoppelung. Das scheint der These vom Rückgang der Freiheitsstrafe zu widersprechen. Hier muß jedoch berücksichtigt werden, daß die deutliche Zunahme auch gerade der längeren, ein Jahr übersteigenden Jugendstrafe, auf eine stärkere Anwendung des Jugendkriminalrechts auf Heranwachsende zurückzuführen ist. Der Beurteilungsspielraum, ob ein zur Tatzeit schon 18-, aber noch nicht 21jähriger einem Jugendlichen gleichzustellen ist (vgl. § 105 Abs. 1 Nr. 1JGG), wird zunehmend zugunsten des Jugendrechts genutzt. Auch eine These vom Kriminalitätszuwachs wird man auf diese Daten (erst recht) nicht stützen können.

Vor allem bei männlichen Verurteilten ist der Anteil der ausgesetzten Strafen unter Anwendung des Jugendrechts relativ (d. h. unter Ausschluß der kurzen Freiheitsstrafen bis zu 6 Monaten) höher. Das kann nicht als Selbstverständlichkeit angesehen werden, weil Jugendstrafe überwiegend wegen „schädlicher Neigungen" verhängt wird, wodurch die Prognose negativ beeinflußt werden müßte. Gegenüber den männlichen weisen die weiblichen Verurteilten noch bessere Aussetzungsquoten auf. Sie werden offenbar insgesamt gesehen prognostisch günstiger beurteilt. Bei den weiblichen Verurteilten gestaltet sich indessen die Differenz zwischen Jugendrecht und Erwachsenenrecht niedriger.

Anteil der Aussetzungen unter Anwendung von allgemeinem Strafrecht und von Jugendstrafrecht Straftaten insgesamt - im Jahre 1976 6 Monaten

Freiheitsstrafe von 6-9 Monaten 9 Monaten bis zu 1 Jahr

männlich allgemeines Strafrecht

68,29%

59,56%

62,26 %

10,10%

Jugendstrafrecht

81,45%

78,74 %

73,29%

19,90 %

weiblich allgemeines Strafrecht

84,20 %

78,55 %

81,64%

30,44 %

Jugendstrafrecht

86,33 %

81,63%

78,31 %

34,27 %

1 Jahr bis zu 2 Jahren

Quelle: vgl. Tab. 1.

Die Anteile der ausgesetzten Freiheitsstrafen bei einzelnen Delikten sind ebenfalls unterschiedlich, wie die Übersicht auf Seite 176 veranschaulicht. Von den aussetzbaren Freiheitsstrafen wurden beispielsweise unter Anwendung des allgemeinen Strafrechts beim Diebstahl nur 52,07 % ausgesetzt, beim Raub 45,36%, bei der Urkundenfälschung dagegen 61,75 %. Die männlichen Täter einer Vergewaltigung schnitten mit 56,91 % besser ab als die wegen einfachen Diebstahls Verurteilten (46,57%). Im Hinblick auf die beispielhaft aufgeführten Delikte bestätigt sich wiederum, daß einmal die nach Jugendkriminalrecht verurteilten männlichen Delinquenten im allgemeinen eine größere Chance der Aussetzung gegenüber den nach Erwachsenenstrafrecht Verurteilten haben und daß zum andern die Aussetzungsquote bei den weiblichen Verurteilten höher liegt als bei den männlichen. Wenn die Gesamtgegenüberstellung der Aussetzungshäufigkeit im Erwachsenenstrafrecht und

im Jugendstrafrecht für das Jugendrecht sogar leicht niedrigere Werte aufweist, so liegt das im wesentlichen an der hohen Anzahl von Freiheitsstrafen unter sechs Monaten (die es im Jugendrecht nicht gibt), die vor allem bei Straßenverkehrsdelikten häufig zur Bewährung ausgesetzt werden. Trotz der Schwankungen, die die Aussetzungspraxis bezüglich einzelner Delikte aufweist, halten sich diese Abweichungen doch - verglichen mit vergleichbaren Werten - in Grenzen. Größere Polarisierungen würden sich ergeben, falls die ausgesetzten zu den verhängten Freiheitsstrafen in Beziehung gesetzt würden. Dann betrüge beispielsweise der Anteil der Aussetzungen beim Raub (allgemeines Strafrecht, männliche und weibliche Verurteilte) nur 33,56 % gegenüber 58,56 % bei der Urkundenfälschung. Um das Sanktionsverhalten der Gerichte genauer zu erfassen, erscheint es jedoch zweckmäßig, der Berechnung lediglich die aussetzbaren Freiheitsstrafen zugrundezulegen, zugleich

176

Strafaussetzung zur Bewährung Anteil der Aussetzungen bei einzelnen Delikten im Jahre 1976

Deliktsgruppe

angewende- Verurteilte davon Frei- Anteil der tes Recht insges. heitsstrafe Freiheitsstrafe

aussetzbare ausgesetzte Anteil der ausFreiheits- Freiheits- gesetzten an den strafen strafen aussetzbaren Freiheitsstrafen

48018 38449 86467

8600 1799 10399

17,91 % 4,68 % 12,03 %

8518 1794 10312

3967 1402 5369

46,57% 78,15 % 52,07 %

m w i

19405 6537 25942

1677 212 1889

8,64% 3,24 % 7,28 %

1584 212 1796

989 146 1135

62,44% 68,87 % 63,20%

Einfacher allgemeines m Raub Strafrecht w §249 StGB i

854 48 902

843 45 888

98,71 % 93,75% 98,45 %

615 42 657

268 30 298

43,58% 71,43% 45,36%

m w i

1066 55 1121

782 36 818

73,36% 65,46% 72,97 %

665 36 701

456 29 485

68,57% 80,56 % 69,19%

Vergewalti- allgemeines m gung § 177 Strafrecht w Abs. 1 StGB i

891 2 893

881 2 883

98,88 % 100,00 % 98,88 %

557 2 559

317 1 318

56,91 % 50,00% 56,89 %

m w i

288 2 290

238 1 239

82,64 % 50,00% 82,41 %

175

108

61,71%

175

108

61,71%

Urkunden- allgemeines m fälschung Strafrecht w §267 StGB i

8615 1656 10271

3118 417 3535

36,19 % 25,18% 34,42 %

2946 406 3352

1750 320 2070

59,40% 78,82% 61,75%

1738 364 2102

324 83 407

18,64% 22,80% 19,36%

298 83 381

193 62 255

64,77% 74,70% 66,93%

allgemeines m 501070 Strafrecht w 91084 i 592154

91810 6423 98233

18,32% 7,05 % 16,59%

87142 6276 93418

56794 5007 61801

65,17% 79,78 % 66,16 %

Jugendstrafe

16828 1119 17947

17,73 % 9,12% 16,74 %

15077 1081 16158

9667 817 10484

64,12% 75,58% 64,88 %

Einfacher allgemeines m Diebstahl Strafrecht w §242 StGB i Jugendstrafrecht

Jugendstrafrecht

Jugendstrafrecht

Jugendstrafrecht Straftaten insgesamt

m w i

m 94915 w 12270 i 107185

-

-

-

Quelle: vgl. Tab. 1.

freilich auch zu berücksichtigen, zu wieviel Prozent ein Delikt überhaupt mit Freiheitsstrafe geahndet wird. Hier gibt es, wie die vorstehende Tabelle zeigt, natürlich erhebliche Unterschiede. Interessant ist nun, daß ein hoher Anteil an Freiheitsstrafen nicht gleichzeitig zu einer restriktiven Aussetzungspraxis führt. Das macht eine Gegenüberstel-

lung der Verurteilungen wegen Diebstahls (mit einem relativ geringen Anteil verhängter Freiheitsstrafen - 12,03% nach allgemeinem Strafrecht, 7,28% nach Jugendstrafrecht) mit denen wegen Raubes (mit einem sehr hohen Anteil verhängter Freiheitsstrafen - 98,45 % nach allgemeinem Strafrecht, 72,97% nach Jugendstrafrecht) erkennbar.

Strafaussetzung zur Bewährung Während die Aussetzungsfreudigkeit in Anwendung des allgemeinen Strafrechts beim Diebstahl noch mit 52,07% vor der von 45,36% beim Raub liegt, werden in Anwendung des Jugendrechts mehr aussetzbare Jugendstrafen wegen Raubes ausgesetzt (69,19%) als wegen Diebstahls (63,20%). Bedenkt man, daß die Aussetzungsentscheidung überwiegend an die Kriminalprognose gebunden ist, erscheinen derartige Ergebnisse keineswegs ungesetzlich. Zu wenig Beachtung gefunden hat bislang der Aspekt der Stellung der Strafaussetzung im Längsschnitt der Sanktionierung des einzelnen Täters, mithin die Frage, welche kriminalrechtlichen Rechtsfolgen der Strafaussetzung vorausgegangen sind, von welchem Punkt an die Gerichte zur Freiheitsstrafe mit Aussetzung „gegriffen" haben. Die nachfolgenden Sanktionen werden teilweise von der Erfolgskontrolle erfaßt (hierzu s. III A und B). Über die Vorgeschichte geben die Statistiken keinen Aufschluß; man ist insoweit auf empirische Einzeluntersuchungen (von Stichproben) angewiesen. Sie sind vor allem für die Jugendkriminalrechtspflege bedeutsam, da das Jugendkriminalrecht unter einem besonderen Erziehungsanspruch steht und die Jugendstrafe nicht lediglich als tatbezogene Vergeltungssanktion begriffen werden darf. In der jugendkriminalrechtlichen Praxis fungiert die ausgesetzte Jugendstrafe vermutlich weniger als Instrument frühzeitiger intensiver ambulanter Betreuung, sondern mehr als ein mittelschweres repressives Übel, das stärker ist als etwa Arbeitsauflagen und Jugendarrest, das andererseits jedoch noch das letzte Mittel des Freiheitsentzuges (zumindest vorerst) vermeidet. 2.

Bewährungshilfe

Der Anstieg der Strafaussetzung wird begleitet und ergänzt durch eine ständig wachsende Inanspruchnahme der Bewährungshilfe. Man betreut also diejenigen, die in früheren Jahren stationär untergebracht worden wären, auf ambulantem Wege. Die Inanspruchnahme der (hauptamtlichen) Bewährungshilfe in den letzten zehn Jahren veranschaulicht die Übersicht auf dieser Seite. Diese Zahlen spiegeln zu einem Teil die praktischen Auswirkungen des 1. StrRG wider. Die entsprechenden Veränderungen werden durch einen Vergleich der Jahre 1968 (vor der Reform) und 1971 (nach der Reform) erfaßt. Ebenfalls scheint sich das 2. StrRG, das vom EGStGB flankiert, korrigiert und ergänzt am 1. Januar 1975 in Kraft getreten ist, durch eine erneute Mehrbelastung der Bewährungshilfe niedergeschlagen zu haben, da die Zahlen für das allgemeine Strafrecht 1975 erneut überdurchschnittlich angestiegen sind. Im Wege der weiteren Reform hat man jedoch die unmittelbaren Vorschriften über die Strafaussetzung nicht mehr

177

Jährliche Zugänge zur hauptamtlichen Bewährungshilfe Jahr

Anzahl der Bewährungshelfer im Bundesgebiet (mit Berlin)

anfängliche Strafaussetzung nach allgemeinem Strafrecht

Verhängungsaussetzungund anfängliche Aussetzung einer bestimmten Jugendstrafe

Restaussetzung -bedingte Entlassung -nach allgemeinem Strafrecht

Aussetzung des Restes einer bestimmten oder unbestimmten Jugendstr.

1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976

516 519 524 538 616 717 819 911 1018 1118 1241

1554 1871 1761 2051 4036 4445 4724 4939 5324 7042 7719

4949 5982 6329 7286 7977 9394 10024 10771 10708 11177 11615

1841 2015 2716 3386 4812 4393 3518 3606 3979 5962 7262

2424 2847 3257 3344 3274 3324 3194 3977 3944 3927 3778

Quelle: Stat. Bundesamt (Hrsg.): Rechtspflege. Fachserie 10. Reihe 5. Bewährungshilfe.

wesentlich und im Sinne einer Ausdehnung der Unterstellungen unter Bewährungshilfe abgeändert (die Führungsaufsicht wird noch gesondert angesprochen). Gegenüber 1968 nahmen 1971 die Zugänge wegen gerichtlich angeordneter anfänglicher Strafaussetzung nach allgemeinem Strafrecht um 152,41 % zu. Der Zuwachs im Jahre 1976 beträgt gegenüber 1966 nicht weniger als 396,72 %! Bei den Restaussetzungen ergibt sich für 1971 im Vergleich zu 1968 eine Zunahme von 61,75%, der Anstieg von 1966 (100%) bis 1976 gestaltete sich nahezu ebenso rasant wie bei der anfänglichen Aussetzung, er beträgt 294,46 %. Die Entwicklung im Jugendkriminalrecht verlief kontinuierlicher. Zwar haben wir auch hier von 1970 zu 1971 einen überdurchschnittlichen Zuwachs von 1417 Unterstellungen bei der anfänglichen Aussetzung ( = 17,76%) zu verzeichnen, während der Anstieg in den Vorjahren von 1967 zu 1968 (+ 347), von 1968 zu 1969 (+ 957), von 1969 zu 1970 (+ 691) und dann von 1971 zu 1972 (+ 630) und von 1972 zu 1973 (+ 747) im Durchschnitt nur jeweils (von Jahr zu Jahr) 8,91 % betrug. Die Daten stützen die schon zuvor dargelegte These von der Ausstrahlung der Reform auf die Praxis der Jugendkriminalrechtspflege, die bereits seit 1966 im wesentlichen über das nötige gesetzliche Instrumentarium verfügte. So paßt es auch ins Bild, daß der jährliche Anstieg der Bewährungsaufsichten auch schon von 1968 zu 1969, als die Konturen der Reform im Erwachsenenrecht deutlich waren, eine Rate von 15,12% aufwies. Eine Aufschlüsselung der Daten nach den einzelnen Unterstellungsgründen und nach dem Geschlecht erfolgt durch die nachstehende Tabelle:

178

Strafaussetzung zur Bewährung Zugänge zur hauptamtlichen Bewährungshilfe im Jahre 1976 allgemeines Strafrecht

1

Zugänge

männlich: 14 676

2

5

6

anfängliche Aussetzung

Restaussetzung

gem. §56 Abs. 1 StGB

gem. §56 Abs. 2 StGB

gem. §57 Abs. 1 StGB

gem. §57 Abs. 2 StGB

Gnadenentscheidungen und Aussetzung des Berufsverbots gem. §78a StGB

6729 (45,9%)*

431 (2,9%)

6753 (46%)

233 (1,6%)

530 (3,6%)

25 (2,7)

82 (8,9)

258 (1,7%)

612 (3,9%)

weiblich: 917

insgesamt: 15 593

4

3

520 (56,7 %)*

7249 (46,5 %)*

251 (27,4%)

39 (4,3 %) 470 (3,0%)

7004 (44,9)

Sonstige

Jugendstrafrecht 1

2

3

4

5

anfängliche Aussetzung Zugänge

männlich: 14 297 weiblich: 1 197

insgesamt: 15 494

6

7

Restaussetzung

Sonstige

Verhängungsaussetzung gem. §27 JGG

Vollstreckungsaussetzung gem. §21 gem. §21 Abs. 1 JGG Abs. 2 JGG

gem. gem. Gnaden§88 JGG §89 JGG entscheidung.

1265 (8,8%)*

8504 (59,5 %)

3271 (22,9%)

194 (16,2%)*

1459 (9,4%)*

802 (67%)

9306 (60%)

780 (5,5%) 70 (5,8%) 850 (5,5 %)

118 (9,9%) 3389 (21,9%)

383 (2,7%) 6 (0,5 %) 389 (2,5 %)

94 (0,7%) 7 (0,6%) 101 (0,7%)

* %-Angaben jeweils bezogen auf Spalte 1 - Zugänge Quelle: Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Rechtspflege. Fachserie 10. Reihe 5. Bewährungshilfe; sowie eigene Berechnungen. Vergleicht man die Inanspruchnahme der Bewährungshilfe nach Erwachsenen- und nach Jugendstrafrecht, fällt das zahlenmäßige Gleichgewicht zwischen 15 593 (Zugängen nach allgemeinem Strafrecht) und 15 494 (Zugängen nach Jugendrecht) auf. Mittlerweile hat also die Bewährungshilfe - gemessen an den absoluten Zahlen für das Erwachsenenstrafrecht eine etwa gleich große Bedeutung.

Ein Blick auf die vorausgegangene Übersicht läßt erkennen, daß das nicht immer so war, die Bewährungshilfe vielmehr im Erwachsenenstrafrecht „aufgeholt" hat. 1966 noch wurde sie mit 3395 nach allgemeinem Strafrecht Verurteilten befaßt, während über Vorschriften des Jugendkriminalrechts immerhin 7373 Zugänge erfolgten. Bei näherem Hinsehen bestehen auch jetzt gewisse strukturelle Unterschiede. Sie äußern sich darin, daß die Ausla-

179

Strafaussetzung zur Bewährung stung der Bewährungshilfe durch anfängliche Aussetzungen und Restaussetzungen verschieden stark ist. Unter Anwendung des allgemeinen Strafrechts halten sich beide Zugangsarten in etwa die Waage, wohingegen die jugendrechtlichen Zugänge seit jeher ein Übergewicht bei der anfänglichen Aussetzung aufweisen. Dieses Übergewicht muß positiv interpretiert werden: Bewährungshilfe bedeutet ambulante Behandlung, die den Weg zum Vollzug verhindern soll. Die differenzierte Berücksichtigung der verschiedenen Aussetzungsformen veranschaulicht für das Jugendrecht zugleich die gegenwärtige praktische Bedeutung der Verhängungsaussetzung gemäß § 27 JGG. Sie hatte, gemessen an den Zugängen der Bewährungshilfe im Jahre 1976, einen Anteil von 12,56 % an den anfänglichen Aussetzungen. Dieser Anteil ist trotz einer gewissen Konstanz in starkem Maße abhängig von der regional sehr unterschiedlichen Praxis und von der Richterpersönlichkeit. Während im Jugendrecht wegen der obligatorischen Unterstellung des Probanden unter einen (in

Jahr

1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976

Restaussetzungen (bedingte Entlassungen) gem. der Strafvollzugsstatistik-allgemeines Strafrecht und Jugendstrafrecht insgesamt

18306 19076 22428 20106 17157 13998 13676 14998 16286 16498 17951

abzüglich der Zugänge zur Bewährungshilfe nach den §188,89 JGG gem. der Bewährungshilfestatistik

der Regel) hauptamtlichen Bewährungshelfer die Zugänge im wesentlichen mit der gesamten Zahl der richterlichen Aussetzungsentscheidungen übereinstimmen, betreffen die jährlichen Zugänge zur Bewährungshilfe im Erwachsenenstrafrecht nur einen kleinen Prozentsatz. So wurde im Jahre 1976 die Vollstreckung der Freiheitsstrafe gemäß §56 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB bei 56794 männlichen Verurteilten zur Bewährung ausgesetzt, jedoch hatte die Bewährungshilfe nur 7160 Neuzugänge (12,61 %) zu registrieren. Bei den entsprechenden weiblichen Verurteilten stehen 559 Unterstellungen einer Gesamtheit von 5007 Aussetzungsentscheidungen gegenüber (11,16%). Insgesamt werden folglich im allgemeinen Strafrecht lediglich 12,49 % der unter Strafaussetzung Verurteilten der hauptamtlichen Bewährungshilfe zugeführt. Bei den Restaussetzungen liegt der Anteil jedoch erheblich höher. Obwohl insoweit genaue Zahlen nicht zugänglich sind, läßt sich der Prozentsatz wie folgt abschätzen:

Differenz (geschätzte Restaussetzungen nach allgemeinem Strafrecht)

2424 2847 3257 3344 3274 3324 3194 3977 3944 3927 3778

15882 16229 19171 16762 13883 10674 10482 11021 12342 12571 14173

Bewährungshilfe bei Restaussetzung nach allgemeinem Strafrecht - Zugänge -

1841 2015 2716 3386 4812 4393 3518 3606 3979 5962 7262

Anteil der Unterstellungen unter Bewährungshilfe

11,60% 12,42 % 14,17% 20,20% 34,66% 41,16% 33,56% 32,72 % 32,24 % 47,43 % 51,24%

Quelle: Eigene Berechnungen anhand der Rechtspflegestatistiken. Danach hat die Entwicklung dazu geführt, daß immerhin bei ungefähr jeder zweiten Restaussetzung nach allgemeinem Strafrecht ein Bewährungshelfer bestellt wird. Diese Hälfte wiederum ist auf ungefähr 30 % der Entlassenen (die vorzeitig Entlassenen) zu beziehen. Die tatsächliche Belastung und Auslastung der Bewährungshilfe kann durch die Zugänge allein nicht erfaßt werden, da die Anzahl der fortzuführenden Bewährungshilfen einbezogen und die Abgänge abgezogen werden müssen. Dieser Bestand an Probanden gestaltete sich am Stichtag des 31. Dezember 1976, wie aus der Übersicht auf Seite 180 folgt. Die in der rechten Spalte ausgewiesenen Fallzahlen sind zunächst nur rechnerische Einheiten, die

sich ergeben, wenn die Summe der Probanden (die nach Erwachsenenstrafrecht und Jugendstrafrecht der Bewährungshilfe unterstellt sind) durch die jeweilige Anzahl der männlichen oder weiblichen Bewährungshelfer geteilt wird. Diese Aufteilung ist freilich nicht identisch mit der tatsächlich durchgeführten Geschäftsverteilung. Vielmehr werden weibliche Bewährungshelfer vor allem auch für männliche Jugendliche und Heranwachsende eingesetzt. Die Insgesamt-Berechnungen in der dritten Linie (Verhältnis der Gesamtzahl der Probanden zur Gesamtzahl der Bewährungshelfer) zeigen, daß die allgemein anerkannte Richtzahl von 40 Probanden pro Bewährungshelfer in fast keinem Land eingehalten werden konnte. Der Übersicht zufolge waren die Verhältnisse in Berlin am günstigsten, im Saarland am ungünstigsten. Freilich darf die Bedeu-

180

Strafaussetzung zur Bewährung Hauptamtliche Bewährungshelfer und Probanden am 31. Dezember 1976 im Bundesgebiet (einschl. Berlin-West)

Bundesland

Bewährungshelfer

Schleswig-Holstein

m w i

32 5 37

1017 39 1056

1027 32 1059

63,88 57,16

Hamburg

m w i

51 13 64

1869 119 1988

932 72 1004

54,92 14,69 46,75

Niedersachsen

m w i

141 36 177

4258 210 4468

3117 163 3280

52,71 10,36 43,77

Bremen

m w i

25 4 29

903 53 956

387 32 419

51,60 21,25 47,41

NordrheinWestfalen

m w i

301 76 377

9731 468 10199

9377 711 10088

63,48 15,51 53,81

Hessen

m w 1

58 29 87

3084 201 3285

2257 161 2418

92,09 12,48 65,55

Rheinland-Pfalz

m w i

49 7 56

1471 88 1559

1848 124 1972

67,74 30,29 63,05

BadenWürttemberg

m w 1

130 42 172

4347 280 4627

4059 357 4416

64,66 15,17 52,58

Bayern

m w i

114 34 148

3203 282 3485

5201 361 5562

78,72 18,92 61,13

Saarland

m w

14 3 17

527 24 551

988 75 1063

108,21 33,00 94,94

Berlin-West

m w i

59 18 77

1591 130 1721

1023 83 1106

44,31 11,83 36,71

Bundesrepublik insgesamt

m w

974 267 1241

32001 1894 33895

30216 2171 32387

63,88 15,23 53,41

i

Probanden allgemeines Strafrecht Jugendrecht

Fallzahl pro Bewährungshelfer

Quelle: Stat. Bundesamt (Hrsg.): Rechtspflege. Fachserie 10. Reihe 5. Bewährungshilfe.

181

Strafaussetzung zur Bewährung tung der Fallzahl auch nicht überschätzt werden. Sie hängt maßgeblich von der Dauer der Bewährungszeit ab. So kann nach einer intensiven Eingangsphase bei einer deutlichen Aufwärtsentwicklung des Probanden der Arbeitsanfall in der Folgezeit sehr gering sein; wird die Bewährungszeit abgekürzt, rechnet der Proband ab Abgang nicht mehr mit, dauert die Bewährungszeit fort, erhöht er zwar die Fallzahl, kaum hingegen die Arbeitsbelastung usf. Die Angaben zur Bewährungshilfe beziehen sich jeweils nur auf die hauptamtliche Bewährungshilfe. Zuverlässige Zahlen über die ehrenamtliche Be-

währungshilfe im Bundesgebiet liegen bisher nicht vor. Der Anteil ist jedoch vermutlich sehr gering und kann für eine Beurteilung der Gesamtsituation vernachlässigt werden, vgl. im übrigen II A 3. 3.

Führungsaufsicht

Die praktische Bedeutung der Führungsaufsicht liegt überwiegend bei den Fällen, in denen Führungsaufsicht kraft Gesetzes eintritt. Die Gerichte sind bei der Anordnung der Führungsaufsicht bisher sehr zurückhaltend, wie die nachstehende Übersicht zeigt:

Richterlich angeordnete Führungsaufsicht in den Jahren 1976 und 1980 Straftaten Erwachsenen 1976 1980 insgesamt

gegen die sexuelle Selbstbestimmung Diebstahl und Unterschlagung

m w i

325 5 330

308 8 316

m w

21

19

-

-

I

21

19

201 3 204

178 2 180

34

m w i

Raub und Erpressung

andere Vermögensdelikte

m

m w i

Anordnung gegenüber Heranwachsenden 1976 1980 18 -

18

29 2 31

2

3

-

-

2

3

Jugendlichen 1976 1980 1

6

-

1

6

_ -

-

9

7

-

-

5

9

7

30

4

5

1

34

30

4

5

1

46 2 48

49 5 54

_

2

-

-

-

2

-

5

1 -

1

Quelle: Stat. Bundesamt (Hrsg.): Rechtspflege. Fachserie 10. Reihe 3. Strafverfolgung 1976 und 1980.

Bislang wird Führungsaufsicht fast nur gegenüber männlichen erwachsenen Vermögenstätern angeordnet, bei Jugendlichen und Heranwachsenden will man offenbar die weitere Entwicklung abwarten und sie noch nicht mit dem erheblichen Stigma der Führungsaufsicht belasten. Die Strafbestimmung des §145a StGB, wonach Verstöße gegen detailliert umrissene Weisungen gemäß § 68 b Abs. 1 StGB mit Freiheitsstrafe oder mit Geldstrafe auf Antrag der Aufsichtsstelle geahndet werden können, hat nur zu vereinzelten Verurteilungen (Geldstrafe) geführt. In der Praxis sind bisher

Schwierigkeiten aufgetreten, weil die Staatsanwaltschaften das Verfahren etwa wegen geringer Schuld oder der Abwesenheit des Beschuldigten einstellten. Gegenüber der richterlich angeordneten Führungsaufsicht fällt die kraft Gesetzes eintretende Führungsaufsicht stärker ins Gewicht. Genaue Zahlenangaben aufgrund der allgemeinen Statistiken sind allerdings nur zum Teil möglich. Zunächst ergibt sich aus der Strafvollzugsstatistik die Zahl derer, die aus dem Maßregelvollzug der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und

182

Strafaussetzung zur Bewährung

Abgänge aus der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt in den Jahren 1976 und 1980 Art der Unterbringung

Jahr

Abgänge davon bedingt insgesamt entlassen

bedingt entlassene bedingt entlassene männliche Unter- weibliche Untergebrachte gebrachte

Unterbringung in einem 1976 psychiatrischen Krankenhaus gem. i 63 StGB 1980

753

136 (18,1 %)

133

3

844

129(15,3%)

128

1

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB

1976

373

151 (40,5 %)

149

2

1980

799

88(11%)

82

6

1976

112

35 (31,3%)

35

-

1980

317

28 (8,8 %)

24

4

darunter: Entziehungsfälle ohne Trunksucht

Quelle: Stat. Bundesamt (Hrsg.): Rechtspflege. Fachserie 10. Reihe 4. Strafvollzug. 1976, 1980.

der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedingt entlassen wurden, bei denen also gemäß § 67 d Abs. 2 StGB die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt wurde. In diesen Fällen tritt Führungsaufsicht ein. Diese Führungsaufsichtsfälle sind mithin für 1976 auf 287 und für 1980 auf 217 zu beziffern. Wie bei der richterlich angeordneten Führungsaufsicht werden auch hier fast ausschließlich männliche Personen betroffen. Die Vollstreckungsaussetzungen machen nur einen gewissen Anteil aller Abgänge aus, der bei der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt noch bemerkenswert abgenommen hat. Bei Drogenabhängigen betrug er 1980 nicht einmal 10%. Daraus darf indessen nicht der Schluß gezogen werden, daß die Untergebrachten in der überwiegenden Zahl der Fälle ohne weitere ambulante Maßnahmen in die Freiheit entlassen werden. Eine schlichte Entlassung aus der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist vielmehr, von seltenen Ausnahmefällen abgesehen, rechtlich gar nicht möglich. Als Abgangsgrund kommt insoweit wohl überwiegend die Aufnahme in andere stationäre Einrichtungen in Betracht. Die bedingten Entlassungen markieren in der Praxis nicht selten auch nur einen Wechsel des Unterbringungsgrundes, wenn die Klienten anschließend durch einen Vormund mit richterlicher Zustimmung gemäß § 1800 Abs. 2 BGB wiederum untergebracht werden. Die Maßregeln gemäß den §§ 63 und 64 StGB müssen in

der Regel vor einer zugleich verhängten Freiheitsstrafe vollzogen werden (§ 67 StGB - Grundsatz des Vikariierens). Gerade bei Kapitalverbrechen kann deshalb der Abgang aus dem psychiatrischen Krankenhaus den Übergang in den Strafvollzug bedeuten. Soweit ein Verzicht auf den Strafvollzug vertretbar erscheint, sind Gesetz und Praxis freilich bestrebt, einen Erfolg der Maßregel nicht durch eine anschließende Strafhaft wieder aufzuheben, sondern einen durch Anrechnung des Maßregelvollzuges noch nicht erledigten Strafrest möglichst zur Bewährung auszusetzen (vgl. die bes. Vorschrift des §67 Abs. 5 StGB). Die Restaussetzung einer zugleich verhängten Freiheitsstrafe kann auch in Fällen zu einer ambulanten Nachbetreuung (durch Bewährungsshilfe) führen, in denen eine Maßregelaussetzung und Führungsaufsicht wegen Ablaufs der Höchstfrist für den Maßregelvollzug ausgeschlossen sind. Das ist hinsichtlich der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedeutsam, für die die Höchstfrist mit zwei Jahren vergleichsweise kurz bemessen ist (vgl. §67d Abs. 1 StGB). Inwieweit Führungsaufsicht durch anfängliche Vollstreckungsaussetzung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt eintritt (§67b StGB), läßt sich der Strafverfolgungsstatistik nicht entnehmen. Die ungefähren Größenordnungen werden jedoch sichtbar, wenn man sich die Zahlen der Abgeurteilten vor Augen führt, bei denen eine entsprechende Unterbringung überhaupt angeordnet wurde:

Strafaussetzung zur Bewährung

183

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§63 StGB) und in einer Entziehungsanstalt (§64 StGB) - richterliche Anordnungen in den Jahren 1976 und 1980 -

Geschlecht männlich

gegenüber Erwachsenen

gegenüber Heranwachsenden gegenüber Jugendlichen

§63 StGB

§64 StGB

§63 StGB

§64 StGB

§63 StGB

§64 StGB

1976

1980

1976

1980

1976

1980

1976

1980

1976

1980

1976

1980

315

292

274

447

46

39

89

58

28

16

11

5

20

12

12

52

1

4

16

19

-

3

2

4

335

304

286

499

47

43

105

77

28

19

13

9

weiblich insgesamt

Quelle: Stat. Bundesamt (Hrsg.): Rechtspflege. Fachserie 10. Reihe 3. Strafverfolgung. 1976 und 1980.

Es ist davon auszugehen, daß nur bei einem kleinen Bruchteil der Anordnungen eine anfängliche Vollstreckungsaussetzung erfolgt ist. Das gilt vor allem bezüglich der angestiegenen Unterbringung Erwachsener in einer Entziehungsanstalt. Damit dürfte die praktische Bedeutung der Führungsaufsicht infolge anfänglicher Maßregelaussetzung die der nachträglichen jedenfalls nicht übersteigen. Beachtlich ist vor allem die (zahlenmäßig größte) Fallgruppe derer, die aus der Sicherungsverwahrung entlassen wurden und damit stets unter Führungsaufsicht stehen (gemäß § 67 d Abs. 2 oder sehr selten - Abs. 4 StGB). Im Jahre 1976 sind 606 Abgänge aus der Sicherungsverwahrung registriert worden (1980 waren es 616 Abgänge), deswegen ist

insoweit von einer entsprechenden Zahl von Führungsaufsichten auszugehen. Aus den bisher veröffentlichten Statistiken nicht zu entnehmen ist die nicht unbedeutende Gruppe der „Vollverbüßer" (§ 68f Abs. 1 StGB), bei denen die Führungsaufsicht an eine wegen einer vorsätzlichen Straftat vollständig vollstreckte Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren anschließt. Eine vorläufige Einschätzung der praktischen Bedeutung der einzelnen Unterstellungsgründe erlaubt jedoch die nachstehende Übersicht, deren Zahlen von der Hamburger Justizbehörde mitgeteilt wurden. Sie sind allerdings für das gesamte Bundesgebiet nicht unbedingt repräsentativ und wegen der erst sehr kurzen Lebensdauer der Maßregel mit Vorsicht zu werten.

Unterstellung unter Führungsaufsicht (FA) - Bestand am 31. Dezember 1978 nach allgemeinem Strafrecht Bundesland

insgesamt

Bayern 618 Hamburg 218

Aussetzung der Unterbringung

Entscheidung des erkennenden Gerichts „VollRückfalltäter s. §5 68 Abs. 1 Nr.l, 48 StGB

156 36

Delikte, bei denen FAbesonders vorgesehen ist, § 68 A b s . l Nr.2 StGB

anfängverbüßer" gem. liehe Aus§ 68 f StGB Setzung der Unterbringung gem. § 67b Abs. 2 StGB

nach vollzogener Freiheitsstrafe gem. § 67c A b s . l StGB

38 14

45

76

30

18

18

6

gem. 1 6 7 c Abs. 2 StGB spätere Aussetzung der Unterbringung

nachträglich nach vorausgegangenem Vollzug gem. § 67d Abs. 2 StGB

gem. Art. 314 Abs. 2 S. 1 EGStGB bedingte Aussetzung der Unterbringung vor dem 1.1.1975

399 86

64 24

49 7

8 -

nach Jugendstrafrecht Bayern 85 4 Hamburg 1 2 -

3 -

13 2

3

6 -

2 -

Daten zur Führungsaufsicht in Baden-Württemberg gibt nunmehr E. M. Schulz (1982).

vollständige Vollstreckung der ersten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, FA gem. § 67 d Abs. 4 StGB

184

Strafaussetzung zur Bewährung

Die Aufstellung veranschaulicht, daß das Schwergewicht der Führungsaufsicht in der Praxis bei den besonders kriminell Vorbelasteten liegt. Sie treten vornehmlich als aus der Sicherungsverwahrung Entlassene in Erscheinung, daneben aber auch als Rückfalltäter. Der Anteil der möglicherweise noch nicht zu stark belasteten, aber prognostisch ungünstig beurteilten „Vollverbüßer", bei denen keine Reststrafenaussetzung vorgenommen wurde, ist demgegenüber geringer.

II. BEWÄHRUNGSHILFE UND FÜHRUNGSAUFSICHT - ORGANISATION UND AKTIVITÄTEN A. Die Organisation der Bewährangshilfe und der Führungsaufsicht 1.

Bewährungshilfe

Während die materiellen Aufgaben der Bewährungshelfer und der Führungsaufsichtsstelle im wesentlichen bundesgesetzlich einheitlich geregelt sind, liegt die verwaltungsmäßige Organisation dieser Einrichtungen entsprechend der föderativen Struktur der Bundesrepublik hauptsächlich bei den einzelnen Bundesländern. Die ressortbezogene Eingliederung der Bewährungshilfe erfolgte in den einzelnen Ländern in unterschiedlicher Weise. Überwiegend wurde die Bewährungshilfe durch Landesgesetze, aber auch durch bloße Verwaltungsvorschriften, der Justiz zugeordnet und dort wiederum den Landgerichten (Landgerichtspräsidenten). Bezüglich des Jugendrechts schreibt § 113 S. 1 JGG vor, daß in der Regel für den Bezirk eines jeden Jugendrichters mindestens ein hauptamtlicher Bewährungshelfer anzustellen ist. Die RessortZuordnung ist zunächst bedeutsam für die Auswahl und Einstellung der Bewährungshelfer und für die Dienstaufsicht. Die Dienstaufsicht umfaßt einerseits die Fürsorgepflicht gegenüber den Beamten oder Angestellten, andererseits Disziplinarbefugnisse sowie vor allem auch die geschäftsmäßige Organisation der Arbeit, z. B. Regelung der Anwesenheit, der Aktenführung, der Textverarbeitung usw. Die Dienstaufsicht ist zwar von der Fachaufsicht zu trennen und hat sich grundsätzlich auf eine allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle zu konzentrieren, strahlt aber doch schon wegen der Organisationsbefugnisse des Dienstvorgesetzten auf die praktische Arbeit des Bewährungshelfers aus. Die verwaltungsmäßige Zuordnung der Bewährungshilfe zu einem bestimmten Ressort wirkt sich auf die praktische Arbeit der Bewährungshelfer auch insofern aus, als Behördenstruktur und die übrigen Tätigkeitsfelder der Behörde und deren Arbeitsschwerpunkte eine unterschiedliche Nähe zur Sozialarbeit aufweisen.

2. Führungsaufsicht und soziale Dienste der Justiz Bezüglich der Führungsaufsicht bestimmt das Bundesrecht durch Art. 295 A b s . l EGStGB, daß die Führungsaufsichtsstellen in den Geschäftsbereich der Landesjustizverwaltungen fallen. Sie sind in den Ländern zumeist bei den Landgerichten errichtet worden. Art. 295 Abs. 2 EGStGB läßt es zu, daß der Leiter der Aufsichtsstelle kein Richter und Jurist, sondern ein sozialwissenschaftlich qualifizierter Beamter des höheren Dienstes ist. Als Mitarbeiter oder Beauftragte der Aufsichtsstelle kommen Beamte des höheren Dienstes (z. B. Psychologen, Soziologen), Sozialarbeiter/Sozialpädagogen oder Beamte des gehobenen Dienstes in Betracht. Diese bundeseinheitliche Verortung der Führungsaufsichtsstelle bei der Justizverwaltung legt es bereits aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und größerer Transparenz nahe, die verschiedenen sozialen Bereiche der Justiz organisatorisch in einer Verwaltungseinheit, dem Sozialen Dienst oder Sozialdienst der Justiz, zusammenzuführen. Eine dahingehende Zielvorstellung liegt denn auch der bundesgesetzlichen Regelung des EGStGB zugrunde, die eine durchgängige ambulante Betreuung begünstigen möchte. Eine derartige Neuordnung der sozialen Dienste wurde seit 1978 in verschiedenen Bundesländern in die Wege geleitet und hat teilweise zu entsprechenden Gesetzen geführt (z. B. SozDG des Saarlandes v. 6.7.1976). Die Entwicklung ist jedoch noch im Fluß. Die sozialen Dienste, die in einer organisatorischen Einheit verankert werden sollen, sind die Bewährungshilfe, die Gerichtshilfe für Erwachsene und die Führungsaufsicht. Die Gerichtshilfe für Erwachsene (§160 Abs. 3 S. 2 StPO) wird durch Art. 294 EGStGB ebenfalls den Landesjustizverwaltungen zugewiesen, allerdings kann hier die Landesregierung im Wege einer Rechtsverordnung auch eine andere Behörde aus dem Bereich der Sozialverwaltung mit den Aufgaben der Gerichtshilfe betrauen. Die bisherigen Regelungen beziehungsweise Überlegungen zum einheitlichen Sozialdienst der Justiz gehen von folgenden Grundsätzen aus: Der Leiter der Führungsaufsichtsstelle leitet zugleich die gesamte Dienststelle, ist folglich auch der Dienstvorgesetzte aller Bewährungshelfer. Die Sozialarbeiter, die der Dienststelle zugeordnet sind, können sowohl als Bewährungshelfer im Rahmen der Bewährungshilfe, als Bewährungshelfer im Rahmen der Führungsaufsicht, als Mitarbeiter oder Beauftragte der Führungsaufsichtsstelle als auch als Gerichtshelfer eingesetzt werden (Prinzip der Austauschbarkeit). Für dieses Modell wird angeführt, es erleichtere eine reibungslose Zusammenarbeit der Dienste und begünstige eine längerfristige Betreuung des Probanden durch denselben Sozialarbeiter. Dagegen wird geltend gemacht, daß die gesamte Dienststelle zu stark von der Führungsauf-

Strafaussetzung zur Bewährung sieht geprägt werde und daß den Sozialarbeitern zu wenig Einfluß auf die dann sehr bedeutsame Geschäfts Verteilung eingeräumt werde. Es würden zudem erhebliche Rollenkonflikte vorprogrammiert. 3. Ehrenamtliche Bewährungshilfe Die im Ausland (z.B. USA, Japan) teilweise sehr bedeutsame Einrichtung der ehrenamtlichen Bewährungshilfe (Volunteers, Aides) sieht auch unser Erwachsenen- und Jugendkriminalrecht ausdrücklich vor (s. §§ 56d Abs. 5 StGB, 24 Abs. 1 S. 2 JGG). §14 Abs. 3 WStG und §112a Nr. 4 JGG nennen den Soldaten der Bundeswehr als möglichen Bewährungshelfer für Wehrdienstleistende. Das Jugendrecht geht allerdings vom Regelfall des hauptamtlichen Bewährungshelfers aus. Der Begriff des ehrenamtlichen Helfers kann unterschiedlich gefaßt und nuanciert werden. Unterscheidungskriterien sind die Bezahlung, die zeitliche Inanspruchnahme und die fachliche Qualifikation. Ganz trennscharf differenzieren freilich alle drei Kriterien nicht, da auch ehrenamtliche Helfer eine Aufwandsentschädigung erhalten, erhebliche Zeit (etwa im Rahmen der Tätigkeit eines Wohlfahrtsverbandes) für ihre Probanden investieren und auch sozialpädagogisch ausgebildet sein können. Gewöhnlich unterscheidet man auf formal-organisatorischer Ebene und bezeichnet diejenigen als ehrenamtliche Helfer, die außerhalb der staatlichen Institution der Bewährungshilfe arbeiten. Ihr Einsatz ist in allen Bundesländern landesrechtlich geregelt. Den ehrenamtlichen Bewährungshelfern werden Bestallungen oder Dienstausweise erteilt. Insgesamt spielt die ehrenamtliche Bewährungshilfe in der Bundesrepublik nur eine recht unbedeutende Rolle. In den Ländern Bayern, Berlin und Rheinland-Pfalz etwa ist die Zahl der ehrenamtlichen Bewährungshelfer äußerst gering. Niedersachsen verfügte 1976 immerhin über 92 Helfer (gegenüber 177 hauptamtlichen). Ein Überblick und genauere Zahlen über die ehrenamtliche Bewährungshilfe fehlen leider zumeist. Der Personenkreis der ehrenamtlichen Bewährungshelfer dürfte sehr heterogen zusammengesetzt sein (Hausfrauen, Studenten, Sozialpädagogen aus anderen Bereichen, Angehörige des Probanden, Arbeitskollegen usf.). Ehemalige Straffällige (Ex-offenders) werden in der Bundesrepublik nur selten als ehrenamtliche Bewährungshelfer eingesetzt.

B. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Tätigkeit der Bewährungshelfer und der Führungsaufsichtsstelle Die Regelungen des Bundesrechts zur rechtlichen Stellung des Bewährungshelfers gelten für die

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hauptamtlich und die ehrenamtlich geleistete Bewährungshilfe gleichermaßen. Mit der Generalklausel, der Bewährungshelfer stehe dem Verurteilten helfend und betreuend zur Seite (§§56d Abs. 3 S. 1 StGB, 24 Abs. 2 S. 1 JGG), benennt das Gesetz im Grunde nur die zentrale sozialpädagogische Komponente im Aufgabenkreis des Bewährungshelfers. Damit ist keine methodische Verengung auf die Einzelfallhilfe verbunden, obgleich natürlich der individuelle Aspekt den entscheidenden Anknüpfungspunkt bildet. Diese Tätigkeit wird vom Bewährungshelfer in eigener Regie und Verantwortung ausgeführt; freilich hat der Richter die Möglichkeit, die Pflichten des Probanden und auch Angebote an den Probanden mit Hilfe von Weisungen vorzustrukturieren. Die Anweisung des Bewährungshelfers kommt hauptsächlich als Korrekturinstrument in Frage. Sie ist in jedem Fall problematisch und nicht selten dysfunktional, weil ihr Ziel bei einer Frontstellung von Richter und Bewährungshelfer kaum erreichbar erscheint. In solchen Fällen dürfte eine - gesetzlich nicht besonders vorgesehene, aber rechtlich zulässige - Auswechslung des Bewährungshelfers die vergleichsweise noch bessere Alternative darstellen. Wenn das Gesetz die Kontrollfunktionen, in erster Linie die Überwachung von Auflagen, Weisungen, Anerbieten oder Zusagen, erst an zweiter Stelle erwähnt, so darf man darin auch eine Bedeutungsabstufung erblicken. Die Überwachungsfunktion erfolgt im Einvernehmen mit dem Gericht. Insoweit handelt es sich um eine ebenfalls dem Richter übertragene Aufgabe (vgl. §453b Abs. 1 StPO), deren sinnvolle Erfüllung das gegenseitige Einverständnis voraussetzt. Eine Pflicht des Richters, den Bewährungshelfer vor weiteren Entscheidungen im Bewährungsverfahren zu hören, ist im Erwachsenenstrafrecht nicht gesetzlich normiert (vgl. § 453 Abs. 1 S. 2 StPO, der nur den Staatsanwalt und den Angeklagten nennt). Das Jugendrecht erweist sich hier als überlegen (s. §58 Abs. 1 S. 2 JGG, der den Bewährungshelfer ausdrücklich einbezieht). Entsprechendes müßte für das Erwachsenenstrafrecht gelten, zumindest bedeutet die Anhörung des Bewährungshelfers ein nobile officium. Mitunter dürfte in Anbetracht der sehr differenzierenden und zurückhaltenden Widerrufsbestimmungen ein Widerruf ohne Anhörung des bestellten Bewährungshelfers als Verstoß gegen die richterliche Aufklärungspflicht zu werten sein. Der Kontakt zwischen Richter und Bewährungshelfer wird durch die Berichtspflicht des Bewährungshelfers gesichert. Der Bericht wird in der Regel, obgleich das Bundesrecht insoweit schweigt, schriftlich abgefaßt und in die Strafakte aufgenommen. Es entstehen damit sämtliche Etikettierungsgefahren und -probleme, die mit einer entscheidungsvorbereitenden, also kontextabhängigen, selektiven und legitimierenden Mitteilung sozialer „Tatsa-

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chen" verbunden sind. Ausführlichkeit, Schwerpunktsetzung und Häufigkeit der Berichterstattung hängen wesentlich vom Richter ab. Bei „gröblichen oder beharrlichen Verstößen" gegen Bewährungspflichten wird der Bewährungshelfer vom Gesetz zu Eigeninitiativen angehalten (s. §§56d Abs. 3 S . 4 StGB, 25 S . 4 JGG). Wann Verstöße grob oder beharrlich sind, das unterliegt wiederum der Interpretation des Bewährungshelfers, der sich freilich an den Grundsätzen zu orientieren hat, die zur Auslegung dieser Begriffe entwickelt worden sind. Die Meldepflicht, die sich selbstverständlich nur auf das Gericht und nicht auf die Strafverfolgungsbehörden bezieht, hindert den Bewährungshelfer, den Probanden um jeden Preis zu „decken", sie setzt zugleich dem Vertrauensverhältnis zum Probanden deutliche Schranken, die der Bewährungshelfer zu Beginn seiner Arbeit offenlegen sollte. Auch für den Probanden sichtbar wird die Kooperation zwischen Bewährungshelfer und Gericht bei Anhörungsterminen, die überwiegend anberaumt werden, wenn sich die Arbeit mit dem Probanden als schwierig erweist. Der Richter gerät dann leicht in eine ähnliche Rolle wie der berufstätige Vater, dem am Abend die „Schandtaten" seines Sohnes vorgetragen werden und der daraufhin eine eindringliche Ermahnung erteilt. Ein Anhörungstermin erscheint indessen auch angezeigt, um beispielsweise vor neuen, grundsätzlichen Ausbildungs- oder Berufsentscheidungen ein gemeinsames klärendes Gespräch zu führen, an dem zugleich die Eltern zu beteiligen sind. Von den Terminen, die in Durchführung des Bewährungsverfahrens anberaumt werden, sind Verhandlungen zu unterscheiden, die wegen des Vorwurfs neuer Straftaten während der Bewährungszeit oder auch wegen früherer, nicht abgeurteilter Taten erfolgen. Hier ist eine Beteiligung des Bewährungshelfers wünschenswert und sachgerecht. Lediglich das J G G bestimmt in §48 Abs. 2, daß dem Bewährungshelfer selbst bei einer nichtöffentlichen Verhandlung die Anwesenheit gestattet ist. Es fehlt bislang eine gesetzliche Verankerung der richterlichen Pflicht, grundsätzlich auch den Bewährungshelfer zu hören. Gegenwärtig ist die prozeßrechtliche Stellung des Bewährungshelfers unklar; ist er als Zeuge, als Sachverständiger oder gar als (Jugend-)Gerichtshelfer zu beteiligen? Alle diese Beteiligungsformen sind unbefriedigend. Das gilt vor allem für die Zeugenrolle. Der Zeuge darf gemäß den §§243 Abs. 2 S. 1, 58 Abs. 1 StPO vor seiner Vernehmung nicht anwesend sein und hat sich auf die Schilderung von Tatsachen zu beschränken, außerdem besteht das Problem der Aussagegenehmigung (vgl. §54 Abs. 1 u. 4 StPO). Wird dem Bewährungshelfer die Rolle des Gerichtshelfers übertragen, was im übrigen gar nicht immer möglich ist, gerät er leicht in einen Rollenkonflikt und in eine Vertrauenskrise mit seinem Probanden.

In der Vergangenheit ist wiederholt gefordert worden, dem Bewährungshelfer ein Zeugnisverweigerungsrecht einzuräumen, eben um Rollenkonflikte zu vermeiden. Ein Zeugnisverweigerungsrecht kann sich nur auf Zeugenvernehmungen erstrekken, nicht hingegen auf die Berichtspflichten, die im laufenden Bewährungsverfahren zu erfüllen sind. Soweit der Bewährungshelfer als besonderer Verfahrensbeteiligter an gerichtlichen Verhandlungen teilnehmen und dort entsprechend seinem gesetzlichen Auftrag berichten kann, ist für Weigerungsrechte kein Raum. Anders sieht es aus, wenn ihm im Wege einer Zeugenvernehmung das Konzept seiner Äußerungen durch gezielte Fragen aus der Hand genommen wird, weil dadurch - möglicherweise unbeabsichtigt - Dinge zur Sprache kommen, die der Bewährungshelfer auch in Verantwortung vor seinem gesetzlichen Auftrag hätte verschweigen dürfen. Durch die Formulierung, daß gröbliche und beharrliche Verstöße gegen Bewährungspflichten mitzuteilen sind, bringt das Gesetz nämlich zum Ausdruck, daß lange nicht alle Pflichtwidrigkeiten benannt zu werden brauchen. Außerdem müssen die mitzuteilenden Tatsachen eine besondere Nähe und Relevanz für die Kriminalprognose aufweisen. Das geltende Recht kennt ein Zeugnisverweigerungsrecht nur für Sozialarbeiter in bestimmten Beratungsstellen, so daß Konfliktlagen des in den Zeugenstand versetzten Bewährungshelfers unberücksichtigt bleiben. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Gesetzeskraft entschieden, daß die Versagung des Zeugnisverweigerungsrechtes mit der Verfassung in Einklang steht (s. BVerfGE 33.367). In umgekehrter Hinsicht wird die unbefugte Verletzung (und nur diese!) von Privatgeheimnissen des Probanden gemäß § 203 StGB mit Strafe bedroht. Ein Anweisungsrecht besteht zwar für den Richter gegenüber dem Bewährungshelfer, nicht aber für den Bewährungshelfer gegenüber dem Probanden. Eine richterliche Weisung, den Anordnungen des Bewährungshelfers Folge zu leisten, ist ebenfalls unzulässig. Der Bewährungshelfer hat jedoch eine Leitungsfunktion; falls sich der Proband beharrlich der Leitung durch den Bewährungshelfer entzieht, bedeutet das sogar einen Widerrufsgrund (s. §§ 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB, 26 Abs. 1 Nr. 2 JGG). Zur Leitung des Probanden gehört es, die dem Probanden erteilten Weisungen zur konkretisieren und inhaltlich auszufüllen. Eine mangelnde Mitarbeit des Probanden vermag dann einen Weisungsverstoß darzustellen. Ebenfalls hat der Bewährungshelfer die Möglichkeit, nachträgliche oder zusätzliche Weisungen anzuregen. Kommt sonst oder trotzdem das notwendige Zusammenwirken nicht zustande, bleiben die Beantragung eines Anhörungstermins und die Erstellung eines Berichts. Für ein eigenes Anweisungsrecht des Bewährungshelfers dürfte deswegen kaum ein berechtigtes Bedürfnis vorhanden sein.

Strafaussetzung zur Bewährung Besondere Regelungen des Verhältnisses des Bewährungshelfers zu Dritten enthält das Jugendrecht in §24 Abs. 2 JGG. Bei Jugendlichen, die noch nicht volljährig sind und für die noch ein allgemeines Erziehungsrecht der Eltern besteht, ergibt sich eine Parallelität dieser Befugnisse zu den Betreuungsrechten und -pflichten des Bewährungshelfers. Damit daraus kein unfruchtbares und schädliches Gegeneinander erwächst, wird dem Bewährungshelfer aufgegeben, mit dem oder den Erziehungsberechtigten und dem/den gesetzlichen Vertreter(n) vertrauensvoll „zusammenzuwirken". Der Bewährungshelfer hat das Recht auf Zutritt zu dem Jugendlichen. Befindet sich der Proband in Untersuchungshaft, ist dem Bewährungshelfer der Verkehr mit ihm in demselben Umfang wie einem Verteidiger gestattet (s. § 93 Abs. 3 JGG). Um in der Lage zu sein, seine Hilfs- und Kontrollfunktionen wirkungsvoll zu erfüllen, kann der Bewährungshelfer vom Erziehungsberechtigten, dem gesetzlichen Vertreter, der Schule, dem Lehrherrn oder dem sonstigen Leiter der Berufsausbildung Auskunft über die Lebensführung des Jugendlichen verlangen. Falls (schon volljährige) Heranwachsende nach Jugendrecht verurteilt worden sind, gelten diese Bestimmungen entsprechend (§ 105 Abs. 1 JGG), so daß auch insoweit beispielsweise der Lehrherr zur Auskunft verpflichtet ist. Die Gesetze enthalten besondere Bestimmungen für Probanden, die ihren Wehrdienst ableisten. Soweit ein Kamerad oder ein Vorgesetzter als (ehrenamtlicher) Bewährungshelfer bestellt wird, kann ihm der Richter keine Anweisungen geben (s. § 14 Abs. 3 WStG und § 112a Nr.4 JGG). Gemäß § 14 Abs. 4 WStG und §112a Nr. 5 JGG sind von der Überwachung durch einen Bewährungshelfer, der nicht Soldat ist, Angelegenheiten ausgeschlossen, für welche die militärischen Vorgesetzten zu sorgen haben. Maßnahmen des Disziplinarvorgesetzten haben den Vorrang. Die Tätigkeiten im Rahmen der Führungsaufsicht werden durch das Wechselspiel zwischen Führungsaufsichtsstelle und Bewährungshilfe gekennzeichnet. Die Bewährungshelfer, die zusammen mit der Aufsichtsstelle die Führungsaufsicht bewerkstelligen, sind keine unselbständigen Repräsentanten oder gar Untergebene der Aufsichtsstelle, sondern handeln als vom Gericht bestellte Bewährungshelfer. Daher sind auch ehrenamtliche Bewährungshelfer zugelassen. Ihre Hilfsfunktion können die Bewährungshelfer indessen nicht in eigener Regie wahrnehmen, vielmehr sagt §68a Abs. 2 StGB, daß die Bewährungshelfer im Einvernehmen mit der Aufsichtsstelle dem Verurteilten helfend und betreuend zur Seite stehen. Dadurch soll die Aufsichtsstelle zu einer Art Sozialagentur werden, die nicht lediglich beaufsichtigt und kontrolliert, sondern an erster Stelle auch Förderungsleistungen für den Probanden erbringt oder veranlaßt. Die Notwendigkeit des Einvernehmens von Aufsichts-

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stelle und Bewährungshelfer(n) verlangt eine Auseinandersetzung über die Art und Weise der Hilfegewährung und die einzuschlagenden Wege. Die Aufsichtsstelle kann dem Bewährungshelfer nicht schlichtweg Anweisungen erteilen. Der Gesetzgeber hat die Gefahr von Meinungsverschiedenheiten antizipiert und deshalb das Gericht, in der Regel das erkennende Gericht oder das Vollstreckungsgericht, als eine übergeordnete Schlichtungsinstanz vorgesehen (s. §68a Abs. 4 StGB). Auch kann das Gericht der Aufsichtsstelle und dem Bewährungshelfer fachliche Anweisungen erteilen (s. §68a Abs. 5 StGB). Da eine wiederholte Einschaltung des Gerichts die Arbeit verzögern und erschweren wird, empfiehlt es sich, daß Aufsichtsstelle und Bewährungshelfer zu Beginn der Führungsaufsicht die einzuschlagende Marschroute im Groben einvernehmlich festlegen. Die Überwachung der Lebensführung und des Verhaltens des Probanden, vor allem die Überwachung der Weisungen, ist gemeinsame Aufgabe des Gerichts und der Aufsichtsstelle. Insoweit fällt dem Bewährungshelfer lediglich eine unterstützende Tätigkeit zu. Darin liegt eine nicht unbedeutende Entlastung. Der Bewährungshelfer darf mithin seinen Arbeitsschwerpunkt in der Hilfegewährung erblicken. Die gesetzlichen Handlungsspielräume der Aufsichtsstelle sind erheblich. Zum einen kann sich die Aufsichtsstelle in sehr unterschiedlichem Ausmaß in die Arbeit des Bewährungshelfers mit dem Probanden einschalten. Sie kann ihr Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrecht extensiv wahrnehmen, sich aber auch mehr darauf beschränken, den Bewährungshelfer bei besonderen Schwierigkeiten durch Fachkräfte (Psychologen, Psychiater, Soziologen) zu unterstützen. Letzteres erscheint als die bessere Alternative. Im Hinblick auf die Überwachung gibt §463a Abs. 1 StPO der Aufsichtsstelle recht weitgehende Befugnisse, von denen wiederum ein unterschiedlicher Gebrauch gemacht werden kann. Alle öffentlichen Behörden, insbesondere die Polizei, sind der Aufsichtsstelle gegenüber zur Auskunft verpflichtet, ferner müssen sie auf Antrag der Aufsichtsstelle im Rahmen ihrer Zuständigkeit Ermittlungen jeder Art für die Aufsichtsstelle vornehmen. Damit werden die Grenzen der allgemeinen Amtshilfe überschritten. Die Aufsichtsstelle darf auch selbst Ermittlungen anstellen, um etwa das Auftreten von Polizeibeamten zu vermeiden; zu eidlichen Vernehmungen ist sie allerdings nicht befugt. Neben den Gefahren, die ein entsprechender Machtzuwachs birgt, besteht zugleich die Chance, daß Leistungen verschiedener Leistungsträger (z.B. Arbeitsamt, Gesundheitsamt, Sozialamt, Jugendamt usw.) besser koordiniert und zu einer schnelleren und wirksameren Hilfe verbunden werden. Die Wirksamkeit des § 463 a StPO wird allerdings schon jetzt gelegentlich angezweifelt. Stellt sich ein Verstoß des Probanden gegen strafbewehrte Weisungen (§ 68 b Abs. 1 StGB) heraus, hängt

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die Strafverfolgung ebenfalls vom Antrag der Aufsichtsstelle ab. Sie hat zwar den Bewährungshelfer vorher zu hören, kann aber den Antrag auch gegen dessen Votum stellen, ohne daß der Bewährungshelfer insoweit eine Entscheidung des Gerichts gemäß § 68 a Abs. 4 StGB herbeizuführen vermag (s. §68a Abs. 6 StGB). Diese Beschränkung ist nicht unproblematisch, denn der Bewährungshelfer wird unter Umständen im anschließenden Strafverfahren als Zeuge der Anklage (zum Beweis des Weisungsverstoßes) herangezogen. C. Sozialarbeit unter den Bedingungen justizieller sozialer Kontrolle 1. Allgemeine Aspekte So sehr auch die neueren gesetzlichen Kodifikationen die Hilfe für den Probanden und dessen Betreuung in den Vordergrund rücken, so deutlich bleibt auf der anderen Seite, daß die Förderung des Probanden nicht allein und nicht primär um seiner selbst willen erfolgt, sondern aus dem gesamtgesellschaftlichen Anliegen der Prävention weiterer Taten. Die soziale Kontrolle vollzieht sich ferner in institutionalisierten Prozessen, sie geschieht durch Institutionen, die über eine längere Tradition verfügen, ge- und verfestigt sind und eine gewisse Resistenz gegenüber unkonventionellen Kontrollstilen besitzen. Obgleich die Bewährungshilfe inzwischen selbst als ein Teil dieses umfassenden Systems der sozialen Kontrolle angesehen werden kann, erscheint doch ihre Aufgabenstellung, die Zielvorgabe der Sozialarbeit, nicht als ein homogener Bestandteil des Kontrollsystems. Anliegen und Stoßrichtung von Sozialarbeit, -pädagogik und -therapie stehen in einem Spannungsverhältnis zu sozialen Konfliktlösungsstrategien, die unerwünschte Verhaltensweisen durch hoheitliche Eingriffe beim „Störer" zu korrigieren suchen. Sozialarbeit im Kontext solcher Strategien kann daher einen innersystematischen Widerspruch bedeuten. Soweit den Sozialarbeitern besondere Überwachungsaufgaben, die aus dem hoheitlichen Eingriffskonzept erwachsen, übertragen werden, wie die Überwachung der Erfüllung von Auflagen und Weisungen, verlagert sich der Konflikt in ihre Person, er wird zum Rollenkonflikt. Das Verhältnis von Strafjustiz und Sozialarbeit ist indessen nicht als schlichter Gegensatz begreifbar. Zum einen schließen Repressionen und ein anfänglicher und auch fortbestehender Zwang des Probanden zur Kooperation mit dem Bewährungshelfer und zur Auseinandersetzung mit ihm sozialpädagogische Methoden nicht rundweg aus. Zum anderen sind das normative Handlungsprogramm und die Handlungsintentionen der meisten Justizjuristen gegenüber sozialpädagogischen Forderungen flexibler und offener geworden. Aus sozialpädagogischer Sicht erscheint der kriminalrechtliche Ansatz bei der Straftat - als dem

Interventionsgrund gegenüber dem Straftäter - als eine erhebliche Verengung. Die Feststellung einer Straftat beruht auf komplexen Wahrnehmungs- und Selektionsprozessen, wodurch die Straftat sogar als „Symptom" für bestimmte persönliche Fehlentwicklungen fragwürdig wird. Das Straffälligwerden ist nicht selten erst vor einem breiteren soziologischen Hintergrund verständlich, wenn sozialstrukturelle Lebensbedingungen, die Zugehörigkeit des Probanden zu bestimmten Randgruppen, etwa zu den Obdachlosen, in den Blick rücken. Bestimmte rechtliche Begriffe, wie beispielsweise der der „schädlichen Neigungen", sind aber individualisierender Natur. Der Bewährungshelfer darf sich weder mit der Kriminaljustiz identifizieren, deren Reaktionspalette überwiegend nicht sozialpädagogisch orientiert ist, er darf aber auch nicht in eine zu große Distanz zur Strafrechtspflege treten und versuchen, den Probanden vor deren Eingriffen um jeden Preis zu bewahren. Bewährungshilfe basiert auf dem Gedanken der Behandlung. Die herkömmliche Vorstellung von dem zu Behandelnden als einem Menschen mit Defiziten und vom Behandler als dem, der durch besondere Einwirkungen diese Defizite ausgleicht, bedarf indessen der Modifizierung. Die Probleme, die angegangen werden sollen, stehen nicht fest, sondern werden konstituiert. Sie müssen vom Bewährungshelfer und Probanden in gemeinsamer Arbeit herausgefunden werden. Freilich wird ein Konsens wegen der unterschiedlichen Lebenswelt des Probanden und des manifesten Vorverständnisses von Problemen beim Bewährungshelfer oft schwerlich herzustellen sein. Persönliche Schwierigkeiten des Probanden sind ferner seltener als angenommen allein in individuellen psychischen Strukturen zu erblicken. Sie haben vielmehr häufig ihre Wurzel in bestimmten Beziehungsstrukturen, so daß Dritte einen erheblichen Anteil daran mittragen. Dieser Personenkreis bleibt für den Bewährungshelfer jedoch schwer erreichbar. Schließlich vermag eine dem vorgenannten Behandlungsverständnis entsprechende - einseitige, wenn auch gutgemeinte, Einwirkung nicht zur Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit hinzuführen. 2. Arbeitsbereiche und Methoden der Bewährungshilfe Die Aufgaben des Bewährungshelfers erschöpfen sich nach heutigem Verständnis nicht in den Kontakten mit Probanden. Ausgehend von dessen Situation und seinen (gemeinsam mit ihm geklärten) Bedürfnissen sind die Kreise wesentlich weiter zu ziehen. Neben den Notwendigkeiten des Augenblicks müssen längerfristige Zielvorstellungen einbezogen werden, die zugleich die immer wiederkehrenden Probleme und Anliegen der Probanden in größeren Zusammenhängen berücksichtigen. Die Arbeitsbereiche erstrecken sich bis hin zur Kommu-

Strafaussetzung zur Bewährung ne und zu den meinungsbildenden Medien und Einrichtungen. Die Möglichkeiten, Chancen und die Notwendigkeit einer derartigen Spektrumserweiterung werden freilich unterschiedlich wahrgenommen, eingeschätzt und beurteilt. Die Frage nach der Breite des Tätigkeitsspektrums hängt nur sehr bedingt mit der in den letzten Jahren geführten Grundsatzdiskussion zusammen, ob Anpassung oder „Gesellschaftsveränderung" das anzustrebende Ziel von Sozialarbeit darstelle. Einflußnahme auf Gemeinde und Öffentlichkeit kann und sollte in erster Linie mehr Information, eine realitätsgerechte Beurteilung der Phänomene und mehr Kritik an verbreiteten Alltagstheorien über Kriminalität und Kriminelle bewirken. Daß ein verstärktes Problembewußtsein späterhin auch die gesamtgesellschaftlichen Lebensbedingungen zu verbessern hilft, bleibt zu erhoffen. Greifbarer sind konkrete und vielleicht nur punktuelle Fortschritte im Umgang mit straffällig Gewordenen. Das methodische Vorgehen des Bewährungshelfers hängt wesentlich von seiner Aus- und Vorbildung ab. Seit ca. 1920 wird die Ausbildung systematisch und schulmäßig betrieben. Die Schulen waren bis ca. 1960 Wohlfahrtsschulen, bis ca. 1970 höhere Fachschulen für Sozialpädagogik oder Sozialarbeit, sie heißen seitdem Fachhochschulen. Wie in vielen anderen Ausbildungszweigen auch hat eine Verwissenschaftlichung und Verlängerung der Ausbildung stattgefunden. Als Absolventen dieser Schulen und nach einem Berufspraktikum verfügen alle hauptamtlichen Bewährungshelfer über theoretische und praktische Kenntnisse der Einzelfallhilfe (case work), teilweise auch der Gruppenarbeit (group work) sowie der Gemeinwesenarbeit (community Organization). Im Bereich der Einzelfallhilfe kann man zwischen Tätigkeiten unterscheiden, die verschiedenartige praktisch-materielle Geschäftsbesorgungen (Wohnungs- und Arbeitsvermittlung, Schuldenregulierung usw.) zum Gegenstand haben, und solchen, die mehr auf der Linie einer psychischen Hilfestellung (z. B. Korrektur von Reaktions- und Verhaltensmustern) liegen. Spannungen zwischen Proband und Bewährungshelfer haben ihren Ursprung mitunter darin, daß Aufgaben und gegenseitige Erwartungen beider Interaktionspartner schwer auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind. Der Proband ist etwa nur an bestimmten materiellen Zuwendungen interessiert und ansonsten „verschlossen", der Bewährungshelfer fühlt sich ausgenutzt und vermag sein Selbstbild als anspruchsvoller Helfer nicht zu verwirklichen. Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, wenn Bewährungshelfer und Probanden den Erfolg der Betreuung unterschiedlich beurteilen. Das Rollenverständnis als psychischer Helfer trägt gewisse idealistische Züge, die kaum in der Praxis eingelöst werden können. Erforderlich wäre die Verfügbarkeit bestimmter psychologischer Verfahren (klient-

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zentrierte nondirektive Gesprächstherapie, verhaltenstherapeutische Verfahren, kommunikationstheoretische Ansätze usf.), die es inzwischen zwar in fast unüberschaubarer Fülle gibt, die aber nicht hinlänglich für die Klientel der Bewährungshilfe spezifiziert und unter den justiziellen und sozialen Rahmenbedingungen eines Bewährungsverfahrens erprobt worden sind. Sie werden zudem in der Ausbildung wenig vermittelt. Aber auch die praktisch-materiellen Hilfen scheinen nur einen Teil der Tätigkeit der Bewährungshelfer auszumachen, die wie eine niederländische Studie erwiesen hat - dort die Hälfte der Zeit für interne Kontakte und sonstige Tätigkeiten verwendeten. Die Zurückhaltung gegenüber materiell-praktischen Hilfen mag damit zusammenhängen, daß man die Probanden nicht mit paternalistischer Bevormundung überziehen, sondern zu selbständigem Handeln veranlassen will. Doch tragen praktische Unterstützungen gerade am Anfang der Bewährungszeit erheblich dazu bei, die prognostischen Bedingungen günstig zu beeinflussen. Vor der notwendigen materiellen Absicherung stehen psychische Hilfen auf tönernen Füßen. Die Scheu und Unbeholfenheit vieler Probanden, vor Behörden ihre Ansprüche durchzusetzen, ist bekannt. Unterstützungstätigkeiten werden insoweit meist angenommen und können dann später schrittweise zugunsten größerer Eigeninitiativen vermindert werden. Sie verschaffen dem Bewährungshelfer vor allem wichtige Erfolgserlebnisse, die eher, sicherer und augenfälliger eintreten als nach psychischer Behandlung. Neben der Einzelfallhilfe spielen gelegentlich verschiedene Formen der Gruppenarbeit eine gewisse praktische Rolle. Die Tendenz zur Arbeit mit und in Gruppen sowie die damit verbundenen Erwartungen unterliegen erheblichen Schwankungen. Während in den 60er Jahren die soziale Gruppenarbeit im Vordergrund stand, favorisierte man in den 70er Jahren vorwiegend gruppendynamische Ansätze und Selbsterfahrungsgruppen. Nach anfänglichem Engagement sind dann auch hier wiederum Ermüdungserscheinungen aufgetreten. Gegenwärtig entwickeln sich manchenorts Selbsthilfegruppen, die im Wege solidarischen Verstehens und Handelns emanzipatorische Problemlösungsstrategien versuchen. Das Gruppenelement wird gleichsam wellenförmig und mit wechselnden Akzentsetzungen - analog den allgemeinen Strömungen berücksichtigt, bis jetzt jedoch immer nur probeweise und ansatzweise. Die Initiativen zur Arbeit in Gruppen gehen nicht selten von Sozialarbeitern aus, die eine als unbefriedigend erlebte Berufssituation für sich verbessern oder einschlägige eigene Vorerfahrungen weitergeben möchten. Gruppen können auch für Angehörige des Probanden hilfreich sein, wenn etwa Ehefrauen und Freundinnen von Inhaftierten auf ein partnerschaftliches Leben nach der Entlassung der Männer aus der Vollzugsanstalt vorbereitet werden. Nicht im-

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mer wird es notwendig, daß der Bewährungshelfer selbst in die Gruppenarbeit eintritt. Er kann entsprechende Angebote beispielsweise des Jugendamtes oder anderer Einrichtungen, die zudem nicht das Stigma der Strafjustiz (mit)tragen, erschließen und auch insoweit eine wirkungsvolle Vermittlerrolle übernehmen. Erwägenswert, aber bisher noch nicht Realität, ist eine stärkere Anwendung der Familientherapie. Sie bezieht sich nicht lediglich auf familiäre Bande im rechtlichen Sinne, sondern ebenfalls auf andere Formen der Lebensgemeinschaft und des Zusammenlebens. Delinquente Verhaltensweisen lassen sich mitunter aus bestimmten Beziehungsstrukturen des Probanden zu Angehörigen erklären. Bei der Familientherapie werden die Verhaltensweisen des Probanden aus diesem Bezugsfeld heraus betrachtet und nicht als isolierte Erscheinungen behandelt. Es werden die Funktionen erforscht, die die Straftaten des Probanden im familiären Kommunikationssystem erfüllen. Besondere Beachtung verdient des weiteren die dritte Säule der Sozialarbeit, die Gemeinwesenarbeit. Sie beginnt vor allem in industriellen Ballungszentren Fuß zu fassen. Stadtteilarbeit, die sich durch eine Aktivierung der betroffenen Bürger eines Stadtteils, etwa eines Sanierungsgebiets oder eines Neubaugebiets (Trabantenstadt), entfaltet, bietet dem Bewährungshelfer Gelegenheit, auf die Probleme und Benachteiligungen seiner Klientel aufmerksam zu machen und sich an den Kontakten in einer Sozialstation oder einem Stadtteilbüro zu beteiligen. Zugleich bestehen Chancen für verschiedene Formen der Öffentlichkeitsarbeit, die in der Bewährungshilfe immer noch unterentwickelt ist. Wichtig erscheinen neben der Einflußnahme auf die Berichterstattung in regionalen Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehsendungen der Einstieg in die Meinungsbildung in Bürgerversammlungen und die Zusammenarbeit mit den kommunalen Politikern. Auf diesem Gebiet sind verschiedentlich schon umfangreichere Erfahrungen gesammelt, aber noch wenig ausgewertet und in Handlungskonzepte umgesetzt worden. Teilweise ist eine Mitsprache in kommunalen Gremien bereits gesetzlich vorgesehen, wie etwa durch die Bestimmungen zum Jugendwohlfahrtsausschuß (Jugendhilfeausschuß), vgl. § 14 JWG. III. ERFOLG UND MISSERFOLG DER STRAFAUSSETZUNG ZUR BEWÄHRUNG UND DER BEWÄHRUNGSHILFE A. Dimensionen und Problematik des Erfolgsbegriffs Versuche der Erfolgsmessung stoßen auf drei grundsätzliche Probleme. Zum einen ist Erfolg keine feststehende Größe, der Erfolg einer ambulan-

ten Maßnahme kann nur beurteilt werden, wenn zuvor ein Erfolgsmaßstab definiert worden ist. Hier muß eine Übereinstimmung über die Erfolgskriterien hergestellt werden. Des weiteren bereitet es erhebliche Schwierigkeiten, diese Kriterien möglichst objektiv zu kennzeichnen und zu operationalisieren. Schließlich muß das Meßergebnis zu einem hypothetischen Ablauf (ohne die vorgenommene Intervention) in Beziehung gesetzt und gefragt werden, inwieweit der „Erfolg" auf die Intervention kausal zurückgeführt werden kann. Diese Aufgaben konnten bisher nicht befriedigend bewältigt werden, so daß exakte Aussagen zum Erfolg gegenwärtig nicht möglich sind. Deshalb darf freilich auf das Bemühen um eine Erfolgsbeurteilung nicht verzichtet werden. Erfolgskriterien können im wesentlichen aus dem Ablauf der Bewährungszeit, der Legalbewährung nach Beendigung der Bewährungszeit und aus einer Lebensbewährung nach Beendigung der Bewährungszeit hergeleitet werden. Der erstgenannte Gesichtspunkt läßt sich wiederum in verschiedener Weise umschreiben und dementsprechend verschieden operationalisieren. Ein positiver Ablauf kann (aus der Sicht des Richters) angenommen werden, wenn sich die der Strafaussetzung zugrunde gelegte günstige Prognose erfüllt hat. Er kann (aus der Sicht des Bewährungshelfers) angenommen werden, wenn seine Bemühungen für den Probanden die erwarteten Früchte getragen haben, der Proband beispielsweise ein festes Unterkommen, geregelte Arbeit gefunden hat usw. Für ihn läge ein Erfolg sogar vor, falls etwa ein überraschendes Abgleiten des Probanden in die Drogenszene späterhin zum Widerruf führt. Insoweit besteht jedoch ein allgemeines Einvernehmen, daß auf den Widerruf abzustellen ist, daß mithin ein positiver Ablauf anzunehmen ist, soweit das Verfahren mit dem Erlaß der Freiheitsstrafe sein Ende findet. Gleichwohl hat man damit ein sehr subjektives und wenig überzeugendes Merkmal gewonnen. Der Widerruf tritt nicht wie ein Naturereignis ein, er stellt eine richterliche Entscheidung dar, ist also - soziologisch gesprochen eine Maßnahme der sozialen Kontrolle. Ob der Richter widerruft oder nicht, hängt von einer sehr komplexen Abwägung vielerlei Umstände ab (s. vorne I B 3. a). Die Widerrufspraxis ist naturgemäß nicht ganz einheitlich. Der Widerruf richtet sich folglich nicht allein nach dem Verhalten des Probanden. Neben den Strategien des Richters spielen die des Bewährungshelfers eine Rolle, der auf Verstöße gegen Bewährungspflichten unterschiedlich reagieren kann. Bereits seine Aufmerksamkeit und die Intensität seiner Betreuung bestimmen mit darüber, welche Verhaltensweisen überhaupt in seinen Blick geraten. Außerdem steigt die Widerrufswahrscheinlichkeit mit der Länge der Bewährungszeit und sinkt mit deren Abkürzung. Begreift man den stationären Vollzug überdies als ein Glied in einer

Strafaussetzung zur Bewährung weiterfassenden Behandlungskette, liegt es nahe, die Vollstreckung der zunächst ausgesetzten Freiheitsstrafe lediglich als eine vorübergehende Intensivierung der Gesamtmaßnahme zu betrachten, die über einen Erfolg noch nichts Endgültiges aussagt. Auf den ersten Blick imponiert vom Ansatz her wohl am stärksten der Maßstab der Lebensbewährung, mithin die Prüfung der Lage des ehemaligen Probanden nach einer längeren Zeitspanne (von etwa fünf Jahren) seit dem Abschluß der Bewährungszeit. Wenn das Ziel der Resozialisierung die Richtschnur abgibt, erscheint eine spätere Überprüfung der sozialen Integration nur konsequent. Hier erwachsen die Schwierigkeiten jedoch aus der Aufgabe der Konkretisierung und Operationalisierung. Woran läßt sich eine „befriedigende" Lebenslage messen? Soweit auf dauerhafte Arbeit, die Gründung einer Familie, die Konsolidierung der wirtschaftlichen Verhältnisse u. a. m. abgestellt wird, kann eingewendet werden, das allein seien reine Mittelschichtsideale oder -werte, die keineswegs schlicht für allgemeinverbindlich erklärt werden dürften. Ein zusätzliches Erschwernis besteht darin, daß eine derartige Untersuchung eigene Recherchen erfordert, da auf keine ohnehin stattfindenden statistischen Datenerhebungen zurückgegriffen werden kann. Nachzuweisen bliebe ferner der kausale Zusammenhang von Intervention und Lebensstellung. Will man die Gefahr fragwürdiger Erfolgskriterien umgehen und dem Probanden die Freiheit zugestehen, von bürgerlichen Lebensbedingungen und Mittelschichtsnormen abzuweichen, bleibt nur, den Minimalkonsens zugrunde zu legen, den die Strafgesetze markieren. Der Erfolgsmaßstab ist dann der der Legalbewährung. Unter diesen Voraussetzungen werden auch reine Symptomverschiebungen als Erfolg verbucht, falls etwa ein „Fixer" zum Alkohol übergeht, ohne im berauschten Zustand oder zur Beschaffung des Alkohols Straftaten zu begehen. Die Straftatbestände sind relativ präzise umschrieben, man kann außerdem später, also wieder nach einer Frist von fünf Jahren, Strafregisterauszüge einholen. Das Problem der Dunkelziffer ist methodisch zu bewältigen, indem die früheren Probanden entsprechend befragt werden. Der Maßstab der späteren Straffälligkeit braucht auch nicht schematisch und undifferenziert angewendet zu werden. Vielmehr ist es üblich, je nach der Intensität des Rückfalls verschiedene Rückfallgruppen zu bilden. Eine Bewertung der nachträglichen Taten nach der Art und dem Quantum der Strafe nimmt freilich wiederum Bezug auf Reaktionen der Kontrollinstanzen. Beachtung verdient zugleich die Rückfallgeschwindigkeit, die sich an den zeitlichen Intervallen zur nächsten Straftat ablesen läßt, weil selbst in einer Verminderung der Rückfallgeschwindigkeit ein - wenn auch nur recht begrenzter Erfolg zu finden ist. Die Herstellung einer Experimentalsituation in dem Sinne, daß eine vergleichba-

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re Tätergruppe entweder gar nicht oder mit Freiheitsentzug sanktioniert wird, scheitert an den rechtlichen Gegebenheiten. Immerhin jedoch besteht sowohl hinsichtlich der späteren registrierten Kriminalität als auch hinsichtlich des Dunkelfeldes die Möglichkeit eines Vergleichs mit den jeweiligen Gruppen der Normalbevölkerung. Anhaltspunkte vermitteln außerdem „natürliche Experimente", die stattfinden, wenn etwa im Vergleich zu früher die gesetzlichen Voraussetzungen sowie die Sanktionspraxis geändert werden oder wenn der rechtliche Rahmen - beispielsweise der der Weisungen unterschiedlich ausgefüllt wird. Eine weitere Schwierigkeit bei der Erfolgsmessung wurde bisher noch zurückgestellt. Sie betrifft die Abhängigkeit des Erfolges von den Vorgaben. Für einen Erfolg ist nicht gleichgültig, welche Risikobelastung ein Proband aufweist und in welcher Weise er von wem betreut wird. Hier sind durch die Ausweitung der Strafaussetzung erhebliche Verschiebungen in Richtung belasteterer Probanden eingetreten. Damit ergeben sich Vorbehalte gegen einen Vergleich älterer Erfolgsuntersuchungen mit jüngeren, die die Sanktionspraxis nach den Reformgesetzen betreffen. B. Ergebnisse bisheriger Erfolgsuntersuchungen Als Material zur Erfolgsbeurteilung stehen derzeit die amtlichen Statistiken (Strafverfolgungsstatistik, Bewährungshilfestatistik, Strafvollzugsstatistik) sowie empirische Einzeluntersuchungen an einer Auswahl von Probanden zur Verfügung. Die Bewährungshilfestatistik gibt lediglich Auskunft über den Bewährungszeitraum, nicht also über die Zeit danach. Sie ist überdies eine Stichtagsstatistik und keine Verlaufsstatistik. Es kann nur die generelle Widerrufspraxis ermittelt und interpretiert werden. Eine derartige Analyse hat Kerner vorgelegt. Eine Sekundäranalyse von empirischen Arbeiten (Dissertationen - Aktenuntersuchungen) ist von Heinz erstellt worden. Die folgenden Angaben stützen sich in der Hauptsache auf diese Auswertungen (die beide in: Bewhi 1977. S.285f. und S. 296 f. veröffentlicht sind, s. nunmehr auch Spieß, MschrKrim 1981. S.296f.). Ein spektakulärer Anstieg der Widerrufshäufigkeit nach der Ausdehnung des Aussetzungsinstituts ist nicht festzustellen. Der Anteil der (graduell eher stärker gefährdeten) Probanden, die einem Bewährungshelfer unterstellt waren und deren Unterstellung mit einem Widerruf endete, stieg ausweislich der Bewährungshilfestatistik von durchschnittlich 44,8 % (in den Jahren 1963 bis 1967) in den Jahren bis 1972 auf durchschnittlich 50,3 % und sank danach aber wieder auf 48,7% ab. Gerade bei den stärker belasteten Probanden scheint sich die Widerrufshäufigkeit zu verringern. Setzt man die Wi-

192

Strafaussetzung zur Bewährung

derrufshäufigkeit zum Aussetzungsverfahren in Bezug, ergibt sich erwartungsgemäß, daß bei einer anfänglichen Aussetzung - sowohl nach Jugendrecht als auch nach allgemeinem Strafrecht - weniger widerrufen wird als nach einer Aussetzung des Strafrestes. Die Unterschiede treten nach den statistischen Daten bei Anwendung des Jugendrechts stärker hervor als bei Anwendung des Erwachsenenstrafrechts, sind aber nicht gravierend (Jugendrecht, jeweils Aussetzung einer bestimmten Jugendstrafe: 44,7% zu 52,6%, Erwachsenenrecht: 53,3% zu 55,7%. - Die Prozentsätze bezeichnen den Anteil der Widerrufe bezogen auf die jeweilige Probandengruppe im Durchschnitt der Jahre 1963 bis 1974). Zieht man zum Vergleich die Einzeluntersuchungen heran, ergeben sich teilweise beträchtliche Schwankungen. Sie reichen bezüglich der jugendrechtlichen Aussetzungen bei der anfänglichen Aussetzung einer bestimmten Jugendstrafe von 38,1 % (Rohnfelder 1974) bis 52,7 % (Neriich 1960) und bei der Restaussetzung einer bestimmten Jugendstrafe von 38,2% (Lange 1973) bis 56,3% (wieder Rohnfelder). Die Durchschnittswerte aus allen einschlägigen Erhebungen führen im Vergleich zu den von Kerner errechneten Prozentsätzen zu einem Verhältnis von 42,8 % zu 52,3 % (eigene Berechnung anhand der Zusammenstellung von Heinz), weisen mithin wiederum eine erstaunliche Übereinstimmung auf. Für das Erwachsenenstrafrecht ergibt sich ein entsprechendes Verhältnis der Widerrufshäufigkeit von 36,3 % zu 47,2 %. Insoweit weichen die Werte aus den Einzeluntersuchungen merklich ab. Die Einzeluntersuchungen stützen die Annahme einer prinzipiell stärkeren Widerrufs- (Bewährungs-?)Gefährdung der Klientel, die insgesamt bereits Vollzugserfahrung besitzt oder - anders ausgedrückt - die bereits die negativen Voraussetzungen für die Vollstreckung einer freiheitsentziehenden Sanktion in der Vergangenheit erfüllt hatte. Von daher paßt es ins Bild, wenn Verhängungsaussetzungen gemäß § 27 JGG am wenigsten widerrufen werden. Kerner errechnet eine Widerrufsquote von ca. 25 %; bei Einzeluntersuchungen schwankt sie zwischen 26,6 % (Gütt 1964) und 39,1 % (Lange 1973) und liegt im Durchschnitt der betreffenden Untersuchungen bei 33,2% und damit gleichfalls deutlich unter der der Vollstrekkungsaussetzung. In den meisten Fällen erfolgt der Widerruf wegen neuer Straftaten der Probanden. Der Widerruf wegen Verstoßes gegen Bewährungspflichten bleibt aber durchaus in bemerkenswerten Größenordnungen, wenngleich insoweit eine abnehmende Tendenz festzustellen ist. Nach Kerners Berechnungen betrug der Anteil derartiger Widerrufe gemessen an allen Widerrufen bei Anwendung des allgemeinen Strafrechts teilweise über 40%. Die jugendrechtlich sanktionierte Klientel weist weniger Widerrufe wegen solcher Verstöße auf, was nicht zuletzt an

der größeren Flexibilität des Jugendrechts (z.B. Beugearrest) sowie daran liegen dürfte, daß im Erwachsenenrecht wesentlich häufiger Geldbußen auferlegt werden, die dann nicht bezahlt werden. Die von Kerner - auch nur mit Vorsicht - aufgestellte Vermutung, Erwachsene würden mehr Verhaltensauffälligkeiten „allgemeiner Art" zeigen oder bei „Unbotmäßigkeiten" mit schnelleren und entschiedeneren Reaktionen zu rechnen haben, scheint als zu weitgehend. Die Praxis der Begründung des Widerrufs - nicht unbedingt zugleich die Widerrufspraxis - dürfte zudem unterschiedlich sein. Das legt die Sekundäranalyse von Heinz nahe. Der Prozentsatz der Widerrufe, die nicht auf neue Straftaten gestützt werden, beträgt nach der Untersuchung von Neriich (1966) 35,6%, nach den Untersuchungen von Schünemann (1971) und Vogt (1972) übereinstimmend nur ca. 8 % (jeweils Widerruf einer anfänglich zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe). Die Prozentsätze werden allerdings durch die Zählweise der Fälle mitbeeinflußt, in denen in den Widerrufsbeschlüssen mehrere Begründungen kumulativ aufgeführt werden. Die Wahrscheinlichkeit eines Widerrufs ist ferner altersabhängig. Kerner errechnete folgende Quoten: 14-15jährige - 97,3 % 16-17jährige - 82,4 % 18-20jährige - 60,9 % 21-24jährige - 38,5 % 25-29jährige - 49,3 % 30-39j ährige - 52,1 % 40—49j ährige - 44,7 % 50 Jahre und älter - 25,8 % Man wird diese Daten vorwiegend mit der unterschiedlichen kriminellen Belastung der Probanden in Verbindung zu bringen haben. Die ganz jungen Probanden, die schon mit einer Jugendstrafe belegt werden, stellen eine besondere Negativauslese dar, da die Praxis dazu neigt, vor einer Jugendstrafe erst mildere Sanktionen auszuprobieren. Die Abflachung der Kurve in höherem Alter deckt sich mit dem allgemeinen, freilich noch nicht hinreichend erklärbaren Phänomen, daß die Karrieren oft nach einer gewissen Zuspitzung „abgebrochen" werden. Deliktsspezifische Abhängigkeiten der Widerrufswahrscheinlichkeit können gleichfalls festgestellt werden. Lagen der Ausgangsverurteilung beispielsweise Diebstahl oder Raub zugrunde, ist das Widerrufsrisiko höher, als wenn etwa ein Verkehrsdelikt oder ein Totschlag die Verurteilung zu einer aussetzbaren Freiheitsstrafe veranlaßt haben. Hinter diesen Gesetzmäßigkeiten steht eine von Delikt zu Delikt unterschiedliche Rückfallgefährdung. Tötungsdelikte sind häufig Konflikttaten, die sich aus seltenen Konstellationen gleichsam als Entladungen ergeben; Verkehrsdelinquenten scheinen gegenüber den Tätern von Diebstahl und Raub strafempfindlicher und entsprechend lernfähiger zu sein.

Strafaussetzung zur Bewährung Die von Heinz herangezogenen Einzeluntersuchungen stützen die These der Praxis, daß sich die Frage, ob der Proband in Freiheit belassen werden kann, relativ schnell beantworten läßt. Mehr als die Hälfte aller Widerrufe erfolgte bereits im ersten Bewährungsjahr. 75 % aller Aussetzungen nach allgemeinem Strafrecht wie auch nach Jugendrecht arbeiten mit einer Bewährungsfrist von drei Jahren. Der Widerruf der nach Jugendrecht Verurteilten wurde indessen bei 80-95% schon innerhalb von zwei Jahren, der nach Erwachsenenstrafrecht Verurteilten zu ca. 75 % innerhalb dieser ZweijahresFrist ausgesprochen. Daraus läßt sich schlußfolgern: Eine Hilfestellung für den Probanden ist vor allem zu Beginn der Bewährungszeit vonnöten. Des weiteren sprechen die genannten Zahlen für die schon vorhandene Tendenz zumindest des Gesetzgebers, die langen Bewährungszeiten - im Erwachsenenstrafrecht bis zu fünf Jahren - abzukürzen. Wie zuvor unter III A. ausführlicher dargelegt wurde, sagt der Widerruf über die Bewährung der Probanden nur sehr begrenzt etwas aus. Aussagekräftiger ist die Entwicklung während eines späteren Nachbeobachtungszeitraums. Wie insoweit die Situation zu beurteilen ist, folgt aus einer von Heinz zusammengestellten Tabelle (siehe Seite 194), deren Angaben folgenden Untersuchungen entnommen worden sind: Dieter Höbbel: Bewährung des statistischen Prognoseverfahrens im Jugendstrafrecht. Göttingen. Schwartz 1968. Stichprobe: 500 männliche Jugendliche und Heranwachsende, die zwischen dem 1.1.1960 und dem 12.10.1960 aus den Jugendstrafanstalten Herford und Staumühle entlassen wurden, soweit sie im OLG-Bezirk Hamm verurteilt wurden. Stichtag: 1.6.1966. Peter Lange: Rückfälligkeit nach Jugendstrafe. Diss. jur. Göttingen 1973. Stichprobe: 339 männliche und weibliche Jugendliche und Heranwachsende, die 1962 bis 1966 im LG-Bezirk Göttingen zu Jugendstrafe verurteilt wurden oder gegen die eine Schuldfeststellung gem. §27 JGG getroffen wurde. Stichtag: 8.10.1971. Hans-Erich Meyer-Wentrup: Die erneute Straffälligkeit nach Jugendstrafe. Diss. jur. Hamburg 1966. Stichprobe: 1589 männliche und weibliche Jugendliche und Heranwachsende, die zwischen 1954 und 1957 in Hamburg zu Jugendstrafe verurteilt wurden oder gegen die eine Schuldfeststellung gem. § 27 JGG getroffen wurde. Stichtag: 1.10.1963. Egon Müller: Zum Erziehungserfolg der Jugendstrafe von unbestimmter Dauer. Köln. Heymanns 1969. Stichprobe: 170 männliche Jugendliche und Her-

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anwachsende, die zwischen dem 1.1.1957 und dem 31.12.1964 im Saarland (Saarbrücken) aus unbestimmter Jugendstrafe entlassen wurden. Stichtag: Anfang 1967. Jürgen Näther: Die Lebensbewährung zu unbestimmter Jugendstrafe verurteilter Jugendlicher und Heranwachsender. Diss. jur. Göttingen 1967. Stichprobe: 150 männliche Jugendliche und Heranwachsende, die zwischen dem 1.4.1957 und dem 31.3.1958 aus unbestimmter Jugendstrafe aus der Jugendstrafanstalt Vechta entlassen wurden. Stichtag: Anfang 1964. Heinz Neriich: Die kriminalpolitischen Auswirkungen der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 20 JGG bei Jugendlichen und Heranwachsenden. Diss. jur. Heidelberg 1966. Stichprobe: 165 männliche und weibliche Jugendliche und Heranwachsende, die in den LG-Bezirken Mannheim und Heidelberg zu Jugendstrafen mit Strafaussetzung verurteilt wurden. Stichtag: 30.9.1961 und 30.9.1962. Hans-Georg Rosig: Rückfälligkeit und Bewährung bei unbestimmt verurteilten Jugendlichen und Heranwachsenden. Diss. jur. Göttingen 1970. Stichprobe: 200 männliche Jugendliche und Heranwachsende, die vom Jan. 1962 bis Febr. 1963 nach Verbüßung von unbestimmter Jugendstrafe aus der Jugendstrafanstalt Vechta entlassen wurden. Beobachtungszeitraum: 5 J. 3 Mte. bis 6 J. 5 Mte. Karl-Heinz Sydow: Erfolg und Mißerfolg der Strafaussetzung zur Bewährung. Bonn. Röhrscheid 1963. Stichprobe: 188 männliche und weibliche Probanden, die zwischen dem 1.10.1953 und dem 30.6.1955 im Alter von 21 und 29 Jahren vom AG oder LG Hannover zu Freiheitsstrafe mit Bewährung verurteilt wurden, mit Ausnahme von Verurteilungen wegen Verkehrsdelikten. Stichtag: 1.10.1961. Hans-Günter Vogt: Strafaussetzung zur Bewährung und Bewährungshilfe bei Jugendlichen und Heranwachsenden. Diss. jur. Göttingen 1972. Stichprobe: 200 männliche Jugendliche und Heranwachsende, die 1965 und 1966 in den LGBezirken Göttingen, Hildesheim, Braunschweig und Lüneburg zu Jugendstrafe mit Bewährung verurteilt wurden. Stichtag: Mitte September 1970. Wolfram Wächter: Untersuchungen über Erfolg und Mißerfolg der Erziehung durch die Jugendstrafe von unbestimmter Dauer. Diss. jur. Heidelberg 1966. Stichprobe: 201 männliche Jugendliche und Heranwachsende, die zwischen dem 1.4.1958 und dem 31.3.1959 aus unbestimmter Jugendstrafe in Hall und Ludwigsburg entlassen wurden. Stichtag: 1.10.1964.

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Strafaussetzung zur Bewährung Bewährungshilfe und Legalbewährung im Spiegel einzelner Nachuntersuchungen Untersuchung

Probanden insgesamt

N

N

%

Straffälligkeit nicht ganz unerheblich rückfällig

B

%

I. Strafaussetzung gem. § 23 StGB a. F. Sydow Wittig

(1963) (1969)

188 199

98 81

52,1 40,7

751) 701)

39,9 35,2

105 114 409 143

72,9 69,1 66,9 71,5

732)

50,7

3743) 1052)

61,2 52,5

243) 1163)

70,6 65,5

1242) 1104) 995) 1282) 1316)

62,9 66,3 66,0 64,0 67,9

II. Strafaussetzung gem. §20 JGG a. F. Lange Neriich Meyer-Wentrup Vogt

(1973) (1966) (1966) (1972)

144 165 611 200

III. Entlassung zur Bewährung aus bestimmter Jugendstrafe § 88 JGG Lange Meyer-Wentrup

(1973) (1966)

34 177

24 121

70,6 68,4

IV. Entlassung zur Bewährung aus unbestimmter Jugendstrafe § 89 JGG Höbbel Müller Näther Rosig Wächter

(1968) (1969) (1967) (1970) (1966)

197 166 150 200 193

154 127 118 160 157

78,2 76,5 78,7 80,0 81,4

') Straffälligkeit insges., ohne: Übereinstimmungen; kleine Verkehrsdelikte; Ordnungswidrigkeiten; fahrlässige Delikte, wenn nur auf Geldstrafe erkannt; geringe Kriminalität, die i. d. R. noch nicht zum Widerruf der Aussetzung führt, wie vorsätzliche Vergehen, die mit Geldstrafe, und mittlere Verkehrsdelikte, die mit Haftstrafe geahndet wurden. 2 ) Straffälligkeit insges., ohne: einmalige erneute Verurteilung wegen eines nicht geringfügigen Deliktes zu einer Geldstrafe (nach l.StrRG: soweit die Ersatzfreiheitsstrafe höchstens einen Monat beträgt); mehrfache erneute Verurteilung zu einer Geldstrafe von über 100 DM, soweit die Ersatzfreiheitsstrafe insgesamt 2 Monate nicht übersteigt; einmalige erneute Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von höchstens einem Monat; mehrfache erneute Verurteilung zu insgesamt nicht mehr als 2 Monaten. 3 ) Straffälligkeit insges., ohne: leichte Verkehrsvergehen; fahrlässige Körperverletzung oder Steuerstraftat (Schmuggel), sofern nur mit Geldstrafe geahndet wurde. 4 ) Straffälligkeit insges., ohne: „leichte Delikte bei sonst vorbildlichem oder zumindest beanstandungsfreiem Verhalten. Meist waren es minder schwere Verkehrstaten wie z. B. gelegentliches Führen eines Kraftfahrzeuges ohne Fahrerlaubnis oder auch einmalige im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehende Taten wie Körperverletzung oder Widerstand gegen die Staatsgewalt". 5 ) Straffälligkeit insges., ohne: Verkehrs- und leichte Fahrlässigkeitsdelikte. 6 ) Straffälligkeit insges., ohne: Verkehrsdelikte und geringfügige Delikte (Betrug, Unterschlagung, Körperverletzung, Widerstand gegen die Staatsgewalt), die mit Geldstrafe geahndet wurden.

Strafaussetzung zur Bewährung Klaus Wittig: Die Praxis der Strafaussetzung zur Bewährung bei Erwachsenen. Diss. jur. Göttingen 1969. Stichprobe: 199 männliche und weibliche Erwachsene im Alter von 21 bis 39 Jahren, die zwischen dem 1.1.1958 und dem 31.12.1959 vom AG oder LG Heilbronn zu Gefängnisstrafe mit Bewährung verurteilt wurden, mit Ausnahme von Verurteilungen wegen Verkehrsdelikten. Stichtag: 1.7.1966. Die erheblichen Rückfallquoten machen deutlich, daß die kriminalpolitische Zielsetzung, den Rückfall mit ambulanten Maßnahmen zu verhindern, noch nicht befriedigend erreicht worden ist. Gegenüber der Inhaftierung stellt die Strafaussetzung dennoch die bessere Alternative dar. Es bleibt die Aufgabe, dieses Institut weiter zu verbessern. Dazu bedarf es vor allem einer Verstärkung der Sanktionsforschung. Künftige Untersuchungen werden noch elementare Fragen zu klären haben. Wir benötigen genauere Kenntnisse über die Umstände, die eine widerrufsfreie Bewährungszeit und eine weitgehend straffreie Folgezeit begünstigen beziehungsweise erschweren. Es müssen spezielle Programme entwickelt werden, die unter den vorfindlichen, kaum veränderlichen Rahmenbedingungen die über einen Erfolg mitentscheidenden veränderlichen Momente bestmöglich beeinflussen.

M o n o g r a p h i e n und

Sammelwerke

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STRAFVOLLZUG: UNTERSUCHUNGSHAFT I. ZWECK UND VORAUSSETZUNGEN DER UNTERSUCHUNGSHAFT A. Begriff und Zweck der Untersuchungshaft 1. Begriff und Funktion der Untersuchungshaft a) B e g r i f f d e r U n t e r s u c h u n g s h a f t . Untersuchungshaft ist Entziehung der Freiheit des Beschuldigten zum Zweck der Sicherung des Erkenntnisverfahrens und der - etwaigen - Strafvollstrekkung (BVerfGE 19, 349; 20, 49; 32, 93; Roxin 1982). Sie besteht in Einsperrung in einer geschlossenen Anstalt, die ressortmäßig zum Bereich der Justizverwaltung (Justizvollzug) gehört. Im einzelnen soll die Untersuchungshaft die Anwesenheit des Beschuldigten (§ 112 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StPO) und eine ordnungsgemäße Tatsachenermittlung durch die Strafverfolgungsorgane gewährleisten (§112 Abs. 2 Nr. 3 StPO) sowie die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe (§38 StGB) oder freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung (§61 Nr. 1 bis 4 StGB) sicherstellen (§457 StPO). Danach lassen sich die Funktionen der Untersuchungshaft ausschließlich auf die Zwecke der Verfahrens- und Vollstreckungssicherung zurückführen. Das entspricht auch der Einordnung der Untersuchungshaft in den Katalog strafprozessualer Zwangsmittel, welche die StPO den Strafverfolgungsbehörden um einer einwandfreien und wirksamen Aufklärung des Sachverhalts willen an die Hand gibt. Unter diesen Zwangsmitteln stellt die Untersuchungshaft den schwerwiegendsten Eingriff in die persönliche Freiheit dar; deshalb unterliegt sie auch strengen rechtsstaatlichen Schranken (vgl. I C 2).

b) F u n k t i o n d e r U n t e r s u c h u n g s h a f t . Die Rechtsordnung sieht diesen Eingriff im Interesse einer funktionsfähigen Strafrechtspflege vor. Hiernach kann der Anspruch der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der Tat und rasche Bestrafung des Täters zumindest in manchen Fällen nicht anders eingelöst werden als durch vorläufige Inhaftierung des Verdächtigen (Boing 1979). Da zugunsten des Beschuldigten bis zur

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Strafvollzug: Untersuchungshaft

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STRAFVOLLZUG: UNTERSUCHUNGSHAFT I. ZWECK UND VORAUSSETZUNGEN DER UNTERSUCHUNGSHAFT A. Begriff und Zweck der Untersuchungshaft 1. Begriff und Funktion der Untersuchungshaft a) B e g r i f f d e r U n t e r s u c h u n g s h a f t . Untersuchungshaft ist Entziehung der Freiheit des Beschuldigten zum Zweck der Sicherung des Erkenntnisverfahrens und der - etwaigen - Strafvollstrekkung (BVerfGE 19, 349; 20, 49; 32, 93; Roxin 1982). Sie besteht in Einsperrung in einer geschlossenen Anstalt, die ressortmäßig zum Bereich der Justizverwaltung (Justizvollzug) gehört. Im einzelnen soll die Untersuchungshaft die Anwesenheit des Beschuldigten (§ 112 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StPO) und eine ordnungsgemäße Tatsachenermittlung durch die Strafverfolgungsorgane gewährleisten (§112 Abs. 2 Nr. 3 StPO) sowie die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe (§38 StGB) oder freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung (§61 Nr. 1 bis 4 StGB) sicherstellen (§457 StPO). Danach lassen sich die Funktionen der Untersuchungshaft ausschließlich auf die Zwecke der Verfahrens- und Vollstreckungssicherung zurückführen. Das entspricht auch der Einordnung der Untersuchungshaft in den Katalog strafprozessualer Zwangsmittel, welche die StPO den Strafverfolgungsbehörden um einer einwandfreien und wirksamen Aufklärung des Sachverhalts willen an die Hand gibt. Unter diesen Zwangsmitteln stellt die Untersuchungshaft den schwerwiegendsten Eingriff in die persönliche Freiheit dar; deshalb unterliegt sie auch strengen rechtsstaatlichen Schranken (vgl. I C 2).

b) F u n k t i o n d e r U n t e r s u c h u n g s h a f t . Die Rechtsordnung sieht diesen Eingriff im Interesse einer funktionsfähigen Strafrechtspflege vor. Hiernach kann der Anspruch der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der Tat und rasche Bestrafung des Täters zumindest in manchen Fällen nicht anders eingelöst werden als durch vorläufige Inhaftierung des Verdächtigen (Boing 1979). Da zugunsten des Beschuldigten bis zur

Strafvollzug: Untersuchungshaft rechtskräftigen Entscheidung die Unschuldsvermutung gilt (vgl. I C 2), darf dieser nicht mehr belastet werden, als für die sachgerechte Durchführung des Verfahrens unerläßlich ist. Dies bedeutet, daß Untersuchungshaft nur dann angeordnet und vollzogen werden darf, wenn anders die Zwecke der Verfahrens- oder Vollstreckungssicherung ernstlich gefährdet wären. Freilich dient die Untersuchungshaft in manchen ausländischen Staaten nicht allein der Verfahrensund Vollstreckungssicherung, sondern auch noch anderen Zwecken (Jescheck, Krümpelmann 1971). Ebenso kennt die StPO außer jenen Gesichtspunkten noch die Haftgründe der Tatschwere und der Wiederholungsgefahr, die nachträglich ins Gesetz aufgenommen wurden (zur Entstehungsgeschichte Dünnebier, in: Löwe-Rosenberg 1978). So soll nach §112 Abs. 3 StPO schon der Verdacht, daß der Beschuldigte eine der dort genannten schweren Straftaten begangen hat, die Anordnung von Untersuchungshaft rechtfertigen. Nach §112a StPO darf bei Vorüegen eines bestimmten Tatverdachts dann Untersuchungshaft angeordnet werden, wenn die Gefahr der Begehung weiterer erheblicher Straftaten besteht. Diese Erweiterungen der Inhaftierungsmöglichkeiten haben eine umfassende Diskussion ausgelöst (Baumann 1962; 1969; R. Schmitt 1965; Dünnebier 1966; Kanka 1966; Oppe 1966; Ender 1969; Klug 1969; Seebode 1969; Gnam 1972). Namentlich wurde dadurch die Frage aufgeworfen, ob die Untersuchungshaft in ihrem Wesen und in ihrer Funktion nicht wesentlich verändert worden ist. Indessen erblickt das BVerfG im Gesichtspunkt der Tatschwere keinen neuen Haftgrund. Vielmehr dient hiernach auch die Regelung des § 112 Abs. 3 StPO der Verfahrenssicherung. Dem BVerfG zufolge stellt das Gesetz bei Vorliegen eines solchen Tatverdachts lediglich an die Feststellung eines Haftgrundes im Hinblick auf die Schwere des Delikts geringere Anforderungen (BVerfGE 19, 350). Es fragt sich jedoch, ob es sich dabei noch um eine verfassungskonforme Auslegung des Gesetzes und nicht vielmehr um dessen Umdeutung handelt (Roxin 1982). Demgegenüber erfüllt der Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§112a StPO) eindeutig Präventionsfunktion und hat deshalb mit dem Gesichtspunkt der Verfahrenssicherung nichts zu tun (BVerfGE 35, 191). Der Sache nach verwandelt er die Untersuchungshaft in derartigen Fällen in eine Art „Sicherungshaft", deren Anordnung und Durchführung aus Zweckmäßigkeitsgründen den Strafverfolgungsbehörden und nicht der Polizei übertragen ist (Dünnebier 1978). Daher wird dieser Haftgrund z.T. als systemwidrig kritisiert (Zipf 1977; Roxin 1982). Auf der anderen Seite hält man ihn für sachgerecht, weil zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich (Kleinknecht 1981; Boing 1979). Jedoch hat das Erfordernis kriminalpoliti-

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scher Vorkehrungen zum Schutz der Allgemeinheit der Sache nach nichts mit Maßnahmen zur Verfahrenssicherung zu tun. Soweit Inhaftierung zur Bekämpfung erheblicher Gefährdung der öffentlichen Sicherheit unerläßlich ist, sollte sie jedenfalls nicht als Untersuchungshaft fungieren und organisiert werden (Grebing 1975; Müller-Dietz 1981; Wolter 1981). Die Frage, welche Zwecke die Untersuchungshaft nach geltendem Recht zu erfüllen hat, ist hingegen nicht mit dem Problem gleichzusetzen, welche Funktionen der Untersuchungshaft de facto zukommen, ob sie also auch - wenngleich unbeabsichtigt - etwa generalpräventive Aufgaben wahrnimmt (Kerner 1978) oder andere Straffunktionen, z. B. solche spezialpräventiver Art, erfüllt und damit gleichsam Freiheits- oder Jugendstrafe antizipiert (Kury 1981 a; Schulz 1981). Einigkeit besteht jedenfalls in der Bundesrepublik Deutschland darüber, daß solche zusätzlichen Gesichtspunkte weder die Anordnung noch die Ausgestaltung der Untersuchungshaft beeinflussen dürfen (Roxin 1982). 2. Abgrenzung der Untersuchungshaft von sonstigen Freiheitsentziehungen a) A b g r e n z u n g von s t r a f r e c h t l i c h e n Sanktionen und öffentlichrechtlichen F o r m e n d e s F r e i h e i t s e n t z u g e s . Die Untersuchungshaft unterscheidet sich durch ihren besonderen Zweck als prozeßsichernde Maßnahme und ihre Ausgestaltung (vgl. III und IV) von anderen Formen der Freiheitsentziehung. Dies gilt namentlich im Hinblick auf freiheitsentziehende Sanktionen, deren Vollzug ein rechtskräftiges Urteil voraussetzt (§ 449 StPO); dazu gehören etwa die Freiheitsstrafe für Erwachsene (§38 StGB), die Jugendstrafe (§§ 17ff. JGG), der Jugendarrest (§16 JGG), der militärische Strafarrest (§§9ff. WStG) sowie die freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung (§§63 bis 66 StGB). Ferner ist die Untersuchungshaft von denjenigen Formen der Freiheitsentziehung zu unterscheiden, die entweder dem Schutz von Personen oder der Durchsetzung bestimmter öffentlichrechtlicher Anordnungen dienen (Calliess, Müller-Dietz 1983). Beispiele dafür bilden die Unterbringung Geisteskranker nach dem Unterbringungsrecht der Länder, die sog. Zivilhaft (Ordnungs-, Sicherungs-, Zwangs- und Erzwingungshaft), die Abschiebungshaft und die Auslieferungshaft. Ordnungshaft wird wegen Ungehorsam oder Ungebühr angeordnet; Sicherungshaft dient der Sicherung von Zwangsvollstreckung; Zwangs- und Erzwingungshaft soll ein gesetzlich befohlenes Verhalten bewirken. Abschiebungshaft soll den Vollzug der Ausweisung aus dem Bundesgebiet nach dem Ausländergesetz, Auslieferungshaft die - etwaige - Auslieferung an

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Strafvollzug: Untersuchungshaft

einen fremden Staat sicherstellen; Auslieferungshaft ist auch schon vor Eingang eines Auslieferungsersuchens zulässig (vgl. §§ 10 bis 23 Deutsches Auslieferungsgesetz). Aber während für alle diese Formen der Freiheitsentziehung besondere Regelungen gelten, sind für die (vorläufige) Auslieferungshaft die Vorschriften über den Vollzug der Untersuchungshaft maßgebend (Calliess, MüllerDietz 1983). b) A b g r e n z u n g von a n d e r e n s t r a f p r o z e s s u a l e n F r e i h e i t s e n t z i e h u n g e n . Untersuchungshaft muß schließlich auch von denjenigen Formen der Freiheitsentziehung unterschieden werden, die im weitesten Sinne die Aufklärung der Tat ermöglichen, aber nicht die spezifische Funktion der Verfahrenssicherung im Wege einer mehr oder weniger langen Inhaftierung des Beschuldigten erfüllen sollen. Dazu gehören zum einen diejenigen Maßnahmen, die aus Gründen einer vorläufigen Sicherstellung der Person des Verdächtigen oder einer Identitätsfeststellung zu kurzfristiger Freiheitsentziehung führen (können). Beispiele dafür bilden vor allem die vorläufige Festnahme nach § 127 StPO und das Festhalten verdächtiger (und unverdächtiger) Personen zu Identifizierungszwekken nach §163c StPO (vgl. II A). Zum anderen gehören hierher Maßnahmen gegen den Beschuldigten, die unmittelbar der Tataufklärung oder präventivpolizeilichen Zwecken dienen und gleichfalls mit Freiheitsentziehung verbunden sind (oder doch sein können). Kurzfristiger Freiheitsentzug in diesem Sinne kann etwa zum Zwecke körperlicher Untersuchung des Beschuldigten (§ 81 a StPO) oder zur Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen (§ 81 b StPO) in Betracht kommen. Zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Beschuldigten - bei Jugendlichen und Heranwachsenden auch zur Ermittlung ihres Entwicklungsstandes (§§73, 104 Abs. 1 Nr. 12, 109 JGG) - ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bis zur Dauer von sechs Wochen zulässig (§81 StPO). Schließlich hat auch die einstweilige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt Freiheitsentzug zur Folge (§126a StPO). Sie stellt eine Präventivmaßnahme im Vorgriff auf eine zu erwartende Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) oder in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) dar, d. h. die zum Schutz der Allgemeinheit voraussichtlich notwendig werdende freiheitsentziehende Maßregel wird im Interesse der Öffentlichkeit gleichsam antizipiert (Kleinknecht 1981). Einstweilige Unterbringung ist unter drei Voraussetzungen zulässig: (a) Dringende Gründe müssen dafür sprechen, daß jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit begangen hat (§§20, 21 StGB), (b) Dringende Gründe müssen die endgültige Unterbringung in

einer solchen Anstalt erwarten lassen, (c) Außerdem muß die öffentliche Sicherheit die Unterbringung schon vor rechtskräftigem Abschluß des Verfahrens erfordern. Das zwingt namentlich zur Prüfung, ob weniger einschneidende Maßnahmen ausreichen. Allerdings ist Verschonung mit der Unterbringung nach Art der Haftverschonung gegen Sicherheitsleistung (vgl. II B) entsprechend dem Wesen jener Einrichtung ausgeschlossen. Dafür ist aber auch hier der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (vgl. I C 2). Im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Garantien, die generell für Freiheitsentziehungen gelten, setzt die einstweilige Unterbringung - nach Analogie der Untersuchungshaft - einen richterlichen Unterbringungsbefehl voraus (§ 126 a Abs. 1 StPO). Für das Unterbringungsverfahren gelten im wesentlichen die Vorschriften über die Untersuchungshaft (§ 126a Abs. 2 StPO; vgl. II). Der Unterbringungsbefehl ist aufzuheben, wenn die Voraussetzungen der einstweiligen Unterbringung nicht mehr vorliegen oder wenn das Gericht im Urteil die - endgültige - Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt nicht anordnet (§126a Abs. 3 StPO). Die Ausgestaltung der einstweiligen Unterbringung in einer solchen Anstalt richtet sich nach dem für derartige Institutionen generell geltenden Bundesund Landesrecht (vgl. §§136 bis 138 StVollzG). Dabei stehen die Gesichtspunkte der therapeutischen Behandlung und ärztlichen Pflege neben dem Aspekt des Schutzes der Allgemeinheit im Vordergrund. B. Rechtsquellen der Untersuchungshaft In der Bundesrepublik Deutschland sind für die Anordnung und Durchführung der Untersuchungshaft im wesentlichen drei Rechtsquellen maßgebend: das GG, die MRK und die StPO. Nach Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG darf in die Freiheit der Person nur auf Grund eine Gesetzes eingegriffen werden. Art. 104 GG regelt im einzelnen die Rechtsgarantien für alle Fälle der Freiheitsentziehung; die Vorschrift gilt dementsprechend auch für die Untersuchungshaft. Danach darf über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung nur der Richter entscheiden (Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG). Wird jemand vorläufig festgenommen (§ 127 StPO), ist unverzüglich eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen (Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG). Wer wegen Verdachts einer Straftat vorläufig festgenommen ist, muß spätestens am Tage danach dem Richter vorgeführt werden (Art. 104 Abs. 3 GG). Diese Regelungen, die aus rechtsstaatlichen Gründen gewährleisten sollen, daß Freiheitsentziehung nur im Falle unabweisbarer Notwendigkeit stattfindet und hinreichender gerichtlicher Kontrolle unterliegt (BVerfGE 29, 195), tragen in vollem

Strafvollzug: Untersuchungshaft Umfange den Anforderungen Rechnung, welche Art. 5 Abs. 1 c) MRK an den innerstaatlichen Gesetzgeber stellt (vgl. I C 2). Die MRK hat in der Bundesrepublik Deutschland allerdings lediglich Gesetzesrang. Neben dem G G und der MRK stellt die StPO die wesentliche Rechtsquelle dar. Sie regelt zum einen - in Übereinstimmung mit G G und MRK (Boing 1979) - die materiellrechtlichen Voraussetzungen und das Verfahren der Anordnung (§§ 112-118b, 120-131 StPO), zum anderen die Durchführung der Untersuchungshaft (§ 119 StPO). Dagegen bindet die bundeseinheitlich geltende UVollzO als bloße Verwaltungsanordnung lediglich die Vollzugsbehörden, d. h. die Haftanstalten, in denen Untersuchungshaft vollstreckt wird, und deren Mitarbeiter; für den Richter, der ausschließlich dem Gesetz unterworfen ist, hat sie nur den Charakter einer Empfehlung (BVerfGE 15, 294; Kleinknecht, Janischowsky 1977). Darüber hinaus strebt man auf internationaler Ebene seit einiger Zeit gemeinsame Regelungen der Untersuchungshaft an. Zu nennen sind hier zunächst einschlägige Bemühungen der Vereinten Nationen (Triffterer in: Jescheck, Krümpelmann 1971). Hinsichtlich der materiellen und formellen Voraussetzungen der vorläufigen Festnahme und der Untersuchungshaft ist etwa Art. 9 der Konvention über bürgerliche und politische Rechte von 1966, hinsichtlich des Vollzugs der Untersuchungshaft sind die "Standard Minimum Rules for the Treatment of Prisoners" von 1955 (Mindestgrundsätze für die Behandlung der Gefangenen) von Bedeutung (Mindestgrundsätze 1975). Der Konvention, die am 23.3.1976 in Kraft getreten ist, entsprechen die einschlägigen Vorschriften des G G und der StPO; dies gilt auch für die normative Ausgestaltung der Untersuchungshaft durch die StPO (Boing 1979). Allerdings läßt die bruchstückhafte gesetzliche Regelung der Durchführung der Untersuchungshaft in der Bundesrepublik Deutschland noch manche rechts- und sozialstaatlichen Wünsche offen (Dünnebier 1975; Evang. Akademie 1977; Roxin 1982; Baumann 1981; Preusker 1981; Wolter 1981; Müller-Dietz 1981; vgl. auch V A).

C. Materielle Voraussetzungen der Untersuchungshaft 1. Dringender Tatverdacht und Haftgrund Hinsichtlich der Anordnung der Untersuchungshaft ist nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland zwischen den materiellen und den verfahrensmäßigen Zulässigkeitsvoraussetzungen zu unterscheiden. Zu den sachlichen Voraussetzungen gehören allemal dringender Tatverdacht und ein besonderer Haftgrund (§§ 112,112a StPO). Liegen sie vor, darf Untersuchungshaft angeordnet wer-

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den, muß es aber nicht; die Anordnung ist in keinem Fall zwingend vorgeschrieben, kann jedoch in jedem Stadium des Verfahrens erfolgen. Dringender Tatverdacht bedeutet: Es muß eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür gegeben sein, daß der Beschuldigte die Straftat (Vergehen oder Verbrechen) begangen hat und daß grundsätzlich alle Voraussetzungen der Strafbarkeit und Verfolgbarkeit vorliegen (Roxin 1982). Der dringende Tatverdacht, der sich ausschließlich auf die Tat-, nicht auf die Rechtsfrage bezieht (Zipf 1977), kann seiner Natur nach widerlegt werden; dann ist die Untersuchungshaft aufzuheben (Boing 1979; II C). Als Haftgründe kommen in Betracht: Flucht oder Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StPO), Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO) und Wiederholungsgefahr (§112a StPO). Die Annahme eines Haftgrundes setzt allemal das Vorliegen bestimmter Tatsachen voraus, aus denen der Richter dann auf die jeweilige Gefahr schließen kann. Der Haftgrund der Flucht ist gegeben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte ergeben, daß der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält. Fluchtgefahr ist anzunehmen, wenn „bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde" (§112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Demnach muß die Flucht als eine konkrete und naheliegende Möglichkeit erscheinen (Kleinknecht 1981). Fluchtgefahr darf nicht einfach schematisch nach der Höhe der zu erwartenden Strafe angenommen werden, sondern muß unter Abwägung aller Gesichtspunkte des Einzelfalles, wozu namentlich die persönlichen Verhältnisse (z. B. familiäre Situation, Wohnsitz, Arbeitsplatz) rechnen, festgestellt werden (Zipf 1977; Roxin 1982). Nach h. M. ist sie auch dann zu bejahen, wenn zu erwarten ist, der Beschuldigte werde sich verhandlungsunfähig machen (Roxin 1982). Verdunkelungsgefahr liegt vor, wenn das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde Beweismittel beeinträchtigen oder beseitigen oder auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder andere zu solchem Verhalten veranlassen und dadurch die Wahrheitserforschung erschweren (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO). Nach der Rspr. des BVerfG muß Flucht- oder Verdunkelungsgefahr auch bei dringendem Verdacht schwerer Straftaten im Sinne des § 112 Abs. 3 StPO gegeben sein; nur soll an die Feststellung der Voraussetzungen hier kein so strenger Maßstab angelegt werden müssen wie sonst (vgl. I A 1 b). Dagegen stellt der Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr seit 1964 einen echten, dritten Haftgrund dar (§ 112 a StPO). Als eine Art präventivpolizeilicher Sicherungshaft paßt er nicht in das System der Verfahrens- und Vollstreckungssicherung (vgl. I A 1 b). Dies gilt unbeschadet der kriminalpolitischen Notwendigkeit, Gefährdungen der Allgemeinheit durch (rückfall-)gefährliche Täter zu be-

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gegnen (Zipf 1977; Dünnebier 1978), und der Bejahung der Verfassungsmäßigkeit jenes Haftgrundes (BVerfGE 35, 185). Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr war ursprünglich auf Sexualdelikte beschränkt (Dietrich 1970); er ist nunmehr auf eine Reihe weiterer erheblicher Straftaten ausgedehnt. Im einzelnen setzt dieser Haftgrund voraus, daß der dringende Tatverdacht sich auf bestimmte schwerwiegende Straftaten (zu denen nach dem Katalog des § 112 a Abs. 1 Nr. 1 und 2 StPO neben Sexualverbrechen gewichtige Körperverletzungs-, Diebstahlsdelikte, gemeingefährliche Verbrechen und Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz zählen) bezieht und daß die Untersuchungshaft zur Abwendung der Gefahr weiterer schwerer Straftaten erforderlich ist. Außerdem muß der Beschuldigte in der Regel innerhalb der letzten fünf Jahre wegen einer Straftat gleicher Art zu Freiheitsstrafe verurteilt worden sein (§112a Abs. 1 StPO). Schließlich ist der Haftgrund der Wiederholungsgefahr subsidiär; er kann Untersuchungshaft nicht rechtfertigen, wenn ein Haftgrund nach § 112 StPO gegeben ist (§ 112 a Abs. 2 StPO).

2. Rechtsstaatliche Schranken und verfahrensrechtliche Grundsätze Der Schwere des Eingriffs, der in der Untersuchungshaft liegt, entspricht seine Begrenzung durch rechtsstaatliche Schranken. Nach dem (Verfassungs-)Recht der Bundesrepublik Deutschland unterliegt die Anordnung und Durchführung der Untersuchungshaft dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Darüber hinaus ist - namentlich im Vollzug - die Unschuldsvermutung zu beachten. Schließlich soll auch der für das Strafverfahren insgesamt geltende Grundsatz der Beschleunigung dazu beitragen, daß die Untersuchungshaft nicht länger dauert, als für die Aufklärung der Tat unerläßlich ist. Zunächst einmal verpflichtet der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dazu, Anordnung und Dauer der Untersuchungshaft auf das notwendige Maß zu beschränken (Seetzen 1973; Roxin 1982). Steht die Untersuchungshaft zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel außer Verhältnis, darf sie weder angeordnet noch (weiter) vollzogen werden (§§ 112 Abs. 1 Satz 2, 120 Abs. 1 StPO). Hiernach muß allemal die Schwere des Eingriffs in die Freiheitssphäre des Beschuldigten gegen das Gewicht des Tatvorwurfs und die Höhe der Straferwartung abgewogen werden. Die Untersuchungshaft muß also ein angemessenes Verhältnis zum Tatvorwurf und zur Strafdrohung aufweisen (Boing 1979). Deshalb ist Untersuchungshaft wegen bloßer Verdunkelungsgefahr bei leichteren Straftaten schlechthin unzulässig (§ 113 Abs. 1 StPO); wegen Fluchtgefahr darf sie in solchen Fällen nur unter erschwerten

Voraussetzungen angeordnet werden. Nach überwiegender Auffassung kommt in Privatklagesachen Untersuchungshaft nicht in Betracht (Roxin 1982). Besteht kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung und hängt die Rücknahme der Klage vom Kläger ab, erscheint Freiheitsentziehung sachlich nicht gerechtfertigt. Aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgt ferner, daß der Vollzug der Untersuchungshaft in Fällen der Fluchtgefahr auszusetzen ist, „wenn weniger einschneidende Maßnahmen die Erwartung hinreichend begründen, daß der Zweck der Untersuchungshaft auch durch sie erreicht werden kann" (§ 116 Abs. 1 Satz 1 StPO). Danach kommen alle Maßnahmen in Betracht, die den Beschuldigten weniger belasten als der Freiheitsentzug und die zugleich als Ersatzmittel für die Untersuchungshaft vollauf geeignet sind (Kleinknecht 1981). Das Gesetz nennt beispielshalber Meldepflichten, Aufenthaltsbeschränkungen, Hausarrest und Sicherheitsleistung (§116 Abs. 1 Satz 2 StPO). Die Maßnahmen dürfen natürlich nicht in uneinschränkbare Grundrechte eingreifen oder an den Beschuldigten unzumutbare Anforderungen stellen. Unter vergleichbaren Voraussetzungen kann in Fällen der Verdunkelungsgefahr der Vollzug der Untersuchungshaft ausgesetzt werden (§ 116 Abs. 2 StPO). Als weniger einschneidende Maßnahme sieht das Gesetz insoweit die Anweisung an, mit Verfahrensbeteiligten und -betroffenen keine Verbindung aufzunehmen. Entsprechendes gilt auch für den Fall der Wiederholungsgefahr; hier genügt für die Aussetzung eine hinreichende Erwartung, daß der Beschuldigte bestimmte Anweisungen befolgen und daß dadurch der Zweck der Haft erreicht wird (§116 Abs. 3 StPO). Bis zur rechtskräftigen Entscheidung kann sich der Beschuldigte ferner auf die Unschuldsvermutung berufen. Nach Art. 6 Abs. 2 MRK gilt er so lange als unschuldig. Rechtliche Bedeutung und sachlicher Gehalt der Unschuldsvermutung sind bis heute umstritten (Krauß 1971; Mrozynski 1978; Roxin 1982). Daß Zweifel in tatsächlicher Hinsicht zugunsten des Beschuldigten ausschlagen, ergibt sich bereits aus dem Grundsatz „in dubio pro reo". Unbestritten ist, daß die Unschuldsvermutung strafprozessuale Zwangsmaßnahmen - und damit auch Untersuchungshaft - keineswegs ausschließt. Manches spricht für ihre Interpretation als Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Obermaßverbotes. Dann darf der Verdächtige nicht mit Eingriffen belastet werden, die einem in Wahrheit Unschuldigen schlechterdings nicht zugemutet werden können (Krauß 1971; Roxin 1982; Müller-Dietz 1981; BVerfGE 19, 347). Schließlich wirkt sich auch der Beschleunigungsgrundsatz auf die Anordnung und Durchführung der Untersuchungshaft aus. Zwar formuliert ihn die StPO an keiner Stelle ausdrücklich; jedoch ist einer ganzen Reihe von Vorschriften zu entnehmen, daß

Strafvollzug: Untersuchungshaft das Verfahren - ungeachtet der Sorgfalt der Ermittlungen - möglichst rasch abgeschlossen werden soll (Roxin 1982). Im Falle der Untersuchungshaft spricht schon die Schwere des Eingriffs für eine Beschleunigung des Verfahrens. Demgemäß ist der Verhaftete oder Festgenommene unverzüglich einem Richter vorzuführen, der ihn zur Sache vernehmen muß (§§115, 128 f. StPO). Ebenso stellt die regelmäßige Beschränkung der Untersuchungshaftdauer auf sechs Monate (§ 121 StPO) in gewissem Sinne einen Ausfluß der Konzentrationsmaxime dar (vgl. II C). Freilich trägt diese zeitliche Begrenzung auch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung (BVerfGE 20, 50; Kleinknecht 1981). D. Formelle Voraussetzungen der Untersuchungshaft Aus den verfassungsrechtlichen Garantien hinsichtlich der Freiheitsentziehung folgt, daß nur ein Richter Untersuchungshaft anordnen darf (vgl. I B). Sie setzt dementsprechend einen schriftlichen Haftbefehl des Richters voraus (§ 114 Abs. 1 StPO). Zuständig für den Erlaß des Haftbefehls ist vor Erhebung der öffentlichen Klage der Amtsrichter, in dessen Bezirk ein Gerichtsstand begründet ist oder der Beschuldigte sich aufhält (§ 125 Abs. 1 StPO). Nach Erhebung der öffentlichen Klage ist dafür das mit der Sache befaßte Gericht zuständig (§ 125 Abs. 2 StPO). Im Haftbefehl sind anzuführen: der Beschuldigte, die Tat (deren er dringend verdächtig ist), der Haftgrund und die Tatsachen, aus denen sich der dringende Tatverdacht und der Haftgrund ergeben (§114 Abs. 2 StPO). Die Angabe der Tatsachen darf nur entfallen, wenn sonst die Staatssicherheit gefährdet würde. Gegebenenfalls muß sich der Richter auch noch mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auseinandersetzen (§114 Abs. 3 StPO). Die Verpflichtung, die Angaben im Haftbefehl möglichst zu präzisieren, soll gerade dem Erlaß sachlich ungerechtfertigter Haftbefehle entgegenwirken (Roxin 1982). II. VOLLSTRECKUNG UND AUFHEBUNG DES HAFTBEFEHLS A. Vorläufige Festnahme und Verhaftung Zur Freiheitsentziehung qua Untersuchungshaft kann es nach der StPO auf zweierlei Weise kommen. So kann in Eilfällen eine sofortige Freiheitsentziehung durch die Staatsanwaltschaft, Polizeibeamte oder aber auch durch Privatpersonen erforderlich werden, wenn etwa Gefahr besteht, daß sich ein Tatverdächtiger durch Flucht dem Verfahren entzieht, oder wenn anders als durch vorläufigen Freiheitsentzug Identitätsfeststellung nicht möglich

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ist. In allen diesen Fällen kann wegen der besonderen Eilbedürftigkeit vorher ein schriftlicher Haftbefehl des Richters nicht erwirkt werden. Dementsprechend ist zur vorläufigen Festnahme nach § 127 Abs. 1 StPO jedermann befugt, wenn der Täter auf frischer Tat betroffen oder verfolgt wird und wenn die Person des Täters nicht sofort feststellbar ist oder Fluchtverdacht besteht. Die Staatsanwaltschaft und die Polizeibeamten dürfen darüber hinaus den Tatverdächtigen auch dann vorläufig festnehmen, wenn die Voraussetzungen eines Haftbefehls (oder eines Unterbringungsbefehls nach §126a StPO) vorliegen (§127 Abs.2 StPO), d.h. wenn dringender Tatverdacht und ein Haftgrund gegeben sind. Sie dürfen ferner die zur Identitätsfeststellung erforderlichen Maßnahmen treffen (§§ 127 Abs. 1 Satz 2, 163 b StPO). Dazu kann auch eine kurzfristige Freiheitsentziehung gehören; sie darf indessen nicht länger als notwendig, auf keinen Fall jedoch länger als zwölf Stunden dauern (§ 163c Abs. 1 und Abs. 3 StPO). Ist jemand vorläufig festgenommen, muß er spätestens am Tag nach der Festnahme dem Richter bei dem Amtsgericht, in dessen Bezirk die Festnahme erfolgte, vorgeführt werden. Der Richter vernimmt ihn zur Sache (§§128 Abs. 1, 115 Abs. 3 StPO). Dann entscheidet er darüber, ob der Festgenommene freigelassen oder ein Haftbefehl erlassen wird (§ 128 Abs. 2 StPO). Im letzteren Falle ist der Festgenommene unmittelbar in Untersuchungshaft zu nehmen. Ist dem Erlaß des Haftbefehls keine vorläufige Festnahme vorausgegangen, befindet sich der Beschuldigte also noch auf freiem Fuß, muß der Haftbefehl im Wege der Verhaftung (Ergreifung) vollstreckt werden. Sie ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft (§36 Abs. 2 Satz 1 StPO), die sich dazu ihrer Hilfsbeamten (§ 152 GVG) oder der Polizei (§ 161 StPO) bedienen kann. Bei der Verhaftung ist dem Beschuldigten der Haftbefehl bekanntzugeben. Sollte dies nicht möglich sein, muß ihm in jedem Fall mitgeteilt werden, welcher Tat er verdächtig ist (§ 114a Abs. 1 StPO). Den verfassungsrechtlichen Garantien entsprechend (I B) ist der Beschuldigte spätestens am Tag nach der Ergreifung dem Haftbefehlsrichter vorzuführen (§ 115 Abs. 1 StPO). Der Richter hat die Benachrichtigung eines Angehörigen oder einer Vertrauensperson anzuordnen und dem Verhafteten selbst Gelegenheit zu solcher Unterrichtung zu geben (§ 114b StPO). Dadurch soll verhindert werden, daß jemand „bei Nacht und Nebel" spurlos verschwindet (Dünnebier 1978; Roxin 1982). Ferner hat der Richter den Beschuldigten unverzüglich zur Sache zu vernehmen, wobei er ihn ausdrücklich auf seine Aussagefreiheit hinweisen muß (§ 115 Abs. 2 und Abs. 3 StPO). Schließlich muß der Richter darüber entscheiden, ob der Haftbefehl aufrechterhalten werden kann (§115 Abs. 4 StPO) oder ob er nach § 120 StPO aufgehoben oder sein Vollzug nach § 116 StPO ausgesetzt werden muß.

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Strafvollzug: Untersuchungshaft

Ist der zuständige Richter nicht rechtzeitig zu erreichen, muß der Verhaftete unverzüglich dem Richter des nächsten Amtsgerichts vorgeführt werden (§115a StPO). Diesem obliegt dann die Benachrichtigung und Vernehmung. Jedoch kann er weil mit der Sache nicht vertraut - den Haftbefehl nicht aufheben und nur unter eingeschränkten Voraussetzungen den Verhafteten freilassen. Er hat insoweit lediglich die Möglichkeit, den zuständigen Richter über Bedenken gegen den Haftbefehl unverzüglich zu informieren (§ 115 a Abs. 2 StPO) oder den Verhafteten diesem Richter vorzuführen (§ 115a Abs. 3 StPO); auf Verlangen des Beschuldigten muß er die Vorführung anordnen.

B. Aussetzung der Untersuchungshaft (Haftverschonung) Aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergibt sich, daß weniger einschneidende Maßnahmen an die Stelle des Vollzugs der Untersuchungshaft treten müssen (dürfen), soweit deren Zweck es zuläßt (§ 116 StPO; vgl. I C 2). Bei Fluchtgefahr muß der Vollzug ausgesetzt werden, wenn mildere Mittel ausreichen. Als solche kommen namentlich Meldepflicht, Aufenthaltsbeschränkung, Hausarrest und Sicherheitsleistung in Betracht (§ 116 Abs. 1 StPO). Auch bei Verdunkelungs- und Wiederholungsgefahr kann der Richter weniger einschneidende Maßnahmen anordnen (§116 Abs. 2 und Abs. 3 StPO). Umstritten ist, ob zugleich in den Fällen des §112 Abs. 3 StPO (Untersuchungshaft bei Tötungsverbrechen) Haftverschonung zulässig ist. Jedoch wird man dies auch ohne ausdrückliche Regelung schon im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bejahen müssen (Zipf 1977; Kleinknecht 1981; Roxin 1982). Die Haftverschonung dauert nur so lange, als der Beschuldigte die ihm auferlegten Pflichten und Beschränkungen einhält; verstößt er dagegen, wird der Haftbefehl wieder vollzogen (§116 Abs. 4 StPO). Den praktisch bedeutsamsten Fall der Haftverschonung stellt die Freilassung gegen Sicherheitsleistung dar. Sie bildet insofern ein gewisses Problem, als dadurch der Vermögende bessergestellt werden kann als der Vermögenslose. Deshalb muß möglichst vermieden werden, daß Vermögende leichter mit Haftvollzug verschont werden als andere (Kleinknecht 1981). Eine gewisse Gleichbehandlung wird durch die Möglichkeit herbeigeführt, die Kaution von anderen Personen stellen oder von diesen Bürgschaften übernehmen zu lassen (§ 116 a StPO).

C. Aufhebung des Haftbefehls Der Haftbefehl ist generell in drei Fällen aufzuheben (§ 120 StPO), zu denen dann noch zwei wei-

tere Sonderfälle hinzutreten. Allgemein ist er aufzuheben, a) wenn die Voraussetzungen der Untersuchungshaft nicht mehr vorliegen, also entweder der dringende Tatverdacht oder die Haftgründe entfallen sind, b) wenn die weitere Untersuchungshaft zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel außer Verhältnis stehen würde (vgl. I C 2), c) wenn der Angeklagte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder das Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt wird; ein rechtskräftiger Freispruch ist nicht erforderlich; auch die Einlegung eines Rechtsmittels darf die Freilassung des Beschuldigten nicht verzögern (§ 120 Abs. 2 StPO). Der Haftbefehl muß ferner aufgehoben werden, wenn die Staatsanwaltschaft es vor Erhebung der öffentlichen Klage beantragt (§120 Abs. 3 StPO). Sie kann gleichzeitig mit dem Antrag die Freilassung des Beschuldigten anordnen. Diese besondere Befugnis der Staatsanwaltschaft hängt mit ihrer Stellung als Herrin des Vorverfahrens zusammen (Roxin 1982). Schließlich ist der Haftbefehl aufzuheben, wenn die Untersuchungshaft wegen derselben Tat sechs Monate gedauert hat, der Vollzug des Haftbefehls nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen ersetzt wurde und das OLG die Fortdauer der Untersuchungshaft auch nicht angeordnet hat (§ 121 Abs. 1 und Abs. 4 StPO). Der zuständige Haftrichter legt zu diesem Zweck die Akten dem OLG zur Entscheidung vor, wenn er die Fortdauer der Untersuchungshaft für notwendig hält (§ 122 Abs. 1 StPO). Erfolgt die Vorlage verspätet, ist freilich der Haftbefehl nicht schon deshalb aufzuheben; vielmehr hat das OLG auch dann nach den materiellen Kriterien zu entscheiden, die für die Haftfortdauer maßgebend sind. Über sechs Monate darf der Vollzug der Untersuchungshaft wegen derselben Tat nur andauern, „wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen" (§121 Abs. 1 StPO). Bildet Wiederholungsgefahr den Haftgrund (§112a StPO), darf der Vollzug der Untersuchungshaft nicht länger als ein Jahr aufrechterhalten werden (§ 122 a StPO). Hebt das OLG den Haftbefehl mangels Verlängerungsgrundes auf, darf auch bei nachträglicher Veränderung der Tatsachengrundlage kein neuer Haftbefehl wegen derselben Tat erlassen und vollzogen werden (Dünnebier 1978; Roxin 1982). Die zeitliche Befristung soll offenkundig dazu dienen, den mit der Untersuchungshaft verbundenen Eingriff in die Freiheit des Beschuldigten zu begrenzen. Sie trägt insofern dem Rechtsstaatsprinzip Rechnung. § 121 Abs. 1 StPO ist deshalb streng zu handhaben, um zu vermeiden, daß Personalmangel oder Überlastung der Gerichte oder Staatsanwaltschaften dem Beschuldigten ein sachlich unge-

Strafvollzug: Untersuchungshaft rechtfertigtes Sonderopfer abverlangen; die Justiz ist daher gehalten, durch geeignete organisatorische Maßnahmen darauf hinzuwirken, daß Untersuchungshaft nicht länger als unbedingt notwendig dauert (Roxin 1982; BVerfGE 36, 264). Wird ein Haftbefehl unverhältnismäßig lange aufrechterhalten, verletzt er den Betroffenen in seinem allgemeinen Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 G G ; so ist mit der Unschuldsvermutung nur in besonderen Ausnahmefällen vereinbar, einen Beschuldigten 12 Jahre lang unter dem psychischen Druck eines Haftbefehls zu belassen (BVerfG NJW 1980, 1448). Wird der Beschuldigte freigesprochen oder das Verfahren gegen ihn eingestellt, kann er nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen vom 8.3.1971 (StrEG) Entschädigung für die Untersuchungshaft verlangen (§2 Abs. 1 StrEG). Im Gegensatz zum früheren Rechtszustand kommt es nicht mehr darauf an, ob die Untersuchungshaft unschuldig erlitten wurde. Muß das Verfahren eingestellt werden, besteht grundsätzlich immer ein Anspruch auf Entschädigung. Beruht die Einstellung auf einer Ermessensentscheidung, kann Entschädigung gewährt werden, soweit dies der Billigkeit entspricht (§ 3 StrEG). § 4 StrEG dehnt diese Regelung auch auf Fälle des Absehens von Strafe und sog. überschießender Strafverfolgungsmaßnahmen aus (in denen die Rechtsfolgen hinter dem mit der Untersuchungshaft verbundenen Eingriff zurücktreten). Darüber hinaus kann neben dem Aufopferungsanspruch nach dem StrEG gegebenenfalls auch ein Anspruch auf Grund von Amtspflichtverletzung (§ 839 BGB, Art. 34 GG) in Betracht kommen (Roxin 1982).

D . Haftprüfung Während des Vollzugs der Untersuchungshaft kann der Beschuldigte jederzeit eine gerichtliche Entscheidung über die Fortdauer herbeiführen. Für die Prüfung der Frage, ob der Haftbefehl aufzuheben oder Haftverschonung zu gewähren ist, stellt ihm die StPO zwei Rechtsbehelfe zur Verfügung: die Haftbeschwerde (§§304 ff. StPO) und den Antrag auf Haftprüfung (§§ 117 ff. StPO). Die Haftbeschwerde zwingt den Haftrichter dazu, die Aufrechterhaltung des Haftbefehls zu überprüfen. Hilft er der Beschwerde nicht ab, entscheidet das LG als Beschwerdegericht (§ 306 StPO, § 73 GVG). Gegen dessen ablehnende Entscheidung ist dann die weitere Beschwerde zum OLG gegeben (§310 StPO). Haftbeschwerde kann gegen denselben Haftbefehl nur einmal eingelegt werden. Dagegen kann ein Antrag auf Haftprüfung - im Falle seiner Erfolglosigkeit - beliebig oft wiederholt werden (§ 117 Abs. 1 StPO). Im Haftprüfungsverfahren kann der Beschuldigte durch seinen Antrag eine mündliche Verhandlung erzwingen (§ 118 Abs. 1 StPO). Das

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Beschwerdeverfahren ist im Verhältnis zum Haftprüfungsverfahren subsidiär (§ 117 Abs. 1 StPO). Nach h. M. wird sogar eine bereits eingelegte Haftbeschwerde unzulässig, wenn der Beschuldigte vor ihrer Erledigung einen Haftprüfungsantrag stellt (Kleinknecht 1981; Roxin 1982). Auch im Haftprüfungsverfahren sind die einfache und die weitere Beschwerde gegeben (§§117 Abs. 2, 304, 310 StPO). Neben der gerichtlichen Kontrolle der Untersuchungshaft kann sich der Beschuldigte auch des Beistandes eines Verteidigers bedienen. Allgemein steht ihm dies in jeder Lage des Verfahrens frei (§137 Abs. 1 StPO). Hat die Untersuchungshaft mindestens drei Monate gedauert, hat er einen Anspruch auf Bestellung eines Verteidigers, wenn er noch keinen gewählt hat (§117 Abs. 4 StPO). Macht er von diesem Recht keinen Gebrauch und ergreift er auch keinen Rechtsbehelf gegen den Haftbefehl, findet von Amts wegen eine Haftprüfung statt (§117 Abs. 5 StPO). Sinn der Regelung ist es, zu gewährleisten, daß der nach längerer Untersuchungshaft besonders schutzbedürftige Beschuldigte in jedem Fall entweder durch einen Verteidiger oder durch den Richter in der Wahrung seiner Rechte sachgerecht unterstützt wird (Roxin 1982).

III. VOLLZUG DER UNTERSUCHUNGSHAFT AN ERWACHSENEN A . Die rechtliche Regelung der Untersuchungshaft 1. Grundsätze der Untersuchungshaft Der Vollzug der Untersuchungshaft ist in der Bundesrepublik Deutschland derzeit nur fragmentarisch gesetzlich geregelt. Den Rahmen, den § 119 StPO insoweit zieht, füllt inhaltlich die UVollzO i. d. F. vom 1.1.1978 aus, die als bundeseinheitliche Verwaltungsanordnung freilich nur die Vollzugsbehörden, nicht aber die Gerichte bindet (vgl. I B). Neben einigen wenigen Detailregelungen enthält § 119 StPO im wesentlichen die Grundsätze, die für die Durchführung der Untersuchungshaft im einzelnen maßgebend sind. a) H a f t z w e c k u n d O r d n u n g in d e r H a f t a n s t a l t . Zunächst einmal ist davon auszugehen, daß Untersuchungshaft keine vorweggenommene Strafe ist (Zipf 1977). Das „Verbot antizipierter Strafvollstreckung" figuriert hiernach als Schranke staatlicher Eingriffsbefugnisse. Das BVerfG hat diesen Grundsatz dahin umschrieben, kein noch so dringender Tatverdacht rechtfertige es, „gegen den Beschuldigten im Vorgriff auf die Strafe Maßregeln zu verhängen, die in ihrer Wirkung der Freiheitsstrafe gleichkommen" (BVerfGE 19, 347). Dies kann aber schwerlich bedeuten, daß

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die praktischen Auswirkungen des Freiheitsentzuges, die der Untersuchungshaftvollzug mit dem Vollzug der Freiheitsstrafe notwendigerweise teilt, schlechthin unzulässig wären (Müller-Dietz in: Evang. Akademie 1977); denn dann wäre ja das Institut der Untersuchungshaft selbst rechtlich fragwürdig (Krauß 1971). Vielmehr folgt aus jenem Grundsatz „nur", daß mit dem Vollzug der Untersuchungshaft - vom Fall des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr (§112a StPO) einmal abgesehen - keine allgemeinen Strafzwecke verfolgt werden dürfen. Demgegenüber fungieren als Grundlage für Haftbeschränkungen, die der Verhaftete hinzunehmen hat, ausschließlich die Sicherung des Haftzwecks und der Ordnung in der Vollzugsanstalt (§119 Abs. 3 StPO). Diese unbestimmten Rechtsbegriffe müssen im Hinblick auf den verfassungsrechtlich geschützten Freiheitsbereich des einzelnen näher konkretisiert werden (Roxin 1982). Der Zweck der Untersuchungshaft ergibt sich aus den Haftgründen (§§ 112, 112a StPO). Danach soll sie verhindern, daß sich der Verhaftete dem Strafverfahren entzieht, daß er durch bestimmte Handlungen die Wahrheitsermittlung erschwert oder beeinträchtigt und daß er durch weitere erhebliche Straftaten die Allgemeinheit gefährdet (Dünnebier 1978). Streitig ist, ob sich die Haftbeschränkungen nur an dem im Einzelfall zugrundeliegenden Haftgrund orientieren dürfen (Kleinknecht 1981). Soweit Beschränkungen und Kontrollen jedoch gleichermaßen zur Abwehr von Flucht- und Verdunkelungsgefahr notwendig sind, löst sich das Problem schon auf der praktischen Ebene (Dünnebier 1978). Auch die Konsequenzen, die zur Bekämpfung von Wiederholungsgefahr jeweils zu ziehen sind, stimmen wohl weitgehend mit den gegen Fluchtgefahr gerichteten Maßnahmen überein. Mit dem Begriff der Ordnung in der Vollzugsanstalt sind diejenigen Voraussetzungen des Zusammenlebens in der Zwangsgemeinschaft der Untersuchungshaft gemeint, die unerläßlich sind, um die Existenz und Funktionsfähigkeit der Institution im Hinblick auf deren besondere Zwecke zu sichern (Dünnebier 1978). Dabei geht es nicht allein um die Wahrung der äußeren Ordnung sondern auch um die Aufrechterhaltung der Sicherheit (Kleinknecht 1981). Dies schließt einerseits eine weitgehende Individualisierung in der Gestaltung der Haftbedingungen wegen der Zusammenfassung und Unterbringung einer größeren Anzahl von Personen im begrenzten räumlichen Bereich einer Haftanstalt aus. „Die Ordnung in der Anstalt muß mit beschränkten sachlichen Mitteln und mit einem ebenso ausreichenden Personal aufrechterhalten werden" (Dünnebier 1978). Andererseits müssen sich diese Beschränkungen im Rahmen des sachlich Notwendigen und Unvermeidbaren halten (BVerfGE 42, 100). Unzulässig wäre es hiernach, dem Verhafteten einen Freiheits-

spielraum nach Maßgabe der Möglichkeiten zu gewähren, die in einer Haftanstalt gerade (und zufällig) vorhanden sind. Vielmehr müssen sich organisatorische Gestaltung sowie personelle und räumliche Ausstattung der Haftanstalt danach richten, was zu einem menschenwürdigen Vollzug notwendig ist. Das BVerfG hat ausdrücklich darauf verwiesen, daß nur die „unvermeidbaren", sich „aus der Natur der Sache" ergebenden „situationsbedingten" Beschränkungen zulässig sind (BVerfGE 42, 100). Dies bringt auch § 119 Abs. 3 StPO zum Ausdruck, wonach sich der Verhaftete diejenigen Bequemlichkeiten und Beschäftigungen - auf seine Kosten - beschaffen darf, die mit dem Haftzweck vereinbar sind und nicht gegen die Ordnung in der Haftanstalt verstoßen. b ) T r e n n u n g s g r u n d s a t z . Über die Sicherung von Haftzweck und Ordnung in der Haftanstalt hinaus bestimmt der Trennungsgrundsatz maßgeblich die Stellung des Verhafteten. Er besagt im wesentlichen zweierlei: Zum einen folgt daraus grundsätzlich Unterbringung des Verhafteten in Einzelhaft (§119 Abs. 1 und Abs. 2 StPO). Dies bedeutet, daß der Verhaftete in aller Regel in einem Haftraum allein unterzubringen ist. Darin liegt insofern eine Privilegierung gegenüber dem Strafgefangenen, als dieser grundsätzlich Alleinunterbringung nur während der Ruhezeit beanspruchen kann (§18 StVollzG). Gemeinschaftliche Unterbringung ist lediglich zulässig, wenn sie der Verhaftete ausdrücklich schriftlich beantragt oder wenn sein körperlicher oder geistiger Zustand dies erfordert. Im letzteren Falle wird im allgemeinen ein ärztliches Gutachten eingeholt werden müssen. Allerdings bezieht sich der Grundsatz der Einzelunterbringung nur auf den Haftraum, in dem der Verhaftete wohnt und lebt, nicht dagegen auf andere Räumlichkeiten der Haftanstalt (Kleinknecht 1981). Während dieser Grundsatz im Verhältnis zu allen anderen Gefangenen, also auch zu Untersuchungsgefangenen, gilt, bezieht sich der Trennungsgrundsatz auf die Trennung der Untersuchungs- von Strafgefangenen. Er ist durch die praktischen Möglichkeiten der Haftanstalt eingeschränkt (§119 Abs. 1 Satz 2 StPO). Ist die Trennung unmöglich, darf der Untersuchungsgefangene mit Strafgefangenen zusammengebracht werden. Im selben Raum ist dies allerdings nur unter den Voraussetzungen zulässig, die eine Durchbrechung des Grundsatzes der Einzelunterbringung gestatten (Dünnebier 1978). c) G e s t a l t u n g s b e f u g n i s d e s H a f t r i c h t e r s . Grundsätzliche rechtliche und praktische Bedeutung in verfahrensmäßiger Hinsicht kommt §119 Abs. 6 StPO zu. Denn diese Vorschrift begründet die Zuständigkeit des Haftrichters für alle notwendigen Anordnungen und Entscheidungen,

Strafvollzug: Untersuchungshaft die der Sicherung des Verfahrens dienen. Danach obliegt es dem Richter namentlich, die Haftbeschränkungen anzuordnen, die dem Verhafteten im Einzelfall im Hinblick auf den Haftzweck auferlegt werden müssen (§119 Abs. 3 StPO). Ebenso bestimmt der Richter, welche Bequemlichkeiten dem Verhafteten zu gewähren sind (§ 119 Abs. 4 StPO). Dabei kann er die erforderlichen Maßnahmen allgemein und von vornherein oder auch (nachträglich) im Wege der Ergänzung treffen. In die Organisation der Haftanstalt darf der Haftrichter nicht eingreifen (Kleinknecht 1981). Will er eine Einzelanordnung treffen, die einen Verhafteten in einer über den Regelvollzug hinausgehenden Weise beschwert, muß er jenem zuvor rechtliches Gehör gewähren (BVerfGE 17, 143). Freilich kann sich insoweit eine Einschränkung auf Grund konkreter Gefahr für Leib und Leben anderer ergeben (Dünnebier 1978; Kleinknecht 1981). In dringenden Fällen kann auch der Staatsanwalt, der Anstaltsleiter oder ein anderer Anstaltsbediensteter vorläufige Maßnahmen treffen. Der Anordnende muß dann eine Entscheidung des Richters über die Fortwirkung der Maßnahme herbeiführen (§ 119 Abs. 6 Satz 3 StPO). Ein dringender Fall liegt vor, wenn die Maßnahme notwendig ist, um den Haftzweck oder die Anstaltsordnung zu sichern, aber rechtzeitig eine richterliche Entscheidung nicht eingeholt werden kann. In Betracht kommen etwa die Fälle der Meuterei, sonstiger Gewalttätigkeiten und erhöhter Fluchtgefahr. Hingegen ist für solche Eilentscheidungen in Fällen von Disziplinarmaßnahmen und Zwangsernährung kein Raum (Dünnebier 1978).

2. Die Stellung des Verhafteten im einzelnen a ) Ü b e r b l i c k . Außer den Grundsätzen der Freiheitsbeschränkung (Sicherung des Haftzwecks und der Ordnung in der Haftanstalt, Trennung und Einzelunterbringung des Verhafteten sowie Zuständigkeit des Haftrichters) enthält § 119 StPO lediglich noch eine Detailregelung der Voraussetzungen der Fesselung (Abs. 5). Demgegenüber hegt auf der Hand, daß Freiheitsentziehung - auch wenn sie nur der Verfahrens- und Vollstreckungssicherung dient - in die verschiedensten Lebensbereiche des Verhafteten eingreift. Dies gilt nicht nur dann, wenn der Haftrichter im Hinblick auf den Haftzweck besondere Beschränkungen anordnet, sondern bereits für die „Normallage" des Vollzugs. So trifft denn auch die UVollzO in detaillierter Weise Regelungen für die verschiedenen Lebensbereiche und Situationen, in denen sich aus der Tatsache des Freiheitsentzuges selbst oder aus dem Haftzweck oder der Anstaltsordnung (rechts-)praktische Konsequenzen für die Gestaltung der Haftbedingungen ergeben. Im einzelnen geht es dabei namentlich um: Verkehr mit der Außenwelt

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(Nrn. 24-41), Arbeit und Selbstbeschäftigung (Nrn. 42-44), Freizeit (Nrn. 45-46), Seelsorge (Nrn. 47-48a), soziale Hilfe (Nr. 49), Ernährung, Kleidung und Habe (Nrn. 50-55), Gesundheitspflege (Nrn. 56-59), Durchsuchung und besondere Sicherungsmaßnahmen (Nrn. 61-66), Disziplinarmaßnahmen (Nrn. 67-71) sowie unmittelbaren Zwang (Nr. 72). Angesichts ihrer Rechtsnatur als Verwaltungsanordnung kann die UVollzO die Rechte des Verhafteten nicht weiter einschränken, als dies GG und StPO vorsehen oder zulassen (Dünnebier 1978; Roxin 1982). Sonderprobleme ergeben sich hinsichtlich der Rechtsstellung des Untersuchungsgefangenen in Fällen der sog. Überhaft. Diese ist dann gegeben, wenn zusätzlich ein Haftbefehl in einer anderen Strafsache vorliegt oder wenn gegen den Verhafteten außer dem Haftbefehl auch noch Freiheitsstrafe auf Grund eines rechtskräftigen Urteils zu vollstrecken ist. Während im ersteren Fall ausschließlich Untersuchungshaft vollzogen wird, hat das Zusammentreffen von Strafvollstreckung und Untersuchungshaft eine Kumulation der Haftbeschränkungen zur Folge, die sich einerseits auf den Vollzug der Freiheitsstrafe (§ 4 Abs. 2 StVollzG), andererseits auf den Vollzug der Untersuchungshaft gründen (§ 122 StVollzG; Kleinknecht, Janischowsky 1977). Diese besondere Situation gebietet es, in solchen Fällen an die Prüfung der Voraussetzungen für Eingriffe in die Rechte des Verhafteten strenge Anforderungen zu stellen; namentlich ist zu beachten, daß Rechtsbeschränkungen aus Verfahrensgründen nur nach Maßgabe des im Haftbefehl jeweils ausgewiesenen Haftgrundes zulässig sind (Baumann 1981; Calliess, Müller-Dietz 1983). Die folgende kursorische Darstellung greift einzelne Regelungsmaterien und Fragen auf, denen im Vollzug der Untersuchungshaft besondere Bedeutung zukommt; hinsichtlich der Details muß auf die ausführliche Darstellung von Dünnebier (1978) und Spezialuntersuchungen verwiesen werden. b ) E i n z e l n e R e g e l u n g s b e r e i c h e . Ernährung (Nrn. 50-51 UVollzO): Für die Ernährung des Verhafteten hat die Vollzugsanstalt zu sorgen. Jedoch darf sich der Verhaftete auf seine Kosten durch Vermittlung der Haftanstalt selbst verpflegen; Maßstab ist dabei eine vernünftige Lebensweise. Ihm ist es auch gestattet, sich auf seine Kosten von der Anstalt zugelassene Zusatznahrungs- und Genußmittel sowie andere Gegenstände des persönlichen Bedarfs zu beschaffen. Auch in diesem Fall übernimmt die Beschaffung die Anstalt. Kleidung (Nr. 52 UVollzO): Der Verhaftete darf eigene Kleidung und Wäsche tragen; er darf auch eigene Bettwäsche benutzen. Soweit er über eigene Kleidung und Wäsche nicht verfügt oder nicht in der Lage ist, für regelmäßigen Wechsel und für Reinigung der eigenen Sachen zu sorgen, wird er mit Anstaltskleidung und -Wäsche ausgestattet.

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Auch zur Schonung der eigenen Sachen kann ihm das Tragen von Anstaltskleidung und -wäsche gestattet werden. Umgekehrt kann ihm erlaubt werden, bei Kontakten mit der Außenwelt eigene Kleidung und Wäsche zu tragen. Insoweit ist die Regelung der UVollzO restriktiver, als der verfassungsrechtlichen Stellung des Untersuchungsgefangenen entspricht. Ausgestaltung des Haftraums und persönlicher Besitz (Nr. 53 UVollzO): Der Anstaltsleiter darf dem Verhafteten diejenigen Sachen aus der Habe überlassen, die sich zum persönlichen Gebrauch oder zur Ausstattung des Haftraumes eignen. Geld, Wertsachen und besondere Kostbarkeiten sind davon ausgenommen. Der Besitz von Uhren und das Tragen eines Ehe- oder Verlobungsringes sind gestattet. Der Verhaftete darf Sachen aus seiner Habe nur mit Zustimmung des Richters aus der Anstalt entfernen oder anderen Gefangenen überlassen. Gesundheitsfürsorge (Nrn. 56-59 UVollzO): Auf Grund der staatlichen Fürsorgepflicht hat der Verhaftete einen Anspruch auf ärztliche Betreuung (Dünnebier 1978). Diese obliegt dem Anstaltsarzt. Dem Verhafteten kann gestattet werden, einen beratenden Arzt hinzuzuziehen und sich durch seinen eigenen Zahnarzt behandeln zu lassen. Diese restriktive Regelung wird mit Recht als zu eng kritisiert (Dünnebier 1978). Grundsätzlich muß sich der Verhaftete durch einen Arzt eigener Wahl behandeln lassen können (Molketin 1981; Baumann 1981). Seelsorge (Nrn. 47-48 a UVollzO): Der Verhaftete darf grundsätzlich am gemeinschaftlichen Gottesdienst und an anderen religiösen Veranstaltungen seines Bekenntnisses teilnehmen. Ausnahmen gelten nur dann, wenn der Richter im Hinblick auf den Haftzweck oder die Anstaltsordnung etwas anderes anordnet. Das Recht auf Einzelseelsorge darf dem Verhafteten nicht beschnitten werden. Auch während des Vollzugs einer Disziplinarmaßnahme darf er nur dann vom Gottesdienst ausgeschlossen werden, wenn er dessen Störung besorgen läßt (Dünnebier 1978). Arbeit und Selbstbeschäftigung (Nrn. 42-44 UVollzO): Der Verhaftete ist nicht zur Arbeit verpflichtet; Arbeitszwang wäre auch mit dem Charakter der Untersuchungshaft unvereinbar. Jedoch soll dem Verhafteten Gelegenheit zur Arbeit gegeben werden. Übernimmt er eine Tätigkeit, kann er nicht dazu angehalten werden sie auszuüben. Da er keinen Anspruch auf Arbeit hat, muß er sie zu den Bedingungen annehmen, die der Staat ihm gewährt (Dünnebier 1978). In jedem Fall hat er dann aber einen Anspruch auf ein - freilich bescheidenes Arbeitsentgelt, das dem des Strafgefangenen entspricht (§§ 177, 43, 200 Abs. 1 StVollzG). Der Verhaftete darf sich selbst beschäftigen, soweit dies mit dem Haftzweck und der Anstaltsordnung vereinbar ist. Grundsätzlich darf er für seine Arbeiten auch eine Schreibmaschine benutzen. Aus sozialstaatli-

chen Gründen ist die Vollzugsverwaltung gehalten, für ein sinnvolles Arbeitsangebot zu sorgen (Baumann 1981). Informationsmöglichkeiten (Nrn. 40-45 UVollzO): Auch der Verhaftete kann sich auf das Grundrecht der Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Es darf nur aus zwingendem Anlaß und auf Grund einer Einzelfallprüfung eingeschränkt werden (Roxin 1982). Dementsprechend steht es dem Verhafteten frei, auf eigene oder fremde Kosten Zeitungen, Zeitschriften und Bücher zu beziehen. Schranken ergeben sich insoweit grundsätzlich nur aus den Strafgesetzen. Deshalb darf dem Verhafteten etwa der Bezug nicht strafbarer Schriften pornographischen Inhalts nicht verwehrt werden (Dünnebier 1978). Eine Kontrolle von Zusendungen (Zeitungen, Zeitschriften, Bücher) in Bezug auf versteckte Nachrichten ist gegebenenfalls zulässig. Dem Verhafteten ist ferner Einzelrundfunkempfang in der Regel gestattet (BVerfGE 15, 294; Roxin 1982). Einschränkungen dieses Rechts darf der Richter nur aus begründetem Anlaß anordnen (z.B. Empfang von Nachrichten im Rahmen geheimdienstlicher Tätigkeit). Entsprechendes gilt für den Einzelempfang durch eigenes Fernsehgerät (Dünnebier 1978); zu Unrecht verfahren Praxis und Rechtsprechung hier jedoch sehr restriktiv (OLG Koblenz NStZ 1982, 46). Am gemeinschaftlichen Hörfunk- und Fernsehempfang darf der Verhaftete dann teilnehmen, wenn der Richter zugestimmt hat. Insoweit gelten die allgemeinen Grundsätze über die Teilnahme an Gemeinschaftsveranstaltungen. Briefverkehr (Nrn. 28-35 UVollzO): Der Schriftverkehr ist grundsätzlich unbeschränkt; der Verhaftete kann so viele Briefe absenden und empfangen wie er will. Einschränkungen sind nur im Einzelfall und dann zulässig, wenn der Haftzweck oder die Ordnung in der Anstalt es erfordert. Ausgehende Post darf kontrolliert werden; insoweit werden das Recht der freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) und das Briefgeheimnis (Art. 10 Satz 1 GG) durch § 119 Abs. 3 StPO eingeschränkt. Von der Einsicht ausgenommen ist grundsätzlich die Verteidigerpost (§ 148 StPO). Umstritten ist, ob dies auch generell für die eingehende Post gilt (für Kontrollbefugnis: Dünnebier 1978; Kleinknecht 1981; gegen Kontrollbefugnis: Franz 1965; Roxin 1982). Ebenso ist umstritten, unter welchen Voraussetzungen Schreiben angehalten und von der Weiterbeförderung ausgeschlossen werden dürfen. Einigkeit besteht darin, daß Briefe, deren Weitergabe das Strafverfahren oder die Anstaltsordnung beeinträchtigen würden, angehalten werden dürfen. Zweifelhaft ist jedoch, ob dies auch für Briefe bloß beleidigenden Inhalts gilt (vgl. Dünnebier 1978; Roxin 1982). Zu begrüßen ist, daß das BVerfG im Hinblick auf den Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) einen solchen Anhaltegrund wenigstens für den Briefwechsel unter Angehörigen verneint

Strafvollzug: Untersuchungshaft (BVerfGE 42, 237). Mit Recht verweist das BVerfG (NJW 1981,1943) darauf, daß § 119 Abs. 3 StPO keinen Ehrenschutztatbestand darstellt, sondern lediglich der Gefahrenabwehr dient. Die Briefkontrolle obliegt grundsätzlich dem Richter. Er kann sie - wie auch andere Maßnahmen (Nr. 3 UVollzO) - dem Staatsanwalt übertragen. Hingegen wäre es unzulässig, damit den Anstaltsleiter oder andere Vollzugsbeamte zu betrauen (Dünnebier 1978). Wird der Inhalt eines Briefes beanstandet, ist dieser zur Habe des Verhafteten zu nehmen. Die Anordnung muß dem Verhafteten bekanntgegeben werden. Gegebenenfalls kommt eine Beschlagnahme in Betracht, wenn der Brief als Beweismittel im Verfahren verwendet werden soll (§97 StPO). Besuchsverkehr (Nrn. 24-27 UVollzO): Besuche sind grundsätzlich zulässig. Sie unterliegen aber im Hinblick auf den Haftzweck und die Ordnung in der Haftanstalt gleichfalls der Kontrolle. Diese bezieht sich sowohl auf das Gespräch als auch auf die Gegenstände, die der Besucher übergeben will. So kann der Richter etwa die Zulassung von Besuchen von einer Durchsuchung abhängig machen (Dünnebier 1978). Dagegen ist eine Überwachung von Verteidigerbesuchen grundsätzlich unzulässig (§148 StPO). Das gilt auch für die Kontrolle der mitgeführten schriftlichen Verteidigerunterlagen; eine Ausnahme bilden lediglich diejenigen Fälle, in denen sich der Beschuldigte wegen des Verdachts der Beteiligung an einer terroristischen Organisation (§ 129 a StGB) in Haft befindet; insoweit unterliegen Schriftstücke und andere Unterlagen des Verteidigers richterlicher Kontrolle (§148 Abs. 2 StPO). Im übrigen muß sich der Verteidiger aber lediglich in bezug auf Waffen und Ausbruchswerkzeuge wie jeder andere Besucher behandeln lassen. Ebenso wie bei der Kontrolle des Briefverkehrs müssen auch bei der Überwachung und Regelung des Besuchsverkehrs verfassungsrechtlich geschützte Positionen gewahrt bleiben. Das gilt z. B. für das Recht des Verhafteten, seinen Ehepartner auch außerhalb der Besuchszeiten zu empfangen, wenn anders ein Besuch nicht möglich oder zumutbar ist (BVerfGE 42, 101). Besondere Sicherungsmaßnahmen (§ 119 Abs. 5 StPO, Nrn. 62-66 UVollzO): Besondere Sicherungsmaßnahmen sind nur zulässig, soweit sie die Sicherung des Haftzwecks oder die Wahrung der Anstaltsordnung zwingend erfordert. Dabei ist namentlich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. So können geringfügige Störungen der Anstaltsordnung solche Maßnahmen nicht rechtfertigen. Besondere Sicherungsmaßnahmen kommen vor allem dann in Betracht, wenn nach dem Verhalten oder dem Zustand des Gefangenen erhöhte Fluchtgefahr, die Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen oder die Gefahr der Selbsttötung oder -Verletzung besteht. Die UVollzO sieht einen ganzen Katalog solcher Maßnahmen

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von der verstärkten Durchsuchung des Haftraums und der Person des Verhafteten bis zu seiner Verlegung in eine andere Anstalt vor (Nrn. 63 und 66). Einen von § 119 Abs. 5 StPO besonders geregelten Fall stellt die Fesselung dar. Sie ist nur zulässig, wenn der Verhaftete Gewalt anwendet, Widerstand leistet, einen Fluchtversuch unternimmt oder wenn konkrete Flucht-, Selbsttötungs- oder -verletzungsgefahr gegeben ist (vgl. Dünnebier 1978). Hinsichtlich der Fesselung, aber auch anderer schwerwiegender Eingriffe in die Freiheit des Verhafteten wie etwa der „Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände", muß an die Prüfung der Frage, ob weniger einschneidende Maßnahmen ausreichen, ein strenger Maßstab angelegt werden. Allemal dürfen besondere Sicherungsmaßnahmen nur soweit und solange aufrechterhalten werden, als es ihr Zweck verlangt. Die Anordnung ist grundsätzlich dem Richter vorbehalten; eine Notkompetenz steht auch hier dem Staatsanwalt und Anstaltsbediensteten zu. Unmittelbarer Zwang (§§ 178, 94-101 StVollzG, Nr. 67 UVollzO): Auch in der Untersuchungshaft kann äußerstenfalls die Anwendung unmittelbaren Zwangs notwendig werden. Maßgebend dafür sind nach § 178 StVollzG die Vorschriften des StVollzG über den unmittelbaren Zwang (§§94-101 StVollzG). Sinn dieser Regelung ist es offenkundig zu vermeiden, daß die im Straf- und Untersuchungshaftvollzug tätigen Bediensteten auf diesem rechtlich wie praktisch überaus heiklen Gebiet mit unterschiedlichen Vorschriften operieren müssen (Calliess, Müller-Dietz 1983). „Unmittelbarer Zwang ist die Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, ihre Hilfsmittel und durch Waffen" (§95 StVollzG). Schon im Hinblick auf die Schwere und die - möglichen - Folgen eines solchen Eingriffs darf unmittelbarer Zwang nur als letztes, äußerstes Mittel angewendet werden, um rechtmäßige Vollzugs- und Sicherungsmaßnahmen durchführen zu können. Voraussetzung ist, daß der damit verfolgte Zweck auf keine andere Weise erreicht werden kann. In Betracht kommt unmittelbarer Zwang vor allem bei Flucht, Fluchtversuch, Meuterei, Angriff auf Vollzugsbedienstete und Gefangene, Selbstgefährdung und sonstigen bedrohlichen Situationen (vgl. Dünnebier 1978). Zu den Maßnahmen unmittelbaren Zwangs rechnen auch die Zwangsmaßnahmen in der Gesundheitsfürsorge; dazu gehören zwangsweise medizinische Untersuchung, Behandlung und Ernährung (§ 101 Abs. 1 StVollzG). Vor allem der letztere Fall ist - etwa in den Fällen des Hungerstreiks - praktisch bedeutsam. Zwangsernährung ist (ebenso wie andere medizinische Zwangsmaßnahmen) nur bei Lebensgefahr, schwerwiegender Gefahr für die Gesundheit des Gefangenen oder bei Gefahr für die Gesundheit anderer Personen zulässig. Sie muß für alle Beteiligten zumutbar und darf nicht mit erheblicher Gefahr für Leben oder Gesundheit des Ge-

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Strafvollzug: Untersuchungshaft

fangenen verbunden sein. Zur Durchführung der Maßnahme ist die Vollzugsbehörde jedoch erst dann verpflichtet, wenn es an der freien Willensbestimmung des Inhaftierten fehlt oder wenn akute Lebensgefahr besteht (vgl. im einzelnen Dünnebier 1978; Calliess, Müller-Dietz 1983). Eine wesentliche Schwierigkeit liegt ersichtlich darin, daß diese Anordnung der Haftrichter zu treffen hat (§119 Abs. 6 StPO), während der Anstaltsarzt jeweils das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen nach medizinischen Gesichtspunkten feststellen muß. Regelung und Praxis der Zwangsernährung sind stark umstritten (Linck 1975; Weis 1975; Wagner 1975; Nöldeke, Weichbrodt 1981; Geppert 1982). Überwiegend bejaht man heute jedoch die Erforderlichkeit einer solchen Notkompetenz zumindest für die Fälle mangelnder Entscheidungsfreiheit und akuter Lebensgefahr. Disziplinarmaßnahmen (Nrn. 67-71 UVollzO): Darüber, daß die Ordnung in der Haftanstalt nicht ohne Disziplinarmaßnahmen aufrechterhalten werden kann, besteht weitgehend Einigkeit. Umstritten ist freilich, ob §119 Abs. 3 StPO (Aufrechterhaltung der Ordnung) als gesetzliche Eingriffsgrundlage ausreicht oder ob es nicht vielmehr einer - derzeit noch fehlenden - Spezialermächtigung bedarf (Dünnebier 1978). Ferner ist umstritten, ob Disziplinarmaßnahmen nur präventiven oder auch repressiven Zwecken dienen dürfen (vgl. Roxin 1982). Die derzeitige Praxis geht indessen von der Zulässigkeit im letzteren Sinne aus (Kleinknecht 1981). Danach dürfen schuldhafte Verstöße gegen die Anstaltsordnung durch den Richter mit Disziplinarmaßnahmen geahndet werden. Nr. 68 UVollzO sieht neben dem Verweis namentlich die Beschränkung oder den Entzug von Bequemlichkeiten und Rechten als Disziplinarmaßnahmen vor; als schwerste Disziplinarmaßnahme ist Arrest bis zu vier Wochen zugelassen. Der Anstaltsleiter veranlaßt in Disziplinarfällen die Ermittlungen; dabei ist jeweils der Verhaftete zu hören. Hält der Anstaltsleiter eine Disziplinarmaßnahme für erforderlich, teilt er das Ergebnis der Ermittlungen dem Richter mit. Dieser kann dann eine Disziplinarmaßnahme anordnen, muß es aber nicht. Die derzeitige Disziplinarpraxis ist manchen Einwänden und Bedenken ausgesetzt, die z. T. auch mit der richterlichen Zuständigkeit zusammenhängen (vgl. Dünnebier 1978).

3. Gerichtlicher

Rechtsschutz

Der Verhaftete kann sich gegen den Haftbefehl und dessen Vollzug mit der einfachen Beschwerde und dem Antrag auf Haftprüfung wenden (vgl. II D). Gegen Anordnungen des Haftrichters kann er einfache Beschwerde einlegen (§304 StPO). Die Beschwerde führt zur Überprüfung der getroffenen Entscheidung durch den Haftrichter. Hilft er der

Beschwerde nicht ab, legt er sie dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vor (§ 306 Abs. 2 StPO). Dieses verwirft die Beschwerde oder trifft die in der Sache gebotene Entscheidung (§309 StPO). Hingegen ist die weitere Beschwerde nicht gegeben, da die Anfechtung hier nicht die Verhaftung, sondern nur deren Vollzug betrifft (§310 StPO). Das Beschwerderecht steht auch dem Staatsanwalt, dem Verteidiger sowie demjenigen zu, dessen Antrag auf Kommunikation mit dem Verhafteten abgelehnt worden ist (Dünnebier 1978; Kleinknecht 1981). Der Anstaltsleiter hat kein Beschwerderecht; er kann lediglich - nach erfolglosen Gegenvorstellungen - sich um Einlegung der Beschwerde durch den Staatsanwalt bemühen. Gegen Maßnahmen und Verfügungen der Anstaltsbediensteten kann der Verhaftete Dienstaufsichtsbeschwerde einlegen (Nr. 75 UVollzO). Er kann - wie auch sonst - Gegenvorstellungen erheben. Vor allem steht ihm gegen Vollzugsmaßnahmen der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach §§23 ff. E G G V G offen, über den dann ein Strafsenat des zuständigen O L G befindet (§ 25 E G G V G ) . Dieser Rechtsweg ist an sich subsidiär (§ 23 Abs. 3 E G G V G ) ; bei Maßnahmen des Untersuchungshaftvollzuges ist jedoch in der Regel eine andere strafprozessuale gerichtliche Zuständigkeit nicht begründet, soweit sie eben nicht auf Anordnungen des Haftrichters selbst zurückgehen (Dünnebier 1978). Der Antragsteller muß geltend machen, daß er durch die Maßnahme, ihre Ablehnung oder ihre Unterlassung in seinen Rechten verletzt ist (§24 Abs. 1 E G G V G ) . Der Antrag kann sich - im Hinblick auf die Zuständigkeitsabgrenzung - allemal nur gegen solche Maßnahmen des Anstaltsleiters richten, die der Haftrichter nicht abstellen kann (Dünnebier 1978). Soweit ein Verwaltungsvorverfahren rechtlich vorgeschrieben ist, kann der Antragsteller den Strafsenat erst nach erfolgloser Einlegung dieses Rechtsbehelfs anrufen (§24 Abs. 2 EGGVG). Als Gegenstand eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung, den neben dem Verhafteten jeder stellen kann, der durch Vollzugsmaßnahmen, deren Ablehnung oder Unterlassung rechtlich betroffen ist, kommen namentlich in Betracht: Regelung finanzieller Ansprüche an den Staat (ausgenommen Amtshaftungsansprüche), Größe und Ausgestaltung der Hafträume, Art und Umfang der Verpflegung, Zu- und Verteilung der Gefangenenarbeit, ärztliche Behandlung (mit Ausnahme der Zwangsmaßnahmen) (Dünnebier 1978). In der Hauptsache sind es also Maßnahmen, die üblicherweise im Rahmen des Dienstbetriebes und Tagesablaufs in der Untersuchungshaft getroffen werden, während diejenigen Entscheidungen, welche die Gewährung oder Versagung von Bequemlichkeiten sowie die Einschränkungen von Rechten zum Gegenstand haben, haftrichterlicher Zuständigkeit und damit der Beschwerde unterliegen. Aus dieser Kompetenzre-

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Strafvollzug: Untersuchungshaft gelung ergeben sich freilich manche Schwierigkeiten hinsichtlich der Abgrenzung der Rechtsbehelfe. Denn je nachdem, ob die getroffene oder zu treffende Maßnahme in den Zuständigkeitsbereich des Haftrichters oder des Anstaltsleiters fällt, ist für die gerichtliche Entscheidung der Haftrichter oder das OLG zuständig. Weitere Kompetenzprobleme können sich in Fällen der sog. Überhaft ergeben, weil dann noch gegebenenfalls die Strafvollstreckungskammer zuständig sein kann (vgl. III A 2 a). B. Zur tatsächlichen Situation der Untersuchungshaft

und durch Gewährung sozialer Hilfen zugleich zur Eingliederung des Beschuldigten beizutragen (Plemper 1979; 1981; Reher 1979; Staatliche Pressestelle Hamburg 1979; Beese 1981; Lau 1981; Bender, Reher 1981). In diesem Zusammenhang wird ferner diskutiert, ob und inwieweit Lern- und therapeutische Angebote zur erzieherischen Ausgestaltung des Vollzugs der Untersuchungshaft an Jugendlichen beitragen können (Kempe 1973; Barasch und Brandler in: Jugendgerichtsbarkeit 1975; Karger 1976; Blumenberg in: Evang. Akademie 1977; 1978; Eberle 1978; 1980; Walter 1978; Stephan/Werner 1979; Kallien 1980; Kury 1981).

1. Überblick

2. Informationen zur tatsächlichen Situation

Umfassende empirische Erhebungen über die tatsächliche Situation der Untersuchungshaft in der Bundesrepublik Deutschland fehlen weitgehend. Sie sind auch im Ausland allenfalls teilweise vorhanden (vgl. Jescheck, Krümpelmann 1971). Jedoch werden regelmäßig statistische Daten über Zahl, Alter und Geschlecht der Verhafteten in der Fachserie Rechtspflege Reihe 4 Strafvollzug des Statistischen Bundesamtes Wiesbaden veröffentlicht. Sie lassen freilich nur quantitative Aussagen über die Entwicklung der Untersuchungshaft, jedoch keine Schlüsse auf ihre reale Ausgestaltung in den einzelnen Haftanstalten zu. Seit den grundlegenden rechtsvergleichenden Studien über die Untersuchungshaft von Jescheck/Krümpelmann (1971) liegen auch einschlägige Analysen über zahlenmäßige Trends vor (Krümpelmann in: Jescheck/Krümpelmann 1971; Dünkel, Rosner 1981). Dabei spielen nicht zuletzt die Haftdauer (Krümpelmann in: Göppinger/Kaiser 1976; Carstensen 1980; 1981) sowie Zusammenhänge zwischen Untersuchungshaft und Strafurteil (Kerner 1978) eine Rolle. Statistische Untersuchungen wurden auch zum Vollzug der Untersuchungshaft an Jugendlichen und Heranwachsenden durchgeführt (Kreuzer 1978; Kallien 1980). Die tatsächliche Ausgestaltung dieser Untersuchungshaft wurde in exemplarischer Weise analysiert (Zirbeck 1973; Busch 1980). Daten zur Insassenstruktur wurden erhoben (Kury 1981). Auch Auswirkungen der Haft (Sieverts 1979; Schütze 1980) und langer Haftdauer (Binswanger/Brandenberger 1975) sind Gegenstand von Studien. Darüber hinaus liegen Analysen und Erfahrungsberichte zu einigen Projekten und Maßnahmen vor, die i. w. S. der Reform der Untersuchungshaft sowie der Entwicklung von Alternativen gelten (Bundeszusammenschluß 1975; Sozialpädagogischer Arbeitskreis Uelzen 1975; Martijn/Beyer 1979). Paradigmatisch dafür erscheint die sog. Haftentscheidungshilfe in Hamburg, die etwa dazu beitragen soll, durch Vermittlung von Informationen über Persönlichkeit und soziales Umfeld des Beschuldigten an den Richter zur Abkürzung der Haftdauer

Die Zahl der Verhafteten macht in der Bundesrepublik Deutschland seit einiger Zeit ca. ein Viertel aller Insassen des Vollzuges aus. So belief sie sich am 30.6.1980 auf 14066 bei 55744 Gefangenen insgesamt. Der Anteil der Untersuchungsgefangenen an der Gesamtzahl der Inhaftierten unterlag freilich zeitweilig erheblichen Schwankungen. Nach der Strafprozeßnovelle von 1964 war er im wesentlichen leicht rückläufig; dies gilt vor allem für die Zeit bis 1969 (Krümpelmann in: Jescheck/Krümpelmann 1971). Danach stieg er wieder an (Krümpelmann 1976); vermutet wird nicht zuletzt ein Zusammenhang zwischen der Zunahme der Kriminalität und der vermehrten Praktizierung von Untersuchungshaft (Kerner 1978). Im internationalen Vergleich liegt die Bundesrepublik, was die Gefangenenziffern anlangt (Anzahl der Verhafteten pro 100000 Einwohner), im Mittelfeld; dies entspricht in etwa der Gefangenenrate im ganzen (Kerner 1978). Freilich sind solche Daten wenig aussagekräftig. Nähere Informationen ergeben Aufschlüsselungen nach Geschlecht und Alter. Von den insgesamt 14155 Verhafteten (Stichtag 1.1.1978) waren 13537 Männer. Auch der Untersuchungshaftvollzug bildet also weitgehend die zahlenmäßige Aufteilung auf die beiden Geschlechter ab, wie sie für den Vollzug im ganzen und die (amtlich registrierte) Kriminalität charakteristisch ist. Die Altersstruktur zeigt folgendes Bild (Stichtag 1.1.1978): Insgesamt 14155

14-18 J. 746

18-20 J. 2015

Ab 21J. 11394

Danach stellen die Altersgruppen der Erwachsenen von 21 Jahren an und der Heranwachsenden (sog. Jungtäter) den Hauptanteil der Verhafteten. Hierbei erscheinen die Quoten der Jungtäter vergleichsweise hoch (Kerner 1978; Kreuzer 1978). Die Entwicklung dieser Zahlen läßt einen Trend zur Zunahme der Untersuchungshaft an jungen

214

Strafvollzug: Untersuchungshaft

Tatverdächtigen sowie eine Verschiebung von der Jugendstrafe zur Untersuchungshaft an jungen Menschen erkennen (Kreuzer 1978; Kury 1981a; Schulz 1981). Die erhebliche Belastung der Haftanstalten wird daran deutlich, daß die Zahl der Zu-

Zugänge Abgänge

und Abgänge an Verhafteten ein Mehrfaches der jeweiligen Anzahl der Untersuchungsgefangenen und ca. ein Fünftel der Gesamtzahl der Zu- und Abgänge im Vollzug überhaupt ausmacht. In diesem Sinne bietet das Jahr 1978 folgendes Bild:

Insgesamt

Unters.-Haft

Davon 14-18 J.

18-20 J.

Ab 21 J.

457889 458501

91067 91726

5487 5570

15549 15580

70031 70576

Justizpraxis. In der Statistik der Haftgründe dominiert eindeutig die Fluchtgefahr; demgegenüber treten alle anderen Haftgründe zurück.

Bisherige Untersuchungen deuten darauf hin, daß die Verhafteten im Falle einer Verurteilung in der Regel mit Freiheitsstrafen rechnen müssen, während bei den sonstigen Abgeurteilten (vollstreckbare) Freiheitsstrafen eher die Ausnahme darstellen. Dementsprechend hat Kerner (1978) für 1976 einen Anteil von 84 % Verhafteten errechnet, die dann zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden; demgegenüber betrug der Anteil sonstiger Tatverdächtiger, die Freiheitsstrafen erhielten, nur 12%. Auch zeichnet sich insoweit ein deliktsspezifisches (différentielles) Verhaftungsrisiko ab. Danach werden vorrangig Tatverdächtige in Untersuchungshaft genommen, die schwerer(er) Straftaten beschuldigt werden; an der Spitze stehen eindeutig Kapitaldelikte. Insofern entspricht die Insassenstruktur der Haftanstalten anscheinend Alltagserfahrungen der

Absolute Dauer bis 1 Monat 36,4%

bis 3 Monate 28,6%

Besondere Aufmerksamkeit gilt seit jeher (mit Recht) der Haftdauer. Sind doch die Reformbemühungen nicht zuletzt darauf gerichtet (gewesen), die Zeit der Untersuchungshaft - wenn ihr Vollzug schon unerläßlich erscheint - möglichst kurz zu halten. Dem dienten etwa Beschleunigungsgrundsatz und zeitliche Befristung nach § 121 StPO (vgl. II C). Nach der Analyse von Kerner (1978) wird offenbar in einem erheblichen Prozentsatz der Fälle jenes Ziel nicht erreicht. Demzufolge ergaben sich für 1976 hinsichtlich der Haftdauer folgende Anteile, die allerdings hinsichtlich der einzelnen Deliktsgruppen variierten:

bis 6 Monate 20,1%

Dauer im Vergleich zur Strafe kürzer gleich 89,5% 5,0%

länger als 6 Monate 14,9%

länger 5,5%

Carstensen (1980; 1981) kam in seiner Untersu- I folgenden Ergebnissen (Einzelrichtersachen waren chung von 110 Verfahren mit 127 Häftlingen zu I allerdings ausgenommen): Hafttage

Häftlinge in %

bis 29 30-89 90-179 180 +

7 23 43 28

dto. in „vollen" Verfahren, d.h. bis zur letzten Hauptverhandlung 1. Instanz

Während insoweit erste statistische Aussagen möglich sind, fehlt es indessen nach wie vor weitgehend an Informationen über Persönlichkeits- und Sozialmerkmale der Verhafteten; bisher liegen erst entsprechende Daten über Jugendliche und Heranwachsende vor (Kury 1981). Hier können erst (wei-

22 42 36

tere) empirische Untersuchungen Aufschluß darüber geben, ob die Annahme, daß ein schichtspezifisches Verhaftungsrisiko besteht (Wolff 1975), berechtigt erscheint. Eher hat freilich die Hypothese einiges für sich, daß die Schichtvariable lediglich im Kontext der Deliktsstruktur von Bedeutung ist.

215

Strafvollzug: Untersuchungshaft Trotz des Fehlens repräsentativer Erhebungen wird man davon ausgehen können, daß Unterbringung, Betreuung, Beschäftigungs- und Freizeitmöglichkeiten in der Untersuchungshaft verschiedenenorts nach wie vor erheblich zu wünschen übrig lassen. So fehlt es vielfach an den personellen, räumlichen und organisatorischen Voraussetzungen für die Gewährung erforderlicher sozialer Hilfen. Nicht selten verfügt der Strafvollzug selbst über bessere Angebote und Lebensbedingungen (vgl. Bundeszusammenschluß 1975; Evang. Akademie 1977; Bundesvereinigung 1980; Preusker 1981; Baumann 1981). Vor allem für den Bereich des Vollzugs der Untersuchungshaft an Jugendlichen und Heranwachsenden ist dies empirisch gut belegt (Zirbeck 1973; Jugendgerichtsbarkeit 1975; Kreuzer 1978; Walter 1978; Bundesminister der Justiz 1979; 1980; Kallien 1980; Schulz 1981; Kury 1981a). Daraus folgen denn auch entsprechende Reformforderungen, die freilich auch der Einschränkung des Anwendungsbereichs der Untersuchungshaft sowie der Entwicklung und dem Ausbau von Alternativen gelten (vgl. V B und C). IV. VOLLZUG DER UNTERSUCHUNGSHAFT AN JUGENDLICHEN UND HERANWACHSENDEN A. Voraussetzungen Für die Inhaftierung Jugendlicher und Heranwachsender gelten grundsätzlich dieselben Vorschriften wie für Erwachsene (§§ 112ff. StPO). Hinsichtlich der Voraussetzungen der Anordnung (dringender Tatverdacht, Haftgrund) besteht insoweit kein Unterschied. In verfahrensmäßiger Hinsicht ist gleichfalls ein Haftbefehl erforderlich (§ 72 JGG). Die richterliche Zuständigkeit für den Erlaß eines Haftbefehls richtet sich ebenso nach den allgemeinen Vorschriften (§§125, 126 StPO); nur ist hier der Jugendrichter dazu berufen (§ 72 Abs. 2 JGG). Der Haftrichter hat in aller Regel auch über die Vollstreckung des Haftbefehls und über Maßnahmen zu ihrer Abwendung zu entscheiden. Um eine flexible Handhabung zu ermöglichen, kann der zuständige Richter die Entscheidungen, welche die Untersuchungshaft betreffen, aus wichtigen Gründen sämtlich oder zum Teil einem anderen Jugendrichter übertragen (§ 72 Abs. 5 JGG). Besonderes Gewicht mißt das JGG dem Subsidiaritätsgrundsatz bei. Nach § 72 Abs. 1 JGG darf Untersuchungshaft nur verhängt und vollzogen werden, wenn ihr Zweck nicht durch eine vorläufige Anordnung über die Erziehung oder durch andere Maßnahmen erreicht werden kann. Dadurch sollen möglichst Entwicklungs- und Sozialisationsschäden, die infolge einer Inhaftierung auftreten (können), vermieden werden. Als Maßnahmen, die an Stelle der Untersuchungshaft treten können, kommen namentlich die einstweilige Unterbringung in

einem Erziehungsheim (§§ 71 Abs. 2, 72 Abs. 3 JGG) und Weisungen in Bezug auf die Lebensführung (z. B. Eintritt in ein Heim, Aufnahme in eine Familie, Übernahme oder Wechsel eines Arbeitsplatzes oder einer Lehrstelle) in Betracht; freilich sind diese Weisungen, die ihrer Natur nach nur vorläufigen Charakter haben und nicht mit zwangsweisem Freiheitsentzug verbunden sein dürfen, nicht erzwingbar (Böhm 1977; Schaffstein 1982). Reicht die vorläufige Anordnung nicht aus oder ist sie undurchführbar, vermag nur die Heimunterbringung die Untersuchungshaft zu ersetzen. Da Heimunterbringung mangels geeigneter Erziehungsheime und wegen des Fehlens an Heimplätzen praktisch kaum realisiert werden kann, fristen diese alternativen Möglichkeiten nach wie vor ein Schattendasein (Roestel 1968; Buchhierl 1969; Barasch in: Jugendgerichtsbarkeit 1975; Hennings 1978; Philipp 1979; Bundesminister der Justiz 1979; 1980; Lüthke 1982); das hat dann letztlich doch den Vollzug der Untersuchungshaft zur Folge. Nicht zuletzt daraus erklärt sich der relativ hohe Anteil junger Gefangener an der Gesamtzahl der Untersuchungsgefangenen (vgl. III B 2). Wird Untersuchungshaft vollzogen, ist vor allem der Beschleunigungsgrundsatz zu beachten (§72 Abs. 4 JGG). Praktische Erfahrungen lassen indessen nicht erkennen, daß Haftsachen Jugendlicher rascher erledigt würden. Dies trifft angesichts der „geringen Beschwerdemacht" junger Inhaftierter namentlich auf solche Fälle zu, in denen die Inhaftierten weder durch einen Verteidiger noch durch Angehörige „von außen" unterstützt werden (Böhm 1977). B. Ausgestaltung Die Ausgestaltung des Untersuchungshaftvollzugs an jungen Gefangenen ist nur teilweise gesetzlich geregelt (§93 JGG). Ausführungsvorschriften enthält die UVollzO (Nrn. 77-85). Die Vorschriften über den Vollzug der Untersuchungshaft an Jugendlichen gelten gleichermaßen für den Vollzug der Untersuchungshaft an Heranwachsenden (§ 110 JGG). Nach § 93 Abs. 1 JGG ist Untersuchungshaft möglichst in einer besonderen Anstalt oder wenigstens in einer besonderen Abteilung der Haftanstalt zu vollziehen. Ist Freiheitsstrafe nicht zu erwarten, erfolgt der Vollzug in einer Jugendarrestanstalt. Diese Fälle sind praktisch recht selten. Tatsächlich sind junge Untersuchungsgefangene in aller Regel in Abteilungen der allgemeinen Untersuchungshaftanstalten oder der Jugendstrafanstalten untergebracht, da es an besonderen Haftanstalten für diese Personengruppe praktisch völlig fehlt (Böhm 1977). Der Trennungsgrundsatz, der einerseits der Verwirklichung des Haftzwecks, andererseits dem Schutz des Jugendlichen vor schädlichen Einflüssen und Kontakten dient, steht daher zumindest teilweise auf dem Papier.

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Strafvollzug: Untersuchungshaft

Nr. 79 UVollzO sieht vor, daß während der Untersuchungshaft eine Persönlichkeitserforschung stattfindet. Diese soll die erforderlichen Informationen für die Entscheidung des Gerichts, aber auch für eine etwaige spätere Behandlung im Jugendstrafvollzug liefern. Jedoch fehlt es vielfach an Fachkräften, die solche Arbeit leisten könnten (z.B. Psychologen, Sozialarbeiter); jene Verpflichtung wird deshalb weitgehend auf bloß formale Weise durch Aktenvermerk eingelöst (Zirbeck 1973; Jugendgerichtsbarkeit 1975; Böhm 1977). Nach § 93 Abs. 2 JGG soll die Untersuchungshaft erzieherisch gestaltet werden. In Konkretisierung dieses Grundsatzes schreibt die UVollzO vor, daß junge Untersuchungsgefangene unter Anleitung pädagogisch besonders geeigneter Beamter (Nr. 84) arbeiten (Nr. 80 Abs. 2), gemeinsam oder einzeln Unterricht erhalten (Nr. 80 Abs. 3), mit geeignetem Lesestoff versorgt und durch persönliche Einwirkung und Aussprache gefördert werden (Nr. 80 Abs. 4). Der Aufenthalt im Freien soll für Leibesübungen genutzt (Nr. 82), Lebenshaltung (Nr. 81) und Außenkontakte sollen aus erzieherischen Gründen sorgfältig überwacht werden (Nr. 83). Eine Sonderregelung stellt Jugendgerichtshelfer, Bewährungshelfer und Erziehungsbeistände hinsichtlich des Verkehrs mit jungen Untersuchungsgefangenen Strafverteidigern gleich (§93 Abs. 3 JGG); dadurch sollen ungehinderte Kontakte mit den für die soziale Eingliederung besonders wichtigen Bezugspersonen ermöglicht werden. Im ganzen zielt das pädagogische Konzept des JGG und der UVollzO auf eine Vollzugsgestaltung ab, in deren Mittelpunkt qualifizierte Beschäftigung, Unterricht, Weiterbildung, berufliche Förderung, Hilfen zur Lebensbewältigung (Aussprachen, Gruppenarbeit) sowie Angebote zu sinnvoller Freizeitgestaltung (Lektüre, Sport usw.) stehen. Freilich ist umstritten, ob der Grundsatz erzieherischer Ausgestaltung eine Rechtsgrundlage für Eingriffe in den Rechtsstatus des jungen Inhaftierten abgibt, die über die Verwirklichung des Haftzwecks hinausgehen; deshalb wird verschiedentlich eine Arbeitspflicht junger Untersuchungsgefangener verneint (Krippes 1967; Linck 1971; Sprenger 1976; A G Zweibrücken ZfStrVo 1979, 191). Man wird indessen danach differenzieren müssen, ob es sich um minderjährige oder erwachsene Inhaftierte handelt; bei letzteren sind weitergehende, auf erzieherischen Gründen beruhende Rechtsbeschränkungen sicher unzulässig (Böhm 1977; Baumann 1981). Die praktische Bedeutung dieser Rechtsfrage ist jedoch wegen des latenten Mangels an Arbeitsmöglichkeiten sowie an sonstigen pädagogischen und therapeutischen Angeboten recht gering. Soweit überhaupt Arbeit zur Verfügung steht, ist ihre erzieherische und bildungsmäßige Eignung häufig zweifelhaft (z. B. Heim- und Füllarbeit). Die starke Fluktuation der Insassen erschwert nicht nur die Einführung qualifizierter Arbeiten, sondern steht

auch Unterrichtsangeboten hindernd im Wege, die der individuellen Lernfähigkeit und Begabung zureichend Rechnung tragen. Vielfach läßt auch die unzureichende personelle Ausstattung von Untersuchungshaftabteilungen die erforderliche persönliche Betreuung und Gruppenarbeit gar nicht zu. Ebenso wirkt sich mancherorts die organisatorische Anbindung des Untersuchungshaftvollzugs an Jugendlichen an den Vollzug der Untersuchungshaft an Erwachsenen erzieherisch ungünstig aus. Insgesamt leidet der Vollzug der Untersuchungshaft an jungen Gefangenen an einem „pädagogischen Defizit", das über die Mängel des Jugendstrafvollzugs noch wesentlich hinausreicht (Zirbeck 1973; Evang. Akademie 1977; Bundesminister der Justiz 1979; 1980; Eberle 1980; Baumann 1981). Die zur Durchführung der Untersuchungshaft, namentlich zur Sicherung des Haftzwecks erforderlichen Maßnahmen ordnet - wie hinsichtlich des Vollzugs der Untersuchungshaft an Erwachsenen der (Jugend-)Richter an (§ 119 Abs. 6 StPO). Dies gilt auch für Disziplinarmaßnahmen (Nr. 67 Abs. 1 UVollzO); lediglich bei leichteren Verstößen kann der Anstaltsleiter Ermahnungen oder Verwarnungen aussprechen (Nr. 67 Abs. 2 UVollzO). In die innere Organisation der Haftanstalt darf der Richter nicht eingreifen (vgl. III A l e ) . Soweit die Zuständigkeit des Richters reicht, kann er angerufen werden (§119 Abs. 6 StPO); seine Entscheidung unterliegt der einfachen Beschwerde; weitere Beschwerde ist nicht zulässig. In allen anderen Fällen ist der Rechtsweg zum Strafsenat des OLG gegeben (§23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG; vgl. III A 3).

V. REFORMFRAGEN DER UNTERSUCHUNGSHAFT Derzeitige Regelung und tatsächliche Ausgestaltung der Untersuchungshaft in der Bundesrepublik Deutschland werfen in mehrfacher Hinsicht Reformfragen auf. Zum einen stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung. Zum zweiten ergibt sich das Problem der Verbesserung der Lebensbedingungen und des Ausbaus sozialer Hilfe und Therapie in der Untersuchungshaft. Nicht zuletzt im Hinblick auf eine stärkere Zurückdrängung der Untersuchungshaft und ihrer schädlichen Auswirkungen auf Inhaftierte und Angehörige stellt sich schließlich die Frage nach geeigneten und realisierbaren Alternativen und Ersatzlösungen.

A. Zur Notwendigkeit eines Untersuchungshaftvollzugsgesetzes Die Untersuchungshaft ist derzeit allenfalls in Grundzügen gesetzlich geregelt. Das gilt für den Vollzug der Untersuchungshaft sowohl an jungen

Strafvollzug: Untersuchungshaft Gefangenen (§ 93 JGG) als auch an über 21 Jahren alten Inhaftierten (§119 StPO). Die gesetzlichen Vorschriften enthalten - von wenigen Einzelheiten abgesehen - im wesentlichen nur Grundsätze (vgl. I B, III A, IV B). Vergleichsweise ausführlich und detailliert regelt demgegenüber die UVollzO die Untersuchungshaft; sie ist indessen nur für die Vollzugspraxis selbst und lediglich insoweit verbindlich, als sie ihrerseits mit dem geltenden Verfassungsund Gesetzesrecht (GG, StPO, JGG) in Einklang steht. Das hat in der Praxis wiederholt zu Zweifelsfragen geführt, inwieweit die UVollzO im einzelnen anwendbar ist. Dieser Rechtszustand wird seit langem als unbefriedigend empfunden. Dementsprechend wird denn auch eine detailliertere gesetzliche Regelung des Untersuchungshaftvollzuges, namentlich der Rechtsstellung des Verhafteten, gefordert (Rotthaus 1973; Dünnebier 1975; Nicki in: Evang. Akademie 1977; Bundesvereinigung 1980; Roxin 1982; Baumann 1981; Preusker 1981). Dabei ist von nachrangiger, eher gesetzestechnischer Bedeutung, ob die Untersuchungshaft - ebenso wie der Strafvollzug (StVollzG) - durch ein besonderes Gesetz oder in einem eigenen Abschnitt in StPO und JGG geregelt wird. Allerdings muß man zwischen der Frage nach der etwaigen verfassungsrechtlichen Notwendigkeit und dem Problem rechtspolitischer Zweckmäßigkeit einer solchen Regelung unterscheiden. Das BVerfG jedenfalls sieht das geltende Recht unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten als ausreichend an, die mit dem Vollzug der Untersuchungshaft verbundenen Rechtsbeschränkungen zu legitimieren (BVerfGE 35, 311); danach ist eine weitergehende gesetzliche Regelung nicht geboten (Böhm 1977; Kleinknecht, Janischowsky 1977). Wenn auch diese Auffassung umstritten ist (Nicklas in: Evang. Akademie 1977; Baumann 1981), so begründet die wohl überwiegende Meinung die Notwendigkeit einer detaillierten gesetzlichen Regelung zu Recht in erster Linie mit rechtspolitischen Argumenten. Danach ist der derzeitige Rechtszustand der Rechtssicherheit abträglich, weil er zahlreiche Zweifelsfragen offenläßt oder in unbefriedigender Weise regelt (Rotthaus 1973; Dünnebier 1975; 1978; MüllerDietz in: Evang. Akademie 1977; Bundesvereinigung 1980; Roxin 1982). Dies zeigen vor allem wenn auch keineswegs allein - die Probleme, die mit der derzeitigen Regelung der Bequemlichkeiten, Erleichterungen, Informationsmöglichkeiten und des Kontakts mit der Außenwelt durch die UVollzO verbunden sind. Die rechtspolitischen Überlegungen konzentrieren sich im wesentlichen auf zwei Schwerpunkte. Zum einen geht es um eine detailliertere gesetzliche Regelung der Stellung des Verhafteten, die diesem so viel Freiheiten einräumt, wie sich mit dem Haftzweck und der Funktionsfähigkeit der Haftanstalt verträgt. Zum anderen strebt man eine Neuverteilung der Kompetenzen im Verhältnis von Haftrich-

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ter und Anstaltsleiter an, die dessen Handlungsfähigkeit erhöht, ohne die Verfahrensinteressen und damit die Rechtspflege zu beeinträchtigen. Hinsichtlich der Stellung des Verhafteten wird etwa gefordert: die Einführung eines Rechts auf Einzelunterbringung und Trennung von anderen Gefangenen, auf Tragen eigener Kleidung, Benutzung eigener Wäsche, Selbstverpflegung, Selbstbeschäftigung, Ausstattung des Haftraums mit eigenen Sachen in angemessenem Umfang, auf soziale Hilfe und Betreuung (Bundesvereinigung 1980; Preusker 1981; Baumann 1981). In diesem Zusammenhang ist nicht zuletzt die Frage von Bedeutung, ob und in welchem Umfange der Verhaftete in ein System resozialisierender (rückfallverhütender) Behandlung einbezogen werden kann, wie es das StVollzG etwa für den Strafgefangenen vorsieht. Die besondere Stellung des erwachsenen Verhafteten, der sich auf die Unschuldsvermutung berufen kann (vgl. I C 2), schließt gewiß Rechtsbeschränkungen aus Behandlungsgründen, die im Vollzug der Freiheitsstrafe innerhalb gewisser Grenzen zulässig sind (BVerfGE 40, 276), aus. So ist im Vollzug der Untersuchungshaft etwa für die Einführung einer Arbeitspflicht kein Raum. Auf der anderen Seite ist es der Haftanstalt rechtlich jedoch keineswegs verwehrt, dem Verhafteten Angebote der Beschäftigung, Weiterbildung, beruflichen Förderung, Freizeitgestaltung, sozialen Hilfe und Therapie zu unterbreiten, soweit diese nicht im Einzelfall mit dem Haftzweck kollidieren. Vielmehr verpflichtet das Sozialstaatsprinzip den Staat sogar dazu, solche Möglichkeiten zu schaffen (MüllerDietz in: Evang. Akademie 1977; 1981; Preusker 1981; Wolter 1981; Baumann 1981). Es steht dann in der freien Entscheidung des Verhafteten, ob er davon Gebrauch machen will. Künftige Regelungen der Informationsmöglichkeiten und des Kontaktes mit der Außenwelt müssen vor allem - im Sinne der Verfassungskonformität - mehr als bisher die Grundrechte der Informationsfreiheit, Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 GG) und des Schutzes von Ehe und Familie (Art. 6 GG) berücksichtigen (Dünnebier 1978; Roxin 1982; BVerfGE 42, 95). In jedem Falle bedürfte der Grundsatz der erzieherischen Ausgestaltung des Vollzuges an jungen Gefangenen (§ 93 Abs. 2 JGG) gesetzlicher Konkretisierung. Dabei müßte auch klargestellt werden, daß er jedenfalls für Heranwachsende keine zusätzlichen Rechtsbeschränkungen zeitigen darf. Hinsichtlich der Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen Haftrichter und Anstaltsleiter gehen die Forderungen im wesentlichen dahin, alle anstaltsbezogenen Maßnahmen dem Anstaltsleiter und lediglich die haftzweckbezogenen Maßnahmen dem Haftrichter zu übertragen (Grebing 1975; Nicklas in: Evang. Akademie 1977; Bundesvereinigung 1980; Preusker 1981; Baumann 1981). Dem liegt die Erwägung zugrunde, daß die jetzige Kompetenz-

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Verteilung wenig zweckmäßig ist, vor allem den Anstaltsleiter, der ja für Sicherheit und Ordnung der Haftanstalt verantwortlich ist, in seiner Handlungsfähigkeit zu sehr beschneidet. Eine solche Neuregelung würde zu einer Verlagerung eines Großteils der Kompetenzen auf den Anstaltsleiter führen, die de lege lata dem Haftrichter zugewiesen sind (§119 Abs. 6 StPO). Dies gilt namentlich für Maßnahmen, die den Tagesablauf, das Verhalten des Inhaftierten und die Ordnung in der Haftanstalt betreffen. Soweit solche Maßnahmen - wie etwa Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen - weitergehende Rechtsbeschränkungen zur Folge haben, kann eine Anordnungskompetenz des Anstaltsleiters aus verfassungsrechtlichen Gründen ohnehin nur durch Gesetz geschaffen werden. Hinsichtlich der Maßnahmen, die der Verfahrenssicherung dienen, muß es freilich allemal bei der Zuständigkeit des Richters bleiben.

B. Maßnahmen sozialer Hilfe und Therapie in der Untersuchungshaft Derzeitige Ausgestaltung und Praxis der Untersuchungshaft erscheinen nicht zuletzt unter dem (sozialstaatlichen) Gesichtspunkt der Verbesserung der Lebensbedingungen und der Leistungsangebote des Staates reformbedürftig. Vielfach verfügt der Strafvollzug über qualifiziertere Möglichkeiten der Beschäftigung, Weiterbildung, Freizeitgestaltung, sozialen Hilfe und Therapie (vgl. III B). Vor allem läßt die erzieherische Ausgestaltung des Vollzugs der Untersuchungshaft an jungen Gefangenen zu wünschen übrig. Bloße Einschließung, nicht selten verbunden mit der Möglichkeit des Kontaktes mit hafterfahrenen (Straf-)Gefangenen und der Subkultur der Haftanstalt, wirkt häufig desozialisierend und erschwert - unabhängig vom Ausgang des Strafverfahrens - die soziale Eingliederung. Die Zeit der Untersuchungshaft wird dann für den Verhafteten leicht zur sinnentleerten, verlorenen Zeit. Darüber hinaus stürzt sie den Verhafteten, der sich selbst überlassen ist, nicht selten in eine innere Krise, mit der er aus eigener Kraft nicht mehr fertig wird. Deshalb fordert man zu Recht eine personelle und räumliche Ausstattung der Haftanstalten sowie organisatorische Ausgestaltung des Untersuchungshaftvollzuges, welche die Schaffung eines differenzierten Angebots sozialer Hilfen ermöglichen. Dazu gehören namentlich Maßnahmen der Aus- und Weiterbildung, schulischer und beruflicher Förderung, soziales Training zur Konflikt- und Lebensbewältigung, Rechtsberatung und sog. haftüberschreitende Hilfen, die der Entlassungsvorbereitung und der Nachsorge in der Zeit nach der Entlassung dienen (vgl. Müller-Dietz in: Evang. Akademie 1977; 1981; Bundesminister der Justiz 1979; 1980; Bundesvereinigung 1980; Preusker 1981; Baumann 1981). Praktische Erfahrungen mit solchen Konzep-

ten liegen vor allem aus dem Bereich des Vollzuges der Untersuchungshaft an jungen Gefangenen vor (Blumenberg in: Evang. Akademie 1977; 1978; Eberle 1978; 1980; Stephan/Werner 1979; Kury 1981). Freilich darf man nicht übersehen, daß die Verwirklichung solcher Forderungen keineswegs nur finanzielle und personelle Schwierigkeiten bereitet. Vielmehr wirken sich insoweit auch die Besonderheiten des Untersuchungshaftvollzuges ungünstig aus. Hierzu rechnen etwa die relativ große Bedeutung des Sicherheitsaspekts, die Kürze der Haftzeiten und die starke Fluktuation in den Haftanstalten. C. Alternativen zur Untersuchungshaft Bereits das geltende Recht stellt eine Reihe von Möglichkeiten bereit, die der Vermeidung von Untersuchungshaft dienen. Zunächst soll der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 116 StPO) daraufhinwirken, daß allemal weniger einschneidende Maßnahmen an die Stelle des Untersuchungshaftvollzuges treten, sofern sie dessen Zweck erreichen (vgl. I C 2). Beispiele für solche Maßnahmen stellen vor allem die Meldepflicht, Aufenthaltsbeschränkungen, der Hausarrest und die Sicherheitsleistung dar (vgl. II B). Sie kommen auch hinsichtlich junger Tatverdächtiger in Betracht. Darüber hinaus ist bei diesem Personenkreis ferner an Weisungen in Bezug auf die Lebensführung und die Unterbringung in einem geeigneten Erziehungsheim zu denken (vgl. IV A). Auf weitere Möglichkeiten verweist Hänni (1980) in seiner Studie zu den Ersatzmaßnahmen in den kantonalen Strafprozeßregelungen der Schweiz. Das Ziel, Untersuchungshaft wegen der damit vielfach verbundenen negativen Auswirkungen (z. B. schädliche Einflüsse, Verlust sozialer Bindungen und Kontakte, Ausgliederung aus dem Arbeitsprozeß) möglichst zu vermeiden, ist theoretisch anerkannt. Ebenso besteht Einigkeit darüber, daß die insoweit vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten noch stärker ausgeschöpft und namentlich etwa fehlende praktische Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Dies gilt vor allem für den Personenkreis der jungen Tatverdächtigen; hier können die Alternativen der Unterbringung in einer Familie oder in einem Heim noch nicht annähernd im gesetzlich vorgesehenen Umfange genutzt werden. Umstritten ist jedoch, ob das derzeitige rechtliche Instrumentarium ausreicht, um den Anwendungsbereich der Untersuchungshaft in dem gewünschten, zugleich aber auch unter dem Gesichtspunkt der Verfahrenssicherung vertretbaren Maße nach Häufigkeit der Fälle und Dauer des Vollzuges einzuschränken. Zur Diskussion gestellt werden in diesem Zusammenhang vor allem Institute wie die Soziale Bürgschaft (die es auch ohne Kaution Dritten ermöglicht, sich für den Tatverdächtigen gegen-

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Strafvollzug: Untersuchungshaft über dem Richter zu verbürgen) sowie die Vorwegnahme der Bewährungshilfe und des Strafvollzugs mit Einwilligung des Tatverdächtigen. In den beiden letzteren Fällen verzichtet der Beschuldigte auf die ihm nach seinem Status infolge der Unschuldsvermutung zustehenden Rechte und erklärt sich damit einverstanden, daß er entweder im Rahmen der Bewährungshilfe oder im Rahmen des Strafvollzugs wie ein bereits rechtskräftig Verurteilter behandelt wird. Dies ermöglicht es, ihn in vollem Umfange in die Resozialisierungsmaßnahmen einzubeziehen, die für Verurteilte vorgesehen sind. Mit dem Institut des freiwilligen vorzeitigen Strafantritts liegen im Ausland (Schweiz, Niederlande) bereits praktische Erfahrungen vor (v. Brukken-Fock 1973; Müller-Dietz in: Evang. Akademie 1977; Schubarth 1979). Freilich stellt sich insoweit nicht zuletzt die Frage, ob und inwieweit sich solche Maßnahmen sinnvoll in das deutsche Strafverfahren integrieren lassen und ob sie mit der Rechtsstellung des Verhafteten vereinbar sind. In jedem Fall verdienen Alternativen zum Untersuchungshaftvollzug den Vorzug, die Freiheitsentziehung - in welcher Form auch immer - vermeiden. In dieser Richtung werden die Reformüberlegungen und praktischen Bemühungen weitergehen müssen.

Monographien und

Sammelwerke

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Zeitschriften- und

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Strafvollzug: Erwachsenenbildung

Sozialpädagogischer Arbeitskreis Uelzen (Hrsg.): Der Versuch der erzieherischen Betreuung von jungen Untersuchungsgefangenen in der Justizvollzugsanstalt Lüneburg - Abteilung Uelzen. Zwischenbericht. Uelzen 1975. Staatliche Pressestelle Hamburg: Modellversuch Haftentscheidungshilfe in Hamburg - Mitarbeit von Sozialarbeitern bei der Tätigkeit der Haftrichter. Hamburg 1979. Untersuchungshaftvollzugsordnung (UVollzO) in der Fassung vom 1.1.1978. HEINZ MÜLLER-DIETZ

STRAFVOLLZUG: ERWACHSENENBILDUNG I. EINFÜHRUNG IN DIE PROBLEMATIK Erwachsenenbildung im Strafvollzug steht im Kontext zweier gänzlich unterschiedlich strukturierter Lebensbereiche und Arbeitsfelder. Darauf verweisen schon die beiden Begriffe in ihrer Zuordnung zueinander. Der Begriff „Erwachsenenbildung" nimmt Bezug auf staatliche und gesellschaftliche Bildungsmaßnahmen, die der Allgemeinheit gelten; als potentieller Nutznießer kommt praktisch jeder Erwachsene in Betracht. Mit zunehmender Freizeit und den strukturellen Veränderungen der Situation auf dem Arbeitsmarkt hat die Erwachsenenbildung erheblich an Bedeutung gewonnen; sie partizipiert nicht zufällig an der ausgiebigen bildungspolitischen Diskussion der letzten Zeit (Feidel-Mertz 1975; Gernert 1975; GroothoffAVirth 1976; Bockemühl 1977; Helmer 1978; Kaiser 1979; Lempert 1979). Insofern ist diese Entwicklung zugleich Ausdruck eines tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels, welcher der Weiterbildung im Erwachsenenalter eine zentrale Funktion sowohl für den beruflichen und sozialen Status des einzelnen als auch für die Entfaltung seiner Persönlichkeit zuweist (Geissler 1978; Windolf 1979). Es gilt nunmehr, unter solchen Umständen ein neues Selbstverständnis der Erwachsenenbildung zu gewinnen, ihre Funktion im heutigen Entwicklungsprozeß des einzelnen und der Gesellschaft zu bestimmen. Einen wesentlichen, wenn auch keineswegs den einzigen Aspekt stellt in diesem Zusammenhang die Erhaltung der beruflichen und sozialen Flexibilität und Mobilität dar. Demgegenüber finden Bildungsmaßnahmen im Strafvollzug unter äußeren Umständen und Entwicklungsbedingungen statt, die sich in vieler Hinsicht von der Situation in Freiheit unterscheiden. Sie sind gleichsam eingebettet in die Zielsetzungen des Strafvollzuges, in die Aufgaben und Funktionsabläufe der Vollzugsanstalt sowie in deren organisatorisches und personelles Gefüge. Insofern ist Erwachsenenbildung in der Vollzugsanstalt abhängig von empirischen Rahmenbedingungen, die durch den Freiheitsentzug selbst, die zwangsweise Zusam-

menfassung einer größeren Anzahl von Straftätern auf eng begrenztem Raum und die hieraus resultierenden Folgeprobleme der Sicherheit und Ordnung gesetzt werden. Damit ergibt sich notwendigerweise das Problem, ob und inwieweit sich die auf dem Gebiet der Erwachsenenbildung allgemein gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen auch auf die besondere Situation des Strafvollzugs übertragen lassen. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen Bildungsmaßnahmen im Strafvollzug sich sinnvoll durchführen lassen, schließt in der Gegenüberstellung das gesamte Spektrum aller Möglichkeiten ein, die zwischen der Entwicklung eines eigenständigen Konzepts der Erwachsenenbildung für den Strafvollzug und der - möglichst weitgehenden - Veränderung der Institution Strafvollzug im Sinne der allgemeinen Bildungskonzeption liegen (Kluge 1977; 1978; Pilger-Michelletto/Wehle 1978; Ballhausen 1979; Eberle 1980). Akzentuiert werden die beiden skizzierten Aspekte der Erwachsenenbildung im Strafvollzug noch durch die besondere Insassenstruktur der Vollzugsanstalten. In dem Maße, in dem es der Strafvollzug mit Straftätern zu tun hat, die in ihrer (aus-)bildungsmäßigen, beruflichen und sozialen Entwicklung hinter allgemeingesellschaftlichen Erwartungen und Standards zurückgeblieben sind, gewinnt der Ausgleich dieser Defizite im Verhältnis zu der in Freiheit lebenden Bevölkerung zusätzlich an Bedeutung. Gleichzeitig verschärfen die Vollzugsbedingungen dann jenen (aus-)bildungsmäßigen Abstand gegenüber der Normalbevölkerung, wenn sie nicht der besonderen Persönlichkeits- und Motivationsstruktur der Insassen und ihrer Lage innerhalb der Vollzugsanstalten Rechnung tragen (Wolff 1978 a; Quensel, in: Lüderssen 1978). Dies weist wiederum auf die grundsätzliche Frage zurück, ob und inwieweit der Strafvollzug selbst wenigstens bestimmte Vollzugsbereiche - als Teil des allgemeinen gesellschaftlichen Bildungssystems begriffen oder wenigstens konzipiert werden können (CaUiess 1971; 1972; 1981).

II. BEGRIFF UND BEDEUTUNG DER ERWACHSENENBILDUNG IN STAAT UND GESELLSCHAFT A. Begriff der Erwachsenenbildung Mit der Sache selbst sind auch die Begriffe in Bewegung geraten. Während ursprünglich mit dem Begriff „Erwachsenenbildung" - wie der Ausdruck schon sagt - die auf (weitere) Ausbildung, (Um-) Schulung und auf den Erwerb zusätzlicher Fertigkeiten und Qualifikationen gerichteten Aktivitäten und Maßnahmen umschrieben wurden, hat sich dafür inzwischen der Begriff „Weiterbildung" eingebürgert. Dieser Wechsel im Sprachgebrauch signali-

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Strafvollzug: Erwachsenenbildung

Sozialpädagogischer Arbeitskreis Uelzen (Hrsg.): Der Versuch der erzieherischen Betreuung von jungen Untersuchungsgefangenen in der Justizvollzugsanstalt Lüneburg - Abteilung Uelzen. Zwischenbericht. Uelzen 1975. Staatliche Pressestelle Hamburg: Modellversuch Haftentscheidungshilfe in Hamburg - Mitarbeit von Sozialarbeitern bei der Tätigkeit der Haftrichter. Hamburg 1979. Untersuchungshaftvollzugsordnung (UVollzO) in der Fassung vom 1.1.1978. HEINZ MÜLLER-DIETZ

STRAFVOLLZUG: ERWACHSENENBILDUNG I. EINFÜHRUNG IN DIE PROBLEMATIK Erwachsenenbildung im Strafvollzug steht im Kontext zweier gänzlich unterschiedlich strukturierter Lebensbereiche und Arbeitsfelder. Darauf verweisen schon die beiden Begriffe in ihrer Zuordnung zueinander. Der Begriff „Erwachsenenbildung" nimmt Bezug auf staatliche und gesellschaftliche Bildungsmaßnahmen, die der Allgemeinheit gelten; als potentieller Nutznießer kommt praktisch jeder Erwachsene in Betracht. Mit zunehmender Freizeit und den strukturellen Veränderungen der Situation auf dem Arbeitsmarkt hat die Erwachsenenbildung erheblich an Bedeutung gewonnen; sie partizipiert nicht zufällig an der ausgiebigen bildungspolitischen Diskussion der letzten Zeit (Feidel-Mertz 1975; Gernert 1975; GroothoffAVirth 1976; Bockemühl 1977; Helmer 1978; Kaiser 1979; Lempert 1979). Insofern ist diese Entwicklung zugleich Ausdruck eines tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels, welcher der Weiterbildung im Erwachsenenalter eine zentrale Funktion sowohl für den beruflichen und sozialen Status des einzelnen als auch für die Entfaltung seiner Persönlichkeit zuweist (Geissler 1978; Windolf 1979). Es gilt nunmehr, unter solchen Umständen ein neues Selbstverständnis der Erwachsenenbildung zu gewinnen, ihre Funktion im heutigen Entwicklungsprozeß des einzelnen und der Gesellschaft zu bestimmen. Einen wesentlichen, wenn auch keineswegs den einzigen Aspekt stellt in diesem Zusammenhang die Erhaltung der beruflichen und sozialen Flexibilität und Mobilität dar. Demgegenüber finden Bildungsmaßnahmen im Strafvollzug unter äußeren Umständen und Entwicklungsbedingungen statt, die sich in vieler Hinsicht von der Situation in Freiheit unterscheiden. Sie sind gleichsam eingebettet in die Zielsetzungen des Strafvollzuges, in die Aufgaben und Funktionsabläufe der Vollzugsanstalt sowie in deren organisatorisches und personelles Gefüge. Insofern ist Erwachsenenbildung in der Vollzugsanstalt abhängig von empirischen Rahmenbedingungen, die durch den Freiheitsentzug selbst, die zwangsweise Zusam-

menfassung einer größeren Anzahl von Straftätern auf eng begrenztem Raum und die hieraus resultierenden Folgeprobleme der Sicherheit und Ordnung gesetzt werden. Damit ergibt sich notwendigerweise das Problem, ob und inwieweit sich die auf dem Gebiet der Erwachsenenbildung allgemein gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen auch auf die besondere Situation des Strafvollzugs übertragen lassen. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen Bildungsmaßnahmen im Strafvollzug sich sinnvoll durchführen lassen, schließt in der Gegenüberstellung das gesamte Spektrum aller Möglichkeiten ein, die zwischen der Entwicklung eines eigenständigen Konzepts der Erwachsenenbildung für den Strafvollzug und der - möglichst weitgehenden - Veränderung der Institution Strafvollzug im Sinne der allgemeinen Bildungskonzeption liegen (Kluge 1977; 1978; Pilger-Michelletto/Wehle 1978; Ballhausen 1979; Eberle 1980). Akzentuiert werden die beiden skizzierten Aspekte der Erwachsenenbildung im Strafvollzug noch durch die besondere Insassenstruktur der Vollzugsanstalten. In dem Maße, in dem es der Strafvollzug mit Straftätern zu tun hat, die in ihrer (aus-)bildungsmäßigen, beruflichen und sozialen Entwicklung hinter allgemeingesellschaftlichen Erwartungen und Standards zurückgeblieben sind, gewinnt der Ausgleich dieser Defizite im Verhältnis zu der in Freiheit lebenden Bevölkerung zusätzlich an Bedeutung. Gleichzeitig verschärfen die Vollzugsbedingungen dann jenen (aus-)bildungsmäßigen Abstand gegenüber der Normalbevölkerung, wenn sie nicht der besonderen Persönlichkeits- und Motivationsstruktur der Insassen und ihrer Lage innerhalb der Vollzugsanstalten Rechnung tragen (Wolff 1978 a; Quensel, in: Lüderssen 1978). Dies weist wiederum auf die grundsätzliche Frage zurück, ob und inwieweit der Strafvollzug selbst wenigstens bestimmte Vollzugsbereiche - als Teil des allgemeinen gesellschaftlichen Bildungssystems begriffen oder wenigstens konzipiert werden können (CaUiess 1971; 1972; 1981).

II. BEGRIFF UND BEDEUTUNG DER ERWACHSENENBILDUNG IN STAAT UND GESELLSCHAFT A. Begriff der Erwachsenenbildung Mit der Sache selbst sind auch die Begriffe in Bewegung geraten. Während ursprünglich mit dem Begriff „Erwachsenenbildung" - wie der Ausdruck schon sagt - die auf (weitere) Ausbildung, (Um-) Schulung und auf den Erwerb zusätzlicher Fertigkeiten und Qualifikationen gerichteten Aktivitäten und Maßnahmen umschrieben wurden, hat sich dafür inzwischen der Begriff „Weiterbildung" eingebürgert. Dieser Wechsel im Sprachgebrauch signali-

Strafvollzug: Erwachsenenbildung siert im wesentlichen zwei Tendenzen: Zum einen kennzeichnet er einen gesellschaftlichen Prozeß, der auf die Überwindung der traditionellen Antinomie von Berufsbildung und Allgemeinbildung zielt. Beide Aspekte der Erwachsenenbildung werden jetzt nicht mehr als einander polar gegenüberstehende und voneinander abzugrenzende Bereiche verstanden. Vielmehr erscheint Weiterbildung ungeachtet sektoraler (Bildungs-) Interessen und Maßnahmen, wie sie sich z.B. in der beruflichen Bildung manifestieren - umfassender als früher angelegt. Zum zweiten soll der Terminus „Weiterbildung" die Notwendigkeit des „life long learning" verdeutlichen, die sich eben aus den erheblich veränderten Anforderungen an den einzelnen im beruflichen und sozialen Leben ergibt. Danach soll die Erwachsenenbildung einem ganzen Bündel von Aufgaben zugleich gerecht werden. So soll sie etwa zur Qualifizierung, Berufsbewältigung, Lebensbewältigung beitragen und Freizeithilfe leisten. Ein wesentlicher Schwerpunkt liegt dabei in der Zielsetzung, den einzelnen zur sinnvollen Auseinandersetzung mit der heutigen - technischen - Welt und ihrer sozialen Komplexität zu befähigen. Freilich reichen die Auswirkungen des gesellschaftlichen Wandels auf die Erwachsenenbildung noch tiefer. Während das Spektrum der Aufgaben breiter geworden ist, sind inhaltliche Festlegungen schwieriger geworden. Bildungsbürgerliche und volkspädagogische Intentionen mochten im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert den Begriff der Erwachsenenbildung noch mit mehr oder weniger festen weltanschaulichen Inhalten gefüllt haben. Heute läßt sich der spezifische Bildungsauftrag der Erwachsenenbildung - namentlich unter den Vorzeichen teleologischer und funktionaler Betrachtungsweise und fortschreitender Verwissenschaftlichung - jedenfalls außerhalb kirchlicher Institutionen und parteipolitischer Programme nicht mehr mit der gleichen Eindeutigkeit wie ehedem umreißen; er ist offener und flexibler geworden, gibt dadurch aber auch Verunsicherungen und Mißdeutungen Raum. Dies bedeutet indessen nicht, daß der früher vielfach gebrauchte Begriff der Persönlichkeitsbildung der Sache nach aus der Weiterbildung verbannt wäre; er wird nur in einem nüchternen funktionalen Sinne auf die Schulung und Erprobung jener Fähigkeiten bezogen, welche den sozialen Status und die gesellschaftliche Existenz des einzelnen gewährleisten sollen. Demnach vereinigt die Erwachsenenbildung im heutigen Verständnis in sich die beiden Elemente der Qualifizierung und der personalen Bildung.

B. Bedeutung der Erwachsenenbildung Die Begriffsbestimmung liefert zugleich wesentliche Hinweise auf die praktische Bedeutung, die der

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Erwachsenenbildung heute zukommt und ihr - zumindest aus wissenschaftlicher Sicht - beigelegt wird. Ungeachtet der Frage, wie sich schrumpfende Energiequellen sowie damit einhergehende ökonomische Krisen langfristig auf die wirtschaftliche Situation und den Arbeitsmarkt und damit auch mittelbar (etwa wegen abnehmender finanzieller und personeller Ressourcen) - auf den (Aus-) Bildungssektor auswirken, ist die Notwendigkeit, angesichts der gesellschaftlichen Veränderungsprozesse bestimmte „Schlüsselqualifikationen" zu vermitteln und zu erwerben, unbestritten. Längst ist dem Begriff „Leistungsgesellschaft" der Ausdruck „Bildungsgesellschaft" zur Seite getreten. Damit wird deutlich, daß der Erwerb weiteren Wissens und weiterer Fähigkeiten und Fertigkeiten im Erwachsenenalter nicht mehr als Privileg von Angehörigen bestimmter Berufe oder Schichten verstanden wird, sondern grundsätzlich jedermann möglich sein muß. Aufstiegschancen und Entwicklungsmöglichkeiten sollen grundsätzlich jedem im Rahmen individueller Begabungen, Leistungen und Interessen offenstehen. Dies erfordert allein schon der Wandel des Produktionsprozesses, der technischen und wirtschaftlichen Verfügung des Menschen über die Welt. Danach sind berufliche Flexibilität und Mobilität, die Fähigkeit zur Anpassung an veränderte Arbeitsbedingungen und Berufsrollen unerläßlich. Da sich viele Berufe mehr denn je im Wandel befinden, ist der einschlägige Lernprozeß mit dem Ende der Berufsausbildung keineswegs abgeschlossen. Vielmehr setzt er sich später im Rahmen der Berufsausübung selbst - wenngleich unter dem Vorzeichen, die bereits erworbene berufliche Qualifikation zu erhalten oder zu verbessern - fort. Berufsausbildung stellt demnach nur mehr eine Phase in einem Qualifizierungsprozeß dar, der die ganze Berufszeit begleitet. Demzufolge muß der einzelne durch berufliche und sonstige Weiterbildung auf die Veränderung seiner Berufsrolle, ja sogar auf einen Berufswechsel vorbereitet werden, um den Anforderungen des Arbeitsmarktes gewachsen zu bleiben, d.h. letztlich seine berufliche Existenz und seinen sozialen Status sichern zu können. Ein typisches Beispiel für solche Entwicklungen stellt die Entlassung von Arbeitskräften auf Grund von Rationalisierungsmaßnahmen und Mechanisierung der Arbeitsvorgänge dar. Insofern kann der Weiterbildung heute geradezu eine existenzerhaltende Funktion zukommen. Sie ist auch keineswegs auf die jeweilige berufliche Tätigkeit allein bezogen und beschränkt, sondern vor dem Hintergrund der Persönlichkeitsstruktur zu sehen, weil die berufliche Sozialisation allemal in die Persönlichkeitsentwicklung eingebettet ist und deshalb im Zusammenhang mit dieser gesehen werden muß (Windolf 1980). In der neueren Diskussion der Erwachsenenbildung wird verschiedentlich die Aufgabe, zur höheren persönlichen und beruflichen Qualifikation

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durch den Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten beizutragen, als „technokratischer Ansatz" charakterisiert, dem der „emanzipatorische Ansatz" gegenübergestellt wird; dieser soll namentlich in der Selbst- oder Identitätsfindung, in der Befreiung zu sich selber, im Angebot von Verhaltensalternativen, im Erwerb neuer Verhaltensweisen bestehen (vgl. Müller-Dietz 1973 a; Bockemühl 1977). Soweit es darum geht, die im einzelnen angelegten Fähigkeiten und Möglichkeiten im Sinne der Persönlichkeitsentfaltung weiterzuentwickeln und ihm zu einem sinnerfüllten Leben zu verhelfen, besteht zwischen beiden Positionen allerdings kein echter Gegensatz. Konflikte ergeben sich freilich dort, wo sich der „emanzipatorische Ansatz" an Normen und Werten orientiert, die in der jeweiligen gesellschaftlichen Situation sozial nicht akzeptiert werden. Faßt man die heutige Diskussion der Erwachsenenbildung zusammen, so lassen sich im wesentlichen folgende Konzeptionen und Positionen ausmachen: die Orientierung - am technischen Wandel und den daraus resultierenden Qualifikationsanforderungen des Arbeitsmarktes (bildungsökonomischer Ansatz); - an der Persönlichkeitsstruktur der - in Betracht kommenden - Adressaten (lerntheoretischer Ansatz); - an der internen Struktur von Teilnehmergruppen (gruppendynamischer Ansatz); - an den gesellschaftlichen Strukturbedingungen und Steuerungsmechanismen (politisch-ökonomischer Ansatz); - an der Struktur des zu vermittelnden Wissens im Sinne einer Standardisierung und Systematisierung der Lerninhalte (curricularer Ansatz); - am lebensweltlichen und Alltagswissen Erwachsener (lebensweltlicher Ansatz) (Dewe, Wosnitza 1981). Dabei ist der letztgenannte Ansatz im Zuge neuerer soziologischer Perspektiven, die namentlich der Lebenswelt und den Alltagserfahrungen Erwachsener gelten, mehr und mehr in den Vordergrund getreten. Hiernach muß auch und gerade die Erwachsenenbildung alltagsrelevante soziale Deutungsmuster thematisieren und reflektieren. Freilich steht die Um- und Übersetzung solcher phänomenologischer und wissenssoziologischer Konzeptionen der Struktur der Lebenswelt in pädagogische Strategien und Curricula erst am Anfang; theoretisch ist sie bisher noch nicht zureichend bewältigt (Dewe, Wosnitza 1981). Dementsprechend bieten sich als zumindest theoretische Anknüpfungspunkte für den Strafvollzug eher der bildungsökonomische, der lerntheoretische, der gruppendynamische und der curriculare Ansatz an. Darüber hinaus gewinnt hier zunehmend die sozialarbeiterisch-sozialpädagogische Orientierung an Gewicht (Quensel 1981; vgl. IV A 2).

m . ENTWICKLUNG DER ERWACHSENENBILDUNG IM STRAFVOLLZUG A. Zur Geschichte der Gefängnisschule Begriff und Sache der Erwachsenenbildung sind relativ jung. Sie konnten erst mit der Aufklärung und dem Bestreben aufkommen, die Welt nicht nur wissenschaftlich erfahrbar zu machen, sondern diese Erkenntnisse und Erfahrungen auch zu popularisieren, d.h. der Allgemeinheit weiterzugeben. Vor diesem Hintergrund sind namentlich Tendenzen des 19. und 20. Jahrhunderts zu sehen, die Erwachsenenbildung als Möglichkeit zur Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse in volkstümlicher Form zu sehen. „Volkserziehung" und „Volksbildung" waren insoweit die gängigen Begriffe. Praktisch bedeutsam wurden die daraus resultierenden Bestrebungen zunächst in der Bildungsarbeit an der Jugend in Schulen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts fanden sie ihren weiteren Ausdruck in dem Anspruch der Arbeiter auf Teilhabe am Geistesleben. Symptomatisch dafür wurde die Gründung von Bildungsvereinen um die Jahrhundertwende (Krebs 1978; 1978a). Erst mit dem grundlegenden Wandel der wissenschaftlich-technischen Welt, wie er sich um die Mitte des 20. Jahrhunderts abzeichnete, der „zweiten industriellen Revolution", gewann die Erwachsenenbildung das skizzierte breitere Fundament, dessen Konturen erst allmählich sichtbar werden. Dementsprechend fand die Erwachsenenbildung in den Strafvollzug erst sehr spät Eingang. Von Bildungsarbeit in diesem Sinne kann erst im 20. Jahrhundert die Rede sein. Zwar spielte der Erziehungsgedanke, der auf Besserung des Rechtsbrechers zielte, seit Errichtung der Amsterdamer Zuchthäuser Ende des 16. Jahrhunderts in den Strafanstalten eine gewisse Rolle; doch gab er angesichts der Vorherrschaft von Zucht und Ordnung pädagogischen Einwirkungen nur sehr wenig Raum. Dazu fehlten sowohl die konzeptionellen als auch die organisatorischen und personellen Voraussetzungen. Erwachsenenbildung im eigentlichen Verständnis gab es bis in die neuere Zeit hinein nicht. Einen ersten Vorläufer bildete die religiöse Unterweisung durch Geistliche; sie findet sich in einzelnen Strafanstalten bereits im 18. Jahrhundert. Indessen stand lange Zeit der moralisierend-belehrende Zweck des Religionsunterrichts im Vordergrund. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden auch Lehrer im Strafvollzug angestellt, die Unterricht in „weltlichen" Fächern (z. B. Lesen, Schreiben, Rechnen) zu erteilen hatten. Damit entstand die Gefängnisschule als feste Einrichtung innerhalb der Strafanstalten (Eberle 1980). Zu ihrer Entwicklung trug nicht zuletzt die Einführung des pennsylvanischen Systems der Einzelhaft im kontinentaleuropäischen, namentlich deutschen Strafvollzug bei. Der Gefangene sollte vor der negativen Beeinflus-

Strafvollzug: Erwachsenenbildung sung durch Mitgefangene bewahrt werden; statt dessen sollten die Beamten, vor allem die Erzieher, ihn günstig beeinflussen. Inhaltlich lehnte sich die Gefängnisschule an die öffentliche Volksschule an, d. h. sie übernahm einfach deren Lehrpläne. Sie sollte - im Sprachgebrauch jener Zeit - der „sittlichen Hebung und Besserung der Gefangenen" dienen. Jedoch trat der Unterricht um die Jahrhundertwende an Bedeutung hinter die Gefangenenarbeit zurück, die schon aus ökonomischen Gründen das Anstaltsleben prägte. Vielerorts herrschte auch die Vorstellung vor, Arbeit sei das beste Erziehungsmittel im Sinne bessernder Einwirkung auf den Gefangenen. Erst in der Weimarer Zeit gewann die Anstaltsschule unter dem Vorzeichen des Erziehungsgedankens wieder stärker an Boden. Sie entwickelte sich - zumindest ihrem Anspruch nach - zur Erziehungsschule mit sozialpädagogischer Orientierung; der Gefangene sollte an seiner gesellschaftlichen Wiedereingliederung aktiv mitwirken. Dementsprechend lehnte sich die Anstaltsschule in ihrer inhaltlichen Ausgestaltung nicht mehr an die Volksschule an, sondern knüpfte an das Konzept der Heimvolkshochschule an. Der Unterricht sollte zum einen kompensatorischen Funktionen dienen, d. h. bildungsmäßige Defizite beheben und Haftschäden bekämpfen helfen. Vor allem aber wurde ihm die Aufgabe der Sozialerziehung gestellt. Diese Entwicklung brach 1933 mit der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus jäh ab. Nunmehr sollte die Gefängnisschule „als Willensschule im Auslesevollzug" fungieren, in deren Mittelpunkt die weltanschauliche Schulung stand (Eberle 1980). Von Vollzugspädagogik und Erwachsenenbildung konnte keine Rede mehr sein.

B. Der Ausbau der Bildungsarbeit und beruflichen Förderung im Strafvollzug Nach 1945 knüpfte der Strafvollzug auch hinsichtlich der Ausgestaltung und Maßnahmen der Erwachsenenbildung zum Teil jedenfalls an die Entwicklung der Weimarer Zeit an. Freilich waren die verfügbaren personellen Kräfte und finanziellen Mittel lange Zeit verschiedenenorts durch den Wiederaufbau, die Herstellung rechtsstaatlicher Verhältnisse und den Abbau der Überbelegung, unter der etliche Vollzugsanstalten litten, absorbiert. So mußte sich die Tätigkeit vieler Anstaltslehrer auf die Erteilung von Unterricht (etwa zur Behebung von Wissenslücken oder zur beruflichen Ausbildung), die Gestaltung der Freizeit (bis hin zu Sportveranstaltungen) und die Einrichtung und Unterhaltung einer Anstaltsbücherei beschränken. Immerhin entstanden erste Ansätze, der Erwachsenenbildung nach Form und Inhalt festere Konturen zu geben. Symptomatisch dafür ist die DVollzVO vom 1. 12. 1961, die dem Thema „Erwachsenenbil-

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dung" einen eigenen Titel widmete (Nrn. 124-129) und dem Anstaltslehrer entsprechende Aufgaben zuwies (Nr. 27). Danach sollte dem Gefangenen Gelegenheit gegeben werden, sich „soweit möglich, unter Anleitung fachlich vorgebildeter Kräfte fortzubilden"; auch die Erwachsenenbildung sollte dem Ziel dienen, den Willen des Gefangenen „zu geordneter Lebensführung zu wecken und zu stärken" (Nr. 124 Abs. 1). Der Fortbildung wurde eine dreifache Aufgabe gestellt: Sie sollte Elementarwissen auffrischen und ergänzen, die geistigen Fähigkeiten und beruflichen Kenntnisse des Gefangenen fördern und schließlich zum Gemeinschaftssinn beitragen (Nr. 125). Drei Formen der Fortbildung hebt die DVollzO besonders hervor: den Unterricht (Nr. 126), die Anleitung zu sinnvoller Beschäftigung in der Freizeit (Nr. 127) und zu sachgemäßer Lektüre; zu diesem Zweck sollte jede Anstalt eine eigene Bücherei unterhalten (Nrn. 128 und 129). Mit diesen Regelungen lehnte sich die DVollzO erklärtermaßen an das damalige Konzept der Erwachsenenbildung (Nr. 126 Abs. 1) und die Erfahrungen mit Volksbüchereien (Nr. 128 Abs. 1) an. Repräsentative empirische Erhebungen, ob und inwieweit der damit erhobene Anspruch praktisch eingelöst wurde, wurden freilich nicht durchgeführt; aus Einzelinformationen wird man schließen müssen, daß es verschiedenenorts entsprechende Anstrengungen gab, die aber auf Grund der defizitären Ausstattung der Vollzugsanstalten und des Fehlens eines durchdachten pädagogischen Gesamtkonzepts im ganzen doch hinter den normativen Anforderungen zurückblieben (Rückert 1974; Wolff 1978 a; Kaiser/Kerner 1982). Einen besonderen Schwerpunkt der Erwachsenenbildung stellte relativ früh schon die berufliche Bildung dar, die sich freilich bis in die 50er und 60er Jahre hinein weitgehend auf die Vermittlung handwerklicher Fähigkeiten und Fertigkeiten beschränkte. Danach sollten geeignete Gefangene, die ihren früheren Beruf nicht mehr ausüben konnten oder gar keinen erlernt hatten, je nach den Ausbildungsmöglichkeiten der Vollzugsanstalt einen beruflichen Abschluß erhalten, der sie in die Lage versetzte, sich und ihre Familie zu ernähren. Dieses Konzept der beruflichen Bildung weitete sich im Zuge der Entstehung der sog. Wohlstandsgesellschaft mit ihrer zunehmenden Nachfrage nach Arbeitskräften aus. Die Zahl der Ausbildungsplätze und -berufe nahm zu; so wurde in verschiedenen Vollzugsanstalten etwa auch die Möglichkeit der Ausbildung zum Facharbeiter (z.B. Dreher, Schweißer, Betriebsschlosser, Kfz-Mechaniker, Werkzeugmacher) angeboten. Jedoch waren für diese Entwicklung wenigstens vier Aspekte charakteristisch, welche insgesamt die Situation der Erwachsenenbildung im Strafvollzug beleuchteten: Die Möglichkeiten beruflicher Bildung - namentlich die Vielfalt und Qualität des Angebots - waren je nach Vollzugsanstalt ganz unterschiedlich. Sie wurden nur

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zögernd und allmählich auf qualifizierte(re) Berufe erstreckt. A n den Ausbildungsmaßnahmen partizipierte lediglich ein Bruchteil der Insassen. Schließlich fehlte es auch an einer Integration der beruflichen Bildung in ein vollzugspädagogisches Gesamtkonzept der Erwachsenenbildung.

IV. DIE ERWACHSENENBILDUNG IM HEUTIGEN STRAFVOLLZUG A. Grundfragen der Erwachsenenbildung im Strafvollzug 1. Ausbildung und Bildung als Kriminalitätsprophylaxe Besondere Bedeutung gewinnen (Aus-) Bildungsmaßnahmen im Vollzug vor allem dadurch, daß der Stand der Allgemeinbildung und Berufsausbildung der Insassen von Vollzugsanstalten größtenteils unter dem der sog. Normalbevölkerung liegt. So sind etwa die ehemaligen Sonderschüler und Volksschüler ohne Abschluß in den Vollzugsanstalten überrepräsentiert. In manchen Anstalten hat die Hälfte der Insassen keinen Volksschulabschluß (Hammermann 1977). Ähnlich hohe Anteile wurden für den Personenkreis ohne abgeschlossene Berufsausbildung ermittelt. Untersuchungen zufolge liegen sie zwischen 55 % (Cyprian 1977), 6 6 % (Hammermann 1977) und 7 1 % (Kaiser, Kerner, Schöch 1982); ein ähnliches Bild zeigt der Jugendstrafvollzug (Böhm 1973; Hilkenbach 1979). Dabei spielt eine wesentliche Rolle, daß diese (Aus-)Bildungsdefizite bei der Mehrzahl der Insassen von Vollzugsanstalten insgesamt Ausdruck weiterreichender Dissozialisationserscheinungen und mangelnder sozialer Integration sind. Vielfach ist die Sozialisation durch gestörte Familienstrukturen, randständige Rolle (z. B. Unterschichtzugehörigkeit) und Heimaufenthalte beeinträchtigt (Bundesminister für Jugend 1978). Dementsprechend hoch ist der Prozentsatz vorbestrafter und Rückfalltäter mit psychischen Defiziten (z.B. geringe Belastbarkeit, Frustrationstoleranz, Fehlen sozialer Handlungskompetenz), Fixierung auf abweichende Verhaltensmuster und kriminellen Karrieren (Dolde 1978). Freilich darf man nicht übersehen, daß dazu auch die Selektionsmechanismen des Strafrechts und der Strafzumessungspraxis der Gerichte beitragen. Sie bewirken im Ergebnis, daß sich die Insassen der Vollzugsanstalten überwiegend aus Wiederholungstätern (aus den Bereichen der Eigentums- und Vermögenskriminalität) rekrutieren, die bereits verschiedene Instanzen der jugendrechtlichen und strafrechtlichen Sozialkontrolle durchlaufen haben (Müller-Dietz 1980). Unter diesen Umständen sind viele Gefangene den allgemeinen normativen und sozialen Anforderungen - sei es im Berufs- und Familienleben, sei es

im sonstigen gesellschaftlichen Leben - nicht gewachsen. Vor allem sind sie hinsichtlich ihrer beruflichen Entwicklung und damit ihres Sozialstatus gegenüber der übrigen Bevölkerung im Nachteil. In einer leistungsorientierten Gesellschaft stellen Berufsausbildung und berufliche Qualifikation wesentliche Faktoren für die „soziale Chancenzuweisung" dar (Cyprian 1977; Geissler 1978; Kluge/ Majoli 1978; Meisel 1980). Sie erfüllen nicht allein existenzsichernde Funktionen, sondern bestimmen darüber hinaus die Stellung des einzelnen in der Gesellschaft, seine soziale Identität. Schon die berufliche Ausbildung fungiert als elementarer Bestandteil des Sozialisationsprozesses (Burger/Seidenspinner 1979). Erst recht spielen diese Faktoren in Zeiten umwälzender wirtschaftlicher und wissenschaftlicher, namentlich technologischer Veränderungen sowie ökonomischer Krisen eine Rolle. Erfahrungsgemäß sind dann am ersten diejenigen Arbeitnehmer von der Gefahr der Teilzeitbeschäftigung oder gar Entlassung bedroht, die beruflich und wissensmäßig wenig oder gar nicht qualifiziert sind (z. B. ungelernte Arbeiter, Handlanger). Diese Gruppe von Beschäftigten, zu denen auf Grund ihres (Aus-)Bildungsstandes eben ein erheblicher Teil der Strafgefangenen gehört, ist denn auch in besonders starkem Maße von der Arbeitslosigkeit betroffen (Martens 1978; Wacker 1978; Lenhardt 1979). Gelingt es im Strafvollzug nicht, jenen Insassen zu einer dem Arbeitsmarkt und der Wirtschaftslage entsprechenden beruflichen Qualifikation und zu höherer Allgemeinbildung zu verhelfen, bleiben sie als Haftentlassene weiterhin am Ende der sozialen Stufenleiter stehen; der verhängnisvolle Kreislauf von Strafverbüßung, mangelnder sozialer Integration, erneutem abweichendem Verhalten mit der Folge weiterer Strafverbüßung schließt sich dann nur allzu leicht (Bundesminister für Jugend 1978). Dies gilt unbeschadet der Frage, in welchem Zusammenhang Fehlen beruflicher Qualifikationen, Bildungsdefizite und Arbeitslosigkeit auf der einen Seite mit sozial abweichendem Verhalten und Kriminalität auf der anderen Seite kriminologisch zu sehen sind. Insoweit hat die ältere Literatur mehr oder minder unmittelbare Beziehungen herzustellen versucht und deshalb nicht zuletzt auf das Konzept „Resozialisierung durch Ausbildung und Arbeit" gesetzt (Hellmer 1966). Indessen ist deutlich geworden, daß Kriminalität keineswegs das Produkt linearer Abläufe, sondern komplexer Interaktionsprozesse ist, in deren Rahmen die skizzierten Defizite und Mängellagen durchaus eine Rolle spielen können, dies jedoch keineswegs tun müssen, vielmehr erst im Zusammenhang mit anderen Faktoren an Bedeutung gewinnen. So ist durchaus denkbar, daß solche Phänomene im Einzelfall auf andere Weise als durch kriminelles Verhalten „verarbeitet" werden - etwa durch Übernahme einer sonstigen sozial randständigen Rolle - oder in

Strafvollzug: Erwachsenenbildung seelische oder körperliche Erkrankungen münden (Martens 1978). Dies ändert im Ergebnis jedoch nichts daran, daß sich das Fortbestehen (aus-)bildungs- und wissensmäßiger Defizite vielfach negativ auf die weitere berufliche Entwicklung und soziale Identität der Strafgefangenen auswirkt. In aller Regel äußern sie sich - gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten - in Schwierigkeiten bei der Arbeitsvermittlung (Degen 1977). Geringe Problemlösungskompetenz, ökonomische Randständigkeit und Statusunsicherheit sind dann die Folgen beruflicher und sozialer Desintegration (Blath/Dillig/ Frey 1980). So deuten denn auch einzelne Untersuchungen daraufhin, daß Gefangene, die einen Ausbildungsgang erfolgreich abgeschlossen haben, weniger Rückfälle aufzuweisen haben als andere Gefangene (Calliess 1981). Allerdings steht die Evaluationsforschung, d. h. die empirische Überprüfung des Erfolges von Behandlungsmaßnahmen im Strafvollzug in der Bundesrepublik Deutschland noch in den Anfängen; deshalb sind repräsentative Aussagen auf diesem Feld derzeit noch nicht möglich (Böhm 1979; Kaiser, Kerner, Schöch 1982).

2. Inhalt und Methoden der Erwachsenenbildung im Strafvollzug Belegt die besondere Insassenstruktur der Vollzugsanstalten einmal mehr die Notwendigkeit von Erwachsenenbildung im Strafvollzug, so ist damit freilich noch nichts über deren Inhalt und Konzeption ausgesagt. Noch am unproblematischsten erscheint die Bestimmung der Gegenstandsbereiche der Erwachsenenbildung. Insofern besteht weitgehend Einigkeit darüber, daß die Bildungsarbeit im Strafvollzug schulische und berufliche Ausbildung, die Vermittlung von Allgemeinbildung, aber auch von Möglichkeiten der Problemlösung und Lebensbewältigung sowie die Einübung sozialer Verhaltensweisen umfassen muß. Danach geht es nicht allein um die Aufarbeitung wissensmäßiger Defizite und die Schaffung der Voraussetzungen für die Integration in das Erwerbs- und Wirtschaftsleben, sondern auch - und in vielen Fällen sogar vorrangig - um eine Art soziales Training, das gleichermaßen der Persönlichkeitsentfaltung wie der Einordnung in das gesellschaftliche Leben dient. Tendenzen dieser Art wurden etwa im Konzept des Sozialen Trainings sichtbar, das namentlich der Entwicklung sozialer Handlungskompetenzen und Fähigkeiten dient; entsprechende Curricula, die sich auf die relevanten Lebensbereiche beziehen, wurden bereits vorgelegt und in verschiedenen Vollzugsanstalten praktisch erprobt (Braun-Heintz, Schradin, Wehle 1980; Arbeitsgruppe für empirische Bildungsforschung 1981). Freilich werden gerade hier die Akzente nach wie vor unterschiedlich gesetzt. Namentlich kehrt insoweit die Diskussion über den sog. technokratischen

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und den sog. emanzipatorischen Ansatz der Erwachsenenbildung (Bockemühl 1977) unter anderem Vorzeichen wieder, die Frage also, ob die Erwachsenenbildung primär zur Anpassung an die Normen und Erwartungen der Leistungsgesellschaft oder in erster Linie zur Entfaltung der eigenen Möglichkeiten („Selbstbefreiung") beitragen soll. Allerdings wird dieses Problem schon dadurch relativiert, daß es in etlichen Fällen erst einmal darum geht, einfache Techniken der Problemlösung und Lebensbewältigung zu vermitteln, um überhaupt eine sinnvolle und verantwortliche Teilhabe am sozialen Leben zu ermöglichen (Kaiser, Kerner, Schöch 1982). Die konsequente Verfolgung eines emanzipatorischen Ansatzes könnte dann leicht auf eine emotionale und intellektuelle Überforderung hinauslaufen, namentlich wenn lebensgeschichtliche Fehlentwicklungen wegen zunehmender Verfestigung abweichender Einstellungs- und Verhaltensmuster nur noch schwer zu korrigieren sind und dispositionelle Defizite sich allenfalls unter optimalen Rahmenbedingungen - die der Strafvollzug auch unter günstigen Voraussetzungen nicht zu bieten vermag - beheben lassen. Die Frage, ob und gegebenenfalls mit welchen Veränderungen die einschlägigen Vorstellungen von der Erwachsenenbildung in der freien Gesellschaft übernommen werden können, beschäftigt namentlich die neuere Vollzugspädagogik, die mit dem personellen Ausbau der Fachdienste (Psychologen, Lehrer, Sozialarbeiter) in den Vollzugsanstalten erheblich an Boden gewonnen hat (Calliess 1970; 1971; 1972; Müllges 1973; Rückert 1974; 1976; Kluge 1977; 1978; Deimling/Lenzen 1974; Deimling 1978; 1979; Krebs 1978 a; Deutsche Evangelische Arbeitsgemeinschaft etc. 1979; Niemeyer 1979; Ballhausen 1979; Eberle 1980; Quensel 1981). Eine wesentliche Schwierigkeit hegt offenkundig darin, daß die Vollzugspädagogik wegen der Eigenart und Lebensgeschichte ihrer Klientel, z.T. wohl auch wegen der besonderen Bedingungen des Freiheitsentzuges selbst nicht einfach und unvermittelt das Konzept der Erwachsenenbildung übernehmen kann, sondern in methodischer wie inhaltlicher Hinsicht Anleihen bei der Heilpädagogik, der Heimerziehung und der Sozialpsychiatrie aufnehmen muß. Damit partizipiert sie an den Erkenntnissen und Methoden verschiedener Wissenschaften (wie z. B. der Psychologie, Tiefenpsychologie, Soziologie, Psychiatrie), deren empirische Befunde wie inhaltliche Vorstellungen sich keineswegs ohne weiteres zu einem bruchlosen Gesamtkonzept der Bildungsarbeit im Strafvollzug zusammenfügen lassen. So wird denn auch bis heute das Fehlen eines solchen Konzepts moniert (Niemeyer 1979). Noch am ehesten gelingt es, entsprechende Ansätze aus bestimmten Erfahrungsbereichen heraus (so z.B. die „Kölner Verhaltensauffälligenpädagogik": Kluge 1977; 1978) oder auf Grund normativer, etwa kirchlich-religiöser Vorgaben (so z. B.

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Deutsche Evangelische Arbeitsgemeinschaft etc. 1979) zu entwickeln. Hier stellt sich freilich allemal die Frage nach der Übertragbarkeit solcher Ansätze (auf die verschiedenen Vollzugseinrichtungen und Insassengruppen), also nach der Verallgemeinerungsfähigkeit. In der neueren Diskussion werden gerade Zweifel an der Sinnhaftigkeit einer ausgeprägten Psychologisierung und therapeutischen Orientierung der Vollzugspädagogik angemeldet; statt dessen verspricht man sich teilweise von Anleihen an der allgemeinen Pädagogik und an Theorie und Praxis der Sozialarbeit und Sozialpädagogik größere Chancen positiver Beeinflussung des Sozialisations- und Bildungsprozesses (Quensel 1981). Vor allem in ihren Konsequenzen stimmen sie weitgehend mit philosophisch orientierten Grundsatzvorstellungen der Erwachsenenbildung überein, die teils anthropologische, teils pädagogische Prämissen in das Konzept einbringen (Eberle 1980). Sie gehen etwa davon aus, daß der Mensch zugleich Subjekt seiner Geschichte und zu verantwortlichem Sozialverhalten berufen ist, daß sich dieses Verhalten an Rechts- und Sozialnormen zu orientieren hat, daß ihm aber von Staats wegen um der Freiheit und Entwicklung der Person willen auch der nötige Freiraum zu belassen ist. Danach soll die Erwachsenenbildung „die Vermittlung zwischen normativem Anspruch und vorgefundener Realität" leisten. Sie weist einen doppelten, den inhaltlichen Aspekt und den Handlungsaspekt auf: Erst die „Verbindung von realistischem Wissen, autonomem Bewußtsein und selbsttätigem Handeln" ermöglicht die Selbstverwirklichung des einzelnen im sozialen Raum, verschafft dem einzelnen jene Handlungskompetenz, die ihn in die Lage versetzt, zwischen subjektiver Freiheit und Selbstentfaltung sowie objektiven Anforderungen der Gesellschaft sinnvoll und sozial verantwortlich zu vermitteln. So verstandene Erwachsenenbildung beruht letztlich auf einer „Pädagogik der Autonomie", „der Selbstbestimmung und Selbsttätigkeit also". Inhaltlich besteht sie in intellektueller (kognitiver), sittlicher (affektiver) sowie ästhetischer (politisch/sozialer) Bildung, denen sich jeweils bestimmte Zielsetzungen und Methoden (Integration von Theorie und Praxis/ Selbstorganisation, Konflikt- und Krisenbewältigung, Diskurs) sowie Prinzipien (Rationalität, Autonomie und Spontaneität, subjektives Interesse) zuordnen lassen (Eberle 1980). Sie kommt insofern dem Vollzugsziel des §2 StVollzG entgegen, als soziale Handlungskompetenz, d. h. die Fähigkeit, sich mit selbstbestimmtem und -verantwortetem Verhalten in gesellschaftliche Interaktionen einzubringen, gerade Voraussetzung für soziale Integration ist (Hansi, in: Deutsche Evangelische Arbeitsgemeinschaft etc. 1979). Erwachsenenbildung in diesem Sinne erschöpft sich also nicht nur in (gewiß unerläßlicher) Wissensvermittlung; über den kognitiven Bereich hinaus will sie auch den affektiv-emotionalen ansprechen.

Erfordert doch der Erwerb sozialer Kompetenz außer der Fähigkeit zum Gespräch und zur Praktizierung von Konfliktlösungsverhalten und -Strategien auch die Fähigkeit, seine eigenen Gefühle zu vertreten (Hansi, in: Deutsche Evangelische Arbeitsgemeinschaft etc. 1979). Dabei spielen lernpsychologische und gruppendynamische Erfahrungen und Erkenntnisse eine wesentliche Rolle. Sie erfordern eine entsprechende Strukturierung des „Lernfeldes" Strafvollzug, ohne die alle Bildungsbemühungen in den Vollzugsanstalten letztlich ein Torso blieben oder leerliefen (Eberle 1980). 3. Bedeutung der Erwachsenenbildung im Rahmen der Vollzugs- und Behandlungsmaßnahmen Inhalt und Anspruch einer solchen Erwachsenenbildung gehen erheblich über das traditionelle Konzept der Vollzugspädagogik hinaus. Sie beschränken die Erwachsenenbildung nicht allein auf den Ausgleich wissens- und ausbildungsmäßiger Defizite, sondern beziehen die Lebensgeschichte, Sozialisation und gegenwärtige Lernsituation in Reflexion und Handeln ein. Insofern steht die Erwachsenenbildung in mehr oder minder unmittelbarem Zusammenhang mit dem Vollzugsziel und der dem Gefangenen nach § 71 StVollzG zu leistenden sozialen Hilfe, die ihrerseits dem Vollzugsziel zugeordnet ist (Müller-Dietz 1978; Calliess 1981). Hiernach müssen die traditionellen Elemente der Erwachsenenbildung - wie etwa Unterricht, Vermittlung berufspraktischer Kenntnisse und Fertigkeiten, Anleitung zu sinnvoller Lektüre und Verwendung der Freizeit (einschließlich der Benutzung der Massenkommunikationsmittel) - in ein umfassenderes Konzept integriert werden, das auf soziales Lernen und Training, auf die Aufarbeitung lebensgeschichtlicher Defizite und Fehlhaltungen hin angelegt ist. Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Strafvollzug dies zu leisten vermag, ob er etwa entsprechende Lernbedingungen schaffen kann, fällt weitgehend mit der Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der Behandlung im Rahmen des Freiheitsentzuges zusammen (dazu IV A4).

Sicher bereitet die Verwirklichung eines solchen Konzepts schon deshalb Schwierigkeiten, weil Bedeutung und Stellenwert der verschiedenen Vollzugsmaßnahmen im Verhältnis zueinander noch nicht einmal auf der theoretischen Ebene zureichend geklärt sind. Zwar werden der Arbeit und beruflichen Ausbildung heute nicht mehr jene überragende Rolle zugeschrieben, die ihr die frühere Vollzugsdoktrin beigelegt hat (Müller-Dietz 1973 a; 1973 b; Cyprian 1977; Kaiser, Kerner 1982). Gerade angesichts der Häufung verschiedener Sozialisationsdefizite hat sich der Schwerpunkt der Theorie zum sozialen Lernen und Training hin verschoben. Indessen fehlt es bis heute an einem bis in die

Strafvollzug: Erwachsenenbildung praktischen Konsequenzen hinein durchdachten Konzept, das die verschiedenen „Lernfelder" Arbeit, Ausbildung, Freizeitgestaltung, soziales Training, Therapie in ein sachgerechtes, d.h. Sozialisationserfordernissen und Vollzugsbedingungen entsprechendes Verhältnis zueinander bringt. So ist bis in die Gestaltung des Tagesablaufs und die organisatorische Gestaltung der Vollzugsanstalten hinein der Vorrang der Arbeit zumindest de facto bestehengeblieben. Lediglich der Alternativ-Entwurf eines StVollzG hat sich darum bemüht, die verschiedenen Lernfelder in zeitlicher und institutioneller Hinsicht zu gewichten, um daraus im einzelnen Konsequenzen für den inneren Aufbau der Vollzugsanstalt abzuleiten (Baumann 1973; Calliess 1981). In seinem Konzept nehmen denn auch Bildungsmaßnahmen neben therapeutischen einen stärkeren Rang ein, als es derzeit in der Vollzugspraxis der Fall ist.

4. Institutionelle und personelle Hemmnisse der Erwachsenenbildung in der Vollzugsanstalt Die Schwierigkeiten, die sich der praktischen Umsetzung des Behandlungsgedankens entgegenstellen, wirken sich auch negativ auf Ausgestaltung und Durchführung von Maßnahmen der Erwachsenenbildung aus (Niemeyer 1979; Kaiser, Kerner, Schöch 1982). Sie sind im wesentlichen dreifacher Natur: Zum einen behindern die durch den Freiheitsentzug bedingten Reglementierungen und Restriktionen die Bildungsarbeit. Zum zweiten belasten organisatorische und personelle Probleme die Bildungsmaßnahmen. Schließlich stehen vielfach die bereits angedeutete Persönlichkeits- und Motivationsstruktur der Insassen sozialem Lernen und Training hindernd im Wege. Dabei ist nicht zu übersehen, daß sich diese verschiedenen Faktoren nicht nur gegenseitig ergänzen, sondern in ihrer Wirkung gleichsam einander hochschaukeln können mit der Folge, daß die damit verbundenen psycho-sozialen Lernbarrieren, wenn überhaupt, nur mit erheblichen Anstrengungen zu überwinden sind. Zunächst einmal stellt schon der Freiheitsentzug per se eine ungünstige Bedingung für Bildungsarbeit dar. Die zwangsweise Zusammenfassung einer größeren Anzahl von Menschen auf verhältnismäßig engem Raum bringt eine Reihe institutioneller Folgeprobleme hervor, die in aller Regel die Durchführung von (Aus-)Bildungsmaßnahmen beeinträchtigen. Im Vordergrund steht namentlich das Erfordernis, Sicherheit und Ordnung in der Vollzugsanstalt aufrechtzuerhalten, d. h. die immanente Zielsetzung, Ausbruch oder Entweichung sowie (physische) Aggressionen zu verhindern oder wenigstens zu bekämpfen. Darüber hinaus richtet sich das Interesse vieler Mitarbeiter, vor allem der für die Überwachung verantwortlichen, auf mög-

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lichst störungsfreien Tagesablauf. In gewisser Hinsicht gilt dies auch für die Ausgestaltung der Arbeit in den Betrieben. Hieraus resultiert ein mehr oder minder starkes Kontrollsystem, das meist baulich und personell abgesichert ist. Freiräume, welche die Erwachsenenbildung - in jedem Sinne des Wortes - benötigt, werden dadurch eingeengt, die Gestaltungsfreiheit der Insassen und der in der Bildungsarbeit stehenden Mitarbeiter (namentlich der Lehrer) beschnitten. Insofern sind die Gefangenen und die Fachdienste in freilich verschiedenem Ausmaß von den vollzugsimmanenten Restriktionen und Reglementierungen betroffen. Diese Auswirkungen sind natürlich unterschiedlich, je mehr die jeweilige Vollzugsanstalt dem Typus einer sog. totalen Institution mit hohem Sicherheitsgrad (Goffman) oder einer nach innen und außen weitgehend offenen Übergangseinrichtung angenähert ist. In mehr oder minder unmittelbarem Zusammenhang damit steht die Organisations- und Kommunikationsstruktur der Vollzugsanstalt. Auch sie erschwert häufig die Bildungsarbeit. Zum einen führt der hierarchische Aufbau der Anstalt dazu, daß die Entscheidungsbefugnis in allen Fragen - von den Fällen der Verantwortungsdelegation (§ 156 Abs. 2 Satz 2 StVollzG) einmal abgesehen - beim Anstaltsleiter konzentriert ist und daß die übrigen Mitarbeiter dann folgerichtig davon ausgeschlossen sind. Zum anderen hat die strenge Aufgliederung der Vollzugsanstalt in verschiedene Zuständigkeitsbereiche jedenfalls in solchen Einrichtungen, in denen keine institutionalisierten Formen der Kooperation existieren, zur Folge, daß Vollzugsmaßnahmen ihrer tatsächlichen Bedeutung nach nicht hinreichend gewichtet und aufeinander abgestimmt sind. Erfahrungsgemäß leiden darunter dann vor allem diejenigen Bereiche, die - wie die Erwachsenenbildung eher eine randständige denn eine zentrale Rolle im Vollzugsgeschehen spielen. Das zahlenmäßige Übergewicht derjenigen Mitarbeiter, die primär zur Sicherung der Vollzugsabläufe und Kontrolle der Gefangenen verpflichtet sind, setzt für sich schon Schwerpunkte in der Erfüllung der Vollzugsaufgaben, welche die relativ wenigen Mitarbeiter der Fachdienste oft kaum noch entscheidend verändern können. Es kommt hinzu, daß mancherorts die personellen, finanziellen und räumlichen Voraussetzungen für qualifizierte Bildungsarbeit fehlen, so daß sich schon deshalb die Priorität anderer Vollzugsbereiche faktisch behaupten kann. Schließlich wirkt sich die bereits erwähnte Persönlichkeits- und Motivationsstruktur vieler Insassen (IV A I ) hemmend auf die Bildungsarbeit aus. Wenn sich auch die Gefangenen - entgegen früheren Annahmen - hinsichtlich ihrer intellektuellen Ausstattung nicht wesentlich von der sog. Normalbevölkerung unterscheiden (Kaiser, Kerner, Schöch 1982), so sind doch die lebensgeschichtlich und altersmäßig bedingten Lernbarrieren oft recht hoch. Ohnehin nimmt die Bereitschaft zu lernen

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mit zunehmendem Alter ab. Nicht selten fehlt sie auf Grund von Sozialisationsdefiziten bei Gefangenen von vornherein. Deshalb ist oft schon ein wesentlicher Schritt getan, wenn es gelingt, den Gefangenen zur aktiven Mitarbeit zu motivieren, etwa sich an (Aus-)Bildungsmaßnahmen zu beteiligen unabhängig davon, ob die Mitwirkung zu einem Abschluß führt oder gar die Resozialisierung positiv beeinflußt (Müller-Dietz 1978; Calliess 1981). Umgekehrt wirken sich die äußeren Rahmen- und Lernbedingungen des Freiheitsentzuges als negative Verstärker mangelnder Lernfähigkeit und -bereitschaft aus. Tendenziell sind somit die situativen und personellen Umstände im Strafvollzug der Erwachsenenbildung eher abträglich. Dies ist ja auch ein wesentlicher Grund dafür, weshalb im ganzen die Chancen resozialisierender Einwirkung auf Straftäter unter den Bedingungen des Freiheitsentzugs überaus zurückhaltend bis kritisch beurteilt werden (Deimling 1980; Müller-Dietz 1980).

B. Die rechtliche Regelung der Erwachsenenbildung im Strafvollzug Für die rechtliche Ausgestaltung der Erwachsenenbildung im Strafvollzug der Bundesrepublik Deutschland sind in erster Linie die Vorschriften des seit 1.1. 1977 geltenden StVollzG maßgebend. Daneben sind aber auch die Regelungen des Berufsförderungsrechts, namentlich das Arbeitsförderungsgesetz (AFG) vom 25. 6. 1969 (BGBl. I 582) i . d . F . des Gesetzes vom 22. 12. 1981 (BGBl. I 1497) und das Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz = BaföG) vom 9. 4.1976 (BGBl. 1989) i. d. F. vom 23.12.1981 (BGBl. 11692) von Bedeutung. Ferner sind ergänzend die verschiedenen Landesgesetze zur Erwachsenenbildung heranzuziehen (Bockemühl 1977). Diese komplexe Rechtslage spiegelt einmal mehr die bipolare Lage der Erwachsenenbildung im Strafvollzug wider, die einerseits den Aufgaben und Maßnahmen des Vollzugs zugeordnet ist, andererseits aber auch durch die Zielvorstellungen und Ausgestaltung der Erwachsenenbildung in der freien Gesellschaft beeinflußt wird. 1. Die Regelungen des StVollzG a) D i e i n h a l t l i c h e A u s g e s t a l t u n g d e r E r w a c h s e n e n b i l d u n g im S t V o l l z G . Anders als die DVollzO enthält das StVollzG keine systematische, von sonstigen Regelungsmaterien getrennte Zusammenfassung der Vorschriften über die Erwachsenenbildung. Vielmehr ist ein Großteil der einschlägigen Bestimmungen in den Titel integriert, der die Regelungen der Arbeit und des Arbeitsentgeltes zusammenfaßt: „Arbeit, Ausbildung und Weiterbildung" (§§37-52 StVollzG). Das

StVollzG erkennt damit die grundsätzliche Gleichrangigkeit von Arbeit, Ausbildung und Weiterbildung an (Müller-Dietz 1978; Calliess 1981). Es hat dadurch normativ den Anschluß an die heutige Bildungskonzeption vollzogen, die im wesentlichen auch dem Alternativ-Entwurf zugrundeliegt (Baumann 1973; Calliess 1974). Weitere einschlägige Regelungen finden sich in den Vorschriften über den Vollzugsplan (§ 7 StVollzG), die Freizeitgestaltung (§§67-70 StVollzG) sowie in einer ganzen Reihe von Bestimmungen, die Strukturfragen der Vollzugsanstalt wie etwa die organisatorische, personelle und räumliche Gliederung - zum Gegenstand haben (§§ 145, 148,149,154,155 StVollzG). Letztere Vorschriften sollen gewissermaßen die Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für die Bildungsarbeit im Strafvollzug schaffen helfen. Die grundsätzliche Gleichrangigkeit der Erwachsenenbildung mit anderen Vollzugsbereichen und -maßnahmen kommt zunächst darin zum Ausdruck, daß das StVollzG Maßnahmen der beruflichen Förderung und Weiterbildung ebenso wie die Beschäftigung des Gefangenen und die Maßnahmen sozialer Hilfe und Therapie zu jenen Behandlungsmaßnahmen rechnet, die in den Vollzugsplan aufzunehmen sind (§7 Abs. 1 Nr. 3 und 4 StVollzG). Der Vollzugsplan soll als „Rahmen-Plan" (Calliess) diejenigen Maßnahmen festlegen und koordinieren, die zur Behandlung des einzelnen Gefangenen notwendig erscheinen und denen allgemein besondere Bedeutung für dessen Resozialisierung beigelegt wird. Dabei dient einerseits die Orientierung am Vollzugsziel, andererseits die Berücksichtigung spezifischer Vorbelastungen und Bedürfnisse des einzelnen Gefangenen, die im Wege der Persönlichkeitserforschung zu ermitteln sind (§6 StVollzG), als Maßstab. Angesichts der erheblichen bildungsund wissensmäßigen Defizite, die viele Gefangene aufzuweisen haben (IV A 4), kommt der Erwachsenenbildung im Spektrum der verschiedenen Vollzugsbereiche besonderes Gewicht zu. Das erkennt §37 Abs. 3 StVollzG etwa für den Bereich der beruflichen Bildung an, indem er die Vollzugsbehörde dazu verpflichtet, geeigneten Gefangenen entsprechende Ausbildungsmöglichkeiten zu eröffnen. ! Nach der (Systematik des Gesetzes lassen sich insgesamt drdi Bereiche der Weiterbildung voneinander unterscheiden: Zum einen kennt es erwerbsbezogene Alisbildungsmaßnahmen, die auf Erhaltung oder auf Schaffung einer beruflichen Existenz gerichtet sind, den Gefangenen also in die Lage versetzen sollen, den Lebensunterhalt für sich und seine Familie zu sichern (§37 Abs. 1 StVollzG). Insoweit hat Idas StVollzG die von §1 Abs. 1 Berufsbildungsgjesetz vorgenommene Dreiteilung der beruflichen Förderung in Berufsausbildung, berufliche Fortbildung und Umschulung übernommen. Sie soll die individuell verschiedenen Erfordernisse und

Strafvollzug: Erwachsenenbildung Möglichkeiten beruflicher (Aus-) Bildung verdeutlichen (Schausten 1977). Daß berufliche Ausbildung und Umschulung auch berufsbildenden Unterricht umfassen müssen, stellt das StVollzG ausdrücklich klar (§38 StVollzG). Zum zweiten sieht das StVollzG „andere ausbildende oder weiterbildende Maßnahmen" vor (§ 37 Abs. 3 StVollzG). Sie brauchen keineswegs berufsbezogen zu sein. Dazu gehört vor allem die schulische Aus- und Weiterbildung, die wiederum allen geeigneten Gefangenen offenstehen soll (§37 Abs. 3 StVollzG). Einen besonderen Fall stellt in diesem Zusammenhang derjenige Unterricht dar, der auf Vermittlung des Hauptschulabschlusses zielt oder dem Gefangenen wenigstens die Gelegenheit geben soll, Wissen auf dem Niveau der Sonderschule zu erwerben (§38 StVollzG). Der dritte Bereich der Weiterbildung, die allgemeine soziale Ausbildung, die nach §72 StVollzG des Alternativ-Entwurfs vor allem dazu dienen soll, dem Gefangenen konkrete Lebenshilfen und soziale Fertigkeiten zu vermitteln, ist im StVollzG zwar nicht ausdrücklich geregelt, aber vom Begriff der „anderen ausbildenden und weiterbildenden Maßnahmen" mitumfaßt. Hier geht es der Hauptsache nach darum, dem Gefangenen zu sozialer Kompetenz zu verhelfen. Wenigstens insoweit erscheint denn auch der Rückgriff auf das heutige Konzept der Erwachsenenbildung (Eberle 1980) zur inhaltlichen Strukturierung der Bildungsmaßnahmen nicht nur sinnvoll, sondern geradezu notwendig (IV A 2). Welche der verschiedenen Maßnahmen im Einzelfall in Betracht kommt, ergibt sich jeweils aus dem Vollzugsplan (§7 StVollzG), der seinerseits auf der Grundlage individueller Lerndefizite und -möglichkeiten zu erstellen ist. Daß die Teilnahme an Maßnahmen der Erwachsenenbildung allemal freiwillig ist (§41 Abs. 2 StVollzG), ergibt sich schon aus allgemeinen Grundsätzen; ein Zwang wäre verfassungsrechtlich bedenklich und würde auch dem Selbstverständnis der Erwachsenenbildung zuwiderlaufen. Davon zu unterscheiden ist das Bemühen der Vollzugsbehörde um Motivierung des Gefangenen; hierzu sind die Mitarbeiter schon deshalb verpflichtet, weil in vielen Fällen die freiwillige und spontane Mitwirkung des Gefangenen nicht vorausgesetzt werden kann (§4 Abs. 1 StVollzG). Dem Gleichrang von Weiterbildung und Arbeit entspricht es, daß aus- und weiterbildende Maßnahmen während der Arbeitszeit stattfinden, soweit sie eben an Stelle der Arbeit treten und damit die grundsätzlich bestehende Arbeitspflicht (§ 41 Abs. 1 StVollzG) substituieren. Für die Erteilung von Unterricht legt dies das StVollzG in § 38 Abs. 2 ausdrücklich fest. Im übrigen bleibt es dem Gefangenen unbenommen, seine Freizeit zur Teilnahme an Veranstaltungen der Weiterbildung zu nutzen. Die Vollzugsbehörde ist gehalten, ihm die Teilnahme an solchen Veranstaltungen zu ermöglichen;

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freilich steht ihm ein Rechtsanspruch auf Beteiligung an bestimmten Veranstaltungen nicht zu. Im einzelnen erwähnt das StVollzG beispielshalber Unterricht, Fernunterricht, Lehrgänge, sonstige Veranstaltungen der Weiterbildung, Gruppengespräche und die Benutzung einer Bücherei (§67 StVollzG). Bücher und andere Gegenstände, die der Gefangene zur Fortbildung benötigt, sind ihm grundsätzlich zu überlassen; sie dürfen ihm nur im Falle von Rechtsverletzungen oder konkreten Gefährdungen der Sicherheit vorenthalten werden (§70 StVollzG). Auch insoweit will das StVollzG darauf hinwirken, daß der Gefangene sich seinen persönlichen Fähigkeiten und Interessen entsprechend in möglichst weitgehendem Umfang weiterbilden kann. b) D i e R e g e l u n g i n s t i t u t i o n e l l e r und o r g a n i s a t o r i s c h e r V o r a u s s e t z u n g e n im S t V o l l z G . Die institutionellen und organisatorischen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen der Erwachsenenbildung sind im StVollzG nicht im gleichen Maße ausgeprägt wie die inhaltlichen Vorgaben. Dies hängt mit der allgemeinen Zurückhaltung dieses Gesetzes in der Regelung von Organisations- und Personalfragen zusammen (Müller-Dietz 1978). Immerhin eröffnen die Strukturnormen des StVollzG einen Organisations- und Handlungsspielraum, der dem Konzept der Erwachsenenbildung gemäß ausgefüllt werden kann. Danach hat die Gliederung der Vollzugsanstalten den Behandlungsbedürfnissen ihrer Insassen Rechnung zu tragen (§ 143 Abs. 1 StVollzG). Um eine dem Vollzugsziel entsprechende Behandlung zu ermöglichen, sind die Anstalten in überschaubare Vollzugseinheiten zu gliedern (§ 143 Abs. 2 StVollzG). Das StVollzG schreibt damit den Wohngruppenvollzug zugleich als Gestaltungsprinzip und Form (Erfahrungsraum) sozialen Lernens fest (Schulte-Altedorneburg 1977; Calliess 1981). Ein solcher Rahmen bietet auch und gerade der Erwachsenenbildung Entfaltungsmöglichkeiten. In gleicher Weise soll die räumliche Differenzierung und Ausstattung schließlich der beruflichen Förderung Rechnung tragen. Dies bedeutet, daß die Vollzugsanstalten in ausreichendem Maße über entsprechende Räumlichkeiten verfügen müssen (§ 145 StVollzG). In personeller Hinsicht geht das StVollzG davon aus, daß die Vollzugsanstalten mit denjenigen Mitarbeitern und Fachkräften ausgestattet sind, die sie zur Erfüllung ihrer verschiedenen, teilweise recht heterogenen und komplexen Aufgaben benötigen (§155 Abs. 2 StVollzG). Wenn das Gesetz auch davon abgesehen hat, nach dem Vorbild früherer Entwürfe die Einrichtung eines sog. Dienstes für Erwachsenenbildung vorzuschreiben, so will es doch offenbar diesen Tätigkeitsbereich vorrangig den Pädagogen (Lehrern) zugewiesen wissen (Müller-Dietz 1978); dies entspricht in der Sache den

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bisherigen Konzeptionen über die Erwachsenenbildung im Strafvollzug (Müllges 1973; Deimling/Lenzen 1974; Rückert 1974; Linnenbaum/Lührmann 1976; Deimling 1978; 1979; Ballhausen 1979; Niemeyer 1979; Eberle 1980). Indessen ist damit natürlich kein Ausschließlichkeitsanspruch für Angehörige bestimmter Berufe verbunden; vielmehr geht es lediglich darum, Schwerpunkte in der Zuordnung von Aufgabenbereichen je nach fachlicher Qualifikation der Mitarbeiter zu setzen. Insofern partizipieren auch Angehörige anderer Dienste der Vollzugsanstalt an der Erwachsenenbildung; ein Beispiel dafür stellt die Beteiligung des Werkdienstes an Maßnahmen beruflicher Förderung dar. Nicht zuletzt hängt die sinnvolle Gestaltung der Erwachsenenbildung - ebenso wie die Strukturierung anderer Tätigkeitsfelder des Strafvollzugs - davon ab, daß die daran beteiligten Mitarbeiter ihrer allgemeinen Kooperationspflicht genügen (§ 154 StVollzG); dies erfordert laufenden Erfahrungsaustausch und gegenseitige Abstimmung der verschiedenen Vollzugsmaßnahmen. Nach der Grundkonzeption des StVollzG soll die Erwachsenenbildung keineswegs ausschließlich in den Händen des Strafvollzugs und seiner Mitarbeiter liegen. Vielmehr sollen auch freie (ehrenamtliche) Mitarbeiter und Einrichtungen außerhalb der Vollzugsanstalt daran beteiligt werden. Dabei bieten sich - je nach Bereich - verschiedene Anknüpfungspunkte an. Zum einen geht es generell darum, mit denjenigen Vereinigungen und Stellen des Arbeits- und Wirtschaftslebens zusammenzuarbeiten, die vorrangig zur beruflichen Integration des Gefangenen beitragen können (§148 StVollzG). Das ist vor allem die Bundesanstalt für Arbeit, der ja nach § 3 Abs. 2 A F G die Aufgaben der Berufsberatung, Arbeitsvermittlung und Förderung der beruflichen Bildung obliegen. Daneben kommen etwa die Handwerkskammern und -innungen, die Industrie- und Handelskammern, die Berufsschulen sowie die Volkshochschulen in Betracht. Das StVollzG verpflichtet die Vollzugsbehörde dementsprechend dazu, die notwendigen organisatorischen Vorkehrungen zu treffen, die ein solches „Verbundsystem" zwischen jenen Institutionen und den Vollzugsanstalten herstellen und gewährleisten. Das hat z . B . zur Folge, daß Berufsberater der Arbeitsämter in Vollzugsanstalten regelmäßig Sprechstunden abhalten und als ständige Gesprächspartner für Lehrer und Sozialarbeiter fungieren. Ferner sieht das StVollzG in § 149 Abs. 3 vor, daß Maßnahmen der beruflichen Bildung in Betrieben der freien Wirtschaft durchgeführt werden können. Des weiteren kann es nach dem Gesetz Gefangenen ermöglicht werden, staatliche oder freie Bildungseinrichtungen außerhalb des Strafvollzugs (z. B. Schulen, Volkshochschulen) zu besuchen. Dies kommt namentlich dann in Betracht, wenn sich der Gefangene im offenen Vollzug (§ 10 Abs. 1 StVollzG) befindet oder den Status eines Freigän-

gers hat (§11 Abs. 1 Nr. 1). Schließlich ist auch denkbar, daß sich Fachkräfte oder Laien - je nach Eignung und Interessen - an Maßnahmen der Erwachsenenbildung innerhalb der Vollzugsanstalt beteiligen. Das StVollzG sieht ein solches Engagement nicht nur vor, sondern auch als erwünscht an (§ 154 Abs. 2 StVollzG). Dieser „Öffnung des Strafvollzugs" liegen im wesentlichen zwei Überlegungen zugrunde. Die angestrebte Intensivierung der Erwachsenenbildung ist, wenn überhaupt, nur mit Hilfe außervollzuglicher Kräfte und Einrichtungen praktisch zu verwirklichen. So dürften auch bei einem weiteren Ausbau der Personalstruktur die personellen und sachlichen Ressourcen des Strafvollzugs jedenfalls in absehbarer Zeit nicht ausreichen, um jenes Konzept in die Praxis umzusetzen. Noch wesentlicher erscheint aber der Gesichtspunkt, daß der Strafvollzug um der sozialen Integration seiner Insassen willen in jeder nur erdenklichen Weise die Bildungsmöglichkeiten der freien Gesellschaft nutzen muß, da Leistung, Bildung und soziale Kompetenz von dorther definiert werden. Die Erfahrung zeigt, daß eine weitgehende Abkapselung des Strafvollzugs von der Außenwelt die Lernsituation seiner Insassen verschlechtert und damit auch die Chancen einer Resozialisierung verringert.

2. Regelungen des Berufsförderungs- und Erwachsenenbildungsrechts Die zunehmende Bedeutung, welche die Erwachsenenbildung auf Grund des gesellschaftlichen Wandels gewonnen hat, kommt nicht zuletzt in einer erheblichen Ausweitung des Rechts der Ausbildungsförderung und beruflichen Bildung zum Ausdruck. Setzen die einschlägigen Gesetze, das Berufsbildungsgesetz, das BaföG und das A F G , Akzente hinsichtlich der schulischen Förderung und Berufsvorbereitung, so enthalten die Erwachsenenbildungsgesetze der Länder mehr oder minder programmatische Aussagen zur Zielsetzung und Funktion der Erwachsenenbildung (Bockemühl 1977). Das StVollzG selbst hat im wesentlichen inhaltliche Anleihen beim Recht der beruflichen Bildung und Förderung aufgenommen. Der Grundtenor dieser Regelungen lautet: Die Einrichtungen und Möglichkeiten, welche das Recht der Erwachsenenbildung und beruflichen Förderung vorsieht, sollen im Prinzip auch den Gefangenen zugutekommen (Hoppe 1974; Joppe 1977; Müller-Dietz 1978; Calliess 1981). Der Sache nach geht es dabei vor allem um eine überaus differenzierte und qualifizierte Aus- und Weiterbildung, die zugleich den Anforderungen des Arbeitsmarktes und der wirtschaftlichen Entwicklung Rechnung trägt, um Ausbildungs- und Berufsberatung sowie um Arbeitsvermittlung. Den Rahmen der beruflichen Bildung stecken namentlich das Berufsbildungsgesetz und das A F G

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Strafvollzug: Erwachsenenbildung ab. Nach dem Berufsbildungsgesetz geht es zum einen um die Vermittlung einer breit ausgelegten beruflichen Grundbildung sowie der für die Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit erforderlichen fachlichen Kenntnisse und Fertigkeiten (§1 Abs. 2 Berufsbildungsgesetz). Die berufliche Fortbildung soll dazu dienen, die beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten zu erhalten, zu erweitern, der technischen Entwicklung anzupassen oder beruflich aufzusteigen (§ 1 Abs. 3 Berufsbildungsgesetz). Die berufliche Umschulung soll zu einer anderen beruflichen Tätigkeit befähigen (§ 1 Abs. 4 Berufsbildungsgesetz). Im Mittelpunkt steht hier ebenso wie im BaföG die Regelung der individuellen (beruflichen oder Ausbildungs-)Förderung. Demgegenüber kennt das AFG neben der individuellen Förderung der beruflichen Bildung (§§33 ff. AFG) auch eine entsprechende institutionelle Förderung (§§ 50ff. AFG). Hiernach kann die Bundesanstalt für Arbeit Darlehen und Zuschüsse für den Aufbau, die Erweiterung und Ausstattung von Einrichtungen (z. B. Lehrwerkstätten) gewähren, die der beruflichen Bildung dienen. Diese Möglichkeiten kann auch grundsätzlich der Strafvollzug nutzen. Die prinzipielle Gleichstellung des Gefangenen mit dem freien Bürger auf dem Gebiet der beruflichen Bildung hat zur Folge, daß er unter den gleichen Voraussetzungen gegen das Arbeitsamt einen Anspruch auf derartige Förderungsmaßnahmen hat (Franke 1979). Die erforderliche Eignung festzustellen ist Sache des Arbeitsamtes. Steht die Eignung des Gefangenen fest, darf die Vollzugsbehörde die Teilnahme an einer Berufsförderungsmaßnahme des Arbeitsamtes nur dann ablehnen, wenn sie nicht in der Lage ist, die zur Durchführung notwendigen sachlichen Voraussetzungen (z. B. Ausbildungsplätze) zu schaffen, oder wenn die Teilnahme erhebliche Gefährdungen der Sicherheit mit sich brächte (§4 Abs. 2 StVollzG). An dieser weitgehenden, wenngleich nicht völligen Egalisierung der Stellung des Gefangenen und des freien Bürgers wird deutlich, in welchem Maße jedenfalls Teile des Erwachsenenbildungskonzepts normativ Eingang in den Strafvollzug gefunden haben. Demgegenüber haben die Erwachsenenbildungsgesetze für den Strafvollzug eher mittelbare Bedeutung. Sie lassen aber in ihren programmatischen und organisatorischen Aussagen immerhin den allgemeinen staatlichen und gesellschaftlichen Rahmen erkennen, in den letztlich auch die Erwachsenenbildung im Strafvollzug eingebettet ist. Das wird etwa an den zentralen Fragestellungen deutlich (Bockemühl 1977), die sich - zumindest auf dem Umweg über öffentliche und freie Träger der Erwachsenenbildung - dem Strafvollzug mitteilen. Da geht es zum einen um die Festlegung der politischen, gesellschaftlichen und pädagogischen Ziele der Erwachsenenbildung, zum zweiten um das Verhältnis von öffentlichen und freien Trägern und

Einrichtungen der Erwachsenenbildung und schließlich um die Frage, ob die Erwachsenenbildung in das Gesamtbildungssystem integriert oder selbständig sein soll. In modifizierter Form stellen sich diese Fragen auch der Erwachsenenbildung im Strafvollzug. Paradigmatisch dafür ist nicht zuletzt das Problem der Zusammenarbeit (mit anderen Einrichtungen und Trägern), das in der freien Gesellschaft praktisch so überaus bedeutsam geworden ist (Helmer 1978). Es schlägt sich gleichermaßen in der Bildungsarbeit der Vollzugsanstalten nieder, die inzwischen in erheblichem Umfange von außervollzuglichen Einrichtungen und Personen getragen wird und deshalb nur auf der Grundlage enger Kooperation lebensfähig ist.

C. Zur tatsächlichen Lage der Erwachsenenbildung im Strafvollzug 1. Überblick Repräsentative empirische Erhebungen zur Lage der Erwachsenenbildung im Strafvollzug der Bundesrepublik Deutschland fehlen bis zum heutigen Tage. Außer konzeptionellen Studien (Müllges 1973; Deimling/Lenzen 1974; Rückert 1974; 1976; Deimling 1978; 1979; Ballhausen 1979; Eberle 1980) liegen im wesentlichen nur Erfahrungsberichte vor, die entweder über bestimmte Projekte/Modelle oder über einzelne Vollzugsanstalten informieren (Schüler 1972; 1973; Müllges 1973; Drumm 1973; Schmitt-Wallraff 1973; Brick 1976; Souchier 1976; Deiters in: Schwind/Blau 1976; Berufliche Resozialisierung 1977; Pilger-MichellettoAVehle 1977; 1978; Deutsche Evangelische Arbeitsgemeinschaft 1979; Spitzcok von Brisinski 1979; Niemeyer 1979; Dezernat für Schule und Bildung 1979; Rechtspflege Nordrhein-Westfalen 1979; Neufeind 1979; Pendón 1979; Diederichsen 1980; Schlebusch 1980; Wendland 1980). In der Hauptsache lassen diese Berichte drei Schwerpunkte der Erwachsenenbildung erkennen: Zum einen geht es um den Bereich der beruflichen Förderung, zum zweiten um schulische und allgemeinbildende Angebote und schließlich um Vollzugsgruppenarbeit und Soziales Training.

2. Schwerpunkte der Erwachsenenbildung a) S c h w e r p u n k t a n s t a l t e n u n d M a ß n a h m e n d e r b e r u f l i c h e n F ö r d e r u n g . Mit dem Ausbau des Rechts der beruflichen Förderung, der namentlich den Aufgabenbereich der Bundesanstalt für Arbeit auf eine neue Grundlage stellte (IV B 2), sind auch die tatsächlichen Möglichkeiten der beruflichen Bildung im Strafvollzug gewachsen. Finanzielle und personelle Unterstützung durch die Bundesanstalt und durch das Berufsförderungswerk

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des DGB schufen die Voraussetzungen dafür, daß neue Ausbildungsplätze geschaffen, die Zahl der Ausbildungsberufe vermehrt und integrierte Programme der beruflichen Förderung praktisch ins Werk gesetzt werden konnten. Im Gefolge dieser Entwicklung sind in verschiedenen Vollzugsanstalten Schwerpunkte der beruflichen Bildung im Zusammenwirken von Bundesanstalt für Arbeit, Berufsförderungswerk des DGB und Landesjustizverwaltungen entstanden. Beispiele dafür stellen die Berufsförderungsstätten und Berufsbildungszentren in den Vollzugsanstalten Bochum-Langendreer, Geldern und Zweibrücken dar. Verschiedentlich ist das Berufsfortbildungswerk Träger der Einrichtung. Es stellt dann die Ausbilder und Lehrkräfte für die praktische Unterweisung und den theoretischen Unterricht; in fachlicher Hinsicht unterstehen die Ausbilder der Vollzugsanstalt den Weisungen dieser Lehrkräfte. Die Gefangenen, die berufliche Förderung erfahren sollen, werden jeweils zuvor auf ihre Eignung durch Fachkräfte überprüft. Das Spektrum der Ausbildungsberufe reicht vom Kraftfahrzeugmechaniker, Betriebsschlosser, Werkzeugmacher, Drucker, Setzer bis hin zum Elektroingenieur, technischen Zeichner und Bürokaufmann. Es spiegelt insbesondere Trends in der Nachfragesituation des Arbeitsmarktes wider; das erklärt sich nicht zuletzt aus der Verpflichtung der Bundesanstalt, sich auch im Rahmen der beruflichen Förderung an der Lage auf dem Arbeitsmarkt und der Entwicklung der Berufe zu orientieren. Vielfach sind diese Schwerpunktanstalten für den Bereich eines Landes oder - auf Grund von Vollzugsvereinbarungen (§ 150 StVollzG) - mehrerer Länder zuständig. Darüber hinaus nutzen eine ganze Reihe weiterer Vollzugsanstalten - namentlich auf der Basis des gelockerten oder offenen Vollzugs - Aus- und Weiterbildungsangebote öffentlicher und freier Träger der Erwachsenenbildung sowie der freien Wirtschaft. Dabei ist die Zusammenarbeit mit den Arbeitsämtern, den Handwerkskammern sowie den Industrie- und Handelskammern von wesentlicher Bedeutung. In manchen Bundesländern sucht man sämtliche Gefangene, die einer beruflichen Bildung bedürfen, systematisch zu erfassen, um auf diese Weise das Zufallsprinzip, das vielerorts eine Rolle spielt, auszuschalten und eine sachgerechte Durchführung von Förderungsmaßnahmen zu ermöglichen. Über die Einrichtungen der beruflichen Bildung, die derzeit in den Vollzugsanstalten existieren, informiert eine Dokumentation der Bundesanstalt für Arbeit; sie enthält gleichzeitig Angaben über Ziel, Dauer und Träger der Ausbildung sowie über die Teilnahmevoraussetzungen (Bundesanstalt für Arbeit 1981). b) U n t e r r i c h t und Wissensvermittl u n g . Einen zweiten Schwerpunkt der Erwachsenenbildung stellt der Ausgleich schulischer und

bildungsmäßiger Defizite durch gezielte Unterrichtsangebote mit entsprechenden Abschlüssen dar. Zwar gab es in verschiedenen Vollzugsanstalten für Gefangene früher schon die Möglichkeit, durch Teilnahme am Unterricht in Grundschulfächern Wissenslücken zu schließen und sich in speziellen Gebieten (z.B. Sprachen) fortzubilden. Doch wurden erst in neuerer Zeit Konzepte entwikkelt, welche die schulische Ausbildung und Wissensvermittlung stärker in die Didaktik und Methodik der Erwachsenenbildung integrierten, zugleich aber auch den Lernbarrieren und -defiziten der Insassen Rechnung zu tragen suchten. Dies bedeutet einerseits etwa Abkehr vom Frontalunterricht unter Hinwendung zum dialogischen Gespräch und zur Gruppenarbeit, andererseits Vermittlung von Lernfähigkeit, Abbau von Ängsten und Aggressionen, Überwindung emotionaler und affektiver Widerstände gegen die Wissensvermittlung durch gruppendynamische Einführungsveranstaltungen, welche den Interessen und psychischen Bedürfnissen der Teilnehmer entgegenkommen. Teilweise wurde diese konzeptionell stärker abgesicherte Form von Erwachsenenbildung institutionalisiert (z.B. Pädagogisches Zentrum Münster); teilweise wurde sie in die Tätigkeit der örtlich zuständigen Volkshochschulen (z. B. in Bremen) oder in die Vollzugsgruppenarbeit (z. B. in Hannover) integriert. Dabei liegt ein Hauptgewicht der Bildungsarbeit in der Vermittlung von Hauptschul- und Realschulabschlüssen. Die Erfahrungen lassen erkennen, daß ein nicht unerheblicher Teil ehemaliger Sonderschüler unter der Voraussetzung zum Hauptschulabschluß geführt werden kann, daß entsprechende Motivationsprozesse in Gang gesetzt und vollzugsbedingte Hemmnisse abgebaut werden. c) S o z i a l e s T r a i n i n g . Verschiedenenorts sind Unterrichtskurse und Wissensvermittlung eingebettet in ein Gesamtkonzept, das dem Gefangenen im Sinne der neueren Vorstellungen zur Erwachsenenbildung zur sozialen Kompetenz verhelfen will. Hier steht in aller Regel der Gesichtspunkt sozialen Lernens im Vordergrund, das auf Problemlösung und sinnvolle Lebensbewältigung und damit letztlich auf gesellschaftliche Eingliederung gerichtet ist. Beispiele dafür stellen das seit einiger Zeit (z. B. in Berlin-Tegel) in der Erprobung befindliche Konzept des Sozialen Trainings sowie das Frankfurter Modell zur sozialen Rehabilitation und Berufsausbildung weiblicher Strafgefangener dar. In gewisser Weise lassen sich hier auch die Bemühungen öffentlicher und freier Träger, gemeinnütziger Vereinigungen sowie von ehrenamtlichen Vollzugshelfern einordnen, teils auf gruppendynamischer Basis, teils in themenzentrierter. Weise Alltags-, Kommunikations- und Eingliederungsprobleme anzugehen. So finden seit einiger!Zeit in vermehrtem Umfange etwa gemeinsame Gruppenarbeit und Se-

Strafvollzug: Erwachsenenbildung minare mit Familienangehörigen statt. Dadurch sollen nicht nur soziale Bindungen stabilisiert, sondern allgemein die Kontakt- und Kommunikationsfähigkeit und die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung verstärkt werden (Pilger-Micheletto 1979; Arbeiterwohlfahrt 1979; Katholische Arbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe 1980). Das Konzept des Sozialen Trainings zielt insgesamt auf den Abbau bestimmter Persönlichkeitsund Sozialisationsdefizite; es soll der Ich-Stabilisierung dienen und den Teilnehmern Lebenstechniken vermitteln, die sie vor sozialen Benachteiligungen bewahren. Speziell für Berlin-Tegel wurde ein Curriculum entwickelt, das sieben Trainingsbereiche umfaßt. Fünf Bereiche betreffen die Bewältigung von Alltagsproblemen (Arbeit sowie Leistungs- und Berufsorientierung, Umgang mit Geld, namentlich Schuldentilgung, Rechtsempfinden und Rechtskenntnisse, Bewältigung der Freizeit, Kontaktfähigkeit und Pflege sozialer Bindungen und Beziehungen). Ein weiteres Programm befaßt sich mit der Behandlung Alkoholabhängiger; hier geht es vor allem um Information, die Weckung von Problembewußtsein sowie neue Therapie mit Selbsthilfecharakter. Das Curriculum findet seinen Abschluß mit dem „Lernziel Wohnen", in dem Einzelfragen zur Sprache kommen, die auch in anderen Trainingsbereichen eine Rolle spielen. Erfahrungen mit dem Sozialen Training vermitteln etwa Berichte der Arbeitsgruppe für empirische Bildungsforschung (Heidelberg), die konzeptionelle Vorarbeiten geleistet und das Projekt in Berlin-Tegel sowie andere Projekte dieser Art durchgeführt oder wissenschaftlich begleitet hat (Pilger-Michelletto/Wehle 1977; 1978; Braun-Heintz, Schradin, Wehle 1980; Arbeitsgruppe für empirische Bildungsforschung 1981). Vergleichbare theoretische Ansätze liegen auch dem Frankfurter Modell zur sozialen Rehabilitation und Berufsausbildung weiblicher Strafgefangener zugrunde, das eine Integration von allgemeiner Ausbildung, sozialtherapeutischen Maßnahmen und Berufsausbildung anstrebt. Auch darüber liegt nunmehr ein erster Bericht vor, der die bisherigen Erfahrungen in die weitere Bildungsarbeit einbringen soll (Dezernat für Schule etc. 1979; Traxler 1980; Müller-Dietz 1982). Spezielle Ansätze und Methoden eröffnen nunmehr auch dem Strafvollzug ein bisher weitgehend unerschlossenes Terrain; ein Beispiel für viele bildet die theaterpädagogische Arbeit (Thielicke 1980; 1981).

V. ENTWICKLUNGSTENDENZEN UND -CHANCEN DER ERWACHSENENBILDUNG IN STRAFVOLLZUG UND STRAFFÄLLIGENHILFE Das Angebot an Bildungsmaßnahmen im Strafvollzug der Bundesrepublik Deutschland ist in der letzten Zeit deutlich gewachsen. Es wurde verschie-

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denenorts quantitativ erweitert und qualitativ verbessert. Das gilt namentlich für die Bereiche der schulischen Bildung und beruflichen Förderung. Mancherorts werden auch konzeptionelle Ansätze sichtbar, welche die verschiedenen Bildungsmaßnahmen in ein Gesamtsystem zu integrieren suchen, das die Vermittlung sozialer Kompetenz, also die Entwicklung von Ich-Identität, Kommunikationsfähigkeit und Problemlösungsverhalten, anstrebt; ein markantes Beispiel stellt das Soziale Training dar. Auch in institutioneller Hinsicht wurde die Erwachsenenbildung auf eine breitere Grundlage gestellt. Charakteristisch dafür sind etwa die Schaffung pädagogischer Schwerpunkte in verschiedenen Vollzugsanstalten, die Errichtung besonderer Träger für die berufliche Bildung und damit die Einrichtung spezifischer Ausbildungsanstalten sowie der erhebliche Anteil öffentlicher und freier Träger der Erwachsenenbildung an den Bildungsmaßnahmen. Ebenso lassen Gruppenarbeit mit ehrenamtlich tätigen Vollzugshelfern und Gruppen sowie Ehe- und Familienseminare eine verstärkte Einbeziehung des sozialen Umfeldes in die Bildungsarbeit erkennen; sie bleibt nicht mehr allein auf den Strafvollzug beschränkt, sondern ist in zunehmendem Maße zur Sache der Straffälligenhilfe geworden. Gleichwohl harren noch eine ganze Reihe grundsätzlicher Fragen der Klärung. Sie betreffen zum einen den inhaltlich-konzeptionellen Aspekt, zum anderen den organisatorisch-administrativen Bereich der Erwachsenenbildung. In beiderlei Hinsicht sind sie in unmittelbarer Weise mit der Strukturproblematik der Vollzugsanstalt verknüpft. So fehlt es trotz beachtlicher Ansätze immer noch an einem Gesamtkonzept, das die verschiedenen Bereiche der Vollzugsanstalt zu einem gleichermaßen konsistenten wie differenzierten „sozialen Lernfeld" zusammenschließt. Statt dessen existiert namentlich in größeren und in geschlossenen Vollzugsanstalten eine Hierarchie der Vollzugsbereiche, die meist Sicherheit und Ordnung sowie Arbeit an der Spitze rangieren läßt. Die vielfach pragmatische „Lösung" des Zielkonfliktes zwischen Sicherung und Behandlung zugunsten der ersteren wirkt sich nicht zuletzt auf die Erwachsenenbildung nachteilig aus, der dann sowohl in zeitlicher als auch in personeller Hinsicht die dann noch übrigbleibenden Freiräume zugewiesen werden. Aber auch dort, wo die Erwachsenenbildung faktisch stärkeres Gewicht hat, steht sie in Konkurrenz mit anderen Vollzugsbereichen, vor dem Problem der Selbstbehauptung und der sachgerechten Abstimmung mit anderen Vollzugsmaßnahmen (§§ 7,154 StVollzG). Insofern kann sie nicht mehr leisten, als die Kommunikations- und Organisationsstruktur der Vollzugsanstalt insgesamt hergibt. Deren Kontaktbereitschaft sowie Innovationsfähigkeit entscheidet im übrigen auch darüber, in welchem Umfange sich die Anstalt außervollzuglichen Bildungsangeboten öffnet oder verschließt. Im Idealfall gelingt eine enge Zusam-

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menarbeit sowie Verzahnung der Bildungsmaßnahmen öffentlicher und freier Träger der Vollzugsanstalt. Im tendenziell eher wahrscheinlichen ungünstigeren Fall bleibt es bei der punktuellen Nutzung von Bildungsangeboten ohne Integration in ein Gesamtprogramm. Schließlich spielt neben dem konzeptionell und personell bedingten Mangel an Bildungsangeboten eine wesentliche Rolle, daß etliche Vollzugsanstalten ihrer Motivierungspflicht (§4 Abs. 1 StVollzG) nicht hinreichend nachkommen und damit die schulisch, beruflich und bildungsmäßig zu fördernden Insassen nur teilweise erreichen. Diese Schwierigkeiten sind wenigstens mitverantwortlich dafür, daß nach wie vor nur ein Teil der Insassen an weiterführenden Bildungsmaßnahmen partizipiert. Gewiß kommen zeitlich aufwendige Bildungsangebote nur für Gefangene mit längeren Freiheitsstrafen in Betracht. Doch existieren längst kurzzeitige Bildungsmöglichkeiten in Form von Kursen und Lehrgängen (z.B. Baukastensystem), die auch die Einbeziehung von Gefangenen mit kürzeren Freiheitsstrafen erlauben. Damit läßt sich natürlich der naheliegende Einwand mangelnder Eignung, der vielfach ins Feld geführt wird, nicht entkräften. Jedoch erscheint er empirisch solange nicht schlüssig, als weder eine umfassende und wissenschaftlichen Standards entsprechende Überprüfung der intellektuellen Leistungsfähigkeit, emotionalen Belastbarkeit und individuellen Begabung noch ein zureichendes Motivationstraining vor dem Hintergrund unterschiedlich qualifizierter und qualifizierender Bildungsangebote stattfindet. Erst dann würde sich nämlich erweisen, wo gemessen an der Gesamtzahl der Insassen und wo im Einzelfall die Grenzen der Bildungsfähigkeit verlaufen. Dies setzte aber wiederum strukturelle (organisatorische, personelle und räumliche) Rahmenbedingungen „sozialen Lernens" in den Vollzugsanstalten voraus, wie sie heute allenfalls partiell oder in einzelnen Vollzugsbereichen existieren. Nachhaltige Förderung und Wirksamkeit kann die Erwachsenenbildung im Strafvollzug danach nur in dem Maße erwarten, in dem eine stärkere Öffnung der Vollzugsanstalten und Einbeziehung in das System der Weiterbildung in der freien Gesellschaft gelingt.

Monographien und W.

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Strafvollzug: Erwachsenenbildung

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MÜLLER-DIETZ